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Pragmatik

2022
978-3-8233-9278-1
Gunter Narr Verlag 
Kristin Börjesson
Björn Laser
10.24053/9783823392781

Das wichtigste Ziel des Deutschunterrichts in der allgemeinbildenden Schule ist der Auf- und Ausbau der sprachlichen Handlungsfähigkeit. Die linguistische Pragmatik ist die wissenschaftliche Lehre vom sprachlichen Handeln. Da liegen Verbindungen nahe. Tatsächlich aber werden pragmatische Begriffe und Konzepte im und für den Unterricht bisher wenig genutzt. Dieses Buch zeigt, wie die linguistische Pragmatik den Deutschunterricht unter der Oberfläche längst durchdrungen hat. Es bietet Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden Hintergrundwissen und Ideen dafür, wie sich das Nachdenken über den Gebrauch von Sprache gewinnbringend in den Unterricht einbringen lässt. Die Merkmale verschiedener Kommunikationssituationen werden ebenso in den Blick genommen wie Bedeutungsaspekte von Äußerungen, die nur zu verstehen sind, wenn man Sprache im Gebrauch betrachtet.

LinguS 11 Pragmatik LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis KRISTIN BÖRJESSON BJÖRN LASER Pragmatik LinguS 11 LINGUISTIK UND SCHULE Von der Sprachtheorie zur Unterrichtspraxis Herausgegeben von Sandra Döring und Peter Gallmann Kristin Börjesson / Björn Laser Pragmatik Sprachgebrauch untersuchen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783823392781 © 2022 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2566-8293 ISBN 978-3-8233-8278-2 (Print) ISBN 978-3-8233-9278-1 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0357-2 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 5 Inhalt 1 Pragmatik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.1 Ziel und Ausrichtung dieses Buches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.2 Was ist Pragmatik? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 1.2.1 Kurzer historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1.2.2 Bedeutungsebenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.2.3 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 1.3 Pragmatik und Deutschunterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 1.3.1 Noch ein kurzer historischer Abriss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 1.3.2 Pragmatische Reflexionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen . . . . . . . . . . . . 27 2.1 Kommunikationssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.1.1 Der Äußerungskontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.1.2 Mündlichkeit, Schriftlichkeit - der Einfluss des Kommunikationskanals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.1.3 Verbale Kommunikation als eine Form der sozialen Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.1 Gespräche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 2.2.2 Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel . . . . . . . . 49 2.3.1 Implizites Wissen transparent machen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.3.2 Beobachtungs- und Analysekategorien bereitstellen . . . . . . . 53 2.3.3 Sprachliche und kommunikative Ressourcen entwickeln . . . 56 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 3 Reden ist Handeln: Sprechakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.1 Zur Theorie der Sprechakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.1.1 Äußerungen und Absichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.1.2 Gelingensbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 3.1.3 Teilakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.1.4 Illokutionäre Indikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 6 Inhalt 3.1.5 Indirekte Sprechakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.1.6 Sprechakttypen nach Searle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3.2 Sprechakte im Unterricht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 3.2.1 Satzarten und Sprachhandlungstypen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 3.2.2 Sprechakttypen und Textsorten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen . . . . . 91 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . 93 4.1.1 Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen . . . . . . . . . 95 4.1.2 Eigenschaften von Implikaturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 4.1.3 Gesagtes vs. Gemeintes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 4.2 Zum Phänomen der Präsupposition. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 4.2.1 Präsuppositionen auslösende Elemente . . . . . . . . . . . . . . . . 109 4.2.2 Eigenschaften von Präsuppositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 4.2.3 Präsuppositionen: ein semantisches oder ein pragmatisches Phänomen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule . . . . 117 4.3.1 Subtile Botschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 4.3.2 Gemeinsames Wissen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.3.3 Regeln des Verstehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 5 Was wir gemacht haben, oder: Pragmatik ist noch viel mehr. . . . . . . . . . . 131 Lösungshinweise zu den Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 Rechtsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 7 1.1 Ziel und Ausrichtung dieses Buches 1 Pragmatik 1.1 Ziel und Ausrichtung dieses Buches Wir möchten in diesem Buch einen Einblick geben in die fachwissenschaftlichen Inhalte der Pragmatik und aufzeigen, welche Perspektiven für den Deutschunterricht sich an diese anschließen lassen. Dabei verfolgen wir zwei Ziele: ▶ Zum einen soll das Buch Lehrpersonen eine fachwissenschaftliche Grundlage bieten, auf der sie ihren Unterricht hinsichtlich der pragmatik-geprägten Zielsetzungen der Bildungsstandards und Lehrpläne aufbauen können, ▶ zum anderen wollen wir aber auch beispielhaft Anregungen geben, wie konkrete, in den Lehrplänen formulierte Inhalte und Lernziele, die sich auf pragmatische Aspekte beziehen, im Unterricht umgesetzt werden können. Dabei fokussieren wir auf drei Bereiche, denen jeweils ein Kapitel gewidmet ist. Kapitel 2 behandelt den Themenbereich Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen. In den Bildungsstandards wird von der Fähigkeit gesprochen, Sprache situationsangemessen zu gebrauchen, also passend zu den Bedingungen des jeweiligen konkreten „Sprachgebrauchskontextes“. Wie ich als Sprecher/ Schreiber meine Äußerungen formuliere, hängt z.-B. davon ab, wie ich die soziale Beziehung zwischen mir und meinem Adressaten einschätze, ob ich mündlich oder schriftlich kommuniziere, welche Varietäten des Deutschen mir zur Verfügung stehen, wie ich das Vorwissen zum Thema bei meinem Adressaten einschätze usw. Diese vielfältigen Aspekte sollen in diesem Kapitel in den Blick genommen werden. Kapitel 3 beschäftigt sich mit der Idee, dass verbales Kommunizieren als eine Form des Handelns zu verstehen ist. Hier wird insbesondere die auf Austin und Searle zurückgehende Sprechakttheorie eingeführt, mit ihrer Unterscheidung verschiedener Teilakte, der Annahme von Gelingensbedingungen für Sprechakte und der Unterscheidung von direkten und indirekten Sprechakten. Generell spielt hier die Tatsache eine Rolle, dass Kommunizierende jeweils aus bestimmten Intentionen heraus sprachlich handeln, dass sie also jeweils bestimmte Ziele verfolgen. Um diese Ziele zu erreichen muss neben den vielfältigen anderen 8 1 Pragmatik Aspekten der jeweiligen Äußerungssituation der Adressat besonders berücksichtigt werden. Diese beiden Aspekte werden in den Bildungsstandards mit den Stichworten „zielgerichtet“ und „partnerbezogen“ angesprochen. Kapitel 4 widmet sich der Tatsache, dass in verbaler Kommunikation häufig Dinge anders verstanden werden, als sie gesagt wurden oder auch mehr verstanden wird, als gesagt wurde. Es geht also um Bedeutungsaspekte von Äußerungen, die mitkommuniziert bzw. mitverstanden werden, obwohl sie streng genommen unausgesprochen sind. Fachlich gesprochen geht es um Implikaturen und Präsuppositionen und die Bedingungen, unter denen diese zum Tragen kommen. Mit den verbleibenden Abschnitten von Kapitel 1 steigen wir in das Thema Pragmatik zunächst aus fachwissenschaftlicher ( → - Kap.- 1.2), dann aus fachdidaktischer Perspektive ( → - Kap.- 1.3) ein. Hier geht es zum einen darum, zu klären, was eigentlich unter Pragmatik (insbesondere auch in Abgrenzung zur Semantik) zu verstehen ist, zum anderen ist die Frage zu klären, welchen Stellenwert die Pragmatik im Deutschunterricht hatte und hat. Am Ende jedes Kapitels finden sich Aufgaben zur Lernkontrolle und zum Weiterdenken. Die mit einem * gekennzeichneten Aufgaben lassen sich auch für den Unterricht adaptieren. Entsprechende Hinweise zur Lösung der Aufgaben finden sich am Ende des Buches. 1.2 Was ist Pragmatik? Die „Lehre vom sprachlichen Handeln“ - So oder ähnlich wird in sprachwissenschaftlichen Einführungswerken oder Fachlexika häufig bestimmt, was linguistische Pragmatik ist. Während sich andere Teilgebiete der Linguistik mit der Sprache und ihren Bestandteilen selbst beschäftigen, also etwa Wörter, Sätze, Wortbausteine oder Laute untersuchen, richtet sich die Pragmatik darauf, was mit diesen Bestandteilen, mit Wörtern, Sätzen usw. gemacht wird, auf die Sprache im Gebrauch und ihre Benutzer. Für eine erste Vorstellung davon, was die linguistische Pragmatik ist oder will, mag eine solch allgemeine Begriffsbestimmung genügen. Schon auf den zweiten Blick wird aber deutlich, dass sie wenig besagt oder zumindest gleich zu weiteren Fragen führt. Denn was ist nicht alles sprachliches Handeln? Lesen, schreiben, vortragen, diskutieren - beschäftigt sich die Pragmatik dann mit allen Aspekten solcher sprachlichen Fertigkeiten? Wenn wir die Welt sprachlich begreifen und als soziale Wesen agieren, wie lässt sich da sprachliches von nicht 9 1.2 Was ist Pragmatik? sprachlichem Handeln überhaupt trennen? Und was ist Sprache, wenn wir nicht handelnd mit ihr umgehen? Lässt sich die Bedeutung sprachlicher Einheiten tatsächlich davon lösen, dass etwas mit ihnen gemeint und verstanden, also: mit ihnen gehandelt wird? Diese Fragen zielen natürlich auf die Grenzen der Pragmatik. Eine „Lehre vom sprachlichen Handeln“ scheint mit einem umfassenden Gebrauchswertversprechen verbunden zu sein, insbesondere für Unterrichtskontexte, in denen es ja vor allem um die Entwicklung sprachlicher Handlungskompetenzen geht. Zugleich aber birgt eine solch allgemeine Perspektive nicht nur die Gefahr der Entgrenzung und damit ihrer Auflösung: Sie verbirgt auch, dass sich die linguistische Pragmatik nicht darin erschöpft, sprachliche Äußerungen als intentionale Handlungen zu untersuchen. Um genauer zu verstehen, wie Grenzen gezogen werden und welchen Ansatz die linguistische Pragmatik verfolgt, hilft ein Blick in ihre historische Entwicklung. 1.2.1 Kurzer historischer Abriss Die Verwendung des Begriffs Pragmatik im modernen Verständnis geht zurück auf den amerikanischen Philosophen Charles Morris, der drei verschiedene Teilgebiete innerhalb der Wissenschaft der Zeichen (Semiotik) unterschied (vgl. Morris 1938: 6). Während es in der Syntax um das strukturelle Verhältnis von Zeichen untereinander geht, interessiert sich die Semantik für das Verhältnis von Zeichen zu den Objekten in der Welt, die mit ihnen bezeichnet werden können. Die Pragmatik, schließlich, untersucht das Verhältnis der Zeichenbenutzer zu den Zeichen. Über die Pragmatik schreibt Morris weiter, dass „man die Pragmatik hinreichend genau mit den Worten charakterisieren [kann], daß sie sich mit den lebensbezogenen Aspekten der Semiose beschäftigt, d.-h. mit allen psychologischen, biologischen und soziologischen Phänomenen, die im Zeichenprozess auftauchen.“ 1 (Morris 1979: 52) Damit legt Morris ein sehr weites Verständnis dessen, worum es in der Pragmatik geht, zugrunde. Dieses weite Verständnis findet sich in der europäisch- 1 „[I]t is a sufficiently accurate characterization of pragmatics to say that it deals with the biotic aspects of semiosis, that is, with all the psychological, biological, and sociological phenomena which occur in the functioning of signs.“ (Morris 1938: 108) 10 1 Pragmatik kontinentalen Schule der Pragmatik wieder. So definiert bspw. Verschueren - ein Vertreter dieser Schule - Pragmatik folgendermaßen: „Pragmatik stellt eine generell funktionale (d.- h. kognitive, soziale und kulturelle) Perspektive auf sprachliche Phänomene dar in Bezug auf ihre Verwendung in Form von Verhalten.“ 2 (Verschueren 1999: 7; unsere Übersetzung) Eine derart weite Definition von Pragmatik führt jedoch dazu, dass linguistische Pragmatik nicht mehr abgrenzbar ist von vielen anderen Disziplinen, die auch einen funktionalen Zugang zu Sprache verfolgen, wie z.-B. der Psycholinguistik oder der Soziolinguistik (vgl. Levinson 1983/ 2000: 7 3 ). Im Gegensatz zu Morris prägte Rudolf Carnap ein viel engeres Verständnis von Pragmatik als einer Disziplin, in der es um sprachliche Zeichen und ihre Beziehung zum Sprachbenutzer geht. „Wird in einer Untersuchung explizit auf den Sprecher Bezug genommen, oder um es allgemeiner auszudrücken, auf den Sprachbenutzer, dann rechnen wir diese dem Gebiet der Pragmatik zu.“ 4 (Carnap 1942: 9; unsere Übersetzung) Die anglo-amerikanische Schule der Pragmatik knüpfte an dieses engere Verständnis von Pragmatik an und entwickelte es - ausgehend von den interessierenden Phänomenen, von denen viele aus der analytischen Philosophie stammen - weiter. Levinson (1983/ 2000: 5) schlägt in Anlehnung an Carnap vor, der Pragmatik alle jene linguistischen Untersuchungen zuzuordnen, „die die Referenz auf Aspekte des Kontexts erfordern“. Zum Kontext zählt er dabei wenigstens die „Identitäten der Teilnehmer, die zeitlichen und räumlichen Parameter des Sprechereignisses sowie […] Überzeugungen, Wissen und Absichten der Teilnehmer an diesem Sprechereignis“. Dabei geht er davon aus, dass „zweifellos noch vieles mehr“ (ebd.) zum Kontext gerechnet werden muss. 2 „Pragmatics constitutes a general functional (i.e. cognitive, social and cultural) perspective on linguistic phenomena in relation to their usage in the form of behaviour.“ (Verschueren 1999: 7) 3 Die Seitenangaben zu Levinson (1983/ 2000) hier und im Folgenden beziehen sich jeweils auf die englischsprachige Ausgabe (1983). 4 „If in an investigation explicit reference is made to the speaker, or to put it in more general terms, to the user of the language, then we assign it to the field of pragmatics.“ (Carnap 1942: 9) 11 1.2 Was ist Pragmatik? Obwohl Levinsons Charakterisierung enger ist als Morris’, ermöglicht auch sie keine eindeutige Abgrenzung der Pragmatik von Disziplinen wie Soziolinguistik oder Psycholinguistik. Versucht man die Pragmatik innerhalb der Linguistik über ihren Gegenstandsbereich zu bestimmen, ergibt sich auch hier ein Abgrenzungsproblem, nämlich zur Semantik. Sowohl Semantik als auch Pragmatik beschäftigen sich mit Bedeutungen. Dabei sind sie aber jeweils auf verschiedene Arten von Bedeutung fokussiert. Häufig wird versucht dies durch die Verwendung von Dichotomien zu verdeutlichen. Lyons (1987: 157) schreibt beispielweise, dass Semantik sich mit kontext-unabhängiger Bedeutung auseinandersetze, während Pragmatik die kontext-abhängige Bedeutung erfasse. Weiter heißt es, dass sich Semantik mit wörtlicher Bedeutung und Pragmatik mit nicht-wörtlicher Bedeutung beschäftige (ebd.). Cole (1981: xi) stellt fest, dass Semantik an der Bestimmung konventioneller Bedeutung beteiligt sei, während Pragmatik die nicht-konventionelle Bedeutung bestimme. Generell unterscheiden sich Semantik und Pragmatik in ihrem Untersuchungsgegenstand. Während die Semantik die Bedeutung von Wörtern, Wortgruppen und Sätzen untersucht, beschäftigt sich die Pragmatik mit den Bedeutungen von Äußerungen. In der Semantik wird traditionell angenommen, dass sich die Bedeutung eines Satzes (oder auch einer Wortgruppe) ergibt, indem man die Bedeutungen der einzelnen, in ihm (oder ihr) enthaltenen Wörter entsprechend ihrer syntaktischen Verknüpfung kombiniert. Je nach Art der in einem Satz enthaltenen Wörter ist die sich so ergebende Satzbedeutung mehr oder weniger spezifisch/ genau. In der Pragmatik hingegen werden Äußerungen untersucht. Untersucht wird also die tatsächliche Verwendung sprachlicher Mittel durch einen Sprecher in einer bestimmten Äußerungssituation. Diese sprachlichen Mittel können Sätze oder Wortgruppen, aber auch einzelne Wörter sein. Hier spielt also der Kontext, in dem die entsprechenden sprachlichen Mittel gebraucht werden, eine wichtige Rolle. Darüber hinaus berücksichtigt die Pragmatik auch immer, dass Sprache zum Zweck der Kommunikation, also zum sprachlichen Handeln gebraucht wird und sich daher immer auch die Frage stellen lässt, was der Sprecher mit seiner Äußerung in einer konkreten Äußerungssituation bezwecken wollte, was seine Intention war. 12 1 Pragmatik 1.2.2 Bedeutungsebenen Wie genau sich Semantik und Pragmatik voneinander abgrenzen lassen, wird schon recht lange und auch aktuell noch diskutiert. Dabei wurde eine ganze Reihe von Vorschlägen hervorgebracht, die sich nicht zuletzt dadurch voneinander unterscheiden, dass sie auf der Grundlage unterschiedlicher grundsätzlicher Positionen über das Funktionieren von Sprache und die kognitiven Gegebenheiten der Sprachbenutzer entwickelt wurden. 5 Um einen ersten Eindruck zu bekommen, um was es eigentlich geht, wenn man Bedeutung in der verbalen Kommunikation untersucht, eignet sich eine Unterscheidung in verschiedene Bedeutungsebenen (ursprünglich in Bierwisch 1979, 1983; hier nach Löbner 2015: 1-8). Ausdrucksbedeutung (1) Ich mag deinen Hasen. Betrachtet man als schriftkundiger und kompetenter Sprecher des Deutschen einen einfachen deutschen Satz wie den in (1), nimmt man diesen automatisch als einen grammatischen Satz des Deutschen wahr und versteht ihn auch ohne große Anstrengung. Vielleicht überlegt man sich eine Situation, in der dieser Satz passend geäußert werden könnte. Würde man aber gefragt, was dieser Satz bedeute, würde die Beantwortung dieser Frage vielleicht schwerer fallen. Denn dass jemand den Satz versteht, heißt noch lange nicht, dass er auch seine Bedeutung wiedergeben kann. Diese soll nun im Folgenden Schritt für Schritt erarbeitet werden. Dazu untersucht man zunächst einmal die in dem Satz enthaltenen Wörter und deren Bedeutung. Dabei ist es sinnvoll mit dem finiten Verb zu beginnen, da das Verb und seine Bedeutung eine sehr wichtige Rolle im Satz spielen. Nun gibt es wenigstens zwei Verben mögen: ein Modalverb (wie in Das mag ja noch gehen.) und ein Vollverb. In diesem Fall handelt es sich um das Vollverb, welches einen Zustand ausdrückt, der sich mit „an etwas Gefallen finden“, „sich an etwas erfreuen“ paraphrasieren lässt. Außerdem ist in der Bedeutung des Verbs angelegt, dass es jemanden gibt, der etwas mag, und dass es etwas gibt, das von jemandem gemocht wird. Man kann daher sagen, das Verb mögen verlangt zwei 5 Für eine ausführliche Übersicht der verschiedenen Vorschläge siehe Börjesson (2014). 13 1.2 Was ist Pragmatik? Mitspieler (Argumente), damit seine Bedeutung in einem Satz sinnvoll und vollständig ausgedrückt werden kann. In Satz (1) werden diese beiden Mitspieler durch die Ausdrücke ich und deinen Hasen bezeichnet. Außerdem liegt das finite Verb in einer bestimmten Zeitform vor, nämlich der Präsensform. Auch diese Tatsache fließt in die Bedeutung des Gesamtsatzes ein. Egal, wann der Satz in (1) tatsächlich geäußert wird - aufgrund der Präsensform des finiten Verbs bezieht man den Zustand, den der Satz beschreibt, auf die Gegenwart, also auf die Zeit, zu der der Satz geäußert wird. In gewisser Weise wurde hier schon eine Vorauswahl getroffen, was die konkrete Lesart des Verbs betrifft, welche durch die Art der in diesem Satz vertretenen Mitspieler nahegelegt wird. Das Verb mögen taucht nämlich auch in Zusammenhängen wie dem folgenden auf, in dem es dann eine etwas andere Lesart hat (im Sinne von ‚irgendwohin wollen‘): (2) Ich mag lieber ins Freibad. Betrachten wir nun die beiden Mitspieler näher. Von ihrer Funktion her handelt es sich bei ich um das Subjekt des Satzes und bei deinen Hasen um das Akkusativobjekt. Ich ist ein Personalpronomen (wie auch du, er, sie, es, wir, ihr, sie). Seine Bedeutung lässt sich mit „die Person, die die Äußerung macht“ paraphrasieren. Wer konkret diese Person ist, lässt sich erst angeben, wenn (1) in einer konkreten Äußerungssituation von einem konkreten Sprecher geäußert wird. Die Wortgruppe deinen Hasen setzt sich aus dem Possessivpronomen dein (im Akkusativ) und dem Nomen Hase (im Akkusativ) zusammen. Das Nomen bezeichnet eine bestimmte Art von Säugetier, „mit langen Ohren, dichtem, bräunlichem Fell u. langen Hinterbeinen“, wie es das Wörterbuch erfasst (DUW 2015: 801). Das heißt also, dass das Nomen zunächst einmal aufgrund seiner Bedeutung auf alle Lebewesen anwendbar ist, die dieser Beschreibung entsprechen. Erst in einer konkreten Verwendungssituation lässt sich dann identifizieren, für welches konkrete Lebewesen der Ausdruck Hase verwendet wird. Erst dann lässt sich also seine Referenz festlegen. Deinen ist das Possessivpronomen zu du. Mit deinen Hasen wird ein Bezug zwischen dem Adressaten der Äußerung und dem entsprechenden Referenten von Hasen ausgedrückt. Dabei kann die Beziehung, die zwischen dem Adressaten und dem Hasen besteht, ganz verschieden sein. Eine intuitiv naheliegende Möglichkeit ist die, dass der Hase dem Adressaten gehört. Je nach konkreter Äußerungssituation kann sich deinen Hasen aber auch auf den Hasen beziehen, den der Adressat gerade im Arm hält, von dem er in einem Zoofachhandel 14 1 Pragmatik gesagt hat, dass er diesen gern kaufen würde etc. Um diese verschiedenen Möglichkeiten des Bezugs zu erfassen, wollen wir die Bedeutung des Possessivpronomens dein mit zum Adressaten gehörig beschreiben (vgl. Löbner 2015: 3). Wir haben nun versucht, die Bedeutungen der einzelnen im Satz (1) vorkommenden Wörter näher zu bestimmen. Um die Bedeutung des Satzes als solchen zu bestimmen, ist es notwendig, die syntaktischen Verhältnisse im Satz zu berücksichtigen. So verstehen wir z.-B. deinen und Hasen als enger zusammengehörig in diesem Satz als deinen und ich. Es war schon die Rede von Mitspielern bzw. von Argumenten von Verben. Man kann also sagen, dass die Bedeutung des Verbs schon Leerstellen bereithält, in die die Bedeutungen der Ausdrücke, die als Argumente in einem Satz verwendet werden, eingefügt werden können. Im Fall von mögen kann man sich die Bedeutung dann so vorstellen: (3) x Mögender mag y Gemochtes Dabei wird x als der Mögende und das Subjekt im Satz identifiziert und y als das Gemochte und Akkusativobjekt im Satz. Für den Beispielsatz in (1) bedeutet das, dass die Bedeutungen der jeweiligen Ausdrücke, die diese Positionen nun ausfüllen, in die Leerstellen eingefügt werden können. Insgesamt ergibt sich dann folgende Bedeutung für (1). (1’) Die Person, die diese Äußerung macht, findet zu dem Zeitpunkt, zu dem die Äußerung erfolgt, Gefallen an dem der angesprochenen Person zugehörigen Säugetier mit langen Ohren, dichtem, bräunlichem Fell und langen Hinterbeinen. In (1’) wird deutlich, welchen besonderen Beitrag die Ausdrücke ich und dein zur Gesamtbedeutung des Satzes leisten, indem sich beide Ausdrücke in ihrer Bedeutung auf Aspekte beziehen, die erst in einem konkreten Äußerungskontext tatsächlich gegeben sind (nämlich der Sprecher und der mit einer Äußerung vom Sprecher Angesprochene). Solche Ausdrücke, die eine direkte Bezugnahme auf Komponenten des Äußerungskontexts ermöglichen, werden deiktische Ausdrücke genannt. 15 1.2 Was ist Pragmatik? Äußerungsbedeutung Nehmen wir nun an, (1) wird in einer konkreten Situation geäußert: Es ist der 04.04.2019, Bens Geburtstag. Er hat endlich seinen Wunsch nach einem eigenen Hasen erfüllt bekommen. Dieser sitzt nun mit im Gehege der zwei Hasen seines älteren Bruders Jacob. Im Vergleich zu den älteren Hasen wirkt der neue Hase klein und etwas verängstigt. Ben zeigt ihn gerade seiner Klassenkameradin Ella, die am Nachmittag zur Feier gekommen ist, als Jacob in das Zimmer kommt und Ben damit neckt, dass dessen Hase ja viel kleiner ist und im Vergleich zu den anderen ein Angsthase. Daraufhin sagt Ella zu Ben (1). Durch den konkreten Kontext können nun der tatsächliche Sprecher und der Adressat identifiziert werden. Auch eine konkrete Bezugnahme mit dem Ausdruck Hase auf ein konkretes Lebewesen ist nun möglich (Referenz). Unter Berücksichtigung der kontextuellen Gegebenheiten, in denen die Äußerung von (1) stattfindet, lässt sich die Äußerung so verstehen: (1’’a) Ella findet am Nachmittag des 04.04.2019 Gefallen an dem Hasen, den Ben zum Geburtstag geschenkt bekommen hat. Erst auf dieser Bedeutungsebene macht es Sinn nach den konkreten Wahrheitsbedingungen für diese Äußerung zu fragen bzw. allgemeiner danach, ob die Äußerung wahr oder falsch ist, denn erst auf dieser Bedeutungsebene stehen die Referenzen der geäußerten sprachlichen Mittel fest. In einem anderen Äußerungskontext kann der Satz (1) aber natürlich auch eine andere Bedeutung haben: Ben sitzt am Abend des Gründonnerstags 2019 mit seinen Eltern am Küchentisch. Soeben hat er mehrere Dinge, die er im Schulhort für Ostern gebastelt hat, vor ihnen auf den Tisch gelegt: eine Karte, auf deren Vorderseite er ein großes Osterei bunt ausgemalt hat, einen aus einer Toilettenpapierrolle gefertigten Eierhalter, dessen hinteren Teil er in Form eines Hasen zurechtgeschnitten, braun angemalt und mit Wackelaugen versehen hat sowie ein kleines, aus Pfeifenputzern gebasteltes gelbes Küken. Ben überlegt, welchem Elternteil er welche Bastelei schenken soll. Seine Mutter sagt (1). In diesem Äußerungskontext referiert zunächst einmal der deiktische Ausdruck ich auf eine ganz andere Person, nämlich auf Bens Mutter. Aber auch der Referent von Hase ist etwas, das nicht zu der durch die Ausdrucksbedeutung des Wortes Hase gegebenen Beschreibung passt. 16 1 Pragmatik (1’’b) Bens Mutter findet am Abend des 18.04.2019 Gefallen an dem Hasen aus Pappe, den Ben gebastelt hat. Es stellt sich daher die Frage, ob wir - aufgrund solcher Verwendungsweisen wie der oben - davon ausgehen müssen, dass der Ausdruck Hase noch eine weitere Lesart hat, nämlich in etwa ‚Pappfigur eines Säugetiers, mit langen Ohren, dichtem, bräunlichem Fell und langen Hinterbeinen‘. Nun finden sich derartige Verwendungsweisen von Inhaltswörtern recht häufig, so dass man davon ausgehen kann, dass es sich hierbei jeweils um durch den Kontext hervorgerufene Bedeutungsverschiebungen bzw. Spezifizierungen einzelner Ausdrücke handelt. In diesem Fall erlaubt wohl die äußerliche Ähnlichkeit des Papphasen zum „echten“ Hasen die Verwendung des Ausdrucks Hasen auch für den Papphasen. Eine weitere mögliche Äußerungsbedeutung im o.-g. Szenario ist folgende: (1’’c) Bens Mutter findet am Abend des 18.04.2019 Gefallen an dem Eierhalter, den Ben gebastelt hat. Hier wird davon ausgegangen, dass Bens Mutter mit ihrer Verwendung von Hase nicht einfach nur auf den Teil des Eierhalters referiert hat, der einem tatsächlichen Hasen ähnlich sieht, sondern auf das gesamte Objekt (nämlich den Eierhalter), von dem der Papphase nur einen Teil ausmacht. Auch bei dieser Verwendungsweise von Hase muss nicht davon ausgegangen werden, dass eine weitere Ausdrucksbedeutung im Sinne von ‚Eierhalter‘ für dieses Wort angenommen werden muss, da auch diese Verwendungsweise sich durch eine Bedeutungsverschiebung erklären lässt, die generellerer Natur ist. Hier beruht die Verwendungsweise auf einer „Teil-Ganzes-Beziehung“, die zwischen dem Papphasen und dem Eierhalter besteht und die es erlaubt, den Ausdruck Hase nicht nur auf den Papphasen (Teil), sondern auf den Eierhalter als Ganzes zu beziehen. Zusammenfassend lässt sich also zur Ebene der Äußerungsbedeutung sagen: Die Äußerungsbedeutung entsteht, indem die Ausdrucksbedeutung in einen konkreten Äußerungskontext eingebettet wird. Das erlaubt es, die tatsächlichen Referenzen der einzelnen verwendeten Ausdrücke festzulegen. Auch eventuelle Mehrdeutigkeiten einzelner Ausdrücke können durch den Kontext aufgelöst werden, da die konkreten kontextuellen Gegebenheiten meist alle Lesarten ausschließen, bis auf eine, die plausibel in die Situation passt. Häufig wird nämlich nicht schon durch den unmittelbaren „Satzkontext“ - wie es bei (2) der Fall war - deutlich, welche von mehreren möglichen Lesarten/ Bedeutungen eines Ausdrucks die vom Sprecher intendierte ist. So benötigt man Wissen über den 17 1.2 Was ist Pragmatik? konkreten Äußerungskontext, um entscheiden zu können, ob in (4) mit Fliege ein Insekt oder ein Kleidungsaccessoire bezeichnet werden soll. (4) Die Fliege nervt. Auch eventuelle Bedeutungsverschiebungen von der Ausdrucksbedeutung hin zu weiteren systematisch ableitbaren Lesarten können sich auf dieser Ebene ergeben, wenn die Informationen aus dem Kontext der Äußerung die Angemessenheit einer derartigen Verschiebung nahelegen. Kommunikativer Sinn Nun finden sprachliche Äußerungen nicht nur in konkreten Äußerungssituationen statt, sondern in den meisten Fällen sind sie eingebettet in soziale Interaktionen. Sie lassen sich daher als Handlungen verstehen, mit denen die Kommunizierenden bestimmte Ziele verfolgen. Aus dieser Perspektive betrachtet geht es beim Verstehen sprachlicher Handlungen also nicht vorrangig darum, was der Sprecher gesagt hat, sondern vielmehr darum, warum er gesagt hat, was er gesagt hat. Hier spielen also Annahmen über die Ziele, die der Sprecher mit seiner Äußerung verfolgt hat, eine Rolle. Damit rückt die Tatsache in den Fokus, dass verbale Äußerungen prinzipiell als sprachliche Handlungen (auch Sprechakte genannt) verstanden werden können. So, wie ein und derselbe Satz in unterschiedlichen Äußerungskontexten verschiedene Äußerungsbedeutungen haben kann, so kann er auch in unterschiedlichen sozialen Kontexten aus unterschiedlichen Beweggründen heraus seitens der Sprecher geäußert werden. So hat Ella mit (1) zunächst einmal etwas mitgeteilt (nämlich, dass sie Bens Hasen mag). Berücksichtigt man den Kontext, in dem sie ihre Äußerung getätigt hat, lässt sich z.-B. annehmen, dass sie (1) behauptet hat, um damit Ben zu trösten, den möglicherweise die Sticheleien seines Bruders traurig gestimmt haben. Im zweiten Beispielkontext hat Bens Mutter (1) möglicherweise deshalb ihm gegenüber geäußert, damit er dieses Wissen (Meiner Mutter gefällt der Eierhalter mit dem Hasen) für die Entscheidung nutzen kann, welchem Elternteil er welche Bastelei schenkt. Es kommen auch häufig Situationen vor, in denen ein Sprecher etwas sagt, was zunächst einmal in dem jeweiligen Kontext gar nicht zu passen scheint. (5) A: Wie spät ist es? B: Das Postauto ist gerade vorbeigefahren. 18 1 Pragmatik Mit (5) möchte A die aktuelle Uhrzeit erfragen. B’s Antwort hat oberflächlich betrachtet nichts mit A’s Frage zu tun. Unterstellt man ihm aber, dass sein Beitrag in diesem Gespräch irgendwie doch sinnvoll ist, setzt das eine Art Schlussfolgerungsprozess in Gang, an dessen Ende B’s Antwort doch noch als relevant bewertet werden kann. Nimmt man nämlich an, dass das Postauto in dem Ort, an dem dieses Gespräch stattfindet immer zu einer bestimmten Uhrzeit die Post verteilt, und nimmt man weiter an, dass B davon ausgeht, dass A dies weiß, dann gibt B mit seiner Antwort A eine Möglichkeit, sich zumindest die ungefähre Uhrzeit selbst zu erschließen. Eine weitere Vermutung, die B’s Äußerung zulässt, ist, dass B tatsächlich nicht genau weiß, wie spät es ist, sonst hätte man erwartet, dass er die genaue Uhrzeit auch sagt. Anscheinend gibt es also eine Reihe von Grundbedingungen, von denen Kommunizierende ausgehen, wenn sie sprachlich in Interaktion treten, und die ihre Interpretation des Gesagten beeinflussen und dazu führen, dass mehr (oder teilweise auch etwas anderes) als das in einer Äußerung explizit Gesagte verstanden wird. H. Paul Grice (1975/ 1979) hat für derartige implizite Bedeutungsaspekte sprachlicher Handlungen den Begriff konversationelle Implikatur geprägt und eine Reihe von Konversationsmaximen formuliert, von denen er annahm, dass sie sprachlicher Kommunikation zugrunde liegen. Wir kommen im vierten Kapitel auf diese Aspekte zurück. 1.2.3 Zusammenfassung Während es in der Semantik als Teil der Systemlinguistik um die Bedeutung (einfacher und komplexer) sprachlicher Ausdrücke „an sich“ geht, beschäftigt sich die Pragmatik - allgemein formuliert - mit solchen Bedeutungsaspekten, die sich durch den tatsächlichen Gebrauch sprachlicher Mittel in einer bestimmten Situation, zu einer bestimmten Zeit, an einem bestimmten Ort mit bestimmten Beteiligten ergeben. Wenn es um Sprache im Gebrauch geht, stehen natürlich immer die „Sprache-Gebrauchenden“ (also Sprecher/ Schreiber und Hörer/ Leser) mit im Fokus der Beschreibungs- und Erklärungsversuche. In der Semantik wird vom Sprachbenutzer eher abstrahiert. In der Pragmatik spielen die Beweggründe (Intentionen) desjenigen, der eine Äußerung tätigt, eine wichtige Rolle. Annahmen über diese Intentionen können dem Hörer nämlich bei der angemessenen Interpretation einer sprachlichen Äußerung helfen. Andersherum spielen auch Annahmen über das Vorwissen, die Einstellungen, die Überzeugungen etc. des potentiellen Adressaten einer sprachlichen Äußerung 19 1.3 Pragmatik und Deutschunterricht eine Rolle bei der Planung einer Äußerung durch den Sprecher. Insofern beschäftigt sich die Pragmatik also nicht nur mit bestimmten Bedeutungsaspekten von Sprache (im Gebrauch), sondern berücksichtigt auch die Tatsache, dass wir sprachliche Mittel ja zu bestimmten Zwecken gebrauchen, wir also, wenn wir (verbal) kommunizieren, handeln. Auch für dieses sprachliche Handeln gibt es Bedingungen, Maximen bzw. Regeln, deren Berücksichtigung Voraussetzung für den Erfolg sprachlicher Handlungen ist und die somit Untersuchungsgegenstand der Pragmatik sind. 1.3 Pragmatik und Deutschunterricht Um den Erfolg sprachlicher Handlungen und seine kontextspezifischen Bedingungen geht es auch im Deutschunterricht. Betrachtet man staatliche Rahmenvorgaben für den Deutschunterricht, könnte man sogar meinen, pragmatische Kompetenzen seien seine Hauptziele. „Das sinnvolle sprachliche Handeln der Schülerinnen und Schüler und der angemessene Umgang mit Sprache stehen im Mittelpunkt“, heißt es in den Bildungsstandards der deutschen Kulturministerkonferenz für den Primarbereich (KMK 2005a: 8; unsere Hervorhebungen). Spezifischer und bezogen auf einzelne Lernbereiche sollen Kinder schon in der Grundschule z.-B. die Fähigkeiten entwickeln, ▶ „geschriebene und gesprochene Sprache situationsangemessen, sachgemäß, partnerbezogen und zielgerichtet zu gebrauchen“ (KMK 2005a: 6), ▶ ihre Äußerungen „in Hinblick auf Zuhörer und Situation angemessen“ zu formulieren (ebd.: 8, Kompetenzbereich Sprechen und Zuhören) oder ▶ „ihre Texte bewusst im Zusammenhang von Schreibabsicht, Inhaltsbezug und Verwendungszusammenhang“ zu verfassen (ebd., Kompetenzbereich Schreiben). (unsere Hervorhebungen) Am deutlichsten wird die Verbindung zum Gegenstandsbereich der Pragmatik aber, wenn es um Sprachbetrachtung, Sprachreflexion oder allgemein das Nachdenken über Sprache geht: „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ heißt der entsprechende Kompetenzbereich in den Bildungsstandards sowohl für die Grundschule wie für die Sekundarstufe (KMK 2004, 2005a, 2005b). 6 Untersucht werden soll also nicht nur die Sprache „an sich“, als Struktur, sondern auch ihre 6 „Sprache und Sprachgebrauch reflektieren“ in den Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife (KMK 2014). 20 1 Pragmatik Verwendung. Die Teilbereiche „Sprachliche Verständigung untersuchen“ in der Grundschule (2005a) bzw. „über Verwendung von Sprache nachdenken“ in der Sekundarstufe I (2004, 2005b) machen ersichtlich, dass es um einen reflexiven, begrifflichen Zugang zum Sprachhandeln geht. In den Umsetzungen der Standards durch die deutschen Bundesländer findet sich dies entsprechend wieder. Die Beschäftigung mit Sprache als kommunikativem Handlungssystem tritt gleichberechtigt neben die Beschäftigung mit dem grammatischen System der Sprache: So verteilen sich im Gemeinsamen Bildungsplan der Sekundarstufe I für Baden-Württemberg die Kompetenzen unter „Sprachgebrauch und Sprachreflexion“ auf die Bereiche „Struktur von Äußerungen“ und „Funktion von Äußerungen“ (BW 2016), und im bayrischen Lehrplan Plus bilden in der Grundschule „[d]as Untersuchen sprachlicher Verständigung sowie das Entdecken von Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Sprachen die Grundlage dafür, sprachliche Strukturen in Wörtern, Sätzen und Texten zu untersuchen und zu verwenden“ (BY 2014: 47). Die Lehr- und Bildungspläne scheinen also von Pragmatik durchdrungen. Gleichzeitig findet aber die linguistische Pragmatik, wie sie oben beschrieben wurde, im Deutschunterricht kaum statt, und ihre Erkenntnisse werden für den Unterricht wenig genutzt. Das Verhältnis von Pragmatik und Deutschunterricht ist also komplizierter. Um es zu verstehen, hilft auch hier ein historischer Rückblick. 1.3.1 Noch ein kurzer historischer Abriss Der Grundgedanke, dass die schulische Beschäftigung mit Sprache vom Sprachkönnen und Sprachhandeln der Lernenden ausgehen soll, lässt sich in der Deutschdidaktik mindestens bis ins 19.-Jahrhundert zurückverfolgen (vgl. Hildebrand 1867: 1-5). Dass die aktuellen Kompetenzbeschreibungen für das Fach Deutsch das Gewicht des Sprachhandelns gegenüber dem Sprachsystem betonen und auch für das Nachdenken über Sprache einen Fokus auf den Sprachgebrauch legen, hat seinen Ausgangspunkt aber in einem sprachdidaktischen Paradigmenwechsel, der sich ab 1970 zunächst in Westdeutschland vollzieht (vgl. Wolff 1981: 7). Die Rezeption der linguistischen Pragmatik, vor allem der Sprechakttheorie John Searles (1969/ 1971), verbindet sich hier mit einer Hinwendung zu sprachlichen Alltagserfahrungen und zu Sprache in sozialen Zusammenhängen. Es sind diese Erfahrungen und Zusammenhänge, für die das in der Schule Behandelte relevant sein soll, und entsprechend ändern sich die Bildungsziele: 21 1.3 Pragmatik und Deutschunterricht „Nicht Bildungswissen, sondern sprachliche und auf Interaktion bezogene Qualifikationen, die in ihrer Gesamtheit die kommunikative Kompetenz in Situationen ausmachen, wurden zum wichtigsten Ziel des Sprachunterrichts.“ (Steinig/ Huneke 2015: 63) Auch die Sprachdidaktik in der DDR fokussiert zu dieser Zeit auf das Sprachhandeln und bezieht sich dabei auf die linguistische Pragmatik. So klingt der schon erwähnte H. Paul Grice durch, wenn als zentrales Ziel des muttersprachlichen Unterrichts formuliert wird, dieser solle „zu einem sozialistischen sprachlich-kommunikativen Verhalten im Kollektiv sowie zur Beachtung des Gegenstandes der sprachlichen Darstellung, des Mitteilungszweckes wie der gesamten sprachlich-kommunikativen Situation“ befähigen (Bütow/ Claus-Schulze 1977: 57; zit. ebd.). Pragmatik wird so „zum neuen Schlüsselbegriff der didaktischen Vermittlung“ (Hoppe 1979; zit. Wolff 1981: 17). Im Zuge einer „pragmatischen Wende“, die Gerhart Wolff 1981 für Westdeutschland in drei Phasen darstellt, geht die Entwicklung von einer „Didaktik der sprachlichen Kommunikation“, die Faktorenmodelle sprachlicher Interaktion entwirft, über die „kommunikative Deutschdidaktik“, die in Auseinandersetzung mit der Soziolinguistik Sprache als soziales Handeln modelliert, zu einer „Didaktik des sprachlichen Handelns“, die sich der Alltagssprache und dem Sprachhandeln in der Unterrichtssituation selbst zuwendet, jeweils verbunden mit Ideen der Lernerzentrierung, des kooperativen Unterrichts und des Lernens in Projekten und authentischen Situationen (ebd.: 17-20). Die Auswirkungen auf die schulische Praxis seien dahingestellt. Die fachdidaktische Diskussion ist aber für einige Jahre so von Pragmatik durchsetzt, dass Wolff feststellen kann, der Titel seines Buches Sprechen und Handeln (mit dem Untertitel Pragmatik im Deutschunterricht) mute „heutzutage nicht mehr so ungewöhnlich an“ (ebd.: 7). „Heutzutage“ bezieht sich dabei, wie gesagt, auf das Jahr 1981. Betrachtet man das gegenwärtige Verhältnis von linguistischem Teilgebiet und dem Handlungsfeld Schule, so hat der Pragmatik die steile Karriere, die sie bis zu diesem Zeitpunkt in der Deutschdidaktik gemacht hatte, offenbar nicht viel genutzt. Zwischen den Gegenständen und theoretischen Ansätzen der linguistischen Pragmatik und den sprachlichen Themen des Schulunterrichts gibt es oberflächlich gesehen kaum Überschneidungen. Sprechakttheorie, Implikaturen, Präsuppositionen: Was linguistische Einführungen in die Pragmatik per Sitzungstitel oder Kapitelüberschrift zur zentralen Begrifflichkeit erklären, findet 22 1 Pragmatik sich in Vorgaben für den Deutschunterricht allenfalls am Rande, z.-B. in Form kanonisierter Kommunikationsmodelle für das letzte Schuljahr der Sekundarstufe I (BW 2016: 90, BY 2016: 473). Umgekehrt werden, wenn die linguistische Pragmatik ihre Anwendungsgebiete oder Analysefelder benennt, Lehr- und Lernkontexte in der Regel kaum berücksichtigt (z.-B. Finkbeiner 2015; s. aber Börjesson 2018). Beide Aspekte dieser wechselseitigen Entfremdung waren in der von Wolff festgestellten „Pragmatisierung des Deutschunterrichts“ (1981: 21) gewissermaßen schon angelegt. Die Aufnahme der linguistischen Pragmatik in didaktischen Kontexten war befördert worden durch einen generellen Trend zur Rezeption linguistischer Theoriebildung, vom Strukturalismus über Dependenz- und Transformationsgrammatik bis zur Soziolinguistik. Die schon Mitte der 1970er Jahre einsetzende grundsätzliche Kritik an der „Linguistisierung“ des Deutschunterrichts (s. Glauber u.-a. 1975) beförderte dann ihre Marginalisierung. Das explizite Nutzen pragmalinguistischer Erkenntnisse für Unterrichtsgestaltung und Unterrichtshandeln wiederum war oft verbunden mit revolutionären Ideen zur grundlegenden Umgestaltung des Unterrichts - und verschwand dann ebenso oft auch mit ihnen. Die „pragmatische Wende“ war letztlich vor allem eine Hinwendung zu Sprachhandlungsfähigkeiten. Und so lässt sich das Verhältnis von Pragmatik und Deutschunterricht auf zwei Ebenen betrachten: Was das Verhältnis von linguistischer Theoriebildung zu Unterrichtsinhalten und Unterrichtspraxis angeht, sehen wir eine wechselseitige Entfremdung und Randständigkeit des einen für das andere. Andererseits verschmilzt im situationsadäquaten Sprachhandeln der Gegenstand der pragmatischen Theoriebildung mit dem zentralen Bildungsziel des Unterrichts. In diesem Sinne ist die Pragmatik in die Arbeitsfelder des Deutschunterrichts diffundiert und hat sie gründlich durchdrungen. Dass der Unterricht vor allem der Erweiterung sprachlicher Handlungsmöglichkeiten, der Förderung sprachlicher Kompetenzen dienen soll, ist, wenn es überhaupt je in Frage stand, seither nicht grundsätzlich in Frage gestellt worden. Der Kompetenzbegriff selbst allerdings trat in der sprachdidaktischen Diskussion für eine Weile in den Hintergrund. Er hatte sich auch in Folge einer oberflächlichen Rezeption von Chomskys Transformationsgrammatik etabliert und dabei entgrenzt (vgl. Glinz 2006: 24). Erst mit der bildungspolitischen Diskussion um internationale Vergleichsstudien und nationale Bildungsstandards um die Jahrtausendwende steht er wieder im Mittelpunkt der Sprachdidaktik (vgl. Steinig/ Huneke 2015: 39). 23 1.3 Pragmatik und Deutschunterricht Und damit ergeben sich auch für das Verhältnis von Pragmatik und Deutschunterricht neue Perspektiven. 1.3.2 Pragmatische Reflexionen In den nationalen Bildungsstandards kommt, wie oben dargestellt, vor allem im Kompetenzbereich „Sprache und Sprachgebrauch untersuchen“ den pragmatischen Phänomenen ein besonderer Stellenwert zu. Fachdidaktisch lässt sich dieser Kompetenzbereich in die folgenden Teilfelder gliedern: Sprache als System reflektieren Sprache im Gebrauch reflektieren Strukturbezogene (grammatische) Reflexionen Bedeutungsbezogene (semantische) Reflexionen Handlungsbezogene (pragmatische) Reflexionen Auf Wortebene: • Wortarten und Flexion • Wortbildung Auf Satzebene: • Satzglieder und Attribute • Satzarten Auf Textebene: • Textkohäsion • Bedeutungsbeziehungen zwischen sprachlichen Ausdrücken • Mehrdeutigkeit • Idiomatische Wendungen • Sprachgebrauch in Rede und Gespräch • Sprachgebrauch in Texten Sprache und Sprachgebrauch unter weiteren Gesichtspunkten reflektieren (z.-B. historisch-diachrone, philosophische, sprachvergleichende Reflexionen) Tab. 1: Teilbereiche schulischer Sprachreflexion (nach Riegler 2011: 6) Für die struktur- und bedeutungsbezogenen Reflexionen finden sich in dieser Aufstellung mit Wortarten, Satzgliedern oder Bedeutungsbeziehungen Phänomene, die sich entdecken lassen, wenn man über Sprache „an sich“ reflektiert. Für die pragmatischen Reflexionen fehlen dagegen kanonisierte Kategorien, und so wird zunächst nur das Material benannt, auf das sich die Reflexionen 24 1 Pragmatik beziehen können: Gespräche, Reden, Texte, gesprochene und geschriebene Sprache. Aber immerhin sind die pragmatischen Reflexionen prominent vertreten, und das rechtfertigt sich schon dadurch, dass sie zum sprachlichen Alltag gehören, zum Sprachhandeln und den Spracherfahrungen der Lernenden, von denen die schulische Beschäftigung mit Sprache ja ausgehen soll. Zusammen mit bedeutungsbezogenen (semantischen) Phänomenen sind Sprachhandlungen diejenigen sprachbezogenen Phänomene, über die Kinder auch schon im Vorschulalter nachdenken und an die sich somit ein Unterricht, der sich an den Spracherfahrungen orientieren möchte, gut anschließen kann (vgl. Riegler 2011). Oder könnte. Denn tatsächlich greift der Schulunterricht metakommunikative Fähigkeiten nur wenig auf und orientiert sich weiterhin vor allem am Sprachsystem und den darauf bezogenen metasprachlichen Reflexionen (Bredel 2013: 198). Und während für die Betrachtung des Sprachsystems in der Schule eine etablierte Terminologie zur Verfügung steht, von Selbstlaut über Konjugation bis homonym, fehlt eine solche für die Betrachtung von Sprachhandlungen, zumal die im Alltag gebräuchlichen metakommunikativen Ausdrücke - wie erzählen, argumentieren, rechtfertigen - sich kaum von ihrem Alltagsgebrauch lösen lassen (vgl. ebd.: 65 f., KMK 2005a: 14). Sprachgebrauch soll also untersucht werden - es fehlen aber oft Mittel und Begrifflichkeiten, und es reicht nicht, wenn (noch dazu erst in Klasse 10) „z. B. Bühler, Watzlawick, Schulz von Thun“ als „grundlegende Kommunikationsmodelle […] zur Analyse von Kommunikation und Sprechakten“ genutzt werden sollen (BW 2016: 90). Es ist sicherlich nicht so, dass die benötigten Mittel und Begrifflichkeiten einfach aus der linguistischen Fachwissenschaft übernommen werden könnten. Aber es lohnt sich aus didaktischer Perspektive den Blick wieder stärker auf die linguistische Pragmatik zu richten. Dies soll in diesem Buch geschehen. Aufgaben 1. Die KMK-Bildungsstandards für die Allgemeine Hochschulreife unterscheiden zwischen literarischen und pragmatischen Texten und verstehen unter pragmatischen Texten solche, „die sich in informierender, erklärender und argumentierender oder ähnlicher Weise mit Sachverhalten von Welt, Ideen oder Theorien auseinandersetzen“ (KMK 2014: 25). a. Was bedeutet „pragmatisch“ in diesem Kontext? 25 Aufgaben b. Vergleichen Sie diese Auffassung von Pragmatik mit den verschiedenen Definitionen der linguistischen Pragmatik in Kapitel 1.1.1. Welche Zusammenhänge sehen Sie - und welche Widersprüche? c. Finden Sie in der didaktischen Rezeption der Pragmatik, wie sie in Kapitel 1.2.1 dargestellt ist, Aspekte, die die Bezeichnung pragmatische Texte für Sach- oder nichtliterarische Texte möglicherweise erklären. 2. Es ist der 1. Adventssonntag 2019. Tante Trude hat zum Abendessen ihre Spezialität, Hasenbraten in Kräuterkruste, zubereitet. Onkel Otto ist wie immer ganz begeistert und sagt (1) „Ich mag deinen Hasen.“ → Erläutern Sie Äußerungsbedeutung und kommunikativen Sinn von (1). 3. „Ich esse gerne scharf.“ a. * Überlegen Sie sich verschiedene Situationen, in denen dieser Satz geäußert werden könnte und zu diesen Situationen mögliche Absichten, mit denen er geäußert wird. b. Erfassen Sie zu einer Situation Ihre Ergebnisse mit Fachbegriffen aus dem Kapitel: deiktischer Ausdruck - Referenz - Sprechakt - Ausdrucksbedeutung - Äußerungsbedeutung - kommunikativer Sinn. 27 Aufgaben 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Situationsangemessen zu kommunizieren ist nicht erst seit den Bildungsstandards der Kultusministerkonferenz ein zentrales Bildungsziel. Die Schülerinnen und Schüler sollen „kommunikative Situationen in persönlichen, beruflichen und öffentlichen Zusammenhängen situationsangemessen und adressatengerecht“ bewältigen, heißt es dort etwa (KMK 2005b: 8). Es gilt, den Gebrauch der Sprache dem jeweiligen Kontext anzupassen. Aber was bedeutet das eigentlich? Stellen Sie sich vor, jemand kommt in eine Bäckerei und sagt: „Guten Tag! Mein Name ist Mayer. Ich möchte gerne Laugenbrötchen kaufen.“ Das wäre seltsam, oder? Wenn die gleiche Person in der Bäckerei anruft, wirkt „Guten Tag! Mein Name ist Mayer. Ich wollte fragen, ob sie noch Laugenbrötchen haben.“ nicht mehr so seltsam. Warum eigentlich nicht? Die Kommunikationssituation ist eine andere, und wir passen uns in unseren Äußerungen den Situationsbedingungen an. An der Bäckereitheke befinden sich die Kommunikationspartner am gleichen Ort und die soziale Situation ist definiert. Es gibt - auch räumlich - eine klare Rollenzuweisung von Verkaufspersonal und Kundschaft, und daher erscheint es überflüssig, sich namentlich vorzustellen. Am Telefon, wo man den Kommunikationspartner nicht sieht, ist es dagegen üblich. Die Faktoren, die unsere sprachlichen Äußerungen beeinflussen, sind ausgesprochen vielfältig. Im Alltagshandeln ist uns nur zum Teil bewusst, was wir alles bei der Gestaltung unserer sprachlichen Äußerungen berücksichtigen: den Ort der Kommunikation, das Wissen über den Kommunikationspartner, das geteilte Wissen über das Thema und noch vieles mehr. Umgekehrt geben uns sprachliche Äußerungen Aufschluss über die situativen Bedingungen der Kommunikation, vor allem über das Verhältnis der Kommunikationspartner zueinander, wenn es etwa beim Anruf in der Bäckerei nicht heißt „Guten Tag! Mein Name ist Mayer-…“, sondern: „Griaß Gott, hier isch dr Rudi. I wed froga, ob ihr no Laugewegga hennt.“ Wie ich als Sprecher/ Schreiber meine Äußerungen formuliere, hängt z.- B. davon ab, ob ich mündlich oder schriftlich kommuniziere, wie ich das Vorwissen zum Thema bei meinen Adressaten einschätze, welche Varietäten des Deutschen mir zur Verfügung stehen, wie ich die soziale Beziehung zwischen mir und meinem Adressaten einschätze, aber auch von meinem - häufig un- 28 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen bewussten - Wissen über die jeweiligen Erfordernisse und Erwartungen, die unterschiedliche Kommunikationsformen mit sich bringen. Diese vielfältigen Aspekte sollen in diesem Kapitel in den Blick genommen werden. 2.1 Kommunikationssituationen 2.1.1 Der Äußerungskontext Bei der Unterscheidung verschiedener Bedeutungsebenen in Kapitel 1.2.2 haben wir schon gesehen, dass der Äußerungskontext eine wichtige Rolle spielt, wenn es darum geht, die Bedeutung einer Äußerung zu identifizieren. So bleibt in einem Satz wie (1) ohne Berücksichtigung eines konkreten Äußerungskontexts vieles recht unbestimmt. (1) Ich habe dich hier gestern zusammen mit ihm gesucht. Erst das Wissen um die entsprechenden Aspekte der konkreten Äußerungssituation ermöglicht es, die auf semantischer Ebene vorhandenen Leerstellen in diesem Satz zu füllen. Zum Äußerungskontext werden dabei folgende Aspekte gezählt (vgl. Löbner 2015: 6): ▶ der Sprecher der Äußerung (Wer ist ich? ) ▶ der/ die Adressat(en) der Äußerung (Wer ist dich? ) ▶ der Ort, an dem die Äußerung getätigt wird (Wo ist hier? ) ▶ der Zeitpunkt, zu dem die Äußerung getätigt wird (Wann war gestern? ) ▶ alle weiteren, zum Zeitpunkt der Äußerung als relevant angesehenen Fakten (Wer ist ihm? ) Zur Veranschaulichung der verschiedenen relevanten Aspekte von Äußerungssituationen werden meist Face-to-Face-Kommunikationssituationen als Beispiele genommen, Situationen also, in denen sich Sprecher und Adressat zur selben Zeit am selben Ort befinden und (idealisiert betrachtet) dieselben Dinge, Personen, Ereignisse etc. wahrnehmen. In einer solchen Situation schließen die deiktischen Ausdrücke ( → -Kap.-1.2.2) ich, dich, hier, gestern und ihm unmittelbar an den Äußerungskontext an und Satz (1) kann in angemessener Weise geäußert werden. Nun handelt es sich bei Face-to-Face-Kommunikation aber um nur eine unter vielen möglichen Kommunikationssituationen, wenn vielleicht auch um 29 2.1 Kommunikationssituationen die prototypische - und um die ursprünglichste, sowohl für den Menschen als Einzelwesen (ontogenetisch) als auch für den Menschen als Gattung (phylogenetisch). Tatsächlich lassen sich Kommunikationssituationen entlang einer Reihe verschiedener Dimensionen unterscheiden. Insbesondere spielt eine Rolle, ob die Interaktionsteilnehmer zeitgleich und/ oder ortsgleich kommunizieren, in welchem (sozialen) Verhältnis die Kommunizierenden zueinander stehen und welche technischen Hilfsmittel (Medien) bei der Kommunikation zum Einsatz kommen. Stellt man sich die Äußerung von (1) z.-B. im Rahmen eines Handygesprächs vor, liegen die Dinge schon anders als bei einer Face-to-Face-Kommunikation. Während die Interpretation von ich, dich und gestern auch in diesem Fall unproblematisch ist, ist das bei hier und ihm nicht mehr ohne weiteres der Fall. Dadurch, dass Sprecher und Hörer sich nicht am selben Ort befinden, kann der Sprecher vom Hörer auch nicht erwarten, dass dieser die Referenz für hier problemlos herstellen kann. Das Gleiche gilt für den Ausdruck ihm. Geht man nun noch von einer über das Handy übertragenen Sprachnachricht aus, die der Empfänger unabhängig vom Zeitpunkt der ursprünglichen Äußerung des Sprechers rezipiert, verliert auch der Ausdruck gestern seinen eindeutigen Bezug. Um sicher zu sein, wann zum Sprechzeitpunkt gestern war, muss der Empfänger berücksichtigen, wann die Nachricht eingegangen ist - eine Information, die glücklicherweise in der Regel vom Messengerprogramm oder der Voicemailbox registriert wird. Deiktische Ausdrücke können also durchaus verwendet werden, auch wenn der Äußerungskontext nicht beiden Kommunikationspartnern gleichermaßen ersichtlich ist. Die relevanten Aspekte des Äußerungskontexts müssen dann allerdings durch den Sprecher versprachlicht oder durch verwendete technische Kommunikationsmittel bereitgestellt werden, damit der Adressat im weiteren Gesprächsverlauf die Referenzen richtig herstellt. 2.1.2 Mündlichkeit, Schriftlichkeit - der Einfluss des Kommunikationskanals Eine zentrale Rolle bei der konkreten Ausgestaltung von sprachlichen Äußerungen scheint die Frage zu spielen, ob mündlich oder schriftlich kommuniziert wird: Geschriebene und gesprochene Sprache unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht. Die gesprochene Sprache ist voller Wörter, die es in der geschriebenen Sprache nicht gibt, wie Aha! oder ähm oder hm. Gesprochene Sätze sind oft unvollständig und jedenfalls kürzer und weniger komplex als geschriebene, 30 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen und in der gesprochenen Sprache wern Wörta vaküazt un Endung falln weg, und es fällt, anders, als wenn man es geschrieben sieht, nicht einmal auf. Sprache ist anders, je nachdem, ob sie gesprochen, durch Schallwellen in der Luft übertragen und auditiv wahrgenommen oder ob sie geschrieben wird und sich dann auf Papier oder einem anderen Zeichenträger visuell präsentiert. Es sind dabei aber weniger diese medialen Unterschiede zwischen Schall und Papier oder Hören und Sehen, mit denen sich die unterschiedlichen Merkmale gesprochener und geschriebener Sprache erklären lassen. Grundlegend ist auch hier die Kommunikationssituation, wie sich also Situationen des mündlichen und des schriftlichen Kommunizierens voneinander unterscheiden. Die beiden Romanisten Peter Koch und Wulf Oesterreicher haben das 1985 in einem breit rezipierten Modell sehr anschaulich dargestellt. Vergleichen wir eine typisch mündliche mit einer typisch schriftlichen Kommunikationsform: das persönliche, unmittelbare Gespräch zweier Anwesender mit dem klassischen Brief, der vom Produzenten an einem bestimmten Ort und zu einer bestimmten Zeit geschrieben und vom Adressaten an einem anderen Ort und zu einem späteren Zeitpunkt gelesen wird. Die Rahmenbedingungen der Kommunikation lassen sich dann wie folgt erfassen: Gespräch Brief • Die Interaktionsteilnehmer sind zur gleichen Zeit am gleichen Ort. • Die Interaktionsteilnehmer sind nicht zur gleichen Zeit am gleichen Ort. • Die Interaktionsteilnehmer können daher ständig ihre Rollen wechseln (von Sprecher zu Hörer und zurück). • Die Interaktionsteilnehmer können daher nicht ohne weiteres ihre Rollen wechseln. • Gesprächsbeiträge werden spontan gemacht. • Der Kommunikationsbeitrag wird viel stärker geplant. • Der Sprecher nimmt die Reaktion des Adressaten wahr und kann seine Gesprächsbeiträge entsprechend anpassen. • Planung ist notwendig, weil der Adressat hier keine direkte Rückmeldung an den Produzenten geben kann, während er das Schriftstück liest. 31 2.1 Kommunikationssituationen Gespräch Brief • Die Interaktionsteilnehmer sind unmittelbar im Gesprächsgeschehen involviert und damit auch emotional beteiligt. Ihre Beiträge drücken häufig ihre Gefühlslage aus. • Die räumlich-zeitliche Trennung von Produktions- und Rezeptionssituation führt zu einer Distanzierung der Interaktionsteilnehmer. Gefühle werden eher beschrieben und reflektiert. Tab. 2: Rahmenbedingungen typisch mündlicher vs. schriftlicher Kommunikation Es sind diese Unterschiede in den Rahmenbedingungen, die sich auch auf die sprachliche Gestaltung der Kommunikationsbeiträge auswirken. In einem Face-to-Face-Gespräch nutzen die Interaktionsteilnehmer den Umstand, dass Sprecher und Hörer zur gleichen Zeit am gleichen Ort anwesend sind. Das erlaubt die Verwendung deiktischer Ausdrucksmittel, den Verweis auf Dinge, Personen, Ereignisse, die sich im unmittelbaren Umfeld der Interaktionsteilnehmer befinden. Die sprachlichen Äußerungen sind hier außerdem eingebettet in sprachbegleitende oder paraverbale (Intonation, Prosodie, Lautstärke) und nonverbale (Mimik, Gestik) Signale. Sprecher erhalten ein direktes Feedback auf das, was sie sagen, und können es im Zweifelsfall noch einmal reformulieren bzw. schon Gesagtes nachträglich einschränken oder erweitern. Äußerungen wie Aha! , ähm oder hm halten den kommunikativen Kontakt aufrecht und dienen der Koordination des Gesprächsverhaltens. Etwaige Missverständnisse können sofort aufgeklärt werden. Im Gegensatz dazu befinden sich Produzent und Rezipient eines Briefes klassischerweise während ihrer Produktionsbzw. Rezeptionstätigkeit nicht am selben Ort und vollziehen ihre jeweiligen Tätigkeiten auch nicht zur gleichen Zeit. Ein guter Kommunikator berücksichtigt dies bei der Planung und Formulierung seines Textes. Da der Rezipient während der Erstellung des Briefes nicht anwesend ist, kann der Produzent Wissen über seine Umgebung nicht voraussetzen. Wenn er etwas über anwesende Personen oder Dinge oder ablaufende Ereignisse mitteilen will, muss er diese entsprechend zunächst einführen. Hinweise, wie eine Äußerung zu nehmen ist (z.-B. ernst oder weniger ernst), welche Aspekte der Äußerung besonders wichtig sind oder wie der Produzent sich selbst zum Gesagten positioniert, müssen versprachlicht werden, da para- oder nonverbale Signale nicht zur Verfügung stehen. Da der Rezipient nicht die Möglichkeit hat, während der Entfaltung des 32 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Textes dem Produzenten Verstehensschwierigkeiten direkt zurückzumelden, muss der Produzent, um Missverständnisse zu vermeiden, seinen schriftlichen Text viel genauer planen, sprachlich möglichst explizit sein und Wörter und Sätze möglichst vollständig äußern. Aufgrund der Tatsache, dass der Rezipient in der Produktionssituation nicht anwesend ist, hat der Produzent aber auch die notwendige Zeit, diese aufwändigere Planung und Gestaltung vorzunehmen. Daraus erklärt sich die im Vergleich zu Gesprächsbeiträgen zu verzeichnende höhere Komplexität und Informationsdichte eines klassischen Briefes. Die sprachlichen Merkmale der geschriebenen und der gesprochenen Sprache sind jeweils der Kommunikationssituation angepasst. Die Kommunikation über einen Brief findet in einer Situation der Distanz statt, das persönliche Gespräch in einer Situation der Nähe. Nähe und Distanz hängen aber nicht nur davon ab, ob eine Äußerung schriftlich oder mündlich erfolgt: Bei einem Telefongespräch ist die Distanz zwischen den Beteiligten größer als bei einem Gespräch von Angesicht zu Angesicht, beim Hinterlassen einer telefonischen Nachricht ist sie größer als bei einem Telefongespräch und bei einer Ansprache vor Publikum ist sie größer als beim Hinterlassen einer persönlichen Nachricht - obwohl in allen Fällen Sprache gesprochen wird. Je größer die Distanz, desto mehr Merkmale geschriebener Sprache finden sich in mündlicher Kommunikation, desto geplanter, expliziter und auch standardsprachlicher werden mündliche Äußerungen. Entsprechend sind Mündlichkeit und Schriftlichkeit für Koch und Oesterreicher (1985) nicht nur eine Frage des verwendeten (phonischen oder graphischen) Kodes, sondern auch eine der unterschiedlichen „Konzeption sprachlicher Äußerungen“ (ebd.: 17). Oder anders gesagt: Mit Koch und Oesterreicher lassen sich zwei Dimensionen von Mündlichkeit und Schriftlichkeit unterscheiden: eine mediale, in der es ein klares Entweder-Oder des Phonischen und Graphischen gibt, und eine konzeptionelle, in der „die Begriffe ‚mündlich/ schriftlich‘ demgegenüber die Endpunkte eines Kontinuums“ darstellen (1994: 587), in der sich Mündlichkeit und Schriftlichkeit am Mehr-oder- Weniger von Nähe und Distanz ausrichten. So lässt sich erklären, warum sich Merkmale der Schriftlichkeit zwar aus den generellen Rahmenbedingungen, unter denen klassischerweise ein schriftlicher Text angefertigt wurde, ableiten und begründen lassen, sie aber einerseits nicht an den graphischen Kode gebunden sind und andererseits nicht in jedem schriftlich fixierten Text auftreten. Je geringer die Distanz zwischen den Beteiligten, desto „gesprochener“ wirken auch Äußerungsformen, die mit Hilfe eines graphischen Kodes übermittelt werden. Messengernachrichten, Forenbeiträge oder auch die klassische SMS 33 2.1 Kommunikationssituationen tendieren in diesem Sinne zur konzeptionellen Mündlichkeit. Aufgrund der technischen Gegebenheiten ist man bei diesen Kommunikationsformen auf die Nutzung eines graphischen Kodes angewiesen; die Kommunikationssituation entspricht jedoch eher der eines klassischen Gesprächs: Die Beteiligten interagieren zur selben Zeit miteinander. Sie machen ihre Beiträge eher spontan. Sie reagieren zum Teil sofort auf andere Beiträge und wechseln daher ständig ihre Rollen zwischen Produktion und Rezeption von Äußerungen. 2.1.3 Verbale Kommunikation als eine Form der sozialen Interaktion Beim Gestalten und Verstehen sprachlicher Äußerungen berücksichtigen wir also den Äußerungskontext und werden von der (konzeptionell) mündlichen oder schriftlichen Kommunikationsform beeinflusst. Außerdem spielt das soziale Verhältnis von Produzent und Adressat eine wichtige Rolle: Ist z.-B. mir als Sprecher mein Adressat bekannt oder sogar vertraut? Entscheide ich mich entsprechend für Sie oder für du als Anrede? Befinden wir uns in festgelegten sozialen Rollenverhältnissen etwa der Verwandtschaft, der Beschäftigung oder des Unterrichtetwerdens? Und welche Rollenerwartungen sind damit verbunden? Auch die Annahmen des Sprechers bezüglich des Vorwissens des Adressaten zu einem bestimmten Gesprächsthema beeinflussen, wie der Sprecher seine konkreten Äußerungen formuliert. Auf der anderen Seite versteht der Adressat nicht nur, was ihm inhaltlich gesagt wird, sondern auch, welche Kenntnisse oder Nicht-Kenntnisse das Gesagte bei ihm voraussetzt. Auch der Adressat bezieht bei der Interpretation einer Äußerung Informationen ein, die sich außerhalb des sprachlichen Materials befinden und berücksichtigt dabei nicht nur die formalen Aspekte der Äußerungssituation und etwaige Einflüsse der verwendeten Kommunikationsform, sondern vor allem die soziale Situation, also das komplexe soziale Verhältnis, das ihn mit dem Produzenten der Äußerung verbindet. Ein „Na, wie geht’s? “ kann als freundlich aufgefasst werden oder als gedankenlos oder als hämisch, je nachdem, welche Interaktionsgeschichte die Beteiligten verbindet. Von einem Vorgesetzten an einen Untergebenen gerichtet, wird es eher als fürsorglich verstanden, von einem Untergebenen dem Vorgesetzten gegenüber als sehr und vielleicht zu persönlich. Technische und informationstheoretische Modelle der Kommunikation stellen Kommunikation als Übermittlung von Botschaften dar. Diese erscheinen dabei als feste Größen, als Inhalte, die es so zu „verpacken“ (zu enkodieren) und zu versenden gilt, dass sie möglichst unbeschädigt den Empfänger erreichen 34 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen und von diesem dekodiert (also ausgepackt) werden können. Das bekannteste dieser Modelle stammt von Claude Shannon und Warren Weaver, die sich 1949 dem Problem widmeten, wie durch Störungen (noise) beschädigte Inhalte am Zielort möglichst verlustfrei wiederhergestellt werden können. Das ist natürlich relevant bei der technischen Übertragung von Signalen. Die bisherigen Überlegungen zeigen aber schon, dass sich zwischenmenschliche Kommunikation mittels Sprache so nicht angemessen erfassen lässt. Es ist eben nicht so, dass ein Sender die Gedanken, die er mitteilen möchte, in Sprache „übersetzt“, die so konzipierte „Nachricht“ dann ausspricht, der Empfänger diese „empfängt“ und in Gedanken rückübersetzt. Was übermittelt wird, ist komplexer. Oder eigentlich: Was in menschlicher Kommunikation verstanden wird, ist nicht nur der sachliche Inhalt einer Nachricht, sondern immer die Einbettung dieses Inhalts in eine soziale Interaktion. Die verschiedenen Aspekte dieser Interaktion veranschaulicht das Kommunikationsquadrat oder „Vier-Ohren-Modell“ von Schulz von Thun (1982). 7 Die Grundidee ist, dass durch eine sprachliche Äußerung zwei Kommunikationspartner miteinander in eine Beziehung treten. Daraus ergeben sich vier Aspekte einer Äußerung oder - im Modell Schulz von Thuns - die vier Seiten einer Nachricht: Zum einen enthält jede Äußerung einen Sachinhalt. Das ist der Gedanke, den der Produzent mit seiner Äußerung ausdrückt. Die Art und Weise, wie er diesen Gedanken in einer bestimmten Situation ausdrückt, verrät etwas darüber, wie er die Beziehung zwischen sich und dem Adressaten sieht und was er von diesem hält. Gleichzeitig verrät seine Äußerung auch etwas über ihn selbst, nämlich seine Beweggründe für die Äußerung. Und schließlich ist mit jeder Äußerung eines Produzenten auch eine Aufforderung an den Adressaten verbunden, sich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten. 7 Das gerade in schulischen Kontexten gut etablierte Kommunikationsquadrat reicht für eine angemessene und tatsächlich an der konkret verwendeten Sprache orientierten Analyse kommunikativen Sprachhandelns sicherlich nicht aus, erfasst aber wesentliche Aspekte sprachlicher Äußerungen, die über das rein technische Verständnis des Informationstransports hinausgehen. Zur Kritik dieses Modells aus sprachwissenschaftlicher Sicht s. Finkbeiner (2019: 17-21). 35 2.1 Kommunikationssituationen Abb. 1: Die vier Seiten einer Äußerung von Schulz von Thun (1982: 30) Nehmen wir an, Person A blickt in den heimischen Kühlschrank und sagt dabei zu Person B, die sich ebenfalls in der Küche aufhält: (2) Wir haben keine Milch mehr, und die Geschäfte machen bald zu. Die vier Seiten der Nachricht könnten dann die folgenden sein: ▶ Sachinhalt: Dem Haushalt steht keine Milch mehr zur Verfügung. Es ist nur noch für kurze Zeit möglich, am gleichen Tag Milch zu kaufen. ▶ Selbstoffenbarung: Ich brauche Milch. ▶ Beziehung: Du solltest die Milch besorgen (und hast es nicht getan). ▶ Appell: Gehe schnell Milch kaufen. So sieht es jedenfalls aus der Perspektive des „Senders“ aus. Wie die sprachliche Äußerung dann aber tatsächlich vom Empfänger verstanden wird, hängt sehr stark davon ab, wie dieser die vier Seiten der Nachricht wahrnimmt. Er hört gewissermaßen mit „vier Ohren“ und jeweils nicht unbedingt das Gleiche, was sich für den Sender in der Nachricht ausdrückt. Schon, um den Sachinhalt einer Äußerung erschließen zu können, ist es für den Empfänger sehr häufig notwendig, die formalen Aspekte der Äußerungssituation mit zu berücksichtigen. Um zu verstehen, auf wen sich das deiktische wir bezieht, ist es jedenfalls von Vorteil, dass sich Person B in der gleichen Küche befindet und sich wohl auch dem gleichen Haushalt zuordnet. Auf der Beziehungsseite einer Äußerung Übereinstimmung zu erzielen, ist dagegen komplexer, denn wie der Sender die Beziehung zwischen sich und dem Empfänger einschätzt, drückt er in den meisten Fällen ja nicht direkt aus. Das muss der Empfänger aus dem, was er über den Sender weiß, und aus der Art und Weise, wie der Sender seine sprachliche Äußerung formuliert und dargeboten hat, schlussfolgern. Dabei kann der 36 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Empfänger zu Schlüssen kommen, die nicht dem entsprechen, was der Sender eigentlich mitteilen wollte. Ähnliches gilt auch für die Selbstoffenbarung und den Appell. In der Beispielsituation kann man vermuten, dass Person B versteht, was Person A über die Sachfeststellung hinaus mitteilen will, und sich zum Einkaufen aufgefordert sieht. Vielleicht versteht Person B auf der Beziehungsebene aber auch, dass A sie für unzuverlässig, faul und gedankenlos hält, und reagiert entsprechend abwehrend. Person B könnte die vier Seiten der Nachricht aber auch so verstehen: ▶ Sachinhalt: Dem Haushalt steht keine Milch mehr zur Verfügung. Es ist nur noch für kurze Zeit möglich, am gleichen Tag Milch zu kaufen. ▶ A’s Selbstoffenbarung: Ich denke daran, dass du morgen früh Milch für deinen Kaffee brauchst. ▶ A’s Aktualisierung der Beziehung zu B: Ich bin fürsorglich wie immer und kümmere mich um dich. ▶ A’s Appell: Sag mir, was ich in diesem Zusammenhang sonst noch für dich tun kann. Ob B damit richtig liegt, lässt sich aus A’s Reaktion ablesen, wenn B entsprechend fragt: „Wenn du gleich einkaufen gehst, kannst du mir dann auch Kaffee mitbringen? “ Insbesondere die Interpretation der beiden Aspekte einer Äußerung „Beziehung“ und „Selbstoffenbarung“ setzen voraus, dass ein Adressat sich mit der sozialen Beziehung zwischen ihm und dem Produzenten auseinandersetzt und den Produzenten als Person einschätzt. Gleichzeitig ist verbale Kommunikation das zentrale Mittel, um soziale Beziehungen herzustellen, aufrechtzuerhalten oder zu definieren. Daher wird auch der Produzent einer Äußerung die Beziehungsseite bei der Formulierung seiner Äußerung mit berücksichtigen, und er wird dies bewusst tun, wenn er nicht möchte, dass der Adressat falsche Schlüsse zieht hinsichtlich seiner Annahmen darüber, wie der Produzent die Beziehung zwischen ihnen einschätzt. Dabei kann auch die Verwendung oder Nichtverwendung einer Varietät ein Mittel sein, um anzuzeigen, wie man selbst die Beziehung zu einem Adressaten definiert. Ein dialektal-vertrauliches „Ei, guggemol: Mir hewwe jo goa koa Milsch mej-…“, kann z.-B. signalisieren, dass mit dem Hinweis auf den Kühlschrankinhalt nicht die Qualität der Beziehung insgesamt in Frage stehen soll. Ebenso wie ein „Griaß Gott, hier isch d’r Rudi-…“ möglicherweise die Chance auf die letzten Laugenbrötchen erhöht. 37 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster Wenn Rudi noch einmal mit dem gleichen Anliegen in der gleichen Bäckerei anruft, wird er sich vermutlich gleich oder ähnlich ausdrücken. Wiederkehrende Situationen oder kommunikative Aufgaben führen zu wiederkehrenden Mustern und Strukturen, sowohl in der gesprochenen als auch in der geschriebenen Sprache. Kenntnisse derartiger Muster und Strukturen helfen den Kommunikationsteilnehmern sowohl bei der Planung ihrer Kommunikationsbeiträge als auch bei der Interpretation der Beiträge anderer. Zugleich führt das Wissen darum, welche Muster und Strukturen für bestimmte Kommunikationssituationen typisch sind, auch zu Erwartungen daran, wie diese Kommunikationssituationen ablaufen und welche kommunikativen Formeln in ihnen auftauchen sollten. Exemplarisch sollen in diesem Kapitel derartige Muster bzw. Strukturen und ihre Rolle für die Produktion und Interpretation von Kommunikationsbeiträgen gezeigt werden, zunächst für Gespräche ( → -Kap.-2.2.1) und dann für Texte ( → -Kap. 2.2.2). 2.2.1 Gespräche In Kapitel 2.1.1 haben wir im Zusammenhang mit der Charakterisierung von Äußerungskontext schon von Face-to-Face-Kommunikation als einer möglichen Form der verbalen Kommunikation gesprochen. In Kapitel 2.1.2 wurden zur Verdeutlichung der Unterschiede zwischen schriftlicher und mündlicher verbaler Kommunikation die Merkmale von Gesprächen als prototypischer Form der mündlichen Kommunikation dargestellt. Betrachtet man nun tatsächliche Gespräche etwas genauer, lassen sich neben den o.- g. allgemeinen Merkmalen bestimmte für Gespräche typische und wiederkehrende Regularitäten identifizieren. Exemplarisch sollen hier drei Bereiche dargestellt werden, in denen sich solche Regularitäten finden: das Sprecherwechselsystem, Paarsequenzen und Reparaturen. Das Sprecherwechselsystem Wir haben schon gesehen, dass das Gespräch eine dialogische Kommunikationsform ist, in der Kommunizierende wechselseitig verbale Äußerungen tätigen. Dabei können diese Äußerungen mehr oder weniger umfangreich sein und nur ein Wort, aber auch mehrere Sätze umfassen. Für eine solche (mehr oder weniger 38 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen umfangreiche) Äußerung eines Sprechers innerhalb eines Gesprächs hat sich in der Gesprächsanalyse der Begriff Redebeitrag (engl.: turn) oder Gesprächsbeitrag etabliert. Relevante strukturelle Einheiten eines Gesprächs sind also nicht einzelne Wörter oder Sätze und deren jeweilige Äußerung, sondern Gesprächsbeiträge. Nun ist es ja so, dass in einem erfolgreich verlaufenden Gespräch die Teilnehmer ihre jeweiligen Beiträge nacheinander einbringen und nur selten gleichzeitig sprechen. Es stellt sich die Frage, wie sie das schaffen. Wie koordinieren Gesprächsteilnehmer ihr Verhalten - selbst wenn sie sich gar nicht kennen und zum ersten Mal begegnen? Offenbar haben kompetente Kommunizierende ein Wissen darüber, wann ein angemessener Zeitpunkt ist, das Rederecht zu übernehmen und welcher der Gesprächsteilnehmer das tun kann. Diese Aspekte von Gesprächen wurden 1974 von Sacks, Schegloff und Jefferson untersucht. Sie stellten fest, dass es in Gesprächsbeiträgen identifizierbare Stellen gibt, an denen das Wort prinzipiell an einen anderen Gesprächsteilnehmer übergehen kann. Diese sogenannten übergaberelevanten Stellen werden von den Gesprächsbeteiligten bemerkt, weil sie auf unterschiedliche Weise markiert sind, etwa durch Intonation, syntaktische und inhaltliche Abgeschlossenheit, Pausen, das Fehlen von Planungssignalen (ähm) oder durch nonverbale Signale wie Gesten oder Blicke. An diesen Stellen erkannten Sacks, Schegloff und Jefferson die Funktionsweise des Sprecherwechsels: eine dreiteilige Regel (1), die darüber entscheidet, ob, wann und wie ein Sprecherwechsel stattfindet. Und eine zweite Regel (2), die die Anwendung von Regel (1) steuert. Tabelle 3 zeigt das sogenannte Sprecherwechselsystem am Beispiel einer Wochenendplanung mit drei Beteiligten (A, B und C). Die übergaberelevanten Stellen sind durch ein X markiert. Beispiel Regel A: Wir könnten uns ja am Wochenende die Ausstellung in der Nationalgalerie ansehen. Was meinst du, B? X B: Das wäre auf jeden Fall mal ein Plan. (1a) Wenn ein Sprecher in seinem Gesprächsbeitrag den nächsten Sprecher auswählt, so erhält dieser an der nächsten übergaberelevanten Stelle das Rederecht und auch die Pflicht, den nächsten Gesprächsbeitrag zu machen. Es kommt zum Sprecherwechsel durch Fremdwahl. 39 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster A: Wir könnten uns ja am Wochenende die Ausstellung in der Nationalgalerie ansehen. X B: Das wäre auf jeden Fall mal ein Plan. X C: Ich wollte eigentlich am Samstag hin. X (1b) Wenn ein Sprecher in seinem Gesprächsbeitrag keinen nächsten Sprecher auswählt, so kann sich an der nächsten übergaberelevanten Stelle jeder andere Gesprächsbeteiligte zum Sprecher machen. Es kommt zum Sprecherwechsel durch Selbstwahl. A: Wir könnten uns ja am Wochenende die Ausstellung in der Nationalgalerie ansehen. X Oder wir machen etwas anderes. X (1c) Wenn ein Sprecher in seinem Gesprächsbeitrag keinen nächsten Sprecher auswählt und sich an der nächsten übergaberelevanten Stelle niemand selbst zum Sprecher macht, kann der aktuelle Sprecher weitersprechen. Es findet kein Sprecherwechsel statt. A: Wir könnten uns ja am Sonntag die Ausstellung in der Nationalgalerie ansehen. X Oder wir machen etwas anderes. X Hallo, hört mich jemand? X C: Jaja, ich wollte eigentlich am Samstag hin. X (2) Falls kein Sprecherwechsel stattfindet, wird an den weiteren übergaberelevanten Stellen Regel (1) so lange angewendet, bis ein Sprecherwechsel stattfindet. Tab. 3: Das Sprecherwechselsystem nach Sacks, Schegloff und Jefferson (1974: 704); vgl. Finkbeiner (2015: 116 f.) und Meibauer (2001: 132) Wird im Gesprächsbeitrag von A eine übergaberelevante Stelle erreicht, so gibt es also drei verschiedene Möglichkeiten, wie das Gespräch weiterlaufen kann: 1. Wenn A in seinem Beitrag deutlich gemacht hat, wer jetzt weitersprechen soll, zum Beispiel durch eine direkte Anrede, so geht das Rederecht durch Fremdwahl auf den entsprechenden Gesprächsteilnehmer über (Regel 1a). 40 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen 2. Hat keine Fremdwahl stattgefunden, kann jeder Gesprächsteilnehmer sich selbst zum nächsten Sprecher bestimmen, muss das aber nicht tun (Regel 1b). 3. Wenn dies nicht geschieht, kann der aktuelle Sprecher seinen Gesprächsbeitrag fortsetzen (Regel 1c). Regel (2) sorgt dann dafür, dass an der nächsten übergaberelevanten Stelle Regel (1) erneut greift. Wenn das sogenannte Sprecherwechselsystem hier als recht schlichte Konstruktion erscheint: Sie ist es. Sacks, Schegloff und Jefferson sprechen im Titel ihres Beitrags selbst von einer „simpelsten Systematik“ (1974). Aber „simpel“ heißt hier nicht „banal“, denn es geht ja gerade darum, das Selbstverständliche zu erklären. Und mit den Regeln dieses Systems lässt sich erklären, wie Gesprächsteilnehmer miteinander umgehen und was sie voneinander erwarten. Wenn im Beispiel oben B auf die Frage „Was meinst du, B? “ nicht reagieren würde, wären wir jedenfalls nicht überrascht, wenn A als Nächstes „B? Hallo, hörst du mich? “ äußern würde. Nach Regel (1a) hat B durch die Fremdwahl nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht sich zu äußern, an die A ihn dann erinnert. Paarsequenzen Ein Gespräch ist etwas „Gemeinsames im Wechsel“ (Henne/ Rehbock 2001: 8). Analysiert man diesen Wechsel genauer, lässt sich feststellen, dass bestimmte Arten von Gesprächsbeiträgen bestimmte Reaktionen von Seiten der weiteren Gesprächsteilnehmer erwarten lassen. So wird als Reaktion auf einen Gruß ein Gegengruß erwartet, als Reaktion auf eine Frage eine Antwort usw. Derartige Paare von aufeinander bezogenen Gesprächsbeiträgen, zwischen denen jeweils ein Sprecherwechsel stattfindet, werden als Paarsequenzen bezeichnet (vgl. Meibauer 2001: 134). Wie sich solche Paarsequenzen zu typischen Strukturen verbinden, lässt sich gut am Beginn und am Ende von Gesprächen beobachten. Oder anders gesagt: Es sind genau diese Strukturen, durch die sich Eröffnungs- und Beendigungsphasen von Gesprächen vom thematischen Hauptteil unterscheiden lassen (vgl. Levinson 1983/ 2000: 308-318). Nehmen wir als Beispiel das Ende eines Telefongesprächs: A hat auf einer Webseite ein Kinderfahrrad zum Verkauf angeboten. B interessiert sich für das Fahrrad. Die beiden verabreden telefonisch einen Termin zur Besichtigung. A leitet dann das Ende des Gesprächs ein: 41 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster Äußerung Handlung Paarsequenz (1) A: Gut, dann machen wir es so. → Resümee / Ergebnissicherung 1 (2) B: Ja, ich komme dann morgen gegen acht. → Bestätigung 2 (3) A: Ok, dann bis morgen. → Gegenbestätigung → Verabschiedung 3 (4) B: Ja, besten Dank. → Dank 4 (5) A: Danke Ihnen. → Gegendank (6) B: Bis morgen also. Tschüs. → Gegenverabschiedung → Verabschiedung 5 (7) A: Ja, Tschüs. → Gegenverabschiedung Tab. 4: Gesprächsbeendigung mit überlappenden Paarsequenzen Wir sehen an diesem Beispiel zum einen, dass sich Paarsequenzen überlappen können. Zwischen Sequenz 3 aus Verabschiedung A und Gegenverabschiedung B schiebt sich Sequenz 4 aus Dank B und Gegendank A. Zum anderen können Gesprächsbeiträge zu verschiedenen Paarsequenzen gehören. In (2) bestätigt B einerseits A’s Resümee (Sequenz 1) und löst andererseits eine Gegenbestätigung von A aus (Sequenz 2). Während Äußerung (2) im Ganzen zu verschiedenen Paarsequenzen gehört, lassen sich bei den Äußerungen (3) und (6) einzelne Teile verschiedenen Paarsequenzen zuordnen. Das liegt daran, dass es sich bei diesen Sequenzen eigentlich um Abfolgen von Handlungen und Gegenhandlungen, Aktionen und Reaktionen handelt (vgl. Levinson 1983/ 2000: 289). Und Reaktionen wiederum Reaktionen auslösen können. Eingeübte Abfolgen von Aktion und Reaktion sind es auch, die die vergleichsweise stabilen Muster erklären - und die Irritation, wenn die gewohnten Abfolgen unterbrochen werden. Stellen Sie sich die Überraschung von B vor, wenn A nach (3) einfach auflegen würde. 42 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Reparaturen Da Gesprächsbeiträge relativ spontan gemacht werden, kann es passieren, dass ein Sprecher noch während des Vollzugs seines Gesprächsbeitrags diesen ändern möchte. Gründe dafür können bspw. sein, dass er den Eindruck gewinnt, sein Gesprächspartner verstehe ihn nicht gut genug, dass es eine höflichere Formulierungsvariante gibt, die er nutzen möchte, oder dass er sich inhaltlich korrigieren muss. In solchen Fällen kann es also zu Reparaturmaßnahmen kommen. Schegloff, Jefferson und Sacks (1977) haben bei der Analyse solcher Reparaturen drei Phasen der Reparaturorganisation festgestellt. Zunächst tritt der Äußerungsteil auf, der aus Sicht des Sprechers repariert werden muss, das Reparandum (R). Genauer gesagt wird ein Äußerungsteil als Reparandum markiert, indem der Sprecher die entsprechende Reparatur initiiert (RI). Dies geschieht in der Regel durch bestimmte sprachliche Mittel, die anzeigen, dass es etwas zu reparieren gibt, sogenannte Reparaturindikatoren wie ein Innehalten mitten im Satz. Darauf folgt dann die Durchführung der Reparatur, also der Äußerungsteil, der das Reparandum ersetzt (RD) (vgl. 3). (3) R: Sie sind wie alt? R RI RD/ R RI Z: Ich bin ä zweiundvierzig ä zweienfuffzig Jahre alt, also/ RI RI RD Z: Nein ä entschuldigen vierunfuffzig Jahre alt. (Transkriptausschnitt aus Hoffmann 1994: 40) 8 Dass bei Reparaturen im Redefluss erst das zu Reparierende erscheint, dann die Ankündigung der Reparatur und schließlich die Reparatur selbst, scheint wieder ein recht schlichter und wenig überraschender Vorgang zu sein. Aber auch hier geht es darum, gerade das Selbstverständliche zu erklären. In diesem Fall ist es die Sicherheit, mit der wir bei Reparaturen die Phasenabfolge beachten, und die Irritation, die entstehen würde, wenn jemand das nicht tut, also zum Beispiel mit „Nein, Moment! “ eine Reparatur initiiert, aber dann nicht durchführt, oder repariert, ohne die Reparatur anzuzeigen. Wenn der Zeuge in (3) flüssig sagen würde „Ich bin zweiundvierzig, zweienfuffzig, vierunfuffzig Jahre alt.“ würde das mindestens merkwürdig wirken. 8 Z ist türkischer Staatsbürger mit deutschen Sprachkenntnissen (vgl. Hoffmann 1994: 22). 43 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster Außerdem wiederholt sich bei solchen Reparaturen nicht nur die allgemeine Phasenabfolge von Reparandum, Initiierung und Durchführung der Reparatur, sondern auch die Indikatoren bilden spezifische Abfolgen und Muster, im Beispiel Satzabbruch, Negation („Nein“), Planungssignal („ä“) und Entschuldigungsformel. Reparaturen gibt es, wie natürlich auch Sprecherwechsel und Paarsequenzen, bei jeder Art von Gesprächen. Tatsächlich lassen sich anhand bestimmter Merkmale verschiedene Arten von Gesprächen unterscheiden, etwa Verkaufsgespräche, Podiumsdiskussionen oder Party-Smalltalk. Gleiches gilt auch für Texte, wie wir im nächsten Kapitel sehen werden. 2.2.2 Texte Wenn man von Texten spricht, stellt sich zunächst einmal die Frage, was man darunter eigentlich verstehen möchte. Wenn wir in diesem Kapitel von Konversationsstrukturen und Textmustern, von Gesprächen einerseits und Texten andererseits sprechen, ordnen wir Texte offensichtlich der geschriebenen Sprache, also der Schriftlichkeit zu. Das entspricht nicht nur dem alltagssprachlichen Gebrauch des Textbegriffs, sondern auch seiner Verwendung in schulischen Kontexten. In Bildungsstandards und curricularen Vorgaben, in Arbeitsmaterialien und in fachdidaktischer Literatur ist von Texten im Wesentlichen, wenn nicht ausschließlich, im Zusammenhang mit Lesen und Schreiben die Rede (vgl. z.- B. KMK 2004, 2005a, 2014 oder Fix 2008). Nun haben wir aber in Kapitel 2.1.2 gesehen, dass Schriftlichkeit nicht nur eine mediale, sondern auch eine konzeptionelle Dimension hat. Entsprechend muss man Texte nicht auf medial schriftliche Äußerungen beschränken, sondern kann gesprochene Sprache mit einbeziehen, indem man Texte begreift als konzeptionell schriftliche, auf Distanzkommunikation ausgerichtete sprachliche Äußerungen, die in der Regel schriftlich fixiert sind (vgl. Brinker 2005: 19 f.). Die Distanzsituation erklärt in jedem Fall wesentliche Merkmale von Texten. Dadurch, dass Produktions- und Rezeptionssituation zeitlich und räumlich weit auseinander liegen können, müssen dem Rezipienten, in der Regel: dem Leser, etwaige kontextuelle Merkmale, die für das Verstehen des entsprechenden Textes wichtig sind, durch den Produzenten im Text selbst zur Verfügung gestellt werden. Wie viel Information zur Verständnissicherung ein Produzent in den Text selbst einfließen lässt, hängt u.- a. auch von seinen Annahmen über das relevante Vorwissen des intendierten Lesers und dessen Schlussfolgerungsfä- 44 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen higkeiten ab. Man spricht hier auch vom Grad der Implizitheit vs. Explizitheit eines Textes (vgl. z.-B. Fix 2008: 71). Beim Verfassen eines Textes gehört es zu den Aufgaben des Textproduzenten, den zur intendierten Leserschaft passenden Grad an Implizitheit/ Explizitheit der verbal kommunizierten Nachricht zu wählen. Was einen Text kennzeichnet, ist also unter anderem der Umstand, dass er als sprachliches Gebilde in einer Kommunikationssituation erscheint und die Bedingungen dieser Situation seine Form beeinflussen. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Situationalität von Texten. Situationalität ist nach Beaugrande und Dressler (1981) eines von sieben zentralen Merkmalen, die Texte ausmachen, den sogenannten Textualitätskriterien. Die weiteren sind: ▶ Informativität ▶ Kohäsion ▶ Kohärenz ▶ Intentionalität ▶ Akzeptabilität ▶ Intertextualität Informativität meint allgemein das Zusammenspiel von Bekanntem und Unbekanntem, Erwartetem und Unerwartetem, das sich in Texten feststellen lässt. Bei Kohäsion und Kohärenz geht es darum, was Texte überhaupt als Einheiten und zusammenhängende Gebilde erscheinen lässt. Im Hinblick auf Musterbildung aufgrund wiederkehrender Kommunikationsaufgaben sind vor allem die Kriterien Intentionalität, Akzeptabilität und Intertextualität bedeutsam. Zunächst aber zu den Zusammenhängen im Text: Mit Kohäsion und Kohärenz unterscheidet man zwischen den Zusammenhängen von sprachlichen Mitteln an der Textoberfläche und den begrifflich-inhaltlichen Relationen, die im Text verstanden werden. Texte enthalten normalerweise sogenannte kohäsive Mittel. Das sind sprachliche Mittel, die die einzelnen Sätze des Textes untereinander verbinden und damit für die Kohäsion eines Textes sorgen. So werden die beiden ersten Sätze in (4) dadurch miteinander verbunden, dass im zweiten Satz ein deiktischer Ausdruck (er) verwendet wird, um sich auf den gleichen Referenten zurückzubeziehen, der im ersten Satz mit ein Mann beschrieben wurde. Man spricht hier von Koreferenz der beiden Ausdrücke er und ein Mann. 45 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster (4) 1 Ein Mann ging in eine Bar. 2 Er bestellte ein Bier. 3 Ungeduldig wartete er darauf, dass der Barkeeper seine Bestellung ausführte. 4 Doch der ließ sich Zeit. 5 An ihren Bestellungen erkannte er seine Gäste, und ein Bier um diese Tageszeit versprach kein üppiges Trinkgeld. Hier verweist das Pronomen also nicht unmittelbar auf einen außersprachlichen Referenten, sondern auf einen Referenten, der im vorangegangenen Text bereits mit Hilfe eines anderen Ausdrucks eingeführt wurde. Auch das er im dritten Satz wird als koreferent zu ein Mann im ersten Satz interpretiert, ebenso wie seine. Alle diese Pronomen verweisen also auf einen im vorangegangenen Text schon etablierten Referenten. Man spricht hier von einer anaphorischen Verwendungsweise dieser Pronomen. Seltener sind kataphorisch verwendete Pronomen, die sich, wie ihren, auf einen Referenten beziehen, der erst im nachfolgenden Text, hier durch den Ausdruck Gäste, etabliert bzw. genauer spezifiziert wird. Aber nicht nur für die Identifikation einzelner in einem Text erwähnter Referenten werden bestimmte sprachliche Mittel eingesetzt. Auch für das Herstellen von Zusammenhängen zwischen Gedanken bzw. Sachverhalten, die mit den einzelnen Sätzen ausgedrückt werden, können bestimmte sprachliche Mittel genutzt werden. So legt das doch im vierten Satz nahe, diesen Satz als im Kontrast stehend zu dem, was davor gesagt wurde, zu interpretieren. Derartige Relationen zwischen einzelnen Sätzen müssen jedoch in einem Text nicht unbedingt durch entsprechendes sprachliches Material angezeigt werden. Der Gegensatz zwischen den Sätzen 3 und 4 ließe sich, wie (4a) zeigt, wohl auch ohne das doch erkennen: (4a) 1 Ein Mann ging in eine Bar. 2 Er bestellte ein Bier. 3 Ungeduldig wartete er darauf, dass der Barkeeper seine Bestellung ausführte. 4 Der ließ sich Zeit. Ebenso verstehen wir, dass der fünfte Satz in (4) eine Begründung für das Verhalten des Barkeepers enthält, ohne dass es explizit heißen würde: „…- denn an ihren Bestellungen erkannte er seine Gäste, und-…“. Kohärenz, also die Beziehung zwischen den Elementen der „Textwelt“, orientiert sich an kohäsiven Mitteln, ist aber nicht unbedingt auf sie angewiesen. Wenn sprachliche Signale fehlen, werden die Sprachbenutzer „so viele Relationen beisteuern als nötig sind, um den vorliegenden Text sinnvoll zu machen“ (Beaugrande/ Dressler 1981: - 5). Das heißt: Kohärenz ist immer (auch) eine Leistung des Interpretie- 46 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen renden. Sie lässt sich nicht einfach als ein Merkmal eines vorliegenden Textes verstehen, sondern ist das Resultat von im Sprachverwender ablaufenden kognitiven Prozessen. Aber auch wenn das Herstellen von Kohärenz eine Leistung des Interpreten ist, lassen sich die Kohärenzeffekte ebenso wie das Identifizieren der Kohäsionsmittel direkt auf das Textmaterial beziehen. Sowohl Kohäsion als auch Kohärenz sind daher textzentrierte Begriffe. Beides lässt sich im Prinzip beschreiben, ohne dass man den konkreten Textproduzenten/ -rezipienten berücksichtigen muss. Das ist bei den verwenderzentrierten Kriterien der Intentionalität und Akzeptabilität anders. Unter Intentionalität wird der Umstand gefasst, dass Textproduzenten mit ihren Texten bestimmte Absichten verfolgen. Dementsprechend formulieren sie ihren Text vor dem Hintergrund dieser Absicht und gestalten ihn so, dass er möglichst optimal geeignet ist, die jeweilige Absicht zu erfüllen. Der Textrezipient geht nun wiederum mit der Erwartung an das Verstehen eines Textes heran, dass dieser vom Textproduzenten mit einer bestimmten Absicht formuliert wurde und zwar so, dass er vom Textrezipienten verstanden werden kann. Ist diese Erwartung erfüllt, kann man von der Akzeptabilität des entsprechenden Textes sprechen. Diese Verknüpfung von produzentenseitiger Intention und rezipientenseitiger Erwartung an die Verstehbarkeit eines Textes spielt eine nicht unwesentliche Rolle bei der Interpretation von Texten. Verfolgen nun unterschiedliche Textproduzenten (oder auch derselbe Produzent zu unterschiedlichen Zeitpunkten) mit ihren Texten vergleichbare Intentionen, kann sich das auch in vergleichbaren Merkmalen der produzierten Texte zeigen. So entwickeln sich wiederkehrende Textmuster (wie z.-B. das Erzählen, das Berichten, das Beschreiben oder Anleiten), auf die man beim Schreiben zurückgreift, wenn sich Schreibanlässe und Schreibziele wiederholen. Ebenso hilft das Wissen um solche Muster und Merkmale auch dem Leser bei der Interpretation des Textes und seiner intendierten Funktion. Dieser Zusammenhang von Textmerkmalen und Textfunktion soll hier exemplarisch an zwei spezifischen Textsorten dargestellt werden: an Märchen als einer Form erzählender und an Kochrezepten als einer Form anleitender Texte. Betrachtet man den Beginn des Märchens Schneewittchen, lassen sich schon in diesen ersten sechs Sätzen mehrere Merkmale identifizieren, die typisch für diese Textsorte sind. 47 2.2 Konversationsstrukturen und Textmuster Sneewittchen Es war einmal mitten im Winter, und die Schneeflocken fielen wie Federn vom Himmel herab, da saß eine Königin an einem Fenster, das einen Rahmen von schwarzem Ebenholz hatte, und nähte. Und wie sie so nähte und nach dem Schnee ausblickte, stach sie sich mit der Nadel in den Finger, und es fielen drei Tropfen Blut in den Schnee. Und weil das Rothe im weißen Schnee so schön aussah, dachte sie bei sich „hätt ich ein Kind so weiß wie Schnee, so roth wie Blut, und so schwarz wie das Holz an dem Rahmen.“ Bald darauf bekam sie ein Töchterlein, das war so weiß wie Schnee, so roth wie Blut, und so schwarzhaarig wie Ebenholz, und ward darum das Sneewittchen (Schneeweißchen) genannt. Und wie das Kind geboren war, starb die Königin. Über ein Jahr nahm sich der König eine andere Gemahlin. Es war eine schöne Frau, aber sie war stolz und übermüthig, und konnte nicht leiden daß sie an Schönheit von jemand sollte übertroffen werden. (Grimm 1850: 306) Das Märchen beginnt mit der für diese Textsorte typischen Einleitungsformel Es war einmal. Auffällig ist außerdem die Reihung von Hauptsätzen, die mit und beginnen. Es werden viele Vergleiche verwendet (wie Federn vom Himmel, weiß wie Schnee, roth wie Blut, schwarz wie das Holz). Außerdem kommen in diesen ersten sechs Sätzen auffallend viele Wortwiederholungen vor (5x Schnee, 3x roth[e], weiß, schwarz). Ein weiteres, jedoch nicht nur für Märchen, sondern für erzählende Texte im Allgemeinen typisches Merkmal, ist die Verwendung des Präteritums. Vergleicht man diesen Textanfang mit den ersten Absätzen der Zubereitungsanleitung in einem Kochrezept, so lassen sich einige markante Unterschiede feststellen. Forellen in der Folie mit Gemüse Knoblauch, Zwiebeln und Sellerie in einen Dämpfeinsatz legen und bei schwacher Hitze über wenig kochendem Wasser ca. 5 Minuten dämpfen. Mit Salz und Pfeffer würzen. 2 Rosmarinzweige dazulegen und Weißwein zugießen. Weitere 5 Minuten dämpfen. 2 Stücke Alufolie oder Pergamentpapier so groß ausschneiden, daß der Fisch darin eingewickelt werden kann. Die Gemüsemischung auf dem Papier oder der Folie gleichmäßig verteilen. Forellen waschen und mit Küchenpapier trockentupfen. Innen und außen mit Salz und Pfeffer würzen. Jeweils 1 Forelle auf die Gemüsemischung legen, 1 Zweig Rosmarin dazulegen. (Grey 2000: 40) 48 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Zunächst fällt die, im Vergleich zu erzählenden Texten wie dem Märchen, ungewöhnliche Satzstruktur auf. In den Sätzen fehlt jeweils das Subjekt; das jeweilige Verb ist infinit. Es gibt keine Einleitungsformel, die Sätze sind vergleichsweise kurz. Sie beschreiben die nacheinander auszuführenden Handlungsschritte bei der Zubereitung der entsprechenden Speise. Dabei wird jedoch auf Adverbien, die diese temporale Abfolge noch einmal verdeutlichen könnten (dann, danach, etc.) verzichtet. Offenbar scheint dies nicht notwendig zu sein. Erkennt ein Leser einen Text als ein Rezept, weiß er auch, wie die Zubereitungsanleitung zu verstehen ist, und alle erwähnten sprachlichen Mittel sind darauf angelegt, die Textrezeption unmittelbar an das alltägliche Handeln des Rezipienten anzubinden. Die Merkmale des Märchens sind dagegen genau auf das Gegenteil gerichtet: Die Einleitungsformel, die es ähnlich ja in vielen Sprachen gibt, entrückt das Geschehen aus dem Alltag ins Entfernt-Unbestimmte. Das Präteritum löst den temporalen Gegenwartsbezug, die Vergleichsformeln erweitern den Vorstellungsraum, die Satzreihungen und Wortwiederholungen rhythmisieren das Erzählte und sind ein Anklang an die mündliche Überlieferung - während das Kochrezept in seiner sprachlichen Form fast jeden Bezug zur mündlichen Anleitung verliert. Das lässt sich damit erklären, dass schriftliches und mündliches Erzählen sich als Handlungen weit mehr ähneln als schriftliches und mündliches Anleiten. Tatsächlich lassen sich Textsorten charakterisieren als „konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen“ (Brinker 2005: 144). Jeden Text, den wir rezipieren, verbinden wir mit anderen Texten, die wir schon rezipiert haben, und wir erkennen dabei solche Muster wieder. Das heißt, wir verstehen Texte nicht isoliert, sondern als Repräsentanten einer Textsorte: als Märchen, Kochrezept, Beipackzettel, Forenkommentar oder - wie Sie gerade im Moment - Fachbuchtext (vgl. ebd.: 138). Intertextualität, das siebte Textualitätskritierium von Beaugrande und Dressler, meint genau das: dass kein Text für sich alleine funktioniert und verstanden werden kann. Unsere Erwartungen und damit unser Textverstehen werden von den Mustern und Kategorien gesteuert, die wir im Laufe unserer Textsozialisation erworben haben: von unserem Textsortenwissen, dass uns auch darüber orientiert, was für eine bestimmte Sorte Text angemessen ist und wie viel Variation und Innovation ein bestimmter Kommunikationsanlass verträgt. 49 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel „Optimale Kommunikationsfähigkeit“ setzt ein sprachdidaktischer Klassiker in den 1970er Jahren als „oberstes Lernziel“ des Deutschunterrichts (Eichler 1979: 10). Wer, wie eingangs des Kapitels zitiert, „kommunikative Situationen […] situationsangemessen und adressatengerecht“ bewältigen soll (KMK 2005b: 8), braucht dafür neben einem möglichst breiten Repertoire sprachlicher Mittel dreierlei: ▶ die Einsicht in die Varianz des kommunikativen Verhaltens, ▶ die Fähigkeit, Situationen und Adressaten einzuschätzen und ▶ die Fähigkeit, das eigene kommunikative Verhalten den eingeschätzten Situationen und Adressaten anzupassen. Oder in umgekehrter Reihenfolge: Wem das Anpassen an Situationen und Adressaten erfolgreich gelingt, der verfügt offenkundig nicht nur über ein angemessenes Repertoire sprachlicher Mittel, sondern ist auch in der Lage, Situationen und Adressaten richtig zu deuten und „weiß“, dass Sprache verschieden und Kommunikation variabel ist. Wenn „wissen“ hier in Anführungszeichen gesetzt ist, dann darum, weil es sich zum größten Teil um implizites Wissen handelt. Damit sind Wissensbestände gemeint, die bestimmten Handlungen zugrunde liegen, ohne dass sie den Handelnden bewusst sind (vgl. z.- B. Bredel 2013: 94-98): Wer sich schriftlich anders äußert als mündlich, mit einem Nachbarn anders spricht als mit Verkaufspersonal im Supermarkt und mit Jüngeren anders als mit Älteren, der weiß in diesem Sinne, dass sich Kommunikationsteilnehmer in verschiedenen Situationen unterschiedlich verhalten. Das heißt nicht, dass ihm dies auch bewusst ist oder er dieses Verhalten in Kategorien erfassen kann. Auch wenn er für sich offensichtlich Maßstäbe entwickelt hat, nach denen er sich in seinen sprachlichen Äußerungen richtet und nach denen er die sprachlichen Äußerungen anderer beurteilt, muss er deshalb nicht in der Lage sein, diese Maßstäbe auch explizit zu formulieren oder gar zu begründen. Metakommunikatives Wissen ist zunächst implizites Wissen, das sich rekonstruieren lässt als Voraussetzung kommunikativer Handlungen. Das bedeutet auch, dass für erfolgreiches kommunikatives Handeln explizites Wissen nicht unbedingt erforderlich ist. Man muss die Regeln seines eigenen Handelns nicht kennen, um damit erfolgreich zu sein. Und das ist auch gut so, denn diese Regeln sind, wie wir in den Kapiteln zu Gesprächen und Texten gesehen haben, 50 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen insgesamt ziemlich komplex. Für den Alltag kann man es dabei belassen. Wenn aber die Fähigkeit zur situationsangemessenen und adressatengerechten Kommunikation in Lehr-Lernkontexten weiterentwickelt werden soll, liegt es nahe, am impliziten Wissen anzusetzen und es zu explizieren. Dabei geht es um drei Dinge, die in den folgenden Kapiteln beleuchtet werden sollen: 1. Implizites Wissen transparent machen 2. Beobachtungs- und Analysekategorien bereitstellen 3. sprachliche und kommunikative Ressourcen entwickeln 2.3.1 Implizites Wissen transparent machen Von implizitem Wissen ist im Zusammenhang mit Sprache und Kommunikation meist mit Bezug auf grammatisches Wissen die Rede (vgl. Bredel 2013: 96 f.), also im Hinblick auf unsere Kenntnisse der inneren Systematik der Sprache oder der Sprachen, die wir verwenden. Stellen Sie sich für einen Moment vor, A Sprecher des Deutschen wären nur in der Lage, Sätze zu äußern, deren Satzglieder sie auch bestimmen können - zum Beispiel das Akkusativobjekt des Gesamtsatzes, den Sie gerade lesen. Vermutlich würde nicht allzu viel gesprochen oder geschrieben. Und jetzt schauen Sie sich die folgenden Sätze an. Die hochgestellten kleinen Buchstaben können Sie dabei erst einmal ignorieren: (5) Gestern habe S ich D meinem Nachbarn A mein Auto geliehen. (6) Gestern habe S ich A es D ihm geliehen. (7) Gestern habe S ich A mein Auto D meinem Nachbarn geliehen. (8) Gestern habe S ich D ihm A es geliehen. (9) Gestern habe A es D meinem Nachbarn S ich geliehen. Vermutlich werden Ihnen die Sätze (5) und (6) ganz normal erscheinen, die Sätze (7) und (8) im Vergleich etwas merkwürdig und Satz (9) eher falsch. Um dies festzustellen, brauchen Sie keine Regeln der Satzgliedabfolge in einem Merkheft nachzuschlagen. Sie müssen nicht einmal wissen, um die Reihenfolge welcher Satzglieder es hier geht, und Sie werden trotzdem auch in Ihrer eigenen Sprachproduktion die Abfolge von Subjekt, Dativobjekt und Akkusativobjekt 51 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel (die kleinen Buchstaben! ) in der Regel einhalten und dabei die Wackernagelposition berücksichtigen. 9 Von dem, was wir sprachlich können, haben wir, wenn wir uns nicht gerade fachlich oder beruflich damit beschäftigen, meistens keine Ahnung. Das gilt sowohl für unseren Umgang mit Satzgliedabfolgen und anderen Regularitäten des Sprachsystems als auch für pragmatische Aspekte des Sprachgebrauchs. Durch metasprachliche, also struktur- und bedeutungsbezogene, und metakommunikative, handlungsbezogene Sprachreflexionen ( → -Kap.-1.3.2) können wir aber einiges über unsere Sprache(n) und ihren Gebrauch erfahren. Wir entwickeln Sprachbewusstheit im Sinne der „Verfügbarkeit einer kognitiven Orientierung beim Sprachgebrauch“ (Andresen/ Funke 2006: 439). Das heißt, wir erhalten die Möglichkeit, auf eigene und fremde Sprachproduktion kognitiv zuzugreifen und sie begrifflich zu fassen. Das kann uns schließlich auch in die Lage versetzen, unsere Sprachverwendung besser zu steuern. In jedem Fall erschließt es Steuerungsmöglichkeiten für das eigene Sprachhandeln. Ausgangspunkt ist dabei immer das vorhandene Sprachkönnen. Für die angeleitete Beschäftigung mit sprachlichen Fähigkeiten ist dieser Grundsatz schon im 19.- Jahrhundert formuliert worden (Hildebrand 1867: 55 ff.). Was gekonnt werden soll, erwächst bekanntlich immer aus dem, was bereits gekonnt wird. Für die Varianz des kommunikativen Verhaltens, die im Unterricht gefördert werden soll, lässt sich festhalten, dass sie ein ganz grundlegender Bestandteil der menschlichen Fähigkeit zur sprachlichen Verständigung ist. Niemand kommuniziert, ohne dabei seine Kommunikationspartner und die Kommunikationssituation zumindest im Grundsatz zu berücksichtigen, denn sonst käme Kommunikation erst gar nicht zustande. Lernende mögen sich in der Vielfalt ihres sprachlichen Repertoires unterscheiden und in den Möglichkeiten, es bewusst einzusetzen, aber niemand spricht (oder schreibt) immer gleich. Es geht also zunächst nicht um das Beibringen, sondern um das Bewusstmachen, um die Einsicht in diese Varianz. Diese Einsicht lässt sich manchmal an fremder Sprachproduktion leichter gewinnen als an der eigenen. Als Kommunizierende sind wir in unserem sprachlichen Alltagshandeln sicherlich unterschiedlich versiert. Routiniert sind 9 Als Wackernagelposition bezeichnet man im Deutschen die Position schwach betonter Pronomen unmittelbar nach dem flektierten Verb in Haupt- und nach der Subjunktion in Nebensätzen. Zu den Regeln der Satzgliedabfolge s. z.-B. Duden (2016: 878-886). Das Akkusativobjekt im zweiten Satz dieses Abschnitts ist übrigens alles, was dem kleinen hochgestellten A folgt also ein Objektnebensatz. 52 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen wir alle, und es bedarf in der Regel eines Anstoßes, um diese sprachlichen Routinen in den Blick zu nehmen. Um sie in den Fokus unserer Wahrnehmung zu rücken, hilft Abstand, und darum ist uns das Fremde oft näher als das Eigene. Nehmen wir noch einmal die Situation vom Anfang des Kapitels: den Anruf in der Bäckerei. „Griaß Gott, hier isch d’r Rudi. I wed froga, ob ihr no Laugewegga hennt.“ - sagt etwas über das Verhältnis der Kommunikationspartner zueinander, genauso wie die Alternative: „Guten Tag! Mein Name ist Mayer. Ich wollte fragen, ob Sie noch Laugenbrötchen haben.“ Was das ist, lässt sich auch mit Schülerinnen und Schülern sammeln und besprechen. Mit Äußerungen wie „Die kennen sich! “ oder „Die kommen aus dem gleichen Ort! “ kann dabei eine größere soziale und sozialräumliche Nähe festgestellt werden. Die Feststellung lässt sich dann an sprachliche Indikatoren binden: an die jeweiligen Grußformeln, an die Anredepronomen ihr und Sie, die Selbstidentifikationen Rudi und Mayer und natürlich an die Dialektmerkmale auf den verschiedenen sprachlichen Ebenen von der Phonetik über die Verbflexion bis zur Lexik. Die an der Fremdbeobachtung aktivierten Kategorien können in einem dritten Schritt verallgemeinert und auf die Selbstbeobachtung übertragen werden. Wann sagt man Grüß Gott, wann Guten Tag und wann vielleicht Hallo? Wen sprecht ihr mit du und wen mit Sie an? Wann verwendet man Vor- und wann Nachnamen? Und sprecht ihr vielleicht auch mit Freunden anders als mit Fremden, draußen anders als zu Hause und mit den Großeltern anders als mit den Eltern? Diese Fragen leiten zur Erkenntnis, dass nicht nur verschiedene Sprachen, sondern diese Sprachen auch verschieden gesprochen werden. Fremd- und Selbstbeobachtung lassen sich dabei verzahnen. Die Rolle der geteilten Kommunikationssituation lässt sich etwa in klassischen Übungen zum Sprechen und Zuhören verdeutlichen, bei denen das gemeinsame Sichtfeld eingeschränkt ist. Zum Beispiel erhält in Partnerarbeit ein Partner eine Karte mit einer geometrischen Figur. Diese muss er nun dem anderen möglichst genau beschreiben, so dass dieser sie möglichst genau nachzeichnen kann. Am Ergebnis lässt sich der Erfolg der Kommunikation kontrollieren und Schwierigkeiten können thematisiert werden. In einer Übung zum „Telefonieren“ sitzen die Kommunikationspartner Rücken an Rücken und beschreiben in einem Rollenspiel beispielsweise einen Weg durch ein Gebäude, bringen eine Reklamation vor oder schildern einen spannenden Vorgang, den sie gerade beobachten (aber aus Gründen der Diskretion nicht filmen können). Andere Schüler beobachten, welche Hindernisse es in der Kommunikation gibt, wo nachgefragt werden muss und wo es praktisch wäre, wenn man einfach zeigen 53 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel könnte, was man meint. Die Lernenden können sich darüber austauschen, wie sie reagieren, wenn sie jemanden eigentlich am Telefon sprechen möchten, aber „nur“ der Anrufbeantworter bzw. die Voice-Mailbox abhebt, und wie sich Sprachnachrichten von telefonischen Gesprächsbeiträgen unterscheiden. Und sie können ein einfaches Experiment zum „aktiven Zuhören“ jederzeit im Alltag durchführen, nämlich in einem Gespräch das Gegenüber ruhig und freundlich anzusehen, dabei aber auf alle Rezeptions- und Verständnissignale zu verzichten, also auf jedes „mhm“, „aha“ oder kurzes Nicken. Die Zeit, bis das Gegenüber irritiert nachfragt, ob man denn noch zuhöre, lässt sich abstoppen. Möglichkeiten, angeleitete Reflexionsprozesse zu initiieren, gibt es also reichlich. Wichtigster Grundsatz dabei ist, das sprachliche Können und damit implizites Wissen des ganz normalen Sprachbenutzers immer als vorhanden vorauszusetzen und in seiner Komplexität zu respektieren. 2.3.2 Beobachtungs- und Analysekategorien bereitstellen Was kann nun das explizite Wissen um linguistische Kategorien und Methoden, speziell die der linguistischen Pragmatik, zu diesen Reflexionsprozessen der Lernenden beitragen und allgemeiner dazu, das Bildungsziel des situationsangemessenen Kommunizierens zu erreichen? Die Antwort ist: eher wenig. Natürlich, so dürfen wir gleich einschränken, lässt sich eine solche Aussage nicht allgemein treffen, sondern ist immer in Abhängigkeit vom Thema, von der Lerngruppe und ihrem Alter und vom Erkenntnisinteresse zu sehen. Aber grundsätzlich gilt es, ein Missverständnis zu vermeiden, das der Pragmatik in ihrem Verhältnis zum Deutschunterricht im Wege steht und eher verhindert, dass ihre Ressourcen genutzt werden können: Während die Kenntnis fachlicher Zusammenhänge und theoretischer Ansätze für Lehrpersonen grundlegend ist, wenn sie handlungsbezogene Sprachreflexionen zielführend anleiten wollen, steht für die Lernenden dieses Fachwissen eben nicht im Mittelpunkt. Für sie sind die Reflexionen der zentrale Lerninhalt - und ein wichtiges Lernmittel. Durch die bewusste Auseinandersetzung mit sprachlichen Strukturen und ihrer Verwendung in konkreten Kommunikationssituationen sollen den Lernenden deren Eigenschaften bzw. Verwendungsbedingungen bewusst werden. Sie müssen diese aber nicht zwingend benennen können. Relevant sind die Antworten der Fachwissenschaft als Unterrichtsinhalte immer dann, wenn und insoweit sie sich mit Fragen der Lernenden verbinden lassen. 54 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Dies vorweggeschickt, lassen sich die folgenden Grundsätze für den didaktischen Umgang mit Beobachtungs- und Analysekategorien festhalten, die nicht nur, aber insbesondere für Pragmatik im Deutschunterricht gelten: 1. Kategorien sind kein Selbstzweck, sondern Instrumente des Erkennens. 2. Begriffliches Lernen geht vor terminologisches Lernen. 3. Metakommunikative Kategorien der Lernenden werden berücksichtigt. Der erste Grundsatz ergibt sich unmittelbar aus dem eben Gesagten. Mit dem zweiten Grundsatz ist gemeint, dass es zunächst darauf ankommt, Sachverhalte und Zusammenhänge zu begreifen, bevor man diese Sachverhalte und Zusammenhänge benennt (vgl. Budde u.- a. 2011: 138 f.). Es bringt wenig, einem Satzabschnitt das Etikett „Dativobjekt“ anzuheften, wenn man zuvor nicht verstanden hat, was ein Objekt überhaupt ist und welche Funktion es im Satz hat. Umgekehrt erleichtert ein entwickelter Begriff von Satzglied und Objekt die Verwendung solcher Etiketten erheblich und lässt beispielsweise erkennen, dass der Satz „Das scheint mir jetzt aber etwas von der Pragmatik wegzuführen! “ zwar zwei sprachliche Einheiten im Dativ enthält, aber allenfalls ein Dativobjekt. 10 Bei der pragmatischen Betrachtung einer solchen Äußerung muss entsprechend zunächst verstanden werden, was bei ihrem Gelingen auf welche Weise eine Rolle spielt, bevor man - wenn man möchte - von Mimik, Prosodie und indirektem Sprechakt (zu Letzterem → -Kap. 3) spricht oder versucht, zwischen para- und nonverbalen Aspekten der Kommunikation zu unterscheiden. Das Fehlen einer etablierten metakommunikativen Terminologie ( → -Kap.-1.3.2) ist daher kein Hindernis, und man braucht nicht darauf zu warten, dass die Kultusministerkonferenz dem erneuerten Verzeichnis grundlegender grammatischer Fachausdrücke (IDS 2020) irgendwann auch ein Verzeichnis grundlegender pragmatischer Fachausdrücke zur Seite stellt. Der dritte Grundsatz bedeutet, die Kategorien und Vorstellungen der Lernenden einzubeziehen und ernst zu nehmen. Wenn Lernende ihre eigenen Beobachtungen machen und dabei auf ihre eigenen alltagssprachlichen metakommunikativen Kategorien und Begrifflichkeiten zurückgreifen können, steigen die Chancen, dass sie ihre Aufmerksamkeit bei der Sprachreflexion tatsächlich 10 der Pragmatik ist Teil der Präpositionalphrase von der Pragmatik und damit kein eigenständiges Satzglied und auch kein Objekt. Bei mir, einem sogenannten Dativ Judicantis, hängt es vom Objektbegriff ab, ob man das Element als Dativobjekt oder als sogenannten freien Dativ ansieht (vgl. Duden 2016: 829 ff.). 55 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel auf die Phänomene richten anstatt auf die Etiketten, mit denen sie bezeichnet werden sollen. Das heißt natürlich nicht, dass im Unterricht nicht auch einmal Kategorien vorgegeben werden dürften. Schließlich können solche Kategorien Beobachtungen ja auch anleiten und ermöglichen sie in manchen Fällen erst. Aus individuellen Beobachtungen allein ließe sich beispielsweise kaum gewinnen, dass Sprachbenutzer ihren Sprachgebrauch nicht nur an jeweilige Situationen anpassen, sondern dabei auf identifizierbare Gebrauchsweisen zurückgreifen. Sie orientieren sich zum Beispiel standardsprachlich, sprechen Dialekt oder bedienen sich sogenannter „Jugendsprache“. Dies lässt sich nur erkennen, wenn man einen grundlegenden Begriff davon hat, dass es solche Varietäten überhaupt gibt, also relativ stabile Sprachgebrauchssysteme, die sich über bestimmte soziale und funktionale Merkmale bestimmen lassen (vgl. Sinner 2014: 19 ff.),. Wenn es darum geht, die Variabilität des Sprachgebrauchs in den Blick zu nehmen, können solche Varietätenbezeichnungen also gesetzt und im (oft vorhandenen) Vorverständnis geklärt werden. Sie fungieren dann heuristisch und zunächst in einem eher alltagssprachlichen Sinn. Differenzierungen wie die Auffächerung des Dialekt-Standard-Kontinuums (vgl. Ammon 2003) oder die mediale Konstruktion von Jugendsprache (vgl. Neuland 2018) können dann bei Bedarf daran anschließen. Schauen wir uns die Umsetzung der Grundsätze an einem Beispiel an: Es geht um die Frage, welche Signale uns dabei helfen, in der Face-to-Face-Interaktion Gefühle zu verstehen. Die Schüler arbeiten in Gruppen. Jede Gruppe bekommt zwei Kartensets. Auf einem sind emotionale Zustände notiert: glücklich, stolz, traurig, gelangweilt, wütend, misstrauisch, ängstlich, aufgeregt, überrascht, zufrieden, froh (vgl. Riegler u.-a. 2015: 13). Auf dem zweiten finden sich Sätze, die mit der entsprechenden Emotion gesprochen werden sollen. Bewährt haben sich hier Zungenbrecher. Immer ein Schüler zieht einen Zungenbrecher und eine Gefühlskarte und trägt den Zungenbrecher mit dem entsprechenden Gefühl vor, also zum Beispiel aufgeregt oder wütend. Die anderen in der Gruppe raten, welche Emotion dargestellt werden soll. Wenn dabei nicht immer und nicht sofort Einigkeit erzielt wird, ist dies durchaus erwünscht, da auf diese Weise Klärungs- und Reflexionsprozesse einsetzen. Im nächsten Schritt werden die Reflexionen durch gezielte Impulse („Woran merkst du- …? “) fokussiert und systematisiert. Relevant sind hierbei die Kategorien und Unterscheidungen der Lernenden, die bei Bedarf und je nach Schulstufe fachlich unterfüttert und terminologisch erfasst werden können. Das Verhältnis visueller und auditiver Signale lässt sich übrigens gut mit dem schon im letzten Kapitel erwähnten 56 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Telefon-Setting (Rücken an Rücken) verdeutlichen - verbunden mit der Frage, warum die meisten Menschen eigentlich während des Telefonierens gestikulieren, obwohl das Gegenüber dies ja gar nicht wahrnehmen kann. Ob beim Einsatz von Gestik und Mimik, bei der Beobachtung des Stimmklangs oder auch beim Vergleich von Anreden und Grußformeln in der persönlichen Begegnung, beim Telefonieren, in einer Mail oder einer Kurznachricht: Bei der schulischen Beschäftigung mit Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen geht es, wie bei der Konversationsanalyse nach Sacks, Schegloff und Jefferson ( → -Kap. 2.2.1), immer wieder darum, das Selbstverständliche zu fokussieren, zu hinterfragen und zu erklären. Nicht selten trifft man dabei auf Widerstände, denn warum sollte man sich mit etwas beschäftigen, was (in der Regel) selbstverständlich funktioniert? Warum etwas reparieren, was nicht kaputt ist? Umso wichtiger ist es, produktive Irritationen zu schaffen. Die Möglichkeiten hierfür gehen dabei über das ewige Bewerbungsgespräch in „Jugendsprache“ weit hinaus. Auch die Unterrichtskommunikation selbst kann zum Thema werden, wenn sich in Rollenspielen zeigt, dass Lehrkräfte (wie auch Eltern und Schüler) dazu tendieren, wiederkehrende Situationen mit wiederkehrenden sprachlichen Mitteln zu bearbeiten: „Muss ich das eigentlich immer wieder sagen? “ - „Und wozu brauchen wir das überhaupt? “ - „Gibt es noch Fragen? Gut.“ 2.3.3 Sprachliche und kommunikative Ressourcen entwickeln Schließlich geht es um die Erweiterung der sprachlichen Handlungsfähigkeiten. Weder soll das Verhältnis von Pragmatik und Deutschunterricht ( → -Kap.-1.3.1) grundsätzlich revidiert werden, um fachwissenschaftliche Inhalte zu implementieren, noch lassen sich die pragmatischen Sprachreflexionen von der Entwicklung sprachlicher und kommunikativer Ressourcen trennen. Reflexionen binden vielmehr die Erweiterung der Handlungsfähigkeiten an die handelnden Subjekte und können sie somit „von innen“ motivieren. Das zeigt sich zum Beispiel beim Umgang mit Gesprächsregeln im Unterricht. Man kann sich darauf beschränken, sie normativ zu etablieren, indem man ein Poster mit Sätzen wie „Wir lassen einander ausreden! “ in der Klasse aufhängt oder die Regeln in einem gelenkten Gespräch einmalig „verabredet“. Effektiver ist es, sie immer wieder mit der Frage zu verbinden, wie Gespräche funktionieren: Woher weiß ich, dass jemand etwas sagen möchte? Wie kann ich mich bemerkbar machen? Wie weiß ich, dass jemand mit seinem Gesprächsbei- 57 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel trag fertig ist? Und wie kann ich gleichzeitig etwas sagen wollen und zuhören? Natürlich wird man im Anfangsunterricht der Grundschule erst einmal dafür sorgen müssen, dass alle Kinder in der Schulsituation ankommen. Schließlich ist die Konstellation, nicht individuell oder in einer kleinen Gruppe angesprochen zu werden, sondern von der Lehrkraft als Klasse und mehr noch selbst vor einer ganzen Klasse zu sprechen, nicht alltäglich und daher gewöhnungsbedürftig. Aber sobald das grundlegende Funktionieren sichergestellt ist, lässt es sich mit Rollenspielen, Videobeobachtungen und Ähnlichem transparent und damit für die Lernenden als Kompetenz verfügbar machen. Wie tief man in der Analyse geht, wie genau man übergaberelevante Stellen identifiziert, wie genau man schaut, was, wie und warum an diesen Stellen passiert und welche Kategorien und Termini (Fremdwahl, Selbstwahl, Fortsetzung-…; → -Kap. 2.2.1) man für die Beschreibung ansetzt, wird von der Lerngruppe und ihrer Schulstufe abhängen. Sprachbewusstheit, die im Nachdenken über Sprache und ihren Gebrauch entsteht, kann dann auch für das eigene sprachliche Handeln genutzt werden. Insofern geht mit dem Bewusstmachen vorhandener Handlungsmöglichkeiten in der Regel die Erweiterung der Handlungsmöglichkeiten einher. Sprachreflexionen funktionieren in diesem Sinne doppelt und das Initiieren pragmatischer Reflexionen verfolgt somit immer ein doppeltes Lernziel. Beim schriftsprachlichen Handeln scheint dieser Nutzen der Reflexionen allerdings zunächst eingeschränkt. Schreiben ist - mit alters- und berufsabhängigen Unterschieden - deutlich weniger alltäglich und damit weniger routiniert als Sprechen. Das bedeutet aber gerade nicht, dass sich der Unterricht darauf beschränken sollte, formale Routinen zu vermitteln, seien es orthografische Strukturen oder die Fähigkeit nach bestimmten Vorgaben tradierte Mustertexte (Personenbeschreibung, Nacherzählung, Ferienerlebnis-…) zu produzieren. Es gilt vielmehr, von Anfang an den Handlungscharakter des Texteschreibens transparent zu machen - oder eigentlich des Schreibens überhaupt. Denn schon das Namensschild am Kleiderhaken im Kindergarten hat (neben der Abbildung einer Schnecke, eines Marienkäfers o. ä.) eine erkennbare Funktion, ebenso wie die Vermerke „OMA“ und „OPA“ auf den ersten selbst verpackten Weihnachtsgeschenken. Schreibdidaktische Konzeptionen, die sich seit den 1970er Jahren etabliert haben, stellen entsprechend Handlungsfunktionen des Schreibens in den Mittelpunkt, seien es die kommunikative Funktion in leserorientierten oder reflexive, memorative, kreative und erkenntnisgewinnende Funktionen in schreiberorientierten Ansätzen (vgl. Steinig/ Huneke 2015: 131-137). Dabei kommt es 58 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen gerade auf die Vielfalt der Funktionen und entsprechend möglicher Schreibanlässe an, um nicht bei der Feststellung enden zu müssen, „Schüler könnten nicht ständig irgendwelche Briefe an irgendwelche Adressaten schicken“ (ebd.: 132). Dem gelegentlich beklagten Mangel an authentischen Schreibanlässen und der Problematik pseudo-authentischen Schreibens lässt sich aber auch begegnen, indem alltägliches Schreiben stärker im Unterricht berücksichtigt wird. Dazu gehören für viele Schüler das Posten und Kommentieren, das Rezensieren oder das Versenden von Messenger-Nachrichten (s. Frenzke-Shim 2020). Dazu gehören aber auch das Aufschreiben von Hausaufgaben, das Verfertigen von Notizen während des Lesens, das Schreiben von Zusammenfassungen oder das materialgestützte Schreiben (s. hierzu Abraham u.- a. 2015), also das Schreiben im Dienste von Lernprozessen. In der Stärkung von in diesem Sinne funktionalen Schreibaufgaben (vgl. Fix 2008: 156 ff.) liegt erhebliches pragmatisch-reflexives Potenzial, etwa im Erstellen und Vergleichen von Anleitungen, wenn zwei Lerngruppen von den Erfahrungen der jeweils anderen bei der Durchführung von Versuchen, der Anwendung einer Drucktechnik oder dem Durchführen eines Lernspiels profitieren sollen. Letztlich lässt sich aber das Schreiben beliebiger Texte pragmatisch angehen. Textsorten sind, wie schon in Kapitel 2.2.2 vermerkt, nichts anderes als „konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen“ (Brinker 2005: 144). Entsprechend lassen sich Textmerkmale, wie oben für Märchen und Kochrezepte dargestellt, mit den Handlungsfunktionen der Texte verbinden. Dies scheint bei stark normierten Textsorten wie Wetterbericht, Unfallmeldung oder „Steckbrief “ plausibler zu sein als bei Textformen wie Erzählung, Bericht oder Kommentar, die sehr unterschiedliche Gestaltungsmöglichkeiten zulassen. Aber auch dieser Umstand lässt sich textpragmatisch erklären: Je standardisierter die Handlung, desto geringer die Varianz in der Ausführung und desto spezifischer sind die Textmerkmale. Wichtig ist in jedem Fall, transparent zu machen, wie und warum Texte funktionieren. Wenn - aus welchen Gründen auch immer - Personen beschrieben werden sollen, bietet es sich an, zunächst vorzuführen, dass es vorteilhaft ist, vom Allgemeinen zum Speziellen zu gehen, eine bestimmte Reihenfolge der Betrachtung einzuhalten und auf Details, Wertungen und Interpretationen zu verzichten. Zur Geltung kommen diese Vorteile natürlich vor allem, wenn es für die Personenbeschreibungen tatsächlich einen Grund gibt, etwa ein Ratespiel oder das Erstellen eines Rätselkrimis. Anders als bei der Beschreibung eines imaginären Fahrraddiebs für eine ausgedachte Polizei, die eine Beschreibung unbedingt in Schriftform braucht, ist in solchen 59 2.3 Situationsangemessenes Kommunizieren als Bildungsziel spielerischen Kontexten die Handlungsanbindung authentisch und das Funktionieren der Beschreibungen lässt sich unmittelbar überprüfen. Es erscheint zwar verlockend, Lernende mit Rezepten auszustatten, wie ein Anleitungstext, ein Märchen oder eine Gedichtinterpretation zu gestalten seien, und auf die Umsetzung dieser „Regeln“ zu hoffen. Aber abgesehen davon, dass solche Rezepte die reale Praxis des Schreibens meist unzulässig reduzieren und einengen - längst nicht alle Märchen beginnen mit „Es war einmal-…“ - geht die scheinbar eingesparte Zeit wieder verloren, wenn die Texte überarbeitet werden und - nicht zum letzten Mal - das Rezept wiederholt werden muss. Auch die Orthografie lässt sich übrigens pragmatisch erschließen. Gerade zu Beginn des Schriftspracherwerbs lässt sich der Nutzen einer (halbwegs) einheitlichen Schreibung für den Leser erkennen. Wenn sich hinter InScholgiong und ƎNCHULiG das gleiche Wort verbirgt („Entschuldigung“), leuchtet es doch ein, es gemeinsam so zu schreiben, dass alle es sofort wiedererkennen. Voraussetzung für solche Erkenntnisse ist natürlich, dass von Anfang an auch leserorientiert, also kommunikativ, geschrieben wird und man nicht erst ein Jahr lang „schreiben übt“, bevor dann die ersten Texte ins Aufsatzheft eingetragen werden dürfen. Mit dem Fortschreiten des Schriftspracherwerbs kann dann immer wieder an die Funktion der Orthografie als Lesehilfe angeschlossen werden (s. Müller 2010: 32-37) - wobei es allerdings nicht so simpel ist, dass eine weniger normierte Einheitsschreibung (und auch Zeichensetzung) die Schriftkommunikation ernsthaft behindern würde. Die Beispiele, die Nutzen und Notwendigkeit bestimmter orthografischer Regelungen für die Verständigung nachweisen sollen, sind meist recht bemüht und wiederholen sich auffällig. 11 Dass wir es mit der einheitlichen Orthografie nicht ganz so streng nehmen müssten, wie es im Allgemeinen getan wird, zeigt ein Blick in ältere Bücher, die bei unterschiedlich stark abweichender Rechtschreibung immer noch gut lesbar sind. Und es zeigt der Blick in einen Chatverlauf - wobei sich hier auch beobachten lässt, dass sich neue Normen wie das Nutzen von Emojis durchsetzen. Aus pragmatischer Sicht ist dann zu fragen, warum z.-B. Abkürzungen, Kleinschreibung oder fehlende Satzschlusszeichen am Ende von Nachrichten zu typischen Merkmalen dieser Kommunikationsform werden. Mit der nächsten 11 Etwa der gefangene floh oder helft den armen fliegen für die Substantivgroßschreibung oder Komm, wir essen(,) Opa! für die Kommasetzung. Ambiguität ist ein Grundmerkmal natürlicher Sprachen. Das meiste regelt der Kontext, der Rest ist ein Reservoir für Sprachspiele - wie das von dem bekannten Seifendieb Robin Hood, der seine Beute unter den Armen verteilte. 60 2 Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen Frage, warum im Umkehrschluss diese Merkmale in „normalen Texten“ fehlen, macht man dann einen großen Schritt in Richtung der situationsangemessenen, reflektierten Verwendung der orthografischen Norm. Aufgaben 1. Dass geschriebene Sprache komplexer, vollständiger, überhaupt in verschiedener Hinsicht anders ist als gesprochene Sprache liegt vor allem daran, dass sie eine Distanz überbrücken muss, die zwischen Schreibern und Lesern in der Regel größer ist als zwischen Sprechern und Hörern. a. Während uns das Wort Orthografie für Rechtschreibung auch im (Schul-)Alltag begegnet, ist Orthoepie (Rechtlautung) als entsprechender Ausdruck für die gesprochene Sprache kaum geläufig. Erklären Sie mit den unterschiedlichen Bedingungen prototypisch schriftlicher und prototypisch mündlicher Kommunikation, warum wir offensichtlich deutlich mehr Wert auf eine einheitliche Schreibung legen als auf eine einheitliche Lautung. b. * Die in Satz (1) fett gedruckten Ausdrücke sind ohne weitere Informationen nicht verständlich. In einem geschriebenen Text müsste (1) mindestens ein Satz vorangestellt werden, der die nötigen Anschlussstellen schafft, zum Beispiel (2). Überlegen Sie sich weitere mögliche „Vorgängersätze“ für den Satz in (1) sowie für den Satz (3). (1) „ 1 So hatten 2 sie sich 3 das 4 hier nicht vorgestellt.“ (2) „Als 2 die Müllers in ihrem 3 Hotel 4 in Travemünde ankamen, mussten sie feststellen, dass es sich 1 noch im Rohbau befand.“ (3) „ 1 Danach war 2 ihnen klar, dass es 3 so mit 4 ihm nicht weitergehen konnte.“ c. * Sehen Sie sich einen Chatverlauf auf Ihrem Handy an. Welche Merkmale gesprochener Sprache können Sie feststellen - und wie lassen sich diese erklären? 2. Betrachten Sie im folgenden Dialog - einer Abwandlung der Situation in Tabelle 3 - die drei hervorgehobenen Stellen. a. Stellen Sie zunächst fest, wobei es sich um eine Störung des Sprecherwechselsystems handelt, wobei um eine gestörte Paarsequenz und wobei um eine irritierende Reparatur. 61 Aufgaben b. Erfassen Sie dann die Störungen genauer mit Fachbegriffen aus dem Kapitel 2.2.1: Fremdwahl - Selbstwahl - übergaberelevante Stelle - Gesprächsbeitrag / Turn - Reparandum - Reparaturindikator - Reparaturdurchführung. A: „Wir könnten uns ja am Wochenende die Ausstellung in der Nationalgalerie ansehen. Was meinst du, B? “ 1 C: „Ich wollte eigentlich am 2 Samstag Freitag in der nächsten Woche hin.“ A: „ 3 Gut, dann machen wir es so.“ 3. In Kapitel 2.2.3 wurde behauptet, dass das (geschriebene) Kochrezept in seiner sprachlichen Form fast jeden Bezug zur mündlichen Anleitung verliert und dass sich mündliche und schriftliche Anleitungen als Handlungen deutlich unterscheiden. Überprüfen Sie diese Behauptungen, indem Sie sich vorstellen, dass Person X Person Y erklärt, wie „Forelle in der Folie mit Gemüse“ zubereitet wird. a. Welchen Unterschied macht es, ob die Forelle während des Anleitens zubereitet wird oder nicht? b. Wie unterscheidet sich die mündliche Anleitung ohne gleichzeitige Zubereitung vom geschriebenen Rezept? 4. * In einer Übung zum „Telefonieren“ soll ein Reklamationsgespräch geführt werden. Die Situation: A hat im Internet bei Firma B ein T-Shirt mit einem individuellen Motiv bestellt und bezahlt. Die Farbe des T-Shirts weicht von der bestellten Farbe ab. Außerdem ist das Motiv an einer Stelle unklar gedruckt. A möchte das T-Shirt trotzdem behalten, aber zu einem reduzierten Preis. Zwei Schüler sitzen, eventuell nach Vorbereitung in Gruppen, Rücken an Rücken und führen das Gespräch. Der Rest der Klasse beobachtet. a. Welche Erfahrungen der Schülerinnen und Schüler im Hinblick auf die vorgestellte Kommunikationssituation und welches damit verbundene implizite Wissen können Sie einbeziehen und wie machen Sie das? b. Welche Beobachtungskategorien stellen Sie bereit? 63 3.1 Zur Theorie der Sprechakte 3 Reden ist Handeln: Sprechakte 3.1 Zur Theorie der Sprechakte 3.1.1 Äußerungen und Absichten Wir haben jetzt schon wiederholt von sprachlichem Handeln, kommunikativen Handlungen oder Handlungsfunktionen von Äußerungen gesprochen. Was aber macht Handeln eigentlich aus? Was unterscheidet es von bloßem Verhalten oder Geschehen? Die Antwort darauf ist: Handeln geschieht mit Absicht, also intentional. Einen Schlüssel zu verstecken ist eine Handlung, einen Schlüssel zu verlieren hingegen nicht. Sich über einen Verlust zu ärgern, ist keine Handlung, nachzufragen, ob ein Schlüssel gefunden wurde, hingegen schon. Im Begriff des sprachlichen Handelns ist die Intention somit schon enthalten, und damit ist auch klar, dass Kommunizierende ihre jeweiligen sprachlichen Äußerungen im Normalfall vor dem Hintergrund bestimmter Intentionen produzieren, die sie zu verwirklichen suchen. Dabei ist der Einsatz sprachlicher Mittel nicht nur eine Begleiterscheinung der Verwirklichung von Intentionen, sondern direktes Mittel zum Zweck: Indem ich sprachliche Äußerungen tätige, verwirkliche ich (unter bestimmten, noch näher zu betrachtenden Bedingungen) meine Intentionen. Möchte ich z.- B. ein unaufmerksames Kind vor einem heraneilenden Fahrzeug warnen, kann ich dies tun, indem ich dem Kind zurufe „Pass auf! “ Indem ich diese Äußerung tätige, warne ich das Kind. Ich führe also eine Handlung aus. Auf diesen Aspekt von Sprachverwendung haben zunächst vor allem John Austin (1962/ 1972) und John Searle (1969/ 1971) aufmerksam gemacht. Sie taten dies in Abgrenzung zur damals vorherrschenden Sichtweise auf natürliche Sprache, nach der diese ähnlich angesehen wurde wie formale Sprachen, wie sie bspw. in der Logik Anwendung finden. Nach dieser Sichtweise hieß, die Bedeutung eines Satzes zu kennen, zu wissen, unter welchen Bedingungen der Satz wahr ist. Man interessierte sich also vorrangig für die Wahrheitsbedingungen von Sätzen. Austin stellte jedoch fest, dass es für viele natürlichsprachliche Äußerungen wenig zielführend ist, zu fragen, unter welchen Bedingungen sie wahr sind. Das lässt sich an den folgenden Beispielen nachvollziehen. 64 3 Reden ist Handeln: Sprechakte (1) Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau. (2) Max und Maria haben gestern geheiratet. Während sich die Äußerung in (2) hinsichtlich ihrer Wahrheit überprüfen lässt, stellt sich bei (1) die Frage von Wahr- oder Falschheit gar nicht. Eine Äußerung von (1) würde man im Rahmen einer Hochzeitszeremonie vom Standesbeamten erwarten. Mit dieser Äußerung wird der Akt der Trauung vollzogen. Die entsprechenden Personen sind nach dieser Äußerung verheiratet, mit allen rechtlichen Konsequenzen, die dies mit sich bringt. Mit der Äußerung von (2) beschreibt man lediglich die Tatsache, dass zwei bestimmte Personen an einem bestimmten Tag geheiratet haben. Diese Äußerung lässt sich hinsichtlich ihrer Wahrheit prüfen: Sie ist wahr, wenn die mit Max bezeichnete Person und die mit Maria bezeichnete Person am Tag vor dem Tag der Äußerung geheiratet haben. Den Unterschied zwischen diesen beiden Typen von Äußerungen erfasste Austin, indem er Äußerungen wie in (1) als performativ und Äußerungen wie in (2) als konstativ bezeichnete. Während sich bei konstativen Äußerungen beurteilen lässt, ob sie wahr oder falsch sind, lässt sich bei performativen Äußerungen eher davon sprechen, ob sie gelungen sind oder nicht. Performative Äußerungen sind also an bestimmte Gelingensbedingungen (bei Austin: felicity conditions, also Glückensbedingungen) gebunden. So ist es z.-B. für eine glückende Eheschließung nicht ausreichend, wenn z.-B. eine Bekannte auf einer Party den Satz in (1) Max und Maria gegenüber äußert. Prototypische performative Äußerungen sind durch eine Reihe von weiteren Merkmalen charakterisiert. So steht das Subjekt in solchen Äußerungen in der 1. Person Singular und sie enthalten ein performatives Verb in der 1. Person Singular Indikativ Aktiv: (3) Ich fordere dich auf, dieses Chaos in Ordnung zu bringen. (4) Ich entschuldige mich dafür, dass ich so eine Unordnung angerichtet habe. (5) Ich bitte dich, das nächste Mal für Ordnung zu sorgen. Performative Verben wie auffordern, entschuldigen oder bitten bezeichnen die Sprachhandlung, die man vollzieht, wenn man den Satz mit dem entsprechenden Verb äußert. In derartige Äußerungen lässt sich häufig das Adverb hiermit einfügen, welches sich dann direkt auf die mit dem Verb zum Ausdruck gebrachte Handlung bezieht. Performative Äußerungen, die die genannten Kriterien erfüllen, werden als explizite Performative bezeichnet. Die prototypischen Merkmale, die sich an solchen expliziten Performativen identifizieren lassen, 65 3.1 Zur Theorie der Sprechakte sind aber nicht zwingend notwendig dafür, dass eine Äußerung als performativ gelten kann. Nehmen wir die folgenden Beispiele: (6) Wir raten von längeren Touren ab. (7) Pass auf! (8) Ich komme morgen. In (6) steht das Subjekt in der 1. Person Plural, in (7) fehlt es ganz. Hiermit ließe sich bei (6), nicht aber bei (7) oder (8) sinnvoll einfügen. Dennoch lassen sich Äußerungen der Sätze in (6) und (7) problemlos als Sprachhandlungen verstehen, ebenso wie eine Äußerung des Satzes in (8) in einem passenden Kontext als ein Versprechen verstanden werden kann, auch wenn in dem Satz das entsprechende performative Verb nicht enthalten ist. Man kann also zwischen expliziten Performativen mit performativem Verb und impliziten Performativen, die wie (7) und (8) kein performatives Verb enthalten, unterscheiden. Während die Identifikation der mit einer Äußerung ausgeführten sprachlichen Handlung bei expliziten Performativen recht einfach anhand des verwendeten performativen Verbs möglich ist, ist für die eindeutige Interpretation eines impliziten Performativs eine Inferenzleistung notwendig. Inferenzleistung heißt: Der Adressat eines solchen impliziten Performativs muss die vom Sprecher intendierte Sprachhandlung mit Bezug auf den konkreten Äußerungskontext und sein Wissen über den Sprecher selbst erschließen. Auch existiert nicht für jede mit einer Äußerung durchführbare sprachliche Handlung ein entsprechendes Verb, mit welchem ein Sprecher diese gleichzeitig durchführen und anzeigen könnte. Die Sätze in (9) und (10) wirken daher etwas merkwürdig: (9) ? Hiermit beleidige ich dich! (10) ? Ich drohe dir, jedem von dieser Unordnung zu erzählen, wenn du jetzt nicht aufräumst. Austin unterschied anfänglich klar zwischen performativen Äußerungen, mit denen Sprecher eine Handlung ausführen, und konstativen Äußerungen, die wahrheitswertfähig sind. Er hob diese Unterscheidung jedoch bald auf, als er feststellte, dass auch mit konstativen Äußerungen etwas gemacht wird. Mit ihnen lässt sich z.-B. etwas behaupten, feststellen oder beschreiben. Satz (8), der in einem Kontext als (nicht wahrheitsfähiges) Versprechen aufgefasst wird, könnte in einem anderen Kontext (z.-B. als Antwort auf die Frage „Wer von euch hat jetzt nochmal wann Dienst? “) als Behauptung verstanden werden und damit wahrheitsfähig sein. (11) und (12) sind Beispiele für (wahrheitsfähige) feststellende bzw. beschreibende Äußerungen. 66 3 Reden ist Handeln: Sprechakte (11) A: „Die Türklinke funktioniert ja wieder.“ (nachdem A die bisher kaputte Türklinke ausprobiert hat) (12) Der Clown Pippo trägt einen kleinen Hut, kurze Haare und eine runde Brille. Auch für Feststellungen, Behauptungen und Beschreibungen u. ä. können Intentionen angenommen und Gelingensbedingungen identifiziert werden. Sprachliche Äußerungen werden so im Allgemeinen zu Handlungen, nach Austin und Searle: zu Sprechakten - von denen manche außerdem noch so sind, dass sie hinsichtlich ihrer Wahrheit überprüft werden können. 3.1.2 Gelingensbedingungen Was ist nun unter Gelingensbedingungen für Sprachhandlungen (oder Sprechakte) zu verstehen? Es geht um die Frage, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit eine Sprachhandlung gelingt. Austin gibt dafür, zunächst für performative Äußerungen im ursprünglichen Sinne, sechs Regeln an (modifiziert n. Austin 1962/ 1972: 37): Gelingensbedingungen für Sprechakte A 1. Es muss ein übliches konventionelles Verfahren mit einem bestimmten konventionellen Ergebnis geben. Zu diesem Verfahren gehört, dass bestimmte Personen unter bestimmten Umständen bestimmte Worte äußern. 2. Die betroffenen Personen und Umstände müssen den Festlegungen des Verfahrens entsprechen. B 1. Alle Beteiligten müssen das Verfahren korrekt und 2. vollständig durchführen. C 1. Sind für das Verfahren bestimmte Meinungen, Gefühle und Absichten festgelegt, müssen die beteiligten Personen diese Meinungen, Gefühle und Absichten auch wirklich haben und 2. sich entsprechend verhalten. 67 3.1 Zur Theorie der Sprechakte „Sündigen wir gegen eine oder mehrere von diesen Regeln, dann ist“, so Austin, „unsere performative Äußerung in der ein oder anderen Weise verunglückt“ (1962/ 1972: 37). Werden die A- und B-Regeln verletzt, kommen die Sprachhandlungen gar nicht zustande. Es handelt sich nach Austin um echte misfires, also Fehlschüsse oder Rohrkrepierer. Bei Verstößen gegen die C-Bedingungen wird die Handlung durchgeführt, jedenfalls sieht es so aus, sie wird aber missbraucht, und Austin spricht entsprechend von abuses (Missbräuchen) (ebd.: 38). Mit Beispielen lässt sich nachvollziehen, was mit den eher abstrakt formulierten Regeln gemeint ist. Nehmen wir zunächst das schon in (1) und (2) verwendete Beispiel einer Trauung: Für die Eheschließung gibt es ein übliches konventionelles Verfahren mit einem bestimmten konventionellen Ergebnis: dem Verheiratetsein. Wenn es das Verfahren nicht gäbe oder man nichts darüber wüsste, wäre die Bedingung A1 nicht erfüllt und man könnte sich nicht im Rahmen dieses Verfahrens performativ äußern. Wenn das Verfahren der Eheschließung bekannt ist, aber von einer nicht legitimierten Person (einer Bekannten auf einer Party…) durchgeführt wird oder in einem Kontext, für den das Verfahren nicht gedacht ist (etwa von Schauspielern in einem Film), wird A2 verletzt und durch die Äußerung von (1) Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau. wird keine Ehe geschlossen, auch wenn der Ablauf des Verfahrens korrekt war. Eine Trauung kann nur „erfolgreich“ vollzogen werden, wenn sie an einem dafür vorgesehenen Ort, entsprechend den dafür vorgesehenen Konventionen von einer dazu berechtigten Person (in der Regel einem Standesbeamten) durchgeführt wird. Der Standesbeamte muss darüber hinaus alle notwendigen Einzelschritte innerhalb des Trauungsereignisses korrekt und vollständig durchführen (Bedingungen B1 und B2). Das heißt, der Standesbeamte darf nichts auslassen, nicht abbrechen und sich nicht mit einem „Vielleicht“ als Willensbekundung der angehenden Ehepartner begnügen. Die Gelingensbedingungen greifen aber nicht nur bei Trauungen und ähnlich formalisierten Akten, sondern auch bei alltäglicheren Handlungen. Versuchen Sie, um das Beispiel in (4) aufzugreifen, einmal sich bei jemandem für die von Ihnen angerichtete Unordnung zu entschuldigen, den Sie nicht kennen und der weder Sie noch die von Ihnen angerichtete Unordnung je zu Gesicht bekommen hat. Die Sprachhandlung der Entschuldigung dürfte nicht gelingen, weil die beteiligten Personen und Umstände nicht zum Verfahren passen (Verstoß gegen A2), egal wie formvollendet Sie sich äußern. Wenn Sie dagegen zu 68 3 Reden ist Handeln: Sprechakte jemandem sagen: „Ich entschuldige mich dafür, dass ich dich doof genannt habe. Obwohl du es ja bist.“, dann bedienen Sie sich zunächst eines üblichen konventionellen Verfahrens (entsprechend A1). Auch die Personenkonstellation und die Umstände mögen stimmen (gemäß A2). Die Entschuldigung wird dennoch keinen Erfolg haben, weil Sie - siehe Regel B1 - das Verfahren nicht korrekt durchführen, indem Sie die Entschuldigung mit einer Rechtfertigung unterlaufen. Ähnlich könnten Sie gegenüber einem Mitbewohner zum Zustand der gemeinsamen Küche äußern: (4a) Ich entschuldige mich dafür, dass ich so eine Unordnung angerichtet habe, was aber schlicht Ausdruck meiner Persönlichkeit und meines unbändigen Schaffensdranges ist. Ein Beispiel für einen Verstoß gegen B2 wäre der Abschluss einer Wette: Der ist konventionell erst vollzogen, wenn „Topp! “ gesagt wird oder „Die Wette gilt! “ oder beides. Fehlt dieser letzte Teil, ist die zuvor getätigte performative Äußerung „Ich wette, dass-…“ nicht gelungen und die angezeigte Handlung nicht durchgeführt. Wird die Wette dagegen abgeschlossen, aber später nicht eingehalten, liegt möglicherweise ein Missbrauch der Sprachhandlung „Wette“ und damit ein Verstoß gegen die C-Bedingungen vor. Wenn schon beim Abschluss die für das Verfahren der Wette festgelegte Absicht, sich an die Wettvereinbarung zu halten, nicht besteht, ist es ein Verstoß gegen C1, wenn die Absicht besteht, aber das Verhalten dem nicht entspricht, ist es ein Verstoß gegen C2. Ähnlich ist es bei Versprechen. Greifen wir dazu noch einmal auf den Satz in (8) zurück. (8) Ich komme morgen. Wird dieser Satz von einem Sprecher in einer Situation geäußert, in der er ohne weiteres Zutun des Sprechers vom Hörer eigentlich nur als Versprechen verstanden werden kann, wäre es ein Missbrauch des entsprechenden Sprechaktes, wenn der Sprecher zum Zeitpunkt der Äußerung von (8) gar nicht vor hat, das zu tun, wozu er sich durch seine Äußerung verpflichtet. Und auch wenn der Sprecher vielleicht zum Zeitpunkt der Äußerung von (8) tatsächlich vorhat, am nächsten Tag (wohin genau, sollte durch den Äußerungskontext klar sein) zu kommen, würde eine Äußerung von (8) nach Austin als Missbrauch gelten, wenn der Sprecher dies dann nicht auch tatsächlich tut (Bedingung C2). 69 3.1 Zur Theorie der Sprechakte 3.1.3 Teilakte Nachdem wir gesehen haben, unter welchen Bedingungen Sprachhandlungen gelingen, geht es nun um die nähere Charakterisierung der Sprechakte selbst. Dafür ist es hilfreich, sich einmal vor Augen zu führen, was ein Sprecher eigentlich alles tut, wenn er z.-B. „Ich komme morgen“ sagt. Zum einen verwendet er seinen Sprechapparat, um eine Reihe von Geräuschen zu produzieren. Soweit es sich dabei um Sprachlaute handelt, sind diese Geräusche mit bestimmten Bedeutungen (mentalen Konzepten) assoziiert und die Abfolge ihrer Produktion ist durch die Grammatik der entsprechenden Sprache bestimmt. Bezieht man nun noch die konkrete Äußerungssituation mit ein, lässt sich den verwendeten sprachlichen Mitteln ich, kommen, morgen auf der Grundlage ihrer Bedeutung eine konkrete Referenz zuweisen. Außerdem geschehen derartige Äußerungen nicht im „leeren Raum“, sondern sie sind typischerweise an einen bestimmten Adressaten gerichtet und erfolgen aus einer bestimmten Intention des Sprechers heraus. Je nach konkretem Äußerungskontext und konkretem Adressaten kann also der Sprecher mit seiner Äußerung Verschiedenes beabsichtigen: eine Warnung aussprechen, ein Versprechen abgeben, eine Behauptung tätigen etc. Mit einer einzigen Äußerung tun wir also eine ganze Menge gleichzeitig. Oder anders gesagt: Unsere Handlung besteht aus verschiedenen Teilhandlungen, ein Sprechakt aus verschiedenen Teilakten. Austin hat entsprechend drei Teilaspekte von Sprechakten unterschieden. Jeder Sprechakt umfasst demnach einen: ▶ lokutionären Akt ▶ illokutionären Akt ▶ perlokutionären Akt Der lokutionäre Akt (1962/ 1972: 110 f.) ist die Produktion eines bedeutungsvollen sprachlichen Ausdrucks, also der grundsätzliche Akt des Sprechens. Dabei lassen sich wiederum drei Aspekte unterscheiden, nämlich einmal das Hervorbringen von Sprachlauten (der phonetische Akt), zum zweiten das damit verbundene Äußern bestimmter sprachlicher Einheiten, die zum Vokabular einer bestimmten Sprache gehören und entsprechend den grammatischen Regeln dieser Sprache gebildet und geordnet werden (phatischer Akt) und schließlich die Verwendung dieser Einheiten mit einer mehr oder weniger bestimmten Bedeutung und Referenz. Das heißt, man bezieht sich mit Sprache auf etwas in der Welt (rhetischer Akt). 70 3 Reden ist Handeln: Sprechakte Indem ein Sprecher in realer Kommunikation einen solchen lokutionären Akt vollzieht, vollzieht er gleichzeitig immer auch einen illokutionären Akt (1962/ 1972: 116). Mit der Illokution eines Sprechaktes ist sein Handlungssinn gemeint. Wer „Pass auf! “ sagt, produziert nicht einfach nur (phonetisch) Schallwellen, nutzt (phatisch) Wörter der deutschen Sprache in einem für das Deutsche zulässigen Satzrahmen und bezieht sich dabei (rhetisch) auf eine bestimmte Art des Handelns oder Verhaltens, nämlich das Aufpassen. Vor allem spricht er eine Warnung aus oder genauer: In einer entsprechenden Situation gilt seine Äußerung gleichzeitig als Warnung des angesprochenen Adressaten. Der illokutionäre Akt bestimmt also die Art der Handlung, die ein Sprecher mit seiner Äußerung zu vollziehen sucht. Der perlokutionäre Akt schließlich bezeichnet den durch das Tätigen einer Äußerung mit einer bestimmten illokutionären Kraft intendierten Effekt auf den Adressaten (vgl. 1962/ 1972: 118 f., 137-152). Der kann bei gleicher Illokution unterschiedlich sein. Ein mit „Pass auf! “ gewarntes Kind, das einen Teller mit heißer Suppe aus der Küche balanciert, soll seine Tätigkeit mit erhöhter Aufmerksamkeit fortsetzen. Ein Kind, das im Begriff ist, auf die Straße zu laufen und dabei nicht auf ein heraneilendes Fahrzeug achtet, soll wahrscheinlich seine Tätigkeit nicht konzentrierter fortsetzen, sondern stehen bleiben und sich an die Hand nehmen lassen. John Searle (1969/ 1971) hat diese Unterscheidung von Teilakten noch etwas ausdifferenziert. Auch er unterscheidet illokutionären und perlokutionären Akt. Austins lokutionären Akt teilt er aber auf in den Äußerungsakt, der Austins phonetischen und phatischen Akt umfasst, und den rhetischen Akt, den er als eigenen Teilakt identifiziert und als propositionalen Akt bezeichnet. Searle kommt also auf vier Teilakte. Das Herausheben des propositionalen Akts verdeutlicht dabei, dass phonetischer und phatischer Akt eng zusammenhängende Aspekte des Äußerungsaktes sind, während es sich bei der Proposition um eine eigenständige Ebene des Sprechaktes handelt, die mit Äußerungsakt und illokutionärem Akt in verschiedenen Verhältnissen stehen kann. Dies können die folgenden Beispiele verdeutlichen. (13) A zu B: „Pass auf! “ (14) A zu B: „Passt du auf ? “ (15) A zu B: „Du passt auf.“ (16) A zu B: „Schließlich passt du ja auf.“ 71 3.1 Zur Theorie der Sprechakte Als Propositionen sind alle vier Äußerungen identisch. Das heißt, sie beziehen sich auf das Gleiche in der außersprachlichen Wirklichkeit: auf B, den sie mit der Handlung des Aufpassens verbinden. Sie haben damit gleichen propositionalen Gehalt, der sich paraphrasieren lässt mit: „B passt auf.“ Als Äußerungsakte, das heißt in ihrer lautlichen und sprachlichen Gestalt, unterscheiden sie sich aber, wobei in (14) und (15) das gleiche Wortmaterial verwendet wird und „nur“ die Reihenfolge (und in der gesprochenen Sprache vermutlich die Intonation) eine andere ist (vgl. Meibauer 2001: 87 f.). Ebenso unterscheiden sich (13) bis (16) in ihrer (mutmaßlichen) Illokution. Während (13) in einer entsprechenden Äußerungssituation vermutlich als Warnung verstanden wird, ist (14) zunächst eine Frage nach dem Zutreffen der entsprechenden Proposition, das in (15) und (16) festgestellt oder behauptet wird. Allerdings kann, abhängig von Situation und Intonation, auch mit (14) eine Warnung ausgesprochen werden, verstärkt noch in der Variante: (14a) A zu B: „Passt du wohl auf ? “ Schließlich kann (15), ebenso wie (13), den Charakter einer Aufforderung haben, was bei (16) schwerer vorstellbar ist. Offensichtlich gibt es im Äußerungsakt Hinweise, die bei der Interpretation des Handlungssinns einer Äußerung, also des illokutionären Aktes, helfen, ohne diesen zu determinieren. Diese Zusammenhänge zwischen den sprachlichen Merkmalen und der Illokution wiederum sind unabhängig von der Proposition der Sätze in (13) bis (16), ob sie nun „B passt auf “ lautet oder - wenn nicht B von A angesprochen würde, sondern umgekehrt A von B - „A passt auf “. Den propositionalen Akt auszugliedern, ist also durchaus sinnvoll. Andererseits erscheinen, wenn man die Illokution als Vergleichsgröße setzt, Äußerungsakt und propositionaler Akt auch wieder als Einheit: wenn man, vereinfacht gesagt, vergleichen will, was gesagt und was mit dem Gesagten gemacht wird. Dann lässt sich schnell feststellen, dass einerseits die gleiche Äußerung verschiedene Handlungen signalisieren und sich andererseits die gleiche Handlung durch verschiedene Äußerungen ausdrücken lässt. Für den ersten Fall - gleiche Lokution, aber verschiedene illokutionäre Akte - hatten wir gerade schon die Beispiele in (13) (Warnung oder Aufforderung), (14) (Frage oder Warnung, ebenso Aufforderung) und (15) (Feststellung oder Aufforderung). Wir können auch noch einmal den Satz in (8) hinzunehmen, mit dem ein Sprecher, je nach konkretem Äußerungskontext, ein Versprechen abgeben, eine Drohung aussprechen oder auch eine Annahme bestätigen kann. 72 3 Reden ist Handeln: Sprechakte (8) Ich komme morgen. Für den Fall, dass die gleiche illokutionäre Kraft durch unterschiedliche Lokutionen zum Ausdruck gebracht wird, stehen oben Warnung---durch (13) und (14) -, Aufforderung---durch (13), (14) und (15)---und Feststellung---durch (15) und (16)---sowie das folgende klassische Beispiel: (17) a. Fenster zu! b. Schließe sofort das Fenster! c. Wir schließen das Fenster. d. Schließ bitte das Fenster. e. Kannst du bitte das Fenster schließen? f. Wärest du so freundlich, das Fenster zu schließen? Die Äußerungen in (17) unterscheiden sich (u.- a.) hinsichtlich der konkreten in ihnen vorkommenden Ausdrücke. Sie können aber alle dafür verwendet werden, einen Adressaten zum Schließen eines Fensters aufzufordern. Schaut man von der Illokution als dem Kern des Sprechaktes in Richtung des perlokutiven Akts, vergleicht man den Handlungssinn mit dem beabsichtigten Effekt. Im Fall des zu schließenden Fensters in (17) dürfte der beabsichtigte Effekt auf der Hand liegen: Die angesprochene Person soll das Fenster schließen. Und bei einer Aufforderung kann die gewünschte Reaktion des Adressaten wohl kaum etwas anderes sein, als dass dieser der Aufforderung Folge leistet. Es sind aber Sprechakte denkbar, die als Äußerungs- und illokutionäre Akte identisch sind und sich dennoch in der Perlokution unterscheiden. Eine Warnung kann, wie schon angeführt wurde, in der Absicht geschehen, dass der Adressat sein aktuelles Handeln einstellt oder dass er es mit erhöhter Aufmerksamkeit fortsetzt. Eine Aufforderung kann auch in der Absicht ausgesprochen werden, den Adressaten bloßzustellen - wenn man davon ausgeht, dass dieser der Aufforderung nicht Folge leisten kann („Rechnest du uns das mal bitte an der Tafel vor? “). Andererseits kann man den gleichen Zweck mit verschiedenen Handlungen verfolgen, etwa in einem Verkaufsgespräch, in dem ein geschickter Verkäufer zwischen Behauptungen (18), Schmeicheleien (19) und subtilen Drohungen (20) wechselt, um beim Adressaten eine Kaufentscheidung herbeizuführen: (18) Der Wagen ist in einem hervorragenden Zustand. (19) Ich kann mir keinen besseren Käufer vorstellen. 73 3.1 Zur Theorie der Sprechakte (20) Wenn Sie sich nicht entscheiden wollen-… Es gibt schon noch andere Interessenten. Insofern ist es also durchaus erhellend, Illokution und Perlokution voneinander zu unterscheiden und zugleich als Teile des Sprechaktes in engem Zusammenhang zu betrachten, auch wenn immer wieder diskutiert wird, ob die Perlokution überhaupt zum Sprechakt gehört, da die intendierten Effekte nur sehr eingeschränkt konventionalisiert sind und ihr Eintreten vom Sprecher nicht kontrollierbar ist (vgl. z.-B. Finkbeiner 2015: 15). 3.1.4 Illokutionäre Indikatoren Wenn man sprachliche Äußerungen als Handlungen, als Sprechakte ansieht, steht die Illokution, also was mit einer Äußerung gemacht wird, fast notwendig im Mittelpunkt der Betrachtung. Der Äußerungsakt selbst enthält oft Hinweise auf die Art der vom Sprecher intendierten Handlung. Die prominentesten dieser sogenannten illokutionären Indikatoren sind die oben in Kapitel 3.1.1 schon erwähnten performativen Verben. Tatsächlich stellt diese Art von Verb einen Spezialfall innerhalb der Kategorie der sogenannten illokutionären Verben dar. Illokutionäre Verben bezeichnen Sprachhandlungen. Jedoch lässt sich nicht jedes illokutionäre Verb auch performativ verwenden (s. z.-B. beleidigen in (9)). Da performative Verben verwendet werden, um eine Sprachhandlung gleichzeitig zu bezeichnen und durchzuführen, fungieren sie als Indikator der mit einer Äußerung vom Sprecher vollzogenen Handlung. So ist (21), wie sich an dem Verb auffordern erkennen lässt, zweifellos eine Aufforderung. (21) Ich fordere dich hiermit auf, das Fenster zu schließen. Neben dem Sonderfall der performativen Verben gibt es zahlreiche weitere sprachliche Mittel, die bei der Identifikation der mit einer Äußerung verbundenen Handlung helfen. Dazu gehören beispielsweise die Modalpartikeln: kleine Wörter, die wir vor allem in der mündlichen Kommunikation in unsere Sätze streuen, um unsere Absichten zu verdeutlichen. Ähnlich wie das wohl in (14a) aus einer Frage eine Warnung macht, verbindet in (22) das bloß eine Aufforderung mit einer Drohung: (22) a. Bring auch Milch mit. b. Bring bloß auch Milch mit. 74 3 Reden ist Handeln: Sprechakte Weitere die illokutionäre Kraft einer Äußerung anzeigende Indikatoren sind zum Beispiel die Intonation oder in der geschriebenen Sprache die Interpunktion. Wie verschiedene Merkmale bei der Kennzeichnung von Sprachhandlungen zusammenwirken, lässt sich gut an den Satzarten sehen, die traditionell unterschieden werden. Betrachten wir dazu die Sätze in (23) - (25). (23) Max gibt Klara das Buch. (24) Gib Klara das Buch. (25) Hat Max Klara das Buch gegeben? Der Satz in (23) hat die prototypische Form eines Aussagesatzes. Das finite Verb gibt steht an zweiter Stelle und der Satz enthält ein Subjekt (Max). Mit solchen Sätzen werden typischerweise Aussagen getroffen. Der Satz in (24) hingegen hat eine für Aufforderungssätze prototypische Form. Das finite Verb gib steht in seiner Imperativform an erster Stelle und der Satz enthält kein Subjekt. In (25) schließlich, steht das finite Verb ebenso wie in (24) an erster Stelle. Jedoch enthält dieser Satz im Gegensatz zu dem Satz in (24) ein Subjekt (Max) und die entsprechende Verbform ist indikativisch. Solche Sätze werden typischerweise verwendet, um Entscheidungsfragen zu stellen. Im Falle von (25) dient außerdem auch das verwendete Satzschlusszeichen als Indiz für den intendierten Sprechakt. Die Einschränkungen mit typischerweise und häufig signalisieren, dass diese Satzarten auch anders verwendet werden können und es somit keine 1: 1-Übereinstimmung zwischen Satzart (Form) auf der einen Seite und ausgedrücktem illokutionären Akt (Funktion) auf der anderen Seite gibt. Die Beispiele in (13) bis (15) haben schon gezeigt, dass sich eine Aufforderung auch in Form einer Frage (14) oder eines Aussagesatzes (15) aussprechen lässt. Nehmen wir hier zur Verdeutlichung noch einmal den Satz in (23) hinzu. In einem Kontext, in dem der Sprecher seinen Zweifel über die Wahrheit des mit dem Satz ausgedrückten propositionalen Gehalts zum Ausdruck bringen möchte, kann er dies tun, indem er ihn mit einer zum Satzende hin steigenden Intonation spricht, wie sie für Entscheidungsfragen typisch ist. Damit würde seine Äußerung als Frage verstanden werden und nicht als Aussage oder Behauptung. In der geschriebenen Sprache würde dies mit einem Fragezeichen verdeutlicht. Der Satz in (23) kann aber auch als Aufforderung fungieren, etwa wenn sich Max und Klara im Klassenraum um ein Buch streiten und dieser Streit für den Rest der Klasse zur Attraktion geworden ist. Dann darf sich Max mit 75 3.1 Zur Theorie der Sprechakte (23a) Max gibt Klara das Buch, und der Rest der Klasse setzt sich hin. durchaus angesprochen fühlen - wenn auch indirekt. 3.1.5 Indirekte Sprechakte Betrachten wir noch einmal das Beispiel in (24). Hier handelt es sich offensichtlich und direkt um eine Aufforderung, die durch eindeutige illokutionäre Indikatoren als solche zu erkennen ist. Wie wir jedoch auch schon anhand der Fenster-Beispiele in (17) und (21) gesehen haben, lässt sich ein und dieselbe illokutionäre Kraft auf recht unterschiedliche Art und Weise ausdrücken. So hätte der Sprecher von (24) sich auch für die Äußerung des Satzes in (26) entscheiden können, um den Adressaten dazu aufzufordern, Klara das Buch zu geben. (26) Klara möchte das Buch auch einmal haben. Die Tatsache, dass mit einer bestimmten grammatischen Form, die eine Äußerung haben kann, verschiedene Illokutionen ausgedrückt werden können, lässt sich auch mit der Unterscheidung zwischen direkten und indirekten Sprechakten erfassen. Für direkte Sprechakte wird angenommen, dass eine Passung zwischen der vom Sprecher intendierten Illokution und der dafür eingesetzten Satzart vorliegt (Aussage → Aussagesatz, Aufforderung → Aufforderungssatz, Frage → Fragesatz). Auch explizite Performative, bei denen die entsprechende illokutionäre Kraft ja durch das jeweilige performative Verb angezeigt wird, werden zu den direkten Sprechakten gezählt. Liegt jedoch keine solche Passung oder eindeutige Anzeige vor, spricht man von indirekten Sprechakten. Das ist z.-B. bei einigen der in (17) aufgeführten Lokutionen zum Ausdruck einer Aufforderung der Fall: der Aussage in b. und den Fragen in e. und f. Diese schematische Unterteilung von Sprechakten in direkte und indirekte Sprechakte ist nicht unproblematisch. Sie setzt nämlich voraus, dass man grundsätzlich doch davon ausgeht, dass es Fälle von eindeutigen oder „natürlichen“ Passungen zwischen bestimmten Satzformen und bestimmten kommunikativen Funktionen gibt (direkte Sprechakte) und dass diese Passung auch dann „mitschwingt“, wenn aus einer konkreten Äußerungssituation heraus eigentlich klar ist, dass sie in diesem Fall nicht intendiert ist. Betrachten wir den Satz in (27). (27) Kannst du mir bitte die Butter reichen? 76 3 Reden ist Handeln: Sprechakte Was seine grammatische Form betrifft, handelt es sich um einen typischen Entscheidungsfragesatz, der die gleichen Merkmale aufweist wie der Satz in (25). Trotzdem würden wir es, anders als bei (25), als unangemessen ansehen, wenn jemand auf die Frage in (27) ausschließlich mit (28) reagieren würde. (28) Ja. Vielmehr erwarten wir, dass der oder die Angesprochene uns die Butter tatsächlich reicht. Wir erwarten also, dass (27) als Aufforderung verstanden wird, obwohl sie eigentlich nicht als solche formuliert ist, und umgekehrt würden wir uns, mit (27) angesprochen, auch recht direkt aufgefordert fühlen und keinen „doppelten Boden“ in dieser Äußerung erkennen. Sie erscheint uns vielmehr als völlig normal und nicht irgendwie abweichend oder schwierig zu verstehen. Das liegt daran, dass viele sogenannte indirekte Sprechakte stark konventionalisiert sind. Es bedarf dann keiner besonderen interpretatorischen Anstrengung auf Seiten des Hörers, um die intendierte illokutionäre Wirkung dieser Akte angemessen zu interpretieren. Aber eine Konventionalisierung muss irgendwann ihren Anfang genommen haben, und so lässt sich schon fragen, wie man auf die Idee kommen kann, eine Aufforderung als Frage zu formulieren oder eine Bitte als Feststellung oder - wie in (29) - eine Feststellung als Frage: (29) Ist heute nicht ein herrlicher Tag? Unter Beibehaltung der Unterscheidung direkt/ indirekt stellt sich die Frage, warum indirekte Sprechakte überhaupt zum Einsatz kommen, wenn es doch für einen Sprecher immer die Möglichkeit gibt, sein Anliegen direkt zu kommunizieren. Die häufigste Begründung für indirekte Sprechakte ist, dass man mit ihnen seine Intentionen höflicher zum Ausdruck bringen kann. Das lässt sich anhand der - hier noch einmal wiederholten - Beispiele in (17) nachvollziehen. (17) a. Fenster zu! b. Schließe sofort das Fenster! c. Wir schließen das Fenster. d. Schließ bitte das Fenster. e. Kannst Du bitte das Fenster schließen? f. Wärest Du so freundlich, dass Fenster zu schließen? Die meisten werden wohl die indirekten Formulierungen der Aufforderung zum Fensterschließen in (17e) und (17 f) als freundlicher und höflicher ein- 77 3.1 Zur Theorie der Sprechakte schätzen als die direkten in (17a) oder (17b). Schließlich bleibt bei den Fragen der Angesprochene das Subjekt seines Handelns. 3.1.6 Sprechakttypen nach Searle Es wurde nun schon eine ganze Reihe unterschiedlicher Sprechakte erwähnt. Sprechakte sind z.- B. versprechen, bitten, feststellen, anbieten, danken, auffordern, fragen, aussagen, behaupten, gratulieren, entschuldigen, schwören, erklären, erlauben, bedauern oder drohen. Es stellt sich die Frage, ob und wie sich diese Vielfalt von Sprechakten systematisieren lässt: welche Merkmale sie teilen, durch welche Merkmale sie sich unterscheiden und ob man so etwas wie Grundtypen von Sprechakten ausmachen kann. Austin selbst hat dieser Frage die letzte seiner zwölf Vorlesungen gewidmet (1962/ 1972: 168 f.). Die einflussreichste Einteilung stammt aber von John Searle. Searle unterscheidet Sprechakte in Bezug auf die Kriterien „Anpassungsrichtung“ (direction of fit), „psychischer Zustand“ (psychological state) und „illokutionärer Witz“ (illocutionary point). Mit der „Anpassungsrichtung“ ist gemeint, ob die Worte sich nach der Welt richten oder die Welt sich nach den Worten richten soll. Der „illokutionäre Witz“ bezeichnet den Zweck des Sprechaktes. Mit diesen Kriterien lassen sich fünf Typen von Sprechakten unterscheiden (Searle 1975: 354-361; vgl. Meibauer 2001: 94 ff.): ▶ Assertive ▶ Direktive ▶ Kommissive ▶ Expressive ▶ Deklarationen Assertive sind Sprechakte, bei denen der Sprecher davon ausgeht, dass die mit ihnen ausgedrückten Propositionen wahr sind. Der zugrundliegende psychische Zustand ist also einer des Glaubens. Der Sprecher glaubt, dass die Welt so ist, wie er sie in seinen Worten ausdrückt. Er drückt sich in seinen Worten so aus, wie die Welt nach seiner Auffassung ist und die Anpassungsrichtung ist demnach „Wort an Welt“ (= „Was gesagt wird, orientiert sich an den Verhältnissen der Welt“). Typische Vertreter dieser Kategorie sind Äußerungen, mit denen etwas behauptet, berichtet, erklärt wird, wie z. B. (2) Max und Maria haben gestern geheiratet. (23) Max gibt Klara das Buch. 78 3 Reden ist Handeln: Sprechakte Direktive sind Sprechakte, bei denen der Sprecher versucht, den Adressaten zu einer Handlung zu bewegen. Der hier zugrundeliegende psychische Zustand ist der Wunsch. Der Sprecher möchte, dass der Adressat etwas tut oder sich auf eine bestimmte Art verhält. Insofern ist die Anpassungsrichtung hier „Welt an Wort“: Das, was sich der Sprecher vom Hörer wünscht, ist eben noch nicht der Fall, soll es aber werden. Typische Vertreter dieser Kategorie sind Äußerungen, mit denen um etwas gebeten, jemand beraten, jemand zu etwas aufgefordert wird wie: (3) Ich fordere dich auf, dieses Chaos in Ordnung zu bringen. (7) Pass auf! Kommissive sind Sprechakte, bei denen sich der Sprecher selbst zu einer zukünftigen Handlung oder einem zukünftigen Verhalten verpflichtet. Wie bei den Direktiven ist auch hier die Anpassungsrichtung „Welt an Wort“, da sich der Sprecher zunächst verbal zu einer Handlung verpflichtet, bevor er diese dann tatsächlich auch durchführt. Der psychische Zustand ist in diesem Fall eine Absicht. Typische Vertreter dieser Kategorie sind Äußerungen, mit denen etwas angeboten, etwas versprochen oder gedroht wird. Etwa: (8) Ich komme morgen. Expressive sind Sprechakte, mit denen der Sprecher psychische Einstellungen bzw. Zustände ausdrückt wie Freude, Trauer, Mitleid oder Bedauern. Insofern variiert der entsprechende zugrundeliegende psychische Zustand mit dem jeweiligen ausgedrückten Expressiv. Da sie dem Ausdruck psychischer Einstellungen bzw. Zustände dienen, haben Expressive keine Anpassungsrichtung. Typische Vertreter dieser Kategorie sind Äußerungen, mit denen jemandem etwas vorgeworfen, jemandem gratuliert oder, wie in (4), sich entschuldigt wird. (4) Ich entschuldige mich dafür, dass ich so eine Unordnung angerichtet habe. Deklarationen schließlich sind Sprechakte, mit denen der Sprecher eine unmittelbare Veränderung der aktuellen Gegebenheiten herbeiführt. Typische Vertreter dieser Kategorie sind Äußerungen, mit denen jemand getauft, verurteilt oder ernannt wird. Deklarationen werden nicht auf der Grundlage eines bestimmten psychischen Zustands der Person getätigt, die die Deklaration äußert. In Bezug auf die Anpassungsrichtung wirken Deklarationen sozusagen in beide Richtungen: der Sprecher bewirkt mit seiner Äußerung die Übereinstimmung zwischen 79 3.2 Sprechakte im Unterricht dem propositionalen Gehalt und der Welt. Damit das gelingen kann, ist in der Regel ein bestimmter institutioneller Rahmen erforderlich, der garantiert, dass die richtigen Worte unter den richtigen Umständen von der richtigen Person geäußert werden, z.-B. in einer Kirche von einem Pfarrer, in einem Gericht von einem Richter oder in Ausführung seiner Amtsgeschäfte von einem Standesbeamten, womit wir wieder bei den Gelingensbedingungen wären und beim ersten Beispiel dieses Kapitels: (1) Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau. 3.2 Sprechakte im Unterricht Der deklarative Akt der Eheschließung ist nicht alltäglich, Sprechen als Handeln dagegen schon. Tatsächlich lernen wir erst im Laufe unserer Literalisierung, Sprache aus Handlungskontexten zu isolieren und strukturell „für sich“ zu betrachten (vgl. Bredel 2013: 38-59). Erst mit dem Schriftspracherwerb erkennen wir Wörter und Sätze als Einheiten, die wir äußern; erst in der Schrift löst sich Sprache von unserem unmittelbaren Handeln, und erst mit der Schrift können wir auf die Idee kommen, sie als etwas von unserem Handeln Getrenntes anzusehen, je nach sprachphilosophischer Ausrichtung etwa als eigenständiges Wesen, als Arbeit unseres Geistes oder als System von Zeichen (vgl. Busch/ Stenschke 2018: 7-12). Zunächst musste durch das Loslösen der Sprache vom Handeln also erst die Möglichkeit entstehen, die Frage, was Sprache ist, überhaupt zu stellen, bevor sich Antworten entwickeln konnten, die dann vom Instrument des Erkennens über das Werkzeug unseres Handelns wieder zum Handlungscharakter des Sprechens selbst zurückführen. Vielleicht ist die Theorie der Sprechakte deshalb unserem Sprachhandeln so naheliegend und zugleich so entfernt. In Bildungsplänen und Curricula taucht die explizite Auseinandersetzung mit Sprechakten oft erst weit fortgeschritten in der Sekundarstufe auf (z.-B. BW 2016: 90). Sprachhandlungen und auch Sprachhandlungstypen sind dagegen (fast) von Anfang an Gegenstände des Deutschunterrichts. Im Folgenden soll für zwei Themen exemplarisch dargestellt werden, wie sie sich aus der Perspektive der Sprechakttheorie darstellen. 80 3 Reden ist Handeln: Sprechakte 3.2.1 Satzarten und Sprachhandlungstypen Die traditionelle Unterscheidung der Satzarten wurde schon in Kapitel 3.1.4 erwähnt: Man kennt Aussagesätze, Aufforderungssätze und Fragesätze. Eine solche Dreiteilung wird in der Regel in der Grundschule eingeführt und verankert sich dann so gut, dass sie uns „fast naturgegeben“ erscheint (Granzow-Emden 2014: 110). Die Bildungsstandards im Fach Deutsch für den Primarbereich nennen an der Stelle des Aufforderungssatzes den Ausrufesatz (KMK 2005a: 14). Aber ob auffordern oder ausrufen: Alle diese Bezeichnungen legen nahe, die Satzarten mit Sprachhandlungen zu verbinden, und so werden sie in Sprachbüchern oft auch erklärt. Mit Aussagesätzen sagt man etwas aus, mit Fragesätzen fragt man, Aufforderungssätze dienen der Aufforderung. Wie wir weiter oben aber schon festgestellt haben, werden Satzarten eigentlich über formale Merkmale definiert: der Aufforderungssatz etwa über Verben im Imperativ, der Fragesatz unter anderem über W-Fragewörter oder Verben in Erstposition und der Aussagesatz als Normalform ohne besondere Kennzeichen. Unsere Beispiele in den Kapiteln 3.1.3 und 3.1.4 haben schon gezeigt, dass so verstandene Satzarten mit Sprachhandlungen zwar in einem typischen, aber eben nicht in einem festen und damit zuverlässigen Verhältnis stehen. Mit Fragesätzen lassen sich Aufforderungen formulieren wie in (27), Feststellungen treffen wie in (29) oder auch Vorwürfe machen wie in (30): (30) Muss es hier eigentlich immer so unordentlich sein? Und umgekehrt gibt es in der Regel mehrere Möglichkeiten, eine Sprachhandlung zu gestalten. Noch einmal fachlich formuliert: Die gleiche illokutionäre Kraft lässt sich durch unterschiedliche Lokutionen zum Ausdruck bringen, wie klassisch die verschiedenen Formulierungen der gleichen Aufforderung in (17) zeigen. Aufforderungen lassen sich jedenfalls außer in die darauf spezialisierten Aufforderungssätze (31) auch in Frage- (32) und Aussagesätze (33) kleiden: (31) Lies bitte den Text vor. (32) Würdest du bitte den Text vorlesen? (33) Max liest jetzt, und die anderen hören gut zu. Die Satzarten lassen sich also nur ungefähr und allenfalls prototypisch Sprachhandlungen zuordnen. Bei den in der Schule behaupteten drei Satzarten geht es aber, wie die Bezeichnung „Ausrufesatz“ aus den Bildungsstandards verrät, 81 3.2 Sprechakte im Unterricht auch um etwas anderes, nämlich um die Satzschlusszeichen der geschriebenen Sprache. Wenn es drei Satzschlusszeichen gibt, scheint es ja recht naheliegend, auch drei Satzarten anzunehmen: Aussagesätze, die mit einem Punkt enden, mit einem Fragezeichen gekennzeichnete Fragesätze und eine dritte Satzart für das Ausrufezeichen. Es stellt sich aber die Frage, was man sich unter einem „Ausrufesatz“ sinnvoll vorstellen kann. Jede syntaktische Struktur kann mit Nachdruck geäußert oder ausgerufen werden und Ausrufe müssen - Potzblitz! - nicht einmal Satzcharakter haben. Spezielle Satzstrukturen für Ausrufe wie in (34) bis (36) (vgl. Duden 2016: 902), sind eher Sonderfälle: (34) Was ist das hier wieder für eine Unordnung! (35) Hast du aber schön gelesen! (36) Und ob ich will! Deutlich häufiger sind dagegen Aufforderungssätze. Sie lassen sich außerdem mit ihrer besonderen Verbform in Erstposition klarer bestimmen. In Curricula und Lehrmaterial erscheinen daher Aufforderungssätze regelmäßig als dritte Satzart, während der Ausrufesatz zum Ausruf verkürzt wird (z.- B. BY 2014: 328) oder ganz verschwindet. Die Kopplung der dritten Satzart an das Ausrufezeichen führt dann dazu, dass Sprachbücher eine Regel formulieren, an die sie sich selbst nicht halten, nämlich dass nach einem Aufforderungssatz ein Ausrufezeichen zu stehen habe. Bei einer Aufgabe für das dritte Schuljahr zur Formulierung von „Chat-Regeln“ (Dorst 2007: 109) steht zum Beispiel die Anweisung: „Schreibe sie als Aufforderungssätze auf.“ Und ergänzt wird sie - ebenfalls ohne Ausrufezeichen - mit dem mahnenden Hinweis: „Denk an das Ausrufezeichen.“ Da Arbeitsanweisungen in Schulbüchern für gewöhnlich ohne Ausrufezeichen auskommen, findet sich ein solch eklatanter Widerspruch zur Sprachpraxis häufiger, wenn diese „Regel“ aufgestellt wird (vgl. Granzow- Emden 2014: 112, Bredel 2010: 267). Für den Lerngegenstand der Satzarten ist die Verbindung mit den Satzschlusszeichen daher mindestens ebenso problematisch wie die zu den Sprachhandlungen, und das Ergebnis ist in jedem Fall „ein großes Durcheinander“ (Granzow-Emden 2014: 110). Es sind die scheinbar einfachen Verknüpfungen, die die Sache hier kompliziert machen, denn die Zusammenhänge zwischen sprachlichen Merkmalen und Aussageabsichten lassen sich durchaus gewinnbringend erkunden, und zumindest für das Frage- und das Ausrufezeichen ist es sinnvoll, sie als pragmatische Signale „zur Verdeutlichung des Sprechakts“ (BW 2016: 35) zu erschließen. Das 82 3 Reden ist Handeln: Sprechakte Fragezeichen markiert dann keine Fragesätze, sondern Fragehandlungen, also Handlungen, die bei ihrem Adressaten eine Information abrufen bzw. zum Innehalten und Nachdenken auffordern sollen (vgl. Bredel 2013: 66-72, Granzow- Emden 2014: 120). So lässt sich jedenfalls erklären, warum und wann Aussagesätze wie in (37) mit einem Fragezeichen gekennzeichnet werden und warum bei sogenannten indirekten Fragen wie in (38) und (39) kein Fragezeichen steht. (37) Er räumt heute noch auf ? (38) Ich werde ihn fragen, ob er heute noch aufräumt. (39) Ich würde gerne wissen, ob du heute noch aufräumst. In (38) ist die Person, die die Information geben soll, (vermutlich) abwesend. In (39) wird in einer konventionalisierten Höflichkeitsform auf eine Fragehandlung verwiesen, an die man, vielleicht weniger höflich, aber immer noch ohne Fragezeichen, im nächsten Gesprächsbeitrag erinnern kann: (40) Ich habe dich gefragt, ob du heute noch aufräumst! Das Ausrufezeichen verleiht hier dem Geschriebenen besonderen Nachdruck und erfüllt damit seine zentrale Funktion: Unabhängig von einer bestimmten Satzart oder einer konkreten Äußerungsfunktion fordert es die Aufmerksamkeit des Lesers, hebt Wichtiges hervor („Achtung! “) und kann gerade bei Aufforderungen verdeutlichen, wie sie gemeint sind: (41) a. Komm jetzt. b. Komm jetzt! Das Ausrufezeichen ist also nicht an einen bestimmten Sprechakt gebunden, aber es kann dazu genutzt werden, Sprachhandlungen zu markieren und etwa aus einer freundlichen Bitte einen nachdrücklichen Befehl zu machen. Wichtig ist, diese Handlungsfunktion des Ausrufezeichens in den Mittelpunkt der schulischen Betrachtung zu stellen (vgl. Laser/ Riegler 2015). Das Grundproblem beim schulischen Umgang mit Sätzen ist, dass sich im Satzbegriff verschiedene Ebenen überlagern. Es geht bei Sätzen mindestens um graphematische, semantische, pragmatische und im engeren Sinne syntaktische Einheiten (vgl. Brinker 2005: 22-27). Als graphematische oder schriftsprachliche Einheiten sind Sätze durch Interpunktion gekennzeichnet. Nach einem Satzschlusszeichen beginnt ein neuer Satz. Sätze in diesem Sinne bezeichnet man auch als Segmente. Semantisch sind Sätze inhaltliche Einheiten aus Satzgegen- 83 3.2 Sprechakte im Unterricht stand und Satzaussage: Etwas wird über etwas gesagt. Sätze in diesem Sinne sind Propositionen, und hier sind wir tatsächlich wieder ganz in der Nähe von Searles propositionalem Akt, der, so können wir an dieser Stelle ergänzen, von Searle noch in die Teilakte der Referenz (≈ Satzgegenstand) und der Prädikation (≈ Satzaussage) unterteilt wird (1969/ 1971: 40). Pragmatisch geht es - natürlich - um Sprechakte, um identifizierbare und abgrenzbare Handlungseinheiten. Und syntaktisch sind Sätze Einheiten, die von einem strukturellen Kern, in der Regel dem Prädikatsverb, bestimmt werden. Greifen wir zur Illustration der verschiedenen Ebenen noch einmal auf ein Beispiel aus dem zweiten Kapitel zurück. (42) Wir haben keine Milch mehr, und die Geschäfte machen bald zu. Hier haben wir ein graphematisches Segment, gekennzeichnet durch Großschreibung am Anfang und einen Punkt am Ende. Wir haben aber zwei Aussageeinheiten, eine zu wir („haben keine Milch mehr“) und eine zu den Geschäften („machen bald zu“), also zwei Propositionen. Pragmatisch würde die Äußerung vermutlich wieder als eine Einheit verstanden. Ob als Aufforderung, Vorwurf oder Angebot hängt von der Interpretation in einer tatsächlichen Interaktion ab ( → -Kap. 2.1.3). Syntaktisch haben wir mit den beiden Verben haben und zumachen zwei strukturelle Kerne und damit zwei Einheiten. Was auf der einen Ebene eine Einheit ist, kann also auf einer anderen Ebene aus zwei Einheiten bestehen oder auch gar nicht den Rang einer Einheit erreichen. Wörter wie ja, nein, danke oder bitte werden gelegentlich auch als Satzäquivalente bezeichnet oder als „satzwertig“ angesehen (vgl. z.- B. Duden 2016: 609). Sie können alleine eine sprachliche Handlung vollziehen, bilden aber weder syntaktische Strukturen, noch stellen sie Propositionen dar. In der Schriftsprache können sie dagegen als abgeschlossene Segmente erscheinen. (Oder? Ja. Klar doch! ) Die Segmente der Schriftsprache scheinen den anderen Ebenen nachgeordnet und semantische, pragmatische oder syntaktische Einheiten lediglich im Medium der Schrift abzubilden. Sie sind aber für die Entwicklung des Satzbegriffs prägend, denn dass es Sätze gibt, wird uns in der Regel zum ersten Mal bewusst, wenn es darum geht, am Ende eines Satzes einen Punkt zu setzen, also in der Schrift. In der Schule bleibt dann der Satz als schriftsprachliche Einheit von besonderem Interesse, mit der Großschreibung am Satzanfang und den Satzzeichen als zentralen Elementen der Orthografie. Merkmale des gesprochenen Satzes spielen dagegen kaum eine Rolle, weswegen wir den Satz als phonetische Einheit hier auch bisher ignorieren konnten. Vor allem tut 84 3 Reden ist Handeln: Sprechakte man gerne so, als sei das alles im Wesentlichen das Gleiche: gesprochene und geschriebene, semantische, pragmatische und syntaktische Einheiten. Dann sollen nicht weiter differenzierte „Fragen“ mit Fragezeichen geschrieben (was für indirekte Fragen nicht zutrifft) und mit steigendem Ton gesprochen (was für W-Fragesätze häufig nicht stimmt) werden. Das Ausrufezeichen als schriftliche Markierung wird eher locker an syntaktische Strukturen und eher fester, aber wenig hilfreich an Aussprache („was du mit Nachdruck sprechen kannst“), unspezifisch ans Ausrufen oder falsch ans Auffordern gebunden. Die syntaktische Analyse bezieht sich dagegen weder auf Segmente noch auf Handlungseinheiten, sondern auf möglichst vollständige und einfache Struktureinheiten, die aber häufig als semantische Einheiten verkleidet werden: Wer tut wem was? Für eine sinnvolle Behandlung der Satzarten, eigentlich für ein grundsätzliches Erkunden von Zusammenhängen zwischen Äußerungsform und Handlungsfunktion, sind die verschiedenen Ebenen zu trennen, in jedem Fall Satzformen, Satzfunktionen und Satzzeichen (vgl. Granzow-Emden 2014: 114-121). Satzformen werden dabei an formalen Merkmalen festgemacht. Nach der Verbposition lassen sich Verberst-, Verbzweit- und Verbletztsatz unterscheiden. Weitere formale Merkmale wie W-Fragewörter, die bestimmte Verbzweit- und Verbletztsätze einleiten, oder „besondere“ Verbformen wie lies oder wärest lassen sich hinzuziehen. Als Satzfunktionen lassen sich die Handlungen bestimmen, die in einem konkreten Kontext mit Sätzen vollzogen werden (also ihre Illokutionen). Die Satzzeichen verdeutlichen in der Schriftsprache die syntaktische Gliederung und grenzen Segmente voneinander ab. Von den Handlungen ausgehend, die man mit Sätzen vollzieht oder auslöst, lassen sich dann formale Merkmale untersuchen (vgl. Laser/ Riegler 2012). Zum Beispiel lassen sich Fragen für ein Interview sammeln. Einige Fragen lassen sich mit Ja oder Nein beantworten, andere nicht - aber wie unterscheiden sich die Ja/ Nein-Fragen von den anderen? Wenn ich jemanden dazu bringen möchte, etwas zu tun: Wie kann ich mich ausdrücken? Worin unterscheiden sich die verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten - und wann brauche ich eine besondere Verbform wie lies oder nimm? Der Erkenntnisweg geht so vom Verstehen der Illokution zu den illokutionären Indikatoren. Zu diesen gehören dann auch die Satzschlusszeichen - wobei der entscheidende Schritt im Schriftspracherwerb ist, dass Punkte gesetzt, also die Segmente überhaupt voneinander abgegrenzt werden. Die Funktion von Frage- und Ausrufezeichen als besonderen Markierungen wird auf dieser Grundlage meist intuitiv erschlossen - was das Ausrufezeichen betrifft, stimmiger und sinniger als Sprachbuchregeln es vorgeben. 85 3.2 Sprechakte im Unterricht 3.2.2 Sprechakttypen und Textsorten Textsorten wurden schon in Kapitel 2.2.2 als „konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen“ (Brinker 2005: 144) vorgestellt. Geht man von Alltagsbezeichnungen aus, gibt es davon eine schier unüberschaubare Anzahl. Bereits im Rechtschreibduden von 1973 wurden über 1.600 solcher Textsortenbezeichnungen gezählt (ebd.: 141), von der Abhandlung über das Kondolenzschreiben bis zur Zollerklärung, und es dürften im letzten halben Jahrhundert nicht weniger geworden sein. Kurznachrichten, Forenkommentare oder Artikelbeschreibungen bei Online-Verkäufen zeigen, dass sich Schreibformen und Schreibanforderungen im Laufe der Zeit wandeln. Das Gleiche gilt für die Relevanz bestimmter Textsorten im Laufe einer Biographie. Wenn man zum ersten Mal einen Einspruch gegen einen Steuerbescheid, ein Testament oder auch einen ausführlichen Unterrichtsentwurf verfasst, hat man die Schulzeit in der Regel schon lange hinter sich gelassen. Die Schule kann also bei der Behandlung von Textsorten keine Vollständigkeit anstreben, sondern soll die Grundlagen schaffen für möglichst vielfältiges und variables Schreiben. Zentrale Aufgabe der Schreibdidaktik war es daher schon immer, die Vielfalt der Schreibanlässe und Textsorten so zu reduzieren, dass sich im schulischen Schreiben Basis- und Kernfertigkeiten entwickeln können. Traditionell führte dies zur Entwicklung der bekannten schulischen Aufsatzarten. Aus ‚subjektiven‘ und ‚objektiven‘ Schreibhaltungen gegenüber ‚Vorgängen‘ und ‚Zuständen‘ ließ sich ein Schema mit den vier Grundformen Erzählung, Bericht, Schilderung und Beschreibung begründen. Hinzu kam die Erörterung, in der Subjektives, Objektives, Vorgängliches und Zuständliches zusammengeführt wurde (vgl. Steinig/ Huneke 2015: 128 ff.). Der Problem- oder Besinnungsaufsatz wurde so zur Krönung des schulischen Schreibens, und auch für die anderen Grundformen entstanden Mustertextsorten, an denen sie erlernt und geübt werden sollten - oder sollen, denn Bildergeschichten, Bildbeschreibungen oder Erlebniserzählungen kennt man heute noch aus der Schule. Dass man viele dieser Mustertextsorten nur aus der Schule kennt, spricht zwar allein noch nicht gegen sie. Ihre unhinterfragte Überlieferung verleitet aber zur Vermittlung mit Regeln und Rezepten („So schreibst du-…“). Die wiederum verleiten zur Reproduktion der Muster und führen damit gerade nicht zur situationsangemessenen und adressatengerechten Textgestaltung (vgl. Fix 2008: 91 f.). Hinzu kommt, dass diese Texte weder mit außerschulischen Schreibinteressen und Schreibanlässen (ebd.: 87 ff.) noch mit realen schulischen Anforderungen an das Schreiben in 86 3 Reden ist Handeln: Sprechakte nennenswerter Verbindung stehen. „Echte“ schulische Textsorten wie Hefteinträge, Zusammenfassungen, Versuchsanleitungen, oder Notizen für Präsentationen werden häufiger außerhalb des Deutschunterrichts vorausgesetzt als im Deutschunterricht behandelt. Um Schreibfertigkeiten umfassend, ausgewogen und praxisrelevant zu entwickeln, beginnt man schon ab den 1970er Jahren, sich von den kanonisierten Aufsatzformen zu lösen und den Blick auf Grundfunktionen und Kommunikationsziele des Schreibens zu richten (Steinig/ Huneke 2015: 130). Hier kommen dann Modelle aus der Pragmatik ins Spiel, etwa das Organon-Modell von Karl Bühler, das wir bisher noch nicht explizit erwähnt haben. Es wurde schon 1934 veröffentlicht und macht Bühler im Rückblick nicht nur zum Vorläufer der Sprechakttheorie, sondern erweist sich auch als Urmodell für die Beschreibung und Klassifikation von Textfunktionen (vgl. Brinker 2005: 107). Bühler betrachtet Sprache im Anschluss an Platon als Werkzeug (gr. órganon), mit dem kommunikative Handlungen vollzogen werden. In diesen Handlungen sind drei Komponenten verbunden: 1. jemand, der sich äußert 2. jemand, an den die Äußerung gerichtet ist 3. etwas, worum es in der Äußerung geht Oder vereinfacht: 1. Sender, 2. Empfänger, 3. Gegenstände und Sachverhalte - ganz ähnlich wie im Kommunikationsmodell Schulz von Thuns, für das Bühler ebenfalls Pate stand (s. Kap. 2.1.3). Aus den drei Komponenten ergeben sich die drei Grundfunktionen der sprachlichen Äußerung: Im Hinblick auf den Sender drückt sie etwas aus, im Hinblick auf die Gegenstände und Sachverhalte stellt sie etwas dar, und vom Empfänger will sie etwas und fungiert als Appell. Nehmen wir als Beispiel einen Gast, der gegenüber einem Barkeeper (43) äußert. (43) „Zwei Bier! “ Die drei Grundfunktionen der sprachlichen Äußerung lassen sich dann so umschreiben: ▶ Ausdrucksfunktion: Der Sender hat Durst und ist in Begleitung - oder er hat großen Durst. ▶ Darstellungsfunktion: Die Äußerung bezieht sich außersprachlich auf zwei schäumende alkoholische Getränke als Gegenstände der Kommunikation. 87 3.2 Sprechakte im Unterricht ▶ Appellfunktion: Der Empfänger möge die Getränke bringen. Sprachliche Äußerungen haben üblicherweise alle drei Funktionen, aber in unterschiedlicher Gewichtung. Textsorten als komplexe sprachliche Äußerungen lassen sich nach einem Vorschlag von Steinig und Huneke (2022) so in einem Dreieck mit den Polen Ausdruck, Darstellung und Appell verorten. Abb. 2: Textsortenfunktionen nach Steinig/ Huneke (2022: 143) Da es sehr unterschiedliche Nachrichten, Briefe, Gedichte und E-Mails gibt, ist in dieser Grafik eigentlich für jede Textsorte eine Wolke mit unscharfen Rändern zu denken, und auch da ließe sich sicherlich über die ein oder andere Positionierung streiten. Aber es geht hier weniger um die korrekte Verortung bestimmter Textsorten als um ein Reflexionsinstrument, das zum einen eingesetzt werden kann, um sich die Handlungsfunktion einer Textsorte mit ihren verschiedenen Komponenten zu verdeutlichen und zum anderen beim Ausbalancieren der Schreibaufgaben und Schreibanforderungen helfen kann. Hier ist im schulischen Schreiben nämlich die rechte Seite des Dreiecks häufig unterrepräsentiert. Komplexer wird es, wenn man im Anschluss an Searle fünf textuelle Grundfunktionen annimmt. Zunächst lassen sich die in Kapitel 3.1.6 vorgestellten 88 3 Reden ist Handeln: Sprechakte Illokutionstypen den Grundfunktionen nach Bühler zuordnen. Die Assertive landen dann bei der Darstellung, Kommissive und Expressive beim Ausdruck und Direktive beim Appell. Deklarationen können als Sonderfall dem Ausdruck, der Darstellung oder dem Appell zugerechnet werden, je nachdem, ob man sich zum Wahlsieger erklärt, eine Republik ausruft oder einen Minister ernennt, also Wörter und Welt im Hinblick auf den Sender, die Sachverhalte oder den Empfänger in Übereinstimmung bringt. Legt man nun mit Klaus Brinker die Art des kommunikativen Kontakts, die ein Sender einem Empfänger gegenüber mit einem Text zum Ausdruck bringt, als einheitliches Klassifikationskriterium zu Grunde, ergeben sich die folgenden textuellen Grundfunktionen (Brinker 2015: 112-130): ▶ Informationsfunktion: Der Sender informiert den Empfänger über einen Sachverhalt, z.-B. in einer Nachricht oder einem Gutachten. ▶ Appellfunktion: Der Sender fordert den Empfänger auf, eine Einstellung einzunehmen oder eine Handlung zu vollziehen, z.- B. in einem Kommentar, einer Werbeanzeige oder einer Gebrauchsanleitung. ▶ Obligationsfunktion: Der Sender verpflichtet sich dem Empfänger gegenüber, eine Handlung vorzunehmen, z.-B. in einem Angebot oder einem Vertrag. ▶ Kontaktfunktion: Der Sender signalisiert dem Empfänger die Herstellung, Fortführung oder auch den Abbruch des persönlichen Kontakts, z.-B. in einer Danksagung oder einem Trennungsbrief. ▶ Deklarationsfunktion: Der Sender zeigt dem Empfänger, dass mit dem Text ein neuer Sachverhalt geschaffen wird, z.- B. in einem Testament oder einer Ernennungsurkunde. Nicht immer lassen sich die Grundfunktionen in Reinform zuordnen, weder spezifischen Textsorten noch gar einzelnen Texten. Aber in der Regel gibt es eine dominierende Funktion, die den Kommunikationsmodus und damit auch die Rezeptionshaltung bestimmt (vgl. ebd.: 88 f.). Ausgehend von den Funktionen lassen sich dann bestimmte Muster der Themenbehandlung - z.-B. deskriptiv, narrativ oder argumentativ - ebenso erfassen und erklären wie bestimmte sprachliche Merkmale, die für eine Textsorte typisch sind. Es geht um die Verbindung der Textfunktion mit den Textmerkmalen, die wir in Kapitel 2.2.2 exemplarisch für Märchen und Kochrezepte dargestellt haben. Kochrezepte teilen dem Rezipienten mit, welche Handlungen er vollziehen soll. In ihnen ist also die Appellfunktion dominant. Beim Märchen fällt es schwerer, sich für 89 Aufgaben eine der genannten fünf Grundfunktionen zu entscheiden: ein Hinweis, dass die Aufzählung nicht so abschließend ist, wie es die Herleitung über Bühler und Searle suggeriert - oder so nicht abgeschlossen sein sollte. Tatsächlich ist diese Klassifikation auf Gebrauchs- oder Sachtexte fokussiert. Um literarische Texte zu erfassen, ist noch eine Unterhaltungs- oder ästhetische Funktion zu ergänzen (ebd.: 113). Zudem richtet sich nicht alles Schreiben an einen externen Empfänger und ist daher im eigentlichen Sinne kommunikativ. Man schreibt auch, um das Gedächtnis zu entlasten, einen Sachverhalt besser zu durchdringen oder sich über sein Selbstverständnis klar zu werden. Zur Vielfalt der Schreibfunktionen gehören daher auch das memorativ-konservierende, das epistemische (erkenntnisgewinnende) und das reflexive Schreiben (Merz-Grötsch 2010: 12-17). Die schreibdidaktisch sinnvollen Grundfunktionen lassen sich also nicht einfach aus den Illokutionstypen der Sprechakttheorie ableiten und auch eine Zuordnung von Textsorten zu diesen Typen verspricht wenig Gewinn. Es ist vielmehr die Grundidee, nach der Funktion von Texten zu fragen und Funktionstypen zu unterscheiden, in der die Sprechakttheorie wirkt; zu fragen, was mit Texten gemacht werden soll und wie es entsprechend erfolgreich gemacht werden kann. How to do things with words lautet der Originaltitel des Werkes, mit dem Austin die Sprechakttheorie begründete. Wenn mit Texten etwas gemacht werden soll, wenn in Bildungsplänen und Curricula etwa vom Informieren, Argumentieren und Appellieren, vom expressiven und explorativen (entdeckenden) Schreiben die Rede ist (vgl. BW 2016: 14 f.), ist das ein Musterbeispiel für die Diffusion der Pragmatik in den Deutschunterricht ( → -Kap.-1.3.1). Aufgaben 1. * Unten finden Sie Gelingensbedingungen für den Sprechakt der Aufforderung (nach Searle 1971: 88-95 u. 100). Überlegen Sie sich Situationen, in denen jeweils gegen eine dieser Bedingungen verstoßen wird und damit der intendierte Sprechakt nicht zustande kommt. ▶ Die Forderung des Sprechers muss sich auf eine zukünftige Handlung des Adressaten beziehen. ▶ Der Adressat muss in der Lage sein, die vom Sprecher geforderte Handlung auszuführen. ▶ Die Situation muss so sein, dass der Adressat die vom Sprecher geforderte Handlung nicht ohnehin ausgeführt hätte. 90 3 Reden ist Handeln: Sprechakte ▶ Der Sprecher muss tatsächlich wollen, dass der Adressat die geforderte Handlung ausführt. ▶ Der Sprecher muss seine Äußerung so gestalten, dass sie als Versuch gelten kann, den Adressaten tatsächlich zu der geforderten Handlung zu bewegen (d.-h. dass seine Absicht erkennbar ist). 2. * Mit dem formal gleichen Satz lassen sich verschiedene Sprachhandlungen ausführen oder anders gesagt: die gleiche Lokution kann verschiedene illokutionäre Kräfte haben. Umgekehrt kann die gleiche illokutionäre Kraft durch unterschiedliche Lokutionen ausgedrückt werden. a. Überlegen Sie anhand des Beispielsatzes aus Kapitel 1: „Ich mag deinen Hasen.“, welche verschiedenen Handlungen mit Äußerungen dieses Satzes vollzogen werden können. b. Sie sind zum Essen eingeladen, und der Hasenbraten ist schlecht gewürzt. Wie können Sie sich äußern, um ans Salz zu kommen? Überlegen Sie mindestens vier verschiedene Möglichkeiten. Geben Sie dabei auch an, ob es sich um einen direkten oder einen indirekten Sprechakt handelt. 3. Erklären Sie die Funktion des Ausrufezeichens pragmatisch. Verwenden Sie dabei die folgenden Fachbegriffe aus dem Kapitel: Satzart - Illokutionärer Indikator - Sprechakttyp - Segment - Aufmerksamkeit. 4. Textsorten wurden nun schon mehrfach als „konventionell geltende Muster für komplexe sprachliche Handlungen“ bezeichnet. Wenden Sie diese Definition auf die Textsorte „Ausführlicher Unterrichtsentwurf “ an. Welche komplexe Handlung wird hier vollzogen und wie schlägt sich das in Eigenschaften der Textsorte nieder? 91 Aufgaben 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Wie wir insbesondere in Kapitel 3 gesehen haben, nutzen Menschen Sprache, um unterschiedlichste Intentionen zu verwirklichen. Dabei ist der Zusammenhang zwischen dem, was sie sagen und dem, was sie wollen, mehr oder weniger eng. Sehr häufig kommt es in der zwischenmenschlichen Kommunikation vor, dass Sprecher/ Adressaten mehr oder auch etwas anderes meinen und verstehen, als wort-wörtlich gesagt wurde. Nehmen wir z.-B. folgende Situation: Eine Mutter gibt ihrem Kind zwei Aufgaben. Es soll den Geschirrspüler ausräumen und den Müll entsorgen, während sie einkaufen geht. Als sie zurückkommt, kommt es zu folgendem Dialog: (1) Mutter: Hast du deine Aufgaben erledigt? Kind: Ich habe den Geschirrspüler ausgeräumt. Aus der Antwort des Kindes lässt sich nicht nur entnehmen, dass es den Geschirrspüler ausgeräumt hat, sondern auch, dass es den Müll nicht entsorgt hat. Die Frage ist, wie das möglich ist, wenn das Kind in seiner Antwort doch den Müll gar nicht erwähnt hat. Betrachten wir noch ein weiteres Beispiel: (2) Leo kommt mit einem alten, klapprigen Fahrrad zur Schule gefahren. Sein Freund Max begrüßt ihn mit: „Ein tolles Fahrrad hast du da! “ Hier liegt es nahe, anzunehmen, dass Max mit seiner Äußerung ausdrücken wollte, dass er das Fahrrad alles andere als toll findet. Auch hier stellt sich die Frage, wie wir derartige Sprecherintentionen verstehen, wenn sie doch offenkundig von dem abweichen, was der Sprecher tatsächlich sagt. Wir (oder eigentlich die Mutter und Leo) verstehen in (1) und (2) etwas mit, was nicht ausgesprochen wird, und dieses Verstehen geschieht nicht etwa zufällig und beliebig, sondern in hohem Maße erwartbar. Noch selbstverständlicher ist das Mitverstehen in Äußerungen wie: (3) Katja hat aufgehört zu rauchen. Diese Aussage ist nur dann sinnvoll, wenn Katja in der Vergangenheit tatsächlich geraucht hat. Nun lässt sich wohl erahnen, dass dieser Fall etwas anders 92 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen gelagert ist als das Verstehen des Unausgesprochenen in (1) und (2). In (3) scheint das Mitgemeinte mehr „in der Sprache drin“ zu sein. Mit dem Satz in (2) Ein tolles Fahrrad hast du da! kann man sich tatsächlich auch lobend über ein Fahrrad äußern. Mit aufhören zu rauchen kann man sich dagegen nicht sinnvoll auf jemanden beziehen, der nie geraucht hat. Und auch bei Negationen gibt es Unterschiede: Während der unausgesprochene Bedeutungsaspekt ‚Katja hat einmal geraucht‘ auch dann erhalten bleibt, wenn man den Satz in (3) negiert (vgl. 4), ist das beim Mitgemeinten von (1) „Das Kind hat den Müll nicht entsorgt.“ nicht der Fall (vgl. 5). (4) Katja hat nicht aufgehört zu rauchen. Wir verstehen immer noch: Katja hat in der Vergangenheit geraucht. (5) Mutter: Hast du deine Aufgaben erledigt? Kind: Ich habe den Geschirrspüler nicht ausgeräumt. Wir verstehen jetzt: Das Kind hat den Müll entsorgt, also das genaue Gegenteil von dem, was wir in (1) mitverstehen. Tatsächlich handelt es sich bei den in (1) und (2) mitverstandenen Bedeutungsaspekten um Phänomene, die der britische Sprachphilosoph H. Paul Grice als konversationelle Implikaturen bezeichnet und erklärt hat und die wir uns in Kapitel 4.1 ansehen. In (3) handelt es sich dagegen um eine sogenannte Präsupposition: etwas, das mit dem Gesagten vorausgesetzt wird und das in Kapitel 4.2 behandelt wird. Wie wir im Laufe dieses Kapitels sehen werden, bergen gerade die unausgesprochenen Bedeutungsaspekte von Äußerungen ein großes Potenzial für Missverständnisse. Das hat nicht zuletzt etwas damit zu tun, dass für das Kommunizieren bzw. Verstehen des nicht Ausgesprochenen die Berücksichtigung der Person und die Einschätzung des Wissensstandes des Kommunikationspartners eine wichtige Rolle spielen. Umso mehr lohnt sich die bewusste Auseinandersetzung mit diesen Bedeutungsaspekten, um das Gelingen und Misslingen von Kommunikation - auch in der Schule - in den Blick zu nehmen ( → -Kap. 4.3). 93 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen Das Kind, das sagt, es habe den Geschirrspüler ausgeräumt, gibt damit zu verstehen, dass es den Müll nicht entsorgt hat und kann davon ausgehen, dass die Mutter das Gesagte auch entsprechend versteht. Leo darf vermuten, dass Max das klapprige Fahrrad nicht nur nicht bewundert, sondern ihn auch noch damit aufziehen will. Max sagt also nicht nur das genaue Gegenteil von dem, was er meint, sondern tut es auch noch so, dass Leo es bemerkt. Das sind ganz alltägliche Beispiele, und dass es einen Unterschied gibt zwischen dem, was - streng genommen - gesagt wird, und dem, was das Gesagte nahelegt, andeutet, suggeriert oder einschließt, gehört so zu unserer normalen Kommunikation, dass wir es oft gar nicht bemerken. Wir ziehen rasch und einigermaßen sicher unsere Schlüsse auf das, was gemeint ist. Allerdings funktionieren diese Schlüsse offenkundig anders, als Schlüsse in der formalen Logik wie der folgende: Alle Menschen sind sterblich. Alle Griechen sind Menschen. → Alle Griechen sind sterblich. In der Logik gibt es keinen Unterschied zwischen Gesagtem und Gemeinten, und es darf ihn auch nicht geben. Logische Aussagen sind eindeutig und klar, denn nur so lassen sich komplexe Aussagensysteme auf wenige grundlegende Formeln zurückführen: Wenn die ersten beiden Sätze wahr sind, ist notwendig auch der dritte Satz wahr, und der Schluss ist entsprechend gültig. Vergleichen wir dies mit dem Schluss in unserem ersten Beispiel: (1) Mutter: Hast du deine Aufgaben erledigt? Kind: Ich habe den Geschirrspüler nicht ausgeräumt. → Das Kind hat den Müll nicht entsorgt. Das Kind wird nach zwei Aufgaben gefragt und behauptet, eine der Aufgaben erledigt zu haben. Über das Erledigen der zweiten Aufgabe ist damit eigentlich nichts gesagt. Die mag erledigt sein oder nicht. Die Proposition der mütterlichen Frage ( → -Kap. 3.1.3) - ‚Das Kind hat seine Aufgaben erledigt.‘ - könnte sich, nur vom Gesagten ausgehend, als wahr oder unwahr erweisen. Dennoch ziehen wir - mit der Mutter - unseren Schluss und brauchen die Alternative, dass auch der Müll entsorgt wurde und die Aufgaben somit erledigt sind, wohl gar nicht zu erwägen. In der Fortsetzung der Szene können wir mit dem Kind schließen, dass in (1a) sogar das Gegenteil des Gesagten zutrifft. 94 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen (1a) Mutter: Schön, dass ich mich so auf dich verlassen kann! → Die Mutter findet nicht, dass sie sich auf das Kind verlassen kann. Äußerungen und Schlüsse in unseren normalen Gesprächen unterscheiden sich also ganz erheblich von Aussagen und Schlüssen in der philosophischen Logik. Dieser Unterschied ist so offensichtlich und frappierend, dass man sogar überlegen kann, ob es angemessen ist, für beide Fälle das gleiche Wort ‚Schluss‘ zu benutzen. Oder sich fragen möchte, warum hier wieder solch Aufhebens um das Selbstverständliche gemacht wird ( → -Kap. 2.2.1). Der Vergleich von Logik und Gesprächen ist (ungefähr) der Ausgangspunkt für die Überlegungen, die H. Paul Grice in seinem folgenreichen Beitrag „Logic and Conversation“ (1975; dt. 1979: „Logik und Konversation“) anstellt. Genauer gesagt ist es bei Grice der Vergleich von logischen Operatoren wie ^, -, A , also Elementen der formalen Sprache, und Wörtern wie und, nicht, alle als ihren Entsprechungen in der natürlichen Sprache. Nach Grice (vgl. 1979: 243 ff.) ist es allgemeiner und nur von Sonderlingen bezweifelter Konsens, dass natürliche Sprachen und natürliches Sprechen anderen Regeln und Gesetzen folgen als logische Schlussfolgerungen. Uneinigkeit gebe es eigentlich nur in der Bewertung dieser Unterschiede. Die einen, von Grice Formalisten genannt, sehen natürliche Sprachen als defizitär an und formale Sprachen als überlegen, eben weil diese exakt sind und sich aus wenigen allgemeinen Formeln zahlreiche weitere Formeln entwickeln lassen. Die anderen, die Informalisten, weisen darauf hin, dass natürliche Sprachen andere und komplexere Funktionen haben als formale Sprachen und daher auch mit einer anderen, komplexeren Logik zu ihren Schlüssen kommen. Nun könnte man allerdings die Formalisten fragen: Wenn natürliche Sprachen grundsätzlich defizitär und nicht adäquat sind, warum sind sie dann im Allgemeinen so erfolgreich? Warum kann man sich überhaupt mit ihnen verständigen? Die Informalisten müssten wiederum erklären, warum Verständigung in natürlichen Sprachen so vorhersehbar und zuverlässig funktioniert, wenn ihre Regeln doch so anders und viel komplexer sein sollen als die der „einfachen“ Logik. Grice jedenfalls stellt sich etwas überraschend gegen beide von ihm konstruierte Gruppen und stellt fest, dass sie beide unrecht haben: Die Annahme eines Wesensunterschieds zwischen Logik und Konversation sei „ein gemeinsamer Fehler […], der daher rührt, daß dem Wesen und der Wichtigkeit derjenigen Bedingungen nicht hinreichend Beachtung geschenkt wird, 95 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen die Konversation regeln“ (1979: 245). Was wir - mit Grice - in den folgenden Abschnitten tun werden. Die grundlegendste Annahme ist dabei, dass es sich bei zwischenmenschlicher Kommunikation um ein kooperatives Unterfangen handelt, bei dem sich die Teilnehmer an bestimmten Richtlinien bzw. Maximen orientieren ( → -Kap.-4.1.1). Die Annahme einer derartigen Orientierung ermöglicht es dann auch zu erklären, wie es dazu kommt, dass man manchmal mehr oder etwas anderes versteht als ein Sprecher explizit gesagt hat. Dieses „mehr oder etwas anderes“ heißt bei Grice Implikatur und mit deren spezifischen Eigenschaften beschäftigt sich Kapitel 4.1.2. In Kapitel 4.1.3 werfen wir schließlich einen Blick auf die Unterscheidung von Gesagtem und Gemeintem. 4.1.1 Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen Wer sich unterhält, tut das in der Regel nicht allein. Gespräche sind, mit einer Formulierung, die wir schon in Kapitel 2.2.1 zitiert haben, etwas „Gemeinsames im Wechsel“ (Henne/ Rehbock 2001: 8), und wie Grice feststellt, bestehen sie „normalerweise nicht aus einer Abfolge unzusammenhängender Bemerkungen“, sondern sind, „wenigstens bis zu einem gewissen Maß, kooperative Bemühungen“ (1979: 248). Wir beziehen uns aufeinander und haben nicht notwendig übereinstimmende, aber doch weitgehend kompatible Vorstellungen davon, warum und worüber wir uns unterhalten und welche Richtung ein Gespräch nimmt. Grice leitet daraus ab, dass der zwischenmenschlichen Kommunikation - sei sie nun verbal oder auch nicht - ein allgemeines Prinzip der Kooperation zugrunde liegt, „dessen Beachtung […] von allen Teilnehmern erwartet wird“ (1979: 248): das Kooperationsprinzip, das Grice wie folgt formuliert: Mache deinen Gesprächsbeitrag jeweils so, wie es von dem akzeptierten Zweck oder der akzeptierten Richtung des Gesprächs, an dem du teilnimmst, gerade verlangt wird. Make your conversational contribution such as is required, at the stage at which it occurs, by the accepted purpose or direction of the talk exchange in which you are engaged. 12 12 Es gibt in der deutschsprachigen Grice-Rezeption eine Reihe von Übersetzungsversuchen für die zentralen Gedanken des britischen Philosophen (s. z.-B. Meibauer 2001: 25, Finkbeiner 2015: 23). Wir folgen bei Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen der deutschen Erstveröffentlichung (1979: 248 ff.) und fügen jeweils den Originaltext bei (Grice 1975: 45 ff.). 96 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Auf der Grundlage dieses Prinzips folgt unser kommunikatives Handeln gewissen Grundsätzen, die Grice als Konversationsmaximen bezeichnet. In vier grundlegenden Kategorien - Quantität, Qualität, Relation und Modalität -, die Kants Kritik der reinen Vernunft entnommen sind, nennt er die folgenden: Konversationsmaximen nach Grice Maximen der Quantität 1. Mache deinen Gesprächsbeitrag so informativ wie (für die gegebenen Gesprächszwecke) nötig. Make your contribution as informative as is required (for the current purposes of the exchange). 2. Mache deinen Gesprächsbeitrag nicht informativer als nötig. Do not make your contribution more informative than is required. Maximen der Qualität Versuche Deinen Beitrag so zu machen, dass er wahr ist. Try to make your contribution one that is true. 1. Sage nichts, was du für falsch hältst. Do not say what you believe to be false. 2. Sage nichts, wofür dir angemessene Gründe fehlen. Do not say that for which you lack adequate evidence. Maxime der Relation Sei relevant. Be relevant. Maximen der Modalität Sei klar. Be perspicious. 1. Vermeide Dunkelheit des Ausdrucks. Avoid obscurity of expression. 2. Vermeide Mehrdeutigkeit. Avoid ambiguity. 3. Sei kurz (vermeide unnötige Weitschweifigkeit). Be brief (avoid unnecessary prolixity). 4. Der Reihe nach! Be orderly. Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen sind nicht als Regeln zu verstehen, die wir bewusst befolgen müssten, um gravierende Kommunikationsprobleme zu vermeiden. Das Kooperationsprinzip ist viel grundlegender: 97 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen Solange wir kommunizieren, kooperieren wir auf eine spezifische Art und Weise. Daher leitet uns das Prinzip bei der Interpretation kommunikativer (sprachlicher) Handlungen. Wenn es keine gegenteiligen Hinweise im Verhalten des Gegenübers gibt, wird man bei einer zwischenmenschlichen Interaktion üblicherweise davon ausgehen, dass das Kooperationsprinzip beachtet wird. Auf dieser Grundlage funktionieren dann die spezifischeren Konversationsmaximen. Werden sie befolgt, führen sie zu Ergebnissen, die im Allgemeinen „im Einklang mit dem Kooperationsprinzip stehen“ (Grice 1979: 249). Werden sie (scheinbar) verletzt, führt dies, unter der Annahme, dass das Kooperationsprinzip weiterhin gilt, zu besonderen und trotzdem systematischen Effekten in der Interpretation von Äußerungen. Mit Hilfe des Kooperationsprinzips und der Konversationsmaximen verstehen wir in Äußerungen auf diese Weise nicht nur, was gesagt wird, sondern auch, was das Gesagte nahelegt, andeutet, suggeriert oder - mit dem Ausdruck von Grice - implikatiert: die Implikaturen. 13 Genauer muss man noch sagen: die konversationellen Implikaturen, denn soweit sich das Angedeutete, Suggerierte oder Implikatierte auf die konventionelle Bedeutung von einzelnen verwendeten Ausdrücken zurückführen lässt, handelt es sich für Grice um eine konventionelle Implikatur (1979: 247 f.). 14 13 Grice (1975: 43 f.) verwendet die - explizit so bezeichneten - Kunstbegriffe implikatieren und Implikatur, um sich nicht für ein Mitglied der Verbfamilie andeuten, nahelegen, suggerieren, implizieren, meinen usw. entscheiden zu müssen. Wir weichen daher hier, u.-a. mit Meibauer (2001), von der deutschen Übersetzung von 1979 ab, die to implicate mit implizieren wiedergibt. Nur so lässt sich diese Art von Schlussfolgerungen auch von Implikationen unterscheiden, die sich als Ergebnisse des Implizierens rein aus den semantischen Eigenschaften einer Äußerung ableiten lassen und nicht von Konversationsmaximen bzw. kontextuellen Gegebenheiten abhängig sind. Auch sprechen wir, wie in der deutschsprachigen Grice-Rezeption üblich, im Folgenden von konversationell und konventionell statt von konversational und konventional wie in der deutschen Erstveröffentlichung (s.-u. a. Meibauer 2001, Finkbeiner 2015). 14 Grices Idee der konventionellen Implikatur soll an dieser Stelle, ähnlich wie bei Grice selbst, nur die Besonderheit der konversationellen Implikaturen verdeutlichen. Konventionelle Implikaturen werden weder auf der Grundlage eines übergeordneten pragmatischen Prinzips (also des Kooperationsprinzips) erschlossen, noch spielt der mit ihnen ausgedrückte Bedeutungsaspekt eine Rolle für den Wahrheitsgehalt einer Äußerung. Ein Beispiel für eine konventionelle Implikatur für das Deutsche ist die mit den Anredeformen du und Sie zum Ausdruck gebrachte Einschätzung der sozialen Beziehung zwischen Sprecher und Adressat. Vergleiche: Du bist meine Chefin. vs. Sie sind meine Chefin. 98 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Konversationelle Implikaturen können also aus zwei Gründen entstehen: weil die Konversationsmaximen eingehalten werden oder weil sie (scheinbar) verletzt werden. Zur Illustration schauen wir uns jeweils entsprechende Beispiele an. Das Symbol +> steht dabei für „implikatiert konversationell“. Bei den Maximen der Quantität geht es um den Informationsgehalt von Äußerungen. Werden beide Untermaximen berücksichtigt, bedeutet dies, dass ein Gesprächsteilnehmer sich bemühen wird, genau die Menge an Informationen zu geben, die der Kommunikationssituation angemessen ist. (6) Einige Kinder haben die Aufgabe lösen können. +> Nicht alle Kinder haben die Aufgabe lösen können. Die Aussage, dass einige Kinder die Aufgabe haben lösen können, schließt logisch nicht aus, dass alle Kinder die Aufgabe lösen konnten, wohl aber konversationell, wenn man annimmt, dass ein Sprecher, der (6) äußert, sich an die erste Maxime der Quantität hält und entsprechend keine relevanten Informationen zurückhält. Hätten alle Kinder die in Rede stehende Aufgabe lösen können, hätte der Sprecher dies ja sagen können, indem er einen stärkeren Ausdruck als einige (z.-B. alle) wählt. Da er dies nicht getan hat, ist konversationell implikatiert, dass nicht alle Kinder die Aufgabe lösen konnten. Wir können davon ausgehen, dass einige in diesem Fall der informativste Ausdruck war, den der Sprecher wählen konnte. Derartige Implikaturen, die auf einer Skala von zwei oder mehr Ausdrücken beruhen, werden auch skalare Implikaturen genannt. In diesem Fall bilden die Ausdrücke einige und alle die Skala <alle, einige>, wobei der linksstehende Ausdruck der „stärkere“ ist und der rechtsstehende der schwächere. Skalare Implikaturen ergeben sich immer dann, wenn ein Ausdruck aus einer Skala verwendet wird, der nicht der linksstehende (und damit der stärkste) ist. Verallgemeinert lässt sich das wie folgt ausdrücken: Für eine Skala <p, q> gilt, wenn ich den Ausdruck q in meiner Äußerung wähle, implikatiere ich damit „nichtp“. Andere Skalen werden z.-B. durch Gradadjektive <heiß, warm> oder auch Satzadverbien <notwendigerweise, möglicherweise> gebildet. Zur Diskussion um den Begriff der konventionellen Implikatur s. z.-B. Meibauer (2001: 37 ff.); Levinson (1983/ 2000: 127-131). 99 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen Betrachten wir als weiteres Beispiel noch einmal den Dialog in (1). (1) Mutter: Hast du deine Aufgaben erledigt? Kind: Ich habe den Geschirrspüler ausgeräumt. +> Ich habe den Müll nicht entsorgt. Dass das Kind behauptet, den Geschirrspüler ausgeräumt zu haben, schließt ja logisch nicht aus, dass es auch den Müll entsorgt hat. Nach den Maximen der Quantität ist sein Gesprächsbeitrag aber so informativ wie nötig und nicht informativer. Hätte das Kind alle Aufgaben erledigt, hätte entweder ein einfaches „Ja! “ als Antwort genügt oder das Kind hätte sagen können: „Ich habe den Geschirrspüler ausgeräumt und den Müll entsorgt.“ Unter der Maßgabe, dass die Maximen der Quantität befolgt wurden, bekommen wir mit der Mutter genau die Information, aus der wir schließen können, dass nur ein Teil der Aufgaben erledigt wurde und welcher. Vergleichen wir damit die Variation in (1’). (1’) Mutter: Hast du deine Aufgaben erledigt? Kind: Ich habe alles aus dem Geschirrspüler ausgeräumt, Messer, Gabeln und Löffel, die Teller, Tassen und Gläser auch, und alles in den Schrank geräumt. Die Plastikboxen musste ich auch noch abtrocknen, und mir eine Leiter holen, weil die ja ganz oben in den Schrank kommen. +> Ich habe den Müll nicht entsorgt. Hier bekommen wir deutlich mehr Informationen zum Ausräumen des Geschirrspülers als für die Beantwortung der Frage erforderlich wären. Zum einen können wir aus dem Überangebot an Informationen zu der einen Aufgabe schließen, dass mit der anderen wohl etwas nicht wie vorgesehen gelaufen ist. Zum anderen lassen sich aus den detaillierten (und für die Beantwortung der Frage informativ überflüssigen) Angaben zum Ausräumen des Geschirrspülers weitere Implikaturen erschließen wie: +> Ich hatte viel Mühe mit dem Ausräumen des Geschirrspülers, so dass ich den Müll nicht entsorgen konnte. +> Vorwürfe wären nicht gerechtfertigt. Alles dies geschieht natürlich unter der Voraussetzung, dass das Gesagte wahr ist oder eigentlich: für wahr gehalten wird; dass die Maximen der Qualität also als unverletzt gelten. Die Maximen der Qualität beziehen sich auf die Wahrheit des Gesagten. Wenn es in einer Äußerungssituation keine Gründe für das Gegenteil gibt, 100 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen unterstellen wir unseren Gesprächspartnern zunächst einmal, dass sie die Wahrheit sagen und dies nicht bloß zufällig tun. Für eine Äußerung wie in (7) bedeutet das dann, dass sie genau dies implikatiert. (7) A zu B (über eine gemeinsame Freundin): Mara ist letztes Wochenende umgezogen. +> A ist der Auffassung, dass Mara letztes Wochenende umgezogen ist und hat angemessene Beweise dafür. Gehen wir für eine Verletzung der Qualitätsmaximen noch einmal zu Beispiel (2) zurück. (2) Leo kommt mit einem alten, klapprigen Fahrrad zur Schule gefahren. Sein Freund Max begrüßt ihn mit: „Ein tolles Fahrrad hast du da! “ +> Leo hat alles andere als ein tolles Fahrrad. In diesem Fall ist recht offensichtlich, dass Max mit seiner Äußerung gegen die erste Maxime der Qualität verstößt. Er sagt etwas, das er für falsch hält und weil es so offensichtlich ist, kann man ausschließen, dass Max versucht, zu lügen. Er darf vielmehr annehmen, dass Leo erstens den Zustand seines Fahrrades kennt und zweitens aufgrund des freundschaftlichen Verhältnisses der beiden keine Täuschungsabsicht vermuten wird. Eventuell zusammen mit weiteren Signalen (Augenzwinkern, breitem Grinsen, …) entsteht so das, was man Ironie nennt. Nimmt man Max’ Äußerung wörtlich, sagt er etwas offensichtlich Unwahres. Betrachtet man jedoch Max’ Verhalten in der gesamten Äußerungssituation, lässt sich die entsprechende Implikatur ableiten. Grice geht im Übrigen auch für andere „Redefiguren“, wie z.-B. Metapher und Hyperbel, davon aus, dass sie auf einer Verletzung der 1. Untermaxime der Qualität beruhen. Die Maxime der Relation besagt, dass der Gesprächsbeitrag, den ein Sprecher leistet, relevant in Bezug auf das aktuelle Gesprächsgeschehen sein soll. Ein klassisches Beispiel für das Zustandekommen einer konversationellen Implikatur aufgrund des Einhaltens dieser Maxime ist das folgende (vgl. Grice 1979: 255). (8) A: Mir ist das Benzin ausgegangen. B: Da vorne rechts ist eine Tankstelle. +> Die Tankstelle hat momentan gerade geöffnet und sie verkauft auch Benzin (und nicht etwa nur LKW-Diesel). Ein Beispiel für eine Verletzung dieser Maxime folgt in (9) (vgl. Grice 1979: 259). 101 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen (9) Max und Leo stehen sich vor ihrem Klassenzimmer gegenüber und unterhalten sich. Von Max nicht gesehen, nähert sich gerade ihre Englischlehrerin. Max: Findest du die neue Englischlehrerin auch so doof ? Leo: Äh, was machst du eigentlich heute Nachmittag? +> Das Thema sollten wir gerade nicht besprechen (weil die in Rede stehende Englischlehrerin sich gerade in Hörweite befindet). Oberflächlich betrachtet hat Leos Erwiderung auf Max’ Frage inhaltlich nichts mit dieser zu tun. Max wird aber davon ausgehen, dass Leo sich auch weiterhin an das Kooperationsprinzip hält, und sich daher fragen, welche Relevanz dieser Beitrag hat. Auf diese Weise kann er die vorgeschlagene Implikatur verstehen, höchstwahrscheinlich den allgemeineren Teil, dass das Thema gerade nicht besprochen werden soll, je nach konkreter Gesprächssituation auch den spezifischeren Teil, dass die Englischlehrerin in der Nähe ist. Ein Nichtverstehen der Implikatur wie in (9a) hätte jedenfalls böse Folgen. (9a) Max: Hörst du mir eigentlich nicht zu? Ich habe dich nach der doofen Englischlehrerin gefragt! Anders als die Maximen der Quantität, Qualität und Relation beziehen sich die Maximen der Modalität nicht auf den Inhalt einer Äußerung, sondern vielmehr auf deren Form. So wird ein Satz, wie der in (10) aufgrund der vierten Untermaxime (Der Reihe nach! ) normalerweise so verstanden, wie in der Implikatur angegeben. Ändert man die Reihenfolge der koordinierten Wortgruppen, ändert sich auch die Implikatur (vgl. 11). (10) Edward und Bella heirateten und bekamen ein Kind. +> Edward und Bella heirateten erst und bekamen dann ein Kind. (11) Edward und Bella bekamen ein Kind und heirateten. +> Edward und Bella bekamen erst ein Kind und heirateten dann. Auch gegen die Maxime der Modalität lässt sich absichtsvoll verstoßen um eine Implikatur als besonderen Bedeutungseffekt zu erzielen. (12) a. Fräulein X erzeugte eine Lautfolge, die in enger Übereinstimmung mit der Partitur von „Home sweet home“ stand. (Grice 1979: 261) +> Fräulein X tat etwas mit dem Stück ,Home sweet home‘, was sich nicht einfach als „singen“ beschreiben lässt. b. Fräulein X sang „Home sweet home“. 102 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Wenn ein Kritiker in seiner Beurteilung (12a) statt (12b) schreibt und man unterstellt, dass er sich an das Kooperationsprinzip hält, ist davon auszugehen, dass er die umständliche Beschreibung in (12a) gewählt hat, weil die einfache in (12b) seiner Ansicht nach für das, was Fräulein X da künstlerisch geleistet hat, nicht angemessen gewesen wäre. 4.1.2 Eigenschaften von Implikaturen Nachdem wir die den konversationellen Implikaturen zugrunde liegenden Prinzipien und Maximen betrachtet haben, wenden wir uns nun den Eigenschaften dieser Art von unausgesprochenen Bedeutungsaspekten zu. Dabei werden insbesondere drei Merkmale unterschieden (vgl. Meibauer 2001: 31 f.): 1. Rekonstruierbarkeit (calculability) 2. Kontextabhängigkeit (variability) 3. Streichbarkeit (cancellability) Rekonstruierbarkeit Grice hat dafür argumentiert, dass sich konversationelle Implikaturen prinzipiell anhand eines Schlussfolgerungsprozesses rekonstruieren lassen. Das allgemeine, etwas abstrakt anmutende Schema für die Schlussfolgerung einer konversationellen Implikatur ist dabei Folgendes: Schlussfolgerungsprsozess konversationeller Implikaturen 1. A hat gesagt, dass p. 2. Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass A die Maximen oder zumindest das Kooperationsprinzip nicht beachtet. 3. A kann sie aber nur beachten, wenn er glaubt, dass q. 4. A weiß (und weiß, dass ich weiß, dass er weiß), dass ich feststellen kann, dass die Annahme, dass er glaubt, dass q, nötig ist. 5. A hat nichts getan, um mich von der Annahme, dass q, abzuhalten. 6. A will - oder hat zumindest nichts dagegen -, dass ich denke, dass q. 7. Und somit hat er implikatiert, dass q. (vgl. Grice 1979: 255) 103 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen Der zweite Schritt in diesem Schema enthält die grundsätzliche Annahme der Befolgung des Kooperationsprinzips und der Maximen in zwischenmenschlichen Interaktionen. Im dritten Schritt wird dann abgewogen, ob noch Zusatzannahmen (nämlich die entsprechend zu ziehenden Implikaturen) notwendig sind, um auch in dem konkret gegebenen Kontext weiterhin annehmen zu können, dass Kooperationsprinzip und Maximen eingehalten wurden. Der vierte Schritt zeigt, dass der Adressat davon ausgeht, dass der Sprecher einer Äußerung die mit ihr kommunizierte konversationelle Implikatur intendiert hat und dass der Sprecher davon ausgeht, dass der Adressat in der Lage ist, dies zu erkennen. Im fünften Schritt wird noch einmal geprüft, ob es irgendwelche Anzeichen dafür gibt, dass die Implikatur doch nicht vom Sprecher intendiert gewesen ist. Ist dies nicht der Fall, ergibt sich Schritt 6 und daraus schlussendlich Schritt 7. Schauen wir, wie dieser Schlussfolgerungsprozess für unser Beispiel (2) auf Seiten des Adressaten Leo aussehen könnte. Dabei muss natürlich der konkrete Äußerungskontext mitberücksichtigt werden. (2) Leo kommt mit einem alten, klapprigen Fahrrad zur Schule gefahren. Sein Freund Max begrüßt ihn mit: „Ein tolles Fahrrad hast du da! “ Schlussfolgerungsprozess der konversationellen Implikatur aus (2) 1. Max hat gesagt, dass ich ein tolles Fahrrad habe. 2. Max hat scheinbar bei seiner Äußerung gegen die Maxime der Qualität verstoßen, denn ich weiß, - und er weiß, dass ich weiß - dass er, genau wie ich, sportliche Fahrräder bevorzugt. Er hat also etwas gesagt, von dem wir beide wissen, dass er es nicht wirklich glaubt. Ich habe aber keinen Grund, anzunehmen, dass Max die Maximen oder das Kooperationsprinzip verletzen wollte. 3. Ich kann Max’ Äußerung nur als kompatibel mit der Maxime der Qualität ansehen, wenn er mit seiner Äußerung tatsächlich etwas anderes ausdrücken wollte, was aber offensichtlich mit dem Gesagten in Beziehung stehen müsste. In dieser Situation steht am offensichtlichsten das genaue Gegenteil dessen, was Max gesagt hat, mit seiner Äußerung in Beziehung, nämlich, dass ich alles andere als ein tolles Fahrrad habe. 104 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen 4. Max weiß, dass ich diese Schlussfolgerung ziehen kann und er hat 5. nichts getan, um mich daran zu hindern. Also kann ich davon ausgehen, dass 6. Max wollte oder zumindest nichts dagegen hat, dass ich annehme, dass er mein Fahrrad alles andere als toll findet, was er 7. somit implikatiert hat. Nur zur Sicherheit: Es handelt sich hierbei natürlich nicht um etwas, was Leo oder sonst jemand, der an einer Konversation beteiligt ist, tatsächlich denkt oder denken könnte, sondern um die analytische Rekonstruktion eines Beobachters. Kontextabhängigkeit Anhand der bisher betrachteten Beispiele, und gerade am letzten, hat man schon sehen können, dass konversationelle Implikaturen vom jeweiligen Äußerungskontext abhängig sind. Wäre Max ein Fan von Vintage-Fahrrädern, wäre seine Äußerung in (2) nicht ironisch aufgefasst worden. Und die kindliche Äußerung von „Ich habe den Geschirrspüler ausgeräumt.“ würde im folgenden Kontext eine ganz andere Implikatur auslösen als in (1): (13) Mutter: Du könntest dich ruhig auch ein wenig an den Haushaltsaufgaben beteiligen. Kind: Ich habe den Geschirrspüler ausgeräumt. +> Ich beteilige mich an den Haushaltsaufgaben. Konversationelle Implikaturen sind also prinzipiell abhängig vom Äußerungskontext. Änderungen des Kontexts können dazu führen, dass eine Implikatur gar nicht erst zustande kommt bzw. gelöscht wird. Grice unterscheidet allerdings zwei Typen der Kontextabhängigkeit. So gibt es Implikaturen, die auf der Grundlage des Kooperationsprinzips und der Konversationsmaximen normalerweise oder regelmäßig zustande kommen, also immer dann, wenn der Äußerungskontext keine besonderen Merkmale aufweist. Wer über X sagt, er treffe sich heute Abend mit einer Frau, implikatiert damit, dass es sich bei dieser Frau nicht um die Partnerin von X handelt, und wenn von X berichtet wird, er habe in einem Haus eine Schildkröte gefunden, wären wir überrascht, wenn 105 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen wir erführen, dass es sich dabei um sein eigenes Haus gehandelt hat. Die Verwendung des unbestimmten Artikels anstelle des andernfalls gebotenen, weil informativeren, Possessivums sein(e) bringt diese Implikaturen gewissermaßen mit sich (vgl. 1979: 262 f.). Grice bezeichnet sie als generalisierte konversationelle Implikaturen. Dazu zählen auch die in Kapitel 4.1.1 schon erwähnten und in (6) vertretenen skalaren Implikaturen. Der weitaus häufigere Fall sind aber Implikaturen, die nur in spezifischen Äußerungskontexten auftreten. Grice spricht hier von partikularisierten konversationellen Implikaturen (vgl. 1979: 262). 15 Beispiele für partikularisierte konversationelle Implikaturen in diesem Kapitel sind u.-a. (1), (2), (9) und (13). Streichbarkeit In engem Zusammenhang mit der Kontextabhängigkeit von Implikaturen steht auch ihre Eigenschaft, streich- oder löschbar zu sein. So lässt sich ein Gesprächskontext, in dem normalerweise eine bestimmte Implikatur auftreten würde, dadurch ändern, dass der Sprecher noch einen Zusatz formuliert, der dafür sorgt, dass eine ansonsten angenommene Implikatur nicht erhalten bleibt. Gehen wir noch einmal zu unserem ersten Mutter/ Kind-Beispiel zurück. (1’’) Mutter: Hast du deine Aufgaben erledigt? Kind: Ich habe den Geschirrspüler ausgeräumt … und natürlich auch den Müll entsorgt. Durch die Ergänzung des Kindes wird die durch den ersten Teilsatz in dieser Kommunikationssituation ausgelöste Implikatur (Ich habe den Müll nicht entsorgt.) wieder zurückgenommen, ohne dass hier der Eindruck von Widersprüchlichkeit entsteht. Das unterscheidet konversationelle Implikaturen denn auch von den semantischen Implikationen. Implikationen sind Folgerungen, die sich auf der Basis der Bedeutung der in einer Äußerung verwendeten Ausdrücke ergeben. Derartige Folgerungen sind weder kontextabhängig, noch lassen sie sich zurücknehmen, ohne dass ein Widerspruch entsteht. Außerdem ergeben sie sich zwangsläufig, sie müssen nicht rekonstruiert werden. Schauen wir uns auch das noch einmal an einem schon verwendeten Beispiel an. In 15 Im Original particularized (1975: 56). Wir weichen hier von den „spezialisierten konversationalen Implikaturen“ der deutschen Übersetzung von 1979 ab (ebd.: 262; vgl. Meibauer 2001: 33). 106 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen (6) liegt nicht nur in einem entsprechend passenden Kontext die angegebene Implikatur (+>) vor, sondern eine Äußerung des Satzes in (6) impliziert auch semantisch (->) die Folgerung „Mindestens ein Kind hat die Aufgabe lösen können“. Diese semantische Folgerung bleibt auch erhalten, wenn ich die Äußerung so erweitere wie in (14), während die entsprechende konversationelle Implikatur nun „verloren“ geht bzw. gelöscht wird (+/ >). Wenn ich die Äußerung in (6) so ändere, dass die entsprechende semantische Implikation gelöscht wird (-/ >), führt das zu einem inakzeptablen Satz, der als widersprüchlich wahrgenommen wird (15). (6) Einige Kinder haben die Aufgabe lösen können. -> Mindestens ein Kind hat die Aufgabe lösen können. +> Nicht alle Kinder haben die Aufgabe lösen können. (14) Einige Kinder haben die Aufgabe lösen können, ja, sogar alle. -> Mindestens ein Kind hat die Aufgabe lösen können. +/ > Nicht alle Kinder haben die Aufgabe lösen können. (15) ? Einige Kinder haben die Aufgabe lösen können, ja, sogar keines. -/ > Mindestens ein Kind hat die Aufgabe lösen können. 4.1.3 Gesagtes vs. Gemeintes Was die Idee der konversationellen Implikaturen letztlich leistet, ist eine Unterscheidung von dem mit einer Äußerung Gesagten und dem mit ihr Gemeinten. Dabei beschreibt das mit einer Äußerung Gemeinte die Bedeutung, die ein Sprecher, indem er eine bestimmte Äußerung tätigt, zu kommunizieren intendiert. Dem gegenüber steht das Gesagte, eine Bedeutungsebene, die in gewisser Weise schwieriger zu beschreiben ist. 16 Grice möchte seine Verwendung des Verbs sagen so verstanden wissen, dass „das, was jemand gesagt hat, in enger Beziehung zur konventionellen Bedeutung der von ihm geäußerten Worte (des geäußerten Satzes)“ steht (1979: 246). Insbesondere geht er davon aus, dass zum Gesagten all jene Bedeutungsaspekte der in einer Äußerung verwendeten Ausdrücke zählen, die einen Beitrag zur mit der Äußerung ausgedrückten Proposition leisten und somit relevant für die Frage der Wahrheit oder Falschheit einer Äußerung in einem bestimmten Äußerungskontext sind. Während für die 16 Vgl. die Darstellung der verschiedenen Standpunkte hinsichtlich der Charakterisierung dieser Bedeutungsebene in Börjesson (2014). 107 4.1 Zur Theorie der konversationellen Implikaturen Bestimmung des mit einer Äußerung Gemeinten unter anderem Annahmen zu den Intentionen des Sprechers auf Seiten des Adressaten notwendig sind, lässt sich das Gesagte rein aus der Berücksichtigung der in der Äußerung verwendeten Ausdrücke, deren Bedeutung und der verschiedenen relevanten Aspekte des Äußerungskontextes ableiten. Die Unterscheidung von Gesagtem und Gemeintem findet auch alltagssprachlich Verwendung. Verbreitet ist sie zum Beispiel in sich wiederholenden Paarsequenzen ( → - Kap. 2.2.1) aus „Das habe ich aber nicht so gemeint! “ und „Das hast du aber so gesagt! “ Grices Theorie der Implikaturen bietet einen Ansatz, die Unterscheidung analytisch zu fundieren. Außerhalb von - oft eskalierenden - metakommunikativen Konflikten ist sie insofern nützlich, als man sie häufig heranziehen kann, wenn es darum geht, die Ursachen für Missverständnisse oder andere Probleme in der verbalen Kommunikation aufzudecken. Als Kommunikatoren ist für uns schlussendlich die Ebene des Gemeinten die relevante. Uns interessiert vor allem, was ein Produzent mit seiner Äußerung bezwecken wollte. Wie wir gesehen haben, hängt das Zustandekommen dieser Bedeutungsebene jedoch sehr stark vom Adressaten der entsprechenden Äußerung ab. Dessen Aufgabe ist es, das mit einer Äußerung Gemeinte herauszufinden. Dabei muss er die kontextuellen Faktoren ebenso berücksichtigen wie die Person des Produzenten der Äußerung. Auf die Intentionen des Produzenten kann der Adressat nicht direkt zugreifen, er kann nur Vermutungen auf der Basis dessen anstellen, was er über den Produzenten weiß, was ihm der Produzent eventuell als weitere (non- und paraverbale) Interpretationshinweise für seine Äußerung gegeben hat und was ihm als für beide - Produzent und Adressat - wahrnehmbare kontextuelle Bedingungen erscheint. Der Interpretationsprozess ist also sehr komplex und an verschiedenen Stellen kann etwas schief gehen. So kann es sein, dass der Adressat nicht alle kontextuellen Bedingungen angemessen in seine Interpretation mit einbezieht oder dass er dem Produzenten Intentionen unterstellt, die dieser gar nicht hatte. Genauso ist es möglich, dass der Produzent die Tatsache ausnutzt, dass der Adressat nur schlussfolgern kann, was er mit seiner Äußerung gemeint hat. Er kann dann ihm unterstellte Intentionen abstreiten, obwohl er sie vielleicht tatsächlich in der entsprechenden Äußerungssituation gehabt hat: „Das habe ich aber nicht so gemeint! “ Grices Theorie der konversationellen Implikaturen hatte einen großen Einfluss auf die weitere pragmatische Theoriebildung. Sie wurde vielfältig aufgegriffen, revidiert und weiterentwickelt (vgl. Finkbeiner 2015: 47-53). Dabei lassen sich 108 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen grundsätzlich zwei Richtungen unterscheiden. Neo-Grice’sche Ansätze halten an der Idee fest, dass zwischenmenschlicher Interaktion so etwas wie ein Kooperationsprinzip zugrunde liegt und sie von einer Reihe von Maximen bzw. Prinzipien geleitet wird. Die einzelnen Ansätze unterscheiden sich dann in der Menge und Art der angenommenen Prinzipien. So unterscheidet Horn (1984) zwei solcher Prinzipien, während Levinson (2000) von drei Prinzipien ausgeht, um verschiedene mitkommunizierte aber nicht explizit ausgesprochene Bedeutungsaspekte zu erfassen. Im Gegensatz dazu halten post-Grice’sche Ansätze nicht an Grices Kooperationsprinzip fest und versuchen das Interpretieren mitkommunizierter, aber nicht explizit ausgesprochener Bedeutungsaspekte über allgemeine kognitive Prinzipien zu erfassen. Der prominenteste Vertreter ist hier die Relevanztheorie (Sperber/ Wilson 1995, Carston 2002), welche Grices Kooperationsprinzip und die Maximen durch ein übergreifendes zweiteiliges Relevanzprinzip ersetzt. 4.2 Zum Phänomen der Präsupposition Eine andere Art unausgesprochener Bedeutung stellt das Phänomen der Präsupposition dar. Schauen wir uns dazu noch einmal den Satz in (3) an. (3) Katja hat aufgehört zu rauchen. Wir hatten weiter oben schon festgehalten, dass eine Äußerung des Satzes in (3) nur dann sinnvoll ist, wenn die mit Katja bezeichnete Person in der Vergangenheit tatsächlich geraucht hat. Anders gesagt: Wird der Satz in (3) geäußert, wird damit vorausgesetzt, dass die in (16) ausgedrückte Proposition wahr ist. Sonst wäre eine Äußerung von (3) nicht angemessen. (16) Katja hat in der Vergangenheit geraucht. Die Wahrheit dieser Proposition wird dem Verstehen von (3) als Präsupposition zugrunde gelegt. Dass sich hier eine entsprechende Präsupposition ergibt, scheint in diesem Fall mit der Verwendung des Lexems aufhören zusammenzuhängen. Tatsächlich lassen sich eine Reihe von solchen Elementen unterscheiden, die Präsuppositionen auslösen. Auf diese werden wir in Kapitel 4.2.1 eingehen. Kapitel 4.2.2 widmet sich dann den spezifischen Eigenschaften von Präsuppositionen und erklärt, wodurch sie sich von semantischen Implikationen auf der einen und konversationellen Implikaturen auf der anderen Seite unterscheiden. Im Zusammenhang mit den Eigenschaften von Präsuppositionen 109 4.2 Zum Phänomen der Präsupposition steht auch die Frage, ob Präsuppositionen nun prinzipiell eher als ein semantisches oder eher pragmatisches Phänomen zu verstehen sind ( → - Kap.- 4.2.3). Hier kommen wir noch einmal auf die Präsuppositionen auslösenden Elemente zurück und gehen der Frage nach, unter welchen Bedingungen Äußerungen, die solche Elemente enthalten, tatsächlich derartige Präsuppositionen auslösen. Dabei geht es auch um die Rolle des Äußerungskontexts und der Hintergrundannahmen der Kommunizierenden für das faktische Zustandekommen von Präsuppositionen. 4.2.1 Präsuppositionen auslösende Elemente Zunächst einmal lassen sich sprachliche Ausdrücke bzw. Konstruktionen identifizieren, die potentiell (also, ohne einen konkreten Äußerungskontext zu berücksichtigen) die Eigenschaft haben, Präsuppositionen auszulösen. Das heißt es werden, wie in den Beispielen (17) bis (21) Voraussetzungen aktiviert. >> steht hierbei für „präsupponiert“. (17) Bella sah den Jungen mit den verwuschelten bronzefarbenen Haaren. >> Es existiert ein Junge mit verwuschelten bronzefarbenen Haaren. (18) Bella weiß, dass Edward ein Vampir ist. >> Edward ist ein Vampir. (19) Bella schaffte es, das Pfefferspray einzupacken. >> Bella versuchte das Pfefferspray einzupacken. (20) Bevor Bella nach Forks zog, lebte sie in Phoenix. >> Bella zog nach Forks. (21) Wenn es nach Bellas Willen ginge, wäre sie selbst eine Vampirin. >> Es geht nicht nach Bellas Willen. In (17) präsupponiert die Verwendung der Nominalphrase den Jungen mit den verwuschelten bronzefarbenen Haaren, dass es tatsächlich einen solchen Jungen gibt. Derartige Nominalphrasen mit einem definiten Artikel werden als definite Kennzeichnungen bezeichnet. Sie präsupponieren die Existenz der durch sie bezeichneten Entitäten. In (18) präsupponiert das Verb wissen die Wahrheit dessen, was mit dem dass-Satz ausgedrückt wird. Derartige Verben werden faktive Verben genannt. Das sind Verben, die eine notwendige Satzgliedposition mit einem Nebensatz, einem sogenannten Komplementsatz, besetzen und die mit diesem Satz ausgedrückte Proposition als wahr voraussetzen. In (19) wird 110 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen die entsprechende Präsupposition durch eine andere Art von Verb ausgelöst, nämlich ein sogenanntes implikatives Verb. Implikative Verben nehmen eine Infinitivkonstruktion als Komplement, also in die notwendige Satzgliedposition. Dabei ist die Beziehung zwischen Verb (V) und Komplement (K) so, dass die „positive“ (nicht-negierte) Form des Verbs (V) - je nach konkreter Bedeutung - den mit der Infinitivkonstruktion ausgedrückten Sachverhalt (K) als zutreffend oder eben nicht zutreffend impliziert. Wird das entsprechende Verb (V) negiert, kehrt sich damit auch der Wahrheitswert des Komplements (K) um. So impliziert im Beispiel (19) Bella schaffte es … (V) (->), dass das Pfefferspray tatsächlich eingesteckt wurde (K). Darüber hinaus präsupponiert es aber auch (>>), dass Bella versucht hat, das Pfefferspray einzustecken. Die Negation des Verbs - Bella schaffte es nicht-… (nicht-V) - führt dann zur Negation der Implikation (nicht-K), während die Präsupposition unverändert bleibt: Das Pfefferspray wurde nicht eingesteckt, aber Bella hat es nach wie vor versucht. In den Beispielen (20) und (21) sind es nun ganze Sätze, die die Präsuppositionen auslösen. Im Falle von (20) wird die Präsupposition durch den Temporalsatz bevor Bella nach Forks zog ausgelöst. Temporalsätze sind Nebensätze, die eine Situation (hier: Bella zog nach Forks) zeitlich ins Verhältnis zum übergeordneten Hauptsatz setzen. Verantwortlich für die Präsupposition in (21) ist der sogenannte kontrafaktische Konditionalsatz wenn es nach Bellas Willen ginge. Kontrafaktische Konditionalsätze sind Sätze der Form Wenn-… der Fall wäre, dann wäre-…. Im ersten Teilsatz wird also eine Situation beschrieben, die so nicht stattgefunden hat, während im zweiten Teilsatz eine Konsequenz angegeben wird, die sich aus der so beschriebenen Situation hätte ergeben können. Ob diese Elemente in einer konkreten Äußerung dann tatsächlich eine Präsupposition auslösen, hängt, wie wir noch sehen werden, vom entsprechenden Äußerungskontext ab bzw. dem einer Konversation zugrundeliegenden Hintergrundwissen der Beteiligten. Aber woran erkennt man nun, dass es sich bei diesen mit >> markierten Bedeutungsaspekten um Präsuppositionen handelt? Schauen wir uns dafür die Eigenschaften von Präsuppositionen genauer an. 4.2.2 Eigenschaften von Präsuppositionen Die wohl wichtigste Eigenschaft von Präsuppositionen ist die prinzipielle Möglichkeit, dass sie unter Negation erhalten bleiben. Wir hatten diese Eigenschaft schon anhand der Beispiele (3) und (4) kennengelernt. Sowohl (3) als auch dessen Negation (4) setzen voraus, dass Katja in der Vergangenheit geraucht hat. 111 4.2 Zum Phänomen der Präsupposition (3) Katja hat aufgehört zu rauchen. >> Katja hat in der Vergangenheit geraucht. (4) Katja hat nicht aufgehört zu rauchen. >> Katja hat in der Vergangenheit geraucht. Das Gleiche gilt auch für die Beispiele in (17) bis (21). Bildet man jeweils deren Negation---siehe unten beispielhaft für (17) und (18) -, bleiben die entsprechenden Präsuppositionen erhalten. (17’) Bella sah den Jungen mit den verwuschelten bronzefarbenen Haaren nicht. 17 >> Es existiert ein Junge mit verwuschelten bronzefarbenen Haaren. (18’) Bella weiß nicht, dass Edward ein Vampir ist. >> Edward ist ein Vampir. Das „Erhalten bleiben unter Negation“ unterscheidet Präsuppositionen von semantischen Implikationen, über die wir schon in Kapitel 4.1.2 gesprochen hatten. Betrachten wir dafür noch ein weiteres Beispiel. Max kommt zu spät zur Schule. Als Grund gibt er bei seinem Lehrer Folgendes an: (22) Max: „Mein Fahrrad hatte einen Platten.“ Nehmen wir an, dass Max in dieser Situation mit der Nominalphrase mein Fahrrad auf das ihm gehörende Fahrrad referiert. Damit diese Referenz vollzogen werden kann, muss als Voraussetzung erfüllt sein, dass Max tatsächlich ein Fahrrad besitzt. Eine Äußerung des Satzes in (22) setzt also die Wahrheit der in (23) ausgedrückten Proposition voraus. (23) Max hat ein Fahrrad. (23) ist also eine Präsupposition von (22), und diese Präsupposition bleibt auch bei der Negation von (22) erhalten. (24) Max: „Mein Fahrrad hatte keinen Platten.“ 17 Mit Hilfe des „Negationstests“ lässt sich auch zeigen, warum Nominalphrasen mit indefiniten Artikeln keine entsprechenden Präsuppositionen auslösen. Man könnte ja glauben, dass der Satz Bella sah einen Jungen mit verwuschelten bronzefarbenen Haaren. ebenfalls die Präsupposition Es existiert ein Junge mit verwuschelten bronzefarbenen Haaren. auslöst. Jedoch bleibt dieser Bedeutungsaspekt in der Negation Bella sah keinen Jungen mit verwuschelten bronzefarbenen Haaren. nicht erhalten. 112 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Eine semantische Implikation der mit (22) geäußerten Proposition Max’ Fahrrad hatte einen Platten ist (25), da Fahrzeug einen Oberbegriff zu Fahrrad darstellt. (25) Max’ Fahrzeug hatte einen Platten. Dass es sich hierbei um eine semantische Implikation und nicht um eine Präsupposition von (22) handelt, kann man daran erkennen, dass diese Aussage keinen Bestand hat, wenn die ursprüngliche Äußerung (22) negiert wird. Dass Max’ Fahrrad keinen Platten hatte, impliziert vielmehr: (26) Max’ Fahrzeug hatte keinen Platten. Die Präsupposition (23) bleibt dagegen bei der Negation von (22) erhalten. Eine weitere Eigenschaft von Präsuppositionen - und diese haben sie nun mit konversationellen Implikaturen gemeinsam - ist ihre Streichbarkeit. (27) a. Bevor er seine Abschlussarbeit vollendete, weinte Peter. >> Peter vollendete seine Abschlussarbeit. b. Bevor er seine Abschlussarbeit vollendete, starb Peter. >/ > Peter vollendete seine Abschlussarbeit. Während der Satz in (27a) (aufgrund des in ihm enthaltenen Temporalsatzes) präsupponiert, dass Peter seine Abschlussarbeit vollendet hat, ist das bei dem Satz in (27b) nicht der Fall (>/ > steht hier für „präsupponiert nicht“). Das hat offensichtlich mit unserem allgemeinen Weltwissen zu tun: Personen, die tot sind, können keine begonnenen Prozesse mehr zu Ende bringen. Auch im folgenden Beispiel wird eine prinzipiell mögliche Präsupposition nicht ausgelöst. (28) A: „Ich habe kein Fahrrad. Also ist mein Fahrrad auch nicht kaputt.“ Die definite Kennzeichnung mein Fahrrad im zweiten Satz könnte die Präsupposition A besitzt ein Fahrrad auslösen. Dass dies nicht geschieht, hat natürlich damit zu tun, dass A mit dem ersten Teil seiner Äußerung die Proposition A besitzt kein Fahrrad zum Ausdruck bringt. Wird diese von den Gesprächspartnern als wahr akzeptiert, zählt sie ab diesem Zeitpunkt zum gemeinsamen Hintergrundwissen von A und seinen jeweiligen Gesprächspartnern. Bei der Interpretation des zweiten Teils von A’s Äußerung würde es also zu einem Widerspruch kommen, zwischen der im Kontext schon etablierten Proposition A besitzt kein Fahrrad und der potentiell durch mein Fahrrad in A’s zweiten Satz 113 4.2 Zum Phänomen der Präsupposition ausgelösten Präsupposition A besitzt ein Fahrrad. Die potentiell mögliche Präsupposition wird daher faktisch nicht interpretiert. Streichbarkeit ist also eine Eigenschaft, die Präsuppositionen mit konversationellen Implikaturen gemeinsam haben (vgl. oben die Beispiele (14) und (15)). Was Präsuppositionen von konversationellen Implikaturen unterscheidet, ist die Tatsache, dass ihr Zustandekommen ohne Bezugnahme auf Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen erklärt werden kann und sie demzufolge auch nicht auf deren Basis rekonstruierbar sind. 4.2.3 Präsuppositionen: ein semantisches oder ein pragmatisches Phänomen? Ursprünglich wurden Präsuppositionen als semantisches Phänomen verstanden insofern, als man sie als eine Relation zwischen Sätzen (oder genauer: den mit diesen Sätzen ausgedrückten Propositionen) angesehen und sich auf deren Wahrheitsbedingungen bezogen hat (vgl. die folgende Definition). Dabei spielte ihre Eigenschaft, unter Negation erhalten zu bleiben, eine wichtige Rolle. Präsupposition Ein Satz A präsupponiert einen anderen Satz B genau dann, wenn gilt: (i) In allen Situationen, in denen A wahr ist, ist auch B wahr und (ii) in allen Situationen, in denen A falsch ist, ist B auch wahr. (nach Levinson 1983/ 2000: 175) Diese Charakterisierung passt auf Beispiele wie die in (3) oder (22). 114 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Anwendungsbeispiel der Definition von Präsupposition Der Satz (3) Katja hat aufgehört zu rauchen präsupponiert den Satz „Katja hat in der Vergangenheit geraucht“ genau dann, wenn gilt: (i) In allen Situationen, in denen der Satz „Katja hat aufgehört zu rauchen“ wahr ist, ist auch der Satz „Katja hat in der Vergangenheit geraucht“ wahr und (ii) in allen Situationen, in denen der Satz „Katja hat aufgehört zu rauchen“ falsch ist, ist der Satz „Katja hat in der Vergangenheit geraucht“ auch wahr. Wie wir aber schon in (27) gesehen haben, erfasst diese Definition nicht alle möglichen Situationen, in denen Präsuppositionen eine Rolle spielen. So präsupponiert der Satz in (27b) nun gerade nicht, dass Peter seine Abschlussarbeit vollendet hat, seine Negation aber schon (27b’). (27b’) Peter starb nicht, bevor er seine Abschlussarbeit vollendete. >> Peter vollendete seine Abschlussarbeit. Dieses Beispiel zeigt, dass Präsuppositionen u.- a. dann nicht auftreten, wenn sie mit unserem allgemeinen Hintergrundwissen nicht kompatibel sind. In (28) haben wir gesehen, dass auch der unmittelbare Äußerungskontext eine Rolle spielt, wenn es um das tatsächliche Auftreten potentiell möglicher Präsuppositionen geht. Insgesamt zeigt der Umstand, dass Präsuppositionen unter bestimmten Kontextbedingungen streichbar sind, dass es sich bei ihnen um ein pragmatisches Phänomen handelt. Eine entsprechende, den pragmatischen Charakter von Präsuppositionen erfassende Charakterisierung könnte daher wie folgt lauten: „Präsuppositionen sind Vorannahmen, die für das Gelingen einer Äußerung in einer bestimmten Äußerungssituation als gegeben vorauszusetzen sind.“ Aber was geschieht in Situationen, in denen nicht davon auszugehen ist, dass alle Beteiligten die entsprechenden Vorannahmen als Teil ihres Hintergrundwissens bzw. des entsprechenden Äußerungskontextes annehmen? Kehren wir zur Beantwortung dieser Frage noch einmal zu unserem Beispiel 115 4.2 Zum Phänomen der Präsupposition (22) zurück. Wie erinnern uns: Max entschuldigt sich mit dieser Äußerung bei seinem Lehrer für sein Zuspätkommen. (22) Max: „Mein Fahrrad hatte einen Platten.“ Wir haben außerdem gesehen, dass die Äußerung eine Präsupposition auslöst, nämlich Max besitzt ein Fahrrad. Versteht man nun Präsuppositionen als Vorannahmen, die für das Gelingen einer Äußerung in einer bestimmten Äußerungssituation als gegeben vorauszusetzen sind, müsste man eigentlich davon ausgehen, dass es in der Kommunikation zwischen Max und seinem Lehrer zu Problemen kommt, es sei denn, Max’ Lehrer wusste schon, dass Max ein Fahrrad besitzt. Tatsächlich ist es aber so, dass Max’ Lehrer die Äußerung in (22) akzeptieren und verstehen würde, selbst wenn er dies vorher noch nicht wusste. Das liegt daran, dass es in unserem Kulturkreis als „normal“ gelten kann, ein Fahrrad zu besitzen und es auch nicht unüblich ist, dieses als Verkehrsmittel für den Weg zur Schule zu nutzen. Max’ Lehrer würde daher die sich aus Max’ Äußerung ergebende Präsupposition stillschweigend anerkennen und seinem eigenen Hintergrundwissen hinzufügen. Dieser Prozess, bei dem Kommunizierende bisher unbekannte Präsuppositionen als gegeben anerkennen, wird Akkommodation genannt. Je plausibler ein bestimmter, bisher nicht bekannter Sachverhalt erscheint, umso eher sind Kommunizierende geneigt diesen Sachverhalt stillschweigend als gegeben anzunehmen. Bezogen auf unser Beispiel sähe die Lage also etwas anders aus, wenn Max in einer vergleichbaren Situation (29) geäußert hätte. (29) Mein Löschfahrzeug hatte einen Platten. Auch hier wird mit der Verwendung der Nominalphrase mein Löschfahrzeug vorausgesetzt, dass Max ein solches Löschfahrzeug besitzt. Das ist nun wiederum nicht typisch oder „normal“ für unseren Kulturkreis. Max könnte insofern dem Lehrer auch keinen Vorwurf machen, sollte dieser auf eine derartige Entschuldigung eher ungehalten reagieren und ihn fragen, ob er sich für besonders lustig hält. Noch einmal: Eine Präsupposition ist eine Annahme, die für das Gelingen einer Äußerung in einer bestimmten Äußerungssituation als gegeben vorauszusetzen ist. Der Adressat einer Äußerung kann sie, wenn sie bis zum Zeitpunkt der Äußerung noch nicht zu seinem Hintergrundwissen gehört, stillschweigend hinzufügen, und diesen Vorgang bezeichnet man als Akkommodation. Insgesamt scheint es so, dass die „Hintergrundhaftigkeit“ von Präsuppositionen ein 116 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen sie kennzeichnendes Merkmal ist. Das wird offensichtlich, wenn man Kontexte wie den folgenden betrachtet, in dem der Angesprochene mit seiner Antwort nicht ohne weiteres auf eine durch die Frage des Produzenten ausgelöste Präsupposition reagieren kann: (30) A zu B: „Hast Du mittlerweile eigentlich mit Rauchen aufgehört? “ A geht davon aus, dass B in der Vergangenheit geraucht hat. Das heißt, Teil seines Hintergrundwissens ist die Proposition B hat in der Vergangenheit geraucht. Vor diesem Hintergrund ist seine Äußerung in (30) angemessen. Es handelt sich dabei um eine Entscheidungsfrage, d.- h. vom Angesprochenen wird grundsätzlich ein Ja oder Nein als Antwort erwartet. Ob es stimmt, dass B in der Vergangenheit geraucht hat, steht bei A’s Äußerung gar nicht zur Diskussion. Falls B in der Vergangenheit tatsächlich nicht geraucht hat, würde es nicht reichen, wenn er auf A’s Frage entrüstet mit „Nein“ antworten würde, um die durch A’s Äußerung ausgelöste Präsupposition zurückzuweisen. Denn diese steht in B’s Äußerung eben nicht im Vordergrund. B müsste diese also überhaupt erst einmal zum Thema machen bzw. seinem „Nein“ einen erklärenden Zusatz hinzufügen. (31) B zu A: „Nein, denn ich habe noch nie geraucht.“ In dieser Situation kommt es nicht zu einer Akkommodation der Präsupposition von A’s Äußerung in (30) durch B, weil B von sich selbst ja weiß, dass er in der Vergangenheit nicht geraucht hat. Teil des Faktenwissens von B ist also die Proposition in (32). (32) B hat in der Vergangenheit nicht geraucht. Diese Proposition steht im direkten Kontrast zu der Präsupposition von (30). Damit ist ein stillschweigendes Akkommodieren der entsprechenden Präsupposition durch B ausgeschlossen. Für die zwischenmenschliche Kommunikation bedeutet dies, dass der Produzent - bspw. eines Textes - Annahmen darüber anstellen muss, welches Vorwissen und welche Vorannahmen er bei seinen Adressaten bezüglich des Themas voraussetzen kann und welche Aspekte er in seinem Text explizit machen muss, damit sie von den Adressaten angemessen verstanden werden können. Das gilt auch für eventuelle Präsuppositionen, die durch seinen Text ausgelöst werden und für die er sich fragen muss, ob sie im Hintergrundwissen der Adressaten vorhanden sind bzw. problemlos und stillschweigend von den 117 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule Adressaten akkommodiert werden können. Für die Annahmen, von denen er glaubt, dass das nicht der Fall ist, muss er sich entsprechend andere Möglichkeiten überlegen, sie durch seinen Text zunächst einmal im Hintergrundwissen der Adressaten zu etablieren. 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule Wir haben nun mit Implikaturen, Implikationen und Präsuppositionen ein ganzes Repertoire von Kategorien, um zu erklären, wie wir etwas verstehen können, was nicht wörtlich gesagt wurde. Dieses Repertoire wirkt mit seinen Differenzierungen sicherlich etwas abstrakt und theoretisch. Die zugrundeliegenden Fragen sind aber sehr konkret. Es geht schließlich darum, wie wir verstehen, was wir verstehen und damit auch um das Gelingen und Misslingen von Kommunikation. Wenn wir das Gemeinte aus dem Gesagten ableiten, tun wir das mit hoher, aber eben nicht mit absoluter Sicherheit, und die Differenz zwischen Gesagtem und Gemeintem bietet auch einen Raum des Ungefähren, in dem man sich darauf zurückziehen kann, gar nicht gesagt zu haben, was jemand anderes möglicherweise als Gemeintes verstanden hat. Gelingen und Misslingen von Kommunikation sind zentraler Gegenstand handlungsbezogener Sprachreflexion und als solcher auch in den Bildungsstandards verankert (KMK 2004: 15). Interessant wird es gerade da, wo die Verständigung nicht einfach am Gesagten scheitert, etwa weil der Gesprächspartner - wie Professor Bienlein in Hergés Tim und Struppi - schwerhörig ist (s. Riegler u. a 2015: 96 f.), sondern wo Hintergrundwissen falsch eingeschätzt oder Äußerungssituationen unterschiedlich wahrgenommen werden. Das stillschweigend Vorausgesetzte, Mitgemeinte, Angedeutete oder Suggerierte funktioniert dann nicht mehr so, wie es soll und bietet genau damit Einblick in die Mechanismen seines Funktionierens. Oft bieten erst Missverständnisse einen Anlass, Kommunikation überhaupt zu thematisieren. Im Alltag ist gelungene Kommunikation der unauffällige Normalfall. Für die angestrebte Entwicklung von Sprachhandlungskompetenz gilt es aber, auch diesem Normalfall auf die Spur zu kommen. Für den curricular geforderten Blick „auf die Bedingungen des Gelingens und die Ursachen des Misslingens“ von Kommunikation (RP 2021: 62) lässt sich das in den Kapiteln 4.1 und 4.2 vorgestellte begriffliche Inventar als Hintergrundwissen für die Lehrkraft nutzen, wenn es darum geht, einen Unterricht zu planen und durchzuführen, der entsprechende Bedingungen bzw. Ursachen für die Schülerinnen und Schüler erfahrbar macht. 118 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Mit der entsprechenden Vorbereitung und Hinführung können aber auch die Unterscheidungen, die die linguistische Pragmatik anzubieten hat, selbst zum Gegenstand des Unterrichts werden. In den folgenden Kapiteln geht es um ausgewählte thematische Zugänge für die Schule. Wir sehen uns an, wie subtile Botschaften funktionieren, u.-a. in der Werbung ( → - Kap. 4.3.1), welche Rolle gemeinsames Wissen spielt, u.- a. beim Verstehen von Ironie ( → -Kap. 4.3.2), und wie sich mit Grice Verstehen verstehen lässt in dem schon in Kapitel 2.3 probierten Dreischritt des Aufgreifens impliziten Wissens, des Bereitstellens von Beobachtungs- und Analysekategorien und der Erweiterung sprachlicher Handlungsfähigkeiten ( → -Kap. 4.3.3). 4.3.1 Subtile Botschaften Seit 1973 trommelt ein Spielzeughase für die Batterien der US-amerikanischen Marke Duracell. Während identischen, aber mit anderen Batterien ausgestatteten Hasen in den Werbespots nach und nach die Puste ausgeht, trommelt der Duracell-Hase weiter und demonstriert so die Überlegenheit seiner Energiequelle, denn die, so hieß es lange am Ende der Werbefilme in verschiedenen Varianten, hielte deutlich länger als Zink-Kohle-Batterien. Bis in die jüngste Zeit erscheinen in Informationen zur Marke Duracell Zink-Kohle-Batterien - oft mit dem Zusatz „herkömmlich“ - als Vergleichsmaßstab, um zu erklären, dass die eigenen Produkte „mehr Leistung liefern und ungefährlicher sind“. 18 Dabei sind Zink-Kohle-Batterien im Haushaltsbereich als Standard längst von Alkaline-Zellen abgelöst, die 1973 tatsächlich noch neuartig waren. Wenn etwas verglichen wird, gehen wir davon aus, dass der Vergleich sinnvoll ist. Das heißt zum einen, dass klar ist, im Hinblick auf was verglichen wird. Der Vergleichsmaßstab, das sogenannte Tertium comparationis, muss deutlich werden. Zum anderen müssen die Vergleichsgrößen im Hinblick auf den Vergleichsmaßstab relevant sein. Wenn diese beiden Bedingungen erfüllt sind, lässt sich alles vergleichen, auch Äpfel und Birnen z.-B. im Hinblick auf Anbaufläche, Ladenpreis oder durchschnittlichen Säuregehalt. Im Normalfall halten wir diese Bedingungen für erfüllt. Dem Satz (33) Leo bekommt in Sport eine bessere Zeugnisnote als Max. 18 https: / / www.duracell.de/ verantwortungsbewusste-nutzung-pflege-und-entsorgungder-batterie/ ; abgerufen 25.02.2022. 119 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule entnehmen wir daher nicht nur, dass Leo eine bessere Note als Max bekommt, sondern auch, dass dies im gleichen Fach, nämlich in Sport, geschieht. Sonst wäre der Vergleichsmaßstab unvollständig benannt und es müsste z.-B. heißen: (33’) Leo bekommt in Sport eine bessere Zeugnisnote als Max in Mathe. Noch selbstverständlicher gehen wir in (33) davon aus, dass Max überhaupt am Sportunterricht teilnimmt. Der Satz an sich wäre auch wahr, wenn Max gar keine Zeugnisnote in Sport bekäme, weil er z.- B. vom Sportunterricht befreit wäre. Aber welchen Sinn hätte dann der Vergleich? An unserem „normalen“ Verständnis von Vergleichen lässt sich das lautlose Wirken der Grice’schen Maximen erkennen: Wir gehen davon aus, dass uns so viel mitgeteilt wird wie nötig und nicht mehr (Quantität), dass das Mitgeteilte für das, was wir verstehen sollen, von Bedeutung ist (Relevanz) und dass es uns klar mitgeteilt wird (Modalität). So kommen wir in der Batteriewerbung zu dem Eindruck, dass es sich bei den Zink-Kohle-Batterien noch um eine gängige Alternative handelt und bei den Produkten der genannten Marke damit um eine auch nach Jahrzehnten noch neuartige Besonderheit. Werbebotschaften werden so gestaltet, dass man einiges mitversteht, was sie nicht wörtlich enthalten, und weil mit Werbebotschaften in der Regel etwas verkauft werden soll, kann man davon ausgehen, dass dieses Mitverstehen genau kalkuliert ist. Zugleich ist es alltäglich und bei einem näheren Blick gut nachvollziehbar: Wenn sich auf einem Deodorant der Hinweis „ohne Alkohol“ findet, vermuten wir nicht nur, dass andere Deodorants Alkohol enthalten (Finkbeiner 2019: 14), sondern gehen auch davon aus, dass Alkohol in Deos nichts Gutes ist. Produkthinweise dieser Art gibt es zahlreich. Sie lassen sich also für den Unterricht sammeln und daraufhin untersuchen, was hier eigentlich mitgeteilt wird, ohne dass es gesagt wird: „ohne Aluminium“, „ohne Mikroplastik“, „ohne Zusatzstoffe“, „ohne Gentechnik“, wahlweise auch „mit Vitamin C“, „mit Hyaluronsäure“, „mit L. casei“ oder „gebraut nach dem deutschen Reinheitsgebot von 1516“. Eigentlich müssten mit Säure versetzte Kosmetikartikel ebenso Besorgnis erregen wie mit Bakterien versetzte Milchprodukte. Die Frage ist, warum sie es nicht tun, auch nicht bei durchschnittlichen Konsumenten, die nicht über detaillierte chemische oder mikrobiologische Kenntnisse verfügen. Diese Frage lässt sich mit Hilfe der Pragmatik beantworten, etwa indem wir die Rolle der Sprecherintention ( → -Kap. 3.1.1) und die Art der Sprachhandlung - werben oder warnen ( → -Kap. 3.1.6) - verbinden mit der intendierten und verstandenen Relevanz solcher Hinweise, die besondere Eigenschaften von Produkten mar- 120 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen kieren - oder eigentlich: bestimmte Eigenschaften von Produkten als besonders hervorheben. Dies bietet nicht nur die Möglichkeit einer kritischen Reflexion von Werbebotschaften. Auch Regulierungen und Zusammenhänge auf der Sachebene lassen sich nachvollziehen. Der Zusatz „ohne Gentechnik“ etwa ist nur erlaubt, wenn gentechnische Veränderung überhaupt möglich wäre, also z.-B. nicht bei Mineralwasser. Mineralwasser als „vegan“ zu bewerben, ist dagegen gar nicht so absurd, wie es im ersten Moment klingt, denn dabei geht es nicht um das Wasser selbst, sondern um kaseinhaltigen Kleber für die Etiketten auf den Flaschen (Carstens 2017). Über die Bezeichnungen von Käse als vegetarisch oder Wein als vegan lässt sich die Herstellungsweise von Agrarprodukten erkunden. Aber natürlich lassen sich Werbebotschaften auch ins Absurde führen und übersteigern, etwa ausgehend vom Batterievergleich mit Slogans wie: „Autos - deutlich schneller als herkömmliche Kutschen.“ Nicht nur in der Werbung, auch in unserer alltäglichen Kommunikation wirken Botschaften, die nicht unbedingt direkt ausgesprochen werden, aber doch genau kalkuliert sind oder sich kalkulieren lassen. Gemeint sind Unterstellungen, und es lässt sich überlegen, inwieweit sich dieses bekannte Kommunikationshindernis mit dem Konzept der Präsupposition erfassen lässt. Wenn A wie oben in (30) B fragt, ob dieser aufgehört habe zu rauchen, unterstellt er damit, dass B in der Vergangenheit geraucht hat. Das kann unwissentlich geschehen, wenn A im guten Glauben ist, dass es sich tatsächlich so verhält. Es kann aber auch Teil einer bewussten Strategie sein, denn A verschafft sich einen kommunikativen Vorteil, indem er B dazu zwingt, nicht nur der Proposition der Äußerung, sondern auch ihrer stillschweigenden Voraussetzung zu widersprechen, und damit, wie in (31), den kommunikativen Aufwand seines Gesprächspartners erhöht: (31) B zu A: „Nein, denn ich habe noch nie geraucht.“ Im Fall des Tabakkonsums mag eine solche Klarstellung genügen, und B wird vermutlich nicht von böser Absicht ausgehen. Anders liegt der Fall wohl im folgenden Beispiel: (34) A zu B: „Hast du jetzt mal aufgehört, alles zu glauben, was man dir erzählt? “ >> B war in der Vergangenheit leichtgläubig. Hier enthält die Präsupposition klar eine negative Wertung und fordert damit B’s Widerspruch heraus. Würde B aber dieser Aussage einfach widersprechen 121 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule („Das stimmt doch gar nicht! “), würde er damit zugleich die Unterstellung bestätigen. Kommunikation kann nur gelingen, wenn man sich über die Voraussetzungen einig ist, und offenkundig ist A hier auf Konflikt aus, denn er stellt B vor die Alternative, diese Einigkeit zu bestreiten oder sprachlos zu bleiben. Schülerinnen und Schülern dürfte eine solche Situation bekannt vorkommen, nicht zuletzt aus der Kommunikation mit Eltern und Lehrkräften, wenn es um die Wahrnehmung schulischer Anstrengungen geht: (35) Katja sitzt an ihrem Schreibtisch und lernt Englischvokabeln. Der Vater tritt hinzu und sagt: „Schön, dass du deine Hausaufgaben mal machst.“ (36) Max bekommt von der Englischlehrerin eine Klassenarbeit mit einer schlechten Note zurück. Die Englischlehrerin sagt dazu: „Fängst du jetzt vielleicht mal an, dich anzustrengen? “ Möglicherweise ist es tatsächlich ein besonderes Ereignis, dass Katja lernt. Möglicherweise hat Max für die Englischarbeit viel gelernt, aber trotzdem im Ergebnis keinen Erfolg gehabt. Ausgehend von solchen Szenen lässt sich in Rollenspielen herausarbeiten, wie Katja und Max unter welchen Umständen das Geäußerte auffassen, welche Reaktionsmöglichkeiten sie haben und natürlich auch, mit welchen konstruktiveren Äußerungen der Vater oder die Englischlehrerin versuchen können, das Lernverhalten von Max und Katja zu beeinflussen. Denn Subtiles lässt sich immer noch subtiler formulieren, wie in der folgenden Variation von (34): (34’) A zu B: „Fängst du jetzt an, auf deine innere Stimme zu hören? “ >> B war in der Vergangenheit leichtgläubig. 4.3.2 Gemeinsames Wissen Kommunikation gelingt auf der Grundlage geteilter Voraussetzungen. Verstehen setzt gemeinsames Wissen voraus. Das merken wir, wenn solches Wissen fehlt. In einer thailändischen Kurzgeschichte (Srinawk 2003) streiten zwei Jungen erbittert darüber, wem der Fladen gehört, den der Büffel des einen auf das Feld des anderen gemacht hat. Diese Szene bleibt unverständlich, wenn man nicht weiß, dass es 1. um die Mistkäfer geht, die diese Büffelfladen schnell besiedeln, 2. diese Mistkäfer essbar sind und 3. in der Trockenzeit im Nordosten des 122 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Landes, wo die Geschichte spielt, Nahrung knapp werden kann oder zum Zeitpunkt der Erzählung knapp werden konnte. Dagegen fällt im folgenden Textbeispiel (nach Linke/ Nussbaumer 1988: 50) erst einmal auf, dass nichts auffällt: (37) Wir kamen zu einem abgelegenen Haus. Weißer Rauch stieg aus dem Kamin. Nach kurzem Zögern klopften wir an der Türe. Ein alter Mann öffnete. Dass wir diese Sätze so mühelos miteinander verbinden, beruht aber tatsächlich auf gemeinsamen Wissensbeständen, was deutlich wird, wenn diese Informationen expliziert werden: (37’) Wir kamen zu einem abgelegenen Haus. Es hatte einen Kamin, aus dem weißer Rauch stieg. Das Haus hatte auch eine Türe. Wir traten dicht vor die Türe. Einer von uns, der auf weniger als Armlänge an der Türe stand, klopfte nach kurzem Zögern an, indem er den rechten Arm angewinkelt hob, die daran befindliche Hand zu einer Faust ballte und mehrmals in kurzen Abständen gegen das Türblatt schlug. Ein alter Mann öffnete. Die kursiv gedruckten Passagen machen den Text offenkundig informativer als nötig. Wir würden uns fragen, warum uns Dinge mitgeteilt werden, die wir ohnehin verstehen. In literarischen Kontexten würden wir wohl eine Darstellungsstrategie vermuten, wie auch in der folgenden Fassung, in der die Informationen deutlich verknappt sind: (37’’) Wir kamen zu einem abgelegenen Haus. Der alte Mann sagte uns, dass das nächste Dorf acht Meilen entfernt sei. Wir können hier zwar eine Verbindung zwischen den beiden Sätzen herstellen. Der Aufwand ist aber größer, als wir es beim Lesen gewohnt sind, und die Routinen unserer Sinnproduktion werden gestört. Wenn Informationen beim Leser ankommen, obwohl sie nicht an der Textoberfläche zu sehen sind, liegt das in der Regel daran, dass sie schon da sind: dass sie sich nicht im Text befinden, sondern vom Text ausgelöst und vom Leser auf der Grundlage des Textes aktiviert werden. Auch hier lässt sich also von Präsuppositionen sprechen, wenn auch in einem weiteren Verständnis, als wir dies in Kapitel 4.2 dargestellt haben. Dort wurden Präsuppositionen maximal auf der Satzebene von bestimmten Elementen ausgelöst und waren streichbar. Dieser konkrete Test ist auf (37) kaum anwendbar. Hier geht es um grundlegen- 123 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule dere „Verstehensvoraussetzungen“. Die hohe Kunst beim Verfassen von Texten ist nun, diese Voraussetzungen, das Vorwissen und den Aufwand der Adressaten richtig einzuschätzen, zumal aufgrund der Distanzsituation des Schreibens ja die Möglichkeit der unmittelbaren Rückmeldung fehlt ( → -Kap.-2.1.2). Wir sind das Funktionieren von Texten gewohnt und übersehen daher die Leistung, die darin besteht, einen Text so explizit wie nötig zu machen, aber nicht expliziter, ihn also mit dem richtigen Grad an Informativität zu versehen ( → -Kap.-2.2.2). Dass es eine Leistung ist, erkennt man, wenn dies in Schülertexten nicht so funktioniert, wie es soll, wobei Lücken im Textzusammenhang deutlich häufiger sind als ein Zuviel an Information. Dies kann sich auch darin niederschlagen, dass Personalpronomen ins Leere weisen wie im folgenden Anfang eines Textes zu einer Bildergeschichte (6. Klasse, Hauptschule): (38) Ein Vater und sein Sohn gehen zusammen zum Angeln[.] sie gehen um 1300 los und warten auf die Straßenbahn[.] 2 stunden dauert die fahrt in den Wald[.] Im Wald giebt es ein Teich[.] sie hollen Ihr Netz [und] fangen ihn. Man kann sich denken, dass mit ihn im letzten Satz ein Fisch gemeint ist (und in der Bildergeschichte ist dieser auch zu sehen). Aber der gedankliche Aufwand, der dabei zu leisten ist, hemmt das schnelle und sichere Erfassen des Textes. Schreibdidaktisch hat es sich bewährt, solche Stolperstellen im Text in der Überarbeitungsphase mit Fragezeichen zu versehen, also als Lehrperson oder im Rahmen eines Peer-Feedbacks gezielt nach fehlenden oder unklaren Informationen zu fragen (vgl. Fix 2008: 172-178). Dem verborgenen Wissen in Texten kann man auf die Spur kommen, indem man wie in (37) die Informationsdichte einer Textpassage variiert - oder indem man Satzverbindungen vergleicht wie die folgenden: (39) Am nächsten Morgen frühstückten wir spät. a. Die Marmelade war wie immer scheußlich. b. Die Reissuppe war wie immer scheußlich. c. Die Aussicht war wie immer scheußlich. d. Der Turnschuh war wie immer scheußlich. Die Frage, welcher Folgesatz am besten passt, erübrigt sich beinahe. Interessanter ist die Frage, warum das so ist: (39a) ruht auf dem Wissen, dass Marmelade hierzulande zum Frühstück gehört oder zumindest nicht ungewöhnlich ist, im Unterschied zur Reissuppe in (39b), die daher das Frühstück in einem anderen 124 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen kulturellen Kontext situiert, falls ein solcher bekannt ist. (39c) ruft ein Szenario auf, das Frühstück und Aussicht verbindet, möglicherweise in einem Hotel. Der Turnschuh in (39d) lässt sich dagegen nicht in ein kohärentes Frühstücksbild aus vorhandenen Wissensbeständen integrieren und sorgt daher für Irritation - oder lädt zu einem Spiel ein: Finde den Zusammenhang. Wir sind hier wieder bei der Akkommodation angekommen, also der Bereitschaft, unbekannte Sachverhalte in der Kommunikation als gegeben zu akzeptieren, abhängig davon, wie plausibel sie uns erscheinen ( → -Kap. 4.2.3). Im Unterrichtsgespräch oder in Gruppenarbeit lassen sich verschiedene Plausibilitätsgrade (im Beispiel a > b > d) oder Plausibilitätstypen (a = b ≠ c) herausarbeiten und diskutieren. Wie sehr das Gelingen von Kommunikation von gemeinsamen Voraussetzungen und damit dem wechselseitigen Anerkennen von Präsuppositionen (im weiten Sinne) abhängt, lässt sich am Extremfall von Verschwörungstheorien herausarbeiten. Man kann zum Beispiel überlegen, warum die Kommunikation mit einer Person, die (40) äußert, schwierig sein könnte: (40) „Das Problem der Echsenmenschen muss endlich angegangen werden.“ Vielleicht würde man sagen, dass diese Person in einer anderen Welt lebt. Diese Person würde wahrscheinlich das Gleiche von denen behaupten, die das Problem der Echsenmenschen nicht sehen. Tatsächlich leben wir ja alle in jeweils (etwas) anderen Wissens- und Erfahrungswelten. Die gute Nachricht ist, dass sich diese „Welten“ durch Kommunikation angleichen können. In Rollenspielen lässt sich beobachten, wie und in welchen Grenzen das funktioniert. Zugleich lassen sich auch Aushandlungsprozesse üben, wenn die Anerkennung von Präsuppositionen nicht stillschweigend erfolgen kann. Man könnte etwa von den folgenden Fragen ausgehen, die jeweils eine für Leo neue Information enthalten: (41) a. Max fragt Leo: „Was machst du denn beim großen Sportfest nächste Woche? “ b. Max fragt Leo: „Was machst du denn beim großen Erdbeben nächste Woche? “ Im ersten Fall kann Leo nachfragen, ob denn nächste Woche tatsächlich das große Sportfest stattfindet. Vielleicht hat Max sich ja auch geirrt. Die beiden dürften jedenfalls zu einer Verständigung und zum Angleichen ihres Informationsstandes kommen. Im zweiten Fall stünde die Grundlage zur Disposition, 125 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule auf der die Aussage der von Max ausgelösten Präsupposition, dass es nächste Woche ein großes Erdbeben gebe, überhaupt getroffen werden kann. Hier wäre die Verständigung also ungleich schwieriger und es wäre als weiterer Diskussionspunkt hinzuzunehmen, ob sie überhaupt anzustreben ist. Wenn dies bedeuten würde, die Möglichkeit der Hellseherei in Betracht zu ziehen oder, in Bezug auf (40), über die Existenz von Echsenmenschen nachzudenken, belässt man es vielleicht besser bei der Feststellung, dass manche Perspektiven unvereinbar bleiben und Kommunikation entsprechend nicht gelingen kann. Oder man begegnet dem Problem der Echsenmenschen wie in (42) mit Ironie: (42) „Klar, das ist jetzt das Allerwichtigste.“ Allerdings ist nicht unwahrscheinlich, dass einer Person, die voller Überzeugung (40) äußert, entgehen könnte, dass das in (42) Gesagte nicht wörtlich gemeint ist. Möglicherweise wäre sie durch die Übersteigerung Allerwichtigste oder durch die Intonation irritiert. Das Funktionieren von Ironie setzt aber einen hohen Grad der Übereinstimmung von Kontextwahrnehmung und Weltwissen voraus. Nicht umsonst zählt Ironieverständnis zu den sprachlich-pragmatischen Fähigkeiten, die sich bei Kindern erst im Laufe der Grundschulzeit entwickeln (s. Hodske u.-a. 2007). Damit Leo in unserem Standardbeispiel (2) versteht, dass Max sein Fahrrad alles andere als toll findet, obwohl er wörtlich genau das sagt („Ein tolles Fahrrad hast du da! “), muss er ja Max’ Einstellung zu Fahrrädern kennen und auch wissen, dass Max weiß, dass er diese Einstellung kennt. Selbst wenn sich Max und Leo gut kennen, ist davon auszugehen, dass Max seine Bemerkung mit zusätzlichen konventionalisierten Ironiesignalen wie Augenzwinkern oder einem breiten Grinsen absichern wird. An Beispielen, wo Ironie falsch oder fälschlich Ironie verstanden wird, lässt sich sowohl die Rolle solcher Signale wie auch die Rolle gemeinsamen Wissens als Voraussetzung für gelingende Kommunikation verdeutlichen. Wie würde Max reagieren, wenn Leo ihm auf seine Bemerkung hin, dass er ein tolles Fahrrad habe, glücklich strahlend mitteilen würde: „Ja, ich habe auch lange darauf gespart! “? Oder nehmen wir den folgenden Fall: Ein Mann ist in einem Spielzeuggeschäft auf der Suche nach einem Kaleidoskop. Es soll ein einfaches offenes Kaleidoskop sein, ohne Plastikperlen und Papierschnipsel, nur mit Spiegeln und einer Linse, zum Betrachten der Umgebung. Nach einiger Suche wird er fündig und geht glücklich zur Kasse. Dort fragt ihn die Verkäuferin, ob sie das Kaleidoskop als Geschenk einpacken soll. „Nein“, strahlt der Mann fröhlich, „das ist für mich.“ Daraufhin schaut ihn die Verkäuferin irritiert an - und wickelt das Gerät in Geschenkpapier. 126 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Hier wäre herauszufinden, auf der Grundlage welcher Annahmen die Verkäuferin davon ausgeht, der Kunde könne das Gegenteil von dem gemeint haben, was er gesagt hat. Oder es wäre zu rekonstruieren, wie die konversationelle Implikatur, die die Verkäuferin hier erschlossen hat, zustande gekommen ist. 4.3.3 Regeln des Verstehens Das Rekonstruieren von konversationellen Implikaturen nach dem in Kapitel 4.1.2 vorgestellten Schema dürfte sich für schulische Kontexte deutlich weniger eignen als ein alltagssprachlicher Austausch über das Zustandekommen von Missverständnissen. Wir sind mit den Implikaturen aber wieder bei Grice gelandet, und im Folgenden soll exemplarisch skizziert werden, wie sich ein Lernweg gestalten lässt, der nicht nur Grices allgemeine, grundlegende Fragen aufwirft, sondern auch zu seinen Begriffen und Bezeichnungen selbst führt und diese für eine Auseinandersetzung mit eigenem und fremdem Sprachgebrauch nutzbar macht. Dabei gilt es, im Auge zu behalten, dass Kooperationsprinzip und Konversationsmaximen trotz ihrer Formulierung im Imperativ nicht als ethische Leitlinien gedacht sind, „sondern als normale, gegenseitig unterstellte Erwartungen der Partner an eine vernünftige Kommunikation“ (Finkbeiner 2019: 15). Dies muss für den schulischen Bereich noch einmal gesondert betont werden, denn wenn es im Deutschunterricht um die Erweiterung sprachlicher Handlungskompetenzen geht ( → -Kap.- 1.3), wirft er immer die Frage ‚Was soll ich tun? ‘ auf und diese hat bekanntlich auch eine ethische Dimension. Kommunikation funktioniert aber, wie in Kapitel 4.1.1 gezeigt, auch und gerade, indem die Maximen scheinbar oder tatsächlich verletzt werden. Dennoch kann ein erster Ansatz sein, zu überlegen, warum Kommunikation misslingt. Wenn sie funktioniert, gibt es ja keinen Anlass, sich mit ihr zu beschäftigen, schon gar nicht für Schülerinnen und Schüler. Sehen wir also, was das Verstehen alles stören kann. Man kann mit Überlegungen der Schülerinnen und Schüler beginnen oder als Hypothese und Anregung für den Austausch gleich eine Aufstellung präsentieren wie diese: 1. Man sagt zu wenig. 2. Man sagt zu viel. 3. Man sagt etwas, was nicht wahr ist. 4. Man sagt etwas, von dem man keine Ahnung hat, ob es wahr ist. 5. Man sagt etwas, was nichts mit dem Thema zu tun hat. 127 4.3 Gelingende und misslingende Kommunikation in der Schule 6. Man drückt sich unklar aus. 7. Man spricht ungeordnet. Hinter diesen wohl ganz alltäglichen Verhaltensweisen lassen sich unschwer Verstöße gegen die Maximen der Quantität (1., 2.), der Qualität (3., 4.), der Relation (5.) und der Modalität (6., 7.) erkennen. Die vorliegende alltagssprachliche Formulierung erleichtert aber den Anschluss an die Lebenswelt. Vor allem braucht man sich weder mit den allgemeinen Begriffen der Kant’schen Kategorientafel zu belasten, noch mit der Frage der Vollständigkeit und Abgrenzbarkeit der Maximen, etwa der dritten Maxime der Modalität („Sei kurz.“) und der zweiten Maxime der Quantität („Mache deinen Gesprächsbeitrag nicht informativer als nötig.“). Gewissermaßen wurden die Grice’schen Maximen überführt in „Sieben Todsünden der Kommunikation“. Dies sei aber nur in Klammern gesagt, denn bei Grice, um es noch einmal zu betonen, geht es ja um die Rekonstruktion eines impliziten pragmatischen Kalküls, das Schlussfolgerungen in natürlichen Gesprächen zugrunde liegt und ihre Leichtigkeit und Sicherheit erklärt, und nicht um die moralische Stigmatisierung von Kommunikationsverhalten. Die Rede von „Todsünden der Kommunikation“ überlässt man also besser der Ratgeberliteratur (z.-B. Cole 2001: 52-60). Stattdessen lassen sich auch ohne diese griffige Überschrift Erfahrungen abfragen, Beispiele suchen und vielleicht auch solche finden, die nicht unter die sieben vorgegebenen Kategorien fallen. Im nächsten Schritt geht es dann darum, Fälle zu finden und zu diskutieren, wo gerade durch den Verstoß gegen diese Kategorien kommuniziert wird, wo also etwas mitgeteilt wird, gerade indem jemand zu viel oder zu wenig oder etwas Unwahres sagt, sich unklar oder umständlich ausdrückt oder vom Thema abweicht. Aus diesem Kapitel ließen sich die Beispiele (1’), (2), (9) und (12a) verwenden. Oder das folgende: (43) Katja wird von einer Bekannten gefragt, was sie von dem sehr auffälligen Outfit ihrer besten Freundin Clara hält. Katja sagt: „Es ist sehr bunt.“ Katja drückt sich hier unklar aus. Vielleicht sagt sie auch zu wenig. Jedenfalls entzieht sie sich der von der Frage eigentlich geforderten Wertung. Nun gilt es, herauszuarbeiten, was die Bekannte und mit ihr wir als Beobachter der Äußerung entnehmen können und wie wir das tun. Fragen, die einen Austausch dazu anregen können, wären etwa, ob Katja das Outfit wohl gefällt und, falls nicht, warum sie das wohl nicht offen und direkt sagt. Aus der Perspektive der 128 4 Unausgesprochenes: Maximen, Implikaturen und Präsuppositionen Bekannten ließe sich auch überlegen: „Katja hat meine Frage eigentlich nicht beantwortet. Aber sie hat mir geantwortet. Also will sie mir etwas mitteilen. Aber was? “ Der Schluss auf das mit der Äußerung Gemeinte, aber nicht Gesagte, wäre im alltagssprachlichen Unterrichtsgespräch dann einer auf die Absichten der Sprecherin, z.-B. dass Katja sich über ihre beste Freundin nicht offen negativ äußern möchte, dass sie aber auch nicht lügen will und dass es unhöflich wäre, die Frage einfach zu ignorieren. Von der Bekannten wiederum wäre es, wenn sie verstanden hat, was wir verstanden haben, wiederum unhöflich, weiter auf einer expliziten Wertung zu bestehen. Es lässt sich, wieder an die Erfahrungen der Lernenden anknüpfend, leicht zeigen, dass es ganz alltäglich ist, auszuweichen, ironisch zu sein, im Unklaren zu bleiben - also uns so zu verhalten, dass, wie zuvor erarbeitet, Kommunikation eigentlich misslingen müsste. Warum sie das häufig nicht tut, unter welchen Bedingungen Ironie funktioniert oder Höflichkeit sogar gefordert ist, muss dann an verschiedenen Kommunikationssituationen, an Rollenspielen oder auch an Interviewauszügen untersucht werden. Wichtig ist dabei, solche Untersuchungen auch immer auf die konkret verwendeten sprachlichen Mittel zu beziehen, um die Komplexität der Entstehung von sprachlichem Sinn im Zusammenspiel von Syntax, Semantik und Pragmatik potenziell erfassen zu können (vgl. Finkbeiner 2019: 21 f.). Zentrales Ergebnis wäre auf jeden Fall, dass die entscheidende Voraussetzung für das Gelingen von Kommunikation ist, sich gegenseitig den Willen zu unterstellen, etwas, um die Gesprächsdefinition von Henne und Rehbock noch einmal zu zitieren, „Gemeinsames im Wechsel“ zu erzeugen (2001: 8). Oder um es mit Grice zu fassen, sich ans Kooperationsprinzip zu halten, in der Kurzfassung: „Sei kooperativ! “ Abhängig von Jahrgangsstufe und Bildungsziel wäre jetzt, nachdem die Problematik klar ist, eigene Beobachtungen gemacht werden konnten und eigene Fragen aufgekommen sind, der Moment, die Ideen und Kategorien von Grice einzuführen: das Kooperationsprinzip zu spezifizieren, die Maximen hinter den anfänglich genannten Kommunikationshindernissen zu entdecken und zu differenzieren und Implikaturen von Implikationen (und auch Präsuppositionen) zu unterscheiden. Die in Kapitel 2.3.2 festgehaltenen Grundsätze für den didaktischen Umgang mit Beobachtungs- und Analysekategorien wären in jedem Fall berücksichtigt, indem 1. die Kategorien als Instrumente des Erkennens behandelt werden; 2. begriffliches Lernen dem terminologischen Lernen vorausgeht und 129 Aufgaben 3. Erfahrungen der Lernenden mit einfließen und somit ihre metakommunikativen Kategorien berücksichtigt werden. Es bleibt als letzter Schritt oder als letzter Aspekt die Erweiterung sprachlicher Handlungsfähigkeiten. Nun sind pragmatische Sprachreflexionen wie die, die auf dem Weg zu Grices Theorie der konversationellen Implikatur angeleitet werden können, untrennbar mit der sprachlichen und kommunikativen Kompetenzentwicklung verbunden. Die reflexive Beschäftigung mit Höflichkeit und Ironie, mit subtilen Botschaften und bösartigen Unterstellungen schafft einen bewussteren Zugriff auf eigenes und fremdes Sprachhandeln und somit neue Möglichkeiten der Steuerung, um Kommunikation gelingen oder scheitern zu lassen. Aufgaben 1. Überlegen Sie bei den folgenden Wortwechseln, welche konversationellen Implikaturen sich aus B’s Antworten ergeben. Gegen welche Konversationsmaximen verstößt B jeweils, um zu den Implikaturen zu gelangen? (1) A: Haben alle in der Klasse die Matheaufgaben geschafft? B: Die Aufgaben waren ziemlich schwer. (2) A: Meinst du, Felix hat die Matheaufgaben geschafft? B: Felix ist doch ein Fuchs! (3) A: Hast du deine Hausaufgaben erledigt? B: Erledigt? Fertig gemacht habe ich sie. Die stehen so schnell nicht wieder auf! 2. Stellen Sie fest, was der folgende Satz präsupponiert. Identifizieren Sie dafür die Präsuppositionen auslösenden Elemente. Die Lehrerin bedauert, dass die Klassenfahrt nicht stattfinden kann. 3. Was bedeuten die folgenden Zeichen? -> +> >/ > 4. * Denken Sie an die Szene mit dem Kaleidoskop im Spielzeuggeschäft ( → -Kap. 4.3.2). Überlegen Sie, wie die Verkäuferin dazu kommt, die Äußerung des Kunden, das Kaleidoskop für sich selbst kaufen zu wollen, ironisch zu verstehen. Nutzen Sie dafür das Rekonstruktionsschema aus Kapitel 4.1.2. 5. An unserem „normalen“ Verständnis von Vergleichen lässt sich das lautlose Wirken der Grice’schen Maximen erkennen - hieß es in Kapitel 4.3.1. Skizzieren Sie einen Lernweg, der vom Alltagsphänomen des Vergleichens zu Grice und seinen Maximen führt. 131 Aufgaben 5 Was wir gemacht haben, oder: Pragmatik ist noch viel mehr. Anliegen dieses Buches war es, einen Einblick zu geben in die fachwissenschaftlichen Inhalte der Pragmatik und aufzuzeigen, welche Perspektiven für den Deutschunterricht sich an diese anschließen lassen. Um dem Anspruch an eine „kompakte“ Einführung gerecht zu werden, war es notwendig, aus der Fülle relevanter fachwissenschaftlicher Inhalte eine Auswahl zu treffen. Wir haben uns daher in diesem Buch auf drei Bereiche konzentriert, die uns besonders wichtig erschienen, gerade auch mit Blick auf den sprachreflexiven Unterricht im Fach Deutsch der allgemeinbildenden Schule: Kommunikationssituationen und Konversationsstrukturen, Sprechen als Handeln und konversationelle Implikaturen und Präsuppositionen im Bereich des „Unausgesprochenen“. Leitlinie war dabei die in den Bildungsstandards des Faches Deutsch (hier für die Primarstufe) formulierte Zielsetzung, dass Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit entwickeln sollen, „geschriebene und gesprochene Sprache situationsangemessen, sachgemäß, partnerbezogen und zielgerichtet zu gebrauchen“ (KMK 2005: 6). Durch die Beschäftigung mit den Merkmalen schriftlicher und mündlicher Kommunikationssituationen und typischen sprachlichen Merkmalen, die mit den jeweiligen Situationen einhergehen, sollte deutlich werden, was eigentlich unter Situationsangemessenheit geschriebener und gesprochener Sprache zu verstehen ist. Der Blick auf Sprache als Mittel der zwischenmenschlichen Kommunikation und auf sprachliche Kommunikation als Form des Handelns rückt die Tatsache in den Fokus, dass wir, wenn wir kommunizieren, jeweils (sicherlich sehr unterschiedliche) Ziele verfolgen und dass die Berücksichtigung des Gegenübers und dessen jeweiligen Hintergrundwissens eine wichtige Rolle beim Erreichen dieser Ziele spielt. Die Auseinandersetzung mit „unausgesprochenen“ Bedeutungsaspekten von sprachlichen Äußerungen präzisiert noch einmal die Kategorie der Situationsangemessenheit. Es reicht nämlich nicht aus, die objektiv wahrnehmbaren Merkmale von Kommunikationssituationen zu berücksichtigen und Annahmen über Ziele und Wissen der jeweiligen Kommunikationspartner zu machen, damit sprachliche Kommunikation gelingt. Vielmehr scheint es eine Reihe von Kommunikationsprinzipien (Maximen) zu geben, die unserer Kommunikation zugrunde liegen und mit Hilfe derer auch erklärbar wird, warum wir häufig mehr oder auch etwas anderes verstehen, als gesagt wird. Was das Verhältnis von objektiv wahrnehmbaren Aspekten 132 5 Was wir gemacht haben, oder: Pragmatik ist noch viel mehr. des Äußerungskontexts und dem sogenannten Hintergrundwissen bei der Gestaltung und dem Verstehen sprachlicher Äußerungen angeht, erlaubt die Auseinandersetzung mit Präsuppositionen eine genauere Charakterisierung dieses Zusammenspiels und eine genauere Vorstellung davon, was eigentlich unter Hintergrundwissen zu verstehen ist. Viele weitere prinzipiell relevante Themen im Bereich der Pragmalinguistik konnten wir im Rahmen dieses Buches nur streifen oder haben sie gänzlich ausgelassen. Dazu zählen die Phänomene der Deixis und Anapher (siehe hierzu z.-B. Levinson 1983/ 2000, Meibauer 2001), Wesen und Verständnis von Metaphern, Metonymie und Ironie (siehe hierzu Börjesson 2014 für einen Überblick verschiedener Ansätze), Gesprächsanalyse (z.- B. Levinson 1983/ 2000), Höflichkeit (z.- B. Brown/ Levinson 1987) und Informationsstruktur (z.- B. Krifka/ Musan 2012). Einen großen Teil der Darstellung haben wir dafür den Grundideen der beiden Klassiker der linguistischen Pragmatik gewidmet: der Sprechakttheorie nach Austin und Searle und der Idee der konversationellen Implikaturen nach Grice. Wer sich schon mit linguistischer Pragmatik beschäftigt hat, dem wird zumindest thematisch vieles bereits bekannt gewesen sein. Und mancher mag sich fragen, ob in den letzten vierzig oder fünfzig Jahren in der Pragmatik eigentlich nichts mehr passiert ist. Ist Pragmatik nicht viel mehr als sich den wenigen kanonischen Urtexten entnehmen lässt? Doch, natürlich! Natürlich hat sich die pragmatische Theoriebildung in den letzten Jahrzehnten stetig fortentwickelt, worauf wir nur an einigen Stellen verweisen konnten. 19 Sie ist, was in unserer Darstellung ganz ausgespart wurde, auch ergänzt worden um empirische Überprüfung pragmatheoretischer Annahmen (s. dazu z.-B. Noveck/ Sperber 2004, Meibauer/ Steinbach 2011, Noveck 2018) und um Forschung zum Erwerb pragmatischer Kompetenzen (siehe zum Überblick z.-B. Matthews 2014, Zufferey 2015). Austin, Searle und Grice waren aber nicht nur der Ausgangspunkt für die in Kapitel 1 dargestellte pragmatische Wende im Deutschunterricht. Sie sind auch als Fundament erforderlich für die Beschäftigung mit den weiteren Entwicklungen und den spannenden Themen, denen sich die Pragmatik in jüngerer Zeit widmet wie interkulturelle Vergleiche 19 Zur Weiterentwicklung der Sprechakttheorie, siehe Grewendorf/ Meggle (2002), Vanderveken/ Kubo (2002), Gass/ Neu (2006) und Kissine (2013); zur Weiterentwicklung der Ideen von Grice siehe die Literaturangaben am Ende des Abschnitts 4.1.3; zur Weiterentwicklung der Ansätze zu Präsuppositionen, siehe Potts (2005) und für einen Überblick insbesondere formal ausgerichteter Ansätze Kadmon (2001). 133 5 Was wir gemacht haben, oder: Pragmatik ist noch viel mehr. (s. Finkbeiner 2015: 133-144), Sprachwandel (s. ebd.: 97-108) oder auch Hate Speech (s. Meibauer 2021). Wir hoffen, dafür mit unserem Buch eine Grundlage geschaffen zu haben. 135 Aufgaben Lösungshinweise zu den Aufgaben Kapitel 1 1a) „Pragmatische“ Texte werden hier von literarischen Texten abgegrenzt. Insofern lässt sich sagen, dass pragmatisch hier bedeutungsgleich zu nicht literarisch verwendet wird. Nichtliterarische Texte werden auch als Sach- oder Gebrauchstexte bezeichnet. Die Bezeichnung „pragmatisch“ für solche Texte erklärt sich daraus, dass man sie sich funktional in Handlungszusammenhänge eingebunden denkt: Sie können Handlungen anleiten (Kochrezept) oder untersagen (Hausordnung), sie können (informierend) Handlungen orientieren, (argumentierend) sie zu beeinflussen suchen, (erklärend) Handlungsgrundlagen schaffen oder sogar selbst die Handlungen sein (Testament, → -Kap. 3). „Pragmatisch“ ist hier also zu verstehen als „in Handlungszusammenhänge eingebunden“. 1b) Nach dem weiten Verständnis nach Morris und Verschueren handelt es sich bei der Pragmatik um eine „generell funktionale […] Perspektive auf sprachliche Phänomene […] in Bezug auf ihre Verwendung“ (s. S. 9f.). Ein Zusammenhang mit dem Pragmatikbegriff der „pragmatischen Texte“ ist also der Blick auf die Texte in Handlungszusammenhängen. Allerdings gibt es keinen Grund, warum sich literarische Texte nicht auch in diesem Sinne pragmatisch untersuchen lassen sollten. Auch das engere Verständnis von Pragmatik nach Carnap (S. 10f.) bezeichnet nicht eine bestimmte Gruppe von sprachlichen Phänomenen (wie z.- B. eine bestimmte Art von Texten), sondern einen spezifischen Blick auf sprachliche Phänomene, nämlich den Blick in Bezug auf die Sprachbenutzer und den Handlungskontext. Dadurch, dass sich dieser Blick auf konkrete Sprech- oder allgemeiner gesagt: Kommunikationsereignisse richtet, lässt sich argumentieren, dass er Texte gar nicht in den Fokus nimmt, sondern allenfalls die konkrete kontextgebundene Produktion und Rezeption von Texten. Ähnlich ist es, wenn Pragmatik über Äußerungen als ihren Untersuchungsgegenstand bestimmt wird (S. 11). Sieht man, in Abgrenzung von der Semantik, kontext-abhängige 136 Lösungshinweise zu den Aufgaben und nicht-wörtliche Bedeutung als Gegenstandsbereich der Pragmatik (S. 11), so findet sich diese in jeder Art von Texten, nicht nur in „pragmatischen“. Es gibt also einen allgemeinen Zusammenhang über die Handlungs- und Kontextperspektive. Die Rede von „pragmatischen Texten“ lässt sich aber mit keiner der in Kapitel 1.2.1 vorgestellten Definitionen von Pragmatik begründen. 1c) Die Hinwendung zu sprachlichen Alltagserfahrungen, die als „pragmatische Wende“ in der Deutschdidaktik bezeichnet wurde, bedeutete auch eine Hinwendung zu Alltags- und Gebrauchstexten im Deutschunterricht, so dass diese entsprechend als „pragmatische Texte“ aufgefasst wurden. Eine weitere Erklärung liegt in der Kompetenzorientierung. Wenn die Erweiterung sprachlicher Handlungsmöglichkeiten das zentrale Ziel des Unterrichts ist, lässt sich diese vor allem mit handlungsgebundenen Texten gewinnen: pragmatische Kompetenz (im allgemeinen Sinne sprachlicher Fähig- und Fertigkeiten) durch - im dargestellten Sinn - pragmatische Texte. 2. Äußerungsbedeutung Unter der Berücksichtigung des Kontextes, in dem (1) geäußert wird, lässt sich die Äußerung so verstehen: 1’’a) Onkel Otto findet am Abend des 01.12.2019 Gefallen an dem Hasenbraten, den Tante Trude zubereitet hat. Oder auch so: 1’’b) Onkel Otto hat grundsätzlich Gefallen an der Art und Weise, auf die Tante Trude Hasenbraten zubereitet (und äußert diesen am Abend des 01.12.2019). Die Referenz der deiktischen Ausdrücke ich (Onkel Otto) und deinen (Tante Trude) ist in beiden Äußerungsbedeutungen identisch. Was sie unterscheidet, ist zum einen der Zeitbezug der Präsensform mag: In (1’’a) handelt es sich um einen Gegenwartsbezug auf den Sprechzeitpunkt, in (1’’b) um eine allgemeine Aussage ohne zeitliche Referenz. Zum anderen ist natürlich mit Hase Unterschiedliches gemeint, einmal der Braten und einmal die Art und Weise seiner Zubereitung. Beide Verwendungen des Wortes Hase lassen sich, im Vergleich mit der Ausdrucksbedeutung des Wortes, als konventionelle Bedeutungsver- 137 Lösungshinweise zu den Aufgaben schiebungen ansehen: Fleischgericht für Lebewesen, Zubereitungsweise für (konkretes) Gericht. Kommunikativer Sinn Hier können wir über Onkel Ottos Absichten spekulieren. Möglicherweise möchte er seine Anerkennung ausdrücken für die Mühe, die Tante Trude in die Zubereitung des Bratens investiert hat. Möglicherweise möchte er Tante Trude auch motivieren, ihre Spezialität noch öfter für ihn zuzubereiten. Wenn Tante Trude vorher Kritik an ihren Kochkünsten erfahren hat oder sonst ein negatives Erlebnis hatte, könnte die Äußerung tröstend gemeint sein. Um unsere Annahmen zu spezifizieren, müssten wir mehr über den Äußerungskontext und die soziale Interaktion zwischen den Beteiligten wissen - und je mehr wir darüber, und über Tante Trudes Reaktion, wüssten, desto besser ließen sich unsere Annahmen begründen. 3a) Nur ein Beispiel: Marco hat einige Freunde eingeladen und Bohneneintopf gekocht. Mit dem Topf stellt er auch verschiedene Chilisoßen auf den Tisch und sagt: „Ich esse gerne scharf.“ Das kann als Warnung vor den Soßen gemeint sein oder als Warnung vor der vielleicht auch ohnehin schon gut gewürzten Suppe, aber auch als Werbung für die Soßensammlung eines erfahrenen Scharfessers oder als Hinweis darauf, dass der Gastgeber mit Rücksicht auf die Gäste die Suppe weit weniger scharf gemacht hat, als er es sonst getan hätte. Der Satz kann natürlich auch von einem Gast geäußert werden oder beim Einkaufen oder als Antwort auf die Frage, wie man mit dem Essen während einer Auslandsreise oder eines Krankenhausaufenthaltes zurechtgekommen ist. Hier konnten (oder können) Sie ihrer Phantasie freien Lauf lassen. * Auch Schülerinnen und Schüler können sich Situationen zu vorgegebenen Sätzen überlegen, z.-B. in Gruppen, die sich Szenen überlegen und vorspielen. Auf der Grundlage der verschiedenen Szenen lässt sich dann erarbeiten, dass der gleiche Satz in unterschiedlichen Kontexten Unterschiedliches bedeuten und mit unterschiedlichen Absichten geäußert werden kann. 3b) Die Ausdrucksbedeutung des Satzes (1) „Ich esse gerne scharf.“ ergibt sich aus den in ihm verwendeten Lexemen und ihren syntaktischen Relationen. Sie lässt sich wie folgt formulieren: 138 Lösungshinweise zu den Aufgaben (1’) Die Person, die diese Äußerung macht, hat ohne zeitliche Einschränkung bei der Nahrungsaufnahme Gefallen an kräftig gewürzten Speisen. Die Referenz der verwendeten Ausdrücke wird erst deutlich, wenn Satz (1) in einer Situation geäußert wird. Im Beispiel oben ist Marco der Referent des deiktischen Ausdrucks ich. Als Äußerungsbedeutung lässt sich angeben: (1’’) Marco hat bei der Nahrungsaufnahme Gefallen an kräftig gewürzten Speisen (und äußert dies, als er für seine Freunde den Tisch deckt). Welchen kommunikativen Sinn dieser Sprechakt hat, ob er als Warnung, Werbung, Erklärung oder Hinweis auf die soziale Kompetenz des Gastgebers gemeint ist, darüber lassen sich, wie oben gezeigt, nur Vermutungen anstellen. Kapitel 2 1a) Das Entscheidende ist die Abwesenheit des Adressaten in der prototypisch schriftlichen Kommunikation. Das Wort Käse kann unterschiedlich ausgesprochen werden: mit halboffenem ungerundetem Vorderzungenvokal wie in Bäh ([k h æ: zә]) oder mit halbgeschlossenem wie in See ([k h e: zә]), mit stimmhaftem oder mit stimmlosen s-Laut. Aber egal, ob wir die Frage, was die Maus am liebsten ist, mit [k h æ: zә], [k h e: zә], [k h e: sә] oder [k h æ: sә] beantworten: Verstanden würde wohl immer „Käse“, und falls nicht, könnte sich unser Gesprächspartner erkundigen, was wir gemeint haben und so ein Missverständnis vermeiden. Der Mehrwert, denn eine einheitlich festgelegte Lautung für das Verstehen in der mündlichen Kommunikation hat, ist also gering, und entsprechend zu vernachlässigen ist auch die Rolle der Orthoepie im Alltag. Ganz anders sieht es in einer prototypisch schriftlichen Kommunikationssituation aus. Hier ist der Adressat abwesend. Das Verstehen dessen, was wir mitteilen, kann nicht in der Situation kontrolliert und muss daher möglichst genau geplant und abgesichert werden. Hierzu trägt neben der syntaktischen Vollständigkeit von Sätzen und der morphologischen Vollständigkeit von Wortformen auch die einheitliche Schreibung bei. Je alltäglicher das Schreiben und Lesen wurde, desto mehr wurde im Laufe der Geschichte die Orthografie als Beitrag zum schnellen und sicheren Erfassen von Geschriebenem standardi- 139 Lösungshinweise zu den Aufgaben siert. Entsprechend gering ist heute die Variationstoleranz und die Bereitschaft, hinter Käse, Käße, Keese oder Keße das gleiche Wort zu erkennen. Orthoepisch heißt es übrigens [k h æ: zә]. 1b) „ 4 Rudis 2 Geschwister 1 stellten fest, dass 4 er seit Wochen 3 nur noch von Laugenbrötchen gelebt hatte. 1 Danach war 2 ihnen klar, dass es 3 so mit 4 ihm nicht weitergehen konnte.“ - Dies ist nur ein Beispiel für den zweiten Satz, und der Kreativität kann hier freier Lauf gelassen werden, auch was das Ausdenken weiterer Sätze betrifft. * In der Arbeit mit Schülerinnen und Schülern sollte der Austausch über die Akzeptanz der Anschlüsse eine wichtige Rolle spielen. Detailfragen wie die, ob es sich im ersten Satz bei das hier um zwei Verweise handelt oder nur um einen, der mit z.-B. „in ihrem Hotel“ hinreichend Anschluss fände, können dabei offen bleiben. Entscheidend ist, dass die grundsätzliche Notwendigkeit der Anschlüsse erkannt wird. 1c) Merkmale gesprochener Sprache - oder konzeptioneller Mündlichkeit -, die Sie wahrscheinlich in Ihren Nachrichten im Messengerprogramm finden können, sind z.-B. das Wegfallen von Flexionsendungen („Hab kein Bock! “), Interjektionen („Hä? “), Ellipsen („Und warum das jetzt? “), Modalpartikeln („Hab halt keinen Bock! “), Dialekt („So isch’s halt! “) und natürlich Emojis  . Erklären lassen sich diese Merkmale daraus, dass die Kommunikation zwar medial schriftlich ist, zugleich aber zahlreiche Merkmale prototypisch mündlicher Kommunikation aufweist (vgl. Tab. 2, S. 30f.). Die geringere Distanz zwischen den Kommunikationspartnern ermöglicht ökonomisches Vorgehen: Was man sich sparen kann, ohne den Kommunikationserfolg ernsthaft zu gefährden, spart man sich, zumal im dialogischen Format der Messengerkommunikation auch Rückfragen möglich sind („Hä? Was meinscht? “). Die spezifische Adressierung erlaubt die Verwendung eines gemeinsamen Dialekts oder dialektaler Versatzstücke. Emojis schließlich transportieren para- und nonverbale Signale der Face-to-Face-Kommunikation in eine medial schriftliche Umgebung. Sie sind also eigentlich nicht selbst Merkmale gesprochener Sprache, sondern sie greifen solche Merkmale auf. * Wenn Schülerinnen und Schüler Chatverläufe auf Merkmale gesprochener Sprache hin untersuchen sollen, empfiehlt es sich, zunächst an Beispielen zu 140 Lösungshinweise zu den Aufgaben besprechen, was sich überhaupt finden lässt und was mit verkürzten Sätzen (= Ellipsen), verkürzten Wortformen, Ausrufen (≈ Interjektionen) u. ä. gemeint ist. Die Schülerinnen und Schüler können dann durchaus ihre eigenen Kategorien erarbeiten und benennen. Zur fachlichen Bezeichnung der verschiedenen Phänomene s. Duden (2016: 606-611 u. 1204-1234). 2a) 1: Störung des Sprecherwechselsystems; 2: irritierende Reparatur; 3: gestörte Paarsequenz. 2b) 1. A initiiert an der übergaberelevanten Stelle eine Fremdwahl, indem er B direkt anspricht und damit als nächsten Sprecher auswählt. Stattdessen ergreift C das Wort, sodass ein Sprecherwechsel durch Selbstwahl stattfindet, wobei in der schematischen Darstellung offenbleibt, ob und warum B sein Rederecht nicht wahrnimmt (zum Beispiel, weil er unaufmerksam ist). 2. C verwendet keine Reparaturindikatoren wie Verzögerungssignale oder metakommunikative Wendungen („äh, ich wollte sagen…“). Das Reparandum ist nicht markiert und die beabsichtigte Reparatur nicht als solche ersichtlich. C’s Äußerung wirkt daher widersprüchlich, anders als wenn er sagen würde: „Ich wollte eigentlich am Samstag, äh, ich meine am Freitag, aber auf jeden Fall erst in der nächsten Woche hin.“ 3. A’s Gesprächsbeitrag oder Turn sichert mit dem Startsignal gut und dem modaldeiktischen so ein Ergebnis, wo es eigentlich nichts zu sichern gibt. B hat sich ja nicht geäußert und C’s Gesprächsbeitrag bleibt mit der misslungenen Reparatur im Unklaren. Wir haben hier also den zweiten Teil einer Paarsequenz, ohne dass es einen ersten gäbe. 3a) Der Unterschied ist, dass beim gleichzeitigen Zubereiten nicht nur die Kommunikationspartner, sondern auch die notwendigen Zutaten und Gerätschaften vor Ort sind (oder sein sollten). Dadurch wird nicht nur eine Kommunikationssondern auch eine Handlungssituation geteilt, auf die verwiesen werden kann: „Das alles tun wir jetzt hier rein.“ Es werden also deutlich mehr Deiktika verwendet. Wenn nicht gleichzeitig erklärt und gekocht wird, muss das alles explizit benannt werden: „Also, du brauchst dazu Knoblauch, Zwiebeln und Sellerie, und das kommt dann in einen Dämpfeinsatz…“ 141 Lösungshinweise zu den Aufgaben 3b) Das geschriebene Rezept soll situationsunabhängig funktionieren, auch unabhängig davon, ob es um die Auswahl eines Gerichts geht, um das Beschaffen der Zutaten oder tatsächlich um die Anleitung während der Zubereitung. Die sprachliche Form steht also nicht im Zusammenhang mit der Art der Handlungsanbindung. Bei mündlichen Erklärungen ist dies, wie in 3a) gesehen, deutlich anders. Die mündliche Erklärung ohne gleichzeitige Zubereitung wird sich vom geschriebenen Rezept vor allem dadurch unterscheiden, dass ein Subjekt in die Sätze eingesetzt wird, häufig der Empfänger der Erklärung als angesprochener Kommunikationspartner, und die Verbformen dadurch finit werden: „Dann legst du Knoblauch, Zwiebeln und Sellerie in den Dämpfeinsatz und lässt das alles-…“ * Wie sich die verschiedenen Formen der Anleitung - schriftlich oder mündlich mit und ohne gleichzeitigem Handeln - nicht nur vermutlich, sondern tatsächlich unterscheiden, erfährt man, wenn man sie ausprobiert. Dies lässt sich auch im Unterricht durchführen, indem man mündliche Erklärungen auf der Grundlage eines Rezepts oder auch einer Bastelanleitung aufzeichnet, transkribiert und die Ergebnisse vergleicht. Insbesondere für handlungsbegleitendes Sprechen eignen sich Videoaufzeichnungen, während reine Audioaufnahmen verdeutlichen, für welche Aspekte der Kommunikation die gemeinsame visuelle Wahrnehmung erforderlich ist. 4a) *Die Erfahrung des Telefonierens kann bei Schülerinnen und Schülern sicherlich vorausgesetzt werden. Daher „wissen“ die Schülerinnen und Schüler auch implizit, dass es bei Telefonaten mehr Erklärungen bedarf, es häufiger zu Nachfragen und gelegentlich zu Missverständnissen kommt. Dies könnte durch ein einleitendes Unterrichtsgespräch über Missverständnisse am Telefon oder darüber, was beim Telefonieren anders ist als beim „normalen“ Gespräch herausgearbeitet werden. Ein möglicher Impuls wäre, sich vorzustellen, einem Freund oder einer Freundin (am Telefon) von einem neuen Outfit oder einer neuen Frisur zu erzählen. 4b) *Die grundlegendste und einfachste Beobachtungskategorie ist wohl die Rückfrage. Weitere Basiskategorien für die einfache Beobachtung sind Pausen, Reparaturen, Überlappungen oder Verstehenssignale. Wenn es um Erklärungen 142 Lösungshinweise zu den Aufgaben geht, an welchen Stellen Rückfragen auftreten, kommt man zu Wörtern „bei denen man nicht so weiß, was gemeint ist“, wie hier, da oder so, also zu den Deiktika. Die Kategorien können an einem gemeinsam untersuchten Beispiel vorab verdeutlicht werden. Kapitel 3 1. Nehmen wir als Situation, dass B beim Versuch, Forellen in der Folie mit Gemüse zuzubereiten, die Küche verwüstet hat. A stellt B in der Küche, als dieser gerade die Spülmaschine ausräumt, und möchte ihn auffordern, das Chaos insgesamt in Ordnung zu bringen. Das gelingt nicht, indem A nacheinander gegen die Gelingensbedingungen für Aufforderungen verstößt: ▶ „Bring das bitte in Ordnung, indem du beim Kochen nicht so ein Chaos veranstaltest.“ → A’s Forderung bezieht sich nicht auf eine zukünftige Handlung des Adressaten. ▶ „Ich fordere dich auf, mit Zauberkraft hier binnen einer Minute für perfekte Ordnung zu sorgen.“ → B ist wohl nicht in der Lage, die von A geforderte Handlung auszuführen. ▶ „Ich fordere dich auf, die Spülmaschine weiter auszuräumen.“ → Diese Handlung führt B ja ohnehin gerade aus und dürfte auch ohne A’s Äußerung damit fortfahren. ▶ „Schmeiß den benutzten Topf ruhig weg. Und den Herd am besten gleich mit.“ → Es ist eher unwahrscheinlich, dass A tatsächlich will, dass B die geforderten Handlungen ausführt. B wird das auch so sehen und A’s Äußerung daher nicht als ernstgemeinte Aufforderung verstehen - jedenfalls nicht im Sinne des Gesagten ( → -Kap. 4.1). ▶ „Bring dieses Chaos bitte vollständig in Ordnung. Aber damit möchte ich nicht sagen, dass du die Küche aufräumen sollst.“ → Wenn A sich so äußert, ist nicht klar, ob B eigentlich zu einer Handlung bewegt werden soll und zu welcher. D. h. A’s Absicht ist nicht erkennbar. * Um mit Schülerinnen und Schülern die Bedingungen zu untersuchen, unter denen Aufforderungen oder andere Sprechakte wie Entschuldigungen oder 143 Lösungshinweise zu den Aufgaben Versprechen funktionieren, sollten die Gelingensbedingungen sicherlich adressatengerechter formuliert werden. Eine Möglichkeit, zu diesen Bedingungen hinzuführen, sind paradoxe Aufforderungen wie z.- B. „Fordere jemanden zu etwas auf, was er ohnehin tut.“, „Entschuldige dich bei jemandem, den du nicht kennst, für etwas, von dem er nichts weiß.“ oder „Versprich jemandem etwas, was du nicht halten willst.“ 2a) Mögliche Sprachhandlungen wären zum Beispiel feststellen (assertiv), trösten (direktiv) oder drohen (kommissiv) - wobei man sich zu letzterem vielleicht einen situativen Rahmen vorstellen muss, um „Ich mag deinen Hasen.“ plausibel zu finden, etwa wenn der Schulhoftyrann mit diesen Worten einen Schokoladenhasen ins Visier nimmt. * Es geht darum, sich vorzustellen, was man mit einem Satz alles machen kann, und dafür ist es erforderlich, sich entsprechende Handlungskontexte zu überlegen. Die Aufgabenstellung kann auch direkt darauf abzielen: „In welcher Situation könnte denn dieser Satz eine Drohung / ein Versprechen / eine Aufforderung sein? “ Entscheidend ist, den Handlungscharakter und die Situationsgebundenheit der Äußerungen zu erkennen. Die Zuordnung von Handlungen zu Searles Sprechakttypen wird nur in Ausnahmefällen eine Rolle spielen. 2b) „Geben Sie mir doch bitte mal das Salz.“ (direkt) „Könnten Sie mir vielleicht das Salz geben? “ (indirekt) „Hätten Sie vielleicht Salz im Haus? “ (indirekt) „Meine Geschmacksnerven sind leider etwas stumpf und ich muss meistens etwas nachwürzen.“ (indirekt) * Und viele weitere mehr, wobei gleich ersichtlich ist, dass die hier als „indirekt“ gekennzeichneten Möglichkeiten verschiedene Grade von Indirektheit aufweisen. Wie in Kapitel 4.1.5 schon dargestellt, ist die schematische Einteilung in direkte und indirekte Sprechakte nicht unproblematisch, und manche indirekten Sprechakte, wie Fragen als Bitten, sind stark konventionalisiert. Im Unterricht sollte es daher weniger um ein Entweder-Oder gehen als darum, sich über Eindrücke auszutauschen, Abstufungen von Direktheit und Höflichkeit festzustellen und zu überlegen, welche Formulierungen auch als Vorwurf oder Kritik aufgefasst werden könnten. 144 Lösungshinweise zu den Aufgaben 3. Das Ausrufezeichen steht in der Schriftsprache als Satzschlusszeichen in der Regel am Ende von Segmenten. Es ist weder an eine bestimmte Satzart gebunden, noch an einen bestimmten Sprechakttyp. Es steuert die Aufmerksamkeit des Lesers und wirkt aber auch als illokutionärer Indikator, indem es verdeutlicht, wie dringlich eine Aussage oder eine Aufforderung gemeint ist. 4. Ein Ausführlicher Unterrichtsentwurf ist zugleich Instrument und Dokumentation der Unterrichtsvorbereitung. Als Instrument soll er sicherstellen, dass alle wichtigen Faktoren (z.- B. Bedingungen der Lerngruppe, Sachthema, curriculare Vorgaben, Kompetenzziele) berücksichtigt und in Beziehung zueinander gesetzt werden, dass man in der Planung Alternativen überlegt und Entscheidungen begründet. Als Dokumentation zeigt er die Fähigkeit der (angehenden) Lehrperson, unter Berücksichtigung administrativ-curricularer Rahmenbedingungen a) Bedingungen einer Lerngruppe festzustellen, b) ein Sachthema zu durchdringen, c) es im Hinblick auf die Lerngruppe zu modellieren und d) in eine Unterrichtssequenz umzusetzen. Diesen funktionalen Kern haben alle Ausführlichen Unterrichtsentwürfe gemeinsam, auch wenn sich die konkreten Vorgaben bekanntlich abhängig von Fach, persönlichen Vorlieben oder pädagogischer Theorie unterscheiden. Ein grundlegendes Textsortenmerkmal, das sich daraus ergibt, ist zum Beispiel eine detaillierte Gliederung, in der sich die vier zu dokumentierenden Teilhandlungen in der Regel als Hauptabschnitte finden, etwa als a) Bedingungsanalyse, b) Sachanalyse, c) didaktische Analyse und d) methodische Analyse, wobei Bezeichnungen und Relationen variieren können. Eine weitere Eigenschaft der Textsorte ist die Explizitheit, mit der die Angaben und Überlegungen festgehalten werden, auf die man in der „normalen“ Unterrichtsvorbereitung verzichtet. Die genaue Gestaltung sollte immer die grundlegende Funktion des Ausführlichen Unterrichtsentwurfs im Blick behalten. Kapitel 4 1a) „Die Aufgaben waren ziemlich schwer.“ +> Nicht alle in der Klasse haben die Matheaufgaben geschafft. 145 Lösungshinweise zu den Aufgaben B weicht einer direkten Antwort auf A’s Frage aus und macht daher oberflächlich gesehen keinen relevanten Gesprächsbeitrag, verstößt also gegen die Maxime der Relevanz. Unter der Annahme, dass B sich an das Kooperationsprinzip hält, kann man sich nun fragen, warum er sich so geäußert hat, wie er sich geäußert hat und was daraus folgt. Zu unserem allgemeinen Weltwissen gehört, dass Aufgaben in der Schule meist von umso weniger Kindern gelöst werden, je schwieriger sie sind und (zu) schwere Aufgaben nicht etwa dazu führen, dass Kinder erfolgreicher sind, weil sie sich angespornt sehen. Auf dieser Grundlage ist B’s Aussage doch relevant, da sich aus ihr auf der Grundlage des entsprechenden Weltwissens folgern lässt, dass nicht alle Kinder in der Klasse die Aufgaben haben lösen können. 1b) „Felix ist doch ein Fuchs! “ +> Felix hat die Matheaufgaben geschafft. Felix ist ja nicht wirklich, im Wortsinne, ein Fuchs. Insofern sagt B scheinbar etwas, was er für falsch hält und verstößt scheinbar gegen die 1. Maxime der Qualität. Auch scheint seine Äußerung unter diesen Voraussetzungen keine relevante Antwort auf A’s Frage zu sein. Geht man jedoch davon aus, dass das Wort Fuchs hier als Metapher gebraucht wird, als verkürzter Vergleich („schlau wie ein Fuchs“) für einen klugen Menschen, lässt sich, vor dem Hintergrund der Annahme, dass Matheaufgaben für kluge Menschen kein Problem darstellen, aus B’s Äußerung die genannte Implikatur ableiten und B’s Äußerung ist relevant. Grice sieht in Metaphern, wie auch in Ironie, in Über- oder Untertreibungen, kontrollierte Formen der Unwahrheit, mit denen sich gezielt konversationelle Implikaturen erzeugen lassen (1979: 258 f.). Dies setzt allerdings voraus, dass sich ‚wörtliche‘ und (metaphorisch) übertragene Bedeutung klar unterscheiden lassen. Tatsächlich entwickelt sich Sprache, und vieles, was wir ‚wörtlich‘ verstehen, ist ursprünglich oder im ursprünglichen Sprachkontext metaphorisch. Wenn B sagen würde „Felix ist doch ein Genie! “ würde wohl kaum jemand annehmen, dass er nur im übertragenen Sinne Felix als einen sehr klugen Menschen bezeichnet und wörtlich sagt, es handele sich um einen Schutzgeist. 146 Lösungshinweise zu den Aufgaben 1c) „Erledigt? Fertig gemacht habe ich sie. Die stehen so schnell nicht wieder auf! “ +> Ich nehme deine Frage nicht ernst. +> Ich habe mich eher widerwillig mit den Hausaufgaben beschäftigt. +> Ob sie ‚erledigt‘ im Sinne von ‚ordnungsgemäß gemacht‘ sind, lasse ich mal offen. B spielt mit der Mehrdeutigkeit der Ausdrücke erledigen und fertig machen und drückt sich damit so aus, dass A der Antwort nicht sicher entnehmen kann, wie es um B’s Hausaufgaben steht. B verstößt also gegen die Maximen der Modalität, insbesondere gegen die 2. Aber auch die 3. Maxime scheint hier eine Rolle zu spielen. Schließlich ist B’s Antwort auf A’s Frage doch recht umfangreich und dabei wenig klar. Unter der Voraussetzung, dass B grundsätzlich kooperativ ist, lässt sich aus seiner Äußerung schließen, dass eine einfache Antwort wie „ja“ aus seiner Sicht den Tatsachen gegenüber nicht angemessen gewesen wäre und er diese weitschweifige Antwort gewählt hat, um nicht gegen die Maxime der Qualität zu verstoßen. So könnte es jedenfalls sein. Um das Entstehen von Implikaturen genauer nachzuvollziehen, müsste man die in Kapitel 4.1.2 vorgestellten Rekonstruktionsschritte durchführen. Vor allem bräuchte man aber authentische Kommunikationssituationen, in denen überprüfbar wäre, was im Gesprächsverlauf verstanden wurde. Insofern handelt es sich bei den Hinweisen hier um Kurzinterpretationen ohne exklusiven Geltungsanspruch. 2. 1 Die Lehrerin 2 bedauert, dass die Klassenfahrt nicht stattfinden kann. Bei 1 handelt es sich aufgrund der Verwendung des definiten Artikels um eine definite Kennzeichnung, die präsupponiert, dass es eine Lehrerin gibt: >> Es existiert eine Lehrerin. Das Verb bedauern in 2 ist ein faktives Verb: Es nimmt den dass-Satz als Komplement, also als notwendiges Satzglied, und stellt das, was im dass-Satz ausgedrückt wird, als wahr dar. Daher präsupponiert es den Inhalt des dass-Satzes: >> Die Klassenfahrt kann nicht stattfinden. Dass es sich jeweils um Präsuppositionen handelt, lässt sich daran erkennen, dass sie bei der Negation des Satzes („Die Lehrerin bedauert nicht, dass…“) 147 Lösungshinweise zu den Aufgaben unverändert bleiben - während die Lehrerin sicherlich weniger sympathisch erscheint. 3. -> = impliziert +> = implikatiert konversationell >/ > = präsupponiert nicht 4. Der wesentliche Grund für das Missverständnis dürfte sein, dass die Verkäuferin in einem Spielzeuggeschäft nicht erwartet, dass ein Erwachsener etwas für sich selbst kauft. Das dürfte auch nicht sehr häufig vorkommen. Rekonstruieren lässt sich die (falsch verstandene) Implikatur wie folgt: 1. Der Kunde hat gesagt, dass das Kaleidoskop für ihn selbst ist (und ich es deswegen nicht als Geschenk einpacken soll). 2. Damit hat er scheinbar gegen die Maxime der Qualität verstoßen, denn er weiß, dass er sich in einem Spielzeuggeschäft befindet und dass in einem Spielzeuggeschäft üblicherweise Spielzeuge verkauft werden und dass Spielzeuge für Kinder sind. Und er weiß, dass ich das weiß. Er hat also etwas gesagt, von dem wir beide wissen, dass es unsinnig ist. Ich habe aber keinen Grund, anzunehmen, dass er die Maximen oder das Kooperationsprinzip verletzen wollte. 3. Ich kann die Äußerung des Kunden nur dann als kompatibel mit der Maxime der Qualität ansehen, wenn er damit etwas anderes ausdrücken wollte als das, was er wörtlich gesagt hat. Dass das Kaleidoskop für ihn ist, kann nicht wahr sein. Also ist es nicht für ihn. Also entfällt auch der Grund, es nicht als Geschenk einzupacken. Also will der Kunde mir sagen, dass ich es als Geschenk verpacken soll. (Und was soll die Frage? Im Spielzeuggeschäft wird doch alles, was ein unbegleiteter Erwachsener einkauft, als Geschenk verpackt. Sonst wäre es am Ende noch für den Erwachsenen selbst.) 4. Der Kunde weiß, dass ich diese Schlussfolgerung ziehen kann und er hat 5. nichts getan, um mich daran zu hindern. Stattdessen hatte er noch dieses ironische Grinsen auf dem Gesicht. Also kann ich davon ausgehen, dass 6. er wollte, dass ich annehme, dass das Kaleidoskop ein Geschenk ist, was verpackt werden soll, und das hat er 7. somit implikatiert. 148 Lösungshinweise zu den Aufgaben * Für den Schulgebrauch empfiehlt sich eine weniger aufwändige Rekonstruktion: Die Schülerinnen und Schüler dürfen vermuten, was hier passiert ist und warum, gegebenenfalls eigene Erfahrungen einbringen und sich Szenen überlegen, wo Ironie falsch verstanden wird oder man sich nicht sicher sein kann, wie sie verstanden wird. 5. Ein möglicher Ausgangspunkt wäre das Duracell-Beispiel, die historische Werbung für die sogenannten „Fruchtzwerge“ („So wertvoll wie ein kleines Steak! “) oder auch Vergleiche aus dem Tierreich wie die folgenden, verbunden mit der Frage, ob diese Aussagen zutreffen: Ein Floh springt höher als ein Löwe. Ein Floh springt höher als ein Elefant. Die erste Aussage trifft zu, wenn man das Verhältnis von Sprunghöhe zur Körpergröße als Maßstab nimmt. Die zweite triff in jedem Fall zu, da Elefanten überhaupt nicht springen können. Hier kann sich die Frage anschließen, ob der Vergleich der Sprunghöhe bei Floh und Elefant überhaupt zulässig ist, und weiter, ob der Vergleichssatz vermuten lässt, dass Elefanten springen können und ob er damit gelogen wäre, weil das nicht der Fall ist, ob aus einem Satz wie „Bobby fliegt schneller als Lilo“ hervorgeht, dass sowohl Bobby als auch Lilo fliegen können (und vielleicht Vögel sind) und warum, oder ob vielleicht - zurück zum Floh - doch gemeint war, dass ein Floh höher springen könne, als ein Elefant hoch ist-… Um nicht den ganzen Lernweg vorwegzunehmen mögen diese Anregungen genügen, zusammen mit den Ausführungen in Kapitel 4.3.3. Wichtig ist, dass die Lernenden viel Gelegenheit bekommen, mit Beispielen zu operieren, diese zu modifizieren und zu diskutieren. Bevor es gegebenenfalls an Grice’sche Formulierungen und Begrifflichkeiten geht, muss herausgearbeitet sein, wie wir normalerweise verstehen, was gemeint ist: indem wir davon ausgehen, dass uns so viel mitgeteilt wird wie nötig und nicht mehr, dass das Mitgeteilte wahr ist, dass es für das Verstehen des Gemeinten von Bedeutung ist und dass es uns klar mitgeteilt wird. Die an diese begriffliche Grundlage anschließende Terminologie ist weniger entscheidend: Quantität, Qualität, Relevanz und Modalität oder Maß und Wahrheit, Wichtigkeit und Klarheit. 149 Aufgaben Rechtsnachweise Abb. 1: Entnommen aus Schulz von Thun, Friedemann (1982): Miteinander Reden. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt, S.-30. © 1982, Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg. Abdruck mit freundlicher Genehmigung. Abb. 2: Entnommen aus Steinig, Wolfgang / Huneke, Hans-Werner (2022): Sprachdidaktik Deutsch: Eine Einführung. 6. Aufl. Berlin: Erich Schmidt, S.-143. © 2022, Erich Schmidt Verlag, Berlin. Abdruck mit freundlicher Genehmigung 151 Aufgaben Literatur Abraham, Ulf / Baurmann, Jürgen / Feilke, Helmuth (2015): „Materialgestütztes Schreiben.“ Praxis Deutsch 251, 4-11. Ammon, Ulrich (2003): „Dialektschwund, Dialekt-Standard-Kontinuum, Diglossie: Drei Typen des Verhältnisses Dialekt - Standardvarietät im deutschen Sprachgebiet.“ In: Androutsopoulos, Jannis / Ziegler, Evelyn (Hg.): Standardfragen: Soziolinguistische Perspektiven auf Sprachgeschichte, Sprachkontakt und Sprachvariation. Frankfurt/ M. u. a.: Peter Lang, 163-172. Andresen, Helga / Funke, Reinold (2006): „Entwicklung sprachlichen Wissens und sprachlicher Bewusstheit.“ In: Bredel, Ursula u.-a. (Hg.): Didaktik der deutschen Sprache: Ein Handbuch. 2. Aufl. Paderborn u. a.: Schöningh, 438-451. Austin, John L. (1962/ 1972): How to do things with Words. The William James Lectures. Cambridge: Harvard University Press. Dt. (1972): Zur Theorie der Sprechakte. Übers. Eike von Savigny Stuttgart: Reclam, Ausgabe von 2019. 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Da liegen Verbindungen nahe. Tatsächlich aber werden pragmatische Begriffe und Konzepte im und für den Unterricht bisher wenig genutzt. Dieses Buch zeigt, wie die linguistische Pragmatik den Deutschunterricht unter der Oberfläche längst durchdrungen hat. Es bietet Lehrpersonen und Lehramtsstudierenden Hintergrundwissen und Ideen dafür, wie sich das Nachdenken über den Gebrauch von Sprache gewinnbringend in den Unterricht einbringen lässt. Die Merkmale verschiedener Kommunikationssituationen werden ebenso in den Blick genommen wie Bedeutungsaspekte von Äußerungen, die nur zu verstehen sind, wenn man Sprache im Gebrauch betrachtet. Pragmatik