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Pretend Reading: Vorschulkinder "lesen vor"

2023
978-3-7720-5791-5
A. Francke Verlag 
Kristina Strozyk
10.24053/9783772057915

Gängige Sprachförderkonzepte, die derzeit in Kindertagesstätten zum Einsatz kommen, konzentrieren sich primär auf die Förderung von Syntax und Wortschatz und sind häufig dialogisch ausgerichtet. Um bereits vorhandenes implizites Textwissen aktivierend herauszufordern, bietet es sich an, Kinder zu monologischen Textproduktionen anzuregen. Diesen Ansatz wählt diese Studie, in der Vorschulkinder aufgefordert wurden, ein ihnen bekanntes Bilderbuch "vorzulesen". Die Datenerhebung zu diesem als Pretend Reading bekannten Verfahren erfolgte in vier Durchgängen und in jeweils an das gezeigte Sprachhandeln der Kinder angepassten und modifizierten Settings. Die Auswertungsergebnisse verweisen eindrücklich auf das vielversprechende Potenzial des Pretend Reading zur Sprachförderung. Die Funktion der Musterhaftigkeit für eigene Textproduktion wird dabei besonders betont.

2 Kristina Strozyk Pretend Reading: Vorschulkinder „lesen vor“ Implizites Textwissen und Textproduktion am Ende des Kindergartenalters Pretend Reading: Vorschulkinder „lesen vor“ Literacy im Elementar- und Primarbereich Forschungsbeiträge zu Literalität & Literarität LiEP 2 Herausgegeben von Prof. Dr. Iris Kruse (Paderborn) Prof. Dr. Christiane Miosga (Hannover) Prof. Dr. Katharina J. Rohlfing (Paderborn) Prof. Dr. Elvira Topalović (Paderborn) Wissenschaftlicher Beirat Prof. Dr. Sandra Ballweg (Paderborn) Prof. Dr. Tabea Becker (Hannover) Prof. Dr. Heike Behrens (CH/ Basel) Dr. Kristin Börjesson (Halle) Prof. Dr. Monika Dannerer (A/ Innsbruck) Prof. Dr. Sara Fürstenau (Hamburg) Prof. Dr. Petra Gretsch (Freiburg) Dr. Angela Grimminger (Paderborn) Prof. Dr. Dieter Isler (CH/ Thurgau) Prof. Dr. Friederike Kern (Bielefeld) Prof. Dr. Norbert Kruse (Kassel) Prof. Dr. Daniela Merklinger (Ludwigsburg) Prof. Dr. Anja Müller (Mainz) Prof. Dr. Claudia Müller-Brauers (Hannover) Prof. Dr. Sven Nickel (I/ Bozen) Prof. Dr. Julie A. Panagiotopoulou (Köln) Prof. Dr. Anke Reichardt (Halle) Dr. Stefanie K. Sachse (Köln) Vertr.-Prof. Dr. Lis Schüler (Berlin) Dr. Jutta Trautwein (Paderborn) Prof. Dr. Benjamin Uhl (Koblenz) Prof. Dr. Constanze Weth (LU/ Luxemburg) Prof. Dr. Petra Wieler (Berlin) Prof. Dr. Anja Wildemann (Landau) Kristina Strozyk Pretend Reading: Vorschulkinder „lesen vor“ Implizites Textwissen und Textproduktion am Ende des Kindergartenalters Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktorin der Philosophie, vorge‐ legt im Fachbereich 02 der Universität Kassel unter dem ursprünglichen Titel: Vorschul‐ kinder „lesen vor“. Implizites Textwissen und Textproduktion am Ende des Kindergartenal‐ ters (Erstgutachter: Prof. Dr. Norbert Kruse, Zweitgutachter: Prof. Dr. Michael Ritter, Datum der Disputation: 28. September 2021, gekürzte Fassung). DOI: https: / / doi.org/ 10.24053/ 9783772057915 © 2023 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Überset‐ zungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor: innen oder Herausgeber: innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2751-6547 ISBN 978-3-7720-8791-2 (Print) ISBN 978-3-7720-5791-5 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0237-3 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 9 11 19 1 21 2 43 3 47 3.1 47 3.2 61 3.3 73 3.4 78 4 89 4.1 89 4.2 110 5 115 5.1 115 5.1.1 115 5.1.2 132 5.1.3 138 5.2 140 5.3 151 5.4 155 5.5 158 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil I: Theoretischer Rahmen und kategoriale Bestimmungen der Untersuchung Sprachförderung, Schrift und Text . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . Text, Textkompetenz und Textproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz . . . . . . . . . Vorlesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textproduktion im Medium der Mündlichkeit . . . . . . . . . . . . . Pretend Reading als Form der Textproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pretend Reading im Elementarbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Pretend Reading in der Grundschule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muster und Textproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musterhaftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formelhaftigkeit und Kreativität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Muster und die poetische Funktion der Sprache . . . . . . Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive . . Muster und Intertextualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Musterhaftigkeit und Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Spracherwerb und Kinderliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.6 160 5.7 167 6 175 6.1 176 6.2 200 7 207 217 1 219 2 221 2.1 221 2.2 240 2.3 245 2.3.1 248 2.3.2 263 3 281 3.1 281 3.1.1 281 3.1.2 308 3.1.3 337 3.1.4 378 3.1.5 420 3.1.6 462 3.1.7 472 3.2 509 Muster - eine vergleichende Gegenüberstellung . . . . . . . . . . . Das Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit Implizites Wissen und implizites Lernen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi . . . . . . . . . . Pretend Reading, implizites Lernen und implizites Wissen . . Erkenntnisse zum (impliziten) Erwerb und Gebrauch von Mustern didaktisch fruchtbar machen - ein Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Teil II: -Empirische Studie zum Pretend Reading -im Vorschulalter . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Forschungsidee: -Der Gebrauch von Textwissen beim „Vorlesen“ ohne Schriftkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Methodische und methodologische Überlegungen: Forschungsdesign, Forschungsarrangement und Forschungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erhebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Datenaufbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auswertungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beschreibung der Analyseraster zur Datenauswertung Vorgehen bei der Datenauswertung und Entwicklung der Kategorien und Analyseinstrumente . . . . . . . . . . . . Auswertung und Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textanalyse I: Frosch hat Angst von Ben . . . . . . . . . . . . . Textanalyse II: Clown Beppo von Kira . . . . . . . . . . . . . . . Textanalyse III: He Duda von Ida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textanalyse IV: Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten von Mia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Textanalyse V: Torro sieht rot von Nicole . . . . . . . . . . . Textanalyse VI: Apfelsaft holen von Jan . . . . . . . . . . . . . Textanalyse VII: Die kleine Elfe kann nicht schlafen von Muriel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 4 573 581 581 582 599 604 Ertrag und Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Primärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt 7 Vorwort Im Grundschulalter hatte ich Freude daran, in meiner Freizeit Geschichten zu schreiben und mit Zeichnungen zu illustrieren. Dazu gehörte auch das Verfassen von Geschichten zu anderen Geschichten, die mir gefielen. Diese Textproduktionen enthielten viele Inhaltselemente der Originalgeschichten. Dennoch gab es im Inhalt stets Variationen, beispielsweise das Verfassen einer Fortsetzung mit den bekannten Figuren. Auf der sprachlichen Ebene lassen sich in diesen Textproduktionen sprachliche Versatzstücke aus den Originalge‐ schichten identifizieren. Dass es sich dabei um das Phänomen der Intertextualität handelt, das grund‐ legend für das Verfassen von Texten ist, und dass es didaktische Konzeptionen geben wird, die den Gebrauch von Musterhaftigkeit nutzen und sich für die Textproduktion zu Texten aussprechen, ahnte ich damals natürlich nicht. Und auch nicht, dass mich das Thema Musterhaftigkeit lange und intensiv begleiten wird. Ein ganz besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Norbert Kruse, der den Entstehensprozess dieser Studie als Betreuer in wertschätzender Weise begleitete und mir viele hilfreiche Hinweise und Anregungen gab. Herzlichen Dank für Deine hervorragende Betreuung und Unterstützung! Außerdem danke ich Herrn Professor Dr. Michael Ritter sehr herzlich für die Übernahme des Zweitgutachtens. Ein herzlicher Dank geht des Weiteren an alle Kinder für das „Vorlesen“ ihrer Bilderbücher im Rahmen dieser Studie sowie an ihre Eltern. Zudem bedanke ich mich auch sehr bei den Studierenden, die die Erprobungen zum Pretend Reading mit den Kindern durchführten. Zudem danke ich Frau Professorin Dr. Friederike Heinzel, Frau Professorin Dr. Anke Reichardt, Frau Professorin Dr. Lis Schüler und Frau Professorin Dr. Hanna Sauerborn für wertvolle Hinweise. Ich bedanke mich bei den Mitgliedern des Promotionskollegs der Universität Kassel für ihre Anregungen und der Dissertationsrunde von Herrn Professor Dr. Norbert Kruse an der Universität Kassel insbesondere für die Teilnahme an Datensitzungen. Zudem danke ich Herrn Professor Dr. Thorsten Pohl, Herrn Professor Dr. Arne Wrobel, Herrn Professor Dr. Helmuth Feilke, Frau Professorin Dr. Astrid Neumann, Herrn Pro‐ fessor Dr. Hansjakob Schneider und Frau Professorin Dr. Anita Schilcher für ihre Beratung in Kolloquien im Rahmen der dieS-Sommerschule. Ich bedanke mich des Weiteren herzlich bei Frau Professorin Dr. Iris Kruse, Frau Professorin Dr. Christiane Miosga, Frau Professorin Dr. Elvira Topalović und Frau Professorin Dr. Katharina Rohlfing sowie bei Herrn Dr. Bernd Maubach. Außerdem möchte ich mich herzlich bei Herrn Tillmann Bub vom Narr-Verlag bedanken. Ein herzlicher Dank geht zudem an Elvira Dyck, Christian Haaßio, Julia Hei‐ derich, Dr. Bernd Maubach, Kathrin Meckbach, Leif Pollex, Brigitte Retter, Na‐ dine Rudolph, Luisa Maria Schäfer, Isabella Schulz, Regina Schwarzbach-Bräu‐ tigam, Claudia Strozyk, Dominik Strozyk und Konstantin Strozyk für das gewissenhafte Korrekturlesen der Arbeit. Ganz besonders danke ich meinen Eltern Uta und Michael sowie meinem Bruder Konstantin für ihre Unterstützung! Abschließen möchte ich mit einem Hinweis: Zum Buch finden Sie umfang‐ reiches Zusatzmaterial im digitalen Anhang. Dieser enthält weitere praktische Hinweise zur Durchführung von Pretend-Reading-Situationen, Schulungsma‐ terial und illustrierende tabellarische Darstellungen. Sie finden ihn im Webshop des Narr-Verlags unter https: / / www.narr.de/ Pretend-Reading-Vorschulkinder-l esen-vor-38791-1. 10 Vorwort 1 Der Name des Kindes wurde aus Datenschutzgründen geändert. 2 Scheffler, Axel (2017): Hase und Igel. Weinheim, Basel: Beltz/ Gelberg. Einleitung ‚kann es losgehen? ‘ der hase tute so, als wäre er nicht da. [2] ‚natürlich [leise] , ei: ns, zwei: , drei: .‘ der hase rennte von der kanone wie schnell, wie’s geht […] (Emilia 1 zum Bilderbuch Hase und Igel (2017) von Axel Scheffler, 9. DS) 2 Die Kultusministerinnen und -minister verständigten sich als Reaktion auf die Ergebnisse von PISA in ihrer Plenarsitzung am 5./ 6. Dezember 2001 auf sieben Handlungsfelder. Vorrangig tätig werden wollten sie dabei in den Hand‐ lungsfeldern „‚Maßnahmen zur Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im vorschulischen Bereich‘ und […] ‚Maßnahmen zur wirksamen Förderung bildungsbenachteiligter Kinder, insbesondere auch der Kinder und Jugendlichen mit Migrationshintergrund (KMK, 2001)‘“ (Redder et al. 2011, S. 6). In ihrer „Bilanz und Konzeptualisierung von strukturierter Forschung zu ‚Sprachdiag‐ nostik und Sprachförderung‘“ (Redder et al. 2011) konstatieren Redder et al., dass es im Bereich der Sprachdiagnostik und Sprachförderung „an Grundlagen‐ kenntnissen über sprachliche Aneignungsprozesse“ (ebd., S. 6) sowie an wissen‐ schaftlich verantworteten Interventionen mangele. (Vgl. ebd.) Als Grundlage für erfolgreiche schulische Bildung gelten bildungssprachliche Kompetenzen und konzeptionelle Schriftlichkeit (vgl. ebd., S. 67). Nach Weinert et al. (2010), die im Rahmen der Studie BiKS-3-8 Unterschiede hinsichtlich der Entwicklung von sprachlichen und kognitiven Kompetenzen Dreibis Fünfjähriger in den Blick nahmen, variieren die Kompetenzen der Kinder „in Abhängigkeit von sozialen Hintergrundvariablen“ (Weinert et al. 2010, S. 41). Daraus ergibt sich die Forderung, konzeptionell schriftliche Kompetenzen bei Kindern zu fördern: Die Konsequenz ist, dass (frühe) sprachliche Förderung Kompetenzen fördern muss, die über die konzeptionell mündliche Sprache hinausgehen und auch jene Sprach‐ kompetenzen aufbauen und fördern [muss], denen in der Schule und für schulisches Lernen besondere Bedeutung zukommt. (Redder et al. 2011, S.-67f.) (Vgl. ebd.) Redder et al. (2011) arbeiten mit dem Qualifikationenfächer nach Ehlich (Ehlich et al. 2008), um dem komplexen Sprachbegriff in der Beschreibung der Sprachaneignung gerecht zu werden. Zweck der Auffächerung des sprachlichen Handelns nach unterschiedlichen Basis‐ qualifikationen ist es, Sprache umfassend als ein gesellschaftliches Handlungsmittel zu begreifen und insbesondere auch solche Teilbereiche sichtbar zu machen, die bisher in der Forschung vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit erfahren haben. (Redder et al. 2011, S. 97) So bezieht sich die literale Basisqualifikation I auf präliterale Vorläuferfähig‐ keiten sowie den Eintritt der Kinder in die Schriftlichkeit. Sie umfasst „das Erkennen und Produzieren von Schriftzeichen“ (ebd., S. 99), „die Umsetzung mündlicher Sprachprodukte in schriftliche und umgekehrt“ (ebd.) sowie „erste Erfahrungen mit Texten“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Nach Heger (2018) scheinen spezi‐ fische Angebote, die auf Schriftsprache bezogen sind, eher die Ausnahme im Kindergartenalltag zu sein, während Förderangebote zur mündlichen Sprache stärker fokussiert werden (vgl. Heger 2018, S. 42). In ihrer Studie Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb (2015) nimmt Sauerborn eine kritische Sicht auf die „einseitige Fokussierung auf die phonologische Bewusst‐ heit“ (Sauerborn 2015, S. 4) als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb ein. „In Folge einer Art Mythologisierung der phonologischen Bewusstheit findet seit Ende der 80er Jahre eine verengte Sichtweise auf das komplexe Bedingungsgefüge des Schriftspracherwerbs und den Vorläuferfähigkeiten zum Lesen und Schreiben statt“ (ebd., S. 2). Während sich im deutschen Sprachraum diese Verengung verschärfte, da alternative Erklärungsansätze kaum rezipiert wurden, werden im anglo-amerikanischen Sprachraum vorschulische Vorer‐ fahrungen unter dem Konstrukt Early Literacy subsummiert, von denen die phonologische Bewusstheit lediglich ein Aspekt ist (vgl. ebd.). Sauerborn fordert das Einfließen von Aspekten „des Erwerbs konzeptioneller Schriftlichkeit bzw. eines literaten Registers“ (ebd., S. 181) in die Early Literacy Bildung (vgl. ebd.). Sie schreibt dazu: „Es wäre wünschenswert, ein dezidiertes Modell zum Schriftspracherwerb zu entwickeln, der diesen Erwerbsprozess hinreichend abbildet“ (ebd.). Auch Isler und Künzli kritisieren an Programmen zur Förderung von Vorläuferfähigkeiten des Lesens und Schreibens in der Deutschschweiz, dass mit diesen „vorwiegend technische, isoliert vermittelbare Fertigkeiten trainiert [werden], die den Aufbau einer komplexen schriftsprachlichen Hand‐ lungsfähigkeit langfristig kaum beeinflussen“ (Isler/ Künzli 2010, S. 1). Isler et al. (2018) richten den Blick auf mündliche Textfähigkeiten im Kindergartenalter: Wie aktuelle Studien zeigen, ist der Anteil herausfordernder Sprachhandlungen in pädagogischen Einrichtungen ausbaufähig, lässt sich das erwerbsunterstützende[] Handeln der Fachpersonen optimieren und wirkt sich ein optimiertes Handeln der Fachpersonen günstig auf das sprachliche Lernen der Kinder aus. Bisher fehlen 12 Einleitung aber Studien, die diese Wirkung im Hinblick auf mündliche Textfähigkeiten und methodisch robust untersuchen. (Isler et al. 2018, S. 1) Es deutet sich hier die Notwendigkeit an, Sprachförder- und Sprachbildungspro‐ gramme für den Vorschulbereich zu entwickeln, die auch literale Basisqualifi‐ kationen (Ehlich 2007) in den Blick nehmen und auf diese Weise zur Entwicklung früher Textkompetenz beitragen. Dies unterstreicht auch der Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 05.12.2019 zur Stärkung bildungssprachlicher Kompetenzen. Aus dieser Emp‐ fehlung geht hervor, dass „sprachliche Bildung und Sprachförderung bereits im Elementarbereich für den gelingenden Übergang in den Primarbereich angebahnt werden [sollten]“ (KMK 2019, S. 5). „Die Kultusministerkonferenz hat bereits in den vergangenen Jahren immer wieder die grundlegende Bedeutung bildungssprachlicher Kompetenzen in der deutschen Sprache für den Schuler‐ folg betont“ (ebd., S.-2). Wie Merklinger in ihrer Studie Frühe Zugänge zur Schriftlichkeit (2011) zum diktierenden Schreiben zeigt, sind Kinder bereits vor Beherrschung der Schrift in der Lage, im Medium der Mündlichkeit Texte zu produzieren, die Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit (Koch/ Oesterreicher 1994) aufweisen können. Merklingers Studie konnte zeigen, dass es sich bei der Diktiersituation, in der ein Vorschulkind einer Skriptorin oder einem Skriptor einen Text diktiert, nicht nur um eine Beobachtungssituation, sondern auch um „eine Lernsituation für frühe Zugänge zu (konzeptioneller) Schriftlichkeit“ (Merklinger 2011, S. 189) handelt (vgl. ebd.). Merklinger wählte zur Durchführung von Diktiersituationen eine Aufgabenstellung aus dem Schreiben zu Vorgaben (Dehn et al. 2011), indem sie Kinder ihre Gedanken zu einem Bilderbuch diktieren ließ (vgl. Merklinger 2011, Dehn et al. 2011). In ihrem didaktischen Konzept Texte und Kontexte (2011) zum Schreiben zu Vorgaben, bei dem Intertextualität eine bedeutsame Rolle spielt, verdeutlichen Dehn et al. die Bedeutsamkeit einer sprachlichen (und/ oder bildlichen) Vorgabe in Form eines Textes, eines Bilderbuches, eines Bildes etc., zu der Kinder eigene Texte produzieren, für die Komplexität der entstehenden Texte (vgl. Dehn et al. 2011). So zeichnen sich zu Bilderbüchern produzierte Kindertexte durch eine höhere Komplexität aus als Erlebniserzählungen. Dass Kindertexte, die fiktionalen Charakter haben, komplexere Strukturen aufweisen als Erlebnistexte, die Kinder vom Wochenende oder über die Ferien verfasst haben, zeigt die Forschung - und begründet dies mit dem Rückgriff auf sprachliche und literarische Muster, die die Vorgaben als Material für das Schreiben anbieten (vgl. Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011). (Merklinger 2014, S.-4) Einleitung 13 3 Zum Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit vgl. Kapitel I.5.7. Narrative Strukturmuster erwerben Kinder durch das Vorlesen und Erzählen von Geschichten - und zwar als implizites Wissen (vgl. Spinner 2005, S. 155). Musterbildung vollzieht sich nach Dehn als implizites Lernen und innere Re‐ gelbildung (vgl. Dehn 2005, S. 24). Sie bezeichnet Schreiben, also „Gedanken, Wissen, Mitteilungen, Empfindungen, Erfahrungen, Erinnerungen aus dem Kopf aufs Papier zu bringen“ (ebd., S. 11), als Transformationsprozess. (Vgl. ebd.) Das Material des Transformationsprozesses sind dabei Muster (vgl. Dehn 2005, S. 13). Iris Kruse und Norbert Kruse (2007) stellen folgenden Zusammenhang zwischen dem Erwerb von Textkompetenz und dem Gebrauch sprachlicher Muster her: „Die Übernahme, Variation oder Transformation solcher Muster in die Struktur eigener Texte wird als Vorgang gesehen, der der Entwicklung von Textkompetenz dient“ (ebd., S. 30). In seinem Artikel Spracherwerb und Kinder‐ literatur (2011) stellt Jörg Meibauer u. a. die folgende These auf: „Kinderliteratur ist ein spezifischer Input im Spracherwerb. Eine Theorie des Spracherwerbs muss berücksichtigen, wie dieser Input den Erwerbsprozess beeinflusst.“ (Mei‐ bauer 2011, S. 9) Als Forschungsdesiderat fordert er die empirische Erforschung des Zusammenhangs „zwischen Spracherwerb und dem Erwerb von Kinderli‐ teratur“ (ebd., S.-19) (vgl. ebd.). Die eingangs zitierte Textpassage stammt aus einem mündlich produzierten Text vom Vorschulkind Emilia. Emilia wird zunächst das ihr bereits bekannte Bilderbuch Hase und Igel von Axel Scheffler vorgelesen. Anschließend „liest“ Emilia der oder dem Erwachsenen das Buch „vor“, obwohl sie selbst noch gar nicht lesen kann. Wie der Hase in ihrer Geschichte so tut, als wäre der Igel nicht da, so tut Emilia so, als würde sie das Bilderbuch vorlesen. Ähnlich wie im Kon‐ zept Texte und Kontexte findet in dieser Situation eine Textproduktion zu einem Text statt. In der kurzen Textpassage ist eine Herausforderung des Gebrauchs von Elementen konzeptioneller Schriftlichkeit durch die Aufgabe erkennbar. Des Weiteren lassen sich in der Textpassage formelhafter Sprachgebrauch und das Nutzen sprachlicher Versatzstücke aus einem weiteren Text beobachten. Emilia macht Gebrauch von der Zeitform Präteritum, „die für literarische Texte typische Form“ (Last et al. 2017, S. 19). Die Bildungen der Präteritumformen der starken Verben tun und rennen können dabei als Übergeneralisierungen bezeichnet werden. Zudem verwendet Emilia den Konjunktiv und bildet hy‐ potaktische Satzkonstruktionen. Auch Musterhaftigkeit lässt sich an Emilias Textproduktion erkennen. Zum einen greift Emilia in dieser Textpassage auf das erzähltypische Muster 3 der direkten Rede zurück. Dabei nutzt sie direkte Rede ohne Redebegleitsatz, während das Bilderbuch in diesem Kontext direkte 14 Einleitung Rede mit nachgestelltem Begleitsatz enthält. Zum anderen scheint Emilia zwei Variationen sprachlicher Muster zu kombinieren: Sie nutzt eine Variation des Phraseologismus wie aus der Kanone geschossen, der im Bilderbuch im gleichen Kontext vorkommt, und kombiniert diesen mit einer Variation des sprachlichen Musters so schnell, wie es geht, das im Bilderbuch nicht enthalten ist. Dieses Muster erfüllt die Funktion, die hohe Geschwindigkeit, mit der der Hase losrennt, zu betonen. Die Information, dass der Hase so tut, als sei der Igel gar nicht da, bringt Emilia mit einer hypotaktischen Satzkonstruktion zum Ausdruck, die das sprachliche Muster so tun, als ob enthält. Im Bilderbuch wird dieses sprachliche Muster in dieser Form nicht verwendet. Hier wird vermittelt, dass der Hase eine Wolke fragt, ob es losgehen kann, „als ob der Igel gar nicht da wäre“ (Scheffler 2017, 9. DS). Emilia bringt somit mit Hilfe des sprachlichen Musters so tun, als ob die Kernaussage dieses Satzgefüges zum Ausdruck. Die von Emilia genutzte Formulierung kann es losgehen? wird im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet und kann daher als sprachliches Muster bezeichnet werden. Auch das Muster ei: ns, zwei: , drei: ist sowohl in Emilias Text als auch im Bilderbuchtext enthalten. Während Emilia zu einer solchen Textproduktion im Rahmen eines für die vorliegende Studie entwickelten Settings zur Durchführung einer Pretend-Rea‐ ding-Situation herausgefordert wurde, lässt sich ein solches Verhalten auch bei einigen Kindern in ihrem privaten Umfeld beobachten. „For decades parents have reported that their young children ‘memorize books’ and act as if they are reading” (Sulzby 1988, S. 39). Dieser Vorgang, der auch als „emergent storybook reading“ (Sulzby 1985, S. 460) bekannt ist, wird von Ray Reutzel als eine frühe Form des Lesens bezeichnet (vgl. Reutzel 1995, S. 310). Nach Janice Beaty und Linda Pratt erproben Kinder beim Pretend Reading ihre Vorstellungen darüber, wie geschriebene Sprache funktioniert: „Children test their beliefs about how written language works by trying it themselves through imitation and play (e.g., pretend reading; scribble writing)” (Beaty/ Pratt 2011, S. 7). Sascha Wittmer un‐ tersucht in seinem derzeitigen Forschungsvorhaben Transformationsprozesse beim Pretend Reading in der dritten Klasse mit gereimten Bilderbüchern. Anders als in Pretend-Reading-Situationen mit Vorschulkindern wurden im Rahmen dieser Studie die Texte der Bilderbücher, die von den Grundschulkindern im „Pretend Reading Modus“ (Merklinger/ Wittmer 2018, S. 309) vorgelesen werden sollten, abgeklebt. Mit diesem Setting sollten die Kinder „stärker zu einem dekontextualisierten Sprachgebrauch herausgefordert werden“ (ebd., S. 311). (Vgl. dazu ebd.) Müller und Stark beschreiben den Forschungsstand zum Pretend Reading im Vorschulalter in Deutschland 2016 wie folgt: „[V]ery few studies exist that highlight the meaning of pretend reading for literacy Einleitung 15 learning” (Müller/ Stark 2016, S. 1). Diese von Müller und Stark aufgezeigte Forschungslücke gilt es mit der vorliegenden Dissertation in gewissem Maße zu schließen. In Anlehnung an Neuwegs Definition von implizitem Wissen als Wissen, „das in der praktischen Kompetenz einer Person […] zum Ausdruck kommt, das aber nicht oder nicht angemessen verbalisiert werden kann“ (Neuweg 2000, S. 198), zeigt sich in Emilias Textproduktion ihre Textkompetenz bzw. ihr Können. Die vorliegende Arbeit setzt sich zum Ziel, die Wissensbzw. Bewusstseinstheorie Michael Polanyis, die von Neuweg in seinem Werk Könnerschaft und implizites Wissen (2004, 2020) aus vielen Werken Polanyis rekonstruiert wurde, mit der Textproduktion im Vorschulalter in Verbindung zu setzen. Polanyis Werk fand und findet hauptsächlich im angloamerikanischen Sprachraum Resonanz. Erhellend ist hier der Hinweis, dass die bislang einzige Buchübersetzung ins Deutsche 1985 erfolgte […]. Erst von diesem Zeitpunkt an sind Bezugnahmen auf Polanyi im deutschen Sprachraum in nennenswertem Ausmaß feststellbar. […] Zwar verweisen die meisten Arbeiten, die sich mit dem Konzept des impliziten Wissens auseinandersetzten, auf Polanyi als Begriffsschöpfer. Eine Auseinandersetzung mit dem theoretischen und philosophischen Kontext, in den dieser Begriff bei Polanyi eingebettet ist, erfolgt jedoch kaum […]. (Neuweg 2020, S.-56) Die der vorliegenden Studie zur frühen Textkompetenz zugrundeliegende Auf‐ fassung von Sprachlichkeit beschränkt sich nicht auf ein rein innersprachliches Modell von Sprache. Vielmehr spielt die Funktion von Texten eine entschei‐ dende Rolle (vgl. dazu die textlinguistische Position Kirsten Adamziks (2004)). Mit der Sprache erwerben Kinder gleichzeitig „literale Basisqualifikationen“ (Ehlich 2007), die insbesondere in Form von implizitem Textwissen vorliegen. Ein Ziel der vorliegenden Studie besteht darin, Erkenntnisse für die Entwicklung von Sprachförderprogrammen zu gewinnen, die das implizite Textwissen von Kindern in den Blick nehmen und daran anknüpfen. In der Studie soll mit Hilfe von Pretend-Reading-Situationen Sprachproduktion in Form von monolo‐ gischer Textproduktion angeregt werden. Dabei werden die Kinder nicht aufge‐ fordert, den Inhalt des Bilderbuches zu erzählen, sondern das Bilderbuch vorzu‐ lesen. Als weiteres Ziel der Durchführung von Pretend-Reading-Situationen mit Vorschulkindern gilt, den Gebrauch impliziten Textwissens herauszufordern. Dieses schließt die Herausforderung des Nutzens konzeptionell schriftlicher Elemente mit ein. Folgenden zwei Forschungsfragen wird in der vorliegenden Arbeit nachgegangen: 16 Einleitung 1. Welches implizite Textwissen bzw. welches praktische Können (Neuweg 2000) im Hinblick auf monologische Textproduktion lässt sich durch Pretend-Reading-Si‐ tuationen bei Vorschulkindern herausfordern? Zur Beantwortung dieser Frage werden folgende Unterfragen berücksichtigt: 1.1. Wie organisieren Vorschulkinder einen Text? (Wie) gelingt Vorschulkindern eine monologische Textproduktion? • (Mit welchen Mitteln) wird Kohärenz hergestellt? • Was sind die Anker, die die Textproduktion stützen? • Lässt sich Musterhaftigkeit in der Textproduktion erkennen? Welche Funk‐ tion erfüllen verwendete Muster für die Textproduktion? • (Inwieweit) zeigt sich konzeptionelle Schriftlichkeit in der mündlichen Textproduktion? 1.2. Welche Bezüge sind zwischen der (sprachlichen) Gestaltung des Kindertextes und der des zuvor vorgelesenen Bilderbuches zu erkennen? • Welche Elemente, insbesondere Muster, werden aus dem vorgelesenen Bilderbuch (in welcher Form, welchem Kontext und mit welcher Funktion) übernommen? • Welchen Einfluss hat poetischer Sprachgebrauch auf die Übernahme und den Gebrauch sprachlicher Muster? Die Anschlussfrage zur Sprachförderung im Vorschulalter lautet: 2. Eignet sich Pretend Reading als Methode zur Förderung literaler Textentwicklung im Vorschulalter? An dieser Stelle sei bereits der Hinweis gegeben, dass Gedächtnisleistung, die vermutlich beim „Vorlesen“ eines bereits bekannten Bilderbuches durch ein Vor‐ schulkind eine Rolle spielt, nicht Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Studie ist. Die Forschungsarbeit zur frühen Textkompetenz gliedert sich in einen ersten Teil, der sich mit dem theoretischen Rahmen und den kategorialen Bestimmungen der Untersuchung beschäftigt, und einen zweiten Teil zur empirischen Studie zur mündlichen Textproduktion von Vorschulkindern. Das erste Kapitel des Theorieteils dient dazu, die Ausgangslage zur vorschu‐ lischen Sprachförderung in Deutschland darzustellen, kritisch zu beleuchten und im Zuge dessen die Forschungslücke aufzuzeigen. Die Darstellung des Forschungsstandes zum Erzählen im Vorschul- und Grundschulalter im zweiten Kapitel erfolgt unter besonderer Berücksichtigung von Ergebnissen zum Er‐ Einleitung 17 zählen im Kindergartenalter sowie zum Gebrauch sprachlicher Versatzstücke und formelhafter Wendungen. Im dritten Kapitel wird der Blick auf die Textre‐ zeption und die Textproduktion im Vorschulalter gerichtet. Anschließend wird im vierten Kapitel der Forschungsstand zum Pretend Reading dargestellt, wobei sowohl Studien aus dem angloamerikanischen als auch aus dem deutschspra‐ chigen Raum berücksichtigt werden. Im fünften Kapitel wird der für die vorlie‐ gende Studie sehr zentrale Begriff Muster unter einer (text-)linguistischen und einer didaktischen Perspektive beleuchtet und das Verhältnis von Musterhaftig‐ keit bzw. Kreativität und Formelhaftigkeit (Stein 1995) thematisiert. Das Kapitel schließt mit einer Vorstellung des der vorliegenden Studie zugrundliegenden Musterbegriffes, der aus theoretischen Konzepten zur Musterhaftigkeit und am Material aus Pretend-Reading-Situationen in einem induktiv-deduktiven Verfahren entwickelt wurde. Das sechste Kapitel befasst sich mit implizitem Wissen und Lernen, dessen Kern die Übertragung der Theorie impliziten Wis‐ sens nach Polanyi auf den Textproduktionsprozess bildet. Im abschließenden siebten Kapitel des Theorieteils werden verschiedene didaktische Konzepte zum Vorschul- und Grundschulbereich vorgestellt, die Erkenntnisse zur Intertextu‐ alität sowie zum impliziten Erwerb von Musterwissen nutzen und didaktisch fruchtbar machen. Der zweite Teil zur empirischen Studie beginnt im ersten Kapitel mit der Beschreibung der Forschungsidee. Kapitel zwei dient der Darstellung des Erhebungsverfahrens, der Datenaufbereitung und des Auswertungsverfahrens, wobei eine Beschreibung des Forschungsprozesses stattfindet. Das dritte Kapitel umfasst die Datenauswertung sowie die Darstellung der Ergebnisse. Das vierte Kapitel beinhaltet den Ertrag der Studie sowie die Diskussion der Ergebnisse. 18 Einleitung Teil I: Theoretischer Rahmen und kategoriale Bestimmungen der Untersuchung 1 Sprachförderung, Schrift und Text Inwiefern werden Schrift und Text in Sprachfördermaßnahmen und Förderkon‐ zepten im Elementarbereich in Deutschland berücksichtigt und auf welche Weise wird das Medium Bilderbuch zur Sprachförderung eingesetzt? Diesen Fragen widmet sich das vorliegende Kapitel, indem nach einer Darstellung der Ausgangslage zur vorschulischen Sprachförderung in Deutschland exem‐ plarisch unterschiedliche Konzepte zur alltagsintegrierten Sprachförderung dies‐ bezüglich analysiert werden. Es gilt, die Forschungslücke im Bereich der vor‐ schulischen Sprachförderung aufzuzeigen und somit das Forschungsinteresse der vorliegenden Studie zu verorten. In Bilanz und Konzeptualisierung von strukturierter Forschung zu ‚Sprachdiag‐ nostik und Sprachförderung‘ (2011) geben Angelika Redder, Knut Schwippert, Marcus Hasselhorn, Sabine Forschner, Detlef Fickermann und Konrad Ehlich einen Problemaufriss hinsichtlich der Sprachdiagnostik und Sprachförderung im vorschulischen und schulischen Bereich in Deutschland. Wie aus der Einlei‐ tung zur vorliegenden Studie hervorgeht, zählen der Bereich der Förderung von Sprachkompetenz im Elementarbereich sowie der Bereich der Förderung bildungsbenachteiligter Kinder unter besonderer Berücksichtigung von Kindern mit Migrationshintergrund zu den vom Kultusministerium als Reaktion auf die Ergebnisse von PISA festgelegten zentralen Handlungsfeldern (vgl. Redder et al. 2011, S. 6). Seit 2001 sind in allen deutschen Bundesländern Sprachstandsfests‐ tellungsverfahren für Kinder im Vorschulalter eingeführt worden - und zwar in Verbindung mit Sprachfördermaßnahmen. Allerdings seien nach Redder et al. nur einige der Sprachstandsfeststellungsverfahren hinreichend wissenschaft‐ lich fundiert und nur wenige der Sprachförderprogramme und -maßnahmen evaluiert. (Vgl. ebd.) Redder et al. identifizieren drei zentrale Bedarfsfelder, „bei denen mit einem besonders hohen Wirkungsgrad erfolgreicher Fördermaßnahmen für den weiteren Verlauf der Bildungsbiographien gerechnet werden darf “ (ebd., S. 62). Eines der Bedarfsfelder ist „der Anstieg bildungsrelevanter Sprachdefi‐ zite im Vorschul- und Grundschulalter“ (ebd.). Da den frühen sprachlichen Fähigkeiten eine wichtige Bedeutung für den schulischen Erfolg zugeschrieben wird, wurden in mehreren Bundesländern Sprachstandserhebungsverfahren eingeführt, mit denen sogenannte „Risikokinder“, die eine besondere Förderung benötigen, ein bis zwei Jahre vor Schuleintritt identifiziert werden können. Ins‐ besondere Kinder, die die deutsche Sprache noch nicht ausreichend beherrschen, sollen berücksichtigt werden. Gezielte Sprachförderprogramme sollen beispielsweise zur Erweiterung des Wort‐ schatzes, zur Verbesserung der Begriffsbildung, der syntaktischen Fähigkeiten und der Lautdiskriminationsfähigkeit beitragen, aber auch zur verbesserten Verfügbarkeit komplexerer sprachlicher Handlungsformen im schulischen Diskurs. (Ebd.) Redder et al. (2011) heben die Bedeutsamkeit von konzeptioneller Schriftlichkeit und bildungssprachlicher Kompetenzen für eine erfolgreiche schulische Bildung hervor (vgl. ebd., S. 67). Als Konsequenz fordern sie eine (frühe) Förderung von Sprachkompetenzen, die in den Bereich konzeptioneller Schriftlichkeit fallen (vgl. ebd., S. 67f.). Bei der Beschreibung der Aneignung von Sprache stehen jedoch häufig Grammatik und Wortschatz im Vordergrund. „Auch die Aneignung der lautlichen Charakteristika der jeweiligen Sprache wird, häufig auf den Aspekt der Aussprache verkürzt, als Aneignungsaufgabe kleiner Kinder wahr‐ genommen“ (ebd., S. 97). Dabei ist die Aneignung von Sprache als komplexes Geschehen zu betrachten, „das weit mehr umfasst als die traditionell vor allem wahrgenommenen Bereiche der Phonologie, der Grammatik (Formen‐ lehre/ Morphologie und Satzlehre/ Syntax) und der Lexik“ (ebd.). Kinder müssen neben den Formelementen einer Sprache auch lernen, wie sie durch sprachliches Handeln ein Ziel erreichen können. Für die erfolgreiche Sprachaneignung ist es wichtig, dass die unterschiedlichen Qualifikationen zusammenwirken und „zu einem umfassenden sprachlichen Handeln“ (ebd.) qualifizieren. (Vgl. ebd.) Um dem „komplexen Sprachbegriff in der Charakterisierung der Sprachaneig‐ nung gerecht zu werden“ (ebd.) greifen Redder et al. als Referenzrahmen auf das in der Einleitung der vorliegenden Studie bereits erwähnte Konzept eines Qualifikationenfächers nach Ehlich et al. (2008) zurück, bei dem auch die An‐ eignung pragmatischer, diskursiver und literaler Kompetenzen berücksichtigt wird (vgl. Redder et al., S. 97). Insgesamt lassen sich acht Basisqualifikationen des Qualifikationsfächers unterscheiden: Die phonetische Basisqualifikation betrifft „Wahrnehmung, Unterscheidung und Produktion von Lauten, Silben und Wörtern sowie die Erfassung und zielsprachliche Produktion von über‐ greifenden intonatorischen Strukturen“ (ebd., S. 98) wie die Wort- oder die Äußerungsprosodie. Die pragmatische Basisqualifikation I umfasst den Erwerb elementarer sprachlicher Handlungsmuster und das Kennenlernen und Nutzen passender sprachlicher Mittel. Die semantische Basisqualifikation fokussiert die Wörteraneignung, die Begriffsbildung und darüber hinaus die Übertragung von Bedeutungen wie beispielsweise bei Metaphern und Redewendungen. Des Weiteren betrifft sie auch die Ermittlung von Satzbedeutungen. Die morpholo‐ 22 1 Sprachförderung, Schrift und Text 4 BiKS ist eine Abkürzung für „die interdisziplinäre Bamberger Forschergruppe ‚Bildung‐ sprozesse, Kompetenzentwicklung und Selektionsunterscheidung [Hervorh. im Ori‐ ginal] im Vorschul- und Schulalter‘“ (Faust 2013, S.-7). (Vgl. ebd.) gisch-syntaktische Basisqualifikation fokussiert den Bereich der traditionellen Grammatik. Die diskursive Basisqualifikation umfasst „die Befähigung zum kom‐ plexen zweckgerichteten sprachlichen Handeln mit anderen“ (ebd., S. 99) sowie den Erwerb von Erzählfähigkeiten. Dieser beginnt mit etwa drei Jahren und entwickelt sich bis ins Schulalter hinein. Die pragmatische Basisqualifikation II bezieht sich auf die pragmatischen Kompetenzen der Kinder, die relevant werden, wenn sie in eine Bildungsinstitution eintreten. Ein wichtiger Schritt in der sprachlichen Entwicklung des Kindes ist es, angemessene sprachliche Mittel für die Verwendung in unterschiedlichen sozialen Wirklichkeitsbereichen zu erwerben. Die literale Basisqualifikation I bezieht sich auf präliterale Vorläufer‐ fähigkeiten sowie den Eintritt der Kinder in die Schriftlichkeit. Sie fokussiert „das Erkennen und Produzieren von Schriftzeichen“ (ebd.), „die Umsetzung mündlicher Sprachprodukte in schriftliche und umgekehrt“ (ebd.) sowie „erste Erfahrungen mit Texten“ (ebd.). Diese Erfahrungen werden gemacht durch Vorlesen und Anschlusskommunikation, die das Vorgelesene aufgreift. Die literale Basisqualifikation II umfasst „das Erkennen und Nutzen orthographi‐ scher Strukturen beim Lesen und Schreiben“ (ebd.), aber auch auf den Aufbau von schriftlicher Textualität. Die Beschäftigung mit Schrift befördert auch die Entwicklung von Sprachbewusstheit, auf die sich die literale Basisqualifikation II ebenfalls bezieht. (Vgl. ebd.) Aus der von Redder et al. erstellten Übersicht von Sprachstandserhebungs‐ verfahren, die im Elementarbereich eingesetzt werden, geht hervor, welche der Basisqualifikationen die jeweiligen Verfahren fokussieren. Während sich 22 Sprachstandserhebungsverfahren auf die phonische Basisqualifikation, 17 auf die pragmatische Basisqualifikation I, 27 auf die semantische Basisqualifika‐ tion, 25 auf die morphologisch-syntaktische Basisqualifikation und elf auf die diskursive Basisqualifikation beziehen, nehmen lediglich vier Verfahren auf die pragmatische Basisqualifikation II (BEK, HAVAS 5, SELDAK, SISMIK) Bezug, drei Verfahren (BISC, SLDAK, SISMIK) auf die literale Basisqualifikation I und kein einziges Verfahren auf die literale Basisqualifikation II (vgl. ebd., S.-101f.). Hinsichtlich der vorschulischen Förderung in Bayern und Hessen führte Wilfried Smidt im Rahmen der Forschungsgruppe BiKS 4 eine Studie zur Art, dem Ausmaß und der pädagogischen Qualität von Förderung im vorschulischen Bereich durch. Dabei wurden 102 Kinder aus 51 Kindergartengruppen mit einem Time-Sampling-Verfahren beobachtet. Dies fand im ersten, zweiten und dritten 1 Sprachförderung, Schrift und Text 23 Kindergartenjahr statt. (Vgl. Smidt 2013, S. 73) Smidt fasst Ergebnisse für den Bereich Sprache, Schrift, Kommunikation wie folgt zusammen: Der Bereich ‚Sprache, Schrift, Kommunikation‘ wird vor allem von der Förderung sprachlicher Fähigkeiten mit einem Anteil von 60-70% der Beobachtungszeit domi‐ niert, während beispielsweise die Förderung von (Vorläufer-) Formen des Lesens und Schreibens im ersten, zweiten und dritten Kindergartenjahr eine untergeordnete Rolle spielt. (Ebd., S.-75) Heger, die in ihrer Studie Kinder auf dem Weg zum Schreiben (2018) der Forschungsfrage nachgeht, „über welche Kompetenzen Kinder im Übergang [Kindertageseinrichtung - Grundschule] bei der Bewältigung von Schreibauf‐ gaben verfügen“ (Heger 2018, S. 7), formuliert im Rahmen ihres Überblicks über empirische Befunde zu schriftsprachlichen Kompetenzen mit Bezug auf die genannte Studie von Smidt: „Auf die Schriftsprache bezogene, spezifische Angebote scheinen im Kindergartenalltag eher die Ausnahme zu sein. Stärker fokussiert werden im Alltag der Kindertageseinrichtungen Förderangebote zur mündlichen Sprache.“ (Heger 2018, S. 42) Dabei wird diese Fokussierung nach Heger durch in Kindertageseinrichtungen durchgeführte Sprachstandser‐ hebungen unterstützt. So lernen Kinder Sprache in der mündlichen Interaktion zu gebrauchen. (Vgl. ebd.) Seit der ersten PISA-Studie haben Sprachförderprogramme im vorschulischen Bereich nach Wolfgang Schneider (2018) im deutschsprachigen Raum stark an Bedeutung gewonnen. Schneider klassifiziert die vielfältigen Ansätze, auf die derzeit zurückgegriffen wird (vgl. Schneider 2018, S. 53), und stellt Befunde aus verschiedenen Studien zur Wirksamkeit unterschiedlicher Sprachförderpro‐ gramme zusammen (vgl. ebd., S. 57-69). So lassen sich Sprachförderprogramme drei Gruppen zuordnen: allgemeine kompensatorische additive Sprachförderpro‐ gramme, spezifische additive Förderprogramme im Bereich „Literacy“ und alltags‐ integrierte Sprachförderung in Kindertagesstätten (vgl. ebd., S.-56). Zu den allgemeinen kompensatorischen additiven Sprachförderprogrammen gehören das Programm Sag mal was (2011), das in Baden-Württemberg einge‐ setzt wird, Deutsch für den Schulstart von Kaltenbacher und Klages (2007), Kon-Lab von Penner (2005), Sprachliche Frühförderung von Tracy (2003), Hand‐ lung und Sprache von Häuser und Jülisch (2006), das in Brandenburg zum Einsatz kommt, und das in Hessen verwendete Programm Deutsch-Sprachförderung vor der Schule von Sachse, Budde, Rinker und Groth (2012). (Vgl. Schneider 2018, S.-56) Am meisten verbreitet scheinen nach Schneider strukturierte Förderpro‐ gramme zur „Emergent Literacy“ bzw. „zu schriftsprachrelevanten Vorläufer‐ 24 1 Sprachförderung, Schrift und Text 5 Zum Dialogischen Lesen bzw. Dialogic Reading vgl. auch Kapitel I.3.3 zum Vorlesen. 6 Schneider nimmt bei seiner Darstellung Bezug auf folgende Literatur: Schneider, Wolfgang (2012): Die Relevanz früher phonologischer Bewusstheit für den späteren Schriftspracherwerb. In: Frühe Bildung, H. 1, S.-220-225. Schneider, Wolfgang (2017): Lesen und Schreiben Lernen - Wie erobern Kinder die Schriftsprache? Berlin: Springer-Spektrum. merkmalen wie etwa der phonologischen Bewusstheit“ (ebd., S. 56) zu sein. Der Gruppe der spezifischen additiven Förderprogramme im Bereich „Literacy“ ordnet Schneider das Programm Hören, lauschen, lernen I von Küspert und Schneider (2008) zu, das Programm Hören, lauschen, lernen II von Plume und Schneider (2004) sowie das Programm Lobo vom Globo von Fröhlich, Metz und Petermann (2009). (Vgl. Schneider 2018, S.-56) Der Gruppe der alltagsintegrierten Sprachförderung in Kindertagesstätten wird das Programm Dialogisches Lesen  5 von Ennemoser, Kuhl und Pepouna (2013/ 2015) sowie das Programm Heidelberger Trainingsprogramm zur frühen Sprachförderung in Kindertagesstätten von Buschmann et al. (2010) zugeordnet. (Vgl. Schneider 2018, S. 56) Bestandteil beider genannter Sprachförderpro‐ gramme ist die Methode Dialogic Reading. Während Befunde zur Wirksamkeit von additiv-kompensatorischen Ansätzen, die sich auf Wortschatz und Satzverständnis beziehen, sowie Befunde zu alltags‐ integrierten Ansätzen, die auf die Förderung von Wortschatz, Sprachverständnis und Sprechfreude abzielen, wenig nennenswerte Effekte erzielten, fallen Befunde zu additiven Programmen zur Förderung von schriftsprachrelevanten Merkmalen günstiger aus. (Vgl. ebd., S. 53) Hinsichtlich der Effekte spezifischer additiver Förderprogramme im Bereich der „Emergent Literacy“  6 zeigen „die Befunde der internationalen und nationalen Metaanalysen zur Wirksamkeit der phonolo‐ gischen Bewusstheit“ (ebd., S. 65), dass bei angemessener Implementierung und Umsetzung der Hinweise im Manual die „Fördermaßnahmen substanzielle Steigerung in dieser Kompetenz zur Folge haben“ (ebd.). Zudem lassen sich bei angemessener Implementierung des Trainings „moderate Transfereffekte auf das Rechtschreiben“ (ebd.) nachweisen sowie Effekte auf unterschiedliche Aspekte der Lesekompetenz. Für den Schriftspracherwerb konnte zwar ein po‐ sitiver Effekt des phonologischen Bewusstseinstrainings nachgewiesen werden, jedoch betont Schneider (2018) mit Bezug auf seine frühere Publikation (2017), „dass die Förderung der phonologischen Bewusstheit lediglich ein Baustein innerhalb der Sprachförderung im Kindergarten“ (Schneider 2018, S. 65) sei. Ein Training der phonologischen Bewusstheit ersetze somit „nicht eine sprachliche Förderung in Alltagssituationen“ (ebd., S.-65), schlussfolgert Schneider. 1 Sprachförderung, Schrift und Text 25 Nach Sauerborn (2018) geht es bei dem von Schneider erwähnten Trai‐ ningsprogramm Hören, lauschen, lernen insbesondere darum, dass die laut‐ analytischen Fähigkeiten von Kindern trainiert werden. „Dies geschieht mit der Annahme, dass Kinder in der Schule für das Lesen erst Grapheme in Laute übersetzen und schließlich synthetisieren sollen und für das Schreiben Laute analysieren und dann in Grapheme übersetzen sollen“ (Sauerborn 2018, S. 67), ein Vorgehen, das als analytisch-synthetisches zu bezeichnen ist und der gängigen Modellierung des Schriftspracherwerbs entspricht. (Vgl. ebd.) Sauerborn betrachtet die Frage kritisch, ob es lediglich „um die Transformation der Zeichenketten gesprochener Sprache in Schrift und vice versa“ (ebd., S. 68) gehe und nennt Gründe, die dagegensprechen (vgl. ebd.). Ähnlich wie Schneider (2018) formuliert Sauerborn, dass Schriftspracherwerb mehr umfasst als diese Transformation. Trainings zur phonologischen Bewusstheit trainieren ausschließlich Teilaspekte der Verschriftungstechnik, ohne dass den Kindern das Ziel dieses Trainings bewusst gemacht wird. „Ohne Umgang mit Schrift können Kinder jedoch keine Vorstellung von den Möglichkeiten von Schrift‐ lichkeit entwickeln“ (ebd.), so Sauerborn. Als weiterer Aspekt ist zu nennen, dass solche Trainingsprogramme zur phonologischen Bewusstheit nicht den Ausbau von konzeptioneller Schriftlichkeit unterstützen. Allerdings müssen Kinder „lernen, dass durch den speziellen Kontext von Schriftlichkeit, in der kein Kommunikationspartner vorhanden ist und non- und paraverbale Mittel fehlen, andere Formulierungen erforderlich sind als in der Mündlichkeit“ (ebd.). Diese Ausführungen Sauerborns verdeutlichen die Notwendigkeit, Kindern zur Sprachförderung den Umgang mit Schrift und Text zu ermöglichen (zur Dar‐ stellung der Studie Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb (2018) vgl. Kapitel I.3.2 und I.3.4 der vorliegenden Studie). Konzepte zur alltagsintegrierten Sprachförderung Nach Schneider ist in den letzten Jahren „der Ruf nach alltagsintegrierter sprachlicher Förderung […] lauter geworden“ (Schneider 2018, S. 65), woraufhin mehrere Projekte gestartet wurden, um diese zu implementieren (vgl. ebd.). „Ein Grundprinzip der alltagsintegrierten Sprachförderung heißt: ‚Das Kind aktiv werden lassen‘, denn Sprechen lernt man nur durch Sprechen üben“ (Buschmann/ Degitz/ Sachse 2014, S. 418). Um aufzuzeigen, wie Schrift und Text sowie das Medium Bilderbuch in aktuellen Konzepten alltagsintegrierter Sprachförderung einbezogen werden, werden exemplarisch vier Konzeptionen in den Blick genommen: Das Fellbach-Konzept (2015), die alltagsintegrierte und dialogorientierte Sprachförderung nach Löffler und Vogt (2015), das Konzept Sprechen, Schreiben, Lesen - Kinder auf dem Weg zur Schrift (2011) der Kita 26 1 Sprachförderung, Schrift und Text 7 Kucharz et al. (2015) verweisen auf folgende Literaturangaben: Kucharz, Diemut/ Mackowiak, Katja (2010): Konzeption einer Sprachförderung für die Stadt Fellbach. Unveröffentlicht. Kucharz, Diemut/ Mackowiak, Katja (2011): Sprachförderung in Kindergarten und Grundschule. Grundschulzeitschrift 25, H. 242/ 243, S.-42-43. Frankfurt und Überlegungen zur Sprachförderung von Ruberg und Rothweiler (2012), die Leitlinien zur Sprachförderung aufstellen und grundsätzliche As‐ pekte bei der Wahl und der Nutzung von Sprachfördermaterialien am Beispiel von Bilderbüchern thematisieren. Das von Diemut Kucharz, Katja Mackowiak und Christine Beckerle (2015) vorgestellte Weiterbildungskonzept 7 wurde für die Stadt Fellbach entwickelt (vgl. Kucharz/ Mackowiak/ Beckerle 2015, S. 8) und ist auch unter dem Namen Fellbach-Konzept bekannt (vgl. ebd., S. 13). Ziel war es, „ein durchgängiges Sprachförderkonzept für den Elementar- und Primarbereich zu entwickeln, durchzuführen und zu evaluieren“ (ebd., S. 13). Das Werk Alltagsintegrierte Sprachförderung. Ein Konzept zur Weiterqualifizierung in Kita und Grundschule (2015) beinhaltet sowohl theoretische Grundlagen als auch „Materialien, Übungen und Hinweise zur Durchführung von Weiterqualifizierungen von Erzieher/ innen und Grundschullehrer/ innen zur alltagsintegrierten Sprachför‐ derung“ (ebd., S. 8). An der nun folgenden Darstellung der Prinzipien alltags‐ integrierter Sprachförderung, an denen sich das Fellbach-Konzept orientiert, wird deutlich, dass Erzählen von Alltagserlebnissen gefördert wird. Im Zusam‐ menhang mit dem Einsatz des Mediums Bilderbuch wird dialogische Sprach‐ produktion durch Gespräche über vorgelesene Geschichten herausgefordert. Während des dialogischen Vorlesens ist es nach Kucharz et al. leichter möglich, eine standardnahe Sprache zu verwenden. Zudem wird deutlich, dass die dem Konzept zugrundeliegenden Sprachfördertechniken auf die Förderung von Wortschatz und Syntax abzielen. Alltagsintegrierte Sprachbildung und Sprachförderung kann als Gegenmo‐ dell zu der inszenierten Sprachförderung verstanden werden. Das Angebot der inszenierten Sprachförderung richtet sich dabei speziell an Kinder mit Sprachförderbedarf. Alltagsintegrierte Sprachförderung hingegen findet für alle Kinder statt und umfasst die ganze Kindergarten- und Grundschulzeit. Kucharz, Mackowiak und Beckerle (2015) verweisen auf die Unterscheidung von Schneider et al. (2012): Diese bezeichnen die inszenierte Sprachförderung als eigentliche Sprachförderung, während sie die alltagsintegrierte Sprachförderung als Sprachbildung betiteln. Im Sprachförderkonzept von Kucharz et al. werden Kinder mit und ohne Sprachförderbedarf gemeinsam und alltagsintegriert 1 Sprachförderung, Schrift und Text 27 gefördert. Kucharz et al. siedeln die alltagsintegrierte Sprachförderung zwischen den beiden Polen „Sprachbad im Alltag“ (Kucharz/ Mackowiak/ Beckerle 2015, S. 94) (Immersion) und „systematische Sprachvermittlung“ (ebd., S. 95) an. (Vgl. ebd., S. 94-96) Als Prinzipien der alltagsintegrierten Sprachförderung sind Sprachvorbild und sprachförderliche Alltagsgestaltung zu nennen. „Die erwachsenen Bezugspersonen geben dem Kind mit ihrem Sprechen […] die Vorlage; sie fungieren als Sprachvorbild und bieten ihnen reichhaltigen Input auf den verschiedenen Sprachebenen an“ (ebd., S. 98). So dienen Erzieherinnen und Erzieher bzw. Lehrerinnen und Lehrer als Sprachvorbild. Damit Kinder an ihnen die Sprache lernen oder ihre Sprachkompetenz erweitern können, „ist eine möglichst umfassende und korrekte Sprache als Vorbild notwendig“ (ebd.), so die Autorengruppe. In alltagsintegrierter Sprachförderung verwenden Pädagoginnen und Pädagogen durch die Einbettung in alltägliche Situationen oft Umgangssprache. „Dies kann für Kinder problematisch sein, da sie aus dem Sprachangebot ihr Sprachwissen ableiten“ (ebd., S. 99). So zeigen beispielsweise die Studien von Landert (2007) und Gyger (2010), „dass die Nutzung der Standardsprache in Bildungseinrichtungen für Kinder am förderlichsten ist“ (Kucharz et al. 2015, S. 99). Mit Verweis auf Löffler (2003) betonen Kucharz et al. die Wichtigkeit, dass Kinder (insbesondere im Übergang Kindergarten - Grund‐ schule) „den Unterschied zwischen Standardsprache und Umgangssprache bzw. Dialekt sowie deren unterschiedliche Verwendung je nach Situation kennen‐ lernen“ (Kucharz et al. 2015, S. 99). Folglich sollten Erwachsene eine „möglichst korrekte Sprache nutzen und dabei bewusst nah an der Standardsprache mit den Kindern kommunizieren“ (ebd., S. 99), so Kucharz et al. mit Bezug auf Knapp/ Kucharz/ Gasteiger-Klicpera (2010) und Löffler (2011). (Vgl. Kucharz et al. 2015, S. 98f.) Es gibt verschiedene Situationen, um Gespräche mit Kindern zu führen: Erzählen von interessanten Erlebnissen, Wünsche äußern und eigene Deutungen bzw. Entdeckungen zu einer Bilderbuchgeschichte mitteilen. (Vgl. ebd., S.-99f.) Gerade zur Förderung der Literalität eignen sich Gespräche über Bücher und Ge‐ schichten sowie das dialogische Vorlesen. Hier ist es leichter möglich, standardnahe und damit vorbildliche Sprache zu verwenden, aber auch situationsspezifisch in Umgangssprache zu wechseln. (Kucharz et al. 2015, S.-100) An dieser Stelle wird deutlich, dass Bilderbücher im Rahmen der alltagsinte‐ grierten Sprachförderung als Anlass dienen können, miteinander ins Gespräch zu kommen. Eine wesentliche Fördermethode besteht bei der alltagsintegrierten Sprach‐ förderung in der Anwendung von Sprachfördertechniken (vgl. ebd., S. 14). Im 28 1 Sprachförderung, Schrift und Text Fellbach-Konzept wurden die drei Sprachfördertechniken korrektives Feedback, Modellierungssowie Stimulierungstechniken adaptiert. Ziel des korrektiven Feedbacks ist es, indirekt sprachliche Fehler der Kinder zu verbessern und sie zu ermutigen (ebd., S. 101). So wird eine fehlerhafte kindliche Äußerung in richtiger Weise wiederholt. (Vgl. ebd., S.-102f.) Das korrektive Feedback kann bezüglich verschiedener Sprachebenen eingesetzt werden: bei fehlerhafter und unvollständiger Lautbildung (Phonologie), bei einem unvollständigen Satz oder fehlerhafter Satzstellung (Syntax), bei fehlenden oder falschen grammatischen Wortmarkierungen (Morphologie) oder bei fehlenden oder falsch verwendeten Wörtern (Lexik). (Ebd.) In Bezug auf die lexikalische Ebene könnte ein korrektives Feedback folgender‐ maßen aussehen: „Kind: ‚Kannst du mir die Schuhe machen? ‘ - Pädagog/ in: ‚Ich kann dir die Schuhe zumachen/ zubinden.‘“ (ebd., S.-103). (Vgl. ebd., S.-102f.) Auch bei den Modellierungstechniken reagiert die Pädagogin bzw. der Päd‐ agoge auf sprachliche Äußerungen des Kindes. Diese werden aufgegriffen und erweitert. Ziel hierbei ist zum einen, dass das Kind den verbesserten Satz hört und zum anderen, dass seine Äußerungen fortgeführt, also modelliert werden. Hier lassen sich drei Arten von Modellierungen unterscheiden, die jedoch oft auch in Verbindung miteinander verwendet werden: Die syntaktische Ergänzung, die morphologische Umformung und die semantische Erweiterung. Bei der syntaktischen Ergänzung werden einfache Sätze des Kindes zu komplexeren ergänzt oder aber unvollständige Sätze vervollständigt. Bei der morphologischen Umformung werden im Satz des Kindes grammatische Formen auf Wortebene verändert. Bei der semantischen Erweiterung geht es primär um die Erweiterung von Wortschatz und Satzverständnis. Es können neue Wörter zum Satz des Kindes hinzugefügt werden, Füllwörter durch präzise Wörter ersetzt werden. Durch zusätzliche inhaltliche Informationen kann auch die Bedeutung des vom Kind geäußerten Satzes erweitert werden. Welche Technik gewählt wird, hängt vom Sprachstand des jeweiligen Kindes ab sowie von der diagnostizierten Zone der nächsten Entwicklung (Wygotski). Kucharz et al. zeigen anhand einiger Beispiele, wie der Einsatz der Modellierungstechniken aussehen kann. Hierfür wählen sie eine Situation, in der ein Kind ein Bilderbuch betrachtet: „Sagt das Kind beim Betrachten eines Bilderbuches z. B. ‚Da ist eine Ente und da ist eine Ente‘, kann die Pädagogin/ der Pädagoge erwidern: ‚Da sind zwei Enten‘ oder ‚Da schwimmen zwei Enten auf dem Teich.‘“ (ebd., S.-104). (Vgl. ebd., S.-103ff.) Der Einsatz von Stimulierungstechniken verfolgt das Ziel, Kinder zum Spre‐ chen anzuregen, wobei zwischen zwei Arten von Stimulierungstechniken un‐ terschieden wird: Parallel-Talking und offene Fragen bzw. Impulse, die zum 1 Sprachförderung, Schrift und Text 29 Sprechen animieren sollen. Parallel-Talking bietet Sprachmuster an, die vom Kind beim Sprechen verwendet werden können. Das Parallel-Talking wird insbesondere bei sehr jungen Kindern genutzt und bei solchen, die entweder Schwierigkeiten beim Erstspracherwerb haben oder aber sehr wenig Kenntnisse in ihrer Zweitsprache Deutsch haben. Diese Kinder wären überfordert, wenn sie zum Erzählen aufgefordert werden würden, da sie nicht über den dafür notwenigen Wortschatz sowie über die nötigen morpho-syntaktischen Struk‐ turen verfügen. „Damit sie selbst Sprache produzieren können, brauchen sie ein Angebot an Satzmustern und geeigneten Wörtern, an denen sie sich orientieren können und die es ihnen erleichtern, die Strukturen der deutschen Sprache zu identifizieren“ (ebd., S. 106). Handlungen und Gefühle der Gesprächspartne‐ rinnen und Gesprächspartner werden beim Parallel-Talking sprachlich begleitet. Kucharz et al. illustrieren diese Technik mit folgendem Beispiel: „Das Kind zieht seine Jacke an. Sprachliche Begleitung durch die Pädagogin: ‚Du ziehst deine Jacke an. Danach ziehst du die Hausschuhe aus und deine Stiefel an. Möchtest du noch deine Mütze anziehen oder lieber deine Handschuhe? ‘“ (ebd.). So hört das Kind mehrfach „einfache Satzbildungen mit dem Verb ‚anziehen‘“ (ebd.). Jedes Mal wurde die Verbklammer genutzt. Um die Frage am Schluss zu beantworten, hat das Kind ein Satzmuster erhalten, welches es nutzen kann. Die Form, offene Fragen zu stellen, ist für Kinder geeignet, die von sich aus nicht viel sprechen. „Impulse dieser Art können lauten: ‚Erzähl mal …‘ oder durch eine offene Frage erfolgen, z. B. ‚Wie fühlt sich das Kind auf dem Bild wohl? ‘“ (Kucharz et al. 2015, S.-107). (Vgl. ebd., S.-106ff.) Anstoß für das Forschungsprojekt Sprachförderung im Alltag von Spielgruppe, Kita und Kindergarten (Sprima) gab die Frage, wie die Integration von Sprach‐ förderung in den Alltag - als Alternative zu Sprachförderprogrammen - unterstützt werden kann. Im Rahmen dieses Projektes entstand Löffler und Vogts Werk Strategien der Sprachförderung im Kita-Alltag, ein „Praxisbuch, für alle, die Sprachförderung zu ihren Aufgaben zählen“ (Löffler/ Vogt 2015, S. 7.). (Vgl. ebd.) Die vier folgenden Strategien zur Sprachförderung beziehen den Umgang mit Texten (z. B. Bilderbücher) oder Schrift ein. Die Strategien sind auf mündliche Kommunikation, Wortschatzerweiterung und den Erwerb syntaktischer Strukturen ausgerichtet. Bilderbücher dienen als Erzählimpuls, Bildimpuls, Informationsquelle und als Anregung für dialogisch angelegte Sprachproduktion. Die von Franziska Vogt und Bea Zumwald vorgestellte Strategie Im Dialog mit Kindern (vgl. ebd., S. 42-49) wird am Beispiel eines Gesprächs erläutert, das während des Vorlesens eines Bilderbuches entsteht. Hierbei äußert ein Junge eine Beobachtung zu einem Tier aus seinem Alltag. Dies führt dazu, 30 1 Sprachförderung, Schrift und Text dass die frühpädagogische Fachperson die Bildbetrachtung unterbricht, auf den Beitrag des Jungen eingeht, das Gespräch um einen Aspekt erweitert und das Thema durch das Erzählen von einem eigenen Erlebnis weiterführt. Bei dieser Strategie sollen Kinder nicht nur erzählen, sondern zum Denken herausgefordert werden. Es geht darum, im Gespräch Gedanken zu entwickeln. „Die Dialoge entstehen aus Momenten im Alltag“ (ebd., S. 45). Themen der Kinder werden wahrgenommen und in einen längeren Dialog vertieft. (Vgl. ebd., S. 43-45) Auf diese Strategie kann somit auch bei der Arbeit mit einem Bilderbuch zurückgegriffen werden. Dabei ist die Sprachförderung, wie der Titel der Strategie bereits verrät, dialogisch angelegt. In der von Nadine Itel und Andrea Haid dargestellten Strategie Schritt für Schritt den Wortschatz fördern (vgl. ebd., S. 50-58) gilt es, Themen der Kinder aufzugreifen und sprachlich anzureichern. Itel und Haid stellen mit Bezug auf Glück (2003) und Siegmüller und Kauschke (2006) für das Erlernen neuer Wörter drei Erwerbsphasen vor: In der ersten Erwerbsphase (Phase des Anbietens) lernt ein Kind ein neues Wort kennen, in der zweiten Erwerbsphase (Phase des Erarbeitens) lernt es die Bedeutung des neuen Wortes, während es in der dritten Phase (Phase des Festigens) das Wort längerfristig abspeichert. Nach dem Durchlaufen dieser drei Phasen ist die Wortschatzerweiterung jedoch noch nicht abgeschlossen: Das Kind benötigt weitere Gelegenheiten, das Wort selbstständig zu verwenden. „Dies ermöglicht den Übergang von der rezept‐ iven (Kind kennt das Wort) auf die produktive (Kind sagt das Wort) Ebene der Wortschatzerweiterung“ (ebd., S. 52). (Vgl. Löffler/ Vogt 2015, S. 52) Als weiterführenden Fördervorschlag zur langfristigen Abspeicherung eines neuen Wortes nennen Itel und Haid auch den Einsatz eines Buches. Sie bezeichnen den Einsatz von Bildmedien als wertvolle Möglichkeit, „um eingeführte Begriffe mit weiteren Informationen anzureichern“ (ebd., S. 57). Der Einsatz eines Bildes zur Anreicherung kann im Gespräch mit den Kindern zu weiteren Fragen führen, auf die eingegangen werden kann. (Vgl. ebd.) In dieser Strategie zur Wortschatzerweiterung wird der Einsatz eines Bilderbuches vorgeschlagen, wobei das Bildmaterial und die Kommunikation über den eingeführten Begriff im Zentrum zu stehen scheint. Cordula Löffler und Nadine Itel unterscheiden in ihrer Strategie Sprache modellieren zwischen drei Modellierungstechniken: Solche, die einer kindlichen Sprachäußerung vorausgehen, solche die ihr nachfolgen und korrektives Feed‐ back (vgl. ebd., S. 59-69). Einer kindlichen Äußerung vorausgehende Modellier‐ ungstechniken dienen dazu, das Kind zum Sprechen zu motivieren und ihm modellhafte Äußerungen zu präsentieren (vgl. ebd., S. 61). Dazu gehört zum Beispiel die gehäufte Einführung einer neuen sprachlichen Zielstruktur wie 1 Sprachförderung, Schrift und Text 31 Adjektivendungen („Das ist ein ganz schönes Pferd. Hast denn du schon mal ein richtiges Pferd [Hervorheb. im Original] gesehen? “ (Ebd.)). Mit den einer kindlichen Äußerung nachfolgenden Modellierungstechniken werden Kindern gezielte und unmittelbare Rückmeldungen gegeben, wozu u. a. die Vervollständigung eines vom Kind geäußerten Satzes (Expansion) zählt. (Vgl. ebd., S. 62) Die verbesserte Wiederholung bzw. das korrektive Feedback (vgl. ebd.) kann sich auf Laute, Wortschatz und Grammatik beziehen (vgl. ebd., S. 63). Löffler und Itel illustrieren die Strategie Sprache modellieren u. a. am Beispiel eines Mädchens, das von ihrem Geburtstag erzählt, wobei auffällt, dass ihr Vergangenheitsformen noch Mühe bereiten und wichtige Funktionswörter von ihr ausgelassen werden (vgl. ebd. S. 65). Als weiterführender Fördervorschlag wird die Arbeit mit einem Bilderbuch zur Vertiefung des mündlich bereits thematisierten Themas Geburtstag genannt: „Die detailreich gestalteten Bilder der Geschichte […] regen zum Beobachten und Erzählen an“ (ebd., S. 68), wodurch das Mädchen neuen Input zum Thema Geburtstag bekommen kann, und erleichtern das Erzählen vom eigenen Geburtstagskuchen. Dabei kann die Frühpädagogin die Äußerungen des Kindes modellieren. (Vgl. ebd.) Auffällig ist, dass wie bei der Strategie Schritt für Schritt den Wortschatz fördern das Bildmaterial hervorgehoben wird. Dieses soll dem Kind als Erzählimpuls dienen. Bei der von Mandy Schönfelder präsentierten Strategie Den Spracherwerb mit Fragen fördern und begleiten (vgl. ebd., S. 70-77) werden Kinder durch Fragen angeregt, eigene Gedanken zu entwickeln und sprachliche Äußerungen zu formulieren. Dabei kann es angemessen sein „je nach Sprachstand […] alle Frageformen in eine wirksame Förderstrategie zu integrieren“ (ebd., S. 70). Es wird zwischen drei stimulierenden Fragetypen unterschieden: Entscheidungs‐ frage, Ergänzungsfrage (oder W-Frage) und Wahl- oder Alternativfrage. (Vgl. ebd.) Diese Unterteilung geht auf Altmann zurück (vgl. Altmann 1993, S. 1007ff.). Schönfelder illustriert die Strategie anhand einer gemeinsamen Bilderbuchsitu‐ ation zwischen einem Kind und einem Erwachsenen. Das Bilderbuch Puh der Bär wird gemeinsam betrachtet und die frühpädagogische Fachperson setzt verschiedene Fragetypen ein. Sie stellt beispielsweise die Ergänzungsfrage „Was ist denn Pu für ein Tier? “ (Löffler/ Vogt 2015, S. 72), mit der ein einzelnes Wort aktiviert wird. (Vgl. ebd., S. 71-73) Festzuhalten sei, dass die Sprachförderung unter Einsatz eines Bilderbuches dialogorientiert und nicht monologisch angelegt ist. 32 1 Sprachförderung, Schrift und Text 8 Lenel, Aline (2011): Sprechen, Schreiben, Lesen - Kinder auf dem Weg zur Schrift. Anregungen für die Praxis in Kindertageseinrichtungen für Kinder im Alter von 1-10 Jahren, hrsg. v. Kita Frankfurt. Frankfurt a. M. In der Broschüre Sprechen, Schreiben, Lesen - Kinder auf dem Weg zur Schrift (2011) stellt Aline Lenel 8 ein Konzept vor, in dem Literacy in den Blick genommen wird. Jede Textart hat ihr typisches Aussehen. Diese unterschiedlichen Strukturen nehmen Kinder sehr früh wahr. Erhalten sie Gelegenheit, ahmen sie die Formate nach. Dabei entwickeln sie ein Wissen von der angemessenen Anordnung der Schrift auf dem Papier. (Ebd., S. 16) So werden im Kapitel Erstes Textwissen „Aktivitäten vorgestellt, in denen Kinder Layouts von unterschiedlichen Texten herstellen“ (ebd.). Sie verfassen ohne Buchstaben Texte verschiedener Textsorten (z. B. Briefe, Rezepte, Listen, Kalendereinträge) und bemerken dabei Lücken (z. B. zwischen Überschrift und Text, zwischen Absätzen etc.). Obwohl sich Kinder mit der äußeren Form von Texten beschäftigen, steht doch „der eigentliche Sinn des Schreibens, nämlich die Mitteilung an eine andere Person“ (ebd., S. 16), bei vielen dieser Aktivitäten im Vordergrund: „Die Adressatenorientierung ist das Motiv jeder schriftlichen Äußerung und bestimmt ihre Form“ (ebd.). Das Kapitel beinhaltet sieben Erfah‐ rungsberichte zum Umgang mit Texten, die insbesondere die Textsorten Brief und Zeitung thematisieren: Geheimnisse in Briefumschlägen von Iman Afif (vgl. ebd., S. 17), Die Schrift-Schatzkiste von Christina Hoede (vgl. ebd., S. 18), Die mobile Briefkiste von Katrin Schulze (vgl. ebd., S. 19f.), Briefkästen für alle von Christina Hoede (vgl. ebd., S. 21), Briefe an ein krankes Kind von Erika Horlacher (vgl. ebd., S. 22f.), Der Postweg von Erika Horlacher (vgl. ebd., S. 24f.) und Wandzeitung über die Erlebnisse der Waldwoche von Astrid Appel (vgl. ebd., S.-26f.). „Immer wieder fiel der Erzieherin auf: Wenn sie etwas schrieb, nahmen auch die Kinder Papier und Bleistift zur Hand und fingen an zu schreiben“ (ebd., S. 18), so berichtet Hoede im Erfahrungsbericht zur Schrift-Schatzkiste. Um das vorhandene Interesse der Kinder zu nutzen und ihnen mehr Schrifter‐ fahrung zu ermöglichen, stellte die Erzieherin ihnen besseres Schreibmaterial zur Verfügung, z. B. Postkarten, Lottoscheine und Schulhefte. Diese Utensilien kamen in eine Lebkuchenkiste, eine Schreibschatzkiste. Diese wurde dadurch, dass die Kinder erst fragen mussten, bevor sie sie bekamen, „begehrenswert und kostbar“ (ebd.). Gemeinsam wurde beschlossen, Briefkästen zu bauen. Teilweise schrieben die Kinder Briefe. „Andere wiederum machen lieber ‚Haus‐ aufgaben‘ und schreiben in ihre Schulhefte, wobei sie ihre älteren Geschwister 1 Sprachförderung, Schrift und Text 33 nachahmen“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Deutlich wird bei diesem Erfahrungsbericht die Bedeutsamkeit eines Vorbildes, das die Kinder beobachten und nachahmen - sei es die schreibende Erzieherin oder ein älteres Geschwisterkind. Im Gegensatz zu sechs Erfahrungsberichten, die sich mit dem Verfassen von Briefen beschäftigen, berichtet Astrid Appel über das Erstellen einer Wandzeitung zu den Erlebnissen der Kinder bei der Frankfurter Waldwoche. Anhand von Illustrierten und Zeitungen sprachen die Kinder „über deren Aufbau und unterschieden die verschiedenen Elemente Titel, Fließtext und Bild voneinander“ (ebd., S. 26). In Kleingruppen sollte jeweils über einen Tag der Frankfurter Waldwoche berichtet werden. Es kam zu unterschiedlichen Herangehensweisen und auch Ergebnissen. Die Kinder erstellten Zeichnungen, schnitten Wörter aus, schrieben Wörter ab oder druckten. Unter Rückgriff auf die Anlauttabelle wurden auch Sätze und kleinere Texte geschrieben. Teilweise wurde auf Informationen aus Büchern zurückgegriffen. (Vgl. ebd., S. 26f.) Wie beim Verfassen der Briefe spielt auch bei diesem Erfahrungsbericht ein Vorbild eine Rolle. Zwar handelt es sich um keine Person, die die Kinder imitieren, jedoch werden die Kinder vor ihrer Arbeit mit der Textsorte Zeitungsartikel vertraut gemacht, indem sie Beispiele ansehen und über deren Merkmale sprechen. Die Aktivitäten aus dem Kapitel Handlungskonzepte vom Lesen und Schreiben ermöglichen den Kindern, „sich selbst als Schreiber und Leser zu entwickeln“ (Lenel 2011, S. 30). Es werden in der Kita Räume geschaffen, „in denen Kinder Lesen und Schreiben als selbst- und lustbestimmte Tätigkeiten erleben können“ (ebd.). Zunächst müssen sie die Möglichkeit bekommen, Scheiber und Leser zu beobachten. Hierbei können sie z. B. beobachten, wie ein Buch gehalten wird. „Schriftbeherrschung macht selbstständig - Neugier und der Wunsch nach Freiheit und Autonomie motiviert zum Schrifterwerb“ (ebd.). Lenel betont an dieser Stelle die Notwendigkeit des Vorbildcharakters: „Zur Ausbildung dieses Wunsches benötigen Kinder Vorbilder“ (ebd.). Der Erfahrungsbericht von Astrid Walter zum Thema Schreibbüro (vgl. dazu ebd., S. 35) zielt auf die Förderung von Textkompetenz ab. Zunächst setzte sich die Erzieherin an einen Tisch und verfasste Antworten auf Briefe und Postkarten. Diese Tätigkeit führte zu Nachfragen der Kinder. Daraufhin bot sie den Kindern „ihren Dienst als ‚Schreibmaschine‘“ (ebd., S. 35) an, damit die Kinder auch Briefe an ihre Eltern, Großeltern und anderen Verwandten verfassen konnten, die letztendlich gemeinsam in den Briefkasten eingeworfen wurden. (Vgl. ebd.) Zum Diktieren der Briefe durch die Kinder schreibt Astrid Walter Folgendes: 34 1 Sprachförderung, Schrift und Text 9 Die Studie von Merklinger (2011) untersucht das diktierende Schreiben im Detail (vgl. Kapitel I.3.4 zur Textproduktion im Medium der Mündlichkeit). Die Sätze der Kinder verbesserte […] [die Erzieherin] nicht. Im Gegenteil fiel ihr auf, dass die Kinder beim Diktieren bewusst nach besonderen Worten suchten. Sie gaben sich auch große Mühe beim Worten vollständiger Sätze. (Ebd.) An diesen Beobachtungen wird deutlich, dass durch ein solches Setting scheinbar zu einem gewissen Grad Schriftsprachlichkeit (z. B. das Bilden vollständiger Sätze und die Suche nach besonderen Worten) herausgefordert werden kann. 9 Der Erfahrungsbericht von Magdalene Stenger widmet sich dem Thema Bilderbücher vorlesen (vgl. ebd. S. 31f.). Gemeinsam wurde ein Leseprojekt durchgeführt. Dazu wurden Lese-Ecken in den Gruppenräumen eingerichtet. Hier gab es auch die Möglichkeit, Bücher auszuleihen. Mit den Kindern wurden regelmäßige Treffen zum Lesen vereinbart (Ritualisierung). Vor dem Vorlesen fand eine Abstimmung darüber statt, welches Buch vorgelesen werden sollte. Magdalene Stenger stellt drei Methoden vor, die beim Vorlesen des Buches genutzt werden können: Gestaltendes Vorlesen mit gemeinsamer Betrachtung des Bilderbuches, Erzählen zum Bilderbuch, bei dem sich die Erzieherin oder der Erzieher am Sprachniveau der Kinder orientieren kann sowie die dialogori‐ entierte Bilderbuchbetrachtung, z. B. mit Hilfe einer Handpuppe. Bei der dritten Methode soll durch Impulse und Fragen von der Vorleserin oder dem Vorleser oder alternativ der Handpuppe die sprachliche Beteiligung der zuhörenden Kinder herausgefordert werden. Alle drei Methoden können Denkprozesse und Fantasie anregen. Kinder können lernen, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen und sich mit anderen zu identifizieren. „Gefördert werden das soziale Einfüh‐ lungsvermögen, das Gefühl für Sprache und ihre Ausdrucksmöglichkeiten sowie das Verständnis von Satzstrukturen. Nebenbei wird auf diese Weise auch der Wortschatz der Kinder erweitert“ (ebd., S. 32). Sprachförderung zielt hier auf Syntax und Wortschatz ab. Zusätzlich kann auch das Sprachgefühl und ein Gefühl für Ausdrucksmöglichkeiten gefördert werden. Explizit wird jedoch nicht die Förderung des Wissens über Texte angesprochen. In ihrem Werk Spracherwerb und Sprachförderung in der Kita (2012) stellen Tobias Ruberg und Monika Rothweiler Leitlinien der Sprachförderung auf, die zur Bewertung sowohl von Sprachförderprogrammen als auch Sprachför‐ dermaterialien dienen können (vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012, S. 152-156; zu einer genauen Beschreibung der Leitlinien vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012, S.-45- 49). Exemplarisch sei auf fünf ausgewählte Leitlinien hingewiesen. So besagt 1 Sprachförderung, Schrift und Text 35 Leitlinie 1, dass Sprachförderung in Situationen erfolgt, „in denen Kinder Sprache als Instrument zum Erreichen persönlicher Ziele einsetzen können“ (ebd., S. 152). Zudem geschieht sie nach Leitlinie 2 „in Situationen, die zum Sprechen anregen und inhaltlich und thematisch an der Lebenswelt der Kinder anknüpfen“(ebd.). Der natürliche Entwicklungsverlauf dient als Orientierung für die Sprachförderung. Daher werden gemäß Leitlinie 4 die Förderziele nach dem Prinzip der Entwicklungsproximalität ausgewählt. Dabei erfolgt die entwicklungsproximale Förderung nach Leitlinie 5 strukturzentriert. (Vgl. ebd.) Kinder sind in der Lage, sich aus dem sprachlichen Angebot, das sie in natürlichen Kommunikationssituationen erhalten, genau das herauszuholen, was sie für den nächsten Entwicklungsschritt benötigen. Im Hinblick auf Sprachförderung ist zu‐ nächst einmal wichtig, einem Kind auch genau die Informationen zur Verfügung zu stellen, die es gerade benötigt. (Ebd., S.-48) Nach Leitlinie 6 nutzt Sprachförderung „implizite Sprachlehrstrategien in natür‐ lichen Kommunikationssituationen“ (ebd., S. 152). Dem funktionalen Gebrauch von Sprache, dem Lebensweltbezug und impliziten Lernen kommt somit für die Sprachförderung eine hohe Bedeutung zu. Es geht im Grunde darum, das Kind zum Sprechen anzuregen und in der Zone der nächsten Entwicklung (Wygotski) handeln zu lassen. Dabei kann jedes Material als Sprachfördermaterial bezeichnet werden, „das in der Sprachförderung eingesetzt werden kann“ (ebd., S. 156). Dies gilt auch für Bilderbücher. Ihr sprachförderliches Potenzial entfaltet sich „erst in der Kommunikation über das Buch“ (ebd., S. 157). Ohne (sprachliche) Interaktion ist sprachlicher Input unzureichend für den kindlichen Spracherwerb. Gemäß der Leitlinien 1 und 2 muss das sprachliche Material, das dem Kind in einer Vorlesesituation angeboten wird, „in natürlichen Kommunikationssituationen aufbereitet werden, die von dem Kind als bedeutsam erlebt werden und einen konkreten Handlungsbezug aufweisen“ (ebd., S. 157). Nur dann wird sich ein echtes Gespräch entwickeln, wenn das Kind die Möglichkeit hat, „mit seinen persönlichen Erfahrungen an die Handlung des Buches an[zu]knüpfen“ (ebd.) und wenn es in das Gespräch diese persönlichen Erfahrungen einbringen kann. Gelingt es der Sprachförderkraft, mit Kindern ins Gespräch über das Buch zu kommen und dabei implizite Sprachlehrstrategien einzusetzen, wird der in Leitlinie 6 geforderte Einsatz impliziter Lehrmethoden nach Ruberg und Roth‐ weiler erfüllt. „Die Anwendung von Sprachlehrstrategien erfolgt jedoch nicht beim Vorlesen selbst, sondern während der Kommunikationsphasen, die das Be‐ trachten des Bilderbuchs begleiten“ (ebd.). Die gemeinsame Bilderbuchbetrach‐ tung wurde unter der Bezeichnung Dialogic Reading (dialogische Bilderbuchbe‐ 36 1 Sprachförderung, Schrift und Text 10 In diesem Zusammenhang verweisen sie auf folgende Studien: Arnold, David H./ Lonigan, Christopher J./ Whitehurst, Grover J./ Epstein, Jeffery N. (1994): Accelerating language development through picture book reading: Replication and extension to a videotape training format. In: Journal of Educational Psychology, 86, S.-235-243. Hargrave, Anne C./ Sénéchal, Monique (2000): A book reading intervention with preschool children who have limited vocabularies: The benefit of regular reading and dialogic reading. In: Early Childhood Research Quarterly, 15, S.-75-90. Lonigan, Christopher J./ Whitehurst, Grover J. (1998): Relative efficacy of parent and teacher involvement in a shared-reading intervention for preschool children from low-income backgrounds. In: Early Childhood Research Quarterly, 13, S.-263-290. Whitehurst, Grover J./ Falco, F. L./ Lonigan, Christopher J. / Fischel, Janet E./ DeBaryshe, Barbara D./ Valdez-Menchaca, Marta C./ Caulfield, Marie B. (1988): Accelerating lang‐ uage development through picture book reading. In: Development Psychology, H. 24, S.-552-558. trachtung) von Whitehurst et al. (1988) erstmals zu einer Sprachfördermethode weiterentwickelt. (Vgl. ebd., S. 157) Ruberg und Rothweiler (2012) stellen die grundlegenden Techniken des Dialogic Reading (nach Arnold/ Lonigan/ White‐ hurst 1998) zusammen. Dazu gehört der Einsatz von Was-Fragen, um das Kind zum Sprechen anzuregen, das Stellen weiterer Fragen, nachdem das Kind eine Antwort gegeben hat und das Wiederholen korrekter Antworten des Kindes zur Bestärkung und um zu signalisieren, dass die Antwort richtig war. Zudem sollte von der erwachsenen Person ein Modell einer guten Antwort gegeben werden, auf das das Kind bei der eigenen Sprachproduktion zurückgreifen kann. Ebenfalls relevant sind das Wiederholen kindlicher Antworten, wobei diese durch Zusatzinformationen erweitert werden, und das Stellen offener Fragen, um komplexere Antworten herauszufordern. (Vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012, S. 157f.) Ruberg und Rothweiler verweisen auf den in unterschiedlichen Studien 10 bestätigten förderlichen Effekt des Dialogic Reading auf den kindlichen Spracherwerb und betonen, dass sich signifikante Effekte insbesondere beim Wortschatzumfang zeigen. Des Weiteren nehmen Ruberg und Rothweiler auf den zu jenem Zeitpunkt nicht erfassten Einfluss des Dialogic Readings auf die semantische Entwicklung Bezug und erwähnen zudem den Grammatikerwerb: „Ob sich durch dialogische Vorlesesituationen auch der Grammatikerwerb för‐ dern lässt, ist bislang nicht eindeutig belegt“ (ebd., S. 158). Diese Ausführungen machen deutlich, dass die Forscher die Förderung von Wortschatz, Semantik und Grammatik in den Blick nehmen, jedoch Dialogic Reading nicht als Methode zur Förderung von Textkompetenz in Betracht zu ziehen scheinen. Diesen Eindruck bestätigen konkrete Überlegungen von Ruberg und Rothweiler zum Einsatz des Bilderbuches als Sprachfördermaterial. 1 Sprachförderung, Schrift und Text 37 11 Carle, Eric (1997): Von Kopf bis Fuß. Hildesheim: Gerstenberg. Entsprechend der Leitlinie 5, die besagt, dass die Umsetzung einer entwick‐ lungsproximalen Förderung strukturzentriert erfolgen soll, sollte ein Bilderbuch „Impulse für den Gebrauch solcher sprachlicher Strukturen bieten, die für ein Kind in der Zone der nächsten Entwicklung liegen“ (ebd.). Dazu ist es nötig zu analysieren, „für welche sprachlichen Strukturen sich beim Betrachten unterschiedlicher Bilderbücher Kontexte bieten“ (ebd., S. 159). Exemplarisch verdeutlichen die Autoren an einem Textausschnitt aus dem Bilderbuch Von Kopf und Fuß (1997) von Carle, 11 dass sich die in diesem Buch angebotenen Sätze in besonderer Weise für den Erwerb der Hauptsatzstruktur eigenen: „Ich bin ein Seehund und klatsche in die Hände. Kannst du das auch? Das kann ich auch! […] Ich bin eine Katze und mache einen Buckel. Kannst du das auch? Das kann ich! “ (Carle 1997, zit. n. Ruberg/ Rothweiler 2012, S. 159) In dem vorgestellten Textaus‐ schnitt findet eine Kontrastierung unterschiedlicher Flexionsformen des Verbs können statt. So erhält das Kind die Möglichkeit, Kongruenzmerkmale und ihre morphologische Markierung am Verb durch einen Vergleich der Verbformen zu identifizieren. (Vgl. Ruberg/ Rothweiler 2012, S. 159) Die Überlegungen, die die Autoren zu verschiedenen Bilderbüchern anstellen, legen den Fokus auf den Erwerb grammatischer Strukturen und die Wortschatzerweiterung (vgl. ebd., S. 159-161). Ruberg und Rothweiler geben den allgemeinen Hinweis, das Sprachfördermaterial vor dem Einsatz hinsichtlich sprachlicher Strukturen zu betrachten: „Welchen Wortschatz bietet das Material an? Welche Aspekte von Sprache werden besonders deutlich? Welche sprachlichen Strukturen treten besonders häufig und kontrastreich auf ? “ (Ebd., S.-162) Während Ruberg und Rothweiler ihr Augenmerk auf den Erwerb sprachlicher Strukturen setzten, wird in der vorliegenden Studie der Fokus darauf gelegt, solche Strukturen innerhalb eines Textes funktional einzusetzen, wobei es um die Herstellung von Textualität und Bildung von Kohärenz geht. Dies zielt - im Gegensatz zu dem vorgestellten Einsatz des Bilderbuches als Sprachförderma‐ terial - nicht primär auf die Förderung von Wortschatz und Syntax ab, sondern auf die Förderung von Textkompetenz. In ihrem Abschlusskapitel Sprachförderung konkret - Beispiele für die Planung und Umsetzung zeigen Ruberg und Rothweiler exemplarisch, wie alltagsinteg‐ rierte Sprachförderung im Kindergarten aussehen kann (vgl. ebd., S. 172-193), um das Vorgehen bei Planung und Umsetzung von Sprachfördermaßnahmen zu erläutern. Dabei sollte Sprachförderung stets „an die individuellen sprachlichen und lebensweltlichen Voraussetzungen des Kindes angepasst sein“ (ebd., S. 171). Auch diese Vorschläge beziehen sich im Schwerpunkt auf die Förderung von 38 1 Sprachförderung, Schrift und Text 12 Die Erstpublikation des Beitrags erfolgte 2009: Isler, Dieter/ Künzli, Sibylle (2009): Literalitätsförderung im Kindergarten: Sprache braucht ein soziales Umfeld. In: Buch und Maus, H. 2, S.-6-9. 13 Isler und Künzli nehmen hier Bezug auf die folgenden Quellen: Näger, Sylvia (2005): Literacy - Kinder entdecken Buch-, Erzähl- und Schriftkultur. Freiburg im Breisgau: Herder. Sörensen, Barbara (2005): Kinder erforschen die Schriftkultur. Verlag KgCH (Verband KindergärtnerInnen Schweiz). Grammatik und Wortschatz: „Der Schwerpunkt liegt […] auf der Förderung zentraler grammatischer Strukturen sowie der semantisch-lexikalischen Ent‐ wicklung“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Exkurs: Sprachförderung im Elementarbereich in der Deutschschweiz Ein Blick in die Deutschschweiz zeigt, dass Isler und Künzli bereits 2009 an Programmen zur Förderung so genannter Vorläuferfähigkeiten des Lesens und Schreibens in der Deutschschweiz kritisierten, dass mit diesen „vorwie‐ gend technische, isoliert vermittelbare Fertigkeiten trainiert [werden], die den Aufbau einer komplexen schriftsprachlichen Handlungsfähigkeit langfristig kaum beeinflussen“ (Isler/ Künzli 2010 12 , S.-1). So konstatieren Isler und Künzli, dass die „Förderung von früher Literalität im Kindergarten […] sich […] nicht auf Schriftfertigkeiten beschränken [darf], sondern […] auch vor allem auf Textfähigkeiten ausgerichtet sein [muss]“ (ebd., S.-2). Isler und Künzli skizzieren drei verschiedene Handlungsansätze zur Förde‐ rung spezifischer sprachlicher und literaler Praktiken, die zudem eine Passung der lebensweltlichen und der schulischen Praktiken berücksichtigen: Erstens den Anschluss an Ressourcen der Kinder, zweitens das Ausgestalten einer li‐ teralen Alltagskultur in der Institution und drittens das Vermitteln literaler Handlungsformate und Textfähigkeiten. Beim ersten Handlungsansatz gilt es, Informationen über die Lebenswelten der Kinder einzuholen, damit jedes Kind in den Kindergarten eine Ressource (z. B. eine eigene Sprache) einbringen kann. Der zweite Handlungsansatz zielt darauf ab, Schrift und Medien in die Klassen zu integrieren. Der dritte Handlungsansatz besteht darin, Kindern regelmäßig Lernsituationen zu bedeutsamen literalen Praktiken anzubieten, welche ihnen „die Übernahme zunehmend initiativer Rollen und den Erwerb von Textfähigkeiten ermöglichen“ (ebd., S. 4). Darunter fallen beispielsweise Bilderbuchbetrachtungen, mündliche Erzählungen und mündliches Schreiben, bei dem Kinder der Lehrperson diktieren. 13 (Vgl. ebd., S. 3f.) „Im Unterschied zu vielen neuen Sprachförderprogrammen wird Sprache nicht isoliert, sondern als sozial und alltagskulturell bedingte Praxis verstanden und gefördert“ (ebd., S. 4). 1 Sprachförderung, Schrift und Text 39 14 Binationales Zentrum Frühe Kindheit (o. J.): Erwerbsunterstützung mündlicher Textfä‐ higkeiten im Kindergarten (EmTiK) In: https: / / www.fruehekindheit.ch/ forschung/ erwe rbsunterstuetzung-muendlicher-textfaehigkeit-im-kindergarten-emtik/ Nach Dieter Isler, Claudia Hefti, Katharina Kirchhofer und Iris Dinkelmann (2018) entwickelte sich die vorschulische Sprachförderung als Reaktion auf PISA zu einem bedeutsamen bildungspolitischen Handlungsfeld. Dabei standen zunächst curriculare Trainingsprogramme im Vordergrund, die basale Vorläu‐ ferfähigkeiten des Lesens und Schreibens fördern sollten. Derzeit setzt sich zunehmend eine alltagsintegrierte Sprachförderung durch. (Vgl. Isler et al. 2018, S.-2) „Durch eine wirksame Erwerbsunterstützung mündlicher Textfähigkeiten kann der Kindergarten einen nachhaltigen Beitrag zum Bildungserfolg aller Kinder leisten“ (ebd.). Auf ein Instrument zur Einschätzung mündlicher Textfähigkeiten von Kinder‐ gartenkindern nach Isler et al. (2018), das im Rahmen des bis 12/ 2023 laufenden Projektes Erwerbsunterstützung mündlicher Textfähigkeiten im Kindergarten (EmTiK) 14 unter der Leitung von Dieter Isler und Claudia Hefti entwickelt wurde (vgl. Binationales Zentrum Frühe Kindheit o. J.), wird in Kapitel I.3.4 zur Textproduktion im Medium der Mündlichkeit eingegangen. Hinsichtlich des Einsatzes von Sprachstandserhebungsverfahren konnten Redder et al. (2011) feststellen, dass nur eine geringe Anzahl von Verfahren sich auf die literale Basisqualifikation I (präliterale Vorläuferfähigkeiten und Eintritt in die Schriftlichkeit) beziehen. Auf die literale Basisqualifikation II, die unter anderem den Aufbau von schriftlicher Textualität betrifft, nimmt hingegen keines der Verfahren Bezug. Smidt konnte in einer Studie mit Blick auf den Bereich Sprache, Schrift und Kommunikation feststellen, dass im ersten bis dritten Kindergartenjahr „die Förderung von (Vorläufer-)Formen des Lesens und Schreibens“ (Smidt 2013, S. 75) eine untergeordnete Rolle spielt, während der Großteil der Beobachtungszeit durch die Förderung von sprachlichen Fähigkeiten dominiert wurde. Auch Heger (2018) weist darauf hin, dass im Kindergartenalltag Förderangebote zur mündlichen Sprache stärker fokussiert werden, während Angebote, die auf die Schriftsprache bezogen sind, eher die Ausnahme zu sein scheinen. Redder et al. (2011) fordern die frühe Förderung von Sprachkompetenzen, die im Bereich der konzeptionellen Schriftlichkeit liegen. Schneider (2018) betont, dass es sich bei der Förderung von phonologischer Bewusstheit lediglich um einen Baustein der vorschulischen Sprachförderung handelt und plädiert daher für eine ergänzende Sprachförderung in Alltagssituationen. Nach Sauer‐ born (2018) trainieren Trainingsprogramme zur phonologischen Bewusstheit 40 1 Sprachförderung, Schrift und Text lediglich Teilaspekte der Verschriftungstechnik. Sie hebt hervor, dass Schrift‐ spracherwerb jedoch mehr umfasst als „die Transformation der Zeichenketten gesprochener Sprache in Schrift und vice versa“ (Sauerborn 2018, S. 68). So ist es für den Schriftspracherwerb von Bedeutung, den Ausbau von konzeptioneller Schriftlichkeit zu unterstützen. Dies entspricht den Forderungen von Isler und Künzli (2009), Förderung von früher Literalität vor allem auch auf mündliche Textfähigkeiten auszurichten. Die Textebene soll folglich in den Blick genommen werden. Bei der exemplarischen Untersuchung verschiedener Konzeptionen zur all‐ tagsintegrierten Sprachförderung zeichnete sich ein in Grundzügen ähnliches Bild bezüglich der Konzepte von Kucharz et al. (2015), Löffler und Vogt (2015) und den Überlegungen von Ruberg und Rothweiler (2012). Zum einen sind die Konzepte auf mündliche Kommunikation ausgerichtet. Diese sind überwiegend dialogisch angelegt, während beispielsweise im Fellbach-Konzept auch das Erzählen von Alltagserlebnissen gefördert werden soll. Eine solche Sprachpro‐ duktion zeichnet sich zwar überwiegend durch das konzeptionell mündliche Sprachregister aus, kann aber insbesondere durch eine mögliche Monologizität auch Merkmale von Textualität aufweisen. Die anhand der Mehrheit der unter‐ suchten Konzeptionen gemachten Beobachtungen stimmen mit den Aussagen von Smidt und Heger überein, die auf eine Dominanz der Förderung von mündlichen Sprachfähigkeiten im Kindergartenalltag gegenüber spezifischen auf Schriftsprache bezogenen Angeboten hinweisen. Da es sich bei den im Rahmen der vorliegenden Studie vorgenommenen Analysen von Sprachförderkonzepten jedoch um exemplarische Untersuchungen handelt, zeigen diese Ergebnisse lediglich eine Tendenz an, während keine wissenschaftlich fundierten Schluss‐ folgerungen daraus gezogen werden können. Zum anderen liegt in den drei genannten Konzepten zur Sprachförderung ein Fokus auf dem Erwerb grammatischer bzw. syntaktischer Strukturen und auf der Wortschatzerweiterung. In der vorliegenden Studie soll der Blick auf Sprache gerichtet werden, die als Text organisiert ist. Der Fokus liegt somit im Gegensatz zu den drei Konzeptionen auf der Textebene und der Förderung von Textkompetenz und weniger auf der Förderung von Wortschatz und Syntax. Von den drei genannten Konzepten zur Sprachförderung hebt sich das Kon‐ zept der Kita Frankfurt in zentralen Punkten ab. Dieses Konzept ist auf Schrift und Textualität ausgerichtet und bezieht sich auf die literale Basisqualifikation I, in dem es beim ersten Textwissen der Kinder ansetzt und Erfahrungen mit Text und Schrift integriert. Zudem sind auch Bezüge zur literalen Basisquali‐ fikation II erkennbar, da durch den Umgang und das Verfassen von Texten 1 Sprachförderung, Schrift und Text 41 Kompetenzen im Aufbau von schriftlicher Textualität erworben bzw. erweitert werden können. Während in Bezug auf die Förderung von Kompetenzen der literalen Basis‐ qualifikation I in den drei Konzepten von Kucharz et al. (2015), Löffler und Vogt (2015) und Ruberg und Rothweiler (2012) keine Beobachtungen im Hinblick auf das Erkennen und Nutzen von Schriftzeichen und zur Umsetzung von mündlichen Sprachprodukten in schriftliche gemacht werden konnten, können erste Erfahrungen mit Texten als Bestandteil genannt werden. Nach Redder et al. (2011) werden diese nämlich durch das Vorlesen und durch die sich auf das Vorgelesene bezogene Anschlusskommunikation gemacht. Das Bilderbuch kommt in allen vier Ansätzen vorrangig zum Einsatz, um Kinder zur dialogischen Sprachproduktion oder zum Erzählen anzuregen. Dabei spielen auch die Bilder von Bilderbüchern eine bedeutsame Rolle. In mehreren Konzepten wird für den Einsatz der Methode des Dialogic Reading plädiert. Die Arbeit mit den Bilderbüchern ist in den vorgestellten Konzepten stets dialogisch und nicht monologisch angelegt. Im Gegensatz dazu ist es Anliegen der vorliegenden Studie, durch den Einsatz von Bilderbüchern Kinder zur monologischen Textproduktion anzuregen, indem sie so tun, als würden sie ein ihnen bekanntes Bilderbuch vorlesen. Dies geschieht vor dem Hintergrund der Überlegung, ob der Einsatz der Methode Pretend Reading als Sprachfördermaß‐ nahme im vorschulischen Bereich implementiert werden könnte, wobei eine solche Sprachförderung auf die literale Basisqualifikation I und zum Teil auch auf die literale Basisqualifikation II ausgerichtet wäre. 42 1 Sprachförderung, Schrift und Text 15 Wardetzky, Kristin (1992): Märchen-Lesarten von Kindern. Eine empirische Studie. Berlin: Peter Lang. 16 Vgl. dazu Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive, Kapitel I.5.2. 17 Vgl. dazu Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz, Kapitel I.3.2. 2 Erzählen Um die Position der vorliegenden Studie darzulegen, wird der Forschungsstand zum Erzählerwerb im Vor- und Grundschulalter skizziert, wobei der Fokus zum einen auf Ergebnissen liegt, die sich auf das Erzählen von Vorschulkindern beziehen, und zum anderen auf solchen, die Musterhaftigkeit oder konzeptionelle Schriftlichkeit in den Blick nehmen. Dehn, Merklinger und Schüler (2014) teilen Studien zum Erzählerwerb in zwei Gruppen ein: Studien der ersten Gruppe untersuchen in Form von Stufenmodellen, wie die Aneignung der Höhepunkter‐ zählung bei den Kindern vonstattengeht. (Vgl. Dehn et al. 2014, S. 4) Der Großteil der Studien zum kindlichen Erzählen bezieht sich auf die Erzählentwicklung (vgl. Schüler 2018, S.-9). In den meisten Studien zur Erzählentwicklung im Grundschulalter gilt das Struk‐ turmodell der Höhepunkterzählung (abstract, orientation, complication, resolution, coda nach Labov/ Waletzky 1967 bzw. Labov 1972) als prototypisch für das Erzählen. Die kindliche Erzählentwicklung wird dem Grad der Annäherung an das Modell entsprechend als Abfolge in Stufen beschrieben. (Ebd., S.-5) Zu dieser Gruppe zählen Dehn et al. u. a. die Studien von Boueke et al. (1995), Becker (2001) und Augst et al. (2007) (vgl. Dehn et al. 2014, S. 4). Dieser Gruppe lässt sich auch die Studie von Wolf (2000) zur Modellbildung im Forschungsbereich sprachliche Sozialisation zuordnen. Die zweite Gruppe von Studien zum Erzählerwerb befasst sich nach Dehn et al. mit dem kindlichen „Erzählen im Kontext des verfügbaren Geschichtenfundus“ (Dehn et al. 2014, S. 4) und untersucht „die Auswirkung der Aneignung von Geschichten auf Inhalt und Sprachformen des kindlichen Erzählens“ (ebd.). Zu dieser Gruppe rechnen Dehn et al. beispielsweise die Studien von Wardetzky (1992), 15 Dehn (1999), Dehn (2005) 16 und Weinhold (2000). 17 Schüler (2018) ordnet auch ihre Studie Narrative Muster im Kontext von Wort und Bild dieser Gruppe zu (vgl. Schüler 2018, S. 70). Zudem lässt sich die Studie von Naugk (2018) zur Förderung von Bildungssprache durch mündliches Erzählen zu dieser Gruppe zählen. Wie die Studien von Schüler und Naugk grenzt sich auch die vorliegende Studie zur frühen Textkompetenz von Studien zur Erzählentwicklung ab. So ist es kein An‐ 18 Weitere Befunde zum diktierenden Schreiben werden in Kapitel I.3.4 zur Textproduktion im Medium der Mündlichkeit dargestellt. liegen dieser Studie, Entwicklungsstufen zu identifizieren. Auch geht es weniger darum, Erzählstrukturen zu fokussieren, wie es für die Erzählforschung üblich ist. Vielmehr soll der Fokus auf die syntaktische Organisation von Texten gelegt werden. So wie die Studien, die gemäß der Zuordnung von Dehn et al. (2014) der zweiten Gruppe zugeordnet werden, „das Erzählen intertextuell betrachten“ (Schüler 2018, S. 70) und „Auswirkungen der Aneignung von Geschichten (und Bildern) auf Inhalt und Sprachform des Erzählens“ (ebd.) untersuchen, erfolgt auch in der vorliegenden Studie eine intertextuell ausgerichtete Betrachtung von Textproduktionen. Bei der Betrachtung der Studien zum Erzählen von Boueke et al. (1995), Wolf (2000), Becker (2001/ 2017), Becker (2005), Müller (2012), Schmidt (2014), Schüler (2018) und Naugk (2018) lassen sich durchaus ähnliche Beobachtungen machen. Hinsichtlich der Erzählungen Fünfjähriger zu Bildergeschichten fand Becker heraus, dass die jüngeren Kinder Beschreibungen produzierten, die sich u. a. durch deiktische Ausdrücke auszeichneten (vgl. Becker 2005, S. 30). Auch Boueke et al. konnten bei den meisten Kindergartenkindern bei der Wahl der Konnek‐ toren eine Tendenz zum Gebrauch von „‚da/ hier‘-Formulierungen“ (Boueke et al. 1995, S. 180) beobachten. Die meisten Kindergartenkinder bezeichnen Ereig‐ nisse, „die direkt aus den Bildinformationen […] übernommen werden“ (ebd.), die als Erzählstimuli eingesetzt wurden. (Vgl. ebd.) Im Gegensatz dazu erfasste Müller (2012) Erzählfähigkeiten von Kindern mit Hilfe eines den Kindern unbe‐ kannten Bilderbuches, das als Erzählstimulus diente (vgl. Müller 2012, S. 84). Müller (2012) konnte feststellen, dass „der interaktive Rahmen (Erzählen vs. Erzählen bei simultaner Verschriftung)“ (ebd., S. 240) die Wahl der sprachlichen Mittel der Kinder beeinflussen kann. Zudem konnte „dokumentiert werden, dass bereits vorschulische Kinder in der Lage sind, ihren Sprachgebrauch an eine formale Situation, wie es eine Diktiersituation ist, anzupassen“ (ebd., S.-241). 18 Das Bilderbuch als Erzählmedium löste nur bei den Kindern, die nicht über regelmäßige Erfahrungen mit Bilderbüchern verfügen, eine deskriptive Strategie aus (vgl. ebd., S. 239). „Bei den Kindern mit reichhaltigem familialem Erwerbsangebot provozierte dieses Medium ein narratives Handlungskonzept, das ihnen aus ihrer eigenen Sprachsozialisation bekannt war und ihnen als Orientierungsgrundlage diente“ (ebd.). Beim Vergleich der Beobachtungen zum Mustergebrauch beim Erzählen von Fünfjährigen lässt sich Folgendes feststellen: In der Analyse von Wolf (2000), die sich auf Texte zum Erzählen zu Bildergeschichten bezieht, konnten in keinem 44 2 Erzählen 19 Beckers Studie Kinder lernen erzählen. Zur Entwicklung narrativer Fähigkeiten von Kindern unter Berücksichtigung der Erzählform erschien erstmals 2001. 20 Eine differenzierte Darstellung der Beobachtungen zum Gebrauch und der Funktion von rhythmischen Elementen in den Nacherzählungen der Kinder ist Becker 2017, S.-160-174 zu entnehmen. Text der Kindergartenkinder literale formelhafte Wendungen gezählt werden. Es wurden zudem nur sehr wenige Ausdrücke verwendet, die der Gruppe gehobenes lexikalisches Inventar zugeordnet werden können. Auch machten tendenziell eher wenige Kindergartenkinder Gebrauch von umgangssprachli‐ chen Bausteinen. Nennenswerte Aktivitäten zeigten sich nur im Bereich der bildlichen, umgangssprachlichen Begriffe. (Vgl. Wolf 2000, S. 116) Wolf spricht hier von „oral geprägter Formelhaftigkeit“ (ebd., S. 92) und bezieht sich auf Ausdrücke wie „und dann krachen se zusammen“ (ebd.). Beckers Beobachtung, dass die Erzählungen zu Bildergeschichten der Fünfjährigen keine Ausdrücke aufwiesen, die als literarische Übernahmen bezeichnet werden konnten (vgl. Becker 2005, S. 30), deckt sich mit diesen Befunden. Auch beim Erzählen von Phantasiegeschichten konnte Schmidt (2014) ähnliche Beobachtungen machen: So kommt in den Phantasieerzählungen der Fünfjährigen die Verwendung von Erzählformeln nur vereinzelt vor, während „eine Integration literarischer Vorlagen in die Erzählungen […] gar nicht [erfolgt]“ (Schmidt 2014, S. 108). (Vgl. ebd.) Im Vergleich dazu nutzen jedoch bereits fünf Prozent der Sechsjährigen Erzählformeln in ihren Phantasieerzählungen, während die Integration literari‐ scher Vorlagen bei etwa sieben Prozent liegt (vgl. ebd., S.-112ff.). Bezüglich der Textsorte Nacherzählung fand Becker (2017 19 , 2005) hingegen heraus, dass sich vor allem die Nacherzählungen der jüngeren Kinder durch repetitive und rhythmische Elemente  20 - also Musterhaftigkeit - auszeichnen (vgl. Becker 2005, S. 35; Becker 2017, S. 181). Unter repetitiven Elementen versteht sie dabei „einzelne Wörter, Phrasen oder ganze Sätze, die ein- oder mehrmals im Text wiederholt werden“ (ebd., S. 161). Auf den ersten Blick ließe sich hier vielleicht von Imitationen der nachzuerzählenden Geschichte sprechen. Jedoch betonen sowohl Schüler (2018) als auch Naugk (2018), dass es sich bei den sprachlichen Formen, die sich in den von ihnen analysierten Erzählungen der Kinder zeigten, nicht um Imitationen der Vorgabe bzw. einer zuvor gehörten Geschichte handelt. Beide Forscherinnen beobachten Transformationen. (Vgl. Schüler 2018, S. 346; Naugk 2018, S. 245) Ähnliches bestätigen auch Beobach‐ tungen von Becker: Bei den Nacherzählungen übernahmen Kinder rhythmische Elemente aus dem Vorlesetext - und zwar meist in abgewandelter Form (vgl. Becker 2017, S.-162). Die Bedeutsamkeit einer Vorlage beim Erzählen zeigt sich nicht nur im Hinblick auf den Gebrauch von Mustern, sondern auch hinsichtlich 2 Erzählen 45 des Gebrauchs schriftsprachlicher bzw. bildungssprachlicher Elemente. So stellt Becker fest, dass ausschließlich in Nacherzählungen der Fünfjährigen das Präteritum auftritt, nicht aber in ihren Erzählungen zu Bildergeschichten, ihren Erlebniserzählungen und Phantasiegeschichten (vgl. Becker 2005, S. 36). Naugks Studie zur Förderung von Bildungssprache durch mündliches Erzählen (2018) verfolgte das Ziel, medial mündliche Äußerungen von DrittklässlerInnen auf konzeptionelle Schriftlichkeit zu untersuchen, um Rückschlüsse auf eine frühe Form von Bildungs‐ sprachlichkeit, angeregt durch das mündliche Erzählen von Phantasiegeschichten, zu ziehen. (Ebd., S.-116) Dabei untersuchte Naugk die Rolle von sprachlichen Vorbildmodellen für münd‐ liches Erzählen (vgl. ebd., S. 113) und ging der Frage nach, inwiefern Kinder „ihnen vorgegebene sprachliche Ausprägungen und Strukturen“ (ebd. S. 114) in die eigenen mündlich erzählten Narrationen aufnehmen und auf diese Weise bildungssprachliche Elemente gebrauchen (vgl. ebd., S. 114). Die Untersuchung konnte zeigen, dass die Kinder „auch ohne explizite vorherige Vermittlung oder Aufforderung zum Gebrauch innerhalb eines bestimmten, für literarische Geschichten angemessenen[,] Registers sprachlich agieren, wenn auch nicht im gleichen Umfang“ (ebd., S. 212). Als Forschungsdesiderat formuliert Naugk „[e]ine Ausweitung der Untersuchung auf jüngere Kinder, denen bspw. der Einblick in mediale Schriftlichkeit noch fehlt“ (ebd., S.-250). Nach Becker „spiegeln sich die Erfahrungen der Kinder mit Literalität und auch Literarität in ihren mündlichen Texten“ (Becker 2005, S. 39) wider. Es wird deutlich, dass mündliche Erzählungen von Kindern schon früh textgram‐ matische Elemente aufweisen, die in Richtung konzeptionelle Schriftlichkeit gehen. Dabei deuten die dargestellten Befunde auf die Bedeutsamkeit von mittelbaren und unmittelbaren Erfahrungen mit Literatur bzw. Texten, die Bedeutsamkeit des Settings und den Gebrauch von Mustern hin. Dies ist ein zentraler Punkt, an dem die vorliegende Studie zum Pretend Reading ansetzt, um konzeptionelle Schriftlichkeit bereits bei Vorschulkindern in einem stärkeren Maße herauszufordern, bereits vorhandene Textkompetenz sichtbar zu machen und die Rolle und Funktion von Mustern zur Herstellung von Textualität und somit bei der Entwicklung früher Textkompetenz zu untersuchen. 46 2 Erzählen 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 3.1 Text, Textkompetenz und Textproduktion Die vorliegende Studie zum Pretend Reading untersucht die Herstellung bzw. Produktion von literaler Textualität. Der dafür zentralen Frage nach dem Zusammenhang von Rezeption und Produktion von Sprache wird insbesondere in Kapitel I.5.1.2 zu Formelhaftigkeit und Kreativität nachgegangen. Das folgende Kapitel dient dem Zweck, darzustellen, welcher Textbegriff der vorliegenden Studie zugrunde liegt und welches Verständnis von Textkompetenz sich daraus ergibt. Es wird erläutert, inwiefern die Darstellung des Schreibprozesses re‐ levant für die Beschreibung der Prozesse ist, die während einer Pretend-Rea‐ ding-Situation ablaufen. Zudem werden unterschiedliche Überlegungen zur Entwicklung von Textkompetenz betrachtet. Von zentraler Bedeutung für das Verständnis von Text der vorliegenden Studie ist in erster Linie die oft zitierte Unterscheidung von konzeptioneller und medialer Schriftlichkeit und Mündlichkeit, die auf Koch und Oesterreicher (vgl. Koch/ Oesterreicher 1994) zurückgeht. Die Autoren weisen im Zusammenhang mit ihrem Nähe-Distanz-Modell darauf hin, dass die Termini mündlich und schriftlich „in doppeltem Sinne verwendet werden“ (ebd., S. 587). So beziehen sie sich einerseits auf „das Medium der Realisierung sprachlicher Äußerungen“ (ebd.), wobei mündlich dem Begriff phonisch und schriftlich dem Begriff gra‐ phisch entspricht. Anderseits können sich die Termini auch auf den Duktus bzw. die Modalität der Äußerungen beziehen - die Konzeption. (Vgl. ebd.) Konzeptionelle Schriftlichkeit kann auf der Wortebene, der Satzebene sowie auf der Textbzw. Diskursebene unterschieden werden (vgl. Günther 1993, S. 90). Nach Feilke ist dieser Ansatz „in der germanistischen Sprachdidaktik breit und mit fast durchgängig positiver Resonanz aufgegriffen worden“ (Feilke 2016, S. 127; vgl. dazu auch Topalović/ Drepper 2019, S. 326). Aber auch in der germanistischen Literaturdidaktik wurde das Nähe-Distanz-Modell aufgegriffen - hier sind Hurrelmann (2003), Garbe (2010) und Hennies/ Ritter (2014) zu nennen (vgl. Topalović/ Drepper 2019, S. 326). So entwickeln Hennies und Ritter beispielsweise [d]urch die Unterscheidung von medialer und konzeptioneller Ebene von (schriftli‐ chen) Texten […] in Verbindung mit einem erweiterten Schriftsprachbegriff aus einer eher sonderpädagogischen Tradition […] ein differenziertes, fachwissenschaftlich 21 Hurrelmann nimmt dabei Bezug auf: Hurrelmann, Bettina (2002): Sozialhistorische Rahmenbedingungen von Lesekompetenz sowie soziale und personale Einflussfak‐ toren. In: Groeben, Norbert/ Hurrelmann, Bettina (Hrsg.): Lesekompetenz. Bedingungen, Dimensionen, Funktionen. Weinheim, München: Juventa, S.-123-149. 22 An dieser Stelle sei zustimmend auf die einschränkende Überlegung Wittmers (2019) hingewiesen, der in seiner Studie Pretend Reading als Methode für die Grundschule untersucht (vgl. I.5 zum Forschungsstand von Pretend Reading). Auch er betrachtet Pretend Reading im Licht von medialer und konzeptioneller Mündlichkeit und Schrift‐ lichkeit (Koch/ Oesterreicher 1985). Dabei weist er auf seine Annahme hin, dass die Formulierungen der Kinder durch das Medium der Mündlichkeit Spuren medialer Mündlichkeit enthalten (vgl. Wittmer 2019, S. 100f.). „Beim Pretend Reading sind die DrittklässlerInnen beispielsweise unter anderem dazu herausgefordert, im Medium der Mündlichkeit konzeptionell schriftlich zu formulieren, aber die geäußerten Formulie‐ rungen sind aufgrund ihrer Medialität immer auch an nähesprachliche Komponenten wie Verschleifungen, Klitisierungen, Diskurspartikeln, Prosodie oder auch die Körper‐ sprache gebunden. Daher ist davon auszugehen, dass beim Pretend Reading aufgrund der medial mündlichen Realisierung immer auch Spuren konzeptioneller Mündlichkeit zu erkennen sind - selbst dann, wenn die Kinder hochgradig syntaktisch komplexe Äußerungen formulieren.“ (Ebd., S.-101) abgesichertes Modell zur ressourcenorientierten Würdigung von auf den ersten Blick ‚unkonventionellen‘ Texten von SchülerInnen im Deutschunterricht […]. (Hennies/ Ritter 2014, S.-183) Hurrelmann versteht prä- und paraliterarische Kommunikationsformen mit Kindern, zu denen das Erzählen von Geschichten, das Lernen von Kinderreimen und -gedichten, das Singen von Liedern und das Spiel mit Sprache zählen, als „eine Art ‚Schaukelstuhl zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit‘ […], der Kindern den Umgang mit dekontextualisierter Sprache erleichtert“ (Hurrel‐ mann 2003, S. 168), wobei diese Funktion „auch das Vorlesen als semi-literarische Kommunikationsform“ (ebd.) hat 21 (vgl. ebd.). Im Eröffnen eines „Zugang[s] zur konzeptionellen Schriftlichkeit im Medium der Mündlichkeit“ (Garbe 2010, S. 181) für die Kinder liegt die wesentliche „Aufgabe der Familie in der frühen Lesesozialisation“ (ebd.). Dabei kommt Kinderliteratur „eine Brückenfunktion zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ (ebd.) zu (vgl. ebd.). Im Rahmen der vorliegenden Studie soll mit Hilfe von Pretend-Reading-Si‐ tuationen konzeptionelle Schriftlichkeit 22 im Medium der Mündlichkeit heraus‐ gefordert werden - und zwar in Form von einer monologischen Textproduktion. Monologizität ist dabei eines der Merkmale, die Koch und Oesterreicher dem Schriftlichkeitspol zuordnen (vgl. Koch/ Oesterreicher 1994, S.-588). Der Textbegriff, der der vorliegenden Studie zugrunde liegt, lehnt sich primär an Nussbaumers kognitiven Textbegriff (1993) an, den Nussbaumer auf mono‐ logische schriftliche Texte einschränkt (vgl. Nussbaumer 1993, S. 64). Dies mag 48 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 23 Bei seinen Überlegungen zum Pretend-Reading-Text bezieht sich Wittmer u. a. auch auf Nussbaumers kognitiven Textbegriff: So handelt es sich beim „Pretend-Reading-Text der Kinder, über den gesprochen werden kann, […] immer [um] ein[en] Pretend-Rea‐ ding-Text 2 in den Köpfen der Wahrnehmenden, sodass - mit Bezug auf Pretend-Rea‐ ding-Text 1 - nur Annahmen getroffen werden können, welche Vorstellungen die Schü‐ lerInnen zu dem vorgelesenen […] Bilderbuch in ihren Köpfen (Pretend-Reading-Text 0) gebildet haben könnten. Die getroffenen Annahmen sind dann Rekonstruktionen, die auf Basis transkribierter Pretend-Reading-Texte entwickelt werden.“ (Wittmer 2019, S.-105) zunächst verwundern, da es sich bei dem in der Pretend-Reading-Situation pro‐ duzierten Text nicht um einen schriftlich fixierten Text handelt. Nussbaumers Textbegriff ist jedoch als Grundlage für die vorliegende Studie geeignet, da ein Ziel der Pretend-Reading-Situation darin besteht, einen (monologischen) schriftlich fixierten Text in einer „Als-ob-Situation“ zu imitieren bzw. zu simu‐ lieren. Beim Pretend Reading handelt es sich auch nicht um eine „zerdehnte Sprechsituation“ (Ehlich 1984, S. 18) im klassischen Sinne, da keine zeitliche und räumliche Trennung zwischen dem Produzenten (Kind) und dem Rezipienten (erwachsene Person) besteht und der Text somit sehr wohl mit Sprecher und Hörer (im Medium der Mündlichkeit) „kopräsent“ (ebd., S. 17) ist. Es wird jedoch eine zerdehnte Sprechsituation simuliert, da das Kind den bereits geschriebenen Bilderbuchtext imitiert. Dieser referiert nicht auf das „Hier und Jetzt“, sondern erzählt eine fiktive Geschichte und präsentiert somit distante Inhalte. Durch die „zerdehnte“ Kommunikation kommt dem situativen Kontext eine tragende Rolle bei Textproduktion- und rezeption zu (vgl. Fix 2008, S. 71f.). Die Notwendigkeit für das Kind, einen situativen Kontext zu schaffen, obwohl keine räumliche und zeitliche Trennung von Produzenten und Rezipienten besteht, wird somit vom Medium Bilderbuch gefordert. Daher kann dem Bilderbuch in der Pretend-Rea‐ ding-Situation eine zentrale Funktion zugesprochen werden. Nussbaumer unterscheidet zwischen dem Text im Kopf des Textproduzenten (T0), dem Text auf dem Papier (T1) und den Text im Kopf des Rezipienten (T2) (vgl. Nussbaumer 1993, S. 64). In einer Pretend-Reading-Situation entspricht demzufolge T1 dem vom Kind mündlich produzierten Text, der zu einem späteren Zeitpunkt zusätzlich in Form eines Transkripts vorliegt, T0 dem Text im Kopf des Kindes und T2 dem Text im Kopf der oder des Erwachsenen. 23 Das, was Texte zu Texten macht (Textualität), ist die Kohärenz, das ist das Zusam‐ menstimmen von Teilen zu einem integralen Ganzen. Dies ist eine Eigenschaft, die nicht äußerlichen Objekten (Texten auf dem Papier), sondern nur mentalen Entitäten (Texten in Köpfen von Sprachbenützern) zukommen kann. (Ebd.) 3.1 Text, Textkompetenz und Textproduktion 49 Textualität stellt sich in der Rezeptionsarbeit ein (vgl. Nussbaumer 1996, S. 98). So wird die bedeutsame Rolle des Lesers bei der Herstellung von Textualität betont. Nussbaumer hebt zudem die Bedeutsamkeit von Kohärenz hervor, indem er sie mit Textualität gleichsetzt: „Textualität im vollen Wortsinn oder Kohärenz ist etwas, was kooperative Rezipienten auf der Basis von ‚Texten 1‘ und unter Zuhilfenahme einer ganzen Reihe von Vorwissensbereichen rekonstruktiv herzustellen versuchen“ (Nussbaumer 1995, S. 76). Das Maß an Textualität bzw. Kohärenz, das sich einstellt oder herstellbar ist, hängt von dem Maß ab, in dem ein Text 1 von einem Sprachbenützer als verständlich wahrgenommen und verarbeitet werden kann bzw. von dem Maß, in welchem sich Verstehen einstellt oder herstellbar ist. Somit stehen Textualität und Kohärenz in einem engen Verhältnis zu Verstehen und Verständlichkeit. (Vgl. Nussbaumer 1993, S. 65) Als zentral für den Textbegriff Nussbaumers seien das Merkmal Kohärenz und die Rolle des Lesers für die Herstellung von Kohärenz bzw. Textualität genannt, die auch als wichtige Merkmale in den Textbegriff der vorliegenden Studie einfließen. Dass Kohärenz als zentrales Merkmal eines Textes gilt, ist unumstritten. Dies zeigt auch der exemplarische Blick auf die Vorstellungen von Text und Textualität von Fix (2008), Brinker (2010) und Linke et al. (2004) sowie von Adamzik (2004). „Im modernen Verständnis der Textlinguistik ist Kohärenz ein umfassendes Konzept, das mit Textualität nicht nur sprachliche, sondern auch funktionale, inhaltlich/ thematische und auch situative Aspekte meint“ (Kruse 2009, S. 219). So stellt Adamzik ein „grobes Ordnungsraster für Dimensionen der Textbeschreibung“ (Adamzik 2004, S. 58) vor. Dabei steht die Dimension Sprachliche Gestalt in Beziehung zum Wo (situativer Kontext), Was (Thema/ Inhalt) und Wozu (Funktion) der kommunikativen Handlung. Kohäsion besteht zwischen den Sprachzeichen, welche die sprachliche Gestalt ausmachen. Kohärenz kann nicht nur zwischen der sprachlichen Gestalt und den übrigen drei Dimensionen vorliegen, sondern auch zwischen den verschie‐ denen Dimensionen. (Vgl. ebd., S. 58f.) In einer Pretend-Reading-Situation gilt es, die Produktion eines monologischen, möglichst kohärenten Textes herauszufordern. Die Bedeutsamkeit der Leserrolle wird bei der Analyse der kindlichen Text‐ produktionen erstens dadurch berücksichtigt, dass die Verständlichkeit des Textes aus der Leserperspektive geprüft wird, wobei das Merkmal Kohärenz in den Blick genommen wird. Nach Fix (2008) lässt sich Kohärenz in thematische, strukturelle und grammatische Kohärenz unterteilen. Während sich thematische Kohärenz auf die Makrostruktur eines Textes, auf das behandelte Thema und seinen Inhalt bezieht (vgl. Fix 2008, S. 76), ist strukturelle Kohärenz auf die Superstruktur des Textes und verwendete Textmuster bezogen (vgl. ebd., S.-79). 50 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 24 Vgl. hierzu die Ausführungen von Isler et al. 2018; vgl. Kapitel I.3.4 zur Textproduktion im Medium der Mündlichkeit. Grammatische Kohärenz bezieht sich auf die Mikrostruktur eines Textes. Formale Mittel der Morphologie und der Syntax realisieren auf der sprachlichen Mikro‐ struktur die Makrosowie die Superstruktur des Textes. Der dabei entstehende sprachliche Zusammenhalt wird auch als Kohäsion bezeichnet. (Vgl. ebd., S. 80) Bei der Analyse der kindlichen Textproduktionen findet eine Beschränkung auf thematische und grammatische Kohärenz statt. Die Superstruktur wird nicht explizit in den Blick genommen, da die Studie nicht den Aufbau von Narrationen folgend einer Höhepunktstruktur untersucht. Zur Beschreibung der Herstellung von grammatischer Kohärenz bei den sieben Textanalysen zu Pretend-Reading-Situationen (vgl. II.3.1) wird auf die verschiedenen Formen von Kohäsion von Linke, Nussbaumer und Portmann (2004) zurückgegriffen. Sie unterscheiden zwischen Rekurrenz und partielle Rekurrenz, Substitution, Pro-Formen, bestimmter und unbestimmter Artikel, Deixis, Ellipse, explizite Text‐ verknüpfung, Tempus und Konnektive (vgl. Linke et al. 2004, S.-245-253). Zweitens werden Hinweise, die auf eine Leserorientierung des Kindes deuten, explizit in den Blick genommen wird. In Textproduktionen im Medium der Mündlichkeit kann Leserorientierung allerdings nicht nur durch die Wahl sprachlicher Mittel zum Ausdruck gebracht werden, sondern auch zusätzlich durch Intonation sowie Mimik und Gestik, 24 die es bei fixierten schriftlichen Texten nicht gibt. Diese stehen mit dem adäquaten Umgang mit dem Medium Bilderbuch im Sinne des gestaltenden Vorlesens in Verbindung: So hebt z. B. Kruse (2009) die Bedeutsamkeit der bewussten Sprechgestaltung im Kontext des Höreraktivierenden Vorlesens heraus (vgl. Kruse 2009, S. 15). Da diese nicht-verbalen Mittel zum Bereich der Mündlichkeit gehören, werden sie zwar bei der Analyse der Texte aus den Pretend-Reading-Situationen in den Blick genommen, jedoch nicht zu den Merkmalen von Textualität gerechnet. Da im Rahmen der vorliegenden Studie Kinder in Pretend-Reading-Situationen Texte produzieren, die als Texte von Bilderbüchern fungieren können, greift ein linguistischer Textbegriff zur Beschreibung dieser Texte allerdings zu kurz. Aus diesem Grund wird das Bilderbuch als Medium gesondert betrachtet. Nach Staiger (2014) kann das Bilderbuch als ein semiotisch sehr komplexes Erzählmedium bezeichnet werden. Der Grund dafür liegt darin, dass „Bilder und Verbalsprache auf verschiedene Art und Weise kommunizieren und erzählen“ (Staiger 2014, S. 12). Beim Medium Bilderbuch liegt die Besonderheit in der Art und Weise, wie Informationen an die Rezipientin oder den Rezipienten vermittelt werden: Die Informationsvergabe „erfolgt in einer Kombination aus 3.1 Text, Textkompetenz und Textproduktion 51 25 Nikolajeva, Maria/ Scott, Carole (2006): How Picturebooks Work. New York: Routledge. 26 Vgl. dazu das von Baurmann und Pohl entwickelte Schreibkompetenzmodell (vgl. Baurmann/ Pohl 2009, S.-96). bildlichen und verbalen Codes, die in Abhängigkeit und Wechselwirkung zuein‐ ander stehen [Hervorh. im Original]“ (ebd.). Es werden in einem multimodalen Text zwei Zeichensysteme miteinander verknüpft. „Bei einem Bilderbuch ist der Lesepfad nicht zwingend vorgegeben, die Lektüre erfolgt in einem stetigen Pendeln zwischen Bild und Schrifttext“ (ebd., S. 13). Für die Bilderbuchanalyse unterscheidet Staiger fünf untrennbar miteinander verbundene Dimensionen: Die narrative, verbale, bildliche, intermodale und paratextuelle und materielle Dimension. (Vgl. ebd., S. 12-14) Hervorzuheben ist an dieser Stelle die intermo‐ dale Dimension, die nach der Beziehung von Bild und Schrifttext zueinander fragt. So kann gemäß der Typologie von Nikolajeva und Scott (2006) 25 das Bild-Schrifttext-Verhältnis beispielsweise als komplementär bezeichnet werden (vgl. Staiger 2014, S. 18f.), was bedeutet, dass „Bild und Schrifttext sich ergänzen, indem sie wechselseitig bestehende Leerstellen füllen“ (ebd., S.-20). Demzufolge ist die Textproduktion eines Kindes (verbale Dimension), das im Rahmen einer Pretend-Reading-Situation ein Bilderbuch „vorliest“, als Teil eines multimodalen Textes zu betrachten: Sie ist mit den Bildern des Bilderbuches ver‐ woben. Kontextualisierungskompetenz, 26 eine Teilkompetenz von Schreibkom‐ petenz, wird als Fähigkeit verstanden, eine aus sich selbst heraus verständliche Textwelt aufbauen zu können (vgl. Baurmann/ Pohl 2009, S. 96). Bei einer Produktion eines Textes zu einem Bilderbuch ist jedoch zu berücksichtigen, dass dies nicht zwingend notwendig ist, da Text und Bilder in Abhängigkeit zu‐ einander stehen und bestehende Leerstellen möglicherweise gegenseitig füllen. Diese Überlegungen entsprechen auch der Forderung von Iris Kruse (2016) zum „guten Vorlesen“ hinsichtlich des Umgangs mit Text-Bild-Korrespondenzen im Unterricht: Der aus dem Zusammenspiel von Text und Bild resultierende besondere medienästhe‐ tische Status des Bilderbuchs darf […] nicht übergangen werden, denn die multime‐ diale Gesamtaussage eines Bilderbuchs kann nur dann erfolgreich generiert werden, wenn ‚bildnerische und textliche Anteile zu einer ästhetischen Gesamterfahrung‘ (Thiele 2002, S.-46) verknüpft werden. (Kruse 2016, S.-106) Wird im Rahmen der vorliegenden Studie im Folgenden von Text (oder Bilder‐ buchtext) gesprochen, ist damit - der von Rita Finkbeiner gewählten Termino‐ logie folgend - der „unimodale“ symbolische Schrifttext im Bilderbuch (vgl. Finkbeiner 2019, S. 46) bzw. der vom Kind zum Bilderbuch „vorgelesene“ Text gemeint. 52 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter Bei Betrachtung der bereits erwähnten Textbegriffsvorstellungen von Fix (2008), Brinker (2010), Linke et al. (2004) und Adamzik (2004/ 2016) rückt neben Kohärenz Funktionalität als weiteres zentrales Merkmal in den Blick. Nach Brinker definiert die sprachsystematisch orientierte Textlinguistik Text als „kohärente Folge von Sätzen“ (Brinker 2010, S. 14), während die kommunika‐ tionsorientierte Textlinguistik an der kommunikativen Funktion von Texten interessiert ist (vgl. ebd., S. 13ff.). Brinker liefert eine Definition von einem inte‐ grativen, beide Grundpositionen der Textlinguistik einschließenden Textbegriff: „Der Terminus ‚Text‘ bezeichnet eine begrenzte Folge von sprachlichen Zeichen, die in sich kohärent ist und die als Ganzes eine erkennbare kommunikative Funktion signalisiert“ (ebd., S. 17; Herv. durch Verf.). Die Merkmale Kohärenz und kommunikative Funktion sind auch für die Textdefinition von Linke et al. (2004) zentral: „Ein Text ist eine komplex strukturierte, thematisch wie konzeptionell zusammenhängende Einheit, mit der ein Sprecher eine sprachliche Handlung mit erkennbarem kommunikativem Sinn vollzieht“ (Linke et al. 2004, S. 275; Herv. durch Verf.). Fix nennt neben Kohärenz Situationalität, Verständlichkeit und Funktionalität als Merkmale von Textualität (vgl. Fix 2008, S. 71ff.). Den Hintergrund der Textfunktion bildet die Mitteilungsabsicht des Produzenten (vgl. Fix 2008, S. 72). Geschriebene Texte lassen sich - wie Steinig und Huneke zeigen - in Anlehnung an Bühlers Organonmodell entsprechend ihrer Funktion eher expressiven, informativen oder appellativen Textsorten zuordnen. Dabei werden Erzählung und Gedicht als eher expressive Textsorten eingeordnet (vgl. ebd.; vgl. Steinig/ Huneke 2007, S. 127f.). An dieser Stelle leuchtet ein (vermeintlich) kritischer Punkt auf: „Literarische Texte können wegen ihres besonderen Weltbezugs nicht diejenigen Textfunktionen erfüllen, die für Gebrauchstexte im Allgemeinen angenommen werden“ (Nikula 2017, S. 236). Lehmann und Stocker (1981) ergänzen als vierte Funktion die kreative Funktion und ordnen dieser die narrativen Texte zu (vgl. Fix 2008, S. 73; Lehmann 1981, S.-38). Der viergeteilten Intention des Schreibers entsprechen vier Bezugsmöglichkeiten: der expressiven Intention bzw. Sprachfunktion der dominierende Schreiberbezug; der informativen Funktion der überragende Sachbezug; der appellativen Funktion der betonte Leserbezug; der kreativen Funktion der besondere Sprachbezug. (Ebd.) Jakobson (1972) wiederum spricht von einer poetischen Funktion der Sprache (vgl. Jakobson 1972, S. 103-108; vgl. I.5.1.3). Brinker (1997) unterscheidet zwischen den fünf textuellen Grundfunktionen Informationsfunktion, Appell‐ funktion, Obligationsfunktion, Kontaktfunktion und Deklarationsfunktion (vgl. Brinker 1997, S. 104f.) und „nimmt […] eine […] ästhetische Funktion in 3.1 Text, Textkompetenz und Textproduktion 53 27 Während Jakobson sich „fast ausschließlich auf die Verskunst [bezieht]“ (Große 1976, S. 41), soll Großes Begriff der poetischen Funktion „auch die Funktion der literarischen Prosa umfassen“ (ebd.) und wird „daher identisch mit Mukařovskýs Begriff der ätheti‐ schen Funktion [Hervorh. im Original]“ (ebd.) (bezogen auf sprachliche Kunstwerke) gesetzt. (Vgl. ebd.) 28 Zur poetischen Funktion nach Jakobson (1972) vgl. Kapitel I.5.1.3. 29 Auf Islers Studie (2014) und das von ihm entwickelte Literalitätsmodell wird in Kapitel I.3.2 zu Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz näher eingangen. seinen Katalog von Grundfunktionen des kommunikativen Kontakts auf “ (Fix 2008, S. 73): „Ästhetische Funktion, Unterhaltung (häufig fiktionale Texte, v. a. Erzählungen)“ (ebd., S. 74). „Zu ergänzen wäre noch die sog. poetische (ästheti‐ sche) Funktion, die in literarischen Texten dominiert und primär Gegenstand literaturwissenschaftlicher Untersuchungen ist“ (Brinker 1997, S. 105). Dabei nimmt Brinker auf Große (1976) 27 Bezug (vgl. Brinker 1997, S.-105). Es wird angenommen, dass die Texte, die von den Kindern in der Pre‐ tend-Reading-Situation produziert bzw. „vorgelesen“ werden, unterschiedliche Funktionen erfüllen können. Eine zentrale Funktion wird in der Unterhaltung des Erwachsenen durch das Vorlesen einer Geschichte gesehen: Kinder, denen bereits Bilderbücher im privaten Kontext vorgelesen worden sind, haben sehr wahrscheinlich selbst die Unterhaltungsfunktion von Literatur erfahren können. Soll ein Text die Funktion Unterhaltung erfüllen, ist dies in Verbindung mit der Fähigkeit zu sehen, den Leser in den Blick zu nehmen zu können. Zudem kann die Unterhaltungsfunktion auch im engen Zusammenhang mit dem ästhetischen oder poetischen Sprachgebrauch gesehen werden. Nach Nikula bezieht sich Jakobsons poetische Funktion „ausschließlich auf die Ebene der Formulierung“ (Nikula 2017, S. 237). Da die Ebene der Formulierung in der vorliegenden Studie eine zentrale Rolle spielt und das für die Studie zentrale Konzept der Musterhaftigkeit (vgl. Kapitel I.5) stark mit ästhetischem Sprachgebrauch in Verbindung steht, 28 ist es naheliegend, sich bei der Analyse der Textproduktionen auch auf Jakobsons poetische Funktion zu stützen. Die Textproduktion in einer Pretend-Reading-Situation wird aber auch als Sonder‐ fall betrachtet. Beim literarischen Text begibt sich der „(reale) Autor […] in die Rolle dessen, der etwas erfindet“ (Corbineau-Hoffmann 2002, S. 171). In der Pretend-Reading-Situation hat das Kind zwar die Möglichkeit, sich eine Geschichte zu den Bildern auszudenken und somit selbst Autor zu sein. Es wird jedoch vermutet, dass es den meisten Kindern beim Pretend Reading intentional stärker um die Darstellung bzw. Wiedergabe des bekannten Inhalts aus der Geschichte geht als um den „subjektiven Ausdruck“ (Fix 2008, S. 72), auch wenn diese Funktion nicht unberücksichtigt bleiben darf. Dies ist auch mit Islers (2014) Überlegungen 29 vereinbar. Isler (2014) stellt mit Bezug auf Becker (2005) 54 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter und Rosenblatt (2004) eine Unterteilung der darstellenden Sprachhandlungen in realitätsbezogene und fiktionale vor (vgl. Isler 2014, S.-14): Damit ergibt sich für den konzeptionell schriftlichen Sprachgebrauch eine Binnen‐ strukturierung in a) darstellende realitätsbezogene, b) darstellende fiktionale sowie c) eine Sammelkategorie der weiteren (instruierenden, erklärenden und argumentie‐ renden) literale Praktiken. (Ebd.) Demnach könnten die beim Pretend Reading stattfindenden literalen Praktiken als darstellende fiktionale literale Praktiken bezeichnet werden. Die dominie‐ rende Funktion menschlicher Sprachzeichen ist nach Bühler die Darstellungs‐ funktion (vgl. Bühler 1965, S. XXVI). Bei der Darstellung distanter Inhalte ist ein dekontextualisierter Sprachgebrauch erforderlich, der durch die Aufforderung, ein Bilderbuch „vorzulesen“, herausgefordert werden soll. Dass Verständlichkeit auch ein Merkmal literarischer Texte ist, zeigen die Überlegungen von Corbineau-Hoffmann: Texte sind auf Verstehen hin angelegt, auch dann noch, wenn sie diesem Hindernisse in den Weg stellen, was bei ungeübten Sprechern, aber auch bei künstlerischen Texten geschehen kann, die bewusst ‚verdunkelt‘ sind. Das Verstehen von Texten […] kann sich auch auf Momente beziehen, die interpretiert werden müssen. (Corbineau-Hoff‐ mann 2002, S.-9) In diesem Zusammenhang sei auf das für literarische Texte charakteristische Merkmal der Polyvalenz hingewiesen: „Die Viel- oder Mehrdeutigkeit […] ist ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal literarischer Texte gegenüber prag‐ matischen“ (ebd., S. 167). Allerdings ist anzunehmen, dass Bilderbücher, die Vorschulkindern im privaten Kontext vorgelesen werden, sich in der Regel nicht übermäßig durch Mehrdeutigkeit und Offenheit auszeichnen, auch wenn dies natürlich nicht auszuschließen ist. Daher ist bei einer Analyse eines in einer Pretend-Reading-Situation entstandenen Kindertextes hinsichtlich des Merkmals Kohärenz eine potentiell im Bilderbuch enthaltene Deutungsoffen‐ heit zu berücksichtigen. Somit sind für den Textbegriff der vorliegenden Studie die Merkmale Kohärenz, Leserorientierung, Funktion und Monologizität von hoher Relevanz. Da Pretend Reading im Rahmen der vorliegenden Studie als Methode zur Entwicklung früher Textkompetenz in den Blick genommen werden soll, ist eine Definition von Textkompetenz erforderlich, die dem soeben erläuterten Textbe‐ griff entspricht. Dabei sind die Überlegungen von Portmann-Tselikas (2002) und Weidacher (2007) leitend, bei denen die Merkmale Kohärenz, die Bedeutsamkeit, 3.1 Text, Textkompetenz und Textproduktion 55 die Leserperspektive einzunehmen, und Funktionalität von zentraler Bedeutung sind. So versteht Portmann-Tselikas (2002) unter Textkompetenz zunächst die Fähigkeit, mit Texten rezeptiv und produktiv umzugehen. Wer über Textkompetenz verfügt, kann Texte eigenständig lesen, und die damit erworbenen Informationen für sein weiteres Denken, Sprechen oder Schreiben nutzen. Textkom‐ petenz schließt auch die Fähigkeit ein, selber Texte für andere herzustellen und damit seine Intentionen verständlich und adäquat mitzuteilen. (Portmann-Tselikas 2002, S.-14) Für die vorliegende Studie ist an dieser Definition die produktive Seite von Text‐ kompetenz von hoher Relevanz: die Fähigkeit, Texte für andere zu produzieren. Die Textproduktion erfolgt dabei in einer solchen Weise, dass der Leserschaft die Intentionen der Autorin oder des Autors verständlich und in einer adäquaten Form mitgeteilt werden (vgl. ebd.). Weidacher versteht unter Textkompetenz im engeren Sinn, die auch als Textualisierungskompetenz bezeichnet werden könnte, die Fähigkeit, kohärente Sinngebilde zu erzeugen und als Textur auszu‐ formulieren. Nach Weidacher darf es dem Textproduzenten jedoch nicht nur darum gehen, einen kohärenten Text zu kreieren. Vielmehr muss er zudem die Adressatin oder den Adressaten im Blick haben. (Vgl. ebd. S. 44f.) Unter Textkompetenz, die mit Hilfe der Pretend-Reading-Situationen zu fördern ist, soll die Fähigkeit verstanden werden, für einen Leser einen kohärenten und verständlichen Text zu erzeugen. So soll in einer Pretend-Reading-Situation eine eigenständige Textproduktion angeleitet werden, die literal geprägt ist. Es wird angenommen, dass der dabei stattfindende Textproduktionsprozess dem herkömmlichen Schreibprozess sehr ähnlich ist. Zur Modellierung dieses Textproduktionsprozesses wird daher auf Erkenntnisse der Schreibprozessfor‐ schung zurückgegriffen, die sich mit der Frage beschäftigt, welche kognitiven Prozesse vor und während der Textproduktion ablaufen (vgl. Steinig/ Huneke 2007, S. 126). Überarbeitungen können in allen Phasen des Schreibprozesses durchgeführt werden - beim Planen, im Aufschreibprozess, nach der Fertigstel‐ lung eines Entwurfs oder bei der Herstellung der endgültigen Fassung (vgl. Jantzen 2003, S. 114) und sind unmittelbar mit der Textproduktion verwoben (vgl. Merz-Grötsch 2010, S. 57). Offensichtlich ist, dass das Kind bei der Textpro‐ duktion in der Pretend-Reading-Situation im Gegensatz zum herkömmlichen Textproduktionsprozess vom motorischen Aspekt des Schreibens entlastet ist. Jedoch kann davon ausgegangen werden, dass auch der Textproduktionsprozess im Medium der Mündlichkeit durch für das Schreiben charakteristische Über‐ arbeitungsprozesse geprägt ist - wenn auch in einem weniger starken Maß als bei der herkömmlichen Textproduktion, da der entstehende Text - geschuldet 56 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 30 Fix verweist auf Dörner, der in der deutschsprachigen Forschung den Prozess des Problemlösens eingehend beschrieben hat (vgl. Fix 2000, S.-24). durch das Medium der Mündlichkeit - von Flüchtigkeit geprägt ist. So spre‐ chen Koch und Oesterreicher vom „materiell ,flüchtigen‘ phonischen Medium“ (Koch/ Oesterreicher 2011, S. 12). Kapitel I.6.2 widmet sich der Übertragung der Theorie impliziten Wissens von Polanyi (1985) auf den Schreibprozess, bei der eine Orientierung am weit verbreiteten Schreibprozessmodell (Hayes/ Flower 1980) sowie am CDO-Modell (Bereiter/ Scardamalia 1987) stattfindet, das die kognitiven Operationen beim Überarbeiten modelliert (vgl. Fix 2000, S. 27). So ist es naheliegend, sich bei der Modellierung des beim Pretend Reading statt‐ findenden Textproduktionsprozesses an diese Übertragung anzulehnen (vgl. Kapitel I.6.2). Bei dieser Übertragung ist die weit verbreitete Betrachtung des Schreibprozesses als Problemlöseprozess von zentraler Bedeutung. Zur Darstel‐ lung des Schreibprozesses greift die kognitive Schreibforschung auf vorhandene Problemlösemodelle zurück (vgl. Merz-Grötsch 2010, S. 53). Ein Problem lässt sich nach Dörner (1976) 30 durch drei Komponenten kennzeichnen: Es existiert ein unerwünschter Anfangszustand, ein erwünschter Endzustand und eine Barriere, welche die Transformation vom unerwünschten in den erwünschten Zustand verhindert, da das Individuum in diesem Moment nicht über die nötigen Mittel verfügt (vgl. Dörner 1976, S. 10). Bei dialektischen Problemen - hier liegt eine sogenannte dialektische Barriere vor - ist die Klarheit der Zielkriterien gering (vgl. Dörner 1976, S. 13f.). „Der wesentliche Unterschied des dialektischen Problemlösens zu allen anderen Formen des Problemlösens besteht darin, daß die Kriterien für die Beurteilung des angestrebten Endzustandes mit diesem zu‐ sammen entstehen“ (ebd., S. 102). Die einzige bekannte Größe ist der Ausgangs‐ zustand, während Unklarheit über den Zielzustand und über geeignete Mittel zum Erreichen des Zieles herrscht (vgl. Merz-Grötsch 2005, S. 265). Nach Dörner finden beim dialektischen Problemlösen Prüfprozesse und Konstruktionsprozesse statt (vgl. Dörner 1976, S. 97) - eine für die unter I.6.2 dargestellte Übertragung zentrale Aussage. Eine Schreibaufgabe wird wie ein Problem bewältigt, das zu lösen ist. Dabei ist das zu erreichende Ziel der zu schreibende Text. (Vgl. Merz-Grötsch 2005, S. 87) Hayes und Flower bezeichnen einen zu schreibenden Text als ein ungeklärtes Problem mit offener Lösung („ill-defined problem“) (vgl. Fix 2008, S. 36) - ein Problem, für das es keine eindeutige Lösung gibt (vgl. Fix 2000, S. 24). „Die Schreibaufgabe stellt das Problem dar, dessen Lösung die erfolgreiche Durchführung verschiedener Prozesse erfordert“ (Molitor-Lübbert 1996, S. 1006). Diese Prozesse sind Planen, Formulieren und Überarbeiten. (Vgl. ebd.) Schreiben wird als dialektischer Problemlösetyp aufgefasst, da zu Schreib‐ 3.1 Text, Textkompetenz und Textproduktion 57 beginn oft noch kein präzises Schreibziel feststeht und sich dieses erst während des Schreibens entwickelt (vgl. Ossner 2006, S. 108). Vom Endzustand, dem Text, hat der Schreiber vor dem Schreiben nur eine ungefähre Vorstellung im Kopf, die erst während des Schreibprozesses an Deutlichkeit gewinnt (vgl. Fix 2000, S. 24). Im Vergleich zum herkömmlichen Schreibprozess ist zu vermuten, dass das Kind in einer Pretend-Reading-Situation eine etwas genauere Vorstellung vom zu produzierenden Text hat, da es den Bilderbuchtext zuvor bereits mehrmals vorgelesen bekommen hat. Während es bei der Darstellung des herkömmlichen Schreibprozesses darum geht, aufzuzeigen, wie etwas vom Kopf auf das Papier kommt, rückt beim Pretend Reading stärker die Frage ins Zentrum, wie (und insbesondere mit welchen sprachlichen Mitteln) bereits Vorhandenes (eine bekannte Narration) von den Kindern zum Ausdruck gebracht wird. Dabei ist jedoch hervorzuheben, dass das Kind dennoch zu einer eigenen Textproduktion angeleitet wird, die ihm in der Rolle des „Vorlesers“ auch den Freiraum gibt, eine vom Bilderbuchtext stark abweichende Geschichte „vorzulesen“ bzw. zu erfinden. Nach dem CDO-Modell (compare-diagnose-operate) von Bereiter und Scar‐ damalia (1987) besteht die Überarbeitung eines bereits geschriebenen Textes aus einem rezeptiven (vergleichenden, diagnostizierenden) und einem produktiven (operierenden) Anteil. Bei konzeptuellen Revisionen wird die semantische Tiefenstruktur des bereits geschriebenen Textes nachkonstruiert und in eine mentale Repräsentation umgesetzt. Diese wird anschließend „mit der mentalen Repräsentation des vorher intendierten Textes verglichen und evaluiert“ (ebd.). (Vgl. Fix 2000, S. 27) Bereiter und Scardamalia beschreiben die beiden mentalen Repräsentationen wie folgt: „[…] a representation of the text written so far, and a representation of the text intended, which includes the whole text, not just parts already written“ (Bereiter/ Scardamalia 1987, S. 266). Wird dabei eine Unstim‐ migkeit zwischen den beiden Repräsentationen gefunden, setzt der CDO-Prozess ein. (Vgl. ebd.) Wird in der „Vergleichs-Phase“ („compare“) eine Nichtüberein‐ stimmung („mismatch“) gefunden, wird in der „Diagnose-Phase“ („diagnose“) nach einem möglichen Grund für die Nichtübereinstimmung gesucht. Dies kann dazu führen, dass der Schreiber seine Schreibabsichten ändert: „One possible outcome of diagnosis is a decision to alter intentions rather than to alter the text“ (Bereiter/ Scardamalia 1987, S. 267). Die zweite Möglichkeit ist, dass der Schreiber seinen Text ändert, um die Diskrepanz zwischen dem realisierten Text und seiner Intention zu beseitigen. In der „Durchführungs-Phase“ („operate“) wird dann die Art der Textänderung ausgewählt („choose tactic“) und die gewählte Taktik umgesetzt („generate change“). Dies führt zu einer veränderten Textrepräsentation (des bereits geschriebenen Textes). Im Anschluss folgt eine 58 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 31 Bei der Übersetzung aus dem Englischen fand eine Orientierung an Keßler 2010, S. 13 statt. neue „Vergleichs-Phase“. 31 Der CDO-Prozess wird solange wiederholt, bis die Diskrepanz beseitigt ist oder bis eine Handlung während des Ablaufs misslingt („fail“). (Vgl. Bereiter/ Scardamalia 1987, S.-266f.) Um Revisionshandlungen durchführen zu können, muss der Schreiber gemäß dem CDO-Modell einen Vergleich von bereits realisiertem und intendiertem Text durchführen können. Folglich ist es erforderlich, dass er eine ungefähre Vorstellung von dem Text hat, den er zu verfassen beabsichtigt. Der Schreiber benötigt demnach eine Vorstellung von dem Schreibziel, das er verfolgt. Dies deckt sich mit Aussagen von Martin Fix. Nach Fix setzt eine Revision „eine Aufgabendefinition bzw. Zielbewusstheit [Hervorh. d. Verf.] voraus“ (Fix 2008, S. 165). Der Autor muss ein Schreibziel bestimmen, das während der Überarbei‐ tungsprozesse die Rolle des Monitors übernimmt, damit die Überarbeitungen eine klare Linie haben. (Vgl. ebd.) Eine weitere Voraussetzung zur Durchführung von Revisionshandlungen ist nach Martin Fix eine „gewisse Distanz [Hervorh. d. Verf.] zum eigenen Text“ (Fix 2000, S. 28). Dazu gehört beispielsweise, dass ein Schreiber sein privilegiertes Wissen unterdrückt, über das der Leser nicht verfügt. (Vgl. ebd., S. 27) Im Überarbeitungsprozess „tritt der Schreiber als sein erster Leser auf “ (Weinhold 2000, S. 39). An dieser Stelle leuchtet erneut die für die produktive Seite der Textkompetenz bedeutsame Fähigkeit auf, die Leserperspektive einnehmen zu können. Exemplarisch wird im Folgenden auf Befunde und Überlegungen zur Entwick‐ lung von Textkompetenz (Baurmann/ Pohl 2009; Habersaat/ Dehn 1998; Dehn 2009) eingegangen, die für die vorliegende Studie von Interesse sind. In der Studie Text - Sorten - Kompetenz. Eine echte Longitudinalstudie zur Entwicklung von Textkompetenz im Grundschalter (2007) von Augst, Disselhoff, Henrich, Pohl und Völzing wurde „die Entwicklung der produktiven, medial wie konzeptionell schriftlichen Text-Sorten-Kompetenz während des Grundschulalters“ (Augst et al. 2007, S. 15) hinsichtlich fünf unterschiedlicher Textsorten untersucht (vgl. ebd.). Dabei wurden vergleichbare Entwicklungsschritte und Entwick‐ lungsphänomene entdeckt, so Baurmann und Pohl. Diese vier von Augst et al. beschriebenen Entwicklungsphasen stellen Baurmann und Pohl (2009) (mit abweichender Bezeichnung) als Ausgangspunkt und Basis für kompetenzför‐ dernden Schreibunterricht vor. (Vgl. Baurmann/ Pohl 2009, S. 81ff.) In der ersten Entwicklungsphase (assoziative Texte) schreiben Schüler unmittelbar das auf, was ihnen durch den Kopf geht. Die Texte dieser Entwicklungsphase zeichnen sich daher oft durch inhaltliche Brüche aus und weisen häufig eine besondere 3.1 Text, Textkompetenz und Textproduktion 59 32 Weitere Ausführungen zum Einfluss der Aufgabenstellung auf die Komplexität von Kindertexten sind in der Einleitung der vorliegenden Studie und in Kapitel I.6 zu finden. emotionale Qualität auf. Eine weitere typische Erscheinung von Texten dieser Entwicklungsstufe ist das Ausscheren aus der angestrebten Textsorte. Texte der zweiten Entwicklungsphase, verkettende Texte, weisen viele Bindewörter wie beispielsweise „und dann“ auf und haben daher auf den versierten Leser eine monotone Wirkung. Beim Erzählen halten sich die Schüler an eine chronologi‐ sche Folge. In der dritten Entwicklungsphase produzieren Schüler gegliederte Texte. In Texten dieser Entwicklungsphase lassen sich Gliederungsbemühungen der Schreiber aufzeigen: Das monotone Moment der vorangehenden Phase wird durch Versuche aufgehoben, „einzelne Textteile in besonderer Weise ein‐ zuleiten und diese explizit sprachlich zu gestalten“ (ebd., S. 82f.). Dies geschieht beispielsweise durch die Verwendung von als und plötzlich. In der vierten Entwicklungsphase werden sogenannte textsortenfunktionale Texte verfasst. Während es Kindern in der vorangegangenen Phase bereits möglich war, zentrale Eigenschaften einer Textsorte zu realisieren, gelingt es Kindern erst in dieser Phase, ihre Texte insgesamt in der Weise zu gestalten, dass diese wirklich die gewünschte Textfunktion erfüllen. Dazu bedarf es einer Planung vom funktionalen Ziel des Textes aus. (Vgl. ebd., S.-81ff.) Mechthild Dehn und Steffi Habersaat weisen darauf hin, dass Textkompe‐ tenz nicht uneingeschränkt entwicklungspsychologisch determiniert sei (vgl. Habersaat/ Dehn 1998, S.-193): Die Textkompetenz junger SchreiberInnen ist nicht ausschließlich entwicklungspsy‐ chologisch determiniert, sondern Aufbau und Inhalt von Schreibanlässen müßte für die Entstehung von Komplexität in Kindertexten sowohl in der Schreibforschung als auch in der Didaktik des Schreibunterrichts größere Aufmerksamkeit geschenkt werden. (Ebd.) So zeigen die Autorinnen eindrücklich, dass die Aufgabenstellung Einfluss auf die Komplexität von Kindertexten im ersten Schuljahr hat und dass Erstkläss‐ lerinnen und Erstklässler bereits in der Lage sein können, komplexe Texte zu verfassen 32 (vgl. ebd.). Dass auch die Aufgabe, ein bekanntes Bilderbuch „vor‐ zulesen“, einen Einfluss auf die Komplexität der entstehenden Texte hat, sodass Vorschulkinder nicht nur assoziative Texte produzieren, kann angenommen werden. Von zentraler Bedeutung für die Überlegungen zur Entwicklung von Text‐ kompetenz ist ebenfalls die Aussage Dehns, dass das Schreiben selbst einen Lernprozess darstellt (vgl. Dehn 2009, S.-154): 60 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 33 Unter einer „Schreibidee“ verstehen Dehn und Schüler das Bild, was die Schreiberin bzw. der Schreiber sich vor und während des Schreibens vom Text macht (vgl. Dehn/ Schüler 2010, S.-25). 34 Dehn bezieht sich dabei auf Texte von Schreibanfängerinnen und Schreibanfängern, die aus der Studie Text als Herausforderung (Weinhold 2000) stammen und im Zusam‐ menhang mit dem „Schreiben zu literarischen und Medienfiguren“ (Dehn 2009, S. 158) entstanden sind (vgl. ebd., S. 154-162). Vgl. dazu auch Kapitel I.3.2 zu Schriftspracher‐ werb, Literacy und Textkompetenz. 35 Weitere Ausführungen zu Lernprozessen beim Textschreiben sind in Kapitel I.6.2 zur Übertragung der Theorie Polanyis auf die Textproduktion dargestellt. Das Schreiben stellt […] selbst einen Lernprozess dar und es integriert dabei zurücklie‐ gende Lernprozesse: Das betrifft das Verfügen über Inhalte, es betrifft die syntaktische Konzeptionierung, und es betrifft das Artikulieren der Beziehung zwischen dem Subjekt des Schreibers und dem Adressaten (Dehn 1996, S. 177; Dehn 1999) [Hervorh. d. Verf.]. (Dehn 2009, S.-154f.) Somit lernt das Kind während des einzelnen Schreibprozesses. Eine Schreib‐ idee 33 zu formulieren bedeutet, sich etwas zu „erschreiben“, so Dehn in Bezug auf Augst et al. (2007) (vgl. Dehn 2009, S. 154). Des Weiteren lässt sich an den Texten der Kinder 34 erkennen, an welchen Problemen sie beim Schreibenlernen gerade arbeiten und was sie sich „erschreiben“, so Dehn (vgl. ebd., S. 162). 35 Diesen Überlegungen folgend wird das Verfassen von Texten nicht als Entwicklung gesehen, sondern als Problemlöseleistung des Kindes begriffen. 3.2 Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz „Mit dem Eintritt in die Schule beherrschen die Kinder weitgehend ihre Mutter‐ sprache, doch der Erwerb der Fähigkeit zu lesen und zu schreiben (Literacy im engeren Sinne) beginnt erst“ (Meibauer 2011, S. 9). Bei dem Begriff Literalität handelt es sich um eine Entlehnung aus dem Englischen (literacy) (vgl. Feilke 2011, S. 3). Feilke unterscheidet zwischen Literalität im engen und im weiten Sinn. Unter Literalität im weiten Sinn wird „die Gesamtheit von Einstellungen und Fähigkeiten, gesellschaftlichen Rollen und Institutionen, die für den Fortbestand einer Schriftkultur gebraucht werden“ (ebd., S. 1) verstanden. (Vgl. ebd.) Literacy bzw. Literalität im weiten Sinn ist für die vorliegende Studie ein zentraler Begriff. „Die Literacy-Konzepte und -kenntnisse, die Kinder in der Vorschulzeit erwerben, werden als Early Literacy oder zuweilen auch als Emergent Literacy verstanden“ (Kümmerling-Meibauer 2012, S. 21). Studien zur detaillierten Be‐ schreibung dieses Erwerbsprozesses fokussieren nach Kümmerling-Meibauer 3.2 Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz 61 36 Barton, David (1993): Eine soziokulturelle Sicht des Sprachgebrauchs. In: Balhorn, Heiko/ Brügelmann, Hans (Hrsg.): Bedeutungen erfinden - im Kopf, mit Schrift und miteinander. Konstanz: Faude, S.-214-219. 37 In diesem Zusammenhang bezieht sich Feilke auf Bandura (1979): Bandura, Albert (1979): Sozial-kognitive Lerntheorie. Stuttgart: Klett-Cotta. insbesondere Vorlesesituationen im Vorschulalter und den Erzählerwerb, wobei Kinderliteratur eine wichtige Rolle spielt (vgl. ebd.). Worin der Zusammenhang zwischen der Förderung von (Early) Literacy und den vorangegangenen Über‐ legungen zu Text, Textkompetenz und dem Textproduktionsprozess besteht und wie sich die vorliegende Studie im aktuellen Diskurs verorten lässt, soll im Folgenden erörtert werden. Dazu sind insbesondere Überlegungen von Feilke (2011) zu literaler Kompetenz und ihrer Förderung leitend. Feilke (2011) thematisiert Literalität und literale Kompetenz unter drei As‐ pekten: unter einem kulturellen Aspekt, einem Handlungsaspekt und einem sprachlichen Aspekt (vgl. ebd., S. 1). Literale Kompetenzen sind nach Feilke soziale, emotionale, kognitive und sprachliche Fähigkeiten, die zur Kommuni‐ kation mit Texten nötig sind (ebd., S. 5). In einer literalen Gesellschaft gibt es „kommunikative Standards, Ansprüche an Texte bzw. Äußerungen und damit wiederum spezifische Erwartungen in der Sozialisation“ (ebd., S. 6). Das Vorhandensein und die Verwendung von Schrift haben jedoch „nicht an sich schon bestimmte Verhaltenskonsequenzen, sprachliche und kognitive Konsequenzen“ (ebd.). Diese Konsequenzen sind von den literalen Praktiken (Barton 1993 36 ) abhängig, unter denen kulturell vermittelte Gebrauchsweisen verstanden werden. „Unter dem Kulturaspekt ist der Erwerb literaler Kompetenz als ‚literale Sozialisation‘ zu bestimmen“ (Feilke 2011, S. 7). Dabei ist das Modell-Lernen der zentrale Lerntyp: Es findet eine Orientierung an Menschen statt, die literale Praxen in der eigenen Umgebung modellhaft vorleben. 37 (Vgl. ebd., S. 5-7) Feilke betont die bedeutsame Rolle des Modell-Lernens sowie des Lernens durch Beobachtung für die Entwicklung literaler Kompetenz und die Bedeutsamkeit des Einbindens von Schreiben und Lesen in umfassendere literale Praktiken (vgl. ebd., S. 1). Feilke spricht in diesem Zusammenhang von „vielfach vernachlässigte[n] Einflussgrößen“ (ebd., S. 1). An diesen Punkt knüpft die vorliegende Studie an, indem sie das Imitieren einer beobachteten literalen Praktik, nämlich das Vorlesen, als Grundlage zur Entwicklung einer Methode zur Sprachförderung wählt. Der zweite Aspekt der literalen Kompetenz, der Handlungsaspekt, bezieht sich nach Feilke im Kern auf Unterschiede zwischen Schreiben und Sprechen sowie zwischen Lesen und Hören (vgl. ebd., S. 8). Ein Begriff literaler Kompetenz hat zu berücksichtigen, dass Schreiben und Lesen „als Handlungen sehr verschieden 62 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter von Sprechen und Hören“ (ebd.) funktionieren, so Feilke. „Es verlangt Fähig‐ keiten, z. B. Planungsfähigkeit und Überarbeitungsfähigkeit, […] die als Schreib‐ prozesskompetenzen unzweifelhaft zum Begriff einer literalen Kompetenz dazu gehören“ (ebd.). Feilke hebt die Bedeutsamkeit des Lesens für die Entwicklung von Schreibkompetenz hervor (vgl. ebd., S. 1). Auch am Handlungsaspekt der literalen Kompetenz dockt die Studie zum Pretend Reading an. Wie unter I.3.1 dargelegt wird die Pretend-Reading-Situation als Textproduktionssituation be‐ trachtet, durch deren Durchführung Schreibprozesskompetenzen wie Planungs- und Überarbeitungsfähigkeit auch im Medium der Mündlichkeit in gewissem Maße herausgefordert und somit im Gebrauch gefördert werden können. Zum dritten Aspekt der literalen Kompetenz, dem sprachlichen Aspekt, hebt Feilke den folgenden entscheidenden Punkt hervor: Literale Kompetenz heißt nicht Beherrschung der Zeichen, mit denen man das Sprechen aufschreiben kann, sondern Beherrschung der Formmerkmale schriftlicher Sprache, die das Verstehen schriftlicher Wörter, Sätze und Texte möglichst kontextfrei ermöglichen. (Ebd., S. 12) Hier bezieht sich Feilke auf den Begriff der konzeptionellen Schriftlichkeit, der einen zentralen Begriff für die jüngere Diskussion zum Thema Literalität darstellt. Als „Zielpunkt des Erwerbs literaler Kompetenz“ (ebd.) bezeichnet er „die Fähigkeit zu entfalteter konzeptioneller Literalität“ (ebd.). Diese schließt weit mehr ein, als Schrift lesen zu können und Buchstaben, Wörter und auch Sätze notieren zu können. Linguistisch gesehen ist der Kern konzeptioneller Literalität „die Orientierung an und die Konstruktion von sprachlichen Expli‐ zitformen auf praktisch jeder Ebene der Sprache, vom Laut über das Wort und den Satz bis zum Text“ (ebd., S. 12). Durch den Gebrauch sprachlicher Explizitformen wird ein kontextunabhängiges Sprachverstehen ermöglicht. Als Hauptkennzeichen konzeptioneller Schriftlichkeit bezeichnet Feilke „die maxi‐ male formale (sprachstrukturelle) Absicherung des Verstehens bzw. maximale Kontextunabhängigkeit für alle sprachlichen Formebenen [Hervorh. im Original] (Wort, Satz und Text)“ (ebd.). (Vgl. ebd., S.-12) Feilke stellt eine Kontrasthypothese einer Kontinuitätshypothese gegenüber. Die Kontrasthypothese besagt, dass die „Aufmerksamkeit für Elemente konzep‐ tioneller Schriftlichkeit […] umso größer [ist], je größer der wahrgenommene Kontrast zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit ist“ (ebd., S. 14). Es ist schwieriger, die besonderen Eigenschaften der Schriftsprache zu erwerben, je kontinuierlicher Beziehungen zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit in der Lernumgebung sind. Aus diesem Grund fordert eine Didaktik der Literalität „einen schriftspracherwerbsorientierten Unterricht, der die Schrift- und Texter‐ 3.2 Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz 63 38 Dieses Beispiel stammt aus: Dehn, Mechthild (1991): Bilderbuch, Zeitung und Autoatlas. Zur Entwicklung eines Begriffs von Lesen. In: Die Grundschulzeitschrift 5, H. 41, S.-3. fahrung zum primären Bezugspunkt macht und von Beginn an die Beherrschung konzeptioneller Schriftlichkeit anstrebt“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Was bei einer Didaktik der Literalität für den Unterricht gilt, wird in der vorliegenden Studie bereits für das Vorschulalter formuliert: Es gilt, konzeptionelle Schriftlichkeit von Anfang an zu fördern, indem sowohl rezeptive als auch produktive Texterfahrung ermöglicht wird. Frühes Lesen und Schreiben als frühe Formen des Lesens und Schreibens ver‐ stehen Dehn und Sjölin als Annäherung an die Schriftlichkeit (vgl. Dehn/ Sjölin 1996, S. 1141). Diese Schriftlichkeit beginnt lange bevor Kinder zur Schule gehen und bereitet sich vor. Diese frühen Formen des Lesens und Schreibens betrachten Dehn und Sjölin „als elementaren Ausdruck konstitutiver Aspekte des Lesens und Schreibens, die sich zunehmend entfalten und entfaltet werden können“ (ebd.). Im Zusammenhang mit frühem Lesen und Schreiben stellen sie das folgende Beispiel 38 vor: Ein einjähriges Mädchen, das gerade erst einige Wörter zu sprechen vermag, schaut sich gerne mit einem Elternteil ein Bilderbuch an. „Wenn sie nun ein Buch zum Lesen sich vornimmt oder wenn sie einem, der mit ihr das Buch betrachten soll, eines bringt, dann verändert sich ihre Stimmmelodie - der Singsang wird einförmiger, mehr auf einen ‚Erzählton‘ geführt“ (Dehn/ Sjölin 1996, S.-1143). (Vgl. ebd.) Dieses von Dehn beschriebene, schon sehr früh beobachtbare natürliche Verhalten von vielen Kindern wird bei der Methode Pretend Reading aufgegriffen, um den Gebrauch konzeptioneller Schriftlichkeit herauszufordern. Die Entwicklung von konzeptioneller Schriftlichkeit findet bereits im frühen Kindesalter statt (vgl. Pätzold 2005). Dabei entstehen Grundkompetenzen in einer Phase, die Pätzold als Protoliteralität bezeichnet. Protoliteralität beschreibt Pätzold mit Hilfe von fünf Thesen, die sowohl auf operationale als auch auf sprachstrukturelle Phänomene bezogen sind. Einschränkend weist sie darauf hin, dass mit diesen nicht alles erfasst wird, was unter protoliteraler Textkompetenz zu verstehen ist. (Vgl. ebd., S. 88) Erstens liegt nach Pätzold protoliterale Text‐ kompetenz vor, wenn ein Kind dazu in der Lage ist, auf sprachliche Strukturen zuzugreifen, die vom unmittelbar situativen Sprechen losgelöst sind, und wenn es versucht, den Verstehenskontext mit Hilfe von sprachlichen Formen mitzu‐ liefern. Zweitens kann protoliterale Textkompetenz als operatives Vermögen bezeichnet werden, „schriftsprachlich geprägte Strukturen aus vorgängiger Rezeption auszugliedern und in eigenen Texten zu rekonstruieren“ (ebd., S. 88). Drittens gibt die Verwendung „textuell formelhafter Ausdrücke“ (ebd.) Auf‐ 64 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter schluss darüber, dass ein Kind intuitiv textsprachliche Sphären unterscheiden kann. Viertens wird protoliterale Textkompetenz auch dadurch sichtbar, dass ein Kind versucht, „sich Möglichkeiten von Anschlusshandlungen verfügbar zu machen“ (ebd.), indem es bestimmte sprachliche Mittel auswählt. Fünftens werden „Operationen des Aufmerksamkeitswechsels“ (ebd.) von den mikrozu den makrostrukturellen Ebenen des Textes erkennbar. (Vgl. ebd.) Insbesondere an die von Pätzold aufgeführte Fähigkeit, schriftsprachliche Strukturen aus anderen Texten zu übernehmen und für die eigene Textproduktion nutzen zu können, knüpft auch die vorliegende Studie zum Pretend Reading an. Allerdings werden in der vorliegenden Studie nicht nur sprachliche Strukturen, sondern auch narrative Strukturen in den Blick genommen. Zu den bislang nicht sehr zahlreichen Studien, die Textkompetenz und konzep‐ tionelle Schriftlichkeit bereits im Vorschulalter fokussieren, gehören zudem die Studien von Isler (2014) und Sauerborn (2015), die im Folgenden skizziert werden. Zudem wird der Blick auf Studien zur Textkompetenz am Schulanfang (Weinhold 2000, Dehn/ Hüttis-Graff 2018) gelegt. Studien zur Textproduktion im Medium der Mündlichkeit werden wegen ihrer starken Nähe zur vorliegenden Studie gesondert unter Kapitel I.3.4 betrachtet. In seiner Studie Vorschulischer Erwerb von Literalität in Familien. Erkundungen im Mikrokosmos sprachlicher Praktiken und Fähigkeiten von 5- und 6-jährigen Kindern (2014) untersucht Dieter Isler literale Fähigkeiten von Kindern sowie ihre familiären Erwerbsbedingungen. Der Fokus wird dabei auf die Ebene der literalen Praktiken gelegt. Unter Praktiken werden „sich wiederholende (rekurrente) musterhafte Sprachhandlungen“ (ebd., S. 15) verstanden. Eine Fähigkeit oder Praktik kann nach Isler als literal bezeichnet werden, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt ist: Erstens dienen die Fähig‐ keiten oder Praktiken dazu, komplexe, situationstranszendierende Bedeutung zu ko-konstruieren, z. B. beim fiktionalen Erzählen - und zwar als (medial) mündliche Sprachhandlung. Anforderungen der schriftsprachlichen Standard‐ varietät werden dabei erfüllt. Zu diesen Anforderungen gehören Kontextreduk‐ tion, Monologizität, Explizitheit und Korrektheit. Zweitens können sie „als (medial) schriftliche Sprachhandlungen der Kodierung oder Dekodierung von Bedeutung mittels konventioneller Zeichensysteme (Symbole und Schrift)“ (ebd.) fungieren. Und drittens können sie der Objektivierung von Sprache dienen und helfen, einen theoretisch-reflexiven Zugang zu Sprache und Welt aufzubauen. (Vgl. ebd.) Isler geht der Frage nach, über welche literalen Fähigkeiten die Kinder ver‐ fügen und untersucht, inwiefern diese Fähigkeiten in Bezug zu den familiären Bedingungen der Kinder und im Besonderen zu ihren literalen Praktiken stehen 3.2 Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz 65 (vgl. ebd., S. 15). Die Datenerhebung erfolgte über das Projekt Lernwelten - literacies. Dabei fanden u. a. teilnehmende Beobachtungen in vier Familien statt (vgl. ebd., S. 70). Einen wesentlichen konzeptionellen Beitrag seiner Studie zum Forschungsdiskurs sieht Isler in der Entwicklung eines Literalitätsmodells, das sowohl theoretisch als auch empirisch verankert ist. Dieses Modell (vgl. Tabelle 1) besteht aus den folgenden fünf Dimensionen: realitätsbezogene (1), fiktionale (2) und „schulnahe“ Sprachhandlungen (3), medial schriftlicher Sprachgebrauch (4) und Objektivierung von Sprache (5). Isler versteht in seiner Studie Literalität „1. als Realität darstellender Sprachgebrauch, 2. als Fiktion darstellender Sprach‐ gebrauch, 3. als instruierender/ erklärender/ argumentierender Sprachgebrauch, 4. als medial schriftlicher Sprachgebrauch sowie 5. als Objektivierung von Sprache“ (ebd., S.-14). Literalität Sprache als (Lern-)Medium gebrauchen Sprache als Gegenstand objektivieren konzeptionell schriftlich medial schriftlich darstellend weitere „schulnahe“ realitätsbe‐ zogen fiktional Tabelle 1: Literalitätsmodell nach Isler (2014), S.-356 Isler nutzte das dargestellte Modell, um literale Praktiken und Fähigkeiten zu klassifizieren (vgl. ebd., S. 356). Das Hauptergebnis seiner Studie sieht Isler im erstmaligen Vorliegen einer detaillierten Beschreibung familiärer Erwerbskon‐ texte für fünfbis sechsjährige Kinder in der Deutschschweiz. Zudem konnte anhand von vier Fällen belegt werden, „dass sich die Literalitätsprofile von fami‐ liären Erwerbskontexten und kindlichen Fähigkeiten weitgehend entsprechen“ (ebd., S. 360). Des Weiteren ergaben sich aus den Untersuchungen Hinweise auf familiäre Bedingungen, die unterstützend auf den Erwerb von Literalität wirken können. Zu nennen sind hier die Verfügbarkeit von Vätern, Geschwis‐ terkonstellationen, Medienorientierung, „produktive Formen des Sprach- und Mediengebrauchs“ (ebd., S. 360) und „Sprache objektivierende Praktiken und deren Einbindung in den Familienalltag“ (ebd.). (Vgl. ebd., S.-359f.) Der Textproduktion im Medium der Schriftlichkeit am Schulanfang widmet sich Swantje Weinhold. Ziel ihrer Studie Textkompetenz am Schulanfang (2000) ist es, eine Perspektive auf Kindertexte zu entfalten, „die an ihnen als Produkten die Momente ihres Prozesses, die Herausforderung der Textherstellung als 66 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter Zusammenspiel verschiedener (kommunikativer, personaler und textueller) Ansprüche widerspiegeln will“ (Weinhold 2000, S. 14). Es sollte empirisch nachvollzogen werden, was Kinder der ersten Klasse tun, wenn sie eine Schreib‐ aufgabe bekommen und Texte produzieren (vgl. ebd., S.-191). Die Datenerhebung erfolgte in zwei Durchgängen (91/ 92, 93/ 94) und steht „im Kontext des BLK-Modellversuchs Elementare Schriftkultur als Prävention von Lese-Rechtschreibschwierigkeiten und Analphabetismus bei Grundschülern (1991-1992)“ (Weinhold 2000, S.-99). Jeweils acht verschiedene Figuren aus der Medienwelt und der Kinderliteratur wurden den Kindern in Form von Bildern präsentiert (u. a. Arielle und Willi Wiberg) (vgl. ebd., S. 102). Die Schreibaufgabe dazu lautete: „Ich möchte euch bitten, Geschichten zu schreiben. Es gibt acht verschiedene Möglichkeiten, etwas zu schreiben, ihr könnt euch eine aussuchen. Überlegt schon mal, über wen ihr etwas schreiben wollt.“ (Ebd.) Weinhold stellt verschiedene Textanalysen der Kindertexte vor (vgl. ebd., S. 18). Dabei lässt sich eine Reihe von Kindertexten als „Text als ‚Kleine Ge‐ schichte‘“ (ebd., S. 151) bezeichnen (vgl. ebd., S. 151-160). Diese Texte zeichnen sich dadurch aus, „dass die strukturellen Muster des Erzählens durchweg eine gewisse Stütze für den Textaufbau im Medium der Schriftsprachlichkeit sind“ (ebd., S. 155). Weinhold zeigt dies an Kindertexten mit typischen Erzählanfängen: Diese sind gekennzeichnet durch „Handlungszeit, -ort und -träger i. S. einer einleitenden Orientierung mit Beginn des ‚settings‘ und/ oder Überschrift“ (ebd., S. 155). Bei anderen „kleinen Geschichten“ konnte Weinhold beobachten, dass von den jungen Schreiberinnen und Schreibern in ihren Texten genau der Erzählanfang aufgegriffen wurde, der ihnen aus der Bilderbuchvorlage bekannt war. Es ist der refrainmäßig wiederkehrende Einstieg der Geschichten von Willi Wiberg, mit dessen Hilfe die Schreibanfänger in den Text gelangen und in der Folge dann eine erinnerte Episode im Sinne des erzählenden Berichtens wiedergeben können. (Ebd., S. 156) Zudem stellt Weinhold bei etlichen Texten fest, dass die Kinder das Textende markieren. Dabei kommen einige Kinder zum Ende, ohne dass sie die Kom‐ plikation und die Lösung ausgeführt haben. Sie „lassen sich so streng von dem Erzählschema leiten, dass sie ihren Text nicht ohne eine Abschlussformel verlassen mögen“ (ebd.). Weinhold spricht hier von einem Textschließungsbe‐ dürfnis, das sich im musterhaften Gebrauch von Erzählabschlüssen zeigt. In weiteren Texten konnte Weinhold eine zeitliche Markierung identifizieren, die auf das Bedürfnis der Kinder hindeutet, „die geschilderte Begebenheit als eine von vielen anderen“ (ebd., S. 157) im Leben der gewählten literarischen 3.2 Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz 67 oder Medienfigur hervorzuheben. Zu nennen sind hier beispielsweise Eines Tages oder heute. Teilweise fungieren auch Überschriften in den Texten der Kinder als einführende Erzählrahmen. In einigen Texten lassen sich zeitliche Markierungen identifizieren, mit denen makrostrukturell auf die Ereignis-Folge verwiesen wird wie wieder, wie immer und schon wieder. Weinhold konnte zudem feststellen, dass einige Kinder eine Überschrift bzw. „eine Notierung für die zeitliche Hervorhebung des aktuellen Ereignisses“ (ebd., S. 159) fanden, aber „trotz des zügigen und ‚gewussten‘ Einstiegs“ (ebd.) im Textaufbau nicht weiterkamen. (Vgl. ebd., S. 155ff.) An dieser Stelle leuchtet die Funktion von Mustern für die Textproduktion, die in der vorliegenden Studie eine zentrale Rolle spielt, auf (vgl. Kapitel I.5). Das Nutzen der Schrift bereits zu dem Zeitpunkt, wenn Kinder sich erst im Stadium des Schrift-Erwerbs befinden, begründet Weinhold (2002) u. a. damit, dass Kinder auf diese Weise die Funktion von Schriftlichkeit erfahren können (vgl. 2002, S.-147): Die Ingebrauchnahme von Schrift ist das beste Mittel, SchreibanfängerInnen Spaß am Schreiben-Lernen zu vermitteln und für sie das ‚Weiß-Wozu‘ von Schriftlichkeit erfahrbar zu machen, so dass sie dann bereit sind, sich auf den mühsamen Weg des Schriftspracherwerbs zu begeben. (Ebd.) Durch die Schreibaufgabe werden die Kinder mit einer neuen Kommunikations‐ situation konfrontiert. Unterstützt durch die Schreibaufgabe finden sie Mittel und Wege, um ihre Botschaft zu transportieren: „Sie knüpfen an Muster des Sprechens und Erzählens an und experimentieren auf dieser Grundlage mit medialer und konzeptioneller Schriftlichkeit“ (ebd., S.-159). (Vgl. ebd.) Auf die vorgestellte Studie Weinholds nehmen Mechthild Dehn und Petra Hüttis-Graff (2018) in ihrer Untersuchung Bezug. So vergleichen sie die beiden Textkorpora, die zum Schreiben zu literarischen Figuren und Medienfiguren 1992/ 1994 und 2014 entstanden sind. Dabei ordnen sie das zweite Korpus den Kategorien Weinholds (2000) zu und erweitern ihre Perspektive der Schreibpro‐ zessforschung um den Begriff der elementaren Schriftkultur. (Vgl. dazu Dehn/ Hüttis-Graff 2018) Elementare Schriftkultur meint im umfassenden Sinn den Gebrauch von Schrift: Dazu gehört die Aufmerksamkeit auf Geschriebenes, auf Zeichenhaftes überhaupt, die Aufmerksamkeit auf den Vorgang des Notierens und der Informationsentnahme bei anderen und die Aufmerksamkeit auf die Wirkung dieser Tätigkeiten; dazu gehört das Zuhören beim Vorlesen, die Kenntnis literarischer Inhalte und die Adaption von Erzählstrukturen (auch von Film, Computerspiel und Tonträger); dazu gehört die Erfahrung einer Beziehung zwischen erlebter und dargestellter Welt; die Erfahrung, selbst etwas zu Papier gebracht zu haben, das persönlich wichtig ist und das andere 68 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter lesen können, und die, im Lesen Neues zu erfahren oder Vertrautes bestätigt zu finden; und nicht zuletzt die Bestätigung in der Gruppe der Gleichaltrigen und bei den Erwachsenen. Der Begriff akzentuiert im Unterschied zu den entfalteten Formen den Beginn von Schriftlichkeit, das Phänomen der Andeutung, der Spur, die es wahrzunehmen und zu entwickeln gilt. (Dehn/ Hüttis-Graff 2018, S.-50f.) Das Beherrschen der Kulturtechnik wird nicht als Voraussetzung gesehen, an Schriftkultur teilhaben zu können (vgl. ebd., S. 51). Nach Dehn und Hüttis-Graff bietet die gewählte Aufgabenstellung den Kindern die Möglichkeit, (im Spiel) in die Geschichte einzutauchen „und dabei sprachliche Elemente in die eigene Formulierung zu übernehmen, sie sich - im Gebrauch - ein Stück weit mehr anzueignen“ (ebd., S. 74). Somit können sich die Kinder sprachliche Strukturen, die ihnen in Texten und anderen Kontexten begegnet sind, dadurch in gewissem Umfang aneignen, dass sie sie in ihre eigenen Formulierungen einbinden (vgl. ebd.). „Die Texte zeigen, dass die Kinder am Ende von Klasse 1 vielfältige Zugänge zu Schrift-Sprachlichkeit gefunden haben und wie sie sich, indem sie schreiben, diese Zugänge ein Stück weit mehr aneignen - implizit“ (ebd., S. 74). (Vgl. ebd.) An dieser Stelle lässt sich eine Verbindung zur epistemischen Komponente des Schreibens von Grundschulkindern ziehen (vgl. Pohl/ Steinhoff 2010). Wie deutlich wurde klingt die Bedeutsamkeit des Gebrauchs (schriftsprachlicher) sprachlicher Strukturen aus anderen Texten für die eigene Textproduktion sowohl in den Überlegungen von Pätzold (2005) als auch in den Studien von Weinhold (2000) und Dehn/ Hüttis-Graff (2018) an. Die in den vorgestellten Studien geschilderte Beobachtung, den Gebrauch von Elementen bzw. von Mustern aus anderen Texten für die eigene Textproduktion zu nutzen, wird in verschiedenen didaktischen Konzeptionen (vgl. Kapitel I.7) fruchtbar gemacht. Auch die Methode Pretend Reading knüpft an Beobach‐ tungen zum Mustergebrauch aus anderen Texten für die eigene Textproduktion an und präsentiert Kindern eine monologische Textproduktion mit (hohen) schriftsprachlichen Anteilen in Form von Bilderbüchern. Durch den Vergleich zum 20 Jahre später entstandenen Korpus von Kinder‐ texten werden die Befunde von Weinhold (2000) bestätigt. Zudem geben die Texte der Kinder Aufschluss über Medien- und Literaturrezeption der Kinder am Schulanfang. Diese zeigen sich „in vielen Formulierungen, die über das gesprochene Wort hinaus gehen“ (Dehn/ Hüttis-Graff 2018, S. 74) und in Beson‐ derheiten der Textformen wie der „Ansprache eines fiktiven Lesers“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Die Autorinnen schließen: Wenn man Schriftkultur und Kulturtechnik [Hervorh. im Original] betrachtet, be‐ deutet das, dass es durchaus nicht nur um Vermittlung orthographischer und grapho‐ 3.2 Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz 69 motorischer Kenntnisse gehen kann, sondern dass der Umgang mit Buch und Medien im Sinne gelebter Leseaffinität erfahrbar werden muss. (Ebd., S.-75) Ähnlich wie eine Didaktik der Literalität einen schriftspracherwerbsorientierten Unterricht, der Schrift- und Texterfahrungen fokussiert und den Erwerb von konzeptioneller Schriftlichkeit „von Anfang an“ anstrebt (vgl. Feilke 2011, S. 14), werden Forderungen danach, den Schriftspracherwerb um die Perspektive der Textkompetenz und der damit verbundenen Perspektive auf konzeptionelle Schriftlichkeit zu erweitern, von Hüttis-Graff und Dehn (vgl. Hüttis-Graff/ Dehn 2018) und - wie die folgenden Ausführungen zeigen werden - von Sauerborn (vgl. Sauerborn 2015) gestellt. An diesen Forderungen setzt die vorliegende Studie an, die den Gebrauch von bereits vorhandenem Textwissen, das als implizites Wissen vorliegt, bei Kindern im Vorschulalter durch die Methode Pretend Reading herausfordern möchte. Ein Anliegen von Hanna Sauerborns Studie Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb bestand darin, den Blick auf den Schriftspracherwerb zu weiten: Lesen und Schreiben meint mehr als das Beherrschen von technischen Fertigkeiten. Vielmehr muss es Ziel sein, dass Kinder Lesen und Schreiben in der Weise lernen, dass sie - in unterschiedlichen Ausprägungen - aktiv an der Schriftkultur teilhaben können. (Ebd., S.-182) Die in der Einleitung der vorliegenden Studie bereits erwähnte kritische Sicht Sauerborns auf die „einseitige Fokussierung auf die phonologische Bewusstheit“ (ebd., S. 4) als Voraussetzung für den Schriftspracherwerb resultiert in der Formulierung verschiedener Fragen, die Sauerborn im Rahmen ihrer Studie bearbeitet. So geht Sauerborn erstens der Frage nach, ob das Konstrukt der pho‐ nologischen Bewusstheit einer kritischen Überprüfung standhält und die Bedeu‐ tung, die ihm für den Schriftspracherwerb zugesprochen wird, neu eingeschätzt werden muss. Zudem untersucht sie, ob das Konstrukt der Early Literacy „eine alternative Betrachtungsweise auf den vorschulischen Schriftspracherwerb“ (ebd., S.-177) bietet. (Vgl. ebd.) Dabei versteht Sauerborn Literacy in einem doppelten Sinn (vgl. ebd., S. 115): Zum einen „als Set verschiedener Fähigkeiten (Lit 1 )“ (ebd., S. 129) und zum anderen „als Begriff im Zusammenhang mit der Teilhabe an der Schriftkultur (Lit 2 )“ (ebd.). So wird Literacy erstens „als ein Kompetenzgrad im Umgang mit Schriftlichkeit“ (ebd., S. 115) verstanden. Dieser zeigt sich in der Performanz unterschiedlicher Teilfertigkeiten (Lit 1 ). Zweitens wird Literacy als „Grad an Vertrautheit mit der Schriftkultur (Lit 2 )“ (ebd.) verstanden. Ein Indikator für Vertrautheit mit Schriftlichkeit ist nach Sauerborn „das Vorhandensein einer konzeptionell schriftlichen Sprache“ (ebd.). (Vgl. ebd.) 70 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 39 Sauerborn nimmt in diesem Zusammenhang Bezug auf Snow, Catherine E.: (1991): The Theoretical Basis For Relationships Between Language and Literacy in Development. In: Journal of Research in Childhood Education, H. 6 (1), S. 5-10. und Strickland, Dorothy S. / Riley-Ayres, Shannon (2007): Literacy leadership in early childhood. The essential guide. New York, Washington, DC: Teachers College Press; National Association for the Education of Young Children. 40 Zur genauen Darstellung der Methode vgl. Kapitel I.3.4. Lit 1 wurde mit Hilfe der Oberbegriffe alphabetic code, decontextualisation und print  39 sowie mittels entsprechender Indikatoren und Aufgaben operatio‐ nalisiert. (Vgl. ebd., S. 115) Lit 1 setzt sich dabei aus acht Untertests zusammen (vgl. ebd., S. 142). Die Aufgaben bezogen sich beispielsweise auf den Wortlän‐ genvergleich, Lesen, Schreiben und Buchstabenkenntnis (vgl. ebd., S. 116). Zur Erhebung von Lit 2 nutzte Sauerborn das sogenannte Kinderdiktat  40 (vgl. ebd., S. 129). Zudem wurde phonologische Bewusstheit erhoben und Lese- und Schreibleistungen der Kinder am Ende der ersten Klasse erfasst (vgl. ebd., S. 140ff.). Befragungen und Kinderdiktate fanden zweimal im letzten Kindergartenjahr und einmal am Ende der ersten Klasse statt (vgl. ebd., S. 110). Sauerborn stellt im Rahmen ihrer Studie zwei Hypothesen auf, die beide verifiziert werden konnten. So konnte erstens ein positiver Zusammenhang zwischen der phonologischen Bewusstheit und Early-Literacy-Fertigkeiten der Skala Lit1 festgestellt werden. Dieser bezieht sich auf den Zeitpunkt kurz vor der Einschulung. Nach Sauerborn bekräftigt dies „die Theoretisierung des Konstrukts Early Literacy, es handle sich hierbei um verschiedene Aspekte, die eng miteinander verwoben sind und somit nicht isoliert betrachtet werden sollten“ (ebd., S. 180). Zweitens konnte die Hypothese bestätigt werden, dass auch ein positiver „Zusammenhang zwischen Early-Literacy-Fertigkeiten der Skala Lit 1 im letzten Kindergartenjahr und den Lese- und Schreibleistungen am Ende der der 1. Klasse“ (ebd.) besteht. (Vgl. ebd.) Sauerborn spricht sich gegen eine „Überbewertung der Prognosekraft des Faktors phonologische Bewusstheit“ (ebd., S. 181) aus. Sie zeigt in ihrer Studie in Ansätzen, „dass der Schriftspracherwerb deutlich mehr Prozesse als die Transformation gesprochener Lautketten in Schrift und umgekehrt beinhaltet“ (ebd.). So müssen nach Sauerborn „Aspekte der Enkulturation und des Erwerbs konzeptioneller Schriftlichkeit bzw. eines literaten Registers ebenso in die Early Literacy-Bildung einfließen, wie die Anbahnung hierarchie-hoher Prozesse“ (ebd.). Sauerborn plädiert daher für die Entwicklung eines Modells zum Schrift‐ spracherwerb, das diesen Erwerbsprozess hinreichend abbildet. (Vgl. ebd.) Interessant zur Verortung des Ziels der vorliegenden Studie erscheinen auch die Überlegungen von Kümmerling-Meibauer (2012), Meibauer (2011) 3.2 Schriftspracherwerb, Literacy und Textkompetenz 71 41 Zu einer ausdifferenzierten Darstellung verschiedener Konzepte von Literacy aus dem englischsprachigen Raum vgl. Sauerborn 2015, S.-70ff. und Gressnich (2014). Im Zusammenhang mit den Literacy Studies schreibt Kümmerling-Meibauer (2012) zum Begriff Literacy: 41 Mit dem Begriff ‚Literacy‘ werden nicht nur die Fähigkeiten des Lesens und Schreibens bezeichnet (sogenannte Functional Literacy), sondern weitere grundlegende Kompe‐ tenzen wie Textverständnis, Vertrautheit mit Literatur und anderen Medien sowie Erfahrungen mit der Lese-, Bild- und Erzählkultur. Man unterscheidet dabei drei spezifische Formen: a) Literary Literacy, d. i. die Fähigkeit, Literatur zu verstehen und auch selbst zu produzieren; in der deutschen Forschung als ‚Literaturerwerb‘ bezeichnet, b) Visual Literacy als die Fähigkeit, Symbole und Zeichen in Bildern zu verstehen (Bilderwerb), und c) Media Literacy als die Kompetenz, mit verschiedenen Medien (Printmedien, AV-Medien, interaktive Medien) umgehen zu können. (Küm‐ merling-Meibauer 2012, S.-20) Gressnich (2014) weist darauf hin, dass Meibauer (2011) ein leicht abweichendes Modell entwirft, das den Erwerb von Medienkompetenz ausklammert und den Spracherwerb (Linguistic Literacy) einschließt (vgl. Gressnich 2014, S. 149). Meibauer (2011) schreibt: Unterscheidet man zwischen den drei Domänen ‚linguistic literacy‘ (Sprachverstehen und -produktion), ‚visual literacy‘ (Bildverstehen und -produktion) und ‚literary literacy‘ (Literaturverstehen und -produktion), so kann man davon ausgehen, dass in all diesen Domänen Entwicklungsprozesse ablaufen, die sich zum Teil gegenseitig unterstützen und befruchten. (Meibauer 2011, S.-17) Nach Gressnich „spricht nichts dagegen, davon auszugehen, dass sich Cultural Literacy in alle vier genannten Teilbereiche gliedert“ (Gressnich 2014, S. 149). Sie begreift den Bereich Literary Literacy „als eine weit gefasste Text Literacy […], die nicht auf literarische Gattungen beschränkt ist und expositorische Texte mit einschließt“ (ebd., S. 152). So lässt sich der Erwerb konzeptioneller Schriftlichkeit, der auf unterschiedliche Textsorten zu beziehen ist, besser erfassen. Nach Gressnich ist der kindliche Erzählerwerb „auf der Schnittstelle zwischen Linguistic Literacy und Literary Literacy anzusiedeln“ (ebd.). Auch beim Pretend Reading könnte der Fokus sowohl auf der Förderung von Literary Literacy - im Sinne des Produzierens von Literatur („Vorlesen“ bzw. Produzieren eines narrativen Textes) - als auch auf der Förderung von Linguistic Literacy - im Sinne des Erwerbs und Gebrauchs sprachlicher Strukturen bei der Textproduk‐ tion - gesehen werden, wobei durch die (vorangegangene) Bilderbuchrezeption 72 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter und die Textproduktion zu einem Bilderbuch selbstverständlich auch Visual Literacy und Media Literacy gefördert werden können. 3.3 Vorlesen Beim Setting der vorliegenden Studie wird eine Vorlesesituation mit einer Textproduktionssituation kombiniert. Die folgende Darstellung nationaler und internationaler Studien zum Vorlesen im Vor- und Grundschulalter zeigt, dass diese Studien die Bedeutsamkeit des Vorlesens von Geschichten (und damit verbundener Aktivitäten) herausstellen - und zwar hinsichtlich der Förderung unterschiedlicher Fähigkeiten. Im Jahr 2007 fand erstmals eine Durchführung einer Vorlesestudie durch DIE ZEIT, Deutsche Bahn und Stiftung Lesung statt, der weitere Untersuchungen zu verschiedenen Fragestellungen folgten. Im Werk Stiftung Lesen: Vorlesen im Kinderalltag (2013) wurden die Ergebnisse aus den sechs Vorlesestudien systematisch aufbereitet und systematisiert. (Vgl. Ehmig/ Reuter 2013, S. 83ff.) So wurde in einem ersten Schritt die Bedeutsamkeit „des Vorlesens und Ge‐ schichtenerzählens für die frühe Lese- und Sprachsozialisation von Kindern“ (ebd., S. 85) und ebenfalls für das Jugendalter herausgearbeitet. Daraus resultie‐ rende Schlussfolgerungen und Empfehlungen sind das regelmäßige (im Idealfall tägliche) Vorlesen durch die Eltern - und zwar durch Mütter und Väter. Im zweiten Schritt wurde die tatsächliche Situation charakterisiert. So belegen die Analysen „ein Vorlese-Defizit in etwa einem Drittel aller Familien mit Kindern im Vorlesealter“ (ebd., S. 85f.) Zudem wurden die drei Faktoren im familiären Umfeld aufgegriffen, die in den PISA-Studien „als Barrieren für eine gelungene Lesesozialisation“ (ebd., S. 85) genannt werden: Bildungshintergrund, Migrati‐ onshintergrund und Geschlecht. Diese wurden auf ihre Bedeutung hinsichtlich des Vorlesens getestet. Analysen zeigen, dass insbesondere der Bildungshinter‐ grund des Elternhauses einen großen Einfluss auf das Vorleseverhalten der Eltern hat. Der Migrationshintergrund hat den Analysen zufolge „überwiegend im Zusammenspiel mit dem Bildungsniveau der Eltern Relevanz“ (ebd.). Zudem konnten große geschlechtsspezifische Handlungsmuster festgestellt werden. Zurückführen lassen sich diese u. a. auf klare Rollenverteilungen zwischen Vätern und Müttern. Diese Rollenverteilungen beeinflussen wiederum Erzie‐ hungsziele und Umgangsweisen mit Töchtern und Söhnen und bewirken die unterschiedliche Lese- und Mediensozialisation von Mädchen und Jungen. In einem dritten Schritt werden Überlegungen zur Ansprache der genannten Zielgruppen dargestellt. Zum einen wird die Kompensation der Defizite durch 3.3 Vorlesen 73 Dritte bedacht. Zum anderen wird der Blick auf Vorleseangebote gerichtet, wie zum Beispiel digitale Angebote, die Väter zum Vorlesen motivieren können. (Vgl. ebd.) Diese Befunde heben die enorme Bedeutsamkeit des Vorlesens im Vorschulalter für die Entwicklung unterschiedlicher Fähigkeiten sowie den Handlungsbedarf in diesem Bereich hervor, dem auch die vorliegende Studie gerecht werden möchte. Aus der folgenden Darstellung ausgewählter Studien zum Vorlesen mit begleitenden Aktivitäten wird ersichtlich, dass im Gegensatz zur vorliegenden Studie, bei der die Herausforderung von monologischer Textproduktion eine zentrale Rolle spielt, sowohl Vorlesegespräche als auch Dialogic Reading auf die Anregung von dialogisch angelegter Sprachproduktion abzielen, die eher dem mündlichen Sprachregister zuzuordnen ist. So kommentieren Müller und Stark Dialogic Reading folgendermaßen: „[…] communication is dialogic (not monologic)“ (Müller/ Stark 2016, S.-4). Studien zu Buchgesprächen, die zwischen Eltern und Kindern stattfinden, sind sowohl zahlreich als auch methodisch und disziplinär vielfältig, so Isler. Zu den Untersuchungen, die Diskursmuster der Eltern im Gespräch mit ihren Kindern zum Thema machen, gehört z. B. die Studie Vorlesen in der Familie von Petra Wieler. (Vgl. Isler 2014, S. 49) Anliegen dieser Fallstudie war es, „[d]ie musterhafte Struktur ‚realer‘ Vorlesegespräche mit Vierjährigen in sozial unterschiedlichen Familienkontexten offenzulegen“ (Wieler 1997, S.-150). Als wichtigstes Merkmal, in dem sich die untersuchten Vorlesegespräche zwischen El‐ tern und Vierjährigen in sozial-differenten Familienkontexten unterscheiden, wurde die Berücksichtigung der kindlichen Bilderbuch-Kommentare durch die vorlesenden Erwachsenen genannt. (Ebd., S.-313) Wieler konnte diese Beobachtung bereits anhand einer sozial-vergleichenden Rekonstruktion zweier Vorlesegespräche machen: In einer Familie, die der unteren sozialen Schicht zugeordnet werden kann, wehrte die Mutter verständ‐ nissichernde Fragen des Kindes ab oder beantwortete sie nur knapp. In einer anderen Familie, die der mittleren sozialen Schicht angehört, folgten diesem Typus kindlicher Fragen ausführliche Erläuterungen. (Vgl. ebd.) Das beschrie‐ bene „Phänomen der sozial-differenten Ausprägung familialer Vorleseroutinen“ (ebd.) zeigte sich auch anhand weiterer ausgewählter Gesprächssequenzen, die aus dem erhobenen Korpus an Vorleseprotokollen stammen. (Vgl. ebd.) Im Vergleich dazu zeigen die Auswertungen der Interviews, die mit den Müt‐ tern geführt wurden, dass die Mütter aller sozialen Milieus die dialogischen Komponenten des Vorlesens anerkennen (vgl. ebd., S. 315). Wieler nahm eine Unterscheidung „zwischen einer eher ‚geschlossenen‘ und einer eher ‚offenen‘ 74 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter familialen Vorlesepraxis in den verschiedenen sozialen Milieus“ (ebd., S. 317) vor. Dabei werden den Vorlesenden verschiedene Konzepte unterstellt: Mit der eher geschlossenen Vorlesepraxis korrespondiert die Auffassung des Vorlesens „als ‚Mitteilen eines Textes‘“ (ebd.). Diese geht damit einher, dass das Kind die Rolle des stillschweigenden Zuhörers zugewiesen bekommt. Mit der eher offenen Vorlesepraxis hingegen korrespondiert die Auffassung von Vorlesen „als ‚gemeinsame Vergegenwärtigung einer Geschichte‘“ (ebd.). Das Kind wird hierbei darin bestärkt, eigene Beiträge zu liefern in der Rolle als aktiver Rezeptions- und Gesprächspartner. (Vgl. ebd., S.-317f.) In Studien zum Vorlesen im Vorschulalter wurden Formen von Interaktionen herausgearbeitet, die als fördernd gesehen werden können, so Spinner. Mit Bezug zu Wielers Studie ist der Grundsatz zu nennen, „Kindern Raum zur ak‐ tiven Rezeption und zum problementfaltenden Gespräch“ (Spinner 2005, S. 154) zu geben. Einige grundlegende Erkenntnisse aus der familialen Vorlesesituation sind in Kaspar H. Spinners didaktisch-methodische Überlegungen zum Vorlesen in der Schule eingegangen. (Vgl. ebd.) Den Begriff Vorlesegespräch entnimmt er den Untersuchungen von Wieler (vgl. Spinner 2004, S. 294). Bei seinem Konzept der Vorlesegespräche mit höreraktivierenden Impulsen entwickelte Spinner fünf Impulstypen (vgl. Spinner 2004, S. 296f.). Um die Gefahr des Abschweifens vom vorgelesenen Text zu vermeiden, werden die Gesprächseinlagen kurz gehalten. Bei der Durchführung eines Vorlesegespräches ist es bedeutsam, durch die Unterbrechungen „die imaginative Verstrickung in den Text“ (ebd., S. 295) nicht zu stören, wobei die Impulse gleichzeitig auch zur Anregung der Vorstellungsbildung dienen können. (Vgl. ebd.) Neben der Vorstellungsbildung und der Fähigkeit zur Perspektivübernahme als den beiden zentralen Kategorien literarischer Rezeptionskompetenz werden eine Vielzahl weiterer Aspekte des literarischen Lernens angesprochen, z. B. die Fähigkeit zum Nachvollzug der narrativen Handlungslogik, die Fähigkeit zum Verstehen metapho‐ rischer und symbolischer Ausdrucksweise sowie die Fähigkeit zum literarischen Gespräch (vgl. Spinner 2006). (Kruse 2016, S.-105) Deutlich wird, dass Spinners Gesprächsimpulse auf dialogisch ausgerichtete Sprachproduktion angelegt sind und insbesondere dem literarischen Lernen dienen. „Weniger um literarisches, sondern vor allem um sprachliches Lernen mit Bil‐ derbüchern geht es im Rahmen des dialogic reading, das sich vor allem an Kinder im Vorschulalter richtet“ (Merklinger 2015, S. 91). Das Konzept Dialogic Rea‐ 3.3 Vorlesen 75 42 Whitehurst, Grover J./ Falco, F. L./ Lonigan, Christopher J. / Fischel, Janet E./ DeBaryshe, Barbara D./ Valdez-Menchaca, Marta C./ Caulfield, Marie B. (1988): Accelerating lang‐ uage development through picture book reading. In: Development Psychology, H. 24, S.-552-558. 43 An dieser Stelle sei auf die Überlegungen von Merklinger zur Formulierung der Aufga‐ benstellung beim diktierenden Schreiben (schreiben vs. erzählen bzw. sagen) hingewiesen (vgl. I.3.4; Merklinger 2012, S.-40). 44 Ein Überblick über weitere Forschungsergebnisse zum Dialogic Reading ist Schneider (2018) zu entnehmen (S.-66-68). ding 42 geht auf Whitehurst et al. (1988) zurück (vgl. Simsek/ Erdogan 2015, S. 755). „The main principle of dialogic reading is to teach children become a storyteller instead of passively listening to the story“ (ebd., S. 755). Anstatt nur passiv beim Vorlesen zuzuhören, sollen Kinder lernen, selbst Geschichtenerzähler zu sein (vgl. ebd.). An dieser Stelle wird eine Parallele zum Pretend Reading sichtbar: Während das Kind beim Dialogic Reading zum Geschichtenerzähler werden soll, nimmt es im Setting der vorliegenden Studie die Rolle des „Vorlesers“ ein. Aber schon allein die Wahl der Begriffe „story teller“ und „Vorleser“ weisen auf die stärkere Verortung im konzeptionell Mündlichen und konzeptionell Schrift‐ lichen hin. 43 Wie in Kapitel I.1 zur vorschulischen Sprachförderung thematisiert wird auf die Methode Dialogic Reading (Dialogisches Lesen) bei der alltagsinte‐ grierten Sprachförderung zurückgegriffen. 44 Exemplarisch sei im Folgenden die Studie von Simsek und Erdogan (2015) zum Dialogic Reading mit vierbis fünf‐ jährigen Kindern aus Familien der sozialen Unterschicht skizziert. Ziel dieser Studie war es, den Effekt einer vierwöchigen Dialogic Reading-Intervention auf die rezeptiven und expressiven Sprachfähigkeiten der Kinder zu untersuchen. Dazu wurden Kinder eines Kindergartens in der Türkei zufällig in zwei Gruppen eingeteilt. Der ersten Gruppe wurden über einem Zeitraum von vier Wochen acht Bilderbücher vorgelesen, wobei Gebrauch von den Techniken des Dialogic Reading gemacht wurde. Den Kindern der Kontrollgruppe wurden die gleichen acht Bilderbücher im traditionellen Lesemodus vorgelesen. (Vgl. ebd., S. 754) Um das Level der Sprachentwicklung der Kinder festzustellen, wurde der Test of Early Language Development-Third Edition (TELD-3) (Hresko/ Reid/ Hammill 1999) durchgeführt. Die Kinder nahmen an einem Prä- und einem Posttest teil. (Vgl. Simsek/ Erdogan 2015, S. 756). Die quantitativen Analysen zeigten, dass sich bei den Kindern, die am Dialogic Reading teilnahmen, signifikante Veränderungen in den Tests zeigten (vgl. ebd., S. 757). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass Dialogic Reading eine sehr effektive Technik zu sein scheint, um die Sprachentwicklung von Vorschulkindern zu unterstützen (vgl. ebd., S. 758). „The dialogic reading is a highly effective reading technique in order to enhance the language development of preschool age children“ (ebd.). 76 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 45 Stark bezieht sich an dieser Stelle auf folgende Publikation: Stark, Linda (2016): Vorlesen und Präteritum. Baltmannsweiler: Schneider Hohengehren (Thema Sprache, Wissenschaft für den Unterricht, Bd.-24). Während Simsek und Erdogan die Bedeutsamkeit von Dialogic Reading für die Entwicklung rezeptiver und produktiver Sprachfähigkeiten deutlich machen, weist Stark (2017) auf die Funktion von Vorlesegesprächen für die Entwicklung konzeptioneller Schriftlichkeit hin. „Das Vorlesen von Bilderbüchern scheint bei der Vorbereitung literaler Kompetenzen, insbesondere für das Verstehen und Verwenden konzeptionell schriftlicher Formen, eine zentrale Rolle zu spielen“ (Stark 2017, S. 127). Nach Stark wird der Wirkungszusammenhang „zwischen Gegebenheiten der Kommunikationssituation, Versprachlichungsst‐ rategien und der sprachlichen Oberfläche eines Textes“ (ebd., S. 129) oft vernachlässigt. Bilderbuchtexte enthalten häufig konzeptionell schriftliche Oberflächenstrukturen (z. B. Präteritum). Mit Hilfe des sprechakttheoretischen Modells des Vorlesens (Rothstein 2013) kann gezeigt werden, dass beim Vorlesen „kommunikationssituative Bedingungen der Distanz vorliegen“ (Stark 2017, S. 131). So hat der Vorlesende die Funktion, als Medium zu fungieren, während der physisch abwesende Autor der eigentliche Kommunikationspartner des zuhörenden Kindes ist. Neben dieser Distanzkommunikation finden in Vorlese‐ gesprächen zwischen Vorlesendem und Kind zudem direkte Kommunikation statt. Diese unterliegt den nähekommunikativen Bedingungen. Neben der Rolle „des medialen Übermittlers der Autorenbotschaft“ (ebd., S. 133), ist die zweite Rolle des Vorlesenden, der direkte Kommunikationspartner des Kindes zu sein. (Vgl. ebd., S. 131f.) Stark analysiert Vorlesegespräche unter der Fragestellung, „inwiefern Vorleseinteraktionen dem Kind Rückschlüsse auf den distalen, phy‐ sisch nicht wahrnehmbaren Kommunikationspartner Autor sowie auf die damit zusammenhängende doppelte Rolle des Vorlesenden erlauben“ (ebd., S. 134). Sie identifiziert vier Typen von Distanzhinweisen, die den Autor als Kommunikationspartner implizieren. (Vgl. ebd.) Mit Hilfe aller vier Distanzhinweistypen wird vom Vorlesenden seine eigene rezeptive Haltung verdeutlicht. Den Kindern werden durch die Distanzhinweistypen Zugänge zu bedeutsamen Merkmalen distanzkommunikativer Bedingungen während des Vorlesens er‐ öffnet. Dazu gehören die bereits genannte doppelte Funktion des Vorlesenden, der Autor als Kommunikationspartner und die raumzeitliche Trennung, ein Merkmal der kommunikationssituativen Distanz. 45 Als Fördermaßnahme für Kinder, denen der Zugang zu konzeptionell schriftlicher Sprache fehlt, da in der Familie wenig Sprachpraktiken stattfinden, schlägt Stark vor, dass Vorlesen in der Förder- und Unterrichtspraxis in noch stärkerem Maße als bislang stattfinden solle. Zudem sieht sie Potential im gezielten Einsatz von 3.3 Vorlesen 77 46 An dieser Stelle sei bereits darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Datenerhebung der vorliegenden Studie bei der Anleitung der Pretend-Reading-Situation bewusst auf die Durchführung eines Vorlesegesprächs verzichtet wird (zur Begründung vgl. Kapitel II.2.1 zum Erhebungsverfahren). Es liegt nämlich der besondere Fall vor, dass das Kind ein Bilderbuch „vorliest“, das ihm zuvor bereits mehrfach vorgelesen worden ist. Distanzhinweisen für den Erwerb der konzeptionellen Schriftsprache. (Vgl. ebd., S. 140) Ein Desiderat sieht Stark in der Überprüfung der Distanzhinweise im Hinblick auf ihre Wirksamkeit in empirischen Studien (vgl. ebd., S.-143). Wie bei der Darstellung der Studien und Methoden deutlich wurde, wird den während des Vorlesens stattfindenden Interaktionen zwischen Erwachsenem und Kind ein beachtliches Potential zur Initiierung von Lernprozessen zuge‐ sprochen. 46 So formuliert auch Merklinger treffend: Die Interaktion zwischen Vorleser und Zuhörer(n) hat […] entscheidenden Einfluss darauf, ob die einer Vorlesesituation innewohnenden Lernpotenziale zur Entfaltung kommen können. Das gilt für die Entwicklung basaler Lesekompetenzen ebenso wie für literar-ästhetisches und sprachliches Lernen. (Merklinger 2015, S.-91) Nachdem der Blick auf Methoden zur Anregung von Sprachproduktion wäh‐ rend des Vorlesens gerichtet wurde, die - wie gezeigt werden konnte - stets dialogisch angelegt ist, dient das folgende Kapitel dazu, Methoden zur Heraus‐ forderung von monologischer Textproduktion im Medium der Mündlichkeit in den Blick zu nehmen. 3.4 Textproduktion im Medium der Mündlichkeit Im Folgenden werden drei Erhebungsinstrumente dargestellt, die dazu dienen, Kinder im Vorschulalter herauszufordern, Texte im Medium der Mündlichkeit zu produzieren. Dazu gehören die Methode diktierendes Schreiben nach Merklinger (2011, 2012), das Kinderdiktat von Sauerborn (2015) und das Instrument zur Einschätzung mündlicher Textfähigkeiten von Isler, Hefti, Kirchhofer und Din‐ kelmann (2018). Die Studien, in die diese eingebettet sind, werden skizziert. Wie die folgende Darstellung zeigen wird, haben die drei Erhebungsinstrumente ge‐ meinsam, dass mit ihnen - wie mit dem Erhebungsinstrument der vorliegenden Studie - die Produktion monologischer Texte bei Vorschulkindern herausgefor‐ dert werden soll. In allen drei Settings notiert die oder der Erwachsene etwas, das vom Kind geäußert wird, mit der Absicht, auf diese Weise eine monologische Textproduktion anzuregen. Die Terminologie, die in den drei Konzepten genutzt wird, unterscheidet sich leicht voneinander: Während Isler et al. von mündlichen 78 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 47 Diese Studie ist im Jahr 2018 im Rahmen einer Zweitveröffentlichung digital er‐ schienen: https: / / sprachdidaktik.phil-fak.uni-koeln.de/ sites/ koebes/ user_upload/ KoeB eS-B-1-2018-Merklinger.pdf. Texten (Isler et al. 2018, S. 5) und einer solistischen Produktionsweise (ebd., S. 8) sprechen, nutzen Merklinger und Sauerborn den Begriff konzeptionelle Schriftlichkeit. Bei Merklinger und Isler er al. wird zudem die Bedeutung des Verhaltens der oder des Erwachsenen für die Herausforderung einer monologi‐ schen Sprachproduktion (vgl. Isler et al. 2018, S. 16) bzw. von konzeptioneller Schriftlichkeit (vgl. Merklinger 2011, S. 194) hervorgehoben. Während es sich bei den von Isler et al. und Sauerborn vorgestellten Vorgehensweisen ausschließlich um Erhebungsinstrumente im Rahmen von Studien handelt (vgl. Isler et al. 2018, S. 15), kann das diktierende Schreiben nach Merklinger zusätzlich als didaktische Methode bezeichnet werden. Das Erkenntnisinteresse der Studie Frühe Zugänge zur Schriftlichkeit (2011) 47 von Daniela Merklinger „bestand darin, herauszufinden, wie sich konzeptionell schriftliche Fähigkeiten bei Kindern herausbilden, die noch nicht selbstständig schreiben können“ (Merklinger 2011, S. 189). Dazu bekamen Kinder aus Vor‐ schulklassen die Möglichkeit, zu vier Zeitpunkten einer oder einem Erwach‐ senen einen eigenen Text zu einem Bilderbuch zu diktieren. Mit Hilfe der Kin‐ dertexte sowie der Transkripte untersuchte Merklinger, wie sich die Kinder der Schriftlichkeit nähern. Dabei lag der Fokus auf dem Prozess des Diktierens. (Vgl. ebd., S. 17) Nach Merklinger sollte die Diktiersituation den Kindern Ressourcen zur Verfügung stellen, damit alle Kinder unabhängig von ihren Vorerfahrungen die Diktiersituation „im Sinne ‚lernenden Schreibens‘ für ihren Zugang zu Schriftlichkeit nutzen können“ (ebd., S. 192). Dadurch, dass Kinder die Aufgabe bekommen, etwas zu einem ihnen bekannten Bilderbuch zu diktieren, besteht die Möglichkeit, „beim Formulieren ihrer Gedanken auf sprachliche, literarische und mediale Muster der Schreibvorgabe zurück[zu]greifen“ (ebd.) (vgl. ebd.). Merklinger fand heraus, dass vier Aspekte von Schriftlichkeit in den Fokus der Aufmerksamkeit der Kinder rückten: Der Formaspekt der Sprache, wortge‐ naues Formulieren, die Schriftzeichen auf dem Papier und die Materialität des Schreibens. (Vgl. ebd.) Die Studie zeigte, dass es sich bei der Diktiersituation nicht nur um eine Beobachtungssituation handelt, sondern dass diese auch „eine Lernsituation für frühe Zugänge zu (konzeptioneller) Schriftlichkeit“ (ebd., S. 189) dargestellt (vgl. ebd.). Im diktierenden Schreiben sieht Merklinger ein Format, das dem Erwerb von konzeptioneller Schriftlichkeit dienen kann. Ent‐ scheidend ist, „dass keine Gesprächs-, sondern eine Schreibsituation entsteht, die von Distanzsprachlichkeit geprägt ist“ (ebd., S. 132). (Vgl. ebd., S. 192) 3.4 Textproduktion im Medium der Mündlichkeit 79 48 Dieses Konzept wird in Kapitel I.7 dargestellt. Eine bedeutsame Voraussetzung dafür, dass das diktierende Kind eine Haltung des Schreibens einnimmt, ist die Langsamkeit des Schreibens, so eine zentrale Erkenntnis der Studie zum diktierenden Schreiben. Die Langsamkeit, „die unmit‐ telbar an den medialen Aspekt gebunden ist“ (ebd., S. 195), wird durch lautes Mitsprechen im Schreibtempo durch die Skriptorin oder den Skriptor für die Kinder hörbar. Indem sich die Kinder auf die Langsamkeit einstellen, „wird eine Verschiebung in Richtung konzeptionelle Schriftlichkeit möglich“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Bekommen Kinder die Möglichkeit, einer Skriptorin oder einem Skriptor eigene Texte zu diktieren, „können sie ihr Wissen über Schriftlichkeit und Schreiben (und damit ihr implizites Wissen) in der Diktiersituation erproben - und gleichzeitig Neues erfahren [Hervorh. im Original]“ (Merklinger 2012, S. 11). Zudem eröffnet die Diktiersituation der Skriptorin oder dem Skriptor die Möglichkeit, etwas über die Vorstellungen zu erfahren, die das diktierende Kind vom Schreiben sowie von Texten hat (vgl. ebd., S.-54). Die Methode des diktierenden Schreibens wurde von Merklinger „vor dem Hin‐ tergrund des ‚Schreibens zu Vorgaben‘ konzipiert“ (ebd., S.-35) (vgl. ebd.) 48 . Für das diktierende Schreiben bietet sich folgende Aufgabenstellung an: „Du hast die Geschichte … [Titel der Geschichte oder auch die zentrale Figur(en) der Geschichte benennen] gehört. Auf diesem Schreibblatt kannst du etwas dazu schreiben, was DIR wichtig ist. Ich schreibe es für dich.“ (Ebd., S.-40) Merklinger merkt dazu an: „Die Formulierung ist dabei wichtig: Nicht ‚erzählen‘, nicht ‚sagen‘, sondern: SCHREIBEN [Hervorh. im Original]“ (ebd.). Während des Diktierprozesses sitzen das Kind und die Skriptorin bzw. der Skriptor nebeneinander. Dabei kann das Kind sehen, wie sein Text auf dem Papier entsteht. Mittig vor beiden Personen liegt das Schreibblatt. Eine zentrale Bedeutung nimmt während der Diktiersituation die Fokussierung der Aufmerksamkeit auf dieses ein. (Vgl. ebd., S. 49) Nach Merklinger hat das Verhalten der Skriptorin oder des Skriptors „[…] einen entscheidenden Einfluss darauf, dass die Kinder in der Diktiersituation einen Zugang auch zur konzeptionellen Dimension des Schreibens finden können“ (ebd., S. 43). Wenn die oder der Erwachsene eine „Grundhaltung der Schriftsprachlichkeit“ (ebd.) einnimmt, kann sie oder er auch das Kind „in seiner ‚Haltung des Schreibens‘ unterstützen und es zugleich zu einem Handeln in seiner ‚Zone der nächsten Entwicklung‘ herausfordern“ (ebd., S. 44). Zu den Verhaltensweisen der Skriptorin oder des Skriptors, die sich in der Studie als zentrale Impulse erwiesen haben, um bei den Kindern eine Haltung des Schreibens anzuregen, gehört, dem Kind „keine Impulse zum Weiterschreiben“ (Merklinger 2012, S. 54) zu geben. Stattdessen soll dem Kind signalisiert werden, 80 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter dass es selbst bestimmen kann, wann sein Text fertig ist. Zum einen soll das Kind die Erfahrung machen, „dass man seine Gedanken beim Schreiben ganz allein entfalten muss“ (ebd.). Zum anderen besteht die Gefahr, dass die Situation in einen Dialog wechselt, wenn der Skriptor nach einer Fortsetzung fragt. (Vgl. ebd., S.-43ff.) Würde der Skriptor nach der Fortsetzung fragen, wechselt die Situation leicht in einen Dialog, also vom Diktieren zum Gespräch, von Schriftlichkeit zu Mündlichkeit und das Kind reagiert z. B. mit Halbsätzen wie im Mündlichen (z. B. ‚Dass die Maus das gesagt hat mit der Grüffelogrütze‘) oder es reiht weitere Aspekte aneinander, die es von sich […] [aus] eigentlich gar nicht aufschreiben würde. (Ebd.) Zudem sollen Formulierungen des Kindes durch die Skriptorin oder den Skriptor weder beeinflusst noch inhaltlich verändert werden, damit Kinder den entste‐ henden Text als ihren eigenen empfinden können. Außerdem können die Kinder nur so „den Transformationsprozess von der inneren zur geschriebenen Sprache (Wygotski 1964)“ (Merklinger 2012, S.-54) erfahren. (Vgl. ebd.) Neben verschiedenen Verhaltensweisen, mit denen Kinder in ihrem Zugang zur Schriftlichkeit unterstützt werden können (vgl. ebd., S. 55), nennt Merklinger als weitere Möglichkeiten: „[i]mplizit zu Schriftlichkeit herausfordern“ (ebd.) und „[e]xplizit zu Schriftlichkeit herausfordern“ (ebd., S. 59). Sie unterscheidet vier Möglichkeiten zur impliziten Herausforderung von Schriftlichkeit in Diktier‐ situationen: „Vorlesen von bereits Geschriebenem“ (ebd., S. 55), „Während des Aufschreibens gezielt Pausen machen“ (ebd., S. 56), „Als Strukturierungshilfe einen Satzanfang notieren“ (ebd., S. 57) und „Dem Kind Zeit geben, eine Formulierung zu finden“ (ebd., S. 58) (vgl. dazu ebd., S. 55-59). Diktiert das Kind einen Satz, der entweder nicht an das zuvor Geschriebene anknüpft oder der eine ungewöhnliche Reihenfolge aufweist, kann die Skriptorin oder der Skriptor zunächst noch einmal vorlesen, was das Kind bereits „geschrieben“ hat. (Vgl. ebd., S. 55f.) Die Skriptorin oder der Skriptor kann zudem bewusst die Aufmerksamkeit des Kindes auf sogenannte „Schlüsselstellen für den Übergang zu konzeptioneller Schriftlichkeit“ (ebd., S. 56) lenken, indem sie oder er beim Aufschreiben an solchen Stellen gezielt Pausen setzt, „die in Bezug auf die sprachliche Struktur eine Entscheidung erfordern“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Falls Kinder etwas erzählen anstatt zu diktieren, hat die Skriptorin oder der Skriptor die Option, einen Satzanfang aus dem vom Kind Geäußerten aufzuschreiben. Dabei ist es wichtig, nur Wörter zu wählen, die vom Kind zuvor selbst genutzt worden sind. (Vgl. ebd., S.-97) Die vierte Möglichkeit besteht darin, den Kindern Zeit zu geben. „Eine Schreibidee zu entwickeln und eine passende Formulierung zu finden, braucht 3.4 Textproduktion im Medium der Mündlichkeit 81 Zeit“ (ebd., S. 58). Bei dieser Strategie muss die Skriptorin bzw. der Skriptor darauf vertrauen, dass die Kinder intensiv nachdenken und die Pause nicht daraus resultiert, dass sie mit ihrem Text bereits fertig sind. In solchen Situa‐ tionen kann den Kindern auch signalisiert werden, dass sie ruhig überlegen können. Neben den bereits dargestellten Möglichkeiten, implizit zu Schriftlichkeit herauszufordern, besteht auch die Möglichkeit, ein Kind „auf metasprachlicher Ebene“ (ebd., S. 59) dazu herauszufordern, „eine ‚Haltung des Schreibens‘ einzunehmen“ (ebd.). (Vgl. ebd., S.-58f.) Ähnlich wie Merklinger lässt auch Hanna Sauerborn Kinder Texte diktieren. Zur Datenerhebung im Rahmen ihrer Studie Zur Bedeutung der Early Literacy für den Schriftspracherwerb nutzt Sauerborn unter anderem die Methode Kinderdiktat (vgl. Sauerborn 2015, S. 129ff.; Kapitel I.3.2). Zur Erhebung von Lit 2 , dem „Grad an Vertrautheit mit der Schriftkultur “ (Sauerborn 2015, S.-115), wird Gebrauch von einer „Erzähl-Aufgabe im Sinne eines Kinderdiktats“ (ebd., S. 129) gemacht. Dieser Aufgabe liegt die Annahme zugrunde, dass sich Vertrautheit mit unserer Schrift- und Erzählkultur bei der Erzählung einer Geschichte nach einer Bildvorlage in der Fähigkeit zeigt, in einem zunehmend literaten Register zu sprechen. (Ebd., S. 129) Für das Kinderdiktat wurde ein Bilderbuch ausgewählt, das eine sich nach einem klaren Schema entwickelnde Handlung hat. Die Seiten des Bilderbuches wurden ohne den Text zur Verfügung gestellt. Sauerborn bezieht sich u. a. auf eine Beobachtung von Becker (2005), dass jüngere Kinder, die zu einer Bildergeschichte einen Text produzieren sollten, oft reine Bildbeschreibungen produzierten. Deshalb erachtet es Sauerborn als bedeutsam, bei der Arbeitsan‐ weisung, „den Kindern zu helfen, potentielle - momentan jedoch abwesende - Zuhörer für ihre Geschichte vor Augen zu haben, was zudem konzeptionell schriftliche Äußerungen evozieren sollte“ (ebd., S. 131). Die Aufgabe, die die Kinder im Rahmen von Sauerborns Untersuchung erhielten, lautete daher: Schau mal, ich habe neulich ein Buch gekauft, das ich meinen Kindern vorlesen wollte. Aber als ich zu Hause das Buch aufgeschlagen hatte, habe ich gemerkt, dass da gar keine Schrift drin ist - dass es nichts zum Vorlesen gibt. Jetzt machen wir es so: Du schaust dir nun das Buch einmal an. Dann schaust du es dir noch mal an und erzählst mir dann die Geschichte und ich schreibe sie dabei auf. Dann kann ich meinen Kindern deine Geschichte erzählen. (Sauerborn 2015, S.-131) Die Erhebung fand zu drei Messzeitpunkten statt (vgl. ebd., S. 129ff.). Das Kinderdiktat wurde u. a. auf die Merkmale Satzlänge, konzeptionell schriftliche Elemente, Tempusverwendung, Einführung des Protagonisten, Konnektoren, 82 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter kohärenz-stiftende Elemente, Emotionalität, kohärente Rekonstruierbarkeit, „Bewertung und Gesprächsanschuss auf der kommunikativen Meta-Ebene“ (ebd., S. 136), „Wegfall von Gesprächspartikeln/ Dialog-typischen Elementen“ (ebd., S. 137) untersucht. (Vgl. ebd., S. 135-137) Bei der Analyse konzeptio‐ nell schriftlicher Elemente wurde insbesondere die lexikalische Ebene in den Blick genommen. Sauerborn nennt hier Phraseologismen und auffällige lexika‐ lische Elemente (vgl. ebd., S. 136). Zum Wegfall von Gesprächspartikeln und dialog-typischen Elementen schreibt Sauerborn erläuternd: „[…] der Wegfall der Gesprächspartikel zeigt die Versiertheit in der Textsorte monologisches Erzählen [Hervorh. im Original]“ (ebd., S.-137). Sauerborns Studie enthält fünf Einzelfallbeschreibungen (vgl. ebd., S.-156), in denen sich „ein breites Spektrum der Literacy-Entwicklung“ (ebd., S. 174) wider‐ spiegelt. Das Kinderdiktat erwies sich als Instrument, mit dem hierarchie-höhere Prozesse abgebildet werden können und das es ermöglicht, „Rückschlüsse auf die Lit 2 zu ziehen“ (ebd., S. 175). Die Regression einiger Texte von einem zum anderen Messzeitpunkt zeigt jedoch, dass es nicht 100 % reliabel möglich war. Des Weiteren äußert Sauerborn die Vermutung, „dass ein so anspruchsvolles Aufgabenformat besonders sensitiv für unterschiedliche Tagesverfassungen ist“ (ebd., S.-176). (Vgl. ebd., S.-174-176) Isler et al. stellen 2018 ein „Instrument zur Einschätzung mündlicher Textfähig‐ keiten“ (Isler et al. 2018, S. 2) von Kindergartenkindern vor. Dieses wurde für die - zu diesem Zeitpunkt geplante - Interventionsstudie Erwerbsunterstützung mündlicher Textfähigkeiten im Kindergarten (ebd., S. 15) entwickelt. (Vgl. ebd.) Im Rahmen dieses Projektes sollen Zusammenhänge „zwischen der Qualität des Lehrpersonenhandelns im Kindergarten und dem Erwerbsverlauf mündli‐ cher Textfähigkeiten der Kinder untersucht werden“ (ebd., S. 4). Dabei wird davon ausgegangen, dass sich eine Optimierung des Lehrpersonenhandelns positiv auf den Erwerb solcher Fähigkeiten auswirkt (vgl. ebd.). Folgenden drei Forschungsfragen wird im Rahmen der Studie nachgegangen: 1. Wie entwickeln sich die mündlichen Textfähigkeiten der Kinder vom Anfang bis zum Ende des Kindergartens (während 18 Monaten)? 2. Lässt sich das kommunikative Handeln von Lehrpersonen in Alltagsgesprächen durch eine Weiterbildung (videoba‐ siertes Coaching und Gruppenweiterbildung) weiterentwickeln? 3. Wirkt sich ein optimiertes kommunikatives Handeln auf den Erwerb mündlicher Textfähigkeiten durch die Kinder aus? “ (Ebd.) Für die Interventionsstudie wurde ein Instrument benötigt, mit dem münd‐ liche Textfähigkeiten von vierbis sechsjährigen Kindern verlässlich einge‐ schätzt werden können. Bereits existierende Instrumente, die der Einschätzung 3.4 Textproduktion im Medium der Mündlichkeit 83 oder Messung produktiver Sprachfähigkeiten bei Kindern dieser Altersgruppe dienen, „fokussieren in der Regel lokale oder oberflächliche Aspekte wie Wortschatz, Phonologie, Morphologie oder Syntax“ (ebd., S. 5). „Die Ratingskala zur Erfassung bildungssprachlicher Kompetenzen von Kindern im Vorschul‐ alter RaBi (Tietze, Rank & Wildemann, 2016)“ (Isler et. al. 2018, S. 5) sowie das „Dortmunder Beobachtungsinstrument zur Interaktion und Narrationsent‐ wicklung DO-BINE (Quasthoff et al., 2011)“ (Isler et. al. 2018, S. 5) - zwei Verfahren, mit denen der Blick auf komplexere Sprachfähigkeiten gerichtet werden kann - kamen aus verschiedenen Gründen nicht für die geplante Interventionsstudie in Frage. Dem von Isler et al. entwickelten Instrument zur Einschätzung mündlicher Textfähigkeiten liegt das Konstrukt Mündliche Textfähigkeiten zugrunde. Dieses Konstrukt weist vier Facetten auf: Zur inter‐ aktionalen Facette wird die Fähigkeit gerechnet, als primäre Sprecherin oder primärer Sprecher (zunehmend) solistische Gesprächsbeiträge zu produzieren. Zur referenziellen Facette gehört es, in der Lage zu sein, distante Inhalte zu repräsentieren. Die strukturelle Facette betrifft die „Fähigkeit zur textuellen Organisation […] von Propositionen als mentale Modelle“ (ebd., S. 6). Die konventionelle Facette bezieht sich auf die Fähigkeit, genretypische Muster zur Bearbeitung kommunikativer Aufgaben zu verwenden. Nach Isler et al. ließen sich die längeren monologischen Gesprächsbeiträge, die sie als mündliche Texte bezeichnen, ebenfalls mit anderen Konzepten fassen. Es werden an dieser Stelle die Begriffe konzeptionelle Schriftlichkeit (Koch/ Oesterreicher 1994; Feilke 2002), globalstrukturierte Diskurseinheiten (Hausendorf/ Quasthoff 1996) und bildungssprachliche Praktiken (Morek/ Heller 2012) genannt. Aus zwei Gründen schlagen Isler et al. jedoch einen neuen Begriff vor: Erstens nennen sie die Absicht, die bereits bestehenden Konzeptionen in ein übergreifendes Modell zu integrieren und zweitens lässt sich - so zeigt es die bisherige Erfahrung - im Praxisfeld gut mit dem Begriff mündliche Texte arbeiten. (Vgl. Isler et. al. 2018, S.-5f.) Bei der Datenerhebung im Kindergarten erzählt jeweils ein Kind einer Testlei‐ terin einen Trickfilm nach. Nachdem sich das Kind einen sprachfreien Trickfilm angeschaut hat, erhält es von der Testleiterin folgende Aufgabe: „Erzähl mir, was im Film passiert ist“ (ebd. S.-9; vgl. ebd.). Während das Kind erzählt, notiert die Testleiterin, was gesagt wird. Das Mitschreiben der Testleiterin ist dabei für das Kind gut sichtbar. Als nächstes wird das Kind eingeladen, seine Nacherzählung zu ergänzen. Auffällige Ergänzungen werden von der Testleiterin erneut notiert. Der Impuls wird von der Testleiterin drei Mal wiederholt bzw. so lange, bis die Nacherzählung vom Kind für beendet erklärt wird. Das Mitschreiben der Testleiterin dient dazu, dem Kind die kommunikative Aufgabe zu verdeutlichen. 84 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter (Vgl. ebd., S. 6) „Indem die Textleiterin ihrer Aufmerksamkeit auf das Blatt richtet, wird für das Kind deutlich, dass es die Rolle der primären Sprecherin bzw. des primären Sprechers (Hausendorf/ Quasthoff, 1996) dauerhaft innehat und nicht auf Gegenzüge der Testleiterin warten soll“ (Isler et al. 2018, S. 6). Das Mitschreiben soll somit den Zweck erfüllen, dem Kind zu verdeutlichen, dass es nicht zu einer dialogischen, sondern zu einer monologischen Sprachproduktion aufgefordert ist. Es ist eine längsschnittliche Durchführung mit drei Erhebungen pro Kind geplant. Die bei der Datenaufbereitung zu erstellenden Textexzerpte werden anhand der vier beschriebenen Facetten eingeschätzt. (Vgl. ebd., S. 7) Es folgt eine Vorstellung der Konzeptionen der Facetten, inklusive ihrer Ausdifferenzie‐ rungen in verschiedene Kriterien. Facette 1: Solistische Produktionsweise Zur Realisierung mündlicher Texte müssen die Kinder in der Rolle der primären Sprecherin oder des primären Sprechers agieren. Die Testleitung hingegen übernimmt weitgehend die Rolle der Zuhörerin oder des Zuhörers. Hierbei handelt es sich um eine asymmetrische Rollenverteilung, die im Kontrast zur in Alltagsgesprächen vorherrschenden symmetrischen Rollenverteilung steht. „Bereits erworbene Fähigkeiten zur Übernahme und Aufrechterhaltung der Rolle der primären Sprecherin bzw. des primären Sprechers unterstützen die Kinder dabei, längere Texte selbstständig zu produzieren“ (ebd., S. 8). Bedingt durch die Standardisierung von Erzählimpuls und Handeln der Testleitung ist es möglich, „anhand von Indikatoren des kindlichen Handelns (wie Umfang der sprachlichen Äusserungen und Selbständigkeit bei deren Produktion) auf solche individuell erworbenen Fähigkeiten“ (ebd.) zu schließen. Als Kriterien dienen die folgenden Indikatoren: Die Anzahl der vom Kind realisierten Züge, die Länge des längsten Einzelzuges und die durchschnittliche Zuglänge. (Vgl. ebd.) Facette 2: Sprachliche Repräsentation distanter Inhalte Die Kinder benötigen spezifische Fähigkeiten zur sprachlichen Repräsentation von distanten Inhalten. Diese Inhalte sind nach der Filmbetrachtung im geteilten Wahrnehmungsraum nicht mehr präsent und können weder angefasst, noch durch Zeigen zum Thema gemacht werden können. Isler et al. unterscheiden bei den Referenzräumen zwischen der sichtbaren Welt des Trickfilms (im Film Sichtbares und Hörbares), der unsichtbaren Welt des Trickfilms und weiteren filmbezogenen Aussagen des Kindes. Bei diesen kann es sich um Weiter- oder Vorauserzählungen der Filmhandlung, eigene Erlebnisse, Bezüge zu Ge‐ schichten oder anderen Filmen oder Kommentare handeln. Die „Repräsentation 3.4 Textproduktion im Medium der Mündlichkeit 85 der sichtbaren Welten“ (ebd., S. 9) bildet bei der Einschätzung jedoch das Basiskriterium, da nur dies in der Aufgabenstellung gefordert wurde. Als Kri‐ terien gelten folgende Indikatoren: Die „Anzahl der sprachlich repräsentierten sichtbaren (oder hörbaren) Elemente des Films“ (ebd., S. 9) und das Vorkommen weiterer Elemente. (Vgl. ebd., S.-8f.) Facette 3: Textuelle Organisation Um ein mentales Modell - in diesem Fall eine Geschichte, die als Trickfilm rezipiert wurde - als kohärenten Text sprachlich zu repräsentieren, ist es nötig, Propositionen (Aussagen) „in eine Reihenfolge zu bringen“ (ebd., S. 9) und zu verknüpfen. „Die textuelle Organisation manifestiert sich entsprechend inhaltlich und sprachformal“ (ebd.) Als sprachliche Basiskriterien gelten die chronologische Abfolge der Propositionen sowie das Vorkommen und die Varia‐ tion „einfacher sprachlicher Verknüpfungsmittel (Pronomen, additiv-reihende Konjunktionen)“ (ebd.). Als ergänzende Kompensationskriterien gelten das „Vorkommen komplexerer Verknüpfungsmittel[] (z. B. kausale Konjunktionen oder hierarchische Satzgefüge)“ (ebd.) und das Vorhandensein „expliziter Hin‐ weise auf die Textorganisation (z. B. Textgrenzen oder Textteile)“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Facette 4: Genretypische Muster Zu den genretypischen Aufgaben, die beim Nacherzählen sprachlich zu bear‐ beiten sind, gehören „die Klärung des Schauplatzes und/ oder der Ausgangslage, die Einführung der Hauptfiguren, die Darstellung der Problemlage, die Dar‐ stellung mehrerer Lösungsversuche, die Darstellung der Lösung sowie der Abschluss der Geschichte“ (ebd., S. 9). Wenn die Kinder bereits mit Erzählauf‐ gaben vertraut sind, kann beim Nacherzählen der Trickfilme eine Orientierung „an dieser ‚story grammar‘ (Thorndyke 1977)“ (Isler et al. 2018. S. 9) stattfinden. Zur Klärung und Aufrechterhaltung der Sprachhandlung ‚Erzählen‘ sowie zur Invol‐ vierung der Zuhörerin oder des Zuhörers können einzelne Elemente mit sprachlichen Mitteln hervorgehoben und ausgestaltet werden. Dazu gehören Verstärkungen durch Wiederholung oder Nachdruck, Elemente mit besonderen narrativen Funktionen, Inszenierungen (z. B. durch Figurenstimmen oder Lautmalereien) […]. (Ebd.) Basiskriterium der vierten Facette bildet die Anzahl der Erzählaufgaben, die von den Kindern bearbeitet wurden. Dabei wird auch ihre Ausführlichkeit einbe‐ zogen. Hinzu kommen das Vorhandensein von Ausgestaltungs- und Hervorhe‐ bungsmitteln und deren Häufigkeit sowie das Vorhandensein unterschiedlicher Typen von Ausgestaltungs- und Hervorhebungsmitteln. (Vgl. ebd.) 86 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter Aus der Entwicklung des vorgestellten Instruments resultieren nach Isler et al. Impulse zum sprachdidaktischen Fachdiskurs (vgl. ebd., S. 15). Als ersten Punkt nennen Isler et al. die Stärkung eines erweiterten Verständnisses „von Vorläuferfähigkeiten des Lesens und Schreibens“ (ebd.). Dieses nimmt „neben basalen Schriftfertigkeiten (wie phonologischer Bewusstheit oder Kenntnis der Laut-Buchstaben-Korrespondenzen; vgl. z. B. Paris, 2011) auch hierarchiehöhere Textfähigkeiten (vgl. z. B. Schmotz & Dutke, 2004) in den Blick“ (ebd.). Diese hierarchiehöheren Textfähigkeiten können im Medium der Mündlichkeit schon „lange vor dem Erstunterricht in Lesen und Schreiben erworben und unterstützt werden“ (ebd.). Als zweiten Punkt nennen Isler et al., dass in dem Modell der mündlichen Textfähigkeiten unterschiedliche „Konzeptionen von übersatz‐ mässigen, textförmigen Sprachproduktionen“ (ebd.) integriert werden. Drittens dient das Konstrukt als Vorschlag, mündliche Textfähigkeiten sowohl genre‐ übergreifend als auch genrespezifisch zu modellieren. Möglicherweise können die ersten drei Facetten des Konstrukts der mündlichen Textfähigkeiten an mündliche Texte aller Art angelegt werden. Als vierten Punkt weisen Isler et al. darauf hin, dass das Konstrukt Mündliche Textfähigkeiten über eine konsequente Ausrichtung auf „globale, textuelle Eigenschaften“ (ebd., S. 16) verfügt. Im Unterschied zu allen anderen Isler et al. bekannten Instrumenten wird „bewusst darauf verzichtet, lokale sprachformale Merkmale des Sprachsystems als eigene, nebengeordnete Facetten zu konzipieren“ (ebd.). Zudem sei darauf hingewiesen, dass es das vorgestellte Erhebungssetting ermöglicht, „bei 4-jährigen Kindern in standardisierter Weise monologische Sprachproduktionen zu elizitieren, indem durch das Mitschreiben die Sprecherwartung an das Kind gut erkennbar aufrechterhalten wird“ (ebd.). (Vgl. ebd., S.-15f.) Eine Erprobung des Instruments zur Einschätzung mündlicher Textfähigkeiten zeigte, dass mit diesem „das Konstrukt ‚Mündliche Textfähigkeiten‘ mittels Beobachtung der vier Facetten Solistische Produktionsweise, Repräsentation dis‐ tanter Inhalte, Textuelle Organisation und Genretypische Muster […] eingeschätzt werden [kann] [Hervorh. d. Verf.]“ (ebd., S.-15). (Vgl. ebd.) Während in den Settings von Isler et al. und Sauerborn durch die Formulierung der Aufgabe eine Erzählung gefordert ist, findet in Merklingers Setting zum dik‐ tierenden Schreiben keine Festlegung auf eine bestimmte Textsorte statt. Auch die Aufgabenstellungen unterscheiden sich voneinander: Während Merklinger bewusst auf den Begriff erzählen verzichtet, um kein Gespräch bzw. konzeptio‐ nelle Mündlichkeit herauszufordern, wird in den Aufgabenstellungen von Isler et al. und Sauerborn der Begriff erzählen verwendet. In den Settings von Isler et al. und Sauerborn haben die Kinder jeweils die Aufgabe, eine Geschichte, die ihnen lediglich in visueller Form (Bilderbuch ohne Text/ Stummfilm) präsentiert 3.4 Textproduktion im Medium der Mündlichkeit 87 wird, sprachlich darzustellen. In Merklingers Setting hingegen wird den Kindern - ähnlich wie beim Setting zum Pretend Reading der vorliegenden Studie - eine Geschichte nicht nur in visueller, sondern auch in sprachlicher Form angeboten, auf die in der eigenen Textproduktion zurückgegriffen werden kann. 88 3 Textrezeption und Textproduktion im Vorschulalter 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion In ihrem Werk Wie Kinder lesen und schreiben lernen (2011) schildern Ursula Bredel, Nanna Fuhrhop und Christina Noack Beobachtungen zum Erwerbspro‐ zess der Schriftsprache und nennen in diesem Zusammenhang das „Vorlesen” eines Bilderbuches: So imitieren schon dreijährige Kinder den Schreib- und Le‐ seprozess beispielsweise dadurch, dass sie „ein bekanntes Bilderbuch auswendig ‚vorlesen’“ (Bredel/ Fuhrhop/ Noack 2011, S. 75) und Kritzelbriefe erstellen. (Vgl. ebd.) Studien, die Pretend Reading als Methode untersuchen, existieren hingegen bislang nur wenige. Zur Darstellung des Forschungsstandes zum Pretend Reading werden zunächst internationale und nationale Studien zum Pretend Reading (Sulzby 1985) im Vorschulalter in den Blick genommen. An‐ schließend wird der Blick auf Pretend Reading in der Grundschule gerichtet. Alternative Bezeichnungen für die Methode Pretend Reading sind die Bezeich‐ nungen Emergent Storybook Reading (Sulzby 1985) bzw. storybook „reading“ (Sulzby 1985), imitierendes (Vor-)Lesen (Becker/ Müller-Brauers/ Stude 2017) und So-tun-als-ob-Lesen (Last/ Merklinger/ Wittmer 2017, S.-18). 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich „For decades parents have reported that their young children ‚memorize books‘ and act as they were reading“ (Sulzby 1988, S. 39) - so schildert Elizabeth Sulzby die Beobachtungen von Eltern, die bemerkten, dass ihre Kinder so tun, als würden sie ein Buch vorlesen. Sulzby untersucht dieses als Pretend Reading bezeichnete Verhalten von Kindern in verschiedenen Studien. Es folgt zunächst eine Darstellung von Studien zum Pretend Reading von Sulzby, bei denen die Entwicklungskomponente eine zentrale Rolle spielt. In ihrer Publikation Children’s Emergent Reading of Favorite Storybooks: A Development Study (1985) diskutiert Sulzby die Ergebnisse zweier Studien (Studie I und Studie II) zum Pretend Reading (vgl. Sulzby 1985). Ein Fokus liegt auf der Weiterentwicklung eines Klassifikationsschemas, um Entwicklungsmuster beim Emergent Storybook Reading bei Kindern abzubilden. An diesem hatte 49 Sulzby, Elizabeth (1981): Kindergarteners begin to read their own compositions: Begin‐ ning readers‘ development knowledge about written language project. Final report to the Research Foundation of the National council of Teachers of English. Evanston, IL: Northwestern University. 50 Diese Studie wird vorgestellt in: Sulzby, Elizabeth (1983): Children’s emergent abilities to read favorite storybooks. Final report to the Research Foundation of the National Council of Teachers of English. Evanston, IL: Northwestern University. Sulzby (1981) 49 bereits mit früher erhobenen Daten gearbeitet. (Vgl. Sulzby 1985, S.-462) Im Rahmen von Studie I wird die Existenz der Kategorien und Unterkategorien des entwickelten Klassifikationsschemas am Datenmaterial weiter überprüft. Zudem wird erforscht, ob sich bei den Kindern Veränderungen im Laufe der Zeit feststellen lassen. (Vgl. ebd., S. 463) An Studie I nahmen 24 Kindergarten‐ kinder im Alter von vier bis sechs Jahren teil. Am Anfang und am Ende des Kindergartenjahres fand jeweils ein Interview mit dem Titel General Knowledge About Written Language statt. Zu diesem Interview sollte jedes Kind eines seiner Lieblingsbilderbücher aus der Klassenraumsammlung mitbringen. Gegen Ende des Interviews forderte die Interviewerin oder der Interviewer das Kind mit den Worten „Read me your book“ (ebd.) auf, das mitgebrachte Buch „vorzulesen“. Erwiderte das Kind, dass es nicht lesen könne, wurde es mit den Worten „Well, pretend you can. Pretend-read to me“ (ebd.) von der Interviewerin oder vom Interviewer ermutigt. Weitere mögliche Ermutigungen waren „What can I do to help? What do you want me to do? How will that help? “ (ebd.). (Vgl. ebd., S.-463) Sulzby stellt vier Kategorien und elf Unterkategorien (Levels) vor, die die Entwicklung des Emergent Storybook Reading bei Kindern abbilden sollen (vgl. ebd., S. 465-474). Diese Levels werden im Zusammenhang mit der Darstellung weiterer Ergebnisse von Sulzby (1988) dargestellt. Der Vergleich der Levels, die Kinder am Anfang und am Ende des Kindergartenjahres erreichten, ergab, dass die Mehrheit der Kinder (16 von 24) beim zweiten Messzeitpunkt ein höheres Level erreichte (vgl. Sulzby 1985, S.-474). Studie II befasst sich mit der Konstanz des Verhaltens beim Storybook Reading einzelner Kinder und mit altersbedingten Unterschieden (vgl. ebd., S. 463). Die Daten, auf die sich die vorgestellten Ergebnisse beziehen, wurden im Rahmen einer Longitudinalstudie  50 erhoben, die aus vier einzelnen Studien (vgl. ebd., S. 475) und vier Fallstudien (vgl. Sulzby 1988, S. 44) besteht. In jeder Sitzung mit einer Interviewerin oder einem Interviewer „las“ ein Kind jeweils zwei Bilderbücher „vor“. In den ersten drei Studien wurden die Bilderbücher von der 90 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion Lehrperson eingeführt und den Kindern wiederholt vorgelesen. Für die vierte Studie wurden jeweils zwei aktuelle Lieblingsbücher der Kinder verwendet. (Vgl. Sulzby 1985, S.-476) Es wurden die Prozentzahlen für den Fall ermittelt, dass die beiden „Vorlesever‐ suche“ eines Kindes innerhalb einer der vier Studien der gleichen Unterkategorie (Level) zugeordnet wurden und für den Fall, dass sie entweder der gleichen oder einer angrenzenden Unterkategorie zugeordnet wurden. „There is […] some evidence that children’s emergent reading behaviors are relatively stable across familiar storybooks“ (ebd., S. 477). Bis auf einige Ausnahmen konnten die beiden „Vorleseversuche“ eines Kindes entweder der gleichen oder einer angrenzenden Unterkategorie zugeordnet werden. Die Mehrheit der Ausnahmen lässt sich dadurch erklären, dass Kinder sich weigerten, das erste Bilderbuch „vorzulesen“, das zweite Bilderbuch jedoch „vorlasen“. Beim „Vorlesen“ ihrer aktuellen Lieb‐ lingsbücher (vierte Studie) war die Nähe der von den Kindern erreichten Levels in der jeweiligen Studie noch höher als beim „Vorlesen“ der Bücher aus den ersten drei Studien. (Vgl. ebd., S.-476f.) Die von Sulzby und weiteren Forscherinnen und Forschern identifizierten Entwicklungsmuster weisen darauf hin, dass Kinder folgende Entwicklung durchmachen: Während sie zunächst einzelne Seiten des Buches wie einzelne Einheiten behandeln, behandeln sie später das ganze Buch als Einheit. (Vgl. ebd., S. 478) Merkmale von geschriebener Sprache, die in den „vorgelesenen“ Texten der Kinder identifiziert werden konnten, ließen sich auf der Ebene der Formulierungen finden. Zudem erinnerten Intonationen an die Tätigkeit des Vorlesens (vgl. ebd., S. 479): Characteristics of ‚written language’ that can be found in children’s storybook reading speech include (a) wording that is more appropriate for written than oral discourse, and (b) intonation patterns that sound like reading rather than conversing or storytelling. (Ebd.) In ihrer Publikation A Study of Children’s Early Reading Development berichtet Sulzby (1988) von der bereits erwähnten Longitudinalstudie zum Storybook-Reading-Verhalten von zweibis vierjährigen Kindern in einer Kindertagesstätte in den USA (vgl. ebd., S.-39). Die in 1: 1-Situationen stattfindenden Storybook-Reading-Situationen wurden folgendermaßen initiiert: Die Interviewerin oder der Interviewer ließ das Kind aus einer Box ein Plüschtier auswählen. Das „vorzulesende“ Buch wurde vom Kind manchmal aus dem Klassenraum mitgebracht und manchmal aus einer Box ausgewählt. Nach der Frage, warum das Kind das jeweilige Buch 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 91 ausgewählt hat, bekam es den Auftrag, das Buch der Interviewerin oder dem Interviewer und dem gewählten Plüschtier vorzulesen. Weigerte sich das Kind, das Buch vorzulesen oder äußerte, dass es noch nicht lesen könnte, griffen die Interviewenden auf eine Zusammenstellung von Ermutigungen zurück: Zum Level 1 gehörten die Äußerungen „Try.“, „Do your best.“ und „Give it a try.“ Zum Level 2 zählten die Äußerungen „Pretend.“ und „Pretend-read it.“ „I can help you.“ und „What do you want to read? “ (ebd., S. 42) gehörten zum Level 3 und Level 4 bestand aus den Äußerungen „I can help you.“ und „Let’s read it together.“ (ebd.). (Vgl. ebd.) „The study […] presents evidence that children aged 2 through 4 show develop‐ mental patterns when attempting to read from storybooks which they have selected as ‚favorites‘“ (ebd., S. 70). Sulzby konnte - wie bereits erwähnt - im Hinblick auf die Storybook-Reading-Situationen elf Unterkategorien identifi‐ zieren, die im Folgenden kurz erläutert werden. Beim labelling and commenting (Level 1) blättert ein Kind auf eine Seite, zeigt auf ein Objekt und benennt oder kommentiert es. Bei Level 2, dem following the action, spricht das Kind über jedes Bild als einzelne Einheit, aber erzählt keine Geschichte, die über das ganze Buch geht. Typischerweise wird Sprache mit dem Zeigen verbunden. Bei Level 3, dem dialogic storytelling, äußert das Kind Dialoge zu den Figuren auf den Bildern. Bei Level 4, dem monologic storytelling, ist die vom Kind erzählte Geschichte monologisch, während die Syntax und bestimmte Phrasen wie eine erzählte Geschichte klingen. Zudem ist die Geschichte auch kontextabhängig: „The story is context-dependent, assuming that both the child ‚reader‘ and the adult can see the pictures in the book“ (ebd., S. 54). Bei Level 5, dem reading and storytelling mixed, baut das Kind Abschnitte, die wie geschriebene Sprache klingen, in Abschnitte ein, die wie gesprochene Sprache klingen. Beim reading similar-to-original story, dem Level 6, weisen die Formulierungen und Betonungen Ähnlichkeiten zur geschriebenen Sprache auf, unterscheiden sich aber ein wenig von der Originalgeschichte des Bilderbuches. Dabei bildet das Kind oft Muster (engl.: patterns), die ähnlich sind zu denen des Bilderbuches oder zu denen ähnlicher Bücher. „Children often insert ‚pattern of three‘ or other repetitive patterns into stories“ (Sulzby 1988, S. 57). (Vgl. ebd., S. 49-70) An dieser Stelle leuchtet ein Bezug zu den Beobachtungen Beckers auf, die bei Nacherzählungen von Kindern die mehrfache Wiederholung rhythmischer Elemente und die Bedeutsamkeit der Zahl Drei bei solchen Wiederholungen beobachtet (vgl. Becker 2017, S. 163). „More typically, the child may simply come close to the actual story, without showing the effort to retrieve the verbatim story“ (ebd., S. 57). Auf Level 7, dem reading verbatim-like story, lassen sich Selbstkorrekturen des Kindes beobachten, die darauf hindeuten, dass das Kind 92 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion versucht, die wirkliche Geschichte des Bilderbuches wiederzugeben. Sulzby widerspricht der Auffassung, Storybook Reading - im Sinne eines Auswendig‐ lernens - als Routine und belanglos anzusehen: Children have been described as ‚memorizing‘, or ‚just memorizing‘ a book as if that behavior is rote and inconsequential. In this highest level before the child is attempting to read from print, the child shows an awareness and partial memory for stretches of the text that is not rote, but is highly effortful and conceptual. (Ebd., S.-57) Auf Level 8, dem „refusing to read based upon print awareness“ (ebd., S. 60), weigern sich Kinder vorzulesen, weil sie das Bewusstsein für die Schrift haben. „I don’t know the words“ (ebd.) kann dabei eine Aussage von Fünfjährigen sein. Auf Level 9, dem reading aspectually, befassen sich die Kinder mit ein bis zwei Aspekten von Schrift. Dies können beispielsweise Wörter oder die Phonem-Graphem-Korrespondenz sein. Während das Kind auf Level 10, dem reading with strategies imbalanced, noch nicht unabhängig lesen kann, ist das auf Level 11, dem reading independently, möglich. (Vgl. ebd., S.-49-70) Die dargestellte Studie gibt Hinweise darauf, dass sich bei den Kindern Fähigkeiten zur Unterscheidung zwischen geschriebener und gesprochener Sprache entwickeln: „The patterns of ‚reading‘ contain evidence of children’s developing distinctions between written and oral language” (ebd., S.-70). Die Fähigkeit, zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch un‐ terscheiden zu können, spielt auch in den Ausführungen von Purcell-Gates eine bedeutsame Rolle. Es folgt ein Überblick über Ergebnisse einer Studie von Purcell-Gates, die im Gegensatz zu Sulzby nicht das „Vorlesen“ eines bereits bekannten Bilderbuches untersucht, sondern Kinder mündliche Texte zu textlosen Bilderbüchern „vorlesen“ lässt. Dabei arbeitet sie kontrastiv mit einer Aufgabe zum Erzählen eines Erlebnisses und zum „Vorlesen“ einer Geschichte (vgl. Purcell-Gates 2001, S.-15). Exemplarisch zeigt Victoria Purcell-Gates einen Text eines fünfjährigen Mädchens, den dieses ihrer Puppe aus einem textlosen Bilderbuch „vorliest“. Der Anfang dieses Textes lautet: „There once was a brave knight and a beautiful lady. They went on a trip, a dangerous trip“ (Purcell-Gates 2001, S. 7). „What she was doing was pretending to read orally from a wordless picture book [Hervorh. im Original]“ (ebd.) - so beschreibt Purcell-Gates die Tätigkeit des Mädchens. Nach Purcell-Gates zeigt das Mädchen im Prozess des Pretend Reading, über welche sprachliche Kompetenz sie verfügt: „In this process, she was revealing a type of language knowledge that she possessed, revealing linguistic competence through linguistic perfomance embedded in a congruent pragmatic context“ (ebd.). (Vgl. ebd.) 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 93 51 Purcell-Gates, Victoria (1988): Lexical and Syntactic Knowledge of Written Narrative Held by Well-Read-To Kindergarteners and Second Graders. In: Research in the Teaching of English, H. 22, S.-128-160. Im Zusammenhang mit den Studien zum Pretend Reading von Sulzby (1985) und Pappas (1991), in denen Kinder schriftlich vorliegende Narrationen „vorlasen“, die ihnen zuvor mehrfach vorgelesen worden waren, geht Purcell-Gates auf eine alternative Interpretation für das von den Kindern in diesen Situationen Gezeigte ein: Demnach werden die Kinder immer besser beim Wiederholen der häufig gehörten Sätze. (Vgl. Purcell-Gates 2001, S.-15) […] [B]oth Sulzby and Pappas could begin to trace the development of this written language over time and after experience with written text. However, with tasks such as these, the alternative explanation that children were simply getting better at repeating oft-heard sentences cannot be completely discounted. (Ebd.) Als Konsequenz begann Purcell-Gates ihre Untersuchungen zum Pretend Rea‐ ding mit einer Aufgabe, die sie entwickelte, um eine solche Interpretation zu vermeiden. Desiring to explore the hypothesis that young children, through hearing written language read to them, learn a linguistic register that is specific to the social context in which it is used (that is, storybooks and storybook reading), I designed a task that would require young children to compose this register without ever having heard a particular text. (Ebd.) In einer Studie von Purcell-Gates (1988) 51 wurden in einem randomisierten Verfahren 39 Kindergartenkinder ausgewählt, denen bereits häufig vorgelesen worden war. Purcell-Gates spricht in diesem Zusammenhang von „well-read-to kindergarten children“ (ebd., S. 15). (Vgl. Purcell-Gates 2001, S. 7-15). Diese Kinder bekamen zwei unterschiedliche Aufgaben: Die erste Aufgabe bestand darin, der Forscherin von ihrer letzten Geburtstagsfeier (oder einem ähnlichen Ereignis) zu erzählen („to tell me a recent birthday party [Hervorh. im Original]“ (ebd., S. 15)). Bei der zweiten Aufgabe wurden die Kinder aufgefordert, eine Geschichte, die in einem textlosen Bilderbuch durch Bilder erzählt wird, „vor‐ zulesen“. Dabei sollte sich die Geschichte so anhören, wie eine Geschichte aus einem Buch („to pretend to read a story told by pictures in a wordless storybook and make it sound like a book story [Hervorh. im Original]“ (ebd.)). Während durch die erste Aufgabe eine mündliche dekontextualisierte Erzählung („oral narrative“ (ebd.)) hervorgerufen werden sollte, zielte die zweite Aufgabe darauf ab, eine geschriebene dekontextualisierte Erzählung („written narrative“ (ebd.)) auszulösen. (Vgl. ebd.) 94 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion 52 Purcell-Gates, Victoria (1991): Ability of Well-Read-To Kindergarteners to Decontextu‐ alize/ Recontextualize Experience into a Written-Narrative Register. In: Language and Education, H. 5, S.-177-188. 53 Purcell-Gates, Victoria (1992): Roots of Response. In: Journal of Narrative and Life History, H. 2, S.-151-161. Neben der Überprüfung der Hypothese, dass Kinder, denen häufige vorge‐ lesen wird, Wissen über das schriftliche narrative Register haben, konnte Purcell-Gates durch diese Erhebung zusätzlich die Gegenhypothese überprüfen. Diese bestand darin, dass die Kinder die beim Pretend Reading gezeigte Sprache mündlich produzieren können, da sie stets auf diese Weise sprechen, wenn sie Erzählungen nacherzählen. (Vgl. ebd., S.-15f.) The data from this study, with its within-subject analysis, strongly confirmed that these children differentiated oral and written narrative language within their overall language knowledge and could produce each different register given the appropriate social context. (Ebd., S. 16) Purcell-Gates Auswertungen (Purcell-Gates 1988, 1991 52 , 1992 53 ) der darge‐ stellten Studie zeigen, dass die Kinder in den beiden Situationen nicht das gleiche linguistische Register wählten: [T]hese five-year-olds, when placed in a typically oral language social context of telling someone about a past event, did not talk in the same way as they did when they were placed in a typical written language social context of reading aloud from a book [Hervorh. im Original]. (Purcell-Gates 2001, S. 16) Die Register, auf die für das Pretend Reading von den Kindern zurückgriffen wurde, unterschieden sich in den folgenden Merkmalen von denen, die bei der Produktion der mündlichen Narrationen („oral narratives“ (ebd.) verwendet wurden: [T]hey were syntactically more integrated; they were lexically more literary and varied; they were lexically and syntactically more involving through the use of high-image verbs, image-producing adverbials, and attributive adjectives; and they were more decontextualized through appropriate endophoric reference use. (Ebd.) Die Sprache, die die Kinder in den beiden Situationen jeweils wählten, unter‐ schied sich hinsichtlich des Wortschatzes, der Syntax und dem Grad der Dekon‐ textualisierung. Die genannten Faktoren werden als bedeutsam für Emergent Literacy und den frühen Erfolg beim Lesen erachtet, so Purcell-Gates. (Vgl. ebd.) 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 95 Eine weitere Studie zum dekontextualisierten Sprachgebrauch wurde von Cu‐ renton, Craig und Flanigan (2008) durchgeführt. Dabei wurde der Gebrauch von dekontextualisierter Sprache in unterschiedlichen story contexts in den Blick genommen, wobei Pretend Reading in einem der drei Settings erprobt wurde. Das Hauptziel der Studie von Stephanie M. Curenton, Michelle J. Craig und Nadia Flanigan bestand darin, den Gebrauch von dekontextualisierter Sprache in Mutter-Kind-Konstellationen zu erforschen, indem Unterschiede beim Ge‐ brauch von dekontextualisierter Sprache bei Vorschulkindern und Müttern in drei unterschiedlichen Kontexten („story contexts“ (Curenton/ Craig/ Flanigan 2008, S. 177)) untersucht wurden (vgl. ebd.). Das Sample bestand aus 33 Müttern und Kindern, wobei die Kinder im Schnitt ein Alter von 51 Monaten hatten. Zudem hatten die Familien unterschiedliche ethnische und sozioökonomische Hintergründe. (Vgl. ebd., S. 166) Es wurden jeweils drei Interaktionen zwischen Mutter und Kind durchgeführt: „Story-telling (an oral narrative), Story-reading (a shared reading task), and Story-creating (an emergent reading)“ (ebd., S. 177). Zunächst fand eine Story-creating interaction statt, bei der das Kind das Bilder‐ buch Snowy Days (1962) von Keats, das ihm von der Interviewerin oder vom Interviewer bereits bei einem Hausbesuch vorgelesen worden war, „vorlesen“ sollte. Bei der zweiten Interaktion handelte es sich um eine Story-reading interaction, bei dem die Mutter dem Kind ein weiteres Buch vorlas. Beim dritten Setting erzählte die Mutter ihrem Kind eine erlebte Geschichte aus ihrer Vergangenheit. (Vgl. ebd., S.-168) Die in den drei Interaktionen verwendete Sprache von Mutter und Kind wurde hinsichtlich des dekontextualisierten Sprachgebrauchs analysiert (vgl. ebd., S. 170). Dabei konnte festgestellt werden, dass die Kinder im Story-creating Kontext (Pretend Reading) mehr dekontextualisierte Sprache gebrauchten als in den anderen zwei Kontexten. So verwendeten die Kinder beim Pretend Reading eine höhere Anzahl an Konjunktionen, wobei es sich meist um Konnektive wie die Konjunktion and handelte, mehr Adverbien und mehr einfache erweiterte Nominalphrasen. Curenton et al. sprechen hier von einem Moderationseffekt („moderation effect“ (ebd., S. 182)), der sich auch darin zeigte, dass die Kom‐ mentare der Kinder in diesem Kontext eine stärker dekontextualisierte Sprache aufwiesen als in den anderen zwei Settings. Den Grund für dieses Verhalten sehen die Autorinnen in der Verantwortung, die dem Kind mit der Aufgabe übertragen wird: These moderation effects illustrate that when children were responsible for creating a story, they made more decontextualized comments than when they listened to their mothers tell a story because the responsibility of narrating fell on them, and they had to accommodate for this responsibility by producing specific and detailed talk. (Ebd.) 96 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion So schließen die Autorinnen: „These findings demonstrate that when children are permitted to use their creative energy, they are actually able to express themselves in a sophisticated manner“ (ebd.). Auch konnte aus der Art, wie sie das Buch hielten, geschlossen werden, dass viele Kinder aufgrund dieser Verantwortung stolz waren. „Some children even pretended to be the adult during the interaction by asking questions and by pointing to the pictures“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Die Ergebnisse der Studie zeigen somit, dass die Aufgabe, ein Buch nachzuer‐ zählen, den Kindern die Möglichkeit eröffnet, komplexe Sprache zu üben: „These findings from the Story-creating context are inspiring because they demonstrate that using a book to retell a story provides an opportunity for children to practice using compley talk“ (ebd.). Beobachtungen zum dekontextualisierten Sprachgebrauch konnten bei Familien mit niedrigem und mit mittlerem Ein‐ kommen festgestellt werden (vgl. ebd., S. 183). Mit Blick auf die Ergebnisse ihrer Studie können die Forscherinnen schlussfolgern: „The key recommendation from researchers, educators, and policymakers has been ‘Parents read to your children.’ Our results suggest that this advice should be augmented by ‘… and allow your children to pretend to read to you! ’” (Ebd.) Zu prüfen, welche Frage- und Kommentartechniken von Eltern und Lehrpersonen sich eignen, um den Gebrauch von dekontextualisierter Sprache bei Kindern zu unterstützen, nennen Curenton et al. als Forschungsdesiderat. (Vgl. ebd.) An dieses Forschungsdesiderat knüpft die vorliegende Studie an, indem sie in Anlehnung an den Design-Based Research-Ansatz das Verhalten der oder des Erwachsenen in einer Pretend-Reading-Situation mit einem Kind evaluiert und Instruktionen zur Herausforderung von monologischer Textproduktion und dekontextualiertem Sprachgebrauch entwickelt (vgl. II.2.1). Zwei Settings der dargestellten Untersuchung von Curenton, Craig und Fla‐ nigan (2008) - Shared Reading und Emergent Reading - wurden in einer Studie von Curenton und Kennedy (2013) aufgegriffen. Das Ziel dieser Studie bestand darin, Shared Reading und Emergent Reading miteinander zu vergleichen sowie quantitative und qualitative Unterschiede zwischen den beiden Interaktionen nachzuweisen. Unter einer typischen Shared Reading Situation wird dabei ein Einzelgespräch zwischen einer oder einem Erwachsenen und einem Kind verstanden, bei dem die oder der Erwachsene dem Kind eine Geschichte vorliest und es währenddessen dazu ermutigt, aktiv involviert zu sein, indem sie oder er Fragen an das Kind stellt und ihm erlaubt, eigene Ideen mitzuteilen. (Vgl. Curenton/ Kennedy 2013, S. 1) Emergent Reading (bzw. Pretend Reading) definieren Curenton und Kennedy wie folgt: 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 97 [W]e define emergent reading as a one-on-one interaction between a parent and child in which a child uses the pictures of book, along with what they remember about the book, to retell the story perhaps with guidance from the parent in the form of questions and encouragement. (Ebd.) Anzumerken sei an dieser Stelle, dass die Autorinnen die Bedeutsamkeit der Bilder für das Emergent Reading hervorheben, indem sie sie in ihrer Definition erwähnen. Zudem verwenden sie die Formulierung „die Geschichte nacher‐ zählen“ („to retell the story“ (ebd.)), wodurch ihre Vorstellung vom Emergent Reading auf eine Reproduktion einer bekannten Geschichte abzuzielen scheint. Darauf lässt auch die Formulierung „what they remember from the book“ (ebd.) schließen. Demzufolge scheint bei dieser Vorstellung von der Methode Pretend Reading der Fall, dass ein Kind zu einem bekannten Buch auch (absichtlich) eine vom Original abweichende Geschichte „vorlesen“ darf, nicht bewusst miteinge‐ schlossen zu sein, ebenso wenig wie das von Purcell-Gates (2001) beschriebene Pretend Reading im Zusammenhang mit einem textlosen Bilderbuch. Im Zusammenhang mit der Darstellung von Ergebnissen vorangegangener Studien zum Emergent Reading im Vergleich zu anderen Vorleseinteraktionen oder mündlichen Narrationen heben Curenton und Kennedy die Besonderheit des Emergent Reading wie folgt hervor: In sum, these prior studies indicate that there is something special about emergent reading compared to other storytelling/ reading interactions in that children demonst‐ rate better skills during emergent reading than they do during other storytelling interactions […] (Ebd., S. 2) An ihrer Studie nahmen 25 Mütter und Kinder teil. Dabei wurden die ersten beiden Vorleseinteraktionen aus der dargestellten Studie von Curenton, Craig und Flanigan (2008) zum dekontextualisierten Sprachgebrauch erneut durchge‐ führt: Auch in dieser Studie wurde das Kind im ersten Setting dazu aufgefordert, das ihm bekannte Bilderbuch The Snowy Day „vorzulesen“. Im zweiten Setting wurde ihm ein Buch von der Mutter vorgelesen, wobei die Eltern instruiert wurden, das Buch auf die Weise vorzulesen, wie sie es normalerweise tun. (Vgl. Curenton/ Kennedy 2013, S.-3) Es konnte u. a. festgestellt werden, dass Mütter im Vergleich zu ihren Kindern beim Shared Reading höhere Redeanteile hatten, dass sie eine komplexere Grammatik verwendeten und mehr Fragen stellten. Beim Emergent Reading hingegen stellten die Mütter zwar ebenfalls mehr Fragen als ihre Kinder, jedoch waren die Redeanteile der Kinder höher als die der Mütter. Zudem konnte eine Tendenz dahingehend erkannt werden, dass die Kinder beim Emergent Reading eine komplexere Grammatik verwendeten. (Vgl. ebd., S.-5) 98 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion Dass das Verhalten der oder des Erwachsenen auf den dekontextualisierten Sprachgebrauch des Kindes beim Pretend Reading einen Einfluss haben kann, wird in einer Studie von Claudia Müller und Linda Stark (2016) in den Blick genommen. Nach Müller und Stark wird in deutscher Forschungsliteratur zwar die Be‐ deutung von Pretend Reading betont, jedoch mangele es an spezifischen Studien, die die Möglichkeiten dieser Methode bewerten: „Although in the German research literature the relevance of pretend reading is frequently highlighted (see, for example, Rau 1979), no specific studies to our knowledge have been carried out to assess the scope of pretend reading” (Müller/ Stark 2016, S.-5). Die Forscherinnen untersuchen in ihrer Studie das Potential des Pretend Reading (vgl. ebd. S. 6). In dem von ihnen gewählten Format werden drei be‐ deutsame Spracherwerbskontexte kombiniert: das Rollenspiel, Dialogic Reading und Pretend Reading (vgl. ebd., S. 2). An ihrer Studie nahmen 17 Elternteile (zwölf Mütter und fünf Väter) und 20 Kinder (zehn Mädchen und zehn Jungen) im Alter von drei bis sechs Jahren teil. Die Eltern bekamen die Aufgabe, ihren Kindern zunächst das Bilderbuch Der Prinz mit der Trompete (2011) von Janisch und Antoni vorzulesen. Die Wahl fiel auf dieses Bilderbuch, da es erstens den an der Studie teilnehmenden Eltern unbekannt war. Zweitens lässt sich die Sprache des Bilderbuches in vielerlei Hinsicht als literarisch bezeichnen, zum Beispiel bezüglich des Zeitformengebrauchs oder narrativer Markierungen. Zudem erinnert der Plot der Geschichte an traditionelle Märchen und auch die Figuren stammen aus ebensolchen. Nach dem Vorlesen sollten die Eltern ihre Kinder bitten, die Rolle der Leserin oder des Lesers zu übernehmen. (Vgl. ebd., S.-6) Die Forscherinnen analysierten die erhobenen Daten nach dem von ihnen modifizierten Modell von Hausendorf und Quasthoff (2005) und der Interakti‐ onsanalyse, um Einblicke in die von den Eltern gebrauchten Strategien zu bekommen, um den Rollenwechsel zu initiieren und das „Vorlesen“ des Kindes zu unterstützen (vgl. Müller/ Stark 2016, S. 6f.). Müller und Stark stellen kontrastiv zwei Fälle vor, anhand derer sie zeigen, dass die Sprachproduktion des Kindes in starkem Maße vom interaktiven Verhalten der oder des Erwachsenen abhängig ist (vgl. ebd., S. 7). Auf die Ergebnisse dieses Vergleichs wird genauer im Zusam‐ menhang mit der Darstellung der Überlegungen von Becker, Müller-Brauers und Stude (2017) zum Pretend Reading eingegangen. Nach Müller und Stark gibt es zum genannten Zeitpunkt in der deutschen Forschung keine umfassenden Belege, die Auswirkungen von Pretend Reading auf die kindliche Literalitätsentwicklung bestätigen (vgl. Müller/ Stark 2016, S. 14): 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 99 54 Hier nehmen die Autorinnen Bezug auf Lillard, Angeline S./ Lerner, Matthew D./ Hop‐ kins, Emily J./ Dore, Rebecca A./ Smith, Eric D./ Palmquist, Carolyn M. (2013): The impact of pretend play on children’s development: A review of the evidence. In: Psychol Bulletin 139, H. 1, S.-1-34. In German research, pretend reading is classified as an equally meaningful literal practice as narrating in early childhood, although there is no extensive evidence that validates the impact of pretend reading for children’s literacy development. (Ebd.) Einschränkend weisen Müller und Stark darauf hin, dass ihre Ergebnisse als vorläufig zu betrachten sind, da es sich bei ihrer Erhebung um einen qualitativen Ansatz mit wenigen Fällen handelt. Dennoch lassen sich folgende Einsichten aus ihren Daten gewinnen: Erstens gibt es - wie bereits angedeutet - Hinweise darauf, dass das interaktive Verhalten der oder des Erwachsenen bestimmt, ob das Kind letztendlich dazu in der Lage ist, sein literales Potential zu entfalten, indem es während der Pretend-Reading-Situation Gebrauch von dekontextualisierten Sprachformen macht. Ein zentraler Punkt scheint dabei im Rollenbewusstsein der oder des Erwachsenen zu liegen: „By establishing role taking sufficiently in interaction and playing the role of an active listener, the adult scaffolds the child’s performance as a reader“ (Müller/ Stark 2016, S. 14). (Vgl. ebd.) Die bedeutsame Rolle der oder des Erwachsenen bei der Durchführung einer Pretend-Reading-Situation wird in der vorliegenden Studie im Zusammenhang mit der Entwicklung von Instruktionen näher in den Blick genommen, die dazu dienen, das Kind zur Produktion einer möglichst kohärenten, monologischen Textproduktion herauszufordern (vgl. II.2.1). Zweitens weisen die Ergebnisse von Müller und Stark darauf hin, dass Scaffolding-Mechanismen der oder des Erwachsenen, auf die beim Dialogic Reading in gemeinsamen Vorlesesituationen zurückgegriffen wird, um die Sprachproduktion des Kindes zu unterstützen, in Pretend-Reading-Situationen kontraproduktiv zu sein scheinen: „they interrupt the elaboration phase and the speech production of the child“ (Müller/ Stark 2016, S. 14). Zudem scheint Pretend Reading wegen seines hohen Grads an Selbstbestimmung und Selbstentfaltung eine Nähe zum Rollenspiel zu haben. 54 Drittens weisen die Daten darauf hin, dass sich die Kinder beim Pretend Reading ein sprachliches Register erschließen, das über ihre Spracherfahrungen in der Familie und im alltäglichen Leben hinausgeht: […] the data suggests that by taking the role of the reader there is also a shift from the current potential of the child to a higher point of development (Vygotskij 2002) 100 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion as the child explores a linguistic register which exceeds his/ her language experiences in familiy and everyday interactions. (Müller/ Stark 2016, S. 14) Viertens erachten die Forscherinnen die Ergebnisse ihrer Studie nicht nur als relevant für Interaktionsstrategien bei Eltern, um die literale Sprachpro‐ duktion ihrer Kinder zu fördern. Darüber hinaus können sie für interaktive Strategien von Vorschullehrerinnen und -lehrern genutzt werden, um Pretend Reading systematisch in der Sprachförderung einzusetzen. Dabei äußern die Forscherinnen ihre Vermutung, dass in Trainingsprogrammen im Besonderen die Aufmerksamkeit auf das Rollenbewusstsein der Vorschullehrenden gerichtet werden müsse. (Vgl. ebd.) Zudem betonen Müller und Stark die Notwendigkeit, alternative Formen der Sprachförderung in Vorschulen und in Kindergärten in Deutschland zu implementieren: Partically in Germany, there is an urgent need for alternative forms of language promotion as only since the execution of international large-scale studies such as PISA […] have preschools and kindergartens been considered to provide the first and most important step in children’s educational careers”. (Ebd.) An dieser - auch von Müller und Stark aufgezeigten - Forschungslücke im deutschsprachigen Raum setzt die vorliegende Studie ebenfalls an: Pretend Reading wird als Möglichkeit der Sprachförderung im Sinne der Förderung von Textkompetenz im Vorschulalter in den Blick genommen (vgl. Kapitel I.1 zu Sprachförderung, Schrift und Text). Im Folgenden werden weitere Ergebnisse zum Pretend Reading dargestellt (Becker/ Müller-Brauers/ Stude 2017; Müller-Brauers/ Stark/ von Lehmden 2017), die sich auf die vorgestellte Datenerhebung beziehen. Dabei heben auch Tabea Becker, Claudia Müller-Brauers und Juliane Stude (2017) die bedeutsame Rolle der oder des Erwachsenen für „die Aktivierung literaler Handlungen“ (Becker et al. 2017) beim Kind in einer Pretend-Reading-Situation hervor. Becker, Müller-Brauers und Stude möchten „die Perspektive stärken, dass für den Schriftspracherwerb - unabhängig davon in welcher Sprache - vor allem die frühe Entwicklung literaler Routinen relevant ist“ (Becker/ Müller-Brauers/ Stude 2017, S. 101). Dies schließt zum einen ein, dass Kinder rezeptiv an literalen Routinen von Erwachsenen teilhaben und dadurch ihr sprachliches Wissen erweitern. Hiermit sind Routinen wie Vorlesen und Erzählen gemeint. Zum anderen können Kinder auch eigene literale Routinen ausbilden, indem sie „durch das gemeinsame Teilen dieser Routinen Modelle für die eigene Sprach‐ 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 101 55 Die Autorinnen nehmen hier Bezug auf folgende Literatur: Becker, Tabea/ Müller, Claudia (2015): Vorlesen und Erzählen im Vergleich. In: Gressnich, Eva/ Müller, Claudia/ Stark, Linda (Hrsg.): Lernen durch Vorlesen. Sprach- und Literaturerwerb in Familie, Kindergarten und Schule. Tübingen: Narr Francke Attempto, S.-77-93. 56 Die Autorinnen beziehen sich dabei auf folgende Studie: Müller, Claudia/ Stark, Linda (2016): Pretend Reading in Parent-Child-Interaction: Interactive Mechanisms of Role Taking and Scaffolding. In: Carragee, Kevin/ Mönnich, Annette (Hrsg.): Communication as Performance and the Performativity of Communication - Proceedings of the 24th International Colloquium on Communication, S.-58-75. produktion ableiten (Becker/ Müller 2015)“ 55 (Becker et al. 2017, S. 101). Mit Bezug auf Tomasello (2000) kann angenommen werden, dass sich Literalität „auf der Basis von festen Handlungsabläufen in der Erwachsenen-Kind-Interaktion und innerhalb spezifischer Handlungsroutinen herausbildet“ (Becker et al. 2017, S. 101). Kennzeichen dieser Handlungsabläufe und Handlungsroutinen und sind sozialinteraktionistische Faktoren (z. B. geteilte Aufmerksamkeit sowie Imita‐ tion) und werden durch das Medium Buch bestimmt, das für das literale Lernen sowohl den literaten als auch den literarischen Input zur Verfügung stellt. (Vgl. ebd.) Becker et al. diskutieren „buchbasierte sprachliche Handlungsmuster und -routinen“ (ebd., S. 102) zur Förderung der kindlichen Literalitätsentwick‐ lung. In diesem Zusammenhang betrachten die Autorinnen drei verschiedene Formate: klassische Eltern-Kind-Bilderbuchformate, mündliche Narrationen von Grundschulkindern und „sprachliche Handlungsformate in Situationen, in denen vorschulische, nicht-schriftkundige Kinder das (Vor-)Lesen von Büchern imitieren“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Ihre Überlegungen zum letztgenannten Format, das auch als Pretend Reading bezeichnet werden kann, werden im Folgenden dargestellt. In der Eltern-Kind-Kommunikation kann das Medium Buch der Ausgangs‐ punkt für ein Rollenspiel sein, „bei dem sich Kinder in literalen Handlungsrou‐ tinen erproben“ (ebd., S. 109). Dies konnte die Studie von Müller und Stark (2016) 56 verdeutlichen. (Vgl. Becker et al. 2017, S. 109) Becker et al. (2017) zeigen anhand eines Transkripts einer Situation imitierenden (Vor-)Lesens zwischen einem Kind und seinem Vater dreierlei: Den Einsatz von sprachlichen Formen und Erzählmustern bei der Textproduktion, die distinktiv für Kinderliteratur sind, die Imitation der Vorlesepraxis von Erwachsenen durch das Kind sowie die Verhaltensweisen des Vaters, die dem Kind helfen, literal zu handeln. (Vgl. ebd., S.-110-112) Diese drei Aspekte werden nun genauer ausgeführt. Das Kind beginnt „vorzulesen“, nachdem vom Vater der entscheidende Zugzwang in Form von der Äußerung „JETZT möchte ich gerne dass dU mir das buch mal vorliest“ (ebd., S. 110) gesetzt wurde. Dies wird u. a. am Einsatz von Erzählmustern und sprachlichen Formen, die distinktiv für Kinderliteratur 102 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion 57 In diesem Zusammenhang verweisen die Autorinnen auf folgende Studie: Stark, Linda (2015): Vorlesesituationen und literale Lernmöglichkeiten am Beispiel des deutschen Präteritums. Eine linguistische Analyse des Inputs, den erwachsene Interaktionspartner ihrem Kind bei der Bilderbuchrezeption bereitstellen. Unveröffentlichte Dissertation an der Ruhr-Universität Bochum. (insbesondere Märchen) sind, sichtbar. So nennen die Autorinnen die Wendung es war einmal, die die Erzählung einleitet, den Gebrauch des indefiniten Artikels zur Einführung des Protagonisten und den multiplen Gebrauch des Intensitätspartikels ganz, um Erlebnisse lebhaft darzustellen. Des Weiteren sind auch der Gebrauch von elaborierten lexikalischen Formen und die Verwendung des Präteritums zu nennen. (Vgl. ebd., S. 110f.) Dass das Kind die Vorlesepraxis Erwachsener imitiert, wird an der Positionierung des Buches durch das Kind deutlich sowie am Nutzen von Zeigegesten. Außerdem macht das Kind den Versuch, Figurenrede stimmlich zu variieren. Dies kann als Nachahmen eines sprachlichen Mittels bezeichnet werden, welches von Erwachsenen in Vorlese‐ dialogen häufig genutzt wird. 57 (Vgl. ebd., S.-111) Des Weiteren machen die Autorinnen anhand des Transkripts deutlich, dass der Erwachsene die Bedingungen schafft, „sodass der Rollenwechsel gelingen und das Kind implizit literal handeln kann“ (ebd., S. 112). So schlüpft der Vater in die Rolle eines zuhörenden Kindes, indem er folgende Verhaltensweisen an den Tag legt: Seine dominante Rolle in der Interaktion gibt er auf. Dass er sich in die Rolle des zuhörenden Kindes begibt, macht er dem Kind gegenüber deutlich, indem er die Formulierung „ich HÖR dir zu“ (ebd., S. 112) äußert. Außerdem lobt er das Vorlesen des Kindes und motiviert es zum „Weiterlesen“ wie ein ungeduldiges Kind es in Erwachsenen-Kind-Vorlesedialogen tut. Zudem imitiert der Vater das Einschlafen, was als typisches Verhalten eines Kindes beim Vorlesen bezeichnet werden kann. (Vgl. ebd.) Kontrastiv stellen die Autorinnen eine zweite „Vorlesesequenz“ (ebd.) zwischen einer Mutter und ihrem Kind vor, bei der keine vergleichbare Imitationsweise des Vorlesens rekonstruierbar ist. Die direkte Instruktion, dass das Kind vorlesen soll, wird vom Kind nicht gleich befolgt. Daraufhin stellt die Mutter eine Wissensfrage („wie HEIßT denn das buch? “ (ebd., S. 113)), die vom Kind nicht beantwortet wird. Ein Elaborationsversuch des Kindes wird korrigiert („sprichst du jetzt wie ein BAby? “ (ebd.)). Die Mutter unternimmt einen weiteren Elabo‐ rationsversuch, indem sie versucht, dem Kind eine strukturelle Hilfestellung zu geben: Sie aktiviert das Vorwissen des Kindes bezüglich typischer Erzählmuster (z. B. „[WIE] fangen denn normalerweise märchen an? “ (ebd.)). Weiter lenkt sie 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 103 den Versprachlichungsprozess des Kindes durch inhaltliche Fragen (z. B. „und WAS war einmal? “ (ebd.)). (Vgl. ebd., S.-112f.) Die Autorinnen schlussfolgern, dass beim Kind die Aktivierung literaler Hand‐ lungen nur dann gelingt, „wenn das Kind und der Erwachsene ihr sprachliches Handeln auf die Kommunikationssituation abstimmen; in diesem Fall das Rol‐ lenspiel mit klaren Rollen interaktiv gestalten“ (ebd., S. 114). Die Unterschiede zwischen den vorgestellten Vorlesesequenzen sind nach Becker et al. „durch das divergente Verhalten der Interaktionspartner und Schwierigkeiten bei der Rol‐ leneinnahme“ (ebd.) erklärbar. Im ersten Beispiel gelingt dieser Rollenwechsel dadurch, dass er implizit erfolgt. Zudem beruht er auf dem Imitieren der Rolle des erwachsenen Vorlesers und der Rolle des zuhörenden Kindes. Diese vertauschten Rollen verdeutlichen sich die beiden Personen einander immer wieder. Den misslungenen Rollenwechsel in der zweiten vorgestellten Vorlese‐ sequenz erklären die Autorinnen durch das dominante Interaktionsverhalten der Mutter. Sie behält „die Interaktionsstrategie des Fragens und Ergänzens der kindlichen Äußerungen bei“ (ebd.) und nimmt nicht die Rolle des kindlichen Zuhörers ein. Auf diese Weise erfolgt keine Versetzung des Kindes in die Rolle eines interaktiven Gestalters und das literale Handeln bleibt aus. (Vgl. ebd.) „Prozesse impliziten Lernens“ (ebd., S. 120) lassen sich sowohl bei den klassischen Eltern-Kind-Bilderbuchformaten, als auch bei den mündlichen Nar‐ rationen und dem imitierenden (Vor-)Lesen annehmen. Einen idealen Erwerbs‐ kontext für sprachliche Lernprozesse ermöglichen im Vorschulalter Formate mit wiederkehrenden Abläufen, so die Autorinnen. Der Text bietet „verstärkt Lernpotential, indem er konkrete Textmuster und Textroutinen als Lerngerüst bereitstellt“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Anhand einer qualitativen Analyse untersuchen Claudia Müller-Brauers, Linda Stark, und Friederike von Lehmden (2017) „wie Kinder sprachliche Strukturen des kinderliterarischen Vorleseinputs in die eigene Sprachproduktion einpassen und auf welchen sprachlichen Ebenen solche Einpassungen stattfinden [Her‐ vorh. im Original]“ (Müller-Brauers/ Stark/ von Lehmden 2017, S. 199). Zudem diskutieren sie, „unter welchen potentiellen Kontextbedingungen Einpassungs‐ prozesse wahrscheinlich werden“ (ebd.). Müller-Brauers et al. beziehen sich auf Erkenntnisse zum Erwerb von sprachlichen Strukturen. Mit Bezug auf Munro, Baker, McGregor, Docking und Arculi (2012) weisen sie darauf hin, dass Kinder schon „aus wenigen Präsentationen einer sprachlichen Äußerung in einem sog. Fast-Mapping-Prozess“ (Müller-Brauers et al. 2017, S. 200) Äußerungen reproduzieren können, ohne dass sie sie komplett analysiert haben. Mit Bezug auf Horst (2013) ergänzen Müller-Brauers et al., dass für das volle Verständnis 104 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion bzw. die robuste mentale Repräsentation jedoch Slow-Mapping-Prozesse nötig seien. (Vgl. Müller-Brauers et al. 2017, S.-200) Dabei spielen Wiederholungen im Sprachinput, die unterschiedlich situativ gerahmt sind, eine zentrale Rolle. Sie machen es möglich, dass Kinder den Input verarbeiten, behalten sowie über die einzelnen Sequenzen hinweg generalisieren und vom Kontext unabhängig verwenden können (Horst, 2013). (Müller-Brauers et al. 2017, S.-200) Beim Slow-Mapping werden „[b]esonders auffällige (kognitiv oder ontologisch saliente) Formen (Schmid, 2007)“ (Müller-Brauers et al. 2017, S. 200) im Ge‐ dächtnis tiefer verankert und sind leichter abrufbar (vgl. ebd.). Müller-Brauers et al. nehmen an, dass sich die beschriebenen grundlegenden Sprachlernprozesse insofern auch auf den Erwerb literater Strukturen, die im Vorleseinput vorkommen, übertragen [lassen], als dass bereits durch einmaliges Vorlesen eines Bilderbuches Fast-Mapping-Prozesse angeregt werden können, die beim wiederholten Vorlesen desselben Textes in Slow-Mapping-Prozesse übergehen und damit zu einer funktio‐ nalen Ausdifferenzierung literater Strukturen beitragen können. (Ebd., S.-201) Die Autorinnen analysieren zwei Beispiele aus dem bereits vorgestellten Daten‐ korpus zum Pretend Reading (Müller/ Stark 2016), in denen die Kinder nach dem Vorlesen die Geschichte wiedergaben (vgl. Müller-Brauers et al. 2017, S. 199). Die Erhebung fand im häuslichen Umfeld der Familien statt und war demzufolge wenig kontrolliert. So erhielten die Kinder zum Teil explizite Vorleseaufforde‐ rungen, während es in anderen Fällen zu buchbasierten Interaktionen kam. Diese lassen sich nach Müller-Brauers et al. als „gestützte Geschichtenwieder‐ gaben der Kinder“ (ebd., S. 201) beschreiben. Beim Fallbeispiel Ela (4; 0 Jahre) liegt eine solche gestützte Geschichtenwiedergabe vor, während die Sprachproduktion beim Fallbeispiel Oda (5; 6 Jahre) „durch einen narrativen Zugzwang durch die Mutter eingeleitet wurde“ (ebd.). Während Ela das Buch dreimal vorgelesen bekommen hat, bekam Oda das Buch nur einmal vorgelesen (vgl. ebd., S.-204). Mülller-Brauers et al. gleichen den Vorleseinput, den die beiden Kinder in der Vorlesesituation bekamen, mit dem Output ab, den sie „im Rahmen einer gelenkten Geschichtenwiedergabe produzierten“ (ebd., S. 201). Bei ihrer Analyse der Textproduktionen unterscheiden Müller-Brauers et al. zwischen lexikalischen Einpassungen, syntaktischen Einpassungen und morphologischen Einpassungen (Präteritum und Plusquamperfekt) (vgl. ebd., S. 201-204), wobei sie unter Einpassungen solche sprachlichen Strukturen im Output vom Kind verstehen, die dem Text des Bilderbuches bis auf minimale Abweichungen gleichen oder syntaktische Ähnlichkeiten aufweisen (vgl. ebd., S. 201). Es geht um Merkmale elaborierter Sprache - und zwar um „Formen mit kinderlitera‐ 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 105 turspezifischen Lexemen“ (ebd.), um „hypotaktische und komplexe syntaktische Strukturen, wie z. B. ausgebaute Nominalphrasen“ (ebd.) sowie um „narrative, im Text vorkommende Tempora wie Präteritum oder Plusquamperfekt“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Bei Ela (4; 0 Jahre) sehen Müller-Brauers et al. Potential für Slow-Mapping-Pro‐ zesse, da sie die Geschichte vor der eigenen Wiedergabe bereits dreimal rezipiert hat. Es findet eine starke Orientierung an der Vorlage statt. In Elas Text dominieren lexikalische Einpassungen, Einpassungen von starken Verben im Präteritum sowie eingepasste metaphorische Mehrworteinheiten. Hinsichtlich der eingepassten metaphorischen Mehrworteinheiten stellen Müller-Brauers et al. die Hypothese auf, dass diese möglicherweise eine lückenfüllende Funktion haben. „Ela findet womöglich keine eigenen Worte für diese metaphorischen Strukturen und greift so ohne semantische Durchdringung der Struktur voll‐ ständig auf den Wortlaut des Bilderbuchtextes zurück“ (ebd., S. 204). (Vgl. ebd.) Sowohl bei Oda als auch bei Eda scheint der Erwerb der Tempusflexion hinsichtlich der Vergangenheitstempora noch nicht abgeschlossen zu sein. Die Autorinnen gehen davon aus, „dass die korrekt flektierten Präteritumformen von starken Verben von den Kindern ausgehend vom Input reproduziert und eingepasst und nicht neu gebildet werden“ (ebd., S.-204). (Vgl. ebd.) Oda (5; 6 Jahre) löst sich stärker als Eda von der Vorlage. Sie gebraucht einige strukturelle Einpassungen, die Hinweise darauf geben, dass Oda „die darunterliegenden syntaktischen Konstruktionen zumindest teilweise versteht und anwenden kann“ (ebd.). Der Versuch einer metaphorischen Einpassung, der misslingt, zeigt nach Mülller-Brauers et al. deutlich, „inwiefern Oda sprachliche Strukturen der literarischen Vorlage in ihre eigene Sprachproduktion einzu‐ passen versucht, die sie jedoch inhaltlich noch nicht vollständig erschlossen hat“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Aus den Beobachtungen zu den zwei Fallbeispielen ziehen Müller-Brauers et al. den Schluss, „dass Kinder sprachliche Strukturen aus dem Vorleseinput mimetisch in die eigene Sprachproduktion einpassen“ (ebd.). Die Einpassungen können dabei aus lexikalischen Einheiten (Wörter, Wortkombinationen) der vorgelesenen Geschichte bestehen. Es kann sich dabei um bestimmte Wort‐ formen handeln (z. B. Verben im Präteritum oder Plusquamperfekt). Die Ein‐ passungen können aber auch „aus syntaktischen Strukturen, die direkt über‐ nommen und mit anderen Inhaltwörtern bekleidet werden“ (ebd.), bestehen. (Vgl. ebd.) Müller-Brauers et al. stellen mit Blick auf die Fallbeispiele mehrere Hypo‐ thesen auf und formulieren mögliche Erklärungen für die Beobachtungen. Eine 106 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion Vermutung besteht darin, dass während des Vorlesens beim Kind Sprachlernpro‐ zesse stattfinden, die ihm den Gebrauch elaborierter sprachlicher Strukturen in der eigenen narrativen Sprachproduktion erlaubt. Eine Erklärung für Einpassungen literater Strukturen könnte ihre auffälligere Form sein, die im Gegensatz zu den in der Alltagskommunikation genutzten Formen steht. Durch mehrmaliges Vorlesen könnten diese salienten Strukturen tiefer verankert und somit leichter abrufbar sein. (Ebd.) Aber auch „die Absicht, einen Vorlesevorgang zu imitieren“ (ebd.), oder ein starker kommunikativer Druck könnten „der Auslöser für die Wiederholung und somit die Einpassung der literaten Strukturen sein“ (ebd.). Bei der Erklärung der Einpassungsphänomene müssen jedoch auch die Faktoren wie Alter des Kindes und Häufigkeit der gehörten Strukturen berücksichtigt werden. So orientierte sich Ela morphologisch und lexikalisch stärker am vorgelesenen Bilderbuch, das sie dreimal vorgelesen bekommen hatte. Oda, die 18 Monate älter als Ela ist, das Buch jedoch nur einmal vorgelesen bekommen hatte, „nahm weniger Einpassungen von ganzen literaturspezifischen Lexemen und Phrasen vor“ (ebd.). Zudem zeigte sie einen flexibleren Tempusgebrauch. In vielen Fällen waren die satzstrukturellen Einpassungen, die sie vornahm, un‐ vollständig. „Möglicherweise ließe sich daraus schließen, dass die Frequenz der dargebotenen Strukturen im Input ein wichtiger Faktor für sprachliche Einpassungen sein könnte“ (ebd.), so die Autorinnen. (Vgl. ebd.) Müller-Brauers et al. führen eine Reihe von Forschungsfragen und weiter‐ führenden Hypothesen auf. So ließe sich als Annahme formulieren, „dass sich Vorlesefrequenz, das interaktive Vorleseverhalten, das Alter und das sprachliche Vorwissen der Kinder positiv auf die Nutzung literater Strukturen des Vorle‐ seinputs auswirken“ (ebd., S. 205). Als mögliches Forschungsdesiderat wird die Kontrastierung von sprachlichen Einpassungen in den beiden Interaktionsmodi imitierendes Vorlesen und gestützte Geschichtenwiedergabe genannt. Auch stellt sich hinsichtlich des Erwerbs literater Strukturen die Frage, ob „durch die Einpassung literater Strukturen, die das Kind noch nicht vollständig analysiert hat, eine funktionale Ausdifferenzierung literater Sprachstrukturen ermöglicht“ (ebd.) wird. Müller-Brauers et al. halten es für denkbar, dass solche Einpassungen den Kindern eine Hilfe sein können, diese gehörten Strukturen zunächst zu memorieren, „sie davon ausgehend zu durchdringen, um sie auch in anderen Kontexten flexibel einsetzen zu können“ (ebd.). Aus sprachdidaktischer Sicht könnte nach Müller-Brauers et al. […] das Passungsverhältnis von der durch den Bilderbuchtext ausgehenden Sprach‐ komplexität, dem sprachlichen Vorwissen des Kindes und der Realisierung adäquater 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 107 58 Pappas bezieht sich hier auf folgende Literatur: Spiro, Rand J./ Taylor, Barbara M. (1987): On investigating children’s transition from narrative to expository discourse: The multidimensional nature of psychological text classification. In: Tierney, Robert J./ Anders, Patricia L./ Mitchell, Judy Nichols (Hrsg.): Understanding readers‘ understanding: Theory and practice. Hillsdale, NJ: Erlbaum, S.-77-93. 59 Hier nimmt Pappas (1993) auf Spiro/ Taylor 1987 Bezug. sprachproduktiver Anlässe in den Blick genommen werden, um daraus Schlüsse für die Sprachförderpraxis zu ziehen. (Ebd.) Es lässt sich festhalten, dass die Ergebnisse der Fallanalysen nach Müller-Brauers et al. „die Bedeutung der literarischen Grundlage für den Spracherwerb“ (ebd., S.-199) unterstreichen (vgl. ebd.). Im Gegensatz zu den zuvor vorgestellten Studien, bei denen Grammatikalität bzw. dekontextualisierter Sprachgebrauch eine zentrale Rolle spielt, wird in der Studie von Pappas (1993) Narrativität in den Blick genommen: Die Studie widmet sich dem Vergleich von „vorgelesenen“ Geschichten und „vorgelesenen“ Sachbüchern. Ausgangspunkt der Studie von Christine C. Pappas ist die verbreitete An‐ nahme 58 , dass die Fähigkeit von Kindern, Narrationen zu verstehen und zu verfassen, der Entwicklung ihrer Fähigkeiten vorangeht, schriftliche Sprache zu verstehen und zu gebrauchen, die anderen Textsorten zugrunde liegt - sogenannte „non-story written language“ 59 (Pappas 1993, S.-97). (Vgl. ebd.) Die Daten zum Pretend Reading, die Pappas (1993) vorstellt, sind Teil einer größeren Studie. An dieser nahmen 20 Kindergartenkinder teil, die unterschied‐ liche sozioökonomische Hintergründe hatten. Dabei gehörten die meisten Familien der Arbeiterklasse/ Unterschicht und der Mittelschicht an. Die Daten‐ erhebung fand zu drei Zeitpunkten statt, wobei sich die von Pappas dargestellten Ergebnisse auf die ersten zwei Erhebungszeitpunkte beziehen. In allen drei Erhebungsphasen wurden jeweils zwei unterschiedliche Bücher verwendet - eine Erzählung (story) und ein Sachbuch (information book). Den drei Datener‐ hebungssitzungen ging eine Einführungssitzung voraus. In dieser wurde den Kindern sowohl ein Sachbuch als auch das Bilderbuch Fix-It (1984) von McPhail vorgelesen. Im Anschluss daran durften die Kinder wählen, welches der beiden Bücher sie selbst „vorlesen“ wollten. Die Geschichte Fix-It endet damit, dass die Protagonistin Emma ihrer Puppe eine Geschichte „vorliest“, die ihr von ihrer Mutter zuvor mehrfach vorgelesen wurde. Auf diesen Inhalt wurde in der Studie bei der Überleitung zum Pretend Reading zurückgegriffen: „When it was time to take their turn to read, we acknowledged that they might not be able to read the book for real, but suggested that they could read it their own 108 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion way - they could pretend read it just like Emma [Hervorh. im Original]“ (ebd., S. 102). Jede der drei Datenerhebungsphasen umfasste drei Tage. Am ersten Tag wurde dem Kind jeweils zuerst die jeweilige Geschichte vorgelesen. An diese Tätigkeit schloss sich das Pretend Reading des Kindes an. Anschließend wurde dem Kind das Sachbuch vorgelesen, gefolgt vom Pretend Reading des Kindes. Am zweiten und am dritten Tag wurden ebenfalls beide Bücher von der oder dem Erwachsenen vorgelesen und anschließend vom Kind „vorgelesen“, wobei das Kind jeweils die Wahl hatte, mit welchem Buch begonnen werden sollte. Bei der Durchführung der Pretend-Reading-Situation wurde versucht, die Routinen einer gemeinsamen Vorlesesituation zu simulieren: „When children took their turns, they were in charge of the books - they held the book, turned the pages, and so forth. Thus, the study attempted to simulate the routines found in typical book-sharing settings“ (ebd., S.-102). (Vgl. ebd., S.-101f.) Äquivalent zu der bereits geschilderten Beobachtung, dass ein einjähriges Mädchen seine Stimmmelodie veränderte, wenn es einer erwachsenen Person ein Buch zum Vorlesen brachte (vgl. Dehn/ Sjölin 1996, S. 1143), konnte auch in dieser Studie beim Pretend Reading der Kinder der Gebrauch einer „Vorlese‐ stimme“ beobachtet werden: „All children used a reading voice in their pretend reading that could easily be distinguished form their conversation to the adult reader“ (Pappas 1993, S. 102). Zudem konnte festgestellt werden, dass die Mehrheit der Kinder das Sachbuch der Geschichte vorzog (vgl. ebd., S. 125). Als wichtige Eigenschaften, die Narrationen und Sachbücher voneinander un‐ terscheiden, nennt Pappas Koreferentialität („co-referentiality“) bei Narrationen und Co-Klassifizierung („co-classification“) bei Sachbüchern (vgl. ebd., S. 103). Ein weiteres Ergebnis der Studie besteht darin, dass Kinder beim Wiedergeben der Sachbücher genauso erfolgreich waren wie bei der Wiedergabe der Ge‐ schichten (vgl. ebd., S. 125): „The data presented […] indicate that young children are able to sustain co-referentiality in stories and co-classification in information books; they are able to acquire knowledge through the written texts of the two respective genres“ (ebd.). Bedeutsam ist nach Pappas ein Verständnis der Kinder dafür, dass es verschiedene Textstrukturen in unterschiedlichen schriftlichen Genres gibt, mit denen verschiedene Funktionen erfüllt werden können. Die Daten ihrer Studie zeigen, dass Kinder eine solche Aufgabe bewältigen können. (Vgl. ebd., S.-127) To become literate, the young child has to come to terms with certain important characteristics of written language that are different from spoken language - its sustained organization, its disembedded quality. And, children need to understand that different conventional rhythms and structures are expressed in different written 4.1 Pretend Reading im Elementarbereich 109 genres to meet various social purposes in our culture. The data presented here suggest that young children are capable of taking on such a task. So the challenge is: What changes will we need to make so that children have enough opportunities to extend the functional potential of language so they can gain full access to literacy? (Ebd., S.-126f.) In der vorliegenden Studie werden - im Gegensatz zu den vorgestellten Studien zum Pretend Reading im Vorschulalter - die Bedeutsamkeit der Musterhaftigkeit für die Textproduktion der Kinder in den Fokus gerückt und Beziehungen zwischen Kindertext und Bilderbuchtext im Detail herausgearbeitet. Zudem wird Pretend Reading als Textproduktionsprozess aus der Perspektive der Schreibforschung beleuchtet und in Beziehung zu Polanyis Theorie impliziten Wissens gesetzt. Nach Wittmer (2021) steht Forschung zu der Frage aus, „welche Zugänge zu Elementarer Schriftkultur das Pretend Reading zu Bilderbüchern ermöglicht“ (Wittmer 2021, S. 144). Exemplarisch geht er dieser Frage anhand eines Auszugs aus einer Pretend-Reading-Situation mit zwei fünfjährigen Kin‐ dern nach (vgl. ebd.). Im Pretend-Reading-Text zeigen sich nach Wittmer Spuren ihrer Rezeption. Dabei erzählen die Kinder „die Bilderbuchvorgabe nicht nach, sondern erzählen sie neu - sie konstruieren ihren eigenen Bilderbuchtext und erproben sich dabei im Literarischen wie Sprachlichen“ (ebd., S.-147). 4.2 Pretend Reading in der Grundschule Die folgende Darstellung des Forschungsstandes zum Einsatz der Methode Pretend Reading in der ersten sowie in der dritten Klasse macht deutlich, dass im Pretend Reading sowohl ein Potential zur Initiierung sprachlicher Lernprozesse als auch literarischer Lernprozesse gesehen werden kann. Nach Sandra Last, Daniela Merlinger und Sascha Wittmer lesen Kinder beim Pretend Reading Bilderbücher „aus der Erinnerung“ (Last/ Merklinger/ Wittmer 2017, S. 18) vor. Sie produzieren eigene Texte zu dem, was sie gehört haben, wobei eine Orientierung „an Formulierungen der Schriftlichkeit“ (ebd.) statt‐ findet. Sie „transformieren […] die sprachlichen Muster der Vorgabe und machen sie sich zu eigen - eine Möglichkeit für sprachliches Lernen“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Pretend Reading kann jedoch nicht nur als Lernsituation gesehen werden, sondern auch als Beobachtungssituation für Lehrende dienen (vgl. ebd., S. 19). So kann ein Transkript aus einer Pretend-Reading-Situation einen Einblick geben, „über welche Erfahrungen Kinder im Umgang mit Literarität und Schriftsprache verfügen“ (ebd.). Last et al. stellen zwei Beispiele vor, wie Pretend Reading in der 110 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion Grundschule genutzt werden kann, von denen sich eine Möglichkeit auf erste Klassen und eine weitere auf dritte Klassen bezieht. Kombiniert werden kann Pretend Reading in der ersten Klasse mit dem Einsatz von Lese-Hör-Kisten (vgl. Hüttis-Graff 2012), die Hörspiele und zugehörige Bilderbücher enthalten. „Lies deinen Mitschülerinnen und Mitschülern ein Bilderbuch deiner Wahl so vor, als ob du schon lesen kannst“ (Last et al. 2017, S. 18), schlagen Last et al. als Arbeitsauftrag vor. Last et al. analysieren die mündliche Textproduktion eines Erstklässlers, der sprachliche Strukturen der Geschichte transformiert und eigene Vorstellungsbilder in Sprache formt. Der Text weist sowohl Merkmale von Mündlichkeit und als auch Merkmale konzep‐ tioneller Schriftlichkeit auf. Zu letzteren gehören der Gebrauch hypotaktischer Satzkonstruktionen, das Nutzen des Präteritums - „die für literarische Texte typische Form“ (ebd., S. 19) sowie sein eindrucksvoller Umgang mit dem Begriff Phobie. (Vgl. ebd.) Pretend Reading kann ebenfalls in höheren Klassenstufen als didaktische Möglichkeit eingesetzt werden. Als Ausgangspunkt einer solchen Überlegung nennen Last et al. die Frage „wie in inklusiven Lernkontexten auch diejenigen an Schriftkultur und insbesondere am Vorlesen teilhaben können, die nur schwer selbständig lesen können“ (ebd.). Nach Last et al. gilt Pretend Reading jedoch für alle Kinder als eine Herausforderung. (Vgl. ebd.) Eine Möglichkeit, Erstklässlern einen Zugang zum Pretend Reading zu ermöglichen, besteht darin, Kinder aus dritten Klassen den Arbeitsauftrag zu geben, „das Pretend Reading so in einer Dreiergruppe zu üben, dass sie es später Erstklässlern vortragen können“ (ebd.). Dazu müssen die Texte der Bilderbücher abgeklebt werden. (Vgl. ebd.) Ein Forschungsprojekt zum Pretend Reading in der Grundschule trägt den Titel „Pretend Reading: Zugänge zu Bilderbüchern in gereimter Sprache - eine explorative Studie in Klasse 3“ (Merklinger/ Wittmer 2018, S. 309). Mit Verweis auf Studien zum Pretend Reading aus dem angloamerikanischen Sprachraum konstatieren Merklinger und Wittmer, dass präliterale Vorschulkinder fähig seien, beim Pretend Reading „im Modus konzeptioneller Schriftlichkeit“ (ebd.) zu formulieren. (Vgl. ebd.) Das Pretend Reading kann dabei sowohl als Lernals auch als Erhebungsinstrument genutzt werden, da es einerseits Kindern - in Abhängigkeit von ihren literacy-Er‐ fahrungen - einen Zugang zu konzeptioneller Schriftlichkeit eröffnen kann und andererseits einen Einblick gibt, welche Erfahrungen sie bereits im Umgang nicht nur mit Literalität - die im weitesten Sinne an den Gebrauch von Buchstaben gebunden ist - sondern auch mit Literarität gemacht haben. (Ebd.) 4.2 Pretend Reading in der Grundschule 111 60 Es findet eine Orientierung an den Ausführungen von Dehn (2005) zum Schreiben als Transformationsprozess statt (vgl. Merklinger/ Schüler 2018, S. 318): Dehn, Mechthild (2005): Schreiben als Transformationsprozess. Zur Funktion von Mustern: literarisch - orthographisch - medial. In: Dehn, Mechthild/ Hüttis-Graff, Petra (Hrsg.): Kompetenz und Leistung im Deutschunterricht. Spielraum für Muster des Lernens und Lehrens. Ein Studienbuch. Freiburg: Fillibach, S.-8-32. Merklinger und Wittmer bezeichnen Pretend Reading ähnlich wie das diktierende Schreiben als eine Möglichkeit für Schülerinnen und Schüler, „im Medium der Mündlichkeit zu formulieren und dabei konzeptionelle Schriftlichkeit zu erproben“ (ebd., S. 310). Im Forschungsprojekt wird zum einen der Frage nachgegangen, welche sprachlichen Transformationsprozesse  60 „sich beim Pre‐ tend Reading zu Bilderbüchern in gereimter Sprache bei DrittklässlerInnen rekonstruieren“ (ebd.) lassen. Zum anderen wird der Blick auf den Reim und den Rhythmus der verwendeten Bilderbücher gelegt und untersucht, wie diese von den Kindern beim Pretend Reading genutzt werden. (Vgl. ebd.) Zur Datenerhebung wurden fünf dritten Klassen gereimte Bilderbücher vorgelesen, während fünf weitere dritte Klassen Prosaversionen dieser Bücher vorgelesen bekamen. Mit den Kindern wurde zunächst ein kurzes Vorlesege‐ spräch nach Spinner (2010) durchgeführt. Das Bilderbuch wurde ihnen erneut ohne Vorlesegespräch vorgelesen. Während eine Hälfte der Klasse eine schrift‐ liche Anschlussaufgabe bekam, erhielt die andere Hälfte eine mündliche. Die Schrifttexte der Bilderbücher wurden zur Bearbeitung der Anschlussaufgaben abgeklebt. Die mündliche Anschlussaufgabe bestand darin, einer oder einem Studierenden, die oder der beim Vorlesen der Bilderbücher abwesend war, das textlose Bilderbuch vorzulesen. Die mündliche Aufgabenstellung lautete: Du hast (Bilderbuchtitel) zweimal gehört. Ich war beim Vorlesen nicht dabei. Dieses Buch hat keinen Text, nur Bilder (blättern, zeigen). Tu so, als ob du den Text trotzdem vorlesen würdest. So, wie du den Text in Erinnerung hast - mit deinen Worten. (Merklinger/ Wittmer 2018, S.-311) Während der Pretend-Reading-Situation hatten die Studierenden keinen Blick auf die Bilder des Bilderbuches, was die Kinder in einem stärkeren Maße zum dekontextualisierten Sprachgebrauch anregen sollte. Am Ende der Erhebung hatte jedes Kind drei schriftliche und drei mündliche Anschlussaufgaben bear‐ beitet. Der didaktische Rahmen bestand darin, dass die Drittklässlerinnen und -klässler in Gruppen Erstklässlerinnen und -klässlern ein Bilderbuch im Pretend Reading Modus vorlasen, um sie zu befähigen, das gleiche zu tun. (Vgl. ebd.) Merklinger und Wittmer zeigen anhand der Analyse eines Transkriptaus‐ zugs, inwiefern sich beim Pretend Reading stattfindende sprachliche Transforma‐ 112 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion tionsprozesse rekonstruieren lassen (vgl. ebd., S.-319f.). Explizit sei auf folgende Beobachtung hingewiesen: Das Kind „wiederholt Wörter und Strukturen des Bilderbuches an anderer Stelle als in der Bilderbuchvorgabe verwendet“ (ebd., S. 322). Merklinger und Wittmer bemerken auch anhand weiterer Transkripte, „dass Kinder Wörter und Strukturen des Bilderbuches an anderer Stelle als in der Bilderbuchvorgabe transformieren“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Exemplarisch zeigt das von Merklinger und Wittmer vorgestellte Beispiel, dass Kinder „beim Pretend Reading das Sprachmaterial aus der Vorgabe in der Art eines ‚impliziten Scaffolding‘ verwenden“ (ebd. S.-324). (Vgl. ebd.) Anhand der exemplarischen Analyse der Textproduktion des Drittklässlers lassen sich zusammenfassend folgende Orientierungen für sprachliche Trans‐ formationen identifizieren: Erstens können Transformationen auf lexikalischer Ebene stattfinden. Wörter werden wörtlich übernommen und werden „in eine neue syntaktische Struktur eingebaut“ (ebd., S. 324). Zweitens werden syntak‐ tische Strukturen aus der Vorlage übernommen und um weitere Wörter ergänzt. Drittens können klangliche Ähnlichkeiten Gegenstand von Transformations‐ prozessen sein. Viertens besteht die Möglichkeit, dass vom Kind ein Bildaspekt der Vorgabe in Sprache transformiert wird. Fünftens können bei den Transfor‐ mationen Veränderungen auf morphematischer Ebene stattfinden. (Vgl. ebd., S. 324f.) Nach Merklinger und Wittmer geben die work-in-progress-Befunde Hinweise darauf, „dass Pretend Reading durch den materialisierten Gebrauch des Mediums Bilderbuch einen konzeptionell schriftlichen Sprachgebrauch provoziert“ (ebd., S. 325). Zudem regen gereimte Bilderbücher, die als Vorgabe im erprobten Pretend Reading Setting dienen, auf verschiedenen Ebenen zu sprachlichen Transformationsprozessen an. (Vgl. ebd.) Wittmer (2019) beschäftigt sich zudem mit der Frage, „welche Potenziale dem Pretend Reading für die Äußerung von Vorstellungsbildern zu einer literari‐ schen Vorgabe innewohnen“ (Wittmer 2019, S. 95). Dabei bezieht er sich auf Daten der vorgestellten Erhebung. Pretend Reading umschreibt Wittmer mit Hilfe der Formulierung etwas neu erzählen: „Die DrittklässlerInnen erzählen beim Pretend Reading die Geschichte der Bilderbuchvorgabe neu“ (ebd., S. 111). (Vgl. ebd.) Nach Wittmer geben die Kinder beim Pretend Reading „Vorstellungen eine äußere Form, die sie zu dem Bilderbuch im Kopf entwickelt haben“ (ebd.). Diese Vorstellungen gehen höchstwahrscheinlich über das beim Pretend Reading Gezeigte hinaus. In seinem Beitrag präsentiert Wittmer verschiedene Transkriptbeispiele zum Pretend Reading, die exemplarisch zeigen, dass die Kinder durch das Setting angeregt wurden, verschiedene Vorstellungen zu for‐ mulieren, die „wiederum in unterschiedlichen Verhältnissen zur vorgelesenen gehörten Bilderbuchvorgabe stehen“ (ebd.). So füllt ein Kind eine Leerstelle des 4.2 Pretend Reading in der Grundschule 113 Bilderbuches, indem es die Vorstellung einer literarischen Figur formuliert. Ein anderes Kind lässt zwei Figuren des Bilderbuches einen Dialog führen, während im Bilderbuch selbst kein Dialog stattfindet, sondern lediglich ein Denken ihrer Standpunkte. Nach Wittmer geht das Kind dabei auf einen im Bilderbuch nicht explizierten Inhalt ein und formuliert eine Vorstellung, die „den Inhalt des Bil‐ derbuches modifiziert [Hervorh. im Original]“ (ebd.). Ein weiteres Kind reichert den gehörten Vorlesetext an, indem es seine Vorstellung des Kälteempfindens der Figuren durch ein Zusammenspiel von Bildtext, Sprechtext, Körpersprache und Prosodie zum Ausdruck bringt. Anders als in der Vorlesesituation zittert das Kind beim Pretend Reading in dieser Situation zusätzlich mit seinem Oberkörper und seinen Beinen. Ein anderes Kind reichert ebenfalls seinen Text an, indem es nicht nur wie im Bilderbuch formuliert, dass die Ohren einer Figur zugefroren sind, sondern noch ergänzt, die Figur könne nichts hören. (Vgl. ebd.) Dasselbe Kind formuliert eine Vorstellung, „die in einem gegensätzlichen Verhältnis zur Vorgabe steht [Hervorh. im Original]“ (ebd., S. 112). In diesem Beispiel reagiert eine Figur nicht ängstlich wie im Bilderbuch, sondern selbstsicher. Zudem verwendet dieses Kind eine Formulierung, die darauf schließen lässt, dass es „einen Inhalt in Sprache transformiert, der bis dahin nur implizit im Bildtext angelegt ist“ (ebd.). Dieser Inhalt wird im Bilderbuchtext erst zu einem späteren Zeitpunkt geäußert. Aus diesem Grund spricht Wittmer davon, dass das Kind „das Explizieren dieses Inhalts zeitlich verschiebt [Hervorh. im Original]“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Nach Wittmer geben die Analysen Hinweise darauf, dass die Methode des Pretend Reading für Schülerinnen und Schüler eine Möglichkeit sein kann, mit Kinderliteratur rezeptiv und produktiv umzugehen. Dabei können die Kinder sich im Literarischen, im Sprachlichen und im Szenischen erproben. Sie geben „Vorstellungen eine äußere Form, die über die Inhalte der Bilderbuchvorgabe hinausgehen“ (ebd.) und nutzen dazu die Deutungsspielräume, die ihnen sowohl die vorangegangene Vorlesesituation als auch der Bildtext des Bilderbuches bieten. (Vgl. ebd.) 114 4 Pretend Reading als Form der Textproduktion 5 Muster und Textproduktion In diesem Kapitel werden unterschiedliche konzeptionelle Perspektiven auf den Musterbegriff gegeben. In Anlehnung an die Einteilung von Sonja Birkle (2011), die im Rahmen ihrer Studie Erwerb von Textmusterkenntnis durch Vorlesen zum einen eine didaktische Perspektive auf Textmuster vorstellt und zum anderen Textmuster aus linguistischer Perspektive beleuchtet (wobei sie Textmuster einerseits als kognitive Konstrukte betrachtet und andererseits Dimensionen zur Beschreibung von Textmustern auf der Textebene formuliert; vgl. Birkle 2011, S. 73), soll der Musterbegriff im Folgenden aus (text)linguistischer und aus didaktischer Perspektive beleuchtet werden. Neben der Darstellung verschie‐ dener Vorstellungen von Musterhaftigkeit wird auf den Zusammenhang von Mustern und Textproduktion eingegangen und der Frage nach dem Verhältnis von Formelhaftigkeit und Kreativität bei der Textproduktion nachgegangen. Zudem wird das Konzept der Intertextualität in den Blick genommen, das stark mit dem Gebrauch von Mustern bei der Textproduktion in Verbindung steht und als Grundlage verschiedener didaktischer Konzepte zur Textproduktion dient. Des Weiteren wird die poetische Funktion der Sprache ( Jakobson 1972) mit Musterhaf‐ tigkeit in Verbindung gebracht und die bedeutsame Rolle von Musterhaftigkeit im Spracherwerb herausgestellt. Nach einer vergleichenden Darstellung der verschiedenen Vorstellungen von Mustern bzw. Musterhaftigkeit schließt das Kapitel mit der Vorstellung des der vorliegenden Studie zugrundliegenden Mus‐ terbegriffes, der - in einem induktiv-deduktiven Verfahren - sowohl durch die Beschäftigung mit theoretischen Konzepten zur Musterhaftigkeit als auch durch die Analyse der Daten aus Pretend-Reading-Situationen entwickelt wurde. 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 5.1.1 Musterhaftigkeit Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Werk Muster in Sprache und Kommunikation (2019) von Stephan Stein und Sören Stumpf. Stein und Stumpf sind davon überzeugt, „dass Idiomatik, Festigkeit, Formelhaftigkeit, Mo‐ dellhaftigkeit, Vorgeformtheit usw. keine Randphänomene einer Sprache sind, sondern dass sprachliche Musterhaftigkeit vielmehr ein grundlegendes und überaus facettenreiches Wesenselement natürlicher Sprachen ist“ (Stein/ Stumpf 2019, S. 11). Von vorgefertigten Strukturen und Einheiten wird im Bereich der Mündlichkeit und im Bereich der Schriftlichkeit tagtäglich Gebrauch gemacht. Stein und Stumpf vermuten, dass dieser Rückgriff auf Vorgefertigtes sich meist unbewusst vollzieht. (Vgl. ebd.) Sprachliche Musterhaftigkeit bezeichnen sie als ein sehr heterogenes Phänomen (vgl. ebd., S. 15). „Man denkt, wenn von Mus‐ terhaftigkeit die Rede ist, […] meistens automatisch an lexikalische Einheiten, wie sie vor allem im Rahmen von Idiomatik/ Phraseologie und Parömiologie behandelt werden“ (ebd.). Stein und Stumpf erscheint es hingegen naheliegend, ein weites Konzept von Musterhaftigkeit zu vertreten, wonach sich Musterhaftigkeit nicht nur in lexikalisch fassbaren Ausdrücken (Mehrworteinheiten), deren Untersu‐ chung in die Zuständigkeit der Phraseologieforschung und angrenzender Disziplinen wie die Parömiologie fällt, sondern auch in nur konzeptionell zu bestimmenden Struk‐ turen unterschiedlicher Art und Komplexität ausprägen kann, deren Untersuchung in die Zuständigkeit auch anderer linguistischer Teildisziplinen gehört [Hervorh. durch Verf.]. (Ebd., S.-16) Stein und Stumpf geben einen „Überblick über die vorgeformten sprachlichen Phänomene der deutschen Gegenwartssprache“ (ebd., S. 11). Dabei beleuchten sie verschiedene Ebenen sprachlicher Musterhaftigkeit. (Vgl. ebd.) Bei der folgenden Darstellung dieser sechs Ebenen liegt der Fokus auf den Ebenen, die für die vorliegende Studie von besonderer Bedeutung sind. Dieser Darstellung gehen Überlegungen von Stein und Stumpf zur Begriffsbestimmung von Mus‐ terhaftigkeit voraus. Jede Sprachteilhaberin [und jeder Sprachteilhaber], die [oder der] den eigenen wie den fremden Sprachgebrauch einigermaßen aufmerksam beobachtet, stellt unweigerlich fest, dass sich vieles wiederholt. Das gilt vor allem dann, wenn sich bestimmte Sprach‐ gebrauchssituationen selbst wiederholen, weil es die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben automatisch mit sich bringt, dass man gleiche oder ähnliche kommunikative Aufgaben bewältigen möchte oder bewältigen muss […]. (Ebd., S.-13) Es gibt kommunikative Tätigkeiten oder Routinen des Alltags (z. B. Handlungen des Begrüßens), für die innerhalb einer Sprachgemeinschaft ein Repertoire an Ausdrucksformen existiert, das als relativ fest bezeichnet werden kann. Darüber hinaus gibt es auch zahlreiche Sprachgebrauchssituationen, „denen keine Alltagroutinen zugrunde liegen, in denen sich aber dennoch Sprachge‐ brauchsmuster wiedererkennen lassen“ (ebd.). Stein und Stumpf verweisen in diesem Zusammenhang auf den Phraseologismus Öl ins Feuer gießen. (Vgl. ebd.) Aufgrund der „Heterogenität der Phänomene, die als musterhaft bestimmt 116 5 Muster und Textproduktion werden können“ (ebd., S. 19) ist eine Begriffsdefinition von Musterhaftigkeit nach Stein und Stumpf sehr schwierig. Das Grundmerkmal von Musterhaftigkeit besteht jedoch darin, […] dass in der Kommunikationspraxis etwas - sprachliche Strukturen und Aus‐ drücke, Abläufe und Abfolgen, Entstehungsprozesse, Verwendungsanlässe und -mo‐ tive - wiederholt auftritt, sodass im Ergebnis ein Produkt entsteht, dem etwas mehr oder weniger stark Wiedererkennbares anhaftet. Grundlegendes Bestim‐ mungsmerkmal für Musterhaftigkeit ist also, dass von Sprachteilhaber(inne)n in vergleichbaren Kommunikationszusammenhängen etwas - meist auf gesellschaftlich akzeptierte, wenn nicht sogar erwünschte und erwartete Weise, sofern sie eine oder sogar die sozial typisierte Art der Kommunikationsdurchführung darstellt - wiederverwendet wird [Hervorh. im Original]. (Ebd., S.-19) Musterhaftigkeit kommt auf allen sprachlichen (Beschreibungs-)Ebenen vor und kann somit „lexikalisch mehr oder weniger spezifiziert“ (ebd.) erscheinen. „[N]eben lexikalisch stark verfestigten [Strukturen umfasst sie] auch abstrakte Strukturen“ (ebd.). Dies ist in der nachstehenden Übersicht (vgl. Tabelle 2) ersichtlich. 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 117 Vorgeformtheitsphänomen Beispiele h o h e r A b s t r a k t i o n s g r a d n i e d r i g e r v o l l l e x i k a l i s i e r t (lexikalisch spezifizierte) Phraseme jmdn. auf die Palme bringen, gang und gäbe, das Weiße Haus, den Tisch decken, Guten Tag, Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein, Morgen ist auch noch ein Tag, Aller Anfang ist schwer t e i l l e x i k a l i s i e r t Wortbildungsmuster Verb(stamm) + -bar = deverbales Adjektiv mit passivisch-modaler Bedeu‐ tung: tragbar, genießbar, hörbar Modellbildungen/ Phrasem- Konstruktionen von X zu X (von Tür zu Tür), typisch X (typisch Mann), ein X von Y (ein Bild von einem Kerl) Verbvalenz berichten als dreiwertiges Verb: jmd. 1 berichtet jmdm. 2 etw. 3 formelhafte Texte Sehr geehrte Fahrgäste. In Kürze erreichen wir […]. Unser Zug endet hier. Für Ihre Anschlussmöglichkeiten achten Sie bitte auf die Ansagen am Bahnsteig. Der Ausstieg befindet sich in Fahrtrichtung […] k a u m o d e r n i c h t l e x i k a l i s i e r t Satzmuster Der Nikolaus bringt Kindern kleine Geschenke: [[NP NOM ] [VP] [NP DAT ] [NP AKK ]] mit den semantischen Rollen A G E N S , E M P F ÄN G E R und B E T R O F ‐ F E N E S im Rahmen des „geben-Modell[s]“ (nach Heringer 2001, S.-136) (ritualisierte) Gesprächsphasen Eröffnungs-, Kern- und Abschlussphase, Auskunftsersuchen und Aus‐ kunftserteilung als Teile der Kernphase im Auskunftsdialog rituelle Muster und Adjazenzpaare bzw. Paarsequenzen in Gesprächen Alltagsrituale wie Gruß-Gegengruß, Dank-Gegendank, Frage-Antwort, Vorwurf-Rechtfertigung Textsorten/ -muster, Gesprächs‐ sorten, kommunikative Gattungen Rezension, Todes- und Traueranzeige, Sprechstundengespräch, Prü‐ fungsgespräch Argumentationsmuster/ Topoi Gefahren-Topos im Einwanderungsdiskurs (vgl. Stein/ Stumpf 2019, Kap. 7) 118 5 Muster und Textproduktion Metaphern und Metaphernsysteme die letzte Reise antreten (‚sterben‘, konzeptualisiert i. S. v. L E B E N U N D T O D A L S R E I S E ), A R G U M E N T I E R E N I S T K R I E G (ein Argument ins Feld führen) Denkstereotype Der Chinese isst alles. Der Deutsche ist ordnungsliebend. Tabelle 2: Nachgebildete Übersicht über sprachlich vorgeformte Phänomene nach Stein und Stumpf (aus Stein/ Stumpf 2019, S.-18) 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 119 61 Heringer, Hans Jürgen (2001 2 ): Lesen lehren lernen. Eine rezeptive Grammatik des Deutschen. Tübingen: Niemeyer. Bei ihren Überlegungen zu Musterhaftigkeit orientieren sich Stein und Stumpf am Zentrum-Peripherie-Modell, am Ebenen-Modell idiomatischer Prägung nach Feilke (2004) und an Ansätzen aus der Konstruktionsgrammatik (vgl. Stein/ Stumpf 2019, S.-26-33). Stein und Stumpf unterscheiden zwischen Musterhaftigkeit „auf der Wort‐ ebene, der Mehrwortebene, der Satzebene, der Textebene, der Gesprächsebene und der Diskursebene“ (ebd., S. 12). Die unterste Ebene sprachlicher Musterhaf‐ tigkeit ist die Wortebene. Neue Wörter lassen sich im Deutschen mithilfe der Wortbildung produzieren - und zwar „auf der Grundlage bereits vorhandenen Sprachmaterials“ (ebd., S. 65). So vollzieht sich die Bildung neuer Wörter „auf der Basis bestimmter Wortbildungsmuster“ (ebd.). Als die zwei wichtigsten Wortbildungstypen nennen Stein und Stumpf die Komposition (z. B. „Tisch-decke“ (ebd.)) und die Derivation (z. B. „Drehung“ (ebd.)). (Vgl. ebd.). Musterhaftigkeit auf der Mehrwortebene ist für die vorliegende Studie von besonderer Relevanz. „Die Mehrwortebene kann als Dreh- und Angelpunkt der Untersuchung von Musterhaftigkeit verstanden werden“ (ebd., S.-67). Musterhaftigkeit auf der Satzebene zeigt sich in Form von sogenannten Satzmustern. Valenztheoretische Ansätze betonen, „dass das Prädikat als Zentrum des Satzes dessen Struktur in Form von Satzmustern vorgibt“ (ebd., S. 95). So bestimmt das Verb sowohl die Anzahl der in einem Satzmuster vorhandenen Stellen als auch die Art und Weise, wie diese (semantisch und formal) gefüllt werden können. (Vgl. ebd.) Es gibt verschiedene Typen von Satzmustern (vgl. ebd., S. 106ff.). Stein und Stumpf orientieren sich an Heringer (2001), 61 der zwischen ein-, zwei und dreiwertigen Modellen unterscheidet, denen sich 17 verschiedene Satzmuster zuordnen lassen. Stein und Stumpf stellen eine Auswahl dieser in verkürzter und modifizierter Form vor. (Vgl. Stein/ Stumpf 2019, S. 107ff.) Zur Illustration sei an dieser Stelle beispielshaft das zweiwertige Satzmuster genannt, das sowohl eine Nominativergänzung (Agens) als auch eine Akkusativergänzung (Betroffenes) verlangt und dabei die Bedeutung des Verbrauchens aufweist. Dieses liegt z. B. dem Satz „Sie essen/ konsumieren/ naschen Schokolade“ (ebd., S.-121) zugrunde. (Vgl. ebd.) Musterhaftigkeit auf der Textebene kann sich sowohl in der Wortwahl für bestimmte Teiltexte zeigen als auch in Kompositionen ganzer Texte (vgl. ebd., S. 123). Bei Erscheinungsformen von Musterhaftigkeit ist es naheliegend, „dass es sich […] nur teilweise um Ausprägungen lexikalischer Spezifiziert‐ heit handeln kann“ (ebd.). Sie zeigt sich „eher in der Rekurrenz abstrakter 120 5 Muster und Textproduktion 62 Stein und Stumpf (2019) beziehen sich in diesem Zusammenhang auf Sandig (2010) und Lenk (2014): Sandig, Barbara (2010): Formulierungsmuster, idiomatische Prägungen, Konstruktionen. Zum Bewerten in journalistischen Texten. In: Korhonen, Jarmo/ Mieder, Wolfgang/ Piirainen, Elisabeth/ Pinel, Rosa (Hrsg.): EUROPHRAS 2008. Beiträge zur internationalen Phraseologiekonferenz vom 13.-16.8.2008 in Helsinki. Helsinki, S. 169- 179. Lenk, Hartmut E. H. (2014): Kommunikative Routineformeln in Zeitungskommentaren. In: Kolehmainen, Leena/ Lenk, Hartmut E. H./ Tiittula, Liisa (Hrsg.): Kommunikative Routinen. Formen, Formeln, Forschungsberichte. Festschrift zum 65. Geburtstag von Prof. Dr. Irma Hyvärinen. Frankfurt a. M., S.-77-98. 63 Kühtz, Stefan (2007): Phraseologie und Formulierungsmuster in medizinischen Texten. Tübingen. Strukturen und Schemata […], auf die in einer Sprachgemeinschaft für die Bewältigung bestimmter kommunikativer Aufgaben zurückgegriffen wird“ (ebd.). Textmusterhaftigkeit auf der Textebene kann nach Stein und Stumpf sowohl makrostrukturelle und mikrostrukturelle Prägungen umfassen: Unter makrostrukturellen Prägungen sind Textstrukturen gemeint, während unter mik‐ rostrukturellen Prägungen Formulierungsmuster verstanden werden. (Vgl. ebd., S.-129) Bei Formulierungsmustern handelt es sich […] um im Sprachgebrauch (in bestimmten Kommunikations- und Handlungsbe‐ reichen, Institutionen, Textklassen oder Textsorten) usuell auftretende sprachliche Einheiten, die in einer bestimmten Form entweder mit einer bestimmten Bedeutung versehen oder für die Wahrnehmung bestimmter kommunikativer Aufgaben funktio‐ nalisiert sind. (Ebd., S.-135) Es lassen sich aufgabenspezifische Subtypen unterscheiden. So gibt es beispiels‐ weise Gliederungsbzw. Textorganisationssignale, die als metakommunikative intertextuelle Verweise fungieren und formulierungsbezogene oder formulie‐ rungskommentierende Ausdrücke sein können: Zu nennen sind hier - z. B. hinsichtlich wissenschaftlicher Texte - Formulierungen wie „Im vorigen/ voraus‐ gehenden Kapitel wurde aufgezeigt/ dargelegt/ erwähnt“ (ebd., S. 134). Als weiteres Beispiel seien Formulierungsmuster des Kommentierens/ Bewertens  62 (beispiels‐ weise in meinungsbetonten Pressetexten) genannt: „Mag sein, dass […]“ dient hier der Evidenzabschwächung. Zur Abgrenzung von Formulierungsmustern zu Phrasemen weisen Stein und Stumpf auf Überlegungen von Kühtz (2007) 63 hin: Während Phraseme meist eine stabilere Ausdrucksstruktur haben, spricht Kühtz im Zusammenhang mit Formulierungsmustern von einer variableren Musterhaftigkeit. (Vgl. Stein/ Stumpf 2019, S. 135) „Insofern haben Kenntnis und Verwendung von Formulierungsmustern zur Folge, dass zwar die Formu‐ lierungsoptionen begrenzt werden, dass aber ausreichend Variationsspielraum 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 121 verbleibt“ (ebd.). Makrostrukturelle Musterhaftigkeit liegt bei formelhaften Texten vor. Formelhafte Texte sind sprachliche Strukturen, die den Umfang von einem Satz haben können, meist jedoch einzelsatzübergreifende Einheiten darstellen. (Vgl. ebd., S.-136) Zu beobachten ist diese Art von Musterhaftigkeit auf Textebene vor allem dann, wenn kommunikative Aufgaben aus Gründen der Textproduktionsökonomie immer wieder mit ähnlichen oder sogar gleichen Textstrukturen und Formulierungen bewältigt werden (können) und dadurch für die Handlungsbeteiligten den Charakter von Routineaufgaben annehmen. (Ebd.) Als Beispiele für formelhafte Texte können u. a. Durchsagen in öffentlichen Verkehrsmitteln und Danksagungen genannt werden (vgl. ebd., S.-137). Musterhaftigkeit auf der Gesprächsebene bzw. Vorgeformtheitsphänomene in der mündlichen Kommunikation reichen nach Stein und Stumpf „von lexikali‐ schen Einheiten über syntaktische Konstruktionen bis hin zu gesprächsstruk‐ turellen und auf die Gesamtstruktur von Gesprächen einer bestimmten Sorte bezogenen Verfestigungen“ (ebd., S.-151). Musterhaftigkeit auf Diskursebene bezieht sich auf Musterhaftigkeit auf der inhaltlichen Ebene, die in einem Diskurs (einer Reihe von Texten zu einem be‐ stimmten Thema) identifiziert und analysiert werden kann (vgl. ebd., S. 177). Als sogenannte einzeltextübergreifende Ausprägungen von Musterhaftigkeit (ebd., S. 184) nennen die Autoren Argumentationsmuster bzw. Topoi, Metaphern und Denkstereotype (vgl. ebd., S. 184ff.). Musterhaftigkeit auf der Textebene sowie Musterhaftigkeit auf der Mehrwortebene werden nachfolgend genauer in den Blick genommen. Musterhaftigkeit auf der Textebene Musterhaftigkeit auf der Textebene wird exemplarisch an den Vorstellungen des Begriffes Textmuster von Teun A. van Dijk (1980), Barbara Sandig (1978), Ulla Fix, Hannelore Poethe und Gabriele Yos (2003) sowie Ulla Fix (2005) verdeutlicht. Globale „Strukturen, die den Typ eines Textes kennzeichnen [Hervorh. im Original]“ (van Dijk 1980, S. 128) bezeichnet Teun A. van Dijk als Superstruk‐ turen. „[E]ine Superstruktur ist eine Art Textform, deren Gegenstand, Thema, d. h.: Makrostruktur, der Textinhalt ist“ (ebd.). „Die Superstruktur ist also eine Art Schema, auf welches hin der Text angepasst wird [Hervorh. im Original]“ (ebd., S. 129). (Vgl. ebd., S. 128f.) Superstrukturen lassen sich auch als Textmuster bezeichnen. Martin Fix (2006) schreibt dazu: „Van Dijk (1980) differenziert […] zwischen Makrostruktur (Kernaussage) und Superstruktur (Textmuster)“ (Fix 2006, S. 79). Van Dijk illustriert Superstrukturen anhand der Erzählung. Bei einer 122 5 Muster und Textproduktion 64 Der Abschnitt zu Textmustern nach Fix et al. (2003) ist in leicht modifizierter Form in der wissenschaftlichen Hausarbeit Rückmeldungen beim Textschreiben. Überlegungen zu lernförderlichen Rückmeldungen durch den Lehrenden zu Kindertexten im Schreibunter‐ richt der Grundschule (2011) der Autorin enthalten. Erzählstruktur handelt es sich um eine Superstruktur. (Vgl. van Dijk 1980, S. 128) Folglich lässt sich eine Erzählstruktur auch als Textmuster bezeichnen. Die Definition von Textmuster, die Ulla Fix, Hannelore Poethe und Gabriele Yos (2003) aufstellen, lässt eine sehr starke Verbindung zum Textsortenbegriff erkennen: Unser Alltagswissen über Textsorten ist […] Musterwissen. Wir haben Textsorten als Muster (im Sinne der kognitiven Psychologie) gespeichert. […] Es gibt innerhalb der Muster Elemente des Normativen als Handlungsorientierung, und es gibt Nicht‐ genormtes, Freiräume, die man individuell füllen muss. […] Man kann ein Textmuster als eine Anweisung mit prototypischen Elementen und Freiräumen betrachten, das über die jeweiligen inhaltlichen, funktionalen und formalen Gebrauchsbedingungen für Texte einer Textsorte informiert […]. Unter einer Textsorte ist demnach eine Klasse von Texten zu verstehen, die einem gemeinsamen Textmuster folgen. (Fix/ Poethe/ Yos 2003, S.-25f.) Demnach lassen sich bestimmte Textsorten bestimmten Textmustern zuordnen. In diesem Fall wird Textmuster ähnlich wie der Begriff Genre gebraucht. Nach Fix werden Muster durch sogenannte hochtypische Elemente mit Signalfunktion markiert, wie beispielsweise die in Märchen verwendete Formulierung Es war einmal (vgl. Fix 2005, S.-16). 64 Barbara Sandig unterscheidet zwischen Text und Text-Handlung. Während mit Text der Äußerungsaspekt benannt ist, ist mit Text-Handlung der Handlungs‐ aspekt benannt. Dabei kann eine Text-Handlung zum einen individuell und zum andern nach einem Textmuster sein. Sandig bezeichnet Textmuster als kom‐ plexe Handlungsmuster. Für die in der Gesellschaft relevanten Handlungsarten existieren Benennungen. Diese Benennungen können wiederum unterschieden werden in allgemeinere und speziellere. So nennt Sandig als Beispiele zum einen den Bericht und die Erzählung und zum anderen den Sportbericht und den Tagungsbericht sowie das Märchen, den Witz und die Kriminalgeschichte. (Vgl. Sandig 1978, S. 69f.) Im Folgenden wird Musterhaftigkeit auf der Mehrwortebene in den Blick genommen. Dazu wird auf (sprachliche) Muster nach Bubenhofer (2009), Muster und Musterhaftigkeit nach Brommer (2018) und Phraseologismen bzw. Phraseme eingegangen. 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 123 Musterhaftigkeit auf der Mehrwortebene Das Ziel von Noah Bubenhofers Studie Sprachgebrauchsmuster. Korpuslinguistik als Methode der Diskurs- und Kulturanalyse (2009) bestand in der Entwicklung einer Methodik zur Untersuchung großer Textkorpora auf typische Muster im Sprachgebrauch (vgl. Bubenhofer 2009, S. 6). Im Rahmen dieser Studie gibt Bubenhofer einen Überblick über die Bedeutungsvielfalt des Begriffs Muster. Zunächst klärt er mit Bezug auf Kluge (1995) den Ursprung des Wortes Muster, das auf das italienische Wort mostra zurückzuführen ist. Dieses kann mit den Begriffen Probestück, Ausstellung und Auslage übersetzt werden. (Vgl. Bubenhofer 2009, S. 18) Dabei ist ein Probestück einerseits „das erste erstellte Objekt, das vorher nur als Plan existierte“ (ebd.) und andererseits ein Demons‐ trationsobjekt. Es zeigt, wie die Objekte, die noch herzustellen sind, aussehen werden. „In diesem Sinne ist es die Vorlage für die zu erstellenden Objekte“ (ebd.). Bubenhofer illustriert diese Vorstellung mit Hilfe der Herstellung von Ravioli. Dabei erfüllt der erste Prototyp zwei Funktionen: Er soll erstens zeigen, ob das Rezept (der Plan) funktioniert und zweitens dient er als Vorlage für alle weiteren Ravioli, die herzustellen sind. (Vgl. ebd.) Bei dieser Verwendungsweise von Muster hebt Bubenhofer Folgendes als interessant hervor: Das Probestück ist (mehr oder weniger) von gleicher Klasse wie die in der Folge sich daran orientierenden ‚endgültigen‘ Objekte. Es handelt sich somit beim Probestück nicht um den Plan, sondern um ein Objekt, dem der Status der Vorlage zuerkannt wird. (Ebd., S.-19) Bubenhofer geht neben der Bedeutung Probestück noch auf weitere Bedeu‐ tungen des Begriffes Muster ein, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit nicht erläutert werden. (Sprachliche) Muster definiert Bubenhofer mit Hilfe von drei Eigenschaften: Erstens handelt es sich bei einem (sprachlichen) Muster um einen Zeichenkomplex. Ein (sprachliches) Muster kann „eine Wortform, eine Verbindung von Wortformen oder eine Kombination von Wortformen und nichtsprachlichen Elementen“ (ebd., S. 23) sein. Zweitens dient ein (sprach‐ liches) Muster „als Vorlage für die Produktion weiterer Zeichenkomplexe“ (ebd.). Drittens ist ein (sprachliches) Muster „von gleicher Materialität […] wie die daraus entstehenden Zeichenkomplexe“ (ebd.). Zu einem großen Teil deckt sich diese Definition von Muster mit der bereits erläuterten Idee vom Probestück, so Bubenhofer. Eine wichtige Komponente eines Musters ist, dass etwas zu einem Muster (Vorlage) gemacht wird, es jedoch nicht per se ist. „Jeder Zeichenkomplex kann in einer bestimmten Situation die Funktion eines Musters übernehmen“ (ebd.). (Vgl. ebd.) „Ein Muster kann nur auf einer analytischen Ebene im Nachhinein festgestellt werden“ (ebd., S.-24). 124 5 Muster und Textproduktion Die Instanzen, die Musterfunktion aufweisen, können Phrasen wie […] Kampf gegen den Terrorismus sein, die bezüglich verwendeter Wortformen und lexikalischen Fül‐ lungen genau definiert sind, oder aber auch Phrasen wie KAMPF GEGEN X, die Slots für variable Füllungen offen halten [Hervorh. im Original]. (Ebd.) In ihrer Studie Sprachliche Muster: eine induktive korpuslinguistische Analyse wissenschaftlicher Texte (2018) verfolgt Sarah Brommer das Ziel, sprachliche Muster induktiv korpuslinguistisch zu bestimmen, „die typisch für den Sprach‐ gebrauch in wissenschaftlichen Texten sind“ (ebd., S. 51). Brommer lehnt sich bei ihrer Definition von Muster an Bubenhofers Musterbegriff (2009) an (vgl. Brommer 2018, S. 52). Daran, dass nach Bubenhofer ein Muster sowohl eine Wortform als auch eine Verbindung von Wortformen sein kann, wird deutlich, dass ein Muster eingliedrig und mehrgliederig sein kann. (Vgl. ebd.) Brommer bezeichnet aus mindestens zwei Elementen bestehende muster‐ hafte Wortverbindungen als n-Gramme. „Die Bezeichnung ‚n-Gramm‘ impli‐ ziert, dass es sich um eine beliebig umfangreiche Form handelt, die aus n Elementen bestehen kann“ (ebd., S. 65). Musterhafte Einzelwörter bezeichnet Brommer hingegen als Keyword. (Vgl. ebd.) Brommer operationalisiert Bubenhofers Musterbegriff, indem sie ihn um wei‐ tere drei Kriterien erweitert: Rekurrenz, Signifikanz und Typizität. So zeichnet sich ein Muster erstens durch wiederkehrenden Gebrauch aus (Rekurrenz). Als zweites Kriterium nennt Brommer Signifikanz, die sie in Relation zur Textsorte ermittelt und als drittes Kriterium gilt nach Brommer Typizität: Muster zeichnen sich durch Gebundenheit an bestimmte Verwendungskontexte aus. (Vgl. ebd., S.-53ff.) Anhand der sieben von Brommer im Rahmen ihrer Studie entwickelten Kategorien lässt sich ihr Musterbegriff illustrieren: Nominalgruppe (NGr), z. B. Einfluss + NP Gen / PP auf ; Überblick (über) - Verbalgruppe (VGr), z. B. sich um etw. handeln; eine Rolle spielen - Adjektivgruppe (AdjGr), z. B. spezifisch; jeweilige(n) - Partizipgruppe (PtGr), z. B. bedingt durch; bezogen auf - Adverbgruppe (AdvGr), z. B. darüber hinaus; folgendermaßen - Konjunktionalgruppe (KonGr), z. B. wie bereits + Partizip; so dass - Präpositionalgruppe (PrGr), z. B. in hohem Maß, in/ mit Bezug auf. (Ebd., S. 10) Im Folgenden wird der Blick auf Phraseologismen bzw. Phraseme gerichtet. „Die terminologische Vielfalt (böse Zungen behaupten Verwirrung! ) in der Phraseologie ist berühmt-berüchtigt und problematisch“ (Palm 1995, S. 2), so eine Aussage von Christine Palm. Äquivalente Ausdrücke zum Begriff Phraseo‐ logismus sind nach Harald Burger phraseologische Wortverbindung und feste Wortverbindung - im Gegensatz zu der freien Wortverbindung (vgl. Burger 2010, 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 125 65 Die Ausführungen zu Phraseologismen sind zum Großteil der wissenschaftlichen Hausarbeit der Autorin zum Thema Phraseologismen in Werbekommunikation. Eine funktional-pragmatische Analyse (2013) entnommen, die sie im Rahmen des Seminars Pragmatik an der Universität Kassel verfasste. S. 11). Als weitere Begriffe seien die phraseologische Wendung und die idiomati‐ sche Wendung genannt (vgl. dazu Janich 2010, S. 174). Weitere Synonyme sind die Ausdrücke Phrasem und Idiom (vgl. Donalies 2009, S. 1). Nach Palm werden Phraseme wiederum auch als Phraseolexeme, Idiome, Wortgruppenlexeme, feste Wendungen oder Redensarten bezeichnet (vgl. Palm 1995, S. 2). Nachfolgend werden verschiedene Definitionen und Konzepte von Phraseologismen darge‐ stellt: 65 Phraseologismen nach Burger (2010, 2015), Phraseme nach Donalies (2009) und formelhafte sprachliche Einheiten nach Stein (1995). Nach Burger (2010) lassen sich Phraseologismen im weiteren Sinne und Phrase‐ ologismen im engeren Sinne unterscheiden (vgl. Burger 2010, S. 14). Phraseolo‐ gismen im weiteren Sinne verfügen über zwei Eigenschaften: Polylexikalität und Festigkeit (vgl. ebd.). Unter Polylexikalität wird Folgendes verstanden: Ein „Phraseologismus besteht aus mehr als einem Wort“ (ebd.). Die unterste Grenze der Wortmenge, die einen Phraseologismus bilden, sind somit zwei Wörter (vgl. ebd., S. 15). Uneinigkeit besteht indes darüber, ob diese Wörter Autosemantika (z. B. Öl) oder Synsemantika (z. B. und) sein sollen. Burger bezeichnet „jede feste Kombination von zwei Wörtern“ als Phraseologismus und somit rechnet er auch aus zwei Synsemantika bestehende Ausdrücke wie bei weitem und so dass zu den Phraseologismen. Als obere Grenze phraseologischer Wortverbindungen gilt der Satz. Aber auch kleinere Texte wie Sprüche, Gedichte und Gebete können einen den Phraseologismen vergleichbaren Status haben, wenn sie zum Sprachbesitz größerer Gruppen gerechnet werden. (Vgl. ebd.) Festigkeit bedeutet in Bezug auf Phraseologismen, dass sie „in einem synchronen Sprachquerschnitt ‚gebräuchlich‘“ (ebd.) sind. „Der Phraseologismus ist mental als Einheit ‚gespei‐ chert‘ ähnlich wie ein Wort, er kann als ganzer abgerufen und reproduziert werden“ (ebd., S.-16). Phraseologismen im engeren Sinne weisen neben Polylexikalität und Festigkeit zusätzlich die Eigenschaft der Idiomatizität auf. Die Teilklasse von Phraseo‐ logismen, die alle drei Kriterien erfüllen, werden nach Burger auch Idiome genannt (vgl. ebd., S.-14). Burger bezeichnet einen Ausdruck als idiomatisch im semantischen Sinn, wenn zwischen phraseologischer und wörtlicher Bedeutung des Ausdrucks eine Diskrepanz besteht. Bei der semantischen Idiomatizität handelt es sich um eine graduelle Eigenschaft von Phraseologismen: Die Stärke der Diskrepanz zwischen den zwei erwähnten Bedeutungsebenen bestimmt, wie 126 5 Muster und Textproduktion 66 Routineformeln sind ebenfalls unter den Begriffen kommunikative Formel und Sprech‐ aktformel bekannt (vgl. Donalies 2009, S.-5). stark idiomatisch ein Phraseologismus ist. (Vgl. ebd., S. 30) Zu den idiomatischen Phraseologismen gehört beispielsweise Öl ins Feuer gießen (vgl. ebd., S. 31). „[A]us der freien Bedeutung der Komponenten und deren Zusammenfügung“ (ebd., S. 30) lässt sich nicht durch eine semantische Regel die phraseologische Bedeutung ableiten (hier: einen Streit noch verschärfen) (vgl. ebd.). Idiomatische Wortverbindungen werden auch als Idiome bezeichnet (vgl. ebd., S. 37). Als teil-idiomatisch lassen sich Phraseologismen wie einen Streit vom Zaun bre‐ chen bezeichnen, die aus einer idiomatischen Komponente (hier: vom Zaun brechen) und einer Komponente, die ihre freie Bedeutung beibehält (hier: einen Streit), bestehen. Ausdrücke, bei denen keine oder lediglich eine minimale Diskrepanz zwischen wörtlicher und phraseologischer Bedeutung vorliegt (z. B. sich die Zähne putzen) werden als nicht-idiomatisch bezeichnet. (Vgl. ebd., S. 30) Nicht-idiomatische Wortverbindungen gehören somit zu den Phraseologismen im weiteren Sinne, während idiomatische und teil-idiomatische Wortverbin‐ dungen zu den Phraseologismen im engeren Sinne gerechnet werden (vgl. ebd., S.-31). Burger unterscheidet in Bezug auf die Zeichenfunktion zwischen referenti‐ ellen, strukturellen und kommunikativen Phraseologismen. Strukturelle Phraseolo‐ gismen haben lediglich „die Funktion, (grammatische) Relationen herzustellen“ (ebd., S. 36) (z. B. in Bezug auf). Kommunikative Phraseologismen hingegen erfüllen eine Aufgabe in kommunikativen Handlungen (z. B. Guten Morgen). Phraseologismen, die dieser Gruppe zugeordnet werden, können auch als Routineformeln  66 bezeichnet werden. (Vgl. ebd.) Referentielle Phraseologismen beziehen sich auf Sachverhalte, Objekte oder Vorgänge der Wirklichkeit (z. B. Schwarzes Brett) (vgl. ebd., S. 36). Die dritte Kategorie Burgers soll im folgenden Abschnitt genauer dargestellt werden. Burger stellt eine weitere Differenzierung der referentiellen Phraseologismen vor (vgl. ebd., S. 36ff.). Er unterscheidet zwischen referentiellen Phraseolo‐ gismen, die Objekte oder Vorgänge bezeichnen (wie z. B. das Schwarze Brett) und solchen, mit denen Aussagen über Vorgänge oder Objekte gemacht werden (z. B. Morgenstund hat Gold im Mund). In diesem Zusammenhang verwendet Burger eine auf Gläser (1990) zurückgehende Terminologie, indem er von nominativen (erste Gruppe) und propositionalen, (zweite Gruppe) Phraseologismen spricht. Während nominative Phraseologismen satzgliedwertig sind, sind propositionale Phraseologismen satzwertig. Nominative Phraseologismen untergliedert Burger gemäß ihrer Idiomatizität (vgl. Burger 2010, S. 37): Für die nicht- oder schwach‐ 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 127 idiomatischen Phraseologismen verwendet Burger den von Gläser (1990) und Feilke (1994) gebrauchten Terminus Kollokation. Somit unterscheidet Burger zwischen Kollokationen, Teil-Idiomen und Idiomen. Propositionale Phraseolo‐ gismen unterteilt Burger in zwei große Gruppen: Feste Phrasen und Topische Formeln (vgl. Burger 2010, S. 36ff.). Unter festen Phrasen werden satzwertige Formulierungen verstanden, „die in der Regel explizit an den Kontext ange‐ schlossen sind“ (ebd., S. 39) und zwar durch bereits verfestigte Komponenten oder vom Sprecher formulierte Elemente. Feste Phrasen wie das ist ja die Höhe beziehen sich auf den vorangegangenen Gesprächsbeitrag oder die Situation. (Vgl. ebd.) Topische Formeln hingegen bezeichnen satzwertige Formulierungen, die im Gegensatz zu den festen Phrasen generalisierende Aussagen bilden, die auch ohne die Einbindung in einen Kontext aus sich heraus verständlich sind. Es lassen sich auch hier zwei Hauptgruppen unterscheiden: Sprichwörter und Gemeinplätze. Gemeinplätze formulieren im Gegensatz zu den Sprichwörtern Selbstverständlichkeiten und keine „neuen“ Einsichten. Die „tautologische“ Formulierung Was sein muss, muss sein wird zu den Gemeinplätzen gezählt, während Morgenstund hat Gold im Mund als Sprichwort bezeichnet wird. (Vgl. ebd., S.-41) Auch Burger macht Gebrauch vom Begriff Muster. So gibt es nach Burger typische Muster, „nach denen strukturell ähnliche Phraseme gebildet werden können“ (Burger 2015, S. 54). Zu diesen bekannten Mustern gehören Modellbil‐ dungen, Paarformeln, komparative Phraseme und Funktionsverbgefüge. Idiomati‐ sche Sätze und Sprichwortmuster sind Fälle von Mustern, die erst in jüngster Zeit entdeckt wurden (Vgl. ebd., S. 54-60). Im Folgenden werden diese sechs Fälle von Mustern kurz erläutert. Modellbildungen sind nach Burger zum einen „nach einem Strukturschema gebildet, dem eine konstante semantische Interpretation zugeordnet ist und dessen autosemantische Komponenten lexikalisch (mehr oder weniger) frei besetzbar sind“ (ebd., S. 54). Zur Illustration nennt er das Modell X um X, dessen Bedeutung sich mit „‚ein X nach dem anderen‘“ (ebd.) umschreiben lässt (Glas um Glas). Zum anderen gibt es auch Modelle, denen unterschiedliche Interpre‐ tation zugeordnet werden können, abhängig von der lexikalischen Besetzung. Dies zeigt Burger am Modell „von X zu X“. Während im Beispiel von Mann zu Mann ein „wechselseitiger Austausch von [vertraulichen? ] Informationen zwischen Männern“ (ebd.) gemeint ist, hat von Tag zu Tag die Bedeutung „stetige Entwicklung“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Paarformeln sind auch als Zwillingsformen bekannt. „Paarformeln werden nach dem gleichen Muster gebildet“ (ebd.). Dabei werden zwei Wörter der gleichen Wortart (oder zweimal das gleiche Wort) mit einer Konjunktion oder 128 5 Muster und Textproduktion 67 Konversion. Präposition verbunden. Als Beispiele nennt Burger u. a. Schulter an Schulter und dick und fett. Paarformeln weisen oft „auffallende rhetorische Merkmale“ (ebd., 55) auf wie den Stabreim („frank und frei, fix und fertig, klipp und klar“ (ebd.)). Paarformeln können nicht-idiomatisch sein (dick und fett), teil-idioma‐ tisch (klipp und klar) und idiomatisch (gang und gäbe). Paarformeln sind des Öfteren auch ein Bestandteil von größeren phraseologischen Einheiten. Dies gilt insbesondere für verbale Phraseme wie beispielsweise „mit jmdm. durch dick und dünn gehen“ (ebd., S.-56). (Vgl. ebd., S.-55f.) Komparative Phraseme (oder auch phraseologische Vergleiche) „enthalten einen festen Vergleich, der häufig der Verstärkung eines Verbs oder Adjektivs dient“ (ebd., S. 56). Beispiele für diese Kategorie sind frieren wie ein Schneider und flink wie ein Wiesel. (Vgl. ebd., S.-56) Funktionsverbgefüge enthalten ein aus einem Verb nominalisiertes Nomen und „semantisch ‚leere‘ Verben“ (ebd., S. 57), zum Beispiel jmdm. Hilfe leisten. (Vgl. ebd., S.-57f.) Idiomatische Sätze folgen bestimmten Mustern, „die sowohl in semantischer als pragmatischer Hinsicht mehr oder weniger einheitlich konventionalisiert sind“ (ebd., S. 58). Burger erläutert idiomatische Sätze an folgendem Beispiel und bezieht sich dabei auf Finkbeiner (2008): „Das ist (ja/ doch) zum + KONV 67 “ lautet die Formel für das Muster, das auf verschiedene Arten realisiert werden kann: „Das ist (ja/ doch) zum Mäusemelken! (…) Das ist (ja/ doch) zum Auf-die-Aka‐ zien-Klettern! “ (Finkbeiner 2008, S. 90, zit. n. Burger 2015, S. 58). Burger spricht von „Realisierungen des Musters“ (Burger 2015, S. 58). Der Sprecher empfindet „Verzweiflung/ Ärger/ Wut wegen Sachverhalt“ (Finkbeiner 2008, S.-149, zit. n. Burger 2015, S.-58; vgl. dazu auch Steyer 2012, S. 308). Steyer (2012) konnte zeigen, dass es Sprichwortmuster gibt, welche aus variablen Slots und festen lexikalischen Sprichwortkomponenten bestehen, so Burger. So ist das Sprichwort Dummheit schützt vor Strafe nicht eine Realisierung des Musters [SUB NICHT-WISSEN schützt vor Strafe nicht.]. Es kann auch als Realisierung der abstrakteren Strukturformel [X schützt vor Y nicht] bezeichnet werden. (Vgl. Burger 2015, S.-59) Auffällig an Burgers Verwendung des Begriffes Muster ist, dass er damit eine Art Konstruktionsprinzip beschreibt. Muster können realisiert werden. Im Ver‐ gleich zu Stein und Stumpf (2019) bezeichnet Burger nur eine Untergruppe der Phraseologismen explizit als Muster (Modellbildungen, Paarformeln, komparative Phraseme, Funktionsverbgefüge, idiomatische Sätze, Sprichwortmuster), während 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 129 nach Stein und Stumpf Phraseologismen als Muster (auf der Mehrwortebene) bezeichnet werden können. Ein polylexikalischer Ausdruck kann in einem literarischen Text „zu einer Art fester Wendung werden“ (Burger 2015, S. 49). Diese hat nur innerhalb dieses Textes seinen Sinn. Als Beispiel nennt Burger mit Bezug auf Fleischer (1997) den polylexikalischen Ausdruck auf den Steinen sitzen im Roman Buddenbrooks. Diesem Ausdruck weisen die Figuren „eine Art ‚Privatbedeutung‘“ (Burger 2015, S. 49) zu. (Vgl. ebd.): „Diese Steine waren seit dem ersten Tage zwischen den beiden zur stehenden Redewendung geworden. ‚Auf den Steinen sitzen‘, das bedeutete: ‚Vereinsamt sein und sich langweilen‘“ (Mann 2011, 3. Teil, 8. Kap.). Solche polylexikalischen Ausdrücke werden als Autorphraseme bezeichnet (vgl. Burger 2015, S. 49; Fleischer 1997, S. 67) Fleischer spricht von „einem selbstge‐ schaffenen Phraseologismus“ (Fleischer 1997, S. 67). Während Burger von Phraseologismus spricht, verwendet Elke Donalies den Begriff Phrasem. Es werden zunächst unterschiedliche Funktionen und anschlie‐ ßend verschiedene Strukturen von Phrasemen dargestellt. Donalies arbeitet eine Reihe von Funktionen von Phrasemen heraus. Es werden ausgewählte Funktionen dargestellt, die für die vorliegende Arbeit relevant sind. „Phraseme versprachlichen Begriffe auf besonders griffige Art [Hervorh. d. Verf.]“ (Donalies 2009, S. 46). Des Weiteren ermöglichen sie Menschen, sich effizienter zu verständigen (vgl. ebd., S. 48). Sie vereinfachen die Kommunikation. Ferner haben Phraseme auch eine ästhetische Wirkung. (Vgl. ebd., S. 55f.) Ohnehin produzieren und rezeptieren wir alle ständig und seit jeher Phraseme […]. Auch dieses letzten ästhetischen Arguments wegen: Weil Phraseme uns gefallen. Offenbar mögen wir es, sie zu machen, sie zu entdecken, sie zu verwenden und zu verwandeln. (Ebd., S.-56) Es gibt zwei Strukturtypen von Phrasemen: Satzteilphraseme und Satzphraseme. Satzteilphraseme bleiben in Texten als Einheiten zusammen. Sie „[…] werden en bloc in Sätze eingebaut“ (ebd., S. 57) und als „wortäquivalent“ eingestuft. Satzteilphraseme lassen sich unterteilen in Substantivphraseme (z. B. Zimmer mit Aussicht), Adjektivphraseme (z. B. flink wie ein Wiesel), Verbphraseme (z. B. in Erfahrung bringen) und Phraseme anderer Wortarten (z. B. bis zu). (Vgl. ebd., S.-57f.) Bei den meisten Satzphrasemen handelt es sich um Deklarativsätze (z. B. Wer die Wahl hat, hat die Qual). Donalies bezieht sich auf Lüger (ebd. 1999, S. 105- 110), der vier phrasemische Satztypen voneinander unterscheidet: Einfachsätze 130 5 Muster und Textproduktion (Der Klügere gibt nach.), Satzreihen (Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser), Satzgefüge (Man tut, was man kann.) und elliptische Satzverbindungen (Aus den Augen, aus dem Sinn.). (Vgl. Donalies 2009, S. 91) Eine weitere Untergruppe der Satzphraseme sind die Phraseoschablonen. Da diese für die vorliegende Studie von großer Bedeutsamkeit sind, werden die Phraseoschablonen detaillierter vorgestellt. Unter Phraseoschablonen werden relativ frei füllbare Schablonen verstanden. Polciask (2007) spricht von phraseologisch syntaktischen Mustern (vgl. Donalies 2009, S. 101f.). Phraseoschablonen lassen sich auch als syntaktisch-sematische Struktur bezeichnen, „deren Bedeutung [..] unabhängig von der lexikalischen Füllung schon markiert ist“ (Palm 1995, S. 68), so Christine Palm. Als Beispiel für Phraseoschablonen führt Donalies unter anderem das phraseologisch syn‐ taktische Muster „X bleibt X“ an. Auf dieses phraseologisch syntaktische Muster wurde in Formulierungen wie Mainz bleibt Mainz - wie es singt und lacht oder Doof bleibt doof - da helfen keine Pillen zurückgegriffen. (Vgl. Donalies 2009, S. 101f.) Eine andere Phraseoschablone ist die „Wiederholung des finiten Verbs, verbunden durch ‚und‘“ (Palm 1995, S. 69). Als Beispiele dafür nennt Palm Das wird und wird nicht sowie Die Farbe trocknet und trocknet nicht (Vgl. ebd., S. 68). Phraseoschablonen und Modellbildungen können laut Stein und Stumpf gleichgesetzt werden. Es handelt sich dabei um ein „Strukturschema mit se‐ mantischer Invariante und relativ frei autosemantisch besetzbaren Leerstellen“ (Stein/ Stumpf 2019, S.-77). (Vgl. ebd.) In seiner Arbeit Formelhafte Sprache (1995) verfolgte Stephan Stein mitunter das Ziel, „das Verhältnis zwischen sprachlicher Kreativität (Stichwort: Ausdrucks‐ variation) und Formelhaftigkeit (Stichwort: Ausdruckskonstanz) zu beleuchten“ (Stein 1995, S. 18). Ein weiteres Ziel bestand darin, „zu prüfen, inwiefern der Rekurs auf Formelhaftigkeit als Entlastungsstrategie im mündlichen und schriftlichen Textproduktions- und Modellierungsprozeß modelliert werden kann“ (ebd.). Auf das Verhältnis von Musterhaftigkeit und Kreativität wird unter Kapitel I.5.1.3 näher eingegangen. Zunächst werden Steins Vorstellungen von formelhaften sprachlichen Einheiten in den Blick genommen. Die Begriffe Formel, Formelhaftigkeit und formelhaft sind in der linguistischen Forschung weniger etabliert als die Begriffe Phraseologismus, phraseologisch und Phraseologie, so Stein. Die erst genannten Begriffe fungieren als relativ unscharfe Ober- und Sammelbegriffe. Stein nimmt für den Begriff formelhaft eine eigene Begriffsbestimmung vor. (Vgl. Stein 1995, S. 45) Er unterscheidet zwi‐ schen syntaktischen Ausdrucksstereotypen (dazu rechnet er unter anderem Phra‐ seoschablonen und Modellbildungen, Satzmuster und Funktionsverbgefüge), 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 131 „semantischen“ Ausdrucksstereotypen, auch idiomatische Wendungen genannt (z. B. Zwillingsformen, Redewendungen, Phraseolexeme, feste Vergleiche und Sprichwörter) und pragmatische Stereotypen bzw. formelhafte Wendungen. Die dritte Kategorie unterteilt er noch einmal in gesprächsspezifische und schreib‐ spezifische formelhafte Wendungen. Die gesprächsspezifischen formelhaften Wendungen lassen sich wiederum in situationsgebundene (z. B. Grußformel, Scheltformel, Essensformel) und situationsungebundene (wie Gesprächssteue‐ rungsformel und Aufmerksamkeitsappell) formelhafte Wendungen unterteilen. Schreibspezifische formelhafte Wendungen sind nach Stein entweder textsor‐ tengebunden (wie formelhafte Text(teil)e) oder textsortenungebunden (z. B. Text‐ steuerungs- und Textgliederungssignale oder Anredeformeln). (Vgl. Stein 1995, S. 55) Stein stellt zur Bestimmung formelhafter sprachlicher Einheiten folgende Definition auf: Formelhaft sind sprachliche Einheiten, die durch Rekurrenz, d. h. durch häufigen Ge‐ brauch, fest geworden sind oder fest werden. Aufgrund der Festigkeit im Gebrauch sind oder werden sie lexikalisiert, d. h. sie sind Bestandteile oder werden zu Bestandteilen des Wortschatzes, so daß sie von Sprachteilhabern als fertige komplexe Einheiten reproduziert werden [Hervorh. im Original]. (Stein 1995, S.-57) In der vorliegenden Studie wird in den weiteren Ausführungen in Bezug auf die Mehrwortebene (Stein/ Stumpf 2019) auf die Begriffe Phraseologismus (nach Burger 2010) und Phraseoschablone (nach Donalies 2009) zurückgegriffen. 5.1.2 Formelhaftigkeit und Kreativität Zunächst werden Überlegungen von Stein (1995) zum Verhältnis von Formel‐ haftigkeit und Kreativität im Sprachgebrauch dargestellt. Anschließend wird das Thema aus dem Blickwinkel der Werbekommunikation ( Janich 2010) betrachtet. Nach Stein lebt die praktische Stilistik von zu „Stilkrankheiten“ apostro‐ phierten „Feindbildern“. Darunter fällt unter anderem das „Formeldeutsch“ (vgl. Stein 1995, S. 89). „Bei der Lektüre von Stilratgebern drängt sich unweigerlich der Eindruck auf, als setzten die Stillehrer Phraseologie gleich mit Phrasendre‐ scherei und Phrasenhaftigkeit, als bedeute Formelhaftigkeit nichts anderes als leeres Gerede und Abgedroschenheit [Hervorh. im Original]“ (ebd., S.-90). Sprachliche Kreativität stellt Stein sprachlicher Routine gegenüber. Während auf sprachliche Kreativität beim Lösen von sprachlichen und kommunikativen Problemen zurückgegriffen wird, kommt sprachliche Routine zum Einsatz, wenn sprachliche oder kommunikative Aufgaben bewältigen werden müssen. Zudem wird sprachliche Innovation der sprachlichen Musterbefolgung gegenübergestellt. 132 5 Muster und Textproduktion Bei sprachlicher Kreativität geht es um die Produktion neuer Äußerungen, Sätze und Texte, wobei vom kreativen Sprachgebrauch gesprochen werden kann. Dem stellt Stein die Reproduktion verbaler Stereotype gegenüber - in diesem Zusammenhang kann vom formelhaften Sprachgebrauch gesprochen werden. Als letzten Punkt führt Stein das Verbalisieren als Produzieren auf und stellt diesem das Verbalisieren als Reproduzieren gegenüber. (Vgl. ebd., S.-114) Stein erläutert die Gründe, warum auf Formelhaftigkeit zurückgegriffen wird und in welchen Situationen sich Routinen ausbilden. Als möglichen Grund nennt er die Wiederkehr bestimmter Situationen: Die Wiederkehr von Situationen und Formulierungsanforderungen bedingt mit der Zeit die (Wieder-)Verwendung der gleichen sprachlichen Mittel, die sich individuell und/ oder in der Sprachgemeinschaft verfestigen zu standardisierten und konventio‐ nalisierten Verfahren. Dieser als Festigkeit im Gebrauch charakterisierte Vorgang führt im Verhaltensrepertoire zu Routine, auf der (rein) sprachlichen Seite zu Formel‐ haftigkeit. [Hervorh. im Original] (Stein 1995, S.-111) Dieses Zitat verdeutlicht nicht nur, dass sich die Wiederverwendung der gleichen Mittel bei der Wiederkehr bestimmter Situationen innerhalb der Sprachgemeinschaft verfestigen kann, sondern auch individuell. An dieser Stelle sei bereits auf die Verbindung zum bei Kindern beobachteten Gebrauch indivi‐ dueller Muster aus anderen Texten bei der eigenen Sprachbzw. Textproduktion hingewiesen (vgl. dazu die Ausführungen von Kruse/ Kruse 2007, Dehn 2005, Dehn et al. 2011, Christensen 2011; I.5.2; I.5.3). Viele Wortverbindungen, die geeignet sind, um bestimmte kommunikative Zwecke zu erreichen, müssen nicht durch das Anwenden grammatischer Regeln in jeder Situation neu erzeugt werden. Vielmehr können sie „als gebrauchsfer‐ tige Bausteine abgerufen und an den entsprechenden Stellen in die Sprachpro‐ duktion integriert werden“ (Stein 1995, S. 106). (Vgl. ebd.) Stein bezeichnet das Operieren mit Formulierungsroutinen als ökonomische Sprachbeherrschung (vgl. ebd., S.-127). Sprachliche Routine heißt weiterhin, daß sprachliche Fertigteile (Wendungen, Text‐ bausteine, Texte) in der Sprachgemeinschaft etabliert und individuell gespeichert sind, so daß sie wiederholt eingesetzt werden können, ohne Planungs- und Produktions‐ aufwand treiben zu müssen. Mit Formulierungsroutinen zu operieren ist Ausdruck ökonomischer Sprachbeherrschung, denn wegen ihrer hohen Frequenz und Bekannt‐ heit tragen sie zu reibungslosen und störungsfreien Kommunikationsabläufen bei. (Ebd.) 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 133 Zudem mündet der Rückgriff auf formelhafte Wendungen in einer kognitiven Entlastung der Sprechenden oder Schreibenden (vgl. ebd., S.-113). Wenn durch die Ausbildung von Routinen kognitive Ressourcen frei werden, dann ist der entscheidende Vorteil, den die Verwendung formelhafter Einheiten im Sprach‐ produktionsprozeß bzw. beim Formulieren mit sich bringt, darin zu sehen, daß der Sprecher/ Schreiber kognitiv entlastet wird. (Ebd.) „Dadurch, daß die Produktionskomponente nicht in Anspruch genommen“ (ebd., S. 116) wird, sondern nur das Gedächtnis genutzt wird, werden nach Stein Zeit und Energie gewonnen. Insbesondere gilt dies für spontan gesprochene Sprache. Zudem kann das Reproduzieren sprachlicher Fertigteile Schreibern und Sprechern auch Verhaltenssicherheit im Sprachgebrauch geben. Formel‐ haftes Schreiben und Sprechen bietet die Möglichkeit, Sprache situationsadä‐ quat zu verwenden, sodass der Sprachgebrauch den Erwartungen der anderen Sprachteilhaber entspricht. Stein weist jedoch auch daraufhin, dass formelhafter Sprachgebrauch, der „als das Zurückgreifen auf ein Repertoire konventioneller, fester sprachlicher Einheiten“ (ebd.) verstanden wird, eine Berücksichtigung des jeweiligen Kontextes voraussetzt. (Vgl. ebd.) Allgemein wird der Sprachgebrauch von Stein als eine Mischung aus kognitiven Produktionsmechanismen und dem Rückgriff auf im Gedächtnis gespeicherten Einheiten gesehen. So schreibt er: „Regelanwendung und generative Sprach‐ fähigkeit einerseits und Abruf gespeicherter Einheiten andererseits machen zusammen den Sprachgebrauch aus“ (ebd., S. 108). Weiter formuliert Stein: „Kognitive Produktionsmechanismen und die Verwendung von im Gedächtnis gespeicherten Einheiten ergänzen sich im realen sprachlich-kommunikativen Verhalten“ (ebd., S. 115). Dabei wird je nach Situation entschieden, ob auf bekannte Lösungsmethoden zurückgegriffen wird (vgl. ebd., S.-111). Die sprachliche/ kommunikative Routine und die sprachlichen/ kommunikativen Er‐ fahrungen, […] gehen als Hintergrund- und Erfahrungswissen ein in neu zu bewälti‐ gende Situationen und entscheiden mit darüber, ob für die Erbringung sprachlicher Leistungen bereits Lösungsmethoden bekannt und abrufbereit sind oder ob es erfor‐ derlich ist, mit kognitivem Aufwand eine Problemlösestrategie zu entwickeln. (Ebd.) Hervorzuheben sei bereits an dieser Stelle mit Blick auf die Erkenntnistheorie Polanyis (vgl. Polanyi 1985) und die Übertragung dieser auf den Schreibprozess (vgl. I.6.2), dass sprachliche Routine und sprachliche Erfahrungen nach Stein in das Hintergrund- und Erfahrungswissen eingehen und im Schreibprozess wirksam werden. Stein charakterisiert das Zusammenspiel von Formelhaftigkeit 134 5 Muster und Textproduktion 68 Burger, Harald/ Buhofer, Annelies/ Sialm, Ambros (1982): Handbuch der Phrasologie. Berlin, New York. und Kreativität (vgl. Stein 1995, S. 115-122), das im Folgenden näher beleuchtet wird. Stellt man sich die Frage, ob es einen kreativen Umgang mit formelhafter Sprache, etwa einen kreativen Gebrauch von Idiomen und Phraseologismen, gibt, unterstellt man, daß in der Sprachproduktion die Produktionskomponente und die Reprodukti‐ onskomponente gleichzeitig wirksam sein können. (Ebd., S.-116f.) Die Produktionsregeln dienen nicht nur zur Generierung neuer (freier) Wort‐ verbindungen, sondern können auch auf feste Wortverbindungen angewendet werden (vgl. ebd., S.-117). Stein unterscheidet bei Beobachtungen zum variablen Gebrauch formelhafter Wendungen, der auch durch die kreative Komponente geprägt ist, sechs Fälle: „Variation fester Wortverbindungen“ (ebd., S. 117), „‚Ableitung‘ neuer fester Wortverbindungen“ (ebd.), „Abwandlung von Formeln und festen Wort‐ verbindungen“ (ebd., S. 118), „Kreativität als Reliteralisierung“ (ebd., S. 119), „Formelhafte Strukturen mit ‚Leerstellen‘“ (ebd., S. 121) und „kontaminierte Wendungen“ (ebd., S.-122) (vgl. ebd., S.-117-122). Im Zusammenhang mit der Darstellung der Variationen fester Wortverbin‐ dungen (erster Fall) nennt Stein den Begriff variable Stabilität: Bei einer großen Anzahl an Phraseologismen und formelhaften Wendungen sind Veränderungen und Eingriffe der morphosyntaktischen und lexikalischen Art möglich. Hierbei nimmt Stein auf Ausführungen von Burger, Buhofer und Sialm (1982) 68 Bezug. (Vgl. Stein 1995, S.-117) Einen zweiten Fall bezeichnet Stein als „Ableitung“ neuer fester Wendungen. Feste Wendungen können unter Berücksichtigung bekannter Wortbildungspro‐ zesse als Basis für Ableitungen dienen. Als Beispiel dafür sei auf den Ausdruck Phrasendrescher(ei) hingewiesen, der aus der festen Wendung Phrasen dreschen abgeleitet wurde. Neue Wendungen können ebenfalls auf der Basis von festen Wendungen entstehen, wenn Bestandteile einer festen Wendung verselbststän‐ digt werden: Aus der festen Wendung Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein entwickelte sich die weitaus kürzere Wendung jmdm. eine Grube graben. (Vgl. ebd. 117 f.) Dieses „kreative Spiel mit dem Komponentenbestand fester Wendungen“ (ebd., S. 118) kann auch in okkasionellen Modifikationen münden - in diesem Zu‐ sammenhang spricht Stein von der „Abwandlung von Formeln und festen Wort‐ verbindungen“ (ebd.), die den dritten Fall bilden. Dabei wird „[d]as bekannte 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 135 69 Der Spiegel, Nr.-12/ 1992, S.-55. 70 Der Spiegel, Nr.-12/ 1992, S.-42. ‚Ausgangsmaterial‘ […] in immer neue Formulierungssituationen eingepaßt“ (ebd., S. 119). Der kompetente Sprecher erkennt jedoch trotz „lexikalisch-se‐ mantischer ‚Verfremdung‘“ (ebd.) die Originale, wodurch die Wirkung dieses kreativen Spiels zustande kommt. Stein illustriert das Verfahren anhand der Audi-Werbung „Quattro macht den Meister“ (ebd., S. 118), das eine „Anspielung“ (Wiss 1989) auf das Sprichwort Übung macht den Meister ist. (Vgl. Stein 1995, S.-118f.) Reproduktive und produktive Verbalisierungsanstrengungen wirken zusammen, und sie können, sofern sich ein Muster in der kommunikativen Praxis bewährt, dazu führen, daß sich ‚gelungene‘ Anspielungen selbst wiederum zu Schemata verfestigen, auf die der Sprachteilhaber dann reproduktiv zurückgreifen kann […]. (Ebd., S. 119) Als Beispiel führt Stein die feste Wendung „lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach [Hervorh. im Original]“ (ebd.) und zeigt, dass das der Wendung zugrundeliegende Schema lieber … als … in weiteren Formulierungen auftaucht: „lieber ‘ne sechs als überhaupt keine persönliche Note“ (ebd.). Beobachtungen des vierten Falls lassen sich als Kreativität als Reliteralisierung bezeichnen. Phraseologismen können gezielt in vom Sprachsystem nicht vor‐ gesehene Verwendungskontexte gestellt werden. So kann eine Mehrdeutigkeit, die im Phraseologismus oder im Sprachsystem nicht angelegt ist, durch einen ungewöhnlichen Verwendungszusammenhang hergestellt werden. Ein Beispiel für den Gebrauch eines Phraseologismus, der wörtlich zu verstehen ist, liefert eine Werbeanzeige 69 mit einem Bild einer blauen Umhängetasche. Der Text lautet „SIE WERDEN IHR BLAUES WUNDER ERLEBEN [Hervorh. im Original]“ (Stein 1995, S. 120). Die idiomatische Wendung sein blaues Wunder erleben ist negativ konnotiert, wobei blau nicht wörtlich verstanden werden soll. Durch die Abbildung der blauen Tasche wird die übertragene Bedeutung jedoch umgekehrt: „‚blaues Wunder‘ referiert wörtlich auf die Tasche, ‚blau‘ soll als Qualitätsattribut gedeutet werden“ (ebd.). Auch Phraseologismen, die selbst mehrdeutig sind, können so verwendet werden, dass sowohl die übertragene als auch die wörtliche Lesart gleichzeitig aktiviert werden. In einer von Stein (1995) aufgeführten Werbeanzeige 70 heißt es „EUROCARD. Für Leute, die auch sonst gute Karten haben“ (Stein 1995, S. 121). Einerseits gehört die Wendung gute Karten haben zum Kartenspieler-Jargon und ist in diesem Zusammenhang wörtlich zu verstehen. Sie hat andererseits jedoch auch eine übertragene Bedeutung (z. B. Erfolg haben). In der Werbung wird auf beide Lesearten gesetzt: 136 5 Muster und Textproduktion Erstens hat man mit der beworbenen Kreditkarte eine gute Kreditkarte und zweitens besitzen diese Kreditkarte nur erfolgreiche Leute. „Ausdruck kreativen Sprachgebrauchs ist dabei die Platzierung der Wendung in einem Kontext, in dem auf die wörtliche Bedeutung rekurriert und diese reliteralisiert wird“ (ebd., S.-121). (Vgl. ebd., S.-121f.) Als Fünftes geht Stein auf formelhafte Strukturen mit „Leerstellen“ ein. Dar‐ unter versteht er Phraseoschablonen (vgl. dazu auch Donalies 2009; I.5.1.1). Die Produktionskomponente wird immer dann beim Formelgebrauch aktiviert, wenn formelhafte Wendungen lexikalisch ergänzt werden müssen, damit sie überhaupt gesprochen oder geschrieben werden können, wie es bei den Phra‐ seoschablonen der Fall ist. Hier ist Formelhaftigkeit „auf ein festes Gerüst beschränkt, dessen Leerstellen aufgefüllt werden“ (ebd., S. 121). Dabei dient „[d]ie kontextspezifische Besetzung der Leerstellen […] dazu, die funktional unvollständige Struktur, die aus dem Lexikon abgerufen wird, kommunikati‐ onstauglich zu machen“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Als sechsten Fall führt Stein die kontaminierten Wendungen auf. Die Formulie‐ rung etwas hinterleuchten wurde beispielsweise aus den festen Wendungen etwas hinterfragen und etwas durchleuchten gebildet. Bei den kontaminierten Wendungen handelt es sich in den meisten Fällen um „Versprecher“ (ebd., S. 122). Daher unterscheiden sie sich nach Stein qualitativ von den fünf anderen Fällen und sind „nicht als Folge kreativitätsbestimmten Sprachverhaltens anzusehen“ (ebd., 122). (Vgl. ebd.) Das folgende Zitat beschreibt treffend den kreativen Sprachgebrauch im Hinblick auf formelhafte Wendungen: Daß ein kreativer Umgang mit formelhafter Sprache möglich ist, scheint ein Wider‐ spruch zu sein, tatsächlich schließt sich damit aber der Kreis: Kreativität geht von den Sprachteilhabern aus und manifestiert sich in der Fähigkeit und dem Bemühen, feste Wortverbindungen nicht nur sprachsystemgetreu zu reproduzieren, sondern sie sprachspielerischen Prozessen zu unterwerfen. Was im Sprachsystem als festes Bauteil oder ‚Versatzstück‘ angelegt ist, wird in der je individuellen Sprachverwendung zur variablen Größe. Bildlich gesprochen: Der ‚vorgefertigte Rohling‘ erfährt einen ‚kreativen Feinschliff ‘ [Hervorh. im Original]. (Ebd., S.-123) Die folgenden Ausführungen widmen sich Modifikationen von Phraseologismen. In ihrem Werk Werbesprache (2010) stellt Nina Janich unter anderem verschie‐ dene Wortspiele zusammen, die in der Werbesprache eingesetzt werden. Dabei lassen sich nach Janich verschiedene Verfahren auf unterschiedlichen Ebenen des Sprachsystems unterscheiden: Phonetische Verfahren, morphologische Ver‐ 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 137 fahren, syntaktische Verfahren, phraseologische Verfahren und graphische und orthographische Verfahren. (Vgl. dazu Janich 2010, S.-205ff.) Die phraseologischen Verfahren werden im Folgenden dargestellt. Bei diesen wird zwischen drei Kategorien unterschieden. Die erste Kategorie lässt sich als „Veränderung eines Phraseologismus durch Ersetzen, Hinzufügen oder Weg‐ lassen eines Ausdrucks“ (ebd., S.-206) bezeichnen, die zweite als „Remotivation eines Phraseologismus“ (ebd., S. 207) und die dritte als „Kombination von zwei Phraseologismen“ (ebd.). Für die erste Kategorie nennt Janich zwei Beispiele. Ersetzung, also „lexikali‐ sche Substitution“ (ebd., S. 206) eines Ausdrucks lässt sich an einer Schlagzeile für Sixt-Autovermietung zeigen: „Ist die Katze günstig, freut sich der Mensch“ (ebd., S. 207). Als Referenztext ist der Slogan von Whiskas Katzenfutter zu nennen: „Ist die Katze gesund, freut sich der Mensch“ (ebd.). Hinzufügung illustriert Janich durch einen Anzeigentext von Mercedes: „Der klügere Gurt gibt nach“ (ebd.). (Vgl. ebd., S. 206f.) Bei der Remotivation eines Phraseologismus wird „neben der idiomatischen Bedeutung […] auch die wörtliche aktiviert“ (ebd., S. 207). Janich nennt hierfür als Beispiel unter anderem eine Schlagzeige für Verstärker der Marke Blaupunkt: „Für Leute, die gerne viel um die Ohren haben“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Für die Kombination von zwei Phraseologismen verweist Janich auf ein Beispiel von Forgás und Göndöcs (1997, S. 61): „Manche läßt es KALT, wenn die Minister für Umwelt ins Schwitzen kommen“ (Forgás/ Göndöcs 1997, S.-61 zit. n. ebd.). (Vgl. Janich 2010, S.-207) Janichs erste und dritte Kategorie können mit Steins Gruppe Variation fester Wortverbindungen (Stein 1995, S. 117) gleichgesetzt werden. Stein (1995) verwendet für das Verfahren Remotivation eines Phraseologismus auch den Ausdruck Reliteralisierung (vgl. Stein 1995, S.-119). 5.1.3 Muster und die poetische Funktion der Sprache Bei einem Akt sprachlicher Kommunikation wird eine Nachricht von einem Sender an einen Empfänger geschickt. Damit die Nachricht wirksam werden kann, ist ein verbaler oder verbalisierbarer Kontext für diese Nachricht not‐ wendig. Zudem wird ein Kode benötigt, der sowohl vom Empfänger als auch vom Sender (teilweise) bekannt sein muss sowie ein Kontaktmedium. (Vgl. Jakobson 1972, S. 103) Diese von Jakobson benannten sechs Faktoren bestimmen jeweils eine andere Funktion von Sprache. Dabei gibt es selten eine Nachricht, die lediglich eine dieser Funktionen erfüllt. So ist die Sprachstruktur einer Nach‐ richt insbesondere von der prädominanten Funktion abhängig. (Vgl. ebd., S. 104) Jakobson unterscheidet zwischen den folgenden sechs Sprachfunktionen: Die 138 5 Muster und Textproduktion referentielle, „denotative“, „kognitive“ Funktion, die emotive bzw. „expressive“ Funktion, die konative Funktion (Ausrichtung auf den Sender), die phatische Funktion, die metasprachliche Funktion und die poetische Funktion (vgl. ebd., S.-103-108). Die poetische Funktion von Sprache soll im Folgenden erläutert werden. Bei der poetischen Funktion steht die „Nachricht selbst“ im Mittelpunkt (vgl. Pelz 1996, S. 32). „Die Einstellung auf die Nachricht als solche, die Zentrierung auf die Nachricht um ihrer selbst willen, ist die poetische Funktion der Sprache [Hervorh. im Original]“ ( Jakobson 1972, S. 108). Dabei lässt sich die poetische Funktion weder auf die Dichtung beschränken noch die Dichtung auf die poetische Funktion (vgl. ebd.). Jeder Versuch, den Wirkungsbereich der poetischen Funktion auf Dichtung zu redu‐ zieren oder Dichtung auf die poetische Funktion zu begrenzen, wäre eine irrige Vereinfachung. Die poetische Funktion ist nicht die einzige Funktion der Wortkunst, sondern nur ihre dominante, determinierende Funktion, während sie in allen anderen Sprachaktivitäten eine untergeordnete, akzessorische Rolle spielt. (Ebd.) Auch in alltäglichen Sprachäußerungen lässt sich die poetische Funktion der Sprache entdecken. (Vgl. Pelz 1996, S. 32) Jakobson (1972) verdeutlicht die poetische Funktion der Sprache u. a. anhand der Äußerung eines Kindes: Ein Mädchen pflegte immer von ‚horrible Harry‘ zu sprechen. ‚Why horrible? ‘ ‚Because I hate him‘. ‚But why not dreadful, terrible, frightful, disgusting? ‘ ‚I don’t know why, but horrible fits him better‘. Ohne es zu merken, hielt sie sich an das poetische Mittel der Paranomasie. ( Jakobson 1972, S. 108) Es handelt sich somit um kein inhaltliches, sondern um ein rein ästhetisches Kriterium für die Wahl des Wortes horrible, so Pelz (vgl. Pelz 1996, S.-32). Um die Fragen zu beantworten, was für die poetische Funktion das empirische linguistische Kriterium ist und welches das Merkmal ist, das jeder Dichtung in‐ härent ist, beleuchtet Jakobson die zwei im sprachlichen Verhalten gebrauchten Grundordnungsarten Selektion und Kombination. Ist das Thema einer Nachricht child wird von dem Sprecher zunächst zwischen ähnlichen Nomen wie child, kid, youngster und tot eines ausgewählt. Anschließend wählt er ein Verb aus sinnverwandten Verben aus (z. B. sleeps, dozes, nods oder naps), um das Thema auszuführen und kombiniert die beiden Wörter. Selektion wird aufgrund von Äquivalenz und Ähnlichkeit oder Unähnlichkeit oder aufgrund von Synonymie und Antinomie vollzogen. Kombination, die Herstellung einer Sequenz, beruht nach Jakobson hingegen auf Kontiguität. „Die poetische Funktion projiziert das Prinzip der Äquivalenz von der Achse der Selektion auf die Achse der Kombination 5.1 Muster und Musterhaftigkeit aus (text-)linguistischer Perspektive 139 [Hervorh. im Original]“ ( Jakobson 1972, S. 110), so Jakobson. Dementsprechend findet eine Erhebung von Äquivalenz „zum konstitutiven Verfahren einer Sequenz“ (ebd.) statt. (Vgl. ebd., S.-109f.) In der Dichtung wird eine Silbe mit jeder anderen Silbe der gleichen Folge äquivalent; Wortakzente werden Wortakzenten gleichgesetzt, ebenso das Fehlen eines Akzentes einem Fehlen; prosodische Längen mit prosodischen Längen, Kürzen mit Kürzen; Wortgrenze mit Wortgrenzen, das Fehlen der Grenzen mit deren Fehlen; syntaktische Pausen mit syntaktischen Pausen, das Fehlen einer Pause entspricht wiederum dem Fehlen. Silben werden in Maßeinheiten verwandelt, und dasselbe gilt für Moren und Akzente. (Ebd., S.-110) Die poetische Funktion der Sprache lässt sich ebenfalls an festen Redewen‐ dungen der Alltagssprache aufzeigen. Die festen Wendungen Haus und Hof und bei Nacht und Nebel enthalten einen Stabreim bzw. eine Alliteration. Ein Endreim ist in der festen Redewendung weit und breit zu identifizieren. Eine Wiederholung weisen die festen Redewendungen von Haus zu Haus und jahraus, jahrein auf. Werbung nennt Jakobson „angewandte Poesie“. Auch hier lässt sich die poetische Funktion beispielsweise im Slogan Milch macht müde Männer munter oder in Produktnamen wie Wäscheweich und Kitekat finden. Weiter werden Buchtitel (Irrungen-Wirrungen) und Slogans (frisch, fromm, fröhlich, frei) genannt. Einige Regeln weisen Endreime auf. So gibt es gereimte Sprichwörter wie Morgenstund’ hat Gold im Mund, Wetterregeln wie Weihnacht im Klee, Ostern im Schnee und Lernverse wie In des Alten Bundes Schriften merke in der ersten Stell’ Mose, Josua und Richter und noch zwei von Samuel. (Vgl. Pelz 1996, S. 32f.) Treffend formuliert Pelz die Wirkung des Gebrauchs von Poetik in Sprachäußerungen wie folgt: Sprachäußerungen, deren dominante Funktion nicht die poetische, sondern häufig eine appellative oder eine Informationsfunktion ist, erfüllen offensichtlich ihre Hauptfunktion besser, wenn ihre sprachliche Form zugleich ein poetisch-ästhetisches Bedürfnis befriedigt. (Pelz 1996, S.-33) 5.2 Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive Im Folgenden wird der Blick auf die Vorstellungen von Musterhaftigkeit in unterschiedlichen didaktischen Konzeptionen zur Textproduktion gerichtet. In diesem Zusammenhang wird auch die den Konzeptionen zugrundeliegende Vorstellung des Verhältnisses von Muster und Textproduktion skizziert. Zunächst 140 5 Muster und Textproduktion 71 Carle, Eric (2018 45 ): Die kleine Raupe Nimmersatt. Hildesheim: Gerstenberg. wird die textinterne Musterbildung in den Blick genommen. In einem nächsten Schritt werden sprachliche, literarische und narrative Muster thematisiert. Im An‐ schluss daran wird der Zusammenhang zwischen Mustern und Textprozeduren beleuchtet und abschließend werden Grundmuster in Erzählungen thematisiert. Textinterne Musterbildung Textinterne Musterbildung wird im Folgenden anhand der Überlegungen von Rita Finkbeiner (2019) und Alexandra und Michael Ritter (2008) betrachtet. Finkbeiner definiert sprachliche Rekurrenz, die auch als sprachliche Musterhaf‐ tigkeit bezeichnet werden kann (vgl. Finkbeiner 2019, S.-43), wie folgt: Sprachliche Rekurrenz lässt sich als wiederholter Gebrauch gleicher oder ähnlicher sprachlicher Formen in gleichen oder ähnlichen kommunikativen Situationen be‐ schreiben, wobei Rekurrenz nach allgemeiner Annahme über die Zeit zu sprachlicher Verfestigung führen kann. (Ebd.) Muster, denen sich die Sprecherinnen und Sprecher zur Erfüllung wiederkeh‐ render Aufgaben bedienen, sind auf jeder sprachlichen Ebene zu finden, so auch Finkbeiner. Sie verweist in diesem Zusammenhang zum einen auf kon‐ struktionsgrammatische Arbeiten, die ihren Schwerpunkt auf Konstruktionen legen, die auf der Satzebene oder unterhalb dieser einzuordnen sind. Zum an‐ deren nennt Finkbeiner pragmatische und textlinguistische Ansätze, die „schon früh auf die Relevanz rekurrenter Muster auf Textebene hingewiesen“ (ebd., S. 43f.) haben. So lassen sich Textmuster als „Teil des kollektiven sprachlichen Repertoires einer Sprachgemeinschaft“ (ebd., S. 44) bezeichnen, die durch das wiederholte Verwenden von Inhaltsbausteinen in Kombination mit bestimmten Ausdrucksformen entstehen, die sich wiederum beim Bewältigen wiederkeh‐ render kommunikativer Situationen bewährt haben. (Vgl. ebd. 43 f.) Nun gibt es aber Musterhaftigkeit auf der Textebene nicht nur in Form von kollektiv in einer Sprachgemeinschaft (zu einem Zeitpunkt t) etablierten formelhaften Texten. Texte können vielmehr auch dadurch ‚musterhaft‘ werden, dass in ihrem Verlauf schrittweise ein bestimmtes Muster erst erzeugt wird. (Ebd., S.-44) Die beschriebene Form von Musterhaftigkeit lässt sich auch als „Rekurrenz in Bezug auf die innere sequenzielle Struktur eines bestimmten Textexemplars“ (ebd.) bezeichnen. Finkbeiner illustriert sie am Beispiel des Bilderbuches Die kleine Raupe Nimmersatt: 71 „Am Montag fraß sie sich durch einen Apfel, aber satt war sie noch immer nicht. Am Dienstag fraß sie sich durch zwei Birnen, aber 5.2 Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive 141 satt war sie immer noch nicht. […]“ (Ebd.) Hier entsteht durch Wiederholung zweier nebengeordneter Sätze „bei Variation bestimmter, festgelegter Parameter schrittweise eine Serie von Episoden“ (ebd.). Dabei wird das Muster schon bei der ersten Wiederholung erkennbar und ist spätestens mit der zweiten Wiederholung etabliert. „Repetition und Ersetzung ist hier das grundlegende Organisationsprinzip, mit dessen Hilfe die Geschichte ihre narrative Struktur bekommt“ (ebd.). Es liegt keine Reproduktion eines Textmusters vor, das in der Sprachgemeinschaft vorgängig etabliert ist. Allerdings wird „innertextlich, aktuell-sequentiell, quasi unter den Augen der (Vor-)Leserin eine Regel bzw. Routine erzeugt“ (ebd.). Nichtsdestotrotz ist die beschriebene Art von Muster‐ bildung nicht auf einzelne Textexemplare beschränkt. Vielmehr handelt es sich bei der seriellen Narration um „ein zentrales ästhetisches Gestaltungsprinzip in der Erstliteratur für Vorschulkinder“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Finkbeiner merkt an, dass Formen der textinternen Musterbildung bisher sowohl in der Phraseologieforschung als auch in pragmatischen Ansätzen kaum Beachtung fanden und äußert die Vermutung, dass der Grund hierfür darin liegen könne, dass es sich bei den Mustern nicht um ein alltagssprachliches Wandelphänomen handele, sondern um in einem bestimmten Sinn kulturelle Artefakte bzw. „eine Form der bewussten ästhetischen Gestaltung von Texten“ (ebd., S. 45). Finkbeiner plädiert jedoch für die Beachtung solcher Formen von Musterbildung durch einen pragmatisch orientierten Ansatz zur Textmuster‐ forschung, da diese Muster „wichtige Funktionen im Bereich der narrativen Strukturierung von Texten erfüllen können“ (ebd.). (Vgl. ebd.) In der Serialisie‐ rung sieht Finkbeiner ein einfaches Strukturierungsmittel und ein einfaches Modell für die Handlungsstruktur und den Aufbau von Geschichten (vgl. ebd., S.-57f.). Interessant erscheint die Betrachtung von Serialisierung als Teil des Textmus‐ terwissens. Dieses begründet Finkbeiner mit dem häufigen und konsequenten Rückgriff auf Serialisierung in Bilderbüchern (vgl. ebd., S.-58): Der frequente und konsequente Einsatz von Serialisierung in der Bilderbuchliteratur lässt den Schluss zu, dass Serialisierung auch textexemplarübergreifend ein etabliertes Verfahren der Organisation von Geschichten ist, und dass Serialisierung damit zu dem gehört, was man Textmusterwissen oder eine Konstruktion auf der Textebene nennen könnte. (Ebd.) Während Finkbeiner Gebrauch vom Ausdruck serielles Erzählen macht, greifen Ritter und Ritter (2008) auf den Begriff Baumuster zurück. Unter „Baumuster[n] des Schreibens“ (Ritter/ Ritter 2008, S. 14) werden „einfache Anleitungen für das Erfinden kleiner Geschichten oder Gedichte“ (ebd.) verstanden. Solche 142 5 Muster und Textproduktion 72 Stamm, Peter/ Bauer, Jutta (2015): Warum wir vor der Stadt wohnen. Weinheim/ Basel: Beltz/ Gelberg. Baumuster sind für lyrische Kleinformen verbreitet. Zu nennen seien hier Elfchen und Haiku. (Vgl. ebd.) Ritter und Ritter zeigen, dass Kindern ebenfalls konkrete Geschichten für das eigene Verfassen von Texten dienen können (vgl. ebd., S. 15). Sie stellen dazu das Bilderbuch Warum wir vor der Stadt wohnen  72 von Peter Stamm und Jutta Bauer vor, das nach einem Baumuster aufgebaut ist. „Das Baumuster der Geschichte“ (ebd., S.-15) beschreiben sie wie folgt: […] jede Episode [folgt] […] ihrer Struktur nach dem gleichen Muster […]. Nach der sprachlich standardisierten Eingangsfloskel ‚Als wir (Wohnort) wohnten,…‘ wird beschrieben, was das Wohnen für die Familie an diesem Ort konkret ausmacht […]. […] Den drittletzten Satz jeder Episode charakterisiert eine Art Countdown, wobei immer etwas im Zusammenhang mit den Zahlen vier, drei, zwei und eins passiert. […] Im vorletzten Satz der Episode geschieht dann etwas, was wieder einmal den Wohnortwechsel notwendig macht und so wird im letzten Satz beschlossen, wohin die Reise geht. […] Dieses Baumuster zieht sich durch alle Episoden des Buches […]. (Ebd.) Die Geschichte weist eine episodenhafte Struktur auf. Ritter und Ritter be‐ zeichnen Baumuster auch als „analoge Szenen- und Dialogstrukturen“ (Ritter/ Ritter 2017, S. 14). Zusammenfassend lässt sich ein Baumuster als Struktur beschreiben, die in den verschiedenen Episoden einer Geschichte auftaucht und aus festen inhaltlichen Bausteinen sowie festen sprachlichen Versatzstücken besteht. Die inhaltlichen Bausteine können dabei in den verschiedenen Episoden sprachlich unterschiedlich ausgestaltet sein. Ritter und Ritter stellen eine Reihe von Bilderbüchern vor, die Musterpo‐ tentiale bieten. Darunter verstehen sie neben Baumustern beispielsweise im Bilderbuch mehrfach auftretende Merkmale wie den Paarreim, konditionale Satzgefüge, Ellipsen und Sprachverdichtungen, „episodisches Erzählen mit fester Erzählstruktur (wiederholtes Fragen)“ (ebd.), „Perspektivwechsel von ‚wir‘ zur Ich-Perspektive“ (ebd.), Konjunktiv II und kausale Satzgefüge. (Vgl. ebd.) Charakteristisch für diese Vorstellung von Musterhaftigkeit ist - wie bei den Überlegungen von Stein und Stumpf (vgl. Stein/ Stumpf 2019, S. 19; I.5.1.1) - das mehrfache Vorkommen von „etwas“. Bei diesem „Etwas“ kann es sich um kleinere Einheiten wie rhetorischen Mittel und Satzkonstruktionen handeln, aber auch um größere Einheiten wie den Wechsel einer Erzählperspektive. In den folgenden Ausführungen wird auf den Begriff Baumuster zurückgegriffen, um textinterne Musterbildung zu thematisieren. 5.2 Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive 143 73 Die Ausführungen zu (literarischen) Mustern und Textproduktion enthalten einige Überlegungen und Formulierungen aus der wissenschaftlichen Hausarbeit Rückmel‐ dungen beim Textschreiben. Überlegungen zu lernförderlichen Rückmeldungen durch den Lehrenden zu Kindertexten im Schreibunterricht der Grundschule (2011) der Autorin. (Literarische) Muster und Textproduktion Mechthild Dehn unterscheidet zwischen literarischen, orthographischen und medialen Mustern beim Schreiben (vgl. Dehn 2005, S. 14). 73 Im Folgenden sei der Blick auf die für die vorliegende Arbeit relevanten literarischen und medialen Muster gerichtet. Unter literarischen Mustern versteht Dehn unter anderem Geschichtenmuster, Metaphernbildung und den Gebrauch rhetorischer Figuren (z. B. Chiasmus) (vgl. ebd., S. 14f.). Des Weiteren gilt literarische Musterbildung den Topoi, Textstrukturen, Bildern und sprachlichen Figuren (vgl. ebd., S. 16). Diese Auflistung an Beispielen für literarische Muster macht deutlich, dass Dehns Musterbegriff sehr weit gefasst ist. „Geschichtenform, Chiasmus, Metapher, erlebte Rede, Selbstreferenzialität der Zeigwörter, Spiel mit Erzählhaltung und Perspektive sind nicht Zusatz, schmückendes Beiwerk in den Kindertexten, sondern sie konstituieren sie“ (Dehn et al. 2011, S. 65). Demnach wird ein Text durch Muster konstituiert. Schüler (2018) schreibt im Zusammenhang mit diesem Zitat: „Dehn zeigt an etlichen Beispielen, dass Texte von Grundschülerinnen und -schülern literarische und mediale Muster enthalten, die den Text zum Text machen“ (Schüler 2018, S. 61). Diese Erläuterung verdeutlicht, dass alle genannten Textmerkmale als literarische oder mediale Muster bezeichnet werden können. Es folgt ein Versuch, einige der von Dehn (2005) und Dehn, Merklinger und Schüler (2011) aufgeführten Beispiele für Mustergebrauch zu klassifizieren. Der Begriff Geschichtenmuster lässt eine Nähe zum narrativen Textmuster, der Narration erkennen. Hier ist Musterhaftigkeit auf der Textebene zu erkennen. Eine weitere Kategorie bilden rhetorische Mittel (Metaphern, Chiasmus). Nach Dehn, Merklinger und Schüler (2011) gibt es Muster des Erzählens zur zeitlichen Gliederung (z. B. es war einmal, eines Tages), zur Steigerung (sehr …, vor allem…, ging und ging) und zur Textgliederung (aber). (Vgl. Dehn et al. 2011, S.-9) Dehn, Merklinger und Schüler (2011) verwenden einen Musterbegriff, der sich grundsätzlich vom Alltagsgebrauch unterscheidet. Muster ist nicht die Norm, nach der man Kleider näht oder Bilder ausmalt oder - in der Aufsatzdidaktik - Texte schreiben lernen sollte: die gute Erzählung, die treffende Beschreibung und so weiter. (Ebd., S.-65) Den Begriff Textmuster gebrauchen sie im Sinne der Textlinguistik (vgl. ebd., S. 20). Anzumerken an dieser Stelle sei, dass der Begriff Textmuster jedoch auch als Synonym für Dehns Begriff des literarischen Musters verwendet werden 144 5 Muster und Textproduktion 74 Der folgende Absatz ist Strozyk (2011) entnommen. kann. So schreibt Kruse: „Textmuster können Geschichtenmuster, spezifische Arten der Metaphernbildung, der Gebrauch rhetorischer Figuren […] sein“ (Kruse 2006a, S.-145). Nachfolgend wird der Zusammenhang zwischen Mustern, implizitem Muster‐ wissen und Textproduktion dargestellt. 74 Dehn bezeichnet „Schreiben“, also „Ge‐ danken, Wissen, Mitteilungen, Empfindungen, Erfahrungen, Erinnerungen aus dem Kopf aufs Papier zu bringen“ (Dehn 2005, S. 11), als Transformationsprozess (vgl. ebd.). Als Material dieses Transformationsprozesses nennt Dehn Muster. Diese werden durch die „Wahrnehmung und Aneignung der Lebenswelt“ (ebd., S.-13) erzeugt. Inhalte der äußeren Welt werden gebildet und nachgebildet. Für Dehn ist beim Musterbegriff „eine Art Pendelbewegung wichtig, nämlich die Internalisierung von Erzeugtem und Vorgefundenem - ‚Bilden und Nachbilden‘ - und die Entäußerung davon beim Schreiben - als Vergegenständlichung auf dem Papier“ (ebd., S. 13f.). „Literarische Muster beziehen sich auf Gehörtes, Gelesenes, Gesehenes“ (ebd., S. 19). Weiter schreibt Dehn, dass sich die Muster‐ bildung „als implizites Lernen und als innere Regelbildung“ (ebd., S. 24) vollzieht. Demnach bilden Kinder durch Erfahrungen mit Gehörtem, Gelesenem und Gesehenem implizit Muster aus. Musterelemente können „bei der Rezeption anderer Texte im Bilden und Nachbilden entwickelt […] [werden]“ (ebd., S. 16). (Vgl. ebd., S.-11ff.) Wer schreibt, erfasst Vorgegebenes, Gewusstes, Erfahrenes für sich und gibt es anderen wiederum zum Lesen. Der Text, der dabei entsteht, ist immer ein Text zwischen Texten. Er adaptiert andere Texte und korrespondiert mit ihnen, mit Formen und Mustern, in denen Inhalte, Themen, Bedeutungsstrukturen gestaltet, Erfahrung und Erkenntnis formuliert und generiert werden [Hervorh. im Original]. (Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011, S.-42) Ein verfasster Text korrespondiert somit mit Formen und Mustern aus zuvor rezipierten Texten. Im Spiel mit Mustern ist Kindern die ästhetische Funktion des Schreibens zugänglich (vgl. ebd., S. 65). Dehn spricht von „Adaption und Variation von Mustern“ (Dehn 1999, S.-47). Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Dehn Schreiben als Transforma‐ tionsprozess sieht, bei dem Muster das Material sind, um Gedanken aus dem Kopf zu Papier zu bringen. 5.2 Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive 145 (Sprachliche) Muster und Textproduktion Nach einer Erläuterung der Begriffe (sprachliches) Muster und Musterhaftigkeit wird der Zusammenhang zwischen sprachlichen Mustern und Textproduktion beleuchtet. Im Zusammenhang mit ihren Überlegungen zur Anregung von Textmustergebrauch (vgl. dazu Kruse/ Kruse 2007; I.7) beziehen sich Iris und Norbert Kruse ebenfalls auf Muster. Sie nennen „sprachliche Formeln, eigen‐ tümliche Muster, Idiome oder ungewöhnliche Ausdrücke“ (ebd., S. 30), die einige Kinder aus literarischen Texten beim Verfassen eigener Texte adaptieren (vgl. ebd.). Kruse und Kruse subsummieren die genannten Formulierungen unter dem übergeordneten Begriff Muster: „Die Übernahme, Variation oder Transformation solcher Muster in die Struktur eigener Texte wird als Vorgang gesehen, der der Entwicklung von Textkompetenz dient“ (ebd.). Ein weiterer von Iris und Norbert Kruse in diesem Zusammenhang verwen‐ deter Ausdruck ist der Begriff sprachliches Muster (vgl. ebd., S. 31). Dieser sei mit Hilfe von zwei Beispielen, die Kruse und Kruse nennen, illustriert. Bei ihrem ersten Beispiel handelt es sich um eine von Kathrin Bothe (2006) beschriebene Beobachtung. So bekam eine Drittklässlerin, nachdem sie ein Guggenmos-Ge‐ dicht gehört hatte, die Aufgabe, „die Verwandlungsidee dieses Gedichts zu variieren“ (Kruse/ Kruse 2007, S. 30). Dabei formulierte sie folgenden Satz: „Ich fühlte mich luftig und leicht wie ein Streiflein Nebel“ (ebd.). Nach Bothe stammt diese Passage aus dem Kinderbuch Das kleine Gespenst von Otfried Preußler. Als zweites Beispiel nehmen Kruse und Kruse Bezug auf eine von Dehn geschilderte Szene (vgl. dazu Dehn 2005, S. 9). In dieser spricht Dehn mit einem fünfjährigen Jungen, der zum Märchen Hänsel und Gretel Bilder aufgeklebt hatte. Als dieser gefragt wurde, weshalb er ein bestimmtes Bild an eine bestimmte Stelle geklebt habe, antwortete der Junge mit dem fast wortwörtlichen Zitat aus der Fassung des Märchens der Gebrüder Grimm von 1812: „Und sie verbrannte elendiglich“ (Kruse/ Kruse 2007, S. 31). (Vgl. ebd.) Im Hinblick auf diese zwei Beispiele nutzen Kruse und Kruse den Begriff sprachliches Muster: „Die Textkompetenz nun be‐ steht darin, derartige sprachliche Muster kohärent einbinden zu können in einen neuen textuellen Zusammenhang“ (ebd.). Kruse und Kruses Auffassung von einem sprachlichen Muster schließt somit ganz individuelle Formulierungen ein. Formulierungen aus einem Text können dadurch zu sprachlichen Mustern werden, indem sie in einem weiteren Text (hier: in den kindlichen Sprach- und Textproduktionen) erneut verwendet werden. Kruse und Kruse (2017) stellen eine Zusammenstellung von Beispielen zur Musterhaftigkeit in Kindertexten aus Klasse 3 vor (vgl. dazu Kruse/ Kruse 2017, S. 7). Sie unterscheiden dabei zwischen den folgenden sprachlichen Auf‐ fälligkeiten: stark bildhafte Sprache (z. B. silbernes Meer), Verstärkungen (z. B. 146 5 Muster und Textproduktion superstark), erfundene Wörter (z. B. Meerjungmann), Paarbildungen (z. B. Glitzer und Seide), Sprachspiele (z. B. „Sie ist Grau. Grau ist ganz schwarz.“ (Ebd.)), formelhafte Wiederholungen (z. B. „Das Pferd hat … Das Pferd hat“ (ebd.)), Muster, Phraseme (z. B. Es war einmal oder „Dir wird das Lachen noch vergehen“ (ebd.)), Wortschatz, ungewöhnliche Wörter (z. B. „Ein junger Mann namens Aladdin…“ (ebd.)) und auffälliger Satzbau und Umstellungen von Satzgliedern (z. B. „In den Wald gingen die Tiere“ (ebd.). Diese Auflistung kann um weitere sprachliche Auffälligkeiten ergänzt werden. (Vgl. ebd.) Bei dieser Zusammenstellung ist auffällig, dass sie sowohl Phraseologismen und Modellbildungen (nach Burger) enthält, als auch individuelle sprachliche Muster, die sich auf andere Texte beziehen (Intertextualität) und auffällige syntaktische Strukturen. Zudem wird deutlich, dass sich Musterhaftigkeit nach Kruse und Kruse auf den Gebrauch einzelner Wörter beziehen kann („superstark“ (ebd.), „Meerjungmann“ (ebd.)). Hier liegt demnach Musterhaftigkeit auf der Wortebene (Stein und Stupf 2019) vor und eine Parallele zum Musterbegriff nach Brommer und Bubenhofer wird deutlich. Zudem schließt Musterhaftigkeit nach Kruse und Kruse ähnlich wie der Musterbegriff von Dehn rhetorische Mittel wie beispielsweise die Wiederholung oder Anapher („Das Pferd hat … Das Pferd hat“ (Kruse/ Kruse 2017, S. 7)) mit ein. „Das Schreiben von Texten ist immer auch eine Frage der Erfahrung mit Texten. Denn mit den vorgelesenen, gesehenen und gehörten Texten werden Muster entdeckt und wiedererkannt, mit denen die Texte funktionieren“ (ebd., S. 4). Kruse und Kruse richten im Zusammenhang mit dem Nutzen von Mustern für die eigene Textproduktion den Blick auf die Funktionalität von Mustern: Mit Mustern funktionieren Texte. Die Erfahrung, dass mit bestimmten Mustern Texte funktionieren, können Kinder beim Hören, Sehen und Lesen von Texten machen. Als Gründe dafür, dass Kinder Muster in ihren Texten verwenden, nennen Kruse und Kruse (2017) zwei Gründe: Kognitive Entlastung und persönliche Vorlieben (vgl. ebd., S.-6). Einerseits ist es sicherlich eine kognitive Entlastung beim Schreiben und ermöglicht die syntaktische Organisation des Textes. […] Andererseits sind es auch Vorlieben für bestimmte Kombinationen, mit denen sich für die Kinder Vorstellungen und Handlungsräume verbinden, vielleicht auch Figuren, die durch einen bestimmten Sprachgebrauch zur Persönlichkeit werden, die für die Kinder attraktiv ist. (Ebd.) Narrative Muster Schüler untersucht in ihrer Studie Narrative Muster in Bild und Text (2018) narrative Muster (zur Vorstellung der Studie vgl. I.2). „[…] [V]or dem Hinter‐ 5.2 Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive 147 grund eines weiten Mustergriffs“ (ebd., S. 50) betrachtet sie „Sprachformen als narrative Muster […], die basale Elemente von Narrationen konkretisieren“ (ebd.). „Im Erproben sind diese Muster möglicherweise (noch) nicht Teil des kognitiven Wissensbestandes, bergen aber das Potenzial in sich, ihn an ihnen auszubilden“ (ebd.). Schüler sieht im Rezipieren und im Erproben musterhafter Sprachformen die Grundlage für das Ausbilden von kognitiven Textmustern. (Vgl. ebd.) Im Rahmen der genannten Studie entwickelt Schüler ein Kategoriensystem zur „Analyse von Sprachformen für vorgestellte Erfahrung und Ereignisfolgen“ (ebd., S. 107). Dabei identifiziert sie erstens Sprachformen für vorgestellte Erfahrung. Hierbei unterscheidet sie zwischen drei Formen der Darstellung, und zwar Thematisierung ohne Hervorhebung, instrumentelle und literarische Hervorhebung. (Vgl. ebd., S.-109) Als Sprachformen (und Signalwörter) für instrumentelle Hervorhebung nennt Schüler Intensitätspartikeln und andere Intensifikatoren (wie sehr und ein biss‐ chen), Gradpartikeln (wie nicht einmal und ausgerechnet), Interjektionen (z. B. Toll! ) und graphische Elemente (z. B. graphische Sinnbilder). Bei den Sprach‐ formen (und Signalwörtern) zur literarischen Hervorhebung unterscheidet Schüler zwischen phonologischen Figuren (wie Wiederholungen im Sinne von Alliteration, Assonanz, Konsonanz und Reim), morphologischen Figuren (bei‐ spielsweise Wiederholungen mit Wortspiel), syntaktischen Figuren (z. B. Wie‐ derholungen im Sinne von Parallelismus und Chiasmus), semantischen Figuren (wie Wiederholungen im Sinne von Synonymie, Zwillingsformel, Hendiadyoin und Tautologie), narrativen Strukturen (zur Erzeugung von Spannung, Neugier und Überraschung) und metanarrativen Elementen (wie die Leseransprache). (Vgl. ebd. S.-128ff.) Zweitens identifiziert sie Sprachformen für Ereignisfolgen, wobei sie zwischen Sprachformen (und Signalwörtern) zur zeitlichen Markierung (wie eines Tages und „am [Morgen]“ (ebd., S. 143)), zur räumlichen Markierung (z. B. deiktisch weit weg) und zur kausalen Markierung (in Bezug auf konditionale Relationen (z. B. wenn…dann), kausale Relationen (z. B. da), konsekutive Relationen (beispiels‐ weise so…dass), konzessive Relationen (wie auch wenn) und finale Relationen (beispielsweise um…zu) unterscheidet (vgl. ebd., S.-143f.). Bei der Betrachtung der von Schüler identifizierten Sprachformen ist auf‐ fällig, dass diese - in Anlehnung an Stein und Stumpfs (2019) Übersicht über sprachlich vorgeformte Phänomene (vgl. I.5.1.1) - im Abstraktionsgrad variieren. So handelt es sich zum einen um voll-lexikalisierte Ausdrücke, wozu sowohl einzelne Wörter (z. B. Gradpartikeln und Konjunktionen) als auch sprachliche Einheiten, die aus mehreren Wörtern bestehen (z. B. eines Tages), gezählt 148 5 Muster und Textproduktion werden. Zum anderen werden beispielsweise rhetorische Mittel oder metanar‐ rative Elemente wie die Leseransprache, die einen höheren Abstraktionsgrad aufweisen, ebenfalls zu den Sprachformen gerechnet. Darin zeigt sich Schülers weiter Musterbegriff. Textprozeduren Zwischen Musterhaftigkeit und Feilkes Konzept der Textprozeduren ist ebenfalls ein starker Zusammenhang erkennbar. Diesem widmen sich die folgenden Ausführungen. Helmuth Feilke schlägt neben den beiden das Schreiben bestim‐ mende Größen Produkt und Prozess noch eine dritte Größe vor: das Konzept der Prozedur (vgl. Feilke 2012, S. 7). Prozeduren „stützen den schwierigen Weg zwischen den jedes Mal situativ anders bestimmten Prozessen des Prob‐ lemlösens einerseits und dem Produkt andererseits“ (Feilke 2017, S. 51). Es kann hier von einer prozeduralen Kompetenz gesprochen werden, da es sich um ein Können handelt. Feilke unterscheidet zwischen Schreibprozeduren und Textprozeduren. Während sich Schreibprozeduren auf die Prozessorganisation des Schreibens beziehen, betreffen Textprozeduren „die Organisation wichtiger sprachlicher Komponenten, die das Verstehen des Textes erleichtern“ (ebd., S. 52). Sie sind auf den „entstehenden Text und seinen Aufbau bezogen“ (ebd.). Zudem können Textprozeduren als sprachliche Verfahren der Textkomposition bezeichnet werden. (Vgl. ebd., S.-51f.) „[…] Prozeduren können lexikalische Inventarien und syntaktische Muster, also lexikogrammatische Routinisierungen zugeordnet werden“ (Feilke 2010, S. 14). Zu bestimmten Prozeduren gehören somit entsprechende Muster. Nach Feilke (2017) haben Textprozeduren stets „[…] zwei Seiten: Der typische Aus‐ druck verweist auf ein Handlungsschema“ (Feilke 2017, S. 53). Feilke (2012) setzt ein Handlungsschema mit einem Gebrauchsschema gleich (vgl. Feilke 2012, S. 11). Im Kontext des wissenschaftlichen Schreibens lässt sich dem Gebrauchsschema Bezüge herstellen beispielsweise der Routineausdruck Bezüge herstellen zuordnen (vgl. ebd., S. 13). Bei diesem zur Illustration aufgeführten Ausdruck handelt es sich um einen Phraseologismus im Sinne Burgers (2010). „‚Einen fiktionalen Erzählraum konstituieren‘, das ist eine durch sprachliche Mittel musterhaft bestimmte Prozedur“ (Feilke 2009, S. 6). Bei der Fiktionalisie‐ rungsprozedur werden beispielsweise Ausdrücke wie Es war einmal verwendet. (Vgl. ebd.) Somit können mit Hilfe einer literalen Prozedur Muster in die syn‐ taktische Struktur des Textes eingeordnet werden. Nach Kruse und Kruse (2007) besteht Textkompetenz darin, „[…] sprachliche Muster kohärent einbinden zu können in einen neuen textuellen Zusammenhang“ (Kruse/ Kruse 2007, S. 31). Hier leuchtet der Zusammenhang zwischen Mustern und der syntaktischen 5.2 Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive 149 75 Die Ausführungen zu Textprozeduren enthalten vereinzelt Überlegungen und Formu‐ lierungen aus Strozyk (2011). Organisation des Textes auf. Muster werden durch literale Prozeduren in die syntaktische Organisation des Textes eingebunden. 75 Exemplarisch werden schließlich Textprozeduren des Erzählens erläutert. Durch die bereits thematisierte Wendung Es war einmal, mit der viele Märchen der Gebrüder Grimm beginnen, werden Leser bzw. Zuhörer auf die Textsorte Märchen hingewiesen. Durch Textprozeduren werden Lesererwartungen or‐ ganisiert und Schreibende können das Verstehen der Leser mit Hilfe von Textprozeduren steuern. „Das funktioniert, weil der typische Ausdruck in der Kompetenz durch Spracherfahrung einem Handlungsschema (hier: Eröffnung eines Märchens) zugeordnet ist“ (Feilke 2017, S. 53). (Vgl. ebd.) Der typische Ausdruck lässt sich in diesem Beispiel mit einem sprachlichen Versatzstück gleichsetzen, da es sich dabei, wie durch das aufgeführte Beispiel deutlich wird, nicht unbedingt um einen Phraseologismus handeln muss. „Für viele narrative Textprozeduren gibt es […] bereits bekannte Bezeich‐ nungen“ (ebd.). Beispielhaft zählt Feilke das epische Präteritum, das szenische Präsens und epische Vorausdeutungen auf. Der Satz Morgen war Weihnachten bezieht sich nicht auf Zeitverhältnisse. „Vielmehr versetzt das Präteritum den Leser in eine Erzählwelt. Das ist das Handlungsschema“ (ebd.). Durch den Gebrauch des epischen Präteritums wird deutlich, dass erzählt wird. (Vgl. ebd.) Literale Prozeduren sind auf die jeweilige Textfunktion bezogen (vgl. Feilke 2010, S. 13). Zu den literalen Prozeduren gehören auch die Leserinvolvierung (vgl. ebd., S. 10) und der innere Monolog (Feilke 2009, S. 6). Gute Beispiele für literale Prozeduren sind nach Feike zudem Titel und Überschriften (ebd.). Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das, was einem Handlungsschema zugeordnet werden kann, weit mehr umfassen kann als ein einzelner Phraseo‐ logismus oder sprachliches Versatzstück. Grundmuster von Erzählungen Der Musterbegriff, der Kristin Wardetzkys Untersuchung zu Märchentexten von Grundschulkindern (Wardetzky 2015) zugrunde liegt, bezieht sich auf struktu‐ relle Aspekte. Sie verwendet dabei die Begriffe Strukturmuster, Grundmuster, Grundschema und Muster synonym (vgl. dazu Wardetzky 2015). Wardetzky bezieht sich auf Kindertexte, die zu einer „Sammlung von Erzählungen“ (ebd., S. 36) stammen, die von ca. 2000 Grundschulkindern der Kassen 2 bis 4 „ohne Anleitung, Hilfe oder Korrektur der Lehrer(innen)“ (ebd.) im Unterricht angefertigt worden sind. (Vgl. ebd.) An drei solcher Kindertexte verdeutlicht 150 5 Muster und Textproduktion sie die Muster „Wunscherfüllung“ (ebd.), „Not und Bewährung“ (ebd., S. 36f.) und „Kampf oder Entzauberung“ (ebd., S. 37-39). Diese drei Muster werden im Folgenden kurz in ihrer Besonderheit dargestellt, um zu verdeutlichen, was Wardetzky unter einem Grundmuster versteht. In Geschichten, die dem Muster 1 (Wunscherfüllung) folgen, werden „die Glücksansprüche der Held(inn)en ohne eigenes oder fremdes Zutun erfüllt“ (ebd., S. 36). Dieses von Wardetzky als archaisch bezeichnete Muster wird von den Zweitklässlerinnen und Zweitklässlern „als eine Art ‚Handlungsfahrplan‘“ (ebd.) bevorzugt. (Vgl. ebd.) Von älteren Kindern wird dieses Grundschema entfaltet - und zwar zu einem komplexen Modell. Muster 2 (Not und Bewährung) kann wie folgt beschrieben werden: „Isolierung der Hauptfigur - Bedrohung durch einen Schädiger/ Gegenspieler oder durch Verlassenheit/ Deprivation - Bewährung (mit oder ohne Beistand eines Helfers) - Glückliches Ende“ (ebd., S. 36f.). (Vgl. ebd.) Muster 3 kann wie folgt beschrieben werden: Muster 2 wird schließlich im Zaubermärchen um weitere Motive erweitert. Diese können z. B. sein „Verbot - dessen Übertretung, Kampf - Sieg, schwere Aufgabe - Lösung, Verfolgung - Flucht“ (ebd., S. 37). (Vgl. ebd., S. 37f.) Ein Strukturmuster oder Grundmuster bezieht sich somit auf eine bestimmte Abfolge von inhaltlichen Elementen. 5.3 Muster und Intertextualität Die folgenden Ausführungen dienen dem Zweck, den Zusammenhang zwischen Mustern und Intertextualität unter verschiedenen Perspektiven zu beleuchten. Zunächst erfolgt die Darstellung von Intertextualität aus einer literaturwissen‐ schaftlichen Perspektive nach Kristeva (1976). Anschließend wird der Blick auf die Werbesprachenforschung gelegt, um anhand einer Klassifikation zur Beschreibung von Grundformen von Intertextualität ( Janich 2010) die Bedeu‐ tung von Mustergebrauch und Musterwissen aufzuzeigen. In einem dritten Schritt wird die Darstellung um die didaktische Perspektive erweitert, indem Intertextualität in Kindertexten und implizites Lernen thematisiert wird. Bei dem Begriff Intertextualität handelt es sich ursprünglich um einen literaturwissenschaftlichen Begriff. Dieser wurde von Julia Kristeva, einer Semiotikerin und Literaturwissenschaftlerin, in den 60er Jahren des 19. Jahr‐ hunderts eingeführt - und zwar „auf der Basis von Michail Bachtins Konzept der ‚Dialogizität‘“ ( Janich 2010, S. 232). Dies geschah, um zu einem neuen und ra‐ dikalen Literaturverständnis zu kommen. „Der Autor und der Einzeltext werden zugunsten eines Universums von Texten aufgegeben, die vielfältig miteinander 5.3 Muster und Intertextualität 151 76 Janichs Klassifikation basiert auf Überlegungen von Fix (1997), Holthuis (1993) und Karrer (1985) (vgl. Janich 2010, S.-232). 77 Die vierte Kategorie „bildliche Anspielungen über den visuellen Code“ (ebd., S. 234) und die achte Kategorie „Anspielungen über den visuellen Code“ (ebd., S. 235) sind für das Erkenntnisinteresse der vorliegenden Studie nicht relevant und werden daher nicht erläutert. verwoben sind“ (ebd.). Dann entwickelte sich in der Literaturwissenschaft ein moderates Modell. Intertextualität dient in diesem dazu, verschiedene Referenz‐ bezüge, die zwischen Texten bestehen, zu bezeichnen. (Vgl. ebd., S. 232) Kristeva schreibt Folgendes: „[…] jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes“ (Kristeva 1976, S.-348). Janich (2010) nutzt den Begriff der Intertextualität für die Werbesprachenfor‐ schung. Sie legt eine Begriffsdefinition von Intertextualität vor, die sie als „methodisch handhabbare Arbeitsdefinition“ (ebd., S. 232) bezeichnet: Intertextualität ist eine konkret belegbare Eigenschaft von einzelnen Texten und liegt dann vor, wenn vom Autor bewusst und mit einer bestimmten Absicht auf andere, vorliegende einzelne Texte oder ganze Textgattungen/ Textsorten durch Anspielung oder Zitat Bezug genommen wird, und zwar unabhängig davon, ob er diese Bezüge ausdrücklich markiert und kenntlich macht oder nicht. (Ebd.) Der Bezug nehmende Text wird dabei Phänotext genannt, während der Refe‐ renztext der Text ist, auf den Bezug genommen wird. Janich unterscheidet acht Grundformen 76 von Intertextualität. (Vgl. Janich 2010, S. 232ff.) Sechs dieser Formen werden im Folgenden dargestellt, da sie zum einen dazu dienen, konkrete Ausprägungen von Intertextualität zu veranschaulichen. Zum anderen sind Bezüge zum eigens entwickelten Raster zur Beschreibung von Musterhaf‐ tigkeit in Kindertexten mit Bezug auf den Vorlesetext (vgl. II.2.3.1) erkennbar. 77 Die erste Form meint vollständige und unvollständige Zitate, die markiert oder unmarkiert sind. Die zweite Form nennt Janich „Anspielung durch Über‐ nahme von (meist syntaktischen) Strukturen bei lexikalischer Substitution“ (ebd., S.-233). Das bedeutet, dass eine Anspielung aufgrund des ähnlichen Satzbaus, einer übernommenen syntag‐ matischen Struktur oder der gleichen Anordnung von Teiltexten vorliegt, die aber durch lexikalische Substitution unterschiedlich stark verfremdet ist, also durch die Ersetzung einzelner Wörter durch andere. (Ebd.) Hier verweist Janich auf den Slogan Manche mögen’s easy (Markt & Technik), der auf den deutschen Titel Manche mögen’s heiß des US-amerikanischen 152 5 Muster und Textproduktion 78 Zur Darstellung des Konzepts Texte und Kontexte von Dehn et al. (2011) vgl. Kapitel I.7. Filmes Some like it hot anspielt. Bei der dritten Form („Anspielung durch Übernahme zentraler lexikalischer Elemente bei struktureller Modifikation“ (ebd., S. 234)) kommt es hingegen zu einer Übernahme markanter Wörter oder kleiner Wortgruppen. Die fünfte Form bilden „Mustermetamorphosen“. Es findet eine Nachahmung eines fremden Textmusters statt. Diese Grundform von Intertextualität liegt zum Beispiel vor, wenn eine Werbeanzeige einen Textaufbau und ein Layout wie ein Brief hat. Bei „Mustermontagen/ Muster‐ mischungen“, die die sechste Kategorie bilden, werden verschiedene Muster kombiniert. „Musterbrechungen“ bezeichnen die Grundformen von Intertextu‐ alität der siebten Kategorie. Hier findet ein „punktueller Verstoß gegen einzelne Struktur- oder Formulierungsmerkmale eines Textmusters“ (ebd., S. 235) statt. (Vgl. ebd., S.-233ff.) Janichs Kategoriensystem verdeutlicht anschaulich den Zusammenhang zwi‐ schen dem Gebrauch von Mustern (auf verschiedenen Ebenen) und Intertextu‐ alität. So lassen sich folgende Bezüge zwischen Janichs Kategoriensystem und den in der vorliegenden Studie thematisierten Vorstellungen von Musterhaftig‐ keit herausarbeiten: Janichs erste zwei Formen von Intertextualität beziehen sich auf Übernahmen sprachlicher Muster aus einem anderen Text (wenn auch das Einwortmuster (Bubenhofer 2009) zu den sprachlichen Mustern gerechnet wird). Sprachliche Muster schließen dabei Phraseologismen ein. Die dritte Form beschreibt sehr treffend strukturelle Muster, zu denen auch Phraseoschablonen gezählt werden können. Die Formen 5, 6 und 7 beziehen sich auf Textmuster nach Fix (2008). Timm Christensen zeigt anhand von Kindertexten, die zu einer Aufgabenstel‐ lung aus dem Konzept von Dehn (1999) 78 verfasst worden sind, Intertextualität in Kindertexten auf (vgl. Christensen 2011). An von ihm gewählten Beispielen wird die Bedeutung von Mustergebrauch und Intertextualität sehr deutlich. Ein Schüler aus einer zweiten Klasse einer Sprachheilklasse verfasst den Text „Sven und Eleonora tanzen. Eine Palme ist eine Palme.“ (Christensen 2011, S. 53) Die sprachliche Qualität dieses Textes zeigt sich nach Christensen im zweiten Satz. Christensen weist an dieser Stelle auf die Formulierung „Rose is a rose is a rose is a rose“ (ebd.) hin, die aus dem Gedicht „‚Sacred Emily‘ (vgl. Rinser 1986, S. 7)“ (Christensen 2011, S. 53) stammt. Hier benennt Stein „das Offensichtliche und bekräftigt durch einfache Wiederholung ein Sein“ (ebd.). Zudem erwähnt Christensen in diesem Zusammenhang den Bibelsatz „‚Ich bin, der ich bin‘ (Mose 2, 3)“ (ebd., S. 53). Es lassen sich nach Christensen Grundzüge konzeptioneller 5.3 Muster und Intertextualität 153 79 Wiklón, Pitor/ Wilkón, Józef (1990): Rosalind das Katzenkind. Zürich: Bohem Press. Schriftlichkeit an der Formulierung, die Hassan wählt, erkennen. (Vgl. ebd.) Der Text, den Hassan verfasst hat, „steht in enger Beziehung zu einem Bilderbuch, das er vor dem Schreiben vorgelesen bekommen hatte“ (ebd., S.-55). (Vgl. ebd.). Es handelt sich dabei um das Bilderbuch Leuchte, Turm leuchte (vgl. ebd.) von Martin Baltscheit (vgl. ebd., S. 60). Zu diesem Buch durfte Hassan schreiben, was ihm wichtig war. Bei dieser Aufgabestellung handelt es sich um eine Aufgabe aus dem Konzept von Dehn (1999). (Vgl. dazu Christensen 2011, S. 55) In Hassans Text „steht weniger die narrative Struktur des Textes im Vordergrund als vielmehr das Formulieren einzelner Sätze“ (ebd.). In seiner sprachlichen Struktur ist Hassans Satz Eine Palme ist eine Palme analog zu folgendem Satz des Bilderbuches: „Ein Freund ist ein Freund“ (ebd.). Diese Formulierung wird im Bilderbuch vom Leuchtturm Jan geäußert. Zudem meint Jan an einer anderen Stelle in der Geschichte: „Ein Leuchtturm ist ein Leuchtturm“ (ebd.). (Vgl. ebd.) „Hassan hat die Schreibaufgabe genutzt, um in Resonanz mit der in dem Buch sehr auffälligen Syntax und ihrem Sprachrhythmus zu treten. Dieser Sprachrhythmus wird durch die Wortwahl des Satzes erzeugt.“ (Ebd.) In seinem Text variiert Hassan Syntax und Sprach‐ rhythmus (vgl. ebd., S. 56). Nach Christensen wird am Beispieltext von Hassan deutlich, dass Schreiblernerinnen und Schreiblerner „von sich aus, d. h. implizit, sprachliche Strukturen imitieren und variieren“ (ebd.). Implizites Lernen wird den Kindern dabei durch den Verzicht auf Festlegung und den Verzicht auf direkte Unterweisung durch die Lehrperson ermöglicht. (Vgl. ebd.) Ein weiterer Kindertext, den Christensen näher betrachtet, ist ein Text vom Erstklässler Jonte, der eine Grundschule besucht und zum Bilderbuch Rosalind, das Katzenkind  79 aufschrieb, was ihm wichtig war. Jonte fertigte dabei die folgende Beschreibung an, mit der die Figur Rosalind charakterisiert wird: „Rosalind hat keinen Verstand. Und macht nicht mit. Macht nur Quatsch. Rosalind hat die falsche Farbe. Mag keine Milch, sondern Tee.“ (ebd.) (Vgl. ebd.) „Die Formulierung ‚mag nicht Milch, sondern Tee‘ ist fast wortwörtlich im Bilderbuch nachzulesen: ‚Sie wollte keine Milch trinken, sondern Tee‘, heißt es dort.“ (Ebd., S. 57) Zur Illustration von Intertextualität zitiert Christensen unter anderem die Dichterin Ingeborg Bachmann: Also die Dichter der Vergangenheit - versuchen wir es mit denen: […] hier und da erinnere ich mich an eine früh gehörte Zeile, an einen Ausdruck, und wenn mir etwas sehr gefällt, wenn ich meine, es müsse gerettet werden, dann verwende oder variiere ich einen Ausdruck, gebe ihm einen neuen Stellenwert. Das ist also, wenn sie 154 5 Muster und Textproduktion so wollen, ein Verhältnis zur Vergangenheit, ein Arbeitsverhältnis. (Bachmann 1983, S.-60, zit. n. Christensen 2011, S.-54) Diese Aussage von Ingeborg Bachmann nutzt Christensen, um Jontes Vorgehen beim Verfassen seines Textes zu beschreiben: Genau wie Ingeborg Bachmann ihr Arbeitsverfahren beschreibt, erinnert Jonte eine ‚früh gehörte Zeile‘ und gibt ihr einen neuen Stellenwert, indem er sie variiert und nutzt, um seine Intention - Rosalind zu beschreiben - sprachlich auszudrücken. (Christensen 2011, S.-57) Hier wird somit eine Formulierung aus einem anderen Text variiert und verwendet, um sie für den eigenen Text intentionell zu nutzen. (Vgl. ebd.) Beim Verfassen von Texten zu solchen Schreibaufgaben konnten sich die Kinder als Schreibende erleben, „die vorhandene Texte und Formulierungen verwendet und ihrer Intention entsprechend gestaltet haben“ (ebd., S. 58). Im Gegensatz zu professionellen Schreibern ist den Kindern dieses Verfahren jedoch nicht bewusst, so Christensen. Dennoch wenden sie dieses Verfahren an, „um ihre ersten Schritte auf dem Weg zur ‚konzeptionellen Schriftlichkeit‘ (Günther 1993, S.-87) zu gehen“ (Christensen 2011, S.-58). (Vgl. ebd.) 5.4 Musterhaftigkeit und Spracherwerb „Gegenwärtig existiert keine einheitliche Theorie, die Spracherwerbsprozesse in ihrer Ganzheit und Komplexität ausschöpfend beschreiben würde“ (Stein/ Stumpf 2019, S. 216). Seit den 1970er Jahren gewinnt der konstruktivistische An‐ satz in der Spracherwerbsforschung an Bedeutung. Dieser Ansatz unterscheidet sich von anderen Ansätzen durch seinen integrativen Charakter und zeichnet sich durch eine „Durchbrechung der systemlinguistischen Einteilung von Spra‐ chen in Lexikon und Grammatik” (ebd., S. 220). „Unter anderem dadurch kommt der Musterhaftigkeit bei diesem Ansatz eine herausragende Bedeutung zu” (ebd.). (Vgl. ebd.) Der Konstruktivismus zeigt, wie Kinder grammatische Strukturen „durch Imitation, Kategorisierung und Generalisierung aus der Sprache der Umwelt, d. h. aus dem sie umgebenen Sprachgebrauch, entfalten” (ebd., S.-223). (Vgl. ebd.) Ein Überblick zur Musterhaftigkeit im ungesteuerten Spracherwerb ist dem be‐ reits zitierten Werk Muster in Sprache und Kommunikation (2019) von Stein und Stumpf zu entnehmen. Dabei werden die Ansätze Nativismus, Kognitivismus, Interaktionismus und Konstruktivismus im Hinblick auf die Rolle sprachlicher Muster beim Spracherwerb beleuchtet. (Vgl. Stein/ Stumpf 2019, S.-211-223) 5.4 Musterhaftigkeit und Spracherwerb 155 Exemplarisch wird im Folgenden der Blick auf eine Studie gerichtet, die die Rolle und Funktion von Musterhaftigkeit im ungesteuerten Spracherwerb ansatzweise beleuchtet. Colin Bannard und Elena Lieven nehmen eine gebrauchsbasierte Perspek‐ tive („usage-based perspective“ (ebd., S. 302)) auf Sprache ein. Dabei stellen Wiederverwendung und Wiederholung zentrale Elemente dar. „According to a usage-based perspective the task of language learning can be thought as learning to appropriately reuse the language that one hears“ (ebd.). Beim Spracherwerb gilt es demnach, die gehörte Sprache angemessen wiederzuverwenden. (Vgl. ebd.) Nach Bannard und Lieven kann Formelhaftigkeit als Wiederverwendung von Sprache gesehen werden, die etwas sehr Grundlegendes für Kommunikation ist (vgl. Bannard/ Lieven 2009, S. 299): „Formulaicity can be thought of as language reuse. We will make the case that language reuse is not simply one aspect of linguistic communication but rather its very basis.“ (Ebd.) Diese Aussage ent‐ spricht Überlegungen von Stein und Stumpf, die sprachliche Musterhaftigkeit erstens als grundlegendes Wesenselement natürlicher Sprachen ansehen (vgl. Stein/ Stumpf 2019, S. 11) und zweitens als grundlegendes Bestimmungsmerkmal von Musterhaftigkeit die Wiederverwendung von „etwas“ nennen (vgl. ebd., S.-19). Bannard und Lieven (2009) stellen eine Studie mit zweijährigen Kindern vor (vgl. ebd., S. 299). Mit Hilfe einer Methode, die sie Traceback nennen, versuchten die Forschenden neue Äußerungen von Kindern zu identifizieren und deren mögliche Grundlage darin zu finden, was das jeweilige Kind zuvor gehört oder gesagt hatte. (Vgl. ebd., S.-309) Dazu wurde der Korpus für jedes Kindes in einen Hauptkorpus und einen Testkorpus unterteilt. Sechs Wochen lang wurde an fünf Tagen der Woche jeweils eine Stunde lang eine Aufnahme von einem zweijährigen Kind gemacht. Meist handelte es sich dabei um Situationen beim Spielen oder beim Essen. Im Testkorpus, der aus den sprachlichen Äußerungen der letzten zwei aufge‐ nommenen Stunden bestand, wurden alle neuen Äußerungen des Kindes iden‐ tifiziert, um sie anschließend mit Äußerungen (des Kindes oder einer anderen Person) im Hauptkorpus zu vergleichen, um herauszufinden, ob gemeinsames lexikalisches Material zu finden ist. „The idea is to trace novel utterances in the test corpus back to strings in the main corpus from which they could have been constructed“ (ebd.). Um als Komponenteneinheit (component unit) identifiziert zu werden, musste die Formulierung mindestens zweimal im Hauptkorpus vorkommen. Zudem wurde zwischen zwei Typen unterschieden: „fixed phrases and schemas with slots“ (ebd., S. 310). Als Beispiel für eine feste Phrase (fixed phrase) kann die Formulierung make a cake genannt werden. „A fixed phrase is 156 5 Muster und Textproduktion any continuous string of words“ (ebd.). Diese aus mehreren Wörtern bestehende Einheit musste im Hauptkorpus mindestens zweimal enthalten sein, um als fixed phrase identifiziert zu werden. (Vgl. ebd., S. 309-312) Die fixed phrase könnte als sprachliches Muster im Sinne der Definition der vorliegenden Arbeit bezeichnet werden (vgl. I.5.7), da es sich bei dieser aus mehreren Wörtern bestehenden Einheit nicht um einen Phraseologismus handeln muss. Es handelt sich vielmehr um eine individuelle Wortkombination, die mehrfach geäußert wird und dadurch als musterhaft zu bezeichnen ist. Ein Schema mit Slots wurde folgendermaßen identifiziert: If a string occurred that matched the novel utterance in the same way, with variation in the same position, this was identified as a schema with a slot. A slot was established if at least two different expressions belonging to the same broad semantic category occurred in the same position in the schema. (Ebd., S.-310) Ein Schema mit Slot des Typs Utterance war in der referierten Studie beispiels‐ weise „UTTERANCE on it“ (ebd.). Die entsprechenden Äußerungen, die diesem Schema zugeordnet werden können, lauten „there’s sand on it“ (ebd.) und „a big flower on it“ (ebd.). Als Schema mit Slot des Typs Referent wird „REFERENT on there“ (ebd.) genannt. Beispiele dafür sind die Äußerungen „more choc + choc on there“ und „Bow-’s food on there“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Im Sinne des Musterverständnisses der vorliegenden Studie (vgl. I.5.7) handelt es sich beim Schema mit Slot um ein strukturelles Muster. Zu jeder neuen Äußerung aus dem Testkorpus (target utterance) wurden alle potentiellen Komponenteneinheiten im Hauptkorpus identifiziert. Mit Hilfe der zwei Handlungen Ersetzen (substitute) und Ergänzen (add) wurde versucht, die Zieläußerung (target utterance) herzuleiten. (Vgl. ebd., S.-311) Die Auswertung der Daten zeigte u. a., dass es sich bei 25 bis 40 Prozent der target utterances um exakte Wiederholungen von Worteinheiten handelte, die im Hauptkorpus produziert worden waren. Bei 36 bis 48 Prozent der target utterances konnten diese aus einer Formulierung aus dem Hauptkorpus mit Hilfe einer einzigen Handlung (operation) hergeleitet werden. Mit einer Zunahme der Länge der Äußerungen ging einher, dass die Anzahl an exakten Wiederholungen abnahm. „This makes sense if, as children develop their language, they depend less on simply repeating rote-learned strings and are able to command more sophisticated ‚assembly operations‘“ (ebd., S. 313). (Vgl. ebd.) Zudem konnte hinsichtlich der Schemata mit Slots beobachtet werden, dass mit einem Anstieg der Länge der Äußerung die Kinder die Referent-Slots mit komplexerem Wort‐ material füllten. (Vgl. ebd. S.-314) 5.4 Musterhaftigkeit und Spracherwerb 157 Bannard und Lieven (2009) schlussfolgern u. a.: „We provided a rational argu‐ ment that the reuse by children of whole multiword sequences taken directly from the input represents a very efficient learning strategy“ (ebd., S. 318). Die vorgestellte Studie gibt Hinweise darauf, dass es sich beim Rückgriff auf Mehrworteinheiten aus dem Input beim Spracherwerb um eine sehr effektive Lernstrategie zu handeln scheint. 5.5 Spracherwerb und Kinderliteratur Im Folgenden wird zunächst auf den Zusammenhang von Spracherwerb und Kinderliteratur im Allgemeinen (Meibauer 2011) eingegangen. Anschließend werden Überlegungen zum Zusammenhang von Spracherwerb und seriellen Narrationen nach Finkbeiner (2019) thematisiert. Nach Jörg Meibauer existiert eine systematische Beziehung zwischen Sprach- und Literaturerwerb. Diese wird als Fähigkeit verstanden, „Literatur zu verstehen und zu produzieren“ (Meibauer 2011, S. 9). Die Fähigkeit, Geschichten zu erzählen, ist nach Meibauer mit dem Verstehen von komplexen Strukturen in literarischen Texten verbunden. (Vgl. ebd.) In seinem Artikel Spracherwerb und Kinderliteratur (2011) stellt Meibauer in diesem Zusammenhang zwei Thesen auf. „Kinderliteratur ist ein spezifischer Input im Spracherwerb. Eine Theorie des Spracherwerbs muss berücksichtigen, wie dieser Input den Erwerbsprozess beeinflusst.“ (Ebd., S. 9) So lautetet seine erste These, die in einem starken Zu‐ sammenhang mit der vorliegenden Studie steht. Seine zweite These lautet: „Eine wesentliche Eigenschaft von Kinderliteratur ist, dass sie auf den kognitiven und sprachlichen Entwicklungsstand von Kindern Rücksicht nimmt. Eine Theorie der Kinderliteratur muss diese Eigenschaft erklären können.“ (Ebd.) Unter Spracherwerb versteht Meibauer dabei den natürlichen Erstspracher‐ werb. Dieser ist nicht auf die Vorschulzeit begrenzt, sondert dauert lebenslang an. (Vgl. ebd., S. 10) Meibauers erste These „läuft eher gegen Spracherwerbstheo‐ rien strikt nativistischer Ansätze“ (ebd.) und lässt sich als „eher kompatibel mit kognitivistischen und interaktionistischen Ansätzen“ (ebd., S. 10) bezeichnen. (Vgl. ebd.) Nach Meibauer gibt es dafür Evidenz, dass die gemeinsame Bilderbuchbe‐ trachtung der Funktion dient, „das Kind in seinem lexikalischen Erwerb zu unterstützen“ (ebd., S. 11). Auch bekommt das Kind durch das gemeinsame Bil‐ derbuchbetrachten Einsichten in grammatische Sachverhalte wie die Struktur einer Ergänzungsfrage und übt den Sprecherwechsel im Frage-Antwort-Format. (Vgl. ebd.) Kümmerling-Meibauer und Meibauer gehen davon aus, „dass ein Kind 158 5 Muster und Textproduktion 80 Hier nimmt Finkbeiner Bezug auf Meibauer (2011), Kümmerling-Meibauer/ Meibauer (2013) und Gressnich (2014). 81 Finkbeiner verweist in diesem Zusammenhang für einen Überblick über neuere For‐ schungsarbeiten auf Meibauer (2011). ein Wort kennt, wenn es eine konsistente Zuordnung von lautlicher Form und konzeptueller Bedeutung vornimmt“ (ebd., S. 12). Diese Form-Konzept-Paare (Lexeme) werden im mentalen Lexikon gespeichert. (Vgl. ebd.) Für Meibauer ist es naheliegend, Entwicklungsstufen, wie Boueke et al. (1995) sie identifizierten, „mit dem Input der Kinder in dem entsprechenden Entwicklungsverlauf in Verbindung zu bringen“ (Meibauer 2011, S. 15) und schließt daraus Folgendes: „Das sprachliche Angebot in Bilderbüchern dürfte zum Teil weit über das hin‐ ausgehen, was Kinder selbst beherrschen, so dass man hier wieder Bestätigung der These 1 findet“ (ebd.). Um die von ihm genannten Thesen zu erhärten oder zu widerlegen, fordert Meibauer die empirische Erforschung des Zusammenhangs „zwischen Spracherwerb und dem Erwerb von Kinderliteratur“ (ebd., S.-19). Finkbeiner (2019) zeigt, dass es sich beim Prinzip der Serialisierung (vgl. I.5.2) um ein „ganz grundlegendes Prinzip der Erstliteratur für Kinder“ (Finkbeiner 2019, S. 56) handelt. Die Frage, warum auf dieses Prinzip bei der Gestaltung von Bil‐ derbüchern so durchgängig zurückgegriffen wird, müsse im erwerbsfördernden Potential des Bilderbuches liegen, wenn von der Hypothese 80 ausgegangen werden kann, „dass Kinderliteratur an den sprachlichen Erwerbsstand von Kin‐ dern angepasst ist“ (ebd.). Finkbeiner zeigt, dass die Bereiche Narrationserwerb, Wortschatzerwerb und Dialogerwerb von einer sprachlichen Gestaltung von Bilderbüchern, die sich durch Serialisierung bzw. den „Einsatz von Repetition und Variation“ (ebd.) auszeichnen, profitieren. (Vgl. ebd.) Ihre Überlegungen hinsichtlich des Wortschatz- und des Narrationserwerbs werden aufgrund ihrer Bedeutsamkeit für die vorliegende Studie skizziert. Hinsichtlich des lexikalischen Erwerbs weist Finkbeiner auf das Ergebnis neuerer Forschungsarbeiten 81 hin, die die positiv unterstützenden Auswir‐ kungen der Rezeption von Bilderbüchern auf eine zügige Wortschatzentwick‐ lung zeigen konnten. Mit Bezug auf Horst (2015) und Reese (2015) geht Finkbeiner auf das Prinzip des konstanten Kontextes ein, das sich bei der positionsgebundenen Einführung neuer Wörter als sehr förderlich erwiesen hat. Von diesem Prinzip wird in den von Finkbeiner untersuchten für Kleinkinder entwickelten Bilderbüchern, die Formen textinterner Musterbildung aufweisen, in starkem Maße Gebrauch gemacht. Dieses Prinzip reduziert die Anzahl der Fälle, in denen die Kinder mit ihnen unbekannten Wörtern in Berührung kommen, und erleichtert auf diese Weise die Konzentration auf neue Wörter, 5.5 Spracherwerb und Kinderliteratur 159 so Finkbeiner. Durch den gleichbleibenden Kontext wird „die Generierung einer gezielten Erwartung bezüglich dessen, was kommt, und ein[] leichte[r] Abgleich mit dem jeweiligen Resultat“ (ebd., S. 57) ermöglicht. Zudem sind die Variationen innerhalb des Textes nicht willkürlich, sondern stets in einer bestimmten Weise organisiert. Nach Finkbeiner ist die Annahme naheliegend, dass das Wortlernen durch diese gezielten Beschränkungen erheblich erleichtert wird. (Vgl. Finkbeiner 2018, S.-57) Die Fähigkeit, Narrationen zu verstehen und zu produzieren, setzt eine Reihe weiterer Fähigkeiten voraus. Mit Bezug auf Forschungsarbeiten von Becker (2001), Klann-Delius (2005) und Kauschke (2012) nennt Finkbeiner beispiels‐ weise das Verstehen temporaler Relationen und die Fähigkeit, Strukturprinzi‐ pien (Anfang und Ende) zu erkennen. Diese Entwicklung kann durch Erstlite‐ ratur unterstützt werden, „wobei die Serialisierung des erzählten Inhalts ein einfaches, aber sehr wirkungsvolles Strukturierungsmittel ist“ (Finkbeiner 2019, S. 57). Die konstante Episodenstruktur in den von Finkbeiner analysierten Büchern Ab heute sind wir cool und Zum Elefanten immer geradeaus trägt zur Kohärenz der Episoden bei und dient der Unterstützung des inhaltlichen Verstehens der jeweiligen Geschichte. (Vgl. ebd.) Die Linearität der Serie lässt sich sehr einfach in die Dimension der Zeit abbilden, so dass eine einfache Temporalität, ein zeitliches Nebeneinander der Episoden entsteht. Das Kind erwirbt zugleich ein einfaches Modell für den Aufbau und die Handlungs‐ struktur von Geschichten - z. B. in Bezug auf die Unterscheidung zwischen konstanter Episode und Komplikation -, das es auch in der eigenen Textproduktion nutzen kann. (Ebd., S.-57f.) Durch den Umgang mit Bilderbüchern, die eine textinterne Musterbildung aufweisen, können Kinder somit ein Modell für die Handlungsstruktur von Narrationen kennenlernen, auf das sie selbst in ihren Textproduktionen zurück‐ greifen können. Dieses erfüllt dabei die Funktion, ein zeitliches Nacheinander von Ereignissen darzustellen. 5.6 Muster - eine vergleichende Gegenüberstellung Es folgt ein überblicksartiger Vergleich der Vorstellungen zum Begriff Muster sowie äquivalenter Begriffe, die im Hinblick auf ihre Konzeption mit dem Begriff Muster gleichsetzbar sind. Dabei soll der schrittweise Aufbau einer schematischen Darstellung der Illustration dienen. Es lassen sich fünf Gruppen von Mustern unterscheiden, bei denen es teilweise Überlappungen gibt. 160 5 Muster und Textproduktion Literarische Muster nach Dehn (1999, 2005) bzw. Dehn et al. (2011) bilden die erste Gruppe (vgl. Abb. 1). Dehns sehr weit gefasster Musterbegriff umfasst sowohl Geschichtenmuster, Textstrukturen als auch den Gebrauch rhetorischer Figuren. Ein Geschichtenmuster erläutern Dehn et al. (2011) an folgendem Kindertext: „Es war einmal ein kleiner Wurm. Er war zu gern in einem Apfel. Er fraß sich kreuz und quer, bis er schließlich mit einem anderen Wurm zusammenstieß.“ (Dehn et al. 2011, S. 56) Dieser Text enthält eine Einleitungsformel eines Märchens, ein handlungstreibendes Moment und einen offenen Schluss (vgl. ebd.). Hier fällt die Nähe zu Ulla Fixens Überlegungen zum Textmuster (zweite Gruppe) auf: Muster werden durch hochtypische Elemente mit Signalfunktion markiert, z. B. die in Märchen verwendete Formulierung Es war einmal (vgl. Fix 2005, S. 16). Zudem werden Textsorten als Muster gespeichert (vgl. Fix 2003). Das Baumuster lässt sich, folgt man den Überlegungen von Finkbeiner (2018), ebenfalls den Textmustern zuordnen. Dabei kann es wiederum u. a. aus wiederkehrenden sprachlichen Mustern und Textstrukturen bestehen. LITERARISCHE MUSTER (Dehn) Metaphernbildung Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke Textstrukturen → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke Textstrukturen Geschichtenmuster TEXTMUSTER (sprachw.) → Textsorte Abbildung 1: Muster I 5.6 Muster - eine vergleichende Gegenüberstellung 161 Eine dritte Gruppe bilden die sprachlichen Muster, Sprachmuster oder sprach‐ lichen Versatzstücke (vgl. Abb. 1). Nach Kruse und Kruse (2007) gehören zu den sprachlichen Mustern sprachliche Formeln, Idiome und ungewöhnliche Ausdrücke. Bei dieser Vorstellung ist eine Nähe zu Phraseologismen bzw. festen Wendungen (vierte Gruppe) erkennbar (vgl. Abb. 2). Synonyme für Phraseolo‐ gismen sind feste Wortverbindung, Phrasem und Idiom (Burger 2010, Donalies 2009). Es gibt nach Burger auch satzwertige Phraseologismen. Dazu gehören feste Phrasen und topische Formeln. LITERARISCHE MUSTER (Dehn) Metaphernbildung Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO- GISMEN (feste Wortverbindungen) „sich die Zähne putzen“ „den Nagel auf den Kopf treffen“ „fix und fertig“ Textstrukturen Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO-- GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste 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Kombinationen von Wörtern aus der Literatur handeln kann, die in einem weiteren Text erneut gebraucht werden. Erinnert sei an dieser Stelle an das sprachliche Muster Ich fühlte mich luftig und leicht wie ein Streiflein Nebel aus dem Kinderbuch Das kleine Gespenst (vgl. dazu Kruse/ Kruse 2007). Der Gruppe der sprachlichen Muster lässt sich auch die von 162 5 Muster und Textproduktion Dehn erwähnte Einleitungsformel eines Märchens Es war zuordnen sowie die Formulierung Es war einmal, die Fix als hochtypisches Element mit Signalfunktion bezeichnet. „Die poetische Funktion der Sprache“ ( Jakobson 1972), die sowohl in literari‐ scher Sprache als auch in alltäglichen Sprachäußerungen beobachtbar ist, lässt sich auch in der schematischen Darstellung von Musterhaftigkeit positionieren (vgl. Abb. 3). So gibt es zum einen Phraseologismen, die nicht als rhetorisches Mittel bezeichnet werden können (z. B. die Kollokation sich die Zähne putzen) und zum anderen Phraseologismen, die als Idiome bzw. Metaphern (den Nagel auf den Kopf treffen) und Alliterationen (fix und fertig) bezeichnet werden können. Da zu den literarischen Mustern (erste Gruppe) der Gebrauch rhetorischer Mittel gerechnet wird und es sich bei einem Teil der Phraseologismen (dritte Gruppe) zusätzlich um rhetorische Mittel handelt, liegt auch hier eine Überlap‐ pung der beiden Gruppen vor. LITERARISCHE MUSTER (Dehn) Metaphernbildung Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO- GISMEN (feste Wortverbindungen) „sich die Zähne putzen“ „den Nagel auf den Kopf treffen“ „fix und fertig“ Textstrukturen Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO-- GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste 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der Sprache“ (Jakobson) (literarische Sprache & alltägliche Sprachäußerungen) Abbildung 3: Muster III Als weiterer bedeutsamer Aspekt sei die Modifikation von Phraseologismen ( Janich 2010) erwähnt. Stein (1995) spricht von „Kreativität […] und Formelhaf‐ 5.6 Muster - eine vergleichende Gegenüberstellung 163 tigkeit“ (Stein 1995, S. 18) (vgl. Abb. 4). Analog dazu spricht Dehn mit Blick auf den Gebrauch von Mustern in Kindertexten von „Adaption und Variation“ (Dehn 1999) (vgl. Abb. 5). LITERARISCHE MUSTER (Dehn) Metaphernbildung Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO- GISMEN (feste Wortverbindungen) → „formelhafte sprachliche Einheiten“ (Stein) Textstrukturen → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO-- GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN 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GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) →→→→→→→→→→→→ „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) Textstrukturen Geschichtenmuster TEXTMUSTER (Fix) Modifikationen von Phraseologismen Formelhaftigkeit und Kreativität (Stein) Abbildung 4: Muster IV 164 5 Muster und Textproduktion LITERARISCHE MUSTER (Dehn) Metaphernbildung Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO- GISMEN (feste Wortverbindungen) → „formelhafte sprachliche Einheiten“ (Stein) Textstrukturen → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER/ SPRACH- MUSTER - sprachliche Versatzstücke PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO-- GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste GISMEN (feste Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) Wortverbindungen) →→→→→→→→→→→→ „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte „formelhafte sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche sprachliche Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ Einheiten“ (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) (Stein) Textstrukturen Geschichtenmuster Modifikationen von Phraseologismen Formelhaftigkeit & Kreativität „Adaption und Variation“ (Dehn) TEXTMUSTER (Fix) Abbildung 5: Muster V Die fünfte Gruppe von Mustern bilden die Phraseoschablonen (vgl. Abb. 6), die im Grenzbereich von Phraseologie zur Syntax liegen (vgl. dazu Fleischer 1997, zit. n. Donalies 2009). 5.6 Muster - eine vergleichende Gegenüberstellung 165 LITERARISCHE MUSTER (Dehn) Metaphernbildung Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER PHRASEOLO- GISMEN Textstrukturen Chiasmus → Gebrauch rhetorischer Figuren SPRACHLICHE MUSTER PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO PHRASEOLO- GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN GISMEN Textstrukturen Geschichtenmuster Modifikationen von Phraseologismen Formelhaftigkeit & Kreativität „Adaption und Variation“ (Dehn) Routineausdruck „in Anlehnung an“ TEXTPROZEDUREN ( TEXTPROZEDUREN (Feilke Feilke) TEXTPROZEDUREN ( = sprachliche Werkzeuge der Textproduktion Sprachliches Handlungsschema (Gebrauchsschema) „Bezüge herstellen“ + Phraseoschablonen TEXTMUSTER (Fix) Abbildung 6: Muster VI Letztendlich können auch die Textprozeduren (Feilke 2017), die sprachliche Werkzeuge der Textproduktion sind, in die vergleichende Darstellung integriert werden. An den Routineausdruck in Anlehnung an ist beispielsweise das Ge‐ brauchsschema Bezüge herstellen gekoppelt (vgl. Feilke 2012, S. 13). Routine‐ ausdrücke wie in Anlehnung an lassen sich der Gruppe der Phraseologismen zuordnen, wobei die Phraseologismen nur einen Teil der sprachlichen Muster ausmachen. Damit handelt es sich beim Routineausdruck gleichzeitig auch um ein sprachliches Muster. An anderer Stelle gebraucht Feilke anstatt des Ausdrucks Routineausdruck den Begriff typischer Ausdruck als Bestandteil einer Textprozedur und nennt als Beispiel die Wendung Es war einmal (vgl. Feilke 2017, S.-53), bei der es sich nicht um einen Phraseologismus handelt. Nachfolgend wird das Verständnis von Musterhaftigkeit bzw. des Musterbe‐ griffes der vorliegenden Studie dargestellt. 166 5 Muster und Textproduktion 82 Die Unterscheidung dieser drei Arten entstand mit Hilfe eines induktiv-deduktiven Vorgehens mit Blick auf erhobene Daten aus Pretend-Reading-Situationen und der Beschäftigung mit theoretischen Grundlagen zum Musterbegriff. 5.7 Das Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit Ähnlich wie bei den Ausführungen von Stein und Stumpf (2019) und Kruse und Kruse (2007) wird in der vorliegenden Studie der Begriff Muster als Oberkategorie genutzt, dem wiederum verschiedene Arten von Mustern unter‐ geordnet werden können. In Anlehnung an Mechthild Dehns Ausführungen wird Schreiben als Transformationsprozess betrachtet (vgl. dazu Kapitel I.5.2). Das Material des Transformationsprozesses sind dabei Muster (Dehn 2005, S. 13). Wie bereits erläutert besteht nach Stein und Stumpf (2019) das Grundmerkmal von Phänomenen, die als musterhaft bezeichnet werden können, darin, dass in der Kommunikationspraxis etwas - sprachliche Strukturen und Aus‐ drücke, Abläufe und Abfolgen, Entstehungsprozesse, Verwendungsanlässe und -mo‐ tive - wiederholt auftritt, sodass im Ergebnis ein Produkt entsteht, dem etwas mehr oder weniger stark Wiedererkennbares anhaftet [Hervorh. im Original]. (Stein/ Stumpf 2019, S.-19; vgl. dazu I.5.1.1). In den mündlichen Textproduktionen von Vorschulkindern, die im Rahmen von Pretend-Reading-Situationen entstanden sind, lässt sich Musterhaftes mit der Bedeutung „Wiedererkennbares, sich Wiederholendes“ auf drei Arten be‐ schreiben. 82 Musterhaftigkeit kann erstens in Bezug auf die Sprachgemeinschaft beschrieben werden (Kategorie 1). Zweitens lässt sich Musterhaftigkeit in Bezug auf einen weiteren Text beschreiben. Bei diesem kann es sich entweder um den Vorlesetext (Bilderbuchtext) aus der Pretend-Reading-Situation handeln (Kategorie 2b) oder um einen dritten Text (Kategorie 2a). Musterhaftigkeit kann sich drittens ausschließlich auf sich Wiederholendes in der Textproduktion des Kindes beziehen (Kategorie 3). Somit sind insgesamt vier Fälle (Kategorie 1, 2a, 2b und 3) zu unterscheiden (vgl. Tabelle 3). 5.7 Das Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit 167 Musterhaftigkeit - vier Kategorien in Bezug auf die Sprachgemein‐ schaft/ Texte mit narrativer Themenentfaltung in Bezug auf einen weiteren Text im Kindertext selbst - 3. Text Vorlesetext - Kategorie 1 Kategorie 2a Kategorie 2b Kategorie 3 Tabelle 3: Musterhaftigkeit - vier Kategorien (Schema 1) Des Weiteren zeigt sich „etwas[,] […] [das] wiederholt auftritt [Hervorh. im Original]“ (ebd.), bei den kindlichen Textproduktionen auf verschie‐ denen Ebenen. Bevor die unterschiedlichen Ebenen vorgestellt werden, sei auf die unter Kapitel I.5.1.1 vorgestellte Übersicht zur lexikalischen „Spezifi‐ ziertheit sprachlich vorgeformter Phänomene“ (ebd., S. 18) von Stein und Stumpf hingewiesen. Bei Vorgeformtheitsphänomenen unterscheiden Stein und Stumpf zwischen voll-lexikalisierten Phänomenen („(lexikalisch spezifizierte) Phraseme“ (ebd.), teil-lexikalisierten Phänomenen (Wortbildungsmuster, Modell‐ bildungen, Verbvalenz, formelhafte Texte) und kaum oder nicht-lexikalisierten Phänomenen (Satzmuster, (ritualisierte) Gesprächsphasen, rituelle Muster/ Ad‐ jazenzpaare/ Paarsequenzen in Gesprächen), „Textsorten-/ muster, Gesprächssorten, kommunikative Gattungen“ (ebd.), Argumentationsmuster/ Topoi, Meta‐ phern/ Metaphernsysteme und Denkstereotype). Dabei wird der Abstraktions‐ grad höher, je weniger die Vorgeformtheitsphänomene lexikalisiert sind. (Vgl. ebd.) Hinsichtlich der Muster, die in mündlichen Textproduktionen aus Pre‐ tend-Reading-Situationen identifiziert werden konnten, lassen sich vier Ebenen unterscheiden. Bei der folgenden Darstellung (vgl. Tabelle 4) wird teilweise auf Begriffe aus der vorgestellten Übersicht von Stein und Stumpf (2019) zurückgegriffen. Es wird unterschieden zwischen einer konkreten bzw. voll-le‐ xikalisierten Ebene (Ebene 1), einer die Struktur von Mustern betreffenden bzw. teil-lexikalisierten Ebene (Ebene 2), einer abstrakten Ebene (Ebene 3) und einer vierten Ebene, die sowohl konkret/ inhaltliche Anteile als auch die Struktur betreffende Anteile enthält (Ebene 4). 168 5 Muster und Textproduktion Musterhaftigkeit - vier Ebenen konkret/ voll-lexikalisiert die Struktur betreffend/ teil-lexikalisiert abstrakt konkret/ inhaltlich, die Struktur betreffend Ebene 1 Ebene 2 Ebene 3 Ebene 4 Tabelle 4: Musterhaftigkeit - vier Ebenen (Schema 2) Es folgt eine kurze Erläuterung der vier Ebenen. Zur Ebene 1, die sich auf Konkretes und Voll-Lexikalisiertes bezieht, gehören die sprachlichen Muster - ein Begriff, der sowohl von Brommer (2018) als auch von Bubenhofer (2009) und Kruse und Kruse (2007) verwendet wird. In Abgrenzung zu Bubenhofers und Brommers Musterbegriff, nach dem sprachliche Muster auch eingliedrig sein können, lehnt sich die der vorliegenden Studie zugrundeliegende Vorstellung von sprachlichen Mustern an Burgers Definition von Phraseologismen an, die immer aus mindestens zwei Bestandteilen bestehen. Der Begriff des sprachlichen Musters der vorliegenden Studie umfasst zum einen Phraseologismen im Sinne Burgers und zum anderen weitere sprachliche Einheiten bestehend aus mindes‐ tens zwei Wörtern (im Rahmen der vorliegenden Studie auch Mehrworteinheiten genannt), die dadurch musterhaft werden, dass sie in mehr als einem Text vorkommen oder in einem Text mehrfach auftreten. Musterhaftigkeit der Ebene 2, die sich auf Strukturelles bezieht, ist der Begriff des strukturellen Musters zuzuordnen. Der Begriff wurde im Rahmen der vorlie‐ genden Studie im Zusammenhang mit der Notwendigkeit entwickelt, mögliche Übernahmen aus dem Bilderbuchtext zu beschreiben, die sich in den mündlichen Textproduktionen der Kinder zeigen. Er bezieht sich auf syntaktische Strukturen und weist eine starke Nähe zum Begriff der Phraseoschablone (Donalies 2009) auf. Ähnlich wie der Begriff des sprachlichen Musters weiter gefasst ist als der des Phraseologismus, so ist der Begriff des strukturellen Musters weiter gefasst als der der Phraseoschablone. So wie ein sprachliches Muster erst durch den Gebrauch in einem weiteren Text zu einem sprachlichen Muster wird, so wird ein strukturelles Muster erst durch sein Vorkommen in einem weiteren Text zu einem strukturellen Muster. Phraseoschablonen bilden dabei einen Teil der strukturellen Muster. Musterhaftigkeit der Ebene 3 bezieht sich auf Abstraktes bzw. Musterhaftes mit einem höheren Abstraktionsgrad. Er umfasst erzähltypische Muster und weitere Muster der dritten Ebene. Der Begriff des erzähltypischen Musters wird in Anlehnung an Schüler (2018) gewählt, die sich auf Becker bezieht (vgl. Schüler 5.7 Das Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit 169 2018, S. 65): In diesem Zusammenhang wird direkte Rede als erzähltypisches Muster bezeichnet (vgl. ebd.). Der Begriff des erzähltypischen Musters bezieht sich im Rahmen der vorliegenden Studie auf Musterhaftes, das typisch für Narrationen ist. Neben dem bereits genannten Gebrauch direkter Rede (vgl. ebd.) soll - in Anlehnung an die Beispiele, die Feilke zur Verdeutlichung narrativer Textprozeduren nennt (vgl. Feilke 2017, S. 53) - auch Folgendes zu den erzähltypischen Mustern gerechnet werden: Der Gebrauch des epischen Präteritums und des szenischen Präsens. In Anlehnung an Feilkes Beispiele zur Verdeutlichung literaler Prozeduren werden auch Leserinvolvierung (vgl. Feilke 2010, S. 10) und der innere Monolog (vgl. Feilke 2010, S. 6) in dieser Studie als Muster der Ebene 3 bezeichnet. Zu den erzähltypischen Mustern sollen zudem die Leseransprache (vgl. Textanalyse II.3.1.4), Geschichtenenden und der Schlussformelgebrauch gezählt werden. Des Weiteren soll die Wiederholung sprachlicher Einheiten zur Darstellung einer sich wiedererholenden Handlung als erzähltypisches Muster bezeichnet werden. Gleiches gilt für den Gebrauch einer Redewendung (meist am Geschichtenende), um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Figur verschwindet. Titel und Überschriften (vgl. dazu Feilke 2009, S. 6), die nicht auf die Textsorte Narration beschränkt sind, werden im Rahmen der vorliegenden Studie zu den weiteren Mustern der dritten Ebene gezählt. Muster der dritten Ebene werden i. d. R. mit Hilfe von sprachlichen und/ oder strukturellen Mustern realisiert. Muster der Ebene 4 bilden eine Sondergruppierung. Zu dieser gehören Bau‐ muster und Mini-Baumuster. Der Begriff des Baumusters geht auf die Termino‐ logie und die Ausführungen von Ritter und Ritter (2008) zurück. Baumuster beziehen sich auf einen einzigen Text. Dieser enthält mehrere Sequenzen, die alle nach dem gleichen Prinzip aufgebaut sind bzw. die gleichen Bausteine aufweisen. Diese Bausteine können wiederum sprachliche Muster, strukturelle Muster, erzähltypische Muster und weitere Muster der dritten Ebene oder auch inhaltliche Elemente enthalten. Zusätzlich zu den Baumustern sollen zur vierten Ebene die Mini-Baumuster gerechnet werden, die wie folgt definiert werden sollen: Mini-Baumuster bestehen wie Baumuster aus einer Reihenfolge bestimmter Bausteine, die sich aus Mustern der Ebenen 1, 2 und 3 zusammen‐ setzten können. Auch sie können weitere inhaltliche Bausteine enthalten. Mini-Baumuster unterscheiden sich insofern von den Baumustern, als dass sie erst im Vergleich zu einem weiteren Text als Muster identifiziert werden können, da sie in einem Text lediglich einmalig vorkommen. Im Folgenden werden Schema 1 und Schema 2 zu einem Schema kombiniert. Alle vier Kategorien (bzw. Formen) von Musterhaftigkeit (vgl. Tabelle 3) können auf 170 5 Muster und Textproduktion allen vier Ebenen der Musterhaftigkeit (vgl. Tabelle 5) gefunden werden. Jeder der vier Kategorien lassen sich somit verschiedene Unterkategorien zuordnen, sodass Musterhaftigkeit insgesamt mit Hilfe von 15 Kategorien beschrieben werden kann. Musterhaftigkeit Ebene (E)/ Kategorie (K) in Bezug auf die Sprachgemein‐ schaft und nar‐ rative Texte (K1) in Bezug auf einen weiteren Text im Kindertext selbst (K3) 3. Text (K2a) Vorlesetext (K2b) Konkret/ inhalt‐ lich (E1) Phraseolo‐ gismen (sprachliche Muster) Mehrworteinheiten aus einem 3. Text (sprachliche Muster) Mehrwortein‐ heiten aus dem Vorlesetext (sprachliche Muster) sich wieder‐ holende Mehr‐ worteinheiten (sprachliche Muster) die Struktur betreffend (E2) Phraseoschablonen (struk‐ turelle Muster) syntaktische Strukturen aus einem 3. Text (strukturelle Muster) syntaktische Strukturen aus dem Vorlese‐ text (strukturelle Muster) sich wieder‐ holende syn‐ taktische Strukturen (strukturelle Muster) Abstrakt (E3) Erzähltypische und weitere Muster Erzähltypi‐ sche und wei‐ tere Muster aus einem 3. Text erzähltypische und weitere Muster aus dem Vorlesetext sich wieder‐ holende er‐ zähltypische und weitere Muster konkret/ inhalt‐ lich, die Struktur betreffend (E4) - Mini-Bau‐ muster, Bau‐ muster aus einem 3. Text Mini-Bau‐ muster, Bau‐ muster aus dem Vorlesetext Baumuster (mehrere Se‐ quenzen be‐ stehend aus mehreren Bausteinen) Tabelle 5: Das Vier-Ebenen-Modell zur Beschreibung von Musterhaftigkeit in Textpro‐ duktionen zu Bilderbüchern Im Folgenden wird näher auf das Vier-Ebenen-Modell (vgl. Tabelle 5) einge‐ gangen, indem die vier Kategorien (K1, K2a, K2b und K3) mit Bezug auf die vier Ebenen (E1, E2, E3 und E4) erläutert werden. 5.7 Das Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit 171 Beschreibung der vier Kategorien (K1, K2a, K2b und K3) mit Bezug zu den vier Ebenen Kategorie 1 umfasst Musterhaftes in der Bedeutung wie Stein und Stumpf sie nutzen. Hierzu werden Phraseologismen (Ebene 1) und Phraseoschablonen (Ebene 2) gerechnet, die im allgemeinen Sprachgebrauch vorkommen und somit wiedererkennbar sind. In diese Kategorie fällt zudem Musterhaftes mit einem höheren Abstraktionsgrad, das häufig in narrativen Texten verwendet wird (erzähltypische Muster), aber auch Musterhaftes mit hohem Abstraktionsgrad, das textsortenübergreifend ist (Ebene 3). Kategorie 2a bezieht sich auf sprachliche (Ebene 1) und strukturelle Formen (Ebene 2) von Musterhaftigkeit sowie abstraktere Muster (Ebene 3), die im Kindertext aus der Pretend-Reading-Situation und in einem dritten Text außer‐ halb der Pretend-Reading-Situation vorkommen. In diesem Fall werden zu den Mustern der Ebene 3 auch abstrakte Muster gezählt, die erst musterhaft durch ihr Auftreten in der Textproduktion des Kindes und in einem dritten Text werden. Zu diesen Mustern lässt sich beispielsweise die Wiedergabe eines Liedes bezeichnen, wenn diese in beiden Texten enthalten ist (vgl. dazu Textanalyse IV, II.3.1.4). Der Gebrauch eines Baumusters (Ebene 4), das einem Kindertext zugrunde liegt, kann zusätzlich als musterhaft bezeichnet werden, wenn es vom Kind aus einem dritten Text übernommen wurde. Im Vergleich zu einem dritten Text kann auch ein Mini-Baumuster, bestehend aus Mustern der Ebenen 1 bis 3, im Kindertext identifiziert werden. Bei der Kategorie 2b handelt es sich um Wiedererkennbares aus dem im Rahmen der Pretend-Reading-Situation vorgelesenen Bilderbuch. So kann der Kindertext sprachliche Muster (Ebene 1) und sprachliche Strukturen (Ebene 2) aufweisen, die im Vorlesetext in identischer oder ähnlicher Form vorkommen. Zur Charakterisierung dieser Art von Mustern bietet es sich an, von buchei‐ genen sprachlichen Mustern und sprachlichen Strukturen zu sprechen. So kann es beispielsweise bucheigene Verbalphraseme geben. Bucheigene sprachliche Strukturen und Versatzstücke haben eine Ähnlichkeit zu Autorphrasemen (Burger 2015, S. 49). Bei den sprachlichen Versatzstücken und Strukturen, die in Bilderbuch und Kindertext vorkommen, kann es sich aber neben solchen bucheigenen sprachlichen Mustern und Strukturen auch um Phraseologismen oder Phraseoschablonen handeln (Kategorie 1). Kategorie 2b kann sich auch auf erzähltypische und weitere Muster des Vorlesetextes (Ebene 3) beziehen, die ebenfalls gleichzeitig der Kategorie 1 zugerechnet werden. Sie kann sich aber auch auf abstrakte Muster beziehen, die lediglich im Vorlesetext und in der Textproduktion des Kindes vorkommen, unabhängig davon aber nicht als musterhaft bezeichnet werden würden. Der Gebrauch eines Baumusters 172 5 Muster und Textproduktion (Ebene 4), das einem Kindertext zugrunde liegt, kann zusätzlich als musterhaft bezeichnet werden, wenn es vom Kind aus dem Vorlesetext übernommen wurde. Im Vergleich zum Vorlesetext kann auch ein Mini-Baumuster, bestehend aus Mustern der Ebenen 1 bis 3, im Kindertext identifiziert werden. Die dritte Kategorie bezieht sich auf den Kindertext allein. Etwas („sprach‐ liche Strukturen und Ausdrücke“ (Stein/ Stumpf 2019) sowie weitere Textgestal‐ tungsmerkmale) kann im Kindertext selbst wiederholt auftreten und dadurch als musterhaft bezeichnet werden. Diese Kategorie hat eine Nähe zu Ritter und Ritters Musterbegriff, der sich auf „sich wiederholende[] Wendungen und Formulierungen“ (Ritter/ Ritter 2017, S. 13) innerhalb einer einzigen Bilder‐ buchgeschichte bezieht. Des Weiteren kann ein erzähltypisches oder weiteres Muster der Ebene 3 im Kindertext mehrfach wiederholt werden. Auch hier sind Überlappungen mit den Kategorien 1 und 2 möglich. Zudem kann der Kindertext über ein Baumuster (Ebene 4) strukturiert sein. Musterhaftigkeit und rhetorische Mittel Muster der Ebenen 1 bis 4 können zusätzlich eine poetische Komponente enthalten. Diese kann im Gebrauch rhetorischer Mittel bestehen. Rhetorische Mittel lassen sich gemäß ihrer Beschaffenheit unterschiedlichen Ebenen von Musterhaftigkeit zuordnen. Zum einen können sie als zusätzliches Merkmal zur Beschreibung von Mustern der 1. und 2. Ebene dienen. So können sprachliche Muster (u. a. Phraseologismen) (Ebene 1) zusätzlich als Alliteration oder Meta‐ pher bezeichnet werden. Strukturelle Muster (u. a. Phraseoschablonen) (Ebene 2) können zusätzlich beispielsweise als Anapher bezeichnet werden. Der Gebrauch rhetorischer Figuren wie Klimax und Wiederholung kann hingegen selbst als Mustergebrauch (Ebene 3) bezeichnet werden. Muster der 4. Ebene können sowohl rhetorische Mittel als zusätzliches Merkmal als auch rhetorische Mittel als eigenständige Muster enthalten. Muster der Kategorie 2b, die sich auf Wiedererkennbares aus dem im Rahmen der Pretend-Reading-Situation vorgelesenen Bilderbuch beziehen, lassen sich noch auf eine weitere Art und Weise unterteilen. Unter Kapitel II.3.2 („Aus‐ wertungsverfahren“) wird ein Analyseraster vorgestellt, das ebenfalls im in‐ duktiv-deduktiven Verfahren mit Blick auf die in Pretend-Reading-Situationen erhobenen Daten und theoretischen Grundlagen zum Musterbegriff entwickelt wurde. Dabei wird zwischen acht Fällen unterschieden. 5.7 Das Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit 173 83 Bei der Darstellung der Wissenstheorie Polanyis und der Übertragung der Theorie Polanyis auf die Textproduktion (Kapitel I.6.1) handelt es sich um leicht modifizierte Kapitel aus der von Norbert Kruse betreuten Examensarbeit Rückmeldungen beim Textschreiben. Überlegungen zu lernförderlichen Rückmeldungen durch den Lehrenden zu Kindertexten im Schreibunterricht der Grundschule (Strozyk 2011). An dieser Stelle danke ich Norbert Kruse für den Gedankenanstoß, Polanyis Wissenstheorie in meine Überlegungen zum Textschreiben einzubeziehen. 6 Implizites Wissen und implizites Lernen Dass implizites Wissen bei der Textproduktion eine zentrale Rolle spielt, ist all‐ gemein bekannt. „Die Schreibenden sind sich dieses intuitiven Textwissens oft nicht bewusst“ (Merklinger 2014, S. 4). Im vorliegenden Kapitel wird die Theorie des impliziten Wissens nach Michael Polanyi (1985) auf seine Bedeutung für die Beschreibung von Textproduktionsprozessen befragt. Dazu werden zunächst zentrale Überlegungen von Georg Hans Neuweg zum impliziten Wissen und Lernen dargelegt, gefolgt von einer Darstellung ausgewählter Aspekte der Wissenstheorie Polanyis. Anschließend wird der Blick auf implizites Wissen und Lernprozesse beim Textschreiben gerichtet. Im darauffolgenden Schritt folgt eine Übertragung dieser Theorie auf den Textproduktionsprozess. 83 In einem weiteren Schritt wird die Pretend-Reading-Situation, die ebenfalls einen Textproduktionsprozess beinhaltet, mit der Wissenstheorie Polanyis beleuchtet, wobei Prozesse, die sowohl vor als auch während der Pretend-Reading-Situation ablaufen, in den Blick genommen werden. Der Begriff des ‚impliziten Wissens‘ vereinigt in sich nahezu alle Eigenschaften, die man sich von einem Terminus in der wissenschaftlichen Diskussion gerade nicht wünscht. Er ist, sich gleichsam selbst bestätigend, ausgesprochen unscharf [und] […] wird keineswegs einheitlich und im Rahmen verschiedener Theoriekontexte verwendet. (Neuweg 2020, S.-24) Neuweg definiert implizites Wissen wie folgt: „Als implizites Wissen (tacit knowledge) ist […] ein Wissen zu definieren, das in der praktischen Kompetenz einer Person […] zum Ausdruck kommt, das aber nicht oder nicht angemessen verbalisiert werden kann [Hervorh. im Original]“ (Neuweg 2000, S. 198). Impli‐ zites Lernen lässt sich folgendermaßen beschreiben: Schreibt man einem Lerner den Erwerb einer Disposition zu, wenn sein Verhalten, insbesondere in Anpassung an bestimmte Struktureigenschaften der Lernumgebung, einer neuen, zuvor nicht gezeigten Regelmäßigkeit folgt, dann kann ein Lernprozess als implizit bezeichnet werden, wenn der Lerner weder durch einen Lehrenden explizit (verbal) über diese Regelmäßigkeiten bzw. Struktureigenschaften informiert wird noch sich bewusst-reflexiv um deren gedankliche Vergegenwärtigung bemüht oder zu einem solchen Bemühen durch einen Lehrenden aufgefordert wird, deren ‚Kenntnis‘ jedoch nach Abschluss der Lernphase in seinem Verhalten zu zeigen in der Lage ist. (Ebd.) Von implizitem Lernen kann folglich dann gesprochen werden, wenn der Lerner nach der Lernphase in der Lage ist, das implizit Gelernte im Verhalten zu zeigen, sich jedoch nicht um ein bewusst-reflexives gedankliches Durchdringen des Lerngegenstandes bemüht hat oder darüber belehrt worden ist. 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf das Werk Implizites Wissen (1985), die deutsche Übersetzung von Polanyis Werk The Tacit Dimension (1966) sowie auf Neuwegs Werk Könnerschaft und implizites Wissen (2004), in dem er Polanyis Theorie impliziten Wissens bzw. Erkenntnistheorie aus vielen Werken Polanyis rekonstruiert. Eine zentrale These von Polanyi ist, „daß wir mehr wissen, als wir zu sagen wissen“ (Polanyi 1985, S. 14). Demnach handelt es sich bei implizitem Wissen um Wissen, das eine Person nicht aussprechen kann, aber in ihrem Verhalten zeigt (vgl. Neuweg 2004, S. 138). Unter explizitem Wissen versteht Polanyi klar angebbares Wissen (vgl. Polanyi 1985, S. 29). Eine Kernbehauptung Polanyis besagt jedoch, dass alles Wissen implizit ist oder in implizitem Wissen wurzelt. Daraus folgt, dass kein vollständig explizites Wissen existiert. (Vgl. Neuweg 2004, S. 139) „Wenn Polanyi von Wissen spricht, dann ist damit meist der Akt des Wissens, ein Erkennen, Tun, Denken oder Wahrnehmen, gemeint [Hervorh. im Original]“ (ebd., S. 135). Im Folgenden wird zunächst die Grundstruktur des impliziten Wissens dargestellt, die mit dem Erwerb des impliziten Wissens gleichzusetzen ist, um anschließend den Gebrauch des impliziten Wissens anhand der impliziten Triade vorzustellen. Die Grundstruktur des impliziten Wissens besteht aus zwei Gliedern, die Polanyi auch als ersten und zweiten Term bezeichnet (vgl. Polanyi 1985, S. 18f.). Dabei können die beiden Relata des impliziten Wissens auch als proximaler Term (p) und als distaler Term (d) bezeichnet werden. In der Regel enthält der proximale Term (p) mehrere unterscheidbare Elemente. Daher ist es auch möglich, anstatt von p von einem proximalen Gefüge oder Subsidien zu sprechen. (Vgl. Neuweg 176 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 2004, S. 187f.) Während das Subjekt über den distalen Term ein angebbares Wissen hat, bleibt das Wissen vom proximalen Term implizit. (Vgl. Polanyi 1985, S. 19) „Es ist dann der proximale Term, von dem wir ein Wissen haben, das wir nicht in Worte fassen können“ (ebd.). Zwischen dem ersten Term (proximaler Term) und dem zweiten Term (distaler Term) besteht eine funktionale Beziehung (vgl. ebd., S. 18). „[…] [B]ei einem Akt impliziten Wissens [verschieben wir] unsere Aufmerksamkeit von etwas auf etwas anderes […], genauer gesagt: vom ersten auf den zweiten Term jener stummen Relation“ (ebd., S. 19). Dadurch ge‐ lingt „eine Integration von Einzelmerkmalen zu einer kohärenten Entität“ (ebd., S. 25). Auf den distalen Term ist der Aufmerksamkeitsfokus gerichtet - ihm gilt das Interesse der Person im Moment (vgl. Neuweg 2004, S. 188). Die Subsidien werden auf den distalen Term bezogen, ohne dass sie selbst thematisiert werden und fungieren als Schlüssel, um aufzuschließen oder zu erreichen, was im Fokus des Interesses liegt. Diese Funktion können sie allerdings nur besitzen, bleiben sie hintergrundbewusst. Sobald die Subsidien fokussiert werden, verlieren sie diese Funktion. (Vgl. ebd.) „Schalten wir dagegen unserer Aufmerksamkeit auf die einzelnen Merkmale um, so verlieren diese ihre Funktion als einzelne Merkmale, und die Entität, der unser Interesse galt, entzieht sich uns.“ (Polanyi 1985, S. 37) „Hintergrundbewußtsein und Fokalbewußtsein schließen einander wechselseitig aus“ (Polanyi 1964, S. 56, zit. n. Neuweg 2004, S. 200). Das Subjekt kann entweder nur auf etwas achten oder von etwas auf etwas anderes, aber niemals auf beides zugleich (vgl. Neuweg 2004, S. 200). Die Integration der Einzelheiten kann als Verinnerlichung betrachtet werden, die nun zu einem Mittel wird, „bestimmte Dinge als proximale Glieder eines impliziten Wissens fungieren zu lassen, so daß wir diese Dinge nicht mehr als solche beobachten, sondern ihrer im Zusammenhang der aus ihnen gebildeten komplexeren Entität gewahr werden“ (Polanyi 1985, S. 25). (Vgl. ebd.) Da auf den distalen Term der Aufmerksamkeitsfokus gerichtet ist, ist dieser somit im Fokalbewusstsein. Der proximale Term hingegen ist im Hintergrundbewusstsein. (Vgl. Neuweg 2004, S. 187f.) „Subsidien werden auf einen distalen Term bezogen, ohne selbst unmittelbar thematisch zu werden“ (ebd., S.-188). Jedes proximale Element ist […] aktuell implizit (aufgehoben nämlich in der fokalen Erfahrung); ob es prinzipiell implizit ist oder aber auch in den Fokus gebracht werden könnte, hängt von seiner Natur im Einzelnen ab und ist nicht konstitutiv für seine Zuordnung zum Hintergrundbewußtsein. (Ebd., S.-194) Polanyi schreibt dazu: „Was dieses nur nebenher registrierte Wissen aus‐ zeichnet, ist die Funktion, die es erfüllt; es kann jeden Grad von Bewußtheit haben, solange es als Schlüssel zum zentralen Objekt unserer Aufmerksamkeit 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 177 84 PK: Polanyi, Michael (1964): Personal Knowledge. Towards a Post-Critical Philosophy. Chicago: The University Chicago Press; London: Routledge & Kegan Paul. KB: Polanyi, Michael (1962): Tacit Knowing: Its Bearing on Some Problems of Philo‐ sophy. In: Reviews of Modern Physics 34, S.-601-616. dient“ (Polanyi 1985, S. 86). „In das Hintergrundbewußtsein zielthematisch einverleibte Objekte und Instrumente sind uns nicht weniger bewußt als wenn sie fokal wären, sondern anders“ (Neuweg 2004, S.-179). Zur subsidiären Komponente rechnet Polanyi […] auch […] Erfahrungen aus der Vergangenheit, von denen wir viele überhaupt nicht mehr erinnern könnten, die aber ‚subsidiär im Formen und Verstehen unserer gegenwärtigen Erfahrung wirksam werden‘ und sich niederschlagen in der Art und Weise, wie sich uns die Dinge fokalbewußt präsentieren (PK, S. 97; vgl. auch KB, S. 165 […]) […]. (Neuweg 2004, S.-193 84 ) „Was wir subsidiär auf einen je bestimmten Fokus beziehen, ist letztendlich das Insgesamt aller Lernerfahrungen in der Vergangenheit, aus denen wir nie vollständig herauszutreten vermögen“ (Neuweg 2004, S. 228). Beim distalen Fluchtpunkt der Aufmerksamkeit, auf den Subsidien bezogen werden, kann es sich um eine Erkenntnisabsicht oder ein Handlungsziel handeln - er kann theoretischer, ästhetischer oder praktischer Natur sein (vgl. ebd., S. 196). Achtet das Subjekt von p auf d, so lässt sich häufig sagen, dass das Subjekt durch p hindurchblickt, p benutzt, p einverleibt oder dass es sich auf die Interpretation oder Evokation von p verlässt (vgl. ebd., S. 197). Das Subjekt nimmt p in Gestalt von d wahr oder von d her wahr (vgl. ebd., S. 198). „Die Subsidien des Von-zu-Wissens beziehen sich auf ein fokales Ziel, und worauf immer sich eine Sache bezieht, kann ihre Bedeutung genannt werden. Daher ist das fokale Ziel, auf das sie sich beziehen, die Bedeutung der Subsidien [Hervorh. im Original].“ (Polanyi/ Prosch 1975, S. 35 zit. n. Neuweg 2004, S. 199) So bedeuten etwa Teile ein Ganzes oder „das eigene Tun wird erlebt in seiner zum Ziel hin- oder von ihm wegführenden Bedeutung“ (Neuweg 2004, S.-199) (vgl. ebd.). Implizites Wissen stellt, so Polanyi, eine „bedeutungstragende Beziehung zwischen zwei Gliedern“ (Polanyi 1985, S.-202) her. Aus diesem Grund lässt es sich […] mit dem Verstehen jener komplexen Entität gleichsetzen, die die beiden Terme zusammen bilden. Der proximale Term stellt dann die Einzelheiten dieser Entität dar, und entsprechend können wir sagen, daß wir die Entität verstehen, indem wir uns, gestützt auf unser Gewahrwerden ihrer einzelnen Merkmale, ihrer Gesamtbedeutung zuwenden. (Ebd., S.-21) 178 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 85 PK: Polanyi (1964) Neuweg rekonstruiert den Schemabegriff im Modell Polanyis. „Als Schema ließe sich […] extensional die Menge aller proximalen Gefüge p definieren, die dem Subjekt ein gleiches d bedeuten bzw. durch ein gleiches d evoziert werden“ (Neuweg 2004, S. 203). Beispielsweise sind Worte (p), die die gleiche Bedeutung haben (d), austauschbar. (Vgl. ebd.) Polanyi nimmt an, dass in allen Fällen impliziten Wissens eine Entsprechung „zwischen der Struktur des Verstehens und der Struktur des Verstandenen, der komplexen Entität“ (Polanyi 1985, S. 37, i. Orig. kursiv) besteht. (Vgl. ebd.) Er verdeutlicht die Funktion des Hintergrundbewusstseins anhand von zwei Beispielen. Zeigt ein Vortragender mit dem Finger auf einen Gegenstand, so folgt der Zuhörer der Richtung des Fingers und sieht auf das Objekt. Während sich das Objekt dann im Fokus der Aufmerksamkeit des Zuhörers befindet, wird der Finger nur als Hinweis auf den gezeigten Gegenstand gesehen. Polanyi benutzt ebenfalls die Metapher des Einverleibens: Dass der proximale Term einverleibt wird, bedeutet, dass er vom Subjekt ähnlich wie der eigene Körper benutzt wird. „Leib in diesem metaphorischen Sinne ist, was uns nicht als es selbst bewußt wird, weil wir es als Instrument benutzen, um damit etwas anderes, dem unsere eigentliche Aufmerksamkeit gilt, aufzuschließen oder zu erreichen“ (Neuweg 2004, S. 195). (Vgl. ebd., S. 194f.) „Subsidien werden in der impliziten Triade in einer Funktion beansprucht, sind ‚nicht Gegenstände unserer Aufmerksamkeit, sondern ihre Instrumente‘ (PK, S. 55)“ (ebd.). 85 Zusammenfassend lässt sich die Grundstruktur des impliziten Wissens fol‐ gendermaßen beschreiben: Von einem proximalen Term wird auf einen distalen Term gesehen. Dadurch fungiert der proximale Term, der im Akt des impliziten Wissens implizit ist, als Instrument, um den distalen Term, auf dem der Fokus der Aufmerksamkeit liegt, aufzuschließen oder zu erreichen. Die implizite Triade (vgl. Abb. 10) wird durch drei Elemente geformt: Den distalen Term, den proximalen Term und das Subjekt, welches das proximale Gefüge entweder intentional nutzt oder etwas aus ihm konstruiert (vgl. Neuweg 2004, S.-188f.). 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 179 Abbildung 7: Die implizite Triade nach Neuweg 2004, S.-207 Den Aufbau einer impliziten Triade bezeichnet Polanyi als implizite Integration (vgl. ebd., S. 204). Die implizite Integration, der Prozess, in dem die Subsidien auf den Fokus bezogen werden (vgl. ebd., S. 221), lässt sich auch als ein Akt des Einfühlens, Verinnerlichens, Einverleibens oder ein Akt der Einsicht beschreiben (vgl. ebd., S. 204). Hierbei baut das Subjekt die Beziehung eines Subsidiums zum Fokus auf, indem es das eine zu dem anderen integriert. Es macht Elemente, Erfahrungen, Ideen u. a. zum proximalen Term. (Vgl. ebd., S.-188) Polanyi betrachtet, in Bezug auf das Erkennen, „die Gestalt als Ergebnis einer aktiven Formung der Erfahrung während des Integrationsvorgangs“ (Polanyi 1985, S. 15). Er schreibt: „Diese Formung oder Integration halte ich für die große und unentbehrliche stumme Macht, mit deren Hilfe alles Wissen gewonnen und, einmal gewonnen, für wahr gehalten wird“ (ebd.). Somit findet beim Akt der Integration, durch den alles Wissen entsteht, eine Formung von vergangener Erfahrung statt. „Ein Element, ein Ereignis, ein Gegenstand, eine Handlung werden proximal erst im Lichte eines distalen Bezugspunktes, auf den das Subjekt sie bezieht“ (Neuweg 2004, S. 196). „Allgemein läßt sich sagen, daß wir den proximalen Term eines Aktes impliziten Wissens im Lichte seines distalen Terms registrieren; wir wenden uns von etwas her etwas anderem zu und werden seiner im Lichte dieses anderen gewahr“ (Polanyi 1985, S. 20). Somit ist der Akt des impliziten Wissens nicht nur durch die Fokusverschiebung von p nach d zu charakteri‐ sieren, sondern auch dadurch, dass p im Lichte von d betrachtet wird. Neuweg schreibt: „Im Aufbau einer Triade existiert […] eine komplexere Dynamik, als die Wendung des ‚von-zu‘ vordergründig vermuten läßt“ (Neuweg 2004, S. 205). An dieser Stelle leuchtet das sogenannte Menon-Paradoxon auf. Im Menon-Pa‐ 180 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 86 Das Menon-Paradoxon kann im Rahmen dieser Arbeit nur ansatzweise beschrieben werden. Eine Erläuterung des Menon-Paradoxons findet sich in Neuweg 2004, S. 214- 220 und Polanyi 1985, S.-28f. 87 Auf die Prozesse Intuition und Imagination wird im Zusammenhang mit dem Aufbau der impliziten Triade genauer eingegangen. radoxon 86 sieht Polanyi das Kernproblem jeder Lern- und Erkenntnistheorie (vgl. Neuweg 2004, S. 214). Für ihn ist das Menon-Paradoxon insbesondere ein Problemlöse-Paradoxon (vgl. ebd., S.-215). Schon Platon hat im Menon auf diesen Widerspruch hingewiesen. Die Suche nach der Lösung eines Problems, sagt er, sei etwas Widersinniges; denn entweder weiß man, wonach man sucht, dann gibt es kein Problem; oder man weiß es nicht, und dann kann man nicht erwarten, irgend etwas zu finden [Hervorh. im Original]. (Polanyi 1985, S.-28) „Die Menon-Paradoxie schließt alle Akte des Konstruierens ein und wirft die Frage auf, wie es möglich ist, von einem proximalen Gefüge auf einen distalen Term zu achten, wenn diese Relation noch nie zuvor hergestellt worden ist“ (Neuweg 2004, S. 215). „Warum können wir den Zusammenhang bislang unbegriffener Einzelheiten ahnen, und wie ist es zu erklären, daß wir von dieser Ahnung weg in die richtige Richtung arbeiten und schließlich zu einer Lösung gelangen? “ (ebd., S. 215f.) Polanyi löst das Menon-Paradoxon, indem er die Prozesse der Imagination und Intuition annimmt. 87 Wir haben die Fähigkeit, nicht nur auf Elemente, sondern von ihnen auf einen größeren Zusammenhang zu blicken, auch wenn dieser im Moment noch vage, diffus ist, weil unser Bewußtsein geschichtet und die Imagination imstande ist, auf noch Unverstandenes vorzugreifen. Wir erkennen ein Problem, allgemein einen Lernanlaß, indem wir vormals Distales vage integrieren, es als Set von Anhaltspunkten begreifen, die auf etwas hindeuten, ohne daß uns dies zunächst zugänglich wäre. (Ebd., S.-220) Polanyi schreibt: „Platons Menon demonstriert zwingend, daß wir kein Problem erkennen oder seiner Lösung zuführen könnten, wenn alles Wissen explizit, das heißt klar angebbar wäre [Hervorh. im Original]“ (Polanyi 1985, S. 29). „Wis‐ senszugewinn […] setzt voraus, vormals distale Elemente in das Hintergrund‐ bewußtsein abtauchen zu lassen, sie einzuverleiben, um antizipativ-intuitiv und imaginierend von ihnen aus auf etwas Neues zu achten“ (Neuweg 2004, S. 220). Die implizite Integration wird von Polanyi auch als impliziter Schluss be‐ zeichnet (vgl. ebd., S. 221). Implizites Schließen kann „als Überwindung einer ‚logischen Lücke‘“ (ebd.) bezeichnet werden. Im impliziten Schluss fügt das Subjekt den proximalen Bestandteilen Bedeutung zu und schafft aus ihnen somit 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 181 mehr, als in ihnen, werden sie fokal betrachtet, enthalten ist. Auf der einen Seite bilden die Subsidien die „Prämissen“ des impliziten Schlusses, aber auf der anderen Seite muss die Schlussfolgerung schon vorausgesetzt werden, um die proximalen Elemente im Licht der Schlussfolgerung zu interpretieren oder sie zu evozieren. Es klafft eine logische Lücke zwischen p und d, die nicht durch das fokale Bearbeiten von p überwunden werden kann. Es gibt keinen rational explizierbaren Weg von den „Prämissen“ der impliziten Integration zu ihrer Transformation im distalen Term. (Vgl. ebd., S. 221ff.) „In der Überwindung dieser logischen Lücke sieht Polanyi den Kern dessen, was man Verstehen nennt“ (ebd., S.-222). Es lassen sich zwei Arten von Triaden unterscheiden: Bei der ersten Gruppe erkennt das Subjekt einen distalen Term. Hier werden die Subsidien im Licht dieses distalen Terms interpretiert. Bei der zweiten Gruppe hingegen versucht das Subjekt eine distale Handlungsabsicht umzusetzen. In diesem Fall werden die Subsidien „durch den distalen Term evoziert [Hervorh. d. Verf.]“ (Neuweg 2004, S. 205). (Vgl. ebd.) Ferner unterscheidet Neuweg bei den von Polanyi vorgestellten Beispielen für implizite Triaden zwischen drei verschiedene Funk‐ tionen des proximalen Terms: P kann in impliziten Triaden interpretiert werden, als Werkzeug genutzt werden oder als Mittelhandlung fungieren und aktiv hervorgebracht werden. (Vgl. ebd., S. 189ff.) Allerdings stellt Neuweg nicht dar, inwiefern diese drei Gruppierungen den zwei Gruppierungen zugeordnet werden können. Idealtypisch vollzieht sich der Aufbau einer impliziten Triade in drei Phasen: Der antizipativen Intuition folgt die Imagination und dieser wiederum die finale Intuition (vgl. ebd., S. 207ff.). Die antizipative Intuition, eine passive Phase, die bei Integrationen mit heuristischem Moment stattfindet, „liefert die Vermutung, daß es etwas gibt, was man in den Fokus bringen könnte, enthebt das, was später integriertes Subsidium sein wird, seiner Distalität, läßt den Fokus aber noch leer“ (ebd., S. 208). Nach Polanyi sind Intuitionen unverzichtbar, da nur diese dem Forschungsprozess eine Gerichtetheit geben können. (Vgl. ebd., S. 207f.) Neuweg verallgemeinert Polanyis Ausführungen zur antizipativen Intuition: Die antizipative Intuition tritt auf, wenn das Subjekt eine Situation als problemartig erlebt und einen Anstoß (bzw. eine Aufforderung) zur Integration verspürt. Die antizipative Intuition äußert sich in dem „Gefühl einer verborgenen Kohärenz“ (ebd., S. 210), in dem „Gefühl einer heraufdämmernden Triade, […] [in der] Überzeugung, eine Triade aufbauen zu können, […] [in einer] Lern- oder Problemlösemotivation“ (ebd., S. 210). In Polanyis metaphori‐ scher Redeweise bedeutet es, dass der Finger zu zeigen beginnt, aber das Subjekt noch nicht sieht, worauf. Antizipative Intuitionen setzten allerdings Vorwissen beim Subjekt voraus. (Vgl. ebd., S.-210f.) 182 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 88 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass sich Polanyis Definition des Begriffes Imagination grundsätzlich von der Bedeutung unterscheidet, die Dehn diesem Begriff zuschreibt. Während Polanyi unter Imagination einen aktiven Akt des Subjekts ver‐ steht, der als Anstrengung erlebt werden kann (vgl. Neuweg 2004, S. 212), geschieht nach Dehn „[d]ie Erfahrung des Imaginären […] immer überfallartig“ (Dehn et al. 2011, S. 47) und ist weder planbar noch voraussehbar (vgl. ebd.). Laut Polanyi ist die Imagination in der Lage, auf noch Unverstandenes vorzugreifen (vgl. Neuweg 2004, S. 220). Dehn und Schüler hingegen verweisen auf Spinners Definition von Imagination, dem „Überschreiten der objektiven Wirklichkeit durch Vorstellungskraft und Phantasie“ (Dehn/ Schüler 2010, S. 26) im Zusammenhang mit den Grundprinzipien des Kreativen Schreibens (vgl. ebd.). Während Polanyi somit einen Vorgriff auf noch Unverstandenes meint, bezieht sich Dehns Vorstellung des Begriffes eher auf Phantasie im Sinne eines Vorstellens einer anderen Wirklichkeit im Kopf. Unter Imagination  88 versteht Polanyi den „antizipierenden Vorgriff im Akt der impliziten Integration“ (ebd., S. 211). Das proximale Gefüge ist noch nicht interpretiert, aber die Vorstellungskraft des Subjekts „greift auf das Ergebnis der Integration vor“ (ebd.). Die Imagination ist ein aktiver Akt des Subjekts und löst die Evokation oder Interpretation der Subsidien aus. (Vgl. ebd.) Sie veranlasst die Integration (vgl. ebd., S. 225). Löst die Imagination die Interpre‐ tation oder Evokation nicht mittelbar aus, wird sie als Anstrengung erlebt. Es lassen sich zwei Formen der imaginativen Anstrengung unterscheiden: Im ersten Fall wird die Imagination ausschließlich auf den distalen Term gerichtet. Als Beispiel hierfür gilt das Erlernen des Radfahrens. Im zweiten Fall findet ein Wechselspiel von Analyse und Integration statt: Zwischen den Subsidien und dem distalen Term wird gependelt. „Problemlöseprozesse mit ausgedehnter zeitlicher Erstreckung“ (ebd., S. 212) sind diesem Fall zuzuordnen. Dieses Wechselspiel von Analyse und Integration soll im weiteren Verlauf der Darstellung Polanyis Theorie noch genauer in den Blick genommen werden. Die Imagination Polanyis entspricht bei heuristischen Akten einer Suchbewegung und bei rekonstruktiven mentalen Akten der Aktivierung eines Schemas. Bei heuristischen Akten wird die Imagination auf einen anfangs leeren Fokus gerichtet. Dabei greift das Subjekt imaginär auf das vor, was es später verstehen oder können wird. „Unsere Einfühlung in die Einzelheiten, die subsidiären Anhaltspunkte, mündet nur mittels eines Aktes unserer Imagination in ihre Synthese in ein fokales Objekt - ein Überspringen einer logischen Lücke […]“ (Polanyi/ Prosch 1975, S. 62, zit. n. Neuweg 2004, S. 213). Vom imaginären Vorgriff auf die Integration her kann sich das proximale Gefüge erst organisieren. (Vgl. Neuweg 2004, S. 212f.) Durch Imagination wird die logische Lücke überwunden. Neuweg sieht Imagination jedoch nicht als „‚Plan‘ im Sinne einer bewußten oder unbewußten Vorwegnahme der später sich tatsächlich vollziehenden Integration oder Interpretation“ (ebd., S.-213). 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 183 89 Eine Erläuterung zum Konzept der „Sub-specie-Relation“, das von Wolfhart Matthäus unter Rückgriff auf das bei Rubinstein (1958) beschriebene Konzept der „Analyse durch Synthese“ ausgearbeitet wurde, findet sich in Neuweg 2004, S.-257ff. Unter der finalen Intuition wird der Prozess der Interpretation oder Evokation der Subsidien verstanden, der durch die Imagination ausgelöst wurde. Sie wider‐ fährt dem Subjekt. Polanyis finale Intuition entspricht im Problemlöseprozess der Illumination (im Sinne Poincarés). „Die Lösung kommt uns in den Sinn, dämmert uns, fällt uns ein […]“ (ebd., S. 214). (Vgl. ebd., S. 213f.) Im Folgenden soll ein genauerer Blick auf das Wechselspiel von Integration und Analyse geworfen werden, um den Wissensgewinn, der dabei entsteht, erklären zu können. In der Regel ist die Aufmerksamkeit des Subjekts bei Aneignungs- und Anwen‐ dungsprozessen nicht beständig auf den distalen Term gerichtet und bringt die Subsidien nicht von sich aus hervor. Stattdessen sind diese Prozesse meist durch „ein Wechselspiel bewußt-analytischer Durchdringung des proximalen Gefüges und impliziter Integration“ (ebd., S. 252) gekennzeichnet. (Vgl. ebd.) Dieses Wechselspiel kann bei Lernprozessen wie folgt dargestellt werden: Die vollzo‐ gene implizite Integration wird einer Prüfung unterzogen. Dabei werden die proximalen Elemente im Lichte von d fokussiert, bestätigt oder bezweifelt. Der Zweifel kann die implizite Integration allerdings nicht unmittelbar zerstören. Sie kann aber durch eine alternative implizite Integration ersetzt werden. (Vgl. ebd., S. 352f.) Die Integration wird demnach im Lichte von p geprüft. Beim Problemlöseprozess findet ein Pendeln zwischen Gegebenem und Gesuchtem statt. Der Problemlöser muss abwechselnd die Daten vom Problem her und das Problem von den Daten her interpretieren. Er fragt sich: „‚Angesichts dieses Materials - habe ich das Ziel richtig verstanden? ‘; ‚Angesichts dieses Ziels - welche Möglichkeiten bietet mir das Material? ‘“ (Ebd., S.-261) (Vgl. ebd.) Auch „die Idee eines Wechselspieles von Analyse und Integration“ (ebd., S. 256) führt wieder in das Menon-Paradoxon, so Neuweg (vgl. ebd.). Einerseits erhalten die Elemente vom Ganzen her ihren Sinn, andererseits hängt es von der Deutung der Elemente ab, wie das Ganze erscheint. Neuweg schreibt: Wie kann das Pendeln zwischen Analyse und Integration jemals zu einer sich nach oben schraubenden Spirale, also mehr werden als eben bloßes Wechselspiel? Wenn die Elemente noch unverstanden sind, wie bewegt sich das Subjekt dann zu einem Ganzen, das bei der Refokussierung auf die Elemente an diesen mehr sichtbar macht als vorher schon gesehen worden ist? (Ebd.) Neuweg versucht das „Wirkprinzip des Wechselspiels von Analyse und Syn‐ these“ (ebd., S. 257) daher mit Hilfe des Sub-specie-Relation-Konzepts  89 aufzu‐ 184 6 Implizites Wissen und implizites Lernen hellen (vgl. ebd.). Dieses Konzept kann aufgrund seiner Komplexität im Rahmen dieser Arbeit nicht dargestellt werden. Es sei nur ein Aspekt aus der von Neuweg vorgenommenen Übertragung dieses Konzepts auf das Wirkprinzip des Wechselspiels von Analyse und Synthese herausgegriffen: Bei der Analyse bestimmt Bewusstseinsinhalt a, die diffuse Vorgestalt, die Bewusstseinsinhalte b 1 -b n , die Details. Im Lichte der Gestalt werden die Details b 1 -b n zu b 1 *-b n *. Diese interpretierten Details gehen wiederum in einen Syntheseprozess ein und machen aus der diffusen Vorgestalt a eine präzisere Gestalt a*. (Vgl. ebd., S. 261) Es folgt eine Gegenüberstellung von explizitem und implizitem Schließen. Ferner wird thematisiert, aus welchen Gründen eine implizite Integration nicht durch eine explizite Integration ersetzt werden kann. Beim expliziten Schließen findet im Gegensatz zum impliziten Schließen kein Pendeln zwischen p und d statt, da beim expliziten Schließen die Prämissen nicht bedeutungsärmer als die Schlussfolgerungen sind: Hier werden die In‐ formationen, die in den Prämissen schon enthalten sind, lediglich expliziert. (Vgl. ebd., S. 229) Der durch Integration hergestellte Zusammenhang weist im Gegensatz dazu Qualitäten auf, die in den Subsidien, die zum Aufbau des fokalen Ergebnisses verwendet werden, nicht vorhanden sind (vgl. Polanyi/ Prosch 1975, S. 134, zit. n. Neuweg 2004, S. 222). Auch vollziehen sich explizite Schlüsse stufenartig und zwar von Fokus zu Fokus. Dabei rückt auf jeder neuen Stufe ein anderer Term ins fokale Bewusstsein. (Vgl. ebd., S. 224) Beim expliziten bzw. formalen oder deduktiven Schließen handelt es sich um einen Prozess, welcher lediglich „auf eine implizite Integration aufsetzen kann“ (ebd., S. 229) und sie nachträglich formalisiert, sie aber nicht ersetzen kann. (Vgl. ebd.) Im Nachhinein, wenn der distale Term aufgeschlossen ist, ist es wohl möglich, in den expliziten Denkmodus zu wechseln, auf das proximale Fundament der Integration zu refokussieren, die beteiligten Elemente und die Relationen zwischen ihnen teilweise zu explizieren und die vorgenommene Integration kritisch zu testen. (Ebd., S.-223) Um dem intuitiven Akt der Integration äquivalent zu sein, müssten explizite Regeln zum einen die Einzelheiten spezifizieren und zum anderen auch die inte‐ grativen Beziehungen, durch die die Einzelheiten Entitäten formen, ausdrücken. Allerdings gibt es Explikationshindernisse für die Analyse bzw. „Dekomposition des distalen Ganzen in seine Einzelheiten“ (ebd., S. 233) und die Synthese bzw. „Komposition der Einzelheiten zum distalen Term“ (ebd.). Eine solche Artikulation würde immer unvollständig bleiben und überdies würde eine sogenannte Integrationsregel auch nicht automatisch die Integration beim Empfänger auslösen. (Vgl. ebd.) 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 185 Neuweg systematisiert „Polanyis Argumente gegen die Formalisierbarkeit impliziten Wissens“ (ebd., S. 234) wie folgt. Erstens ist ein Teil der Subsidien un‐ bekannt: Manche Subsidien sind grundsätzlich nicht bewusstseinsfähig, andere sind nicht mehr bewusstseinsfähig, ein großer Teil der Subsidien wird implizit gelernt, was bedeutet, dass die Aufmerksamkeit während des Lernprozesses beständig auf p liegt und d nicht fokal wird. Dadurch sind die Einzelheiten fokal nicht bekannt, sondern nur subsidiär im Ganzen. Ein weiterer Teil der Subsidien ist zwar bewusstseinsfähig, aber nicht (angemessen) verbalisierbar. Ein zweiter Grund gegen die Formalisierbarkeit des impliziten Wissens liegt darin, dass die Aufmerksamkeit des Subjekts durch explizite Beschreibung auf die Subsidien gelenkt wird, die dadurch ihre Funktion in der impliziten Triade verlieren. Drittens ist eine implizite Integration nicht durch eine explizite Integration zu ersetzen. Die zwischen den Einzelheiten bestehende Beziehung muss durch das Subjekt in einer imaginativen Synthese selbst aufgebaut werden. Polanyi bezeichnet den Akt der Integration als unspezifizierbar - er ist unbeschreibbar. Überdies besteht die Gefahr, als Lehrender den Fokus des Lernenden auf die Subsidien einzufrieren, von denen er eigentlich auf etwas anderes achten soll, was ihm in dem Moment jedoch noch nicht zugänglich gemacht werden kann. Explikation ist keine Einverleibung und kann diese sogar behindern. Das Einfrieren der Aufmerksamkeit auf die Subsidien (clues) wird von Neuweg als clue-freezing bezeichnet. Viertens wird eine „Explikation distaler Entitäten über die Angabe subsidiärer Einzelheiten […] der Übersummativität einer distalen Bedeutung und der Flexibilität des Könnens nicht gerecht“ (ebd.). Durch subsidiäre Nutzung ist ein Könner beispielsweise in der Lage, in - werden sie fokal betrachtet - verschiedenen Elementen den gleichen Sinn erkennen. Es ist nicht möglich, ein Schema (im Sinne Polanyis) zu explizieren. (Vgl. ebd., S. 234ff.) Lernen kann, folgt man Polanyis Gedankengängen, wegen der Nichtspezifi‐ zierbarkeit des Integrationsaktes und der heuristischen Dimension maximal teilexplizit sein. Es handelt sich dann um „ein Lernen mit zeitweiliger fokaler Aufmerksamkeit auf p und auf Selbst- oder Fremdinstruktionen, die p mit d in Verbindung setzen“ (ebd., S. 245). Die explizite Lernbedingung arbeitet mit Definitionen und Maximen. Unter implizitem Lernen hingegen ist ein Lernen zu verstehen, bei dem die Aufmerksamkeit beständig auf d liegt, ohne dass p fokal wird. (Vgl. ebd.) Übertragung der Theorie Polanyis auf die Textproduktion Bevor der Textproduktionsprozess mit Hilfe von Polanyis Wissenstheorie be‐ leuchtet wird, sei der Blick auf implizites Wissen und Lernprozesse bei der Textproduktion gerichtet. Dazu werden für diese Übertragung bedeutsame 186 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 90 Hier verweisen Augst et al. (2007) auf Eigler et al. (1987/ 1990) sowie Ortner (2000). Überlegungen von Dehn (1993, 1996, 2005, 2009), Pohl und Steinhoff (2010), Augst et al. (2007) und Jantzen (2010) herangezogen. Nach Dehn lassen sich Schülertexte in zweierlei Hinsicht als Ergebnisse von Lernprozessen bezeichnen: Zum einen sind sie „Ergebnis zurückliegender Lernprozesse [Hervorh. d. Verf.] (der Erfahrung, der Beobachtung anderer Texte), die im Schreiben ihren Niederschlag finden“ (Dehn 1996, S. 177). Diese „sind vorstellbar als Ergebnis von Wahrnehmung, von Beobachtung und Erfahrung, in Form von Nachahmung und Adaption, von Variation und Kreation“ (Dehn 1993, S. 79). Zum anderen sind Schülertexte auch „Ergebnis von Prozessen, die sich im Akt des Schreibens vollziehen, in der Notwendigkeit, eine Struktur für die Schreibidee zu finden, Beziehungen zu formulieren“ (ebd.) sowie in der Notwendigkeit zu ordnen (vgl. ebd.). Beiden Aspekten lässt sich u. a. der Gebrauch impliziten Musterwissens beim Textschreiben zuordnen: Erstens wird dieses durch Erfahrung mit anderen Texten erworben (vgl. I.5.2) und zweitens dienen Muster als Material für den Transformationsprozess vom Gedanken zum Text (vgl. Dehn 2005, S. 11ff.). Der zweite Aspekt Dehns lässt sich auch mit dem von Pohl und Steinhoff (2010) erläuterten epistemischen bzw. lernenden Schreiben beleuchten, das Lernprozesse beim Schreiben meint, sowie mit den von Jantzen (2010) beschriebenen Lernprozessen beim Überarbeiten von Texten. Pohl und Steinhoff (2010) nehmen - im Zusammenhang mit dem von ihnen entfalteten Textformen-Begriff - auf die von Augst et al. (2007) formulierte Kritik an Bereiters Schreibentwicklungsmodell Bezug und auf die damit verbundene Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Ausrichtungen des epistemischen Schreibens (vgl. Pohl/ Steinhoff 2010, S.-11f.). Bereiter nahm als höchste Stufe das ‚eptistemic writing‘ an, bei dem der Schrei‐ bende das Schreiben zur Erweiterung seiner kognitiven Komplexitätszustände nutzt. Schreiben wird zu einem Wissen schaffenden, oft auch zu einem Wissen strukturie‐ renden […] Prozess. (Augst et al. 2007, S.-364) 90 An der Aussage, dass epistemisches Schreiben die höchste Stufe der Kompe‐ tenzentwicklung sei, üben Augst et al. (2007) Kritik (vgl. Pohl/ Steinhoff, S. 11). Nach Augst et al. (2007) ist davon auszugehen, dass Grundschulkinder zwar ihre Schreibaktivitäten nicht so bewusst steuern können, um sich „neues“ Wissen erschreiben zu können, allerdings erhalte auch das Schreiben von Grundschulkindern eine epistemische Komponente (vgl. Augst et al. 2007, S.-364). 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 187 Dennoch aber ergibt sich eine deutliche Parallele zwischen dem, was Bereiter erst für die höchste Stufe vorsieht, und dem, was sich an den Anfängen der Literalitäts‐ entwicklung zeigt: Während die epistemische Komponente von kompetenten Autoren (mehr oder weniger kontrolliert) auf Sach- und Erkenntnisfragen ausgerichtet werden kann, führt sie bei den Grundschülern dazu, dass diese sich grundlegende Aspekte des Schreibauftrags (u. a. in der Sachdimension) überhaupt erst erschreiben. Bei ihnen ist jene epistemische Dimension auf den Aneignungsgegenstand selbst bezogen […] [Hervorh. im Original]. (Augst et al. 2007, S.-364f.) Augst et al. begreifen daher das epistemische Schreiben als „Bedingung der Mög‐ lichkeit von Schreibentwicklungsvorgängen überhaupt [Hervorh. im Original]“ (ebd., S. 365). Bereiter orientiert seinen Begriff des epistemischen Schreibens an Lernvorgängen, die sich auf den Schreibgegenstand oder das Schreibthema beziehen, während Augst et al. auch Lernvorgänge miteinbeziehen, die auf den Aneignungsgegenstand, also auf die sich entwickelnde Textsortenkompetenz rückwirken, so Pohl und Steinhoff (vgl. Pohl/ Steinhoff 2010, S. 10f.). Es ist demnach zwischen zwei verschiedenen Ausrichtungen von Lernprozessen beim Schreiben zu unterscheiden: Einerseits gibt es Lernvorgänge, bei denen das Schreiben als Medium dient und der Lerngegenstand außerhalb des Schreibens liegt. Anderseits gibt es Lernvorgänge, für die gilt, dass das Schreiben nicht nur Medium, sondern auch Gegenstand des Lernens ist. Hierbei wirken „die epistemischen Möglichkeiten des Schreibens […] gewissermaßen zurück auf das Schreibprodukt selbst“ (ebd., S.-12). (Vgl. ebd.) Aus der Rekursivität des Schreibprozesses ergeben sich nach Pohl und Steinhoff die „epistemischen Möglichkeiten des Schreibens“ (ebd., S. 13), denn aus ihr „erwachsen die Optionen zur ‚allmählichen Verfertigung der Gedanken‘“ (ebd.). Durch diese Rekursivität wird Schreiben „zu einem Medium mit einzigartigem Aneignungspotential“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Dass Hayes und Flower bereits produ‐ zierte Textteile zum Aufgabenfeld zählen, zeigt, dass sich das ursprüngliche Problem, das mit dem writing assignment gestellt wurde, beim Schreiben verändert. So bringen bereits produzierte Textteile den Schreiber einer Ge‐ samtlösung näher, werfen aber gleichzeitig neue Probleme auf. Dies erklärt, warum Schreiben als Problemlöseprozess mit „ill-defined problems“ gesehen wird. Diese Konstellation des dialektischen Problemlösens ist ein Grund dafür, warum der Schreiber mit einer rekursiven Verschaltung der Prozessphasen re‐ agiert. Schreibplan, Formulierungsweise und Überarbeitungsverhalten werden dabei ständig an die neue Problemkonstellation angepasst. Dies kann sogar dazu führen, dass sich der Schreiber etwas erschreibt, was er zu Beginn des Schreibprozesses noch nicht intendieren konnte. (Vgl. ebd., S. 13f.) Epistemische Prozesse bzw. Lernprozesse werden folglich aufgrund dieser besonderen Eigen‐ 188 6 Implizites Wissen und implizites Lernen schaften des Schreibprozesses, nämlich Rekursivität und dialektisches Problem‐ lösen, evoziert. Sie können einerseits auf den Schreibgegenstand (das Thema bzw. die Sache), andererseits aber auch auf das Schreibmedium (die sprachliche Seite des Textes) ausgerichtet sein und das sowohl beim Schreibexperten als auch beim Schreibnovizen. (Vgl. ebd., S. 16) Ergänzend sei auf Dehns (2009) Überlegung hingewiesen, ob zum „Erschreiben“ von Textsorten, insbesondere bei Erzählung und Argumentation, „nicht auch das Verfügen über kulturelle Muster gehört, also über literarische Elemente des Anfangs, der Steigerung, der Entgegensetzung und über mediale Formen, was z. B. die zeitlichen […] Sprünge der Handlungsabfolgen betrifft“ (Dehn 2009, S.-168) (vgl. ebd.). Nach Jantzen (2010) können Überarbeiten und Überarbeitungen als „‚Medium des Lernvorgangs‘“ (Pohl/ Steinhoff 2010, zit. n. Jantzen 2010, S.-158) betrachtet werden. Wie Pohl und Steinhoff eine Unterscheidung zwischen solchen Lern‐ prozessen treffen, die auf das Schreibmedium und solchen, die auf den Schreib‐ gegenstand bezogen sind, so unterscheidet auch Jantzen (2010) zwischen Lernen, das sich auf eine angestrebte Textsorte oder vorgegebene Schreibziele bezieht (vgl. Jantzen 2010, S. 158) - und somit auf das Schreibmedium - und solchem Lernen, das sich auf andere Gegenstände bezieht (vgl. ebd.). Jantzen sieht Überarbeiten daher als „Aneignungs- und Entwicklungsprozess“ (ebd.) (vgl. ebd.). Aufbauend auf die vorangegangenen Überlegungen zum Schreibprozess, zu Musterhaftigkeit, zu Lernprozessen bei der Textproduktion und zu implizitem Wissen erfolgt nun die Übertragung der Wissenstheorie Polanyis auf den Schreibbzw. Textproduktionsprozess. Da es sich beim Textschreiben, folgt man Polanyis Logik, um eine implizite Integration handelt, findet der Aufbau einer impliziten Triade statt. Es folgt ein Versuch, Aspekte der Wissenstheorie Polanyis auf das Textschreiben zu übertragen, wobei der Schwerpunkt auf der Funktion von Mustern beim Text‐ schreiben liegt. Dass Muster eine zentrale Bedeutung für die Textproduktion haben, wurde im Kapitel Muster und Textproduktion (Kapitel I.5) herausgear‐ beitet. So baut sich beispielsweise nach Kristeva ein Text „als Mosaik von Zitaten auf “ (Kristeva 1976, S. 348), während Muster (z. B. erlebte Rede, Metapher, Chiasmus und Geschichtenform) nach Dehn et al. Texte konstituieren (vgl. Dehn et al. 2011, S.-65). Das Textschreiben lässt sich der Gruppe impliziter Triaden zuordnen, bei der das Subjekt eine distale Handlungsabsicht umzusetzen versucht und nicht zu der Gruppe, bei der das Subjekt einen distalen Term erkennt. Das zu erreichende Ziel beim Textschreiben als Problemlösen ist nämlich der zu schreibende Text (vgl. I.3.1). Demnach werden beim Textschreiben Subsidien, proximale Elemente, 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 189 durch den distalen Term evoziert. Um den proximalen und den distalen Term in der impliziten Triade beim Textschreiben, die in dem angedeuteten Verhältnis zueinanderstehen, nun bestimmen zu können, wird der Blick zunächst auf die Grundstruktur des impliziten Wissens gerichtet. Im Akt des impliziten Wissens wird der proximale Term als Instrument benutzt, um etwas anderes aufzuschließen oder zu erreichen (vgl. Neuweg 2004, S. 195). Wie in Kapitel I.5.2 zu Mustern und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive dargestellt bezeichnet Dehn Muster als Material des Transformati‐ onsprozesses vom Gedanken im Kopf zum Papier (vgl. Dehn 2005, S. 11-13). Muster fungieren somit als Mittel bzw. Instrument, um etwas anderes zu erreichen, nämlich um einen Gedanken zu Papier zu bringen. Somit lassen sich als erstes Muster dem proximalen Term zuordnen, mit Hilfe derer etwas anderes erreicht werden soll, nämlich Gedanken auf dem Papier zum Ausdruck zu bringen. Ein weiterer Grund, weshalb Muster dem proximalen Term der impliziten Triade beim Textschreiben zugeordnet werden können, liegt darin, dass das Subjekt p einverleibt (vgl. Neuweg 2004, S. 197). Dehn schreibt nämlich im Zusammenhang mit ihrem Musterbegriff, dass Vorgefundenes internalisiert wird (vgl. Dehn 2005, S. 13) - dies könnte Polanyis Modell der Einverleibung entsprechen. Des Weiteren erwähnt sie ein Beispiel, in welchem sich ein Kind „ein äußeres Muster angeeignet, sozusagen ‚einverleibt‘ hat“ (ebd., S.-14). Muster lassen sich dem großen Teil der Subsidien zuzuordnen, die implizit gelernt worden sind: Sie werden implizit mit der Texterfahrung erworben und aus Texten übernommen - nach Dehn vollzieht sich Musterbildung als impli‐ zites Lernen (vgl. Dehn 2005, S. 24). Polanyi rechnet nämlich zur subsidiären Komponente auch Erfahrungen aus der Vergangenheit, die das Subjekt zum Großteil nicht mehr erinnern kann (Neuweg 2004, S. 193). Dies korrespondiert mit Dehns Aussage, dass sich Muster auf Gehörtes, Gelesenes und Gesehenes beziehen und dass zurückliegende Lernprozesse „im Schreiben ihren Nieder‐ schlag finden“ (Dehn 1999, S.-134). Entsprechend der Zuordnung der Muster zum proximalen Term sollen nun auch die anderen beiden Elemente der impliziten Triade beim Textschreiben näher bestimmt werden. Trivial ist dabei die Annahme, dass das Subjekt der Produzent des Textes ist. Um den distalen Term beim Textschreiben bestimmen zu können, ist es hilfreich, einen genaueren Blick auf die drei verschiedenen Funktionen, die der proximale Term haben kann, zu werfen, da die Funktion des proximalen Terms die Art der impliziten Triade gewissermaßen charakterisiert. Da Muster beim Textschreiben nicht interpretiert werden, könnte p entweder als Werkzeug verwendet werden oder aber aktiv hervorgebracht werden und als Mittelhandlung fungieren. Zu den proximalen Termen, die als nicht-materi‐ 190 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 91 An dieser Stelle muss darauf hingewiesen werden, dass das Textschreiben als Problem‐ löseprozess nicht als „geübte Handlung“ verstanden wird. Die Ausführungen zu den „geübten Handlungen“ sollen lediglich der Bestimmung des distalen Terms bei der impliziten Triade beim Textschreiben dienen. elle Werkzeuge verwendet werden, zählt Neuweg jedoch Bezugsrahmen wie wissenschaftliche Theorien oder moralische Lehren, welche als intellektuelle Werkzeuge verwendet werden oder Erfahrungen aus der Vergangenheit, die in interpretativen Prozessen genutzt werden (vgl. Neuweg 2004, S. 191). Da beim Textschreiben Muster aktiv hervorgebracht werden, was sich an ihrem Erscheinen auf dem Papier erkennen lässt, ließe sich das Textschreiben somit am ehesten dem Fall zuordnen, bei dem p als Mittelhandlung fungiert und aktiv hervorgebracht wird. Es sollen nun zwei Beispiele von impliziten Triaden, die Neuweg tabellarisch diesem Fall zugeordnet hat (vgl. Tabelle in Neuweg 2004, S. 189-191), in den Blick genommen werden, um anschließend d analog zu diesen Beispielen näher zu bestimmen. Bei einer „geübten Handlung 91 “ werden die Mittel (Elemente der Situation bzw. Handlungen) als proximaler Term bezeichnet, während der Zweck, der „plane of operation“ bzw. die Ar‐ beitsergebnisse, dem distalen Term zugeordnet werden: Der Bleistift fungiert beispielsweise als Mittel (p), während d „der zu schreibende Gedanke“ (Neuweg 2004, S. 191) ist. (Vgl. ebd.) Beim Sprechhandeln wirken „motorische Kompo‐ nenten und geäußerte Symbole“ (ebd.) subsidiär, während „auszudrückende und ausgedrückte Gedanken [Hervorh. d. Verf.]“ (ebd.) den distalen Term bilden (vgl. ebd.). Der distale Term kann somit einerseits der zu erfüllende Zweck einer Handlung und anderseits ihr Ergebnis sein. In Anlehnung an diese Beispiele ergeben sich bei der Bestimmung von d beim Textschreiben zwei Möglichkeiten: Handelt es sich bei d um das Ergebnis einer Handlung, so müsste der fertige Text analog zu den „ausgedrückten Gedanken“ den distalen Term in der impliziten Triade bilden. Wird d jedoch als der Zweck einer Handlung gesehen, wäre die Intention des Schreibers bzw. die Funktion des Textes als d zu beschreiben. Auch ließe sich analog zum Begriff „auszudrückender Gedanke“ dem distalen Term im Falle des Textschreibens die Schreibidee, für die im Schreibprozess eine sprachliche Form gefunden werden muss, zuordnen. „Die Schreibidee ist das Bild, das sich der Schreibende vom Text macht, bevor und während er schreibt. […] Die Schreibidee ist der Fokus, der Brennpunkt, der Textaussage“ (Dehn/ Schüler 2010, S. 25). Weiter bezeichnen Dehn und Schüler die Schreibidee in der Terminologie Nussbaumers als Text im Kopf des Schreibenden (vgl. ebd.). Unter Bezug auf Kretschmer (2007) weisen sie darauf hin, dass „‚[v]on der Schreibidee zum Text‘ […] nicht nur eine inhaltliche Idee, sondern auch eine 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 191 Vorstellung von der Form und deren Realisierung auf dem Papier […] [meint]“ (Dehn/ Schüler 2010, S. 25) (vgl. ebd.). In der vorliegenden Studie soll d die Schreibidee bezeichnen, für die eine sprachliche Form gefunden werden muss. Diese ist eng mit der Funktion des Textes verknüpft, dem Schreibziel des Schreibers. Ein Grund, der diese Ent‐ scheidung rechtfertigt, liegt in der Notwendigkeit, den für den Schreibprozess essenziellen Vergleich von intendiertem Text und bereits geschriebenem Text auf die implizite Triade beim Schreiben zu beziehen. Diesen Überlegungen zufolge besteht die implizite Triade beim Textschreiben nun aus dem Schreiber (Subjekt), der Schreibidee, für die eine sprachliche Form gefunden werden soll (distaler Term), und den Mustern (proximales Gefüge), den Mitteln, mit dessen Hilfe dieser Zweck zu erreichen ist und die dabei aktiv hervorgebracht werden sollen. Nach dieser grundlegenden Zuordnung der drei die implizite Triade bil‐ denden Elemente wird nun der Akt der impliziten Integration beim Text‐ schreiben genauer betrachtet. Dabei sollen auch die drei Phasen, die beim Aufbau der impliziten Triade bei impliziten Integrationen mit heuristischem Mo‐ ment, wozu Schreiben als Problemlöseprozess zählt, hintereinander ablaufen, auf den Schreibprozess bezogen werden: Die antizipative Intuition, die Imagina‐ tion und die finale Intuition. Die antizipative Intuition, die erste Phase beim Aufbau der impliziten Triade, lässt sich als Problemlösemotivation beschreiben. In der Phase der Imagination greift das Subjekt auf das Ergebnis der Integration vor. Übertragen auf das Textschreiben müsste somit ein imaginativer Vorgriff auf den zu schreibenden Text geschehen. Dies deckt sich mit Erkenntnissen über das Schreiben als Problemlöseprozess: Vor dem Schreiben existiert im Kopf des Schreibers vom zu schreibenden Text nur eine ungefähre Vorstellung, die erst während des Schreib‐ prozesses an Deutlichkeit gewinnt. Das Subjekt greift somit auf das Ergebnis des Textproduktionsprozesses vor, indem es eine Schreibidee (im Sinne Dehns) entwickelt. Der Schreiber macht sich ein Bild vom Text, er hat eine inhaltliche Idee und eine Vorstellung von der Realisierung auf dem Papier (vgl. Dehn/ Schüler 2010, S. 25). Die Imagination löst Polanyis Modell zufolge die Evokation oder Interpretation der Subsidien aus (vgl. Neuweg 2004, S. 211). Übertragen auf das Textschreiben entspräche dies der Evokation angemessener Muster (p) durch den Blick auf die Schreibidee. Da es sich beim Textschreiben jedoch meist um einen Problemlöseprozess mit ausgedehnter zeitlicher Erstreckung handelt, entspricht es nicht dem Fall, bei dem die Imagination ausschließlich auf den distalen Term gerichtet ist. Das Textschreiben ist dem Fall zuzuordnen, 192 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 92 Die Aussage der Schülerin kann keinesfalls als Beleg für die Gültigkeit der Aussage über das Wechselspiel beim Textschreiben gelesen werden. Es wird lediglich auf die Verein‐ barkeit der dargestellten Überlegungen mit der Aussage der Schülerin hingewiesen. bei dem ein Wechselspiel von Analyse und Integration stattfindet. Der finalen Intuition als Evokation der Subsidien, die dem Subjekt widerfährt, entspricht beim Textschreiben das bereits erwähnte Hervorbringen der Muster. Beim Textschreiben findet ein Pendeln zwischen den Subsidien und dem dis‐ talen Term statt. Analog zum Wechselspiel, das bei Lernprozessen stattfindet (vgl. Neuweg 2004, S. 352f.), lässt sich das Pendeln zwischen p und d beim Textschreiben wie folgt darstellen. Die Subsidien werden einerseits verwendet, um d aufzubauen: Mit Hilfe der Mittel bildet das Subjekt die sprachliche Form für die Schreibidee d. Anderseits werden die verwendeten Subsidien im Lichte von d, der Schreibidee, bestätigt oder bezweifelt. Liegt der letztere Fall vor, führt dies meist zu einer Überarbeitung in Form von einer Ersetzung oder Veränderung. Eine neue implizite Integration findet statt, indem eine neue Formulierung evoziert wird. Dies stimmt auch mit einer Aussage einer Zweitklässlerin (Laura) in einer Befragung von Swantje Weinhold (2005) zur Frage „Wie schreibst du einen Text? “ überein: 92 „Also, ich stell mir das erstmal vor, dann schreibe ich die Geschichte dazu, denk mir ein paar Wörter aus und guck, ob die dazu passen. Und wenn das nicht passt, radiere ich das wieder weg.“ (Weinhold 2005, S. 81f.) (Vgl. ebd.) Das Kind stellt sich erst einmal etwas vor, es macht einen imaginären Vorgriff auf die Schreibidee. Dies löst die Evokation entsprechender Subsidien aus - das Kind notiert etwas. Anschließend prüft das Kind, ob die Worte zur Schreibidee passen - es prüft die verwendeten Subsidien im Lichte von d. Dies führt eventuell zu einer Korrektur - das Kind löscht das Geschriebene. Die Prozesse, die beim Wechselspiel zwischen Analyse und Integration stattfinden, lassen sich mit den Aussagen Dörners zum dialektischen Problemlösen (vgl. Dörner 1976, S. 97; vgl. Kapitel I.3.1) vereinbaren: Es finden Konstruktionsprozesse (d wird durch p konstituiert, indem durch d p evoziert wird) und Prüfprozesse (im Lichte von d wird p geprüft) statt. Aber wird beim Textschreiben nicht auch manchmal innegehalten und intensiv nach Formulierungen oder sprachlichen Mustern für einen auszudrückenden Gedanken gesucht, bevor etwas niedergeschrieben wird? Auch dafür liefert das Wechselspiel von Analyse und Integration eine Erklärung. Da Überarbei‐ tungen, wie Hayes und Flowers Schreibprozessmodell zeigt, an jeder Stelle des Schreibprozesses stattfinden können - auch schon bei unausgesprochenen For‐ mulierungen im Kopf (Prätextrevision) - kann auch die Wahl des sprachlichen Mittels, das letztendlich auf dem Papier erscheint, mit diesem Wechselspiel 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 193 erklärt werden. Kommt dem Schreiber ein sprachliches Mittel in den Sinn, prüft er es anhand der Funktion, die es zu erfüllen hat (im Licht von d), verwirft es eventuell, wenn es dem Sinn nicht ganz entspricht, und sucht weiter. Bei einem heuristischen Akt versteht Polanyi die imaginative Anstrengung als Suchbewegung. Allerdings, so mag an dieser Stelle eingewendet werden, kann der komplexe Vorgang des Textschreibens als Problemlöseprozess nicht auf das Evozieren von Mustern durch den imaginären Vorgriff auf den zu schreibenden Text und das Prüfen dieser reduziert werden. Muster, so viele Zuordnungen verschiedener Elemente der offene Musterbegriff Dehns auch zulässt, können nicht das Einzige sein, was beim Textschreiben hervorgebracht wird. Ein geschriebener Text besteht nicht ausschließlich aus Mustern. Überdies gibt es noch weitere Faktoren, die im Schreibprozess auf die Bildung des Textes wirken. Um mit dem Übertragungsversuch Polanyis Modell auf das Textschreiben die Wirk‐ lichkeit des Textschreibens präziser abzubilden, bedarf der proximale Term einer Erweiterung - um proximale Elemente, die aktiv hervorgebracht werden, aber insbesondere auch um Elemente, die diesen Prozess hintergrundbewusst unterstützen. Bei der letzteren Gruppe würde p als (intellektuelles) Werkzeug genutzt werden (vgl. Neuweg 2004, S. 189), ähnlich wie „Bezugsrahmen“ und Erfahrungen aus der Vergangenheit. Bei Betrachtung der impliziten Triade beim Textschreiben stellen sich verschie‐ dene Fragen: Wie ist es dem Schreiber möglich, zu prüfen, ob das gebrauchte Muster die intendierte Funktion im zu schreibenden Text erfüllt bzw. ob das verwendete Muster der Schreibidee angemessen ist? Wie ist es möglich, dass im imaginären Vorgriff auf die Schreibidee überhaupt angemessene Muster evoziert werden können? Ist nicht eine Voraussetzung dafür, dass dem Schreiber die Funktion des verwendeten Musters mindestens implizit bewusst ist? Daher wird nachfolgend die Grundstruktur und der Erwerb impliziten Musterwissens in Bezug auf Polanyis Modell in den Blick genommen. Da sprachliche Muster nach Kruse und Kruse von Kindern gebraucht werden, wenn diese das Gefühl haben, mit ihnen eine bestimmte Wirkung erzielen zu können (vgl. Kruse/ Kruse 2007, S. 31), liegt die Annahme nahe, dass bei Schreibern eine, in der Terminologie Polanyis ausgedrückt, „stumme Relation“ zwischen einem Muster und seiner Wirkung besteht. Unter Einbezug der Aussage Polanyis, dass der distale Term in der „Von-zu-Struktur“ des impliziten Wissens als Bedeutung des proximalen Terms bezeichnet werden kann (vgl. Neuweg 2004, S. 199), lässt sich die Funktion bzw. Wirkung des Musters dem distalen Term zuordnen, der als Bedeutung vom proximalen Term, dem Muster, 194 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 93 Der Begriff Textmuster kann in diesem Zusammenhang als Synonym für Dehns Begriff des literarischen Musters verstanden werden (vgl. dazu Kapitel I.5.2 zu Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive). bezeichnet werden kann. Es handelt sich dabei um eine stumme Relation, da dem Textproduzenten die Beziehung zwischen dem Muster und seiner Wirkung nicht bewusst ist. Kruse erwähnt die Annahme, „dass Kinder mit der Texterfahrung zugleich Textmuster erwerben, die sie intuitiv gebrauchen, sie mischen und abwandeln“ (Kruse 2006a, S. 145), 93 was die These stützt, dass das Wissen des Kindes über die Beziehung zwischen Muster und Funktion nur implizit ist. Beim Erwerb des impliziten Musterwissens muss das Kind das Muster mit der Wirkung, die es bei der Begegnung mit ihm erfahren hat, unbewusst verknüpft haben. Das Kind verfügt über ein implizites Musterwissen, das durch einen impliziten Musterbildungsprozess erworben wurde. Zwischen der skizzierten Übertragung von Polanyis Grundstruktur impliziten Wissens auf implizites Musterwissen und Feilkes Konzept der Textprozeduren besteht eine Nähe: So kann der typische Ausdruck der Textprozedur (z. B. Es war einmal (vgl. Feilke 2017, S. 53)) dem proximalen Term zugeordnet werden und das Handlungsschema (z. B. „Eröffnung eines Märchens“ (ebd.)) dem distalen Term. Dabei lassen sich alle typischen Ausdrücke als Muster bezeichnen, jedoch nicht alle Muster als typische Ausdrücke, da der Musterbegriff der vorliegenden Arbeit weiter gefasst ist. Aus den vorangegangenen Überlegungen ergibt sich als Konsequenz, dass eine Erweiterung des proximalen Gefüges notwendig ist: So müsste Musterwissen als weiteres Element zum proximalen Term hinzugefügt werden, das hinter‐ grundbewusst zur Erreichung der distalen Handlungsabsicht genutzt wird. Konsequenterweise müsste dann allerdings auch Textwissen im Allgemeinen zum proximalen Term hinzugefügt werden, da dieses auch, ohne bewusst zu werden, beim Textschreiben wirksam ist (vgl. Merklinger 2014, S. 4). Nach dem Schreibprozessmodell von Hayes und Flower ist die Lösung des Problems (der zu schreibende Text) auch abhängig vom Langzeitgedächtnis des Autors. Dieses enthält das gespeicherte Wissen zum Textgegenstand, zu möglichen Rezipientengruppen sowie zu Schreib- und Textmustern. Des Weiteren lassen sich literale Prozeduren der subsidiären Komponente zuordnen. Wie in Kapitel I.5.2 dargestellt werden Muster mit Hilfe von literalen Prozeduren in die syntaktische Organisation des Textes eingebunden. Als sprachliches Verfahren zur Textkonstitution (vgl. Feilke 2010, S. 1) können literale Prozeduren auch als „vom Subjekt ausgeführte […] innere Operationen“ (Neuweg 2004, S. 192) oder „intellektuelle Werkzeuge im Gebrauch“ (ebd., S. 193) beschrieben werden 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 195 94 Der Begriff „bereits produzierte Textteile“ wurde von Pohl und Steinhoff übernommen, die diesen in Anlehnung an Hayes und Flowers „text produced so far“ bilden (vgl. Pohl/ Steinhoff 2010, S.-13). - zwei Aspekte, die, so Neuweg, in einem mentalen Akt hintergrundbewusst sein können (vgl. ebd., S. 192). Da beim Erwerb prozeduralen Wissens „der Gebrauchszusammenhang selbst verstanden“ (Feilke 2010, S. 3) werden muss, ist zu schließen, dass sie durch eine implizite Integration erworben werden. Hintergrundbewusst bzw. subsidiär können in der impliziten Triade des Wei‐ teren auch allgemein vergangene Lernerfahrungen mit Texten sein, an die sich das Subjekt oft nicht erinnern kann. Polanyi rechnet nämlich zur subsidiären Komponente auch Erfahrungen aus der Vergangenheit, die das Subjekt zum Großteil nicht mehr erinnern kann (vgl. Neuweg 2004, S. 193). Zu den Subsidien, die nicht (angemessen) verbalisierbar sind, lässt sich überdies das Sprachge‐ fühl rechnen. Die Aussage, dass verwendete Subsidien im Lichte von d, der Schreibidee geprüft werden, lässt die Frage aufkommen, wie es dem Subjekt denn überhaupt möglich ist, bereits Geschriebenes auf seine Angemessenheit in Bezug auf die Schreibintention zu bewerten. Kruse (2006) weist darauf hin, dass sich Revisionen „aus inneren Bewertungsmustern für das, was aufs Papier kommt, ab[leiten]“ (Kruse 2006b, S. 16). Diese werden mit Texterfahrung gewonnen. (Vgl. ebd.) Somit ließen sich „innere Bewertungsmuster“ ebenfalls als „intellektuelle Werkzeuge im Gebrauch“ (Neuweg 2004. S. 193) zum proximalen Term rechnen. Der Fokuswechsel zwischen dem proximalen und dem distalen Term erinnert im Zusammenhang mit dem Schreibprozess an den Vergleich zwischen inten‐ diertem und realisiertem Text, das konstitutiv für den Revisionsprozess ist (vgl. dazu die Ausführungen zum CDO-Modell nach Bereiter/ Scardamalia 1987, S. 266f.; Kapitel I.3.1). Die im Zusammenhang mit dem Wechselspiel von Analyse und Integration erwähnte Prüfung beschränkt sich folglich nicht nur auf die hervorgebrachten Muster, sondern umfasst auch den ganzen geschriebenen Text. Da der distale Term beim Textschreiben in diesem Übertragungsversuch durch die Schreibidee, den intendierten Text, repräsentiert wird, müssten, der Logik von Polanyis Erkenntnismodell folgend, „bereits produzierte Textteile 94 “ ein weiteres Element des proximalen Gefüges darstellen. Ein Grund dafür besteht darin, dass bereits realisierte Textteile wie Muster im Schreibprozess aktiv hervorgebracht worden sind. Nun ließe sich einwenden, dass Muster Mittel sind, um den Text zu konstituieren, während es sich beim „bereits geschriebenen Text“ um ein Ergebnis des Schreibvorgangs handelt, der unter anderem aus diesen Mustern konstituiert wird. Wie bereits aus Beispielen 196 6 Implizites Wissen und implizites Lernen Polanyis für die implizite Triade geschlossen wurde, kann d Zweck und Ergebnis einer Handlung sein kann (vgl. Neuweg 2004, S.-191). Somit erscheint es unge‐ wöhnlich, das Ergebnis einer Handlung, also „bereits geschriebene Textteile“, als p zu bezeichnen anstatt als d. Dem ist allerdings entgegenzusetzen, dass bereits geschriebene Textteile zum einen nicht den Text in seiner endgültigen Fassung meinen, sondern nur eine Momentaufnahme im Entstehungsprozess, und zum anderen, dass sie Aussagen Pohl und Steinhoffs zufolge den Schreiber der Gesamtlösung näherbringen (vgl. Pohl/ Steinhoff 2010, S. 10f.), also dem Umsetzen seiner Schreibidee. Zudem verändern bereits geschriebene Textteile, so Pohl und Steinhoff in Bezug auf Hayes und Flower, das ursprüngliche Problem, den zu schreibenden Text. In der Terminologie Polanyis verändern „bereits geschriebene Textteile“ demnach d. Die Tatsache, dass Hayes und Flower sie dem Aufgabenumfeld zuordnen und ihnen somit einen Einfluss auf den Schreibprozess zuweisen, rechtfertigt die Zuordnung der bereits verfassten Textteile zum proximalen Term, allerdings in der Funktion eines hintergrund‐ bewusst wirkenden (intellektuellen) Werkzeugs. Für die Übertragung bedeutet dies Folgendes: Jedes Hervorbringen eines Musters bzw. einer Formulierung wird durch die implizite Integration, meist im Wechsel mit einer Analyse, ausgeführt. Durch jede neue Formulierung wird der bereits geschriebene Text erweitert. Diese bereits geschriebenen Textteile beeinflussen als einverleibtes proximales Element, ähnlich wie Textwissen, Sprachgefühl und Musterwissen, das weitere Evozieren von Mustern, Wörtern und syntaktischen Strukturen. Diese Überlegungen führen in das epistemische Moment des Schreibens, das in Bezug auf Polanyis Modell erörtert wird. Trotz des dargestellten Einwandes scheinen somit mehr Gründe dafür zu sprechen, „bereits produzierte Textteile“ dem proximalen Term zuzuordnen. Diese Zuordnung wäre aber unter Einbezie‐ hung weiterer Fakten zum proximalen Term noch einmal kritisch zu prüfen. An dieser Stelle lässt sich der im Abschnitt zur impliziten Triade beim Textschreiben bereits angekündigte Grund nennen, warum es sinnvoller ist, den distalen Term als „den zu schreibenden Text“ und nicht als „geschriebenen Text“ zu bezeichnen. Wäre d der „geschriebene Text“, so müsste, um das Wechselspiel zwischen intendiertem und geschriebenem Text in die Triade zu integrieren, der „zu schreibende Text“, die Schreibidee bzw. Funktion des Textes, dem proximalen Term zugeordnet werden. In diesem Fall würde die Aussage über die Beziehung zwischen p und d nicht mehr stimmen: Das fokale Ziel - in diesem Fall „der geschriebene Text“ kann nicht als Bedeutung des proximalen Terms - in dem Fall des intendierten Textes - bezeichnet werden. Zu den aktiv hervorgebrachten proximalen Elementen könnten abgesehen von Mustern und bereits geschriebenen Textteilen auch Wörter und syntaktische 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 197 95 Dehn nimmt dabei Bezug auf Aussagen von Lew S. Wygotski (1969). Strukturen gerechnet werden. Dies kann im Rahmen dieser Arbeit jedoch nicht erschöpfend untersucht werden. Somit lassen sich neben den implizit erworbenen Mustern, auf die der Schreiber beim Verfassen eines Textes zurück‐ greift, auch Wörter und syntaktische Strukturen und bereits realisierte Textteile zählen (aktiv hervorgebrachte subsidiäre Elemente) sowie literale Prozeduren, Textwissen, (Text-)musterwissen, zurückliegende Erfahrungen mit Texten, das Sprachgefühl und innere Bewertungsmuster (als Werkzeug genutzte subsidiäre Elemente) zum proximalen Term der impliziten Triade beim Textschreiben zählen. An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass diese Zuordnung von Elementen zum proximalen und distalen Term nicht den Anspruch auf Vollstän‐ digkeit erhebt. Es wäre zu prüfen, ob noch weitere Aspekte aus Hayes und Flowers Modell auf das Modell der impliziten Triade beim Textschreiben zu beziehen wären. Festzuhalten sei: Beim Textschreiben muss das Subjekt (S) für die Schreibidee, für das, was verdichtet vorliegt und möglicherweise teilweise ein Denken in reinen Bedeutungen ist (vgl. Dehn 2005, S. 11 95 ), eine sprachliche Form und eine Realisierung auf dem Papier finden. Dies ist der Zweck und die Hand‐ lungsabsicht. Durch den imaginativen Vorgriff auf den zu schreibenden Text (d), werden aktiv Mittel (p), unter anderem Muster, Wörter und syntaktische Strukturen, hervorgebracht, welche in einer Analyse auf ihre Angemessenheit zum Ausdrücken der Schreibintention geprüft und gegebenenfalls verworfen und in einer neuen impliziten Integration durch andere Mittel ersetzt werden. Der Prozess wird durch literale Prozeduren sowie vergangene Texterfahrungen, Musterwissen und das Sprachgefühl hintergrundbewusst unterstützt. Dabei wirkt auch der während des Schreibprozesses entstehende Text subsidiär auf das Evozieren weiterer Muster, Wörter und syntaktischer Strukturen. Wie die Ausführungen zeigen, ist Textschreiben als Problemlösevorgang auf Polanyis implizite Integration übertragbar. Dass nach Dehn (1993) Lernprozesse während des Textschreibens stattfinden, um eine Form für den Gedanken zu finden - eine Überlegung, die mit dem Begriff des epistemischen Schreibens (vgl. Pohl/ Steinhoff 2010; Jantzen 2010) in Verbindung gebracht werden kann - lässt sich mit Polanyis Modell der impliziten Triade in gewissem Maße erhellen. Polanyi sieht in der Überwindung der logischen Lücke „den Kern dessen, was man Verstehen nennt“ (Neuweg 2004, S. 222). Da beim Textschreiben als implizite Integration eine logische Lücke geschlossen wird, muss auch beim Textschreiben „Verstehen“ stattgefunden haben. Dies kann auch als Erklärung 198 6 Implizites Wissen und implizites Lernen dafür dienen, dass beim Schreiben Lernprozesse stattfinden. Konsequenterweise müsste dies bedeuten, dass bei jedem Textschreiben als Problemlösen Lernpro‐ zesse stattfinden. Bezogen auf Polanyis Modell der impliziten Triade lässt sich Textschreiben nicht nur als Problemlöseprozess, sondern auch als Lernprozess bezeichnen, da nach Polanyi das Modell der impliziten Triade auf Lernen, Anwenden, Konstruktionen und Re-Konstruktionen angewandt werden kann. Lernen und Problemlösen werden dazu derselben Kategorie zugeordnet: Bei ihnen dauert die imaginative Anstrengung meist länger, ist intensiver, oft von Pendelbewegungen zwischen Analyse und Synthese gekennzeichnet und zieht die Integration, im Gegensatz zu Re-Konstruktionen, nicht unmittelbar nach sich. (Vgl. dazu Neuweg 2004, S. 207) Schreiben als Lernprozess zu sehen, stimmt auch mit Aussagen Dehns überein: Das Schreiben stellt also selbst einen Lernprozess dar und es integriert dabei zurücklie‐ gende Lernprozesse: Das betrifft das Verfügen über Inhalte, es betrifft die syntaktische Konzeptionierung, und es betrifft das Artikulieren der Beziehung zwischen dem Subjekt des Schreibers und dem Adressaten (Dehn 1996; Dehn 1999). (Dehn 2009, S.-154) Das epistemische Moment selbst beim Textschreiben lässt sich im Wechsel‐ spiel zwischen Analyse und Integration, im Pendeln zwischen p und d, im Überwinden der logischen Lücke erkennen. Zur Erhellung sei der Blick auf Neuwegs Idee zur Erklärung von „Bootstrapping“ mit Hilfe des Konzepts der Sub-specie-Relation gerichtet. Der proximale Term p - an dieser Stelle soll er durch den bereits geschriebenen Text verkörpert werden - wird im Licht von d, der Schreibidee, gesehen. Eine Prüfung kann zu einer Textveränderung führen (Muster, Wörter, Textstrukturen u. a. werden ersetzt, verändert etc.). P wird in dem Fall zu p*. Dass bereits geschriebene Textteile das Problem, den zu schreibenden Text, verändern (vgl. Steinhoff/ Pohl 2010, S. 13), bedeutet, dass d wiederum im Licht von p* zu d* wird. Die Schreibidee entwickelt sich während des Schreibprozesses weiter. Da die Schreibidee inhaltliche und formale Aspekte beinhaltet, deutet dies auf ein Lernen in Bezug auf den Schreibgegenstand und auf formale Aspekte hin. Des Weiteren werden beim Textschreiben neue Erfahrungen gemacht, die im weiteren Prozess subsidiär wirken können und somit den Prozess beeinflussen können. Polanyis Modell liefert auch eine Erklärung dafür, warum Lernprozesse beim Überarbeiten stattfinden: Wie bereits gezeigt kann das Wechselspiel von Analyse und Integration, das epistemisches 6.1 Die Theorie des impliziten Wissens nach Polanyi 199 96 Es sei darauf hingewiesen, dass der Übertragungsversuch Polanyis impliziter Triade auf das Textschreiben aufgrund der Komplexität des Schreibprozesses nicht den Anspruch auf Vollständigkeit oder Alleingültigkeit erhebt. Aufgrund der Komplexität des Schreibprozesses war es nicht möglich, analog zu Beispielen Polanyis (vgl. Tabelle in Neuweg 2004, S. 189ff.), dem proximalen Term nur eine Funktion zuzuordnen. Stattdessen mussten zwei Arten von proximalen Elementen, die verschiedene Funk‐ tionen erfüllen, gebildet werden (p wird aktiv hervorgebracht; p dient als Werkzeug). Daher ist eine 1: 1-Übertragung von Polanyis Modell nicht möglich, woraus sich einige Uneindeutigkeiten in der Übertragung ergeben. Potential hat, gerade beim Überarbeiten im Vergleich zwischen Realisation und Intention stattfinden. 96 Im Lichte von Polanyis Modell, das auf das Textschreiben übertragen wurde, lässt sich erneut die eingangs erwähnte von Dehn vorgenommene Unterschei‐ dung zwischen dem Text als Ergebnis zurückliegender Lernprozesse und als Ergebnis von Lernprozessen, die sich während des Schreibens des Textes vollziehen, betrachten. Die zurückliegenden Lernprozesse, die sich aus der Erfahrung mit anderen Texten ergeben, lassen sich in Polanyis Terminologie als frühere Lernerfahrungen bzw. als Ergebnisse früherer impliziter Integrationen bezeichnen, die subsidiär im Schreibprozess wirken. Lernprozesse, die während des Textschreibens ausgelöst durch die Notwendigkeit, für die Schreibidee eine Struktur zu finden, stattfinden, lassen sich mit dem Wechselspiel von Analyse und Integration erklären, durch das erstens Bedeutung geschaffen wird und das letztendlich zur Schließung der logischen Lücke zwischen p und d führt. 6.2 Pretend Reading, implizites Lernen und implizites Wissen Im Folgenden wird die Pretend-Reading-Situation mit Hilfe der Wissenstheorie Polanyis beleuchtet. Dafür wird zunächst der Blick auf den Verstehensprozess beim Hören einer Geschichte gelegt. Anschließend werden die vorgestellten Überlegungen zur Übertragung der Wissenstheorie Polanyis auf den Textpro‐ duktionsprozess im Medium der Mündlichkeit im Kontext von Pretend-Rea‐ ding-Situationen bezogen. Es folgt eine Betrachtung von Pretend Reading als Möglichkeit impliziten Lernens, wobei neben der Wissenstheorie Polanyis weitere Ausführungen von Neuweg (2000) und Erkenntnisse zum Textschreiben (Kruse/ Kruse 2007; 2017; Dehn et al. 2011; Pohl/ Steinhoff 2010; Christensen 2011) die theoretische Grundlage bilden. Dabei wird zwischen Erwerbskontexten beim Hören und Verstehen von Narrationen und Erwerbskontexten während der 200 6 Implizites Wissen und implizites Lernen 97 Den Prozess des Aufbaus einer impliziten Triade bezeichnet Polanyi als implizite Integration bzw. als „Akt des tacit knowing“ (Neuweg 2004, S.-204). eigenen Textproduktion unterschieden. Das Kapitel schließt mit Überlegungen zum Gebrauch impliziten Wissens beim Pretend Reading. Im Zusammenhang mit Sprache und Bedeutung thematisiert Neuweg (2004) das Hören und Lesen eines Wortes. Entweder wird „auf das Wort als Wort [Hervorh. im Original]“ (Neuweg 2004, S. 182) geachtet oder „von ihm auf seine Bedeutung [Hervorh. im Original]“ (ebd.). Beim Anblick eines Wortes wird im Normalfall die fokale Aufmerksamkeit „von ihm weg auf seine Bedeutung gelenkt“ (ebd.), sodass die Person durch das Wort hindurch blickt. Wird jedoch das normalerweise proximale (hintergrundbewusste) Wort fokussiert, wird seine Bedeutung aus dem Fokus verloren. „Über die Zweigeschichtetheit des Bewußtseins ließe sich auch erklären, warum wir Bedeutungen besser behalten als den genauen Wortlaut, dem wir die Bedeutung entnommen haben“ (ebd.). (Vgl. ebd., S. 182f.) Subsidiär wirksam wird in diesem mentalen Akt des Textverstehens über die Worte hinaus auch die Gesamtheit der Lernerfahrungen, die den Worten ihre Bedeutung verleihen; auch sie werden funktional wirksam, ohne erinnert zu werden (vgl. PK, S. 91f.). (Neuweg 2004, S.-183) Beim Sprachverstehen wird der Text sowie die „gesamte bisherige Praxis des Referierens mit Symbolen“ (ebd., S. 190) auf die Wirklichkeit als proximal bezeichnet, während seine Bedeutung dem distalen Term zugeordnet wird. Bei dieser impliziten Triade, 97 bestehend aus dem Subjekt, einem distalen und einem proximalen Term, wird der promimale Term (p) aktiv interpretiert. (Vgl. ebd., S. 189f.) Das hier beschriebene Sprachverstehen bzw. Textverstehen kann auf die Situation des Zuhörens und Verstehens beim Vorlesen von Bilderbüchern bezogen werden. Dabei wird der Fokus vom Kind auf den distalen Term - den Inhalt, den Sinn bzw. auf die Bedeutung der vorgelesenen Wörter, aus denen die Geschichte besteht - gelegt. Die Wörter, die hier den proximalen Term bilden, werden vom Kind aktiv interpretiert. Nach der Betrachtung des Verstehensprozesses beim Vorlesen einer Geschichte, der beim Pretend Reading der Textproduktion des Kindes vorausgeht, wird nun dieser Textproduktionsprozess im Medium der Mündlichkeit beleuchtet. Beim Pretend Reading produziert ein Kind jeweils einen medial mündlichen Text zu einem medial schriftlichen Text (Bilderbuchtext), der dem Kind jedoch vorgelesen wurde. Der vom Kind produzierte Text kann dabei als „Text zwischen 6.2 Pretend Reading, implizites Lernen und implizites Wissen 201 Texten [Hervorh. im Original]“ (Dehn et al. 2011, S. 42) bezeichnet werden - und zwar als Text zwischen dem bekannten Vorlesetext und weiteren zuvor rezipierten Texten. Des Weiteren kann auch Erfahrung mit konzeptionell mündlicher Sprache die Textproduktion des Kindes beeinflussen. Es ist anzu‐ nehmen, dass wie beim Schreibprozess auch beim Textproduktionsprozess in einer Pretend-Reading-Situation der Aufbau einer impliziten Triade stattfindet. Dabei ist zu vermuten, dass die Schreibidee d im Gegensatz zu herkömmlichen Schreibprozessen in den meisten Fällen eine sehr starke Nähe zum vorgelesenen Bilderbuchtext aufweist - und zwar hinsichtlich inhaltlicher und sprachlicher Aspekte, da die Aufgabe darin besteht, ein bereits bekanntes Buch „vorzulesen“ (zu den Auswertungen der empirischen Untersuchung vgl. Kapitel II.3). Da Überarbeitungen unmittelbar mit der Textproduktion verwoben sind (vgl. Merz-Grötsch 2010, S. 57), können mögliche Überarbeitungen, die Kinder wäh‐ rend der Textproduktion im Rahmen der Pretend-Reading-Situation vornehmen (vgl. Kapitel I.3.1 zu Text, Textkompetenz und Textproduktion), als Hinweis dafür gedeutet werden, dass diese Textproduktion im Medium der Mündlichkeit starke Ähnlichkeiten zum Schreibprozess im Medium der Schriftlichkeit aufweist: Wie beim Schreibprozess scheint somit eine Pendelbewegung zwischen p und d stattzufinden. Es lässt sich vermuten, dass das Kind an diesen Stellen z. B. bewusst nach einem alternativen Begriff sucht, der seinem Empfinden nach entweder für den Kontext besser geeignet zu sein scheint oder der eine gram‐ matische Korrektur des zuvor geäußerten sprachlichen Ausdrucks darstellt. Die während der Pretend-Reading-Situationen vorgenommenen Überarbeitungen werden bei der Analyse der sieben Textproduktionen im Einzelnen beschrieben und interpretiert (vgl. Kapitel II.3.1; 3.2). Zur Textproduktion in der Pretend-Rea‐ ding-Situation kommt zur herkömmlichen medial schriftlichen Textproduktion noch eine weitere Komponente hinzu: Die motorische Komponente der Sprach‐ produktion. Nach Polanyi wird beim Sprechhandeln p aktiv hervorgebracht. Der proximale Term besteht dabei aus motorischen Komponenten und geäußerten Symbolen, während die auszudrückenden und ausgedrückten Gedanken den distalen Term bilden (vgl. Neuweg 2004, S.-191). Inwiefern im Pretend Reading Möglichkeiten zum impliziten Lernen angelegt sind, wird im Folgenden thematisiert. Bezugnehmend auf die zu Beginn des Kapitels dargestellte Charakterisierung impliziten Lernens (vgl. Neuweg 2000, S. 198) lässt sich die Pretend-Reading-Situation aus folgenden Gründen als Lern‐ möglichkeit für implizites Lernen bezeichnen: So erhalten die Vorschulkinder erstens keine Erklärungen zur Funktion bestimmter sprachlicher Mittel zur Textstrukturierung oder darüber, welche sprachlichen Elemente dem Register der konzeptionellen Schriftlichkeit entsprechen und werden zweitens auch 202 6 Implizites Wissen und implizites Lernen nicht aufgefordert, sich bewusst-reflexiv mit ihnen auseinanderzusetzen oder sie zu verwenden. Wie die sieben Textanalysen zeigen werden (vgl. Kapitel II.3.2), sind die sieben Vorschulkinder, die zum Pretend Reading aufgefordert werden, dennoch zu einem bestimmten Grad in der Lage, Elemente konzep‐ tioneller Schriftlichkeit zu verwenden, Muster funktional einzusetzen und Kohärenz zu erzeugen - sie zeigen somit ihr Können in ihrem Verhalten, nämlich in der Textproduktion. „Lernprozesse beim Schreiben entstehen durch die Erfah‐ rung mit Texten. Das gilt sowohl für gelesene als auch für selbstverfasste Texte“ (Kruse/ Kruse 2007, S. 31). Daraus folgt, dass Lernprozesse sowohl beim Vorlesen des Bilderbuches durch andere Personen (Rezeption) als auch beim eigenen Verfassen eines Textes zum Bilderbuch (Produktion) durch das Kind stattfinden können. Nach Dehn et al. können implizite Lernmöglichkeiten z. B. „durch das Vorzeigen von Mustern“ (Dehn et al. 2011, S. 10) oder „das Herausfordern des Spiels mit Vorgaben“ (ebd.) entstehen. Vor der Pretend-Reading-Situation werden dem Kind u. a. durch das Vorlesen von Bilderbüchern Muster vorgezeigt - und zwar unmittelbar und mittelbar vor der eigenen Textproduktion. Des Weiteren werden Kinder durch die Aufforderung zum „Vorlesen“ indirekt zum Spiel mit Mustern der Vorgabe herausgefordert. Im Folgenden wird zwischen vier verschiedenen Erwerbssituationen bzw. -kon‐ texten im Rahmen von Pretend-Reading-Situationen unterschieden. Zwei dieser Erwerbssituationen können während der Textrezeption stattfinden - und zwar einmal mittelbar und einmal unmittelbar vor der Pretend-Reading-Situation (Erwerbskontext 1a und 1b). Die anderen zwei Erwerbssituationen können während der Textproduktion selbst stattfinden: Einmal bei der einmaligen funktionalen Verwendung von Mustern bei der Textproduktion und einmal bei der mehrfachen funktionalen Verwendung von Mustern (Erwerbskontext 2a und 2b). „An sich bewusstseinsfähige Subsidien können implizit erlernt werden, wenn die Konzentration im Lernprozess dem distalen Zweck gilt“ (Neuweg 2000, S. 208). Muster lassen sich zu einem großen Teil als „an sich bewusstseinsfähige Subsidien“ (ebd.) bezeichnen, da die Funktion, die ein Muster im Text hat, im Allgemeinen meist in Worte gefasst werden kann - wenngleich auch nicht vom Kind selbst und teilweise auch nicht vollständig. Beim Sprachverstehen ist der Fokus bereits auf den distalen Term gerichtet - somit ist eine Grund‐ voraussetzung für das Einsetzen eines impliziten Lernprozesses erfüllt. Kinder erwerben Muster bei der Konzentration auf den Inhalt, den Sinn bzw. auf die Bedeutung der vorgelesenen Geschichte, der bzw. die den distalen Term bildet. Sie erwerben sie nicht dadurch, dass sie die Muster bewusst lernen, 6.2 Pretend Reading, implizites Lernen und implizites Wissen 203 indem sie auf die Verbindung zwischen dem jeweiligen Muster und seiner Bedeutung aufmerksam gemacht werden bzw. indem sie aufgefordert werden, die vorgelesenen Muster zu memorieren. Beim Textverstehen werden einerseits die Verbindungen von Mustern und Funktionen, z. B. Textprozeduren erkannt, die im Verstehensprozess wirksam werden. Andererseits werden neue implizite Verbindungen zwischen Mustern und seinen Bedeutungen und Funktionen beim Vorlesen hergestellt. Kinder lernen die Muster eingebettet in Kontexte kennen, in denen diese Muster funktionieren (vgl. hierzu Kruse/ Kruse 2017) und setzten sie dann in ähnlichen Situationen ein. Dies lässt sich - wie die Auswertung der Pretend-Reading-Situationen zeigen wird (vgl. II.3.1) - an der mehrfachen Verwendung des gleichen Musters, das in ähnlichen Situationen eingesetzt wird, erklären. Muster können somit beim Vorlesen implizit durch Spracherfahrung und im Kontext erlernt werden. Einschränkend einzuwenden ist, dass nicht alles, was vorgelesen und verstanden wird, erlernt und letztendlich auch in der eigenen Textproduktion aktiv hervorgebracht werden kann. Es wird angenommen, „dass dem expliziten und dem impliziten Wissens‐ system jeweils auch spezifische Lernmodi korrespondieren (vgl. etwa Berry/ Broadbent 1988, Hayes/ Broadbent 1988)“ (Neuweg 2004, S. 29). Demzufolge würde ein impliziter Lernmodus in implizitem Wissen münden (vgl. ebd.). Findet beim Vorlesen der Geschichte ein impliziter Lernprozess statt, bei dem vom Kind zuvor nicht bekannte Muster mit einer (vagen) Bedeutung und Funktion verknüpft werden, die sie mit Hilfe des Kontextes erschließen, so müssten die Kinder der Aussage Neuwegs folgend anschließend über ein implizites Musterwissen verfügen. Die anderen zwei Erwerbssituationen können während der Textproduktion selbst stattfinden. In Erwerbssituation 2a finden Lernprozesse durch die einma‐ lige funktionale Verwendung von Mustern bei der Textproduktion statt. So stellt Schreiben nach Dehn selbst einen Lernprozess dar (vgl. Dehn 2009, S. 154) und jedes Schriftstück kann als „Ergebnis impliziten Lernens“ (Dehn et al. 2011, S. 11) bezeichnet werden (vgl. ebd.) Die Bedeutsamkeit von Mustergebrauch für den Erwerb von Textkompetenz wird von Kruse und Kruse (2007) hervorgehoben: „Tatsächlich […] sind solche Sprachmuster beim Erwerb von schriftlicher Text‐ kompetenz in hohem Maße bedeutsam“ (Kruse/ Kruse 2007, S. 30). Den Vorgang des Einbindens von Mustern aus anderen Texten in die eigene Textproduktion erachten sie als dienlich für die Entwicklung von Textkompetenz (vgl. ebd.). Es finden folglich - wie auch beispielsweise Pohl und Steinhoff konstatieren (vgl. Pohl/ Steinhoff 2010) - Lernprozesse bei der Textproduktion selbst statt. Bei der Erwerbssituation 2a geschieht der Wissenserwerb durch den mehrfachen funktionalen Gebrauch von Mustern bei der Textproduktion. „Wer öfter 204 6 Implizites Wissen und implizites Lernen Gelegenheit hat, komplexe Texte zu formulieren, kann sich allmählich diese Strukturen aneignen und sie dann auch explizit anwenden“ (Dehn et al. 2011, S. 10). Christensen spricht von einem „Prozess einer allmählichen Verinnerli‐ chung schriftsprachlicher Strukturen, Muster, Formulierungen“ (Christensen 2011, S. 59; vgl. Kapitel I.7). Das häufige Produzieren von Texten zu Bilderbü‐ chern im Rahmen von Pretend-Reading-Situationen könnte folglich zu einer solchen Verinnerlichung schriftsprachlicher Strukturen und Muster beitragen. Der Gebrauch impliziten Wissens beim Pretend Reading lässt sich wie folgt beschreiben. „Als implizites Wissen (tacit knowledge) ist […] ein Wissen zu definieren, das in der praktischen Kompetenz einer Person […] zum Ausdruck kommt, das aber nicht oder nicht angemessen verbalisiert werden kann [Her‐ vorh. im Original]“ (Neuweg 2000, S. 198). Übertragen auf die Pretend-Rea‐ ding-Situation bedeutet dies, dass in den Textproduktionen der Kinder ihre Textkompetenz - in dem Fall die praktische Kompetenz, Texte produzieren zu können - zum Ausdruck kommt, ohne dass die Kinder auf einer metasprachli‐ chen Ebene fähig sind, ihre Textproduktion zu erläutern. „Die Textkompetenz nun besteht darin, derartige sprachliche Muster kohärent einbinden zu können in einen neuen textuellen Zusammenhang“ (Kruse/ Kruse 2007, S. 31). Wird bei den Kindern in Pretend-Reading-Situationen das Einbinden von Mustern in neue Zusammenhänge sichtbar, lässt dies somit auf die (implizite) Text‐ kompetenz der Kinder schließen. Wie anhand der sieben Textproduktionen gezeigt wird (vgl. II.3.2), haben die Kinder Muster aus dem Bilderbuch in neue syntaktische Strukturen integriert und sie somit funktional eingesetzt. Dies sind sehr deutliche Hinweise auf ihre vorhandene Textkompetenz. 6.2 Pretend Reading, implizites Lernen und implizites Wissen 205 7 Erkenntnisse zum (impliziten) Erwerb und Gebrauch von Mustern didaktisch fruchtbar machen - ein Überblick In den vergangenen Jahren wurden im deutschdidaktischen Bereich unter‐ schiedliche Konzepte und Unterrichtsvorschläge zum (impliziten) Erwerb und Gebrauch von Mustern entwickelt. In den schreibdidaktischen Konzeptionen von Dehn et al. (2011), Kruse und Kruse (2007), Kohl (2007), Ritter und Ritter (2007) sowie Rathmann (2014) spielen das Verfassen eigener Texte zu anderen Texten und der Gebrauch von Mustern eine bedeutsame Rolle. Die Konzepte von Belke (2011) zum generativen Schreiben und Hochstadt (2015) zum mimetischen Lernen, die ebenfalls auf das Nutzen von Musterhaftem angelegt sind, sind in den Gebieten Deutsch als Zweitsprache und dem Grammatikunterricht angesiedelt. Die Skizzierung der sieben Konzepte verdeutlicht, dass ihnen unterschiedliche Vorstellungen von Musterhaftigkeit zugrunde liegen. Das Werk Texte und Kontexte (Dehn/ Merklinger/ Schüler 2011) möchte Lese‐ rinnen und Lesern ein Wissen darüber an die Hand geben, wie Schreibaufgaben gestaltet sein können, die Kinder zu Imaginationen anregen und sie dazu herausfordern, ihr implizites Wissen, die Geschichtenmuster, die sie sich in vielfältigen medialen Zusammenhängen angeeignet haben, in Auseinandersetzung mit der jeweiligen Schreibvorgabe zu erproben und zu erweitern […] (Dehn et al. 2011, S.-10f.) Kinder sollen somit herausgefordert werden, ihr bereits vorhandenes implizites Wissen, das zum Beispiel in Form von Geschichtenmustern vorliegen kann, zu erproben. „Implizite Lernmöglichkeiten können durch das Vorzeigen von Mustern, das Herausfordern des Spiels mit Vorgaben, das Eröffnen vielfältiger Kontexte zum Schreiben und Lesen entstehen“ (ebd., S. 10). Dehn et al. (2011) verstehen das Verfassen von Texten als kulturelle Tätigkeit. Schreiben wird dabei immer „in Korrespondenz mit Vorgefundenem“ (ebd., S. 8) gesehen. „Wer schreibt, hat immer schon gelesen, Vorgelesenes gehört, Bilder gesehen. Dabei geht es nicht um Imitation, sondern um Adaption und Transformation“ (Dehn et al. 2011, S. 8). Eindrücklich zeigen die Autorinnen anhand von Gegenüber‐ stellungen je zweier Texte desselben Kindes aus einer ersten Klasse einer Grundschule, dass es zwischen Texten, die zu etwas Selbsterlebtem verfasst wurden und Texten, die zu einem Bilderbuch geschrieben wurden, erhebliche Unterschiede gibt. Im Hinblick auf die sprachliche Dimension der Texte be‐ ziehen sich diese Unterschiede insbesondere auf Komplexität und Reihung (vgl. ebd., S. 9f.). Die Autorinnen stellen in diesem Zusammenhang folgende These auf: „Wer öfter Gelegenheit hat, komplexe Texte zu formulieren, kann sich allmählich diese Strukturen aneignen und sie dann auch explizit anwenden, zum Beispiel bei dem Bericht von Selbsterlebtem oder der Erlebniserzählung […]“ (Dehn et al. 2011, S.-10). Das Schreiben zu Vorgaben stellt das inhaltliche Kernstück der Konzeption Texte und Kontexte dar (vgl. ebd., S. 11). Dabei wirken inhaltliche Vorgaben (z. B. Texte, Bilder oder Erfahrungen aus dem Sachunterricht) als Herausforderung und Anregung. Bekommen die Kinder die Aufgabe, zu einem Bilderbuch zu schreiben, finden sie sowohl einen sprachlich als auch bildnerisch gestalteten Inhalt vor. Die Aufgabenstellung kann sehr weit gefasst sein, was es den Schülerinnen und Schülern ermöglicht, sowohl Erinnerungen, Erfahrungen und Imaginationen zu formulieren als auch deskriptive Formen zu wählen, indem sie „das Gehörte und Gesehene referieren, kommentieren, zusammenfassen, dazu argumentieren“ (ebd., S.-99f.). (Vgl. ebd.) Christensen (2011) stellt im Zusammenhang mit dem Konzept Texte und Kontexte Überlegungen zur Förderung von Textkompetenz in der Grundschule und Sprachheilschule an. „Zur Förderung von Textkompetenz [hält er] […] die Kombination eines sprachlich und inhaltlich komplexen Vorlesetextes mit einem von den Lernenden selbst wählbaren Bezug für äußerst lernförderlich“ (ebd., S. 55). Hervorgehoben sei an dieser Stelle die Bedeutsamkeit der Kom‐ plexität sowohl des Inhalts als auch der Sprache des Vorlesetextes, zu dem von den Kindern eigene Texte verfasst werden. Zudem spricht Christensen von einem „Prozess einer allmählichen Verinnerlichung schriftsprachlicher Strukturen, Muster, Formulierungen […]“ (ebd., S. 59). Schreibende lernen im Laufe ihrer Schreibentwicklung Texte auch unabhängig von konkreten Anregungen zu schreiben. „Sobald Schülerinnen und Schüler über ausreichend sprachliche Muster in Form von Sätzen, Formulierungen und Textstrukturen verfügen, benötigten sie nur noch eines - Fantasie.“ (Ebd.). (Vgl. ebd.) Diese Aussagen Christensens decken sich mit einer These von Dehn et al. (2011): Be‐ kommen Schreiberinnen und Schreiber häufiger Gelegenheit, komplexe Texte zu verfassen, können sie sich allmählich diese Strukturen aneignen und sie anschließend beispielsweise auch in einer Erlebniserzählung nutzen (vgl. Dehn et al. 2011, S.-9ff.). Ähnlich wie beim Schreiben zu Vorgaben können Kinder im nachfolgenden Unterrichtsvorschlag zur Anregung von Textmustergebrauch (Kruse/ Kruse 2007) sowie im Unterrichtsvorschlag zum Schreiben zu Bilderbüchern mit Baumustern 208 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen 98 Schmid, Thomas (2002): 33 Bazi-Geschichten zum Vorlesen. Hamburg: Oetinger. (Ritter/ Ritter 2008) Texte zu Kinderliteratur verfassen. Diese Kinderliteratur zeichnet sich jedoch explizit durch Serielles aus: So werden den Kindern be‐ stimmte Formulierungen (sprachliche Muster) und Satzkonstruktionen (struk‐ turelle Muster) mehrfach angeboten. Das von Kruse und Kruse entwickelte didaktische Konzept nutzt auffällige Unauffälligkeiten in der Kinderliteratur, um den Mustergebrauch von Kindern beim Textschreiben anzuregen bzw. herauszufordern. Unter einer auffälligen Unauffälligkeit verstehen Kruse und Kruse Formulierungen wie das sprachliche Muster „Streiflein Nebel“, das aus dem Kinderbuch Das kleine Gespenst von Otfried Preußler stammt und von einem Kind beim Verfassen eines eigenen Textes verwendet wird (vgl. ebd., S. 31f.; II.5.2 zu Muster und Musterhaftigkeit aus didaktischer Perspektive). Diesen Rückgriff erklärt Bothe mit dem sprachlichen Empfinden des Mädchens. „Der Schreiberin war die Formulierung sprachlich attraktiv, sodass sie ihr beinahe wortwörtlich im Gedächtnis geblieben ist“ (Kruse/ Kruse 2007, S. 31). (Vgl. ebd.) Das „Streiflein Nebel“ hat auf der einen Seite „einen hohen Verallgemeinerungsgrad“ (ebd., S. 32), auf der anderen Seite ist diese Formulierung jedoch wenig auffällig. Sie wurde „aus einem persönlichen Sprachgefühl heraus angeeignet“ (ebd.) und wäre anderen Kin‐ dern nicht so nachhaltig in Erinnerung geblieben. In der Kinderliteratur sind viele solcher auffälliger Unauffälligkeiten zu finden. Beispielsweise weisen die Bazi-Geschichten  98 von Thomas Schmid auffällige Unauffälligkeiten auf: Alle Bazi-Geschichten beginnen mit dem Muster „‚Simon und sein Bazi‘ (…sie machen etwas, spielen, langweilen sich, sitzen etc.)“ (ebd.). Anschließend folgen jeweils vier stereotype Sätze: „Das heißt, eigentlich (machte, spielte, langweilte sich, …) nur Simon, denn den Bazi gab es gar nicht wirklich. Keiner konnte den Bazi hören oder sehen. Nur Simon natürlich. Der schon“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Einer der von Kruse und Kruse entwickelten Aufgabenvorschlägen zu Schmids 33 Bazi-Geschichten zum Vorlesen lautet: „Von den folgenden Bazi-Ge‐ schichten gibt es nur noch die Titel und einige Wörter. Denk dir die dazugehö‐ rige Geschichte aus und schreibe sie auf: […] Das Tapetenkunstwerk: weiße Tapeten - Mamas Lippenstifte - Kunst [Hervorh. im Original]“ (ebd., S. 33). (Vgl. ebd.) Es besteht die Möglichkeit, dass die Kinder die Formel „Simon und sein Bazi spielten/ machten/ saßen (…) gerade“ (ebd.) als Einstieg für ihre eigene Bazi-Geschichte nutzen und zwar dann, wenn die Schreibaufgabe „an einen freudvollen Rezeptionsprozess [anschließt], der Raum für das Entstehen einer persönlichen Bedeutsamkeit des Textes für das Kind gegeben hat“ (ebd., S. 32). An dieser Stelle betonen Kruse und Kruse persönliche Bedeutsamkeit der 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen 209 Geschichte für das Kind im Hinblick auf den Gebrauch von Mustern aus dem Buch. Ein in diesem Sinne gelungener Rezeptionsprozess sowie Offenheit und Komplexität der Anschlussaufgaben […] schaffen den Rahmen für ein herausforderndes Unter‐ richtsarrangement, das den Kindern Erfahrungen mit dem eigenen Gebrauch, der Variation und Transformation sprachlicher Muster und Formeln ermöglicht. (Ebd.) Die Übernahme von Formeln und Mustern in eigene Texte kann und soll nach Kruse und Kruse nicht direkt angeregt werden (vgl. ebd.). Kinder nutzen Muster aus Texten nämlich aus dem Grund, dass sie ihnen „intuitiv brauchbar erscheinen“ (ebd., S. 31) und nicht, weil sie unmittelbar zum Gebrauch dieser Muster angeregt wurden. Wegen dieser persönlichen Bedeutsamkeit solcher Muster kann die Verwendung der Muster nicht direkt von außen angestoßen werden, sondern lediglich „indirekt herausgefordert werden“ (ebd.). „Lediglich um ein Nahe-Legen kann es gehen, um ein ‚Verlocken’ und Herausfordern“ (ebd., S. 32), so Kruse und Kruse. Aufgabenstellungen dürfen den Gebrauch von Sprachmustern und -formeln nicht explizit fordern. Stattdessen müssen die Kinder „anknüpfend an ihre individuellen Rezeptionserfahrungen mit dem literarischen Text, von sich aus den (schreibproduktiven) Zugriff auf Muster- und Formelhaftes leisten“ (ebd.). Literatur, die besonders geeignet ist, um Beziehungen zwischen Lesen und Schreiben zu stiften, zeichnet sich „durch Typisches, Musterhaftes und Serielles“ (ebd.) aus. Die Sprache solcher Literatur lässt sich nach Kruse und Kruse fol‐ gendermaßen charakterisieren: Sie kann u. a. musterhafte Geschichtenanfänge oder Geschichtenenden enthalten, Formelhaftigkeit, stereotypische Formeln und idiomatische Redeweisen aufweisen und sich durch „Verschiebungen von Bedeutungen durch ungewöhnliche grammatische Konstruktionen“ (ebd.) aus‐ zeichnen. Eine solche Sprache kann nahelegen, dass Muster und Formeln für die eigene Textproduktion verwendet werden (vgl. ebd.). Der Vorschlag von Claudia Rathmann zur Unterstützung der Kinder bei der Textproduktion zielt darauf ab, von Kinderbuchautoren zu lernen (vgl. Rath‐ mann 2014, S. 22). Sie schlägt für den Schreibunterricht die Arbeit mit einer Kartei vor: „Auf 13 Karten sind Textpassagen bekannter Kinderbuchautorinnen und -autoren zusammengestellt, in denen die Kinder Muster und Strukturen entdecken und sich zugleich deren Wirkung bewusst machen können“ (Rath‐ mann 2014, S. 22). Diese Kartei enthält verschiedene Textanfänge, Textenden und „Textpassagen, die beim Lesen eine besondere Wirkung entfalten“ (ebd.). (Vgl. ebd.) Dabei geht es um das Erzeugen von Spannung und Komik (vgl. ebd., S. 22ff.). Beim Einstieg in die Arbeit mit der Kartei ist es nach Rathmann von 210 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen 99 Bei der Entwicklung des Baumusters für Wintermärchen folgte sie dem „sehr sparsamen, ja minimalistischen Muster des Bilderbuches ‚Ho Ruck‘“ (ebd., S.-24). Bedeutung, mit den Kindern einige Textpassagen zu lesen und mit ihnen darüber ins Gespräch zu kommen. Hier nennt Rathmann folgende Fragen: „Wie wirkt dieses Textbeispiel auf mich als Leserin oder Leser? An welchen Formulierungen liegt das? Was ist das Besondere daran? Gibt es eine Passage oder einen Satz, der mich besonders anspricht? Und warum? “ (Ebd., S.-24) (Vgl. ebd.) Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kinder durch die Arbeit mit den Textpassagen bestimmten sprachlichen Formulierungen bzw. Mustern im Kontext begegnen und dabei deren Wirkung (z. B. Spannung und Komik) selbst erfahren können. Durch Gespräche über einzelne Textstellen können den Kindern somit auch Beziehungen zwischen einzelnen Formulierungen bzw. sprachlichen Mustern und den bei ihnen als Leserin oder Leser ausgelösten und erfahrenen Wirkungen (z. B. Entstehen von Spannung oder Komik) und Funktionen bewusst gemacht werden. Auf diese Weise lässt sich implizit Erfahrenes in einem gewissen Umfang explizit bewusst machen. Der von Eva-Maria Kohl entwickelte und erprobte Unterrichtsvorschlag zum Schreiben zu Baumustern orientiert sich am Wissen um die Story Grammar (vgl. dazu Kohl 2007). Jede Geschichte weist unterschwellig „eine Struktur einer bestimmten Anzahl geordneter Elemente“ (ebd. S. 23) auf. Als Grundbausteine von Geschichten gelten u. a. das Vorhandensein einer Heldin oder eines Helden und Angaben zu Zeit und Ort des Geschehens. Bekommen Kinder Märchen und Geschichten erzählt, „prägt sich ihnen diese Geschichtengrammatik unbe‐ wusst ein“ (ebd.). An diese bedeutsamen Vorerfahrungen muss in der Schulzeit angeknüpft werden, so Kohl, damit sich aus diesem Sprachgefühl ein Sprachbe‐ wusstsein entwickelt. Kohl erprobte Baumuster sowohl als Schreibals auch als Erzählimpulse in der Grundschule. (Vgl. ebd.) Das von ihr entwickelte Baumuster Wintermärchen  99 besteht aus fünf Sätzen: 1. Im ersten Satz ist es sehr, sehr kalt. 2. Im zweiten Satz steht ein König/ eine Königin am Fenster. 3. Im dritten Satz sieht/ hört er etwas Seltsames. (Was sieht er/ sie? ) 4. Im vierten Satz trifft der König/ die Königin eine Entscheidung. 5. Im fünften Satz endet die Geschichte. (Ebd., Anhang) Dieses Satzgerüst galt es von den Kindern „als eine Art Skelett [zu] entdecken, das sie aufpolstern und ausstaffieren konnten“ (ebd., S. 24). Die Arbeit mit den Baumustern bewertet Kohl folgendermaßen: 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen 211 100 Stamm, Peter/ Bauer, Jutta (2015): Warum wir vor der Stadt wohnen. Weinheim/ Basel: Beltz/ Gelberg. Auf das Baumuster, mit dem man seine eigene Geschichte schreibend konstituieren kann, ist Verlass. Es bietet den festen Rahmen, die haltbare Struktur für die originellen und witzigen Einfälle der Kinder, denen sie so eine Form geben konnten. (Ebd., S. 25) Weiter schreibt sie: „Die Kinder haben durch den bewussten Gebrauch der ‚Geschichtengrammatik‘ ihre Schreibkompetenz beträchtlich erweitern können […] (ebd., S.-25). Neben diesen „einfache[n] Anleitungen für das Erfinden kleiner Geschichten oder Gedichte“ (Ritter/ Ritter 2008, S. 14), die von Ritter und Ritter als deutlich abstrahiert bezeichnet werden, können auch konkrete Geschichten als Vorlage für das Schreiben von Kindern dienen. Dies zeigen sie am Beispiel des bereits er‐ wähnten Bilderbuches Warum wir vor der Stadt wohnen  100 (vgl. I.5.2) im Kontext des kreativen Schreibens. Die episodenhafte Struktur des Bilderbuches bietet die Möglichkeit einer Ergänzung um eigene Episoden durch die Kinder. (Vgl. ebd., S. 14f.) So kann die Lehrperson den Kindern vier Kapitel vorlesen, während die Kinder die Aufgabe haben, das der Geschichte zugrunde liegende Baumuster herauszufinden. Eine Möglichkeit besteht darin, eine Klassengeschichte zu verfassen. Die zum genannten Bilderbuch entstandenen Texte zeigen, dass die Episodenstruktur stets vorhanden ist. (Vgl. ebd., S. 16) Die Möglichkeiten, die Ritter und Ritter hinsichtlich des Umgangs mit dem Bilderbuch aufzeigen, bieten Grundschulkindern Chancen zum „literarischen Lernen im Spannungs‐ feld von Rezeption und Produktion“ (ebd., S.-18). Darüber hinaus können diese literarischen Rezeptionserfahrungen bedeutsam für die Entwicklung von Text‐ kompetenzen sein. Ritter und Ritter betonen die Bedeutsamkeit von sprachlichen Vorbildern in Form von Büchern für die Entwicklung der Schreibkompetenz: „Im imitierenden und variierenden Umgang mit diesen Büchern finden sie geeignete sprachliche Vorbilder, die im handelnden Nachvollzug die Entwicklung des eigenen Schreibens unterstützen“ (ebd.). Diese Möglichkeiten können allen Kindern durch Baumuster gegeben werden. (Vgl. ebd.) Während den Kindern beim Schreiben zu Baumustern ein Textaufbau (sowie sprachliche und strukturelle Muster) für eigene Geschichten angeboten werden, meint das Konzept zum generativen Schreiben nach Belke das „Schreiben auf der Basis vorgegebener poetischer Texte“ (Belke 2011, S. 5). Gerlind Belke (2011) plädiert für eine Überwindung der Trennung zwischen Muttersprachendidaktik und Fremd- oder Zweitsprachendidaktik sowie für eine gemeinsame integrative Didaktik. Indem der Gebrauch sprachlicher Mittel in den Fokus gerückt wird, 212 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen vermittelt Literatur Sprache. Aus diesem Grund sieht Belke in ästhetischen Texten einen bedeutsamen Input „für die gemeinsame implizite Sprachvermitt‐ lung“ (Belke 2011, S. 1). Zur Sprachvermittlung scheinen sich literarische Texte besser zu eignen als funktionale Alltagssprache, da beispielsweise die poetische Funktion die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler auf die Sprache selbst lenkt, was das Wahrnehmungsvermögen für die im Text genutzten sprachlichen Mittel schärft. (Vgl. ebd., S. 1) Zudem arbeiten poetische Texte mit syntaktischen, klanglichen und semantischen Mustern wie „Reim und Rhythmus, Parallelismus, Ähnlichkeits- und Kontrastbeziehungen“ (ebd., S. 2), die sich nach Belke nachdrücklicher einprägen als dies bei Texten der Fall ist, die aus dem kommunikativen Alltag stammen. (Vgl. ebd.) Als Grundlage des Konzepts, das bei den Lehrenden, die den Ansatz wei‐ terentwickelten, „unter dem methodischen Begriff des generativen Schreibens bekannt [ist]“, bezeichnet Belke den produktiven Umgang mit ästhetischen Texten (vgl. ebd.). Das in Grundschulen praktizierte „freie Schreiben von Anfang an“ (ebd., S.-3) führt nach Belke dazu, dass Kinder, die über geringe Kenntnisse der deutschen Sprache verfügen, Texte in ihrer Lernersprache, der so genannten Interlanguage, verfassen müssen. Dies wiederum kann zur Folge haben, dass es bei Kindern, die kommunikativ erfolgreich in ihrer Zweitsprache sind, zu einer Festschreibung, einer Fossilierung ihrer Sprache auf einem solchen Niveau kommt, das für mündliche Interaktionen ausreichend ist. (Vgl. ebd.) Nach Belke „muss der Schreibunterricht im Hinblick auf multilinguale Lern‐ gruppen Arrangements entwickeln, in denen sprachliche Mittel für den zu schreibenden Text bereit gestellt und geübt werden, die entdeckendes Lernen von Rechtschreib- und Grammatikregeln und damit den impliziten Erwerb dieser Regeln ermöglichen“ (ebd.). Belke fordert, dass auch Kindern, die über geringe Deutschkenntnisse verfügen, die Chance gegeben wird, sprachlich korrekte Texte zu verfassen, „indem sie auf der Basis einprägsamer Texte eigene Texte generieren“ (ebd.). Dabei werden Teile des Originaltextes von den Kindern übernommen und für eigene Ausdrucksbedürfnisse genutzt. (Vgl. ebd.) Generatives Schreiben bzw. generative Textproduktion kann in verschiedenen Altersstufen stattfinden. Bereits im Vorschulalter können den Kindern Bilder‐ buchtexte, Märchen, Kinderreime und Lieder angeboten werden. Aufgrund der kindlichen Urlust an der Wiederholung können solche Texte immer wieder vorgetragen, gemeinsam gesprochen und variiert werden. Auf diese Weise wird in einem für das sprachliche Lernen sehr sensiblen Alter der implizite Erwerb wichtiger sprachlicher Mittel gefördert, z. B. Funktionswörter, wie Artikel und Pro‐ nomen […]. (Ebd.) 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen 213 101 Belke bezieht sich an dieser Stelle auf folgende Literatur: Arslan, Feride (2005): Sprachvermittlung von Anfang an. Ein integratives Konzept zur Einführung der Artikel und ihrer Flexionen. In: Praxis Grundschule, H. 2, S.-12-19. Lüth, Monika (2008): Deutschunterricht in mehrsprachigen Klassen. In: Bainski, Chris‐ tiane/ Krüger-Potratz, Marianne (Hrsg.): Handbuch Sprachförderung. Verlag Erziehung und Wissenschaft NRW: Essen, S.-80-85. 102 vgl. dazu z. B. Funkes Musterbegriff (vgl. Hochstadt 2015, S.-44) Nach Belke muss dem Lesen das Hören und dem Schreiben das Sprechen vorausgehen. Im Unterricht werden daher zunächst von der Lehrperson Texte vorgetragen, vorgesungen oder vorgespielt, die anschließend nachgesprochen und auch spielerisch verändert werden. Wenn die Kinder die Texte dann fast auswendig können, erfolgt die Schreibaufgabe. Das sprachliche Material, das es zu ersetzen gilt, wird zuvor zusammen erarbeitet und zum Schreiben der eigenen Texte verwendet. 101 (Vgl. ebd.) Nach Belke wird beim freien, kreativen Schreiben des Öfteren auf Textmuster und sprachliche Formen zurückgegriffen, die beim generativen Schreiben erworben wurden. (Vgl. ebd., S.-5) An dieser Stelle sei ein interdisziplinärer Blick auf den Grammatikunterricht gerichtet. Christiane Hochstadts Studie Mimetisches Lernen im Grammatikun‐ terricht (2015) soll einen Beitrag dazu leisten „den Mimesisbegriff in die Sprach‐ didaktik zu implementieren“ (ebd., S. 169). (Vgl. ebd.) In diesem Zusammenhang wird von grammatischen Mustern  102 gesprochen. Hochstadt formuliert die An‐ nahme, dass die automatisierte Verfügbarkeit grammatischer Muster in primärsprachlichen Hand‐ lungen durch eine wiederholte, kontextualisierte Konfrontation mit diesen Mustern in interpersonellen, ästhetischen und musterorientierten Lernprozessen stabilisiert werden könne. (Ebd.). Sie nennt drei Dimensionen mimetischen Lernens: Musterorientierung, Interper‐ sonalität und Ästhetik. In ihrer Studie skizziert Hochstadt einen Grammatikun‐ terricht, der Möglichkeiten zum mimetischen Lernen geben soll. Ein solcher Grammatikunterricht orientiert sich an den folgenden fünf Grundsätzen: Ers‐ tens wird vorrangig Können und nicht Wissen gefördert. Zweitens ist wiederho‐ lendes Handeln möglich. Drittens werden sprachliche Elemente in spezifischen Kontexten erfahrbar. Viertens fördert ein solcher Unterricht reziproke Prozesse. Im Unterricht sollen fünftens „ästhetisch-aisthetische Erfahrungen mit Sprache“ (ebd.) ermöglicht werden. (Vgl. ebd.) Die kontextualisierte Konfrontation mit Mustern, die ein Merkmal von Hochstadts Konzept für den Grammatikunter‐ richt darstellt, lässt sich ebenfalls in den anderen vorgestellten Konzepten 214 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen zum Textschreiben vorfinden: Muster werden in Kontexten für die Lernenden erfahrbar. Auch bei der Methode Pretend Reading, die im Fokus der vorliegenden Studie steht, werden Erkenntnisse zum (impliziten) Erwerb und Gebrauch von Mustern genutzt. Ähnlich wie in den vorgestellten Konzeptionen haben die Vorschul‐ kinder beim (mehrfachen) Hören eines Bilderbuches die Möglichkeit, die Wir‐ kung und Funktion von Mustern in Kontexten zu erfahren. Beim sich daran anschließenden Pretend Reading produzieren sie einen eigenen Text zu einem Text. Der zuvor vorgelesene Text kann den Kindern dabei - sowohl sprachlich als auch inhaltlich - als Orientierung dienen. Wie stark sich das Kind bei seiner Textproduktion an der Geschichte des Bilderbuches orientiert, liegt dabei im Ermessen des Kindes. 7 Erkenntnisse zum Erwerb und Gebrauch von Mustern fruchtbar machen 215 Teil II: Empirische Studie zum Pretend Reading im Vorschulalter 103 Die grundlegende Idee zur Konzeption der vorliegenden Studie stammt von Norbert Kruse. 1 Beschreibung der Forschungsidee: Der Gebrauch von Textwissen beim „Vorlesen“ ohne Schriftkenntnisse Die vorliegende Studie 103 steht in einem engen Zusammenhang mit einer Untersuchung von Maria Lypp (1997). Um „die Funktion der erzählerischen Kohärenz für die Mehrdeutigkeit“ (Lypp 1997, S. 103) in der Kinderliteratur zu beobachten, wird einem fünfjährigen Jungen ein Bilderbuch mehrfach vor‐ gelesen. Anschließend erzählt der Junge, der über keine Schriftkenntnis verfügt, die Geschichte anhand der Bilder nach - Lypp spricht in diesem Zusammenhang von „vorlesen“. Sie stellt fest, dass die Nacherzählung des (mehrdeutigen) Textes, der eine „betont konturierte Form“ (ebd.) hat und mit sprachlichen Paradigmen arbeitet (im Gegensatz zu der Nacherzählung ohne strukturierende Sprachmittel (vgl. ebd., S. 109ff.)), gelingt. Des Weiteren beobachtet sie anhand dieser Nacher‐ zählung, dass Sprachmuster, die im Originaltext enthalten sind, in der Erzählung des Kindes kaum verwendet werden, dass diese jedoch andere Sprachmuster evozieren, die entweder aus der Erinnerung des Kindes abgerufen oder aber neu erfunden werden (vgl. ebd., S. 109). Auch diese Untersuchung gibt Hinweise auf implizites sprachliches Musterwissen, das sich aus der Erfahrung mit Texten entwickelt hat und bei der eigenen (mündlichen) Textproduktion Anwendung findet. In Kapitel II.2.1 wird erläutert, wie dieses von Lypp entwickelte Setting für die vorliegende Studie erweitert und variiert wurde. Um Textkompetenz von Kindern im Vorschulalter, die noch nicht schreiben können, zu fördern, ist - ähnlich wie in der Studie zum diktierenden Schreiben von Merklinger (2011; 2012) - nach einer Möglichkeit zu suchen, sie im Medium der Mündlichkeit zu einer Textproduktion herauszufordern. Dabei bedarf es eines Settings, das Kinder zum dekontextualisierten Sprachgebrauch herauszufordern vermag. Dazu soll das im Folgenden beschriebene Setting zum Pretend Reading dienen. Die Aufgabe, ein den Kindern bekanntes Bilderbuch „vorzulesen“, und die Materialität des Bilderbuches sollen dabei als Trigger wirken, um eine monologische Textproduktion im Medium der Mündlichkeit in Gang zu setzen. Zudem gilt es, einen Text zu einem Text zu produzieren. Dass Intertextualität und Mustergebrauch eine essenzielle Rolle sowohl beim schriftlichen als auch beim mündlichen Sprachgebrauch spielen, wurde in Kapitel I.5 (Muster und Textproduktion) dargestellt. So baut die vorliegende Studie - in einer ähnlichen Weise wie die in Kapitel I.7 beschriebenen didakti‐ schen Konzepte zur Textproduktion - auf Erkenntnisse zum Mustergebrauch beim Textschreiben auf und möchte diese zur Förderung von Textkompetenz fruchtbar machen. 220 1 Beschreibung der Forschungsidee 104 Zur Diskussion des DBR-Ansatzes sei an dieser Stelle auf den von Dieter Euler und Peter F. E. Sloane herausgegebenen Band Design-Based Research (2014) hingewiesen, der das Ziel verfolgt, „den Stand der Diskussion um DBR aufzunehmen, zu systematisieren und 2 Methodische und methodologische Überlegungen: Forschungsdesign, Forschungsarrangement und Forschungsprozess Bei der vorliegenden Studie zum Pretend Reading handelt es sich um qualitative Forschung. Wie Kelle treffend formuliert, geht es in der qualitativen Forschung meist nicht so sehr um eine ‚orthodoxe‘ Methodenanwendung [Hervorh. im Original], die sich bestimmter, fest umschriebener Instrumente und Verfahren in vorab klar definierter Weise bedient. Vielmehr geht es um eine projektspezifische Methodenent‐ wicklung [Hervorh. im Original], welche die in der Methodenliteratur angebotenen Methoden für das jeweilige Forschungsfeld und -interesse modifiziert, transformiert, adaptiert und kombiniert. (Kelle 2013, S.-60f.) Auch für die vorliegende Studie fanden Modifikationen von Methoden entspre‐ chend dem Forschungsfeld und der Forschungsintention statt. Es folgt die Darstellung von Erhebungs-, Datenaufbereitungs- und Auswertungsverfahren. 2.1 Erhebungsverfahren Das Sample der vorliegenden Studie besteht aus sieben Vorschulkindern. Die Al‐ tersspanne umfasst 4,11 bis 6,3 Jahre. Alle sieben Kinder sprechen ausschließlich Deutsch. Sieben Studierende des Grundschullehramts der Universität Kassel for‐ derten jeweils eines dieser sieben Vorschulkinder in einer Pretend-Reading-Si‐ tuation zu einer mündlichen Textproduktion zu einem Bilderbuch heraus. Die Textproduktionen entstanden dabei zu sieben unterschiedlichen Bilderbüchern. Demographische Daten der Kinder werden zu Beginn einer jeden Textanalyse (vgl. II.3.1) aufgeführt. Der Forschungsprozess der vorliegenden Studie lehnt sich an den Design-Based Research-Ansatz an. Nach einer kurzen Darstellung des Ansatzes wird aufge‐ zeigt, worin Überschneidungen bestehen und in welchen Punkten sich der Forschungsprozess vom Design-Based Research-Ansatz 104 (DBR-Ansatz) unter‐ insbesondere für die Domäne der Berufs- und Wirtschaftspädagogik zur Diskussion zu stellen“ (Euler/ Sloane 2014, S. 8): Euler, Dieter/ Sloane, Peter F. E. (Hrsg.) (2014): Design-Based Research. Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik. Stuttgart: Franz Steiner. 105 Shavelson, Richard J./ Philipps, D. C./ Towne, Lisa/ Feuer, Michael J. (2003): On the science of education design studies. In: Educational Researcher, 32, H. 1, S.-25-28. 106 Brown, Ann L. (1992): Design experiments: Theoretical and methodological challenges in creating complex interventions in classroom settings. In: Journal of the Learning Science, 2, S.-141-178. scheidet. Beim DBR-Ansatz lassen sich die drei Hauptphasen Vorprüfung, Pro‐ totypenentwicklung und Beurteilungsphase unterscheiden (vgl. Klees/ Tillmann 2015, S. 92f.), die in einem nächsten Schritt mit Bezügen zum Forschungspro‐ zess der vorliegenden Studie erläutert werden. In diesem Zusammenhang erfolgt eine detaillierte Darstellung des Prozesses, in dem Instruktionen zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation entwickelt und anschließend auf Grundlage erhobener Daten sukzessiv weiterentwickelt wurden. Dabei findet eine anschauliche Erläuterung und Begründung der Instruktionen statt. Diese Erläuterung erfolgt detailliert, da fortwährend Modifikationen an den In‐ struktionen und am Setting zur Pretend-Reading-Situation erforderlich waren. Seit etwa 20 Jahren wird im angelsächsischen Raum die Forschungskonzep‐ tion des Design-Based Research (DBR) diskutiert (vgl. Euler/ Sloane 2014, S. 9). Das Ziel des DBR-Ansatzes besteht darin „im praktischen Kontext Lernumge‐ bungen zu gestalten und gleichzeitig Lerntheorien im konkreten Kontext zu prüfen, zu entwerfen und weiterzuentwickeln“ (Klees/ Tillmann 2015, S. 92). Nach Lehmann-Wermser und Konrad (2016) verfolgt der DBR-Ansatz metho‐ disch elaboriert das Ziel, Lehr-Lern-Arrangements weiterzuentwickeln (vgl. Lehmann-Wermser/ Konrad 2016). Mit Verweis auf Shavelson et al. (2003) 105 und Brown (1992) 106 formulieren Euler und Sloane (2014) als Ziel des Ansatzes „die Entwicklung innovativer Lösungen für praktische Bildungsprobleme mit der Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse zu verzahnen“ (Euler/ Sloane 2014, S. 7). Nach Reinmann gibt es zudem auch Ziele, die erst während des Gestaltungs- und Forschungsprozesses entstehen (vgl. Reinmann 2018, S.-11). Aktuell lässt sich DBR „noch nicht durch ein einheitliches Regelwerk kenn‐ zeichnen“ (Euler/ Sloane 2014, S. 8). Nach Klees und Tillmann wird, „der Ent‐ wicklungsprozess der Innovation zum Forschungsgegenstand“ (Klees/ Tillmann 2015, S. 92f.). Bestritten wird dieser Entwicklungsprozess im praktischen Kon‐ text, wobei Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftler sowie Anwenderinnen bzw. Anwender von Beginn an beteiligt sind. Als weiteren Punkt nennen Klees und Tillmann „das zyklische, iterative Vorgehen der Untersuchung, indem 222 2 Methodische und methodologische Überlegungen sich systematische Gestaltung, Durchführung, Überprüfung und Re-Design der Designlösung wiederholen“ (ebd., S. 93). (Vgl. ebd., S. 92f.) Lehmann-Wermser und Konrad (2016) sprechen von einer „enge[n] Verzahnung von Theorie und Praxis“ (Lehmann-Wermser/ Konrad 2016, S. 269) und auch Reinmann nennt als zentrale Punkte die „enge Verbindung zwischen Theorieentwicklung und Opti‐ mierung von Gestaltungsprozessen“ (Reinmann 2018, S. 11) sowie eine Forscher‐ gemeinschaft, die an neue Möglichkeiten bzw. das „Potentielle“ glauben kann (vgl. ebd.). Nicht die Wahl der Methoden an sich ist kennzeichnend für DBR, sondern sein interventionsorientierter Ansatz und die iterative Vorgehensweise. „Entwicklung und Forschung finden in kontinuierlichen Zyklen von Gestaltung, Durchführung, Analyse und Re-Design statt; Invention, Analyse und Revision wechseln also einander ab“ (ebd.). DBR ist gleichzeitig vorausschauend und reflektierend: Da „Designs vor dem Hintergrund hypothetischer Lernprozesse und auf der Basis theoretischer Modelle implementiert und untersucht“ (ebd.) werden, kann er als vorausschauend bezeichnet werden. Reflektierend ist DBR insofern, als dass eine Analyse und (mehrfache) Überprüfung der Annahmen im Forschungsprozess stattfindet. Untersuchungseinheiten können dabei sowohl aus Individuen als auch aus regionalen Einheiten bestehen. Zudem ist es möglich, DBR mit anderen Forschungsansätzen zu kombinieren. (Vgl. ebd.) Ergänzend sei an dieser Stelle auf die Ausführungen von Dube und Prediger (2017) hingewiesen, die anhand eines Projekts zum Metaphernverstehen zeigen, „wie sich das in anderen Fachdidaktiken gut etablierte Forschungsformat auch in der Deutschdidaktik im Rahmen der Forschung zum literarischen Lernen nutzen lässt“ (Dube/ Prediger 2017, S. 1). Sie sprechen in diesem Zusammenhang von Design Research. (Vgl. ebd.) Die Datenerhebung zur vorliegenden Studie fand in vier Durchgängen bzw. Zyklen (A, B, C, D) statt: im Wintersemester 2017/ 18 (A), im Sommersemester 2018 (B), im Wintersemester 2018/ 19 (C) und im Sommersemester 2019 (D). Zyklus A ging eine Pilotstudie voraus. Im Zyklus A (WS 2017/ 18) wurden 17 Pretend-Reading-Situationen eingereicht, im Zyklus B (SoSe 2018) 28, im Zyklus C (WS 2018/ 19) 22 und im Zyklus D (SoSe 2019) 18. Die der Studie zugrunde liegenden Daten wurden auf freiwilliger Basis von Grundschullehramtsstu‐ dierenden der Universität Kassel erhoben. Die Durchführung der Pretend-Rea‐ ding-Situationen durch die Studierenden hatte - neben der Datenerhebung - die Funktion, die Instruktionen zur Anleitung einer Pretend-Reading-Situation zu optimieren. Die an der Studie teilnehmenden Studierenden besuchten ein Seminar bei Kristina Strozyk, in dem als alternative Studienleistung angeboten wurde, mit einem Kind im Vorschulalter eine Pretend-Reading-Situation durchzuführen. 2.1 Erhebungsverfahren 223 107 Eine detaillierte Beschreibung der Schulung zur Durchführung einer Pretend-Rea‐ ding-Situation ist im digitalen Anhang unter https: / / www.narr.de/ Pretend-Reading-V orschulkinder-lesen-vor-38791-1 zu finden. 108 Die verschiedenen Instruktionsblätter sind im digitalen Anhang angefügt. Die Kinder, die an Pretend-Reading-Situationen teilnahmen, wurden von den Studierenden selbst ausgewählt. Dabei hatten die Studierenden die Wahl, eine Pretend-Reading-Situation mit einem Kind aus ihrem privaten Umfeld oder in einer Kindertagesstätte bzw. einem Kindergarten durchzuführen. Wichtig bei der Wahl der Kinder war dabei, dass diese noch nicht oder kaum lesen konnten und noch keine Schule besuchten. Die von den Studierenden besuchten Seminare waren so konzipiert, dass das Thema diktierendes Schreiben nach Merklinger (2011, 2012) vor dem Thema Pretend Reading bearbeitet wurde. In diesem Zusammenhang beschäftigten sich die Studierenden mit den Zielen und Lernmöglichkeiten des diktierenden Schreibens und lernten Möglichkeiten kennen, wie sie (konzeptionelle) Schrift‐ lichkeit explizit und implizit herausfordern können (vgl. Merklinger 2012). Des Weiteren erhielten sie ein Instruktionsblatt mit Hinweisen zur Durchfüh‐ rung einer Pretend-Reading-Situation. Studierende, die an den Durchgängen C und D teilnahmen, aus denen die für die sieben Textanalysen ausgewählten Pretend-Reading-Situationen ausgewählt wurden (vgl. II.2.2), wurden vor der Durchführung der Pretend-Reading-Situation in einer für sie verbindlichen Schulung 107 zum Pretend Reading von der Autorin angeleitet. In den einzelnen Seminarsitzungen berichteten Studierende, die bereits während der Vorlesungs‐ zeit eine Pretend-Reading-Situation durchführten, von ihren Erfahrungen und gaben ggf. Tipps zur Durchführung an ihre Kommilitoninnen und Kommili‐ tonen weiter. Durch die Erprobungen des Settings zum Pretend Reading im praktischen Kontext innerhalb der einzelnen Zyklen (A bis D) stellte sich heraus, welche Hinweise zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation (vgl. Instruktions‐ blatt) und welche von den Erwachsenen intuitiv eingesetzten Strategien sich - im Hinblick auf das Bestreben, eine monologische, möglichst kohärente Text‐ produktion herauszufordern - als zielführend oder kontraproduktiv erwiesen. So folgten einer Evaluation Modifizierungen (Ergänzungen und Streichungen) von Handlungsanweisungen zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situa‐ tion (Re-Design). Zwischen den einzelnen Durchgängen fand somit jeweils eine Überarbeitung und Ergänzung des Instruktionsblattes zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation statt. 108 Dabei wurden Erfahrungen aus den bereits durchgeführten Pretend-Reading-Situationen eingearbeitet. Zudem flossen Hinweise und Fragen von Studierenden aus den einzelnen Seminaren und 224 2 Methodische und methodologische Überlegungen 109 An dieser Stelle danke ich Mitgliedern der Dissertationsrunde der Universität Kassel für ihre Hinweise zum alternativen Setting. Überlegungen von Norbert Kruse ein. Bei der Entwicklung von Hinweisen zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation und des Settings fand eine - wie von Reinmann erwähnte - „Optimierung von Gestaltungsprozessen“ (Reinmann 2018, S. 11) statt. Das Vorgehen lässt sich mit den Begriffen „Ge‐ staltung, Durchführung, Analyse und Re-Design“ (ebd.) treffend beschreiben. Entsprechend dem eingangs von Klees und Tillmann genannten Ziel (vgl. Klees/ Tillmann 2015, S. 92) wurde auch in der vorliegenden Studie eine Lernumgebung in einem praktischen Kontext gestaltet. Dabei ging es jedoch weniger um die (Weiter-)Entwicklung und Prüfung einer Lerntheorie. Während der Erprobung von Pretend-Reading-Situationen innerhalb der einzelnen Zyklen ergaben sich Probleme, für die eine Lösung gefunden werden musste, um das Lernformat entsprechend dem Ziel, eine monologische Textpro‐ duktion herauszufordern, durchzuführen. Demzufolge entstand während des Forschungsprozesses u. a. das Ziel, alternative Handlungsmöglichkeiten für die oder den Erwachsenen zu entwickeln, wie sie oder er in einer Situation reagieren kann, in der das Kind ins Stocken gerät. Dies entspricht den von Reinmann er‐ wähnten neuen Zielen, die während des Gestaltungs- und Forschungsprozesses entstehen (vgl. Reinmann 2018, S.-11). In den Zyklen B, C und D wurden zusätzlich Daten zu Pretend-Reading-Si‐ tuationen mit veränderten Settings erprobt: Im Zyklus C wurde einmalig ein alternatives Setting getestet, in dem einem Vorschulkind zunächst von einer oder einem Erwachsenen ein Bilderbuch A vorgelesen wurde. Anschließend wurde das Kind aufgefordert, Bilderbuch B „vorzulesen“. Dieses Setting wurde jedoch verworfen. 109 Im Zyklus D wurde sechsmal eine zusätzliche Pretend-Reading-Si‐ tuation erprobt: Zunächst fand eine herkömmliche Pretend-Reading-Situation mit einem Kind im Vorschulalter statt. Nach einem selbst gewählten Zeitraum wurde die Pretend-Reading-Situation mit demselben Kind und demselben Bil‐ derbuch wiederholt. Der Unterschied zur herkömmlichen Pretend-Reading-Si‐ tuation bestand darin, dass beim zweiten Versuch die oder der Erwachsene dem Kind das Bilderbuch nicht unmittelbar vor dem Pretend Reading vorlas. Die in diesem Rahmen erhobenen Daten fließen nicht in die vorliegende Arbeit ein. Des Weiteren liegt aus den Zyklen B und C je eine Pretend-Reading-Situation vor, bei der das Vorschulkind aufgefordert wurde, ein Bilderbuch vorzulesen, was es im Gegensatz zur herkömmlichen Pretend-Reading-Situation nur einmal gehört hatte. 2.1 Erhebungsverfahren 225 110 Hierbei nehmen Klees/ Tillmann (2015) auf Plomp (2013) und Mayring (2010) Bezug. Beim DBR-Ansatz lassen sich die bereits erwähnten Hauptphasen Vorprüfung, Prototypenentwicklung und Beurteilungsphase unterscheiden, wobei auf multiple Erhebungsmethoden zurückgegriffen wird 110 (vgl. Klees/ Tillmann 2015, S. 92f.). In der ersten Phase, der Vorprüfung, die die bildungspraktische Problemanalyse darstellt, wird das Bildungsproblem auf der Basis von Forschungsergebnissen identifiziert. Dabei werden Forschungsfragen und Hypothesen formuliert. Zudem wird auf theoretischer Basis „ein erster Prototyp der Designlösung entworfen, der im weiteren Verlauf der Untersuchung sukzessive zur Lösung des Bildungsproblems weiterentwickelt wird“ (ebd., S. 93). Im Forschungsprozess der vorliegenden Studie fand die Entwicklung des Settings der Pilotstudie, das als Prototyp bezeichnet werden kann, ebenfalls vorwiegend auf einer theoretischen Basis statt. Auch dieser Prototyp wurde im weiteren Verlauf der Studie sukzessive weiterentwickelt. Diese Weiterentwicklung diente u. a. zur Lösung des „Problems“, wie Kinder, die noch nicht fähig sind zu lesen, zu einer monologischen, möglichst kohärenten Textproduktion herausgefordert werden können, anstatt konzeptionell mündlich zu erzählen oder in einen Dialog mit der erwachsenen Person zu treten. Die erste Idee zur Datenerhebung im Rahmen der vorliegenden Studie be‐ stand darin, mehreren Kindern zunächst das gleiche Bilderbuch mehrfach vorzulesen und sie anschließend aufzufordern, dieses Buch „vorzulesen“. Die Datenerhebung sollte durch die Forscherin durchgeführt werden. Da ein Ziel der geplanten Studie darin besteht, Kindertexte im Hinblick auf Musterhaftigkeit und Übernahmen von Mustern aus dem Bilderbuchtext zu analysieren, sollte ein Kriterium zur Auswahl des Bilderbuches sein, dass es eine hohe Anzahl an sprachlichen Mustern enthält. Zusätzlich sollte das gewählte Bilderbuch den Kindern gefallen, damit sie interessiert sind, es mehrmals vorgelesen zu bekommen. Aufgrund der enthaltenen Phraseologismen und Variationen an Phraseologismen wurden zunächst die Bilderbücher Ich bin der Stärkste im ganzen Land und Ich bin der Schönste im ganzen Land von Mario Ramos als geeignete Bilderbücher für die geplante Studie in den Blick genommen (vgl. dazu Preußer 2014, S. 15). Diese erste Idee wurde dahingehend verändert, dass zum Pretend Reading ein Bilderbuch ausgewählt werden sollte, welches das Kind bereits kennt und mag. Auf diese Weise sollte an bereits Vorhandenes angeknüpft werden. Zudem entfiel auf diese Weise das mehrfache Vorlesen vor der Pretend-Reading-Situation. Eine weitere Änderung der Datenerhebung kam durch die Idee zustande, Studierende im Rahmen von Seminaren die Methode Pretend Reading erproben zu lassen. 111 226 2 Methodische und methodologische Überlegungen 111 An dieser Stelle bedanke ich mich bei Friederike Heinzel für diese Idee. 112 Bei einem ersten Versuch, bei dem die Studierende das Verb „vorlesen“ verwendete, weigerte sich das Kind. Als das Kind zu einem späteren Zeitpunkt den Wunsch äußerte, das Buch nun doch „vorlesen“ zu wollen, wurde vom Elternteil das Verb „erzählen“ verwendet. Während der Pilotstudie wurde das Setting zum Pretend Reading erprobt und modifiziert. Zunächst bekamen die Studierenden zwei Settings zur Auswahl: 1. Der Erwachsene liest dem Kind mehrmals ein Bilderbuch vor (zweibis dreimal) und lässt anschließend das Kind das Buch „vorlesen“, nimmt die Szene auf und transkribiert (siehe Merklinger 2012) sie. 2. Der Erwachsene lässt sich von einem Kind sein Lieblingsbilderbuch „vorlesen“, zeichnet die Szene auf und transkribiert sie. Eines der beiden Settings konnte mit einem Kind, das noch nicht lesen konnte, erprobt werden. Dabei sollte das verwendete Bilderbuch nicht in Reimform vorliegen. Nachdem eine Textproduktion zu einem Bilderbuch entstanden war, bei der das Kind zum Bilderbuch erzählte und Beschreibungen der Bilder des Bilderbuches vornahm, 112 anstatt so zu tun, als würde es vorlesen, wurde das Setting zum Lieblingsbuch modifiziert: Damit die Kinder ein Vorbild für das „Vorlesen“ haben und möglichst nicht zum Buch und den Bildern erzählen, sondern so tun, als würden sie vorlesen, wurden die folgenden zwei Varianten für das Setting zum Lieblingsbuch zur Erprobung angeboten. Die Instruktionen für Variante 1 lauteten: 1. Lesen Sie zuerst dem Kind sein Lieblingsbuch selbst vor. Nehmen Sie dabei eine typische Vorlesehaltung ein (sitzen Sie aufrecht auf einem Stuhl/ Sessel, halten Sie das Buch in einer typischen Vorlesepose, verdeutlichen Sie mit Hilfe des Zeigefingers, was Sie gerade vorlesen…) 2. Bitten Sie nun das Kind, das Lieblingsbuch vorzulesen. Bieten Sie dem Kind den „Vorlesesessel“ an, auf dem Sie saßen, als Sie vorgelesen haben. („So, und jetzt du.“) Die Instruktionen für Variante 2 lauteten: 1. Lesen Sie dem Kind zuerst ein Buch Ihrer Wahl vor (typische Vorlesehaltung, s.-o.) - „Ich lese dir mal ein Buch vor.“ 2. Bitten Sie nun das Kind, Ihnen sein Lieblingsbuch „vorzulesen“. Dabei entschieden sich alle Studierenden, die zu diesem Zeitpunkt das Pretend Reading noch nicht erprobt hatten, geschlossen für Variante 1. 2.1 Erhebungsverfahren 227 113 Hierfür wird auf das im Rahmen der vorliegenden Studie entwickelte Instruktionsblatt zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation zum Durchgang D (SoSe 2019) zu‐ rückgegriffen (vgl. digitaler Anhang). Ein Bestandteil der zweiten Phase, der Prototypenentwicklung, besteht darin, die konkrete Lehr-Lern-Situation zu erfassen (vgl. Klees/ Tillmann 2015, S. 93). Im Rahmen der vorliegenden Studie fand im Gegensatz dazu keine Erfassung einer Lehr-Lern-Situation in einer Institution (Kindertagesstätte) statt, in der anschließend das Setting zum Pretend Reading erprobt wurde. Zudem wurden die meisten Pretend-Reading-Situationen im privaten Kontext im häuslichen Umfeld durchgeführt. In der zweiten Phase liegt der Schwerpunkt „im anwen‐ dungsorientierten Bereich“ (ebd.). Dabei erfolgt die Prototypenentwicklung zyklisch, wobei sowohl Wissenschaftlerinnen bzw. Wissenschaftler als auch „Anwenderinnen bzw. Anwender“ daran beteiligt sind. (Vgl. ebd.) In dieser Ter‐ minologie gesprochen könnten die Studierenden, die die Erprobungen durch‐ führten, in gewisser Weise als „Anwenderinnen bzw. Anwender“ bezeichnet werden, die gemäß den Instruktionen, die von Wissenschaftlerinnen und Wis‐ senschaftlern entwickelt wurden, handelten. Allerdings wird die Bezeichnung Anwenderin bzw. Anwender der Rolle der Studierenden, die auch selbstständig auf unvorhergesehene Situationen reagieren mussten, nicht gerecht. Dass die Weiterentwicklung des Prototyps eines Settings zum Pretend Reading zyklisch erfolgte, steht außer Frage. Modifikationen am Setting (Prototyp) wurden bereits während der Pilotstudie auf Grundlage gemachter Erfahrungen einzelner Stu‐ dierender vorgenommen. Nach Klees und Tillmann kann die Evaluation unter Einsatz von qualitativen und/ oder quantitativen Methoden erfolgen (vgl. ebd.). Dabei liegt das Ziel in der „Sicherstellung der Entwicklung einer kontextbezo‐ genen praxistauglichen Designlösung zur Lösung des Bildungsproblems“ (ebd.). Zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation mit einem Kind im Vor‐ schulalter wurde das folgende Setting 113 entwickelt. I. Die Pretend-Reading-Situation in vier Schritten 1. Der Erwachsene informiert das Kind über das geplante Vorgehen. Beispiel A: „Du hast dir ja ein Buch ausgesucht, das du gerne magst. Ich möchte dir dieses Buch jetzt vorlesen. Du kannst ja mal gucken, ob ich das gut vorlese. Und dann liest du mir das Buch vor.“ Beispiel B: „Ich möchte dir jetzt gern das Bilderbuch vorlesen, das du ausgesucht hast. Und wenn ich fertig bin, tauschen wir und dann darfst du mir das Buch vorlesen.“ 2. Der Erwachsene liest dem Kind das Bilderbuch vor. 228 2 Methodische und methodologische Überlegungen Beispiel: „Dann lese ich dir jetzt das Buch vor, hier aus meinem Vorlesesessel.“ 3. Der Erwachsene fordert das Kind auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“ (siehe II.2) 4. Das Kind tut so, als würde es das Bilderbuch vorlesen. Von diesen vier Schritten ist eine Videoaufnahme anzufertigen. Kamera 1 zeigt die beiden Personen von vorne. Sie dient dazu, neben den sprachlichen Äuße‐ rungen Mimik, Gestik und Körperhaltung während der Pretend-Reading-Situa‐ tion aufzuzeichnen. Kamera 2 zeigt das aufgeschlagene Bilderbuch. Sie wird hinter den Personen positioniert („Blick über die Schulter“). Diese Kamera soll das Umblättern, Zeigen auf Bilddetails und Wörter während der Pretend-Rea‐ ding-Situation aufzeichnen. II. Beschreibung des Settings Lassen Sie das Kind ein Bilderbuch auswählen, das es mag (und schon mehr‐ mals vorgelesen bekommen hat). Achten Sie darauf, dass es sich um kein gereimtes Bilderbuch handelt. Das gewählte Buch soll außerdem kein didaktisiertes Leselernbuch sein (z. B. aus der Reihe „Sonne, Mond und Sterne“), sondern möglichst ein ästhetisch anspruchsvolles Bilderbuch, das zum Vorlesen und Anschauen gedacht ist. Auch Pop-up-Bücher sollten nach Möglichkeit nicht ausgewählt werden. Beispiel: „Ich freue mich, dass du Dir Zeit genommen hast. Such Dir mal ein Buch aus, das du gerne magst und das du schon öfter vorgelesen bekommen hast. Ich bin gespannt, welches Buch du Dir aussuchst.“ 1. Sorgen Sie für eine ruhige Atmosphäre. Nehmen Sie in einem „Vorlese‐ sessel“ Platz. Das Kind sollte auf einer Sitzgelegenheit neben Ihnen sitzen, sodass Sie zusammen in das Bilderbuch sehen können (nicht übereck sitzen). Die beiden Sitzgelegenheiten sollten sich optisch voneinander unterscheiden. Lesen Sie zuerst dem Kind das Bilderbuch vor. Nehmen Sie dabei eine typische Vorlesehaltung ein: Sitzen Sie aufrecht auf einem Stuhl/ Sessel, halten Sie das Buch in einer typischen Vorlesepose, verdeutlichen Sie mit Hilfe des Zeigefingers, was Sie gerade vorlesen… (→ Vorbild zum Imitieren) Zeigen Sie beim Vorlesen jedoch nicht auf die Bilder des Bilderbuches. Führen Sie die Pretend-Reading-Situation nicht an einem Tisch durch, außer wenn dies vom Kind gewünscht wird. 2.1 Erhebungsverfahren 229 114 Zum Buch finden Sie umfangreiches Zusatzmaterial im digitalen Anhang. Dieser ent‐ hält weitere praktische Hinweise zur Durchführung von Pretend-Reading-Situationen, Schulungsmaterial und illustrierende tabellarische Darstellungen. Sie finden ihn im Downloadbereich des Webshops des Narr-Verlags unter https: / / www.narr.de/ Pretend -Reading-Vorschulkinder-lesen-vor-38791-1. 2. Bitten Sie nun das Kind, das von ihm gewählte Bilderbuch vorzulesen. Bieten Sie dem Kind den „Vorlesesessel“ an, auf dem Sie saßen, als Sie vorgelesen haben. Beispiel A: „Jetzt hab ich Dir das Buch vorgelesen und du hast zugehört. Und jetzt tauschen wir mal! Jetzt liest DU mir das Buch vor und ICH höre Dir zu. Du darfst dich jetzt auf den Vorlesesessel setzen und bekommst das Buch und ich setze mich auf deinen Platz.“ Beispiel B: „Nun hab ich Dir das Buch vorgelesen. Jetzt würde ich mich freuen, wenn du mir das Buch mal vorliest. (…)“ Beispiel C: „Und jetzt höre ich zu, und du liest mir das Buch vor. (…) Es folgt eine Darstellung des Prozesses, in dem das Instruktionsblatt mit Hinweisen zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation für Durchgang A (vgl. digitaler Anhang 114 ) entwickelt wurde. Im Rahmen der Pilotstudie trug ein Kind den Text eines Bilderbuches vor, wobei dieser Text bis auf wenige einzelne Wörter identisch zum Text des Bilderbuches war. Das Kind kannte das Bilderbuch auswendig. Da mit Hilfe der Pretend-Reading-Situation jedoch Textproduktionen analysiert werden sollen, wurde der folgende Hinweis für das Instruktionsblatt entwickelt: Fragen Sie bei der Wahl des Bilderbuches das Kind nicht, welches Buch es „auswendig kann“. Bei der Entwicklung der Hinweise zum Instruktionsblatt fand zudem eine Anlehnung an die Hinweise zur Durchführung einer Diktiersituation (vgl. Merklinger 2012) statt. Analog zum Hinweis, als Skriptorin oder Skriptor nicht den Ausdruck erzählen, sondern den Ausdruck schreiben zu verwenden (vgl. Merklinger 2012, S. 40), wurde folgender Hinweis gegeben: Verwenden Sie die Formulierungen „vorlesen“ und „tu mal so, als würdest du vorlesen“. Verzichten Sie auf den Ausdruck „erzählen“. Zudem erhält das Kind beim diktierenden Schreiben keine Impulse zum Weiterschreiben seines Textes. Ein Grund dafür liegt darin, dass die Frage nach einer Fortsetzung leicht dazu führen könnte, dass die Situation in einen Dialog wechselt - und zwar „vom Diktieren zum Gespräch, von Schriftlichkeit zu Mündlichkeit [Hervorh. im Original]“ (Merklinger 2012, S. 54). So könnte das Kind Halbsätze wie im Mündlichen äußern („Dass die Maus das gesagt hat mit der Grüffelogrütze [Hervorh. im Original]“ (ebd.)) oder Aspekte aneinanderreihen, 230 2 Methodische und methodologische Überlegungen 115 An dieser Stelle danke ich den Studierenden aus dem Seminar Textkompetenz in der Vorschulzeit und am Schulanfang (WS 2017/ 18) sowie Norbert Kruse für seine Formulierung. welche es ohne die Nachfrage nicht aufschreiben würde. (Vgl. ebd.) Analog zu diesen empfohlenen Verhaltensweisen wurde der folgende Hinweis entwickelt, um den Wechsel von einer monologischen Textproduktion zu einem Dialog während einer Pretend-Reading-Situation möglichst zu vermeiden: Verzichten Sie beim eigenen Vorlesen des Bilderbuches auf Fragen und Kommentare zum Vorgelesenen. Verzichten Sie auf Nachfragen bezüglich der Handlung oder der handelnden Personen der Geschichte wie „Und wer ist das? “/ „Und was macht der? “, um das Kind zu animieren. Es könnte zu knappen konzeptionell mündlichen Antworten des Kindes führen („Der Frosch.“/ „Angeln.“), zu einem Wechsel von der Monologizität zur Dialogizität, vom „Vorlesen“ zu einem Gespräch oder zum Erzählen. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen dem Verhalten in einer Diktiersitua‐ tion und einer Pretend-Reading-Situation besteht im Zeigen auf vorgelesene Wörter. Beim langsamen Vorlesen von bereits Geschriebenen zeigt die Skrip‐ torin oder der Skriptor jeweils auf das gelesene Wort, was die Diktiersituation „zu einer Situation der Schriftlichkeit“ (Merklinger 2012, S. 52) macht (vgl. ebd.). In der Pretend-Reading-Situation soll auch dadurch eine Haltung eingenommen werden, die den Gebrauch konzeptioneller Schriftlichkeit herausfordert, dass der oder die Erwachsene während des Vorlesens mit dem Finger unter den Wörtern entlanggefährt: Lesen Sie zuerst dem Kind das gewählte Bilderbuch vor. Nehmen Sie dabei eine typische Vorlesehaltung ein: Sitzen Sie aufrecht auf einem Stuhl/ Sessel, halten Sie das Buch in einer typischen Vorlesepose, verdeutli‐ chen Sie mit Hilfe des Zeigefingers, was Sie gerade vorlesen… (→ Vorbild zum Imitieren) Im Folgenden wird gezeigt, wie Fragen von Studierenden zu Modifikationen an den Instruktionen führten. So bezog sich eine Frage auf Handlungsmöglich‐ keiten für den Fall, dass das Kind erzählt anstatt „vorzulesen“. Im Seminar wurden dazu folgende Überlegungen angestellt: Versuche ich durch Impulse eine „Vorlesehaltung“ zu initiieren bzw. konzeptionelle Schriftlichkeit in ge‐ wissem Maße herauszufordern? Was wäre ein möglicher Impuls? Es entstand die Idee, auf die Seiten des Bilderbuches zu verweisen. Als möglicher Impuls wurde die Frage „Wo bist du denn jetzt? “ vorgeschlagen. Das Instruktionsblatt wurde letztendlich um den folgenden Hinweis 115 ergänzt: Wenn das Kind erzählt anstatt „vorzulesen“, verweisen Sie auf das Umblättern der Seiten, indem Sie das Kind fragen „Können wir schon umblättern? “ 2.1 Erhebungsverfahren 231 116 In den Auszügen aus Transkripten werden die Stellen, die zu Ergänzungen und Modifikationen des Instruktionsblattes führten, hervorgehoben (fett gedruckt). 117 An dieser Stelle danke ich der Studierenden des Seminars „Schreibunterricht in Klasse 1 + 2“ (WS 2017/ 18) für ihre Fragen nach Durchführung einer Pretend-Reading-Situation sowie Norbert Kruse für seine Ideen. 118 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zu folgendem Bilderbuch: Brenner, Katharina/ Roßbach, Iris (2003): Mit den Wichteln durch die Woche. Kangaroo. Eine weitere Studierende oder ein Studierender führte die Pretend-Rea‐ ding-Situation aus organisatorischen Gründen zu einem früheren Zeitpunkt durch. Das ihr zu diesem Zweck zur Verfügung gestellte Instruktionsblatt enthielt bereits die folgenden fünf Instruktionen: 1. Fragen Sie bei der Wahl des Bilderbuches das Kind nicht, welches Buch es „auswendig kann“. 2. Verwenden Sie die Formulierungen „vorlesen“ und „tu mal so, als würdest du vorlesen“. Verzichten Sie auf den Ausdruck „erzählen“. 3. Verzichten Sie während der Pretend-Reading-Situation weitgehend auf ein Gespräch über Inhalte des Buches, um nicht anstatt der Monologizität des „Vorlesens“ die Dialogizität herauszufordern. 4. Vermeiden Sie Kommentare zu den „vorgelesenen“ Inhalten. 5. Stellen Sie zur Animation des Kindes keine Fragen zur Handlung oder den handelnden Personen der Geschichte wie „Und wer ist das? “/ „Und was macht der? “ etc. Die Fragen 116 der oder des Studierenden bezogen sich darauf, wie auf bestimmte Äußerungen bzw. Fragen des Kindes (K) während der von ihr oder ihm durch‐ geführten Pretend-Reading-Situation zu reagieren sei. 117 K: […] aber MANCHE bleiben trocken und buddeln fröhlich im sand. [.] aber wo/ [4] holt paul seine gitarre oder wie? [3] wo paul seine gitarre rausgeholt hat, singen ALLE fröhlich mit. 118 Daraufhin wurde das Instruktionsblatt um den folgenden Hinweis ergänzt: Antworten Sie auf inhaltliche Nachfragen des Kindes. Beispiel: „Heißt der Peter? “ „Er heißt Paul.“ K: [5] was ist da? [zeigt auf das Wort ‚Freitag‘] was steht da? E: [.] donnerstag hatten wir gerade vorher, also ist das der [? ] 232 2 Methodische und methodologische Überlegungen 119 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zum Bilderbuch: Brenner, Katharina/ Roßbach, Iris (2003): Mit den Wichteln durch die Woche. Kangaroo. 120 An dieser Stelle danke ich der Studierenden aus dem Seminar „Textkompetenz in der Vorschulzeit und am Schulanfang“ (WS 2017/ 18) für ihre Frage. 121 An dieser Stelle danke ich Norbert Kruse für diesen Vorschlag. 122 An dieser Stelle danke ich Norbert Kruse für diesen Vorschlag. 123 E: Erwachsene/ r. K: die: nstag m a c h en die wichteljungs und die wichtelmädchen einen schönen nachmittag. 119 Für eine solche Situation wurde der folgende Hinweis für das Instruktionsblatt entwickelt: Falls das Kind auf ein einzelnes Wort zeigt und Sie fragt „Was steht hier? “, sagen Sie ihm, was dort steht, anstatt das Kind durch ein gelenktes Gespräch selbst die Antwort finden zu lassen. Eine weitere Frage 120 einer Seminarteilnehm‐ enden bezog sich auf das Verhalten der oder des Erwachsenen in einer Situation, in der das Kind versucht, Wörter zu lesen, da es bereits über Buchstabenkenntnis verfügt. Folgender Hinweis 121 wurde für eine solche Situation formuliert: Falls das Kind versucht, einzelne Wörter zu lesen, greifen Sie nicht ein und unterbinden Sie es nicht. Zudem wurde in einem Seminar die Frage geäußert, ob die Frage Und wie geht es weiter? in einer Pretend-Reading-Situation gestellt werden dürfe. Diese Frage wurde auf das Informationsblatt aufgenommen: 122 Falls das Kind ins Stocken kommt, fragen Sie es „Wie geht’s weiter? “. Exemplarisch wird im Folgenden die Weiterentwicklung des Informationsblattes zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation zwischen den Durchgängen A und B dargestellt. Die Modifikationen beziehen sich vor allem auf Hinweise, die beim Kind das Entstehen des Eindrucks verhindern sollen, eine möglichst genaue Wiedergabe des Textes sei erforderlich. Zudem betreffen sie die Wahl des Bilderbuches, gestaltendes Vorlesen und Impulse während des Vorlesens. De‐ taillierte Darstellungen der Modifikationen am Informationsblatt, die zwischen Durchgang A und B, zwischen Durchgang B und C und zwischen Durchgang C und D stattfanden, sind im digitalen Anhang enthalten. Die folgende Szene 123 zeigt die Reaktion eines Kindes auf die Formulierung was du noch weißt während einer Pretend-Reading-Situation: E: dann darfst du jetzt auf den vorlesesessel und ich höre mal zu, wie du mir vorliest. K: hm: [7] soll ich also beim ersten satz anfangen [? ] E: ja. 2.1 Erhebungsverfahren 233 124 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zum Bilderbuch: Lindgren, Astrid/ Rettich, Rolf (1999): Pippi feiert Geburtstag. Übers. ins Deutsche von Cäcilie Heinig. Hamburg: Oetinger. 125 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zum Bilderbuch: Friedl, Peter/ Grimm, Sandra (2010): Jakob ist wütend. Carlsen. K: [.] hm: [.] (erste Satz) [flüstert] E: wo waren wir? einfach das, was du noch weißt. das war die geburtstagsfeier von [? ] K: von pippi. hm: [8] kann ich einfach nur lesen das, was ich noch weiß [? ] E: genau. das kannst du einfach machen. K: ihr lieben kinder, ihr sollt doch auch noch ihre geburtstagsgeschenke haben. 124 Der Transkriptausschnitt verdeutlicht, dass die Formulierungen des Kindes sehr nah an denen des Buchtextes sind. Generell könnte die Wahl der Formulierung „was du noch weißt“ beim Kind den Eindruck entstehen lassen, es ginge darum, das „vorzulesen“, was ihm noch in Erinnerung geblieben ist bzw. um eine korrekte Wiedergabe (sprachlich und/ oder inhaltlich) des Bilderbuches. Um dies zu verhindern, wurde folgende Instruktion ergänzt: Fordern Sie das Kind nicht auf „vorzulesen“, „was es noch weiß“, damit beim Kind nicht der Eindruck entsteht, es ginge darum, das Buch korrekt wiederzugeben. Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf Modifikationen zum Einsatz der Strategie Umblättern. Als mögliche Reaktion der oder des Erwachsenen für die Situation, wenn das Kind bei seiner Textproduktion ins Stocken gerät, enthält das Informationsblatt zu Durchgang A bereits den Hinweis Falls das Kind ins Stocken kommt, fragen Sie es „Wie geht’s weiter? “ Auf das Umblättern soll gemäß dem Instruktionsblatt verwiesen werden, wenn das Kind erzählt anstatt „vorzulesen“: Wenn das Kind erzählt anstatt „vorzulesen“, verweisen Sie auf das Umblättern der Seiten, indem Sie das Kind fragen „Kann ich/ Können wir schon umblättern? “ Es konnte beobachtet werden, dass mehrere Studierende bei der Erprobung einer Pretend-Reading-Situation auf die Strategie Umblättern zurückgriffen - allerdings in der Situation, wenn das Kind ins Stocken kam bzw. nicht weiterwusste. Es folgen Überlegungen zu dieser Strategie anhand von Ausschnitten aus zwei Pretend-Reading-Situationen. K: [3] ich will noch KAKAO. E: mhm [3] genau [.] und wie geht’s weiter? K: [3] weiß ich nicht mehr. 125 234 2 Methodische und methodologische Überlegungen 126 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zu: Arnold, Marsha Diane/ Liwska, Renata (2017): Die Schneemacher. Hildesheim: Gerstenberg. Der Transkriptausschnitt macht deutlich, dass durch die Anwendung der Strategie Wie geht’s weiter? kein „Weiterlesen“ des Kindes initiiert. Die oder der Studierende steigt daraufhin auf die Strategie Umblättern um. E: bist du mit der seite fertig? [3] dann können wir umblättern, wenn du mit der seite fertig bist. K: ich weiß nicht, wie’s weitergeht. E: vielleicht fällt dir das ein, wenn du umgeblättert hast. Durch diesen Hinweis wird die Textproduktion zu einem gewissen Grad von der oder dem Erwachsenen gesteuert: Das Bild auf der nächsten Seite soll die Textproduktion wieder in Gang setzen, was einen bestimmten inhaltlichen Fokus setzt. K: [blättert um] [5] er wirft [.] sei/ stuhl um [3] und knabberzahn fiel auf den boden [blättert um] Nach zwei Hinweisen zum Umblättern geht die Textproduktion weiter. Auch im folgenden Transkriptausschnitt wird von der oder dem Erwachsenen auf die Strategie „Umblättern“ zurückgegriffen. K: okay. igel sah, wie dachs in den himmel s t a rr - te. E: [8] hm [2] wie geht die geschichte weiter [.] wollen wir mal auf der nächsten seite gucken? K: [11] weiß ich nicht. [5] [blättert zwei Seiten weiter] dachs h o l t e [2] t ö p f e, p f a n n e n [2] aus (seinem)haus [blättert um] E: weißt du, wie die geschichte hier weiter geht? K: nein. [blättert um] DA aber [3] (ich weiß aber) noch, was sagt beutelratte [.] heute ziehen wir die schlaf-an-züge verkehrt rum an [.] klappt bei uns immer in der familie immer. [blättert um] DA [.] ist der (dachs) nach draußen gegangen [.] und jubelte ‚SCHNEE, schnee, [blättert um] zucker.‘ [blättert um] weiß ich auch nicht mehr. [blättert um] und warteten und warteten, [blättert um] bis es [blättert um] so weit war. 126 2.1 Erhebungsverfahren 235 Das Kind wendet die Strategie Umblättern auch im weiteren Verlauf des „Vorlesens“ an, wenn es sich nicht mehr an den Text der Seiten erinnern kann und „liest“ nur die Seiten „vor“, bei denen es sich erinnern kann. Möglicherweise wurde der Gebrauch dieser Strategie durch die Impulse der Studierenden (wollen wir mal auf der nächsten Seite gucken? weißt du, wie die geschichte hier weiter geht? ) in Gang gesetzt. Beim folgenden Text handelt es sich um die reine Textproduktion des Kindes. Formulierungen, die identisch zu denen des Bilderbuches sind, sind unterstrichen. Die sprachlichen Formulierungen des Kindes sind dabei sehr nah am Text des Bilderbuches. igel sah, wie dachs in den himmel s t a rr - te. dachs h o l t e t ö p f e , p f a n n e n aus (seinem) haus. ,was tust du da‘ (der) dachs versucht, es schnei-en zu lass-en. aber kein schnee: fiel. ‚heute ziehen wir die schlaf-an-züge verkehrt rum an, klappt bei uns immer in der familie immer‘. DA ist der (dachs) nach draußen gegangen und jubelte ‚SCHNEE,schnee,zucker.‘ und warteten und warteten, bis es so weit war. Dadurch, dass sich das Kind darauf beschränkt, nur das „vorzulesen“, an das es sich erinnert, werden Seiten (und damit Inhalte) ausgelassen, was zur Produktion eines Textes mit mehreren Leerstellen führt. Das Kind scheint weniger darum bemüht zu sein, einen kohärenten Text zu produzieren, sondern vielmehr darum, einen Text möglichst nah am Originaltext zu produzieren. Einerseits führt der Vorschlag der oder des Erwachsenen, umzublättern, in beiden Beispielen zur weiteren Textproduktion des Kindes. Somit ist die Strategie in Bezug auf die Textproduktion an sich als „erfolgreich“ einzuschätzen. Andererseits könnte durch die Aufforderung bzw. den Vorschlag, umzublättern, in Situationen, in denen das Kind ins Stocken kommt, beim Kind der Eindruck entstehen, es dürfe oder solle nur Inhalte „vorlesen“, die so wirklich im Buch stehen bzw. es ginge um eine möglichst genaue Wiedergabe des Textes. Beim Kind diese Vorstellung zu bewirken wäre hinderlich für die Beantwortung der Forschungsfrage, wie das Kind einen Text organisiert (u. a. wird Kohärenz hergestellt und wie? ). An folgendem Transkriptausschnitt kann beobachtet werden, wie die oder der Erwachsene in einer Pause während des Textproduktionsprozesses des Kindes selbst eine Seite des Buches umblättert. K: sie machte mit jeden eine [.] runde [.] durch den schlosspark. [20] dann ging sie rein, [.] ging in ihr (zimmer) [5] und weinte. 236 2 Methodische und methodologische Überlegungen 127 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zur Geschichte Der Prinz und das Einhorn aus dem Buch: Königsberg, Katja/ Broska, Elke (2013): Einhornge‐ schichten. Ravensburger. 128 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zum folgenden Bilderbuch: Friedl, Peter/ Grimm, Sandra: Jakob ist wütend (2010). Carlsen. E: wollen wir mal gucken auf der nächsten seite, [blättert um] wie es weitergeht? [blättert um] K: dann ging sie zu ihren vater und flüsterte ihn was. der vater lachte [.] und dann ging sie zum balkon und rief nach unten ‚wer meinen armreif fängt, der so soll er mein (ge gemal) werden.‘ [blättert um] 127 Der Hinweis zum Verhalten der oder des Erwachsenen in Situationen, in denen das Kind ins Stocken kommt, wurde um zwei Hinweise zum Umblättern erweitert: Falls das Kind ins Stocken kommt, fragen Sie es „Wie geht’s weiter? “. Bewahren Sie Ruhe und lassen Sie Pausen zu. Fordern Sie das Kind nicht auf, umzublättern. Überlassen Sie das Umblättern nach Möglichkeit (! ) dem Kind. Eine weitere Parallele zum diktierenden Schreiben besteht nun darin, dass dem Kind bei der mündlichen Textproduktion Zeit gegeben wird. Beim dik‐ tierenden Schreiben gilt dies als eine von vier Möglichkeiten, implizit zu Schriftlichkeit herauszufordern (vgl. Merklinger 2012, S.-56). Eine weitere Modifikation bezieht sich auf die Bestätigung der Richtigkeit von Aussagen. In der folgenden Szene wird vom Kind „Vorgelesenes“ durch die oder den Erwachsenen mit genau bestätigt. Somit wird eine inhaltlich korrekte Aussage (Übereinstimmung mit dem Inhalt des Buches) bestätigt. K: [3] ich will noch KAKAO. E: mhm [3] genau [.] und wie geht’s weiter? 128 Dies könnte beim Kind den Eindruck erwecken, dass beim Pretend Reading der Inhalt des Buches korrekt wiederzugeben ist und Inhalte nicht erfunden werden dürfen. Das Instruktionsblatt wurde um den folgenden Hinweis erweitert: Verzichten Sie darauf, vom Kind richtig wiedergegebene Inhalte des Buches zu bestätigen („Genau“), um beim Kind nicht den Eindruck zu erwecken, dass es den Inhalt des Buches korrekt wiedergeben muss. Hinsichtlich der Wahl des Bilderbuches konnte beobachtet werden, dass auch di‐ daktisierte Leselernbücher zur Durchführung von Pretend-Reading-Situationen gewählt wurden. Daher wurde folgender Hinweis ergänzt: Das gewählte Buch 2.1 Erhebungsverfahren 237 129 Vgl. dazu Kruse, Iris (2010): Das Vorlesen lernförderlich gestalten: Astrid Lindgrens Märchen ‚Sonnenau‘ - Ein Unterrichtsbeispiel zum ‚Höreraktivierenden Vorlesen‘. In: Grundschulunterricht. Deutsch, H. 1, S. 18-22. und Kruse, Norbert (o. J.): Vorlesebeobach‐ tung. Handreichung. Universität Kassel. 130 Vgl. dazu Kruse (2010). 131 Auszug aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang A) zur Geschichte Puuhs Honigbaum aus dem dem Bilderbuch: Walt Disney (2010): Winnie Puh und seine Freunde. Parragon. soll außerdem kein didaktisiertes Leselernbuch sein (z. B. aus der Reihe „Sonne, Mond und Sterne“), sondern möglichst ein ästhetisch anspruchsvolles Bilderbuch, das zum Vorlesen und Anschauen gedacht ist. Zudem wurden Hinweise zum gestaltenden Vorlesen des Bilderbuches ergänzt: Achten Sie beim Vorlesen darauf, dass Sie das Bilderbuch ‚gestaltend‘ vorlesen, damit das Kind erlebt, dass Sie selbst als Vorlesende auch von der Geschichte affiziert sind und zugleich das Kind emotional von dem Buch angesprochen wird. Variieren Sie Tonlage, Lautstärke und Lesetempo.  129 Setzen Sie Pausen an geeig‐ neten Stellen ein.  130 Verleihen Sie bei wörtlicher Rede den einzelnen Personen/ Tieren verschiedene Stimmen. Im folgenden Ausschnitt einer Vorlesesituation einer oder eines Erwachsenen, die dem „Vorlesen“ des Kindes vorangeht, wird das Vorlesen durch von der oder dem Erwachsenen gesetzte Impulse unterbrochen: E: [liest das Buch vor, unterbricht das eigene Vorlesen] : puh rieb sich den wu: nden kopf. ah, guck mal, [zeigt auf ein Bild] sein gesicht. 131 Das Vorlesen der oder des Erwachsenen soll dem Kind u. a. als Vorbild zum Imitieren dienen. Da beim Kind eine möglichst monologische Textproduktion angeregt werden soll, sollte auch das Vorlesen der oder des Erwachsenen möglichst monologisch sein. Daher sollte die oder der Erwachsene bewusst auf ein „Vorlesegespräch“ bzw. Fragen und Kommentare während des Vorlesens verzichten, um die Kinder nicht dazu anzuregen, beim eigenen „Vorlesen“ auch immer wieder in den Dialog mit dem Erwachsenen zu treten. Während der Pretend-Reading-Situation soll die Orientierung auf den Text abgesichert werden. Das Bilderbuch dient als Trigger, über den die Textproduktion in Gang gesetzt werden soll. Folglich wurde das Informationsblatt um folgenden Hinweis ergänzt: Verzichten Sie beim eigenen Vorlesen des Bilderbuches auf Fragen und Kommentare zum Vorgelesenen. Im Seminarkontext wurden zwei weitere Fragen gestellt, die sich auf hy‐ pothetische Situationen beziehen. 132 Es wurden die folgenden zwei Hinweise 238 2 Methodische und methodologische Überlegungen 132 Im Zusammenhang mit den folgenden zwei Hinweisen danke ich einer Studierenden aus dem Seminar „Textkompetenz in der Vorschulzeit und am Schulanfang“ (SoSe 2018) für ihre Fragen sowie Norbert Kruse für seine Ideen. 133 Die Schulung, an der Studierende vor der Durchführung einer Pretend-Reading-Situa‐ tion in Durchgang C teilnahmen, unterscheidet sich nur in wenigen Punkten von der vorgestellten Schulung. 134 Das den Studierenden zur Verfügung gestellte Informationsblatt ist im digitalen Anhang enthalten. auf dem Informationsblatt ergänzt: Fragt das Kind Sie während des eigenen „Vorlesens“ „Ist das richtig? “, antworten Sie „Du kannst nichts falsch machen. Wenn du das vorliest, ist das richtig./ Was du vorliest, ist richtig.“ Stellt das Kind Ihnen während des eigenen „Vorlesens“ die Frage „Was kommt jetzt noch mal? “, geben Sie einen kurzen inhaltlichen Impuls. Eine detaillierte Darstellung der Schulung zum Pretend Reading, an der Stu‐ dierende vor der Durchführung ihrer Erprobung im Durchgang D  133 teilnahmen findet sich im digitalen Anhang. In Vorbereitung auf die Durchführung von Pretend-Reading-Situationen in den Erhebungsdurchgängen C und D wurde zudem das praktische Üben von gestaltendem Vorlesen von Bilderbüchern durch die Studierenden als weiterer Baustein in die Seminare integriert. 134 In der dritten Phase, der sogenannten Beurteilungsphase, „erfolgt die semi-sum‐ mative (bei weiterem Re-Design) bzw. summative Evaluation zur Wirksamkeit des innovativen Lehr-Lernansatzes“ (Klees/ Tillmann 2015, S. 93). Es findet eine Überprüfung von theoriebasierten Forschungsfragen und Hypothesen statt. Zudem werden „neue Erkenntnisse/ Ansätze und Zusammenhänge über den Lernprozess in der konkreten Lehr-Lernsituationen gewonnen“ (ebd.). Die Er‐ gebnisse können wiederum als Grundlage dienen, um weitere Forschungsfragen zu entwickeln. Ein erneutes Re-Design der Lernumgebung ist möglich. (Vgl. ebd.) Antworten auf theoriebasierte Forschungsfragen hinsichtlich der Organisa‐ tion von Texten, der Herausforderung konzeptioneller Schriftlichkeit und des Mustergebrauchs bei der Textproduktion mit Blick auf das zuvor vorgelesene Bilderbuch (Unterfragen der Forschungsfrage 1) konnten durch die Auswertung der erhobenen Daten in den Pretend-Reading-Situationen formuliert werden. Die Analysen der entstandenen Textproduktionen der Kinder liefern zudem Hinweise darauf, ob sich Pretend Reading als Methode zur Förderung von literaler Textkompetenz eignet (Forschungsfrage 2). Dem letzten Zyklus (Durchgang D) folgte in der vorliegenden Studie nach der Auswertung erhobener Daten eine erneute Modifikation des Instruktionsblattes, indem Handlungen der oder des Erwachsenen, die sich als zielführend zur Herausforderung einer monologischen Textproduktion erwiesen hatten, 2.1 Erhebungsverfahren 239 135 An dieser Stelle danke ich Hanna Sauerborn, den Mitgliedern der Dissertationsrunde der Universität Kassel sowie Norbert Kruse für Ideen und hilfreiche Hinweise zur Entwicklung und Modifikation der Formblätter. 136 Studierende, die eine Pretend-Reading-Situation mit einem Kind durchführten, fer‐ tigten ein Transkript an. Die im Rahmen der vorliegenden Studie verwendeten Trans‐ kripte wurden abschließend von der Autorin geprüft und angepasst sowie im Falle von Wiederholungen der Pretend-Reading-Situation um weitere Transkriptionen ergänzt. aufgenommen wurden. Es wäre denkbar, diese im Rahmen von weiteren Erprobungen des Settings zum Pretend Reading bzw. einem weiteren Re-Design auf ihre Brauchbarkeit für die Praxis zu prüfen. Neben den Videodaten zu Pretend-Reading-Situationen wurden personenbezo‐ gene Daten mit Hilfe von zwei Formblättern 135 erhoben (vgl. digitaler Anhang). Es handelt sich dabei um einen Elternfragebogen und einen Studierendenfra‐ gebogen. Dem Elternfragebogen sind Informationen zum Alter des Kindes, den Familiensprachen, Geschwisterkonstellationen (mit Altersangaben) und zum Besuch eines Kindergartens bzw. einer Kindertagesstätte zu entnehmen. Des Weiteren sind Angaben zum Bildungshintergrund der Eltern (höchster erreichter Bildungsabschluss) enthalten. Zudem enthält der Elternfragebogen Informationen zu Erfahrungen des Kindes mit Literalität. Dabei werden gezielt Informationen zu Erfahrungen des Kindes mit der Textsorte Narration und dem Medium Buch abgefragt: Angaben zur Anzahl der Bilder- und Kinderbücher, Angaben zur Häufigkeit des Erzählens und Vorlesens von Geschichten und - als sehr spezifische Frage - wird abgefragt, ob das Kind manchmal so tut, ob es jemandem vorlesen würde und wie es diese Tätigkeit ggf. selbst bezeichnet. Der Studierendenfragebogen wurde von der oder dem Studierenden ausgefüllt, die oder der eine Pretend-Reading-Situation mit einem Vorschulkind durchführte. Er enthält nähere Informationen zur Durchführungssituation sowie Angaben dazu, wie lange sich die oder der Studierende und das Kind vor der Erhebungs‐ situation bereits kannten. 2.2 Datenaufbereitung Der Transkription 136 liegen die folgenden von Merklinger in ihrer Studie Frühe Zugänge zur Schriftlichkeit (2011) verwendeten Transkriptionskonventionen zugrunde (vgl. Tabelle 6). Die folgende leicht modifizierte Darstellung der Transkriptionskonventionen Merklingers beschränkt sich auf Transkriptions‐ konventionen, die für die Transkription einer Pretend-Reading-Situation von Relevanz sind. 240 2 Methodische und methodologische Überlegungen Transkriptionskonventionen Kennzeichnung von Pausen und Kommentaren: [3] Pause von 3 Sekunden [.] kurze Pause [Kommentar] Erläuterung des Diktierverhaltens Kennzeichnung der Betonung: [? ] Steigende Intonation am Ende einer Äußerung, die einen Sprecherwechsel einleitet. MAUS Worte, die mit besonderer Betonung geäußert werden, werden in Großantiqua notiert. […] - Weitere Merkmale der Diktierweise des Kindes: Tie-re Wenn Kinder silbisch diktieren, werden Bindestriche in‐ nerhalb der Wörter notiert. Mau: s Die Dehnung eines Lautes wird durch einen Doppelpunkt markiert. einen Werden von Kindern schriftsprachliche Endungen ex‐ plizit ausgesprochen, werden diese im Wort fett gedruckt. Grüffe/ Manchmal brechen die Kinder ihr Diktiertes mitten im Wort ab. G r ü ff e l o Leerzeichen zwischen den Buchstaben bedeuten lang‐ sames Sprechen. (aber) Die wenigen Wörter im Transkript, die nicht eindeutig zu verstehen sind, sind in Klammern gesetzt. Zur Interaktion von Kind und Skriptor: Die Maus/ / sah den Grüffelo Wenn das Kind sich gut auf die Langsamkeit des Schreibens einstellt, gehen die Äußerungen von Skriptor und Kind manchmal nahtlos ineinander über. Die Maus §freute sich §Und der Grüffelo Es gibt auch Situationen, in denen das Kind und der Skriptor gleichzeitig sprechen. […] - Tabelle 6: Leicht modifizierte Darstellung der Transkriptionskonventionen nach Merk‐ linger 2011, S.-85-87 2.2 Datenaufbereitung 241 137 An dieser Stelle danke ich den Studierenden meiner Lehrveranstaltungen für Fragen und Anmerkungen zur Transkription einer Pretend-Reading-Situation. Die dargestellten Transkriptionskonventionen wurden von der Autorin entspre‐ chend den Besonderheiten einer Pretend-Reading-Situation erweitert 137 (vgl. Tabelle 7). Ergänzungen der Transkriptionskonventionen E Erwachsene/ r, die/ der die Pretend-Reading-Si‐ tuation mit dem Kind durchführt - M Mutter - [N] Anfangsbuchstabe in Großantiqua des (ge‐ änderten) Namen des Kindes (z. B. Nina) - [? ] Steigende Intonation N: dann hat der den hasen WIEDER GEFUNDEN [? ]. [blättert um] [2] und dann sind die nach hause gegangen. - - - [hoch/ tief/ krächzend] - mit verstellter Stimme sprechen die krähe schreit ‚das war bärtram, ich hab‘s mit meinen eigenen augen gesehen.‘ [krächzend ab ‚das‘] [leise] , [laut] - Kommentar direkt hinter dem leise/ laut ge‐ sprochenen Wort bei mehreren leise/ laut gesprochenen Wörtern vermerken, ab welchem Wort leise/ laut gespro‐ chen wird spricht leise, laut N: er ging [2] langsam [leise] weg. (Hier wird nur das Wort langsam leise ge‐ sprochen.) K: er ging [2] langsam weg. [leise ab ‚langsam‘] (Hier werden die Wörter langsam weg leise gespro‐ chen.) [.] kurze Pause P: ich hab SPEZIALKLEBER. [.] be/ komm, wir kleben die tasse. 242 2 Methodische und methodologische Überlegungen Ergänzungen der Transkriptionskonventionen [2] [3] etc. Pause in Sekunden (ab 2 Sekunden) P: dann gehen die beiden in die k/ [5]. [blättert um] [3] - Zeit messen zwi‐ schen Umblättern und erneutem Sprechen eine Seite wird umge‐ blättert J: sie wohnen [.] (ganz) ganz nah/ sie wohnen in einem leuchtturm ganz nah am meer. [blättert um] [3] die beiden kinder/ bären freu/ freuen sich, wenn sie mit/ mit [.] onkel fred zum meer ge/ gehen. [blättert 2 Seiten zurück] es werden zwei Seiten zurückgeblättert - X sagte ‚wörtliche Rede‘ Wörtliche Rede in der Textproduktion die krähe schreit ‚das war bärtram, ich hab‘s mit meinen eigenen augen gesehen.‘ [krächzend ab ‚das‘] [schaut X an] Person sieht während des Sprechens andere Person an N: der hund läuft SCHNELL weg. [K schaut E an ab ‚SCHNELL weg‘] [zeigt auf (Wort/ Bild)] Person zeigt auf ein Wort/ ein Bild im Bilder‐ buch A: was steht hier? [zeigt auf das Wort ‚Freitag‘] mh, mhm Zustimmung - äh, ähm Verzögerungssignale - hm, hm Verneinung - (unverständlich) Wort ist unverständlich - Courier New Mündliche Äußerungen - - Calibri - Beschreibungen von Handlungen, Mimik, Gestik - Tabelle 7: Transkriptionsregeln zum Pretend Reading: Ergänzungen und Modifikationen 2.2 Datenaufbereitung 243 Da im Zentrum der Analysen der vorliegenden Arbeit die Textproduktionen der Kinder und Vergleiche zu den entsprechenden Bilderbuchtexten stehen, wurden die Satzzeichen Komma, Punkt und Fragezeichen zur besseren Lesbar‐ keit gesetzt. Zu diesem Zweck wurden zudem unterschiedliche Schriftarten gewählt: So werden mündliche Äußerungen in der Schriftart Courier New dargestellt, während ergänzende Beobachtungen zu Handlungen, Mimik, Gestik der handelnden Personen und zur näheren Beschreibung des mündlich Geäu‐ ßerten (Lautstärke, Tonlage etc.) mit der Schriftart Calibri dargestellt sind. Um Mehrdeutigkeiten in der Darstellung zu vermeiden, wurden alle mündlichen Äußerungen abgesehen von den Wörtern, die mit besonderer Betonung ausge‐ sprochen wurden, komplett klein geschrieben. Die Auswahl der sieben Pretend-Reading-Situationen für die sieben Textanalysen erfolgte anhand der folgenden vier Kriterien. Erstens wurden ausschließ‐ lich Pretend-Reading-Situationen aus den Durchgängen C und D gewählt. Zweitens leitet die oder der Erwachsene das Kind überwiegend gemäß den Instruktionen des Instruktionsblattes zur Durchführung einer Pretend-Rea‐ ding-Situation an. Das Handeln der oder des Erwachsenen scheint dabei an dem Ziel ausgerichtet zu sein, das Kind zu einer monologischen Textproduktion herauszufordern. Drittens handelt es sich nicht um eine Situation, in der sich das Kind weigerte, das Bilderbuch „vorzulesen“, da es ein zentrales Anliegen der vorliegenden Studie ist, Textproduktionen von Vorschulkindern im Hinblick auf Musterhaftigkeit zu analysieren. Viertens liegen Videoaufzeichnungen aller vier Schritte der Pretend-Reading-Situation in guter Qualität vor. Die Instruktionsblätter der Durchgänge C und D enthalten (im Vergleich mit Instruktionsblättern der Durchgänge A und B) bereits alle zentralen Hinweise zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation und unterscheiden sich zudem nur noch in wenigen Punkten voneinander. Des Weiteren war bei den Durchgängen C und D die Teilnahme an einer Schulung vor Durchführung der Pretend-Reading-Situation für die Studierenden verpflichtend. Ein weiterer Grund für die ausschließliche Wahl der Daten aus den Durchgängen C und D bestand darin, dass die zugehörigen Einverständniserklärungen - im Gegensatz zu denen aus den Durchgängen A und B - gemeinsame Datensitzungen im Rahmen der Dissertationsrunde von Norbert Kruse an der Universität Kassel anhand von Videomaterial erlaubten, ohne dass die Gesichter der Agierenden unkenntlich gemacht werden mussten. Es wurden sowohl Pretend-Reading-Si‐ tuationen mit Kindern ausgewählt, die mit der Handlung, so zu tun, als würden sie vorlesen, vor der Durchführung der Studie bereits Erfahrungen gemacht 244 2 Methodische und methodologische Überlegungen hatten, als auch mit Kindern, die im Rahmen der Studie zum ersten Mal diese Aufgabe gestellt bekamen. 2.3 Auswertungsverfahren Als klassischen Bereich der qualitativen Forschung lässt sich Hypothesenbildung und Theoriebildung bezeichnen (vgl. Mayring 2015, S. 22). Die vorliegende Studie zur frühen Textkompetenz hat hypothesengenerierenden Charakter. Zur Datenauswertung findet eine Orientierung an verschiedenen Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse statt. Dabei werden sieben Textproduktionen aus ausgewählten Pretend-Reading-Situationen mit mehreren im Rahmen dieser Studie in induktiv-deduktiven Verfahren entwickelten Analyseinstrumenten untersucht. Das folgende Kapitel dient dem Zweck darzustellen, inwiefern sich das Verfahren an Formen der qualitativen Inhaltsanalyse anlehnt. Zudem wird der Forschungsprozess hinsichtlich der Datenauswertung skizziert, gefolgt von einer Darstellung der einzelnen Analyseinstrumente. „‚Die‘ qualitative Inhaltsanalyse gibt es nicht, und es besteht kein Konsens darüber, was qualitative Inhaltsanalyse ausmacht“ (Schreier 2014, Absatz 4). Ein Hauptanliegen der von Mayring (2015) vorgestellten Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse besteht im systematischen Verfahren. Ein zentraler Punkt liegt dabei in der Festlegung eines Ablaufmodells der Analyse (vgl. ebd., S. 50). Bei der Inhaltsanalyse handelt es sich nach Mayring nicht um ein Standardinstrument. Es gilt, sie jeweils an den konkreten Gegenstand anzupassen und auf eine spezifi‐ sche Fragestellung hin zu konstruieren. „Dies wird vorab in einem Ablaufmodell festgelegt“ (ebd., S. 51). In diesem werden einzelne Analyseschritte definiert und in ihrer Reihenfolge festgelegt. „Die Systematik sollte so beschrieben sein, dass ein zweiter Auswerter die Analyse ähnlich durchführen kann“ (ebd.). Während bei der quantitativen Inhaltsanalyse das Kategoriensystem als der zentrale Punkt bezeichnet werden kann, soll nach Mayring auch in der quali‐ tativen Inhaltsanalyse „versucht werden, die Ziele der Analyse in Kategorien zu konkretisieren“ (ebd.). So ist das Kategoriensystem als zentraler Punkt der Analyse zu bezeichnen (vgl. ebd.). Die Stärke der qualitativen Inhaltsanalyse sieht Mayring darin, „dass die Analyse in einzelne Interpretationsschritte zerlegt wird, die vorher festgelegt werden“ (ebd., S. 61). Mayring (2015) bezeichnet Pilotstudien als „ausgezeichnetes Gebiet für qualitative Analysen“ (ebd., S. 23). In Pilotstudien soll der Gegenstandsbereich offen erkundet werden. Zudem werden für Erhebung und Auswertung Kategorien und Instrumente entwickelt (vgl. ebd.). 2.3 Auswertungsverfahren 245 Das Verfahren der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring wird von Heins mit Hilfe von vier Punkten charakterisiert: Die qualitative Inhaltsanalyse ist ein „datenreduzierendes Verfahren zur Erfassung von Textbedeutungen“ (Heins 2016, S. 304). Das Verfahren ist kategorieorientiert und berücksichtigt auch latente Bedeutungen. Des Weiteren lässt es sich als systematisches, regelgelei‐ tetes Vorgehen bezeichnen, das genutzt wird, um bedeutungshaltiges Material zu analysieren. Im Kategoriensystem werden die interessierenden Bedeutungs‐ aspekte expliziert. (Vgl. ebd.) Bei der deduktiven Kategorienbildung bestehen Kategorien bereits vor Sichtung des Materials. Sie werden aus Konzepten und Theorien deduziert. Bei der induktiven Kategorienbildung werden die Kategorien direkt am Material gebildet. Die gemischt deduktiv-induktive Kategorienbildung lässt sich als Kombination dieser beiden Vorgehensweisen beschreiben. (Vgl. ebd., S. 306) In der vorliegenden Arbeit findet eine gemischt deduktiv-induktive Kategorienbildung statt. Schreier (2014) stellt verschiedene Varianten qualitativer Inhaltsanalyse zu‐ sammen. So beschreibt und kontrastiert sie „die inhaltlich-strukturierende, die evaluative, die skalierende, die zusammenfassende […] [und] die typenbil‐ dende Inhaltsanalyse“ (Schreier 2014, Abs. 1). Die vorliegende Arbeit orientiert sich an der inhaltlich-strukturierenden qualitativen Inhaltsanalyse. „Kern der inhaltlich-strukturierenden Vorgehensweise ist es, am Material ausgewählte inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und das Material im Hinblick auf solche Aspekte systematisch zu beschreiben“ (ebd., Absatz 8). Charakteristisch für diese strukturierend-generische Variante qualitativer Inhaltsana‐ lyse ist ein iteratives Vorgehen, bei dem ein Kategoriensystem entwickelt, im Rahmen einer Probekodierung sukzessive modifiziert und schließlich in seiner Gesamtheit auf das Material angewandt wird […]. (Ebd., Absatz 48) Zwischen Vertreterinnen und Vertretern der qualitativen Inhaltsanalyse be‐ stehen Unterschiede bezüglich der Einzelheiten des Vorgehens und insbeson‐ dere im Hinblick auf die Fundierung des Kategoriensystems (vgl. ebd., Absatz 10). In diesem Zusammenhang weist Schreier unter anderem auf die von Sandra Steigleder entwickelte Variante der inhaltlich-strukturierenden Inhaltsanalyse von Mayring (2010) hin, die „explizit eine kombiniert deduktiv-induktive Fun‐ dierung von Ober- und Unterkategorien vorsieht“ (Schreier 2014, Absatz 10). Zudem findet bei dieser modifizierten Variante im Gegensatz zu Mayrings Konzeption „eine kontinuierliche Anpassung der Kategorien am Material“ (ebd.) statt. Auf diese Weise entfällt sowohl die Notwendigkeit einer Probekodierung (ebd.) als auch die daran anschließende Überarbeitung des Kategoriensystems. (Vgl. ebd.) Schreier spricht sich für das Konzept des Werkzeugkastens aus: 246 2 Methodische und methodologische Überlegungen „Statt einer Unterscheidung verschiedener Varianten qualitativer Inhaltsanalyse erscheint das Konzept des Werkzeugkastens angemessener“ (ebd., 58. Absatz). Das Auswertungsverfahren der Studie zur frühen Textkompetenz orientierte sich in den folgenden Punkten an der qualitativen Inhaltsanalyse nach Mayring (2015): Es wurde eine Pilotstudie durchgeführt. Das erhobene Material wurde erkundet, wobei bereits eine erste Kategorisierung stattfand. Kategorien zur Analyse wurden in einem induktiv-deduktiven Verfahren gefunden und modi‐ fiziert. Diese Kategorien dienen der Beschreibung der in Pretend-Reading-Situa‐ tionen entstandenen mündlichen Textproduktionen von Vorschulkindern und - expliziter formuliert - der Beantwortung der Frage, wie Kinder ihren Text (unter Rückbezug auf das jeweilige Bilderbuch) organisieren. Auch fand die Rasterent‐ wicklung zur Beschreibung von Musterhaftigkeit in einem induktiv-deduktiven Verfahren statt (Durchgang A). Die Anwendung des entwickelten Rasters auf das Material führte wiederum zu Modifikationen. In den folgenden Punkten weicht das Auswertungsverfahren von der qualita‐ tiven Inhaltsanalyse ab. Auch am zu beschreibenden Material, den Daten zu den sieben Textanalysen, entwickelte sich das Kategoriensystem weiter und neue Analyseinstrumente wurden entwickelt - und zwar während der Erstellung der sieben Textanalysen. Dazu gehört die Entwicklung des Vier-Ebenen-Modells zur Beschreibung von Musterhaftigkeit, das Instrument zur Beschreibung der Leserorientierung und die Vier-Felder-Tafel zu unspezifischen Verben in Begleit‐ sätzen. Beim Verfassen der sieben Textanalysen galt es - neben der Analyse der Textproduktion hinsichtlich bestimmter im Vorhinein festgelegter Kategorien - „das Besondere“ jeder einzelnen Textproduktion zu beschreiben, wodurch neue Aspekte in den Blick rückten. Das Instrument zur Beschreibung der Leser‐ orientierung differenzierte sich während des Verfassens der vergleichenden Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen (vgl. II.3.2) weiter aus. Zudem wurde im Zuge des schriftlichen Vergleichs der Textanalyen drei Analyseinstrumente zu neuen, veränderten und ausgelassenen Inhalten entwickelt, die zuvor lediglich in Form von wenig ausdifferenzierten Kategorien vorlagen. Die Ausdifferenzierung (und zum Teil auch die Entwicklung) von Kategorien fand somit teilweise während der Sichtung von Datenmaterial, teilweise bei der Erstellung einzelner Textanalysen und teilweise beim Zusammenstellen der Beobachtungen statt. Hervorzuheben ist, dass in der vorliegenden Studie das im epistemischen Schreiben liegende Potential für den Auswertungsprozess genutzt wurde, da während des Schreibprozesses beim Verfassen der Textanalysen und während 2.3 Auswertungsverfahren 247 138 Im Folgenden wird dieses Instrument als Analyseraster zur Beschreibung von Musterhaftigkeit im Kindertext mit Blick auf den Bilderbuchtext bezeichnet. des Verfassens einer vergleichenden Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen neue Kategorien entwickelt wurden. 2.3.1 Beschreibung der Analyseraster zur Datenauswertung Es werden folgende Auswertungsinstrumente dargestellt: Das Analyseraster zur Beschreibung sprachlicher Muster und Strukturen im Kindertext im Vergleich zu sprachlichen Mustern und Strukturen aus dem Bilderbuchtext, die Vier-Felder-Tafel zu unspezifischen Verben in Begleitsätzen, ein Instrument zur Beschreibung von Leserorientierung sowie drei Analyseinstrumente zur Beschreibung veränderter, neuer und ausgelassener Inhalte im Vergleich zum Bilderbuchtext. - Analyseraster zur Beschreibung sprachlicher Muster und Strukturen im Kindertext im Vergleich zu sprachlichen Mustern und Strukturen aus dem Bilderbuchtext 138 Die Fälle 1 bis 6 (vgl. Tabellen 8 bis 13) beziehen sich auf sprachliche Muster, während sich die Fälle 7 bis 8 (vgl. Tabellen 14 und 15) auf strukturelle Muster beziehen. Die Fälle 4 bis 6 beschreiben Variationen von sprachlichen Mustern, während Fall 7 die Variation eines strukturellen Musters beschreibt. Bei den sprachlichen Mustern wird jeweils unterschieden, ob es sich um unflektierbare Ausdrücke (Fall 1, Fall 4) oder flektierbare Ausdrücke (Fall 2, 3, 5, 6) handelt. Die Fälle, die sich auf flektierbare Ausdrücke beziehen, werden danach unter‐ schieden, ob es sich um die identische Form handelt (Fall 2, 5) oder ob eine neue flektierte Form gebildet wurde (Fall 3, 6). Um ein sprachliches oder strukturelles Muster, das im Kindertext sowie im Bilderbuch in identischer oder variierter Form vorkommt, näher zu beschreiben, wird im ersten Schritt das entsprechende Raster (Fall 1 bis 8) ausgewählt. Das weitere Vorgehen wird am Beispiel des Rasters zu Fall 1 vorgestellt. Das Verfahren erfolgt in drei aufeinander folgenden Schritten. Jedes Analyseraster weist eine Zweiteilung auf. So wird im ersten Schritt kontrolliert, ob es sich beim zu beschreibenden Ausdruck um eine feste Wortverbindung (Kategorie 1 und 2b) handelt oder um ein „bucheigenes“ sprachliches Muster (Kategorie 2b). Beim zweiten Schritt wird der Blick auf die poetische Qualität des zu beschreibenden Ausdrucks gerichtet. Es wird der Frage nachgegangen, ob es sich um ein rhetorisches Mittel (z. B. stetig steigen (Alliteration)) oder um kein rhetorisches Mittel handelt. Im dritten Schritt wird der Kontext betrachtet, 248 2 Methodische und methodologische Überlegungen 139 Vgl. Kruse/ Kruse 2007 sowie Kapitel I.5.2 zum Zusammenhang zwischen dem Einbinden von Mustern in einen neuen textuellen Zusammenhang und der Entwicklung von Textkompetenz. in dem der zu beschreibende Ausdruck im Kindertext und im Bilderbuchtext auftritt. So kann ein Ausdruck im gleichen Kontext wie im Bilderbuch auftreten, aber auch in einem neuen Kontext. Die Analyse struktureller Muster wird mit Hilfe des Analyserasters zu Fall 7 erläutert. Auch die Analyseraster für strukturelle Muster weisen anlog zu den Analyserastern für sprachliche Muster eine Zweiteilung auf. In einem ersten Schritt wird die Struktur entweder als Phraseoschablone (Kategorie 1 und 2b) oder aber als eine weitere syntaktische Struktur, die im Bilderbuchtext vor‐ kommt, identifiziert (Kategorie 2b). In einem zweiten Schritt wird analysiert, ob die zu beschreibende Struktur als rhetorisches Mittel bezeichnet werden kann. Die Phraseoschablone X ist X beispielsweise kann gleichzeitig als Tautologie bezeichnet werden. In einem dritten Schritt wird erneut die Frage nach dem Kontext geklärt. Bei der Analyse von (möglichen) Variationen sprachlicher Muster oder Struk‐ turen aus dem Bilderbuchtext wird ähnlich vorgegangen. Das Vorgehen un‐ terscheidet sich lediglich im dritten Schritt. Hier wird nicht nur bestimmt, ob das Muster bzw. die Struktur im gleichen Kontext wie im Bilderbuchtext oder aber in einem neuen Kontext verwendet wird, sondern zusätzlich der Variationstyp bestimmt. Die Ausdifferenzierung der Variationstypen lehnt sich an die Modifikationen von Phraseologismen von Janich an (vgl. Janich 2010, S. 206f.; Kapitel I.5.1.2). Es wird in Anlehnung an Janich zwischen den Variationstypen Ersetzen (E), Hinzufügen (H) und Weglassen (W) unterschieden. Der Variationstyp geänderte Reihenfolge von Elementen (R) wurde hinzugefügt. Nach der Beschreibung der sprachlichen Struktur oder des sprachlichen Musters mit Hilfe von einem der Analyseraster folgt ein vierter Schritt. Es wird analysiert, ob das verwendete Muster in eine neue syntaktische Struktur eingebunden wurde. 139 2.3 Auswertungsverfahren 249 Fall 1: Sprachliches Muster (unflektierbare Ausdrücke) bzw. wörtliche Übernahme (unflektierbare Ausdrücke) Kategorie Fall 1: Sprachliches Muster (unflektierbare Ausdrücke) Spezifizie‐ rung Phraseologismen* (feste Wortver‐ bindungen: Idiome und Kollokationen) (Nominal- und Verbalphraseme) *) Burger 2010 weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt - neu - alt neu alt - neu alt neu Tabelle 8: Fall 1: Sprachliches Muster (unflektierbare Ausdrücke) 250 2 Methodische und methodologische Überlegungen Fall 2: Sprachliches Muster (flektierbare Ausdrücke - identische Form) bzw. wörtliche Übernahme (flektierbare Ausdrücke - flektierte Form übernommen) Kategorie Fall 2: Sprachliches Muster (flektierbare Ausdrücke - identische Form) Spezifizie‐ rung Phraseologismen* (feste Wortver‐ bindungen: Idiome und Kollokationen) (Nominal- und Verbalphraseme) *) Burger 2010 weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel sich die Zähne putzen, einen Betrieb über‐ nehmen, sche‐ matische Dar‐ stellung (Burger 2015) rhetorisches Mittel Metapher (den Nagel auf den Kopf treffen) Alliteration (stetig steigen) (Burger 2015) kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt - neu - alt neu alt - neu alt neu Tabelle 9: Fall 2: Sprachliches Muster (flektierbare Ausdrücke - identische Form) 2.3 Auswertungsverfahren 251 Fall 3: Sprachliches Muster (flektierbare Ausdrücke - neue flektierte Form) bzw. wörtliche Übernahme (flektierbare Ausdrücke - neue flektierte Form) Kategorie Fall 3: Sprachliches Muster (flektierbare Ausdrücke - neue flektierte Form) Spezifizie‐ rung Phraseologismen* (feste Wortver‐ bindungen: Idiome und Kollokationen) (Nominal- und Verbalphraseme) *) Burger 2010 weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel sich die Zähne putzen, einen Betrieb über‐ nehmen, sche‐ matische Dar‐ stellung (Burger 2015) rhetorisches Mittel Metapher (den Nagel auf den Kopf treffen) Alliteration (stetig steigen) (Burger 2015) kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt - neu - alt neu alt - neu alt neu Tabelle 10: Fall 3: Sprachliches Muster (flektierbare Ausdrücke - neue flektierte Form) 252 2 Methodische und methodologische Überlegungen Fall 4: Variation eines sprachlichen Musters (unflektierbare Ausdrücke) bzw. Variation einer wörtlichen Übernahme (unflektierbare Ausdrücke) Kategorie Fall 4: Variation eines sprachlichen Musters (unflektierbare Ausdrücke) Spezifizie‐ rung Phraseologismen weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt neu alt neu alt neu alt - neu „Variationstyp“ Ersetzen (E), Hinzufügen (H), Weg‐ lassen (W), geänderte Reihenfolge (R) von Ele‐ menten (Ter‐ minologie von Janich 2010 erwei‐ tert) - - - - - - - - Tabelle 11: Fall 4: Variation eines sprachlichen Musters (unflektierbare Ausdrücke) 2.3 Auswertungsverfahren 253 Fall 5: Variation eines sprachlichen Musters (flektierbare Ausdrücke - identische Form) bzw. Variation einer wörtlichen Übernahme (flektierbare Ausdrücke - flektierte Form übernommen) Kategorie Fall 5: Variation eines sprachlichen Musters (flektierbare Aus‐ drücke - identische Form) Spezifizie‐ rung Phraseologismen weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt neu alt neu alt neu alt - neu „Variationstyp“ Ersetzen (E), Hinzufügen (H), Weg‐ lassen (W), geänderte Reihenfolge (R) von Ele‐ menten (Ter‐ minologie von Janich 2010 erwei‐ tert) - - - - - - - - Tabelle 12: Fall 5: Variation eines sprachlichen Musters (flektierbare Ausdrücke - iden‐ tische Form) 254 2 Methodische und methodologische Überlegungen Fall 6: Variation eines sprachlichen Musters (flektierbare Ausdrücke - neue flektierte Form) bzw. Variation einer wörtlichen Übernahme (flektierbare Ausdrücke - neue flektierte Form) Kategorie Fall 6: Variation eines sprachlichen Musters (flektierbare Aus‐ drücke - neue flektierte Form) Spezifizie‐ rung Phraseologismen weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt neu alt neu alt neu alt - neu „Variationstyp“ Ersetzen (E), Hinzufügen (H), Weg‐ lassen (W), geänderte Reihenfolge (R) von Ele‐ menten (Ter‐ minologie von Janich 2010 erwei‐ tert) - - - - - - - - Tabelle 13: all 6: Variation eines sprachlichen Musters (flektierbare Ausdrücke - neue flektierte Form) 2.3 Auswertungsverfahren 255 140 Christensen zitiert den Satz „Ein Freund ist ein Freund“ aus dem Bilderbuch Leuchte, Turm leuchte (2005) von Martin Baltscheit (vgl. Christensen 2011, S.-55). Fall 7: Strukturelles Muster Kategorie Fall 7: Strukturelles Muster (Struktur/ Konstruktionsprinzip identisch, mit anderen Inhalten ge‐ füllt) Spezifizie‐ rung Phraseoschablonen - weitere syntaktische Konstruk‐ tionen/ Textstrukturen aus dem Bilderbuch („Als …, …“, „Gerade + Verb …“, „um zu + Verb“) Poetik kein rhetori‐ sches Mittel („Es ist zum X“ (Donalies 2009, S. 101) → „Es ist zum Heulen“ (ebd.) rhetorisches Mittel Tautologie („X ist X“ → „Ein Freund ist ein Freund.“ (Balt‐ scheit 2005, zit. n. Christensen 2011, S.-55 140 )) kein rhetori‐ sches Mittel - rhetorisches Mittel Chiasmus, Wiederholung Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt neu alt neu alt - neu - alt neu Tabelle 14: Fall 7: Strukturelles Muster 256 2 Methodische und methodologische Überlegungen Fall 8: Variation eines strukturellen Musters Kategorie Fall 8: Variation eines strukturellen Musters (Struktur/ Konstruktionsprinzip identisch, mit anderen Inhalten ge‐ füllt) Spezifizie‐ rung Phraseoschablonen - weitere syntaktische Konstruk‐ tionen/ Textstrukturen aus dem Bilderbuch („Als …, …“, „Gerade + Verb …“, „um zu + Verb“) Poetik kein rhetori‐ sches Mittel („Es ist zum X“ (Donalies 2009, S. 101) → „Es ist zum Heulen“ (ebd.) rhetorisches Mittel Tautologie („X ist X“ → „Ein Freund ist ein Freund.“ (Balt‐ scheit 2005, zit. n. Christensen 2011, S.-55)) kein rhetori‐ sches Mittel - rhetorisches Mittel Chiasmus, Wiederholung Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt neu alt neu alt - neu - alt neu „Variationstyp“ Ersetzen (E), Hinzufügen (H), Weg‐ lassen (W), geänderte Reihenfolge (R) von Ele‐ menten (Ter‐ minologie von Janich 2010 erwei‐ tert) - - - - - - - - Tabelle 15: Fall 8: Variation eines strukturellen Musters 2.3 Auswertungsverfahren 257 Die Vier-Felder-Tafel zu unspezifischen Verben in Begleitsätzen Verben, die in Begleitsätzen enthalten sind, lassen sich in zwei Gruppen einteilen: Im Rahmen der vorliegenden Studie wird unterschieden zwischen unspezifischen Verben für Redebegleitsätze (sagen und fragen sowie denken und sich fragen) und spezifischen bzw. präzisen Verben, die weitere Informationen über die Art, wie eine Äußerung gemacht wird, liefern. So vermittelt das Verb flüstern beispielsweise nicht nur, dass etwas geäußert wird wie das Verb sagen, sondern enthält zusätzlich eine Information zur Lautstärke des Geäußerten. Solche Verben werden im Rahmen dieser Studie als präzise/ spezifische Verben bezeichnet. Mit Hilfe der vier unspezifischen Verben sich fragen, fragen, denken und sagen lassen sich alle möglichen Fälle der Kommunikation bei direkter Rede abdecken. Beim vorliegenden Instrument werden zwei Faktoren unterschieden - Aussagetyp und Adressat. Beim Aussagetyp ist wiederum zwischen einer Aussage (denken, sagen) und einer Frage (sich fragen, denken) zu unterscheiden. Des Weiteren wird unterschieden, wer der Adressat der Frage oder der Aussage ist - die sprechende Person selbst (sich fragen, denken) oder ein Gegenüber (fragen, sagen) (vgl. Tabelle 16). -Adressat Aussagetyp Frage Aussage Selbst sich fragen denken Gegenüber fragen sagen Tabelle 16: Vier-Felder-Tafel zu unspezifischen Verben in Begleitsätzen Den vier Oberkategorien, die mit den unspezifischen Verben sich fragen, fragen, denken und sagen abgedeckt werden, lassen sich die in den Kindertexten und zugehörigen Bilderbüchern enthaltenen präzisen bzw. spezifischen Verben zuordnen (vgl. Tabelle 16). Die genannten Verben bestimmen jeweils das unspe‐ zifische Verb näher, indem sie das unspezifische Verb um eine Zusatzinformation ergänzen. Das unspezifische Verb denken lässt sich mit dem Verb überlegen gleichsetzen, da es sich bei den beiden Verben um Synonyme handelt. 258 2 Methodische und methodologische Überlegungen 141 Die Formulierung wurde in Anlehnung an die Formulierung „lexikalische und syntak‐ tische Mittel“ (Baurmann/ Pohl 2009, S. 96) aus dem Schreibkompetenzmodell von Baurmann und Pohl gewählt. Adressat Aussagetyp Frage Aussage Selbst sich fragen denken/ überlegen (sich wundern) Gegenüber fragen sagen (lachen, schimpfen, rufen, seufzen, be‐ teuern, schreien, antworten, begrüßen, flüstern, zischen, fauchen, stottern, singen, brüllen, kichern, schnauzen, je‐ manden anfeuern, jemanden warnen, grinsen, erwidern, staunen) Tabelle 17: Vier-Felder-Tafel zu unspezifischen und spezifischen Verben in Begleitsätzen aus den sieben Textproduktionen der Kinder und den zugehörigen Bilderbüchern Dieses Analyseinstrument dient einer genauen Beschreibung der in Kinder‐ texten (und weiteren Texten) verwendeten Verben in Begleitsätzen zur direkten Rede. Dabei lässt sich dieses Instrument beim Vergleich von inhaltlich äquiva‐ lenten Textpassagen in der Textproduktion des Kindes und dem zuvor vorgele‐ senen Bilderbuch einsetzen. Dieses Instrument wird dabei auch in Kombination mit dem Einsatz von Mimik und Gestik genutzt, um zu untersuchen, ob der Gebrauch eines unspezifischen Verbs in einem Begleitsatz im Fall, dass im Bilderbuch im gleichen Zusammenhang ein präzises Verb enthalten ist, vom Kind durch Mimik und Gestik begleitet wird. - Instrument zur Beschreibung von Leserorientierung Die Beschreibung der Leserorientierung in der vorliegenden Studie orientiert sich an folgenden Kategorien, die sich in drei Gruppen einteilen lassen. Die erste Gruppe bezieht sich dabei auf verbale Mittel, die im Textprodukt (Transkript) abgelesen werden können. Damit sind lexikalische bzw. syntaktische Mittel 141 gemeint: Dazu gehören Akzentuierungen von Inhalten durch den Gebrauch rhe‐ torischer Mittel (Wiederholung, Anapher) und Verstärkungen von Bedeutungen durch den Gebrauch der Intensitätspartikel „so“ und „ganz“ und des Adjektivs „ganz“. Die zweite Gruppe bezieht sich auf verbale Mittel, die durch Intonation zum Ausdruck gebracht werden. Hierzu gehören Akzentuierungen von Inhalten 2.3 Auswertungsverfahren 259 durch Hervorhebung einzelner Wörter oder Wortgruppen (in Figuren- oder Er‐ zählerrede). Zudem ist die Variation von Tonlage, Lautstärke und Lesetempo zu nennen (vgl. dazu Kruse 2010). Als weiteren Punkt ist die Wahl unterschiedlicher „Figurenstimmen“ (Isler et al. 2018, S.-9) aufzuführen. Die dritte Gruppe bezieht sich auf die nonverbalen Mittel Mimik und Gestik. Als Kategorien lassen sich hier Blickkontakt zur Zuhörerin oder zum Zuhörer wäh‐ rend des „Vorlesens“ nennen, das Zeigen auf Bilder oder Text im Bilderbuch zur Blickführung der Zuhörerin oder des Zuhörers (Zeigegesten) und begleitende Mimik beim „Vorlesen“. - Veränderte, neue und ausgelassene Inhalte Die Begriffe neue, veränderte und ausgelassene Inhalte beziehen sich dabei auf den Text des Bilderbuches und nehmen diesen als Bezugspunkt. So werden unter neuen Inhalten solche Inhalte verstanden, die im zugehörigen Kindertext enthalten sind, im Bilderbuchtext jedoch nicht. Neue Inhalte können somit entweder im Bild dargestellt sein oder im Bilderbuch gar nicht enthalten sein. Unter veränderten Inhalten werden im Rahmen der vorliegenden Studie dementsprechend Inhalte verstanden, die im Kindertext enthalten sind und vom Inhalt des Bilderbuchtextes abweichen. Um als veränderter Inhalt bezeichnet zu werden, muss eine Ähnlichkeit zu einem Inhalt des Bilderbuchtextes erkennbar sein. Unter ausgelassenen Inhalten werden Inhalte verstanden, die im Bilder‐ buchtext vorhanden sind, im Kindertext jedoch nicht. Auch diese Inhalte können zudem im Bild dargestellt sein oder allein über die Textebene des Bilderbuches vermittelt werden. Bei der Betrachtung neuer Inhalte in der Textproduktion des Kindes im Ver‐ gleich zum vorgelesenen Bilderbuchtext kristallisierten sich drei Fragen heraus. Erstens ist die Frage nach der Wahl der sprachlichen Mittel zur Darstellung der neuen Inhalte zu nennen. Die zweite Frage bezieht sich auf die Funktion neuer Inhalte für den Text, während die dritte Frage nach möglichen Auslösern für den Einbau neuer Inhalte in die Geschichte fragt. Bei der Beantwortung der dritten Frage findet eine Fokussierung auf den möglichen Einfluss der Bilder des Bilderbuches statt. Angemerkt werden muss an dieser Stelle, dass die Übergänge zwischen Antworten auf die zweite und die dritte Frage fließend sind. Zur näheren Beschreibung neuer, veränderter und ausgelassener Inhalte in Textpro‐ duktionen von Kindern im Vergleich zum Bilderbuchtext wurden die folgenden drei Analyseinstrumente entwickelt. Dabei dient das erste Analyseinstrument dazu, Funktionen, die neue Inhalte in den Textproduktionen der Kinder haben, zu beschreiben. 260 2 Methodische und methodologische Überlegungen Instrument zur Beschreibung von Funktionen neuer Inhalte 1. Versprachlichung von nur im Bild dargestellten Inhalten a. Ergänzen einer Handlung, die auf einer Doppelseite ausschließlich durch ein Bild erzählt wird b. Ergänzen von im Bilderbuchtext nicht erzählter Handlungen innerhalb eines Bildes c. Spezifizierung 2. Schließen inhaltlicher Leerstellen im Bilderbuchtext 3. Erweitern von direkter Rede zu einem Dialog 4. Direkte Rede zur Darstellung von Emotionen 5. Übergänge zwischen Bildern bzw. Doppelseiten schaffen 6. Realisierung eines Baumusters Mit dem zweiten Analyseinstrument lassen sich veränderte Inhalte klassifi‐ zieren, indem sie näher beschrieben werden. Mit Hilfe des Instrumentes können zum einen Bezüge zwischen der bildlichen Darstellung im Bilderbuch und den veränderten Inhalten (im Vergleich zum Bilderbuchtext) im Kindertext heraus‐ arbeitet werden. Auf diese Weise wird der mögliche Einfluss von bildlichen Darstellungen auf die Textproduktion des Kindes untersucht. Zum anderen ent‐ hält das Instrument weitere Unterkategorien, die zur Beschreibung veränderter Inhalte herangezogen werden können. Instrument zur Beschreibung veränderter Inhalte 1. Der Einfluss der bildlichen Darstellung auf die Textproduktion a. Diskrepanz zwischen Text und Bild b. Bildinterpretation und Weltwissen 2. Weitere Beobachtungen zu veränderten Inhalten a. Abweichende Interpretation von Inhalten des Bilderbuchtextes b. Allgemeiner statt spezifischer c. Leerstellen, die sich mit Hilfe der Abbildung schließen d. Veränderte Inhalte - identische Funktion e. Weitere veränderte Inhalte Im Zusammenhang mit der Analyse neuer und veränderter Inhalte wird im Rahmen der vorliegenden Studie die Wahl der sprachlichen Mittel durch das Kind (mit Blick auf seine komplette Textproduktion und die Sprache des Bilderbuchtextes) analysiert. Diese Stellen haben eine besondere Bedeutung für die Analyse der kindlichen Textproduktionen mit Blick auf Musterhaftigkeit und den Gebrauch von Elementen konzeptioneller Schriftlichkeit, da hier eine 2.3 Auswertungsverfahren 261 sprachliche Form für Inhalte gesucht werden muss, für die im Bilderbuch nicht unbedingt im gleichen Kontext Formulierungen angeboten werden. Das dritte Analyseinstrument bezieht sich auf ausgelassene Inhalte im Vergleich zum Bilderbuchtext. Dabei lassen sich zwei Fälle unterscheiden: Zum einen können Inhalte weggelassen werden, die nicht relevant für das Verständnis der Handlung der erzählten Geschichte sind. Dabei werden Unterkategorien gebildet, um die ausgelassenen Inhalte in ihrer Funktion oder Beschaffenheit näher zu beschreiben. Es kann sich zum anderen aber auch um Inhalte handeln, deren Auslassen dazu führt, dass Leerstellen entstehen. Das Raster versucht hier, Unterkategorien bereitzustellen, um beispielsweise aufzuzeigen, welche sprachliche Form (hier: direkte Rede) solche Inhalte haben können oder wie solche Leerstellen in Verbindung mit den für das Medium Bilderbuch zentralen Text-Bild-Interdependenzen stehen. Instrument zur Beschreibung ausgelassener inhaltlicher Elemente 1. Weglassen von für das Verständnis der Handlung der Geschichte irrelevanten Inhalten a. Auslassen von Beschreibungen von Handlungsorten und Figuren b. Komprimierung des Inhalts: Zusammenfassen von Handlungsschritten c. Komprimierung des Inhalts: Auslassen von Details d. Wahl eines exemplarischen Elements aus mehreren äquivalenten e. Auslassen kompletter Inhalte f. Auslassen von Inhalten, die im Bilderbuchtext in Form von direkter Rede vorliegen 2. Herstellen von Leerstellen a. Auslassen von für das Verständnis der Geschichte relevanter direkter Rede b. Auslassen von für das Verständnis der Geschichte relevanter Erzählerrede c. Leerstellen, die sich mit Hilfe der Abbildung schließen - Bild und Text erzählen die Geschichte gemeinsam d. Geschichte an einer anderen Stelle beginnen Das folgende Kapitel dient der stilisierten Darstellung des Forschungsprozesses, bei der das Vorgehen bei der Entwicklung der Kategorien und der Analysein‐ strumente beschrieben wird. Auf einige zentrale Momente bei der Kategorien‐ entwicklung und der Entwicklung der Analyseinstrumente wird mit Bezug auf konkrete Pretend-Reading-Situationen eingegangen. 262 2 Methodische und methodologische Überlegungen 2.3.2 Vorgehen bei der Datenauswertung und Entwicklung der Kategorien und Analyseinstrumente Vor der Datenerhebung fand eine theoretische Auseinandersetzung mit dem Musterbegriff und seinen Konzeptionen sowie mit dem Erwerb und Gebrauch von Mustern bei der kindlichen Textproduktion statt. So wurden verschiedene Konzeptionen und Vorstellungen, die hinter dem Begriff Muster stehen, einander gegenübergestellt. Die in Kapitel I.5.6 erläuterte graphische Darstellung zum Musterbegriff wurde in diesem Zusammenhang entwickelt. Dieses Wissen über Musterhaftigkeit prägte somit den Blick der Forscherin auf das zu erhebende Datenmaterial. Bei der Sichtung von erstem, im Rahmen einer Pilotstudie erhobenem Material zum Pretend Reading arbeitete die Forscherin Auffälligkeiten der einzelnen kindlichen Textproduktionen heraus. Zudem wählte sie eine tabellarische Dar‐ stellung, um die jeweilige Textproduktion des Kindes (linke Spalte) dem Text des Bilderbuches (rechte Spalte), zu dem die Textproduktion entstanden war, gegen‐ überzustellen und zu vergleichen. Auf diese Weise konnten erste Kategorien auf Grundlage von theoretischem Hintergrundwissen der Forscherin am Material gebildet werden. Die dargestellte Vorgehensweise bildet den Grundstein für den weiteren Umgang mit den erhobenen Daten aus den Durchgängen A bis D. Die erhobenen Daten aus Durchgang A wurden im Hinblick auf die bereits bestehenden Kategorien aus der Pilotstudie betrachtet. Weitere Kategorien ergaben sich aus der Beschäftigung mit dem Material und bezogen sich z. B. auf die besondere sprachliche Gestaltung von Bilderbüchern und Kindertexten. Exemplarisch sei auf den Gebrauch von Adjektiven hingewiesen. Zur Beschäf‐ tigung mit den einzelnen Textproduktionen aus den Durchgängen A und B nutzte die Forscherin i. d. R. weiterhin die tabellarische Darstellung: Zum einen betrachtete die Forscherin die kindliche Textproduktion (linke Spalte) und notierte dazu Auffälligkeiten (rechte Seite). Zum anderen stellte sie Kindertext (linke Spalte) und Bilderbuchtext (mittlere Spalte) jeweils seitenweise gegenüber und notierte in der rechten Spalte stichpunktartig die „Analyse“. Zudem wurden auch Auffälligkeiten (farblich) markiert. Dabei beschäftigte sie sich mit meh‐ reren Pretend-Reading-Situationen. Ausgewählte Pretend-Reading-Situationen wurden detaillierter analysiert. Ein besonderes Augenmerk bei der Datenanalyse lag auf dem Gebrauch von Musterhaftigkeit bei der Textproduktion (mit Blick auf den Bilderbuchtext). Dabei konnte an verschiedenen Textproduktionen beobachtet werden, dass Kinder einzelne sprachliche Muster innerhalb ihrer Textproduktion mehrfach 2.3 Auswertungsverfahren 263 verwenden. Bei der Betrachtung zahlreicher Kindertexte und zugehöriger Bilderbuchtexte, die die Forscherin seitenweise nebeneinanderstellte und im Hinblick auf Musterhaftigkeit analysierte, entwickelte sich ein Dreischritt, der ihr Vorgehen prägte: 1. Ist das im Kindertext identifizierte Muster in der entsprechenden Passage des Bilderbuches vorhanden? 2. Falls ja, kommt es in Variation vor? 3. Wird das Muster in einem anderen Kontext im Bilderbuch verwendet? In einem deduktiv-induktiven Verfahren wurde ein Analyseraster zur Beschrei‐ bung von Musterhaftigkeit in Kindertexten mit Blick auf den Bilderbuchtext entwickelt. - Zur Kategorienbildung: Entwicklung eines Analyserasters zur Beschreibung von Musterhaftigkeit im Kindertext mit Blick auf den Bilderbuchtext Anhand von Beobachtungen am Datenmaterial aus Durchgang A und auf der Grundlage ihres Hintergrundwissens entwickelte die Forscherin zunächst den Prototyp eines Rasters zur Beschreibung von Musterhaftigkeit mit Blick auf den Vorlesetext. Bei diesem wurde bei der Beschreibung von Übernahmen von Mustern aus dem Bilderbuch zwischen drei Fällen unterschieden: Wörtliche Übernahmen, Variationen wörtlicher Übernahmen und strukturelle Übernahmen (vgl. Tabellen 18 bis 20). 264 2 Methodische und methodologische Überlegungen Analyseraster: Die Übernahme von Mustern (Bilderbuch - Kindertext) - Kategorisierung - 3 Fälle Kategorie 1. Wörtliche Übernahme Spezifizie‐ rung Phraseologismen* (feste Wortver‐ bindungen: Idiome und Kollokationen) *) Burger 2010 weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel -sich die Zähne putzen - rhetorisches Mittel -Metapher (den Nagel auf den Kopf treffen), Alliteration (fix und fertig) kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt - Neu - alt neu Alt - neu alt neu Tabelle 18: Wörtliche Übernahme Kategorie 2. Variation einer wörtlichen Übernahme Spezifizie‐ rung Phraseologismen weitere sprachliche Versatzstücke aus dem Bilderbuch Poetik kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel kein rhetori‐ sches Mittel rhetorisches Mittel Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt neu alt neu alt neu alt - neu Tabelle 19: Variation einer wörtlichen Übernahme 2.3 Auswertungsverfahren 265 Kategorie 3. Strukturelle Übernahme (Struktur/ Konstruktionsprinzip übernommen, mit anderen Inhalten gefüllt) Spezifizie‐ rung Phraseoschablonen - weitere syntaktische Konstruk‐ tionen/ Textstrukturen aus dem Bilderbuch („Als …, …“, „Gerade + Verb …“, „um zu + Verb“ Poetik kein rhetori‐ sches Mittel […] rhetorisches Mittel Tautologie („X ist X“ → „Ein Freund ist ein Freund.“) kein rhetori‐ sches Mittel - rhetorisches Mittel Chiasmus, Wiederholung Kontext (Ge‐ brauch im gleichen Kontext (alt) oder im neuen Zu‐ sammenhang (neu)) alt neu alt neu alt - neu - alt neu Tabelle 20: Strukturelle Übernahme Während einer umfangreicheren Analyse des Mustergebrauchs in der Textpro‐ duktion eines Kindes zum Bilderbuch Die kleine Raupe Nimmersatt 1 (Durchgang B) anhand des beschriebenen Rasters sah die Forscherin die Notwendigkeit, das vorliegende Raster um weitere fünf Fälle (auf insgesamt acht Fälle) zu erweitern. Diese Modifikationen des Rasters fanden zum Teil unter Rückgriff auf Literatur zu den Bereichen Phraseologie und Werbesprache statt und werden im Folgenden benannt. Zur näheren Beschreibung der vom Kind vorgenommenen Variationen sprach‐ licher Muster wurde auf die von Janich (2010) verwendete Terminologie zur Be‐ zeichnung von Modifikationen von Phraseologismen zurückgegriffen. So wurde zwischen dem „Variationstyp“ Ersetzen (E), Hinzufügen (H) und Weglassen (W) unterschieden, die auf Elemente (ein Wort oder mehrere Wörter) bezogen sind. Am nachstehenden Beispiel wurde zudem deutlich, dass nicht nur sprachliche Muster, sondern auch strukturelle Muster aus dem Bilderbuch variiert werden (können). So kann das vom Kind gebrauchte strukturelle Muster „Sie fraß sich am [Wochentag] durch [Anzahl + Lebensmittel]“ als eine Variation des strukturellen Musters „Am [Wochentag] fraß sie sich durch [Anzahl + Lebens‐ mittel]“ bezeichnet werden. Diese Beobachtung führte dazu, dass das Raster um 266 2 Methodische und methodologische Überlegungen den Fall Variation einer strukturellen Übernahme erweitert wurde. Um alle am Material erkennbaren Variationstypen mit Hilfe der Terminologie beschreiben zu können, fand zudem eine Erweiterung von Janichs Kategorisierung um den Modifikationstyp „Geänderte Reihenfolge (R)“ statt. Dieser Modifikationstyp bezeichnet die Variation im genannten Beispiel, da die beiden strukturellen Muster eine unterschiedliche Reihenfolge von Elementen aufweisen. Zudem wurde eine weitere Unterscheidung zwischen sprachlichen Mustern, deren Einbinden in die Textstruktur einer Anpassung bedarf, und solchen Mustern, die vom Kind nicht verändert werden müssen, getroffen. Wie Burger (2015) im Zusammenhang mit Kollokationen von verbalen Phrasemen spricht, die flektierbar sind (vgl. Burger 2015, S. 38ff.), wurde die Unterscheidung flektierbar vs. nicht flektierbar in Bezug auf wörtliche Übernahmen ins Raster integriert. Bei den flektierbaren Ausdrücken wurden wiederum die beiden Fälle unterschieden, ob die flektierte Form aus dem Bilderbuch übernommen wurde oder ob eine neue flektierte Form gebildet wurde. Im Hinblick auf Variationen wörtlicher Übernahmen wurde die gleiche Ausdifferenzierung vorgenommen. Eine weitere Modifikation am Raster wurde während des Verfassens der ersten schriftlichen Textanalyse zu einer anderen Textproduktion zum Bilderbuch Die Raupe Nimmersatt (siehe unten) vorgenommen. Da grundsätzlich nicht mit hundertprozentiger Sicherheit behauptet werden kann, dass es sich bei einem Muster, das sowohl im Kindertext als auch im Bilderbuchtext verwendet wird, um eine Übernahme dieses Musters (vgl. Tabelle 18 bis 20) aus dem Bilderbuch handelt, weil dieses Muster dem Kind möglicherweise aus einem anderen Kontext bekannt ist, wurde eine Änderung der Bezeichnung für die einzelnen Fälle des Rasters vorgenommen. Während mit Hilfe des Analyserasters zunächst die Übernahme von Mustern aus dem Bilderbuch beschrieben wurde, dient es nun dazu, im Kindertext vorkommende sprachliche und strukturelle Muster im Kindertext mit Blick auf sprachliche und strukturelle Muster des vorgelesenen Bilderbuches zu beschreiben. - Zur Kategorienbildung: Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit Im erhobenen Datenmaterial aus der Pilotstudie sowie im Datenmaterial aus Durchgang A identifizierte die Forscherin Elemente konzeptioneller Schriftlich‐ keit auf der Grundlage ihres bisherigen theoretischen Wissens über konzep‐ tionelle Schriftlichkeit (u. a. Koch/ Oesterreicher 1985, 1994), aber auch auf der Grundlage ihres bisherigen Wissens zur Identifikation von Merkmalen konzeptioneller Schriftlichkeit in Kindertexten (z. B. Merklinger 2012). Als Ori‐ entierung diente ihr zudem die exemplarische Analyse einer Textproduktion 2.3 Auswertungsverfahren 267 142 An dieser Stelle danke ich den Studierenden der Seminare Bilderbücher im Deutschunterricht der Grundschule (WS 2018/ 19), Textkompetenz im Vorschulalter und am Schulanfang (WS 2018/ 19) und Schreibunterricht in der Grundschule (WS 2018/ 19) für ihre Bereitschaft, an einer Datensitzung teilzunehmen. einer Erstklässlerin durch Last, Merklinger, Wittmer (2017). Die Autorinnen und Autoren untersuchten diesen Kindertext, der im Rahmen einer Pretend-Reading-Situation entstanden war, auf Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit und bezogen sich dabei auf die Syntax, das Tempus und die Lexik (vgl. ebd., S. 19; I.4.2, Pretend Reading in der Grundschule). Im Datenmaterial ließen sich ebenfalls Elemente konzeptioneller Schriftlich‐ keit in Bezug auf Lexik, Syntax und Tempus identifizieren. Als theoretische Grundlage zur Identifikation und Beschreibung von Elementen konzeptioneller Schriftlichkeit dient das Nähe-Distanz-Modell nach Koch und Oesterreicher (1994). - Datensitzungen I-IV In den Forschungsprozess waren auch Datensitzungen zu einzelnen Pretend-Rea‐ ding-Situationen integriert. Im WS 2018/ 19 wurden mehrere Datensitzungen mit verschiedenen deutschdidaktischen Seminaren  142 zu einer Pretend-Reading-Situation zur Bilderbuchgeschichte Anton übernachtet bei Tim (Durchgang B) mit einem mehrsprachigen Kind durchgeführt. Diese fanden nach der Schulung zum Pretend Reading statt. Dazu wurde den Studierenden zunächst die Bilderbuchgeschichte vorgelesen. Anschließend wurde die Audio-Datei der Pretend-Reading-Situation vorgespielt, während die Studierenden im Transkript mitlasen. Dieses wurde - nach Doppelseiten geordnet - jeweils mit dem entsprechenden Bilderbuchtext auf einer Powerpointpräsentation gezeigt. In diesen Datensitzungen schilderten Studierende ihre Beobachtungen zur Textproduktion des Kindes und arbeiteten Bezüge zum Vorlesetext heraus. Einige Beobachtungen bezogen sich dabei auf die Rolle des Bildes bei der Textproduktion, zumal das Kind auch Aspekte thematisierte, die lediglich im Bild dargestellt waren. Eine weitere zentrale Beobachtung zur Textproduktion des Kindes bestand in der Hinzufügung eines neuen inhaltlichen Elements durch das Kind (vgl. II. 3.2.3). Dieses Element war im Bilderbuchtext nicht enthalten. Im Rahmen einer Dissertationsrunde unter der Leitung von Norbert Kruse an der Universität Kassel fand eine weitere Datensitzung zu einer ausgewählten Pretend-Reading-Situation statt. Diese Pretend-Reading-Situation wurde zur detaillierten Auswertung im Rahmen der vorliegenden Studie ausgewählt (vgl. II.3.1.6, Textanalyse VI: Apfelsaft holen von Jan) statt. Hierbei wurden in Anleh‐ nung an die Videointeraktionsanalyse (vgl. Tuma/ Schnettler/ Knoblauch 2013, 268 2 Methodische und methodologische Überlegungen Kapitel 6) Interaktionen in den Blick genommen. Dies hatte den Grund, dass eine weitere Idee zur Datenauswertung - neben der Analyse der Textproduktionen - darin bestand, zusätzlich Interaktionen zu analysieren. Den Teilnehmenden wurden die folgenden Aufgaben an die Hand gegeben: „Wie löst das Kind das Problem, dass es zur Textproduktion herausgefordert wird? Beschreibt bitte die Interaktionen der beiden Personen. Wie wird mit dem Bilderbuch umgegangen (Materialität)? “ - Vorgehen bei den ersten (schriftlichen) Textanalyse Zu einer weiteren Textproduktion zu dem Bilderbuch Die Raupe Nimmersatt (Durchgang B) wurde eine komplette und detaillierte schriftliche Textanalyse verfasst, die als Prototyp für die Erstellung von schriftlichen Textanalysen bezeichnet werden kann. Diese wies den folgenden Aufbau auf: In einem ersten Schritt erfolgte eine detaillierte Beschreibung der Textproduktion des Kindes (mit besonderem Fokus auf Musterhaftigkeit), ohne dass Bezüge zum Vorlesetext hergestellt wurden. In einem zweiten Schritt wurde basierend auf diesen Beobachtungen der Frage nachgegangen, wie das Kind seinen Text or‐ ganisiert. In einem dritten Schritt wurden die in der Textanalyse beschriebenen Textmerkmale im Hinblick auf Ähnlichkeiten zu Formulierungen aus dem vorgelesenen Bilderbuch untersucht. Der vergleichenden Analyse lagen mit Blick auf sprachliche Muster und Strukturen folgende vier Leitfragen zugrunde: 1. Ist das sprachliche Muster, die sprachliche Struktur bzw. das Textmerkmal im gleichen Kontext auch im Bilderbuch vorhanden? Ist das Merkmal dort in der gleichen oder einer abgewandelten Form zu finden? 2. Ist das sprachliche Muster, die sprachliche Struktur bzw. das Textmerkmal in einem anderen Kontext des Bilderbuches enthalten? Ist das Merkmal dort in der gleichen oder einer abgewandelten Form zu finden? 3. Wird das Textmerkmal im Kindertext mehrfach gebraucht? 4. Wird das Textmerkmal im Text des Bilderbuches mehrfach gebraucht? Dabei kam das Analyseraster zur Beschreibung sprachlicher Muster und Struk‐ turen zum Einsatz. Neben dem Vergleich sprachlicher Mittel in Kindertext und Vorlesetext wurden auch auf inhaltlicher Ebene Unterschiede herausgearbeitet. Bei der vergleichenden Analyse wurde die Textproduktion des Kindes er‐ neut chronologisch analysiert. Am Ende des Kapitels wurden Beobachtungen beschrieben, die sich auf den Vergleich der beiden Texte als Ganzes beziehen. Im Anschluss daran wurde erneut die Frage aufgegriffen, wie das Kind seinen Text organisiert. Dabei wurde auf die Beobachtungen aus der vergleichenden Analyse Bezug genommen. 2.3 Auswertungsverfahren 269 Das beschriebene Vorgehen, das sich durch einen sehr systematischen Ver‐ gleich von kindlicher Textproduktion und Bilderbuchtext auszeichnete, stellte sich für wenig umfangreiche Textproduktionen als realisierbar heraus, aber als für Bilderbuchtexte und Textproduktionen mit einem größeren Textumfang nicht praktikabel. Bei der zu einem späteren Zeitpunkt erfolgenden Erstellung der Textanalysen I bis VII wurde auf der Grundlage dieser Erfahrungen beim Vergleich von Kindertext und Bilderbuchtext der Fokus auf die im Kindertext enthaltenen Muster gelegt, um sie mit ähnlichen oder identischen Mustern aus dem Bilderbuchtext zu vergleichen. - Zur Kategorienbildung: Kohärenz Unter I.3.1 wurde im Hinblick auf Textbegriffsvorstellungen ausgewählter Autoren herausgestellt, dass Fix und Nussbaumer die Bedeutsamkeit des Lesers herausstellen. Überdies weisen alle drei Textbegriffsvorstellungen das Merkmal der Kohärenz auf - sei es als Synonym für Textualität wie bei Nussbaumer oder als Merkmal von Textualität wie bei den anderen beiden Konzepten. Die Kate‐ gorie Kohärenz ergibt sich somit aus der theoretischen Beschäftigung mit dem Textbegriff, da Kohärenz eines der fundamentalsten Merkmale bei Definitionen von Text ist. Im Hinblick auf die Analyse der kindlichen Textproduktionen findet eine Orientierung an der Unterscheidung zwischen thematischer, gram‐ matischer und struktureller Kohärenz statt (vgl. Fix 2006). Die Beschreibung der Kohärenz in den kindlichen Textproduktionen beschränkt sich dabei auf inhaltliche und grammatische Kohärenz, da es sich bei den zu analysierenden Textprodukten ausschließlich um Narrationen handelt. Zur Beschreibung von grammatischer Kohärenz wird auf Formen von Kohäsion nach Linke et al. (2004) zurückgegriffen. - Datensitzung V Im Februar 2020 fand eine weitere Datensitzung zu der Pretend-Reading-Si‐ tuation mit Mia (vgl. Textanalyse IV: Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten von Mia; II.3.1.4) mit den Mitgliedern der Dissertationsrunde statt. Ein Ziel bestand darin, weitere Kategorien zur Datenanalyse zu finden. Dazu wurden den Teilnehmenden zu Beginn die bereits bestehenden Kategorien vorgestellt. Die Teilnehmenden hatten Transkriptausschnitte vorliegen. Diese umfassten die Aufforderung der oder des Erwachsenen „vorzulesen“ und den „vorgelesenen“ Text von Mia. Die Teilnehmenden der Datensitzung bekamen die zugehörige Videoaufnahme vorgeführt, während sie den Auftrag hatten, das „Vorlesen“ des Kindes unter folgenden zwei Fragenstellungen zu betrachten: „Wie löst Mia das Problem, dass sie zur Textproduktion herausgefordert wird? Wie organisiert 270 2 Methodische und methodologische Überlegungen sie ihren Text? “ Eine zentrale Beobachtung der Datensitzung bestand in der Hervorhebung des Einflusses der Bilder für die Textproduktion. - Vorgehen bei dem Erstellen der sieben (schriftlichen) Textanalysen Die ersten zwei erstellten schriftlichen Textanalysen (Phase I) bezogen sich auf die Textproduktionen von Ben (Textanalyse I) und Kira (Textanalyse II). Sie orientierten sich in ihrem Aufbau aneinander und dienten im weiteren Verlauf des Forschungsprozesses als Modell für Vorgehen und Aufbau der weiteren fünf Textanalysen (Textanalysen III-VII; Phase II). Als Vorbereitung für das Verfassen der schriftlichen Textanalysen wurden Auf‐ fälligkeiten am jeweiligen Kindertext herausgearbeitet und zudem eine tabella‐ rische Gegenüberstellung von Kindertext und Bilderbuchtext vorgenommen. Das Besondere einer jeden Textproduktion wurde in den einzelnen Textanalysen schriftlich dargestellt. Zudem wurden Angleichungen vorgenommen, wenn sich im Zuge der Herstellung einer Textanalyse ein weiterer zentraler Punkt herauskristallisierte. In diesen Fällen wurden bereits erstellte Textanalysen modifiziert. Während des Prozesses, in dem die abschließende vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen (vgl. II.3.2) erstellt wurde, wurden erneut Modifikationen an den bestehenden sieben schriftlichen Text‐ analysen (vgl. II.3.1) vorgenommen. Zudem erfolgte im Zuge der Erstellung des Kapitels eine systematische Überprüfung der Hypothesen, die sich während der Bearbeitung der einzelnen Textanalysen (mit dem Hintergrundwissen aus verschiedenen im Vorfeld gemachten Analysen) bereits gebildet hatten. - Zur Entwicklung des Vier-Ebenen-Modells zur Beschreibung von Musterhaftigkeit Während des Prozesses der Erstellung der schriftlichen Textanalysen I (Ben) und II (Kira) entwickelte sich das Drei-Ebenen-Modell zur Beschreibung von Musterhaftigkeit (vgl. Tabelle 21). 2.3 Auswertungsverfahren 271 143 An dieser Stelle danke ich Norbert Kruse. Musterhaftigkeit Ebene (E)/ Kategorie (K) in Bezug auf die Sprachgemein‐ schaft und narrative Texte (K1) in Bezug auf einen weiteren Text im Kindertext selbst -(K3) 3. Text (K2a) Vorlesetext (K2b) Konkret/ inhalt‐ lich (E1) Phraseologismen Mehrworteinheiten aus einem 3. Text Mehrworteinheiten aus dem Vor‐ lesetext sich wiederho‐ lende Mehrworteinheiten die Struktur be‐ treffend (E2) Phraseoschablonen struktu‐ relle Muster aus einem 3. Text strukturelle Muster aus dem Vorle‐ setext sich wiederho‐ lende sprach‐ liche Strukturen Abstrakt (E3) erzähltypische Muster erzähltypi‐ sche Muster aus einem 3. Text erzähltypi‐ sche Muster aus dem Vorlesetext sich wiederho‐ lende erzähltypische Muster Tabelle 21: Das Drei-Ebenen-Modell zur Beschreibung von Musterhaftigkeit Während der Anfertigung von Textanalyse III (Mia) ergab sich die Notwen‐ digkeit, das Raster zur Musterhaftigkeit zur Beschreibung eines weiteren Mustertyps um den Begriff des Mini-Baumusters zu ergänzen und somit um eine Ebene zu erweitern. Aus dem Drei-Ebenen-Modell zur Beschreibung von Musterhaftigkeit entwickelte sich dementsprechend ein Vier-Ebenen-Modell (vgl. dazu Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit, I.5.7). - Entwicklung eines Instruments zur Beschreibung von Leserorientierung Eine weitere Komponente, die zur Analyse herangezogen wird, ist die Le‐ serorientierung. Durch die Arbeit am Material (Durchgang B) und im Ge‐ spräch 143 kristallisierte sich die Komponente Leserorientierung als bedeutsamer Faktor bei der Analyse der kindlichen Textproduktionen heraus: in der Text‐ produktion eines Kindes zum Bilderbuch Die kleine Raupe Nimmersatt von Eric Carle. Das „vorlesende“ Kind formulierte im Rahmen einer Pretend-Reading-Situation folgende Textpassage: dann fraß sie sich durch ein wu: nderschönes grüne/ blatt. am [? ]/ am/ wieder an 272 2 Methodische und methodologische Überlegungen [? ] dem sonntag fraß sie sich durch ein wunderschönes grünes blatt. da ging es ihr schon viel besser (7. DS). Der Formulierung wunderschönes grünes blatt liegt dabei das strukturelle Muster [Adjektiv + Adjektiv + Nomen] zugrunde, während in diesem Kontext im Bilderbuch von einem „grünen Blatt“ (Carle 2007, 7. DS) die Rede ist. Im Vergleich zum strukturellen Muster [Adjektiv + Nomen] ist ersichtlich, dass es sich bei dem vom Kind gewählten Muster um ein Gestaltungsmittel handelt. Diesem Gestaltungsmittel lässt sich die Funktion zuschreiben, die Attraktivität des Blattes für die Zuhörerin oder den Zuhörer deutlich zu machen. In diesem Zusammenhang kann von Hervorhebungen bzw. Akzentuierungen mit Blick auf die Zuhörerschaft bzw. die Adressatin oder den Adressaten des Textes gesprochen werden: Die „vorlesende“ Person scheint die Adressatin oder den Adressaten im Blick zu haben, was sich wiederum als Hinweis auf implizites Textwissen deuten lässt. Wie bereits im Zusammenhang mit der Komponente Kohärenz erwähnt wird auch die Bedeutsamkeit der Komponente Leserorientierung für die Analyse von kindlichen Textproduktionen aus der theoretischen Beschäftigung mit dem Textbegriff deutlich: Fix und Nussbaumer heben beide die Bedeutsamkeit des Lesers im Zusammenhang mit ihren Textbegriffsvorstellungen heraus (vgl. I.3.1). Nach Weidacher (2007) darf es der Textproduzentin oder dem Textproduzenten nicht nur darum gehen, einen kohärenten Text zu kreieren. Zudem muss sie oder er die Adressatin oder den Adressanten im Blick haben. (Vgl. Weidacher 2007, S. 45, „Überlegungen zu Textkompetenz nach Weidacher“, I.3.3). Isler et al. (2018) schreiben in Bezug auf Facette 4: Genretypische Muster ihres Instruments zur Einschätzung mündlicher Textfähigkeiten: Zur Klärung und Aufrechterhaltung der Sprachhandlung ‚Erzählen‘ sowie zur Invol‐ vierung der Zuhörerin oder des Zuhörers können einzelne Elemente mit sprachlichen Mitteln hervorgehoben und ausgestaltet werden. Dazu gehören Verstärkungen durch Wiederholung oder Nachdruck, Elemente mit besonderen narrativen Funktionen, Inszenierungen (z. B. durch Figurenstimmen oder Lautmalereien) […] (ebd., S.-9) So wird auch bei der Analyse der kindlichen Textproduktion aus Pretend-Rea‐ ding-Situationen im Rahmen der vorliegenden Studie der Blick auf verbale und non-verbale Mittel gelegt, die darauf hindeuten, dass das Kind als „Vorleserin“ oder „Vorleser“ bzw. als Textproduzentin oder Textproduzent die Adressatin oder den Adressaten bei der Textproduktion im Blick hat. Beim Verfassen der Textanalysen I (Ben) und II (Kira) wurde Leserorientierung bereits in den Blick genommen. Es bestand jedoch noch kein ausdifferenziertes Beschreibungsinstrument (vgl. II.2.3.2) für diese Kategorie. 2.3 Auswertungsverfahren 273 144 Hinzuweisen ist an dieser Stelle auch auf alternative Bezeichnungen: So unterscheiden Juska-Bacher und Mollet (2021) im Unterrichtskontext zwischen „ungenauen Verben“ und „genauen Verben“ (vgl. Bacher/ Mollet 2021, S. 26ff.). Diese Ausführungen hatten jedoch keinen Einfluss auf die Überlegungen im Rahmen der vorliegenden Studie. 145 An dieser Stelle danke ich Konstantin Strozyk für seine Überlegungen und Gedanken‐ anstöße. Entwicklung der Vier-Felder-Tafel zu unspezifischen Verben in Begleitsätzen Während der Anfertigung der schriftlichen Textanalyse VII (Muriel) entstand die Idee, die vom Kind verwendeten Verben der Redebegleitsätze näher in den Blick zu nehmen. Dabei wurden die vom Kind verwendeten Verben intuitiv unterschieden zwischen gängigen und präzisen Verben. 144 Anschließend wurden alle weiteren Transkripte unter dieser Fragestellung betrachtet und bereits be‐ stehende Textanalysen um diesen Aspekt ergänzt. Während der Erstellung des Kapitels zur zusammenfassenden und vergleichenden Darstellung der Beobach‐ tungen wurden die Begrifflichkeiten für gängige und präzise Verben präzisiert und ausdifferenziert und die Beobachtungen schematisch dargestellt. 145 Die Bezeichnung gängige Verben wurde durch die Bezeichnung unspezifische Verben ersetzt. Sie können auch als allgemeine Verben bezeichnet werden. Die Liste der vormals gängigen Verben, die aus den drei in den Kindertexten enthaltenen Verben sagen, denken und fragen bestand, wurde um das vierte Verb sich fragen ergänzt, das zuvor nicht eigens aufgeführt wurde. Diese vier in den Kindertexten verwendeten Verben lassen sich als vier Oberkategorien bezeichnen und in eine Vier-Felder-Tafel einordnen, um damit alle Fälle der Kommunikation bei direkter Rede abzudecken. Den vier unspezifischen Verben wurden die in den Kindertexten und zugehörigen Bilderbüchern enthaltenen präzisen bzw. spezifischen Verben zugeordnet (vgl. II.2.3.2). Aus diesen theoretischen Überlegungen entwickelte sich wiederum eine neue, am Material zu prüfende Fragestellung: Dadurch, dass beim Gebrauch von prä‐ zisen Verben wie lachen und flüstern - anders als beim unspezifischen Verb sagen - durch gestaltendes Vorlesen eine Redundanz entsteht, da die Figurenrede ebenfalls lachend oder flüsternd vorgetragen wird, stellte sich die Frage, ob Kinder, die auf präzise Verben verzichten, den Inhalt mit Hilfe des gestaltenden Vorlesens transportieren. - Entwicklung von drei Instrumenten zu veränderten, neuen und ausgelassenen Inhalten Die Frage nach der Wahl der sprachlichen Mittel zur Darstellung veränderter und neuer Inhalte sowie ihren Funktionen für den Text ergab sich durch die 274 2 Methodische und methodologische Überlegungen 146 Staiger veröffentlichte im Jahr 2022 ein sechsdimensionales Modell zur Bilderbuchana‐ lyse. Dabei handelt es sich um „eine überarbeitete und um eine zusätzliche Dimension erweiterte Fassung des fünfdimensionalen Modells zur Bilderbuchanalyse“ (Staiger 2022, S.-6). Beschäftigung mit dem Material, das den sieben Textanalysen zugrunde liegt. Diese Fragestellung wurde anschließend auf alle sieben Textanalysen bezogen. Bei der Betrachtung neuer Inhalte in der Textproduktion des Kindes im Vergleich zum vorgelesenen Bilderbuchtext kristallisierte sich zudem die Frage nach möglichen Auslösern für den Einbau neuer Inhalte in die Geschichte heraus. Bei der Beantwortung der dritten Frage fand eine Fokussierung auf den möglichen Einfluss der Bilder des Bilderbuches statt. Die vollständigen Analyseinstru‐ mente zur Darstellung entwickelten sich erst während der vergleichenden Zusammenstellung der Beobachtungen anhand der sieben Textanalysen. Dies führte zu einer weiteren Überarbeitung der Textanalysen. - Beschreibung des Aufbaus der sieben Textanalysen Es folgt die Darstellung des Aufbaus, dem die sieben unter Kapitel II.3.1 aufgeführten Textanalysen in ihrer aktuellen Form folgen. In jeder Textanalyse wird der Frage nachgegangen, wie das jeweilige Kind seinen Text organisiert und welche Bezüge zwischen der sprachlichen Gestaltung von Kindertext und Bilderbuchtext erkennbar sind. Diese Darstellung dient dem Zweck, exem‐ plarisch zu zeigen, welches praktische Können sich durch das Setting zum Pretend Reading herausfordern lässt (Forschungsfrage 1). Das Vorgehen erfolgt in mehreren Schritten, die im Folgenden beschrieben werden. Um bei der Analyse der kindlichen Textproduktionen sowohl auf sprachlicher als auch auf inhaltlicher Ebene Bezüge zu dem jeweils vorgelesenen Bilderbuch herstellen zu können, waren Analysen dieser Bilderbücher erforderlich. Der Analyse des Kindertextes geht aus diesem Grund eine Analyse des vorgele‐ senen Bilderbuches voraus. Diese orientiert sich am Bilderbuchanalyseraster von Staiger (2014). 146 Dabei findet eine Beschränkung auf jene Aspekte des Analyserasters statt, die für die genannte Leitfrage relevant sind. Ein besonderer Fokus liegt daher auf Musterhaftigkeit und Elementen konzeptioneller Schrift‐ lichkeit. Es wird entsprechend auf jeweils relevante Aspekte der narrativen, sprachlichen, bildlichen und der intermodalen Dimension (vgl. Staiger 2014, S. 14f.) eingegangen. Bei der sprachlichen Dimension wird als Zusatzpunkt Musterhaftigkeit im Bilderbuch in den Blick genommen. Die Analyse bezieht sich auf sprachliche Muster, zu denen auch Phraseologismen zählen, strukturelle Muster, die Phraseoschablonen beinhalten sowie erzähltypische Muster und 2.3 Auswertungsverfahren 275 weitere Muster der dritten Ebene (zum Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit vgl. Kapitel I.5.7). An dieser Stelle weicht das Vorgehen vom Analyseraster nach Staiger ab, da in diesem der Erzählmodus, der die Aspekte „Erzähler-/ Figurenrede, Darstellung mentaler Prozesse (Gedanken, Gefühle)“ (Staiger 2014, S. 14) umfasst, der narrativen Dimension zugeordnet wird. Zur Kategorie der erzähltypischen Muster und weiteren Muster der dritten Ebene werden hingegen u. a. direkte Rede und innerer Monolog gefasst. Bei der Beschreibung der intermodalen Dimension wird auf die Unterteilung von Thiele (2002) zurückgegriffen, der zur Beschreibung von Bild-Text-Interdependenzen zwischen der Bild-Text-Parallelität, dem geflochtenen Zopf und der kontrapunk‐ tischen Beziehung von Bild und Text unterscheidet (vgl. Thiele 2002, S. 230-233). Diese Unterteilung wird bewusst gewählt, da die Kategorien trennschärfer sind als die von Nikolajeva und Scott (2000) und klarere Einteilungen zulassen. Jede Textanalyse besteht aus zwölf Schritten: Im ersten Schritt erfolgt eine Darstellung relevanter Informationen zu den Rahmenbedingungen der Pre‐ tend-Reading-Situation, die mittels der Formblätter für Eltern und Studierende erhobenen wurden. Zur Nachvollziehbarkeit der Analysen der kindlichen Text‐ produktionen im Vergleich zum Bilderbuchtext, sind die Bilderbuchtexte in die jeweilige Textanalyse integriert. In einem zweiten Schritt werden die Teile des Transkripts abgebildet, aus denen hervorgeht, wie die Aufgabe, das Buch „vorzulesen“, in der Pretend-Reading-Situation formuliert wurde. Es werden zudem Reaktionen des jeweiligen Kindes auf die Aufgabenstellung und daraus folgende Dialoge eingefügt und kommentiert. In einem dritten Schritt erfolgt eine grammatische Beschreibung der Textproduk‐ tion des Kindes, ohne dass Bezüge zum Bilderbuchtext hergestellt werden. Falls die Textproduktion mit Hilfe von Mimik und Gestik durch das Kind untermalt wird, wird dies in der Analyse berücksichtigt. Es wird chronologisch vorge‐ gangen. Dabei wird der Text des Kindes seitenweise auf inhaltlicher und sprach‐ licher Ebene beschrieben. Funktionen und Wirkungen sprachlicher Mittel werden dabei in den Blick genommen. Auf die Bilder des Bilderbuches wird an entsprechender Stelle Bezug genommen. Textmerkmale, die dem konzeptionell schriftlichen oder mündlichen Sprachgebrauch zugeordnet werden können, werden benannt. Ein besonderes Augenmerk gilt bei der Textbeschreibung der Herstellung von Kohärenz. Durch diese Betrachtungsweise des Kindertextes ohne Bezug zum Bilderbuchtext wird ersichtlich, ob die Verständlichkeit des Kindertextes ohne Kenntnis des Bilderbuchtextes für eine Leserin oder einen Leser gesichert ist. 276 2 Methodische und methodologische Überlegungen Darauffolgend wird die Textproduktion des Kindes systematisch unter ver‐ schiedenen Aspekten und Fragestellungen betrachtet, die die entwickelten Kategorien widerspiegeln. So wird in einem vierten Schritt zusammenfassend der Frage nachgegangen, ob und - falls ja - mit welchen Mitteln Kohärenz hergestellt wird. Es wird sowohl inhaltliche als auch grammatische Kohärenz in den Blick genommen, wobei der Text auf Kohäsionsmittel (vgl. dazu Linke et al. 2004) untersucht wird. Anschließend werden in einem fünften, sechsten und siebten Schritt neue, ver‐ änderte und ausgelassene Inhalte in der Textproduktion des Kindes im Vergleich zum Bilderbuchtext aufgezeigt. Dabei wird zum einen analysiert, wie diese Inhalte vom Kind sprachlich dargestellt werden. Bezüge zum Bilderbuch in Text und Bild werden an den entsprechenden Stellen hergestellt. Zum anderen wird der Blick auf Funktionen dieser neuen und veränderten Inhalte für den Text gerichtet. Zudem werden weitere individuelle Beobachtungen zum Vergleich von Bilderbuchtext und kindlicher Textproduktion dargestellt. In einem achten Schritt wird der Frage nachgegangen, ob sich in der Textproduk‐ tion des Kindes Musterhaftigkeit erkennen lässt und worin sich diese zeigt. Dazu wird Musterhaftigkeit auf unterschiedlichen Ebenen gemäß dem Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Studie (vgl. I.5.7) in den Blick genommen. Dies dient dem Ziel, zu untersuchen, inwiefern der Gebrauch von Mustern bei der Organisation des Textes eine Rolle spielt und welche Funktionen von den Kindern verwendete Muster für den Text haben. Zudem werden im Kindertext identifizierte Muster auf allen Ebenen in Beziehung zum Mustergebrauch des Bilderbuches gesetzt. Der vergleichenden Analyse von Musterhaftigkeit (aber auch von weiteren Textmerkmalen) liegen folgende Leitfragen zugrunde: 1. Ist das Muster (bzw. Merkmal) im gleichen Kontext im Bilderbuch vor‐ handen? Ist das Muster (bzw. Merkmal) dort in der gleichen oder einer abgewandelten Form zu finden? 2. Ist das Muster (bzw. Merkmal) in einem anderen Kontext des Bilderbuches enthalten? Ist das Muster (bzw. Merkmal) dort in der gleichen oder einer abgewandelten Form zu finden? Organisiert das Kind seinen Text mit Hilfe eines Baumusters, wird dieses als erstes thematisiert, wobei in diesem Zusammenhang bereits auf sprachliche und strukturelle Muster eingegangen wird, die Bestandteile des Baumusters sind. Anschließend werden sprachliche Muster (und analog dazu strukturelle Muster) im Kindertext thematisiert: Wie unter I.5.7 dargestellt kann Musterhaftigkeit im Hinblick auf vier Kategorien unterschieden werden: in Bezug auf die Sprachge‐ 2.3 Auswertungsverfahren 277 meinschaft und narrative Texte (K1), in Bezug auf einen weiteren Text (K2) und im Kindertext selbst (K3). Als weiterer Text kann sowohl ein dritter Text (K2a) als auch der vorgelesene Bilderbuchtext (K2b) fungieren. Der Kindertext wird somit auf Phraseologismen und geläufige Wortverbindungen (K1) untersucht, die für sich betrachtet bereits Musterhaftigkeit aufweisen. Zweitens werden Muster in den Blick genommen, die in einem dritten Text vorkommen (K2a). Ob sich das Kind tatsächlich an diesem dritten Text orientiert hat, kann jedoch nur gemutmaßt werden. In Bezug auf Musterhaftigkeit der Kategorie 2b werden die im Kindertext verwendeten Formulierungen, die Ähnlichkeiten mit Formu‐ lierungen aus dem vorgelesenen Bilderbuch aufweisen, genauer analysiert. Zur Beschreibung sowohl sprachlicher als auch struktureller Muster der Kategorie 2b wird auf das unter II.2.3.1 erläuterte Analyseraster zur Beschreibung sprachli‐ cher und struktureller Muster mit Blick auf den Bilderbuchtext zurückgegriffen. Werden nicht-identische sprachliche Muster und Strukturen in Kindertext und Bilderbuchtext identifiziert, die Ähnlichkeiten aufweisen, wird die Formulie‐ rung des Bilderbuches als Grundlage genommen und beschrieben, wie diese variiert werden muss, um daraus die im Kindertext verwendete Formulierung zu erhalten. Dabei sind des Öfteren sowohl Beschreibungen auf struktureller Ebene (strukturelle Muster) als auch Beschreibungen mit Hilfe von sprachlichen Mustern möglich. In diesen Fällen werden beide möglichen Beschreibungen aufgeführt. Darüber, ob es sich bei den sprachlichen Mustern und Strukturen, die im Kindertext sowie im Bilderbuch in gleicher oder ähnlicher Form vor‐ kommen, um wörtliche Übernahmen, Variationen von wörtlichen Übernahmen, strukturelle Übernahmen oder Variationen struktureller Übernahmen handelt, können keine abgesicherten Aussagen getroffen werden. Es handelt sich hierbei lediglich um mehr oder weniger naheliegende Hypothesen. Wiederkehrende sprachliche Strukturen und Muster werden über den ganzen Text hinweg identifiziert (Kategorie 3). Neben Baumustern, sprachlichen und strukturellen Mustern wird der Gebrauch von Mustern der dritten Ebene (u. a. erzähltypische Muster) untersucht. Die Analyse von Musterhaftigkeit schließt mit einer kurzen Zusammenfassung der Beobachtungen zu Musterhaftigkeit. In einem neunten Schritt werden die Textproduktionen aus Pretend-Reading-Si‐ tuationen im Hinblick auf Leserorientierung betrachtet. Im darauffolgenden zehnten Schritt wird der Frage nachgegangen, ob die Textproduktion des Kindes Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit aufweist, um herauszufinden, ob das Kind durch das Setting zu einem dekontextuali‐ sierten Sprachgebrauch herausgefordert werden konnte. Dabei wird der Text auf Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit in Bezug auf Tempus, Lexik und Syntax 278 2 Methodische und methodologische Überlegungen analysiert. Um herauszufinden, ob es sich beim Gebrauch dieser Elemente mit hoher Wahrscheinlichkeit um Übernahmen aus dem Bilderbuch (im gleichen oder in einem anderen Kontext) handelt, werden die identifizierten Elemente mit der Sprache des Bilderbuches verglichen. Zudem wird das für die vorliegende Studie zentrale Merkmal konzeptionell schriftlicher Texte Monologizität (vgl. I.3.1) in den Blick genommen und der Frage nachgegangen, ob und - falls ja - wie das Kind Monologizität herstellt. Im Anschluss daran werden in einem elften Schritt die während der Pretend- Reading-Situation vom Kind am eigenen mündlichen Text vorgenommenen Überarbeitungen beschrieben, um sie in Beziehung zur Erkenntnis- und Wis‐ senstheorie Polanyis und der Übertragung dieser auf die Textproduktion (vgl. I.6.2) zu setzen. An dieser Stelle ist anzumerken, dass es für die Interpretation der Überarbeitungen Alternativerklärungen geben kann, da es sich bei den Äußerungen der Kinder des Öfteren nur um Fragmente handelt und nicht zwangsläufig um die kompletten Gedankengänge. Jede der sieben Textanalysen schließt nach dieser Analyse mit Überlegungen zum Thema implizites Wissen, Können und implizites Lernen. In diesem werden die Beobachtungen zur jeweiligen Textproduktion mit Erkenntnissen zum impliziten Lernen von Georg Hans Neuweg und der Wissenstheorie Michael Polanyis in Beziehung gesetzt. Die Textproduktionen der Kinder werden auf diese Weise im Hinblick auf die erste Forschungsfrage der vorliegenden Arbeit betrachtet: „Welches implizite Textwissen bzw. welches praktische Können (Neuweg 2000) im Hinblick auf monologische Textproduktion lässt sich durch Pretend-Reading-Situationen bei Vorschulkindern herausfordern? “ 2.3 Auswertungsverfahren 279 3 Auswertung und Ergebnisse 3.1 Textanalysen Kapitel 3.1 enthält sieben Textanalysen, die dem unter II.2.3.2 beschriebenen zwölfschrittigen Aufbau folgen. Die analysierten Textproduktionen der Kinder (Ben, Kira, Mia, Ida, Nicole, Jan und Muriel) sowie die Analysen der Bilderbücher sind im digitalen Anhang enthalten. 3.1.1 Textanalyse I: Frosch hat Angst von Ben Ben ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Pretend-Reading-Situation mit der oder dem Studierenden sechs Jahre und 0,5 Monate alt. Seine Familiensprache ist Deutsch. Er hat ein Geschwisterkind, das zwei Jahre alt ist. Die Herkunftsre‐ gionen der Eltern liegen in Deutschland. Ben besucht eine Kindertagesstätte. Im Haushalt gibt es nach Angaben der Eltern 40 bis 80 Bilder- oder Kinderbücher. Bens Mutter hat einen Hochschulabschluss und sein Vater ist promoviert. Ben wird vierbis sechsmal in der Woche ein Buch oder eine Geschichte vorgelesen. Dies erfolgt durch die Mutter und die Großmutter des Kindes. Zu Hause werden Ben einbis zweimal in der Woche Geschichten erzählt. Ben tut manchmal so, als würde er (jemandem) ein Buch vorlesen und bezeichnet diese Tätigkeit nach Angaben der Eltern folgendermaßen: „Ich lese“. Die oder der Studierende, die oder der mit Ben die Pretend-Reading-Situation durchführte, kannte ihn vorher nicht. Die Situation fand im Kinderzimmer des Kindes statt. Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situation informiert die oder der Erwachsene (E) Ben (B) über das geplante Vorgehen. E: okay, ben. [7] [E setzt sich hin] ich freu mich, dass du [.] dir [.] ZEIT genommen hast für das hier. und du hast dir [.] [B hält E das Buch hin und E nimmt es entgegen] schon n buch ausgesucht/ [.], B: / ja! E: was du mAgst. frosch hat angst. u: nd ähm [.]und zwar [.] hast du dir das buch ausgesucht und ich werde dir jetzt aus dem buch vorlesen. B: okay E: und wenn ich das gemacht habe, dann werden wir EINmal die plätze wechseln. dann darfst du hier auf den vorlesesessel [klopft auf seine Sitzgelegenheit ab ‚auf‘] B: okay E: und ich geh dann hier [zeigt auf das Kissen, auf dem B sitzt] auf das kissen oder auf die kiste. B: okay! [hoch] E: gut, dann legen wir los. Im zweiten Schritt liest die oder der Erwachsene Ben das komplette Bilderbuch Frosch hat Angst vor. Frosch hat Angst (Max Velthuijs) Frosch hatte große Angst. Er lag im Bett und hörte überall seltsame Geräusche. Es knackte im Schrank und raschelte unter den Dielen. „Da ist jemand unter meinem Bett“, dachte Frosch. (1. DS) - Er sprang aus dem Bett und rannte durch den dunklen Wald bis zum Haus von Ente. „Wie lieb, dass du mich besuchen kommst“, sagte Ente. „Aber es ist ziem‐ lich spät. Ich wollte gerade ins Bett gehen.“ „Bitte, Ente“, sagte Frosch. „Ich hab Angst. Unter meinem Bett ist ein Gespenst.“ (2. DS) - „Unsinn“, lachte Ente. „Gespenster gibt es nicht.“ „Die gibt es wohl“, beteuerte Frosch. „Und im Wald, da spukt es auch.“ „Hab keine Angst“, sagte Ente. „Du kannst bei mir schlafen. Ich fürchte mich nicht.“ Sie krochen zusammen ins Bett. Frosch kuschelte sich an Entes warmen Körper und hatte keine Angst mehr. - Plötzlich hörten sie ein Kratzen auf dem Dach. „Was war das? “, fragte Ente, die erschrocken in die Höhe fuhr. Im nächsten Moment hörte sie ein Knacken auf der Treppe. „Hier spukt es auch! “, rief Frosch. „Machen wir, dass wir weg‐ kommen.“ Und sie rannten hinaus in den Wald. (3. DS) Zum Glück konnten sich die drei Freunde gegenseitig trösten. Sie hätten keine Angst, riefen sie laut - und sie würden sich vor nichts und niemandem fürchten. Schließlich schliefen sie er‐ schöpft ein. - Am nächsten Morgen wollte Hase Frosch besuchen. Die Tür stand weit offen, aber von Frosch war nichts zu sehen. „Merk‐ würdig“, dachte Hase. (7. DS) - Das Haus von Ente war ebenfalls leer. „Ente, Ente, wo bist du? “, rief Hase. Doch es kam keine Antwort. Hase machte sich große Sorgen. Er fürchtete, dass etwas Schlimmes passiert war. - Voller Angst lief er durch den Wald und suchte nach Frosch und Ente. Er suchte und suchte, doch es gab keine Spur von seinen Freunden. „Vielleicht weiß Schwein, wo sie sind“, überlegte er. (8. DS) - Hase klopfte an Schweins Tür. Niemand antwortete. Alles war still. Er schaute durchs Fenster und da sah er seine Freunde im Bett liegen. Sie schliefen tief und fest. Um zehn Uhr morgens! Hase klopfte ans Fenster. 282 3 Auswertung und Ergebnisse Frosch und Ente liefen, so schnell sie konnten. Sie hatten das Gefühl, überall seien Gespenster und gruselige Monster. (4. DS) - Schließlich kamen sie zum Haus von Schwein und hämmerten atemlos an die Tür. „Wer ist da? “, fragte eine verschla‐ fene Stimme. „Bitte, mach auf, Schwein. Wir sind’s“, riefen Frosch und Ente. - „Was ist los? “, fragte Schwein ärgerlich. „Warum weckt ihr mich mitten in der Nacht? “ „Bitte hilf uns“, sagte Ente. „Wir haben schreckliche Angst. Der ganze Wald ist voller Gespenster und Monster.“ Schwein lachte. „So ein Unsinn. Ge‐ spenster und Monster gibt es nicht. Das wisst ihr doch.“ „Na, dann schau selber nach“, sagte Frosch. (5. DS) - Schwein sah aus dem Fenster, konnte aber nichts Ungewöhnliches erkennen. „Bitte, Schwein, dürfen wir hier schlafen? Wir haben solche Angst.“ „Na gut“, sagte Schwein. „Mein Bett ist groß genug. Und ich fürchte mich nie. Ich glaub nicht an solchen Quatsch.“ - Da lagen sie also alle drei zusammen in Schweins Bett. „Das ist schön“, dachte Frosch. „Jetzt kann nichts mehr pas‐ sieren.“ Trotzdem konnten sie nicht ein‐ schlafen. Sie horchten auf die vielen seltsamen und Furcht erregenden Ge‐ räusche im Wald. Diesmal hörte Schwein sie auch! (6. DS) - „Hilfe! Ein Gespenst! “, schrien die drei Freunde. Dann sahen sie, dass es Hase war. (9. DS) - Schwein schloss die Tür auf und alle liefen hinaus. „Ach, Hase“, sagten sie. „Wir hatten solche Angst. Im Wald sind ganz viele Gespenster und gruselige Monster.“ „Gespenster und Monster? “, fragte Hase überrascht. „Die gibt es nicht.“ - „Woher willst du das wissen? “, fragte Frosch ungehalten. „Eins war sogar unter meinem Bett.“ „Hast du es ge‐ sehen? “, fragte Hase leise. „Äh, nein“, antwortete Frosch. Gesehen hatte er es nicht, aber gehört. Dann unterhielten sie sich lange über Gespenster und Monster und andere schreckliche Dinge. (10. DS) - Schwein machte Frühstück. „Wisst ihr“, sagte Hase, „jeder hat irgendwann mal Angst.“ „Sogar du? “, fragte Frosch über‐ rascht. - „Aber ja“, sagte Hase. „Ich hatte heute Morgen schreckliche Angst, als ich dachte, ich hätte euch verloren.“ Es wurde still. (11. DS) - Dann lachten alle drei. „Sei nicht dumm, Hase“, sagte Frosch. „Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind doch immer hier! “ (12. DS) Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Ben auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“. Dies geht folgendermaßen vonstatten. E: so, [.] jetzt habe ich dir [.] vom vorlesesessel einmal vorgelesen. B: ja. E: jetzt können wir gerne einmal die plätze tauschen B: ja! E: jetzt kannst du auf den vorlesesessel. [3] BItteSCHÖN. B: dan-ke. [3] 3.1 Textanalysen 283 E: und ich setz mich neben dich. B: mh E: so [2] und JETZT kannst DU mir vorlesen. [.] tu einfach so, als ob du mir vorlesen §würdest. B: §der kleine frosch hat angst Ben beginnt seine Textproduktion mit der Formulierung der Überschrift der KLEINE frosch hat angst zur nullten Doppelseite. Durch den Ge‐ brauch des bestimmten Artikels entsteht der Eindruck, dass es sich um einen bestimmten, dem Leser bekannten Frosch handelt. Des Weiteren betont Ben das Adjektiv klein und setzt damit einen inhaltlichen Akzent. Zur ersten Doppelseite formuliert Ben die Ausgangsbeschreibung der Situation: der KLEINE frosch lag im BETT [2] und hat angst. [2] es RASCHELT und BRASCHELT. (1. DS) [blättert um] Ben greift hier die Formulierung aus seiner Überschrift auf: Der kleine Frosch. Zunächst verwendet Ben eine Präteritumform (lag), anschließend wechselt er ins Präsens (hat). Hier verwendet er die gleiche Formulierung wie in der Überschrift (hat angst), die im Präsens steht. Der zweite Satz ist ebenfalls im Präsens gehalten. An dieser Stelle bildet Ben einen Reim: es RASCHELT und BRASCHELT. (1. DS) Ben macht Gebrauch vom strukturellen Muster [Verb + „und“ + Verb], das als Paarformel bezeichnet werden kann. Hier macht Ben durch den Rückgriff auf ein Muster deutlich, dass es nicht nur einmal raschelt. Ben formuliert zur zweiten Doppelseite den folgenden Text: er RANNTE vor lauter angst durch den wald und dach-te ‚hier wimmelt’s ja nur von monstern und gespenstern.‘ da KLOPFTE er an entes tür und sagte ‚HILFE, HILFE, (ich kann nicht schlafen), der wald ist voller mo/ monstern und gespenstern.‘ da sagte ente [blättert um] Durch betontes Sprechen setzt Ben den Fokus auf das Verb rennen. Auf dem Bild ist ein schnell laufender Frosch zu sehen. Es ist nicht auszuschließen, dass die bildliche Darstellung die Betonung des Wortes rennen beeinflusst haben könnte. Ben wählt den Phraseologismus vor lauter Angst, um die Tätigkeit des Rennens näher zu beschreiben. Ein neuer Sinnabschnitt der Handlung wird von Ben durch das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] eingeleitet: Der Frosch hat das Haus der Ente erreicht und klopft an die Tür. Ben verwendet hier das Verb klopfen, was er im weiteren Verlauf seiner Geschichte mehrfach gebraucht. Auffällig ist, dass Ben eine Satzreihe über zwei Doppelseiten bildet. Zur zweiten Doppelseite formuliert Ben einen vorangestellten Begleitsatz (da 284 3 Auswertung und Ergebnisse sagte ente), während die direkte Rede erst nach dem Umblättern zur nachfolgenden Doppelseite produziert wird. Auch diesen Satz beginnt Ben mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb], das auch hier einen neuen Sinnabschnitt markiert, nämlich die Reaktion der Ente auf die Aussage des Frosches. Ben verwendet auf der ganzen Doppelseite in der Erzählerrede das Präteritum. Die direkte Rede steht im Präsens. Zur dritten und vierten Doppelseite „liest“ Ben folgenden Text vor: ‚NEIN. [.] monster und gespenster gibt es nicht.‘ da sagte frosch ‚DOCH, ich habe sie gehört. eins war sogar unter meinem bett.‘ [blättert auf die 4. DS und wieder zurück] da haben es BEIDE gehört und BEIDE hat-ten angst und sind [blättert um] durch den WALD gerannt. da haben sie [blättert um] Der Text der dritten Doppelseite beginnt mit der Aussage der Ente in Form von direkter Rede. Die Ente widerspricht dem Frosch und spricht sich gegen die Existenz von Monstern und Gespenstern aus. Daraufhin widerspricht Frosch der Ente und beharrt auf der Existenz von Gespenstern. Ben bedient sich erneut direkter Rede mit vorangestelltem Begleitsatz und leitet diesen mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] ein. Anschließend macht Ben ein weiteres Mal Gebrauch vom strukturellen Muster [„Da“ + Verb]. Er leitet damit einen neuen Sinnabschnitt ein und transportiert sprachlich, dass ein Ereignis plötzlich auftritt - nämlich das Vernehmen eines Geräuschs. Durch die Wiederholung des Indefinitpronomens beide in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen und die zusätzliche stimmliche Betonung des Pronomens beide wird dieses Wort beson‐ ders akzentuiert. Ben hebt dadurch hervor, dass plötzlich nicht nur der Frosch, sondern auch die Ente Angst hat und markiert damit ein zentrales Element der Geschichte. Auch verwendet er ein weiteres Mal die Formulierung durch den Wald rennen. Zudem findet ein Wechsel vom Präteritum zum Präsens statt. Anschließend greift Ben erneut auf das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] zurück und markiert dadurch auch hier einen neuen Sinnabschnitt, nämlich das Klopfen an Schweins Tür. Dieses wird von Ben jedoch erst zur nächsten Doppelseite erwähnt, da sein Satz wieder über zwei Doppelseiten reicht. Bens Text zur fünften Doppelseite lautet wie folgt: an SCHWEINS tür ge-klopft und (das schwein) hat gesagt ‚warum weckt ihr mich mitten in der NACHT [.]‘, sagte schwein. da sagt der frosch ‚wir hat-ten angst, gespenster sind im wald und eins (sogar) unter meinem bett.‘ [2] da lachte schwein. ‚NEIN, monster und gespenster gibt es nicht.‘ [blättert um] 3.1 Textanalysen 285 Ben schildert die Reaktion des Schweins auf das Klopfen: Es stellt ihnen die Frage, warum sie es nachts wecken. Zunächst bildet Ben für die direkte Rede einen Begleitsatz, der im Perfekt gehalten ist (das schwein) hat gesagt). Nach der Formulierung der direkten Rede ergänzt er einen Rede‐ begleitsatz, der im Präteritum gehalten ist (sagte schwein) und eine fast identische Information wie der zuerst formulierte Begleitsatz enthält. Anschlie‐ ßend behält Ben die Zeitform Präteritum bei und bildet erneut direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz, die er mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] einleitet: ‚wir hat-ten angst, gespenster sind im wald und eins (sogar) unter meinem bett.‘ (2. DS) Der Frosch antwortet auf die Frage des Schweins und liefert als Begründung ihre Angst vor Monstern und Gespenstern. Auch das Schwein widerspricht dem Frosch und spricht sich gegen die Existenz von Monstern und Gespenstern aus. Ben behält die Zeitform Präteritum bei und bildet auch in diesem Kontext direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz, die er mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] einleitet. Auch die beiden Hauptsätze, die Ben zur sechsten Doppelseite formuliert, beginnen jeweils mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb]: da waren alle drei ins/ in/ in/ im bett von schwein. da hatte auch SCHWEIN angst. [blättert um] Mit dem ersten Satz drückt Ben aus, dass sich alle drei Tiere im Bett des Schweins befinden. Auf der rechten Hälfte der Doppelseite ist genau diese Szene bildlich dargestellt. Bens Text stimmt an dieser Stelle mit der Geschichte, die das Bild erzählt, stark überein. Zwischen dem Gespräch der Tiere an der Tür des Schweins (5. DS) und der beschriebenen Szene (6. DS) findet ein abrupter Szenenwechsel statt. Mit Hilfe des zweiten Hauptsatzes vermittelt Ben, dass sich nun auch das Schwein fürchtet. Er hebt diese Tatsache durch das betonte Sprechen des Wortes Schwein hervor. Bens Text zur siebten Doppelseite beginnt mit dem sprachlichen Muster Am nächsten Morgen. Mit diesem wird ein neuer Sinnabschnitt der Ge‐ schichte eingeleitet: am nächsten morgen hat/ war/ stand die tür von schwein WEIT offen und der hase wollte schwein besuchen, aber nix war von schwein zu sehen. [blättert um] Mittlerweile ist es Morgen geworden. Nach der Zeitangabe folgt eine Be‐ schreibung der Situation: Die Tür von Schwein steht weit offen. Ben führt nun eine neue Figur, erneut in Verbindung mit dem direkten Artikel, in die Handlung ein: den Hasen. Dieser möchte Schwein besuchen, kann Schwein aber nicht erblicken. Den zweiten und dritten Satz verbindet Ben mit der Konjunktion aber 286 3 Auswertung und Ergebnisse und stellt damit den Kontrast zwischen dem Wunsch des Hasen und der Realität dar. Auf der Textoberfläche stellt Ben dadurch Kohäsion her. Der Text der achten Doppelseite wird erneut mit Hilfe des strukturellen Musters [„Da“ + Verb] an den bisherigen Text angebunden: da rannte er mit lauter angst [.] zu ente, aber AUCH nix zu/ von ente zu sehen. [blättert um] Kohäsion wird auch hier mit Hilfe der Konjunktion aber hergestellt. Ben greift erneut auf das sprachliche Muster nichts ist von jemandem zu sehen zurück. Durch die Wahl der gleichen Formulierungen wie auf der vorangegangenen Doppelseite wird die sich wiederholende Handlung des Hasen, nämlich zum Haus gehen und merken, dass die Person nicht vor Ort ist, auch durch sich wiederholende Formulierungen auf der sprachlichen Ebene unterstrichen. Der Text zur neunten Doppelseite beginnt ebenfalls mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb]: da hat [.] hase an schweins TÜR ge-klopft und ans fenster ge/ da sind alle aufgewacht mit lauter angst und [.] hatten gedacht/ und haben alle laut gerufen ‚HILFE, EIN GESPENST‘. [blättert um] Der Hase erreicht nun zum zweiten Mal das Haus des Schweines. Er klopft erneut an die Tür und zusätzlich ans Fenster, was dazu führt, dass die drei Tiere erwachen und sich fürchten. Auch die Reaktion der Tiere wird mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] als neuer Sinnabschnitt gekennzeichnet. Die letzten beiden Sätze, die zum einen das Erwachen der Tiere und zum anderen die unmittelbare Reaktion der Tiere auf das Klopfen thematisieren, werden mit der Konjunktion und verknüpft. So wird der thematische Zusammenhang, der zwischen den beiden Aussagen besteht, auch auf der Textoberfläche durch den Gebrauch dieses Kohäsionsmittels sichtbar. Zur zehnten Doppelseite formuliert Ben drei Satzreihen. Diese bestehen je‐ weils aus einem vorangestellten Redebegleitsatz, der mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] eingeleitet wird, und einem Hauptsatz, der direkte Rede enthält. Dabei werden in jeder der drei Satzreihen verschiedene Sprecher ge‐ nannt: da hat-ten / ten sie gesagt [2] ‚wir hatten solche ANGST, wir dachten, du bist ein gespenst.‘ da sagte Hase ‚NEIN, GESPENSTER [.] ES NICHT UND MONSTER AUCH NICHT.‘ da sagte frosch ‚DOCH, eins war sogar unter meinem bett [.] ein gespenst‘. [blättert um] Auf inhaltlicher Ebene handelt es sich um eine Diskussion zwischen dem Hasen und den Tieren, die Angst haben. Thematisch handelt diese von der Existenz bzw. Nichtexistenz von Gespenstern. 3.1 Textanalysen 287 Auf der elften Doppelseite wird viermal Gebrauch vom strukturellen Muster [„Da“ + Verb] gemacht: da hat schwein mit allen gefrühstückt. da hatte frosch gesagt ‚JEDER hat mal angst, sogar DU.‘ da sagte [.] hase ‚JA, SCHON.‘ da sagte frosch ‚ja, du bist hin/ da sagte hase ‚ich bin vor LAUTER angst durch den WALD / rannt und habe EUCH GESUCHT‘. [blättert um] Nach der Diskussion auf der vorangegangenen Doppelseite wird nun er‐ neut ein neuer Sinnabschnitt durch das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] eingeleitet: das gemeinsame Frühstück. Schwein wird dadurch als Gastgeber hervorgehoben, dass explizit erwähnt wird, dass Schwein mit allen frühstückt. Dabei findet ein Dialog zwischen Frosch und Hase statt. Auf sprachlicher Ebene wird die Struktur der vorangegangenen Doppelseite aufgegriffen. Erneut ist Hase wie auf der vorangegangenen Doppelseite der zweite Sprecher. Im Unterschied zum Dialog auf der vorangegangenen Doppelseite widerspricht Hase aber diesmal nicht, sondern gibt zu, dass auch er manchmal Angst hat. Zum Ende der Geschichte hin besteht somit Konsens zwischen den Tieren. Auch auf der zwölften Doppelseite wird Gebrauch vom strukturellen Muster [„Da“ + Verb] gemacht, womit Ben erneut eine Reaktion auf ein vorangegan‐ genes Ereignis einleitet, und zwar die Reaktion der Tiere auf die vom Hasen geäußerte Befürchtung: da: lachten alle. [blättert um] en: de Ben schließt die Geschichte mit einem Happy End: Alle Figuren sitzen gemeinsam am Tisch und lachen. Das Ende der Geschichte markiert Ben sprachlich mit dem Nomen Ende, einer Schlussformel. Bens Geschichte weist überwiegend inhaltliche Kohärenz auf. Im Vergleich zur Geschichte des Bilderbuchtextes gibt es einige wenige inhaltliche Elemente, die Ben weglässt und auf diese Weise Verkürzungen vornimmt. Die einzige Leerstelle seines Textes resultiert aus dem Gebrauch eines Personalpronomens (es) ohne Bezug zu einem im vorangegangenen Satz genannten Referenzobjekt. Zur Herstellung von grammatischer Kohärenz bedient sich Ben verschiedener Kohäsionsmittel: Zum einen macht er Gebrauch von Pro-Formen, indem er erstens Personalpronomen verwendet, die sich auf ein vorangegangenes Nomen beziehen und zweitens häufig auf das Temporaladverb da zurückgreift. Zum anderen verwendet Ben Konnektive: So lassen sich in seinem Text die Konjunk‐ tionen und (4. DS) und aber (7. DS, 8. DS) finden. Nachfolgend wird der Blick auf inhaltliche Abweichungen zwischen Bens Text und dem Bilderbuchtext gerichtet. Dabei werden zunächst Inhalte thematisiert, die in Bens Text im Vergleich zum Bilderbuchtext in einer abgewandelten Form 288 3 Auswertung und Ergebnisse vorkommen (veränderte Inhalte). In Bens Erzählung geht der Hase zunächst zum Haus des Schweins, wo er dieses jedoch nicht antrifft (vgl. 7. DS), läuft anschließend zum Haus der Ente, wo ebenfalls niemand zu Hause zu sein scheint (vgl. 8. DS) und kehrt daraufhin zu Schweins Haus zurück, wo er durch das Fenster schaut und die Freunde erblickt (vgl. 9. DS). Im Bilderbuch hingegen ist das erste Haus, zu dem der Hase läuft, das Haus des Frosches, während die Reihenfolge der nächsten zwei Häuser, zu denen er läuft, die gleiche ist wie in Bens Erzählung (vgl. Velthuijs 2016, 7. DS). Als neues inhaltliches Element enthält Bens Text im Vergleich zum Bilder‐ buchtext ein Klopfen an der Tür: Als Frosch Ente besucht, klopft er an ihre Tür (vgl. 2. DS), während im Bilderbuch dieses Klopfen nicht thematisiert wird. Somit realisiert Ben ein Baumuster, nach dem zwei Sequenzen seiner Geschichte ablaufen. Im Vergleich zur Geschichte, die durch den Text des Bilderbuches erzählt wird, gibt es zudem inhaltliche Elemente, die Ben in seiner Narration auslässt (ausgelassene Inhalte). Auf diese Weise nimmt er Verkürzungen vor. Drei der von Ben ausgelassenen inhaltlichen Elemente sind für das Verständnis der Handlung irrelevant, während es sich bei dem vierten ausgelassen inhaltlichen Element um eine Leerstelle handelt. In den folgenden zwei Textpassagen werden Inhalte ausgelassen, die im Bilderbuchtext in Form von direkter Rede zum Ausdruck gebracht werden. Auf der ersten Doppelseite wird sowohl im Bilderbuchtext als auch in Bens Text die Ausgangslage dargestellt: Der Frosch liegt ängstlich im Bett, während merkwürdige Geräusche zu hören sind. Im Bilderbuch heißt es: „‚Da ist jemand unter meinem Bett‘, dachte Frosch“ (Velthuijs 2016, 1. DS). Ben hingegen gibt in diesem Kontext keine Gedanken des Frosches in Form von direkter Rede wieder. Während seine Geschichte zudem mit dem Lachen der Tiere schließt (da lachten alle (12. DS)), folgt im Bilderbuch dem Lachen eine Erläuterung des Lachens in Form von direkter Rede: „Dann lachten alle drei. ‚Sei nicht dumm, Hase‘, sagte Frosch. ‚Du brauchst keine Angst zu haben. Wir sind doch immer hier! ‘“ (Velthuijs 2016,12. DS) In der folgenden Textpassage wird ein inhaltliches Element ausgelassen, das im Bilderbuch teilweise in Form von Erzählerrede dargestellt wird. Im Bilderbuch wird nach einem Dialog zwischen Frosch und Ente an der Haustür thematisiert, dass sie ins Bett kriechen, anschließend Geräusche hören, glauben, dass es spukt und daher in den Wald rennen (vgl. Velthuijs 2016, 3. DS). In Bens Geschichte hingegen folgt unmittelbar nach dem Gespräch an der Haustür (3. DS) das Hören von etwas nicht näher Bestimmtem und das Rennen durch den Wald (4. DS). An 3.1 Textanalysen 289 dieser Stelle lässt Ben somit für das Verständnis der Geschichte nicht relevante komplette Handlungen aus. Ein weiteres ausgelassenes inhaltliches Element innerhalb der Erzählerrede lässt sich als Leerstelle bezeichnen. Diese resultiert aus dem Auslassen eines Inhalts (in Form von Erzählerrede) aus dem Bilderbuchtext, der für das Ver‐ ständnis der Geschichte relevant ist: das im Bilderbuch erwähnte Kratzen und Knacken (vgl. Velthuijs 2016, 3. DS). da haben es BEIde gehört (4. DS), formuliert Ben. Dabei verwendet er das Personalpronomen es, das sich auf kein im vorangegangenen Satz erwähntes Referenzobjekt bezieht. Allerdings lässt sich aus dem Kontext erahnen, dass es sich bei dem, was die beiden Tiere hören, um ein unheimliches Geräusch handeln muss, da bereits auf der ersten Doppelseite ein Rascheln und Brascheln im Zusammenhang mit einem Gefühl der Angst von Ben thematisiert wird. Im Folgenden wird Musterhaftes in Bens Textproduktion in den Blick genommen und in seiner Funktion für den Text beschrieben. Zunächst wird das Bens Narration zugrunde liegende Baumuster beschrieben. Im Bilderbuch werden zwei Sequenzen geschildert, die inhaltlich ähnlich aufgebaut sind (vgl. digitaler Anhang). In der ersten Sequenz fürchtet sich der Frosch, rennt durch den Wald und wird von der Ente in ihr Haus aufgenommen. In der zweiten Sequenz fürchten sich Frosch und Ente, laufen durch den Wald und werden von dem Schwein in sein Haus aufgenommen. Bens Textproduktion weist diese beiden Sequenzen ebenfalls auf. Das von Ben verwendete Baumuster, das beiden Se‐ quenzen zugrunde liegt, lässt sich folgendermaßen beschreiben: Zunächst haben ein bis zwei Tiere Angst und laufen durch den Wald. Zur Versprachlichung wird auf die Formulierung durch den Wald rennen zurückgegriffen. Anschließend wird an der Tür eines weiteren Tieres geklopft. In diesem Zusammenhang wird die Formulierung an jemandes Tür klopfen in Verbindung mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] verwendet. Das vor der Tür stehende Tier erwähnt Gespenster im Wald. Das Tier, das die Tür öffnet, äußert den Satz: Nein. Monster und Gespenster gibt es nicht. Der Frosch verwendet vor oder nach dieser Reaktion die Formulierung eines […] sogar unter meinem Bett in seiner Äußerung. Die sprachliche Ausgestaltung des Baumusters aus Bens Textproduktion lässt sich im Vergleich zum Bilderbuchtext wie folgt beschreiben (vgl. Tabelle 22): 290 3 Auswertung und Ergebnisse Kindertext Baumuster (2 Sequenzen) (S) Bilderbuchtext Baumuster (2 Sequenzen) (S) Baustein 1 sich fürchten sich fürchten Baustein 2 durch den Wald rennen durch den Wald rennen Baustein 3a bei einem anderen Tier Unter‐ schlupf suchen a) an einer Tür klopfen [„Da“ + Verb] + „an jemandes Tür klopfen“ bei einem anderen Tier Unter‐ schlupf suchen Ähnlichkeit auf sprachlicher Ebene: S1: „‚Unsinn‘, lachte Ente. ‚Ge‐ spenster gibt es nicht.‘“ (Ebd., 3. DS) S2: „Schwein lachte. ‚So ein Un‐ sinn. Gespenster und Monster gibt es nicht.‘“ (Ebd., 5. DS) Baustein 3b b) Aussage über Gespenster im Wald Baustein 3c c) Beschwichtigung „Nein. Monster und Gespenster gibt es nicht.“ Baustein 3d d) „eines […] sogar unter meinem Bett“ Baustein 4 im Bett liegen Baustein 5 Angst bekommen Angst bekommen Tabelle 22: Baumustervergleich, Textanalyse I Beide Sequenzen in Bens Baumuster beinhalten das sprachliche Muster durch den Wald rennen: er RANNTE vor lauter angst durch den wald (2. DS) und da haben es BEIDE gehört und BEIDE hat-ten angst und sind [blättert um] durch den WALD gerannt (3./ 4. DS). Im Bilderbuch wird die Tätigkeit des Rennes in der ersten Sequenz durch die Formulierung „durch den dunklen Wald rennen“ (Velthuijs 2016, 2. DS) zum Ausdruck gebracht, während in der zweiten Sequenz die Formulierungen „in den Wald hinaus rennen“ (ebd., 3. DS) und „laufen, so schnell sie können“ (ebd., 4. DS) verwendet werden. Bens sprachliche Gestaltung weist an dieser Stelle somit eine stärkere Musterhaftigkeit und Struktur auf. Im Bilderbuch ist die jeweilige Ankunft des Tieres bzw. der Tiere sprachlich unterschiedlich gestaltet. In der ersten Sequenz wird der Frosch durch direkte Rede von der Ente begrüßt (vgl. ebd., 2. DS), während das „Sich-bemerkbar-Machen“ nicht thematisiert wird. In der zweiten Sequenz hämmern die Tiere an Schweins Tür (vgl. ebd., 5. DS). Ben hingegen thematisiert in beiden Sequenzen das Klopfen an der Tür. da KLOPFTE er an entes tür und sagte ‚HILFE, HILFE, (ich kann nicht schlafen), der wald ist 3.1 Textanalysen 291 voller mo/ monstern und gespenstern‘ (2. DS). da haben sie [blättert um] an SCHWEINS tür ge-klopft und (das schwein) hat gesagt ‚warum weckt ihr mich mitten in der NACHT [.]‘, sagte schwein (5. DS). Ben wählt in beiden Fällen das sprachliche Muster an jemandes Tür klopfen und bildet den Satz jeweils mit Hilfe des strukturellen Musters [„Da“ + Verb]. Somit wird in Bens Text die inhaltliche Wiederholung durch die sprachliche Textgestaltung reflektiert. Auch an dieser Stelle weist Bens Text eine stärkere Musterhaftigkeit auf als das Bilderbuch. Ein weiterer Bestandteil von Bens Baumuster ist das sprachliche Muster Nein. Monster und Gespenster gibt es nicht: da sagte ente [blättert um] ‚NEIN, [.] monster und gespenster gibt es nicht. (2./ 3. DS) und da lachte schwein. ‚NEIN, monster und gespenster gibt es nicht.‘ (5. DS) Im Bilderbuch wird ebenfalls ein sprachliches Muster verwendet. Dieses wird aber im Gegensatz zu Bens Text in der zweiten Sequenz leicht variiert: „‚Unsinn‘, lachte Ente. ‚Gespenster gibt es nicht.‘“ (Velthuijs 2016, 3. DS) und „Schwein lachte. ‚So ein Unsinn. Gespenster und Monster gibt es nicht. Das wisst ihr doch.‘“ (Ebd., 5. DS) Erneut weist Bens Text eine stärkere Musterhaftigkeit auf. Bens Baumuster beinhaltet zudem die Formulie‐ rung eines […] sogar unter meinem Bett: eines war sogar unter meinem bett (3. DS) und da sagt der frosch ‚wir hat-ten angst, gespenster sind im wald und eines (sogar) unter meinem bett.‘ (5. DS) Im Bilderbuch wird in der ersten Sequenz die Formulierung Unter meinem Bett ist ein Gespenst verwendet: „‚Bitte, Ente‘, sagte Frosch. ‚Ich hab Angst. Unter meinem Bett ist ein Gespenst.‘“ (Velthuijs 2016, 2. DS) In der zweiten Sequenz wird das Gespenst unter dem Bett nicht erwähnt. Auch hier weist Bens Baumuster eine stärkere Struktur als das im Bilderbuch verwendete Baumuster auf. Der inhaltliche Baustein des Im-Bett-Liegens ist in Bens Baumuster im Gegensatz zum Baumuster des Bilderbuches nicht vorhanden, da diese Handlung lediglich in der zweiten Sequenz vorkommt. Während im Bilderbuch ein sprachlich recht offenes Baumuster verwendet wird (vgl. digitaler Anhang), konstruiert Ben ein sprachlich stärker struktu‐ riertes Baumuster, indem er inhaltliche Wiederholungen sprachlich mit den gleichen Formulierungen darstellt. Daher weisen die beiden Sequenzen in Bens Textproduktion im Allgemeinen eine stärkere Musterhaftigkeit auf als die im Bilderbuch. Die von Ben gewählten sich wiederholenden sprachlichen Muster zur Versprachlichung der beiden Sequenzen passen auch zur Ähnlichkeit, die die Bilder der beiden Sequenzen aufweisen (vgl. digitaler Anhang). Auch diese Parallelität auf bildlicher Ebene kann den Gebrauch wiederkehrender Muster herausgefordert haben. Das Bilderbuch und Bens Text beinhalten neben den 292 3 Auswertung und Ergebnisse zwei beschriebenen Sequenzen, die einem Baumuster folgen, noch eine dritte Sequenz, die Ähnlichkeit zu den bereits beschriebenen Baumustern hat, sich aber inhaltlich teilweise davon unterscheidet. Die dritte Sequenz enthält in Bens Textproduktion folgende Bausteine seines Baumusters: Der Hase läuft - hier wird erneut das Verb rennen (schnell laufen) verwendet. Er klopft an die Tür - hier wird wieder die Formulierung an jemandes Tür klopfen gebraucht. Im Bilderbuch werden die Formulierungen „durch den Wald laufen“ (Velthuijs 2016, 8. DS) und „an jemandes Tür klopfen“ (ebd., 9. DS) verwendet. Neben den bereits erwähnten Formulierungen, die Bestandteil des Baumusters sind, weist Bens Text verschiedene Ausdrücke und Formulierungen (sprachliche Muster) auf, die mehrfach verwendet werden und somit ebenfalls maßgeblich an der Textstrukturierung und Textgestaltung beteiligt sind. Dabei ist zwischen mehrfach verwendeten sprachlichen Mustern, die im Bilderbuch vorkommen, und solchen, die in ähnlicher Form im Bilderbuch enthalten sind, zu unter‐ scheiden. Sprachliche Muster, die in keiner Form im Bilderbuch zu finden sind, werden von Ben hingegen nicht verwendet. Zu den von Ben mehrfach gebrauchten sprachlichen Mustern, die im Bilder‐ buch vorkommen, gehören nichts von jemandem zu sehen sein, an jemandes Tür klopfen und durch den Wald rennen. So weist Bens Text erstens zweimal das sprachliche Muster nichts von jemandem zu sehen sein auf: am nächsten morgen hat/ war/ stand die tür von schwein WEIT offen und der hase wollte schwein besuchen, aber nix war von schwein zu sehen (7. DS). Im Bilderbuch heißt es auf der gleichen Doppelseite: „Am nächsten Morgen wollte Hase Frosch besuchen. Die Tür stand weit offen, aber von Frosch war nichts zu sehen.“ (Velthuijs 2016, 7. DS) Ben bindet die Formulierung dabei auf eine andere Art in die syntaktische Struktur ein als im Bilderbuch. Durch die andere Reihenfolge der Satzglieder liegt in Bens Text die Betonung auf dem Wort nichts, während sie im Bilderbuch auf dem Tier liegt. Dieses sprachliche Muster gebraucht Ben ein zweites Mal, während es im Bilderbuch lediglich einmal auftaucht. So formuliert Ben zur achten Doppelseite Folgendes: da rannte er mit lauter angst [.] zu ente, aber AUCH nix zu/ von ente zu sehen (8. DS). Erneut verwendet Ben die‐ selbe Reihenfolge der Satzglieder wie auf der siebten Doppelseite. Im Bilderbuch wird die Abwesenheit der Ente im Vergleich zu Bens Text durch das Ausbleiben eines akustischen Signals verstärkt: „Das Haus von Ente war ebenfalls leer. ‚Ente, Ente, wo bist du? ‘, rief Hase. Doch es kam keine Antwort.“ (Velthuijs 2016, 8. DS) Der Inhalt wird im Bilderbuch somit durch ein anderes sprachliches Mittel vermittelt. Die Formulierung nichts von jemandem zu sehen sein kann als sprachliches Muster im neuen Kontext bezeichnet werden. Auffällig ist, dass 3.1 Textanalysen 293 die beiden Textabschnitte, in denen Ben auf diese Formulierung zurückgreift, inhaltlich ähnliche Situationen beschreiben. Folglich liegt die Vermutung nahe, dass implizites Wissen über die Formulierung nichts von jemandem zu sehen sein vorliegt, da Ben sie zweimal passend in ähnlichen Kontexten verwendet. Zweitens gebraucht Ben dreimal die als Bestandteil des Baumusters bezeich‐ nete Formulierung an jemandes Tür klopfen. Im Bilderbuch wird im gleichen Kontext einmal die gleiche Formulierung verwendet und einmal die Formulie‐ rung an die Tür hämmern. Drittens macht Ben insgesamt dreimal von der Formulierung durch den Wald rennen (2. DS, 4. DS, 11. DS) Gebrauch. Im Bilderbuch hingegen wird diese Formulierung nur einmal verwendet (Velthuijs 2016, 2. DS, gleicher Kontext). An einer weiteren Stelle ist eine Variation des sprachlichen Musters zu finden: „durch den Wald laufen“ (ebd., 8. DS). Dadurch, dass Ben in diesem Zusammenhang dreimal das Verb rennen - im Gegensatz zum Verb laufen - verwendet, wird indirekt die Angst, die die Tiere haben, betont, da diese Angst sie nicht nur laufen, sondern sehr schnell laufen (rennen) lässt. Auffällig ist die Tendenz, dass Ben bestimmte sprachliche Mittel, die im Bilderbuch vorkommen, aufzugreifen scheint und diese verwendet, um ähnliche Inhalte sprachlich darzustellen. Neben dem beschriebenen mehrfachen Gebrauch von sprachlichen Mustern ist in Bens Textproduktion auch der mehrfache Gebrauch einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, zu finden. Dies lässt sich beim Gebrauch der Formulierungen ein(e)s […] sogar unter meinem Bett, Monster und Gespenster und vor/ mit lauter Angst beobachten. Das sprachliche Muster ein(e)s […] sogar unter meinem Bett wird von Ben ins‐ gesamt dreimal gebraucht (3. DS, 5. DS, 10. DS). Im Vergleich zum Bilderbuchtext fällt auf, dass diese Formulierung hier lediglich auf der zehnten Doppelseite verwendet wird: „Eins war sogar unter meinem Bett“ (Velthuijs 2016, 10. DS). Eine ähnliche Formulierung wird im Bilderbuch lediglich in Kontexten gebraucht, in denen Ben keinen Gebrauch von dieser Formulierung macht: „‚Da ist jemand unter meinem Bett‘, dachte Frosch“ (Velthuijs 2016, 1. DS) und „‚Ich hab Angst. Unter meinem Bett ist ein Gespenst.‘“ (Ebd., 2. DS) Viermal gebraucht Ben die Formulierung Monster und Gespenster. Das Bilder‐ buch selbst weist sogar sechsmal eine ähnliche Formulierung auf: „Gespenster und gruselige Monster“ (Velthuijs 2016, 4. DS), „voller Gespenster und Monster“ (ebd., 5. DS), „Gespenster und Monster“ (ebd., 5. DS), „Gespenster und gruse‐ lige Monster“ (ebd., 10. DS), „Gespenster und Monster“ (ebd.), „Gespenster und Monster“ (ebd.). Bens Formulierung lässt sich beschreiben als Variation des sprachlichen Musters Gespenster und Monster (Typ „Reihenfolge“) - es 294 3 Auswertung und Ergebnisse handelt sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit um eine Übernahme aus dem Bilderbuch. Auffällig ist, dass im Bilderbuch das Muster zweimal in Variation gebraucht wird, indem ein Adjektiv ergänzt wird. Bei Bens Text ist dies nicht der Fall. Somit weist Bens Gebrauch von Mustern auch in diesem Zusammenhang eine stärkere Musterhaftigkeit als der Bilderbuchtext auf. Insgesamt verwendet Ben nur einmal (vgl. 5. DS) das Muster im gleichen Kontext, wie es im Bilderbuch verwendet wird. Auffällig ist ebenfalls die vierfache Verwendung des sprachlichen Musters vor/ mit lauter Angst. Im Bilderbuch ist diese Formulierung nicht enthalten. Lediglich einmal wird im gleichen Kontext das sprachliche Muster voller Angst verwendet: „Voller Angst lief er durch den Wald und suchte nach Frosch und Ente“ (Velthuijs 2016, 8. DS). Es könnte sich somit bei der Formulierung vor/ mit lauter Angst um eine Variation dieser Wendung einmal im gleichen Kontext und mehrfach in neuen Kontexten handeln. Alternativ kann das sprachliche Muster auch als Bestandteil des strukturellen Musters etwas vor/ mit lauter Angst tun bezeichnet werden. Dieses Muster lässt sich als Variation des sprachlichen Musters etwas voller Angst tun (vgl. ebd., 8. DS) beschreiben. Zum ersten Mal verwendet Ben das sprachliche Muster vor lauter Angst im Text zur zweiten Doppelseite. Dort heißt es: er RANNTE vor lauter angst durch den wald und dach-te ‚hier wimmelt’s ja nur von monstern und gespenstern.‘ (2. DS) Der Satz des Bilder‐ buches, der einen ähnlichen Inhalt transportiert, lautet folgendermaßen: „Er sprang aus dem Bett und rannte durch den dunklen Wald bis zum Haus von Ente“ (Velthuijs 2016, 2. DS). Auffällig ist, dass zwar wie in Bens Satz das Rennen durch den Wald thematisiert wird, der Grund dafür - nämlich die Angst des Frosches - im Satz des Bilderbuches jedoch unerwähnt bleibt. Diese Thematik wird lediglich auf der ersten Doppelseite behandelt: „Frosch hatte Angst“ (ebd., 1. DS). Die inhaltliche Botschaft, die das sprachliche Muster vor lauter Angst beinhaltet, könnte auch mit Hilfe des kausalen Nebensatzes weil er Angst hatte vermittelt werden. Ben bindet also das sprachliche Muster in die syntaktische Organisation seines Satzes ein und vermittelt der Zuhörerin oder dem Zuhörer auf diese Weise in komprimierter Form den Grund für die Handlung des Frosches. Auf der achten Doppelseite verwendet Ben erstmals das sprachliche Muster mit lauter Angst: da rannte er mit lauter angst [.] zu ente, aber AUCH nix zu/ von ente zu sehen (8. DS). Im inhaltlich äqui‐ valenten Satz des Bilderbuches wird die Formulierung voller Angst verwendet, die Ben in variierter Form viermal nutzt: „Voller Angst lief er durch den Wald und suchte nach Frosch und Ente“ (Velthuijs 2016, 8. DS). Die Inhalte, die die Formulierungen voller Angst und mit lauter Angst vermitteln, sind ähnlich. Sie 3.1 Textanalysen 295 beschreiben in komprimierter Form den Zustand einer Person, die große Angst hat. Die Formulierung würde in etwa dem Satz „Er hatte große Angst und …“ entsprechen. Im Vergleich zum Satz im Bilderbuch kann festgestellt werden, dass Ben das sprachliche Muster an einer anderen Position im Satz einbaut. Zum zweiten Mal gebraucht Ben den Ausdruck mit lauter Angst auf der neunten Doppelseite, indem er folgenden Satz formuliert: da sind alle aufgewacht mit lauter angst und [.] hatten gedacht/ und haben alle laut gerufen ‚HILFE, EIN GESPENST‘ (9. DS). Die inhaltlich äquivalente Passage auf der gleichen Doppelseite des Bilderbuches lautet: „‚Hilfe! Ein Gespenst! ‘, schrien die drei Freunde“ (Velthuijs 2016, 9. DS). Auffällig ist, dass im Bilderbuch an dieser Stelle im Gegensatz zu Bens Formulierung nicht explizit erwähnt wird, dass die Tiere Angst haben. Dies lässt sich nur aus dem Hilferuf schließen. Ben greift somit auf ein anderes, ihm bereits bekanntes sprachliches Mittel zurück, um einen ähnlichen Inhalt wie im Bilderbuch zu vermitteln. Zum zweiten Mal verwendet Ben das sprachliche Muster vor lauter Angst in folgendem Textabschnitt: da sagte frosch ‚ja, du bist hin/ da sagte hase ‚ich bin vor LAUTER angst durch den WALD / rannt und habe EUCH GESUCHT‘. (11. DS) Auffällig ist, dass Ben zum zweiten Mal die Wendung vor lauter Angst durch den Wald rennen verwendet. Die inhaltlich äquivalente Passage des Buches lautet: „‚Aber ja‘, sagte Hase. ‚Ich hatte heute Morgen schreckliche Angst, als ich dachte, ich hätte euch verloren.‘“ (Velthuijs 2016, 11. DS) Mit Hilfe der von Ben gewählten Formulierung vor lauter Angst lässt sich verdichtet darstellen, was im Bilderbuch in einem Satz ausgedrückt wird: „Ich hatte […] schreckliche Angst“ (ebd., 11. DS). Neben der Bedeutung, dass die handelnde Person große Angst hat, transportiert das von Ben gewählte Muster jedoch zusätzlich noch den Grund für die Handlung. In allen vier Fällen erfüllt das verwendete sprachliche Muster vor/ mit lauter Angst entweder die Funktion, in komprimierter Form den Grund einer Handlung zu benennen oder bzw. und den Gefühlszustand der handelnden Person zu charakterisieren. Durch die Wiederholung des sprachlichen Musters jeweils in Kombination mit einem Verb zur Beschreibung der angstbesetzen Handlungen wird der Fokus auf den zentralen Begriff der Geschichte gelegt, der bereits in der Überschrift genannt ist: Angst. Neben den sprachlichen Mustern, die mehrfach in Bens Textproduktion zu finden sind, weist Bens Text auch sprachliche Muster auf, die nur einmal auftauchen. Zwei dieser Muster (am nächsten Morgen und alle drei) sind dabei im Bilderbuch enthalten, eins (von etwas wimmeln) nicht. 296 3 Auswertung und Ergebnisse 147 https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ wimmeln So verwendet Ben einmal ein sprachliches Muster mit Zeitangabe: Am nächsten Morgen (7. DS). Das gleiche sprachliche Muster wird im Bilderbuch auf der gleichen Doppelseite in einem anderen Kontext verwendet. Es kann somit als Gebrauch eines sprachlichen Musters in einem neuen Kontext gesprochen werden. Seine Funktion ist die zeitliche Strukturierung des Textes - es handelt sich um ein Gliederungssignal. Das Muster hat ebenfalls eine Textstrukturie‐ rungsfunktion, da es einen neuen Sinnabschnitt einleitet. An einer anderen Stelle verwendet Ben die Formulierung alle drei: da waren alle drei ins/ in/ im bett von schwein (6. DS). Im Bilderbuchtext kommt dieser Ausdruck im gleichen Kontext vor: „Da lagen sie also alle drei zusammen in Schweins Bett“ (Velthuijs 2016, 6. DS). Obwohl ein ähnlicher Inhalt vermittelt wird, integriert Ben die Formulierung in eine neue syntaktische Struktur. Des Weiteren weist der Text den einmaligen Gebrauch des sprachlichen Musters von etwas wimmeln auf, das im Bilderbuch nicht enthalten ist: er RANNTE vor lauter angst durch den Wald und dach-te ‚hier wimmelt’s ja nur von monstern und gespenstern‘ (2. DS). Im Bilderbuch wird in diesem Kontext vom Spuken gesprochen: „‚Und im Wald, da spukt es auch‘“ (Velthuijs 2016, 3. DS). An anderen Stellen werden im Bilderbuch folgende Formulierungen gewählt, um die Situation im Wald zu beschreiben: „Sie hatten das Gefühl, überall seien Gespenster und gruselige Monster“ (ebd., 4. DS), „Der ganze Wald ist voller Gespenster und Monster“ (ebd., 5. DS) und „Im Wald sind ganz viele Gespenster und gruselige Monster“ (ebd., 10. DS). Ben wählt somit ein anderes sprachliches Mittel als im Bilderbuch, um zu versprachlichen, dass sich sehr viele Monster und Gespenster im Wald befinden (vgl. 10. DS) bzw. dass sie sich überall im Wald befinden (vgl. 4. DS). Die Bedeutung von wimmeln lässt sich nach Duden folgendermaßen beschreiben: „voll, erfüllt sein von einer sich rasch, lebhaft durcheinanderbewegenden Menge“ (Dudenredaktion o. J.c). 147 Ein sprachliches Muster, das Ben früher bereits begegnet sein muss, wurde funktional eingesetzt. Ben macht zudem einmalig Gebrauch von einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt: Er wählt die Überschrift der KLEINE frosch hat angst (0. DS). Sie kann als Variation des sprachlichen Musters „Frosch hat Angst“ (Velthuijs 2016, 0. DS) (Typ „Ergänzen“) aus dem Bilderbuch bezeichnet werden. Während im Bilderbuch die Tierbezeichnung Frosch wie ein Name verwendet wird, wählt Ben die mehr verbreitete Konstruktion mit einem 3.1 Textanalysen 297 bestimmten Artikel. Er transportiert dadurch die Botschaft, dass es sich um einen dem Leser bekannten Frosch handelt. Zusätzlich beinhaltet Bens Über‐ schrift die Information, dass der Frosch klein ist. Auch allein der Gebrauch einer Überschrift an sich kann bereits als musterhafter Sprachgebrauch bezeichnet werden (Muster der dritten Ebene). Nachfolgend wird der Gebrauch struktureller Muster in den Blick genommen. Bens Text weist den mehrfachen Gebrauch eines strukturellen Musters auf, das im Bilderbuch vorkommt. Dies gilt für die Muster [„Da“ + Verb], [„Und“ + Satz] und [Adjektiv + Nomen]. So ist ein weiteres von Ben häufig gewähltes Mittel zur Textstrukturierung das strukturelle Muster [„Da“ + Verb], auf das er insgesamt 21-mal zurückgreift. Beim Adverb da handelt es sich dabei 20-mal um ein Temporaladverb. In einem Fall ist eine eindeutige Klassifizierung als Temporal- oder Lokaladverb nicht möglich. Im Gegensatz zum häufigen Gebrauch des Adverbs da in Bens Text, das stets Bestandteil des Musters [„Da“ + Verb] ist, wird das Adverb da im Bilderbuch insgesamt nur fünfmal gebraucht (vgl. Velthuijs 2016, 1. DS, 3. DS, 5. DS, 6. DS, 9. DS). Dabei ist es viermal Bestandteil des Musters [„Da“ + Verb]. Viermal wird das Adverb da im Bilderbuch als Lokaladverb gebraucht: „‚Da ist jemand unter meinem Bett‘, dachte Frosch“ (Velthuijs 2016, 1. DS). „‚Und im Wald, da spukt es auch‘“ (ebd., 3. DS). „‚Wer ist da? ‘, fragte eine verschlafene Stimme“ (ebd., 5. DS). „Da lagen sie also alle drei zusammen in Schweins Bett“ (ebd., 6. DS). In einer weiteren Textpassage lässt sich das Adverb da sowohl als Lokalad‐ verb als auch als Temporaladverb bezeichnen, wobei die erste Interpretation naheliegender ist: „Er schaute durchs Fenster und da sah er seine Freunde im Bett liegen“ (ebd., 9. DS). Somit fungiert das Adverb da innerhalb des strukturellen Musters [„Da“ + Verb] im Bilderbuch höchstens in einem einzigen Fall als Temporaladverb, während diese Funktion des Adverbs da in Bens Text die vorherrschende ist. Zudem wird das Adverb da von Ben nur an einer Stelle im gleichen Kontext wie im Bilderbuch verwendet: „Da lagen sie also alle drei zusammen in Schweins Bett […]“ (ebd., 6. DS). da waren alle drei ins/ in/ in/ im bett von schwein (6. DS). In diesem Fall ist es uneindeutig, ob es sich in Bens Text beim Adverb da um ein Lokaladverb wie im Bilderbuchtext handelt, oder um ein Temporaladverb wie in den anderen 20 Fällen. Häufig markiert Ben mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] neue Sinnabschnitte. Teilweise nutzt er es, um die Reaktion einer Figur auf ein Ereignis einzuleiten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Funktion, die das Muster [„Da“ + Verb] in Bens Text erfüllt (zeitliche Gliederung), sich von der Funktion, die es im Bilderbuch innehat, unterscheidet. 298 3 Auswertung und Ergebnisse Ben macht zudem dreimal Gebrauch vom strukturellen Muster [„Und“ + Satz]: da haben es BEIDE gehört und BEIDE hat-ten angst (3. DS). da haben sie [blättert um] an SCHWEINS tür ge-klopft und (das schwein) hat gesagt ‚warum weckt ihr mich mitten in der NACHT [.]‘ (4./ 5. DS). am nächsten morgen hat/ war/ stand die tür von schwein WEIT offen und der hase wollte schwein besuchen (7. DS). Im Bilderbuch wird dieses strukturelle Muster in zwei anderen Kontexten verwendet: „‚Die gibt’s wohl‘, beteuerte Frosch. ‚Und im Wald, da spukt es auch.‘“ (Velthuijs 2016, 3. DS) „‚Machen wir, dass wir wegkommen.‘ Und sie rannten hinaus in den Wald.“ (Ebd., 3. DS) Des Weiteren verwendet Ben dieses strukturelle Muster, um jeweils zwei Aussagen der Erzählerrede zu verbinden, während es im Bilderbuch immer zwischen einer Aussage in Erzählerrede und einer in Form von direkter Rede verwendet wird. Hinsichtlich des Gebrauchs des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] ist an Bens Textproduktion Folgendes zu beobachten: Obwohl im Bilderbuchtext zwölfmal das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vorkommt (vgl. digitaler Anhang), verwendet Ben dieses nur zweimal. Dabei bildet er zweimal die Formulierung „der kleine Frosch“ (0. DS, 1. DS), die im Bilderbuch nicht vorkommt. Einmal verwendet Ben die Formulierung weit offen stehen - eine Formulierung, die auch im Bilderbuchtext im gleichen Kontext genutzt wird. Ihr liegt das strukturelle Muster [Adjektiv + Adjektiv + Verb] zugrunde. Obwohl das Bilderbuch das Muster [Adjektiv + Verb] und zwei Variationen dieses Musters zehnmal beinhaltet (vgl. digitaler Anhang), wird es von Ben lediglich einmal verwendet. Des Weiteren weist Bens Text den einmaligen Gebrauch eines strukturellen Musters auf, das im Bilderbuch vorkommt. Ben macht einmal Gebrauch vom strukturellen Muster [Verb + „und“ + Verb], das als Paarformel bezeichnet werden kann: der KLEINE frosch lag im BETT [2] und hat angst. [2] es RASCHELT und BRASCHELT. [blättert um] (1. DS). Mit Hilfe dieses Musters verdeutlicht Ben, dass es nicht nur einmal raschelt. Im Bilderbuch wird eine detaillierte Beschreibung der verschiedenen Geräusche gemacht: „Er lag im Bett und hörte überall seltsame Geräusche. Es knackte im Schrank und raschelte unter den Dielen.“ (Velthuijs 2016, 1. DS) Ben gelingt es, die ganze Situation mit Hilfe einer einzigen sprachlichen Struktur komprimiert darzustellen. Die Funktion, die dieses sprachliche Muster in Bens Text erfüllt, besteht somit darin, in komprimierter Form zum Ausdruck zu bringen, dass viele Geräusche zu hören sind. Zusätzlich erfüllt das sprachliche Muster durch den 3.1 Textanalysen 299 148 Alternativ könnte der Satz da lachte schwein auch als vorangestellter Redebegleitsatz gelesen werden. Die zuerst genannte Interpretation erscheint jedoch plausi‐ bler, da die äquivalente Passage des Bilderbuches folgendermaßen lautet: „Schwein lachte. ‚So ein Unsinn. Gespenster und Monster gibt es nicht. Das wisst ihr doch.‘“ (Velthuijs 2016, 5. DS) Reim eine poetische Funktion und wirkt dadurch attraktiver auf die Zuhörerin oder den Zuhörer. Im Bilderbuchtext selbst werden keine Reime verwendet. Ben baut somit das ihm bereits bekannte Stilmittel in den Text ein, wodurch sich Leserorientierung zeigt. Das strukturelle Muster [Verb + „und“ + Verb] wird auf der achten Doppelseite im Bilderbuch in einem anderen Kontext verwendet: „Er suchte und suchte“ (Velthuijs 2016, 8. DS). In der verallgemeinerten Form [Wort einer Wortart + „und“ + Wort der gleichen Wortart] ist das strukturelle Muster auch auf der neunten Doppelseite in der Form [Adjektiv + „und“ + Adjektiv] zu finden: „Sie schliefen tief und fest“ (Velthuijs 2016, 9. DS). Das von Ben gebrauchte Muster kann somit als Gebrauch eines strukturellen Musters in einem neuen Kontext bezeichnet werden. Nachfolgend wird der Gebrauch erzähltypischer Muster (direkte Rede) sowie wei‐ terer Muster der dritten Ebene (Wiederholung als rhetorisches Mittel) beschrieben. Während im Bilderbuch auf jeder Doppelseite direkte Rede vorkommt, macht Ben lediglich auf sechs der zwölf Doppelseiten von diesem Textgestal‐ tungsmittel Gebrauch. Dabei wählt er fast ausschließlich direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz - und zwar zwölfmal. Lediglich zweimal greift er auf andere Formen direkter Rede zurück: Einmal wird die gleiche Aussage von Ben sowohl im vorangestellten als auch im nachgestellten Begleitsatz vermittelt - die Information ist redundant: und (das schwein) hat gesagt ‚warum weckt ihr mich mitten in der NACHT [.]‘, sagte SCHwein (5. DS). In der folgenden Passage wird direkte Rede ohne Begleitsatz genutzt: da lachte schwein. ‚NEIN, monster und gespenster gibt es nicht.‘ (5. DS) 148 Im Bilderbuchtext wird ausschließlich direkte Rede mit nachgestelltem, ein‐ geschobenem und ohne Begleitsatz verwendet, aber nicht mit vorangestelltem Begleitsatz. Die von Ben gewählte Form der direkten Rede, von der er in seiner gesamten Textproduktion insgesamt elfmal Gebrauch macht, besteht aus einem vorangestellten Redebegleitsatz, der mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] eingeleitet wird, und einem Hauptsatz, der direkte Rede enthält: [„Da“ + Redebegleitsatz + Direkte Rede]. Zehnmal verwendet Ben dabei das Verb sagen, einmal das Verb lachen, gebraucht dieses aber auf die gleiche Art und Weise wie das Wort sagen. Im Bilderbuchtext ist das Muster [„Da“ + Redebegleitsatz 300 3 Auswertung und Ergebnisse 149 Zur Unterscheidung der vier Funktionen (Fall 1 bis 4), den der Gebrauch von direkter Rede mit Blick auf den Bilderbuchtext haben kann, vgl. Kapitel II.3.2 (Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen). + Direkte Rede] nicht enthalten. Ben scheint die von ihm gewählte Form der direkten Rede somit bereits durch vorangegangene Erfahrungen mit Texten erworben zu haben. Im Bilderbuchtext rennt Frosch zum Haus der Ente. Daraufhin sagt Ente: „Wie lieb, dass du mich besuchen kommst“ (Velthuijs 2016, 2. DS). Ben hingegen beginnt den Dialog zwischen Ente und Frosch mit einem Hilfeschrei des Frosches: HILFE, HILFE (2. DS). Er gebraucht hier das Mittel der direkten Rede, um die Emotionen des Frosches zum Ausdruck zu bringen. Der Hilfeschrei taucht im Bilderbuch in einem anderen Kontext auf: „‚Hilfe! Ein Gespenst! ‘, schrien die drei Freunde“ (Velthuijs 2016, 9. DS). Im gleichen Kontext nutzt Ben den Hilferuf ebenfalls: da hat [.] hase an schweins TÜR ge-klopft und ans fenster ge/ da sind alle aufgewacht mit lauter angst und [.] hatten gedacht/ und haben alle laut gerufen ‚HILFE, EIN GESPENST‘. (9. DS) Der Hilferuf als direkte Rede kann somit als Gebrauch eines Musters im gleichen und im neuen Kontext bezeichnet werden. Direkte Rede wird von Ben ausschließlich dazu verwendet, um Inhalte zu vermitteln, die auch im Bilderbuch in Form von direkter Rede dargestellt werden (Fall 1  149 ). Die zwei von Ben genutzten unspezifischen Verben sagen und lachen sind im Bilderbuch jeweils mehrfach in Redebegleitsätzen enthalten (vgl. Tabelle 10 im digitalen Anhang). An einer Stelle verwendet Ben das unspezifische Verb sagen, während im Bilderbuch ein ähnlicher Inhalt mittels direkter Rede in Kombination mit dem spezifischen Verb beteuern transportiert wird. Ben liefert eine Zusatzinformation, indem er die Antwortpartikel DOCH innerhalb der direkten Rede durch eine besondere Betonung hervorhebt. Auf diese Weise verstärkt er den Eindruck, dass die Figur Frosch seiner Aussage Nachdruck verleiht. Die Bedeutung des Verbs sagen in Kombination mit dieser Betonung entspricht in etwa der Bedeutung des Verbes beteuern (vgl. Tabelle 11 im digitalen Anhang). Ben macht Gebrauch vom rhetorischen Mittel der Wiederholung. da haben es BEIDE gehört und BEIDE hat-ten angst und sind [blättert um] durch den WALD gerannt (3./ 4. DS). Durch die Wiederholung des Indefinitpronomens beide wird dieses betont. So wird durch ein sprachliches Mittel hervorgehoben, dass nun auch die Ente, die zuvor noch behauptete, es gäbe keine Monster und Gespenster (vgl. 3. DS), genauso wie der Frosch 3.1 Textanalysen 301 Angst hat. Das rhetorische Mittel hat somit eine Wirkung, die den Inhalt der Geschichte sprachlich unterstützt. Durch die besondere Betonung des Indefinit‐ pronomens BEIDE verstärkt Ben diese Wirkung zusätzlich. Im Bilderbuchtext findet im Gegensatz zu Bens Text keine besondere (sprachliche) Hervorhebung der Information statt, dass nun auch Ente Geräusche vernimmt und Angst hat. So wird das Personalpronomen sie bei der Schilderung des Wahrnehmens eines Geräusches und des Gefühls der Anwesenheit von Gespenstern und Monstern im Plural gewählt: „Plötzlich hörten sie ein Kratzen auf dem Dach. ‚Was ist das? ‘, fragte Ente, die erschrocken in die Höhe fuhr.“ (Velthuijs 2016, 3. DS) „Sie hatten das Gefühl, überall seien Gespenster und gruselige Monster“ (ebd., 4. DS). Dass die Ente die Geräusche hört, wird auch mittels direkter Rede und des Thematisierens ihres Erschreckens über das Wahrnehmen der Geräusche dargestellt (vgl. ebd., 3. DS). Von den im Bilderbuch gebrauchten Phraseologismen und gängigen Formulie‐ rungen der deutschen Sprache verwendet Ben neben der bereits erwähnten Formulierung weit offen stehen noch dreimal die Formulierung an jemandes Tür klopfen. Während im Bilderbuch auch die Variation des Phraseologismus an jemandes Tür hämmern verwendet wird, nutzt Ben durchgängig die gleiche Formulierung. Er macht somit mehr Gebrauch von sich wiederholenden Ele‐ menten, als der Text des Bilderbuches enthält. Auffällig ist des Weiteren, dass Ben das weit verbreitete und im Bilderbuchtext enthaltene strukturelle Muster [„Plötzlich“ + Verb] nicht in seinen Text übernimmt. Zudem macht Ben im Vergleich zum Bilderbuchttext, das 22-mal ein strukturelles Muster enthält, welches ein Wort mit Hilfe eines Adjektivs näher beschreibt, lediglich dreimal Gebrauch von einem Muster dieser Art. Zweimal handelt es sich dabei um das sprachliche Muster der kleine Frosch (vgl. Tabelle 12 im digitalen Anhang). Es konnte festgestellt werden, dass das von Ben gebildete Baumuster mehr Struktur aufweist als das dem Bilderbuch zugrundeliegende Baumuster. Dabei besteht Bens Baumuster zum Großteil aus sich wiederholenden sprachlichen Mustern. Nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des Baumusters verwendet Ben auch im Bilderbuch enthaltene sprachliche Muster mehrfach, wenn ein ähnlicher Inhalt zum Ausdruck gebracht werden soll. Im Bilderbuch werden ähnliche Inhalte nicht immer mit den gleichen sprachlichen Mitteln zum Ausdruck gebracht. Auch durch diese Wiederholungen weist Bens Text eine stärkere Struktur auf als der Bilderbuchtext. Die von Ben mehrfach verwendeten Formulierungen kommen im Bilderbuch einmal oder mehrmals vor oder liegen 302 3 Auswertung und Ergebnisse teilweise im Bilderbuchtext in einer ähnlichen Form vor. So verwendet Ben mehrfach das sprachliche Muster Monster und Gespenster, das eine Variation eines sprachlichen Musters aus dem Bilderbuch darstellt. Auffällig dabei ist, dass Ben stets auf diese variierte Formulierung zurückgreift, aber nie auf eine der Originalformulierungen aus dem Bilderbuch. Ähnliche Beobachtungen lassen sich zum Gebrauch des sprachlichen Musters vor/ aus lauter Angst machen: Auch hier verwendet Ben nur eine Variation einer Formulierung des Bilderbuchtextes. Indem Ben sich wiederholende Handlungen mit Hilfe von sich wiederho‐ lenden sprachlichen Formulierungen zum Ausdruck bringt, hebt er die Wie‐ derholung der Handlungen zusätzlich auf einer sprachlichen Ebene hervor. Bens Tendenz zum Schaffen von mehr Struktur entspricht dem episodenhaften Aufbau der Geschichte mit sich wiederholenden inhaltlichen Elementen, der sich zum Teil auch in der Gestaltung der Bilder zeigt. Ben bindet einige der sprachlichen Muster, die auch im Bilderbuch vor‐ kommen, in neue syntaktische Strukturen ein. Einmal macht Ben Gebrauch von einem sprachlichen Muster, das im Bilderbuch nicht enthalten ist: Er transportiert den gleichen Inhalt wie im Bilderbuch, wählt jedoch im Gegensatz zum Bilderbuch eine feststehende Wendung (von etwas wimmeln). Im Hinblick auf Bens Mustergebrauch lässt sich eine Tendenz zur Komprimierung des Inhalts mit Hilfe einer sprachlichen Form erkennen (mit/ voller Angst/ von etwas wimmeln/ es raschelt und braschelt). Als zeitliche Gliederung verwendet Ben sehr häufig das strukturelle Muster [„Da“ + Verb], das im Bilderbuch nur vereinzelt enthalten ist. Während es sich in Bens Text beim Adverb da überwiegend um ein Temporaladverb handelt, enthält das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] im Bilderbuch hingegen in den meisten Fällen ein Lokaladverb. Ein weiteres Mittel zur zeitlichen Gliederung, dessen sich Ben bedient, ist ein sprachliches Muster mit Zeitangabe (Am nächsten Morgen), das im Bilderbuch ebenfalls in einem anderen Kontext verwendet wird. Auch verwendet Ben dreimal das strukturelle Muster [„Und“ + Satz] zur Verknüpfung von Inhalten. Mit Blick auf den Gebrauch direkter Rede als erzähltypisches Mittel ist zum einen die Beobachtung festzuhalten, dass Ben wesentlich weniger direkte Rede verwendet als im Bilderbuch enthalten ist - er nutzt direkte Rede auf halb so vielen Doppelseiten. Des Weiteren ist auffällig, dass er fast ausschließlich direkte Rede mit vorangegangenem Begleitsatz gebraucht - eine Form, die im Bilderbuch gar nicht enthalten ist. Überdies greift Ben bei der Versprachlichung der direkten Rede fast immer auf das nicht im Bilderbuch enthaltene strukturelle Muster [„Da“ + Redebegleitsatz + Verb] zurück. Er macht des Weiteren Gebrauch vom 3.1 Textanalysen 303 rhetorischen Mittel der Wiederholung (beide) zur Betonung eines Sachverhaltes, der im Bilderbuch in der äquivalenten Textpassage nicht betont wird. Zusammenfassend lässt sich erstens Bens Tendenz hervorheben, zur Ver‐ sprachlichung ähnlicher Inhalte mehrfach Gebrauch vom gleichen sprachlichen Muster zu machen. Zweitens dient der häufige Gebrauch des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] der Textorganisation. Drittens sei auf Bens Tendenz zur Komprimierung von Inhalten durch den Gebrauch eines sprachlichen Musters hingewiesen. Leserorientierung zeigt sich in Bens Textproduktion erstens anhand verbaler Mittel, die im Textprodukt abgelesen werden können (Gebrauch rhetorischer Mittel). So macht Ben in seiner Textproduktion Gebrauch der bereits erwähnten rhetorischen Mittel Reim und Wiederholung. Dies zeigt sich an den zwei Text‐ passagen es RASCHELT und BRASCHELT (1. DS) und da haben es BEIDE gehört und BEIDE hat-ten angst (3. DS). Zweitens nimmt Ben Akzentuierungen von Inhalten durch Intonation vor. Ben hebt bestimmte Wörter und Ausdrücke in seiner Textproduktion durch eine besondere Intonation hervor - und zwar sowohl in der Erzählerrede als auch in der Figurenrede. Zu‐ nächst werden Textpassagen in den Blick genommen, in denen Hervorhebungen innerhalb der Erzählerrede stattfinden. Dabei ist die sprachliche Hervorhebung stets passend zum Inhalt gewählt. In den aufeinander folgenden Sätzen der KLEINE frosch hat angst (0. DS) und der KLEINE frosch lag im BETT [2] und hat angst (1. DS) wird eine Eigenschaft des Frosches betont: Er ist klein. Hier ist die Interpretation möglich, dass es sich beim Frosch um ein Kind handelt, das sich eines Nachts vor unheimlichen Geräuschen fürchtet. In den Sätzen er RANNTE vor lauter angst durch den wald (2. DS) und da KLOPFTE er an entes tür (2. DS) werden die Verben (rennen, klopfen) betont, die die Tätigkeiten des mit Angst erfüllten Frosches beschreiben. Diese Betonungen können den Eindruck verstärken, dass es sich bei diesen Handlungen um schnelle und kraftvolle Aktionen handelt, die durch Angst ausgelöst worden sind. In der nächsten Textpassage wird durch Betonung hervorhoben, dass es sich um Schweins Tür handelt, an die geklopft wird. Auch diese Hervorhebung ist funktional, da hier betont wird, dass zunächst an die Tür eines Tieres und nun an die Tür eines weiteren Tieres geklopft wird: da haben sie [blättert um] an SCHWEINS tür ge-klopft (5./ 6. DS). Die Hervorhebung Bens im folgenden Satz bewirkt, dass sich die Zuhörerin oder der Zuhörer die Situa‐ tion besser vorstellen kann: am nächsten morgen hat/ war/ stand die tür von schwein WEIT offen (7. DS). Auch in der folgenden Textpassage ist die besondere Betonung eines Wortes (und zwar des Adverbs 304 3 Auswertung und Ergebnisse auch) funktional: da rannte er mit lauter angst [.] zu ente, aber AUCH nix zu/ von ente zu sehen (8. DS). Zunächst war von Schwein nichts zu sehen und nun wiederholt sich die Situation für den Hasen: Auch von Ente ist nichts zu sehen. da hatte auch SCHWEIN angst (6. DS). Die funktionale Betonung des Wortes Schwein hebt hervor, dass sich nun auch Schwein, das vorher noch lachte (vgl. 5. DS), fürchtet. Im Folgenden wird der Blick auf die Hervorhebungen durch Intonation in der Figurenrede gelegt. In der Figurenrede setzt Ben Betonungen in den folgenden Textpassagen situationsgerecht. Ben trägt Hilferufe von Tieren mit besonderer Betonung vor: und sagte ‚HILFE, HILFE […]‘ (2. DS) und ‚HILFE, EIN GESPENST‘ (9. DS). Auch das Widersprechen der Ente, des Schweins und des Hasen wird von Ben betont vorgetragen. Dabei wird stets die Antwortpartikel nein besonders akzentuiert: • ‚NEIN. [.] monster und gespenster gibt es nicht.‘ (3. DS) • ‚NEIN, monster und gespenster gibt es nicht.‘ (5. DS) • da sagte Hase ‚NEIN, GESPENSTER [.] ES NICHT UND MONSTER AUCH NICHT.‘ (10. DS) Beim Widersprechen des Frosches erfährt analog dazu die Antwortartikel doch eine besondere Akzentuierung: da sagte frosch ‚DOCH, eins war sogar unter meinem bett [.] ein gespenst‘ (10. DS). In den folgenden Textpassagen werden für die jeweilige Aussage zentrale Begriffe durch eine besondere Intonation von Ben hervorgehoben: • und haben alle laut gerufen ‚wir hatten solche ANGST, wir dachten, du bist ein gespenst.‘ (10. DS) • da hatte frosch gesagt ‚JEDER hat mal angst, sogar DU.‘ (11. DS) • ‚ich bin vor LAUTER angst durch den WALD / rannt und habe EUCH GESUCHT‘ (11. DS). Im letztgenannten Satz wird die Größe der Angst gleich auf zwei verschiedene Weisen hervorgehoben: durch das Hinzufügen des Adjektivs lauter und durch die besondere Intonation dieses Wortes. Bens Text weist folgende Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit auf: In der Erzählerrede verwendet Ben überwiegend das Präteritum (21-mal), aber auch achtmal das Perfekt, viermal das Präsens und dreimal das Plusquamperfekt. Im Bilderbuch ist die Erzählerrede fast durchgängig im Präteritum gehalten. Die 3.1 Textanalysen 305 Ausnahme bildet hier die Überschrift Frosch hat Angst, die im Präsens steht. Hy‐ potaktische Satzkonstruktionen, die charakteristisch für konzeptionelle Schrift‐ lichkeit sind, weist die Textproduktion von Ben nicht auf. Stattdessen verwendet Ben zahlreiche Satzreihen. Anzumerken ist an dieser Stelle, dass das Bilderbuch Frosch hat Angst, das Ben vor seiner Textproduktion vorgelesen wurde, selbst lediglich zwei hypotaktische Satzkonstruktionen enthält. Bens Text weist keine Ausdrücke auf, die eindeutig dem schriftsprachlichen Register zugeordnet werden können. Ben stellt Monologizität her. Seine Text‐ produktion wird nicht durch Dialoge mit der Zuhörerin oder dem Zuhörer unterbrochen. Während des ganzen Textproduktionsprozesses ist Bens Blick auf die Bilderbuchseiten gerichtet. Des Weiteren bildet Ben mehrere Sätze, die auf einer Doppelseite beginnen und erst auf der darauffolgenden Doppelseite enden. Auf diese Weise sichert er an diesen Stellen die monologische Textproduktion über eine Bilderbuchdoppelseite hinaus. Im Bilderbuch ist dieses Gestaltungs‐ mittel nicht vorhanden. Ben gliedert zudem seinen Text in verschiedene Sinn‐ abschnitte. Hierbei macht er häufig Gebrauch vom strukturellen Muster [„Da“ + Verb], das zur zeitlichen Gliederung dient. An einer weiteren Stelle verwendet er zu diesem Zweck das sprachliche Muster Am nächsten Morgen (7. DS). Im Folgenden werden von Ben vorgenommene Überarbeitungen, die sich am Transkript zeigen lassen, näher betrachtet. Zunächst bildet Ben für die direkte Rede einen Begleitsatz, der im Perfekt gehalten ist, und ergänzt die direkte Rede anschließend mit einem Redebegleitsatz, der im Präteritum gehalten ist: da haben sie [blättert um] an SCHWEINS tür ge-klopft und (das schwein) hat gesagt ‚warum weckt ihr mich mitten in der NACHT [.]‘, sagte schwein (4./ 5. DS). Es findet somit einmal eine Annäherung an konzeptionelle Schriftlichkeit statt, indem Ben die Zeitform Perfekt durch das Präteritum ersetzt. Die inhaltliche Information der beiden Begleitsätze ist beinahe identisch. Das Ersetzen der aus einem Artikel und einem Nomen bestehenden Formulierung das schwein durch das ähnlich wie ein Name gebrauchte Nomen schwein kann als Annäherung an die Formulierung aus dem Bilderbuch verstanden werden, in dem stets von Schwein, niemals aber von dem Schwein die Rede ist. An dem folgenden Satzgefüge werden zwei Überarbeitungen sichtbar: am nächsten morgen hat/ war/ stand die tür von schwein WEIT offen und der hase wollte schwein besuchen, aber nix war von schwein zu sehen (7. DS). Als erstes ersetzt Ben das Hilfsverb hat durch das Kopulaverb war. Vermutlich sollte das Hilfsverb hat den ersten Teil einer Perfektkonstruktion bilden. Diese wird zunächst durch eine Präteritumkonstruktion (war) ersetzt. Hier scheint Ben eine Korrektur 306 3 Auswertung und Ergebnisse in Richtung konzeptionelle Schriftlichkeit vorzunehmen. Anschließend ersetzt Ben das Verb war durch das Verb stand. Das erzähltypische Tempus Präteritum bleibt erhalten. Bei dieser stilistischen Korrektur scheint sich Ben gegen die Konstruktion offen sein und für die Konstruktion offen stehen zu entscheiden. Hierdurch erhält seine Textproduktion eine stärkere Orientierung am Bilder‐ buchtext: „Die Tür stand weit offen, aber von Frosch war nichts zu sehen“ (Velthuijs 2016, 7. DS). Durch Bens Überarbeitung wird die Formulierung somit einerseits schriftsprachlicher und zusätzlich nähert sich der Text auf der sprachlichen Ebene stärker dem des Bilderbuches an. Bei der folgenden Überarbeitung handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine syntaktische Korrektur: da rannte er mit lauter angst [.] zu ente, aber AUCH nix zu/ von ente zu sehen (8. DS). Ohne die Überarbeitung hätte Ben vermutlich die Formulierung nichts von Ente zu sehen gebildet. So formuliert er stattdessen nichts zu sehen von Ente. Der Bilder‐ buchtext selbst weist eine von beiden Formulierungen abweichende Syntax auf: „Die Tür stand weit offen, aber von Frosch war nichts zu sehen“ (Velthuijs 2016, 7. DS). Möglicherweise wirkte hier Bens Sprachgefühl, das ihn zu dieser Überarbeitung veranlasste, subsidiär. Eine inhaltliche Überarbeitung, die durch die Orientierung am Bilderbuchtext ausgelöst zu sein scheint, ist am folgenden Auszug des Transkripts zu erkennen: da hat schwein mit allen gefrühstückt. da hatte frosch gesagt ‚JEDER hat mal angst, sogar DU.‘ da sagte [.] hase ‚JA, SCHON.‘ da sagte frosch ‚ja, du bist hin/ da sagte hase ‚ich bin vor LAUTER angst durch den WALD / rannt und habe EUCH GESUCHT‘. (11. DS) Im Bilderbuchtext gibt der Hase, wie in Bens Überarbeitung, selbst Auskunft: „‚Aber ja‘, sagte Hase. ‚Ich hatte heute Morgen schreckliche Angst, als ich dachte, ich hätte euch verloren.‘“ (Velthuijs 2016, 11. DS) Ben scheint folglich darum bemüht zu sein, die ihm bekannte Geschichte so nah wie möglich am Inhalt der Bilderbuchgeschichte wiederzugeben (vgl. 11. DS) und (teilweise) Formulierungen möglichst auf die gleiche Weise zu bilden wie im Bilderbuchtext. Diese beiden Beobachtungen lassen darauf schließen, dass Bens Schreibidee, die dem distalen Term zugeordnet wird, inhaltlich sowie sprachlich möglicherweise identisch mit dem Bilderbuchtext ist. Die beschriebenen Überarbeitungen, die Ben bei der Textproduktion vornimmt, weisen auf ein Pendeln zwischen dem distalen und dem proximalen Term hin. In Anlehnung an Neuwegs Definition von implizitem Wissen als Wissen, „das in der praktischen Kompetenz einer Person […] zum Ausdruck kommt, das aber nicht oder nicht angemessen verbalisiert werden kann“ (Neuweg 2000, S. 198), 3.1 Textanalysen 307 zeigt sich in Bens Textproduktion seine Textkompetenz bzw. sein Können. Wie das Transkript verdeutlicht, ist Ben in der Lage, einen monologischen Text zu produzieren. Ben wurde durch die Pretend-Reading-Situation zur Produktion eines monologischen Textes herausgefordert, der - bis auf eine Leerstelle - aus sich heraus verständlich ist. Es zeigt sich, dass Ben überwiegend Kohärenz herstellt und somit in seiner Textproduktion eines der zentralsten Merkmale von Textualität (vgl. I.3.1) berücksichtigt. Bens implizite Textkompetenz wird insbesondere an den Stellen deutlich, an denen Ben ein scheinbar aus dem Bilderbuch stammendes Muster funktional in anderen Kontexten einsetzt oder dieses in eine neue syntaktische Struktur einbindet. Diese Fähigkeit des Einbindens von Mustern in neue Zusammenhänge kann nach Kruse und Kruse (2007) als Textkompetenz bezeichnet werden (vgl. ebd., S.-31). Der mehrfache funktionale Gebrauch eines Musters in verschiedenen Kon‐ texten der Geschichte - insbesondere, wenn es sich um andere Kontexte als im Bilderbuchtext selbst handelt - ist in Bens Textproduktionen häufig zu beobachten. Entsprechend der Wissenstheorie Polanyis (vgl. I.6; Neuweg 2004; Polanyi 1985) kann dies als Hinweis darauf gedeutet werden, dass jeweils eine implizite Beziehung zwischen dem Muster (p) und seiner Funktion (d) besteht. 3.1.2 Textanalyse II: Clown Beppo von Kira Kira ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Pretend-Reading-Situation mit der oder dem Studierenden vier Jahre und elf Monate alt. Ihre Familiensprache ist Deutsch. Sie hat zwei ältere Geschwister, die 18 und 14 Jahre alt sind sowie ein jüngeres Geschwisterkind, das zwei Jahre alt ist. Die Herkunftsregionen der Eltern liegen in Deutschland. Die Eltern des Kindes haben beide einen Hoch‐ schulabschluss. Kira besucht eine Kindertagesstätte. Im Haushalt gibt es nach Angaben der Eltern über 80 Bilder- oder Kinderbücher. Dem Kind wird mehr als zehnmal in der Woche ein Buch oder eine Geschichte vorgelesen. Kira tut manchmal so, als würde sie (jemandem) ein Buch vorlesen. Sie bezeichnet diese Tätigkeit nach Angaben der Eltern als vorlesen. Die oder der Studierende kannte Kira seit zwei Monaten. Die Pretend-Reading-Situation fand im Wohnzimmer der Familie statt. Bei der zu analysierenden Pretend-Reading-Situation handelt es sich um den zweiten Versuch, mit Kira (K) eine Pretend-Reading-Situation durchzuführen. Der Vollständigkeit halber werden auch die Instruktionen, die Kira beim ersten Versuch erhalten hat, aufgeführt. Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situa‐ tion informiert die oder der Erwachsene (E) Kira über das geplante Vorgehen. 308 3 Auswertung und Ergebnisse 150 Erlbruch, Wolf (2000): Die fürchterlichen Fünf. Peter Hammer. E: so, du hast dir ja hier das buch hier ausgesucht, die fürchterlichen fünf, ne? und als allererstes les ich dir das vor und danach tauschen wir mal und dann liest du mir das vor, okay? K: jaja E: jaja? / K: - / ich weiß es eh. E: okay. Im zweiten Schritt liest die oder der Erwachsene Kira das komplette Bilderbuch Die fürchterlichen Fünf von Wolf Erlbruch 150 vor. Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Kira auf, das Bilderbuch „vorzulesen“. Dies geht folgendermaßen vonstatten. E: ende. [3] so, [3] jetzt hab ich dir ja das buch vorgelesen, ne [? ] [K nickt] , das du dir ausgesucht hast aus meinem vorlesesessel hier [E klopft mit der Hand auf die Sessellehne] und jetzt tauschen wir mal den platz, [K gleitet langsam vom Stuhl herunter] dafür geb ich dir mal das buch und du setzt dich auf den vorlesesessel und ich setz mich auf deinen platz, okay? E: okay. K: [lacht leise] mh. E: tu einfach mal so, als würdest du‘s mir jetzt vorlesen, das buch, ja? K: ich überleg nur, wa/ wa/ was ich vorlesen soll als erstes. [K sieht in die andere Richtung, hat die Hand an den Mund gelegt] [2] mh [28] E: was ist denn am anfang passiert? K: das will ich nicht sagen, aber ich weiß es. [50] [K blättert während der Pause im Buch herum, atmet hörbar ein und aus und atmet hörbar aus] E: kannst nichts falsch machen. was du vorliest, ist richtig. es geht nicht darum, dass du jetzt die geschichte eins zu eins nacherzählst. ich möchte einfach nur, dass du so tust, als würdest du vorlesen. 3.1 Textanalysen 309 K: kei/ E: du hast ja eben gesehen und gehört, wie ich vorgelesen habe. [K lacht leise] und da hab ich vorgelesen und du hast mir zugehört. und jetzt tust du mal so, als würdest DU vorlesen und ich hör dir zu, okay? K: [nickt] [103] [klappt während der Pause das Buch zu und betrachtet das Cover, öffnet das Buch und blättert zur 1. Doppelseite, schaut in die Kamera] also ö: h [E lacht kurz] [13] E: willst du, dass ich’s dir nochmal vorlese? K: nö. [7] E: dann lies du mal vor jetzt. K: o: kay. [3] öh. [schaut in die Kamera] [8] [lacht leise] [31] E: sag mir mal, was grad los ist. weißt du nicht, was du machen sollst, oder/ K: doch, das weiß ich. [blättert währenddessen im Buch herum] E: ja? E: hast du keine lust? K: doch. E: ja? - […] Der folgende Transkriptausschnitt enthält Kiras Textproduktion: K: […] (unverständlich) dann kam die ratte [leise] [5] E: kannst du n bisschen lauter sprechen [flüstert] K: da kam die fledermaus a: lso äh [10] a: lso äh [5] also [4] was? [lauter, schaut in eine andere Richtung] [5] okay. äh[? ] K: nö. also äh. also [lacht leise] E: magst du nochmal von vorne anfangen? E: was passiert denn jetzt? [12] K: also äh [101] [lacht leise vor sich hin, äußert etwas Unverständliches, seufzt, blättert im Buch während der Pause] a: lso [17] [blättert während der Pause im Buch] a: lso, die kröte glotzte [2] auf/ auf/ äh auf die ratte. [blättert um] also d a n n t a n z t e s i e [? ] (unverständlich) [lacht leise, schlägt mit der flachen Hand auf die Seite des Buches] mit der [.] fledermaus. [blättert um] was dann [? ] äh, 310 3 Auswertung und Ergebnisse dann gucken die alle in n himmel [spricht etwas lauter und schneller ab ‚dann gucken‘] [blättert um] , dann/ dann/ dann kochte die kröte/ dann kochte/ dann [blättert um] kochte die kröte pfannkuchen, da/ dann/ dann guckt [blättert um] sie a/ a/ auf die uhr, da [blättert um] machen sie musik, und dann KAMen die ganzen [spricht noch lauter ab ‚dann‘] [blättert um] , und da/ da/ dann äh dann fragt der hase, fertig [schlägt Buch zu, sitzt ruhig im Sessel und lächelt] . Wie im aufgeführten Transkriptausschnitt ersichtlich sitzt Kira zunächst die meiste Zeit schweigend auf ihrem Platz, blättert im Buch herum, atmet hörbar, lacht leise und äußert mehrfach das Wort also. Schließlich „liest“ sie eine sehr kurze Geschichte „vor“. Dabei spricht sie zunächst relativ langsam, erhöht dann Tempo und Lautstärke und blättert währenddessen zügig die Seiten um. Darauf folgt das folgende Gespräch: E: [lacht leicht, lächelt] kira [.], hör mir mal kurz zu, ja? hab ich einfach, als ich vorgelesen hab, die seiten so ganz quer hin und her gemacht? K: ja! E: ne. ich hab doch hier vorne angefangen, oder? K: ja. [leiser, gedämpfter Klang] E: und dann hab ich immer eine seite genommen und umgeblättert. und hab zu jeder seite was gesagt. und ich hab auch nicht so schnell vorgelesen. oder hab ich so schnell vorgelesen? ne? [K schüttelt den Kopf] wolln wir’s nochmal probieren? [K nickt] von ANfang an. du musst gar nicht [.] AUFgeregt sein, es passiert nichts schlimmes, §okay? K: §ja: ja. Der zweite Versuch findet am selben Tag mit einem anderen Bilderbuch statt. Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situation informiert die oder der Erwachsene Kira erneut über das geplante Vorgehen. E: so, kira. du hast dir das buch ausgesucht, ne [? ] [2] u: nd ich werd dir das jetzt vorlesen [? ] [.] und danach tauschen wir mal die plätze [? ] und dann liest du mir das buch vor, ja? K: ja, immer das glei: che. 3.1 Textanalysen 311 Im zweiten Schritt liest die oder der Erwachsene Kira das komplette Bilderbuch Clown Beppo vor. Clown Beppo (Katrin Schwarz/ Tanja Wenisch) Clown Beppo wohnt mit seinem kleinen Drachen in einem kunterbunten Zirkus‐ wagen. Der Drache Zick-Zack schaut Beppo zu, wie er seine Kunststücke übt. „Wann darf ich endlich auch Kunststücke vorführen? “, fragt er, „den ganzen Abend auf dich warten ist so langweilig.“ - „Du bist noch zu klein, Zick-Zack“, antwortet Beppo und übt weiter. (1. DS) - Als Beppo in die Vorstellung geht, legt Zick-Zack sich unter den Zirkuswagen. Er sieht Aurelia, die Seiltänzerin, aus ihrem Wohnwagen herauskommen und in das Zelt hüpfen. Er sieht die großen Füße vom Feuerschlucker Arnold am Zirkuswagen vorbeigehen. „Wenn doch nur jemand mit mir spielen würde“, denkt der kleine Drache und lässt traurig seine Zacken hängen. (2. DS) - Zick-Zack hört die Zuschauer lachen, wenn Beppo in die Manege stolpert. Sie lachen, wenn er Purzelbäume durch eine Reihe von Reifen schlägt. Und am lau‐ testen lachen sie, wenn das rohe Ei, das Beppo in die Luft geworfen hat, mitten auf seinem Hut landet und dann langsam heruntertropft. (3. DS) - „Zick-Zack“, ruft Beppo nach der Vorstel‐ lung, „ich komme! “ Doch niemand ant‐ wortet ihm. Beppo schaut unter dem Zir‐ kuswagen. Zick-Zack ist nicht an seinem Platz. „Hast du meinen kleinen Drachen gesehen? “, fragt Beppo die Seiltänzerin. - „Nein“, sagt sie und hüpft davon. - „Und du vielleicht, Arnold? “ Aber der schüttelt nur den Kopf und dabei lodert eine leuch‐ tend rote Flamme aus seinem Mund. (4. DS) - Zick-Zack ist nicht aufzufinden. Auch nicht am nächsten Tag. Die Vorstellung ist heute genauso traurig wie Beppo selbst. Die Zuschauer rufen „Wir wollen keinen An einer Bushaltestelle sieht Beppo ein paar Männer und Frauen. „Die haben es nicht so eilig“, denkt er, „die kann ich nach Zick-Zack fragen.“ Als die Leute ihn sehen, fangen sie an zu la‐ chen. Doch dieses Lachen klingt an‐ ders als im Zirkus, gar nicht fröhlich. Die Leute machen sich lustig über seine dicke rote Nase und die tränen‐ verschmierte Clownschminke. (7. DS) - Beppo fühlt sich auf einmal ganz klein und traut sich nicht mehr nach Zick-Zack zu fragen. „Wo soll ich nur als Nächstes suchen? “, fragt er sich. Da hört er plötzlich Kinder lachen. Neu‐ gierig geht er in die Richtung, aus der das Lachen kommt. Da traut er seinen Augen nicht! (8. DS) - In einer Gruppe von Kindern steht Zick-Zack und balanciert ein Stöckchen auf seiner Drachennase. „Zick-Zack“, ruft Beppo glücklich, „da bist du ja endlich! “ Der Drache spitzt die Ohren, als er Beppos Stimme hört. Und da rennt er auch schon zu ihm, dass seine Zacken nur so im Wind flat‐ tern. (9. DS) - „Du bist ja ein echter Clown! Warum bist du denn nicht im Zirkus“, fragen die Kinder. Und Beppo erzählt ihnen von seiner Suche nach Zick-Zack. „Ich habe mir solche Sorgen um ihn gemacht. Wie konnte ich da eine fröh‐ liche Vorstellung geben und die Leute zum Lachen bringen? “ (10. DS) - Beppo und Zick-Zack verabschieden sich von ihren neuen Freunden. Sie machen sich auf den Weg zurück zum Zirkus. Der Direktor freut sich, dass die beiden Freunde wieder zusammen sind. „Schön, dass ihr wieder da seid“, begrüßt er Zick-Zack und Beppo. „Und, 312 3 Auswertung und Ergebnisse traurigen Clown, wir wollen etwas zum Lachen haben! “ Doch wie soll Beppo ohne Zick-Zack fröhlich sein? „Ich gehe ihn suchen“, denkt er. „In der Stadt wohnen so viele Menschen, vielleicht hat jemand von ihnen Zick-Zack gesehen.“ (5. DS) - Doch in der Stadt eilen die Leute hastig an Beppo vorbei. „Oje“, denkt er, „wo soll ich Zick-Zack nur suchen? “ Da sieht er ein großes buntes Haus. KAUF‐ HAUS steht dort in bunten Leuchtbuchs‐ taben. „Dort könnte Zick-Zack sein.“ Aber drinnen herrscht ein schreckliches Gewühl. Beppo wird hin und her ge‐ schubst. „Puh, hier ist Zick-Zack nicht“, denkt Beppo und drängelt sich wieder nach draußen. (6. DS) Beppo, es tut mir Leid, dass ich mit dir geschimpft habe, nur weil du einmal nicht fröhlich sein konntest“, sagt er noch. (11. DS) - Am Abend gibt es eine neue Attrak‐ tion im Zirkus: Zick-Zack und sein Nasen-Kunststück! (12. DS) Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Kira auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“. Dies geht beim zweiten Versuch folgendermaßen vonstatten: E: so, kira/ E: warte, moment, ich muss es dir noch sagen kurz. [.] ich hab dir das buch jetzt vorgelesen [? ] und du hast mir zugehört und jetzt liest du mir das buch vor [? ] und hörst mir z/ und ich hör dir zu, okay? K: [greift nach dem Buch] K: mh. E: und du setzt dich hier auf den vorlesesessel. [klopft auf die Stuhllehne] K: was eben du gesagt hast. Kiras Textproduktion zur ersten Doppelseite lautet: äh, der [leise ab ‚äh‘] clown beppo ü b t e [? ] äh, kunststücke. ah dann/ dann fragte der drache äh, zickzack ihn, weil er auch kunststücke. was da: nn? [K schaut währenddessen ins Bilderbuch, blättert um, schaut weiterhin ins Bilderbuch] [2] Kira beginnt ihren ersten Satz mit dem Protagonisten der Geschichte, Clown Beppo. Dabei führt sie diesen mit dem bestimmten Artikel ein und bewirkt so beim Zuhörer den Eindruck, dass dieser Clown Beppo bereits bekannt ist. Sie bildet einen Hauptsatz sowie eine hypotaktische Satzkonstruktion, bestehend 3.1 Textanalysen 313 aus einem Haupt- und einem kausalen Nebensatz, wobei sie das Verb des Nebensatzes auslässt. Kira verwendet die Personalpronomen er und ihn und stellt so durch den Gebrauch von Pro-Formen Kohäsion her. Beide von Kira verwendeten Verben stehen im Präteritum. Als textstrukturierendes Element verwendet sie das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb]. Kiras Text enthält eine Leerstelle: Es wird zwar berichtet, dass Zick-Zack Beppo eine Frage stellt, wie die Frage genau lautet und wie die Antwort lautet, wird allerdings nicht erwähnt. Zur zweiten Doppelseite „liest“ Kira folgenden Text „vor“: [K blickt direkt in die Kamera bis ‚zirkusze: lt‘] dann kam die seiltänzerin. äh [.] und/ und tanzt (ins) z/ zirkusze: lt. [blättert um] [2] Kira macht erneut Gebrauch vom strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] und stellt die beiden Ereignisse somit in einen zeitlichen Zusammenhang. Es liegt eine Anapher vor. Eine zweite Person, eine weitere Angestellte aus dem Zirkus - und zwar die Seiltänzerin - erscheint. Auch hier verwendet Kira den bestimmten Artikel. Nach einer kurzen Pause ergänzt Kira, dass die Seiltänzerin ins Zirkuszelt tanzt - hier verwendet sie ein passendes Verb (tanzen) zum Nomen (Seiltänzerin). Kira beginnt ihren Satz im Präteritum und wechselt dann ins Präsens. Auf dem zugehörigen Bild sind im Hintergrund eine Seiltänzerin und ein Mann vor einem Zirkuszelt zu sehen. Vermutlich bezieht sich Kira beim „Vorlesen“ auf diese Szene - möglicherweise bildet die abgebildete Szene die Ausgangssituation für Kiras Textproduktion zu dieser Doppelseite, da Kira „vorliest“, dass die Seiltänzerin in das Zirkuszelt hineintanzt. Zur dritten Doppelseite „liest“ Kira folgenden Satz „vor“: und er ha/ da/ dann/ dann hängte der zickzack seine/ seine/ äh seine stacheln [? ] [blättert um] Erneut macht Kira Gebrauch vom strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] und ordnet das Geschehen in den zeitlichen Zusammenhang ein. Auf der dritten Doppelseite erwähnt sie nun die dritte Figur der Geschichte: Den Zick-Zack. Zum dritten Mal wird die Figur mit dem bestimmten Artikel eingeführt. Es folgt keine Erklärung, um was für ein Tier es sich bei Zick-Zack handelt. Aus Kiras Text geht hervor, dass Zick-Zack seine Stacheln hängt. Vermutlich zielt Kira auf die Bedeutung von hängen lassen ab. Auf dem zugehörigen Bild des Bilderbuches ist ein Drache mit einem traurigen Gesichtsausdruck zu sehen, der seine Ohren hängenlässt. Auch zeigen einige der Stachelspitzen nach unten. Kira wählt als Zeitform erneut das Präteritum. Zur vierten Doppelseite bildet Kira den Satz: und da: nn/ dann/ dann suchte der clown BEPPO den zickzack. [blättert um] 314 3 Auswertung und Ergebnisse Auch diesen Satz bildet Kira mit Hilfe des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb]. Erneut verwendet Kira den bestimmten Artikel für beide Figuren. An dieser Stelle enthält Kiras Text eine Leerstelle: Nachdem Zick-Zack seine Stacheln hängen gelassen wird, sucht Clown Beppo ihn. Dass er verschwunden ist, wird von Kira nicht explizit erwähnt. Kira verwendet das Präteritum. Zur fünften Doppelseite „liest“ Kira einen Satz „vor“: da/ da/ da/ dann/ da wollte er den suchen in der stadt. [blättert um] Durch die Verwendung des Personalpronomens er stellt Kira eine Verbindung zur vorangegangenen Seite her. Sie bezieht sich auf das zuletzt genannte Subjekt, Clown Beppo. Hierdurch wird Kohäsion hergestellt. Auf den Drachen Zick-Zack bezieht sich das Demonstrativpronomen der. Durch den Gebrauch eines deiktischen Mittels wirkt Kiras Text an dieser Stelle leicht konzeptionell mündlich. Kira verwendet das sprachliche Muster in der Stadt. Kiras Text zur sechsten Doppelseite lautet wie folgt: und die menschen in der stadt eilten vor ihm vorbei. [blättert um] Durch die Wiederaufnahme der Formulierung in der Stadt des vorangegan‐ genen Satzes stellt Kira erneut Kohärenz zwischen den beiden aufeinanderfol‐ genden Doppelseiten her. Des Weiteren stellt sie Kohäsion durch den Gebrauch der Konjunktion und her. Sie spezifiziert die Menschen, indem sie sie mit der Formulierung in der Stadt näher beschreibt. Kira greift auf die konzeptionell schriftliche Formulierung vorbeieilen zurück. Das Personalpronomen ihm be‐ zieht sich wieder auf das Referenzobjekt Clown Beppo. Zur siebten Doppelseite produziert Kira drei grammatische Sätze: DA/ da/ da hörte e/ er paar MÄNNER lachen [.] und fragte er a/ a/ aber/ aber/ aber sie lachten nur. [blättert um] Kira greift zum zweiten Mal auf das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] zurück und leitet somit eine neue Handlung ein. Erneut verwendet Kira das Personal‐ pronomen er, das sich erneut auf das Referenzobjekt Clown Beppo bezieht. Kira gebraucht die sprachliche Wendung jemanden lachen hören. Inhaltlich erzählt Kira, dass Clown Beppo Männer lachen hört und eine Frage stellt. Die Männer aber lachen nur. Den Inhalt der Frage des Clowns und den Grund des Lachens der Männer (vor und nach der Frage) erfährt die Zuhörerschaft nicht. Dass Beppo die Männer nach Zick-Zack fragt, lässt sich allerdings aufgrund des Kontextes vermuten, da er seinen Drachen sucht. Dieser Abschnitt enthält somit zwei Leerstellen. 3.1 Textanalysen 315 Folgende zwei Sätze „liest“ Kira zur achten Doppelseite „vor“: da hörte clown beppo [? ] [.] kinder lachen. in die richtung laufte/ l ä u f t e [.] clown beppo. [blättert um] Auch die nächste Handlung leitet Kira mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] ein. Sie greift ein zweites Mal auf den Ausdruck jemanden lachen hören zurück. Kira verwendet den Ausdruck in die Richtung als Satzanfang und stellt dadurch einen inhaltlichen Zusammenhang zwischen den beiden „vorgelesenen“ Sätzen her. Auch stellt sie mit Hilfe von der Wiederholung des Subjekts Clown Beppo (Rekurrenz) Kohäsion zwischen dem ersten und dem zweiten Satz zur achten Doppelseite her. Im Textabschnitt, den Kira zur achten Doppelseite „vorliest“, lässt sich eine Überarbeitung erkennen: Kira bildet zuerst die Präteri‐ tumform laufte und korrigiert diese zu der Form l ä u f t e . Die folgenden zwei Sätze formuliert Kira zur neunten Doppelseite: da traute er seinen augen nicht. da/ da/ da stand zickzack und balancierte n ho: lzstück. [blättert um] Mit dem erneuten Gebrauch des strukturellen Musters [„Da“ + Verb] führt Kira Clown Beppos nächste Handlung ein: Er traut seinen Augen nicht. Dadurch dass Kira zuerst die Reaktion des Clowns beschreibt und erst im nachfolgenden Satz den Grund für diese Reaktion nennt, erzeugt Kira Spannung. Auch der zweite Satz beginnt mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb]. Durch den Gebrauch dieser Anapher stellt Kira zwischen den beiden inhaltlich zusammen‐ hängenden Sätzen auch auf sprachlicher Ebene eine Verbindung her. Kira verwendet den Phraseologismus seinen Augen nicht trauen. Der Text der zehnten Doppelseite besteht aus direkter Rede mit nachgestelltem Begleitsatz: äh [4] ‚warum bist du nicht im/ warum bist du nicht im zirkuszelt? ‘, fra/ fragten die KINder. [blättert um] Wieder führt Kira neue Figuren, die Kinder, mit einem bestimmten Artikel ein. Die Kinder richten eine Frage an Clown Beppo. Auch diesmal wird jedoch keine Antwort auf die Frage durch den Erzähler übermittelt. Zur elften Doppelseite produziert Kira ein hypotaktisches Satzgefüge, be‐ stehend aus einem Haupt- und einem Nebensatz: Und u/ u/ und der zirkusdirektor [.] freute sich wieder, dass zickzack und clown beppo [? ] wieder da sind. [blättert um] Als Kohäsionsmittel verwendet sie die Konjunktion und und verbindet das Satzgefüge auf diese Weise mit dem vorangegangenen Satz auf der zehnten Doppelseite. Durch die Verwendung des Adverbs wieder wird ein Rückbezug zu einem vorherigen Zustand hergestellt. Auch dadurch wird Kohärenz erzeugt. 316 3 Auswertung und Ergebnisse Außerdem stellt Kira durch den zweifachen Gebrauch des strukturellen Musters [„wieder“ + Verb] in Verbindung mit einem (in diesem Kontext) positiv konno‐ tierten Verb (sich freuen, da sein) eine Happy End-Atmosphäre her. Auf der zwölften Doppelseite endet Kiras Textproduktion mit folgendem Hauptsatz: da: nn/ äh da: nn/ dann führte zickzack und clown beppo seine kunststück vor. Auch hier greift Kira auf das bereits mehrfach verwendete strukturelle Muster [Dann + Verb] zurück und ordnet damit die Handlung des Kunststücke‐ vorführens in den zeitlichen Zusammenhang ein. Kira macht Gebrauch vom sprachlichen Muster Kunststücke vorführen. Im Hinblick auf inhaltliche Kohärenz enthält Kiras Text vier Leerstellen (vgl. 1. DS, 4. DS, 7. DS, 7. DS). Grammatische Kohärenz stellt Kira in ihrem Text durch verschiedene Kohäsionsmittel her. Erstens macht sie Gebrauch von Pro-Formen. Zum einen verwendet sie Personalpronomen, die sich auf das Subjekt des vorangegangenen Satzes beziehen. Zum anderen verwendet sie einmal ein Demonstrativpronomen, das sich auf ein Lexem des vorangegangenen Satzes bezieht. Auch der Gebrauch der Temporaladverbien da und dann dient der Herstellung von grammatischer Kohärenz. Zweitens wird Kohäsion durch die fast durchgängige Verwendung des Präteritums in der Erzählerrede erzeugt (Tempus). Ein drittes Kohäsionsmittel, dessen sich Kira bedient, ist der Gebrauch von Konnektoren. So verwendet Kira als Bindeglieder folgende Konjunktionen: Die von Linke et al. als „Prototyp“ bezeichnete Konjunktion und (vgl. Linke et al. 2004, S. 253), die kausale Konjunktion weil und die adversative Konjunktion aber. Des Weiteren gebraucht sie einmal die Konjunktion dass. Viertens zeigt sich Rekurrenz in der Wiederholung von Nomen, insbesondere von Namen in aufeinander folgenden Sätzen (Zick-Zack, Clown Beppo, Stadt). Fünftens stellt Kira Kohärenz durch die Wiederaufnahme eines sprachlichen Musters des vorangegangenen Satzes (in der Stadt (6. DS)) her. Im Folgenden wird der Blick auf inhaltliche Abweichungen zwischen Kiras Text und dem Bilderbuchtext gerichtet. Kiras Text weist zum einen veränderte Inhalte auf, die möglicherweise durch Bilder des Bilderbuches beeinflusst worden sind. Ein veränderter Inhalt lässt sich dabei der Unterkategorie Bildinterpretation und Weltwissen zuordnen: Kira spricht anstatt von Zick-Zacks Zacken, wie sie im Bilderbuch bezeichnet werden (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS), von seinen Stacheln: dann hängte der zickzack seine/ seine äh seine stacheln [? ] (3. DS). Hier ist ein möglicher Bezug zu den entsprechenden Abbildungen des Bilderbuches annehmbar. Insbesondere die hängenden Zacken auf der zweiten und dritten Doppelseite des Bilderbuches erinnern ein wenig 3.1 Textanalysen 317 an Stacheln einer Rose. Diese Assoziation kann zum einen durch die Form der hängenden Zacken und zum anderen durch die Farbgebung zustande kommen: Rote Zacken an einem grünen, länglichen Objekt können an die rötlichen Stacheln einer Rose an einem grünen Stiehl erinnern. Zudem ist anzumerken, dass das Nomen Stacheln auch in Kombination mit Tieren vorkommt. Zu nennen wären hier beispielsweise das Stachelschwein oder die Stacheln eines Igels. Möglicherweise entspricht die Wortwahl Stacheln in Kombination mit einem Tier (Drache) somit eher dem Weltwissen eines Kindes als das Wort Zacken. Zwei weitere veränderte Inhalte entsprechen der Kategorie Diskrepanz zwischen Text und Bild. In Kiras Text spricht Beppo bei seiner Suche nach Zick-Zack lachende Männer an einer Bushaltestelle an, worauf diese jedoch nur lachen: DA/ da/ da hörte e/ er paar MÄNNER lachen [.] und fragte er a/ a/ aber/ aber/ aber sie lachten nur. [blättert um] (7. DS). Im Bilderbuch traut sich Beppo hingegen erst gar nicht, die Männer und Frauen anzusprechen, weil sie ihn auslachen: „An einer Bushaltestelle sieht Beppo ein paar Männer und Frauen. […] Als die Leute ihn sehen, fangen sie an zu lachen.“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 7. DS) Auf dem zughörigen Bild der siebten Doppelseite sind lediglich Clown Beppo und drei Männer zu sehen, jedoch nicht die im Text erwähnten Frauen. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen diesem Bild und Kiras Wahl des Wortes MÄNNER. Zudem ist Beppo auf dem Bild von den drei lachenden Männern umringt, während diese ihn ansehen (vgl. ebd.). Diese bildliche Darstellung könnte einen Einfluss darauf gehabt haben, dass Clown Beppo in Kiras Text in Kontakt mit den Männern tritt und eine Frage an sie richtet, während er in der Szene des Bilderbuches hingegen nur überlegt, ob er die Männer anspricht, sich jedoch aufgrund ihres Lachens dagegen entscheidet. Es sei darauf hingewiesen, dass es sich bei diesen Überlegungen lediglich um (naheliegende) Interpretationen handelt. Kiras Text enthält zudem eine weitere kleine inhaltliche Änderung im Vergleich zum Bilderbuchtext. Während im Bilderbuch das Verb „hüpfen“ mit dem Nomen Seiltänzerin kombiniert wird („Er sieht Aurelia, die Seiltänzerin, aus ihrem Wohnwagen herauskommen und in das Zelt hüpfen.“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS)), kombiniert Kira das Verb tanzen mit dem genannten Nomen: dann kam die seiltänzerin. äh [.] und/ und tanzt (ins) z/ zirkusze: lt. (2. DS) Das Verb tanzen und das Nomen Tänzerin gehören zur gleichen Wortfamilie. In Bezug auf neue Inhalte ist die Funktion Versprachlichung von nur im Bild dar‐ gestellten Inhalten erkennbar: Zur zwölften Doppelseite „liest“ Kira folgenden Satz vor: da: nn/ äh da: nn/ dann führte zickzack und clown 318 3 Auswertung und Ergebnisse beppo seine kunststück vor (12. DS). Der Text auf der entspre‐ chenden Doppelseite des Bilderbuches lautet hingegen: „Am Abend gibt es eine neue Attraktion im Zirkus: Zick-Zack und sein Nasen-Kunststück! “ (Schwarz/ Wenisch 2002, 12. DS) Im Text des Bilderbuches wird somit ausschließlich Zick-Zacks Auftritt erwähnt, nicht aber der des Clowns. Auf dem zugehörigen Bild sind jedoch beide Figuren nebeneinanderstehend im Rampenlicht zu sehen: Clown Beppo, der mit Kegeln jongliert, und der Drache Zick-Zack, der einen blühenden Ast oder Rosenzweig auf der Schnauze balanciert. An dieser Stelle scheint das Bild die Textproduktion von Kira folglich stark beeinflusst zu haben. Zur Versprachlichung des neuen Inhalts (vgl. Tabelle 13 im digitalen Anhang) bedient sich Kira des von ihr insgesamt zweimal verwendeten sprach‐ lichen Musters Zick-Zack und Clown Beppo, das sich - wie die Ausführungen zu Musterhaftigkeit zeigen werden - als Variation eines Musters aus dem Bilderbuch bezeichnen lässt. Zudem wählt sie die konzeptionell schriftliche Zeitform Präteritum, in der ihre Textproduktion überwiegend gehalten ist, sowie das im Bilderbuch in einem anderen Kontext enthaltene sprachliche Muster Kunststücke vorführen. Es ist somit erkennbar, dass sich Kira zur Darstellung eines neuen Inhalts zweier sprachlicher Muster bedient, die auch im Bilderbuch (in Variation) enthalten sind und die sie teilweise in ihrer Textproduktion mehrfach gebraucht (vgl. Tabelle 13 im digitalen Anhang). Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf eine weitere Beobachtung zu einer möglichen Orientierung Kiras an einem Bild bei ihrer Textproduktion: Auf dem Bild zur dritten Doppelseite ist der Drache Zick-Zack abgebildet, der auf einem Koffer sitzt. Er stützt seinen Kopf auf die Pfoten, hat einen traurigen Gesichtsausdruck, seine Ohren hängen herunter und seine roten Drachenzacken zeigen ebenfalls teilweise nach unten. Kira formuliert dazu folgenden Satz: und er ha/ da/ dann/ dann hängte der zickzack seine/ seine/ äh seine stacheln [? ] [blättert um] (3. DS). Hier scheint Kira in Worte zu fassen, was im Bild abgebildet ist. Ein äquivalenter Inhalt wird mit Hilfe einer ähnlichen sprachlichen Form im Bilderbuchtext bereits auf der zweiten Doppelseite zum Ausdruck gebracht: „Wenn doch nur jemand mit mir spielen würde“, denkt der kleine Drache und lässt traurig seine Zacken hängen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS). Auch auf dem zugehörigen Bild der zweiten Doppelseite ist Zick-Zack mit herunterhängenden Stacheln abgebildet, was von Kira an dieser Stelle jedoch nicht thematisiert wird. Anhand der geschilderten Beobachtung wird erneut die bedeutsame Funktion von Bil‐ dern für die Textproduktion deutlich. Kira scheint durch das Bild des Drachens mit hängenden Zacken dazu herausgefordert zu werden, einen Inhalt mit Hilfe 3.1 Textanalysen 319 einer ähnlichen sprachlichen Form wie sie im Bilderbuch an einer anderen Stelle enthalten ist, zum Ausdruck zu bringen. Im Vergleich zum Bilderbuchtext lässt Kira zahlreiche inhaltliche Elemente in ihrer Geschichte von Clown Beppo und Zick-Zack aus (ausgelassene Inhalte). Bei den folgenden Elementen handelt es sich um für das Verständnis der Handlung der Geschichte irrelevante Inhalte (Fall 1). Erstens findet ein Auslassen von Beschreibungen von Handlungsorten und Figuren (Fall 1a) statt. Während die Bilderbuchgeschichte mit einem Einleitungssatz beginnt, in dem die beiden Figuren Beppo und Zick-Zack vorgestellt werden und ihr Wohnort, ein kunterbunter Zirkuswagen, genannt wird (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 1. DS), steigt Kira direkt in die Handlung ein: äh, der [leise ab ‚äh‘] clown beppo ü b t e [? ] äh, kunststücke (1. DS). Zweitens findet eine Komprimierung des Inhalts durch Auslassen von Details (Fall 1c) statt. Kira verzichtet auf mehrere inhaltliche Elemente (Details), die für das Verständnis ihrer Geschichte nicht relevant sind. Dazu zählt erstens das Benennen von Gründen, zweitens das Nennen von Emotionen und drittens das Auslassen genauerer Orts- und Zeitangaben. An drei Stellen verzichtet sie auf das Benennen von Gründen. So nennt Kira im Gegensatz zum Bilderbuch nicht den Grund, weshalb der Drache Zick-Zack wie Clown Beppo Kunststücke aufführen möchte: Langweile (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS). Des Weiteren fasst Kira Clown Beppos Entschluss, seinen Drachen in der Stadt zu suchen, mit einem prägnanten Satz zusammen: da/ da/ da/ dann/ da wollte er den suchen in der stadt (5. DS). Das Anführen von Gründen für diesen Entschluss lässt Kira weg. Es findet stattdessen eine Konzentration auf die zentrale Aussage statt. Im Bilderbuch wird vor Clown Beppos Entschluss gezeigt, dass dieser ohne seinen Drachen die Zuschauer im Zirkus vor Traurig‐ keit nicht zum Lachen bringen kann (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 5. DS). Zudem wird eine Begründung dafür geliefert, warum Beppo die Stadt wählt (vgl. ebd., 5. DS). An einer dritten Stelle nennt Kira nicht den im Bilderbuch angeführten Grund für das Lachen der Leute, die Clown Beppo in der Stadt trifft: Sie machen sich über sein Aussehen lustig (vgl. ebd., 7. DS). An zwei Stellen lässt sich im Vergleich zum Bilderbuchtext in Kiras Text der Verzicht auf das Nennen von Emotionen beobachten. An einer Stelle verzichtet Kira auf das Nennen einer eine Tätigkeit begleitende Emotion (Traurigkeit): Während die Emotion von Zick-Zack, die die Handlung des Herunterhängenlassen der Zacken be‐ gleitet, im Bilderbuchtext explizit genannt wird („und lässt traurig seine Zacken hängen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS)), beschränkt Kira ihre Narration auf den folgenden Inhalt: dann hängte der zickzack seine/ seine/ äh, seine stacheln (3. DS). An einer zweiten Stelle geht Kira nicht auf die 320 3 Auswertung und Ergebnisse negativen Gefühle des Clowns ein, die das Lachen der Menschen in der Stadt bei ihm auslösen. Im Bilderbuchtext heißt es: „Beppo fühlt sich auf einmal ganz klein und traut sich nicht mehr nach Zick-Zack zu fragen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 7. DS). Relevant für das Finden von Zick-Zack sind diese Gefühle nicht. Zudem kann beobachtet werden, dass Kira genauere Orts- und Zeitangaben auslässt: Im Gegensatz zum Bilderbuchtext verzichtet Kira sowohl auf die Information, dass die lachenden Leute an der Bushaltestelle stehen (vgl. ebd., 7. DS) als auch auf die Information, dass die Zirkusvorführung am Abend stattfindet (vgl. ebd., 12. DS). Drittens lässt sich Fall 1b (Komprimierung des Inhalts: Zusammenfassen von Handlungsschritten) identifizieren: Kira fasst die Darstellung der Suche Clown Beppos nach seinem Drachen Zick-Zack treffend mit Hilfe des Verbes suchen zusammen: dann suchte der clown BEPPO den zickzack (4. DS). Im Bilderbuchtext besteht die Suche aus verschiedenen Handlungen: Unter dem Zirkuswagen schauen (Schwarz/ Wenisch 2002, 4. DS), bei der Seiltänzerin nachfragen (ebd.) und beim Feuerschlucker nachfragen (ebd.). Des Weiteren geht aus dem Bilderbuchtext hervor, dass die Suche nach Zick-zack auch am darauffolgenden Tag erfolglos ist: „Zick-Zack ist nicht aufzufinden. Auch nicht am nächsten Tag.“ (Ebd., 5. DS) Zudem zeigt das Bild der vierten Doppelseite einen Clown, der auf dem Boden sitzt und den Blick unter ein Bett richtet. Dieses Bild zeigt die Handlung „Suchen“. Viertens findet die Wahl eines exemplarischen Elements aus mehreren äquiva‐ lenten (Fall 1d) statt: Im Bilderbuch werden die Wahrnehmungen von Zick-Zack dargestellt, die er hat, während Clown Beppo zur Vorstellung geht: Visuelle Wahrnehmungen (Seiltänzerin, Feuerschlucker (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS)) und auditive Wahrnehmungen (Lachen der Zuschauer (vgl. ebd., 3. DS)). Kira beschränkt sich im Gegensatz dazu auf das Erwähnen der Seiltänzerin, die ins Zirkuszelt tanzt. Bei diesem Element handelt es sich um das einzige, das auch bildlich dargestellt ist. Auch diese Beobachtung verdeutlicht die zentrale Funktion der Bilder als Stütze für die Wahl von Inhalten bei der Textproduktion. Fünftens ist das Auslassen kompletter Inhalte (Fall 1e) bzw. Handlungen erkennbar: Während im Bilderbuch Clown Beppos Suche auch im Inneren eines Kaufhauses stattfindet, wird diese Handlung von Kira nicht erwähnt. Eine Szene, die Clown Beppo in einem Kaufhaus zeigt, ist im Bilderbuch nicht vorhanden (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 6. DS). Zudem wird von Kira im Gegensatz zum Bilderbuchtext nicht berichtet, dass Zick-Zack zu Clown Beppo rennt, als dieser ihn gefunden hat (vgl. 9. DS). Auch die Tätigkeit des Rennens ist nicht im Bild dargestellt. Zwei weitere komplette Handlungen, die Kira im Gegensatz zum Bilderbuchtext nicht berichtet, sind die Verabschiedung 3.1 Textanalysen 321 der Protagonisten von den Kindern und ihr Weg zurück zum Zirkus (vgl. 11. DS). Auch diese beiden Szenen werden lediglich im Bilderbuchtext, aber nicht im Bild dargestellt. Sechstens lässt sich zudem das Auslassen von Inhalten, die im Bilderbuchtext in Form von direkter Rede vorliegen (Fall 1f) identifizieren: Kira lässt sechs für das Verständnis ihrer Geschichte nicht notwendige Inhalte aus, die im Bilderbuch in Form von direkter Rede dargestellt werden. Erstens lässt sie die Aussagen des Zirkusdirektors (Freude, Entschuldigung) aus, die er an die Protagonisten richtet, als sie wieder im Zirkus sind (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 11. DS). Die Kernbotschaft, dass der Direktor sich freut, ist jedoch in Kiras Text enthalten (vgl. 11. DS). Zweitens gibt sie nicht die direkte Rede der Zuschauer wieder, die ihre Unzufriedenheit mit Clown Beppos traurigem Gefühlszustand während der Vorführung zum Ausdruck bringen (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 5. DS). Drittens lässt Kira Clown Beppos Aussagen, die er nach der erfolgreichen Suche an Zick-Zack richtet, weg: „‚Ich habe mir solche Sorgen um ihn gemacht. Wie konnte ich da eine fröhliche Vorstellung geben und die Leute zum Lachen bringen? ‘“ (Ebd., 10. DS). Im Bilderbuch wird an dieser Stelle Bezug auf einen Inhalt genommen, der in Kiras Text nicht enthalten ist - und zwar seine Unfähigkeit, ohne die Anwesenheit von Zick-Zack fröhliche Aufführungen zu geben (vgl. ebd., 5. DS). Viertens enthält Kiras Text ebenso wenig Clown Beppos freudigen Ausruf, dass er Zick-Zack gefunden hat (vgl. ebd., 9. DS). Aus Kiras Text geht jedoch hervor, dass Clown Beppo Zick-Zack sieht: da traute er seinen augen nicht. da/ da/ da stand zickzack und balancierte n ho: lzstück. (9. DS) Fünftens werden bei der Suche nach Zick-Zack im Gegensatz zum Bilderbuchtext keine Fragen von Clown Beppo an die Kolleginnen und Kollegen gerichtet (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 4. DS). Kira stellt hingegen in Form von Erzählerrede dar, dass Clown Beppo auf der Suche nach Zick-Zack ist. Sechstens lässt Kira vier Selbstgespräche des Protagonisten aus, die die Suche nach Zick-Zack thematisieren (vgl. ebd. 5./ 6./ 7./ 8. DS). Kira lässt auch einige im Bilderbuch enthaltene Inhalte aus, was zur Entstehung von Leerstellen führt (Fall 2). Das Auslassen des ersten Inhalts führt dazu, dass die entstandene Leerstelle mit Hilfe des Bildes geschlossen werden muss - Bild und Text erzählen somit gemeinsam (Fall 2c): Im Bilderbuch findet die Kindergruppe, in der Zick-Zack steht, explizit Erwähnung: „In einer Gruppe von Kindern steht Zick-Zack und balanciert ein Stöckchen auf seiner Drachennase“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 9. DS). Kira erwähnt die Kinder jedoch nicht, die sowohl auf dem zugehörigen Bild der achten Doppelseite als auch auf der siebten und neunten Doppelseite zu sehen sind: da stand zickzack und balancierte `n holzstück [blättert um] äh [4] ‚warum bist 322 3 Auswertung und Ergebnisse du nicht im/ warum bist du nicht im zirkuszelt? ‘, fra/ fragten die kinder (8./ 9. DS). Auf der neunten Seite werden die Kinder ohne Einführung von Kira in Kombination mit dem bestimmten Artikel erwähnt und tauchen bei Betrachtung des reinen Textes wie aus dem Nichts auf. Durch die zugehörigen Bilder wird jedoch klar, dass es sich bei den von Kira erwähnten Kindern um jene Kinder handeln muss, die sich auf dem zugehörigen Bild in der Nähe von Zick-Zack befinden. Die zweite Leerstelle entsteht durch das Auslassen für das Verständnis der Geschichte relevanter direkter Rede (Fall 2a): Während aus Kiras Text nicht hervorgeht, was Zick-Zack Clown-Beppo fragt (dann fragte der drache äh, zickzack ihn, weil er auch kunststücke (1. DS)) ist dieser Inhalt im Bilderbuch in Form von direkter Rede dargestellt: „‚Wann darf ich endlich auch Kunststücke vorführen? ‘, fragt er, ‚den ganzen Abend auf dich warten ist so langweilig.‘“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 1. DS) Es geht aus Kiras Text im Gegensatz zum Bilderbuchtext auch nicht hervor, dass Zick-Zacks keine Kunststücke vorführen darf. „‚Du bist noch zu klein, Zick-Zack‘“ (ebd., 1. DS), heißt es im Bilderbuch. Diese aufgezeigten Elemente sind zentrale Elemente der Geschichte und mitunter Grund für Zick-Zacks Verschwinden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Kira teilweise Inhalte auslässt, die im Bilderbuch nicht mittels eines Bildes erzählt werden. Somit findet zum Großteil eine Beschränkung auf im Bild dargestellte Inhalte statt. Insgesamt ist eine starke Orientierung an den Bildern bei Kiras Textproduktion erkennbar. Teilweise bleiben auch Inhalte des Bilderbuches von Kira unerwähnt, die jeweils dem zugehörigen Bild des Bilderbuches entnommen werden können und deren Erwähnung somit nicht notwendig zum Verständnis der „vorgelesenen“ Geschichte ist. Nachfolgend werden Beobachtungen zum Gebrauch indirekter Rede geschildert, die zur Darstellung von Inhalten verwendet wird, welche im Bilderbuch mit Hilfe von direkter Rede zum Ausdruck gebracht werden. Kira vermittelt an zwei Stellen mit Hilfe von indirekter Rede einen Inhalt, der starke Ähnlichkeiten zu einem Inhalt des Bilderbuches aufweist und dort in Form von direkter Rede wiedergegeben wird. An einer dritten Stelle bindet sie eine Information, die im Bilderbuch in Form von direkter Rede zum Ausdruck gebracht wird, in eine hypotaktische Satzkonstruktion ein. Nach Koch und Oesterreicher (1994) ist es ein Merkmal von konzeptioneller Schriftlichkeit, indirekte anstatt direkter Rede zu verwenden (vgl. Koch/ Oesterreicher 1994, S.-590). Bei der ersten Stelle heißt es im Bilderbuch: „‚Wann darf ich endlich auch Kunststücke vorführen‘, fragt er, ‚den ganzen Abend auf dich warten ist so langweilig.‘“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 1. DS) Kira hingegen formuliert folgenden 3.1 Textanalysen 323 Satz ohne Figurenrede: dann fragte der drache äh zickzack ihn, weil er auch kunststücke (1. DS). Sie verwendet hier eine hypotaktische Satzkonstruktion. Mit einem Kausalsatz, der mit der Konjunktion weil eingeleitet wird, liefert sie eine Begründung für die Frage des Drachens (Kunststücke (üben oder vorführen)). Im Bilderbuchtext wird nur an einer Stelle ein mit der Konjunktion weil eingeleiteter kausaler Nebensatz verwendet: „‚Und, Beppo, es tut mir Leid, dass ich mit dir geschimpft habe, nur weil du einmal nicht fröhlich sein konntest‘, sagt er noch“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 11. DS). Ob es sich bei dem von Kira verwendeten strukturellen Muster [„weil“ + Verb] um eine Übernahme dieses strukturellen Musters in einem neuen Kontext handelt, ist wegen der auch im mündlichen Sprachgebrauch weit verbreiteten grammatischen Struktur nicht sehr wahrscheinlich. Jedoch greift Kira auf dieses ihr bekannte strukturelle Muster zurück, um damit einen Inhalt, der im Buch in Form von Figurenrede angedeutet wird, sprachlich zu vermitteln. Sie verwendet das strukturelle Muster funktional. Bei der zweiten Stelle steht im Bilderbuchtext: „‚Ich gehe ihn suchen‘, denkt er. ‚In der Stadt wohnen so viele Menschen, vielleicht hat jemand von ihnen Zick-Zack gesehen.‘“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 5. DS) Den Plan des Clowns, in die Stadt zu gehen, um seinen Drachen zu suchen, drückt Kira mit Hilfe von indirekter Rede und dem Verb wollen aus: da/ da/ da/ dann/ da wollte er den suchen in der stadt. (5. DS) Kira greift auf das sprachliche Muster etwas tun wollen zurück, um den gleichen Inhalt zu transportieren, der im Bilderbuch mit Hilfe von direkter Rede vermittelt wird. Im Bilderbuch wird ein ähnliches sprachliches Muster in einem anderen Kontext - aber auf der gleichen Doppelseite - verwendet (etwas zum Lachen haben wollen): „Die Zuschauer rufen ‚Wir wollen keinen traurigen Clown, wir wollen etwas zum Lachen haben! ‘“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 5. DS) Auch an dieser Stelle ist unklar, ob diese Formulierung Kiras Wahl beeinflusst hat. An einer weiteren Stelle bildet Kira eine hypotaktische Satzkonstruktion, um einen ähnlichen Inhalt wie im Bilderbuch zu vermitteln. Kira formuliert und der zirkusdirektor [.] freute sich wieder, dass zickzack und clown beppo [? ] wieder da sind. (11. DS) Der Bilderbuchtext lautet: „Der Direktor freut sich, dass die beiden Freunde wieder zusammen sind. ‚Schön, dass ihr wieder da seid‘, begrüßt er Zick-Zack und Beppo.“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 11. DS) In ihre hypotaktische Satzkonstruk‐ tion fügt Kira jedoch im Gegensatz zum Bilderbuchtext anstatt der Information, dass der Direktor über das erneute Zusammensein der beiden Figuren erfreut ist, eine Information ein, die im Bilderbuchtext mittels direkter Rede vermittelt 324 3 Auswertung und Ergebnisse wird: Die Freude des Zirkusdirektors darüber, dass die beiden Figuren wieder im Zirkus sind. Im Folgenden wird Musterhaftes dargestellt, das in Kiras Textproduktion identifiziert werden konnte. Dabei wird zunächst der Gebrauch sprachlicher Muster in den Blick genommen. Einmaliger Gebrauch sprachlicher Muster, die im Bilderbuch vorkommen, lässt sich in Kiras Text bezüglich des Gebrauchs der Formulierungen seinen Augen nicht trauen und an jemandem vorbeieilen identifizieren. Kira verwendet den Phraseologismus seinen Augen nicht trauen, der im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird. Abgesehen davon, dass Kira ihre Geschichte fast komplett im Präteritum „vorliest“, bildet sie genau den gleichen Satz wie im Bilderbuch, der allerdings dort im Präsens verfasst ist: da traute er seinen augen nicht (9. DS). „Da traut er seinen Augen nicht! “ (Schwarz/ Wenisch 2002, S.-9. DS) Des Weiteren macht Kira Gebrauch von der Formulierung an jemandem vor‐ beieilen, die ebenfalls im Bilderbuchtext vorkommt: „Doch in der Stadt eilen die Leute hastig an Beppo vorbei“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 6. DS). Kira verwendet diese Formulierung im gleichen Kontext wie im Bilderbuch und verwendet dabei anstatt der Präposition an die Präposition vor: und die menschen in der stadt eilten vor ihm vorbei (6. DS). Obwohl Kiras Satz einen ähnlichen Inhalt wie der äquivalente Satz des Bilderbuchtextes transportiert, bindet sie den Phraseologismus in eine neue syntaktische Struktur ein: Während im Satz des Bilderbuches das Prädikat dem Subjekt vorangeht, geht in Kiras Satz das Subjekt dem Prädikat voran. Dabei wählt Kira die üblichere Satzstellung. Im Bilderbuch findet eine Variation des Phraseologismus durch das Adjektiv hastig statt, während Kira den Phraseologismus nicht näher spezifiziert. Das Nomen Leute wird durch das semantisch ähnliche Nomen Menschen ersetzt. Des Weiteren wird das Objekt Beppo in Kiras Satz durch ein Personalpronomen ersetzt. Mehrmaligen Gebrauch eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, weist Kiras Text in Bezug auf die drei sprachlichen Muster jemanden lachen hören, in der Stadt und Clown Beppo auf. Auffällig ist, dass Kira an zwei Stellen ihres Textes Gebrauch vom Ausdruck jemanden lachen hören macht: DA/ da/ da hörte e/ er paar MÄNNER lachen [.] und fragte er a/ a/ aber/ aber/ aber sie lachten nur (7. DS). da hörte clown beppo [? ] [.] kinder lachen (8. DS). Das sprachliche Muster jemanden lachen hören wird auch zweimal im Bilderbuchtext verwendet. Das erste Mal wird der Ausdruck in einem anderen Kontext als in Kiras Textproduktion verwendet: „Zick-Zack hört die Zuschauer lachen, wenn Beppo 3.1 Textanalysen 325 in die Manege stolpert“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 3. DS). Hier hört der Drache Zuschauer lachen. Das zweite Mal taucht es im gleichen Kontext wie in Kiras Textproduktion auf: „Da hört er plötzlich Kinder lachen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 8. DS). Beppo hört Kinder lachen. Auf der siebten Doppelseite hingegen, auf der Kira Gebrauch von diesem sprachlichen Muster macht, ist Folgendes zu lesen: „An einer Bushaltestelle sieht Beppo ein paar Männer und Frauen. ‚Die haben es nicht so eilig‘, denkt er, ‚die kann ich nach Zick-Zack fragen.‘“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 7. DS) Folglich wird Beppo dadurch auf die Leute aufmerksam, dass er sie sieht. Im Vergleich dazu wird im Text von Kira Clown Beppo auf die Leute aufmerksam, weil er sie hört. Kira verwendet somit das sprachliche Muster jemanden lachen hören, das im Bilderbuch zweimal vorkommt, in beiden Fällen, um auszudrücken, dass jemand durch ein Lachen auf jemand anderen aufmerksam wird. Sie gebraucht das sprachliche Muster in derselben Funktion, die es im Bilderbuch auf der achten Doppelseite hat. Zweimal verwendet Kira die Formulierung in der Stadt. In beiden Fällen wird auch im gleichen Kontext im Bilderbuch Gebrauch von dieser Formulierung gemacht. Obwohl sich die Sätze auf einer inhaltlichen Ebene ähnlich sind, baut Kira die Formulierung jedoch in beiden Fällen in eine neue syntaktische Struktur ein. Im Bilderbuch wird die Formulierung auf der fünften Doppelseite als Be‐ standteil von direkter Rede verwendet: „In der Stadt wohnen so viele Menschen, vielleicht hat jemand von ihnen Zick-Zack gesehen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 5. DS). Kira drückt einen ähnlichen Inhalt in Form von indirekter Rede aus: da/ da/ da/ dann/ da wollte er den suchen in der stadt (5. DS). Während im Bilderbuch das sprachliche Muster in den Ausdruck in der Stadt wohnen eingebaut wurde, taucht das sprachliche Muster in Kiras Text der Formulierung jemanden in der Stadt suchen auf. Während das sprachliche Muster im Bilderbuch als Satzanfang verwendet wird, beendet Kira ihren Satz mit diesem sprachlichen Muster. Das zweite Mal wird das sprachliche Muster in Kiras Textproduktion sowie im Bilderbuchtext auf der sechsten Doppelseite jeweils im gleichen Kontext verwendet. Im Bilderbuchtext steht: „Doch in der Stadt eilen die Leute hastig an Beppo vorbei“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 6. DS). Kira produziert folgenden Satz: und die menschen in der stadt eilten vor ihm vorbei (6. DS). Auch hier verwendet Kira das sprachliche Muster in der Stadt in einem neuen syntaktischen Zusammenhang. Während die Formulierung in der Stadt im Bilderbuch gebraucht wird, um die Handlung zu lokalisieren, verwendet Kira die gleiche Formulierung, um die Menschen näher zu beschreiben. 326 3 Auswertung und Ergebnisse Kira verwendet sechsmal das sprachliche Muster Clown Beppo, wenn sie auf die Figur des Clowns eingeht. äh der [leise ab ‚äh‘] clown beppo ü b t e [? ] äh kunststücke (1. DS). und da: nn/ dann/ dann suchte der clown BEPPO den zickzack (4. DS). da hörte clown beppo [? ] [.] kinder lachen (8. DS). in die richtung laufte/ l ä u f t e [.] clown beppo (8. DS). und u/ u/ und der zirkusdirektor [.] freute sich wieder, dass zickzack und clown beppo [? ] wieder da sind (11. DS). da: nn/ äh da: nn/ dann führte zickzack und clown beppo seine kunststück vor (12. DS). Im Bilderbuchtext kommt dieser Ausdruck lediglich zweimal vor: Einmal als Überschrift der Geschichte (Clown Beppo) und einmal in folgendem Satz: „Clown Beppo wohnt mit seinem kleinen Drachen in einem kunterbunten Zirkuswagen.“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 1. DS) Der Gebrauch der Formulierung Clown Beppo in Kiras Text kann somit einmal als Gebrauch eines sprachlichen Musters aus dem Bilderbuch im gleichen Kontext (Schwarz/ Wenisch 2002, 1. DS) und fünfmal als Gebrauch eines sprachlichen Musters des Bilderbuchtextes in einem neuen Kontext bezeichnet werden. Im Bilderbuch wird auf das Referenzobjekt Clown Beppo häufig mit Hilfe des Namens Beppo oder eines Personalpronomens verwiesen. Durch die häufige Nennung des Protagonisten Clown Beppo wird seine zentrale Rolle als durchgängig Handelnder in der Geschichte hervorgehoben. Dies trägt zur Kohärenzbildung bei. Einmaliger Gebrauch einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, lässt sich einmal identifizieren: Kira verwendet das sprachliche Muster seine Stacheln hängen: und er ha/ da/ dann/ dann hängte der zickzack seine/ seine/ äh seine stacheln [? ] [blättert um] (3. DS). Diese Formulierung lässt sich als Variation des sprachlichen Musters, Typ „Ersetzen“/ „Weglassen“, aus dem Bilderbuch seine Zacken hängen lassen bezeichnen. Es wird im gleichen Kontext, jedoch auf einer anderen Doppelseite verwendet: „Wenn doch nur jemand mit mir spielen würde“, denkt der kleine Drache und lässt traurig seine Zacken hängen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS). Das Nomen Zacken wird dabei durch das semantisch ähnliche Wort Stacheln ersetzt, während das Verb lassen von Kira weggelassen wird. Der Ausdruck wird von Kira in eine neue syntaktische Struktur eingebunden und im gleichen Kontext verwendet. Mehrmaliger Gebrauch einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, lässt sich hinsichtlich des sprachlichen Musters 3.1 Textanalysen 327 Zick-Zack und Clown Beppo feststellen, von dem Kira zweimal Gebrauch macht: und/ u/ u/ und der zirkusdirektor [.] freute sich wieder, dass zickzack und clown beppo [? ] wieder da sind (11. DS). da: nn/ äh da: nn/ dann führte zickzack und clown beppo seine kunststück vor (12. DS). Die Formulierung lässt sich zum einen als Variation des sprachlichen Musters Beppo und Zick-Zack (Typ „Reihenfolge“/ Typ „Weglassen“) in einem neuen Kontext bezeichnen: „Beppo und Zick-Zack verabschieden sich von ihren neuen Freunden“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 11. DS). Zum anderen kann auch von einer Variation des sprachlichen Musters (Typ „Weglassen“) in einem neuen Kontext gesprochen werden: „‚Schön, dass ihr wieder da seid‘, begrüßt er Zick-Zack und Beppo“ (ebd.). Während im Bilderbuch somit auf unterschiedliche Formulierungen zurückgegriffen wird, wählt Kira zweimal den gleichen Ausdruck. Zum Gebrauch struktureller Muster sind folgende Beobachtungen zu machen. Mehrmaliger Gebrauch eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, lässt sich bezüglich der strukturellen Muster [„wieder“ + Verb], [„Da“ + Verb], [„und“ + Satz] und [bestimmter Artikel + Subjekt] feststellen. In einem Satzgefüge macht Kira zweimal Gebrauch vom strukturellen Muster [„wieder“ + Verb]: und u/ u/ und der zirkusdirektor [.] freute sich wieder, dass zickzack und clown beppo [? ] wieder da sind. [blättert um] (11. DS). Es nimmt dabei einmal die Form sich wieder freuen und einmal die Form wieder da sein an. Im Bilderbuchtext sind die Formen sich wieder nach draußen drängeln, wieder zusammen sein und wieder da sein zu finden: „‚Puh, hier ist Zick-Zack nicht‘, denkt Beppo und drängelt sich wieder nach draußen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 6. DS). „Der Direktor freut sich, dass die beiden Freunde wieder zusammen sind. ‚Schön, dass ihr wieder da seid“, begrüßt er Zick-Zack und Beppo.“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 11. DS) Die von Kira gebrauchten Muster können somit als Gebrauch struktureller Muster aus dem Bilderbuch in anderen Kontexten bezeichnet werden. Kira strukturiert ihre Textproduktion u. a. durch den fünffachen Gebrauch des strukturellen Musters [„Da“ + Verb]. Dieses strukturelle Muster ist nur ein einziges Mal im Bilderbuchtext enthalten: „Da traut er seinen Augen nicht! “ (8. DS) Nach Dehn, Merklinger und Schüler (2011) lässt sich dieses Muster mit Blick auf seine Funktion als Muster zur zeitlichen Gliederung (Dehn/ Merk‐ linger/ Schüler 2011, S. 9) bezeichnen. Dieses Muster lässt sich als strukturelles Muster im gleichen und in anderen Kontexten verwendetes Muster aus dem Bilderbuchtext beschreiben. Da es sich jedoch nicht um ein buchspezifisches, sondern um ein im Sprachgebrauch weit verbreitetes Muster handelt, ist es nicht 328 3 Auswertung und Ergebnisse sehr wahrscheinlich, dass es sich hierbei um eine Übernahme des Musters aus dem Bilderbuchtext handelt. Auszuschließen ist es allerdings auch nicht. Dreimal greift Kira auf das strukturelle Muster [„und“ + Satz] zurück. In allen drei Fällen verwendet sie diesen Satzanfang zu Beginn einer Doppelseite und stellt somit grammatische Kohärenz her: und/ und er ha/ da/ dann/ dann hängte der zickzack seine/ seine/ äh seine Stacheln [? ] (3. DS). und die menschen in der stadt eilten vor ihm vorbei. [blättert um] (6. DS) und fragte er a/ a/ aber/ aber/ aber sie lachten nur (7. DS). und/ u/ u/ und der Zirkusdirektor [.] freute sich wieder, dass zickzack und clown beppo [? ] wieder da sind. [blättert um] (11. DS). Das strukturelle Muster [„und“ + Hauptsatz] wird ihm Bilderbuch viermal in anderen Kontexten verwendet: „Und am lautesten lachen sie, wenn das rohe Ei, das Beppo in die Luft geworfen hat, mitten auf seinem Hut landet und dann langsam heruntertropft“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 3. DS). „‚Und du vielleicht, Arnold? ‘“ (ebd., 4. DS) „Und da rennt er auch schon zu ihm, dass seine Zacken nur so im Wind flattern“ (ebd., 9. DS). „‚Und, Beppo, es tut mir Leid, dass ich mit dir geschimpft habe, nur weil du einmal nicht fröhlich sein konntest‘, sagt er noch“ (ebd., 11. DS). Da es sich allerdings um ein sehr bekanntes strukturelles Muster handelt, ist es fraglich, ob es sich hierbei um eine Übernahme aus dem Bilderbuchtext in anderen Kontexten handelt. Ein weiteres strukturelles Muster, von dem Kira in ihrer Textproduktion mehr‐ fach Gebrauch macht (und zwar achtmal), ist die Kombination aus einem Nomen und einem bestimmten Artikel ([bestimmter Artikel + Subjekt]). Kira greift auf dieses Muster jedes Mal zurück, wenn sie eine einzelne neue Person in den Text einführt, bzw. wenn diese zum ersten Mal in der Geschichte vorkommt: der […] clown beppo (1. DS), der drache […] zickzack (1. DS), die seiltänzerin (2. DS), der zirkusdirektor (11. DS). Der Gebrauch des Musters in diesem Zusammenhang bewirkt, dass beim Leser die Vorstellung erzeugt wird, ihm seien die Figuren bereits bekannt. Bei der ersten Erwähnung von Personengruppen gebraucht Kira die Muster die menschen in der stadt (6. DS) und die kinder (10. DS), nicht aber bei paar männer (7. DS). Bis zur achten Doppelseite verwendet Kira immer den bestimmten Artikel, wenn sie einen der beiden Protagonisten erwähnt, außer wenn sie ein Personalpronomen oder ein Demonstrativpronomen verwendet. Auf der achten Doppelseite verwendet sie zum ersten Mal die Formulierung Clown Beppo ohne Artikel und auf der neunten Doppelseite den Namen Zick-Zack ohne Artikel. Die 3.1 Textanalysen 329 weiteren zwei Nennungen von Clown Beppo sowie die weiteren Nennungen von Zick-Zack bleiben ebenfalls artikellos. Auffällig ist, dass Kira kein einziges Mal einen unbestimmten Artikel verwendet. Im Bilderbuchtext wird der bestimmte Artikel ebenfalls verwendet bei der ersten Nennung der folgenden Figuren: „Aurelia, die Seiltänzerin“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 2. DS), „die Zuschauer“ (ebd., 5. DS), „die Leute“ (ebd., 6. DS, 7. DS), „der Direktor“ (ebd., 11. DS). Clown Beppo und Zick-Zack werden hingegen im Gegensatz zu Kiras Text nicht mit dem bestimmten Artikel eingeführt. Auch wird im Bilderbuchtext an keiner Stelle ein Artikel vor den Ausdruck Clown Beppo oder den Namen Beppo gesetzt. Der Drache wird im Bilderbuchtext dreimal in Kombination mit einem bestimmten Artikel genannt: „Der Drache Zick-Zack“ (ebd., 1. DS), „der kleine Drache“ (ebd., 2. DS), „der Drache“ (ebd., 9. DS). Die häufige Verwendung des strukturellen Musters [bestimmter Artikel + Nomen], durch die Kiras Text geprägt ist, ist somit kein Stilmittel des Bilderbuchtextes. Im Bilderbuchtext wird dieses strukturelle Muster zehnmal verwendet. Dreimal wird die Konstruktion dabei von Kira im gleichen Kontext verwendet: die Seiltänzerin (2. DS), die Kinder (10. DS), der Zirkusdirektor (11. DS). Von einmaligem Gebrauch eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vor‐ kommt, kann in folgendem Fall gesprochen werden: Das strukturelle Muster [„aber“ + Hauptsatz] verwendet Kira einmal in folgender Satzkonstruktion: DA/ da/ da hörte e/ er paar MÄNNER lachen [.] und fragte er a/ a/ aber/ aber/ aber sie lachten nur. [blättert um] (7. DS). Durch den Gebrauch der Konjunktion aber macht Kira den Gegensatz zwischen Clown Beppos Erwartungen und der Realität deutlich. Das Muster lässt sich im Bilderbuch in zwei anderen Kontexten finden. Dabei fällt auf, dass dieses jedoch in Kiras Text jeweils in eine andere Satzkonstruktion eingebettet ist als im Bilderbuchtext. Dort folgt das Muster stets auf direkte Rede. „‚Und du vielleicht, Arnold? ‘ Aber der schüttelt nur den Kopf und dabei lodert eine leuchtend rote Flamme aus seinem Mund.“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 4. DS) „‚Dort könnte Zick-Zack sein.‘ Aber drinnen herrscht ein schreckliches Gewühl.“ (Ebd., 6. DS) Da es sich nicht um eine für das Buch charakteristische sprachliche Struktur handelt, ist es nicht sehr wahrscheinlich, dass hier eine Übernahme aus dem Bilderbuch im neuen Kontext stattfand. Mehrmaliger Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters, das im Bil‐ derbuch vorkommt, lässt sich einmal identifizieren. Kira strukturiert ihre Text‐ produktion auch durch den fünffachen Gebrauch des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb]. Dieses lässt sich in der Terminologie Dehns, Merklingers 330 3 Auswertung und Ergebnisse und Schülers (2011) ebenfalls als „Muster zur zeitlichen Gliederung“ (Dehn/ Merklinger/ Schüler, S. 9) beschreiben. Das Temporaladverb dann wird im Bil‐ derbuchtext lediglich einmal in einer anderen sprachlichen Struktur gebraucht: „Und am lautesten lachen sie, wenn das rohe Ei, das Beppo in die Luft geworfen hat, mitten auf seinem Hut landet und dann langsam heruntertropft“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 3. DS). Anders als in Kiras Textproduktion wird es im Bilderbuch‐ text nicht am Satzanfang gebraucht. Hinsichtlich des Gebrauchs sprachlicher und struktureller Muster in Kiras Text im Vergleich zum Bilderbuchtext sind zwei weitere Beobachtungen auffällig: Erstens verwendet Kira in ihrer Textproduktion kein einziges Adjektiv, obwohl der Bilderbuchtext mehrfach, nämlich 17-mal, die strukturellen Muster [Ad‐ jektiv + Nomen] und [Adjektiv + Verb] aufweist (vgl. digitaler Anhang). Zweitens verwendet Kira von den zahlreichen (21) im Bilderbuch enthaltenen Phraseologismen und üblichen sprachlichen Wendungen (vgl. digitaler Anhang) lediglich die folgenden sechs sprachlichen Muster bzw. Variationen dieser: „Kunststücke üben“ (1. DS), „Kunststücke vorführen“ (1. DS, 11. DS), „jemanden lachen hören“ (3. DS), „seinen Augen nicht trauen“ (8. DS), „ein Stöckchen (Holzstück) balancieren“ (8. DS) und „an jemanden vorbeieilen“ (6. DS). Als erzähltypisches Muster konnte in Kiras Textproduktion der Gebrauch direkter Rede identifiziert werden. Kira macht lediglich an einer einzigen Stelle Gebrauch von direkter Rede. Sie greift dabei auf direkte Rede mit nachgestelltem Begleit‐ satz zurück, die im Bilderbuch am häufigsten enthaltene Form von direkter Rede: ‚warum bist du nicht im/ warum bist du nicht im zirkuszelt‘, fragten die KINder (10. DS). Der Anteil an direkter Rede ist in Kiras Textproduktion im Vergleich zum Bilderbuchtext deutlich geringer. Mit Hilfe der direkten Rede vermittelt Kira ähnliche Inhalte wie im Bilder‐ buch, die im Bilderbuch ebenfalls als direkte Rede formuliert sind (Fall 1). Auffällig ist, dass sie hier fast wortwörtlich die Formulierung aus dem Bilder‐ buch übernimmt. Im Bilderbuchtext steht: „‚Du bist ja ein echter Clown! Warum bist du denn nicht im Zirkus‘, fragen die Kinder.‘“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 10. DS). Die Unterschiede zwischen Kiras Satz und dem des Bilderbuches liegen darin, dass Kira anstelle des Nomens Zirkus das zusammengesetzte Nomen Zirkuszelt verwendet, bei dem es sich zusätzlich um eine Alliteration handelt, und anstatt des Präsens Gebrauch vom Präteritum macht. Im Begleitsatz verwendet Kira lediglich einmal das unspezifische Verb fragen, das im Bilderbuch mehrfach in Begleitsätzen vorkommt (vgl. Tabelle 14 im digitalen Anhang). 3.1 Textanalysen 331 Ein weiteres Muster der dritten Ebene ist das Stellen von Fragen, die un‐ beantwortet bleiben. Zweimal bildet Kira eine Frage (einmal in Form von indirekter, einmal in Form von direkter Rede), auf die keine Antwort folgt - weder als direkte noch indirekte Rede: dann fragte der drache äh zickzack ihn, weil er auch kunststücke (1. DS). warum bist du nicht im/ warum bist du nicht im zirkuszelt [? ]‘, fra/ fragten die KINder (10. DS). Da dieses Element mehrfach im Kindertext auftritt, jedoch weder ein sprachliches, strukturelles oder erzähltypi‐ sches Muster ist, wird es der Gruppe weitere Muster der dritten Ebene zugeordnet. Im Bilderbuchtext hingegen bleiben Fragen nicht unbeantwortet. Kiras Text enthält verschiedene strukturelle Muster, von denen sie mehrfach Gebrauch macht. Sehr auffällig an Kiras Text ist der häufige Gebrauch von zwei strukturellen Mustern zur zeitlichen Gliederung: [„Dann“ + Verb] und [„Da“ + Verb]. Das erste kommt im Bilderbuchtext einmal in variierter Form vor (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 3. DS), während das zweite im Bilderbuchtext dreimal in der gleichen Form und einmal in Variation enthalten ist (vgl. ebd. 6., 8., 8., 9. DS). Außerdem verwendet Kira mehrfach das strukturelle Muster [„Und“ + Verb] zur Verknüpfung von Aussagen, das im Bilderbuch mehrfach in anderen Kontexten vorkommt. Neben dem mehrfachen Gebrauch dieser drei strukturellen Muster, die den Text gliedern bzw. Aussagen miteinander verknüpfen, weist Kiras Text zum einen zweimal das strukturelle Muster [„wieder“ + Verb] auf. Dieses wird in anderen Kontexten verwendet als im Bilderbuchtext. Zum anderen wird die Struktur [bestimmter Artikel + Nomen] von Kira bis zur achten Doppelseite durchgängig für Figuren verwendet - außer beim Gebrauch von Personalpronomen oder Demonstrativpronomen. Im Bilderbuchtext wird dieses strukturelle Muster in viel geringerem Maße verwendet. Die Beobachtungen zum Gebrauch sprachlicher Muster lassen sich wie folgt zusammenfassen. Kiras Textproduktion weist den mehrfachen Gebrauch ver‐ schiedener sprachlicher Muster auf, die im Bilderbuchtext vorkommen. Das Muster jemanden lachen hören wird von Kira im gleichen Kontext wie im Bilderbuchtext gebraucht und zusätzlich in einem neuen Kontext verwendet. Das sprachliche Muster in der Stadt wird zwar zweimal im gleichen Kontext wie im Bilderbuch gebraucht, wird von Kira aber in beiden Fällen in eine neue syntaktische Struktur eingebunden. Den Ausdruck Clown Beppo, der im Bilder‐ buch lediglich zweimal vorkommt, wird von Kira sechsmal in neuen Kontexten verwendet und wird somit weitaus häufiger als im Bilderbuch verwendet. Der mehrfache Gebrauch einer Variation eines sprachlichen Musters aus dem Bilderbuchtext ist in Kiras Textproduktion beim Ausdruck Zick-Zack und Clown Beppo zu beobachten. Dabei ist auffällig, dass der variierte Ausdruck von Kira 332 3 Auswertung und Ergebnisse gleich zweimal verwendet wird, während sie auf die Formulierung aus dem Bilderbuch „Zick-Zack und Beppo“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 11. DS) hingegen nicht zurückgreift. Auffällig ist ebenfalls der einmalige Gebrauch des Phraseologismus seinen Augen nicht trauen, der auch im Bilderbuch im gleichen Kontext enthalten ist und von Kira nicht in eine neue syntaktische Struktur eingebaut wird. Zudem verwendet Kira einmalig die im Bilderbuch enthaltene übliche Wortverbindung an jemandem vorbeieilen, die von Kira in eine neue syntaktische Struktur einge‐ bunden wird. Mit Blick auf erzähltypische Muster fällt auf, dass der Bilderbuchtext einen sehr viel höheren Anteil an direkter Rede aufweist als der Text von Kira. Dreimal greift Kira auf andere sprachliche Mittel zurück, um den im Bilderbuch mit Hilfe von direkter Rede dargestellten Inhalt zum Ausdruck zu bringen. Bei der einzigen Stelle, an der Kira direkte Rede verwendet, scheint es sich um eine fast wörtliche Übernahme aus dem Bilderbuchtext zu handeln. Zusammenfassend lässt sich in Kiras Textproduktion eine starke Tendenz zur mehrfachen Verwendung struktureller und sprachlicher Muster erkennen. Diese sind zum Großteil auch im ihr zuvor vorgelesenen Bilderbuch Clown Beppo enthalten. Sie werden von Kira in gleichen und neuen Kontexten verwendet, selten variiert und teilweise in neue syntaktische Strukturen eingebunden. Kiras Text enthält einige wenige Hinweise, die auf Leserorientierung hindeuten. So hebt sie ein paar einzelne Wörter durch besondere Betonung hervor. Jedoch scheinen die meisten Betonungen für den Text nicht funktional zu sein. In der folgenden Textpassage wird durch besondere Betonung des Namens BEPPO betont, dass dieser den Drachen sucht: und da: nn/ dann/ dann suchte der clown BEPPO den zickzack. [blättert um] (4. DS) Bei Clown Beppo handelt es sich um den Protagonisten der Handlung und bei der Suchak‐ tion um eine zentrale Handlung der Geschichte. Zudem setzt Kira eine Anapher beginnend mit dem Adverb da funktional ein: Durch den Gebrauch dieser Anapher stellt sie die beiden inhaltlich zusammenhängenden Sätze auch auf sprachlicher Ebene in einen Zusammenhang. Es lassen sich verschiedene Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit in Kiras Textproduktion identifizieren. Obwohl der Text des Bilderbuches komplett im Präsens verfasst ist, stehen 17 der 18 von Kira verwendeten Verben der Erzählerrede im Präteritum. Nur ein einziges Verb der Erzählerrede steht im Präsens. Kira wird durch das Setting somit herausgefordert, überwiegend die typische Erzählzeit Präteritum zur Wiedergabe von Erzählerrede zu gebrauchen. Konzeptionelle Schriftlichkeit wird an dieser Stelle herausgefordert. 3.1 Textanalysen 333 Auffällig sind die bereits erwähnten sprachlichen Muster an jemandem vor‐ beieilen und seinen Augen nicht trauen, die sowohl im Kindertext als auch im Bilderbuchtext vorkommen. Sie sind dem gehobenen Sprachregister zuzu‐ ordnen. Der bereits beschriebene Wechsel vom Gebrauch der bestimmten Artikel in Kombination mit den Namen bzw. Berufsbezeichnungen (Clown) der Protagonisten hin zum artikellosen Gebrauch dieser, lässt sich als eine stärkere Verschiebung in die konzeptionelle Schriftlichkeit bezeichnen. Kiras Geschichte besteht aus 17 Hauptsätzen und zwei Nebensätzen. Beim Vergleich der beiden von Kira verwendeten hypotaktischen Satzkonstruktionen mit den inhaltlich äquivalenten Passagen des Bilderbuchtextes lassen sich die im Folgenden beschriebenen Beobachtungen machen (vgl. Tabelle 15 im digitalen Anhang). Die erste von Kira gebildete hypotaktische Satzkonstruktion besteht aus einem Hauptsatz und einem durch die Konjunktion weil eingeleiteten Kausalsatz: äh dann/ dann fragte der drache äh zickzack ihn, weil er auch kunststücke (1. DS). Im Bilderbuchtext wird ein ähnlicher Inhalt hingegen mit Hilfe einer parataktischen Satzkonstruktion vermittelt: „‚Wann darf ich endlich auch Kunststücke vorführen? ‘, fragt er, „den ganzen Abend auf dich warten ist so langweilig“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 1. DS). An dieser Stelle ist die von Kira gewählte Satzkonstruktion somit in einem stärkeren Maße kon‐ zeptionell schriftlich als die des Bilderbuchtextes. Ein mit der Konjunktion weil eingeleiteter Kausalsatz ist im Bilderbuch in einem anderen Kontext enthalten (vgl. Tabelle 15 im digitalen Anhang): „‚Und, Beppo, es tut mir Leid, dass ich mit dir geschimpft habe, nur weil du einmal nicht fröhlich sein konntest‘, sagt er noch“ (ebd., 11. DS). Aufgrund der fehlenden inhaltlichen und sprachlichen Nähe der beiden Satzkonstruktionen scheint es jedoch unwahrscheinlich zu sein, dass es sich bei Idas Satzkonstruktion um eine Übernahme eines strukturellen Musters aus einem anderen Kontext aus dem Bilderbuch handelt. Dagegen spricht zudem die Tatsache, dass es sich bei mit weil eingeleiteten Kausalsätzen um ein im mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch weit verbreitetes sprachliches Mittel handelt. An der zweiten Stelle (und/ u/ u/ und der zirkusdirektor [.] freute sich wieder, dass zickzack und clown beppo [? ] wieder da sind. (11. DS)) handelt es sich sowohl in Kiras Text als auch im Bilderbuchtext um eine hypotaktische Satzkonstruktion bestehend aus einem Hauptsatz und einem mit der Konjunktion dass eingeleiteten Konsekutivsatz: „Der Direktor freut sich, dass die beiden Freunde wieder zusammen sind“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 11. DS). An dieser Stelle ist aufgrund der starken 334 3 Auswertung und Ergebnisse (strukturellen und inhaltlichen) Ähnlichkeit der beiden Satzkonstruktionen eine Orientierung Kiras an der Satzkonstruktion des Bilderbuches zu vermuten. Kira hält die Monologizität während des ganzen „Vorleseprozesses“ aufrecht. Sie wechselt lediglich nach dem „Vorlesen“ des Textes zur ersten Doppelseite aus dem Vorlesemodus in den Dialogmodus, indem sie die Frage was da: nn? [blättert um] stellt. Dabei richtet Kira den Blick jedoch nicht zu der Zuhörerin oder dem Zuhörer, sondern richtet ihren Blick weiterhin auf das Bilderbuch. Sie blättert um, schaut die zweite Doppelseite an, blickt in die Kamera und formuliert den nächsten Satz, während ihre Augen weiterhin in die Kamera blicken. Die Pause zwischen ihrer Frage und ihrem nächsten geäußerten Satz beträgt nur zwei Sekunden. Aus diesen Gründen ist anzunehmen, dass Kira zwar für einen kurzen Moment aus der Vorlesesituation heraustritt, aber nicht in einen Dialog mit der Zuhörerin tritt, sondern die Frage eher an sich selbst richtet. Ihre Äußerung könnte somit als lautes Denken interpretiert werden. Kira strukturiert ihre Textproduktion durch den fünffachen Gebrauch des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] sowie den fünffachen Gebrauch des strukturellen Musters [„Da“ + Verb]. So sichert sie die Monologizität ihres Textes ab. An Kiras Äußerungen im Zusammenhang mit ihrer Textproduktion zeigen sich Textüberarbeitungsspuren. Das Verwerfen von bereits formulierten Textteilen und Formulierungen deutet auf ein Pendeln zwischen dem distalen und dem proximalen Term hin (vgl. I.6.2). Zuerst liegt der Fokus auf d, der Schreibidee, dem auszudrückenden Gedanken, der zu erzielenden Wirkung, der zu erfüllenden Funktion. Dies führt dazu, dass eine Formulierung hervorgebracht wird. An‐ schließend wird die Formulierung im Lichte von d geprüft. Dies führt in den folgenden Fällen zu Überarbeitungen - zum Hervorbringen eines neuen proxi‐ malen Terms. Bei Kiras Textproduktion zeigen sich folgende Überarbeitungen, die nacheinander beschrieben und kategorisiert werden. Beim Formulieren der folgenden Textpassage nimmt Kira gleich mehrere Überarbeitungen vor: und er ha/ da/ dann/ dann hängte der zickzack seine/ seine/ äh seine stacheln [? ] (3. DS). Erstens verändert Kira den Satzanfang. Zuerst beginnt sie den Satz mit der Konjunktion und, schließlich greift sie auf das bereits mehrfach verwen‐ dete strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] zurück. Auf diese Weise ordnet sie die Geschehnisse in den zeitlichen Zusammenhang - nämlich ein zeitliches Nacheinander - ein. Der Gebrauch der Konjunktion und hingegen hätte offen gelassen, ob die Ereignisse nacheinander oder zeitgleich stattfinden. Hier findet durch die Überarbeitung somit eine Spezifizierung statt. Hintergrundbewusst 3.1 Textanalysen 335 151 Es ist jedoch nicht komplett auszuschließen, dass es sich bei dem von Kira gebrauchten Wort da/ auch um den Anfang des Wortes dann handeln könnte. scheinen hier vorangegangene Texterfahrungen gewirkt zu haben - vielleicht sogar der bereits verfasste Text, da Kira bis zu diesem Zeitpunkt bereits zweimal auf das Muster [„Dann“ + Verb] zurückgegriffen hat. Die Überarbeitung des Satzanfanges lässt sich als inhaltliche Überarbeitung bezeichnen. Auffällig bei der Überarbeitung des Satzanfanges ist zudem, dass Kira zu‐ nächst das Adverb da gebraucht, dieses dann verwirft und durch das Temporal‐ adverb dann ersetzt. 151 Unklar ist an dieser Stelle, ob es sich beim Adverb da um ein Temporaladverb oder ein Lokaladverb handelt. Im Falle eines Lokalad‐ verbs hätte Kira es durch einen anderen Ausdruck ersetzt, der eine ähnliche Funktion erfüllt, jedoch nicht dieselbe Bedeutung hat. In diesem Fall hätte die Überarbeitung zu einer kleinen Bedeutungsverschiebung geführt. Handelte es sich hingegen um ein Lokaladverb, wäre da ein deiktischer Ausdruck. Damit wäre es nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine stilistische Überarbeitung in Richtung konzeptionelle Schriftlichkeit. Da jedoch keine Zeigegesten von Kira in der Situation beobachtet werden können, kann nur die Vermutung geäußert werden, dass es sich bei dem Ausdruck da um ein Temporaladverb handelt, weil es noch mehrere Male in der Textproduktion ähnlich wie das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] verwendet wird. Zweitens scheint Kira zunächst dabei zu sein, eine Perfektkonstruktion zu bilden: Es ist naheliegend, dass es sich bei der Äußerung und er ha/ (3. DS) ursprünglich um die Äußerung „und er hat“ handeln sollte, die Kira jedoch im Wort abgebrochen hat. Im zweiten Versuch, den Satz zu bilden, wählt Kira stattdessen die Präteritumform des Verbes hängen. Es handelt sich um eine stilistische Überarbeitung. Auf diese Weise weist der überarbeitete Textausschnitt eine stärkere konzeptionelle Schriftlichkeit auf als der erste Formulierungsversuch. Drittens verwendet Kira in ihrer überarbeiteten Formulierung anstatt des Personalpronomens er die Formulierung der Zick-Zack. Mit Blick auf das Subjekt des vorangegangenen Satzes (die Seiltänzerin), wird deutlich, dass Kiras Über‐ arbeitung dem besseren Verständnis der Zuhörerin oder des Zuhörers dient. Durch diese Überarbeitung wirkt sie (implizit) möglichen Mehrdeutigkeiten entgegen. Es handelt sich somit um eine Überarbeitung zur Erleichterung des Verstehensprozesses und könnte auch als Hinweis auf eine vorhandene Leserori‐ entierung gedeutet werden. Bei der Korrektur der Präteritumform laufte zur Präteritumform läufte handelt es sich um eine grammatische Überarbeitung: da hörte clown 336 3 Auswertung und Ergebnisse beppo [? ] [.] kinder lachen. in die richtung laufte/ l ä u f t e [.] clown beppo. (7. DS) Die Bildung der Präteritum‐ form ist nun regelmäßiger, da die dritte Person Singular Präsens läuft und nicht lauft lautet. Kira wurde durch die Pretend-Reading-Situation zur Produktion eines monolo‐ gischen Textes herausgefordert, der - bis auf zwei Leerstellen - aus sich heraus verständlich ist. Es wurde deutlich, dass Kira - zwar nicht durchgängig, aber überwiegend - Kohärenz herstellt, die ein wichtiges Merkmal von Textualität darstellt (vgl. Fix 2008). Kiras Können zeigt sich nicht nur in der Reproduktion von Mustern im gleichen Zusammenhang wie im Bilderbuch. Es wird insbeson‐ dere an den Stellen deutlich, an denen Kira ein (mit hoher Wahrscheinlichkeit) aus dem Bilderbuch stammendes Muster funktional in anderen Kontexten einsetzt oder dieses in eine neue syntaktische Struktur einbindet. Der mehrfache funktionale Gebrauch eines Musters in verschiedenen Kontexten der Geschichte - insbesondere, wenn es sich um andere Kontexte als im Bilderbuchtext selbst handelt - deutet darauf hin, dass bei Kira im Sinne von Polanyi (vgl. I.6; Neuweg 2004; Polanyi 1985) eine implizite Verbindung zwischen dem Muster (p) und seiner Funktion (d) besteht. Dass Kira die Erzählerrede ihres Textes fast aus‐ schließlich im Präteritum gestaltet, während das Bilderbuch selbst im Präsens geschrieben ist, lässt darauf schließen, dass Kira durch ihre vorangegangene Erfahrung mit Texten über ein implizites Wissen über das typische Tempus bei Erzählungen verfügt. Dieses zeigt sich in ihrem Können. 3.1.3 Textanalyse III: He Duda von Ida Ida ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Pretend-Reading-Situation mit der oder dem Erwachsenen fünf Jahre und vier Monate alt. Ihre Familiensprache ist Deutsch. Sie hat ein Geschwisterkind, das elf Jahre alt ist. Die Herkunftsregionen der Eltern liegen in Deutschland. Ida besucht eine Kindertagesstätte. Im Haus‐ halt gibt es nach Angaben der Eltern 20 bis 40 Bilder- oder Kinderbücher. Idas Mutter hat Fachabitur und ihr Vater einen Realschulabschluss. Nach Angaben der Eltern wird dem Kind fünfbis sechsmal in der Woche ein Buch oder eine Geschichte vorgelesen, und zwar überwiegend durch den Vater. Einmal im Monat wird Ida eine Geschichte erzählt. Ida tut manchmal so, als würde sie (jemandem) ein Buch vorlesen und bezeichnet diese Tätigkeit nach Angaben der Eltern als vorlesen. Sie tut manchmal so, als würde sie ihren Kuscheltieren Bilderbücher vorlesen. Die oder der Studierende kannte Ida seit vier Jahren, hatte aber vor Durchführung der Pretend-Reading-Situation keinen Kontakt zu ihr. Die Pretend-Reading-Situation fand im Wohnzimmer der Familie statt. 3.1 Textanalysen 337 Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situation informiert die oder der Erwachsene Ida über das geplante Vorgehen. E: super. also, du setzt dich jetzt erst mal auf unseren kleinen äh zuhörerplatz und ich bin jetzt dein vorleser. ich sitze jetzt auf unserem vorlesesessel. und du hast dir ja jetzt das buch he duda ausgesucht und ICH lese dir das jetzt vor. und wenn ich das vorgelesen hab/ , DANN versuchst du mir das vorzulesen. okay [? ] dann darf ich das buch haben? dankeschön. I: [überreicht E das Bilderbuch] bitte. Im zweiten Schritt liest die oder der Erwachsene Ida das komplette Bilderbuch He Duda vor. He Duda (Jon Blake/ Axel Scheffler) He Duda wusste nicht, was er war. - „Bin ich ein Affe? “, dachte er. „Bin ich ein Koala-Bär? “ „Bin ich ein Stachel‐ schwein? “ (1. DS) - He Duda wusste nicht, wo er wohnen sollte. „Soll ich in einer Höhle wohnen? “, dachte er. „Oder in einem Nest? “ „Oder in einem Spinnennetz? “ - He Duda wusste nicht, was er essen sollte. „Soll ich Fisch essen? “, dachte er. „Oder Kartoffeln“? „Oder Würmer? “ (2. DS) - He Duda wusste nicht, warum er so große Füße hatte. „Vielleicht zum Was‐ serskifahren? “, dachte er. - „Vielleicht als Sitz für Mäuse? “ „Vielleicht als Regenschutz? “ (3. DS) - He Duda sah die Vögel im Baum und beschloss, auf einem Baum zu wohnen. - He Duda sah, dass die Eichhörnchen Ei‐ cheln aßen, und beschloss, Eicheln zu essen. Aber warum er so große Füße hatte, wusste er immer noch nicht. (4. DS) Lange Luda sah nach oben. He Duda winkte. - Lange Luda begann den Baum hin‐ aufzuklettern. Die anderen Kaninchen streckten die Nasen aus ihren Löchern und zitterten. (7. DS) - „Hallo! “, sagte He Duda zu Lange Luda. „Bist du ein Dachs? “ „Oder ein Elefant? “ „Oder ein schnabliges Schnabeltier? “ - Lange Luda kam näher. „Nein, mein Freund! “, flüsterte sie. „Ich bin ein Wiesel.“ „Wohnst du in einem Teich? “, fragte He Duda. „Oder auf einem Damm? “ „Oder in einer Hundehütte? “ (8. DS) - Lange Luda kam noch näher. „Nein mein Freund“, zischte sie. „Ich wohne in der dunkelsten Ecke des Waldes.“ „Frisst du Kohl? “, fragte He Duda. „Frisst du Insekten? “ „Frisst du Obst? “ - Lange Luda kam direkt auf He Duda zu. „Nein mein Freund“, fauchte sie. „Ich fresse Kaninchen! Kaninchen wie dich! “ He Duda wurde blass. „Bin ich … ein Kaninchen? “, stotterte er. (9. DS) 338 3 Auswertung und Ergebnisse Eines Tages war auf der Waldlichtung alles in heller Aufregung. Alle Kanin‐ chen versammelten sich unter He Dudas Baum. „He Duda! Du musst so‐ fort runterkommen! “, riefen sie. „Da‐ hinten kommt das lange Luder! “ „Lange Luda? “, frage He Duda. „Wer ist denn das? “ Aber die Kaninchen waren viel zu aufgeregt, um zu antworten. Sie rannten in alle Richtungen davon und verschwanden in ihren Löchern. (5. DS) - He Duda blieb auf seinem Baum sitzen, knabberte noch eine Eichel und dachte über seine großen Füße nach. - Lange Luda kroch aus dem Gebüsch. Ihre Zähne waren so scharf wie Glas‐ splitter und ihre Augen waren so schnell wie Flöhe. Lange Luda schlich um die Löcher, aber kein Kaninchen ließ sich blicken. (6. DS) - Lange Luda nickte … und leckte sich die Lippen … und sprang! (10. DS) - He Duda musste nicht lange über‐ legen. Blitzschnell dreht er sich um und schlug mit seinen Riesenfüßen aus. Lange Luda segelte durch die Luft, weit weit weg, dahin zurück, wo sie herge‐ kommen war. (11. DS) - Die anderen Kaninchen hüpften herum und schrien Hurra und umarmten sich. „He Duda, du bist ein Held! “, riefen sie. - „Wie komisch“, überlegte He Duda. „Ich dachte, ich wäre ein Kaninchen.“ (12. DS) Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Ida auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“. Dies geht folgendermaßen vonstatten. E: so, das war jetzt einmal die geschichte von he duda, die hab/ ich dir ja jetzt vorgelesen. und jetzt bist du an der reihe. jetzt tauschen wir die plätze. jetzt bist du unser vorleser. und jetzt tust du so, als ob du das buch vorlesen würdest. I: mhm E: genau I: [schlägt das Buch auf] [7] ich weiß es nicht. E: tu/ einfach so, als ob du das vorlesen würdest. als ob du das könntest. Ida äußert zunächst, dass sie „es“ nicht wisse. „Es“ bezieht sich offenbar auf die vorgelesene Bilderbuchgeschichte. Ob sich Ida in dem Moment nicht an den (genauen) Inhalt der ersten Doppelseite, den (genauen) Inhalt des ganzen Buches oder aber die exakten sprachlichen Formulierungen erinnern kann, bleibt offen. Nachdem die oder der Erwachsene Ida jedoch auffordert, sie solle so tun, als würde sie „das“ (vermutlich das Bilderbuch) vorlesen und im Nachsatz ergänzt als ob du das könntest, beginnt Ida mit der Textproduktion. 3.1 Textanalysen 339 Der grammatischen Analyse von Idas Textproduktion geht eine kurze Zusam‐ menfassung des Inhalts ihrer Narration voraus, da diese zum Teil vom Inhalt des Bilderbuches He Duda abweicht. Ida „liest“ die Geschichte von He Duda „vor“, der sich fragt, ob er ein Affe, ein Stachelschwein oder ein Koalabär sei. Des Weiteren überlegt er, ob er in einer Höhle, in einem Nest oder einem Spinnennetz wohnen soll. Als Drittes fragt er sich, was er essen sollte - Fisch, Regenwürmer oder Kartoffeln. Anschließend überlegt er, wofür er so lange Beine benötigt. He Duda sieht Vögel in einem Baum sitzen und Eichhörnchen Haselnüsse knabbern und überlegt, ob er auf einem Baum wohnen möchte. Dann geht He Duda in sein Hasendorf. Die Hasen dort sind aufgeregt, lassen ihn wissen, dass das lange Tier wieder da ist und verstecken sich in ihren Höhlen. Das lange Tier kommt aus einem Gebüsch. He Duda hingegen isst weiter Haselnuss. Dann klettert das lange Tier den Baum hinauf und He Duda winkt ihm zu. Er denkt erneut darüber nach, was für ein Tier er ist und wo er wohnt. Anschließend fragt das lange Tier He Duda, was er gerne isst. Dann springen sowohl das lange Tier als auch He Duda. Die Geschichte endet damit, dass He Duda fort ist. Ida verwendet keine Überschrift. Sie startet mit der Textproduktion auf der ersten Doppelseite: [3] ich/ als ich ein/ [deutet mit dem Zeigefinger auf das Bild des Koalabären und zieht den Finger wieder weg] [.] als ich ein AFFE wä: r? [I platziert den Daumen auf dem Bild des Affen] oder ob ich ein stachel [.] schwein wär? [zeigt auf Bild] oder ein koalabär? [hoch ab ‚Ich‘, zeigt auf das Bild des Koalabären, lacht kurz, während sie ‚ala‘ sagt, schaut E an] [2] denkte he duda [blättert um ab ‚denkte‘] Ida beginnt ihre Geschichte mit drei Fragen, die in direkter Rede formuliert sind. Zwei dieser Fragen weisen durch den Gebrauch der subordinierenden Konjunktion ob und des Verbes sein im Konjunktivs II (wär) sowie durch die Satzstellung Merkmale von indirekter Rede auf. Die dritte Frage ist mit einem nachgestelltem Redebegleitsatz verbunden, aus dem hervorgeht, dass es sich bei den drei geäußerten Fragen um Gedanken von He Duda handelt. Der Protagonist He Duda wird nicht näher beschrieben. Auf der aufgeschlagenen Bilderbuchseite, zu der Ida den Text produziert, ist auf der linken Seite das Kaninchen He Duda mit einem fragenden Gesichtsausdruck abgebildet. Auf der rechten Seite sind ein Koalabär an einem Baumstamm, ein Affe an einem Ast und ein Stachelschwein zu sehen, auf die Ida jeweils beim Nennen der entsprechenden Tiere deutet. Während Ida die Wörter denkte he duda (1. DS) spricht, blättert sie die Seite um. Idas Textproduktion zur zweiten Doppelseite lautet folgendermaßen: [2] und wusste nicht, wo er wohnen sollte. in einer dunklen 340 3 Auswertung und Ergebnisse höhle? [deutet auf das Bild der Höhle] in einem/ oder in einem NEst? [zeigt auf das Bild des Nestes] oder in einem spinnennetz [zeigt auf das Bild des Spinnennetzes] ? oder/ [2] oder was er essen sollte. ‚fisch [zeigt auf das Bild mit Fisch] oder regenwürmer [zeigt auf das Bild mit Regenwürmern] oder kartoffeln [zeigt auf das Bild mit Kartoffeln] ‘, sagte er. [blättert um] [4] Ida bildet den Satz, den sie zur ersten Doppelseite produziert hat, nun über die Seitengrenze hinaus und bindet die erste Formulierung, die sie zur zweiten Doppelseite formuliert, mit der Konjunktion und an den vorangehenden Inhalt an. Durch den Gebrauch des Personalpronomens er, das sich auf das Subjekt des vorangegangenen Satzes (He Duda) bezieht, stellt sie Kohäsion her. Ida bildet eine hypotaktische Satzkonstruktion mit einem durch das Interrogativadverb wo eingeleiteten Interrogativsatz. Inhaltlich thematisiert sie He Dudas Frage nach einem geeigneten Wohnort für sich. Sie nennt drei Alternativen und deutet dabei jeweils mit dem Finger auf das genannte Objekt. Die Frage nach geeigneter Nahrung von He Duda schließt Ida mit einer Ellipse an. oder was er essen sollte (2. DS). Auch hier nennt sie anschließend drei Alternativen und deutet jeweils mit dem Finger auf die entsprechende Abbildung auf der Bilderbuchseite. Ida „liest“ zur dritten Doppelseite den folgenden Text „vor“: nun [.] dachte er, für was er so lange BEINE bräuchte. zum ski: wasserfahrn? zum regenmacher? oder z/ zum hinsetzen. [schaut E an] [blättert um] [3] Diesen Sinnabschnitt bindet Ida mit dem Temporaladverb nun an den voran‐ gegangenen Teil der Geschichte an und ordnet ihn auf diese Weise in einen zeitlichen Zusammenhang ein. Auch hier nennt Ida drei Alternativen. Zur vierten Doppelseite formuliert Ida folgenden Text: dann siehtete he duda, wie die vögel auf dem baum schön sitzen. der eine ha/ , eine eule [zeigt auf das Bild der Eule im Baum] , da/ . und dann ging er weiter. dann siehte he duda die eich [.] hörnchen HASELNUSS knabberten. [2] also denkte er sich vor, ob er vielleicht auf einem BAUM wohnen will/ [.] wollte. [blättert um] [4] Ida markiert durch den Gebrauch des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] einen neuen Sinnabschnitt und ordnet das neue Geschehen somit in einen zeitlichen Zusammenhang ein. He Duda sieht die Vögel schön auf dem Baum sitzen. Das sprachliche Muster schön sitzen ist im deutschen Sprachgebrauch nicht üblich. Ida stellt mit dem Gebrauch dieser Formulierung die Attraktivität der Aktivität des „Auf-dem-Baum-Sitzens“ heraus. Sie beendet den Abschnitt 3.1 Textanalysen 341 mit He Dudas Überlegung, ob er auch auf dem Baum wohnen will. Das „schön Sitzen“, das ihm offenbar gefällt, könnte somit als Grund für seine Überlegung gedeutet werden. Nachdem Ida die Vögel im Baum erwähnt hat, nennt sie explizit die im Baum abgebildete Eule beim Namen, während sie auf die Abbildung zeigt. Eine weitere Formulierung bricht sie ab. Ida bedient sich danach erneut des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] und erwähnt, dass He Duda (mehrere) Eichhörnchen Nüsse knabbern sieht. Die bereits erwähnte Konsequenz aus den Beobachtungen - nämlich ob He Duda auch auf dem Baum wohnen möchte - leitet Ida mit dem strukturellen Muster [„Also“ + Verb] ein. Zur fünften Doppelseite formuliert Ida folgenden Text: dann ging er weiter [.] in sein hasendorf. DANN erblickte [.] der/ sind die hasen so aufgeregt. sagte ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ [laut ab ‚he duda‘] [.] der lange duda (hin). ALLE sind aufgeregt. alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. [blättert um] [3] Hier wird ein neuer Sinnabschnitt erneut mit dem strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] eingeleitet. He Duda geht weiter in sein Hasendorf. An dieser Stelle wird zum ersten Mal die Tierbezeichnung Hase erwähnt. Mit einem weiteren Gebrauch des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] leitet Ida eine weitere neue Handlung ein: Die Hasen sind sehr aufgeregt. Hier markiert Ida durch betontes Sprechen das Temporaladverb dann, was der Spannung des „vorgelesenen“ Inhalts entspricht. Des Weiteren markiert Ida die Stärke der Aufregung der Hasen durch den Gebrauch der Intensitätspartikel so in Kombination mit dem Adjektiv aufgeregt. He Duda wird aufgefordert, von etwas herunterzukommen. Diese Aufforderung als direkte Rede „liest“ Ida mit einer etwas lauteren Stimme vor. In Idas Text wird nicht erwähnt, dass er in diesem Moment auf einem Baum sitzt. So enthält der Text an dieser Stelle eine Leerstelle. Auf dem entsprechenden Bild des Bilderbuches ist He Duda jedoch auf dem Baum sitzend dargestellt, während im Gras um den Baum herum u. a. laufende Hasen abgebildet sind. Vier Hasen sind mit offenem Maul abgebildet, vier Hasen strecken die Arme in die Höhe und die meisten Hasen sind mit aufgerissen wirkenden Augen gezeichnet, was den Eindruck von Aufregung und Unruhe erweckt. Die Gefahr bezeichnet Ida zuerst als das lange Tier. Anschließend nennt sie in einem elliptischen Satz seinen Namen: Der lange Duda. Hier sei auf die sprachliche Nähe zwischen dem Namen des Protagonisten (He Duda) und dem Namen des Antagonisten (der lange duda) hingewiesen. Durch den Gebrauch des bestimmten Artikels entsteht der Eindruck, dass den Hasen das Tier bereits bekannt ist. Dies entspricht auch der Aussage, dass das lange Tier 342 3 Auswertung und Ergebnisse wieder da (5. DS) ist. Nach der Nennung des Tiernamens erwähnt Ida zum zweiten Mal die Aufregung der Tiere. Des Weiteren hebt sie das Wort ALLE mittels sprachlicher Betonung hervor. Zusätzlich wird das Wort alle durch den Gebrauch einer Anapher hervorgehoben: ALLE sind aufgeregt. alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. (5. DS) Außerdem nutzt Ida das Verb rennen, was eine Steigerung des Verbs laufen darstellt, und kombiniert dieses mit dem sprachlichen Muster vor lauter Schreck, was das Rennen als Reaktion auf einen Schrecken kennzeichnet. Durch den Gebrauch all dieser sprachlichen Mittel zeichnet Ida das Bild einer aufgeregten Menge. Auffällig ist auch der mehrmalige Tempuswechsel in diesem Textabschnitt. Als erstes findet ein zweifacher Tempuswechsel statt. Ida wechselt vom Prä‐ teritum ins Präsens und zurück ins Präteritum: dann ging er weiter [.] in sein hasendorf. DANN erblickte [.] der/ sind die hasen so aufgeregt. sagte ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ (5. DS) Der Tempuswechsel ins Präsens kann als funktional bezeichnet werden. Das Präsens wird an der Stelle genutzt, als etwas Ungewöhnliches geschieht: Die Hasen sind aufgeregt. Auch diese plötzliche Aufregung kann durch den plötzlichen Tempuswechsel markiert werden. Anschließend findet ein weiterer zweifacher Tempuswechsel statt, der sich auch über den Übergang zwischen der fünften und der sechsten Doppelseite erstreckt: sagte ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ [laut ab ‚he duda‘] [.] der lange duda (hin). ALLE sind aufgeregt. alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. [blättert um] [3] (5. DS) dann kam es weiter. (6. DS) Hier wechselt Ida zunächst von der in ihrer Geschichte vorherrschenden Erzählzeit, dem Präteritum, ins Präsens. Erneut ist dieser Wechsel funktional: Es wird auch hier die Aufregung der Tiere thematisiert und das durch den Schrecken ausgelöste Rennen in ihre Höhlen. Anschließend wird zurück ins Präteritum gewechselt, um nun wieder den Blick auf das Wiesel zu richten, das immer näherkommt. Zur sechsten Doppelseite „liest“ Ida folgenden Text „vor“: dann kam es weiter. das langtier kommt aus dem gebüsch raus. hey duda isst einfach noch en bisschen HAselnuss. [2] da n n [blättert um] [2] Da die beiden vorangegangenen Sätze von den aufgeregten und flüchtenden Hasen handeln, wird deutlich, dass es sich beim durch das Personalpronomen es bezeichneten Subjekt um das auf der vorangegangenen Doppelseite erwähnte 3.1 Textanalysen 343 lange Tier handeln muss. Die Formulierung weiterkommen (6. DS) wird norma‐ lerweise in anderen Kontexten mit einer anderen Bedeutung verwendet. In dem hier gebrauchten Kontext könnte die Formulierung bedeuten, dass das Tier sich weiter vorwärtsbewegt und sich auf diese Weise immer mehr dem Aufenthaltsort von He Duda nähert, sodass es bald gesichtet werden kann. Auch dieses Geschehen wird durch das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] eingeleitet. Das lange Tier bzw. der lange Duda wird im nächsten Satz als Langtier bezeichnet. Das Langtier kommt nun aus dem Gebüsch heraus. Auf dem zugehörigen Bild ist ein Stück eines Busches abgebildet, der einen Teil des Schwanzes des Wiesels bedeckt, das sich leicht geduckt über einen Rasen bewegt. Der Körper des Tieres ist auf dem Bild relativ lang dargestellt. Nachdem Ida das Erscheinen des Langtieres erwähnt hat, produziert sie folgenden Satz: he duda isst einfach noch en bisschen haselnuss. (6. DS) Durch den Gebrauch der Partikel einfach steht das Handeln des Hasen im Kontrast zur erwarteten Reaktion auf die herannahende Gefahr. Auch in diesem Textabschnitt ist ein funktionaler Tempuswechsel vom Präte‐ ritum ins Präsens zu beobachten: dann kam es weiter. das langtier kommt aus dem gebüsch raus. Das Präsens wird von Ida eingesetzt, um das Erscheinen des Wiesels aus dem Gebüsch in Sprache zu fassen. Die sich herannahende Gefahr wird plötzlich sichtbar. Auf der sechsten Doppelseite ist das Wiesel zum ersten Mal auf einem Bild abgebildet, und zwar beim Verlassen eines Busches. Den nächsten Satz bildet Ida erneut im Präsens und wechselt im darauffolgenden Satz zurück ins Präteritum. Zur siebten Doppelseite formuliert Ida: ging er weiter. dann [.] fängte das lange tier an hochzukommen. dann ähm hatte hey duda die ohren runtergemacht. [.] er hatte das gesehen, dass das langtier schon wieder hier war. [blättert um] [3] Der Satz da n n [.] ging er weiter. (6./ 7. DS) könnte durch das Personalpronomen er auf den Hasen bezogen sein. Allerdings sitzt dieser im Baum, während sich das Wiesel nähert. Daher ist es wahrscheinlicher, dass Ida hier auf das Wiesel Bezug nimmt. Anschließend leitet Ida mit Hilfe des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] ein neues Geschehen ein: Das Tier beginnt, den Baum hochzuklettern. Ida nutzt eine übergeneralisierte Präteri‐ tumform. Das darauffolgende Geschehen wird erneut mit dem strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] eingeleitet: Es wird erwähnt, dass He Duda die ohren runtergemacht (7. DS) hatte. Die Formulierung runtergemacht kann dem konzeptionell mündlichen Register zugeordnet werden. Auf dem dazugehörigen Bild sitzt He Duda lächelnd auf einem Ast, während seine Ohren 344 3 Auswertung und Ergebnisse in einem 100-Grad-Winkel zueinanderstehen. Ida scheint sich stark an diesem Bild zu orientieren. Der darauffolgende Satz könnte als Grund für die Handlung des Hasen interpretiert werden: er hatte das gesehen, dass das langtier schon wieder hier war. (7. DS) Die Formulierung schon wieder lässt darauf schließen, dass das Langtier des Öfteren bei den Hasen auftaucht. Dies deckt sich mit der Aussage eines anderen Hasen auf der fünften Doppelseite, aus der dies ebenfalls hervorgeht: sagte ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ (5. DS) Folgenden Text formuliert Ida zur achten Doppelseite: dann kam das tier hoch. er winkte dem tier ZU. [4] ob/ und dann fragte er sich, wo er jetzt/ was er sein sollte [leise ab ‚sollte‘] . ein [.] wuschelbär? ein elefant? ein brummeliges nashier? oder in einem teich wohnte vielleicht? oder in/ o/ oder in (stämme) oder bei ner hundehütte? [blättert um] Während zur siebten Doppelseite „vorgelesen“ wird, dass das Langtier beginnt „hochzukommen“, wird nun zum Ausdruck gebracht, dass es hinauf‐ kommt. Dabei wird nicht erwähnt, dass das Tier den Baum hochklettert. Diese Information liefert das zugehörige Bild. Erneut wird auf das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] zurückgegriffen. Als nächstes fragt sich He Duda - wie am Anfang der Geschichte -, was für ein Tier er ist. Hierzu nutzt Ida erneut eine hypotaktische Satzkonstruktion bestehend aus einem Hauptsatz und einem mit dem Interrogativpronomen was eingeleiteten Interrogativsatz. Anschließend nennt Ida drei Möglichkeiten. Während sie den auf dem zugehörigen Bild abgebildeten Elefanten als Elefanten bezeichnet, spricht sie nicht von einem Dachs, sondern von einem Wuschelbären. Das dritte abgebildete Tier ist ein Schnabeltier. Ida verwendet die Formulierung Nashier, womit sie vermutlich Nastier meint. Möglicherweise könnte der abgebildete Schnabel bei ihr die Assoziation Nase ausgelöst haben. Anschließend nennt Ida drei Möglichkeiten, wo He Duda wohnen könnte. Mit der Formulierung oder in (stämme) (9. DS) bezieht sie sich höchstwahrscheinlich auf das Bild, auf dem ein Stapel Holz und ein darauf hockender Biber zu sehen sind. Idas Text zur neunten Doppelseite lautet: [2] dann ging er noch ein wenig weiter he duda. dann kam das tier vor laut/ dann fragte das tier, was er gerne isst. rotkohl? oder insekten? oder g e m ü: s e: ? [2] dann ging er noch ein wenig weiter. [blättert um] [2] Auch dieser Textabschnitt beginnt mit dem strukturellen Muster [„Dann“ + Verb]: dann ging er noch ein wenig weiter (9. DS). Aus dem 3.1 Textanalysen 345 Kontext ist zu schließen, dass sich das Personalpronomen er vermutlich auf das lange Tier bezieht. Auf dem zugehörigen Bild hat das Wiesel eine größere Höhe auf dem Baumstamm erreicht als im vorangegangenen. Auch das nächste Geschehen wird mit dem strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] eingeleitet: Das Tier fragt He Duda nach Nahrung, die er gerne zu sich nimmt. Auf dem Bild sind drei grüne Kohlköpfe abgebildet. Ida wählt den Ausdruck rotkohl (9. DS). Anstatt des abgebildeten Obstes wählt Ida vermutlich den Ausdruck g e m ü : / s e ? , den sie sprachlich akzentuiert. Auf der neunten Doppel‐ seite ist nur ein Verb in der Erzählerrede im Präsens gehalten: dann fragte das tier, was er gerne isst. (9. DS) Zur zehnten Doppelseite formuliert Ida: dann vor lauter schreck springt das tier und he duda springt weg. [blättert um] [3] Es folgt keine Antwort auf die drei formulierten Fragen. Stattdessen er‐ schrickt sich das Tier und springt. An dieser Stelle enthält der Text eine Leerstelle: Der Grund für das Erschrecken wird nicht genannt. Mit der Kon‐ junktion und wird die Information ergänzt, dass He Duda wegspringt. Auf dem dazugehörigen Bild sind sowohl das Wiesel als auch das Kaninchen in der Luft über dem Ast abgebildet. Ida bedient sich erneut des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb], um das Geschehen einzuleiten. Während der letzte Satz zur vorangehenden Doppelseite (dann ging er noch ein wenig weiter. (9. DS)) im Präteritum verfasst ist, findet mit dem Umblättern auf die zehnte Doppelseite ein Zeitsprung ins Präsens statt. Auch dieser Tempuswechsel kann als funktional bezeichnet werden. Eine plötzliche, schnell ablaufende und durch einen Schrecken hervorgerufene Aktion wird „vorgelesen“: Das Tier fängt plötzlich an zu springen. Als Reaktion springt auch He Duda weg. Die von Ida „vorgelesene“ Geschichte endet auf der elften Doppelseite: und vor lauter schreck fängt he duda an zu springen und weg is er. [Bilderbuch fällt zu, I schlägt eine Seite mit dem Bild einer Blumenwiese auf, klappt das Buch zu]. zu ende. Ida „liest“ das Ende der Geschichte erneut im Präsens vor. Auch hier wird eine durch einen Schrecken hervorgerufene, schnell ablaufende Handlung erzählt. Den letzten Satz, das Ergebnis der Handlung, bildet Ida ebenfalls im Präsens. Mit der Konjunktion und bindet Ida den letzten Satz an den Text auf der vorangegangenen Doppelseite an: He Duda beginnt zu springen. Diese Aussage kann als Wiederholung der Aussage auf der zehnten Doppelseite gedeutet werden oder als zweiter Sprung He Dudas. Ida nutzt erneut das sprachliche Muster vor lauter Schreck. Nun springt jedoch nicht das Tier vor lauter Schreck 346 3 Auswertung und Ergebnisse wie auf der zehnten Doppelseite, sondern He Duda. Nach der Konjunktion und wird die Folge des Springens genannt: und weg is er (11. DS). Bei dieser Formulierung wird durch die ungewöhnliche Satzstellung das Lokaladverb weg betont. Somit endet die Geschichte von He Duda mit der Erwähnung des Protagonisten He Duda mittels des Personalpronomens er. Nach dem Satz und weg is er fällt das Bilderbuch zu und Ida öffnet es auf einer Doppelseite, die lediglich eine Blumenwiese zeigt. Die zwölfte Doppelseite des Bilderbuches, die jubelnde Hasen und He Duda mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck zeigt, wird somit von Ida während ihres „Vorlesens“ weder angeschaut noch kommentiert. Das Ende ihrer Geschichte markiert sie mit der Formulierung zu ende. Zur Herstellung von grammatischer Kohärenz bedient sich Ida verschiedener Kohäsionsmittel (vgl. dazu Linke et al. 2004). Zum einen macht sie Gebrauch von Pro-Formen. Sie verwendet Personalpronomen, die sich auf ein vorange‐ gangenes Nomen beziehen. Ihr Text weist auch wenige Stellen auf, an denen der Bezug zwischen Personalpronomen und Bezugswort unklar ist, was den Text mehrdeutig macht: So scheint sich das Personalpronomen er auf der neunten Doppelseite auf das Bezugswort Tier zu beziehen. Zudem formuliert Ida zur sechsten Doppelseite den Satz dann kam es weiter. Hier ist lediglich aus dem Kontext zu schließen, dass sich das Personalpronomen es auf das einige Sätze zuvor erwähnte lange tier (5. DS), den langen Duda (vgl. dazu 5. DS), beziehen muss. Ein weiteres Kohäsionsmittel, das zu den Pro-Formen gerechnet wird und von Ida mehrfach in ihrer Textproduktion genutzt wird, ist der Gebrauch der Temporaladverbien dann und da. Als weiteres Kohäsionsmittel nutzt Ida in ihrer Textproduktion Konnektive: Ihr Text enthält die Konjunktionen und, aber und dass. Außerdem weist Idas Text mehrfach den sogenannten „elliptischen Anschluss“ (Linke et al. 2004, S. 251) als Form der Textverknüpfung auf. Hier wird der „Textverweis durch Leerstellen erzeugt“ (ebd.). Als Beispiel sei hier auf folgende Textpassage verwiesen: und wusste nicht, wo er wohnen sollte. in einer dunklen höhle? […] in einem/ oder in einem NEst? […] oder in einem spinnennetz […]? (2. DS) Inhaltliche Kohärenz ist in Idas Geschichte zum Großteil vorhanden: He Duda versucht herauszufinden, wer er ist (was ihm allerdings nicht gelingt) und entkommt einer Gefahr, sodass die Geschichte mit einem Happy End schließt. Idas Text enthält dabei zwei Leerstellen. Zum einen bleibt unklar, warum das Langtier sich erschrickt (vgl. 10. DS). Des Weiteren wird nicht erläutert, warum He Duda zunächst wegspringt (vgl. 10. DS) und anschließend erneut anfängt zu springen (vgl. 11. DS). 3.1 Textanalysen 347 Es werden Inhalte betrachtet, die in Idas Text im Vergleich zum Bilderbuchtext in abgewandelter Form vorkommen (veränderte Inhalte). Die im Folgenden beschriebenen inhaltlichen Änderungen gehen scheinbar auf eine alternative Interpretation einzelner Bilder durch Ida zurück. Während He Duda dem Wiesel im Bilderbuch einen Tritt gibt, was dazu führt, dass es weit wegfliegt, springen in Idas Textproduktion beide Tiere und He Duda ist am Ende „weg“. Mit einem Sprung konnte He Duda somit der Gefahr entkommen. In Idas Text wird hier das Thema Flucht thematisiert, während im Bilderbuch das Thema Kampf zu finden ist. Dieser Unterschied könnte in Idas Interpretation der zugehörigen Bilder begründet sein: Auf der zehnten Doppelseite sind Kaninchen und Wiesel so dargestellt, dass sie sich in der Luft befinden und keinen Kontakt mehr zum Ast haben. Dies könnte als Sprung beider Tiere interpretiert werden. Auf der darauffolgenden Doppelseite berühren die Pfoten des Kaninchens den Ast, während seine Füße in die Höhe gereckt sind. Dieses Bild scheint Ida als Beginn eines Sprunges zu deuten: und vor lauter schreck fängt he duda an zu springen und weg is er (11. DS). In Kombination mit dem Bilderbuchtext lässt sich das Bild als Ausschlagen des Kaninchens mit den Füßen deuten: „Blitzschnell drehte er sich um und schlug mit seinen Riesenfüßen aus“ (Blake/ Scheffler 2017, 11. DS). Beide von Ida „vorgelesenen“ Sprünge werden durch das sprachliche Muster vor lauter Schreck springen (10. DS, 11. DS) in Sprache gefasst, obgleich im Bilderbuch selbst im Zusammenhang mit einem Sprung lediglich das Verb springen genutzt wird: „Lange Luda nickte und leckte sich die Lippen … und sprang! “ (Blake/ Scheffler 2017, 10. DS) Hier wird deutlich, dass Ida auf das gleiche sprachliche Muster zurückgreift, um einen ähnlichen Inhalt sprachlich zu transportieren. Auch die von Ida gebildete Tierbezeichnung Nastier (nashier (8. DS)), die Ida anstatt des Begriffes Schnabeltier verwendet, könnte auf die Interpretation der Abbildung zurückzuführen sein. Gleiches gilt für Idas Wahl der Bezeichnung Stämme (oder in (stämme) (8. DS)) für ein Objekt, das im Bilderbuch als Damm bezeichnet wird: „Oder auf einem Damm? “ (Blake/ Scheffler 2017, 8. DS) Auf dem dazugehörigen Bild ist ein aus einem Stapel Holz bestehender Damm und ein darauf hockender Biber zu sehen. An zwei Stellen verwendet Ida anstatt den im Bilderbuch gebrauchten Begriff Eicheln den Begriff Haselnuss. Der zugehörige Bilderbuchtext an der ersten Stelle lautet: „He Duda sah, dass die Eichhörnchen Eicheln aßen, und beschloss, Eicheln zu essen“ (Blake/ Scheffler 2017, 4. DS). Ida formuliert in diesem Zusammenhang den folgenden Satz: dann siehte he duda die eich [.] hörnchen HASELNUSS knabberten (4. DS). Die zweite Textpassage des Bilderbuches lautet: „He Duda blieb auf seinem Baum sitzen, 348 3 Auswertung und Ergebnisse knabberte eine Eichel und dachte über seine großen Füße nach“ (Blake/ Scheffler 2017, 6. DS). Der äquivalente Satz, den Ida formuliert, heißt: hey duda isst einfach noch en bisschen HAselnuss (6. DS). Ida scheint somit die auf den zugehörigen Bildern dargestellten, teilweise angeknabberten Eicheln, die einen grünlichen Farbton haben, als Haselnüsse zu interpretieren. Idas Text weist weitere veränderte Inhalte auf. Im Vergleich zum Bilderbuch fragt sich He Duda in Idas Textproduktion nicht nur an einer Stelle (Blake/ Scheffler 2017, 1. DS/ 2. DS), sondern an zwei Stellen (1. DS/ 2. DS, 8. DS), was für ein Tier er ist und wo er wohnen soll. Die zweite Textpassage weist dabei Ähnlichkeiten zu der Textpassage des Bilderbuches (Blake/ Scheffler 2017, 8./ 9. DS) auf, in der - umgekehrt - He Duda sich nach der Tierart des Wiesels erkundigt und ihm die Frage stellt, was es gerne esse. Diese Beobachtung lässt sich zum einen als Hinweis deuten, dass Ida im Vergleich zum Bilderbuch den Schwerpunkt stärker auf die Identitätssuche He Dudas setzt. Im Gegensatz zum Bilderbuch erfährt He Duda in Idas Geschichte am Ende jedoch nicht, was für ein Tier er ist. Die Identitätssuche wird somit nicht zum Abschluss gebracht. Zudem verleiht Ida ihrer Geschichte durch die Wiederholung dieses inhaltlichen Elements (He Dudas stellt sich Fragen zu seinem Wohnort und seiner Nahrung), das im Bilderbuch nicht wiederholt wird, eine stärkere Struktur als die, die das Bilderbuch aufweist. Des Weiteren verwendet Ida anstatt der Formulierung so große Füße die Formu‐ lierung so lange Beine. Dabei greift sie auf das gleiche strukturelle Muster zurück, das im Bilderbuch in diesem Kontext enthalten ist: [„so“ + Adjektiv + Nomen]. Im Bilderbuchtext heißt es: „He Duda wusste nicht, warum er so große Füße hatte“ (Blake/ Scheffler 2017, 3. DS). Ida formuliert folgenden Satz: nun [.] dachte er, für was er so lange beine bräuchte (3. DS). Somit vermittelt Ida einen ähnlichen Inhalt, indem sie das strukturelle Muster mit anderen, aber ähnlichen Inhalten zu füllen scheint. Zudem stellt Ida nicht wie im Bilderbuch die Frage nach dem „Warum“, sondern nach dem „Wozu“. Auch geht nur aus Idas Text explizit hervor, dass das Langtier „wieder“ da ist: sagte ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ (5. DS) dann ähm hatte hey duda die ohren runtergemacht. [.] er hatte das gesehen, dass das langtier schon wieder hier war. (7. DS) Aus dem Bilderbuchtext lässt sich lediglich erahnen, dass das Tier schon mehr als einmal bei den Kanin‐ chen aufgetaucht sein muss, da die Kaninchen He Duda vor dem Tier warnen und es mit Hilfe des bestimmten Artikels nennen: „‚Dahinten kommt das lange Luder! ‘“ (Blake/ Scheffler 2017, 5. DS) Ein weiterer inhaltlicher Unterschied 3.1 Textanalysen 349 zwischen der Geschichte des Bilderbuches und Idas Geschichte besteht im Wissen He Dudas über das Wiesel. Im Bilderbuchtext steht: „‚Lange Luda? ‘, frage He Duda. ‚Wer ist denn das? ‘“ (Ebd., 5. DS). In Idas Geschichte ist diese Frage nicht enthalten. Die bereits zitierte Passage lässt durch die Formulierung schon wieder (7. DS) den Eindruck entstehen, dass He Duda das Wiesel bereits des Öfteren gesehen hat. Mit der zuletzt genannten Satzkonstruktion wird von Ida ein weiteres Inhaltselement zum Ausdruck gebracht, das im Bilderbuch nicht enthalten ist. Hierfür bedient sie sich einer hypotaktischen Satzkonstruktion, die einen mit der Konjunktion dass eingeleiteten Nebensatz enthält. Nachfolgend werden Inhalte aus Idas Textproduktion thematisiert, die im Bilderbuchtext nicht enthalten sind (neue Inhalte). Zunächst werden neue Inhalte in den Blick genommen, die ihren Ursprung vermutlich in der Versprachli‐ chung zusätzlicher Informationen aus einem Bild haben (vgl. Tabelle 16 im digitalen Anhang). So vermittelt Ida der Zuhörerin oder dem Zuhörer, dass He Duda seine Ohren herunterklappt: dann [.] fängte das lange tier an hochzukommen. dann ähm hatte he duda die ohren runtergemacht. (7. DS) Ida scheint sich auf das Bild der aufgeschlagenen Doppelseite zu beziehen, auf dem das Kaninchen He Duda seine Ohren hängen lässt. Diese höchstwahrscheinlich aus dem Bild entnommene Information bindet Ida in einen Satz ihrer Geschichte ein, indem sie das von ihr in der Textproduk‐ tion bereits mehrfach genutzte strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] verwendet und die Zeitform Plusquamperfekt wählt, die der konzeptionellen Schriftlichkeit entspricht und somit passend zu der in ihrem Text vorherrschenden Zeitform des Präteritums gewählt ist. Die Formulierung runtergemacht entspricht der konzeptionellen Mündlichkeit (vgl. dazu Tabelle 16). Der neue Inhalt erfüllt die Funktion, im Bilderbuchtext nicht erzählte Handlungen innerhalb eines Bildes zu ergänzen. Während sich He Duda im Bilderbuch die Frage stellt, ob er „in einer Höhle“ (Blake/ Scheffler 2017, 2. DS) wohnt, nutzt Ida in diesem Zusammenhang die Formulierung in einer dunklen höhle? (2. DS) Hier macht sie Gebrauch vom strukturellen Muster [Adjektiv + Nomen], das in diesem Kontext im Bilderbuch nicht verwendet wird. Im Bilderbuch selbst wird dieses Muster 18-mal in anderen Kontexten genutzt und ist dort mit anderen Inhalten gefüllt. Ob es sich hier um eine Übernahme des Musters in einem neuen Kontext handelt, ist unklar, da es sich bei dem Muster [Adjektiv + Nomen] sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Sprachgebrauch um ein weit verbreitetes Muster handelt. Ausgelöst wurde der Gebrauch dieser Formulierung möglicherweise durch das zugehörige Bild: Es zeigt eine graue Höhle, in der das Kaninchen sitzt, eine brennende Kerze, deren Licht einen Schatten an die Felswand wirft, 350 3 Auswertung und Ergebnisse 152 Vgl. hierzu die Ausführungen zu lernförderlichen Rückmeldungen zu Kindertexten von Kerstin Maaß (2012) zur sprachlichen Angemessenheit. Maaß entwickelt ein Analyseraster für Kindertexte in Anlehnung an das Zürcher Textanalyseraster. und Fledermäuse. Da Fledermäuse nachtaktiv sind, können sie mit Dunkelheit assoziiert werden. Auf dem Boden der Höhle sind ein Totenkopf und ein Knochen zu sehen. Durch diese Gegenstände, die Fledermäuse und die grauen Farbtöne vermittelt das Bild eine leicht unheimliche und düstere Stimmung. Möglicherweise haben diese Aspekte einen Einfluss darauf, dass Ida - anders als im Bilderbuch - die Formulierung dunkle Höhle anstatt Höhle wählt. Der neue Inhalt erfüllt die Funktion der Spezifizierung. Ferner weist Idas Text neue Inhalte auf, die sich als mögliche Bezüge zu einem dritten Text deuten lassen. So gebraucht Ida das im Bilderbuch nicht enthaltene zusammengesetzte Nomen Hasendorf: dann ging er weiter [.] in sein hasendorf (5. DS). Sie verwendet diesen Ausdruck, während sie die fünfte Doppelseite des Bilderbuches aufgeschlagen hat. Auf dem zugehörigen Bild sind viele Hasen zu sehen, die aufgeregt umherlaufen und He Duda vor dem Wiesel zu warnen scheinen. Von drei Hasen ist jeweils nur die hintere Hälfte des Körpers zu sehen. Diese schaut jeweils aus einem Erdloch heraus, in das das jeweilige Kaninchen in diesem Moment hineinspringt. Aus dem Bilderbuchtext zur sechsten Doppelseite geht hervor, dass die Kaninchen in ihren Löchern verschwinden: „Sie rannten in alle Richtungen davon und verschwanden in ihren Löchern“ (Blake/ Scheffler 2017, 6. DS). Möglicherweise führten das be‐ schriebene Bild und dieser Text bei Ida zu der Interpretation, dass es sich hier um ein Hasendorf handelt. Der Ausdruck Hasendorf könnte Ida eventuell bereits in einer anderen Geschichte, einem dritten Text, begegnet sein. So gibt es Bilderbücher, in denen der Ausdruck Hasendorf enthalten ist, wie beispielsweise das Buch Frohe Ostern im Hasendorf von Gerti Mauser-Lichtl oder das Buch Was ist los im Hasendorf ? Lustige Suchgeschichten von Ursula Muhr. Es könnte sich somit um eine wörtliche Übernahme aus einem anderen Kontext handeln. Darüber, ob das Kind weitere (Bilder-)Bücher kennt, in denen ein Hasendorf vorkommt, liegen jedoch keine Informationen vor. Beim Kompositum Hasendorf handelt es sich um einen angemessenen Ausdruck 152 für eine Narration, bei der die Protagonisten sprechende Tiere sind. Im Hinblick auf neue Inhalte enthält Idas Textproduktion zudem eine Wort‐ neuschöpfung, die im Bilderbuch nicht enthalten ist: Langtier (6. DS). Dieser Neologismus lässt sich als eine Kombination von einem Adjektiv und einem Nomen beschreiben. Auch an dieser Stelle ist ein Einfluss der Bilder auf die Formulierung nicht auszuschließen: Das Wiesel mit Namen Lange Luda ist 3.1 Textanalysen 351 mit einem sehr langen, schmalen Körper dargestellt. Als weiterer Neologismus ist das Kompositum Nastier zu nennen, dessen Bildung durch eine Abbildung beeinflusst sein könnte. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass in mehreren Fällen der Einfluss der Bilder und die Interpretation des Gesehenen durch das Kind auf die Generierung neuer oder veränderte Inhalte eine Rolle zu spielen scheint. Im Vergleich zum Bilderbuch He Duda gibt es Inhalte, die Idas Textproduktion nicht enthält (ausgelassene Inhalte). So verfügt das Bilderbuch über Passagen, die in direkter Rede gehalten sind und deren Inhalte in Idas Textproduktion nicht vorhanden sind. Dazu gehört der Dialog zwischen dem Wiesel Lange Luda und He Duda, in dem He Duda erfährt, dass er ein Kaninchen ist (vgl. Blake/ Scheffler 2017, 9. DS). Diese zentrale Erkenntnis der Bilderbuchgeschichte He Duda ist in Idas Text nicht enthalten. Des Weiteren bleiben sowohl der Jubel der Kaninchen („‚He Duda, du bist ein Held‘, riefen sie.“ (Blake/ Scheffler 2017, 12. DS)) als auch He Dudas Verwunderung über die Bezeichnung Held durch die anderen Kaninchen („Ich dachte, ich wäre ein Kaninchen.“ (Ebd., 11. DS)) in Idas Text unerwähnt. Da jedoch in Idas Text auch nicht über die Erkenntnis He Dudas berichtet wird, dass er ein Kaninchen ist, wäre der Witz, mit dem das Bilderbuch schließt, als Ende für Idas Geschichte nicht passend. Idas Text endet hingegen mit dem erfolgreichen Abwehren der Gefahr, dem Wiesel. Zudem überblätterte Ida das entsprechende Bild während der Pretend-Reading-Situation. Eine weitere in Idas Text nicht enthaltene Information ist die Tatsache, dass das Wiesel ein Wiesel ist. Auch diese Information geht im Bilderbuch lediglich aus einer Formulierung in Form von direkter Rede hervor: „Ich bin ein Wiesel.“ (Ebd., 8. DS) Zu den ausgelassenen inhaltlichen Elementen in Idas Text ist des Weiteren die sich wiederholende Aussage des Wiesels „Nein, mein Freund“ (Blake/ Scheffler 2017, 8. DS, 9. DS, 9. DS) zu rechnen, die für die Handlung des Bilderbuches jedoch irrelevant ist. Diese Antwort gibt das Wiesel He Duda auf seine Fragen nach des Wiesels Tierart, seinem Wohnort und seinen Fressgewohnheiten. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass mehrere Inhalte, die Ida in ihrer Textproduktion auslässt, im Bilderbuch in Form von direkter Rede dargestellt werden. Dabei lässt Ida sowohl Inhalte aus, die relevant für die Handlung der Geschichte sind, als auch solche, die dafür irrelevant sind. Im Folgenden wird Idas Textproduktion auf Mustergebrauch hin analysiert. Während im Bilderbuchtext zwei Baumuster identifiziert werden können, be‐ dient sich auch Ida zur Strukturierung ihrer Geschichte zwei sich voneinander 352 3 Auswertung und Ergebnisse unterscheidender Baumuster. Das erste Baumuster bezieht sich - genau wie das erste Baumuster des Bilderbuches - auf vier Sequenzen. Diese bestehen aus zwei Bausteinen (vgl. Tabelle 23). - Kindertext Baumuster 1 (4 Sequenzen) (S) Bilderbuchtext Bau‐ muster 1 (4 Sequenzen) (S) - Baustein 1 Einleitungssatz (3 von 4 S) --S1: Tierart S2: Wohnort S3: Nahrung S4: lange Beine Einleitungssatz [„He Duda wusste nicht“ + Interrogativsatz]. S1: Tierart S2: Wohnort S3: Nahrung S4: große Füße Baustein 1 Baustein 2 3 Fragen ohne Begleitsatz (2 x Anapher) S1: [„Oder“ + X] S2: [„Oder in“ + X] S3: [„Oder“ + X] S4: [„Zum“ + X] [Frage + „dachte er“] S1: Tierart S2: Wohnort S3: Nahrung S4: große Füße Baustein 2 - - Anapher (2 (elliptische) Fra‐ gesätze ohne Redebegleit‐ satz) S1: [„Bin ich ein“ + Name des Tieres] S2: [„Oder in“ + Ort] S3: [„Oder“ + Speise] S4: [„Vielleicht als“ + Funk‐ tion der Füße des Kanin‐ chens] Baustein 3 Tabelle 23: Baumustervergleich 1, Textanalyse III Baustein 1 besteht (in drei der vier Sequenzen) aus einem Einleitungssatz, der eine Aussage über He Duda enthält, und einer Frage He Dudas. Diese Frage bezieht sich in Sequenz 1 auf He Dudas Tierart, in Sequenz 2 auf seinen Wohnort, in Sequenz 3 auf seine Nahrung und in Sequenz 4 auf die Funktion seiner langen Beine. Der von Ida formulierte Einleitungssatz variiert von Sequenz zu Sequenz. Hier weist Idas Baumuster somit weniger Struktur auf als das des Bilderbuches, da dort jede Sequenz mit dem gleichen Satz („He Duda wusste nicht, …“ (Blake/ Scheffler 2017, 1. DS, 2. DS, 3. DS)) beginnt. Der zweite Baustein von Idas Baumuster besteht aus drei Fragen ohne Begleit‐ satz, die sich in Sequenz 1 erneut auf He Dudas Tierart, in Sequenz 2 auf seinen Wohnort, in Sequenz 3 auf seine Nahrung und in Sequenz 4 auf die Funktion seiner langen Beine beziehen. 3.1 Textanalysen 353 Anders als im Bilderbuch, bei dem jede Sequenz eine Frage mit nachgestelltem Redebegleitsatz (Baustein 2) und zwei weitere Fragen ohne Redebegleitsatz (Bau‐ stein 3) aufweist, enthält jede Sequenz von Idas Baumuster drei Fragen ohne Redebegleitsatz (Baustein 2). Hier weist Idas Baumuster somit eine stärkere Struktur auf als das des Bilderbuches. Dabei können in Idas Baumuster jeweils zwei der drei Fragen pro Sequenz als Anapher bezeichnet werden. Folglich wird in jeder der vier Sequenzen jeweils zweimal ein strukturelles Muster verwendet. Diese strukturellen Muster können wie folgt beschrieben werden: • [„Oder“ + X] (1. Sequenz, 1. DS) • [„Oder in“ + X] (2. Sequenz, 2. DS) • [„Oder“ + X] (3. Sequenz, 2. DS) • [„Zum“ + X] (4. Sequenz, 3. DS) Auffällig beim Vergleich dieser vier strukturellen Muster ist, dass in drei der vier Sequenzen (S1 bis S3) auf das gleiche strukturelle Muster zurückgegriffen wird, das die Form [„Oder“ + X] aufweist (1. DS, 2. DS, 2. DS). Idas Baumuster weist aus den folgenden Gründen auch an dieser Stelle eine stärkere Struktur auf als das Baumuster des Bilderbuches: Zum einen variiert im Baumuster des Bilderbuches die Anzahl der Anaphern pro Sequenz (zwei Sequenzen enthalten zwei Anaphern und zwei Sequenzen enthalten drei Anaphern), während in Idas Baumuster die Anzahl an Anaphern pro Sequenz gleichbleibt (alle Sequenzen enthalten zwei Anaphern). Zum andern wird in drei der vier Sequenzen von Idas erstem Baumuster auf das gleiche strukturelle Muster [„Oder“ + X] zurückgegriffen, während im Bilderbuch nur in zwei der vier Sequenzen das gleiche strukturelle Muster [„Oder“ + X] verwendet wird. Die von Ida verwendete sprachliche Struktur [„Oder“ + X] kann als strukturelles Muster aus dem Bilderbuch bezeichnet werden, das von Ida im gleichen und im neuen Kontext verwendet wird. Zusammenfassend lässt sich Idas erstes Baumuster als eine Variation des ersten Baumusters des Bilderbuches bezeichnen, das insgesamt mehr Struktur aufweist als das des Bilderbuches. Wie im Bilderbuch wird auch in Idas Textproduktion das erste Baumuster noch ein weiteres Mal in einer abgewandelten Form verwendet. Dieses zweite Baumuster kann wie folgt beschrieben werden (vgl. Tabelle 24). 354 3 Auswertung und Ergebnisse Kindertext Baumuster 2 (3 Sequenzen) (S) Bilderbuchtext Bau‐ muster 2 (3 Sequenzen) (S) Baustein 1 - Einleitungssatz (bei 2 der 3 Sequenzen vorhanden) [„Dann fragte“ + X + Inter‐ rogativsatz] -Jeweils 3 Fragen an He Duda zu einem Thema S1: Tierart (3x [„Ein“ + Tier‐ bezeichnung]) S2: Wohnort S3: bevorzugte Speise Jeweils 3 Fragen von He Duda zu einem Thema S1: Tierart (2x [„Oder ein“ + Tierbezeichnung]) S2: Wohnort (2x [„Oder“ + Angaben zum Ort]) S3: bevorzugte Speise (3x [„Frisst du“ + Nahrung]) Baustein 1 - - Das stückweise Näher‐ kommen des Wiesels [„Lange Luda kam“ + …] (3 Sequenzen) Baustein 2 - - Antwort des Wiesels, Teil 1 [„Nein, mein Freund“ + Verb + „sie“] S1: flüstern S2: zischen S3: fauchen Baustein 3 - - Antwort des Wiesels, Teil 2 [„Ich“ + Verb], wobei stets das Verb der ersten Frage von He Duda aufgegriffen wird S1: sein S2: wohnen S3: fressen Baustein 4 Baustein 2 Das stückweise Näher‐ kommen des Wiesels (2 Se‐ quenzen) „Dann ging er noch ein wenig weiter“ - - Tabelle 24: Baumustervergleich 2, Textanalyse III Das zweite von Ida verwendete Baumuster besteht aus zwei Bausteinen und drei Sequenzen. Baustein 1 besteht (in zwei der drei Sequenzen (S1, S3)) aus einem Einleitungs‐ satz und jeweils drei Fragen an He Duda zu einem Thema. In der ersten Sequenz lautet der Einleitungssatz: ob/ und dann fragte er sich, wo er jetzt/ was er sein sollte (8. DS). In der dritten Sequenz lautet er: dann fragte das tier, was er gerne isst. 3.1 Textanalysen 355 (9. DS) Dem Einleitungssatz liegt stets das strukturelle Muster [„Dann fragte“ + X + Interrogativsatz] zugrunde. Beim zweiten Baumuster des Buches hingegen beginnen die Sequenzen ohne Einleitungssatz. Jedoch enthält im Bilderbuch der erste Baustein des ersten Baumusters einen Einleitungssatz. Diesem liegt das strukturelle Muster [„He Duda wusste nicht“ + Interrogativsatz] zugrunde. Somit lässt sich das von Ida verwendete Muster als Variation eines strukturellen Musters aus dem Bilderbuch bezeichnen. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass sich Ida bei ihrer Textproduktion an dieser Stelle am ersten Baumuster des Bilderbuches orientiert hat. Baustein 1 von Idas zweitem Baumuster besteht aus drei Fragen, die sich in Sequenz 1 auf die Tierart He Dudas, in Sequenz 2 auf seinen Wohnort und in Sequenz 3 auf seine bevorzugte Speise beziehen. Dabei lassen sich mindestens zwei dieser drei Fragen pro Sequenz als Anapher bezeichnen. Allen drei Fragen der ersten Sequenz liegt das strukturelle Muster [„Ein“ + Tierbezeichnung] zugrunde. Auffällig sind in der ersten Sequenz die Tierbe‐ zeichnungen, die Ida wählt. Sie nennt in Übereinstimmung mit dem Bilderbuch lediglich den Elefanten. Während im Bilderbuchtext das Nomen Dachs bei der ersten Frage gewählt wird, formuliert Ida das Kompositum Wuschelbär. Hier wird der Bär durch diese Bezeichnung in seinem Aussehen näher beschrieben. Auf dem zugehörigen Bild ist das Fell des Daches mit Hilfe von kleinen Strichen gezeichnet, wodurch die Fellstruktur akzentuiert wird. Idas Formulierung liegt auch das gleiche strukturelle Muster wie dem im Bilderbuch verwendeten Wort „Koala-Bär“ (Blake/ Scheffler 2017, 1. DS) zugrunde: [X + „Bär“]. Ob dieses Muster die Bildung des Kompositums Wuschelbär beeinflusst hat, bleibt unklar. Im Bilderbuch werden zudem weitere Komposita in weiteren Kontexten verwendet: „Blitzschnell“ (ebd., 10. DS) und „Riesenfüße“ (ebd.). Auch hier kann keine Aussage darüber getroffen werden, ob diese Komposita die Bildung des Wortes Wuschelbär beeinflusst haben könnten. Im Bilderbuchtext wird das in der dritten Frage erwähnte Tier als „schnabliges Schnabeltier“ (ebd., 8. DS) bezeichnet. Bei dieser Formulierung lässt sich sowohl von einer Alliteration als auch von einer Wortwiederholung (Schnabel) sprechen. Ida produziert in diesem Kontext den Ausdruck brummeliges nashier (8. DS). Sie scheint somit auf das dem Ausdruck „schnabliges Schnabeltier“ zugrunde liegende strukturelle Muster [Adjektiv + Bezeichnung für ein Riechorgan + „Tier“] zurückzugreifen und es mit neuen Inhalten zu füllen, die zur entsprechenden Abbildung im Bilderbuch passen. Das abgebildete Schnabeltier ist mit einem abgerundeten langen Schnabel gezeichnet. Durch diese Form und die auf den Schnabel gezeichneten „Nasenlöcher“ weist der Schnabel des Schnabeltieres 356 3 Auswertung und Ergebnisse optisch Ähnlichkeiten mit einer menschlichen Nase auf. Des Weiteren wählt Ida - analog zum „schnabligen Schnabeltier“ (Blake/ Scheffler 2017, 8. DS) im Bilderbuch - außergewöhnliche Tiernamen: Die Bezeichnungen „Wuschelbär“ (ebd., 8. DS) und „brummeliges Nastier“ (ebd.) lassen sich als Neologismen bezeichnen. Alle drei Fragen der zweiten Sequenz können mit Hilfe des strukturellen Musters [„Oder“ + Ortsbestimmung] beschrieben werden. Zwei der drei Fragen der dritten Sequenz können mit dem strukturellen Muster [„Oder“ + Nahrungsmittel] beschrieben werden. Das strukturelle Muster, das jeweils mindestens zwei der drei Fragen der Sequenzen 2 und 3 zugrunde liegt, kann alternativ mit dem übergeordneten strukturellen Muster [„Oder“ + …] beschrieben werden. Im Vergleich zum zweiten Baumuster des Bilderbuches fällt auf, dass nur in der dritten Sequenz von Ida auf das gleiche strukturelle Muster zurückgegriffen wird wie im Bilderbuch ([„Oder“ + Ortsbe‐ stimmung]). Baustein 2 von Idas zweitem Baumuster besteht inhaltlich in der Thematisierung des stückweise Näherkommens des Wiesels. Dieser Inhalt wird in Idas Text an drei Stellen thematisiert - allerdings nur in zwei der drei Sequenzen des Baumusters und an einer weiteren Stelle außerhalb des Baumusters. Aus diesem Grund wird letztgenannter Inhalt nicht als Baustein des zweiten Baumusters von Ida gerechnet. Ida greift an beiden Stellen innerhalb des Baumusters auf dasselbe sprachliche Muster zurück: dann ging er noch ein wenig weiter (9. DS, 9. DS). Im zweiten Baumuster des Bilderbuches ist in allen drei Sequenzen der Baustein „Näherkommen des Wiesels“ (vgl. Tabelle 24, Baustein 2) enthalten. Hinsichtlich dieses Bausteins weist Idas Baumuster auf der einen Seite eine stärkere Struktur auf als das des Bilderbuches, da der Inhalt in Idas Text stets durch die gleiche sprachliche Form zum Ausdruck gebracht wird, während die sprachliche Form im Bilderbuch variiert. Da dieser Baustein jedoch in Idas Baumuster lediglich in zwei der drei Sequenzen enthalten ist, weist ihr Baumuster auf der anderen Seite hinsichtlich dieses Bausteins eine weniger starke Struktur auf als das des Bilderbuches. Zudem ist festzuhalten, dass Idas zweites Baumuster im Vergleich zum zweiten Baumuster, das im Bilderbuch zu finden ist, komprimierter wirkt, da es aus wenigeren sich wiederholenden Bausteinen pro Sequenz besteht (zwei Bausteine vs. vier Bausteine). Dennoch ist auch eine stärkere Vereinheitlichung beider von Ida verwendeter Baumuster erkennbar. Diese zeigt sich im Vorhan‐ densein eines Einleitungssatzes sowohl im ersten als auch im zweiten Baumuster, während im Bilderbuch lediglich das erste Baumuster über einen Einleitungssatz 3.1 Textanalysen 357 verfügt. Es lässt sich somit einmal eine stärkere und einmal eine schwächere Struktur als im Baumuster des Bilderbuchtextes feststellen. Zusammenfassend lassen sich die Baumuster, auf die Ida zurückgreift, als Variationen der Baumuster aus dem Bilderbuch bezeichnen. Sie weisen teilweise eine stärkere, teilweise eine schwächere Struktur als die der Baumuster des Bil‐ derbuches auf. Insgesamt bestehen sie aus weniger Bausteinen als die Baumuster des Bilderbuches. Nachfolgend werden die sprachlichen und strukturellen Muster in Idas Text beschrieben, wobei nur Muster berücksichtigt werden, die kein Bestandteil der dargestellten Baumuster sind. Idas Text weist einmal den mehrmaligen Ge‐ brauch eines sprachlichen Musters auf, das im Bilderbuch selbst nicht vorkommt. Dreimal macht Ida Gebrauch vom sprachlichen Muster vor lauter Schreck. Der Blick wird nun auf die drei Verwendungssituationen gerichtet. Zunächst formuliert Ida die folgende Textpassage: ALLE sind aufgeregt. alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. (5. DS) Im äquivalenten Textabschnitt des Bilderbuches heißt es: „Aber die Kaninchen waren viel zu aufgeregt, um zu antworten. Sie rannten in alle Richtungen davon und verschwanden in ihren Löchern.“ (Blake/ Scheffler 2017, 6. DS) Die beiden Sätze des Bilderbuches transportieren ähnliche Inhalte wie die beiden von Ida formulierten Sätze. Im Gegensatz zum zweiten Satz des Bilderbuches nennt Ida in ihrem zweiten Satz noch einmal explizit den Grund bzw. den Auslöser der Reaktion der Tiere: vor lauter schreck. Dieser Phraseologismus fasst komprimiert den Inhalt des folgenden Satzes zusammen: „Weil die Hasen einen Schrecken bekommen hatten“. Ida greift somit auf ein sprachliches Versatzstück zurück, das in komprimierter Form den Inhalt eines ganzen Satzes vermitteln kann. Ein zweites Mal macht Ida von diesem sprachlichen Mittel bei der Formu‐ lierung des folgenden Satzes Gebrauch: dann vor lauter schreck springt das tier und he duda springt weg (10. DS). In diesem Kontext erfüllt das Muster die gleiche Funktion wie im bereits beschriebenen Kontext: Es transportiert in einer komprimierten Form die Botschaft, dass eine Handlung (hier: Springen) ausgeführt wird, da die oder der Handelnde einen Schrecken bekommen hat. Im äquivalenten Kontext des Bilderbuches wird ebenfalls das Verb springen genutzt, nicht aber die Formulierung vor lauter Schreck: „Lange Luda nickte und leckte sich die Lippen … und sprang! “ (Blake/ Scheffler 2017, 10. DS) Ein drittes Mal wird das sprachliche Muster von Ida in folgendem Kontext verwendet: und vor lauter schreck fängt he duda an zu springen und weg is er (11. DS). Auch hier erfüllt das Muster die gleiche 358 3 Auswertung und Ergebnisse Funktion wie in den anderen beiden Kontexten. In der äquivalenten Passage des Bilderbuchtextes heißt es: „Blitzschnell drehte er sich um und schlug mit seinen Riesenfüßen aus. Lange Luda segelte durch die Luft, weit weit weg, dahin zurück, wo sie hergekommen war.“ (Blake/ Scheffler 2017, 11. DS) Im Bilderbuch wird an dieser Stelle ein anderer Inhalt erzählt. Festzuhalten sei, dass Ida dreimal in ähnlichen Situationen auf den Phra‐ seologismus vor lauter Schreck zurückgreift. Dies deutet darauf hin, dass - nach Polanyis Terminologie (vgl. I.6; Neuweg 2004; Polanyi 1985) - eine implizite Verknüpfung zwischen dem sprachlichen Ausdruck vor lauter Schreck (proximaler Term) und der Bedeutung „eine Handlung als Reaktion auf einen Schrecken durchführen“ (distaler Term) vorzuliegen scheint. Das Muster scheint von Ida in den Situationen hervorgebracht zu werden, wenn sie diese Bedeutung vermitteln möchte. Es lässt sich des Weiteren der mehrmalige Gebrauch eines sprachlichen Musters (und seiner Variation) beobachten, das nicht im Bilderbuch vorkommt. Dies trifft auf Idas Gebrauch der Formulierungen Dann ging er weiter, Dann fängte (fing) das lange Tier an hochzukommen und Dann ging er noch ein wenig weiter zu. Zweimal macht Ida Gebrauch vom sprachlichen Muster Dann ging er weiter in der folgenden Textpassage: dann siehtete he duda, wie die vögel auf dem baum schön sitzen. der eine ha/ , eine eule [zeigt auf das Bild der Eule im Baum] , da/ . und dann ging er weiter. dann siehte he duda die eich [.] hörnchen HASELNUSS knabberten. [2] also denkte er sich vor, ob er vielleicht auf einem BAUM wohnen will/ [.] wollte. [blättert um] [4] dann ging er weiter [.] in sein hasendorf. DANN erblickte [.] der/ sind die hasen so aufgeregt. sagte ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ [laut ab ‚he duda‘] [.] der lange duda (hin). ALLE sind aufgeregt. alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. [blättert um] [3] (4./ 5. DS). Der erste Sinnabschnitt dieses Textabschnittes bezieht sich auf das linke Bild der vierten Doppelseite, auf dem mehrere Vögel im Baum zu sehen sind. Der zweite Sinnabschnitt bezieht sich auf das rechte Bild der vierten Doppelseite, auf dem mehrere Eichhörnchen und He Duda in einem Baum sitzen und in den Pfoten jeweils eine Eichel halten. Der Satz und dann ging er weiter. (4. DS) dient als sprachlicher und inhaltlicher Übergang zwischen den beiden Textabschnitten, die sich jeweils auf ein Bild beziehen. Die Funktion dieser Formulierung ist es somit, einzelne (mit Hilfe von Bildern dargestellte) Szenen der Geschichte miteinander zu verbinden und dadurch Kohärenz herzustellen. 3.1 Textanalysen 359 Die gleiche Funktion erfüllt diese Formulierung an der zweiten Stelle: Ida blättert zur nächsten Doppelseite um, blättert kurz zurück und wieder um und beginnt den Textabschnitt zur fünften Doppelseite mit der Formulierung dann ging er weiter [.] in sein hasendorf. (5. DS) Hier findet eine Variation des sprachlichen Musters durch die Ergänzung einer Ortsangabe statt. Durch den Gebrauch dieses sprachlichen Musters thematisiert Ida den Ortswechsel und schafft somit einen Übergang zwischen dem rechten Bild der fünften Doppelseite, auf dem He Duda und die Eichhörnchen auf einem Baum abgebildet sind, und dem Bild auf der sechsten Doppelseite, das viele aufgeregt wirkende Kaninchen auf einer Waldlichtung zeigt. Im weiteren Verlauf des Textproduktionsprozesses greift Ida auf Variationen des sprachlichen Musters Dann ging er weiter zurück. Die Variation da kam es weiter (6. DS) bezieht sich allerdings nicht mehr auf den Protagonisten He Duda, sondern auf den Antagonisten, das lange Tier. Anstatt des Personal‐ pronomens er wird nun das Personalpronomen es genutzt. Überdies wird das Verb gehen durch das Wort kommen ausgetauscht: alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. [blättert um] [3] dann kam es weiter. das langtier kommt aus dem gebüsch raus. (5./ 6. DS) Auch mit diesem sprachlichen Muster gestaltet Ida den Übergang zwischen zwei Bildern sprachlich: Es findet ein Szenenwechsel von den aufgeregten Hasen auf der Waldlichtung (5. DS) zum Erscheinen des Wiesels (6. DS) statt. Die Formulierung ist die erste Formulierung, die Ida zum Bild der sechsten Doppelseite äußert. Auf derselben Doppelseite macht Ida zum dritten Mal Gebrauch vom sprachlichen Muster Dann ging er weiter (7. DS). Auch diese Formulierung erfüllt eine kohärenzstiftende Funktion: hey duda isst einfach noch en bisschen HAselnuss. [2] da n n [blättert um] [2] ging er weiter. dann [.] fängte das lange tier an hochzukommen. (6./ 7. DS) Bevor Ida anfängt umzublättern, beginnt sie, das sprachliche Muster zu formulieren: da n n (6. DS). Nachdem sie auf die siebte Doppelseite umgeblättert hat, formuliert sie den zweiten Teil des sprachlichen Musters ging er weiter (7. DS). Sie schafft eine inhaltliche und sprachliche Verbindung zwischen den Bildern und zusätzlich zwischen den beiden Doppelseiten. Allerdings bleibt unklar, ob sich das Personalpronomen er auf He Duda oder das lange Tier bezieht. Es scheint implizites Wissen über die kohärenzstiftende Funktion eines sich wiederholenden sprachlichen Musters vorzuliegen, das Ida in ihrer Textproduk‐ tion zeigt. Möglicherweise hat Ida die Funktion eines wiederkehrenden Satzes als kohärenzschaffendes sprachliches Mittel durch das Bilderbuch He Duda 360 3 Auswertung und Ergebnisse kennengelernt. Hier ist dieses Mittel erkennbar in der Wiederholung eines variierenden Satzes bezüglich des Näherkommens des Wiesels. Möglicherweise hat Ida dieses Mittel aber auch in einem anderen Kontext kennengelernt - beispielsweise durch ein anderes Bilderbuch, das mit Hilfe eines Baumusters strukturiert ist. Darüber lassen sich keine Aussagen treffen. Ida nutzt des Weiteren die Formulierung Dann fängte (fing) das lange Tier an hochzukommen und eine Variation (Typ „Weglassen“) dieser Formulierung (Dann kam das Tier hoch): ging er weiter. dann [.] fängte das lange tier an hochzukommen. (7. DS) dann kam das tier hoch. (8. DS) Statt der Formulierung anfangen hochzukommen wird das Verb hochkommen genutzt. Der Ausdruck das lange Tier wird auf den Ausdruck Tier reduziert. Im Bilderbuch wird dieser Inhalt durch folgende Sätze wiedergegeben: „Lange Luda begann den Baum hinaufzuklettern“ (Blake/ Scheffler 2017, 7. DS). „Lange Luda kam näher“ (ebd., 8. DS). Hier ist abgesehen vom gleichen Satzanfang (Lange Luda) keine weitere Musterhaftigkeit zwischen den beiden Sätzen zu finden. Ein weiteres sprachliches Muster, das Ida zweimal in identischer Formge‐ braucht, lautet: Dann ging er noch ein wenig weiter: [2] dann ging er noch ein wenig weiter he duda. dann kam das tier vor laut/ dann fragte das tier, was er gerne isst. rotkohl? oder insekten? oder g e m ü: s e: ? [2] dann ging er noch ein wenig weiter. [blättert um] [2] (9. DS). Diese wiederkeh‐ rende Formulierung kann als Variation des von Ida selbst mehrfach verwen‐ deten Musters Dann ging er weiter (Typ „Erweitern“) bezeichnet werden. Im Bilderbuch lauten die äquivalenten Sätze auf der gleichen Doppelseite, die einen ähnlichen Inhalt transportieren, folgendermaßen: „Lange Luda kam noch näher“ (Blake/ Scheffler 2017, 9. DS) und „Lange Luda kam direkt auf He Duda zu“ (ebd.). Diese zwei Formulierungen weisen in Kombination mit der im vorangegangenen Abschnitt erwähnten Formulierung „Lange Luda kam näher“ (ebd., 8. DS) eine starke Musterhaftigkeit auf: Allen drei Formulierungen liegt das strukturelle Muster [„Lange Luda kam“ + …] zugrunde. Idas Text zeigt an dieser Stelle eine noch stärkere Musterhaftigkeit als das Bilderbuch, da Ida in diesem Kontext zwei komplett identische Formulierungen gebraucht. Das Näherkommen des Wiesels (gleicher Inhalt) wird somit in Idas Text - anders als im Bilderbuch - zweimal durch ein und dieselbe Formulierung zum Ausdruck gebracht. Wie im Bilderbuch greift Ida auf ein sich wiederholendes sprachliches Muster zurück, um das Näherkommen des Wiesels zu thematisieren. Dieses gestaltet 3.1 Textanalysen 361 sie jedoch sprachlich auf eine andere Weise als im Bilderbuch. Sie nutzt eine Variation eines Musters, das sie bereits an anderen Stellen im Bilderbuch verwendet hat. Somit scheint hier die Übernahme von Musterhaftigkeit auf einer abstrakteren Ebene stattzufinden. Ida greift auf das erzähltypische Muster der Wiederholung von sprachlichen Einheiten zur Darstellung von sich wieder‐ holenden Geschehnissen zurück. Auch der mehrmalige Gebrauch der Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, lässt sich an Idas Textproduktion beobachten. Dies gilt für den Gebrauch der Formulierungen anfangen, etwas zu tun, etwas vielleicht tun und das lange Tier. Zweimal nutzt Ida das sprachliche Muster anfangen, etwas zu tun. dann [.] fängte das lange tier an hochzukommen. (7. DS) Die äquivalente Formulierung des Bilderbuches lautet: „Lange Luda begann, den Baum hinaufzuklettern.“ (Blake/ Scheffler 2017, 7. DS) Die von Ida verwendete Formulierung lässt sich somit als eine Variation des sprachlichen Musters beginnen, etwas zu tun im gleichen Kontext bezeichnen, das den gleichen Inhalt vermittelt, aber in einem stärkeren Maße schriftsprachlich ist als die von Ida genutzte Formulierung. Das zweite Mal benutzt Ida die Formulierung in folgendem Satz: und vor lauter schreck fängt he duda an zu springen und weg is er. (11. DS) Im Bilderbuch wird diese Formulierung im gleichen Kontext nicht verwendet. Des Weiteren wird hier auch ein anderer Inhalt erzählt: „Blitzschnell drehte er sich um und schlug mit seinen Riesenfüßen aus“ (Blake/ Scheffler 2017, 10. DS). Somit könnte es sich bei dieser Formulierung um eine Variation der Formulierung beginnen, etwas zu tun aus dem Bilderbuch handeln, die Ida nun in einem neuen Kontext verwendet. Zweimal verwendet Ida das sprachliche Muster etwas vielleicht tun: also denkte er sich vor, ob er vielleicht auf einem BAUM wohnen will/ [.] wollte. (4. DS) oder in einem teich wohnte vielleicht? oder in/ o/ oder in (stämme) oder bei ner hundehütte? (8. DS) In beiden Fällen bringt sie damit zum Ausdruck, dass He Duda nachdenkt. Im Bilderbuch wird das Modaladverb vielleicht in elliptischen Sätzen in anderen Kontexten verwendet. „‚Vielleicht zum Wasserskifahren? ‘, dachte er. ‚Vielleicht als Sitz für Mäuse? ‘ ‚Vielleicht als Regenschutz? ‘“ (Blake/ Scheffler 2017, 3. DS) Es ist Teil des strukturellen Musters [„Vielleicht“ + X]. Ida nutzt das Wort vielleicht als Bestandteil der Formulierung etwas vielleicht tun und bindet diese zweimal in neue syntaktische Strukturen ein - einmal in einen Nebensatz und einmal in einen unvollständigen Fragesatz. Zweimal bildet Ida die Formulierung das lange Tier und referiert mit dieser auf das Wiesel. In den äquivalenten Textpassagen des Bilderbuches wird das 362 3 Auswertung und Ergebnisse Wiesel einmal als „langes Luder“ (Blake/ Scheffler 2017, 5. DS) und einmal als „lange Luda“ (ebd., 7. DS) bezeichnet. Lange Luda wird im Bilderbuch insgesamt elfmal verwendet. Hierbei handelt es sich scheinbar um den Namen des Wiesels, der im Gegensatz zur Bezeichnung „das lange Luder“ (ebd., 5. DS) stets ohne bestimmten Artikel gebraucht wird. Ida formuliert im ersten Kontext die Text‐ passage sagte ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ (5. DS), während im Bilderbuch der folgende Text zu finden ist: „‚He Duda! Du musst sofort runterkommen! ‘, riefen sie. ‚Dahinten kommt das lange Luder! ‘“ (Blake/ Scheffler 2017, 5. DS) Im zweiten Kontext formuliert Ida: dann [.] fängte das lange tier an hochzukommen. (7. DS) „Lange Luda begann den Baum hinaufzuklettern.“ (Blake/ Scheffler 2017, 7. DS) Idas Formulierung das lange Tier kann somit als Variation der Formulierung das lange Luder (Typ „Ersetzen“) oder des Eigennamens Lange Luda (Typ „Weglassen“/ „Ersetzen“) im gleichen oder im neuen Kontext bezeichnet werden. Idas Gebrauch der Ausdrücke der lange Duda, jemandem zuwinken und dunkle Höhle lässt sich als einmaliger Gebrauch einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, bezeichnen. So kann die Formulierung der lange duda (5. DS) als Mischung aus den im Bilderbuch verwendeten Formulierungen „He Duda“ (z. B. Blake/ Scheffler 2017, 1. DS), dem Namen des Protagonisten, „das lange Luder“ (ebd., 5. DS) und „Lange Luda“ (ebd.), dem Namen des Wiesels, beschrieben werden. Beim Ausdruck der lange duda (5. DS) könnte es sich somit - in Anlehnung an Janichs Kombination von zwei Phraseologismen (vgl. Janich 2010, S. 207) - um eine Kombination zweier sprachlicher Muster handeln. ln der Textpassage dann kam das tier hoch. er winkte dem tier ZU. (8. DS) verwendet Ida das sprachliche Muster jemandem zuwinken. Im Bilderbuchtext wird das Verb winken im gleichen Kontext gebraucht: „Lange Luda sah nach oben. He Duda winkte. Lange Luda begann den Baum hinaufzu‐ klettern.“ (Blake/ Scheffler 2017, 7. DS) Wie im Zusammenhang mit neuen Inhalten bereits ausgeführt wurde, macht Ida einmal Gebrauch von dem sprachlichen Muster dunkle Höhle, während im Bilderbuch diese Höhle auf der sprachlichen Ebene nicht näher beschrieben wird (vgl. Blake/ Scheffler 2017, 2. DS). Das von Ida gebildete sprachliche Muster kann als Variation des im Bilderbuch in einem anderen Kontext verwendeten sprachlichen Muster dunkelste Ecke (Typ „Ersetzen“) bezeichnet werden. Mit Hilfe dieser Formulierung beschreibt das Wiesel Lange Luda seinen Wohnort, wodurch eine unheimliche Atmosphäre erzeugt wird, die auch zu der Abbildung der dunklen Höhle passt, auf die Ida Bezug nimmt: „‚Nein mein Freund‘, zischte 3.1 Textanalysen 363 sie. „‚Ich wohne in der dunkelsten Ecke des Waldes.‘“ (Blake/ Scheffler 2017, 9. DS) Idas Textproduktion weist zudem den einmaligen Gebrauch eines sprachlichen Musters auf, das nicht im Bilderbuch vorkommt. Dazu gehören die Formulie‐ rungen sich etwas vordenken, etwas einfach tun sowie und weg ist er. Ida bildet die Formulierung sich etwas vordenken und bringt damit zum Ausdruck, dass es sich bei dem Geäußerten um die Gedanken des Kaninchens handelt: also denkte er sich vor, ob er vielleicht auf einem BAUM wohnen will/ [.] wollte. (4. DS) Ida macht während der Textproduktion keinen weiteren Gebrauch von dieser Formulierung. Ob es sich hierbei um einen Versprecher, um eine Annäherung an die Formulierung sich etwas denken oder eine Mischung aus den Formulierungen sich etwas denken und sich etwas vorstellen handelt, bleibt offen. Die Ausdrücke sich etwas denken und sich etwas vorstellen sind im Bilderbuch nicht enthalten. Das Verb denken wird hingegen sechsmal in anderen Kontexten im Bilderbuch genutzt (vgl. Blake/ Scheffler 2017, 1. DS, 2. DS, 2. DS, 3. DS, 6. DS, 12. DS). Da es sich beim Verb denken nach dem Verständnis von Musterhaftigkeit der vorliegenden Arbeit (vgl. I.5.7) jedoch nicht um ein Muster handelt, wird an dieser Stelle nicht von einer Variation eines sprachlichen Musters in einem neuen Kontext gesprochen. Des Weiteren greift Ida auf das sprachliche Muster etwas einfach tun zurück: das langtier kommt aus dem gebüsch raus. hey duda isst einfach noch en bisschen HAselnuss. (6. DS) Sie macht dadurch deutlich, dass das Handeln des Hasen im Kontrast zur erwarteten Reaktion auf das beschriebene Ereignis steht. Es erweckt den Eindruck, dass es He Duda nicht kümmert, dass das Wiesel im Anmarsch ist. He Duda scheint keine Gefahr zu wittern. Ida beendet ihre Geschichte mit der Formulierung und weg ist er, um zum Ausdruck zu bringen, dass He Duda verschwunden ist: und vor lauter schreck fängt he duda an zu springen und weg is er. (11. DS) Diese Formulierung stellt eine Variation der gängigen Wendung Und weg war er dar. Im Text des Bilderbuches wird diese Formulierung nicht verwendet. Allerdings weist das Bilderbuch eine andere gängige Formulierung auf, mit der ebenfalls zum Ausdruck gebracht wird, dass jemand verschwindet - in diesem Fall das Wiesel. Bei dieser Formulierung handelt es sich um eine Variation des sprachlichen Musters Geh dahin zurück, wo du hergekommen bist: dahin zurücksegeln, wo jemand hergekommen ist. Im Bilderbuchtext heißt es: „Lange Luda segelte durch die Luft, weit weit weg, dahin zurück, wo sie hergekommen war“ (Blake/ Scheffler 2017, 11. DS). So lässt sich die von Ida verwendete 364 3 Auswertung und Ergebnisse Formulierung zwar nicht als eine Variation eines Phraseologismus aus dem Buch bezeichnen. Jedoch greift Ida, um auszudrücken, dass jemand verschwindet, wie im Bilderbuch auf eine bekannte Redewendung zurück. Somit scheint hier zusätzlich Musterhaftigkeit auf einer abstrakteren Ebene vorzuliegen: das Verwenden einer für Narrationen typischen sprachlichen Wendung am Ende einer Geschichte, um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Person verschwindet. Dies kann als erzähltypisches Muster bezeichnet werden. An Idas Textproduktion lassen sich zudem zahlreiche Beobachtungen zum Gebrauch struktureller Muster machen. Erstens weist der Text den mehrfachen Gebrauch eines strukturellen Musters auf, das nicht im Bilderbuch vorkommt. Vierzehnmal verwendet Ida das im Bilderbuch nicht enthaltene strukturelle Muster [„Dann“ + Verb]. Es dient der Textstrukturierung. Beim Füllen der Leerstellen dieses strukturellen Musters gebraucht Ida fünf Verben mehrfach: Fünfmal wird die Leerstelle von Ida mit dem Verb gehen gefüllt (vgl. 4. DS, 5. DS, 6. DS, 9, DS, 9. DS), zweimal mit dem Verb sehen (vgl. 4. DS, 4. DS), dreimal mit kommen (vgl. 6. DS, 8. DS. 9. DS), zweimal mit dem Verb fragen (vgl. 8. DS, 9. DS) und zweimal mit dem Verb anfangen (vgl. 7. DS, 9. DS). Zweitens lassen sich die folgenden Beobachtungen zum einmaligen Gebrauch eines strukturellen Musters machen, das nicht im Bilderbuch vorkommt. Sie beziehen sich auf den Gebrauch der Formulierungen [„Nun“ + Verb] und [„Also“ + Verb]. Einmalig verwendet Ida das strukturelle Muster [„Nun“ + Verb]: nun [.] dachte er, für was er so lange BEINE bräuchte. (3. DS) Dadurch markiert Ida die zeitliche Reihenfolge der Handlungen bzw. der Gedanken He Dudas. Im Bilderbuchtext findet keine zeitliche Einordnung von He Dudas Gedanken statt: „He Duda wusste nicht, warum er so große Füße hatte“ (Blake/ Scheffler 2017, 3. DS). An einer Stelle gebraucht Ida das strukturelle Muster [„Also“ + Verb]: dann siehtete he duda, wie die vögel auf dem baum schön sitzen. der eine ha/ , eine eule [zeigt auf das Bild der Eule im Baum] , da/ . und dann ging er weiter. dann siehte he duda die eich [.] hörnchen HASELNUSS knabberten. [2] also denkte er sich vor, ob er vielleicht auf einem BAUM wohnen will/ [.] wollte. (4. DS) Wie bereits beschrieben leitet Ida damit die Konsequenz von He Dudas Beobachten der Vögel und Eichhörnchen ein. Im Bilderbuch wird die Konsequenz, die He Duda aus seinen Beobachtungen zieht, durch die Konjunktion und ausgedrückt: „He Duda sah die Vögel im Baum und beschloss, auf einem Baum zu wohnen. He Duda 3.1 Textanalysen 365 sah, dass die Eichhörnchen Eicheln aßen, und beschloss, Eicheln zu essen.“ (Blake/ Scheffler 2017, 4. DS) Ida vermittelt somit eine ähnliche Aussage wie im Bilderbuch, wählt dazu jedoch ein Konsekutivadverb, aus dem eindeutig und explizit zu schließen ist, dass nun eine Konsequenz folgt, während die im Bilderbuchtext verwendete Konjunktion und mehrere Funktionen erfüllen kann. Drittens weist Idas Text den mehrmaligen Gebrauch eines strukturellen Musters auf, das im Bilderbuch vorkommt. Dies betrifft die Formulierungen [„Alle“ + Verb] und [„Und“ + Satz]. Wie bereits im Zusammenhang mit den von Ida genutzten Baumustern beschrieben macht Ida mehrmals Gebrauch von einer Anapher, die zum einen als strukturelles Muster mit poetischer Funktion und zum anderen als Muster der dritten Ebene bezeichnet werden kann. Neben den bereits beschriebenen Textpassagen des Baumusters verwendet Ida auch in folgendem Abschnitt eine Anapher: ALLE sind aufgeregt. alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. (5. DS) Das zugrunde liegende strukturelle Muster lässt sich folgendermaßen beschreiben: [„Alle“ + Verb] oder in der abstrakten Form [Wort + X]. Im Bilderbuch wird in diesem Kontext keine Anapher verwendet. Da jedoch das Bilderbuch - insbesondere die Baumuster - stark von Anaphern geprägt ist, könnte es sich um eine (implizite) Übernahme dieses Musters in einem neuen Kontext handeln. Ob der häufige (zehnfache) Gebrauch von Anaphern im Bilderbuch das Formulieren einer Anapher an dieser Stelle beeinflusst hat, bleibt unklar. Ein weiteres von Ida viermal genutztes strukturelles Muster weist folgende Form auf: [„Und“ + Satz]. Auffällig ist, dass Ida das Muster zweimal in Verbindung mit dem Temporaladverb dann nutzt (4. DS, 8. DS): dann siehtete he duda, wie die vögel auf dem baum schön sitzen. der eine ha/ , eine eule [zeigt auf das Bild der Eule im Baum] , da/ . und dann ging er weiter. (4. DS) er winkte dem tier ZU. [4] ob/ und dann fragte er sich, wo er jetzt/ was er sein sollte [leise ab ‚sollte‘] . (8. DS) In der folgenden Textpassage wird es zweimal genutzt. Einmal scheint damit die Reaktion eines Tieres (He Duda) auf die Handlung eines anderen Tieres (das Langtier) gekennzeichnet zu werden: dann vor lauter schreck springt das tier und he duda springt weg. [blättert um] [3] und vor lauter schreck fängt he duda an zu springen und weg is er. [I schlägt eine Seite mit dem Bild einer Blumenwiese auf, klappt das Buch zu] (10./ 11. DS). Der vierte Gebrauch der Konjunktion findet nach dem Umblättern statt und kann somit als Anbinden 366 3 Auswertung und Ergebnisse der Handlung an den vorangegangenen Inhalt bezeichnet werden. In drei der vier Situationen markiert die Konjunktion und ein zeitliches Nacheinander von Handlungen. In einer Situation markiert es vermutlich eine Konsequenz. Teil‐ weise verbindet Ida Sätze miteinander, die das gleiche Subjekt haben. Teilweise bindet sie auch Sätze mit anderem Subjekt an den vorangegangenen Satz oder elliptischen Satz. Im Bilderbuchtext wird das Muster [„Und“ + Satz] lediglich einmal in einem anderen Kontext verwendet: „Ihre Zähne waren so scharf wie Glassplitter und ihre Augen waren so schnell wie Flöhe“ (Blake/ Scheffler 2017, 6. DS). In diesem Kontext erfüllt es eine andere Funktion als in Idas Text: Es wird für eine Aufzählung verwendet. Da es sich bei dem strukturellen Muster [„Und“ + Satz] um ein im mündlichen Sprachgebrauch gängiges Muster handelt und es zudem im Bilderbuch nicht genau die gleiche Funktion wie in Idas Text erfüllt, ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass es sich bei dem Gebrauch dieses Musters in Idas Text um Übernahmen aus dem Bilderbuch handelt. Viertens lassen sich Beobachtungen zum mehrmaligen Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters machen, das im Bilderbuch vorkommt. In den beiden Sequenzen der vierten Doppelseite werden zuerst das Wahrnehmen der Vögel in einem Baum und anschließend He Dudas Beobachten des Verzehrs von Nüssen durch die Eichhörnchen erzählt. In jeder der beiden Sequenzen nutzt Ida das strukturelle Muster [„Dann siehte(te) He Duda, wie“ + …] (4. DS). Im Bilderbuch werden in diesem Kontext in jeder Sequenz zunächst die Formulierung He Duda sah und anschließend die Formulierung und beschloss genutzt. Dies lässt sich in folgendem strukturellen Muster zusammenfassen: [„He Duda sah“ + X + „und beschloss“ + X]. Da der zweite Teil dieser Konstruktion nicht zu Idas sprachlichem Muster gehört, weist das Bilderbuch an dieser Stelle eine stärkere Struktur auf als Idas Text. Die in Idas strukturellem Muster enthaltenen Formulierungen lassen sich als Variation des im Buch zweifach verwendeten sprachlichen Musters He Duda sah beschreiben: Die Reihenfolge der Wörter wird verändert, das Temporaladverb dann wird hinzugefügt und die Präteritumform des starken Verbs sehen wird wie die Form eines schwachen Verbes (Übergeneralisierung) gebildet. Die Häufigkeit der Verwendung dieses sprachlichen Musters und der Kontext der Verwendung sind im Bilderbuch und in Idas Text gleich. Gleiches gilt für die Funktion: Auf sprachlicher Ebene wird eine inhaltliche Wiederholung zum Ausdruck gebracht. Obgleich Ida eine Variation des sprachlichen Musters aus dem Bilderbuch wählt, so wird diese von ihr - genau wie das äquivalente sprachliche Muster im Bilderbuch - in ihrem Text wiederholt. Beide Texte weisen somit die Wiederholung einer sprachlichen Einheit auf. Auch hier kann der Gebrauch eines erzähltypischen Musters erkannt werden: die Wiederholung von sprachlichen Einheiten als rhetorisches Mittel 3.1 Textanalysen 367 zur Darstellung einer sich wiederholenden Handlung. Dies lässt sich als Passung von Sprache und Inhalt bezeichnen. Neben sprachlichen und strukturellen Mustern weist Idas Text zudem erzähltypi‐ sche Muster auf. Zu nennen ist zunächst der Gebrauch direkter Rede, von der Ida insgesamt 21-mal Gebrauch macht: 18-mal ohne Begleitsatz (vgl. 1. DS), zweimal mit nachgestelltem Begleitsatz (vgl. 1. DS, 2. DS) und einmal mit vorangestelltem Begleitsatz, wobei diese durch ein fehlendes Subjekt unvollständig ist (sagte (6. DS)). Während die ersten beiden Formen direkter Rede auch im Bilderbuch enthalten sind, ist die dritte Form direkter Rede im Bilderbuch nicht vorhanden und muss Ida daher aus anderen Kontexten bereits bekannt gewesen sein. In ihren Redebegleitsätzen gebraucht Ida ausschließlich die zwei unspezifi‐ schen Verben denken (1. DS) und sagen (2. DS, 5. DS). Diese sind auch Bestand‐ teil von Begleitsätzen des Bilderbuchtextes, wobei das Verb denken mehrfach (dreimal) im Bilderbuchtext in Begleitsätzen enthalten ist (vgl. Tabelle 17 im digitalen Anhang). Im ersten Fall (denken) wird im Bilderbuch im gleichen Kontext auf das gleiche Verb zurückgegriffen. Allerdings verwendet Ida nicht die Form dachte, sondern denkte, was darauf hindeutet, dass Ida keinen memorierten Ausdruck aus dem Bilderbuch wiedergibt, sondern die Verbform denkte aktiv bildet. Im zweiten Fall (sagen) nutzt Ida ein anderes Verb als im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird. Während im Bilderbuch das Verb denken genutzt wird („‚Soll ich Fisch essen? ‘, dachte er. ‚Oder Kartoffeln‘? ‚Oder Würmer? ‘“ (2. DS)), formuliert Ida ‚fisch [zeigt auf das Bild mit Fisch] oder regenwürmer [zeigt auf das Bild mit Regenwürmern] oder kartoffeln [zeigt auf das Bild mit Kartoffeln] ‘, sagte er. (2. DS) Das Verb sagen kommt im Bilderbuch in einem anderen Kontext vor: „‚Hallo! ‘, sagte He Duda zu lange Luda.“ (Blake/ Scheffler 2017, 8. DS). Im dritten Fall (sagen) wird im Bilderbuch auch ein anderes Verb im gleichen Kontext verwendet: Das spezifische Verb rufen, das sich von dem von Idas gewählten Verb durch die Komponente der Lautstärke unterscheidet. Während der Bilderbuchtext das Verb rufen beinhaltet („‚He Duda! Du musst sofort runterkommen! ‘, riefen sie.“ (Ebd., 5. DS)), heißt es in Idas Text in diesem Zusammenhang: sagte: ‚he duda, komm runter, das lange TIER ist wieder da! ‘ [laut ab ‚he duda‘] (5. DS) Die Zusatzinformation, die das Verb rufen im Gegensatz zum Verb sagen enthält, wird von Ida durch eine erhöhte Lautstärke der direkten Rede ( [laut ab ‚he duda‘] ) zum Ausdruck gebracht (vgl. Tabelle 18 im digitalen Anhang). Die meisten Inhalte, die Ida mit Hilfe von direkter Rede wiedergibt, werden auch im Bilderbuch in Form von direkter Rede zum Ausdruck gebracht. Dabei sind 368 3 Auswertung und Ergebnisse die kompletten Formulierungen bestehend aus direkter Rede ohne Begleitsatz oder direkter Rede mit Begleitsatz in Idas Text und im Bilderbuchtext lediglich zweimal identisch. Ida verwendet direkte Rede erstens um die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch zu vermitteln, die in diesem ebenfalls als direkte Rede formuliert sind (Fall 1) und zweitens um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch nicht enthalten sind (Fall 4). Weitere von Ida verwendete erzähltypische Muster wurden bereits im Zusam‐ menhang mit sprachlichen und strukturellen Mustern dargestellt. Zu nennen sind hier das erzähltypische Muster der Wiederholung sowie das Verwenden einer für Narrationen typischen sprachlichen Wendung am Ende einer Geschichte. Es folgen Beobachtungen zu Musterhaftigkeit im Kindertext im Vergleich zum Bilderbuchtext, die sich auf den Gebrauch des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb] beziehen. In Idas Text sind sieben Formulierungen enthalten, mit denen ein Nomen oder Verb näher durch ein Adjektiv bestimmt wird (vgl. Tabelle 19 im digitalen Anhang). Auffällig dabei ist, dass vier dieser Formulierungen das Adjektiv lang enthalten (lange TIER (5. DS), lange BEINE (3. DS), der lange duda (5. DS), das lange tier (7. DS)). Ihnen liegt zusätzlich das strukturelle Muster [„lang“ + Nomen] zugrunde. Zudem dienen drei der vier Formulierungen zur Bezeichnung des Tieres, das im Bilderbuch den Eigennamen Lange Luda trägt. Ein Blick auf das Vorkommen des strukturellen Musters [„lang“ + Verb/ Nomen] zeigt, dass dieses Muster im Bilderbuchtext insgesamt 13-mal enthalten ist, wobei es auch hier - ähnlich wie in Idas Text - überwiegend zur Bezeichnung des Wiesels verwendet wird (vgl. Tabelle 20 im digitalen Anhang). Die drei von Ida gebildeten sprachlichen Muster, die dem strukturellen Muster [„lang“ + Nomen/ Verb] folgen, sind in keinem der Fälle vollkommen identisch mit den Formulierungen des Bilderbuches, die diesem Muster zugeordnet werden können. Weitere Ausführungen zum sprachlichen Muster lange Beine sind im Zusammenhang mit der Darstellung veränderter Inhalte zu finden, wäh‐ rend Überlegungen zu den Ausdrücken langes Tier und der lange Duda im Zu‐ sammenhang mit dem Gebrauch sprachlicher Muster nachzulesen sind. Weitere Formulierungen, die über die genannten Ausdrücke hinaus dem strukturellen Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] folgen, sind brummeliges Nastier, dunkle Höhle und schön sitzen. Während das sprachliche Muster brummeliges Nastier analog zum im Bilderbuch vorhandenen Ausdruck schnabliges Schnabeltier gebildet wurde, werden das Nomen Höhle und das Verb sitzen im Bilderbuch in den gleichen Kontexten jeweils ohne ein Adjektiv gebraucht. Somit wird in diesen beiden Fällen - im Gegensatz zu den übrigen dargestellten Textpassagen - das 3.1 Textanalysen 369 strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] von Ida in Kontexten gebildet, in denen es im Bilderbuch nicht enthalten ist. Während das von Ida verwendete Adjektiv dunkel in einem anderen Zusammenhang im Bilderbuch enthalten ist, gilt dies für das Adjektiv schön nicht. Zum Mustergebrauch lässt sich zusammenfassend festhalten, dass Ida in ihren Text Variationen beider Baumuster, die im Bilderbuchtext enthalten sind, auf‐ nimmt. Dabei werden einige Bausteine weggelassen oder mit anderen sprachli‐ chen Strukturen oder Inhalten gefüllt. Zudem nutzt Ida Variationen sprachlicher Muster des Bilderbuches im glei‐ chen Kontext. Außerdem greift sie an mehreren Stellen auf ein und dasselbe sprachliche Muster zurück, das in komprimierter Form den Inhalt eines ganzen Satzes vermitteln kann und nicht aus dem Bilderbuchtext stammt. Dabei erfüllt das Muster jedes Mal die gleiche Funktion in ihrer Textproduktion. Ida macht zudem Gebrauch von einem sprachlichen Muster sowie von einer Variation dieses Musters, das im Bilderbuch nicht enthalten ist und die Funktion erfüllt, einzelne Szenen, die in Bildern dargestellt werden, miteinander zu verknüpfen. Zur Textstrukturierung bedient sich Ida 14-mal des im Bilderbuch nicht enthaltenen strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] und stellt auf diese Weise verschiedene Handlungen und Ereignisse in einen zeitlichen Zusammenhang. Ferner nutzt sie einmal das strukturelle Muster [„Nun“ + Verb], das auch nicht im Bilderbuchtext enthalten ist und die gleiche Funktion für ihren Text erfüllt. Um zwei Ereignisse in einen kausalen Zusammenhang zu stellen, macht Ida Gebrauch vom strukturellen Muster [„Also“ + Verb], das ebenfalls nicht im Bilderbuchtext vorhanden ist. Des Weiteren weist Idas Text erzähltypische Muster auf. Auf das erzähltypische Muster der direkten Rede greift Ida nur in den Kontexten zurück, in denen auch der Bilderbuchtext direkte Rede enthält. Wie das Bilderbuch enthält Idas Text an mehreren Stellen direkte Rede ohne Redebegleitsatz. Diese ist in den meisten Fällen nicht komplett identisch mit der des Bilderbuches. In zwei der drei Situationen, in denen Ida von direkter Rede mit Begleitsatz Gebrauch macht, wählt sie ein anderes Verb als das im Bilderbuch im entsprechenden Kontext verwendete - und zwar in beiden Fällen das unspezifische Verb sagen. Als weiteres erzähltypisches Muster kann der Gebrauch einer formelhaften Wendung am Ende der Geschichte bezeichnet werden. Möglicherweise wurde dieser Gebrauch durch eine andere formelhafte Wendung am Ende der Ge‐ schichte des Bilderbuches beeinflusst. Überdies nutzt Ida mehrfach das erzähl‐ typische Muster der Wiederholung von sprachlichen Einheiten, das auch im Bilderbuch verwendet wird. Dabei greift sie einmal auf andere sprachliche Einheiten als die im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendeten zurück 370 3 Auswertung und Ergebnisse und einmal auf eine Variation der im Bilderbuch verwendeten sprachlichen Einheiten. Es wird deutlich, dass Ida bei der Textproduktion die Leserin oder den Leser bzw. die Zuhörerin oder den Zuhörer im Blick hat. Während Ida ihren Text produziert, stellt sie immer wieder Blickkontakt zu der oder dem Erwachsenen her. Zudem lassen sich in Idas Text sprachliche Mittel identifizieren, die eine verstärkende bzw. betonende Wirkung haben. Die Betonung bestimmter Inhalte lässt auf eine Leserorientierung schließen. Zum einen setzt Ida die Intensi‐ tätspartikel so zur Betonung von Aussagen ein: nun [.] dachte er, für was er so lange BEINE bräuchte. (3. DS) dann ging er weiter [.] in sein hasendorf. DANN erblickte [.] der/ sind die hasen so aufgeregt (5. DS). Des Weiteren macht Ida Gebrauch von dem rhetorischen Mittel der Ana‐ pher: ALLE sind aufgeregt. alle kra/ rennen vor lauter schreck in ihre höhlen. (5. DS) Diese wird funktional eingesetzt, da durch den Gebrauch der Anapher hervorgehoben wird, dass sich wirklich alle Tiere vor dem langen Tier fürchten und daher die Flucht ergreifen, während He Duda als Einziger unbekümmert auf dem Baum sitzen bleibt. An mehreren Stellen betont Ida bestimmte Wörter und lenkt dadurch die Aufmerksamkeit der Zuhörerin oder des Zuhörers auf die Bedeutungen dieser Wörter. Mehrmals betont Ida Bezeichnungen für Objekte, die im Bild dargestellt sind und in den Fragesequenzen genannt werden: als ich ein AFFE wä: r? (1. DS) oder in einem NEst? (2. DS) zum ski: wasserfahrn? (3. DS) oder g e m ü: s e: ? (9. DS) Ida hebt zwei weitere Wörter durch besondere Betonungen hervor, als sie die Aufregung der Hasen thematisiert: DANN erblickte [.] der/ sind die hasen so aufgeregt. (5. DS). ALLE sind aufgeregt. (5. DS) Idas „Vorlesen“ ist insgesamt durch den immer wieder hergestellten Blickkon‐ takt zur zuhörenden Person geprägt sowie durch das Zeigen auf Abbildungen aus dem Bilderbuch. Letzteres kann als Mittel zur Lenkung des Blickes und der Aufmerksamkeit der zuhörenden Person bezeichnet werden. Ein weiterer Hinweis auf Leserorientierung wird im Zusammenhang mit Überarbeitungen in Idas Textproduktion erläutert. Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit lässt Idas Text im Hinblick auf den Gebrauch von Präteritum und Plusquamperfekt (Tempus), den Gebrauch schrift‐ sprachlicher Ausdrücke (Lexik) und dem Gebrauch hypotaktischer Satzkonstruk‐ tionen (Syntax) erkennen. 3.1 Textanalysen 371 In der Erzählerrede verwendet Ida zum Großteil das Präteritum (21-mal). In einigen Fällen bildet sie die Präteritumformen starker Verben auf die gleiche Weise wie die Präteritumformen schwacher Verben. Diese Übergeneralisierung zeigt sich an folgenden Präteritumformen: siehtete (4. DS), siehte (4. DS), denkte (4. DS) und fängte (7. DS). Eine weitere Zeitform, auf die sie zurückgreift, ist das Plusquamperfekt (zweimal). Auffällig ist, dass Ida in ihrer Erzählerrede überwie‐ gend Zeitformen wählt, die dem konzeptionell schriftlichen Sprachgebrauch zugeordnet werden können. Überdies nutzt Ida zweimal den Konjunktiv II: als ich ein AFFE wä: r? [I platziert den Daumen auf dem Bild des Affen] oder ob ich ein stachel [.] schwein wär? (1. DS), während im gleichen Kontext des Bilderbuches direkte Rede im Indikativ gebraucht wird. Im Bilderbuch wird lediglich an einer Stelle der Konjunktiv II verwendet - und zwar in der direkten Rede: „Ich dachte, ich wäre ein Kaninchen.“ (Blake/ Scheffler 2017, 12. DS) Möglicherweise beeinflusste diese Formulierung Idas Textproduktion in neuen Kontexten. Teilweise verwendet Ida das Präsens (elfmal). Ida verwendet in ihrer Textproduktion zweimal den Ausdruck ein wenig, der dem konzeptionell schriftlichen Register zuzuordnen ist: dann ging er noch ein wenig weiter (9. DS). dann ging er noch ein wenig weiter. (9. DS) Dieser Ausdruck ist im Bilderbuchtext nicht ent‐ halten. Einmal macht Ida Gebrauch von dem Temporaladverb nun, das ebenfalls dem konzeptionell schriftlichen Sprachgebrauch zugeordnet werden kann: nun [.] dachte er, für was er so lange BEINE bräuchte. (3. DS) Auch dieses Temporaladverb wird im Bilderbuch an keiner Stelle verwendet. Das von Ida verwendete Verb erblickten (5. DS) entspricht ebenfalls dem konzeptionell schriftlichen Register: dann ging er weiter [.] in sein hasendorf. DANN erblickte [.]/ der sind die hasen so aufgeregt. (5. DS) Der Satzanfang, der das Verb erblicken enthält, wird allerdings von Ida so überarbeitet, dass das Verb in der Neufassung des Satzes wegfällt. Im Bilderbuchtext ist das Verb erblicken nicht enthalten. Das Verb blicken hingegen, das ebenfalls dem konzeptionell schriftlichen Register zugeordnet werden kann, kommt im Bilderbuch in einem anderen Kontext vor: „aber kein Kaninchen ließ sich blicken.“ (Blake/ Scheffler 2017, 6. DS) Ida nutzt hier somit eine Variation eines konzeptionell schriftlichen Verbs in einem neuen Kontext. Diese Beobachtungen lassen die Schlussfolgerung zu, dass die Aufgabe, das Bilderbuch vorzulesen, bei Ida den Gebrauch konzeptionell schriftlicher Formulierungen herausgefordert zu haben scheint. Es handelt sich dabei um mehrere Formulierungen, die nicht im Bilderbuch vorkommen und um eine Formulierung, die im Bilderbuch in Variation vorkommt. 372 3 Auswertung und Ergebnisse Idas Text besteht aus 33 Hauptsätzen, sieben Nebensätzen und 25 elliptischen Sätzen. Im Verhältnis zum Bilderbuch ist der Anteil an hypotaktischen Satzkonst‐ ruktionen in Idas Text höher. Die von Ida verwendeten Nebensatzkonstruktionen werden im Folgenden klassifiziert. Des Weiteren wird der Blick darauf gerichtet, auf welche Weise der von Ida mit dem Nebensatz zum Ausdruck gebrachte Inhalt im Bilderbuch vermittelt wird. In einem dritten Schritt wird die Nebensatzkon‐ struktion mit ähnlichen Konstruktionen im Bilderbuch verglichen (vgl. Tabelle 21 im digitalen Anhang). Bei den meisten hypotaktischen Satzkonstruktionen, die Ida bildet, handelt es sich um Interrogativsätze. Mit diesen bringt Ida zum Ausdruck, welche Fragen He Duda sich selbst stellt oder gestellt bekommt. So nutzt Ida einmal einen Interrogativsatz, der mit dem Interrogativadverb wo eingeleitet wird: denkte he duda [blättert um ab ‚denkte‘] (2. DS) [2] und wusste nicht, wo er wohnen sollte (3. DS). In diesem Fall wird diese Konstruktion im gleichen Kontext auch im Bilderbuch gebraucht: „He Duda wusste nicht, wo er wohnen sollte“ (Blake/ Scheffler 2017, 3. DS). Sie ist ebenfalls in einem weiteren Kontext im Bilderbuch enthalten: „Lange Luda segelte durch die Luft, weit weit weg, dahin zurück, wo sie hergekommen war“ (ebd., 11. DS). Ida verwendet zudem zwei Interrogativsätze, die sie mit dem Interrogativpro‐ nomen was einleitet. Der erste Interrogativsatz lautet: und dann fragte er sich, wo er jetzt/ was er sein sollte (8. DS). Im Bilderbuch ist an dieser Stelle kein Einleitungssatz, der den drei Fragen vorausgeht, vorhanden. Idas zweiter mit dem Interrogativpronomen was eingeleiteter Interrogativsatz lautet folgendermaßen: dann fragte das tier, was er gerne isst (9. DS). Auch in diesem Kontext ist im Bilderbuch kein Einleitungssatz, der den drei folgenden Fragen vorangeht, vorhanden. Ein Interrogativsatz, der mit dem Interrogativpronomen was eingeleitet wird, ist hingegen in zwei anderen Kontexten im Bilderbuch vorhanden: Einmal dient er dazu, einen ähnlichen Inhalt (Frage nach Wohnort) wie in Idas Text zum Ausdruck zu bringen: „He Duda wusste nicht, was er war“ (Blake/ Scheffler 2017, 1. DS). Ein weiteres Mal wird damit ein sehr ähnlicher Inhalt (Frage nach der Identität) wie in Idas Text zum Ausdruck gebracht: „He Duda wusste nicht, was er essen sollte“ (ebd., 2. DS). Diese beiden Sätze sind jeweils Bestandteil des ersten im Bilderbuch genutzten Baumusters. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat der Aufbau des ersten Baumusters des Bilderbuches inklusive seines Interrogativsatzes einen Einfluss auf Idas Textproduktion gehabt. Der vierte von Ida im Rahmen ihrer Textproduktion gebildete Interrogativsatz wird mit der Formulierung für was eingeleitet: nun [.] dachte er, für 3.1 Textanalysen 373 was er so lange BEINE bräuchte (3. DS). Im Bilderbuch wird ein ähnlicher Inhalt im gleichen Kontext mit einem durch ein Interrogativadverb eingeleiteten Interrogativsatz zum Ausdruck gebracht: „He Duda wusste nicht, warum er so große Füße hatte“ (Blake/ Scheffler 2017, 3. DS). Ein mit dem Ausdruck für was eingeleiteter Nebensatz ist im Bilderbuch nicht enthalten. Einen fünften Interrogativsatz leitet Ida mit der Konjunktion ob ein: also denkte er sich vor, ob er vielleicht auf einem BAUM wohnen will/ [.] wollte (4. DS). Im Bilderbuch ist dieser Inhalt Teil eines Satzgefüges mit Infinitivsatz: „He Duda sah die Vögel im Baum und beschloss, auf einem Baum zu wohnen“ (Blake/ Scheffler 2017, 4. DS). Es werden im Bilderbuch keine Nebensätze mit ob eingeleitet. Neben Interrogativsätzen macht Ida auch Gebrauch von zwei weiteren Arten von Nebensätzen. Einmal nutzt Ida einen mit dem Modaladverb wie eingeleiteten Modalsatz: dann siehtete he duda, wie die vögel auf dem baum schön sitzen (4. DS). Im Bilderbuch wird dieser Inhalt mit Hilfe des bereits aufgeführten Infinitivsatzes in Sprache gefasst: „[…] und beschloss, auf einem Baum zu wohnen“ (Blake/ Scheffler 2017, 4. DS). Mit dem Modaladverb wie eingeleitete Nebensätze sind im Bilderbuch nicht vorhanden. Einen Konsekutivsatz leitet Ida mit der Konjunktion dass ein: er hatte das gesehen, dass das langtier schon wieder hier war (7. DS). Ida nutzt einen mit der Konjunktion dass beginnenden Nebensatz, um einen Inhalt auszudrücken, der im Bilderbuch nicht enthalten ist. Ein mit der Konjunktion dass beginnender Nebensatz ist im Bilderbuch in einem anderen Kontext vorhanden („He Duda sah, dass die Eichhörnchen Eicheln aßen, und beschloss, Eicheln zu essen“ (Blake/ Scheffler 2017, 4. DS)). Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: • Ida macht einmal Gebrauch von einem Nebensatz, der mit dem gleichen In‐ terrogativadverb (wo) eingeleitet wird wie der Nebensatz, der im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird und einen ähnlichen Inhalt vermittelt. • Einmal nutzt sie einen Interrogativsatz (eingeleitet mit für was) in dem gleichen Kontext, in dem im Bilderbuch ein durch das Interrogativadverb warum eingeleiteter Nebensatz gebraucht wird. • Zweimal bildet sie einen Nebensatz (Modalsatz, Interrogativsatz), um einen ähnlichen Inhalt auszudrücken, der im Bilderbuch durch einen Infinitivsatz vermittelt wird. • Dreimal nutzt sie einen Nebensatz, um einen im Bilderbuch nicht vorhan‐ denen Inhalt zum Ausdruck zu bringen. 374 3 Auswertung und Ergebnisse Ida produziert einen monologischen Text. Währenddessen tritt sie nicht in den Dialog mit der oder dem Erwachsenen. Sie nimmt jedoch beim Vorlesen immer wieder Blickkontakt zu der oder dem Erwachsenen auf. Im Folgenden werden Überarbeitungen, die anhand des Transkripts erkennbar sind, beschrieben, interpretiert und anschließend in Bezug zur Erkenntnis- und Wissenstheorie Polanyis (vgl. I.6; Neuweg 2004; Polanyi 1985) gesetzt. Als erstes überarbeitet Ida ihren Satzanfang, indem sie das bereits geäußerte Personalpronomen ich durch die Konjunktion als ersetzt: [3] ich/ als ich ein/ [deutet mit dem Zeigefinger auf das Bild des Koalabären und zieht den Finger wieder weg] [.] als ich ein AFFE wä: r? [I platziert den Daumen auf dem Bild des Affen] (1. DS) Durch die Überarbeitung findet eine stärkere Annäherung an die sprachliche Form des Bilderbuches statt. Bei der äquivalenten Formulierung des Bilderbuches handelt es sich ebenfalls um eine Frage, bei dem das Personalpronomen ich wie in Idas überarbeiteter Formulierung an zweiter Stelle steht: „‚Bin ich ein Affe? ‘, dachte er“ (Blake/ Scheffler 2017, 1. DS). Idas zweite Überarbeitung scheint eine Überarbeitung am Prätext zu sein. Ida formuliert als ich ein/ (1. DS), während sie mit dem Finger auf das Bild des Koalabären zeigt. Dann hält sie für einen Moment inne. Dieses nonverbale Verhalten deutet darauf hin, dass Ida offenbar zuerst den Begriff Koala-Bär nennen möchte. Dann wiederholt Ida den gleichen Satzanfang jedoch und vervollständigt ihn nun mit dem Nomen Affe, während sie den Daumen auf das Bild des Affen platziert. An dieser Stelle findet sehr wahrscheinlich eine inhaltliche Überarbeitung am Prätext statt. Da sich der Koalabär links auf der Bilderbuchseite befindet, der Affe jedoch rechts, erscheint es logisch, den Text mit dem Affen zu beginnen, wenn eine Orientierung an der Leserichtung von links nach rechts stattfindet. Da im Bilderbuchtext die Sequenz jedoch mit der Nennung des Affen beginnt, liegt die Vermutung nahe, dass Ida versucht, sich so gut wie möglich am Originaltext zu orientieren und aus diesem Grund eine Überarbeitung am Prätext vornimmt. Hier wird offenbar das bereits gewählte Wort Koala (p) im Lichte von d, der Schreibidee, geprüft. Der distale Term entspricht dabei Idas mentaler Repräsentation des Bilderbuchtextes. Da im Bilderbuchtext zuerst die Frage mit dem Nomen Affe gestellt wird, überarbeitet Ida ihr scheinbar bereits im Kopf gewähltes Wort. Die von Ida vorgenommene Überarbeitung scheint der Annäherung an den Inhalt des Bilderbuches zu dienen, indem die Reihenfolge aufgezählter Elemente der des Bilderbuches angepasst wird. Die folgende Textpassage enthält mehrere inhaltliche Überarbeitungen: dann siehtete he duda, wie die vögel auf dem baum schön sitzen. der eine h/ , eine eule [zeigt auf das Bild der Eule im 3.1 Textanalysen 375 Baum] , da/ . und dann ging er weiter. (4. DS) Zunächst scheint Ida etwas über einen der Vögel „vorlesen“ zu wollen (der eine h/ (4. DS)), bricht diese Handlung jedoch ab und zählt lediglich auf, was sie sieht: eine eule (4. DS). Dann verwendet Ida vermutlich erneut ein deiktisches „da“, bricht die Aussage jedoch ab und wechselt zurück vom beschreibenden in den narrativen Modus: und dann ging er weiter (4. DS). Mit dieser Formulierung treibt sie den Fortgang der Geschichte voran und leitet über zu He Dudas nächster Beobachtung. Im folgenden Ausschnitt des Transkripts überarbeitet Ida die Zeitform des Verbs wollen. Anstatt der Präsensform wählt sie nun die Präteritumform: also denkte er sich vor, ob er vielleicht auf einem BAUM wohnen will/ [.] wollte. (4. DS) Somit wird erstens grammatische Richtigkeit hergestellt. Zweitens passt die gewählte Zeitform besser zum bereits produzierten Text und drittens entspricht sie der typischen Erzählzeit von Narrationen. An dieser Stelle findet somit auch eine Überarbeitung in Richtung konzeptionelle Schriftlichkeit statt. In der folgenden Szene nimmt Ida eine inhaltliche Überarbeitung vor: dann ging er weiter [.] in sein hasendorf. DANN erblickte [.] der/ sind die hasen so aufgeregt. (5. DS) Ida beschreibt nun nicht, was He Duda sieht, sondern den Gemütszustand der Hasen. Im Bilderbuch wird zu den beiden vorangegangenen Bildern jeweils die Formulierung „He Duda sah, …“ verwendet, jedoch nicht zur fünften Doppelseite. Möglicherweise versucht Ida hier sich (inhaltlich) möglichst nah am Bilderbuchtext zu halten und nimmt aus diesem Grund die Überarbeitung vor. In der nächsten Szene beginnt Ida zunächst, einen Nebensatz mit der Kon‐ junktion ob einzuleiten: er winkte dem tier ZU. [4] ob/ und dann fragte er sich, wo er jetzt/ was er sein sollte [leise ab ‚sollte‘] . (8. DS) Die Vermutung liegt nahe, dass Ida anschließend eine Frage He Dudas formuliert hätte. Eine ähnliche Formulierung verwendet sie auf der ersten Doppelseite bereits: oder ob ich ein stachel [.] schwein wär? (1. DS) Ida bricht den Satz jedoch ab und beginnt erneut mit der Formulierung eines Satzes, der mehr Kontextinformationen für die Zuhörende oder den Zuhörenden liefert, indem er die Figur nennt, die sich die anschließend formulierte Frage stellt: und dann fragte er sich (8. DS). Auch bei der Formulierung der Frage, die sich die Figur stellt, nimmt Ida erneut eine inhaltliche Überarbeitung vor: und dann fragte er sich, wo er jetzt/ was er sein sollte (8. DS). Zunächst scheint Ida eine indirekte Frage zum Wohnort der Figur zu formulieren, bricht diese jedoch ab und formuliert eine indirekte Frage zur Tierart. Ida entscheidet sich entsprechend 376 3 Auswertung und Ergebnisse der Anordnung der Abbildungen auf der achten Doppelseite dafür, zunächst die Fragen zu den unterschiedlichen Tieren (linke Seite) zu formulieren und anschließend die Wohnorte (rechte Seite) zu benennen, die auf der rechten Seite der achten Doppelseite abgebildet sind. Hier scheint sie sich entweder an der Leserichtung von links nach rechts zu orientieren oder an der gewählten Reihenfolge des Bilderbuches. Die nächste von Ida vorgenommene Überarbeitung bezieht sich erneut auf den Inhalt der Geschichte. Sie formuliert: dann kam das tier vor laut/ dann fragte das tier, was er gerne isst (9. DS). Zunächst scheint sich Ida auf die Abbildung der rechten Seite der neunten Doppelseite zu beziehen, auf der der Körper des Wiesels in Richtung des auf dem Baum sitzenden Kaninchens gerichtet ist. Idas abgebrochene Äußerung legt die Vermutung nahe, dass Ida im Begriff ist, das sprachliche Muster etwas vor lauter Schreck tun zu bilden, das sie insgesamt dreimal verwendet. Dieses wird auf der darauffolgenden Doppelseite im Zusammenhang mit dem Wiesel (tier) verwendet: dann vor lauter schreck springt das tier (10. DS). Möglicherweise wurde die von Ida vorgenommene Überarbeitung durch die ab‐ gebildete Tiernahrung auf der linken Hälfte der neunten Doppelseite ausgelöst. Auch diese Überarbeitung lässt sich als Hinweis auf Idas mögliche Bestrebung deuten, den Inhalt des Bilderbuches möglichst genau wiedergeben zu wollen: Sie fügt nämlich einen zuvor ausgelassenen Inhalt aus dem Bilderbuch, der auch im Bild dargestellt ist, nachträglich in ihre Textproduktion ein. Bei den meisten von Idas wahrnehmbaren Überarbeitungen handelt es sich um inhaltliche Überarbeitungen. Ida scheint mehrfach die bereits produzierte (oder gedachte) Formulierung (p) im Lichte von d, ihrer Schreibidee, zu prüfen. Ihre Schreibidee scheint dabei vermutlich sehr stark ihrer mentalen Repräsen‐ tation des Bilderbuchtextes zu entsprechen. Hervorzuheben im Hinblick auf die Entwicklung von Textkompetenz ist eine Überarbeitung in Richtung konzeptio‐ nelle Schriftlichkeit (Tempus) sowie eine Überarbeitung, die Kontextinformation für die zuhörende Person liefert und somit auf Leserorientierung schließen lässt. Wie das Transkript verdeutlich, ist Ida in der Lage, einen monologischen Text zu produzieren. Ida wurde durch die Pretend-Reading-Situation zur Produktion eines monologischen Textes herausgefordert, der zum Großteil aus sich heraus verständlich ist. Es zeigt, dass Ida überwiegend Kohärenz herstellt. Zudem ist Leserorientierung erkennbar. Somit werden bei ihrer Textproduktion zwei der zentralsten Merkmale von Textualität (vgl. dazu I, 3.1) berücksichtigt. Idas implizite Textkompetenz wird insbesondere an den Stellen deutlich, an denen sie ein nicht aus dem Bilderbuch stammendes sprachliches oder strukturelles Muster funktional gebraucht. Dazu gehören Muster zur Textstruk‐ 3.1 Textanalysen 377 153 Der Name des Kindes wurde aus Datenschutzgründen geändert. turierung wie [„Dann“ + Verb] und [„Nun“ + Verb]. Dies lässt sich als Hinweis darauf deuten, dass jeweils eine implizite Beziehung zwischen dem Muster (p) und seiner Funktion (d) besteht. In Idas Textproduktionen ist auch der mehr‐ fache funktionale Gebrauch eines solchen Musters, nämlich vor lauter Schreck, in verschiedenen Kontexten zu beobachten. Bei diesem Beispiel ist die implizite Verbindung zwischen dem Muster und seiner Funktion noch offensichtlicher, da das Muster von Ida in Kombination mit plötzlich ausgeführten Handlungen von Tieren verwendet wird. Des Weiteren scheint Ida über implizites Wissen zur Verbindung von ein‐ zelnen bildlich dargestellten Szenen durch ein wiederkehrendes sprachliches Muster (Dann ging er weiter) zu verfügen, da sie dies mehrfach erfolgreich in ihrer Textproduktion zum Ausdruck bringt. Darüber hinaus scheint Ida auch über implizites erzähltypisches Muster‐ wissen zu verfügen. Mehrfach gebraucht sie in ihrer Textproduktion Wieder‐ holungen von sprachlichen Einheiten funktional, nämlich wenn sich wieder‐ holende Inhalte (Handlungen) in Sprache gebracht werden müssen. Dieses Muster, das auch im Bilderbuch mehrfach genutzt wird, wird von Ida mit vom Bilderbuchtext abweichenden Formulierungen verwendet. 3.1.4 Textanalyse IV: Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten von Mia Mia ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Pretend-Reading-Situation mit der oder dem Studierenden sechs Jahre und drei Monate alt. Ihre Familiensprache ist Deutsch. Sie hat keine Geschwister. Die Herkunftsregionen der Eltern liegen in Deutschland. Beide Eltern haben einen Realschulabschluss. Mia besucht einen Kindergarten. Im Haushalt gibt es nach Angaben der Eltern 20 bis 40 Bilder- oder Kinderbücher. Ein Buch oder eine Geschichte bekommt Mia fünfbis sechsmal pro Woche vorgelesen, und zwar von ihrer Mutter. Mia werden zudem einbis zweimal pro Woche Geschichten erzählt. Mia tut nach Angaben der Eltern nicht so, als würde sie (jemandem) ein Buch vorlesen. Die oder der Studierende kannte Mia eine Woche, bevor sie oder er mit ihr die Pretend-Reading-Situation durchführte. Diese fand im Wohnzimmer von Mias Eltern statt. Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situation informiert die oder der Erwachsene Mia 153 über das geplante Vorgehen. E: ja [? ] gut, so. also. du hast dir ja diese geschichte ausgesucht. 378 3 Auswertung und Ergebnisse M: mh. E: und jetzt als erstes lese ich dir die geschichte vor und sitze hier auf dem vorlesestuhl [zeigt mit dem Finger auf den Stuhl] und danach tauschen wir, du sitzt hier und dann liest du die geschichte vor. M: ja. E: gut [2] Im Anschluss daran liest die oder der Erwachsene Mia die Geschichte Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten vor. Weihnachten mit Astrid Lindgren. Die schönsten Geschichten von Pippi Langstrumpf, Michel, Madita, den Kindern aus Bullerbü u.a. (Astrid Lindgren) Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten. (1. DS) - Hast du schon mal von Pippi Lang‐ strumpf gehört, dem stärksten Mäd‐ chen der Welt? Dem Mädchen, das ganz allein mit einem Pferd und einem Affen in der Villa Kunterbunt wohnt? Dem Mädchen, das einen ganzen Koffer voller Goldstücke be‐ sitzt? Jetzt erzähl ich dir, was Pippi einmal gemacht hat. Es war an einem Heiligabend. In allen Fenstern der kleinen Stadt leuchteten die Weih‐ nachtslichter, und an den Weihnachts‐ bäumen brannten die Kerzen. (2. DS) - Alle Kinder waren sehr froh. Nein, nicht alle Kinder waren froh. In einem Haus in der Winkelstraße saßen im ersten Stock drei kleine arme Wesen in der Küche und weinten. Das waren Frau Larssons Kinder. Pelle, Bosse und die kleine Inga. Sie weinten, weil ihre Mama ins Krankenhaus ge‐ kommen war. Ausgerechnet an Heilig‐ abend, das stelle man sich einmal vor! Ihr Papa war Seemann und weit draußen auf dem Meer. Und sie hatten auch keinen Tannenbaum! Keine Weih‐ nachtsgeschenke! Nichts Gutes zu essen! Denn ihre Mama hatte es nicht Sie warf einen Sack auf den Fußboden, und aus dem Sack holte sie viele Pa‐ kete und viele Beutel hervor. In den Beu‐ teln waren Apfelsinen und Äpfel, Feigen, Nüsse, Rosinen, Bonbons und Marzipan‐ schweine. Und in den Paketen waren Weihnachtsgeschenke für Pelle, Bosse und die kleine Inga. Pippi stapelte all die Pakete auf der Küchenbank. (6. DS) - „Noch kriegt ihr keine Weihnachtsge‐ schenke“, sagte sie. „Erst wollen wir mit dem Baum tanzen.“ „Du meinst wohl, dass wir um den Baum herumtanzen wollen“, sagte Pelle. „Genau das meine ich nicht“, sagte Pippi. „Könnt ihr mir erklären, warum Weihnachtsbäume nie‐ mals auch ein bisschen Spaß haben dürfen? Nie dürfen sie mittanzen. Sie müssen bloß stocksteif dastehen und glotzen, während die Leute um sie herumhüpfen und Spaß haben. Die armen, armen kleinen Weihnachts‐ bäume! “-Pippi verdrehte die Augen, um den Tannenbaum auf ihrem Kopf sehen zu können. „Dieser Weihnachtsbaum soll jedenfalls mitmachen und sich amüsieren dürfen, das hab ich mir in den Kopf ge‐ setzt“, sagte sie. (7. DS) - Wenn eine Weile später jemand in Frau Larssons Fenster geschaut hätte, dann hätte er einen merkwürdigen Anblick ge‐ 3.1 Textanalysen 379 geschafft, etwas einzukaufen, bevor sie krank wurde. Kein Wunder, dass die Kinder weinten! Alles war furchtbar traurig, wie es manchmal sein kann. „Das ist der traurigste Heiligabend, den ich jemals erlebt habe“, sagte Pelle. (3. DS) - Genau in dem Augenblick, als er das gesagt hatte, ertönte ein entsetzliches Getrampel im Treppenhaus. „Was ist denn das? “, rief Bosse. „Das klingt aber komisch! “ Es war jedoch kein biss‐ chen komisch. Schließlich ist es nicht komisch, dass es klappert, wenn ein Pferd eine Treppe hinaufsteigen soll! Es war Pippis Pferd, das da angetrampelt kam. Und auf dem Pferd saß Pippi. Und auf Pippi saß ein Tannenbaum. Er saß in ihren Haaren. Er war voller brennender Kerzen und Fähnchen und Bonbons. Es sah aus, als sei er direkt aus ihrem Kopf gewachsen. Vielleicht war er das auch, wer weiß? Herr Nilsson, Pippis kleiner Affe, war auch dabei. Er flitzte vorneweg und öffnete die Tür. (4. DS) - Pelle, Bosse und die kleine Inga sprangen von der Küchenbank und starrten ihn an. „Warum guckt ihr so? “, fragte Pippi. „Habt ihr noch nie einen Tannenbaum gesehen? “ „Doch, aber noch nie …“, stotterte Pelle. „Na also“, sagte Pippi und sprang vom Pferd. „Die Tanne ist einer der Bäume, die es in Schweden am häufigsten gibt. Und jetzt wollen wir tanzen, dass sich die Balken biegen. Aber zuerst …“ (5. DS) - habt. Er hätte gesehen, wie Pelle, Bosse und die kleine Inga umherhüpften und tanzten. Er hätte auch Pippi tanzen ge‐ sehen, Pippi mit dem Tannenbaum im Haar. Pippi stampfte mit ihren großen Schuhen, Pippi sang mit kräftiger und fröhlicher Stimme: „Hier tanze ich mit meinem kleinen Tannenbaum, ich tanze, so lange ich kann! “ (8. DS) - „Noch niemals hat ein Weihnachtsbaum solchen Spaß gehabt wie dieser“, sagte Pippi zufrieden, als sie, Pelle, Bosse und die kleine Inga eine Weile später um den Weihnachtstisch herumsaßen. „Nein, das glaub ich auch nicht“, sagte Pelle und steckte sich eine Feige in den Mund. „Und noch nie haben wir Heiligabend solchen Spaß gehabt“, sagte die kleine Inga und verschluckte ein ganzes Marzi‐ panschwein in einem Rutsch. (9. DS) - Ja, und dann war es Zeit für die Weih‐ nachtsgeschenke! Was für eine Freude, als Pelle seine Pakete öffnete und ein Flugzeug und eine Eisenbahn fand, und Bosse bekam eine Dampfmaschine und ein Auto, das auf dem Fußboden herum‐ fahren konnte, wenn man es aufzog, und Inga eine Puppe und ein kleines Herz aus Gold! Das Licht der Weihnachts‐ baumkerzen schimmerte so sanft auf den fröhlichen Gesichtern der Kinder und allen Weihnachtsgeschenken. Bestimmt war auch der Tannenbaum froh. Er war ja der erste Weihnachtsbaum, der mit‐ tanzen durfte! (10. DS) - Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Mia auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“. Dies geht folgendermaßen vonstatten. E: so, jetzt hab ich die geschichte vorgelesen und jetzt wechseln wir einmal die plätze. und dann liest du vor. M: mh. E: okay? [.] gut. [E und M wechseln die Plätze] [5] 380 3 Auswertung und Ergebnisse E: die geschichte ist es, (genau). [2] Nach einer Pause von zwei Sekunden beginnt Mia sofort mit dem „Vorlesen“ der Geschichte. Ihre Geschichte handelt von Kindern, die an Heiligabend allein, hungrig und traurig in ihrer Wohnung sitzen, da ihre Mutter ins Krankenhaus musste und nicht mehr einkaufen gehen konnte. Diese Kinder werden von Pippi besucht, die ihnen schöne Geschenke und einen Weihnachtsbaum mitbringt und mit ihnen Weihnachten feiert. Mia beginnt ihren Text auf der Titelseite (erste Doppelseite) mit der Überschrift pippi feiert weihnachten. In dieser wird die Hauptperson Pippi erwähnt sowie ihre Tätigkeit, nämlich Weihnachten feiern. Während Mia die Überschrift „vorliest“, fährt sie mit ihrem Zeigefinger entlang der abgedruckten Überschrift im Bilderbuch. Als Nächstes richtet Mia zur zweiten Doppelseite eine Frage an die Leserschaft: kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? Dadurch stellt sie Nähe her. Zur Vorstellung der Protagonistin Pippi wählt Mia den bestimmten Artikel, wodurch der Eindruck entsteht, dass Pippi eine dem Erzähler bekannte Figur ist. Mia verwendet eine hypotaktische Satzkon‐ struktion, indem sie Pippi mit Hilfe eines Relativsatzes näher beschreibt. Bei Winkelbaum scheint es sich um einen Ort zu handeln, an dem Pippi des Öfteren anzutreffen ist - vielleicht um einen Baum, der sich in der Winkelstraße befindet, die Mia auf der gleichen Doppelseite erwähnt. In ihrem nächsten Satz erwähnt Mia eine neue Person: Pelle. Dieser wird im weiteren Verlauf ihrer Geschichte kein weiteres Mal erwähnt. PElle drehte seine augen. er wusste gar nicht, was das SEIN sollte. [2] Mia scheint hier auf den Phraseologismus die Augen verdrehen zurückzugreifen, verwendet ihn allerdings in einer variierten Form (seine Augen drehen). Anschließend folgt eine Begründung für das Augenrollen: er wusste gar nicht, was das sein sollte. Vermutlich bezieht sich das das auf den Winkelbaum. Mia bedient sich einer hypotaktischen Satzkonstruktion, bestehend aus einem Hauptsatz und einem Relativsatz. Anschließend konzentriert sich Mia wieder auf die Person Pippi, über die „alles“ erzählt wird: ähm, sie erzählten alles über pippi. Un‐ klar bleibt, wer „alles“ über Pippi erzählt, da Mia das Personalpronomen sie verwendet. Nach diesem einleitenden Satz wird nun im Detail berichtet, was genau über Pippi erzählt wird. pippi [.], wo sie ein tannenbaum hatte. [.] pippi, dass sie mal mit’m pferd so: schnell geritten ist. [.] 3.1 Textanalysen 381 pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is. und die pippi [.], DIE [.] [zieht Augenbrauen nach oben, öffnet Augen weiter] auf’n SCHORN[? ]stein [kräuselt die Nase während der Silbe ‚SCHORN‘] war. und hier runtergerutscht ist. (2. DS) Mia bedient sich hier einer Aufzählung, wobei jeder der drei elliptischen Sätze mit dem Wort Pippi beginnt. Nach dem Nomen Pippi folgt jeweils mindestens ein Nebensatz. Dieser Aufbau lässt sich mit Hilfe des strukturellen Musters [„Pippi“ + Nebensatz] beschreiben. Mia nutzt das rhetorische Mittel der Anapher. Der vierte elliptische Satz ist ebenfalls nach dem gleichen Muster gebaut, wird allerdings mit der Konjunktion und angeknüpft. Dadurch wird deutlich, dass die Aufzählung nun beendet wird. pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is. Durch diesen Satz wird deutlich, dass es besonders bzw. ungewöhnlich ist, auf ein Dach zu klettern und nicht herunterzufallen. Dies wird auch durch die Bekräftigung gar nicht anstatt nicht unterstrichen. Dadurch wird dem Leser schon etwas von Pippis Charakter verraten. Eine besondere Betonung erfährt auch das Wort Dach. Während Mia das Wort Schornstein ausspricht, kräuselt sie die Nase. Auch wirkt ihre Betonung an dieser Stelle etwas überrascht. Somit vermittelt sie auch hier den Eindruck, dass Pippi durch ungewöhnliche Taten auffällt. Das von Mia verwendete Verb herunterfallen lässt sich der konzeptionellen Schriftlichkeit zuordnen. Auch beim „Vorlesen“ des Textes zu dieser Doppelseite fährt Mia mit dem Zeigefinger auf dem Text entlang. Nach der allgemeinen Vorstellung der Person Pippi, beginnt Mia zur dritten Doppelseite, die eigentliche Geschichte „vorzulesen“. Der erste Teil kann als Einleitung oder als Orientierung (vgl. Labov/ Waletzky 1973, S. 111) bezeichnet werden: in der winkelstraße gibt es von einer frau die kinder, die wein/ weinten an heiligabend. ausgerechnet an HEILIGabend musste ihre mama ins krankenhaus [atmet] . [2] die kinder weinten. ja, die mama von den, die hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft, nochmal EINkaufen zu fahren. es war alles alle. sie hatten so: ein hunger, als bosse das gesagt hat. [blättert um] [2] Mia nennt als Erstes den Ort, an dem das Geschehen stattfindet, nämlich in der winkelstraße. Als Nächstes erwähnt Mia die weiteren Personen der Geschichte (von einer frau die kinder) und beschreibt diese näher (die wein/ weinten). Der Satz endet mit der Zeitangabe (an 382 3 Auswertung und Ergebnisse 154 An dieser Stelle danke ich den Teilnehmenden der Dissertationsrunde für Ihre Beobachtungen und Interpretationen (Datensitzung, Dissertationsrunde 02/ 2020). heiligabend). Diese Formulierung wird zu Beginn des nächsten Satzes kombiniert mit dem Adverb ausgerechnet wieder aufgegriffen, wodurch Mia Kohärenz herstellt. Des Weiteren wird der Zeitpunkt an Heiligabend durch diese Wiederholung von Mia betont. In dem Satz ausgerechnet an HEILIGabend musste ihre mama ins krankenhaus liefert Mia eine Erklärung für das Weinen der Kinder: Ihre Mutter musste ins Krankenhaus. Nach dieser Erklärung erwähnt Mia ein zweites Mal das Weinen der Kinder und betont den negativen Gefühlszustand der Kinder dadurch. Im darauffol‐ genden Satz (ja, die mama von den, die hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft, nochmal EINkaufen zu fahren.) tritt der Erzähler durch den Satzanfang ja erneut hervor, indem er mit dem Leser stärker in Verbindung tritt. Mia bedient sich hier der Wortverbindung einkaufen fahren und eines Satzgefüges mit einem Infinitivsatz. Im folgenden Satz nennt Mia die Folge des fehlenden Einkaufs: es war alles alle . Auch davon wird die Folge im darauffolgenden Satz genannt: sie hatten so: ein hunger, als bosse das gesagt hat. Mia stellt somit eine logische Kette von kausalen Zusammenhängen dar und somit einen kohärenten Textabschnitt. Die Wörter ausgerechnet und rechtzeitig lassen sich der konzeptionellen Schriftlichkeit zuordnen. Zur vierten Doppelseite produziert Mia folgenden Text: als bosse das gesagt hat, ähm war ein komis geräusch bei seiner oma und bei seiner opa. was soll DAS denn sein? [2] die guckten. [.] pippi gingte mit sein pfer: d [.], gingte die treppe hoch mit herr nilsson, pippis affe. [blättert um] [5] Zuerst stellt Mia mit Hilfe einer hypotaktischen Satzkonstruktion eingeleitet mit der Konjunktion als das zeitliche Nebeneinander von Bosses Aussage und dem Ertönen eines merkwürdigen Geräusches her. Bosses Aussage bleibt allerdings unausgesprochen. Hier enthält Mias Textproduktion eine Leerstelle. Die Frage was soll das denn sein? lässt sich als innerer Monolog der Figuren deuten. Mit dem sehr kurzen Satz die guckten beschreibt Mia die Reaktion der Figuren auf das ertönende Geräusch. An dieser Stelle ist allerdings auch eine andere Deutung 154 möglich. Betrachtet man das zugehörige Bild, sieht man einen älteren Herrn und eine ältere Dame im Treppenhaus, die zu Pippi Langstrumpf schauen. Die Frage was soll DAS denn sein? kann auch als Frage der älteren Leute interpretiert werden, da sie keinen Begleitsatz hat. 3.1 Textanalysen 383 Mia scheint das Bild hier an in die Geschichte einzubinden und in Sprache zu fassen. Diesem Satz folgt wiederum eine Erklärung für das Geräusch: Pippi geht mit ihrem Pferd und ihrem Affen die Treppe hoch. Auffällig ist die zweifache Bildung der Präteritumform gingte. Zur fünften Doppelseite entsteht folgender Text: als sie/ [.] und denn ist sie hereingekommen (mit)/ [.] pippi ist denn runtergesprungen und hat den sack runtergeworfen. herr nilsson sitzt auf dem sack und herr nilsson ist genau runtergesprungen. [blättert um] [5] Durch den Gebrauch der Konjunktion denn, die umgangssprachlich anstelle der Konjunktion dann verwendet werden kann (vgl. Merklinger 2012), stellt Mia das zeitliche Nacheinander der Handlungen dar: Nachdem Pippi die Treppe hochgegangen ist, betritt sie die Wohnung, in der sich die Kinder befinden. Im nächsten Satz befindet sich die Konjunktion denn (dann) nicht am Satzan‐ fang. Hier markiert Mia auch ein zeitliches Nacheinander: Nachdem Pippi die Wohnung betreten hat, springt sie herunter und wirft den Sack herunter. Mia er‐ wähnt nicht, wo Pippi herunterspringt, wodurch ihr Text eine weitere Leerstelle aufweist, die mit Hilfe der Bilder des Bilderbuches geschlossen werden kann, da Pippi einmal auf dem Pferderücken sitzt und auf dem darauffolgenden Bild neben dem Pferd steht. Auch verwendet Mia das Nomen Sack in Kombination mit dem bestimmten Artikel, obwohl er an dieser Stelle von Mia zum ersten Mal erwähnt wird. Auf den Bildern war er hingegen schon vorher zu sehen. Auffällig sind Mias konzeptionell schriftliche Formulierung hereingekommen und die konzeptionell mündliche Formulierung runtergeworfen. Zur sechsten Doppelseite produziert Mia folgenden Text: pipa/ pippi bringte aus den sack GANZ viele geschenke raus. le: bkuchen, MANdeln, tz/ rosi: nen und marziPANschweine. und in den geschenken waren auch noch für [.] INga und der bosse und der große ganz [laut] schöne geschenke. [2] isa packte auch eins aus. [blättert um] [3] Der Textabschnitt beginnt mit einem einleitenden Satz, aus dem hervorgeht, dass Pippi Geschenke aus dem mitgebrachten Sack holt. Mia betont die große Menge an Geschenken, in dem sie das das Nomen Geschenke mit den Wörtern ganz und viel verbindet. Sie verwendet die sprachliche Struktur [„ganz“ + „Adjektiv“ + „Nomen“]. Mia gebraucht das Verb bringen in Kombination mit dem Wort (he)raus, was im Deutschen nicht üblich ist. Es wirkt wie eine Kombination 384 3 Auswertung und Ergebnisse der Ausdrücke mitbringen und herausholen - zwei Verben, die Pippis Tätigkeiten sehr treffend beschreiben. Nun folgt das Nennen der einzelnen Geschenke in Form einer Aufzählung von vier Lebensmitteln ohne Artikel, wobei das letzte Nomen mit der Konjunktion und angehängt wird. Die zweite Silbe des Wortes rosi: nen spricht Mia dabei langgezogen aus, wodurch die Attraktivität dieses Lebensmittels für den Zu‐ hörer erhöht wird. Auf dem zugehörigen Bild ist keines der von Mia genannten Lebensmittel zu sehen. Auf der achten Doppelseite ist ein Marzipanschweinchen zu sehen und auf der neunten ein Lebkuchenherz. Nach der Aufzählung der essbaren Geschenke nennt Mia weitere Geschenke, die die Kinder von Pippi erhalten. Durch die Verwendung der Wörter auch noch wird dem Leser der Eindruck vermittelt, dass Pippi den Kindern sehr viel schenkt. Der Satz wird mit der Konjunktion und an den vorangehenden ange‐ hängt und vermittelt eine inhaltliche Zusammengehörigkeit. Mia bezeichnet die Geschenke als ganz schön. Erneut greift sie zur Betonung auf die sprachliche Struktur [„ganz“ + „Adjektiv“ + „Nomen“] zurück. Das Wort ganz erfährt durch Mias laute Aussprache eine zusätzliche Hervorhebung. Mia spricht davon, dass Geschenke in den Geschenken sind. Das erste Wort Geschenk verwendet sie dabei als Synonym des Wortes Päckchen, das zweite als Synonym für das Wort Gabe. Zwei der Kinder nennt Inga namentlich, ein Kind wird als der Große bezeichnet (für [.] INga und der bosse und der große). Auf dem Bild ist einer der Jungen einen halben Kopf größer als der andere Junge und wesentlich größer als das Mädchen. Im Gegensatz zu den beiden Jungen wird erwähnt, dass Ida auch ein Geschenk auspackt. Dieser Satz impliziert, dass andere offensichtlich ebenfalls Geschenke auspacken. Der Text, den Mia zur siebten Doppelseite produziert, lautet: sie tanzten um den weihnachtsbaum wie hin und her, das war gar nicht so: schwer, wie es nur sein konnte [liest gereimten Text singend vor, ab ‚wie hin…‘] . [blättert um] [4] Mia bedient sich eines Reimes, indem sie auf das Wort her da Wort schwer reimt. Bei der Formulierung hin und her handelt es sich um einen Phraseolo‐ gismus (und zwar eine Paarformel (Burger 2015)), der gleichzeitig eine Allitera‐ tion ist. Zusätzlich trägt Mia den gereimten Text singend vor. Der Text zur achten Doppelseite lautet: pippi tanzte mit den weihnachtbaum, so ein weihnachtsbaum hat es noch nie gega/ [.] gegeben, weil [.] so ein schöne tannenbaum gab es noch nie mit GANZ viel süßigkeiten drinne und GANZ schöne kerzen. [.] sie tanzten. [blättert um] [5] 3.1 Textanalysen 385 Inhaltlich beginnt Mia damit „vorzulesen“, dass Pippi mit dem Weihnachts‐ baum tanzt. Nachdem sie die Schönheit des Weihnachtsbaums deutlich gemacht hat, beendet sie die Textpassage damit, dass sie erwähnt, dass sie tanzen, womit vermutlich Pippi und die Kinder gemeint sind, da es sich um eine Pluralform handelt. Mia verwendet in zwei aufeinander folgenden Sätzen das strukturelle Muster [„so ein“ + Nomen]. Der zweite Satz, der mit der Konjunktion weil beginnt, liefert die Begründung dafür, warum es „so einen Weihnachtbaum“, noch nie gegeben hat. Die beiden Sätze weisen noch mehr Ähnlichkeiten in ihrem Aufbau auf. Im ersten Satz ist das Akkusativobjekt ein Weihnachtbaum, im zweiten Satz ist es ein schöner Tannenbaum. Im zweiten Satz verwendet Mia folglich zusätzlich das strukturelle Muster [„schön“ + Nomen], was an sich schon eine Begründung sein kann: Der Tannenbaum ist schön. Der zweite Satz wird von Mia auch ergänzt durch die Formulierung mit GANZ viel süßigkeiten drinne und ganz schöne kerzen. Dies lässt sich als weitere Begründung lesen, weshalb der Tannenbaum so besonders ist. Mia bedient sich hier erneut des strukturellen Musters [„ganz“ + Adjektiv + Nomen] zur Verstärkung der Menge der Süßigkeiten und der Schönheit der Kerzen. Zur neunten Doppelseite „liest“ Mia folgenden Text „vor“: die kleine inga verschluckte ein GANzes marziPAN[.]schweinchen und sie freute sich, dass es so: ein schönes heiligabend gibte. [blättert um] [3] Inga wird in diesem Satz durch die Bezeichnung klein näher beschrieben. Mia beschreibt, dass Inga ein ganzes Marzipanschweinchen verschluckt und sich über den schönen Heiligabend freut. Dass die beiden Hauptsätze mit der Konjunktion und verbunden sind, lässt darauf schließen, dass es sich beim Marzipanschweinchenverschlucken um etwas Positives handelt. Mia verwendet die sprachliche Struktur [„so“ + Artikel + „schön“ + Nomen] zur Beschreibung von Heiligabend aus Idas Perspektive. Dabei betont sie das Wort so. Mia bedient sich einer hypotaktischen Satzkonstruktion bestehend aus zwei Hauptsätzen und einem Nebensatz. Zur zehnten Doppelseite produziert Mia folgenden Textabschnitt: die klein/ [2] bosse packte sein geschenk aus. ein schönes auto [.] mit [.] ein schöne station, (wo)/ wo das auto immer tanken kann [4]. die kleine inga packte ihre puppe aus [? ], das war ne SCHÖne puppe. und ne/ noch ein schönes, goldenes herz aus lebkuchen. [.] und pippi [.] winkte auch noch. [blättert um] [2] 386 3 Auswertung und Ergebnisse Der Text weist eine inhaltliche Überarbeitung auf: Mia bricht nach der Formulierung die klein/ ab, was voraussichtlich Die kleine Ida heißen sollte, da sie diese Formulierung insgesamt zwei weitere Male in ihrer Text‐ produktion verwendet, und beginnt den Satz anschließend mit bosse. Mia erwähnt, dass Bosse sein Geschenk auspackt. Danach nennt sie in einem elliptischen Satz, was der Inhalt des Geschenkes ist: ein schönes Auto [.] mit [.] ein schöne station, (wo)/ wo das auto immer tanken kann [4]. Auffällig ist, dass Mia alle zwei Nomen mit dem Adjektiv schön kombiniert und somit auf die sprachliche Struktur [„schön“ + „Nomen“] zurückgreift. Mia bedient sich zur näheren Beschreibung auch einer Nebensatzkonstruktion: (wo)/ wo das auto immer tanken kann [4]. Die Wahl des Temporaladverbs immer in Kombination mit dem Verb auftanken verstärkt den Eindruck, dass es sich um ein gutes Geschenk handelt, da es eine lange Nutzbarkeit des Geschenkes verspricht. Überdies ist das Wort auftanken positiv konnotiert. Anschließend „liest“ Mia „vor“, dass Inga ihre Puppe auspackt. Im nächsten Satz erfolgt eine Spezifizierung der Puppe: das war eine SCHÖne puppe. Erneut nutzt Mia die sprachliche Struktur [„schön“ + Nomen]. Sie hebt auch durch die Betonung der ersten Silbe des Adjektivs schön die Attraktivität der Puppe bzw. des Geschenkes hervor. Durch die Konjunktion und schließt Mia einen elliptischen Satz an: und ne/ noch ein schönes, goldenes herz aus lebkuchen. Dies betont erneut die große Anzahl der Geschenke, die die Kinder von Pippi erhalten. Auch hier gebraucht Mia das Adjektiv schön. Auf der Doppelseite ist ein braunes Lebkuchenherz abgebildet. Ein kleines, goldenes Herz ist an Ingas Hals in Form einer Kette zu sehen. Auf welches Herz sich Mia bezieht, ist an dieser Stelle unklar. Der letzte Satz von Mias Geschichte lautet: und pippi [.] winkte auch noch. Durch die Formulierung auch noch verstärkt Mia beim Leser wieder den Eindruck, dass Pippi sehr viel für die Kinder tut. Mia versprachlicht nicht explizit, dass Pippi nach der Bescherung die Wohnung der Kinder verlässt, aber das Verb winken lässt darauf schließen, da Winken zum Grüßen sowie zum Abschied eingesetzt wird. Auf dem Bild ist allerdings keine winkende oder gehende Pippi Langstrumpf zu erkennen, sondern eine Pippi Langstrumpf, die es sich auf dem Sofa bequem gemacht hat. Eine winkende Pippi Langstrumpf ist auf der nächsten Seite zu sehen, die keinen Text enthält und von Mia zum Zeitpunkt der Formulierung und pippi [.] winkte auch noch noch nicht aufgeschlagen ist. Die Geschichte, die Mia „vorliest“, ist rund: Sie beginnt mit dem Besuch von Pippi und endet mit ihrem Verschwinden. Das Ende ihrer Geschichte markiert Mia nach dem Blättern auf die elfte Doppelseite zusätzlich mit den Worten zu ende. 3.1 Textanalysen 387 155 An dieser Stelle danke ich den Teilnehmenden der Dissertationsrunde für ihre Beobachtungen und Interpretationen (Datensitzung, Dissertationsrunde 02/ 2020). Die von Mia „vorgelesene“ Geschichte weist zum Großteil inhaltliche Kohärenz auf. Sie enthält eine Leerstelle im Zusammenhang mit dem Erwähnen einer Aussage der Figur Bosse, deren Inhalt jedoch nicht genannt wird (sie hatten so: ein hunger, als bosse das gesagt hat. [blättert um] [2] (3. DS) als bosse das gesagt hat, ähm war ein komis geräusch bei seiner oma und bei seiner opa (4. DS).). Kohä‐ sion wird mit Hilfe von folgenden Kohäsionsmitteln hergestellt. Zum einen weist Mias Text Rekurrenz auf durch die Wiederholung sprachlicher Ausdrücke in aufeinanderfolgenden Sätzen, wie beispielsweise des sprachlichen Musters an Heiligabend (2. DS). Gleiches gilt für die Wiederaufnahme des Namens Pippi in Folgesätzen (z. B. 1. DS und 2. DS, 2. DS) oder für die Wiederaufnahme des Ausdrucks Herr Nilsson (5. DS). Des Weiteren macht Mia Gebrauch von Pro-Formen. Zum einen verwendet sie Personalpronomen, die sich auf das Subjekt des vorangegangenen Satzes beziehen. Oft verwendet Mia Relativpro‐ nomen, die auf ein Nomen im vorangegangenen Satz Bezug nehmen. Zum anderen verwendet sie einmal ein Demonstrativpronomen, das sich auf ein Lexem des vorangegangenen Satzes bezieht (vgl. 4. DS). Zweimal macht Mia zur Herstellung von Kohäsion auch Gebrauch der Konjunktion denn (5. DS, 5. DS), die sie wie das Temporaladverb dann nutzt. Kohäsion wird auch durch die größtenteils durchgängige Verwendung des Präteritums in der Erzählerrede erzeugt (Tempus). Des Weiteren macht Mia Gebrauch von Konnektiven. Sie nutzt als Bindeglieder folgende Konjunktionen: Mehrfach nutzt sie die von Linke et al. (2004) als „Prototyp“ bezeichnete Konjunktion und (vgl. Linke et al. 2004, S. 253), zweimal die Konjunktion dass. Rekurrenz zeigt sich in der Wiederholung der Namen Pippi (vgl. 2. DS) und Herr Nilsson (vgl. 5. DS) in aufeinander folgenden Sätzen. Mias Text weist Inhalte auf, die im Bilderbuch nicht vorhanden sind (neue Inhalte). Es wird analysiert, wie diese Inhalte sprachlich transportiert werden und, falls darüber Aussagen gemacht werden können, welche Funktion diese neuen Inhalte in Mias Text erfüllen. Erstens enthält Mias Text Inhalte, die als Versprachlichung zusätzlicher Informationen aus einem Bild (Funktion 1) bezeichnet werden können. Während im Bilderbuchtext die auf dem Bild der vierten Doppelseite äl‐ teren Personen im Treppenhaus im Bilderbuchtext nicht erwähnt werden, 155 formuliert Mia hingegen in diesem Kontext folgenden Satz: als bosse das gesagt hat, ähm war ein komis geräusch bei seiner 388 3 Auswertung und Ergebnisse oma und bei seiner opa (4. DS). Sie scheint die Zeichnung so zu interpretieren, dass es sich bei den Personen um die Großeltern der Kinder handelt. Es wird deutlich, dass das Bild die Textproduktion von Mia beeinflusst hat. Bei der Formulierung des neuen Inhalts nutzt Mia die konzeptionell schriftliche Zeitform Präteritum. Die Nomen Oma und Opa können eher dem konzeptionell mündlichen Sprachgebrauch zugeordnet werden. Die Wahl des Adjektivs komisch zur Spezifizierung des Nomens Geräusch passt zur weiteren Textgestaltung von Mia: was soll DAS denn sein? (4. DS) Ein merkwürdiges Geräusch kann gut eine solche Frage auslösen. Zusätzlich wird das Demonstrativpronomen das, welches sich auf das erwähnte komische Geräusch bezieht, von Mia sprachlich hervorgehoben. Im Bilderbuch wird im Zusammenhang mit den Geräuschen im Treppenhaus („Genau in dem Augenblick, als er das gesagt hatte, ertönte ein entsetzliches Getrampel im Treppenhaus.“ (Lindgren 2013, 4. DS)) dreimal das Adjektiv komisch verwendet: „‚Was ist denn das? ‘, rief Bosse. ‚Das klingt aber komisch! ‘“ (Ebd., 4. DS) „Es war jedoch kein bisschen komisch. Schließlich ist es nicht komisch, dass es klappert, wenn ein Pferd eine Treppe hinaufsteigen soll! “ (Ebd.) Möglicherweise ist das Adjektiv komisch aus Mias Formulierung eine Übernahme eines Wortes aus dem Bilderbuch, das sie in eine neue syntaktische Struktur einbindet und hier mit einem Nomen kombiniert. Die Formulierung komisches Geräusch kann dabei als Komprimierung des Inhalts des Satzes „‚Das klingt aber komisch! ‘“ (4. DS) aus dem Bilderbuch bezeichnet werden. Bei dem Satz als bosse das gesagt hat handelt es sich um ein sprachliches Muster aus dem Bilderbuch. Also bildet Mia eine hypotaktische Satzkonstruktion, indem sie einen neuen Inhalt (bei seiner oma und bei seiner opa (4. DS)) mit der Variation einer Formulierung aus dem Bilderbuchtext („als er das gesagt hatte“ (Lindgren 2013, 4. DS)) und dem im Bilderbuch enthaltenen Inhalt (etwas klingt komisch) kombiniert. Diesen bringt Mia dabei durch eine andere sprachliche Form zum Ausdruck (war ein komis geräusch). Bei der Formulierung die guckten (4. DS) handelt es sich um einen weiteren Inhalt, der nicht im Bilderbuchtext enthalten ist. Dieser bezieht sich vermutlich auf die zwei älteren Personen im Treppenhaus, die ihren Blick in Richtung der Besucher richten. Um den neuen Inhalt in Sprache zu fassen, verwendet Mia den deiktischen, konzeptionell mündlichen Ausdruck die und eine Präteritumform. Im folgenden Satz wird der Tannenbaum, den Pippi mitbringt, beschrieben: so ein schöne tannenbaum gab es noch nie mit GANZ viel süßigkeiten drinne und GANZ schöne kerzen. (8. DS) Im Text der achten Doppelseite ist jedoch keine Beschreibung des Tannenbaums zu finden. Diese befindet sich bereits auf der vierten Doppelseite: „Er war voller 3.1 Textanalysen 389 brennender Kerzen und Fähnchen und Bonbons.“ (Lindgren 2013, 4. DS) Die Attraktivität des Baumes oder der Kerzen wird nicht explizit hervorgehoben wie in Mias Text. Auf dem Bild der achten Doppelseite ist der Tannenbaum auf dem Kopf der tanzenden Pippi zu sehen: Er ist mit kleinen schwedischen Flaggen, sieben brennenden Kerzen, gelben Bonbons und einem Stern geschmückt. Die Kerzen sind rot und ihre Flammen sind als große, gelbe Punkte dargestellt. Das Bild könnte an dieser Stelle die Produktion der Textpassage zum Tannenbaum beeinflusst haben. Der folgende Textabschnitt beschreibt die Geschenke, die Bosse von Pippi erhält: bosse packte sein geschenk aus. ein schönes auto [.] mit [.] ein schöne station, (wo)/ wo das auto immer tanken kann (10. DS) Im Bilderbuch wird keine Station zum Tanken erwähnt: „[…] Bosse bekam eine Dampfmaschine und ein Auto, das auf dem Fußboden herumfahren konnte, wenn man es aufzog […]“ (Lindgren 2013, 10. DS). Die beiden Beschreibungen der Geschenke haben gemeinsam, dass jeweils „etwas“ erwähnt wird, was das Auto immer wieder zum Fahren antreibt. Auf dem zugehörigen Bild ist Folgendes abgebildet: In einem Geschenkkarton liegt ein Auto, das eine Kurbel zum Aufziehen hat. Vor diesem Karton sitzt ein Junge, der eine Dampfmaschine in den Händen hält. Möglicherweise wurde diese Abbildung von Mia als Tankstelle interpretiert. Darauf deutet auch die Tatsache hin, dass Mia die im Bilderbuch erwähnte Dampfmaschine in ihrem Text nicht erwähnt. An dieser Stelle scheint das Bild Mias Textproduktion beeinflusst zu haben. Zur Darstellung des veränderten Inhalts bedient sich Mia eines Nebensatzes. Der Text der Bilderbuchgeschichte endet mit einer Thematisierung der glückli‐ chen Kinder und der Vermutung, dass auch der Tannenbaum froh ist: „Bestimmt war auch der Tannenbaum froh. Er war ja der erste Weihnachtsbaum, der mittanzen durfte! “ (Lindgren 2013, 10. DS) Pippi Langstrumpf wird am Ende der Geschichte nicht erwähnt. Auf dem Bild der zehnten Doppelseite ist sie abgebildet: Sie räkelt sich lächelnd in einem Sessel. Das Ende der Geschichte selbst ist lediglich auf der nächsten Seite im Bild dargestellt, das eine auf dem Pferd reitende, winkende Pippi neben einem Haus zeigt, aus dem winkende Kinder durch eine Fensterscheibe schauen. Mias Geschichte hingegen endet nach der Beschreibung der Geschenke mit dem folgenden Satz: und pippi [.] winkte auch noch (10. DS). Erneut scheint hier die Textproduktion durch ein Bild angeregt worden zu sein. Sprachlich gestaltet Mia diesen neuen Inhalt erneut, indem sie auf das Präteritum zurückgreift. Zudem wird Mias Text durch diesen sprachlichen Zusatz rund: Der Gast, der die Kinder nach der 390 3 Auswertung und Ergebnisse Einleitung der Geschichte besucht, geht am Ende der Geschichte wieder fort. Mia wählt somit ein typisches Ende einer Geschichte: Eine Figur, die andere besucht hat, geht wieder fort. Zweitens sind in Mias Text im Vergleich zum Bilderbuchtext neue Informa‐ tionen enthalten, um inhaltliche Leerstellen zu füllen (Funktion 2). Die folgende Textpassage, die sich über drei Doppelseiten erstreckt, enthält die sprachliche Darstellung zweier Inhalte, die im Bilderbuchtext nicht vorhanden sind: pippi gingte mit sein pfer: d [.], gingte die treppe hoch mit herr nilsson, pippis affe. [blättert um] [5] (4. DS) und denn ist sie hereingekommen (mit)/ [.] (5. DS) pippi ist denn runtergesprungen und hat den sack runtergeworfen. herr nilsson sitzt auf dem sack und herr nilsson ist genau runtergesprungen. [blättert um] [5] (6. DS) pipa/ pippi bringte aus den sack GANZ viele geschenke raus. (7. DS) Zunächst thematisiert Mia das Betreten der Wohnung durch Pippi Lang‐ strumpf. Dazu bedient sie sich der Formulierung und denn ist sie hereingekommen (mit)/ [.] (5. DS) Im Bilderbuch wird das Betreten der Wohnung durch Pippi Langstrumpf nicht thematisiert. Hier füllt Mia folglich eine Leerstelle im Text des Bilderbuches mit einem neuen Inhalt. Es scheint Mia möglicherweise ein Anliegen zu sein, die Handlung lückenlos und logisch darzustellen. Zur Darstellung des neuen Inhalts verwendet Mia das Perfekt, das dem konzeptionell mündlichen Register zugeordnet werden kann. Ihre Formulierung beinhaltet jedoch auch das Verb hereinkommen mit dem konzeptionell schriftlichen Präfix herein. Dass Pippi vom Pferd springt und einen Sack herunterwirft, wird auch im Bilderbuchtext thematisiert - wenn auch nicht beides an der gleichen Stelle wie in Mias Text: „[…] sagte Pippi und sprang vom Pferd“ (Lindgren 2013, 5. DS). „Sie warf einen Sack auf den Fußboden […]“ (ebd., 6. DS). Zur Formulierung dieser beiden Inhalte behält Mia das Perfekt bei. Der darauffolgende Inhalt ist wiederum kein Bestandteil des Bilderbuchtextes und lautet: herr nilsson sitzt auf dem sack und herr nilsson ist genau runtergesprungen (5. DS). Die einzige Textpassage des Bilderbuchtextes, in der Herr Nilsson Erwähnung findet, befindet sich auf der vierten Doppelseite und lautet: „Herr Nilsson, Pippis kleiner Affe, war auch dabei. Er flitzte vorneweg und öffnete die Tür.“ (Lindgren 2013, 4. DS) Hier ist ein starker Einfluss des Bildes auf die Textproduktion Mias erkennbar: Auf der fünften Doppelseite steht das Pferd im Türrahmen. Auf dem Pferderücken ist ein Sack abgebildet und auf diesem Sack sitzt ein Affe. Mia scheint hier das Bild in ihre Textproduktion einzuarbeiten: Wenn Pippi den Sack herunterwirft, ist es eine logische Konsequenz, dass Herr Nilsson, der auf 3.1 Textanalysen 391 dem Bild noch auf diesem Sack sitzt, herunterspringt. Auch in diesem Fall greift Mia zur Darstellung des neuen Inhalts erneut auf das Perfekt zurück, das dem konzeptionell mündlichen Register zugeordnet werden kann. An dieser Stelle wählt Mia auch im Gegensatz zur vorangegangenen Formulierung den eher konzeptionell mündlichen Ausdruck runtergesprungen. Es folgt eine Darstellung von Inhalten, die in Mias Text im Vergleich zum Bilderbuchtext leicht verändert vorkommen (veränderte Inhalte), je‐ doch mit ähnlichen sprachlichen Mitteln dargestellt werden und für den Text die gleiche Funktion erfüllen. Die Textpassage in Mias Text lautet: kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? [.]pelle drehte seine augen. er wusste gar nicht, was das SEIN sollte. [2] ähm, sie erzählten alles über pippi. pippi [.], wo sie ein tannenbaum hatte. [.] pippi, dass sie mal mit’m pferd so: schnell geritten ist. [.] pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is. und die pippi [.], DIE [.] [zieht Augenbrauen nach oben, öffnet Augen weiter] auf’n SCHORN[? ]stein [kräuselt die Nase während der Silbe ‚SCHORN‘] war. und hier runtergerutscht ist. [fährt mit dem Zeigefinger den Text entlang ab ‚pippi‘] [blättert um] [5] (1. DS). Die äquivalente Textpassage des Bilderbuchtextes lautet: „Hast du schon mal von Pippi Langstrumpf gehört, dem stärksten Mädchen der Welt? Dem Mädchen, das ganz allein mit einem Pferd und einem Affen in der Villa Kunterbunt wohnt? Dem Mädchen, das einen ganzen Koffer voller Goldstücke besitzt? Jetzt erzähl ich dir, was Pippi einmal gemacht hat.“ (Abedi 2011, 1. DS) Die Funktion der Textpassage ist in beiden Texten identisch: Sie dient dazu, eine Nähe zur Leserin oder zum Leser aufzubauen und die Protagonistin der Geschichte in ihrer Besonderheit vorzustellen. Die Form ist in groben Zügen identisch, der Inhalt variiert. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Mia in mehreren Fällen scheinbar durch Bilder des Bilderbuches zur Formulierung neuer oder verän‐ derter Inhalte herausgefordert wird. Funktionen, die neue Inhalte erfüllen, sind beispielsweise das Erzählen einer logischen und lückenlosen Darstellung der Handlung sowie das Herstellen eines typischen Endes für eine Geschichte. Bei der Formulierung neuer und veränderter Inhalte nutzt Mia sowohl Elemente konzeptioneller Mündlichkeit als auch Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit. 392 3 Auswertung und Ergebnisse Im Vergleich zum Bilderbuchtext kommen einige inhaltliche Elemente in Mias Text nicht vor (ausgelassene Inhalte). So enthält ihr Text eine Einleitung, die sich in zwei Sinnabschnitte mit verschiedenen Funktionen einteilen lässt. Im ersten Teil stellt sie die Hauptperson Pippi vor. Der zweite Teil beginnt mit einem sprachlichen Muster zur Textorganisation mit Ortsangabe: in der winkelstraße (2. DS). Hierdurch markiert Mia den Beginn der Geschichte sprachlich. Anschließend stellt sie die Ausgangssituation bzw. die Problemlage dar. Diese Einteilung wird von Mia analog zur Einteilung im Bilderbuchtext vor‐ genommen. Die sprachliche Gestaltung der Abschnitte variiert etwas. Im ersten Abschnitt der Einleitung lässt sich in Mias Text im Vergleich zum Bilderbuchtext ein Mini-Baumuster identifizieren, bei dem in Mias Text sprachliche Strukturen mit anderen Inhalten als im Bilderbuch gefüllt werden, die jedoch die gleiche Funktion erfüllen. Im Bilderbuch wird der zweite Teil der Einleitung, der sich auf die Darstellung der Problemlage bezieht, mit Hilfe von Erzählerrede eingeleitet: „Jetzt erzähl ich dir, was Pippi einmal gemacht hat“ (Lindgren 2013, 2. DS). Der darauffolgende Satz wird mit dem sprachlichen Muster Es war eingeleitet: „Es war an einem Heiligabend“ (ebd., 2. DS). Erst nach einer allgemeinen Darstellung der Situation (Heiligabend, beleuchtete Fenster, fröhliche Kinder) wird erwähnt, dass nicht alle Kinder fröhlich sind und der Blick auf Pelle, Bosse und die kleine Inga gerichtet: „In einem Haus in der Winkelstraße saßen im ersten Stock drei kleine arme Wesen in der Küche und weinten“ (Ebd., 2. DS). Mia lässt somit eine weitere Leseransprache und die Lieferung weiteren Wissens, das für die eigentliche Geschichte von Pelle, Bosse, Inga und Pippi irrelevant ist, in ihrer Geschichte aus und beschränkt sich hier auf die Figuren, von denen die Geschichte handelt. Mias Text enthält eine Reihe von funktional gebrauchten rhetorischen Mitteln. In Mias Textproduktion steht die Schönheit des Ausgangs der Geschichte im starken Kontrast zur traurigen Situation der Kinder am Angang der Geschichte. Der Eindruck von der Traurigkeit der Situation am Anfang und der Eindruck von der Schönheit des Abends für die einst traurigen Kinder am Ende der Geschichte werden von Mia mit Hilfe von sprachlichen Mitteln verstärkt. Auch im Bilderbuch ist ein Kontrast zwischen den beiden Gefühlszuständen der Kinder zu Beginn und am Ende der Geschichte auf einer sprachlichen Ebene erkennbar. Wie im Bilderbuch und in Mias Text diese Verstärkungen durch sprachliche Mittel (u. a. rhetorische Mittel) aussehen, wird im Folgenden gegenübergestellt. In der Bilderbuchgeschichte wird die traurige Ausgangssituation auf der dritten Doppelseite dargestellt, z. B. durch rhetorische Mittel: Dreimal wird hier 3.1 Textanalysen 393 das Verb weinen verwendet. Die Situation wird explizit als furchtbar traurig bezeichnet: „Alles war furchtbar traurig, wie es manchmal sein kann“ (Lindgren 2013, 3. DS). Des Weiteren wird durch zwei elliptische Satzkonstruktionen, die einem Aussagesatz folgen, der Mangel der Kinder aufgezählt: „Und sie hatten auch keinen Tannenbaum! Keine Weihnachtsgeschenke! Nichts Gutes zu essen! “ (Ebd., 3. DS) Mia wiederholt zweimal das Verb weinen und greift hierbei auf das gleiche sprachliche Mittel wie im Bilderbuch zurück. Des Weiteren verwendet sie das sprachliche Muster an Heiligabend in zwei aufeinander folgenden Sätzen und erweitert es beim zweiten Gebrauch durch das Adverb ausge‐ rechnet: in der winkelstraße gibt es von einer frau die kinder, die wein/ weinten an heiligabend. ausgerechnet an HEILIGabend musste ihre mama ins krankenhaus [atmet] . (3. DS) Auch die Alliteration alles alle im Satz es war alles alle (3. DS) verstärkt den Eindruck der negativen Situation, in der die Kinder sich befinden. Das rhetorische Mittel der Alliteration ist im Bilderbuchtext nicht enthalten. Zusätzlich bekräftigt Mia die traurige Situation der Kinder durch ein hörbares Ausatmen. Am Ende des Bilderbuches wird die positive Stimmung ebenfalls durch folgende sprachliche Mittel zum Ausdruck gebracht bzw. verstärkt: Neunmal wird das Verb tanzen (Lindgren 2013, 5. DS, 7. DS, 8. DS, 8. DS, 8. DS, 8. DS) oder eine Variation des Verbs (herumtanzen (ebd., 7. DS), mittanzen (ebd., 7. DS, 10. DS)) verwendet, viermal das sprachliche Muster solchen Spaß haben (ebd., 7. DS, 7. DS, 9. DS, 9. DS) und einmal der Ausdruck sich amüsieren (ebd., 7. DS). In Mias Text wird durch den wiederholten Gebrauch der Wörter ganz, so und schön die Stärke der Schönheit des Abends zum Ausdruck gebracht. Verstärkt wird diese Wirkung noch durch die besondere Intonation der Wörter schön (in SCHÖne puppe), so (in so: ein schöne tannenbaum) und GANZ (in GANZ schöne geschenke). Auch greift Mia mehrfach (dreimal) auf das Verb tanzen zurück. Mia greift somit neben den im Bilderbuch vorkommenden sprachlichen Mitteln zur Verstärkung der beiden Eindrücke auch auf weitere sprachliche Gestaltungsmittel zurück. Mias Textproduktionen weist des Weiteren einige Stellen auf, in denen ein Inhalt durch ein anderes sprachliches Mittel als im Bilderbuchtext ausgedrückt wird. Im Folgenden wird lediglich auf solche Textstellen eingegangen, die nicht in den Ausführungen zum Musterhaften in Mias Textproduktion im Detail behandelt werden. 394 3 Auswertung und Ergebnisse An drei Stellen gibt Mia den Inhalt, der im Buch durch direkte Rede dargestellt wird, als Erzählerrede wieder. Die Information, dass das Geräusch im Treppen‐ haus merkwürdig klingt, ist im Bilderbuchtext in der Figurenrede enthalten: „‚Das klingt aber komisch! ‘“ (Lindgren 2013, 4. DS) Mia nutzt das Adjektiv komisch in Kombination mit dem Nomen Geräusch und bildet ein Satzgefüge als Erzählerrede: als bosse das gesagt hat, ähm war ein komis geräusch bei seiner oma und bei seiner opa (4. DS). Des Weiteren lässt Mia Pippi kein Lied singen wie im Bilderbuchtext, sondern bindet ein Stück eines Liedtextes in die Erzählrede ein. Die Figur äußert sich im Bilderbuchtext sehr positiv zu Heiligabend: „‚Und noch nie haben wir Heiligabend solchen Spaß gehabt‘, sagte die kleine Inga und verschluckte ein ganzes Marzipanschwein in einem Rutsch“ (Lindgren 2013, 9. DS). Mia bindet hingegen eine positive Äußerung zu Heiligabend in die Er‐ zählerrede ein: ‚und noch nie haben wir heiligabend solchen spaß gehabt‘, sagte die kleine inga und verschluckte ein ganzes marzipanschwein in einem rutsch (9. DS). Diese Beobachtungen zeigen, dass Mia teilweise Informationen durch andere sprach‐ liche Mittel ausdrückt, als die, die im Bilderbuchtext an der entsprechenden Stelle enthalten sind. Musterhaftigkeit zeigt sich in Mias Textproduktion in Form von Mini-Baumus‐ tern, sprachlichen und strukturellen Mustern sowie von erzähltypischen und wei‐ teren Mustern der dritten Ebene. Mias Textproduktion weist ein Mini-Baumuster auf, das nur im direkten Vergleich mit dem Text des Bilderbuches identifiziert werden kann. Dieses besteht aus Bausteinen, die sich auf Muster verschiedener Ebenen beziehen. Das Mini-Baumuster dient sowohl im Bilderbuchtext als auch in Mias Textproduktion der Einführung der Figur Pippi Langstrumpf. Mia formuliert folgenden Text: kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? [.] pelle drehte seine augen. er wusste gar nicht, was das SEIN sollte. [2] ähm, sie erzählten alles über pippi. pippi [.], wo sie ein tannenbaum hatte. [.] pippi, dass sie mal mit’m pferd so: schnell geritten ist. [.] pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is. und die pippi [.], DIE [.] auf’n SCHORN[? ]stein war. und hier runtergerutscht ist. 3.1 Textanalysen 395 Auch der Bilderbuchtext beginnt mit der Vorstellung der Figur Pippi Lang‐ strumpf. Sprachlich wird die Figureneinführung folgendermaßen gestaltet: „Hast du schon mal von Pippi Langstrumpf gehört, dem stärksten Mädchen der Welt? Dem Mädchen, das ganz allein mit einem Pferd und einem Affen in der Villa Kunterbunt wohnt? Dem Mädchen, das einen ganzen Koffer voller Goldstücke besitzt? Jetzt erzähl ich dir, was Pippi einmal gemacht hat.“ (Lindgren 2013, 2. DS) Folgende Bausteine liegen beiden Textpassagen zugrunde, die das Mini-Bau‐ muster bilden: Das Mini-Baumuster beginnt mit einem Satz, dem folgendes strukturelle Muster zugrunde liegt: [Anrede des Lesers und Frage, ob ihm Pippi Langstrumpf bekannt ist + Relativsatz]. Hierbei findet eine direkte Ansprache des Lesers statt. Ein weiterer Baustein ist der mehrmalige Gebrauch des struk‐ turellen Musters [Person + Nebensatz, der etwas über die Person aussagt]. Mia orientiert sich beim Formulieren der Figurenvorstellung somit am Aufbau des Bilderbuches und füllt strukturelle Muster mit eigenen, aber ähnlichen Inhalten. Eine detaillierte Beschreibung der von Mia gebildeten strukturellen Muster, die Bestandteil des Mini-Baumusters sind, erfolgt im Zusammenhang mit dem Gebrauch struktureller Muster. Es folgen Beobachtungen zum einmaligen Gebrauch sprachlicher Muster. Zweimal lässt sich der einmalige Gebrauch eines sprachlichen Musters fest‐ stellen, das im Bilderbuch vorkommt. Dies betrifft die Formulierungen in der Winkelstraße und die Augen drehen. Das sprachliche Muster in der Winkelstraße verwendet Mia in folgendem Satz: in der winkelstraße gibt es von einer frau die kinder, die wein/ weinten an heiligabend (3. DS). Dieses Muster ist im Bilderbuchtext im gleichen Kontext enthalten: „In einem Haus in der Winkelstraße saßen im ersten Stock drei kleine arme Wesen in der Küche und weinten“ (Lindgren 2013, 3. DS). Das Muster wird von Mia folg‐ lich in eine neue syntaktische Struktur eingebunden, obwohl durch den Satz ein ähnlicher Inhalt wie im Bilderbuchtext vermittelt wird. Das sprachliche Muster in der Winkelstraße erfüllt in Mias Text sowie im Bilderbuch die Funktion, das Geschehen örtlich einzuordnen. Eine zweite Funktion, die dieses Muster in Mias Text hat, ist die sprachliche Einleitung des zweiten Abschnitts der Einleitung: Die Darstellung der problematischen Ausgangslage. Im Bilderbuch wird die problematische Ausgangslage bereits im vorangegangenen Satz mit folgender Formulierung eingeleitet: „Nein, nicht alle Kinder waren froh“ (Lindgren 2013, 3. DS). Zudem verwendet Mia die Formulierung die Augen drehen, die höchstwahr‐ scheinlich an den Phraseologismus bzw. das verbale Phrasem die Augen 396 3 Auswertung und Ergebnisse 156 Ich danke an diese Stelle den Mitgliedern der Dissertationsrunde für den Hinweis auf ein existierendes Lied. verdrehen angelehnt ist: kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? [.] pelle drehte seine augen. er wusste gar nicht, was das sein sollte. [2] (1. DS) In diesem Zusammenhang scheint das Augen drehen im Zusammenhang mit Unverständnis zu stehen. Eventuell lässt sich der Gebrauch dieser Formulierung als Verwenden eines sprachlichen Musters des Bilderbuches in einem neuen Kontext beschreiben: „Pippi verdrehte die Augen, um den Tannenbaum auf ihrem Kopf sehen zu können“ (Lindgren 2013, 7. DS). In diesem Kontext wird der Phraseologismus die Augen verdrehen jedoch nicht in seiner übertragenen, sondern in seiner wörtlichen Bedeutung verwendet sein. Mia macht des Weiteren einmalig Gebrauch von einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt. Sie verwendet die Überschrift pippi feiert weihnachten (1. DS). Im Vergleich zur Überschrift des Bilderbuch‐ textes („Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten“ (Lindgren 2013, 1. DS)) lässt sich diese Formulierung als Variation eines sprachlichen Musters im gleichen Kontext, Typ „Weglassen“, bezeichnen. Mia vermittelt mit ihrer Formulierung den gleichen Inhalt, lässt jedoch den Nachnamen der Protagonistin weg. Mia verwendet das sprachliche Muster hin und her, das nicht im Bilderbuch vorkommt: sie tanzten um den weihnachtsbaum wie hin und her, das war gar nicht so: schwer, wie es nur sein konnte [liest gereimten Text singend vor, ab ‚wie hin…‘] . (7. DS) Dieses Muster lässt sich gleichzeitig als Paarformel und Alliteration bezeichnen und wird im Text der Bilderbuchgeschichte nicht verwendet. Im Bilderbuchtext singt Pippi Langstrumpf im gleichen Kontext auch ein Lied mit einem ähnlichen Inhalt (tanzen), das die Paarformel jedoch nicht enthält: „Pippi stampfte mit ihren großen Schuhen, Pippi sang mit kräftiger und fröhlicher Stimme: ‚Hier tanze ich mit meinem kleinen Tannenbaum, ich tanze, so lange ich kann! ‘“ (Lindgren 2013, 8. DS) Zudem ist der einmalige Gebrauch eines sprachlichen Musters erkennbar, das sowohl als Variation einer im Bilderbuch enthaltenen Formulierung als auch als Variation einer Formulierung aus einem dritten Text beschreibbar ist. Das bereits erwähnte sprachliche Muster hin und her kann auch als Bestandteil eines größeren sprachlichen Musters identifiziert werden. 156 Das Muster hin und her, das war gar nicht so: schwer (7. DS) enthält einen Reim (her - schwer). Es weist Ähnlichkeiten zu der Formulierung „einmal hin, 3.1 Textanalysen 397 157 https: / / www.lieder-archiv.de/ bruederchen_komm_tanz_mit_mir-notenblatt_100037.h tml [Zugriff am 13.08.2020] einmal her, rundherum, das ist nicht schwer 157 “ des Kinderliedes Brüderchen, komm, tanz mit mir auf, die in jeder der fünf Strophen des Kinderlieds enthalten ist. Der Reim her - schwer und die Wörter hin und her sind auch in diesem Lied vorhanden. Zusätzlich behandeln sowohl das von Mia formulierte Lied als auch das Lied Brüderchen, komm, tanz mit mir das gleiche Thema: Tanzen. Bei der Betrachtung des ganzen Liedes, das Mia formuliert, kann ein weiteres sprachliches Muster (schwer, wie es nur sein konnte), das im Bilderbuchtext in einem anderen Kontext verwendet wird, identifiziert werden. In der Geschichte wird folgende Formulierung verwendet: „Alles war furchtbar traurig, wie es manchmal sein kann“ (Lindgren 2013, 3. DS). Mias Muster lässt sich somit als Variation der Formulierung „traurig, wie es manchmal sein kann“ (ebd.) bezeichnen. Vermutlich passt sie es an den neuen Kontext an, indem sie das Adjektiv traurig durch das Adjektiv schwer ersetzt und die Partikel nur durch das Adverb manchmal. Folglich lässt sich Mias Formulierung in Anlehnung an Janichs Terminologie, die sich auf Phraseologismen bezieht, als Kombination zweier sprachlicher Muster bezeichnen, die beide zusätzlich in einer variierten Form von Mia genutzt werden. Hinsichtlich des mehrmaligen Gebrauchs eines sprachlichen Musters weist Mias Text sowohl den Fall auf, dass das Muster nicht im Bilderbuch vorkommt - dies gilt für die Formulierung gar nicht - als auch den Fall, dass das Muster im Bilderbuch vorkommt. Dies gilt für das Muster an Heiligabend. Dreimal verwendet Mia das sprachliche Muster gar nicht. kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? [.]pelle drehte seine augen. er wusste gar nicht, was das SEIN sollte. (2. DS) Dieser Inhalt ist kein Bestandteil der Geschichte Pippi Langstrumpf feiert Weihnachten. Mit der Formulierung gar verstärkt Mia den Eindruck von Pelles Ahnungslosigkeit. Auch der folgende Inhalt ist kein Bestandteil der eingangs vorgelesenen Geschichte: pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is (2. DS). Die For‐ mulierung erfüllt die Funktion, die Besonderheit des Nichtherunterfallens zu verdeutlichen. Ein drittes Mal greift Mia auf dieses Muster in folgendem Kontext zurück: sie tanzten um den weihnachtsbaum wie hin und her, das war gar nicht so: schwer, wie es nur sein konnte (7. DS). Wie bereits erwähnt, wird im Lied lediglich die Formulierung das ist nicht schwer  158 genutzt. 398 3 Auswertung und Ergebnisse 158 https: / / www.lieder-archiv.de/ bruederchen_komm_tanz_mit_mir-notenblatt_100037.h tml [Zugriff am 13.08.2020] Zweimal nutzt Mia das sprachliche Muster an Heiligabend und macht somit mehrmaligen Gebrauch eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vor‐ kommt. Sie formuliert: in der winkelstraße gibt es von einer frau die kinder, die wein/ weinten an heiligabend. ausgerechnet an heiligabend musste ihre mama ins krankenhaus. (3. DS) Im Bilderbuch wird die Formulierung lediglich einmal im gleichen Kontext verwendet: „Sie weinten, weil ihre Mama ins Krankenhaus gekommen war. Ausgerechnet an Heiligabend, das stelle man sich einmal vor! “ (3. DS) Mia bindet die Formulierung zweimal in eine neue syntaktische Struktur ein - und zwar in einen kompletten Satz, während dies im Bilderbuch nicht der Fall ist. Nachfolgend wird der Blick auf den einmaligen Gebrauch struktureller Muster gelegt. Dabei lässt sich der einmalige Gebrauch eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, viermal beobachten - und zwar hinsichtlich der Muster [„Ja/ Nein“+ Hauptsatz], [Anrede des Lesers und Frage, ob ihm Pippi Langstrumpf bekannt ist + Relativsatz], [Satz 1 (enthält sprachliches Muster 1) + Satz 2 (enthält sprachliches Muster 1)] und [„so“ + Adjektiv + Verb]. Das strukturelle Muster [„Ja/ Nein“+ Hauptsatz] gebraucht Mia in dem fol‐ genden Satz: ja, die mama von den, die hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft, nochmal EINkaufen zu fahren (3. DS). In der Bilderbuchgeschichte wird es in zwei anderen Kontexten verwendet: „Ja, und dann war es Zeit für die Weihnachtsgeschenke! “ (Lindgren 2013, 10. DS) „Alle Kinder waren sehr froh. Nein, nicht alle Kinder waren froh.“ (Ebd., 3. DS) Hier liegt die Vermutung nahe, dass es sich um eine Übernahme eines strukturellen Musters in einem neuen Kontext handelt, das von Mia mit neuen Inhalten gefüllt wird. Das strukturelle Muster [Anrede des Lesers und Frage, ob ihm Pippi Lang‐ strumpf bekannt ist + Relativsatz] liegt dem folgenden Satz Mias zugrunde: kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? (2. DS) Dieses Muster ist in der Bilderbuchgeschichte im gleichen Kontext vorhanden und ist dort mit anderen, aber ähnlichen Inhalten gefüllt: „Hast du schon mal von Pippi Langstrumpf gehört, dem stärksten Mädchen der Welt? “ (2. DS) Das bereits genannte zweimal verwendete sprachliche Muster an Heiligabend lässt sich auch als Bestandteil eines strukturellen Musters verstehen, bei dem 3.1 Textanalysen 399 ein sprachliches Muster in zwei aufeinander folgenden Sätzen wiederholt wird: in der winkelstraße gibt es von einer frau die kinder, die wein/ weinten an heiligabend. ausgerechnet an HEILIGabend musste ihre mama ins krankenhaus [atmet] . (3. DS) Das Muster kann mit der folgenden Formel beschrieben werden: [Satz 1 (enthält sprachliches Muster 1) + Satz 2 (enthält sprachliches Muster 1)]. Dieses strukturelle Muster ist im Bilderbuch in einem anderen Kontext zu finden. Hier lautet das sich wiederholende sprachliche Muster alle Kinder: „Alle Kinder waren sehr froh. Nein, nicht alle Kinder waren froh.“ (Lindgren 2013, 3. DS) Das Muster [Satz 1 (enthält sprachliches Muster 1) + Satz 2 (enthält sprachliches Muster 1)] liegt des Weiteren den im Bilderbuchtext enthaltenen Anaphern zugrunde: Der Wiederholung des sprachlichen Musters „und auf “ (Lindgren 2013, 4. DS) und die Wiederholung des sprachlichen Musters „Er hätte“ (ebd., 8. DS). Ob eines dieser Muster Mias Bildung des Musters beeinflusst hat, ist unklar. Jedoch weist Mias Textproduktion an der genannten Stelle einen ähnlichen Stil auf wie der Bilderbuchtext. An einer Stelle verwendet Mia das strukturelle Muster [„so“ + Adjektiv + Verb]: pippi, dass sie mal mit’m pferd so: schnell geritten ist. (2. DS) Sie benutzt hier das Modaladverb so, um auszudrücken, dass Pippi Langstrumpf sehr schnell geritten ist. Zusätzlich verstärkt Mia diese Aussage noch mit der besonderen Intonation des Wortes so: , indem sie den Vokal „o“ dehnt. Im Bilderbuch lässt sich das Muster in zwei anderen Kontexten finden: „‚Hier tanze ich mit meinem kleinen Tannenbaum, ich tanze, so lange ich kann! ‘“ (Lindgren 2013, 8. DS) „Das Licht der Weihnachtsbaumkerzen schimmerte so sanft auf den fröhlichen Gesichtern der Kinder“ (ebd., 10. DS). An weiteren Stellen wird das Modaladverb so in der Bilderbuchgeschichte nicht verwendet. Einmaliger Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters, das im Bilder‐ buch vorkommt, ist ebenfalls in Mias Textproduktion zu finden. Dies trifft auf den Gebrauch der Muster [„Denn“ + Verb] und [„so“ + Adjektiv] zu. Mia greift einmal auf das strukturelle Muster [„Denn“ + Verb] zurück. Dieses Muster dient der zeitlichen Strukturierung. Es wird von Mia in folgendem Satz verwendet: und denn ist sie hereingekommen (mit)/ [.] (5. DS). Im Bilderbuch wird das Betreten der Wohnung durch Pippi Langstrumpf nicht thematisiert. Das inhaltsgleiche strukturelle Muster [„dann“ + Verb] wird im Bilderbuch in zwei anderen Kontexten genutzt: „Ja, und dann war es Zeit für die Weihnachtsgeschenke! “ (Lindgren 2013, 10. DS) „Wenn eine Weile später jemand in Frau Larssons Fenster geschaut hätte, dann hätte er einen merkwür‐ digen Anblick gehabt“ (ebd., 8. DS). Dass es sich jedoch um eine Übernahme 400 3 Auswertung und Ergebnisse einer Variation dieses Musters handelt, erscheint unwahrscheinlich, da es sich beim strukturellen Muster [„dann“ + Verb] erstens sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Sprachgebrauch um ein weit verbreitetes Muster handelt. Zweitens handelt es sich beim Wort denn in diesem Zusammenhang um eine umgangssprachliche Form (vgl. Merklinger 2012, S.-66). Das strukturelle Muster [„so“ + Adjektiv] nutzt Mia im folgenden Kontext: sie tanzten um den weihnachtsbaum wie hin und her, das war gar nicht so: schwer (7. DS). Im Bilderbuch wird - wie bereits erläutert - im gleichen Kontext ein anderes Lied gesungen. In diesem Kontext ist das Muster nicht enthalten: „‚Hier tanze ich mit meinem kleinen Tannenbaum, ich tanze, so lange ich kann! ‘“ (Lindgren 2013, 8. DS) vermittelt. Das von Mia verwendete strukturelle Muster [„so“ + Adjektiv] lässt sich zwar als Variation des im Bilderbuch in diesem Kontext gebrauchten strukturellen Musters [Verb + „so“ + Adverb] bezeichnen. Jedoch liegt die Vermutung nahe, dass es sich hier lediglich um die Übernahme aus einem Lied handelt. Auch mehrfacher Gebrauch eines strukturellen Musters ist in Mias Text zu finden. Das Muster [bestimmter Artikel + Name], das Bestandteil der folgenden zwei Sätze ist, kommt im Bilderbuch nicht vor: kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? (2. DS) und die pippi [.], DIE [.]auf’n SCHORN[? ]stein war. und hier runtergerutscht ist. (2. DS) Diese beiden Sätze sind Bestandteil eines Mini-Baumusters und dienen der Leseransprache und der Figurenvorstellung. Im Bilderbuch wird weder in diesem Kontext noch in anderen Kontexten auf dieses Muster zurückgegriffen. Mia nutzt es funktional, da sie dadurch der Zuhörerin oder dem Zuhörer vermittelt, dass es sich um eine ganz bestimmte Pippi handelt - eine ganz bestimmte Pippi, die „unglaubliche Aktionen“ (Dehn 2009, S. 160) durchführt und nun der Zuhörerschaft vorgestellt wird. Im restlichen Text be‐ nutzt Mia den Namen der Figur stets ohne den bestimmten Artikel. Im Gebrauch zeigt sich somit ein implizites Wissen Mias, die dieses Muster ausschließlich in der Figurenvorstellung einsetzt und damit bei der Zuhörerschaft eine Wirkung erzielt. Der mehrmalige Gebrauch eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vor‐ kommt, lässt sich in der Textproduktion zweimal identifizieren. Dies gilt für die Muster [„Und“ + Satz] und [Person + Nebensatz, der etwas über sie aussagt]. Das strukturelle Muster [„Und“ + Satz] nutzt Mia viermal in ihrer Textproduktion. In zwei Fällen nutzt Mia diese Satzkonstruktion im gleichen Kontext wie im Bilderbuch: pipa/ pippi bringte aus den sack GANZ viele geschenke raus. le: bkuchen, MANdeln, tz/ rosi: nen und 3.1 Textanalysen 401 marziPANschweine. und in den geschenken waren auch noch für [.] INga und der bosse und der große ganz [laut] schöne geschenke. (6. DS) Der Bilderbuchtext lautet: „In den Beuteln waren Apfelsinen und Äpfel, Feigen, Nüsse, Rosinen, Bonbons und Marzipanschweine. Und in den Paketen waren Weihnachtsgeschenke für Pelle, Bosse und die kleine Inga.“ (Lindgren 2013, 6. DS) Dabei bezieht sich der durch das Muster eingeleitete Satz direkt auf den Inhalt des vorangegangenen Satzes. die kleine inga verschluckte ein GANzes marziPAN[.]schweinchen und sie freute sich, dass es so: ein schönes heiligabend gibte. (9. DS) Im Bilderbuch wird der Inhalt, dass Inga sich über das schöne Weihnachtsfest freut, der durch das strukturelle Muster [„Und“ + Satz] wiedergegeben wird, in diesem Kontext auch mit Hilfe dieses Musters, aber mit anderen Worten vermittelt: „‚Nein, das glaube ich auch nicht‘, sagte Pelle und steckte sich eine Feige in den Mund. ‚Und noch nie haben wir Heiligabend solchen Spaß gehabt', sagte die kleine Inga und verschluckte ein ganzes Marzipanschwein in einem Rutsch.“ (Lindgren 2013, 9. DS) Der Gebrauch des Musters unterscheidet sich jedoch darin, dass das Muster im Bilderbuch innerhalb der direkten Rede gebraucht wird, was in Mias Textproduktion nicht der Fall ist. Des Weiteren werden in Mias Text zwei aufeinander folgende Handlungen von Mia mit Hilfe des Musters verbunden. In den ersten zwei beschriebenen Fällen könnte es sich um Übernahmen des Musters im gleichen Kontext handeln. Der durch die folgenden Sätze zum Ausdruck gebrachte Inhalt wird in der Bilderbuchgeschichte nicht in Sprache gefasst: herr nilsson sitzt auf dem sack und herr nilsson ist genau runtergesprungen. (5. DS) Hier werden zwei nacheinander folgende Handlungen mit Hilfe des Musters miteinander verbunden, die von zwei verschiedenen Personen durch‐ geführt werden. die kleine inga packte ihre puppe aus [? ], das war ne SCHÖne puppe. und ne/ noch ein schönes, goldenes herz aus lebkuchen. [.] und pippi [.] winkte auch noch. (10. DS) Auch in diesem Beispiel werden zwei nacheinander folgende Handlungen mit Hilfe des Musters miteinander verbunden, die von zwei verschiedenen Personen durchgeführt werden. In der Bilderbuchgeschichte wird das Muster [„Und“ + Satz] noch sechs weitere Male in anderen Kontexten genutzt: „In allen Fenstern der kleinen Stadt leuchteten die Weihnachtslichter, und an den Weihnachtsbäumen brannten die Kerzen“ (Lindgren 2013, 2. DS). „Und sie hatten auch keinen Tannenbaum! “ (Ebd., 3. DS) „Und auf dem Pferd saß Pippi. Und auf Pippi saß ein Tannenbaum“ (ebd., 4. DS). „Und jetzt wollen wir tanzen, dass sich die Balken biegen“ (ebd., 402 3 Auswertung und Ergebnisse 5. DS). „Ja, und dann war es Zeit für die Weihnachtsgeschenke! “ (Ebd., 10. DS) „und Bosse bekam eine Dampfmaschine“ (ebd., 10. DS). In den letzteren zwei Fällen, in denen Mia das Muster zur Darstellung eines neuen Inhalts nutzt, ist es eher unwahrscheinlich, dass es sich um Übernahmen des Musters im neuen Kontext handelt, da es sich bei dem Muster [„Und“ + Satz] im mündlichen Sprachgebrauch um ein weit verbreitetes sprachliches Element handelt. Vier nacheinander folgende Sätze bildet Mia nach dem strukturellen Muster [„Pippi“ + Nebensatz, der etwas über sie aussagt]: pippi [.], wo sie ein tannenbaum hatte. [.] pippi, dass sie mal mit’m pferd so: schnell geritten ist. [.] pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is. und die pippi [.], DIE [.] auf’n SCHORN[? ]stein war. und hier runtergerutscht ist. (2. DS) Die Formulierungen lassen sich auch mit dem verallgemeinerten Muster beschreiben: [Person + Nebensatz, der etwas über die Person aussagt]. In der Bilderbuchgeschichte wird dieses Muster im gleichen Kontext für zwei nacheinander folgende Sätzen verwendet, allerdings sind die Leerstellen mit anderen Inhalten gefüllt: „Dem Mädchen, das ganz allein mit einem Pferd und einem Affen in der Villa Kunterbunt wohnt? Dem Mädchen, das einen ganzen Koffer voller Goldstücke besitzt? “ (2. DS) Die Formulierungen lassen sich auch mit Hilfe des folgenden Musters beschreiben: [„Dem Mädchen“ + Relativsatz]. Mia nutzt somit ein Muster aus dem Bilderbuchtext im gleichen Kontext, verwendet es viermal anstatt zweimal und füllt dabei die Leerstellen mit neuen Inhalten. Die Inhalte, mit denen Mia die Leerstellen füllt, stammen vermutlich aus anderen ihr bekannten Geschichten über Pippi Langstrumpf. Der Inhalt des Satzes pippi [.], wo sie ein tannenbaum hatte. (2. DS) könnte beispielsweise auf die Geschichte „Pippi plündert den Weihnachtsbaum“ (Lingdren 2013, S. 229ff.) aus demselben Bilderbuch stammen, in der Pippi Langstrumpf die anderen Kinder einlädt, den Weihnachtsbaum zu plündern, der in Pippis Garten steht. Während im Bilderbuch das Muster mit Inhalten gefüllt ist, die die Besonderheiten der Figur beschreiben und zwar in Bezug auf ihre ungewöhnliche Wohnsituation und ihren Besitz, werden von Mia die Muster mit vergangenen Aktivitäten Pippi Langstrumpfs gefüllt. Die meisten dieser Aktivitäten zeichnen ein Bild von Pippi als ungewöhnliche Figur, genau wie im Bilderbuch. Mehrfacher Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters, das im Bil‐ derbuch vorkommt, ist ebenfalls in der Textproduktion identifizierbar. Die folgenden Muster, die als Variation eines strukturellen Musters des Bilderbuch‐ 3.1 Textanalysen 403 textes beschrieben werden können, beinhalten eines der Wörter schön, ganz, viel oder so (vgl. Tabelle 22 im digitalen Anhang). Im Bilderbuchtext ist das Adjektiv schön nicht enthalten. Zweimal wird im Bilderbuchtext das strukturelle Muster [Artikel + „ganz“ + Nomen] gebraucht: „Dem Mädchen, das einen ganzen Koffer voller Goldstücke besitzt? “ (Lindgren 2013, 2. DS) „[…] und verschluckte ein ganzes Marzipanschwein in einem Rutsch.“ (Ebd., 9. DS) Einmal enthält der Bilderbuchtext eine Formulierung, der das strukturelle Muster [„ganz“ + Adverb + Verb] zugrunde liegt: „Dem Mädchen, das ganz allein mit einem Pferd und einem Affen in der Villa Kunterbunt wohnt? “ (Lindgren 2013, 2. DS). Im Bilderbuchtext ist das Adverb so, wie bereits erwähnt, lediglich in den folgenden Kontexten vorhanden: „‚Hier tanze ich mit meinem kleinen Tannenbaum, ich tanze, so lange ich kann! ‘“ (Lindgren 2013, 8. DS) „Das Licht der Weihnachtsbaumkerzen schimmerte so sanft auf den fröhlichen Gesichtern der Kinder“ (ebd., 10. DS). Diesen beiden Formulierungen liegt das strukturelle Muster [„so“ + Adverb + Verb] zugrunde. Das Wort viel ist im Bilderbuchtext zweimal vorhanden: „Sie warf einen Sack auf den Fußboden, und aus dem Sack holte sie viele Pakete und viele Beutel hervor.“ (Lindgren 2013, 6. DS) Diesen Formulierungen wiederum liegt das strukturelle Muster [„viel“ + Nomen] zugrunde. Das Muster [„so“ + Artikel + Nomen] nutzt Mia zur Bildung zweier Formu‐ lierungen: ja, die mama von den, die hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft, nochmal EINkaufen zu fahren. es war alles alle. sie hatten so: ein hunger, als bosse das gesagt hat. (3. DS) Die Bilderbuchpassage, die einen ähnlichen Inhalt ausdrückt, lautet: „Und sie hatten auch keinen Tannenbaum! Keine Weihnachtsgeschenke! Nichts Gutes zu essen! Denn ihre Mama hatte es nicht geschafft, etwas einzukaufen, bevor sie krank wurde. Kein Wunder, dass die Kinder weinten! Alles war furchtbar traurig, wie es manchmal sein kann.“ (Lindgren 2013, 3. DS) An dieser Gegenüberstellung wird deutlich, dass der Inhalt, dass die Kinder hungrig waren, im Bilderbuch gar nicht vorhanden ist. Mia nutzt also das Muster [„so“ + Artikel + Nomen], das im Bilderbuch nur in Variation vorhanden ist, um die Intensität des Hungers der Kinder auszudrücken und somit auch das Ausmaß ihres Leidens. Erneut betont sie zusätzlich das Adverb so: durch eine Dehnung des Vokals „o“. Die zweite Formulierung, der das Muster [„so“ + Artikel + Nomen] zugrunde liegt, befindet sich in folgender Textpassage: pippi tanzte mit den weihnachtbaum, so ein weihnachtsbaum hat es noch nie gega/ [.] gegeben (8. DS). Mit dieser Formulierung stellt Mia folglich die Besonderheit des Tan‐ nenbaums heraus. Im Bilderbuch wird lediglich eine ähnliche Aussage über 404 3 Auswertung und Ergebnisse den Weihnachtsbaum in einem anderen Kontext gemacht: „‚Noch niemals hat ein Weihnachtsbaum solchen Spaß gehabt wie dieser‘, sagte Pippi zufrieden“ (Lindgren 2013, 9. DS). Mia nutzt erneut das strukturelle Muster, um einen im Bilderbuch nicht vorhandenen Inhalt zu versprachlichen. Zweimal macht Mia Gebrauch vom strukturellen Muster [„so“ + Artikel + „schön“ + Nomen]. pippi tanzte mit den weihnachtbaum, so ein weihnachtsbaum hat es noch nie gega/ [.] gegeben, weil [.] so ein schöne tannenbaum gab es noch nie mit GANZ viel süßigkeiten drinne und GANZ schöne kerzen. (8. DS) Mia hebt durch den Gebrauch des Adverbs so die besondere Schönheit des Tannenbaums hervor. Im Bilderbuch ist die Aussage, dass es noch nie so einen schönen Tannenbaum gab, nicht enthalten, lediglich, dass dieser - wie bereits erwähnt - Spaß hatte. Auch in folgendem Satz ist eine For‐ mulierung enthalten, die nach dem Muster [„so“ + Artikel + „schön“ + Nomen] gebildet ist: die kleine inga verschluckte ein GANzes marziPAN[.]schweinchen und sie freute sich, dass es so: ein schönes heiligabend gibte. (9. DS) Im Bilderbuchtext heißt es im gleichen Kontext: „‚Und noch nie haben wir Heiligabend solchen Spaß gehabt', sagte die kleine Inga und verschluckte ein ganzes Marzipan‐ schwein in einem Rutsch.“ (Lindgren 2013, 9. DS) Somit vermittelt Mia hier einen ähnlichen, aber anderen Inhalt. Während im Bilderbuchtext die Freude, die die Kinder an Heiligabend hatten, thematisiert wird, drückt Mia in ihrem Text explizit aus, dass dieser Heiligabend sehr schön war. Im Bilderbuchtext sind - wie zu Beginn des Kapitels erwähnt - in zwei anderen Kontexten zwei Formulierungen enthalten, denen das strukturelle Muster [„so“ + Adverb + Verb] zugrunde liegt. Ob Mia das Muster [„so“ + Artikel + „schön“ + Nomen] als Variation dieses im Bilderbuch enthaltenen Musters in neuen Kontexten nutzt, ist unklar. Viermal bildet Mia Formulierungen, denen das strukturelle Muster [unbe‐ stimmter Artikel + „schön“ + Nomen] zugrunde liegt. In dem folgenden Satzge‐ füge liegt dieses Muster gleich zwei Formulierungen zugrunde: [2] bosse packte sein geschenk aus. ein schönes auto [.] mit [.] ein schöne station, (wo)/ wo das auto immer tanken kann [4]. (10. DS) Während Mia explizit beide Geschenke mit dem Adjektiv schön näher beschreibt, wird dies im Bilderbuchtext nicht getan: „Was für eine Freude, als Pelle seine Pakete öffnete und ein Flugzeug und eine Eisenbahn fand, und Bosse bekam eine Dampfmaschine und ein Auto, das auf dem Fußboden 3.1 Textanalysen 405 herumfahren konnte, wenn man es aufzog […]“ (Lindgren 2013, 10. DS). Im dar‐ auffolgenden Satz erwähnt Mia Ingas Geschenk, eine Puppe. Diese bezeichnet Mia anschließend explizit als schön. Und auch Ingas zweites Geschenk, ein Herz, wird mit dem Adjektiv schön näher beschrieben: die kleine inga packte ihre puppe aus [? ], das war ne SCHÖne puppe. und ne/ noch ein schönes, goldenes herz aus lebkuchen. [.] (10. DS) In der äquivalenten Passage des Bilderbuchtextes werden Ingas Geschenke nicht näher beschrieben: „und Inga eine Puppe und ein kleines Herz aus Gold! “ (Lindgren 2013, 10. DS) Auch im gesamten Bilderbuchtext ist das Muster [Artikel + „schön“ + Nomen] nicht zu finden. Die Funktion, die dieses Muster in den zitierten Passagen aus Mias Text erfüllt, ist das Hervorheben der Attraktivität der Geschenke, die Pippi den Kindern mitbringt. Mia macht für die Zuhörerin oder den Zuhörer durch den Gebrauch dieses Musters deutlich, wie großartig der einst so traurige Abend durch den Besuch von Pippi Langstrumpf für die Kinder wird (Leserorientierung). Verallgemeinert lässt sich das von Mia genutzte Muster auch als Muster der Form [unbestimmter Artikel + Adjektiv + Nomen] bezeichnen. Dieses ist im Bilderbuch an mehreren Stellen enthalten. Ob das Vorhandensein von nach diesem Muster gebildeten Formulierungen im Text des Bilderbuches einen Einfluss auf Mias Textproduktion hatte, ist unklar, da es sich bei diesem Muster sowohl im mündlichen als auch im schriftlichen Sprachgebrauch um eine weit verbreitete sprachliche Struktur handelt. Zweimal macht Mia Gebrauch vom strukturellen Muster [„ganz“ + „schön“ + Nomen]. Dieses Muster lässt sich als Variation des von ihr viermal ge‐ brauchten strukturellen Musters [Artikel + „schön“ + Nomen] bezeichnen. Im folgenden Satz werden die Geschenke, die Pippi den Kindern mitbringt, als ganz schön bezeichnet: und in den geschenken waren auch noch für [.] INga und der bosse und der große ganz [laut] schöne geschenke. (6. DS) Die Hervorhebung der Schönheit der Geschenke wird auch stimmlich durch die laute Aussprache des Wortes ganz unterstrichen. Im Bilderbuch findet im gleichen Kontext keine Bewertung der Geschenke statt: „Und in den Paketen waren Weihnachtsgeschenke für Pelle, Bosse und die kleine Inga.“ (Lindgren 2013, 6. DS) pippi tanzte mit den weihnachtbaum, so ein weihnachtsbaum hat es noch nie gega/ [.] gegeben, weil [.] so ein schöne tannenbaum gab es noch nie mit GANZ viel süßigkeiten drinne und GANZ schöne kerzen. (8. DS) Im Bilderbuchtext werden die Kerzen des Tannenbaums in zwei anderen Kontexten erwähnt, aber nicht bewertet: „Er war voller brennender Kerzen und Fähnchen und Bonbons.“ (Lindgren 2013, 4. DS) 406 3 Auswertung und Ergebnisse „Das Licht der Weihnachtsbaumkerzen schimmerte so sanft auf den fröhlichen Gesichtern der Kinder und allen Weihnachtsgeschenken.“ (Ebd., 10. DS) Mit Hilfe des Musters [„ganz“ + „schön“ + Nomen] wird die Attraktivität der Geschenke und Kerzen hervorgehoben, was insgesamt den Eindruck eines wunderschönen Festes bei der Zuhörerschaft bewirkt. Ob es sich hier um die Übernahme des strukturellen Musters [Artikel + „ganz“ + Nomen] in einem neuen Kontext handelt, ist unklar. Zweimal verwendet Mia das strukturelle Muster [„ganz“ + „viel“ + Nomen]: pipa/ pippi bringte aus den sack GANZ viele geschenke raus. (6. DS) Im Bilderbuch heißt es in diesem Kontext: „und aus dem Sack holte sie viele Pakete und viele Beutel hervor.“ (Lindgren 2013, 6. DS) Mia nutzt somit ein anderes sprachliches Mittel als im Bilderbuch, um darzustellen, dass es sich um eine Menge Geschenke handelt. Während im Bilderbuch das Zahlwort viel wiederholt wird, nutzt Mia das sprachliche Muster [„ganz“ + „viel“ + Nomen] und betont zusätzlich die Partikel GANZ. Auch der Formulierung des folgenden Satzes liegt das Muster [„ganz“ + „viel“ + Nomen] zugrunde: so ein schöne tannenbaum gab es noch nie mit GANZ viel süßigkeiten drinne und GANZ schöne kerzen. (8. DS) Die vielen Süßigkeiten am Tannenbaum werden in der Geschichte Pippi feiert Weihnachten in einem anderen Kontext erwähnt. Dazu wird auf ein anderes sprachliches Mittel zurückgegriffen ([„voller“ + Objekte + „sein“]): „Er war voller brennender Kerzen und Fähnchen und Bonbons.“ (Lindgren 2013, 4. DS) Um auszudrücken, dass es sich um eine große Menge an Objekten handelt, verwendet Mia zweimal funktional das strukturelle Muster [„ganz“ + „viel“ + Nomen]. Auf das Muster [„viel“ + Nomen] greift Mia nicht zurück. Dieses wird im Bilderbuchtext zweimal gebraucht: „Sie warf einen Sack auf den Fußboden, und aus dem Sack holte sie viele Pakete und viele Beutel hervor“ (ebd., 5. DS). Somit könnte es sich um den Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters in einem neuen Kontext handeln. Es könnte sich jedoch auch um Übernahmen einer Variation des strukturellen Musters [Artikel + „ganz“ + Nomen] in neuen Kontexten handeln. Darüber kann jedoch keine Aussage gemacht werden. In Mias Textproduktion lassen sich auch erzähltypische Muster erkennen: Die Leseransprache und der innere Monolog einer Figur oder direkte Rede. Zur Textgestaltung wählt Mia erstens die direkte Ansprache der Leserin oder des Lesers (Leseransprache). Diese ist ein Bestandteil des bereits beschrie‐ benen Mini-Baumusters. kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? [.] (2. DS) Im Bilderbuchtext ist folgende Leser‐ ansprache enthalten. „Hast du schon mal von Pippi Langstrumpf gehört, dem 3.1 Textanalysen 407 159 An dieser Stelle danke ich der Dissertationsrunde (02/ 2020) für diesen Hinweis. stärksten Mädchen der Welt? “ (Lindgren 2013, 2. DS) Sie ist sprachlich ähnlich, aber anders gestaltet und bezieht sich auf ähnliche, aber andere Inhalte als im Bilderbuch. Als weiteres erzähltypisches Muster enthält Mias Text einen Erzählerkommentar. ja, die mama von den, die hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft, nochmal EINkaufen zu fahren. (3. DS) Dieser Inhalt wird im Bilderbuch nicht mit Hilfe des Erzählerkommentars wiedergegeben: „Denn ihre Mama hatte es nicht geschafft, etwas einzukaufen […].“ (Lindgren 2013, 2. DS) Der Erzählerkommentar wird im Bilderbuch mehrfach in anderen Kontexten verwendet wie beispielsweise auf der zehnten Doppelseite: „Ja, und dann war es Zeit für die Weihnachtsgeschenke! “ (Ebd., 10. DS) Möglicherweise bedient sich Mia eines inneren Monologs einer Figur und zwar in Form von einer Frage, die sich eine oder mehrere Figuren stellen: als bosse das gesagt hat, ähm war ein komis geräusch bei seiner oma und bei seiner opa. was soll DAS denn sein? [2] die guckten. (4. DS) Der auf die Frage folgende Satz die guckten lässt die Vermutung zu, dass es sich bei der Frage um einen Gedanken der auf dem Bild der zugehörigen Doppelseite sichtbaren älteren Personen handelt, die Mia hier in Form eines inneren Monologes präsentiert. Es könnte sich aber auch um direkte Rede ohne Redebegleitsatz handeln. Mit Blick auf den Bilderbuchtext liegt jedoch die Vermutung nahe, dass es sich bei der geäußerten Frage um die Gedanken von Bosse handelt: „Genau in dem Augenblick, als er das gesagt hatte, ertönte ein entsetzliches Getrampel im Treppenhaus. ‚Was ist denn das? ‘, rief Bosse. ‚Das klingt aber komisch! ‘“ (Lindgren 2013, 4. DS) In dem Fall, dass es sich um Bosses Gedanken handelt, kann die von Mia formulierte Frage als innerer Monolog interpretiert werden oder aber als direkte Rede ohne Begleitsatz, falls Bosse seine Gedanken in Sprache fasst. Mit Blick auf den Bilderbuchtext wäre die zweite Deutung wahrscheinlicher. Eine dritte mögliche Interpretation der Textstelle ist, dass es sich um einen Erzählerkommentar handelt. Es lässt sich festhalten, dass diese Textstelle Mehr‐ deutigkeit 159 aufweist. Die Bilderbuchgeschichte selbst enthält keinen inneren Monolog. Als weiteres erzähltypisches Muster weist Mias Text möglicherweise die direkte Rede auf. Ihr Text ist hauptsächlich in Erzählerrede verfasst, obwohl im Bilder‐ buch auf sechs von zehn Doppelseiten direkte Rede verwendet wird. Lediglich bei der bereits erwähnten Textstelle was soll DAS denn sein? (4. DS) 408 3 Auswertung und Ergebnisse könnte es sich um direkte Rede ohne Redebegleitsatz handeln, während im Bilderbuch im gleichen Kontext eine ähnliche Formulierung in Kombination mit einem nachgestellten Redebegleitsatz vorhanden ist: „‚Was ist denn das? ‘, rief Bosse.“ (Lindgren 2013, 4. DS) In diesem Fall vermittelt Mia ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch, die auch dort als direkte Rede formuliert sind (Fall 1). Des Weiteren gebraucht Mia ein weiteres Muster der dritten Ebene, das auch im Bilderbuch genutzt wird: Sie bettet einen Liedtext in ihre Geschichte ein. Dieser scheint aus einem ihr bekannten Kinderlied zu stammen. Das Aufgreifen eines Liedtextes in einer Geschichte kann als musterhaft bezeichnet werden, da das Bilderbuch im gleichen Kontext, allerdings auf einer anderen Doppelseite, einen Liedtext enthält. Pippi singt während des Tanzens mit dem Weihnachts‐ baum: „Pippi stampfte mit ihren großen Schuhen, Pippi sang mit kräftiger und fröhlicher Stimme: ‚Hier tanze ich mit meinem kleinen Tannenbaum, ich tanze, so lange ich kann! ‘“ (Lindgren 2013, 8. DS) Im Gegensatz zum Liedtext in Mias Geschichte scheint es sich im Bilderbuchtext um kein bekanntes Lied zu handeln. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass im Bilderbuchtext ein Lied als direkte Rede wiedergegeben wird, während Mia eine Variation einer Textpassage aus einem Kinderlied in die Erzählerrede einbindet und damit den Tanz der Figuren mit dem Weihnachtsbaum näher beschreibt: sie tanzten um den weihnachtsbaum wie hin und her, das war gar nicht so: schwer, wie es nur sein konnte (7. DS). Zur Textstrukturierung wählt Mia eine Überschrift für ihre Geschichte. Sie wählt somit ein Muster der dritten Ebene, das nicht auf die Textsorte Narration beschränkt ist. Da die Bilderbuchgeschichte mit einer sehr ähnlichen Überschrift überschrieben ist, kann davon ausgegangen werden, dass es sich hier um die Übernahme eines Musters aus dem Bilderbuchtext handelt. Zur Musterhaftigkeit in Mias Text lässt sich zusammenfassend Folgendes festhalten: Ihr Text enthält erzähltypische und weitere Muster der dritten Ebene. Dazu gehört der Erzählerkommentar. Dieses Muster ist im Bilderbuchtext in einem anderen Kontext vorhanden. Dem Erzählerkommentar liegt aber sowohl in Mias Text als auch im Bilderbuchtext das gleiche strukturelle Muster zugrunde. Obwohl der Bilderbuchtext mehrfach das erzähltypische Muster der direkten Rede aufweist, enthält Mias Text höchstens an einer Stelle direkte Rede ohne Redebegleitsatz. Diese Passage kann jedoch auch als innerer Monolog gedeutet werden, ein erzähltypisches Mittel, das im Bilderbuchtext nicht enthalten ist. Ein weiteres erzähltypisches Muster, das in Mias Text enthalten ist, ist die Leseransprache, die auch im Bilderbuch im gleichen Kontext vorhanden ist. Auch 3.1 Textanalysen 409 liegt beiden Formulierungen das gleiche strukturelle Muster zugrunde, das mit verschiedenen sprachlichen Ausdrücken und Inhalten gefüllt wird. Als weiteres Muster der dritten Ebene binden sowohl der Bilderbuchtext als auch Mia einen Liedtext im gleichen Kontext in die Geschichte ein. Während dieser im Bilderbuchtext Bestandteil der Figurenrede ist, ist er in Mias Text Bestandteil der Erzählerrede. Die beiden Lieder thematisieren ähnliche Inhalte, unterscheiden sich aber in ihrer sprachlichen Gestaltung voneinander. Mia greift hier offenbar auf zwei weitere sprachliche Muster zurück. Sie scheint ein sprachliches Muster aus einem bekannten Kinderlied (Brüderchen, komm tanz mit mir) zu variieren und dieses mit einer Variation eines sprachlichen Musters des Bilderbuchtextes, das in einem anderen Kontext vorkommt („traurig, wie es manchmal sein kann“ (Lindgren 2013, 3. DS)), zu kombinieren. Der Auszug aus dem Kinderlied enthält dabei zwei rhetorische Mittel: Einen Reim und eine Alliteration. In Mias Text lässt sich in Bezug auf die Geschichte Pippi feiert Weihnachten ein Mini-Baumuster erkennen, das aus zwei strukturellen Mustern besteht, die als Bausteine fungieren. Davon erfüllt das erste die Funktion der Leseransprache (erzähltypisches Muster), während das zweite zur Vorstellung der Protagonisten der Geschichte dient. Auch das zweite strukturelle Muster wird von Mia mit neuen Inhalten zur Vorstellung von Pippi Langstrumpf gefüllt. Die im Muster enthaltene Nebensatzkonstruktion füllt sie teilweise mit Nebensätzen der glei‐ chen und teilweise mit solchen anderer Art. Mia macht Gebrauch von weiteren sprachlichen Mustern. So bindet Mia einmal ein sprachliches Muster (in der Winkelstraße), das im Bilderbuch im gleichen Kontext vorkommt, in eine neue syntaktische Struktur ein. Einmal nutzt sie ein sprachliches Muster (die Augen (ver)drehen), das auch im Bilderbuchtext enthalten ist, in einem neuen Kontext. Des Weiteren nutzt sie eine Variation eines sprachlichen Musters (Pippi feiert Weihnachten) im gleichen Kontext wie im Bilderbuchtext. Mias Text weist auch den mehrfachen Gebrauch eines sprachlichen Musters auf. Dreimal nutzt Mia ein im Bilderbuchtext nicht vorhandenes sprachliches Muster (gar nicht) in ihrer Textproduktion. Zweimal verwendet sie das im Bilderbuch vorhandene sprachliche Muster an Heiligabend und bindet es in neue syntaktische Strukturen ein. In Mias Textproduktion sind des Weiteren strukturelle Muster enthalten. Dar‐ unter fallen solche, die in einem anderen Kontext im Bilderbuchtext vorhanden sind ([„so“ + Adverb + Verb], [Satz 1 (enthält sprachliches Muster 1 + Satz 2 (enthält sprachliches Muster 1]), aber auch eine Variation eines strukturellen 410 3 Auswertung und Ergebnisse Musters ([„so“ + Adjektiv]), das im Bilderbuchtext in anderen Kontexten vor‐ kommt. Das sprachliche Muster [Anrede des Lesers und Frage, ob ihm Pippi Langstrumpf bekannt ist + Relativsatz] wird von Mia im gleichen Kontext wie im Bilderbuch verwendet, während die Leerstellen des Musters jedoch mit anderen Inhalten gefüllt werden. Einige der von Mia verwendeten strukturellen Muster werden mehrfach in ihrer Textproduktion genutzt. So verwendet Mia zweimal das Muster [bestimmter Artikel + Name] zur Figurenvorstellung, ein Muster, das im Bilderbuchtext nicht verwendet wird. Das strukturelle Muster [„Pippi“ + Nebensatz, der etwas über sie aussagt] wird im gleichen Kontext wie im Bilderbuchtext verwendet, aber häufiger. Dabei werden die Leerstellen mit anderen Inhalten gefüllt. Beim strukturellen Muster [„Ja“ + Hauptsatz] handelt es sich vermutlich um den Gebrauch eines strukturellen Musters aus dem Bilderbuch in einem neuen Kontext. Das Muster [„Und“ + Satz] wird von Mia in gleichen und neuen Kontexten verwendet. In Mias Textproduktion werden des Weiteren strukturelle Muster mehrfach gebraucht, die als Variation eines anderen Musters beschrieben werden können, das im Bilderbuch enthalten ist. Folgende strukturelle Muster weisen dabei Ähnlichkeiten zum im Bilderbuchtext enthaltenen Muster [„so“ + Adverb + Verb] auf: [„so“ + Artikel + Nomen] und [„so“ + Artikel + „schön“ + Nomen]. Ähnlichkeiten zum Muster [Artikel + „ganz“ + Nomen], aber auch zum Muster [„ganz“ + Adverb + Verb], bestehen zu folgenden Mustern: [„ganz“ + „schön“ + Nomen], [„ganz“ + „viel“ + Nomen]. Das von Mia verwendete strukturelle Muster [unbestimmter Artikel + „schön“ + Nomen] kann alternativ als Muster der Form [unbestimmter Artikel + Adjektiv + Nomen] bezeichnet werden, das mehrfach im Bilderbuchtext enthalten ist. Das von Mia wiederholt verwendete Muster [„Denn“ + Verb] lässt sich als Variation des im Bilderbuchtext enthal‐ tenen Musters [„Dann“ + Verb] bezeichnen. Obwohl bei den genannten Mustern Ähnlichkeiten zu Mustern aus dem Bilderbuchtext vorhanden sind, können über mögliche Übernahmen keine Aussagen getroffen werden. Zusätzlich lassen sich weitere Beobachtungen zu Musterhaftigkeit im Kinder‐ text im Vergleich zum Bilderbuchtext beschreiben. Insgesamt enthält Mias Text zwölfmal Formulierungen, denen das Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] oder eine Variation dieses Musters zugrunde liegt (vgl. Tabelle 23 im digitalen Anhang). Auffällig dabei ist, dass dieses Muster achtmal das Adjektiv schön enthält. Durch die Art der Textgestaltung wird deutlich, dass Mia bei der Textproduktion die Zuhörerin oder den Zuhörer im Blick hat (Leserorientierung). 3.1 Textanalysen 411 160 An dieser Stelle danke ich der Dissertationsrunde (02/ 2020) für diese Beobachtung. In Mias Text lassen sich sprachliche Mittel identifizieren, die eine ver‐ stärkende bzw. betonende Wirkung erfüllen. Die Betonung bestimmter In‐ halte lässt auf eine Leserorientierung schließen. So greift Mia auf das rheto‐ rische Mittel der Wiederholung zurück: in der winkelstraße gibt es von einer frau die kinder, die wein/ weinten an heiligabend. ausgerechnet an HEILIGabend musste ihre mama ins krankenhaus [atmet] . (3. DS) Das rhetorische Mittel wird funktional eingesetzt, da auf diese Weise die Besonderheit des Zeitpunktes für das traurige Ereignis hervorgehoben wird. Zudem setzt Mia mehrfach die Intensitätspartikel so und ganz und das Adjektiv ganz zur Betonung von Aussagen ein. Zum Teil akzentuiert Mia diese Wörter zusätzlich durch eine besondere Betonung und hebt Aussagen somit stark hervor. Des Weiteren „liest“ Mia einen Liedtext singend „vor“: sie tanzten um den weihnachtsbaum wie hin und her, das war gar nicht so: schwer, wie es nur sein konnte [liest gereimten Text singend vor, ab ‚wie hin…‘] . (7. DS) Die singende Art und Weise des Vortrags passt zum Inhalt. In der folgenden Textpassage ist eine Leserorientierung erkennbar an Mias Mimik: pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is. und die pippi [.], DIE [.] [zieht Augenbrauen nach oben, öffnet Augen weiter] auf’n SCHORN[? ]stein [kräuselt die Nase während der Silbe ‚SCHORN‘] war. (2. DS) Als sie während der Vorstellung der Protagonistin Pippi deren ungewöhn‐ liche Aktion in Sprache fasst, dass sie auf’n SCHORN[? ]stein […] war (2. DS), zieht Mia die Augenbrauen nach oben, öffnet die Augen weiter und kräuselt anschließend die Nase. Diese körperlichen Reaktionen lassen sich als Überraschung interpretieren und passen zu der inhaltlichen Aussage. Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit weist Mias Text hinsichtlich des Ge‐ brauchs des Präteritums (Tempus), schriftsprachlicher Ausdrücke (Lexik) sowie hypotaktischer Satzkonstruktionen (Syntax) auf. Die Zeitform, die Mia in ihrem Text am häufigsten gebraucht, ist das Präte‐ ritum (30-mal). Mias Text weist jedoch auch die Zeitformen Perfekt (12-mal) und Präsens (viermal) auf. Einige Präteritumformen von starken Verben bildet sie regelmäßig. Auffällig ist, dass Mia die Präteritumform des Verbes geben einmal korrekt und einmal inkorrekt bildet: 160 gab (8. DS) und gibte (9. DS). Weitere 412 3 Auswertung und Ergebnisse Präteritumformen starker Verben, die Mia übergeneralisiert bildet, lauten: gingte (4. DS, 4. DS) und bringte (6. DS). Zweimal wählt Mia eine Präteritumform, um einen Inhalt darzustellen, der nicht im Bilderbuchtext enthalten ist. Hier greift sie somit auf ein erzähltypi‐ sches Tempus zurück. Dreimal wählt sie jedoch auch eine Perfektform, um einen nicht im Bilderbuchtext erwähnten Inhalt in Sprache zu fassen. Als Mia beginnt, die neuen Inhalte zu formulieren, ist ein Zeitsprung vom Präteritum ins Präsens zu beobachten, den sie zunächst auch beim Formulieren von Inhalten aus dem Bilderbuch beibehält. Nachdem sie einen weiteren neuen Inhalt im Perfekt formuliert hat, wechselt sie zur Darstellung eines Inhalts aus dem Bilderbuch zurück ins Präteritum. Mias Text weist mehrere Ausdrücke auf, die dem schriftsprachlichen Register zugeordnet werden können. Mia nutzt das Adverb ausgerechnet (3. DS), das im Bilderbuch im gleichen Kontext und in der gleichen syntaktischen Struktur gebraucht wird. Des Weiteren verwendet sie das Adverb rechtzeitig (3. DS) funktional, das im Bilderbuch nicht vorkommt. Im Bilderbuch wird der Inhalt folgendermaßen ausgedrückt: „Denn ihre Mama hatte es nicht geschafft, etwas einzukaufen, bevor sie krank wurde“ (Lindgren 2013, 3. DS). Mia gelingt mit dem Gebrauch des Adverbs rechtzeitig, das dem konzeptionell schriftlichen Register zugeordnet werden kann, somit zusätzlich eine Komprimierung des Inhalts. Außerdem nutzt sie das Verb hereinkommen (5. DS) mit dem konzeptionell schriftlichen Präfix herein. Auch dies wird im Bilderbuch nicht gebraucht. Im Text der Bilderbuchgeschichte wird das Eintreten der Besucher in die Wohnung nicht explizit erwähnt. In anderen Kontexten sind jedoch Verben mit ähnlichem Präfix enthalten: herumhüpfen (Lindgren 2013, 7. DS), umherhüpfen (ebd., 8. DS) und herumsitzen (ebd., 9. DS). Mia gebraucht 13 hypotaktische Satzkonstruktionen (vgl. Tabelle 24 im digitalen Anhang). Die von Mia genutzten Nebensätze werden im Folgenden klassifiziert und mit denen aus dem Bilderbuchtext verglichen. Die im Mini-Baumuster enthaltenen Nebensätze, denen die strukturellen Muster [Anrede des Lesers und Frage, ob ihm Pippi Langstrumpf bekannt ist + Relativsatz] und [Person + Nebensatz, der etwas über die Person aussagt] zugrunde liegen, werden dabei gesondert betrachtet. Neunmal macht Mia Gebrauch von einem Nebensatz, um einen Inhalt auszu‐ drücken, der im Bilderbuch nicht enthalten ist. Diese Textpassagen werden nun in den Blick genommen. 3.1 Textanalysen 413 Zunächst wird der Blick auf die sechs Nebensätze gerichtet, die das Mini-Bau‐ muster enthält. Mia bildet im gleichen Kontext wie im Bilderbuchtext andere Nebensätze mit anderen Inhalten, die jedoch die gleiche Funktion für den Text erfüllen wie die in der Bilderbuchgeschichte: Nähe zu der Leserin oder dem Leser herzustellen (erster Satz des Mini-Baumusters) und die Protagonistin Pippi Langstrumpf in ihrer Besonderheit vorzustellen. Als Bestandteil des Mini-Baumusters bildet Mia die folgenden drei Relativ‐ sätze, die mit dem Relativpronomen die eingeleitet werden: kennst du die pippi, die es in den win-kel-baum gibt? (2. DS) pippi, die mal auf’n DACH geklettert is (2. DS) und die pippi [.], DIE [.]auf’n SCHORN[? ]stein war (2. DS). Im Bilderbuchtext sind die Inhalte dieser drei Relativsätze nicht enthalten. Im gleichen Kontext sind im Bilderbuch drei Relativsätze über Pippi Langstrumpf zu finden, die mit anderen Relativpronomen (dem, das) eingeleitet werden: „Hast du schon mal von Pippi Langstrumpf gehört, dem stärksten Mädchen der Welt? Dem Mädchen, das ganz allein mit einem Pferd und einem Affen in der Villa Kunterbunt wohnt? Dem Mädchen, das einen ganzen Koffer voller Goldstücke besitzt? “ (Lindgren 2013, 2. DS) In der Bilderbuchgeschichte sind noch zwei weitere Relativsätze in anderen Kontexten vorhanden: „‚Die Tanne ist einer der Bäume, die es in Schweden am häufigsten gibt.‘“ (Ebd., 5. DS) „Er war ja der erste Weihnachtsbaum, der mittanzen durfte! “ (Ebd., 10. DS). Ein weiterer Bestandteil des Mini-Baumusters sind zwei Nebensätze, die mit der Konjunktion wo eingeleitet werden. Einer dieser Nebensätze lässt sich als Lokalsatz bezeichnen: pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is (2. DS). Der Inhalt dieses Satzes wird in der Bilderbuchgeschichte nicht vermittelt. Allerdings gehört er zum Muster, das auch im Bilderbuch verwendet wird, mit dem Pippi Langstrumpf vorgestellt wird. Der zweite Nebensatz in Mias Text, der mit der Konjunktion wo eingeleitet wird, lautet: pippi [.], wo sie ein tannenbaum hatte (2. DS). Hier wird die Konjunktion wo auf die Weise gebraucht, wie sonst die Konjunktion als in einem Temporalsatz verwendet wird. Der Inhalt ist in der Bilderbuchgeschichte nicht enthalten. Im Bilderbuch selbst sind keine durch die Konjunktion wo eingeleiteten Nebensätze (Lokalsätze) enthalten. Allerdings enthält der Bilderbuchtext drei Kontexte, in denen ein mit der Konjunktion als eingeleiteter Temporalsatz vorhanden ist. Die beiden Nebensätze gehören zu den Satzkonstruktionen, denen das strukturelle Muster [Person + Nebensatz, der etwas über die Person aussagt] zugrunde liegt. Somit scheinen die Leerstellen des Musters in beiden Fällen mit Nebensatzkonstruktionen gefüllt worden zu sein, die im Bilderbuchtext nicht 414 3 Auswertung und Ergebnisse vorhanden sind. In einem Fall erfüllt der von Mia gebrauchte Nebensatz jedoch die Funktion eines Temporalsatzes, der in anderen Kontexten verwendet wird. Ob diese Kontexte die Bildung von Mias Satz beeinflusst haben, ist allerdings unklar. Des Weiteren verwendet Mia auch einen Konsekutivsatz, dem das struktu‐ relle Muster [Person + Nebensatz, der etwas über die Person aussagt] zugrunde liegt. Dieser wird mit der Konjunktion dass eingeleitet: pippi, dass sie mal mit’m pferd so: schnell geritten ist (2. DS). Auch dieser Inhalt ist in der Bilderbuchgeschichte nicht vorhanden. Mit der Konjunktion dass eingeleitete Konsekutivsätze sind im Bilderbuch lediglich in anderen Kontexten zu finden (vgl. Lindgren 2013, 3. DS, 4. DS, 5. DS, 7. DS, 9. DS). An vier weiteren Stellen macht Mia außerhalb des Mini-Baumusters Gebrauch von einem Nebensatz in einem neuen Kontext. Diese Textpassagen werden nun in den Blick genommen. Mia verwendet einen Relativsatz, der mit dem Relativpronomen was eingeleitet wird: er wusste gar nicht, was das SEIN sollte (2. DS). Der Inhalt ist im Bilderbuch nicht vorhanden. Ein solcher Relativsatz ist im Bilderbuch in einem anderen Kontext enthalten: „Jetzt erzähl ich dir, was Pippi einmal gemacht hat“ (Lindgren 2013, 2. DS). In Mias Text ist ein Kausalsatz mit der einleitenden Konjunktion weil ent‐ halten: so ein weihnachtsbaum hat es noch nie gega/ [.] gegeben, weil [.] so ein schöne tannenbaum gab es noch nie mit GANZ viel süßigkeiten drinne und GANZ schöne kerzen (8. DS). Im Bilderbuch wird die Schönheit des Tannenbaums nicht beschrieben. Ein mit der Konjunktion weil eingeleiteter Kausalsatz ist im Bilderbuch nur in einem anderen Kontext vorhanden (vgl. Lindgren 2013, 3. DS). Ein drittes Mal bildet Mia einen Nebensatz, der mit der Konjunktion wo eingeleitet wird. Dieser lässt sich als Lokalsatz bezeichnen: ein schönes auto [.] mit [.] ein schöne station, (wo)/ wo das auto immer tanken kann [4] (10. DS). Im Bilderbuch wird in diesem Kontext ein ähnlicher Inhalt durch zwei andere Nebensätze vermittelt: „und Bosse bekam eine Dampfmaschine und ein Auto, das auf dem Fußboden herumfahren konnte, wenn man es aufzog“ (Lindgren 2013, 10. DS). Da in diesem Kontext die Station jedoch keine Erwähnung findet, wird dieser Inhalt als neuer Inhalt bezeichnet. Wie bereits erwähnt, sind im Bilderbuch selbst sind keine durch die Konjunktion wo eingeleiteten Nebensätze enthalten. Zudem verwendet Mia einen Komparativsatz, den sie mit der Konjunktion wie einleitet: sie tanzten um den weihnachtsbaum wie hin und her, das war gar nicht so: schwer, wie es nur 3.1 Textanalysen 415 sein konnte (7. DS). Der durch diesen Nebensatz transportierte Inhalt ist im gleichen Kontext im Bilderbuch nicht enthalten. Jedoch lässt sich die Nebensatzkonstruktion in einem anderen Kontext im Bilderbuch identifizieren: „Alles war furchtbar traurig, wie es manchmal sein kann“ (Lindgren 2013, 3. DS). Dreimal nutzt Mia einen Nebensatz, um auch im Bilderbuchtext vorhandene Inhalte zu versprachlichen. Diese Textpassagen werden nun betrachtet. Mia verwendet einen zweiten Konsekutivsatz, der mit der Konjunktion dass eingeleitet wird: die kleine inga verschluckte ein GANzes marziPAN[.]schweinchen und sie freute sich, dass es so: ein schönes heiligabend gibte. (9. DS) Ein ähnlicher Inhalt wie der mit diesem Nebensatz ausgedrückte Inhalt wird im Bilderbuch mit Hilfe von direkter Rede ausgedrückt: „‚Und noch nie haben wir Heiligabend solchen Spaß gehabt‘, sagte die kleine Inga und verschluckte ein ganzes Marzipanschwein in einem Rutsch.“ (Lindgren 2013, 9. DS) Weitere mit der Konjunktion dass eingeleitete Konsekutivsätze sind im Bilderbuch - wie bereits erwähnt - in anderen Kontexten zu finden. Des Weiteren verwendet Mia zwei Temporalsätze, die beide mit der Konjunk‐ tion als eingeleitet werden: sie hatten so: ein hunger, als bosse das gesagt hat (3. DS). als bosse das gesagt hat, ähm war ein komis geräusch bei seiner oma und bei seiner opa (4. DS). Hier wiederholt Mia zweimal den gleichen Temporalsatz. Im ähnlichen Kontext wird im Bilderbuch ein solcher Temporalsatz verwendet: „Genau in dem Augenblick, als er das gesagt hatte, ertönte ein entsetzliches Getrampel im Treppenhaus“ (Lindgren 2013, 4. DS). Auch auf der neunten und zehnten Doppelseite werden durch als eingeleitete Temporalsätze verwendet. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Mia verschiedene Arten von Nebensätzen in ihrer Textproduktion bildet. Nebensätze nutzt Mia zum einen, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch nicht vorkommen: Sechsmal ge‐ braucht Mia Nebensätze als Bestandteil eines Mini-Baumusters, das sowohl im Bilderbuchtext als auch in Mias Text die gleiche Funktion erfüllt. Durch diese Nebensätze bringt sie Inhalte zum Ausdruck, die im Bilderbuch nicht enthalten sind. Die beiden Bausteine des Mini-Baumusters enthalten zwei strukturelle Muster mit Nebensätzen. Während im Bilderbuchtext in diesem Zusammenhang lediglich Relativsätze genutzt werden, greift Mia auf Relativsätze und auf andere Arten von Nebensätzen zurück, die im Bilderbuchtext sowohl in anderen Kontexten vorkommen, als auch gar nicht vorkommen. 416 3 Auswertung und Ergebnisse Zudem versprachlicht Mia zweimal neue Inhalte mit einer Art von Nebensatz, der im Bilderbuch mit der gleichen einleitenden Konjunktion in einem anderen Kontext vorhanden ist (vgl. 2. DS, vgl. 3. DS). An einer anderen Stelle vermittelt Mia einen Inhalt, der im Bilderbuch im gleichen Kontext nicht vorhanden ist, mit einer Art von Nebensatz, die im Bilderbuch in einem anderen Kontext enthalten ist (vgl. 7. DS). Einmal drückt sie einen im Bilderbuch nicht enthaltenen Inhalt mit Hilfe von einer Art von Nebensatz aus, die im Bilderbuch gar nicht vorhanden ist (vgl. 2. DS). Zum anderen bringt Mia mit Hilfe von Nebensätzen Inhalte zum Ausdruck, die auch im gleichen Kontext im Bilderbuch vorkommen. So versprachlicht Mia zweimal einen ähnlichen Inhalt wie im Bilderbuch durch die gleiche Art von Nebensatz mit der gleichen einleitenden Konjunktion (vgl. 3. DS, 4. DS). Einmal versprachlicht sie einen ähnlichen Inhalt wie im Bilderbuch mit einer Art von Nebensatz, der in der Bilderbuchgeschichte in anderen Kontexten vorhanden ist (vgl. 9. DS). Eine von Mia gebildete hypotaktische Satzkonstruktion beinhaltet nicht nur einen Nebensatz, sondern gleich zwei Nebensätze: pippi, die mal auf’n DACH geklettert is, wo sie gar nicht herUNTergefallen is (2. DS). Solche Konstruktionen sind im Bilderbuchtext in anderen Kontexten vorhanden: „Schließlich ist es nicht komisch, dass es klappert, wenn ein Pferd eine Treppe hinaufsteigen soll! “ (Lindgren 2013, 4. DS) „und Bosse bekam eine Dampfmaschine und ein Auto, das auf dem Fußboden herumfahren konnte, wenn man es aufzog […]“ (ebd., 10. DS). Konzeptionelle Schriftlichkeit in Form von hypotaktischen Satzkonstruktionen wird somit sowohl in den gleichen Kontexten wie im Bilderbuchtext als auch in neuen Kontexten herausgefordert. Dabei greift Mia auf im Bilderbuch vorhandene Arten von Nebensätzen zurück als auch auf eine im Bilderbuch nicht enthaltene Art von Nebensatz. Herauszustreichen sei an dieser Stelle die Konstruktion des Mini-Baumusters: Dieses wird von Mia zum Teil mit Nebensätzen anderer Art gebildet als im Bilderbuchtext. Mia stellt Monologizität her. Ihre Textproduktion wird nicht durch Dia‐ loge mit dem Zuhörer unterbrochen. Während des ganzen Textprodukti‐ onsprozesses ist Mias Blick auf die Bilderbuchseiten gerichtet. Die Mono‐ logizität ihres hauptsächlich im Präteritum gehaltenen Textes aufrecht zu halten, gelingt ihr zum Beispiel durch den (kurzzeitigen) Wechsel ins Per‐ 3.1 Textanalysen 417 161 An dieser Stelle danke ich der Dissertationsrunde (02/ 2020) für diese Interpretation. fekt und Präsens auf der fünften Doppelseite: 161 pippi gingte mit sein pfer: d [.], gingte die treppe hoch mit herr nilsson, pippis affe. [blättert um] [5] (5. DS) als sie/ [.] und denn ist sie hereingekommen (mit)/ [.] pippi ist denn runtergesprungen und hat den sack runtergeworfen. herr nilsson sitzt auf dem sack und herr nilsson ist genau runtergesprungen. [blättert um] [5] (6. DS) pipa/ pippi bringte aus den sack GANZ viele geschenke raus. (7. DS) Mia „liest“ ihren Text relativ flüssig „vor“. Anhand ihrer Äußerungen lassen sich lediglich drei Textüberarbeitungen feststellen. Auch hier lässt sich ein Pendeln zwischen p und d beobachten. Darüber, ob während des Textproduktionsproz‐ esses weitere Überarbeitungen am Prätext vorgenommen werden, können keine Aussagen getroffen werden. Im ersten Textabschnitt nimmt Mia eine stilistische Überarbeitung vor, indem sie die Formulierung als sie/ zur Formulierung und denn ist sie umformuliert: pippi gingte mit sein pfer: d [.], gingte die treppe hoch mit herr nilsson, pippis affe. [blättert um] [5] (4. DS) als sie/ [.] und denn ist sie hereingekommen (mit)/ [.] pippi ist denn runtergesprungen und hat den sack runtergeworfen. herr nilsson sitzt auf dem sack und herr nilsson ist genau runtergesprungen. [blättert um] [5] (5. DS). Beide grammatischen Konstruktionen bezeichnen ein zeitliches Nebeneinander von Handlungen. Das strukturelle Muster [„als“ + Subjekt + Prädikat] hat Mia bereits zweimal auf der vierten und fünften Doppelseite verwendet. Zudem ist es im Text auf der vierten Doppelseite des Bilderbuches enthalten. Auf der fünften Doppelseite des Bilderbuches wird jedoch kein Inhalt mit Hilfe dieser Formulierung zum Ausdruck gebracht. An der folgenden Textpassage nimmt Mia eine sprachliche Korrektur vor: Sie überarbeitet ihre Version pipa des Namens Pippi, sodass dieser wie im Bil‐ derbuch lautet: pipa/ pippi bringte aus den sack GANZ viele geschenke raus. le: bkuchen, MANdeln, tz/ rosi: nen und marziPANschweine. und in den geschenken waren auch noch für [.] INga und der bosse und der große ganz [laut] schöne geschenke. [2] isa packte auch eins aus. [blättert um] [3] (6. DS) Diese Überarbeitung kann als Annäherung an die sprachliche Form des Bilderbuches bezeichnet werden. 418 3 Auswertung und Ergebnisse An der dritten Stelle nimmt Mia eine inhaltliche Überarbeitung vor: die klein/ [2] bosse packte sein geschenk aus. ein schönes auto [.] mit [.] ein schöne station, (wo)/ wo das auto immer tanken kann [4]. die kleine inga packte ihre puppe aus [? ], das war ne SCHÖne puppe. und ne/ noch ein schönes, goldenes herz aus lebkuchen. [.] und pippi [.] winkte auch noch. [blättert um] [2] (10. DS). Aus dem Kontext und der Tatsache, dass sie des Öfteren die Formulierung die kleine Inga in ihrer Textproduktion verwendet, ist zu schließen, dass Mia zunächst intendiert, die Formulierung die kleine Inga zu verwenden, dann aber beschließt, mit Bosse und seinem Geschenk zu beginnen. Anschließend wechselt sie zu der kleinen Inga und ihren Geschenken. Im Vergleich zum Bilderbuchtext ist zu beobachten, dass Mia durch das Vornehmen der Überarbeitung die gleiche Reihenfolge einhält wie im Bilderbuch. Die Vermutung liegt nahe, dass sich Mia beim „Vorlesen“ ihrer Geschichte so stark wie möglich an der chronologischen Reihenfolge des Bilderbuches orientiert. Mindestens zwei der drei Überarbeitungen deuten auf Mias Bemühungen hin, ihre Textproduktion inhaltlich sowie sprachlich möglichst genau am Bil‐ derbuchtext zu orientieren. Wie das Transkript verdeutlich, ist Mia fähig, einen monologischen und kohä‐ renten, aus sich heraus verständlichen Text zu produzieren. Mias implizite Textkompetenz wird insbesondere an den Stellen deutlich, an denen sie ein aus dem Bilderbuch stammendes Muster funktional in anderen Kontexten einsetzt oder dieses in eine neue syntaktische Struktur einbindet. In Mias Text kann der mehrfache funktionale Gebrauch eines Musters in verschiedenen Kontexten der Geschichte beobachtet werden. Dies deutet darauf hin, dass jeweils eine implizite Beziehung zwischen dem Muster (p) und seiner Funktion (d) besteht. So nutzt Mia mehrfach das sprachliche Muster gar nicht. Sie nutzt es funktional zur Verstärkung einer Aussage. Des Weiteren nutzt Mia mehrfach das strukturelle Muster [bestimmter Artikel + Name] funktional - und zwar zur Vorstellung der Protagonistin der Geschichte. Auf diese Weise vermittelt sie der Zuhörerschaft den Eindruck, dass es sich um eine ganz bestimmte Figur handelt. Auch die Beobachtung, dass Mia im übrigen Text nicht mehr auf dieses Muster zurückgreift, zeigt den funktionalen Gebrauch des Musters und deutet darauf hin, dass bei Mia eine implizite Verbindung zwi‐ schen dem Muster (p) und seiner Funktion (d) vorzuliegen scheint. Mia macht mehrfach Gebrauch von den strukturellen Mustern [unbestimmter Artikel + „schön“ + Nomen], [„ganz“ + „schön“ + Nomen]“ und [„so“ + Artikel + „schön“ 3.1 Textanalysen 419 + Nomen], wodurch die Attraktivität der Geschenke, des Tannenbaums und die Großartigkeit des Abends für die Kinder zum Ausdruck gebracht wird. Ein weiteres von ihr mehrfach und funktional eingesetztes strukturelles Muster lässt sich durch die Form [„so“ + Artikel + Nomen] beschreiben. Mit Hilfe dieses Musters stellt sie die Besonderheit des Tannenbaums und die Stärke des Hungers für die Zuhörerschaft anschaulich dar. Zur Verknüpfung einzelner inhaltlicher Elemente bedient sich Mia des strukturellen Musters [„Und“ + Satz]. In drei der vier Fälle wird mit Hilfe des Musters ein zeitliches Nacheinander von Handlungen dargestellt. Auf eine implizite Beziehung zwischen dem Muster (p) und seiner Funktion (d) deutet jedoch auch einmaliger, funktionaler Gebrauch von Mustern hin: So nutzt Mia einmal das strukturelle Muster [„Denn“ + Verb] zur Einleitung einer Handlung, die auf eine andere Handlung folgt. Über den schriftsprachlichen Sprachgebrauch scheint bei Mia implizites Wissen vorzuliegen. So nutzt sie das Verb hereinkommen (5. DS) mit dem konzeptionell schriftlichen Präfix herein, um eine Handlung zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuchtext nicht explizit erwähnt wird. Mia nutzt auch das Adverb rechtzeitig (3. DS), das im Bilderbuchtext selbst nicht vorhanden ist, funktional und versprachlicht auf diese Weise einen Inhalt, der im Bilderbuch auf eine andere Weise zum Ausdruck gebracht wird. Die Beobachtung, dass die Präteritumformen des Verbs geben einmal korrekt (gab (8. DS)) und einmal übergeneralisiert (gibte (9. DS)) gebildet werden, lassen auf das Vorhandensein impliziten Wissens schließen. Des Weiteren bildet Mia vierzehn hypotaktische Satzkonstruktionen. Neunmal macht sie dabei Gebrauch von einem Nebensatz, um einen Inhalt auszudrücken, der im Bilderbuch nicht enthalten ist. Insbesondere die Wahl eines hypotaktischen Satzbaus zur Darstellung von im Bilderbuchtext nicht enthaltenen Inhalten deutet auf implizites Wissen über schriftsprachliche Satz‐ konstruktionen hin. 3.1.5 Textanalyse V: Torro sieht rot von Nicole Nicole ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Pretend-Reading-Situation mit der oder dem Studierenden fünf Jahre und drei Monate alt. Ihre Familiensprache ist Deutsch. Sie hat ein älteres Geschwisterkind, das acht Jahre alt ist und zwei jüngere Geschwister, die beide zwei Jahre alt sind. Die Herkunftsregionen der Eltern liegen in Deutschland. Beide Eltern haben einen Hochschulabschluss. Nicole besucht einen Kindergarten. Im Haushalt gibt es 40 bis 80 Bilder- oder Kinderbücher. Nicole wird nach Angaben der Eltern fünfbis zehnmal in der 420 3 Auswertung und Ergebnisse Woche ein Buch oder eine Geschichte vorgelesen. Vorgelesen wird dabei von ihrer Mutter, ihrem Vater, ihren Großmüttern, ihrem Großvater, ihrer Großtante sowie von ihrer älteren Schwester. Erzählt werden Nicole zu Hause hingegen keine Geschichten. Nicole tut manchmal so, als würde sie (jemandem) ein Buch vorlesen und bezeichnet diese Tätigkeit nach Angaben der Eltern als vorlesen. Die oder der Studierende kannte Nicole vor Durchführung der Pretend-Rea‐ ding-Situation bereits seit fünf Jahren, hatte aber selten Kontakt zu ihr. Die Situation fand im Esszimmer der Familie statt. Nicoles ältere Schwester befand sich während der Durchführung der Pretend-Reading-Situation im gleichen Raum, ist auf der Videoaufzeichnung jedoch nicht zu sehen. Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situation informiert die oder der Erwachsene Nicole über das geplante Vorgehen. E: so [.], nicole, du hast dir das buch ausgesucht. [? ] N: ja. E: und ich les dir das jetzt vor. ja? N: [nickt mit dem Kopf] E: und wenn ich dir das vorgelesen hab, dann tust du so, als würdest du mir das buch vorlesen, okay? N: [nickt mit dem Kopf] E: gut. und zwar les ich hier aus meinem vorlesesessel, da tauschen wir nachher nämlich plätze und dann setzt du dich hier hin und liest hier raus vor. okay? N: [nickt mit dem Kopf] E: gut. [2] torro sieht rot. 3.1 Textanalysen 421 Torro sieht rot (Isabel Abedi) Es ist noch längst nicht Zeit zum Mittagessen, als Torro, der kleine Stier, mit gesenktem Kopf nach Hause trottet. Seine Freunde stehen hinter dem Zaun, da, wo das große Feld be‐ ginnt. Alle sind sie über den Zaun gesprungen. Nur Torro hat sich nicht getraut. „Probier’s doch noch mal! “, ruft Tom. „Gib nicht auf! “, brüllt Toni. „Du schaffst das schon! “, schreit Trine. Aber Torro dreht sich nicht mal um. Er hat es vorgestern nicht geschafft. Er hat es gestern nicht geschafft. Wieso sollte er es ausgerechnet heute schaffen? (1. DS) - „Was machst du denn schon hier? “, wundert sich Torros Mama, die in der Küche Apfelpfannkuchen backt. „Ich dachte, du spielst mit deinen Freunden.“ Torro zuckt mit den Schultern und lässt den Kopf noch tiefer hängen. Dabei fällt sein Blick auf die leeren Apfel‐ kisten und er hat eine Idee. „Kann ich die Kisten haben, Mama? “ (2. DS) - Hinterm Haus baut sich Torro aus Ap‐ felkisten einen Zaun. Hier kann er we‐ nigstens in Ruhe Springen üben. Er will nicht, dass seine Freunde ihn dabei sehen. Niemand soll ihn sehen, wenn er übt. Nach allen Seiten schaut der kleine Stier sich um. Guckt auch wirk‐ lich keiner zu? - Doch. Zwei kleine Tiere hat Torro über‐ sehen. „Quak-quak-quak“, lacht der Frosch, als Torro beim ersten Spring‐ versuch die oberste Apfelkiste runter‐ reißt. „Gack-gack-gack“, kichert das Huhn, als Torro beim zweiten Versuch stolpert und hinfällt. „Da lachen ja die Hühner.“ (3. DS) - Torro schnaubt und rammt wü‐ tend gegen die Kisten. Eine bleibt dabei auf seinen Hörnern stecken. „Quak-quak-quak! “ „Gack-gack-gack! “ „Mist“, schimpft Torro auf dem Weg zum Haus. „Mist, Mist, Mist! “ Und Torros Mama schimpft noch lauter: „Wie siehst du denn schon wieder aus? So kommst du mir aber nicht ins Haus! Zieh deine dreckigen Sachen aus und spritz dich draußen mit dem Gartenschlauch ab! “ „Mach ich nicht“, sagt Torro trotzig. „Dann bleibst du eben draußen“, erwidert Mama und schlägt Torro die Tür vor der Nase zu. (7. DS) - „Stinktier, Stinktier“, ruft jemand hinter ihm. Als Torro sich umdreht, steht Kuh‐ drun da. Sie lacht und lacht. In Torro fängt es leise an zu brodeln. „Hör auf zu lachen“, warnt er sie gefährlich ruhig. - Aber Kuhdrun hört nicht auf. Im Gegen‐ teil. Sie fängt erst richtig an: „HA-HA-HA! HU-HU-HU! HÄ-HÄ-HÄ! “ Das Brodeln in Torro wird stärker. Kuhdrun greift nach dem Gartenschlauch. Und hält ihn auf Torro. Und dreht ihn auf. Und … spritzt … Torro … nass. Das hätte Kuhdrun nicht tun sollen. Das nicht. (8. DS) - Denn jetzt sieht Torro rot. Alles ist rot. Der Gartenschlauch. Kuhdrun. Die Wiese, das Haus, der Himmel. Die ganze weite Welt. Alles rot. Mit gesenkten Hörnern rast Torro auf seine Schwester los. Die Frösche flüchten. Die Hühner halten sich die Augen zu. Kuhdrun kreischt: „Maaaa‐ maaaa! Hiiiilfe! “ (9. DS) - Mama kommt aus dem Haus gelaufen. Sie sieht nur die kreischende Kuhdrun. Aber was Kuhdrun gemacht hat, sieht Mama nicht. Und davon hören will sie auch nichts. Sie packt Torro an den Hörnern und schimpft: „Nun reicht’s mir aber wirklich! Dich einfach auf deine kleine Schwester zu stürzen! Jetzt ist es endgültig genug, Torro! “ Mama geht mit Kuhdrun ins Haus zurück. Und Kuhdrun? Die streckt Torro im Weggehen ganz heimlich die Zunge raus. - Torro ist jetzt ganz allein. Selbst der Frosch und das Huhn haben sich verkro‐ 422 3 Auswertung und Ergebnisse Der Frosch hält sich den Bauch und das Huhn kugelt sich vor Lachen auf dem Boden. Torro stampft mit dem Huf auf. „Haut ab, ihr Blödmänner! “, ruft er. (4. DS) - Mama schaut aus dem Fenster. „Torro, Mittagessen! “, ruft sie. „Den will ich nicht essen“, sagt Torro, als ihm Mama einen dicken Apfelpfannkuchen auf den Teller legt. „Was ist denn los mit dir? “, fragt Mama ganz lieb. Da wäre Torro fast auf ihren Schoß geklettert und hätte ihr erzählt, was los ist. Wenn ihm seine Schwester Kuhdrun nicht den Teller weggezogen hätte. „Dann krieg ich eben zwei Pfannkuchen“, sagt sie. Torro reißt den Teller zurück. „Kriegst du gar nicht“, schnauzt er. „Krieg ich wohl! “ Kuhdrun zieht den Teller wieder zu sich. „Du hast selbst gesagt, du willst ihn nicht! “ „Will ich wohl! “, ruft Torro und reißt jetzt so fest an dem Teller, dass der ganze Pfann‐ kuchen auf den Boden platscht. „Jetzt reicht’s mir aber! “, schimpft Mama. Und als Torro seiner Schwester unter dem Tisch einen kräftigen Tritt mit seinem Huf verpasst, setzt Mama Torro einfach vor die Küchentür. (5. DS) - Ihr seid doch alle doof, denkt Torro. Überhaupt, alles ist doof, der ganze doofe Tag. Erst als die größeren Stiere Torro auf dem Fußballfeld hin‐ term Haus mitspielen lassen, wird es langsam besser. Da ist der doofe Tag schon fast dabei, ein richtig guter Tag zu werden. Torro ist nämlich ein prima Fußballspieler und die Vögel feuern ihn begeistert an: „Torro vor, schieß ein Tor! Torro vor, schieß ein Tor! “ Das werd ich auch, denkt Torro und schnappt dem größten Stier - zack! - den Ball weg. Er läuft im Zickzack um die anderen Stiere herum, stürmt zum Tor, holt aus, um zu schießen. Doch dann rutscht er ab - und fällt hin. Mitten in einen riesengroßen Kuh‐ fladen. FLATSCH! (6. DS) chen. Aber die Welt ist immer noch rot. Und in Torro ist das Brodeln zu einem wilden Feuer geworden. Es füllt seinen ganzen Körper aus und steigt bis in seinen Kopf hinein. Jetzt hilft nur noch eins. (10. DS) - Torro rennt. Er rennt einfach los, so schnell er kann, so schnell das Feuer ihn treibt. Vorbei am Hühnerhaus, vorbei am Fußballfeld, vorbei am Teich mit den Fröschen. Und weiter, über die große Wiese hinter den Häusern. Torro schnaubt und rennt und schnaubt und rennt und schnaubt und schnaubt und rennt und rennt. (11. DS) - Und plötzlich… (12. DS) - … hört Torro ein lautes Klatschen. Da bleibt er stehen. Sein Herz trommelt. Der Atem jagt durch seine Brust. Aber das Feuer in ihm hat sich abgekühlt. Vor Torro stehen seine Freunde und schauen ihn mit großen Augen an. „Toll! “, staunt Tom. „Tierisch! “, sagt Toni. „Du hast es ge‐ schafft, Torro! “, schreit Trine. „Was denn? “ Torro schaut seine Freunde an. „Was hab ich geschafft? “ (13. DS) - „Schau dich doch mal um“, grinst Toni. Da sieht Torro, was er geschafft hat. Er ist über den Zaun gesprungen! „Wie hast du denn das gemacht? “, fragt Tom. Torro grinst. Von einem Ohr zum anderen. „Weiß ich auch nicht“, sagt er. Aber er weiß, dass es ihm jetzt endlich wieder gut geht. Stierisch gut. (14. DS) - 3.1 Textanalysen 423 Im zweiten Schritt liest die oder der Erwachsene Nicole die Geschichte Torro sieht rot vor. Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Nicole auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“. Dies geht folgendermaßen vonstatten. E: so, jetzt hab ich dir die geschichte vorgelesen. und du hast ganz aufmerksam zugehört. [? ] [N nickt] und jetzt tauschen wir die plätze und DU liest mir die geschichte vor. okay? weil du setzt dich jetzt hier auf den vorlesesessel und ich mich auf den zuhörersessel. [7] wir legen es noch ein bisschen in die mitte, okay? [E zieht das auf dem Tisch liegende Buch nach rechts, sodass es mittig zwischen E und N platziert ist] N: mhm. E: gut. soll ich dich noch ein bisschen dran schieben? N: ja. [E schiebt den Stuhl, auf dem N sitzt, nach vorne] E: so? N: [nickt mit dem Kopf, nimmt das auf dem Tisch liegende Bilderbuch und zieht es nach links, sodass es vor N liegt] [4] mmh. [N legt die Hand an den Mund, dreht den Kopf nach links und schaut zu ihrer Schwester, die auf der Videoaufzeichnung nicht zu sehen ist] [3] E: tu einfach so, als würdest du mir vorlesen. du kannst gar nichts falsch machen. du kennst die geschichte ja auch schon, ne? N: [nickt mit dem Kopf] E: ich hab sie dir ja jetzt auch nochmal vorgelesen. N: mhm. [6] [N schaut zu ihrer Schwester und lächelt] E: du kannst gar nichts falsch machen, nicole. alles ist gut. okay? N: [nickt mit dem Kopf] [6] Nicole beginnt nicht unmittelbar mit dem „Vorlesen“ nach der Aufforderung, das Buch vorzulesen. Die oder der Erwachsene wiederholt die Aufforderung „Tu einfach so, als würdest du mir vorlesen“. Des Weiteren weist sie oder er Nicole noch zweimal darauf hin, dass sie nichts falsch machen kann. Nach weiteren sechs Sekunden Stille beginnt Nicole mit ihrer Textproduktion. Während Nicole so tut, als würde sie das Bilderbuch vorlesen, fährt sie - wie sie es auch bei der oder dem Erwachsenen beobachten konnte - immer wieder mit dem Zeigefinger unterhalb oder auf der Schrift des Bilderbuches entlang. 424 3 Auswertung und Ergebnisse Befindet sich der Text auf der linken Hälfte der Doppelseite, fährt Nicole die Schrift von rechts (Seitenmitte) nach links nach. Befindet sich der Text hingegen auf der rechten Hälfte der Doppelseite, fährt sie die Schrift fast ausschließlich von links nach rechts nach. Nicole beginnt das Zeigen auf die Schrift somit i. d. R. in der Mitte der Doppelseite, was einen Hinweis auf ihre Vorstellung (über die Leserichtung) von Schrift geben kann, der im Rahmen dieser Studie jedoch nicht vertieft werden kann. Zur ersten Doppelseite produziert Nicole folgenden Text: ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an.‘ [2] ‚ich geh nach HAUse.‘ [leicht erhöhte Stimme] ‚komm torro, du schaffst das.‘ [3] ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro. [4] dann springen die anderen einfach wei: ter. aber torro geht immer noch nach HAUSE. [ N fährt immer wieder mit dem Zeigefinger von rechts nach links die Schrift nach] [blättert um] [2] Nicole beginnt ihre Textproduktion mit Figurenrede (direkte Rede) - und zwar mit einem Dialog zwischen dem Protagonisten Torro und anderen Kälbchen. Dreimal verwendet Nicole dabei direkte Rede ohne Begleitsatz, einmal fügt sie einen nachgestellten Begleitsatz an. Auf dem dazugehörigen Bild ist in der oberen Hälfte ein Bulle zu sehen, der gerade über einen Zaun gesprungen ist, allerdings noch in der Luft schwebt. Diesem lässt sich Nicoles erster Satz zuordnen: ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an.‘ Die Information, dass der Bulle hinter dem Zaun landet, wird von Nicole mit Hilfe von direkter Rede ohne Begleitsatz vermittelt. Im Kontrast zum ersten Satz steht der Inhalt des zweiten Satzes, der ‚ich geh nach hause.‘ [leicht erhöhte Stimme] lautet. Nicole greift hier auf das Stilmittel der Anapher zurück, wodurch die Aufmerksamkeit der Zuhörerin bzw. des Zuhörers auf den sich unterscheidenden Teil des Satzes gerichtet wird. Die beiden Sätze lassen sich auch mit Hilfe des strukturellen Musters [„Ich“ + Verb] beschreiben. Die Tätigkeiten über den Zaun springen und nach Hause gehen stehen im Kontrast zueinander. Auch beim zweiten Satz ist ein Bezug zum Bild der ersten Doppelseite erkennbar: Auf der rechten Seite geht ein kleiner Bulle mit hängendem Kopf einen Weg entlang, der vom Zaun, über den der andere kleine Bulle springt, wegführt. Im dritten Satz, der wieder in Form von direkter Rede formuliert ist, erfährt die Zuhörerin oder der Zuhörer den Namen des kleinen Stiers, der nach Hause geht: Torro. ‚komm torro, du schaffst das.‘ Der kleine Stier wird mit Namen angesprochen und ermutigt. Diese wörtliche Rede könnte dem kleinen Stier oder dem weiblichen Kälbchen zugeordnet werden, die hinter dem Zaun abgebildet sind und in Torros 3.1 Textanalysen 425 Richtung blicken. Das weibliche Kälbchen hält einen Arm in die Höhe und scheint Torro zuzuwinken. Der vierte Satz ist eindeutig Torro zuzuordnen, da hier ein nachgestellter Begleitsatz verwendet wird: ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro. Nun verwendet Nicole das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] und kenn‐ zeichnet damit einen zeitlichen Zusammenhang: dann springen die anderen einfach wei: ter. Aus diesem Satz geht inhaltlich hervor, dass nicht nur ein Bulle, sondern alle Kinder über den Zaun springen und dass dies die Tätigkeit ist, zu der sie Torro überreden wollten. Durch den Gebrauch der Partikel einfach entsteht bei der Zuhörerschaft der Eindruck, dass es den anderen nichts ausmacht, dass Torro nicht mitmachen möchte. Nun macht Nicole Gebrauch vom strukturellen Muster [„Aber“ + Verb], und macht damit deutlich, dass Torros Verhalten im Gegensatz zu den Überredungsversuchen steht: aber torro geht immer noch nach HAUSE. Im Aufbau ist eine Steigerung zu erkennen: Torro äußert zweimal den Satz Ich geh nach Hause, allerdings ist beim zweiten Mal die Konjunktion aber eingefügt. Der Abschnitt endet mit dem Satz aber torro geht immer noch nach hause. Wie in Torros zwei Aussagen wird wieder das sprachliche Muster nach Hause gehen verwendet. Erneut wird die Konjunktion aber ergänzt und ein immer noch eingefügt. Hier zeigt sich auch in der sprachlichen Struktur, dass die Überredungskünste der anderen nicht fruchten. Zur zweiten Doppelseite „liest“ Nicole Folgendes „vor“: ‚kann ich die KISten haben, mama? ‘ [leicht erhöhte Stimme] [3] die mama sagt ja. [5] und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf ein FELD. [3] mama [? ], ich geh jetzt irgendwo hin einfach. [leicht erhöhte Stimme] [blättert um] [5] Der Text der zweiten Doppelseite beginnt mit einer Frage in Form von direkter Rede ohne Begleitsatz. Dadurch, dass in der Frage explizit die Mutter adressiert wird und auf dem Bild nur Torro und seine Mutter zu sehen sind, lässt sich schließen, dass Torro diese Frage seiner Mutter stellt. Auf dem Bild ist Torro zu sehen, der Kisten auf dem Arm gestapelt hat. Sein Kopf ist zu seiner Mutter gedreht und sein Maul ist geöffnet. Dieses Bild steht in direktem Bezug zur geäußerten Frage. Des Weiteren kreiert Nicole sprachlich einen Übergang zwischen der Szene auf der zweiten und der Szene auf der dritten Doppelseite, indem sie einen Ortswechsel beschreibt und durch eine Figur ankündigen lässt. Torro geht auf ein Feld und teilt anschließend seiner Mutter mit, dass er „irgendwohin“ geht: und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf ein feld. [3] 426 3 Auswertung und Ergebnisse ‚mama, ich geh jetzt irgendwo hin einfach.‘ [leicht erhöhte Stimme] [blättert um] [5]. Durch die Wiederholung von irgendwohin gehen in Erzählerrede und Figurenrede entsteht eine Parallelität zwischen dem Inhalt der direkten Rede und der Erzählerrede. Auch hier verwendet Nicole die direkte Rede ohne Begleitsatz, macht aber durch die Ansprache der Mutter deutlich, dass Torro diesen Satz äußert. Zur dritten Doppelseite „liest“ Nicole folgenden Text „vor“: so ein mist, jetzt bin ich umgefallen. aber jetzt dOch [? ] nicht. er schaut sich um, weil er so alleine ist, aber eins hat er übersehen. das hu: hn und der frosch kicherten. [blättert um] [2] Zuerst formuliert Nicole Torros Gedanken in einem inneren Monolog. Durch die Formulierung so ein mist wird deutlich, dass Torro ärgerlich ist. Er ist hingefallen. Auf dem Bild ist ein kleiner Stier zu sehen, der zwischen Kisten auf dem Bauch liegt. Warum er im nächsten Moment doch nicht hingefallen ist, lässt sich anhand des Bildes nicht erklären. Aus Nicoles Text geht nicht hervor, was Torro mit den Kisten beabsichtigt. Daher ist an dieser Stelle von einer Leerstelle in Nicoles Text zu sprechen. Zwischen den beiden Sätzen des inneren Monologes wird durch einen elliptischen Anschluss Kohäsion hergestellt. Nach dem inneren Monolog wechselt Nicole wieder in die Erzählerperspektive. Sie verwendet eine hypotaktische Satzkonstruktion, bestehend aus einem Hauptsatz und zwei Nebensätzen. Auf dem Bild sind ein lächelnder Frosch und ein Huhn mit zugekniffenem Auge zu sehen. Diese Information entspricht teilweise folgendem Satz: das huhn und der frosch kicherten. Zur vierten Doppelseite „liest“ Nicole Folgendes „vor“: torro rennt auf die kisten zu, aber eine blieb nun auf sein hörnern stecken. [3] so ein MIST, jetzt muss ich mit meinen hörnern wieder nach HAUse gehen. [blättert um] [.] Der erste Teil dieser Textpassage besteht aus Erzählerrede. Hier „liest“ Nicole „vor“, was Torro tut. Der zweite Teil besteht aus direkter Rede ohne Begleitsatz. Hier wird die Reaktion Torros auf die zuvor beschriebene Situation dargestellt. Dass die Figurenrede von Torro geäußert werden muss, geht aus dem Kontext hervor. Durch die Aussage jetzt muss ich mit meinen hörnern wieder nach HAUse gehen wird implizit ein Szenenwechsel angekündigt. Zur fünften Doppelseite formuliert Nicole die folgende Textpassage: ‚ich WILL den pfannkuchen nicht‘. [Stimme wird wütend unterlegt] ‚(dann) kann ich ihn ja haben [leicht erhöhte Stimme] ‘, sagt kuhdrun. torro schimpfte laut zu kuhdrun. aber kuhdrun 3.1 Textanalysen 427 zog ganz fest an dem teller, so dass/ so dass/ [.] so dass mama das nicht gesehen hat. ‚TORRO‘, [tiefere und ernstere Stimme] sagt mama/ [4] sagt mama [.] und er setzt ihn auf die fenst/ auf/ auf den küchentisch. [blättert um] [2] Nun hat der auf der vorangegangenen Doppelseite angedeutete Szenen‐ wechsel bereits stattgefunden. Das Geschehen findet nicht mehr auf dem Feld statt, sondern bei Torro zu Hause. Explizit in Sprache gefasst wird dies von Nicole nicht. Allerdings zeigen die zugehörigen Bilder zwei Szenen an einem Tisch, auf dem Mittagessen steht. Anschließend produziert Nicole den folgenden Text zur sechsten Doppel‐ seite: so ein doofer ta: g. aber nun darf er mit seinen freunden spielen. [3] und die vögel ruften von an. ‚tor-ro komm, schieß ein tor. [leicht erhöhte Stimme und rhythmisch gesprochen] komm schon, torro: ‘. und dann PLATSCH kommte er in eine pfütze: . [blättert um] [.] Diese Textpassage beginnt erneut mit Figurenrede: so ein doofer ta: g. Auch hier lässt sich aus dem Kontext schließen, dass es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit um einen inneren Monolog von Torro handeln muss. Alternativ könnte es sich auch um direkte Rede innerhalb eines Selbstgespräches handeln oder um einen Erzählerkommentar. Der darauffolgende Satz wird mit der Konjunktion aber eingeleitet. Auf diese Weise wird dem doofen Tag die Möglichkeit Torros, mit seinen Freunden spielen zu dürfen, gegenübergestellt, die dadurch eine positive Wertung erfährt. Dass Torro und seine Freunde Fußball spielen, wird von Nicole nicht explizit erwähnt. Hier enthält ihr Text eine Leerstelle, die jedoch vom zugehörigen Bild, das vier Fußball spielende Stiere zeigt, gefüllt wird. Anschließend werden Vögel erwähnt, die Torro anfeuern. Nicole spricht an dieser Stelle rhythmisch: tor-ro komm, schieß ein tor. Auf der Torlatte sitzen vier schwarze Vögel, von denen drei geöffnete Schnäbel haben. Der darauffolgende Satz und dann PLATSCH kommte er in eine pfütze: wird mit Hilfe der Konjunktion und und dem Temporaladverb dann an das Anfeuern Torros angebunden. Auf diese Weise markiert Nicole ein Nacheinander der beiden Inhalte. In diesem Zusammenhang macht Nicole vom lautmalerischen Ausdruck PLATSCH Gebrauch, mit dem Nicole das Geräusch in Worte fasst, das entsteht, als Torro in der Pfütze landet. Zur siebten Doppelseite formuliert Nicole Folgendes: dann gehte er nach hause, wo mama steht. ‚wasch dich ab draußen und zieh dich aus! ‘ [auffordernde Stimme] mama. ‚das MACH ich nicht.‘ 428 3 Auswertung und Ergebnisse [widerspenstige Stimme] , sagt torro. ‚so kommst du mir aber nicht ins haus.‘ [blättert um] [6] Die nächste Handlung Torros, das Heimgehen, bindet Nicole mit Hilfe des Temporaladverbs dann an die zur vorangegangenen Seite „vorgelesenen“ Hand‐ lung an und stellt dadurch Kohäsion her. Hier bildet Nicole eine hypotaktische Satzkonstruktion bestehend aus einem Haupt- und einem Relativsatz. Auf dem zugehörigen Bild auf der rechten Seite der Doppelseite ist eine Kuh im Kleid vor einer geöffneten Haustür auf dem Rasen stehend zu sehen, die beide Arme in die Hüften stemmt. Die Formulierung wo mama steht fasst dieses Bild in Worte. Der Blick der Kuh ist auf den kleinen Stier gerichtet, der die Arme vor dem Oberkörper verschränkt hat und folglich eine Abwehrhaltung einnimmt. Nach der Klärung des Ortes (zu Hause) und der Nennung einer weiteren Figur (Mama), folgt ein Dialog zwischen der weiteren Figur und Torro. Dabei handelt es sich um eine Art Streitgespräch, in dem Torro sich weigert, der Forderung seiner Mutter Folge zu leisten. Dies passt zu den verschränkten Armen des Stieres auf dem Bild. Der Text, den Nicole zur achten Doppelseite „vorliest“, lautet folgendermaßen: kuhdrun sagte ‚hör auf [? ] da[? ]mit‘ [leicht erhöhte Stimme] , obwohl er gar nichts gemacht hat. [2] aber die hühner halten sich die ohrn zu: und/ und die frösche quarken und/ und singen ein LIE: D. [blättert um] [.] Diese Textpassage beginnt mit direkter Rede mit vorangestelltem Begleitsatz. Wie aus heiterem Himmel sagt Kuhdrun hör auf damit. Weder aus Nicoles Text noch aus den Informationen, die das Bild liefert, geht hervor, womit Torro aufhören soll. Auf dem Bild ist Kuhdrun abgebildet, die lächelnd den Gartenschlauch auf Torro hält, der dadurch nass wird. Der Figurenrede folgt Erzählerrede: obwohl er gar nichts gemacht hat. Diese Aussage entspricht dem Empfinden der Leserin oder des Lesers. Hier bildet Nicole einen durch die Konjunktion (Subjunktion) eingeleiteten Nebensatz. Dadurch wird die Ungerechtigkeit Kuhdruns gegenüber Torro deutlich. Zur neunten Doppelseite formuliert Nicole: dann ist alles ro: t. und kuhdrun schrie ‚ma: ma: ‘. [leicht erhöhte Stimme] und [.] t/ torro geht auf sie zu. [blättert um] [3] Das Ereignis und die Folge der Tat Kuhdruns - alles ist rot - leitet Nicole erneut mit Hilfe des Temporaladverbs dann ein. Die nächsten zwei Handlungen werden mit der Konjunktion und an das jeweils vorangegangene Geschehen angebunden: Kuhdrun schreit nach ihrer Mutter und Torro kommt auf sie zu. 3.1 Textanalysen 429 Zur zehnten Doppelseite produziert Nicole die folgende Textpassage: kuhdrun streckt ihm heimlich die zunge raus. [3] aber mama sieht das gar nicht, was kuhdrun gemacht hat. [3] und das huhn und der frosch hatten sich hinter ein stein VERsteckt. dann rast torro zu die/ zu der GA: Nzen welt. und er springt dann über den zaun. [blättert um] [.] Nun erwähnt Nicole Kuhdruns heimliche Aktion, Torro die Zunge herauszu‐ strecken. Mit der Konjunktion aber leitet sie den nächsten Satz ein. Durch den Gebrauch dieser Konjunktion steht der Inhalt des Satzes - die Mutter sieht es nicht - im Kontrast zum vorangegangenen Inhalt: Kuhdrun streckt Torro die Zunge heraus. Erneut betont Nicole Kuhdruns ungerechtes Verhalten gegenüber Torro. Die nächste Handlung wird von Nicole durch das Temporaladverb dann eingeleitet. Dadurch werden das nun beschriebene Geschehen und das vorangegangene Geschehen als zeitlich nacheinander folgende Handlungen gekennzeichnet. Torro rennt. Darauf folgt sein Sprung über den Zaun. Die Handlung wird sprachlich mit der Konjunktion und an die Handlung des Rennens angeschlossen und zusätzlich mit Hilfe des Temporaladverbs dann zeitlich verortet. Der Zaun wird in Verbindung mit dem bestimmten Artikel erwähnt. Dies markiert sprachlich, dass es sich bei diesem Zaun um den bereits erwähnten Zaun handeln muss. Nicoles Text zur elften Doppelseite lautet: er rennt, er rennt und schnaubt und rennt und schnaubt und rennt und schnaubt. [blättert um] [.] Nun nutzt Nicole das rhetorische Mittel Wiederholung in Kombination mit dem strukturellen Muster [Verb 1 und Verb 2]. Es handelt sich bei den Verben um rennen und schnaufen. Durch dieses rhetorische Mittel wird die lange Zeitspanne, in der das Rennen stattfindet, durch den Gebrauch des Wortes rennen sowie Torros Wut durch den Gebrauch des Wortes schnaufen betont. Zur zwölften Doppelseite formuliert Nicole zwei Wörter: und plötzlich [blättert um] [2]. Durch das Abbrechen des Satzes nach dem Adverb plötzlich wird Spannung aufgebaut, die bis zur darauffolgenden Doppelseite aufrecht gehalten wird. Zur 13. Doppelseite formuliert Nicole anschließend einen Dialog ohne Begleit‐ sätze: ‚bravo, torro. du hast es geschafft.‘ [.] ‚j: a, du hast es geschafft, torro.‘ [erhöhte Tonlage ab ‚bravo‘] ‚was denn? ‘ ‚dreh dich mal um.‘ [blättert um] [2] Auf der linken Seite der 14. Doppelseite sind zwei männliche und ein weibliches Kälbchen mit fröhlichen Gesichtern abgebildet, die gerade dabei sind, 430 3 Auswertung und Ergebnisse in ihre Hufen zu klatschen. Torro ist auf der rechten Doppelseite abgebildet. Er nimmt eine sehr aufrechte Haltung ein. Dadurch, dass Nicole den Satz j: a, du hast es geschafft, torro in einer erhöhten Tonlage spricht, wird deutlich, dass es sich bei den Sprechenden neben Torro um mindestens zwei weitere Tiere handeln muss. Der Abschnitt endet mit der an Torro gerichteten Aufforderung, sich einmal umzudrehen, um herauszufinden, was er geschafft hat. Dadurch, dass der Textabschnitt mit den Worten dreh dich mal um endet, ohne dass aufgelöst wird, was Torro daraufhin tut und sieht, wird erneut Spannung aufgebaut. Der Text zur 14. Doppelseite lautet wie folgt: dann drehte torro sich um. du bist über den z/ ich bin über den zaun gesprungen. w w wie hast du das gemacht? weiß ICH [? ] NICH [? ]. [stark erhöhte Tonlage] und er/ und er k/ und er kicherte wieder weg. Wie in der Figurenrede dreh dich mal um (13. DS) auf der vorangegan‐ genen Doppelseite gefordert, dreht sich Torro nun um. Erneut wird der Satz durch das Temporaladverb dann mit dem vorangegangenen Inhalt verknüpft. Es folgt erneut ein Dialog ohne Begleitsätze. Die Geschichte schließt Nicole mit dem Satz und er/ und er k/ und er kicherte wieder weg. Der Satz wird mit der Konjunktion und in Beziehung zum vorangegangenen Satz gesetzt. Bei der Formulierung wieder weg handelt es sich um eine Alliteration. Bei dem Ausdruck wegkichern scheint es sich um einen Neologismus zu handeln. Möglicherweise könnte dieser Ausdruck kichernd weggehen bedeuten. Diese Deutung deckt sich mit dem rechten Bild der 15. Doppelseite. Es zeigt eine Wiese, auf der Torro breitbeinig mit einer Blume im Maul und in die Hüften gestemmten Hufen steht. Torro steht lächelnd allein auf der Wiese und hat sich somit von den anderen Tieren entfernt. Hier ist die Deutung möglich, dass Torro kichernd von den anderen weggegangen ist. Das beschriebene Bild würde somit die Szene abbilden, die dem Wegkichern folgt. Nicole bezieht die Bilder der Bilderbuchgeschichte stark in ihre Textproduktion ein, was ihren Text - ohne Blick auf die zugehörigen Bilder der einzelnen Doppelseiten - nicht komplett aus sich heraus verständlich macht. Nicoles Text enthält einzelne Leerstellen. So ist bei der direkten Rede nicht immer klar, welche Figur gerade spricht. Kohäsion wird von Nicole mit Hilfe von folgenden Kohäsionsmitteln hergestellt: Nicole greift auf Pro-Formen zurück. Zum einen gebraucht sie dabei Personalpronomen, die sich auf das Subjekt des vorangegangenen Satzes beziehen. Zum anderen verwendet sie mehrfach das Temporaladverb dann zur Herstellung von Kohäsion. Ein weiteres Kohäsions‐ 3.1 Textanalysen 431 mittel, das sich in Nicoles Textproduktion zeigt, sind Konnektoren. So verwendet Nicole als Bindeglieder die Konjunktionen und, aber und sodass. Ein drittes von Nicole einmal verwendetes Kohäsionsmittel ist der elliptische Anschluss (vgl. Linke et al. 2004, S.-251). Im Folgenden werden Inhalte betrachtet, die in Nicoles Text im Vergleich zum Text der Bilderbuchgeschichte als „neu“ bezeichnet werden können. Diese können gemäß ihrer Funktion drei Gruppen zugeordnet werden: Sie dienen erstens der Versprachlichung von zusätzlichen Informationen aus einem Bild, wodurch sie die Funktion der Spezifizierung von Inhalten erfüllen. Zweitens dienen sie dem Erweitern von Dialogen und schaffen drittens Übergänge zwischen Bildern bzw. Szenen. Bei zwei neuen inhaltlichen Elementen handelt es sich um Informationen, die dem jeweils zugehörigen Bild der Doppelseite entnommen werden können (vgl. Tabelle 25 im digitalen Anhang). Durch sie findet eine Spezifizierung des jeweiligen Inhalts des Bilderbuchtextes statt. Erstens enthält der Bilderbuchtext den folgenden Satz: „Selbst der Frosch und das Huhn haben sich verkrochen“ (Abedi 2011, 11. DS). Nicole formuliert einen ähnlichen Satz, der jedoch weitere Informationen enthält: und das huhn und der frosch hatten sich hinter ein stein VERsteckt (11. DS). Der Ort des Versteckens geht aus dem zugehörigen Bild der elften Doppelseite hervor. Nicole wählt das Plusquamperfekt, um den im Bild dargestellten Inhalt in Sprache zu fassen. Damit macht sie deutlich, dass die Aktion des Versteckens bereits vor der Handlung Kuhdruns stattgefunden hat. Zweitens lautet die Textpassage, aus der hervorgeht, wie Torro seine Mutter trifft, folgendermaßen: „‚Mist‘, schimpft Torro auf dem Weg zum Haus. ‚Mist, Mist, Mist! ‘ Und Torros Mama schimpft noch lauter […].“ (Abedi 2011, 7. DS) Nicole fügt ihrer Geschichte in diesem Zusammenhang den im Bilderbuchtext nicht enthaltenen Inhalt hinzu, dass Torros Mutter zu Hause steht. Dieser Inhalt geht dem auch im Bilderbuchtext enthaltenen Schimpfen der Mutter voraus: dann gehte er nach hause, wo mama steht. ‚wasch dich ab draußen und zieh dich aus! ‘ (7. DS). Auf dem zugehörigen Bild ist Torros Mutter mit in die Hüften gestemmten Armen vor einer geöffneten Haustür zu sehen. Zur Versprachlichung dieses inhaltlichen Elements bildet Nicole eine Präteritumform und eine hypotaktische Satzkonstruktion (Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit) sowie eine Präsensform. An zwei Stellen erweitert bzw. vervollständigt Nicole einen Dialog aus dem Bil‐ derbuch. Im Bilderbuch reagiert Torro nicht verbal auf die Ermutigungsversuche seiner Freunde: „Aber Torro dreht sich nicht mal um“ (Abedi 2011, 1. DS). Nicole 432 3 Auswertung und Ergebnisse hingegen kreiert einen kompletten Dialog mit verbalen Reaktionen. Dieser lässt sich als gescheiteter Überredungsversuch betiteln: ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an.‘ [2] ‚ich geh nach HAUse.‘ [leicht erhöhte Stimme] ‚komm torro, du schaffst das.‘ [3] ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro. [4] (1. DS). Die von Torro an seine Mutter gerichtete Frage „Kann ich die Kisten haben, Mama“ (Abedi 2011, 2. DS) ist sowohl Bestandteil des Bilderbuches als auch des Textes von Nicole. Im Gegensatz zu Nicoles Textproduktion, die mit dieser Frage beginnt, ist diese Frage der letzte Satz auf der zweiten Doppelseite im Bilderbuch. Während im Bilderbuch Torros Frage nicht verbal beantwortet wird, vervollständigt bzw. erweitert Nicole die Frage zu einem Dialog: die mama sagt ‚ja‘. [5] Auf diese Weise füllt Nicole eine Leerstelle im Bilderbuchtext. An den zwei genannten Stellen vervollständigt Nicole folglich Dialoge. Einmal schafft Nicole sprachlich einen Übergang zwischen der Szene auf der zweiten und der Szene auf der dritten Doppelseite, indem sie Sätze einbaut, die den Ortswechsel beschreiben. Torro geht auf ein Feld und teilt anschlie‐ ßend seiner Mutter mit, dass er „irgendwohin“ geht: und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf ein FELD. [3] mama [? ], ich geh jetzt irgendwo hin einfach. [leicht erhöhte Stimme] [blättert um] [5] (2. DS). Auch hier verwendet Nicole die direkte Rede ohne Begleitsatz, macht aber durch die Ansprache der Mutter deutlich, dass Torro diesen Satz äußert. Nicole kreiert einen Übergang zwischen den beiden Szenen, indem sie Sätze einbaut, die den Ortswechsel beschreiben. Im Bilderbuch sind diese nicht vorhanden. Auf diese Weise stellt Nicole Kohärenz her. Nachfolgend wird der Blick auf inhaltliche Abweichungen zwischen Nicoles Text und dem Bilderbuchtext gerichtet. Zunächst werden zwei Inhalte thema‐ tisiert, die in Nicoles Text im Vergleich zum Bilderbuchtext in abgewandelter Form enthalten sind (veränderte Inhalte). Bei der folgenden Beobachtung wird erneut der mögliche Einfluss der bildlichen Darstellung auf die sprachliche Gestal‐ tung des Textes deutlich. Eine Zuordnung zur Unterkategorie Bildinterpretation und Weltwissen ist möglich. Im Bilderbuchtext wird in Sprache gefasst, dass Torro in einen großen Kuhfladen fällt: „Doch dann rutscht er ab - und fällt hin. Mitten in einen riesengroßen Kuhfladen. FLATSCH! “ (Abedi 2011, 6. DS) Auf dem zugehörigen Bild ist Torro dargestellt, der soeben in einer braunen Masse im Gras gelandet ist. In der Luft sind einige braune Spritzer zu sehen. Nicole formuliert dazu folgenden Satz: und dann PLATSCH kommte er in 3.1 Textanalysen 433 eine pfütze: (6. DS). Nicole scheint die braune, spritzende Masse somit als Pfütze zu interpretieren - eine Pfütze, die möglicherweise aus durch Erde braungefärbtem Wasser besteht. Möglicherweise nimmt sie hier auf ihr Welt‐ wissen und ihr Erfahrungswissen Bezug. Eventuell haben auch die abgebildeten Spritzer zu dieser Interpretation geführt. Der von ihr gewählte lautmalerische Ausdruck PLATSCH passt besser zur Versprachlichung eines Geräusches, das entsteht, wenn jemand in eine Pfütze fällt als in einen Kuhfladen. Nicole wählt hier nicht den im Buch verwenden Ausdruck „FLATSCH“, sondern scheint auf einen Ausdruck zurückzugreifen, der ihr geläufiger ist. Im Bilderbuch wird Torro von Kuhdrun Stinktier genannt und ausgelacht. Torros Reaktion wird dabei folgendermaßen beschrieben: „‚Hör auf zu lachen‘, warnt er sie gefährlich ruhig“ (Abedi 2011, 8. DS). Nicole wiederum lässt Kuhdrun Torro auffordern, mit „etwas“ aufzuhören: kuhdrun sagte ‚hör auf [? ] da[? ]mit‘ [leicht erhöhte Stimme] , obwohl er gar nichts gemacht hat [2] (8. DS). Sie verwendet somit die Formulierung Hör auf aus dem Bilderbuch. Anschließend bildet sie einen Konzessivsatz und erklärt mit diesem den Widerspruch. Nicole macht demnach Gebrauch einer hypotaktischen Satzkonstruktion und bindet ein Muster aus dem Bilderbuch ein, um einen neuen Inhalt in Sprache zu fassen. Zudem lassen sich im Vergleich zum Bilderbuchtext Inhalte identifizieren, die Nicole nicht thematisiert (ausgelassene Inhalte). Dabei sind die folgenden aus‐ gelassenen Inhalte zum Verständnis der Handlung der Geschichte nicht notwendig. An mehreren Stellen nimmt Nicole durch das Auslassen von Inhalten eine verdichtete Darstellung der Inhalte vor. Erstens verzichtet sie auf eine Einleitung: Nicoles Geschichtenanfang unterscheidet sich strukturell von dem Beginn der Geschichte im Bilderbuch, da sie mit einem Dialog in die Geschichte einsteigt: ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an.‘ [2] ‚ich geh nach HAUse.‘ [leicht erhöhte Stimme] ‚komm torro, du schaffst das.‘ [3] ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro. [4] dann springen die anderen einfach wei: ter. aber torro geht immer noch nach HAUSE. (1. DS) Die Bilderbuchgeschichte hingegen beginnt auf der ersten Doppelseite mit einer Art Einleitung, in der Zeit (vor dem Mittagessen) und Ort des Geschehens (ein Feld) genannt werden und Torro als Stier vorgestellt wird. Des Weiteren wird die Ausgangssituation beschrieben (alle Freunde des jungen Stiers Torro sind bereits über den Zaun gesprungen und Torro ist schon auf dem Weg nach Hause) und auch das Problem dargestellt (Torro hat sich nicht getraut, über 434 3 Auswertung und Ergebnisse den Zaun zu springen). Beim daran anschließenden Abschnitt handelt es sich um einen Dialog, in dem Torros Freunde Torro ermutigen, über den Zaun zu springen. Im Anschluss daran folgt im Bilderbuch ein innerer Monolog von Torro. Zweitens lässt sich zweimal beobachten, dass Nicole den Inhalt der Ge‐ schichte komprimiert, indem sie Handlungsschritte zusammenfasst. Während im Bilderbuch zuerst beschrieben wird, dass der Frosch beim ersten misslungenen Springversuch lacht und das Huhn beim zweiten (vgl. Abedi 2011, 3. DS), fasst Nicole beide Inhalte in einem Satz mit einem Subjekt zusammen und stellt den Inhalt somit verdichtet dar: er schaut sich um, weil er so alleine ist, aber eins hat er übersehen. das hu: hn und der frosch kicherten. (3. DS) Auf dem zugehörigen Bild sind ein grinsender Frosch und ein Huhn mit zugekniffenem Auge zu sehen. An einer weiteren Stelle der Bilderbuchgeschichte werden nähere Informationen zum Rennen Torros gegeben. So wird erstens die Art und Weise des Rennens beschrieben und zweitens findet eine Auflistung der einzelnen Orte bzw. Stationen statt, an denen Torro währenddessen vorbeiläuft: „Torro rennt. Er rennt einfach los, so schnell er kann, so schnell das Feuer ihn treibt. Vorbei am Hühnerhaus, vorbei am Fußballfeld, vorbei am Teich mit den Fröschen. Und weiter, über die große Wiese hinter den Häusern.“ (Abedi 2011, 11. DS) Nicole stellt den Vorgang des Rennens im Vergleich zum Bilderbuchtext komprimierter dar und verzichtet dabei auf Details. Anstatt verschiedene Orte aufzuzählen, nutzt Nicole die umfassende Formulierung zu der GA: Nzen welt. In ihrem Text heißt es: dann rast torro zu die/ zu der GA: Nzen welt. und er springt dann über den zaun (11. DS). Bei weiteren Inhalten, die Nicole auslässt, handelt es sich um Informationen, die im Bilderbuch mittels direkter Rede vermittelt werden. Die Frage, die Torros Mutter ihrem Sohn auf der zweiten Doppelseite im Bilderbuchtext stellt („Was machst du denn schon hier? “ (Abedi 2011, 2. DS)), und ihre Äußerung „Ich dachte, du spielst mit deinen Freunden.“ (Ebd., 2. DS) lässt Nicole weg. Diese Inhalte sind für das Verständnis der Geschichte nicht notwendig. Im Gegensatz zu den zuvor beschrieben Auslassungen entstehen durch das Auslassen der folgenden zwei Inhalte Leerstellen in Nicoles Text. Diese lassen sich jedoch mit Hilfe der Abbildung (und des Kontextes) schließen. Erstens geht aus Nicoles Text nicht hervor, was Torro mit den Kisten (vgl. 3. DS) beabsichtigt. Im Bilderbuchtext hingegen wird erklärt, dass er „in Ruhe Springen üben“ (Abedi 2011, 3. DS) will. Hier enthält Nicoles Text eine Leerstelle. Diese kann nur 3.1 Textanalysen 435 mit Hilfe des Kontextes und des Bildes, das Torro auf Boden liegend zwischen mehreren Kisten zeigt, geschlossen werden. Zweitens wird in Nicoles Text nicht explizit erwähnt, dass Torro mit den anderen Stieren Fußball spielen darf. Nicole formuliert dazu den folgenden Satz: aber nun darf er mit seinen freunden spielen (6. DS). Aus ihrem Text geht hervor, dass er mit seinen Freunden spielen darf, wobei der Name des Spiels - im Gegensatz zum Bilderbuchtext - nicht benannt wird. Im Bilderbuch heißt es: „Erst als die größeren Stiere Torro auf dem Fußballfeld hinterm Haus mitspielen lassen, wird es langsam besser“ (Abedi 2011, 6. DS). Der Gebrauch des sprachlichen Musters ein Tor schießen (‚tor-ro komm, schieß ein tor. [leicht erhöhte Stimme und rhythmisch gesprochen] (6. DS)) deutet jedoch darauf hin, dass es sich bei der Sportart um Fußball handeln muss. Mit Hilfe der beiden Abbildungen auf der zugehörigen Doppelseite ist die von Nicole erwähnte Tätigkeit spielen (6. DS) eindeutig als Fußball spielen zu identifizieren. Neben neuen, veränderten und ausgelassenen Inhalten im Vergleich zum Text der Bilderbuchgeschichte, weist Nicoles Text zudem zweimal eine veränderte Reihenfolge bei der Nennung von Ereignissen auf: Während die Handlung im Bilderbuch an drei Stellen nicht komplett in chronologischer Reihenfolge erzählt wird, erzählt Nicole an zwei dieser drei Stellen hingegen chronologisch. In Nicoles Erzählung kommt der kleine Bulle in diesem Moment (jetzt (1. DS)) hinter dem Zaun an: ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an‘ [2] (ebd.). Dies ist zugleich der erste Satz ihrer Geschichte. Im Bilderbuch hingegen wird vom Springen im Perfekt gesprochen, während Präsens die hauptsächlich verwendete Erzählzeit ist: „Seine Freunde stehen hinter dem Zaun, da wo das große Feld beginnt. Alle sind sie über den Zaun gesprungen.“ (Abedi 2011, 1. DS) An der zweiten Stelle wird Torros Sprung über den Zaum thematisiert. Im Bilderbuchtext wird erst im Nachhinein aufgelöst, dass Torro über den Zaun gesprungen ist - nämlich durch Figurenrede (vgl. Abedi 2011, 13./ 14. DS). Nicole hingegen erzählt auch hier chronologisch und erwähnt den Sprung Torros, noch bevor Torros Freunde darüber sprechen: dann rast torro zu die/ zu der GA: Nzen welt. und er springt dann über den zaun. [blättert um] [.] er rennt, er rennt und schnaubt und rennt und schnaubt und rennt und schnaubt. [blättert um] [.] und plötzlich [blättert um] [2] ‚bravo, torro. du hast es geschafft.‘ (11.-13. DS) An einer dritten Stelle erwähnt auch Nicole ein in der Vergangenheit bereits abgeschlossenes Ereignis. Im Bilderbuchtext steht: „Torro ist jetzt ganz allein. Selbst der Frosch und das Huhn haben sich verkrochen.“ (Abedi 2011, 10. 436 3 Auswertung und Ergebnisse DS) Während im Bilderbuchtext ein Zeitwechsel vom Präsens ins Perfekt stattfindet, wechselt Nicole analog dazu vom Präsens (über das Perfekt) ins Plusquamperfekt: aber mama sieht das gar nicht, was kuhdrun gemacht hat. [3] und das huhn und der frosch hatten sich hinter ein stein VERsteckt. (10. DS) Im Folgenden wird der Blick auf Musterhaftigkeit in Nicoles Textproduktion gelegt. Zunächst werden sprachliche Muster in Nicoles Text thematisiert, die nicht im Bilderbuch vorkommen. Als erstes ist der einmalige Gebrauch des sprachlichen Musters ja sagen, das aus der Partikel ja und dem Verb sagen besteht, zu nennen: die mama sagt ja (2. DS). Im Bilderbuch ist der von Nicole mit diesem sprachlichen Muster zum Ausdruck gebrachte Inhalt nicht explizit enthalten. Mehrmaliger Gebrauch eines sprachlichen Musters (und seiner Variation), das nicht im Bilderbuch vorkommt, ist ebenfalls in Nicoles Text zu identifizieren: So macht Nicole einmal vom sprachlichen Muster komm, Torro (1. DS) in Form von direkter Rede Gebrauch: komm torro, du schaffst das.‘ (1. DS). Einmal nutzt sie die Variation torro, komm (6. DS) und einmal die Variation komm schon, Torro (6. DS) (Typ „Erweitern“): ‚tor-ro komm, schieß ein tor. [leicht erhöhte Stimme und rhythmisch gesprochen] komm schon, torro: ‘ (6. DS). Dabei ist die Variation Torro, komm Bestandteil der Formulierung tor-ro komm, schieß ein tor, die sich wiederum als Variation des sprachlichen Musters „Torro vor, schieß ein Tor! “ (Abedi 2011, 6. DS) aus dem Bilderbuch bezeichnen lässt. Diesen drei Formulierungen liegt das strukturelle Muster [„komm“ + Name] bzw. eine Variation dieses Musters (Typ „Reihenfolge“, „Erweitern“) zugrunde. In allen Beispielen wird das Muster bzw. seine Variation zur Ermutigung des Protagonisten Torro eingesetzt - im ersten Beispiel zum Springen über den Zaun, im zweiten und dritten Beispiel zum Schießen eines Tores im Rahmen eines Fußballspiels. Ermutigende Rufe bekommt Torro auch im Bilderbuchtext in diesen beiden Kontexten. Im ersten Fall werden folgende Formulierungen gewählt: „‚Probier’s mal! ‘, ruft Tom. ‚Gib nicht auf! ‘, brüllt Toni. ‚Du schaffst das schon! ‘, schreit Trine.“ (Abedi 2011, 1. DS) Im zweiten Fall wird lediglich die auch von Nicole in Variation gebrauchte Formel X vor, schieß ein Tor gebraucht. „Torro ist nämlich ein prima Fußballspieler und die Vögel feuern ihn begeistert an: ‚Torro vor, schieß ein Tor! Torro vor, schieß ein Tor! ‘“ (Ebd., 6. DS) Folglich werden im Bilderbuch und in Nicoles Text verschiedene sprachliche Formen genutzt, die jedoch die gleiche Funktion erfüllen: jemanden ermutigen. 3.1 Textanalysen 437 Übertragen auf Polanyis Terminologie (vgl. I.6; Neuweg 2004; Polanyi 1985) könnte Nicoles Vorgehen folgendermaßen beschrieben werden: Das Muster [„komm“ + Name] muss Nicole im Kontext von vorangegangenen Spracherfah‐ rungen begegnet sein. Es könnte eine implizite Verknüpfung zwischen dem Muster [„komm“ + Name] (proximaler Term) und seiner Funktion „jemanden ermutigen“ (distaler Term) bestehen. Bei der Textproduktion liegt der Fokus auf der zu erfüllenden Funktion („jemanden ermutigen“), wodurch das bereits mit dieser Funktion verknüpfte Muster von Nicole hervorgebracht wird. Nicoles Text enthält zudem einmalig und mehrmalig verwendete sprachliche Muster, die im Bilderbuchtext (in Variation) vorkommen. So weist der Text den einmaligen Gebrauch einer Variation eines sprachlichen Musters auf, das im Bilderbuch vorkommt. Dies gilt für die neun Formulierungen ganz fest an etwas reißen, das mach ich nicht, hör auf damit, du schaffst das, dreh dich mal um, wie hast du das gemacht? , weiß ich nicht, laut schimpfen und Torro komm, schieß ein Tor. Der Ausdruck fest an etwas reißen ist im Bilderbuch in folgendem Satz enthalten: „‚Will ich wohl! ‘, ruft Torro und reißt jetzt so fest an dem Teller, dass der ganze Pfannkuchen auf den Boden platscht“ (Abedi 2011, 5. DS). Der in Nicoles Textproduktion vorkommende Ausdruck ganz fest an etwas ziehen lässt sich als Variation (Typ „Ersetzen“, „Erweitern“) dieser Formulierung im gleichen Kontext bezeichnen: aber kuhdrun zog ganz fest an dem teller (5. DS). Im Vergleich zu dieser Formulierung wählt Nicole anstatt des Verbes reißen das Verb ziehen. Das Verb reißen drückt ein starkes Ziehen aus. Es entspricht von seiner Bedeutung her in etwa der Bedeutung, die der von Nicole gewählten Formulierung ganz fest ziehen zugrunde liegt. Nicole bindet den Ausdruck in einen neuen Kontext ein. Die Formulierung mach ich nicht kommt sowohl im Bilderbuch als in Nicoles Textproduktion vor - und zwar im Streitgespräch zwischen Torro und seiner Mutter. Während Torro auf die Aufforderung seiner Mutter, sich sauber zu machen, im Bilderbuch „Mach ich nicht“ (Abedi 2011, 7. DS) antwortet, lässt Nicole Torro ‚das MACH ich nicht‘ sagen. Nicole vervollständigt die Formulierung somit zu einem vollständigen Satz. Es kann an dieser Stelle von einer Übernahme einer Variation (Typ „Ergänzen“) eines sprachlichen Musters im gleichen Kontext gesprochen werden. Nicole verwendet die Formulierung hör auf [? ] da[? ]mit (8. DS) als direkte Rede. Bei dieser scheint es sich um eine Variation des ebenfalls in direkter Rede vorkommenden sprachlichen Musters „Hör auf zu lachen“ (Abedi 2011, 8. DS) (Typ „Ersetzen“) aus dem Bilderbuch zu handeln. Es wird ein anderer, aber ähnlicher Inhalt wie im Bilderbuch vermittelt. 438 3 Auswertung und Ergebnisse 162 https: / / www.duden.de/ rechtschreibung/ schnauzen Nicoles Formulierung du schaffst das (2. DS) lässt sich als Variation des sprachlichen Musters „Du schaffst das schon! “ (Abedi 2011, 2. DS) (Typ „Weg‐ lassen“), das im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird, beschreiben. Bei der Formulierung dreh dich mal um (13. DS) scheint es sich um eine Variation (Typ „Ersetzen“/ „Weglassen“) des sprachlichen Musters „Schau dich doch mal um“ (Abedi 2011, 13. DS) im gleichen Kontext zu handeln. Nicole ersetzt das Verb schauen durch das Wort drehen. Dadurch kommt eine inhaltliche Änderung zustande: Torro soll nicht nur seinen Kopf drehen, sondern sich selbst. Das sprachliche Muster sich umdrehen wird von Nicole erneut im darauffolgenden Satz zur nächsten Doppelseite verwendet: dann drehte torro sich um (14. DS). Auch die Formulierung w w wie hast du das gemacht? (14. DS) kann als Variation der im gleichen Kontext gebrauchten Formulierung „Wie hast du denn das gemacht? “ (Abedi 2011, 14. DS) (Typ „Weglassen“) bezeichnet werden. Gleiches gilt für die Formulierung weiß ICH [? ] NICH (14. DS) in Nicoles Text. Sie kann als Variation des Musters „Weiß ich auch nicht“ (Abedi 2011, 14. DS) (Typ „Weglassen“) im gleichen Kontext beschrieben werden. Einmal gebraucht Nicole die Formulierung laut schimpfen und zwar an der Stelle, als Kuhdrun meint, sie könne Torros Pfannkuchen haben: ‚(dann) kann ich ihn ja haben [leicht erhöhte Stimme] ‘, sagt kuhdrun. torro schimpfte laut zu kuhdrun. (5. DS) Ein ähnlicher Inhalt wird im Bilderbuch mit Hilfe des Wortes schnauzen zum Ausdruck gebracht: „‚Kriegst du gar nicht‘, schnauzt er“ (Abedi 2011, 5. DS). Laut Duden  162 hat das Verb schnauzen folgende Bedeutung: „laut, verärgert und vorwurfsvoll [im Befehlston] sprechen, schimpfen“ (Dudenredaktion o. J.b). Somit sind die beiden Ausdrücke schnauzen und laut schimpfen fast bedeutungsgleich. Zwei proximale Terme sind somit mit dem gleichen distalen Term verknüpft. Im Bilderbuch kommt das Verb schimpfen in drei anderen Kontexten vor: „‚Jetzt reicht’s aber! ‘, schimpft Mama“ (Abedi 2011, 5. DS). „‚Mist‘, schimpft Torro auf dem Weg zum Haus. ‚Mist, Mist, Mist! ‘“ (Ebd., 7. DS) „Sie packt Torro an den Hörnern und schimpft: ‚Nun reicht’s mir aber wirklich! […]‘“ (Ebd., 10. DS) Des Weiteren wird an einer weiteren Stelle der Ausdruck noch lauter schimpfen gebraucht: „Und Torros Mama schimpft noch lauter: ‚Wie siehst du denn schon wieder aus? […]‘“ (Ebd., 7. DS) Nicoles Formulierung lässt sich somit als Variation dieses sprachlichen Musters (Typ „Weglassen“) in einem 3.1 Textanalysen 439 neuen Kontext bezeichnen. Ob es sich um eine Übernahme dieses Musters in Variation handelt, ist unklar. Einmal gebraucht Nicole die Formulierung tor-ro komm, schieß ein tor (6. DS). Im Bilderbuch wird in diesem Kontext zweimal die Formulierung „Torro vor, schieß ein Tor! “ (Abedi 2011, 6. DS) hintereinander verwendet, die nach dem im Sprachgebrauch gängigen strukturellen Muster [„X vor, schieß ein Tor“] gebildet ist: „Torro ist nämlich ein prima Fußballspieler und die Vögel feuern ihn begeistert an: ‚Torro vor, schieß ein Tor! Torro vor, schieß ein Tor! ‘“ (Abedi 2011, 6. DS) Nicoles Formulierung lässt sich als Variation des im Bilderbuch verwendeten Musters bezeichnen (Typ „Ersetzen“). Dabei nutzt sie anstatt des Wortes „vor“ eine Form des Verbes kommen. Diese Formulierung ist leichter zu verstehen. Des Weiteren handelt es sich nun um einen kompletten Satz und nicht mehr um einen elliptischen. Einmaliger Gebrauch eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, lässt sich ebenfalls in Nicoles Textproduktion identifizieren. Viermal verwendet Nicole ein sprachliches Muster in genau der gleichen Form, wie es im Bilderbuch vorkommt. Zur siebten Doppelseite formuliert Nicole ein Streitgespräch zwischen Torro und seiner Mutter, das entsteht, nachdem Torro verdreckt vom Fußballspielen nach Hause kommt: dann gehte er nach hause, wo mama steht. ‚wasch dich ab draußen und zieh dich aus! ‘ [auffordernde Stimme] mama. ‚das MACH ich nicht.‘ [widerspenstige Stimme] , sagt torro. ‚so kommst du mir aber nicht ins haus.‘ (7. DS) Nachdem Torros Mutter ihn aufgefordert hat, sich sauber zu machen und Torro sich geweigert hat, nutzt Nicole als Reaktion der Mutter die Formulierung so kommst du mir aber nicht ins haus (7. DS), die auch im Bil‐ derbuchtext vorkommt. Diese Formulierung erfüllt in Nicoles Text die Funktion eines Verbotes: Torro darf nicht ins Haus kommen. Im Bilderbuch läuft das Zusammentreffen von Torro und seiner Mutter wie folgt ab: Die ersten drei Aussagen der Mutter lauten: „Wie siehst du denn schon wieder aus? So kommst du mir aber nicht ins Haus! Zieh deine dreckigen Sachen aus und spritz dich draußen mit dem Gartenschlauch ab! “ (Abedi 2011, 7. DS) Die von Nicole übernommene Formulierung ist somit Bestandteil einer kompletten Äußerung bestehend aus Vorwürfen und Forderungen. Erst im Anschluss daran weigert sich Torro, den Aufforderungen seiner Mutter nachzugehen. Die Szene endet folgendermaßen: „‚Dann bleibst du eben draußen‘, erwidert Mama und schlägt Torro die Tür vor der Nase zu“ (ebd., 7. DS). Wie in Nicoles Text endet auch der Bilderbuchtext mit dem an Torro gerichtete Verbot, ins Haus zu kommen. Dieses wird jedoch mit den Worten „Dann bleibst du eben draußen“ 440 3 Auswertung und Ergebnisse (ebd., 7. DS) ausgedrückt. Folglich „liest“ Nicole einen ähnlichen Ausgang des Gespräches zwischen Torro und seiner Mutter „vor“, gestaltet dies jedoch sprachlich anders, indem sie auf eine Formulierung zurückgreift, die ihr im Bilderbuch in einem anderen Kontext begegnet ist, aber eine ähnliche Funktion erfüllt wie die, die im Bilderbuch am Ende der Szene verwendet wurde. Es handelt sich somit um eine wörtliche Übernahme eines sprachlichen Musters in einem neuen Kontext. Auch an einer zweiten Stelle verwendet Nicole einmal exakt dieselbe Formu‐ lierung wie im Bilderbuch: „Kann ich die Kisten haben, Mama? “ (Abedi 2011, 2. DS). Auffällig dabei ist, dass sie dieses Muster auf eine andere Art und Weise in ihren Text einbindet, als es im Bilderbuch geschieht. In Nicoles Text ist das Muster Bestandteil eines Dialoges bestehend aus einer Frage und einer Antwort, der im Bilderbuchtext nicht zustande kommt: ‚kann ich die KISten haben, mama? ‘ [leicht erhöhte Stimme] [3] die mama sagt ja. [5] (2. DS). Im Bilderbuch hingegen ist die Frage Torros eine Reaktion auf eine Entdeckung und einer daraus resultierenden Idee: „Dabei fällt sein Blick auf die leeren Apfelkisten und er hat eine Idee. ‚Kann ich die Kisten haben, Mama? ‘“ (Abedi 2011, 2. DS) Diese wiederum wird in Nicoles Text nicht beschrieben. Das dritte sprachliche Muster, das von Nicole wortwörtlich in ihre Textpro‐ duktion übernommen worden zu sein scheint, lautet und plötzlich. Sie nutzt es, um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Handlung plötzlich geschieht: dann rast torro zu die/ zu der GA: Nzen welt. und er springt dann über den zaun. [blättert um] [.] er rennt, er rennt und schnaubt und rennt und schnaubt und rennt und schnaubt. [blättert um] [.] (11. DS) und plötzlich [blättert um] [2] (12. DS) ‚bravo, torro. du hast es geschafft.‘ [.] ‚j: a, du hast es geschafft, torro.‘ [erhöhte Tonlage ab ‚bravo‘] (11.-13. DS). Im Gegensatz zu Nicoles Text wird im Bilderbuchtext das Muster und plötzlich auf der folgenden Doppelseite zu einem Satz vervollständigt: „Torro schnaubt und rennt und schnaubt und rennt und schnaubt und schnaubt und rennt und rennt. Und plötzlich… …hört Torro ein lautes Klatschen.“ (Ebd.,12.-14. DS) Nicole nutzt das Muster somit zur gleichen Doppelseite und im gleichen Kontext, bindet es jedoch auf eine andere Weise in den Textzusammenhang ein als das Bilderbuch. Die von Nicole gebrauchte Formulierung du hast es geschafft ist identisch mit der Formulierung, die im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird. Nicole bindet sie aber in einen neuen textuellen Zusammenhang ein: ‚bravo, torro. du hast es geschafft.‘[.] ‚j: a, du hast 3.1 Textanalysen 441 es geschafft, torro.‘ [erhöhte Tonlage ab ‚bravo‘] (13. DS). „‚Toll! ‘, staunt Tom. ‚Tierisch! ‘, sagt Toni. ‚Du hast es geschafft, Torro! ‘, schreit Trine.“ (Abedi 2011, 13. DS) Von den vier wörtlichen Übernahmen aus dem Bilderbuch bindet Nicole somit drei auf eine andere Weise in ihren Text ein, als sie in den Text des Bilderbuches eingebunden sind. Es konnte zudem der mehrmalige Gebrauch einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, erkannt werden: Im Gegensatz zum Bilderbuch verwendet Nicole dreimal das sprachliche Muster nach Hause gehen, während auf der gleichen Seite im Bilderbuch einmal das sprachliche Muster nach Hause trotten gebraucht wird. Nach Hause gehen kann zwar als Varia‐ tion des sprachlichen Musters nach Hause trotten (Typ „Ersetzen“) bezeichnet werden. Allerdings handelt es sich beim sprachlichen Muster nach Hause trotten um die Variation des weitaus verbreiteteren Phraseologismus nach Hause gehen. Innerhalb der Textproduktion von Nicole findet eine zweifache Variation des sprachlichen Musters nach Hause gehen statt. ‚ich geh nach HAUse.‘ (1. DS) ‚ich geh aber nach hause‘ […], sagt torro (1. DS). aber torro geht immer noch nach HAUSE (1. DS). Zunächst wird die Konjunktion aber eingefügt: aber nach Hause gehen. Anschließend wird der Ausdruck immer noch eingefügt: aber immer noch nach Hause gehen. Dies kann als Klimax bezeichnet werden. Durch den Gebrauch dieses rhetorischen Mittels liegt zusätzlich Musterhaftigkeit auf der dritten Ebene vor. Das rhetorische Mittel Steigerung (Klimax), das durch eine zweifache Variation des sprachlichen Musters nach Hause gehen (Typ „Ergänzen“) ent‐ standen ist, lässt sich im Bilderbuch auf der gleichen Doppelseite, allerdings in einem anderen Kontext finden: „Er hat es vorgestern nicht geschafft. Er hat es gestern nicht geschafft. Wieso sollte er es ausgerechnet heute schaffen? “ (Abedi 2011, 1. DS) Ähnlich wie in der von Nicole gebildeten Steigerung (Klimax) unterscheiden sich die ersten beiden Sätze nur durch die Änderung eines Wortes. Der dritte Satz unterscheidet sich - genau wie bei Nicoles Konstruktion - ebenfalls strukturell stärker von den ersten beiden, weist aber das gleiche Subjekt und Prädikat auf. Das von Nicole verwendete Muster könnte somit vom Muster des Bilderbuches inspiriert sein. Es konnten neun strukturelle Muster in Nicoles Textproduktion identifiziert werden. Zunächst wird der mehrmalige Gebrauch eines strukturellen Musters, das nicht im Bilderbuch vorkommt, in den Blick genommen. So wird das strukturelle Muster [„So ein“ + Nomen] zweimal gebraucht und ein drittes Mal in der Varia‐ tion (Typ „Erweitern“) [„So ein“ + Adjektiv + Nomen]. Das Muster verwendet 442 3 Auswertung und Ergebnisse Nicole zur sprachlichen Gestaltung von inneren Monologen des Protagonisten Torro. Dabei wird es stets verwendet, um negative Emotionen zum Ausdruck zu bringen: so ein mist, jetzt bin ich umgefallen (3. DS). so ein MIST, jetzt muss ich mit meinen hörnern wieder nach HAUse gehen (4. DS). so ein doofer ta: g (6. DS). Den ersten beiden Formulierungen liegt zusätzlich das folgende strukturelle Muster zugrunde: [„So ein Mist, jetzt“ + Verb]. Im Bilderbuch sind die beiden beschriebenen Muster nicht vorhanden. Hier wird lediglich eine inhaltlich ähnliche Formulierung genutzt: „‚Mist‘, schimpft Torro auf dem Weg zum Haus. ‚Mist, Mist, Mist! ‘“ (Abedi 2011, 7. DS) Im Vergleich zu den entsprechenden Textpassagen des Bilderbuches ist Folgendes zu beobachten: Während Nicole den Satz so ein doofer ta: g (6. DS) formuliert, lautet die entsprechende Formulierung im Bilderbuch „Ihr seid doch alle doof, denkt Torro. Überhaupt, alles ist doof, der ganze doofe Tag.“ (Abedi 2011, 6. DS). Folglich stellt Nicole mit Hilfe des Musters komprimiert den Inhalt dar, der im Bilderbuch mit Hilfe von mehreren Sätzen zum Ausdruck gebracht wird. Im zweiten Fall nutzt Nicole das Muster, um Torros Sturz in Worte zu fassen sowie seine negativen Gedanken über seinen Sturz zum Ausdruck zu bringen: so ein mist, jetzt bin ich umgefallen (3. DS). Im Bilderbuch werden diese Inhalte auf der verbalen Ebene nicht thematisiert. Es geht aus dem Bild der dritten Doppelseite sowie aus dem folgenden Satz hervor, dass Torro gestürzt ist: „‚Gack-gack-gack‘, kichert das Huhn, als Torro beim zweiten Versuch stolpert und hinfällt“ (Abedi 2011, 3. DS). Das Muster dient also als Beginn eines Satzes, der einen Inhalt sprachlich ausdrückt, der im Bilderbuch nicht versprachlicht wird. Im dritten Fall nutzt Nicole das Muster ebenfalls, um einen Satz zu beginnen. Hier werden Torros negative Gedanken darüber in Worte gefasst, dass er vermutlich mit der aufgespießten Kiste auf den Hörnern zurück nach Hause gehen muss: so ein MIST, jetzt muss ich mit meinen hörnern wieder nach HAUse gehen (4. DS). Im Bilderbuch wird dieser Inhalt nicht thematisiert. Hier wird lediglich die Tatsache versprachlicht, dass eine Kiste auf Torros Hörnern steckenbleibt (vgl. Abedi 2011, 4. DS). Nicole greift somit zweimal auf ein Muster zurück, als sie Inhalte in Sprache fasst, die im Bilderbuch nicht in Sprache gefasst werden. Dieses Muster (p) muss sie durch vorangegangene Lernerfahrungen erworben haben und mit einer Funktion (z. B. Ausdruck von Emotionen über ein Objekt) implizit verknüpft haben, da sie es funktional in ihrer Textproduktion nutzt. Der mehrmalige Gebrauch eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vor‐ kommt, lässt sich in Nicoles Text im Hinblick auf die im Folgenden themati‐ sierten fünf sprachlichen Strukturen [„Aber“ + Satz], [„jetzt“ + Verb], [„einfach“ 3.1 Textanalysen 443 + Verb], [Satz + „und“ + Satz] und [Adjektiv + Verb] identifizieren. Das strukturelle Muster [„Aber“ + Satz] wird von Nicole siebenmal genutzt und liegt sechs Formulierungen des Bilderbuchtextes zugrunde. Dabei wird es in nur einem Fall in beiden Texten im gleichen Kontext verwendet. Hier formuliert Nicole die folgende Textpassage: kuhdrun streckt ihm heimlich die zunge raus. [3] aber mama sieht das gar nicht, was kuhdrun gemacht hat. [3] (10. DS). Der äquivalente Textabschnitt des Bilderbuches lautet: „Aber was Kuhdrun gemacht hat, sieht Mama nicht“ (Abedi 2011, 10. DS). Da sowohl der Inhalt als auch die Satzkonstruktion starke Ähnlichkeiten aufweisen, scheint es sich in diesem Fall um eine Übernahme eines Musters im gleichen Kontext zu handeln. In sechs weiteren Textpassagen wird dieses Muster von Nicole verwendet: dann springen die anderen einfach wei: ter. aber torro geht immer noch nach HAUSE. (1. DS) er schaut sich um, weil er so alleine ist, aber eins hat er übersehen. das hu: hn und der frosch kicherten (3. DS). torro rennt auf die kisten zu, aber eine blieb nun auf sein hörnern stecken (4. DS). torro schimpfte laut zu kuhdrun. aber kuhdrun zog ganz fest an dem teller, so dass/ so dass/ [.] so dass mama das nicht gesehen hat. (5. DS) so ein doofer ta: g. aber nun darf er mit seinen freunden spielen. (6. DS) kuhdrun sagte ‚hör auf [? ] da[? ]mit‘ [leicht erhöhte Stimme] , obwohl er gar nichts gemacht hat. [2] aber die hühner halten sich die ohrn zu: und/ und die frösche quarken und/ und singen ein LIE: D. (8. DS) Sechsmal wird das strukturelle Muster im Bilderbuchtext in der Erzählerrede verwendet, um Kontraste darzustellen: „‚Du schaffst das schon! ‘, schreit Trine. Aber Torro dreht sich nicht mal um.“ (Abedi 2011, 1. DS) „‚Hör auf zu lachen‘, warnt er sie gefährlich ruhig. Aber Kuhdrun hört nicht auf.“ (Ebd., 8. DS) „Sie sieht nur die kreischende Kuhdrun. Aber was Kuhdrun gemacht hat, sieht Mama nicht.“ (Ebd., 10. DS) „Torro ist jetzt ganz allein. Selbst der Frosch und das Huhn haben sich verkrochen. Aber die Welt ist immer noch rot.“ (Ebd., 10. DS) „Der Atem jagt durch seine Brust. Aber das Feuer in ihm hat sich abgekühlt.“ (Ebd., 13. DS) „‚Weiß ich auch nicht‘, sagt er. Aber er weiß, dass es ihm jetzt endlich wieder gut geht.“ (Ebd., 14. DS) Ob das mehrfache Vorhandensein dieses Musters im Bilderbuch Nicoles mehrfachen Gebrauch des Musters in neuen Kontexten beeinflusst hat, ist unklar. Sechsmal verwendet Nicole das Muster [„jetzt“ + Verb] - und zwar fünfmal innerhalb der direkten Rede und einmal innerhalb der Erzählerrede. Einmal ist 444 3 Auswertung und Ergebnisse dieses Muster in einem elliptischen Satz (ohne Verb) enthalten (vgl. 3. DS). ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an.‘ [2] (1. DS) und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf ein FELD. [3] mama [? ], ich geh jetzt irgendwo hin einfach. [leicht erhöhte Stimme] (2. DS) so ein mist, jetzt bin ich umgefallen. aber jetzt dOch [? ] nicht. (3. DS) so ein MIST, jetzt muss ich mit meinen hörnern wieder nach HAUse gehen. (4. DS) Durch den Gebrauch des Temporadverbs jetzt erfährt die jeweilige Aussage eine Einordnung in das zeitliche Geschehen. Im Bilderbuchtext ist dieses Muster sowohl einmal als Bestandteil von direkter Rede als auch fünfmal innerhalb der Erzählerrede enthalten: „‚Jetzt reicht’s aber! “, schimpft Mama“ (Abedi 2011, 5. DS). „‚Will ich wohl! ‘, ruft Torro und reißt jetzt so fest an dem Teller, dass der ganze Pfannkuchen auf den Boden platscht“ (ebd., 5. DS). „Denn jetzt sieht Torro rot“ (ebd., 9. DS). „Torro ist jetzt ganz allein“ (ebd., 10. DS). „Jetzt hilft nur noch eins“ (ebd., 10. DS). „Aber er weiß, dass es ihm jetzt endlich wieder gut geht“ (ebd., 14. DS). Im Bilderbuch überwiegt somit das Vorkommen des Musters innerhalb der Erzählerrede, während es in Nicoles Text hauptsächlich als Bestandteil von direkter Rede vorkommt. Zudem wird das Muster von Nicole nicht in den gleichen Kontexten wie im Bilderbuch gebraucht. Es könnte sich somit um eine Übernahme eines strukturellen Musters aus dem Bilderbuch handeln, das von Nicole stets in neuen Kontexten verwendet wird. Zwei Formulierungen aus Nicoles Textproduktion liegt das strukturelle Muster [„einfach“ + Verb] zugrunde. Es wird von Nicole einmal in der Erzähler‐ rede und einmal in der Figurenrede verwendet. Die erste Textpassage, die dieses Muster enthält, lautet: ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro. [4] dann springen die anderen einfach wei: ter. (1. DS) Hier wird die Partikel einfach mit dem Verb (weiterspringen) kombiniert, das im Kontrast zu Torros Handlung (nach Hause gehen) steht. Der Gebrauch dieses Wortes lässt die Wirkung entstehen, dass die anderen Tiere keinen großen Wert auf Torros Beteiligung am Spiel zu legen scheinen. Im Bilderbuch wird das Weiterspringen der Stiere nicht thematisiert. Es ist allerdings im Bild dargestellt. Somit bedient sich Nicole dieses Musters, um einen im Bilderbuch nicht in Sprache gefassten Inhalt zu versprachlichen. Die zweite Textpassage, die das Muster beinhaltet, lautet: und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf ein FELD. [3] mama [? ], ich geh jetzt irgendwo hin einfach. [leicht erhöhte Stimme] (2. DS). Die Wörter irgendwohin und einfach 3.1 Textanalysen 445 passen semantisch zueinander. Sie drücken eine gewisse Lockerheit oder aber Resignation seitens des jungen Stieres Torro aus. Auch hier wird ein Inhalt unter Rückgriff dieses Musters in Sprache gefasst, der im Bilderbuchtext nicht thematisiert wird. Im Bilderbuchtext ist diese Formulierung ausschließlich in anderen Kontexten enthalten - teils in Erzählerrede, teils in Figurenrede: „Und als Torro seiner Schwester unter dem Tisch einen kräftigen Tritt mit seinem Huf verpasst, setzt Mama Torro einfach vor die Küchentür“ (Abedi 2011, 5. DS). „‚Nun reicht’s mir aber wirklich! Dich einfach auf deine kleine Schwester zu stürzen! Jetzt ist es endgültig genug, Torro! ‘“ (Abedi 2011, 10. DS) „Er rennt einfach los, so schnell er kann, so schnell das Feuer ihn treibt“ (ebd., 11. DS). Folglich ist es denkbar, dass es sich bei dem strukturellen Muster [„einfach“ + Verb], das zwei Formulierungen in Nicoles Text zugrunde liegt, um eine Übernahme aus dem Bilderbuch handelt. Dabei wird dieses Muster von Nicole stets in anderen Kontexten als im Bilderbuchtext verwendet. Fünfmal verwendet Nicole auch das strukturelle Muster [Satz + „und“ + Satz]. Im Bilderbuch ist das Muster siebenmal enthalten, wobei es einmal in einer Variation vorkommt. In zwei Fällen wird das Muster von Nicole im gleichen Kontext eingesetzt wie im Bilderbuch. Diese beiden Fälle werden kurz erläutert. In der folgenden Textpassage wird die Aussage, dass Torro von den Vögeln angefeuert wird, mit der Konjunktion und mit dem vorangegangenen Satz verbunden: aber nun darf er mit seinen freunden spielen. [3] und die vögel ruften von an. (6. DS) Im Bilderbuchtext ist die gleiche Konstruktion zu sehen: „Torro ist nämlich ein prima Fußballspieler und die Vögel feuern ihn begeistert an“ (Abedi 2011, 6. DS). Daher ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es sich an dieser Stelle um eine Übernahme eines strukturellen Musters im gleichen Kontext durch Nicole handelt. Nicole produziert des Weiteren folgende Textpassage, in der sie den Konflikt zwischen Torro und seiner Mutter thematisiert. Dabei wird der Satz, der die Reaktion der Mutter auf Torros Verhalten beschreibt, durch die Konjunktion und mit dem vorangehenden Satz verbunden: ‚TORRO‘, [tiefere und ernstere Stimme] sagt mama/ [4] sagt mama [.] und er setzt ihn auf die fenst/ auf/ auf den küchentisch. (5. DS) In der äquivalenten Passage des Bilderbuches wird das strukturelle Muster [Satz + „und“ + „als“ + Satz] verwendet: „‚Jetzt reicht’s aber! ‘, schimpft Mama. Und als Torro seiner Schwester unter dem Tisch einen kräftigen Tritt mit seinem Huf verpasst, setzt Mama Torro einfach vor die Küchentür.“ (Abedi 2011, 5. DS) In den folgenden drei Textpassagen macht Nicole auch Gebrauch vom Muster [Satz + „und“ + Satz]: die mama sagt ja. [5] und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf 446 3 Auswertung und Ergebnisse ein FELD. [3] (2. DS) aber die hühner halten sich die ohrn zu: und/ und die frösche quarken und/ und singen ein LIE: D (8. DS). weiß ICH [? ] NICH [? ]. [stark erhöhte Tonlage] und er/ und er k/ und er kicherte wieder weg (14. DS). Im Bilderbuch ist das Muster noch Bestandteil der folgenden fünf Textpas‐ sagen: „Dabei fällt sein Blick auf die leeren Apfelkisten und er hat eine Idee“ (Abedi 2011, 2. DS). „Der Frosch hält sich den Bauch und das Huhn kugelt sich vor Lachen auf dem Boden“ (ebd., 4. DS). „‚Mist‘, schimpft Torro auf dem Weg zum Haus. ‚Mist, Mist, Mist! ‘ Und Torros Mama schimpft noch lauter.“ (Ebd., 7. DS) „Aber was Kuhdrun gemacht hat, sieht Mama nicht. Und davon hören will sie auch nichts.“ (Ebd., 10. DS) „Aber die Welt ist immer noch rot. Und in Torro ist das Brodeln zu einem wilden Feuer geworden“ (ebd.). Ferner verwendet Nicole zwei Formulierungen, denen das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] zugrunde liegt, das im Bilderbuch viermal vorkommt. Die Formulierung laut schimpfen (5. DS) ist in folgendem Satz zu finden: torro schimpfte laut zu kuhdrun (5. DS). Im Bilderbuch wird dieses strukturelle Muster in Variation, nämlich in Form einer Steigerung, aber gefüllt mit dem sprachlichen Muster laut schimpfen in einem anderen Kontext genutzt: „Und Torros Mama schimpft noch lauter: ‚Wie siehst du denn schon wieder aus? […]‘“ (Abedi 2011, 7. DS). Daher könnte es sich hier auch um das Nutzen einer Variation eines sprachlichen Musters aus Bilderbuch in einem anderen Kontext handeln. Der Ausdruck jemandem heimlich die Zunge rausstrecken wird von Nicole im folgenden Satz verwendet: kuhdrun streckt ihm heimlich die zunge raus (10. DS). Im Bilderbuchtext heißt es in einem ähnlichen Kontext: „Die streckt Torro im Weggehen heimlich die Zunge raus“ (Abedi 2011, 10. DS). Das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen], das zehn Formulierungen des Bilderbuches zugrunde liegt, taucht in Nicoles Text lediglich einmal auf (so ein doofer ta: g. (6. DS)). Hier wird es von Nicole im gleichen Kontext wie im Bilderbuch gebraucht: „der ganze doofe Tag“ (Abedi 2011, 6. DS). Ein weiteres strukturelles Muster, das Nicole einmal verwendet und das sich als Variation des Musters [Adjektiv + Verb] bezeichnen lässt, lautet [„ganz“ + Adjektiv + Verb]. Es erfüllt die Funktion, die Bedeutung eines Adjektivs zu verstärken. Nicole greift auf dieses Muster bei der Produktion folgenden Satzes zurück: aber kuhdrun zog ganz fest an dem teller (5. DS). Sie drückt damit aus, dass es sich um ein sehr starkes Ziehen am Teller handelt. Im Bilderbuch wird auf ein anderes sprachliches Mittel zurückgegriffen, um den gleichen Inhalt auszudrücken, nämlich auf das strukturelle Muster 3.1 Textanalysen 447 [„so“ + Adjektiv + „dass“]: „‚Will ich wohl! ‘, ruft Torro und reißt jetzt so fest an dem Teller, dass der ganze Pfannkuchen auf den Boden platscht“ (Abedi 2011, 5. DS). Das von Nicole in diesem Kontext gewählte Muster lässt sich als Variation dieses Musters (Typ „Ersetzen“) beschreiben. Hierbei wird lediglich eine Intensitätspartikel (ganz) durch eine andere Intensitätspartikel (so) ersetzt. Es lässt sich aber auch als Gebrauch eines Musters aus dem Bilderbuch in einem neuen Kontext bezeichnen. Auf der gleichen Doppelseite liegt es der Formulierung ganz lieb fragen zugrunde: „‚Was ist denn los mit dir? ‘, fragt Mama ganz lieb“ (Abedi 2011, 5. DS). Den mehrmaligen Gebrauch (einer Variation) eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch (in Variation) vorkommt, weist Nicoles Textproduktion ebenfalls auf: Sie enthält acht Formulierungen, die dem strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] folgen. Davon ist dieses Muster einmal Bestandteil von direkter Rede und siebenmal von Erzählerrede. In der folgenden Textpassage, die aus direkter Rede besteht, verwendet Nicole das strukturelle Muster nach dem Sprecherwechsel zwischen Torro und Kuhdrun, um die Konsequenz aus dem zuvor Geäußerten zu nennen: ‚ich WILL den pfannkuchen nicht‘. [Stimme wird wütend unterlegt] ‚(dann) kann ich ihn ja haben [leicht erhöhte Stimme] ‘, sagt kuhdrun. (5. DS) In der Erzählerrede erfüllt das Muster die Funktion, eine neue Handlung einzuleiten: und die vögel ruften von an. ‚tor-ro komm, schieß ein tor. [leicht erhöhte Stimme und rhythmisch gesprochen] komm schon, torro: ‘. und dann PLATSCH kommte er in eine pfütze: . (6. DS) aber mama sieht das gar nicht, was kuhdrun gemacht hat. [3] und das huhn und der frosch hatten sich hinter ein stein VERsteckt. dann rast torro zu die/ zu der GA: Nzen welt. (10. DS) In drei Fällen dient das Muster zusätzlich dem Herstellen eines Übergangs zwischen zwei Doppelseiten bzw. Bildern: und dann PLATSCH kommte er in eine pfütze: . [blättert um] [.] dann gehte er nach hause, wo mama steht. (6.-7. DS) kuhdrun sagte ‚hör auf [? ] da[? ]mit‘ [leicht erhöhte Stimme] , obwohl er gar nichts gemacht hat. [2] aber die hühner halten sich die ohrn zu: und/ und die frösche quarken und/ und singen ein LIE: D. [blättert um] [.] dann ist alles ro: t. (8.-9. DS) ‚dreh dich mal um.‘ [blättert um] [2] dann drehte torro sich um. (13.-14. DS) Im Bilderbuch wird das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] dreimal ver‐ wendet: Zweimal als Bestandteil der direkten Rede und einmal in einer vari‐ 448 3 Auswertung und Ergebnisse ierten Form als Bestandteil der Erzählerrede. Dabei wird das Muster lediglich einmal im Bilderbuch und in Nicoles Text im gleichen Kontext verwendet - und zwar als Bestandteil der direkten Rede. Die Passage des Bilderbuches lautet: „‚Den will ich nicht essen‘, sagt Torro, als ihm Mama einen dicken Apfelpfann‐ kuchen auf den Teller legt. […] ‚Dann krieg ich eben zwei Pfannkuchen‘, sagt sie.“ (Abedi 2011, 5. DS) Der Inhalt ist in Nicoles Text in leicht abgewandelter Form enthalten: ‚(dann) kann ich ihn ja haben‘ (5. DS). Ein zweites Mal ist das Muster im Bilderbuch in der direkten Rede enthalten: „‚Dann bleibst du eben draußen‘, erwidert Mama und schlägt Torro die Tür vor der Nase zu“ (Abedi 2011, 7. DS). Dieser Inhalt ist in Nicoles Text nicht enthalten. In der variierten Form [„Doch dann“ + Verb] wird das Muster im Bilderbuch einmal in der Erzählerrede verwendet: „Doch dann rutscht er ab - und fällt hin. Mitten in einen riesengroßen Kuhfladen.“ (Ebd., 6. DS) Nicole greift zur Darstellung eines ähnlichen Inhalts auf eine Variation des Musters [„Dann“ + Verb] (Typ „Erweitern“) zurück, nämlich [„Und dann“ + „platsch“ + Verb]: und dann PLATSCH kommte er in eine pfütze: (ebd., 6. DS). Da es sich bei dem strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] im mündlichen und schriftlichen Sprachgebrauch um ein recht gängiges sprachliches Mittel handelt, ist nicht unbedingt anzunehmen, aber auch nicht auszuschließen, dass Nicole hier ein strukturelles Muster aus dem Bilderbuch variiert und mehrfach nutzt. Nichtsdestotrotz scheint Nicole implizites Wissen über das Muster [„Dann“ + Verb] und seine Bedeutung zu haben, da sie es mehrfach funktionell in ihrer Textproduktion einsetzt. Im Gegensatz zu Nicoles Text wird das Muster im Bilderbuch nicht zum Herstellen von Übergängen zwischen Doppelseiten bzw. Bildern genutzt. An erzähltypischen Mustern weist Nicoles Text zwei Formen von Figurenrede auf: Die direkte Rede und den inneren Monolog. Nicole verwendet in ihrem Text einmal direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz, sechsmal direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz und 15-mal direkte Rede ohne Begleitsatz. Alle drei Formen von direkter Rede sind ebenfalls im Bilderbuchtext enthalten. Anders als in Nicoles Text, in dem direkte Rede ohne Begleitsatz überwiegt, dominiert im Bilderbuch direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz. Direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz ist sowohl in Nicoles Text als auch im Bilderbuchtext am wenigsten enthalten (jeweils einmal). An drei bis vier Stellen, an denen Nicole direkte Rede ohne Begleitsatz verwendet, formuliert sie Dialoge zwischen Figuren der Narration. So entstehen an einigen Stellen in Nicoles Text auf diese Weise Leerstellen. Im Begleitsatz verwendet Nicole fünfmal das unspezifische Verb sagen (1. DS, 2. DS, 5. DS, 7. DS, 8. DS) sowie je einmal die spezifischen 3.1 Textanalysen 449 Verben schimpfen (5. DS) und rufen (6. DS). Die genannten Verben sind ebenfalls Bestandteil von Begleitsätzen in der Bilderbuchgeschichte. In den folgenden Textpassagen gebraucht Nicole direkte Rede, um die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch zum Ausdruck zu bringen, die dort ebenfalls in Form von direkter Rede vermittelt werden (Fall 1). Die sprachliche Darstellung dieser ähnlichen oder gleichen Inhalte wie im Bilderbuch kann in Nicoles Text genau die gleiche Form annehmen, eine Variation dieser Form sein oder eine andere Form als im Bilderbuchtext annehmen. Zunächst werden die Passagen aufgelistet, die mit den entsprechenden Passagen im Bilderbuch wortwörtlich übereinstimmen: ‚kann ich die KISten haben, mama? ‘ [leicht erhöhte Stimme] (2. DS) „Kann ich die Kisten haben, Mama? “ (Abedi 2011, 2. DS) ‚was denn? ‘ (13. DS) „‚Was denn? ‘“ (Abedi 2011, 13. DS) Bei diesen zwei Passagen handelt es sich jeweils um direkte Rede ohne Begleitsatz. Es folgt eine Auflistung von Textpassagen, in denen ein ähnlicher Inhalt wie im Bilderbuch von Nicole zwar auch in Form von direkter Rede, aber sprachlich auf eine andere Weise zum Ausdruck gebracht wird. Zunächst werden die Textpassagen aus Nicoles Text (inklusive der äquivalenten Textpassagen des Bilderbuches) aufgelistet, bei denen Nicole auf die gleiche Form der direkten Rede wie im Bilderbuch zurückgreift. • ‚(dann) kann ich ihn ja haben [leicht erhöhte Stimme] ‘‚ sagt kuhdrun (5. DS). „‚Dann krieg ich eben zwei Pfannkuchen‘, sagt sie“ (Abedi 2011, 5. DS). • ‚TORRO‘, [tiefere und ernstere Stimme] sagt mama/ [4] sagt mama [.] (5. DS). „‚Jetzt reicht’s aber! ‘, schimpft Mama.“ (Abedi 2011, 5.-DS) • ‚tor-ro komm, schieß ein tor. [leicht erhöhte Stimme und rhythmisch gesprochen] komm schon, torro: ‘ (6. DS). „Torro vor, schieß ein Tor! Torro vor, schieß ein Tor! “ (Abedi 2011, 6. DS) • ‚wasch dich ab draußen und zieh dich aus! ‘ [auffordernde Stimme] mama (7. DS). „Und Torros Mama schimpft noch lauter: ‚[…] Zieh deine dreckigen Sachen aus und spritz dich draußen mit dem Garten‐ schlauch ab! ‘“ (Abedi 2011, 7. DS) • ‚das MACH ich nicht.‘ [widerspenstige Stimme] , sagt torro. (7. DS) „‚Mach ich nicht‘, sagt Torro trotzig“ (Abedi 2011, 7. DS). • und kuhdrun schrie ‚ma: ma: ‘. [leicht erhöhte Stimme] (9. DS) „Kuhdrun kreischt: ‚Maaaamaaaa! Hiiiilfe! ‘“ (Abedi 2011, 9. DS) 450 3 Auswertung und Ergebnisse Im Gegensatz zu der entsprechenden Passage im Bilderbuch verzichtet Nicole in den folgenden Beispielen auf den nachgestellten Begleitsatz. • ‚komm torro, du schaffst das.‘ [3] (1. DS). „‚Probier’s mal! ‘, ruft Tom. ‚Gib nicht auf! ‘, brüllt Toni. ‚Du schaffst das schon! ‘, schreit Trine.“ (Abedi 2011, 1. DS) • ‚ich WILL den pfannkuchen nicht‘ [Stimme wird wütend unterlegt] (5. DS). „‚Den will ich nicht essen‘, sagt Torro, als ihm Mama einen dicken Apfelpfannkuchen auf den Teller legt“ (Abedi 2011, 5. DS). • ‚so kommst du mir aber nicht ins haus.‘ (7. DS) „Und Torros Mama schimpft noch lauter: ‚[…] So kommst du mir aber nicht ins Haus! ‘“ (Abedi 2011, 7. DS) und „‚Dann bleibst du eben draußen‘, erwidert Mama und schlägt Torro die Tür vor der Nase zu.“ (Abedi 2011, 7. DS) • ‚bravo, torro. du hast es geschafft.‘ [.] ‚j: a, du hast es geschafft, torro.‘ [erhöhte Tonlage ab ‚bravo‘] (13. DS) „‚Toll! ‘, staunt Tom. ‚Tierisch! ‘, sagt Toni. ‚Du hast es geschafft, Torro! ‘, schreit Trine.“ (Abedi 2011, 13. DS) • ‚dreh dich mal um.‘ (13. DS) ‚„Schau dich doch mal um‘, grinst Toni“ (Abedi 2011, 13. DS) . • ‚w w wie hast du das gemacht? ‘ (14. DS) „‚Wie hast du denn das gemacht? ‘, fragt Tom“ (Abedi 2011, 14. DS) . • ‚weiß ICH [? ] NICH [? ].‘ [stark erhöhte Tonlage] (14. DS) „‚Weiß ich auch nicht‘, sagt er“ (Abedi 2011, 14. DS). In folgenden Kontexten verwendet Nicole direkte Rede als sprachliches Mittel, um Inhalte, die im Bilderbuch in Erzählerrede wiedergegeben werden, in Sprache zu fassen (Fall 2). Im ersten Beispiel verwendet Nicole direkte Rede und lässt Torro somit die Information verkünden, die im Bilderbuch durch den Erzähler vermittelt wird: ‚ich geh nach HAUse.‘ [leicht erhöhte Stimme] (1. DS) „Es ist noch längst nicht Zeit zum Mittagessen, als Torro, der kleine Stier, mit gesenktem Kopf nach Hause trottet“ (Abedi 2011, 1. DS). Im zweiten Beispiel spricht Torro selbst aus, was er geschafft hat: Er ist über den Zaun gesprungen: dann drehte torro sich um. du bist über den z/ ich bin über den zaun gesprungen (14. DS). Ob es sich hierbei um direkte Rede oder einen inneren Monolog Torros handelt, kann nicht eindeutig bestimmt werden. Im Bilderbuch werden Torros Gedanken mit Hilfe von Erzählerrede wiedergegeben: „Da sieht Torro, was er geschafft hat. Er ist über den Zaun gesprungen! “ (Abedi 2011, 14. DS) In den folgenden Textpassagen gebraucht Nicole das Mittel direkte Rede, um Inhalte in Sprache zu fassen, die im Bilderbuch nicht versprachlicht, jedoch im 3.1 Textanalysen 451 Bild dargestellt sind (Fall 3) oder gar nicht enthalten sind (Fall 4). Alle drei Text‐ passagen lassen sich beiden Fällen gleichzeitig zuordnen. So formuliert Nicole zur ersten Doppelseite folgenden Satz: ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an.‘ [2] (1. DS) Auf dem Bild ist ein springender junger Bulle über einem Zaun zu sehen, während im Bilderbuchtext dieser Bulle nicht explizit erwähnt wird. Auch seine Aussage ist im Bilderbuchtext nicht enthalten, wohl aber, dass alle (außer Torro) über den Zaun gesprungen sind (vgl. Abedi 2011, 1. DS). Zur gleichen Doppelseite enthält Nicoles Text die Formulierung ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro. [4] (1. DS). Im Bilderbuchtext wird hingegen keine verbale Reaktion von Torro auf die ermutigenden Worte seiner Freunde vermittelt. Auf dem entsprechenden Bild ist der kleine Stier mit hängendem Kopf auf einem Weg zu sehen, der von dem Feld, auf dem die Springaktion stattfindet, wegführt (vgl. Abedi 2011, 1. DS). Dieses Bild passt zu der von Nicole formulierten direkten Rede. Zur zweiten Doppelseite formuliert Nicole den folgenden Satz in Form von direkter Rede: mama [? ], ich geh jetzt irgendwo hin einfach. [leicht erhöhte Stimme] (2. DS). Aus dem Text des Bilderbuches geht nicht hervor, dass Torro seine Mutter über seinen Plan informiert. Die beiden auf dem Bild abgebildeten Tiere schauen sich an und haben geöffnete Mäuler. Torro hält vier gestapelte Apfelkisten in den Armen (vgl. Abedi 2011, 2. DS). Zu dieser Abbildung passt die von Nicole formulierte Aussage Torros. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Nicole am häufigsten (15-mal) auf direkte Rede zurückgreift, um die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch zu vermitteln, die im Bilderbuch ebenfalls als direkte Rede formuliert sind (Fall 1). Lediglich zweimal handelt es sich dabei um wörtliche Übernahmen. Dreimal verwendet Nicole direkte Rede, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch nicht versprachlicht sind (Fall 3) oder nicht versprachlicht und nur teilweise im Bild abgebildet sind. Zweimal greift sie auf das sprachliche Mittel der direkten Rede zurück, um Inhalte zu vermitteln, die im Bilderbuch in Erzählerrede wiedergegeben werden (Fall 2). Nicoles Begleitsätze weisen fünfmal das unspezifische Verb sagen auf und je einmal die präzisen Verben schimpfen und rufen (vgl. Tabelle 26 im digitalen Anhang). Auffällig dabei ist, dass Nicole lediglich Verben wählt, die im Bilder‐ buchtext mehrfach vorkommen. Während im Bilderbuch an einer Stelle das spezifische Verb schimpfen in einem Begleitsatz vorkommt, greift Nicole im gleichen Kontext auf das unspe‐ zifische Verb sagen zurück (vgl. Tabelle 27 im digitalen Anhang). Eine zusätzliche Information transportiert sie durch die Wahl einer ernst klingenden Stimme, sodass die Handlung der Figur einer Ermahnung gleichkommt. Zwischen dem 452 3 Auswertung und Ergebnisse Verb ermahnen und dem im Bilderbuchtext in der äquivalenten Textpassage enthaltenen Verb schimpfen besteht eine semantische Nähe. Nicole macht zudem dreimal Gebrauch von einem inneren Monolog. Dieses er‐ zähltypische Muster ist im Bilderbuchtext ebenfalls dreimal enthalten. In Nicoles Text handelt es sich in allen drei Fällen um die Gedanken des Protagonisten Torro, die sie mittels dieses Musters zum Ausdruck bringt: so ein mist, jetzt bin ich umgefallen. aber jetzt dOch [? ] nicht (3. DS). so ein MIST, jetzt muss ich mit meinen hörnern wieder nach HAUse gehen (4. DS). so ein doofer ta: g (6. DS). Dabei ist lediglich auf der sechsten Doppelseite im Bilderbuch ein innerer Monolog im gleichen Kontext zu finden: „Überhaupt, alles ist doof, der ganze doofe Tag“ (Abedi 2011, 6. DS). Obwohl der Text der Bilderbuchgeschichte zahlreiche Phraseologismen und Variationen von Phraseologismen enthält (vgl. digitaler Anhang), weist Nicoles Text lediglich einige wenige dieser Formulierungen auf. Dabei verwendet Nicole keine der im Bilderbuchtext enthaltenen Variationen von Phraseologismen. Auch der titelgebende Phraseologismus rot sehen, der remotiviert wurde und im Bilderbuchtext zweimal enthalten ist (vgl. Abedi 2011, 0. DS, 9. DS), wird von Nicole nicht aufgegriffen. Auf die strukturellen Muster der Form [Adjektiv + Nomen], [Adjektiv + Verb] und ihre Variationen, die im Bilderbuchtext zahlreich zu finden sind, wird von Nicole nur vereinzelt (viermal) zurückgegriffen. Während der Bilderbuchtext 23 strukturelle Muster enthält, bei dem ein Adjektiv ein anderes Wort näher bestimmt, macht Nicole insgesamt lediglich viermal Gebrauch von einem solchen strukturellen Muster (vgl. Tabelle 28 im digitalen Anhang). Zudem weist das Bilderbuch zahlreiche rhetorische Mittel wie Anaphern, Epiphern und Alliterationen auf (vgl. digitaler Anhang), während sich in Nicoles Text nur einige wenige rhetorische Mittel finden lassen. Zusammenfassend lassen sich folgende Beobachtungen zu Musterhaftigkeit in Nicoles Text festhalten: Nicole macht häufig Gebrauch vom erzähltypischen Muster der direkten Rede, das auch im Bilderbuchtext häufig vorkommt. Dieses Element dient unter anderem der Strukturierung ihres Textes. Dabei verwendet Nicole sowohl direkte Rede ohne Begleitsatz (Dialoge von Figuren) als auch direkte Rede mit Begleitsatz. Direkte Rede verwendet Nicole am häufigsten, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die auch im Bilderbuchtext mittels dieses Musters sprachlich transportiert werden, wobei sich die Formulierungen in den beiden Texten in den meisten Fällen unterscheiden. Dreimal macht Nicole 3.1 Textanalysen 453 Gebrauch von einem inneren Monolog - und zwar zweimal in anderen Kontexten und einmal im gleichen Kontext wie im Bilderbuch. Zur (zeitlichen) Strukturierung ihrer Geschichte macht Nicole achtmal vom strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] Gebrauch, das ebenfalls im Text der Bilderbuchgeschichte enthalten ist. Dabei kommt dieses Muster im Bilderbuch und in Nicoles Text lediglich zweimal im gleichen Kontext vor. Dreimal erfüllt dieses Muster in Nicoles Text zusätzlich die Funktion, einen Übergang zwischen zwei Doppelseiten bzw. zwei Bildern herzustellen - eine Funktion, die es im Bilderbuch nicht hat. Fünfmal verwendet Nicole das ebenfalls im Bilderbuch vorkommende strukturelle Muster [Satz + „und“ + Satz] und stellt damit Verbindungen zwischen einzelnen Inhaltselementen her. Dieses Muster ist in Nicoles Text teilweise in den gleichen und teilweise in anderen Kontexten als im Bilderbuch enthalten. Sechsmal greift Nicole zudem auf das strukturelle Muster [„jetzt“ + Verb] zurück, wodurch Inhalte in den zeitlichen Zusammenhang eingeordnet werden. Dieses Muster kommt im Bilderbuch in anderen Kontexten vor. Siebenmal verwendet Nicole das ebenfalls im Bilderbuch vorkommende strukturelle Muster [„Aber“ + Satz], um Kontraste zwischen Aussagen darzu‐ stellen. Im Bilderbuchtext kommt dieses Muster meist in anderen Kontexten vor. Zudem verwendet Nicole zwei Formulierungen, die nach dem strukturellen Muster [„einfach“ + Verb] gebildet worden sind. Im Bilderbuchtext sind Formu‐ lierungen, denen dieses Muster zugrunde liegt, lediglich in anderen Kontexten vorhanden. Bei ihrer Textproduktion scheint Nicole auch vier einmalige wörtliche Über‐ nahmen sprachlicher Muster aus dem Bilderbuchtext vorzunehmen. Drei dieser sprachlichen Muster bindet Nicole auf eine andere Weise in ihren Text ein, als sie in den Bilderbuchtext eingebunden sind. Nicole macht des Weiteren Gebrauch von verschiedenen Arten von Mustern, die nicht in der Bilderbuchgeschichte enthalten sind. So verwendet sie in der direkten Rede mehrfach das strukturelle Muster [„komm“ + Name] zur Ermuti‐ gung von Figuren, während diese Funktion im Bilderbuch durch ein anderes Muster erfüllt wird. Zudem macht Nicole dreimal Gebrauch vom strukturellen Muster [„So ein“ + Nomen] sowie von einer Variation dieses Musters in der direkten Rede. Mit Hilfe dieses Musters stellt sie an einer Stelle einen Inhalt in komprimierter Form dar, der im Bilderbuch durch mehrere Sätze zum Ausdruck gebracht wird. In den anderen beiden Fällen greift sie auf dieses Muster zurück, um jeweils einen Inhalt in Sprache zu fassen, der im Bilderbuch sprachlich nicht vermittelt wird. An einer Stelle weist Nicoles Text eine Steigerung (Klimax) und somit ein Muster der dritten Ebene auf. Dieses rhetorische Mittel wird im Bilderbuch auf 454 3 Auswertung und Ergebnisse der gleichen Doppelseite ebenfalls verwendet, wobei andere Inhalte mittels dieses Musters transportiert werden. Darüber, ob Nicoles Wahl dieses rheto‐ rischen Mittels durch das Vorhandensein einer Steigerung auf der gleichen Doppelseite beeinflusst wurde, können keine Aussagen getroffen werden. Nicoles Textproduktion weist einige Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit auf und zwar in Bezug auf Tempus, Syntax und Lexik. Obwohl der Erzählertext des Bilderbuches im Präsens gehalten ist, verwendet Nicole dennoch elf Verben im Präteritum und eines im Plusquamperfekt. Beim Vorlesen des Bilderbuches durch die Erwachsene oder den Erwachsenen vor der Pretend-Reading-Situation liest der oder die Erwachsene sechsmal versehent‐ lich ein Verb im Präteritum anstatt im Präsens vor. Allerdings handelt es sich hierbei nicht um die Verben, die Nicole im Präteritum verwendet. Festzuhalten ist, dass Nicole durch die Pretend-Reading-Situation herausgefordert wird, schriftsprachliche Zeitformen zu bilden. Nicole bildet Präteritumformen von vier schwachen Verben: kicherten (3. DS), schimpfte (5. DS), sagte (8. DS), drehte (14. DS) und kicherte (14. DS). Zwei Prä‐ teritumformen starker Verben bildet sie korrekt: blieb (4. DS) und schrie (9. DS). Bei drei Präteritumformen starker Verben lässt sich eine Übergeneralisierung erkennen: ruften (6. DS), kommte (6. DS) und gehte (7. DS). Nicoles Text ist überwiegend im Präsens verfasst und enthält 30 Präsensformen. Darüber hinaus verwendet Nicole dreimal das Tempus Perfekt. Nicoles Textproduktion besteht aus 57 Hauptsätzen, fünf Nebensätzen und sechs elliptischen Sätzen. Die hypotaktischen Satzkonstruktionen werden nun näher beschrieben und mit Nebensatzkonstruktionen aus dem Bilderbuch verglichen (vgl. Tabelle 29 im digitalen Anhang). Nicole verwendet verschiedene Arten von Adverbialsätzen. Einmal bildet sie einen Kausalsatz, der mit der Konjunktion weil eingeleitet wird: er schaut sich um, weil er so alleine ist, aber eins hat er übersehen (3. DS). Im Bilderbuchtext werden keine mit der Konjunktion weil eingeleiteten Kausalsätze verwendet. Die Aussage, die Nicole mit dem Kausalsatz bildet, ist im Bilderbuch gar nicht enthalten. Einmal bildet sie einen Konsekutivsatz, den sie mit der Konjunktion sodass einleitet: aber kuhdrun zog ganz fest an dem teller, so dass/ so dass/ [.] so dass mama das nicht gesehen hat (5. DS). Im Bilderbuchtext werden auch keine mit der Konjunktion sodass ein‐ geleiteten Konsekutivsätze verwendet. Die Aussage, die mit dem Konsekutivsatz getroffen wird, ist im Bilderbuch im Zusammenhang mit dem Tellerstreit nicht enthalten. Im Zusammenhang mit dem Tellerstreit wird hier eine ähnliche 3.1 Textanalysen 455 Satzkonstruktion mit der Konjunktion dass verwendet: „‚Will ich wohl! ‘, ruft Torro und reißt jetzt so fest an dem Teller, dass der ganze Pfannkuchen auf den Boden platscht“ (Abedi 2011, 5. DS). Somit könnte die Konstruktion Nicoles eine Variation dieser Satzkonstruktion darstellen. Dann formuliert Nicole einen Relativsatz. Diesen leitet Nicole mit dem Relativadverb wo ein: dann gehte er nach hause, wo mama steht (7. DS). Dieser Inhalt ist im Bilderbuchtext nicht enthalten. Im Bilderbuchtext wird einmal ein mit dem Relativadverb wo eingeleiteter Relativsatz verwendet - allerdings in einem anderen Kontext: „Seine Freunde stehen hinter dem Zaun, da wo das große Feld beginnt“ (Abedi 2011, 1. DS). Nicole bildet einmal einen mit der Konjunktion obwohl eingeleiteten Konzes‐ sivsatz: kuhdrun sagte ‚hör auf [? ] da[? ]mit‘ [leicht erhöhte Stimme] , obwohl er gar nichts gemacht hat [2] (8. DS). Im Bilderbuchtext werden keine mit der Konjunktion obwohl eingeleiteten Konzessivsätze gebraucht. Des Weiteren ist auch der durch diesen Konzessivsatz zum Ausdruck gebrachte Inhalt im Bilderbuch nicht enthalten. Des Weiteren nutzt Nicole einen Relativsatz, der mit dem Relativpronomen was eingeleitet wird: kuhdrun streckt ihm heimlich die zunge raus. [3] aber mama sieht das gar nicht, was kuhdrun gemacht hat. [3] (10. DS). Die äquivalente Formulierung im Bilderbuch lautet: „Aber was Kuhdrun gemacht hat, sieht Mama nicht“ (Abedi 2011, 10. DS). Nicole stellt im Gegensatz zum Bilderbuch den Hauptsatz voran und wählt somit die gängigere Satzstellung. Im Bilderbuchtext wird noch an zwei weiteren Stellen ein mit dem Relativpronomen was eingeleiteter Relativsatz verwendet, bei dem der Hauptsatz wie in Nicoles Konstruktion vorangeht (vgl. Abedi 2011, 5. DS, 14. DS; vgl. Tabelle 29 im digitalen Anhang). Durch das Setting wurde Nicole somit herausgefordert, fünf hypotaktische Satzkonstruktionen zu bilden. Während sie lediglich einmal einen Nebensatz im gleichen Kontext mit der gleichen Nebensatzkonstruktion bildet, wählt Nicole viermal einen Nebensatz, um einen Inhalt zum Ausdruck zu bringen, der im Bilderbuchtext nicht enthalten ist: Dreimal verwendet Nicole dazu Konjunktionen, die im Bilderbuch nicht vorkommen (weil, sodass und obwohl). Einmal wählt sie ein Relativadverb (wo), das im Bilderbuch in einem anderen Kontext enthalten ist. Insbesondere der Gebrauch der Konjunktionen obwohl und sodass, die im Bilderbuchtext selbst nicht verwendet werden, wirken in einem hohen Maße konzeptionell schriftlich. Nicole gebraucht zweimal das Temporaladverb nun, das eher dem schriftsprachlichen Register zugeordnet werden kann: torro rennt auf die kisten zu, aber eine blieb nun auf sein 456 3 Auswertung und Ergebnisse hörnern stecken [3] (4. DS). so ein doofer ta: g. aber nun darf er mit seinen freunden spielen. [3] (6. DS). Im Bilderbuch wird das Temporaladverb nun nur in einem anderen Kontext verwendet: „Sie packt Torro an den Hörnern und schimpft: ‚Nun reicht’s mir aber wirklich! Dich einfach auf deine kleine Schwester zu stürzen! Jetzt ist es endgültig genug, Torro! ‘“ (Abedi 2011, 9. DS) An einer Stelle nutzt Nicole die Formulierung sich umschauen, die als gehobene Lexik bezeichnet werden kann: er schaut sich um, weil er so alleine ist, aber eins hat er übersehen (3. DS). Im Bilderbuch wird im gleichen Kontext auf dieses Muster zurückgegriffen: „Nach allen Seiten schaut der kleine Stier sich um. Guckt auch wirklich keiner zu? “ (Abedi 2011, 3. DS) Es wird jedoch auch in anderen Kontexten und in Variation im Bilderbuch verwendet: „‚Schau dich doch mal um‘, grinst Toni“ (ebd., 13. DS). Im Bilderbuchtext enthaltene Variationen dieser Formulierung lauten aus etwas schauen („Mama schaut aus dem Fenster“ (ebd., 5. DS)) und jemanden anschauen („Torro schaut seine Freunde an. ‚Was hab ich geschafft? ‘“ (Ebd., 12. DS)). Zudem nutzt Nicole die Formulierung eins hat er übersehen, bevor sie das Übersehene schildert: er schaut sich um, weil er so alleine ist, aber eins hat er übersehen. das hu: hn und der frosch kicherten. (3. DS) Diese konzeptionell schriftsprachliche Formulierung ist im Bilderbuch nicht enthalten. Hier wird in diesem Kontext folgende Formulierung verwendet: „Zwei kleine Tiere hat Torro übersehen“ (Abedi 2011, 3. DS). Der Bilderbuchtext weist das Pronomen eins jedoch noch in einem anderen Kontext auf: „Jetzt hilft nur noch eins“ (ebd.,10. DS). Nicole stellt Monologizität her. Ihre Textproduktion wird nicht durch Dialoge mit der Zuhörerin oder dem Zuhörer unterbrochen. Die meiste Zeit ist Nicoles Blick auf die Bilderbuchseiten gerichtet. Nicoles Textproduktion weist Merkmale auf, die auf eine Leserorientierung deuten. So enthält ihr Text einige rhetorische Mittel. Die folgende Textpassage beinhaltet eine sich wiederholende Paarformel: er rennt, er rennt und schnaubt und rennt und schnaubt und rennt und schnaubt (11. DS). Das rhetorische Mittel der Wiederholung ist von Nicole funktional eingesetzt, da es die Dauer des wütenden Rennens Torros auf der sprachlichen Ebene verstärkt. Zudem enthält Nicoles Textproduktion eine Anapher: ‚ich komme jetzt [.] hinter den zaun an.‘ [2] ‚ich geh nach HAUse.‘ [leicht erhöhte Stimme] ‚komm torro, du schaffst das.‘ [3] ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro. (1. DS) Auch der Gebrauch der Anapher in diesem Zusammen‐ hang kann als funktional bezeichnet werden. 3.1 Textanalysen 457 Die Betonung bestimmter Inhalte lässt auf eine Leserorientierung schließen. So setzt Nicole zum einen die Intensitätspartikel so und ganz bzw. das Adjektiv ganz zur Betonung von Aussagen ein: dann rast torro zu die/ zu der GA: Nzen welt. (10. DS) er schaut sich um, weil er so alleine ist, aber eins hat er übersehen. (3. DS) aber kuhdrun zog ganz fest an dem teller, so dass/ so dass/ [.] so dass mama das nicht gesehen hat. (5. DS) Zum anderen akzentuiert Nicole einzelne oder mehrere Wörter durch eine besondere Intonation. Diese Akzentuierungen nimmt Nicole in den folgenden Textpassagen in Figurenrede - und zwar in der direkten Rede bzw. in einem inneren Monolog Torros (vgl. 4. DS) vor: so ein MIST (4. DS). ‚das MACH ich nicht.‘ [widerspenstige Stimme] , sagt torro (7. DS). und kuhdrun schrie ‚ma: ma: ‘ [leicht erhöhte Stimme] (9. DS). j: a, du hast es geschafft, torro.‘ (13. DS) weiß ICH [? ] NICH [? ] [stark erhöhte Tonlage] (14. DS). Die von Nicole in der direkten Rede vorgenommenen Akzentuierungen sind alle funktional: Sie sind entsprechend des natürlichen Sprachgebrauchs eingesetzt und können eine stärkere Involvierung der Zuhörenden oder des Zuhörers in die Geschichte bewirken. Auch in der Erzählerrede sind Akzentuierungen von einzelnen Wörtern zu finden. In der folgenden Textpassage betont Nicole das Schlüsselwort rot durch die Dehnung des Vokals „o“: dann ist alles ro: t (9. DS). Im folgenden Textausschnitt wird das lautmalerische Wort PLATSCH durch eine besondere Betonung hervorgehoben. Dadurch wird bei der Zuhörerin oder dem Zuhörer die bildliche Vorstellung der Aktion erleichtert: und dann PLATSCH kommte er in eine pfütze: (6. DS). Zudem verleiht Nicole während ihrer Textproduktion einigen Figuren Stimmen, die sich von ihrer Erzählerstimme unterscheiden. Auffällig ist, dass Nicole teilweise eine höhere Tonlage wählt, um die Redebeiträge des kleinen Stiers Torro darzustellen: ‚kann ich die KISten haben, mama? ‘ [leicht erhöhte Stimme] (2. DS) und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf ein FELD. [3] mama [? ], ich geh jetzt irgendwo hin einfach. [leicht erhöhte Stimme] (2. DS) weiß ICH [? ] NICH [? ]. [stark erhöhte Tonlage] (14. DS). Des Weiteren werden alle von dem Kälbchen Kuhdrun geäußerten Redebei‐ träge in einer leicht erhöhten Tonlage gesprochen: ‚(dann) kann ich ihn ja haben [leicht erhöhte Stimme] ‘, sagt kuhdrun (5. DS). kuhdrun sagte ‚hör auf [? ] da[? ]mit‘ [leicht erhöhte Stimme] , obwohl 458 3 Auswertung und Ergebnisse er gar nichts gemacht hat (8. DS). und kuhdrun schrie ‚ma: ma: ‘ [leicht erhöhte Stimme] (9. DS). Teilweise werden auch die Stimmen der anderen Kälbchen in einer erhöhten Tonlage wiedergegeben: ‚bravo, torro. du hast es geschafft.‘ [.] j: a, du hast es geschafft, torro.‘ [erhöhte Tonlage ab ‚bravo‘] (13. DS). Während es sich bei den soeben aufgelisteten Redebeiträgen ausschließlich um Äußerungen von Kälbchen handelt, wird im Gegensatz dazu kein Redebei‐ trag der Mutter, einer Erwachsenen, von Nicole in einer erhöhten Tonlage gesprochen. Dies zeigt, dass der Wechsel in eine andere Tonlage von Nicole funktional ist und passend zur entsprechenden Altersgruppe der Figur gewählt wurde. Teilweise verändert Nicole auch entsprechend der emotionalen Verfassung der Figur ihre Stimme. Dies soll an den folgenden Textpassagen verdeutlicht werden: ‚ich geh aber nach hause‘ [Stimme leicht widerspenstig] , sagt torro (1. DS). ‚ich WILL den pfannkuchen nicht‘ [Stimme wird wütend unterlegt] (5. DS). ‚komm schon, torro: ‘. ‚wasch dich ab draußen und zieh dich aus! ‘ [auffordernde Stimme] (7. DS) ‚das MACH ich nicht.‘ [widerspenstige Stimme] , sagt torro (7. DS). In der folgenden Textpassage wählt Nicole einen zur Situation passenden Sprechrhythmus: ‚tor-ro komm, schieß ein tor [leicht erhöhte Stimme und rhythmisch gesprochen] (6. DS). Blickkontakt zur Zuhörerin oder dem Zuhörer nimmt Nicole während des eigenen „Vorlesens“ nicht auf. Dazu ist zu erwähnen, dass die oder der Erwach‐ sene vor Durchführung der Pretend-Reading-Situation selten Kontakt zu Nicole hatte. Jedoch ist zu erkennen, dass Nicole an einer Stelle scheinbar ihrer sich im Raum befindenden älteren Schwester, die auf der Videoaufzeichnung nicht zu sehen ist, während des „Vorlesens“ lächelnd einen Blick zuwirft: er rennt, er rennt und schnaubt und rennt und schnaubt und rennt [schaut lächelnd zu ihrer Schwester bis zum Ende des Satzes] und schnaubt (11. DS). Es lassen sich vier Überarbeitungen in Nicoles Textproduktion identifizieren. Ni‐ coles erste Überarbeitung kann sowohl als eine inhaltliche oder eine sprachliche bzw. grammatische Überarbeitung interpretiert werden: und to/ und torro geht jetzt/ [2] geht jetzt irgendwohin auf einen/ auf ein FELD [3] (2. DS). Zunächst wählt Nicole den Artikel einen, der ein anderes Nomen als Feld erforderlich macht, zum Beispiel das semantisch 3.1 Textanalysen 459 ähnliche Nomen Acker. Anschließend wählt sie den Artikel ein und schließt das Nomen Feld an. Es könnte sich somit um eine inhaltliche Überarbeitung handeln. Im Bilderbuch wird der Ort, den Torro für seine Springversuche wählt, nicht als Feld oder Acker bezeichnet. Auf der nachfolgenden Doppelseite wird die Ortsangabe „hinterm Haus“ (Abedi 2011, 3. DS) gemacht. Ein Fußballfeld wird im Bilderbuchtext auf der sechsten und elften Doppelseite erwähnt. Ob die Wahl des Nomens Feld in Zusammenhang mit dem Gebrauch des Wortes Fußballfeld steht, ist unklar. Das Bild auf der darauffolgenden Doppelseite zeigt eine bräunliche Fläche mit Steinen. Möglicherweise besteht ein Zusammenhang zwischen dieser bildlichen Darstellung und Nicoles Wortwahl. Während Nicole die Überarbeitung vornimmt, richtete sie den Blick jedoch nicht auf die beschrie‐ bene Abbildung. Eine zweite mögliche Interpretation von Nicoles Überarbeitung besteht darin, dass Nicole zunächst den falschen Artikel für das Nomen Feld wählt und diesen nach einer Überprüfung korrigiert. In diesem Fall handelte es sich bei der Überarbeitung um eine grammatische. An der folgenden Stelle nimmt Nicole eine inhaltliche Überarbeitung vor: und er setzt ihn auf die fenst/ auf/ auf den küchentisch (5. DS). Torro wird nicht auf die Fensterbank, sondern auf den Küchentisch gesetzt. Während der Küchentisch auf den beiden Bildern der fünften Doppelseite abgebildet ist, ist keine Abbildung einer Fensterbank vorhanden. Im Bilderbuch wird Torro vor die Küchentür gesetzt: „Und als Torro seiner Schwester unter dem Tisch einen kräftigen Tritt mit seinem Huf verpasst, setzt Mama Torro einfach vor die Küchentür“ (Abedi 2011, 5. DS). Durch die Überarbeitung findet insofern eine Annäherung an die Formulierung des Bilderbuches statt, als dass Nicole ein Kompositum der Form [„Küche“ + Nomen] bildet. Die Bilder der entsprechenden Doppelseite zeigen zweimal einen blauen Küchentisch, wohin‐ gegen keine Küchentür abgebildet ist. Eine weitere mögliche Interpretation besteht folglich darin, dass Nicoles Überarbeitung in einem Zusammenhang mit der bildlichen Abbildung stehen könnte. Zusammenfassend zeigt Nicoles Überarbeitung sowohl eine Annäherung an die sprachliche Form des Bilderbuches als auch eine Annäherung an die bildliche Darstellung im Bilderbuch. Bei Nicoles nächster Überarbeitung findet vermutlich eine grammatische Kor‐ rektur statt: Nach der Überarbeitung ist der richtige Kasus gewählt. dann rast torro zu die/ zu der GA: Nzen welt (11. DS). Bei der vierten Stelle nimmt Nicole erneut eine inhaltliche Korrektur vor: du bist über den z/ ich bin über den zaun gesprungen (14. DS). Zunächst beginnt Nicole, einen Satz in Form von direkter Rede in der zweiten Person Singular zu formulieren. Vermutlich wird Torro hier von einem anderen Kalb angesprochen. 460 3 Auswertung und Ergebnisse Anschließend wiederholt Nicole den Beginn des Satzes, wählt aber anstatt des Personalpronomens du das Personalpronomen ich und lässt dadurch Torro selbst zu Wort kommen. Im Bilderbuch wird diese Information nicht in Form von direkter Rede vermittelt, sondern in Form von Erzählerrede: „Da sieht Torro, was er geschafft hat. Er ist über den Zaun gesprungen! “ (Abedi 2011, 13. DS) Die Situation wird im Bilderbuch wie in Nicoles überarbeiteter Fassung aus der Sicht des Protagonisten Torro dargestellt. Möglicherweise hat dies Nicoles Entscheidung beeinflusst, Torro in ihrem Text selbst zu Wort kommen zu lassen. In diesem Fall könnte ihre Überarbeitung dadurch ausgelöst worden sein, den Inhalt des Bilderbuches möglichst korrekt wiedergeben zu wollen. Nicole nimmt sowohl Überarbeitungen auf der inhaltlichen als auch auf der sprachlichen und grammatischen Ebene vor. Teilweise finden durch die Überar‐ beitungen Annäherungen an die inhaltliche und sprachliche Form des Bilderbuches statt. Zudem sind teilweise Zusammenhänge zwischen den Überarbeitungen und den bildlichen Darstellungen im Bilderbuch festzustellen, was sich als Hinweis auf Orientierungen an Bildern beim Formulieren deuten lässt. In Nicoles Textproduktion zeigt sich ihr Können bzw. ihre Textkompetenz. Wie das Transkript verdeutlich, ist auch sie in der Lage, einen monologischen Text zu produzieren. Nicoles (implizite) Textkompetenz wird insbesondere an den Stellen deutlich, an denen sie ein (vermutlich) aus dem Bilderbuch stammendes Muster in neue textuelle Zusammenhänge oder Kontexte einbindet - es somit funktional einsetzt. Im mehrfachen funktionalen Gebrauch von Mustern mit textstrukturierender Funktion zeigt sich Nicoles implizites Wissen über die Organisation von Texten. Direkte Rede verwendet Nicole in verschiedenen Fällen: Um die gleichen Inhalte ausdrücken, die auch im Bilderbuch als direkte Rede formuliert sind, um Inhalte in Sprache zu fassen, die im Bilderbuch in Erzählerrede dargestellt sind und um neue Inhalte auszudrücken. Insbesondere an den letzten zwei Fällen wird deutlich: Nicole möchte einen Inhalt zum Ausdruck bringen und wählt dafür ein ihr bekanntes Muster - die direkte Rede. Implizites Wissen über direkte Rede zur Textorganisation ist vorhanden, da Nicole dieses Mittel in ihrer Textproduktion hervorbringt: Sie gebraucht es funktional, mehrfach und darüber hinaus auch in anderen Kontexten als es im Bilderbuch verwendet wird. Gleiches gilt für das erzähltypische Muster des inneren Monologs, das im Bilderbuch vorhanden ist, von Nicole aber auch funktional in neuen Kontexten genutzt wird. Zudem greift Nicole beim Bilden der direkten Rede auf ein strukturelles Muster und eine Variation dieses Musters zurück, das nicht im Bilderbuch vorkommt 3.1 Textanalysen 461 und ihr daher aus vorangegangener Erfahrung bekannt sein muss. Da dieses dem konzeptionell mündlichen Register zuzuordnen ist, kann an dieser Stelle von einem angemessenen Sprachgebrauch für direkte Rede gesprochen werden. Das Muster wird von Nicole genutzt, um mit anderen sprachlichen Mitteln als im Bilderbuch einen ähnlichen Inhalt wie im Bilderbuch zum Ausdruck zu bringen. Zwischen Funktion (d) und Muster (p) steht somit eine implizite Verbindung. Das Muster wird mehrfach genutzt, um die gleiche Funktion zu erfüllen. Der Gebrauch der konzeptionell schriftlichen Ausdrücke obwohl, sodass und nun, die im Bilderbuch selbst nicht verwendet werden, deutet auf ein implizites Wissen um schriftsprachlichen Sprachgebrauch hin, das sich in der Verwendung zeigt. Gleiches gilt für das Wort eins, das im Bilderbuch in einem anderen Kontext vorkommt, und von Nicole für ihre Textproduktion gewählt wird. Dass Nicole mehr‐ fach schriftsprachliche Zeitformen (Präteritum, Plusquamperfekt) bildet, obgleich die Bilderbuchgeschichte überwiegend im Präsens verfasst ist, deutet darauf hin, dass Nicole über ein implizites Wissen über typische Zeitformen von Geschichten, die im Medium der Schriftlichkeit vorliegen, verfügt. 3.1.6 Textanalyse VI: Apfelsaft holen von Jan Jan ist zum Zeitpunkt der Durchführung der Pretend-Reading-Situation mit der oder dem Studierenden fünf Jahre und neun Monate alt. Seine Familien‐ sprache ist Deutsch. Jan hat ein Geschwisterkind, das acht Jahre alt ist. Die Herkunftsregionen der Eltern liegen in Deutschland. Jan besucht eine Kinder‐ tagesstätte. Im Haushalt gibt es nach Angaben der Eltern über 80 Bilder- oder Kinderbücher. Beide Eltern haben einen Hochschulabschluss. Jan werden von seinen Eltern siebenmal in der Woche Bücher oder Geschichten vorgelesen. Geschichten werden dem Kind nach Angaben der Eltern zweimal im Monat erzählt. Es wurde nicht beobachtet, dass Jan manchmal tut so, als würde er (jemandem) ein Buch vorlesen. Die oder der Studierende, die oder der mit Jan die Pretend-Reading-Situation durchführte, kannte Jan seit vier Wochen. Die Pretend-Reading-Situation fand im Kinderzimmer statt. Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situation informiert die oder der Erwachsene (E) Jan ( J) über das geplante Vorgehen. E: okay, jan, ich setz mich mal hier auf diesen - schicken vorlesesessel, [J lacht] ne? ein richtiger - vorlesethron. und du sitzt auf dem zuhörerstuhl - [? ]. und ich möchte dir jetzt gleich das buch - vorlesen, was du dir ausgesucht hast. und wenn - ich fertig bin, dann tauschen wir die plätze und 462 3 Auswertung und Ergebnisse dann darfst du mir vorlesen. ja? okay. [geht immer - am Ende des Satzes mit der Stimme hoch] J: aber doch nicht in echt, oder? E: dann tust du so, als ob du mir vorliest, ne? E: okay. das buch heißt apfelsaft holen. [räuspert sich] - [6] [Buch wird aufgeklappt] Auf die Ankündigung der Aufgabe durch die Erwachsene oder den Erwach‐ senen, versichert sich Jan, dass er doch nicht in echt lesen solle. Gemäß den Instruktionen des Informationsblattes zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation erklärt ihm daraufhin der oder die Erwachsene, dass er so tun soll, als würde er vorlesen. Im zweiten Schritt liest die oder der Erwachsene Jan das komplette Bilderbuch Apfelsaft holen vor. Apfelsaft holen (Thomas Müller) Pitzi hat schon großen Hunger. Gleich ist das Essen fertig. (1. DS) - „Es ist gar nichts mehr zu trinken da“, sagt Mama. „Wer von Euch holt eine Flache Apfelsaft aus dem Keller? “ - „Ich muss noch den Salat machen“, sagt Papa. (2. DS) - „Ich, muss noch den Tisch decken“, sagt Billi. „Ich muss noch den Käse reiben“, sagt Lilli. - „Ich muss noch … äh … den Kipper be‐ laden“, sagt Pitzi. „Den Kipper kannst du auch nach dem Essen beladen“, sagen Mama und Papa und Billi und Lilli. (3. DS) - „Beeilst du dich? “, fragt Mama. „Die Nu‐ deln sind gleich so weit.“ Ich … allein … in den Keller? , denkt Pitzi. - Na klar! Ich bin doch ein kühner Held! (4. DS) - Ich habe vor nichts Angst! - Ich hole den kostbaren Schatz aus der dunklen Höhle… (5. DS) Hu, ist das dunkel! Pitzi knipst das Licht an und schleicht die Treppe hinunter. Hinter der ersten Ecke lauert ein großes … (6. DS) - Gespenst! Mit einem magischen Trick kann Pitzi es erstarren lassen. - Hinter der zweiten Ecke hört er ein un‐ heimliches … (7. DS) Geräusch. Mit einem lauten Lied kann Pitzi es übertönen. Hinter der dritten Ecke, sieht er ein schreckliches … (8. DS) - Monster! Mit einem kühnen Sprung kann Pitzi ihm entkommen. (9. DS) - Endlich erreicht er das Regal mit dem Apfelsaft und schnappt sich eine Fla‐ sche. - Dann flitzt er los, vorbei an dem Monster und dem Geräusch und dem Gespenst und die Treppen hinauf… (10. DS) … und rein in die Küche! „Hier ist der Apfelsaft“, sagt Pitzi. Alle strecken ihm ihre Gläser entgegen. Und dann gibt's Essen. (11. DS) 3.1 Textanalysen 463 Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Jan auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“: E: so: , das war das buch, was ich dir vorgelesen - hab. und jetzt tauschen wir mal die plätze. jetzt - kommst du auf den vorlesethron, ja? [E und J tauschen - Plätze] [5] E: und dann [.] darfst DU mir vorlesen. [12] [J blättert] J: ich weiß aber nicht, was ich sagen soll. [E und J - schauen sich an] E: du tust einfach so, als ob du mir vorliest. [.] J: einfach nur so machen? [zieht mit dem Finger Linien auf - Buchseite] E: da hat's ja nicht gestartet, ne? das ist ein - vorwort im buch [.] [J blättert vor und zurück und vor] du - bist der vorleser. du/ [.] du kannst vorlesen. - [flüsternd ab 'du kannst'] J: (unverständlich) was soll ich machen, halt? E: einf/ einfach so tun, als ob du mir vorliest. J: nur irgendwas sagen? E: ist deine geschichte jetzt, du liest sie mir vor, ja. - [E nickt mehrfach ab ‚du‘] [5] J: mal auf die nächste seite blättern. [blättert] ich - will mal sehen, ob/ [blättert] [.] äh. der hat ja - einmal diesen (spiegel? unverständlich) [blättert] - und ich seh mal, wo man was besseres sagen kann. E: aha. J: [blättert weiter] ich glaub, [.] ich fang lieber bei - dem gespenst an. E: du fängst das buch woanders an? J: mh ja [lachend] E: MHm, magst du das buch mir vielleicht von vorne - vorlesen? [J lacht] damit ich die ganze geschichte - mitbekomme? J: [schaut E an und lacht] hast du doch eben schon mal - mitbekommen. [blättert] E: aber ich höre jetzt gerne deine - vorlesegeschichte. [9] [J und E lächeln sich an] J: da kam, ne: . [blättert] muss erstmal zum gespenst - blättern. ne: [.]. warte [.] [blättert zurück] 464 3 Auswertung und Ergebnisse Als Jan äußert, dass er nicht wisse, was er sagen solle, wiederholt die oder der Erwachsene die Aufforderung, Jan solle einfach so tun, als würde er ihr oder ihm vorlesen. Jan stellt daraufhin die Frage einfach nur so machen? , während er mit dem Finger Linien auf der Buchseite zieht. Eine mögliche Interpretation dieser Handlung ist, dass Jan hier das Vorlesen der oder des Erwachsenen imitiert, das ebenfalls von einer solchen Fingerbewegung begleitet wurde. Nach einer expliziten Nachfrage von Jan, was er tun solle, wiederholt die oder der Erwachsene ihre Erläuterung: einfach so tun, als ob du mir vorliest. Jan fragt daraufhin erneut nach: nur irgendwas sagen? Die oder der Erwachsene weist Jan darauf hin, dass es seine Ge‐ schichte sei: ist deine geschichte jetzt, du liest sie mir vor, ja. Daraufhin verbalisiert Jan seinen Plan, an der Stelle im Bilderbuch mit dem „Vorlesen“ zu beginnen, wo man was besseres sagen kann. So wählt Jan bewusst die Stelle aus, an der der Protagonist Pitzi ein Gespenst sieht: ich glaub, [.] ich fang lieber bei dem gespenst an. Jan beginnt seine Geschichte auf der siebten Doppelseite mit der Formulierung des folgenden Hauptsatzes: da kam ein großes gespenst [tief] . [blättert um] Mit dem Temporaladverb da leitet er ein offenbar plötzliches Ereignis ein: Ein Gespenst taucht auf. Auffällig ist die besondere Intonation (tief gesprochen) des Wortes Gespenst. Dies lässt sich als Hinweis darauf deuten, dass Jan die Zuhörerin bzw. den Zuhörer im Blick hat und durch seine besondere Betonung möglicherweise eine gruselige Wirkung erzielen möchte. Auch die Tatsache, dass Jan das Gespenst mit dem Adjektiv groß beschreibt, lässt die Situation gefährlicher wirken. Zusätzlich bedient sich Jan einer Alliteration: großes gespenst. Das Verb kommen steht im Präteritum. Zur achten Doppelseite formuliert Jan den folgenden Satz: dann hat (unverständlich) irgendwas gehört. [blättert um] Diesen Satz verbindet Jan mit dem vorangegangen durch das Temporaladverb dann. Dadurch ordnet er das neue Geschehen in den zeitlichen Zusammenhang ein. Der Protagonist hört irgendwas. Hier enthält Jans Text eine Leerstelle. Es wird auch im Laufe der Geschichte nicht aufgelöst, was das vom Protagonisten wahrgenommene Geräusch war oder wodurch es ausgelöst wurde. Der Blick auf das zugehörige Bild offenbart jedoch, dass es sich um einen tropfenden Wasserhahn handelt. Das Subjekt des Satzes ist unverständlich. Möglicherweise nutzt Jan hier das Personalpronomen er. Der Satz enthält somit eine weitere Leerstelle dadurch, dass zum einen das Subjekt unverständlich ist und zum anderen dadurch, dass Jan vermutlich das Personalpronomen er als Subjekt 3.1 Textanalysen 465 wählt, während aus seinem bereits formulierten Text nicht hervorgeht, welche Figur durch er bezeichnet wird. Diese Leerstelle lässt sich jedoch mit Hilfe des zugehörigen Bildes schließen, das als einziges Lebewesen den Hund Pitzi zeigt. Bild und Text erzählen hier die Geschichte gemeinsam („geflochtener Zopf “ (Thiele 2002)). Bezüglich des von Jan gebrauchten Tempus findet ein Tempuswechsel vom Präteritum zum Perfekt statt. Zur neunten Doppelseite formuliert Jan den Beginn eines Satzes: dann kam er an/ [leise ab ‚er‘] [blättert um] . Jan beginnt diesen Satz wie den ersten Satz (vgl. 7. DS) mit Hilfe des Temporaladverbs da und einer Präteritumform des Verbs kommen. Als Subjekt wird das Personalpronomen er gewählt. Da Jan diesen Satz jedoch abbricht, kann der Satzanfang als Überarbeitung im Sinne des Streichens eines Inhalts gedeutet werden. Jan „liest“ zur zehnten Doppelseite den folgenden Satz vor: und dann [.] kam er bald an der küche an. [schneller, leicht singend ab ‚kam‘] [blättert um] Dieses Mal wird ein neues Ereignis mit dem strukturellen Muster [„Und dann“ + Verb] eingeleitet. Der Gebrauch des Temporaladverbs bald deutet darauf hin, dass die Küche noch nicht erreicht ist. Es findet eine Passung zwischen Inhalt und Intonation statt: Jan erhöht die Sprechgeschwindigkeit, während er verbalisiert, dass der Protagonist bald an der Küche ankommt. Erneut wählt Jan eine Präteritumform. Zur elften Doppelseite formuliert Jan Folgendes: dann essten sie. zu ende. Auch die Handlung des Essens wird von Jan durch das Temporaladverb dann in einen zeitlichen Zusammenhang zur vorangegangenen Handlung gestellt. Die handelnden Figuren werden mit dem Personalpronomen sie bezeichnet. Diese werden nicht näher beschrieben, wodurch Jans Text eine weitere Leerstelle enthält. Erneut wählt Jan eine Präteritumform. Das Ende seiner Geschichte markiert Jan sprachlich mit der Schussformel zu ende. Zur Herstellung von grammatischer Kohärenz bedient sich Jan verschiedener Kohäsionsmittel (vgl. dazu Linke et al. 2004). Drei der vier Sätze verknüpft er mit Hilfe der Temporaladverbien dann und da miteinander. Jan macht zudem Gebrauch von Konnektiven: Einen weiteren Satz verknüpft er durch die Konjunktion und in Kombination mit dem Temporaladverb dann mit dem vorangegangenen Satz. Der von Jan „vorgelesene“ Text weist auf der Textebene mehrere Leerstellen auf: Bei einer reinen Betrachtung des Textes ist es unklar, 466 3 Auswertung und Ergebnisse wer der Protagonist ist, da die handelnde Figur lediglich mit dem Personal‐ pronomen er bezeichnet wird. Auch weitere Personen werden nur mit dem Personalpronomen sie bezeichnet, ohne dass erwähnt wird, um wen es sich handelt. Diese Leerstellen können jedoch mit Hilfe der Bilder des Bilderbuches geschlossen werden. Kohäsion wird zusätzlich durch die fast durchgängige Verwendung des Präteritums in der Erzählerrede erzeugt (Tempus). Jans Text enthält im Vergleich zum Bilderbuchtext keine neuen Inhalte, jedoch veränderte Inhalte. Zunächst lässt sich die Änderung der Tätigkeit einer Figur feststellen. So besteht ein inhaltlicher Unterschied zwischen dem Bilderbuchtext und der von Jan „vorgelesenen“ Geschichte darin, dass in Jans Geschichte ein großes Gespenst erscheint (da kam ein großes gespenst), während sich das Gespenst im Bilderbuchtext an einem festen Ort befindet („Hinter der ersten Ecke lauert ein großes…Gespenst! “ (Müller 2013, 6. DS, 6./ 7. DS)). Jan greift zur Darstellung dieses Inhalts auf die Formulierung Da kam zurück, die er in einer ähnlichen Form in seiner Textproduktion noch ein zweites Mal nutzt: „dann kam […] an“ (10. DS). Hinter diesen lässt sich das strukturelle Muster [„Da/ Dann“ + „kam“ + Subjekt] erkennen. Jan nutzt somit das gleiche strukturelle Muster in verschiedenen Kontexten. Zwei inhaltliche Veränderungen bestehen darin, dass Jan anstatt spezifischerer Informationen, wie es im Bilderbuch der Fall ist, allgemeinere Informationen liefert. Die durch diese Änderung entstandenen Leerstellen lassen sich dabei in beiden Fällen mit Hilfe eines Bildes schließen. So besteht ein inhaltli‐ cher Unterschied darin, dass im Bilderbuchtext Pitzi ein „unheimliches … Geräusch“ (Müller 2013, 7./ 8. DS) hört, während er in Jans Geschichte lediglich irgendwas hört (8. DS). Das Geräusch wird von Jan nicht spezifiziert. Festzuhalten sei jedoch, dass weder im Bilderbuchtext, noch in Jans Text geklärt wird, um was für ein Geräusch es sich handelt. Es bleibt im Text unspezifisch, während die Ursache für das Geräusch im Bild erkennbar ist - an dieser Stelle erzählen Bild und Text sowohl im Bilderbuchtext als auch in Jans Text die Geschichte gemeinsam. Auf der siebten Doppelseite wird die Figur Pitzi - im Gegensatz zu der entsprechenden Textpassage des Bilderbuches - vermutlich durch das Perso‐ nalpronomen er bezeichnet. Auch diese Leerstelle kann jedoch mit Hilfe der Bilder des Bilderbuches geschlossen werden. Ein weiterer inhaltlicher Unterschied zwischen Jans Geschichte und der des Bilderbuches besteht hinsichtlich des Zeitpunktes einer Handlung. So wird im Bilderbuch das Essen angekündigt („Dann gibt’s Essen.“ (Müller 2013, 11. DS)), 3.1 Textanalysen 467 während Jan den Vorgang des Essens thematisiert: dann essten sie (11. DS). Diese Änderung ist durch das zugehörige Bild nicht erklärbar, da auf diesem das Essen zwar bereits auf dem Tisch steht, jedoch noch niemand mit dem Essen begonnen hat. Auch die anderen dargestellten Unterschiede lassen sich nicht mit Blick auf die Bilder erklären. Jan lässt im Vergleich zum Bilderbuchtext sowohl Inhalte aus, die für das Verständnis der Handlung der Geschichte irrelevant sind, als auch solche, die relevant sind und somit zu Leerstellen im Text führen. An einer Stelle findet eine Komprimierung des Inhalts durch das Zusammenfassen von Handlungsschritten statt: So lässt sich der Satz und dann [.] kam er bald an der küche an. (10. DS) als eine komprimierte Darstellung des Inhalts des Bilderbuches beschreiben. Während im Bilderbuch eine Aufzählung erfolgt, an welchen Objekten Pitzi auf dem Weg zurück in die Küche „vorbeiflitzt“ („Dann flitzt er los, vorbei an dem Monster und dem Geräusch und dem Gespenst und die Treppen hinauf …“ (Müller 2013, 10. DS)), fasst Jan diese Zeitspanne, die durch das „Flitzen“ Pitzis nicht sehr lang zu sein scheint, mit Hilfe des Temporaladverbs bald (10. DS) zusammen. Während im Bilderbuch der elliptische Satz gebraucht wird („Und rein in die Küche! “ (10. DS)), greift Jan auch das bereits verwendete strukturelle Muster [„Da/ Dann“ + „kam“ + Subjekt] zurück. Leerstellen werden dadurch hervorgerufen, dass Jan die Geschichte an einer anderen Stelle beginnt, wobei sowohl für das Verständnis der Geschichte relevante direkte Rede als auch Erzählerrede ausgelassen wird. Die titelgebende Aktion „Apfelsaft holen“ bleibt in Jans Geschichte gänzlich unerwähnt. Weder das Herausnehmen einer Flasche Apfelsaft aus dem Regal („und schnappt sich eine Flasche“ (Müller 2013, 10. DS)), noch die Präsentation der Flasche Apfelsaft bei der Familie in er Küche („Hier ist der Apfelsaft“ (Müller 2013, 11. DS)), die im Bilderbuch jeweils in Bild und Text dargestellt sind, werden von Jan in seiner Textproduktion thematisiert. Somit wird einmal ein inhaltliches Element ausgelassen, das im Bilderbuch durch Erzählerrede dargestellt wird und einmal eines ausgelassen, das im Bilderbuch in Form von Figurenrede zum Ausdruck gebracht wird. Der Fokus von Jans Geschichte scheint auf dem Erscheinen des gruseligen Gespenstes zu liegen. Diese Textstelle wird von Jan bewusst ausgewählt und gestaltend „vorgelesen“. In Jans Textproduktion lassen sich ein sprachliches und mehrere strukturelle Muster finden. Einmal macht Jan Gebrauch von einem sprachlichen Muster, das im Bilderbuch vorkommt. Er verwendet das sprachliche Muster ein großes Gespenst, das gleichzeitig als Alliteration bezeichnet werden kann: da kam ein großes gespenst [tief ab ‚gespenst‘] (6. DS). Im Bilderbuchtext wird 468 3 Auswertung und Ergebnisse dieses Muster im gleichen Kontext verwendet: „Hinter der ersten Ecke lauert ein großes Gespenst“ (Müller 2013, 5./ 6. DS). Da Jan das Nomen Gespenst in einer tieferen Tonlage spricht, scheint er die Intention zu haben, Grusel zu erzeugen. Der Gebrauch des Adjektivs groß zur näheren Beschreibung des Gespenstes passt zu dieser Intention. Das sprachliche Muster wird von Jan in eine neue syntaktische Struktur eingebunden. Der mehrfache Gebrauch eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vor‐ kommt, lässt sich in Jans Text hinsichtlich der Muster [„Dann“ + Verb] und [„Und“ + Satz] identifizieren. Vom strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] macht Jan dreimal Gebrauch - und zwar jeweils zu Beginn einer neuen Doppelseite. Auf diese Weise setzt er Geschehnisse in einen zeitlichen Zusammenhang und markiert so ein zeitliches Nacheinander. Zudem erfüllt das strukturelle Muster die Funktion, einzelne (im Bild dargestellte) Szenen miteinander zu verbinden. Im Bilderbuch ist das Muster zweimal enthalten, wobei es einmal im gleichen Kontext wie in Jans Text eingesetzt wird: „Dann gibt’s Essen“ (ebd., 10. DS). dann essten sie (10. DS). Die zweite Textpassage fasst Inhalte in Sprache, die Jans Text nicht enthält: „Dann flitzt er los, vorbei an dem Monster und dem Geräusch und dem Gespenst und die Treppen hinauf …“ (ebd., 9. DS). Da es sich beim strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] um ein sowohl im schriftlichen als auch mündlichen Sprachgebrauch weit verbreitetes sprachliches Mittel handelt, bleibt unklar, ob diese Formulierung aus dem Bilderbuch einen Einfluss auf Jans Wortwahl hatte. Zudem macht Jan einmal Gebrauch vom strukturellen Muster [„Und“ + Satz] in Verbindung mit dem Temporaladverb dann: dann hat (unverständlich) irgendwas gehört. [blättert um] dann kam er an/ [leise ab ‚er‘] [blättert um] und dann [.] kam er bald an der küche an. [schneller, leicht singend ab ‚kam‘] [blättert um] (8./ 9./ 10. DS). Im Bilderbuch wird dieses strukturelle Muster einmal in einem anderen Kontext gebraucht. Hier wird es nicht wie in Jans Text in Verbindung mit dem Temporaladverb dann verwendet: „Alle strecken ihm ihre Gläser entgegen. Und dann gibt's Essen.“ (Müller 2013, 11. DS) Im Vergleich zum Bilderbuchtext macht Jan von diesem Muster zu Beginn einer Doppelseite Gebrauch. Alternativ lässt sich diese sprachliche Struktur auch als strukturelles Muster der Form [„Und dann“ + Verb] bezeichnen, das Jan in einem neuen Kontext gebraucht. Jans Text weist auch den einmaligen Gebrauch eines strukturellen Musters auf, das nicht im Bilderbuch vorkommt. So beginnt Jan seine Textproduktion mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] und markiert damit ein plötzlich eintretendes Ereignis: da kam ein großes gespenst [tief ab ‚gespenst‘] (6. DS). Die 3.1 Textanalysen 469 Grusel bzw. Spannung erzeugende Wirkung der Aussprache Gespenst und die Verbindung mit dem Adjektiv groß passt auch zu dem plötzlichen Erscheinen des Gespenstes. Jan setzt dieses Muster somit funktional ein. Im Bilderbuch wird nicht auf das Temporaladverb da zurückgegriffen. Obwohl im Bilderbuch drei Sequenzen mit Hilfe eines Baumusters dargestellt werden, greift Jan nicht auf ein Baumuster zurück, um die Inhalte aus zwei der drei Sequenzen darzustellen. In diesen Kontexten verwendet er zur Textorgani‐ sation das strukturelle Muster [„Da“/ „Dann“ + Verb]. Zusammenfassend lässt sich zur Musterhaftigkeit festhalten, dass Jan zur Struk‐ turierung seines Textes zweimal das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb], einmal das strukturelle Muster [„Und dann“ + Verb] und einmal das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] verwendet, wodurch er die Geschehnisse in einen zeitlichen Zusammenhang stellt. Teilweise sind diese strukturellen Muster im Bilderbuch enthalten, teilweise nicht. Des Weiteren macht Jan Gebrauch von einem im Bilderbuch enthaltenen sprachlichen Muster im gleichen Kontext, das zusätzlich eine Alliteration ist und zu den weiteren von Jan gewählten sprachlichen Mitteln zur Erzeugung von Grusel bzw. Spannung passt. Leserorientierung ist bei Jans Textproduktion zum einen durch die Akzentu‐ ierung ausgewählter Ausdrücke durch eine besondere Intonation erkennbar (gespenst [tief ab ‚gespenst‘] (7. DS)). Bei der ersten Textstelle macht Jan zu‐ sätzlich Gebrauch eines rhetorischen Mittels (Alliteration). Auch an der folgenden Formulierung lässt sich eine Leserorientierung festmachen: und dann [.] kam er bald an der küche an. [schneller, leicht singend ab ‚kam‘] [blättert um] (9. DS). Jan wählt eine leicht singende Tonlage, als er den Inhalt vermittelt, dass Pitzi bald die Küche erreicht. Die Küche zu erreichen bedeutet der Angst, die im Keller lauert, zu entfliehen. Durch die Wahl der Intonation findet bei beiden Textpassagen eine Passung von Inhalt und Sprache statt. Obwohl die Erzählerrede des Bilderbuches im Präsens verfasst ist, gebraucht Jan bei drei von vier Verben eine Präteritumform. Dabei bildet er zweimal die korrekte Präteritumform des starken Verbs können (kam) und einmal eine übergeneralisierte Form des starken Verbs essen (essten). Hypotaktische Satzkonstruktionen, die dem schriftsprachlichen Sprachgebrauch zugeordnet werden können, verwendet Jan nicht. Allerdings verfügt auch der Bilderbuch‐ text über keine hypotaktischen Satzkonstruktionen. Zudem enthält Jans Text keine Wörter, die eindeutig dem konzeptionell schriftlichen Register zugeordnet werden können. Jan produziert einen monologischen Text. Lediglich zu Beginn der Textproduktion bricht er die Textproduktion ab, um das zum Text passende Bild zu suchen und kommentiert diese Handlung folgendermaßen: da kam, 470 3 Auswertung und Ergebnisse ne: . [blättert] muss erstmal zum gespenst blättern. ne: [.]. warte [.] [blättert zurück] da kam ein großes gespenst [tief ab ‚gespenst‘] (7. DS). Dialogische Unterbrechungen finden keine statt. Jan hält die Monologizität dadurch aufrecht, dass er den ersten Satz jeder Doppelseite jeweils durch eines der beiden textstrukturierenden strukturellen Muster [„Da“ + Verb] oder [„(und) dann“ + Verb] an den letzten Satz der vorangegangenen Seite anbindet. Jans Textproduktion weist zwei Überarbeitungen auf, die im Folgenden be‐ schrieben werden. Die erste lässt sich in folgenden Äußerungen finden: da kam, ne: . [blättert] muss erstmal zum gespenst blättern. ne: [.]. warte [.] [blättert zurück] da kam ein großes gespenst [tief ab ‚gespenst‘] [blättert um] (7. DS). Jan beginnt seine Textpro‐ duktion, als er die sechste Doppelseite aufgeschlagen hat. Auf dieser ist Pitzi einmal vor einer Kellertreppe und einmal im Keller zu sehen. Im Bilderbuchtext wird hier das Auftauchen des Gespenstes bereits angekündigt: „Hinter der ersten Ecke lauert ein großes …“ (Müller 2013, 6. DS) Jan bricht jedoch den Satz ab, sucht die siebte Doppelseite, auf der das Gespenst abgebildet ist, und wiederholt die bereits geäußerte Formulierung. Hierbei handelt es sich nicht um eine Überarbeitung der Formulierung. Vielmehr scheint Jan um eine Passung von dem von ihm geäußerten Inhalt und dem mit Hilfe von Bildern dargestellten Inhalt bemüht zu sein. Es ist eine weitere Stelle vorhanden, an der Jan seine Textproduktion abbricht und nach der Wahl einer anderen Doppelseite die gleiche Formulierung in Kombination mit der Konjunktion und erneut hervorbringt. So äußert Jan zunächst die Formulierung dann kam er an/ [blättert um] (9. DS) zur neunten Doppelseite, auf der die Spinne abgebildet ist, bricht den Satz ab und setzt seine Textproduktion nach dem Umblättern zur zehnten Doppelseite fort. Auf der linken Seite dieser Doppelseite ist Pitzi zu sehen, der vor einem Regal mit Flaschen und Einmachgläsern steht. Auf der rechten Seite sind vier kleine Bilder zu erkennen, die Pitzi laufend und rennend mit der Apfelsaftflasche zeigen. Zu dieser Seite formuliert Jan: und dann [.] kam er bald an der küche an. [schneller, leicht singend ab ‚kam‘] [blättert um] (10. DS) Der Vergleich der beiden Formulierungen legt die Interpretation nahe, dass sich die abgebrochene Formulierung dann kam er an/ (9. DS) ebenfalls auf das Erreichen der Kühe bezieht. Möglicherweise liegt der Grund der Überarbeitung darin, dass Jan erneut eine Passung von Text und Bild anstrebt. Es scheint ein implizites Wissen darüber vorzuliegen, dass die strukturellen Muster [„Da“ + Verb], [„Dann“ + Verb] und [„Und dann“ + Verb] dazu ver‐ 3.1 Textanalysen 471 wendet werden können, einzelne Handlungen miteinander zu verknüpfen. Des Weiteren scheint ein implizites Wissen über den Gebrauch des Präteritums in schriftlichen Narrationen vorhanden zu sein. An einer Stelle findet ein Wechsel vom „Vorlesen“ zum Sprechen und erneut zum „Vorlesen“ statt: da kam, ne: . [blättert] muss erstmal zum gespenst blättern. ne: [.]. warte [.] [blättert zurück] da kam ein großes gespenst [tief ab ‚gespenst‘] (7. DS). Diese Stelle deutet ebenfalls darauf hin, dass Jan über implizites Textwissen über konzeptionelle Schriftlichkeit zu verfügen scheint, da er zwischen konzeptioneller Schriftlichkeit und konzeptioneller Münd‐ lichkeit je nach Aufgabe wechselt: Während seine Textproduktion Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit aufweist (zweifache Verwendung des Präteritums (kam)), weist der kommentierende Satz Merkmale konzeptioneller Mündlichkeit auf: Hier produziert Jan einen elliptischen Satz (muss erstmal zum gespenst blättern), der zusätzlich die konzeptionell mündliche Formulierung erstmal enthält. Können, das sich in Jans Text zeigt, bezieht sich des Weiteren auf die Erzeugung von Grusel bzw. Spannung: Durch die Wahl einer entsprechenden Intonation, durch die Wahl eines entsprechenden Adjektivs (groß), um ein Objekt näher zu bestimmen, vor dem sich eine Figur fürchtet, und die Wahl eines passenden Temporaladverbs (da) zur Satzverknüpfung. Hier scheint eine implizite Verknüpfung zwischen dem Muster [„Da“ + Verb] und seiner Funktion vorzuliegen: Es wird gewählt, um das plötzliche Eintreffen eines Ereignisses darzustellen und kann Spannung erzeugen. 3.1.7 Textanalyse VII: Die kleine Elfe kann nicht schlafen von Muriel Muriel ist zum Zeitpunkt der Durchführung der ersten Pretend-Reading-Situation mit der oder dem Studierenden fünf Jahre und zwei Monate alt. Ihre Familiensprache ist Deutsch. Sie hat ein Geschwisterkind, das vier Jahre alt ist. Die Herkunftsregionen der Eltern liegen in Deutschland. Muriels Mutter hat einen Hochschulabschluss und ihr Vater einen Realschulabschluss. Muriel besucht eine Kindertagesstätte. Im Haus‐ halt gibt es nach Angaben der Eltern über 80 Bilder- oder Kinderbücher. Dem Kind wird mehr als siebenmal in der Woche ein Buch oder eine Geschichte vorgelesen, und zwar von jedem, der lesen kann. Geschichten erzählt werden Muriel zu Hause viermal im Monat. Muriel tut manchmal so, als würde sie (jemandem) ein Buch vorlesen und bezeichnet diese Tätigkeit nach Angaben der Eltern als Vorlesen. Die oder der Studierende kannte Muriel vor Durchführung der Pretend-Reading-Situation bereits seit fünf Jahren, hatte jedoch selten Kontakt zu ihr. Die in der vorliegenden Studie 472 3 Auswertung und Ergebnisse analysierte Pretend-Reading-Situation wurde im Arbeitszimmer der Großmutter durchgeführt. In der ersten Pretend-Reading-Situation, die mit Muriel im Rahmen der Studie durchgeführt wurde, wurde ihr das Bilderbuch Ein Märchen im Schnee von Loek Koopmanns vorgelesen. Aus technischen Gründen (Qualität der Videoauf‐ nahmen, Hintergrundgeräusche) wurde eine zweite Pretend-Reading-Situation wenige Wochen später mit Muriel (M) zu einem anderen Buch - und zwar zu dem Bilderbuch Die kleine Elfe kann nicht einschlafen - durchgeführt. Der Vollständigkeit halber werden auch die Instruktionen, die Muriel vor der ersten Pretend-Reading-Situation erhielt sowie ihre Reaktionen darauf aufgeführt. Im folgenden Transkript steht „M“ für Muriel, „E“ für die oder den Erwachsenen und „MM“ für Muriels Mutter. Mit „K2“ („Kind 2“) wird Muriels jüngeres Geschwisterkind bezeichnet. E: so, du hast dir jetzt ja jetzt dieses buch - ausgesucht [M nickt] und das möchte ich dir jetzt - einmal vorlesen und daNACH, wenn ich dir das - vorgelesen hab, tauschen wir einmal die rollen - und dann darfst du dich hier auf den tollen - vorlesesessel setzen, dann darfst du MiR einmal - das buch vorlesen. gut, dann les ich dir das - jetzt einmal vor. ein märchen im schnee. eines - kalten wintermorgens gingen ein alter mann und - sein kleiner hund zum HOLZhacken in den wald. Die Erwachsene oder der Erwachsene liest Muriel das gesamte Buch vor. Anschließend wird Muriel gebeten, das Bilderbuch „vorzulesen“. Dies geht folgendermaßen vonstatten: E: […] guter hund. [M steht auf, E klappt das Buch zu] und ende - [nimmt eine höhere Stimmlage ein, lacht kurz] . okay, jetzt - tauschen wir einmal. du darfst der vorleser sein - [? ] [M streckt ihre Hand nach dem Buch aus] genau [E gibt M - das Buch] , du darfst dich jetzt einmal auf den - stuhl setzten [E erhebt sich ab ‚genau‘] , auf den großen - vorlesesessel [M nimmt auf dem Vorlesesessel Platz ab ‚auf‘, - legt das Buch auf ihren Schoß, beginnt das Buch aufzuschlagen ab - ‚vorlesesessel‘] , bekommst das buch [? ] und du darfst - jetzt einmal vorlesen und ich hör dir zu, [.] - okay? [E richtet das Kissen des Vorlesesessels] hey, du kannst 3.1 Textanalysen 473 hier ruhig noch ein bisschen nach hinten, dann - kannst du dich anlehnen (unverständlich). [M lehnt sich ein - wenig zurück, schlägt die erste Doppelseite auf] wir legen das - mal in die mitte, dann kannst du’s besser sehn - [E legt das Buch mehr in die Mitte] . darfst mir das buch - jetzt einmal vorlesen, du bist der vorleser. M: da/ MM: so wie wenn du K2 das buch vorliest. M: ein alter mann und ein kleiner hund wollten/ E: du kannst gar nichts falsch machen, du bist der - vorleser. wenn du vorliest, ist das alles - richtig, was du vorliest. M: ein kleiner hund und ein alter mann: waren zum - holzhacken in dem wald […] Während der ersten Pretend-Reading-Situation, die im Rahmen der vorlie‐ genden Studie mit Muriel durchgeführt wurde, erhält Muriel somit von ihrer Mutter, die sich währenddessen ebenfalls im Raum befindet, den Hinweis, so „vorzulesen“, wie Muriel ihrem Geschwisterkind das Buch „vorliest“. Des Wei‐ teren wurde Muriel darauf hingewiesen, dass sie nichts falsch machen könnte. Muriel „liest“ anschließend das Buch vor und produziert einen monologischen Text. Im ersten Schritt der Pretend-Reading-Situation zum Bilderbuch Die kleine Elfe kann nicht einschlafen wird Muriel von der oder dem Erwachsenen erneut über das geplante Vorgehen informiert. E: okay, bist du bereit? [M nickt] dann fangen wir an. - ALso. du hast dir ja dieses bu: ch ausgesucht [.] - [E hält ab ‚du‘ das Buch mit dem Cover in die Höhe und zeigt es M] - und ich möchte dir dieses buch jetzt einmal - vorlesen. und wenn ich dann fertig bin mit - vorlesen, dann tauschen wir einmal die ROLlen - und dann darfst du mir das buch vorlesen und ICH - höre dir zu, [.] okay? M: ähä [? ] E: also das buch heißt die kleine elfe kann nicht - schlafen. [E öffnet das Buch] M: das kENN ich. E: das KENNST du, das ist gut. [E blättert um] in einer - WARmen sommernacht kon-nte [.] und kon-nte [E sieht - M an] [.] flirr, die kleine elfe, nicht 474 3 Auswertung und Ergebnisse einschlafen. [E fährt mit dem Zeigefinger unter den Wörtern - entlang ab ‚in‘] M: weil der mond so hell schimmert. E: die grillen zirpten laut[? ] [E fährt mit dem Zeigefinger - unter den Wörtern entlang ab ‚die‘] […] Im zweiten Schritt liest die oder der Erwachsene Muriel das komplette Bilder‐ buch Die kleine Elfe kann nicht einschlafen vor. Die kleine Elfe kann nicht schlafen (Daniela Drescher) In einer warmen Sommernacht konnte und konnte Flirr, die kleine Elfe, nicht einschlafen. Die Grillen zirpten laut, Glühwürmchen schwärmten und der Mond lachte hell in Flirrs Blütenbett. (1. DS) - Nein, da war an Schlaf nicht zu denken. Überall raschelte, knisterte und tu‐ schelte es … Also stieg die kleine Elfe aus ihrem Bett und flog los, in die tiefe Nacht hinein. (2. DS) - Sie traf ein kleines Männlein, das im Schein einer Laterne funkelnden Sand in kleine Säcke füllte. „Was tust du da? “, fragte Flirr. „Ich bin das Sandmännchen und heute brauche ich beinahe dop‐ pelt so viel Sand wie sonst. Die Kinder können einfach nicht einschlafen.“ (3. DS) - Flirr flog weiter und kam zur Fuchs‐ mutter. Die trug ihre Fuchskinder vor dem Bau hin und her. „Was machst du denn da? “, flüsterte die kleine Elfe[. ] „Ach, ich weiß auch nicht, was heute Nacht los ist“, sagte die Fuchsmutter. „Meine Kinder wollen und wollen nicht schlafen.“ (4. DS) - Die kleine Elfe schwirrte davon und traf auf ein Käuzchen. „Kannst du auch nicht schlafen? “, fragte sie. „Ich schlafe nachts nie, denn da ist es so schön dunkel und man ist alleine, wenn du verstehst, was ich meine …“ Flirr schüttelte den Kopf und flatterte rasch davon. (5. DS) Sie folgte einem kleinen Licht, das unter ihr zwischen den Wurzeln der Bäume schimmerte. Es kam aus einer Zwergen‐ wohnung und Flirr hörte, wie der Zwer‐ genpapa zu seinen Kindern sagte: „Also gut, noch ein Lied, aber dann wird end‐ lich geschlafen! “ Flirr lauschte der hüb‐ schen Melodie und flog weiter. (6. DS) - Ein Nachtfalterprinz kam des Weges. „Guten Abend“, sagte er freundlich. „Was machst du denn so spät noch hier? Solltest du nicht längst schlafen? “ „Ach! “, seufzte die kleine Elfe „Wenn ich nur könnte …“ (7. DS) - Da nahm sie der Prinz an der Hand und flog mit ihr zu einer hell er‐ leuchteten Waldlichtung. „Ein Sommer‐ nachtsfest! “, rief Flirr begeistert. Sie tanzte und tanzte, bis sie so müde war, dass sie nicht einmal mehr nach Hause fliegen konnte. (8. DS) - Also hob sie der Nachtfalterprinz be‐ hutsam auf, trug sie nach Haus und legte sie sanft in ihr Blütenbett. „Gute Nacht, kleine Elfe“, sagte er leise. „Schlafe jetzt und träume süß.“ Und wirklich, Flirr schlief sogleich ein. Sie träumte von einem leuchtenden Fest, von Elfen und Zwergen, einem Käuz‐ chen, von Füchsen, dem Sandmänn‐ chen und einem Nachtfalterprinzen im Mondschein. (9. DS) - 3.1 Textanalysen 475 Im dritten Schritt fordert die oder der Erwachsene Muriel auf, nun das Bilder‐ buch „vorzulesen“. Dies geht folgendermaßen vonstatten. E: so, jetzt tauschen wir rollen [? ] [.] du darfst - dich auf den TOllen [2] VORlesesessel setzen [? ] - [.] genau [? ] [.] SEHR GUT [.] - kannste dich mal schön hinsetzen [? ] du kriegst - das buch [? ]/ M: / äh/ E: / und dann darfst DU: mir das - einmal vorlesen und ich höre dir zu M: [schlägt das Buch auf, blättert zur ersten Seite um] Die von Muriel „vorgelesene“ Geschichte beginnt und endet am gleichen Ort: Zu Beginn der Geschichte steigt die kleine Elfe aus ihrem Elfenbett, während sie am Ende der Geschichte in dieses Blütenbett gelegt wird. Zur ersten Doppelseite produziert Muriel folgenden Text: [3] flä: r, die kleine el-fe [? ] [schaut E 2 Sek. an, E nickt] k o n n t e [? ] nicht einschlafen. also [? ] stieg sie aus dem el-fenBETT äh [? ] [3] und flatterte in die [2] WOLken hinEIN. [blättert um] Im ersten Satz formuliert Muriel die Ausgangs- oder auch Problemlage. Die kleine Elfe Flirr kann nicht einschlafen. Im darauffolgenden Satz, der mit dem Kausaladverb also eingeleitet wird, formuliert Muriel die Konsequenz. Die Elfe verlässt ihr Elfenbett und fliegt in die Wolken hinein. Der Gebrauch des Wortes Wolken könnte durch den fleckigen blauen Nachthimmel auf der ersten Doppelseite ausgelöst worden sein. Das Präfix hinein des Verbs hineinflattern, das strukturelle Muster [„Also“ + Verb] sowie der Präteritumsgebrauch wirken konzeptionell schriftlich. Auf den nächsten fünf Doppelseiten gestaltet Muriel ihre Geschichte mit Hilfe eines Baumusters. Inhaltlich ist jede Sequenz so aufgebaut, dass die kleine Elfe einem oder mehreren Waldbewohnern begegnet, die ebenfalls wach sind. Jede Sequenz endet damit, dass die kleine Elfe schnell davonfliegt. Dabei greift Muriel jedes Mal auf die Formulierung rasch davonfliegen zurück. Zur zweiten Doppelseite „liest“ Muriel folgenden Text „vor“: da traf sie einen VOgel und fragte ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ ,ich singe‘, sagte der vogel [krächzend] [beginnt mit dem Daumen die Seite umzublättern, lässt sie wieder fallen] [5] und die elfe flog rasch daVON. [blättert während des Wortes davon um] 476 3 Auswertung und Ergebnisse Die Elfe trifft das erste Lebewesen, einen Vogel, und fragt diesen, was er macht. Muriel verstellt daraufhin ihre Stimme und lässt den Vogel antworten, dass er singt. Der Vogel ist auf der zweiten Doppelseite mit einem geöffneten Schnabel abgebildet, was die Interpretation nahelegt, dass er am Singen ist. Der Text zur dritten Doppelseite lautet folgendermaßen: die elfe [ausatmen] [zeigt mit dem Finger auf den Text] füh: rt sich das licht in ei [verschluckt das ‚ne‘] höh: le, [nimmt den Finger schwungvoll zur Seite weg vom Buch] wo ein sand-männ-chen die s ä c k e fü: llt mit viel mehr schlafsand [? ] als SONST. [.] ,was machst du denn da? ‘ [nimmt eine etwas andere Stimmlage ein] ,die kinder könn einfach und EINfach nich EINschlafen [laut ab dem ersten ‚einfach‘] [wirft sich in die Stuhllehne, schaut nach oben, schaut E an, E schaut M mit einem traurigen Blick an und äußert einen traurigen Laut, M äußert einen unverständlichen Laut] und deswegen brauch ich d o p p e l t s o v i e l sand als [? ] sonst.‘ [blättert um, äußert währenddessen einen unverständlichen Laut] [blättert wieder zurück, äußert währenddessen einen unverständlichen Laut] dann flog die kleine elfe rasch daVON. [blättert während des Wortes ‚davon‘ um] Mit dem ersten Satz ist vermutlich folgender Satz gemeint: „Die Elfe führt das Licht in eine Höhle“. Dieser Satz fällt durch seine untypische Satzstellung auf, da als erstes das Objekt, anschließend das Prädikat und erst dann das Subjekt genannt wird. Auf der dritten Doppelseite sind ein Mann und die Elfe in einem gelblichen Licht abgebildet, das von einer Laterne ausgeht, die an einem Ast hängt. Dabei ist das Licht so intensiv dargestellt, dass das Gesicht der Elfe keinen hellrosa, sondern einen gelblichen Ton hat. Eine Höhle ist auf dem Bild nicht abgebildet, jedoch viele kleine Säcke und gelblich glitzernder Sand. Der nächste Satz wird von Muriel mit dem Relativadverb wo mit dem vorangegangenen Satz verbunden. Muriel spezifiziert nun, was in der bereits erwähnten Höhle stattfindet: Ein Sandmännchen füllt Säcke. Auch diese Infor‐ mation wird von Muriel noch genauer beschrieben durch die Formulierung „mit viel mehr Schlafsand als sonst“ (3. DS). Durch die besondere Betonung des Adverbs sonst akzentuiert sie die Besonderheit dieser Nacht: Es wird viel mehr Schlafsand als normalerweise benötigt. Anschließend formuliert Muriel einen Dialog zwischen der kleinen Elfe und dem Sandmännchen. Zwar wird direkte Rede ohne Begleitsatz verwendet, aber durch das Verstellen der Stimme beim Sprechen der Rede der Elfe und durch den Kontext ist es klar, welche Figur welchen Satz äußert. Nachdem die Elfe sich beim Sandmännchen nach seiner Tätigkeit erkundigt hat, stellt das Sandmännchen die problematische Lage dar: Die Kinder können nicht einschlafen. Dazu nutzt Muriel die Paarformel 3.1 Textanalysen 477 einfach und einfach, um den Zustand des Nicht-einschlafen-Könnens näher zu beschreiben und betont dadurch die Problematik. Der nächste Satz, den das Sandmännchen äußert, beinhaltet die Konjunktion deswegen. Nun nennt Muriel die Folge der problematischen Lage: Da die Kinder nicht einschlafen können, benötigt das Sandmännchen doppelt so viel Sand als sonst. Die Aussage des Sandmännchens über seine Tätigkeit und die Information, die zuvor aus der Erzählerrede hervorging, sind ähnlich. In der Aussage des Sandmännchens wird die Information noch spezifiziert: Er benötigt viel mehr Sand als sonst - und zwar doppelt so viel. Muriel setzt die Antwort des Sandmännchens somit in Beziehung zur vorangegangenen Erzählerrede. Auf diese Weise schließt sich der Kreis. Die Sequenz endet damit, dass die Elfe den Schauplatz verlässt und rasch davonfliegt. Zur vierten Doppelseite „liest“ Muriel folgende Textpassage „vor“: [2] , w a s m a c h s t du denn [? ] da‘ [.] ,ach, ich weiß es AUCH [.] NICH. [2] meine KIN-da wolln einfach und einfach nich ein-schlafn.‘ [krächzendere Betonung ab dem Wort ‚ach‘] und die elf/ [.] die kleine elfe flog RASCH [? ] davon. [blättert während des Wortes ‚davon‘ um] Diese Textpassage beginnt mit direkter Rede ohne Begleitsatz. Es wird die gleiche Frage wie in der vorangegangenen Sequenz gestellt: „Was machst du denn da? “ Aus dem Kontext ist zu schließen, dass die Frage erneut von der kleinen Elfe gestellt sein muss, da in der auf die Frage folgenden Antwort eine Mutter erklärt, dass ihre Kinder nicht einschlafen können. Wie in der vorangehenden Sequenz wird auch die Antwort ohne Begleitsatz formuliert. Auf dem Bild ist ein Fuchs abgebildet, der einen kleinen Fuchs im Maul trägt. Zwei weitere kleine Füchse sind vor und hinter dem großen Fuchs zu sehen. Die kleine Elfe ist in der Rückansicht abgebildet, sodass ihr Gesicht in Richtung des großen Fuchses gerichtet zu sein scheint. Dieser hat seinen Blick wiederum auf die Elfe gerichtet hat. Die als direkte Rede formulierte Antwort lässt sich so mit Hilfe des Bildes dem großen Fuchs zuordnen. Dass es sich um zwei verschiedene Figuren handelt, die in einen Dialog treten, macht Muriel auch durch ein Verstellen der Stimme deutlich, als sie die Stimme des großen Fuchses spricht. Durch den Gebrauch der Interjektion ach in der Antwort des Fuchses wirkt seine Antwort konzeptionell mündlicher und somit authentischer. Wie in der vorangegangenen Sequenz wird in der Antwort des von der Elfe angesprochenen Tieres die Paarformel einfach und einfach in Kombination mit dem Verb einschlafen gewählt. In diesem Fall geht es nicht um ein Nicht-einschlafen-können wie in der vorangegangenen Sequenz, sondern 478 3 Auswertung und Ergebnisse um ein Nicht-einschlafen-wollen. Auch die zweite Sequenz endet mit dem schnellen Davonfliegen der kleinen Elfe. Der Text, den Muriel zur fünften Doppelseite formuliert, lautet folgender‐ maßen: ,kannst du auch nich einschlafn? ‘, f/ fragte die kleine elfe z/ den v/ [.] die: eule [? ] [traurige Betonung ab ‚kannst‘] ,NEI: N, ich schlafe MORgens [? ] und nachts/ [? ] [bewegt die Seite schnell hin und her, macht einen unverständlichen Laut, atmet aus] [atmet ein] dann nachts [? ] hock ich auf einem ast [? ] und sin-ge.‘ [nimmt eine etwas andere Tonlage ab ‚NEI: N‘ ein] [blättert um, schlägt mit der Hand auf die neue Seite] [atmet mit einem Ton aus, lehnt sich über das Buch] da/ [äußert einen unverständlichen Laut und lehnt sich währenddessen zurück in die Stuhllehne, blättert eine Seite zurück] die elfe/ [blättert eine Seite vor und schnell wieder zurück] f/ ,du weißt doch, was i/ [.] [atmet hörbar ein] was ich sage z/ . die elfe sag/ guck/ äh schüttelte den kopf und flog rasch daVON. [blättert während des Wortes ‚davon‘ um] Auch die dritte Sequenz beginnt mit einer Frage der kleinen Elfe in Form von direkter Rede. In diesem Fall wird jedoch direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz verwendet. Die Antwort der Eule wird jedoch erneut mit Hilfe von direkter Rede ohne Begleitsatz wiedergegeben. Die Eule beginnt ihre Antwort mit der von Muriel betont ausgesprochenen Partikel nein. Dadurch wird akzentuiert, dass es bei der Eule einen anderen Grund für das nächtliche Wachsein gibt als ein Nicht-schlafen-können. Die dritte Sequenz endet mit dem raschen Davonfliegen der Elfe. Es folgt die Textpassage, die Muriel zur sechsten Doppelseite formuliert. [3] da/ [.] da [atmet aus] führte ein lichtstrah: l zu einem klein en ZWERgenhäusch en [? ] [ 13 , M gibt zwei unverständliche Laute von sich] [.] [atmet aus] ähm [atmet ein] und der vater sagte ,nur noch/ [.] na gut, nur noch EI: n n/ [.] nur noch EI: n lied und dann [atmet hörbar ein] geht’s aber rasch ins BETTÄH.‘ [5] [atmet ein] f/ n/ der hübschen melodie und flogte [dumpfe Betonung] rasch davon. [blättert während des Wortes ‚davon‘ um] Muriel macht Gebrauch vom strukturellen Muster [„Da“ + Verb], um ein neues Ereignis einzuleiten. Ähnlich wie in der ersten Sequenz wird die Elfe in der vierten Sequenz von einem Licht bzw. einem Lichtstrahl zu einem Ort geführt. Während es sich in der ersten Sequenz um eine Höhle handelte, ist der aktuelle Ort ein Zwergenhäuschen. Nun verwendet Muriel direkte Rede 3.1 Textanalysen 479 mit vorangegangenem Begleitsatz. In der direkten Rede verwendet Muriel das Adjektiv rasch erneut, das stets Bestandteil der Formulierung rasch davonfliegen ist, die im letzten Satz einer jeden Sequenz vorkommt. Muriel verwendet die eher konzeptionell schriftlich wirkende Formulierung der hübschen Melodie lauschen. Auch die vierte Sequenz endet mit dem raschen Davonfliegen der Elfe. Der Text zur siebten Doppelseite lautet: [2] da kam ein f/ [atmet ein] el-fen-PRINZ flatta. sagte [.] ,gehst du denn nich noch schon jetz ins bett? ‘ ,wenn ich nur könnte‘, [traurige Betonung] seufzte die el/ kleine elfe. [.] [M schaut sich die nächste Seite an, blättert direkt wieder zurück] die/ der z WERGENPRINZ oder wie er heißt falta[.]prinz [? ] [.] nz flogte mit ihr [? ] [blättert um] Mit dem strukturellen Muster [„Da“ + Verb] leitet Muriel auch auf der siebten Doppelseite ein neues Ereignis ein: Ein Elfenprinz taucht auf. Im Gegensatz zu den vorangegangenen Sequenzen findet ein Rollenwechsel statt: Nun wird die Elfe vom Prinzen gefragt, ob sie denn nicht ins Bett geht. Bei der Figurenrede des Prinzen handelt es sich um direkte Rede mit vorangegangenem Begleitsatz. Bei der Figurenrede der Elfe handelt es sich um direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz. Die Sequenz endet auf eine ähnliche Weise wie die vorangegan‐ genen Sequenzen. Die Elfe verlässt fliegend den Schauplatz. Der Unterschied zu den vorangegangenen Schauplatzwechseln besteht darin, dass sie nicht allein davonflattert, sondern dass der Prinz mit ihr wegfliegt. Der letzte Satz der Seite geht über die Seitengrenze hinaus, sodass die Zuhörerin bzw. der Zuhörer erst nach dem Umblättern erfährt, wohin die beiden Figuren gemeinsam fliegen. Dadurch wird Spannung erzeugt und ein Übergang zwischen den beiden Szenen geschaffen. Zur achten Doppelseite formuliert Muriel Folgendes: K: zu einem [flüstert ab ‚einem‘] ffest [? ] [schaut sich noch - einmal die vorherige Seite an, blättert direkt wieder zur nächsten Seite] - und die elfe ähm [.] m [atmet hörbar ein, - verschluckt das ,s‘ von ‚sagte‘] agte ,ein - sommernachtsfest‘ [überraschte Betonung] m [9] [M gibt - unverständlichen Laut von sich, schaut E an, E schaut M an und äußert - einen zustimmenden Laut] E: kannst nichts falsch machen. [.] alles was du - vorliest, ist richtig. M: mh [.] mh und TANzte und TANzte und TANzte [atmet 480 3 Auswertung und Ergebnisse ein] und TANzte bis sie so: müde war, dass sie - nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t - m e h r z u h a u s e fliegen konnte. also hob - der prinz sie auf und fl: o: g mit ihr zum [blättert - während des Wortes ‚zum‘ um] Nun erfährt die Zuhörerin bzw. der Zuhörer den Ort, zu dem der Prinz mit der Elfe fliegt: Zu einem Fest. Muriel lässt die Elfe nun das Fest mit Hilfe von direkter Rede mit vorangegangenem Begleitsatz spezifizieren: Es handelt sich um ein Sommernachtsfest. Nach einer Pause von neun Sekunden, in der Muriel Blick‐ kontakt zur Erwachsenen oder zum Erwachsenen aufgenommen hat, greift die oder der Erwachsene auf eine Formulierung des Instruktionsblattes zur Durch‐ führung einer Pretend-Reading-Situation zurück: kannst nichts falsch machen. [.] alles, was du vorliest, ist richtig. Danach vervollständigt Muriel den begonnenen Satz mit der Paarformel [Verb 1 + „und“ + Verb 1], die sie erweitert: und tanzte und tanzte [atmet hörbar ein] und tanzte. Durch die mehrfache Wiederholung des Verbes tanzen macht Muriel die Länge und Intensität des Tanzens der Elfe deutlich und schließt den Satz: bis sie so: müde war, dass sie nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t m e h r z u h a u s e fliegen konnte. Die Stärke der Müdigkeit betont Muriel durch zwei unterschiedliche sprachliche Mittel: Zum einen durch den Gebrauch der Inten‐ sitätspartikel so, das dem Adjektiv müde vorausgeht, zum anderen durch die Dehnung des Vokales der Intensitätspartikel so. Die Konsequenz des Zustandes der Elfe leitet Muriel mit Hilfe des Konsekutivadverbs also ein: Der Prinz fliegt mit ihr fort. Dadurch dass Muriel auch hier den Satz über zwei Doppelseiten hinweg bildet, erfährt die Zuhörerin oder der Zuhörer auch hier noch nicht den Ort, wohin der Prinz die Elfe bringt. Wie am Ende von allen vorangegangenen Doppelseiten, verlässt die Elfe den Schauplatz. Hier verlässt sie ihn jedoch nicht aktiv, sondern passiv, indem sie zu einem anderen Ort getragen wird. Zur neunten Doppelseite bildet Muriel das Ende des Satzes: ihr em beTT. [macht unverständlichen Laut] [schlägt das Buch zu] zu ende Nun erfährt die Zuhörerin bzw. der Zuhörer, wohin die Elfe gebracht wird, nämlich zu ihrem Bett. Die rechte Seite der zugehörigen Doppelseite zeigt ein Bett. Nur der Kopf der kleinen Elfe ist auf dem Kissen zu sehen. Die Geschichte endet am gleichen Ort, wo sie begonnen hat. Des Weiteren hat die Geschichte ein Happy End, indem das Problem, das die kleine Elfe eingangs hatte, gelöst wurde: Sie ist nun eingeschlafen. Das Ende der Geschichte markiert Muriel sprachlich mit der Formel zu ende. 3.1 Textanalysen 481 Zum Herstellen von Kohäsion nutzt Muriel die folgenden Kohäsionsmittel: Zum einen macht sie Gebrauch von Pro-Formen: Dazu gehört erstens ihr Gebrauch von Personalpronomen, die sich auf ein vorangegangenes Nomen beziehen. Zweitens macht sie mehrfach Gebrauch von Adverbien: Sie verwendet die Temporaladverbien dann und da, das Kausaladverb also sowie das Relativad‐ verb wo. Als weiteres Kohäsionsmittel nutzt Muriel in ihrer Textproduktion Konnektive: So enthält ihr Text die Konjunktionen und und dass. Inhaltliche Kohärenz ist in Muriels Geschichte zum Großteil vorhanden. Dabei ist es an einer Stelle notwendig, das Bild zum Text heranzuziehen, um zu wissen, wem die von Muriel genutzte Figurenrede zuzuordnen ist (vgl. 4. DS). Kohäsion wird in Muriel Textproduktionen des Weiteren durch die größtenteils durchgängige Verwendung des Präteritums (Tempuskontinuität) in der Erzählerrede erzeugt. Nachfolgend wird der Blick auf inhaltliche Abweichungen zwischen Muriels Text und dem Bilderbuchtext gerichtet. Veränderte Inhalte lassen sich auf den möglichen Einfluss der Bilder zurückführen. Dabei scheinen Bildinterpretation und Weltwissen des Kindes eine bedeutsame Rolle zu spielen. An mehreren Stellen wird der Einfluss der Bilder auf die Textproduktion deutlich. Im Zu‐ sammenhang mit der soeben genannten Formulierung des Wegfliegens der Elfe am Ende der Einleitung der Geschichte ist zusätzlich ein Unterschied in der sprachlichen Formulierung des Fortfliegens zwischen dem Bilderbuchtext und Muriels Textproduktion zu beobachten. Im Bilderbuch heißt es: „[…] und flog los, in die tiefe Nacht hinein“ (Drescher 2017, 2. DS). Muriel verwendet hier die folgende Formulierung, um einen ähnlichen Inhalt zum Ausdruck zu bringen: und flatterte in die [2] WOLken hinEIN (1. DS). Möglicherweise könnte hier das Bild Einfluss auf Muriels Sprachwahl gehabt haben: Es zeigt keinen schwarzen Nachthimmel - wie es eine Formulierung wie tiefe Nacht suggerieren würde, sondern einen blauen, der einige helle Stellen enthält. Diese könnten von Muriel als Wolken interpretiert worden sein. Auf der fünften Doppelseite trifft die Elfe im Bilderbuch auf ein Käuzchen: „Die kleine Elfe schwirrte davon und traf auf ein Käuzchen“ (Drescher 2017, 5. DS). Muriel scheint das Bild zunächst als Vogel und anschließend als Eule zu interpretieren: ,kannst du auch nich einschlafn? ‘, f/ fragte die kleine elfe z/ den f/ [.] die: eule [? ] (5. DS). Muriel wählt hier nicht die - im alltäglichen Sprachgebrauch eher ungewöhnliche - Formulierung aus dem Bilderbuch Käuzchen, sondern scheint bei der Interpre‐ tation des Bildes und der anschließenden Wahl der sprachlichen Form auf ihr Weltwissen zurückzugreifen. 482 3 Auswertung und Ergebnisse Auch Muriel generiert neue Inhalte. Sie erweitert das Baumuster um eine neue Sequenz, wobei sie einen lediglich im Bild dargestellten Inhalt in Sprache fasst und dadurch eine im Bilderbuchtext selbst nicht erzählte Handlung ergänzt. Zur zweiten Doppelseite formuliert Muriel die folgende Textpassage, deren Inhalt im Bilderbuch selbst nicht enthalten ist: da traf sie einen VOgel und fragte ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ ,ich singe‘, sagte der vogel [krächzend] [beginnt mit dem Daumen die Seite umzublättern, lässt sie wieder fallen] [5] und die elfe flog rasch daVON. [blättern während des Wortes ‚davon‘ um] (2. DS). An dieser Stelle konstruiert Muriel eine neue Sequenz des Baumusters, nach dem sie ihre Geschichte gestaltet. Diese Sequenz wurde vermutlich durch das Bild des Vogels mit geöffnetem Schnabel auf der zweiten Doppelseite ausgelöst. Im Text des Bilderbuches selbst bleibt der Vogel unerwähnt. Im Bilderbuch selbst wird hier der Inhalt vermittelt, den Muriel nicht erwähnt: Verschiedene Geräusche halten sie vom Schlafen ab. Des Weiteren wird eine Information vermittelt, die Muriel bereits auf der vorangegangenen Doppelseite erwähnt hat: Die Elfe fliegt davon. Zur sprachlichen Gestaltung der von ihr hinzugefügten neuen Sequenz greift Muriel zum einen auf eine Frage in Form von direkter Rede zurück: ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ (2. DS). Im Bilderbuchtext sind sehr ähnliche Formulierungen zu finden. Das Bilderbuch beinhaltet im Zusammenhang mit dem Zusammentreffen der Elfe mit einem Sandmännchen folgende Formulierung: „‚Was tust du da? ‘, fragte Flirr“ (Drescher 2017, 3. DS). Im Zusammenhang mit dem Zusammentreffen von Fuchsmutter und Flirr enthält das Bilderbuch folgende Frage: „‚Was machst du denn da? ‘, flüsterte die kleine Elfe“ (ebd., 4. DS). Und beim Zusammentreffen von Prinz und Elfe ist die folgende Formulierung zu lesen: „‚Guten Abend‘, sagte er freundlich. ‚Was machst du denn so spät noch hier? Solltest du nicht längst schlafen? ‘“ (ebd., 7. DS). Die von Muriel in der neuen Sequenz verwendeten Formulierung weist die stärksten Ähnlichkeiten zur Frage des Prinzen (vgl. 7. DS) auf. Zum anderen greift Muriel zum Abschluss der neuen Sequenz auf die Formulierung rasch weiterfliegen zurück, die das Ende aller Sequenzen ihres Baumusters darstellt. Während die Elfe in Muriels Geschichte bereits am Ende der ersten Doppelseite ihr Bett verlässt und losfliegt, tut die Elfe im Bilderbuchtext dies erst am Ende der zweiten Doppelseite: „Also stieg die kleine Elfe aus ihrem Bett und flog los, in die tiefe Nacht hinein“ (Drescher 2017, 2. DS). Diese Verschiebung beeinflusst vermutlich die bereits beschriebene Entwicklung einer neuen Sequenz des Bau‐ musters durch Muriel. Das Vorhandensein einer neuen Bild-Text-Kombination kann somit das Generieren neuer inhaltlicher Elemente hervorgerufen haben. 3.1 Textanalysen 483 Auch Muriels Textproduktion weist im Vergleich zum Bilderbuchtext ausgelas‐ sene inhaltliche Elemente auf. In der Einleitung der Geschichte des Bilderbuches wird eine genaue Beschreibung der Situation gegeben, in der die Elfe nicht einschlafen kann, die als Grund für die Schlafprobleme gedeutet werden kann („Die Grillen zirpten laut […]“ (Drescher 2017, 1. DS)). Im Gegensatz dazu verzichtet Muriel auf genauere Beschreibungen der Umstände und liefert keinen Grund dafür, dass die Elfe nicht einschlafen kann. Diese Informationen sind jedoch nicht relevant für den Fortgang der Geschichte. Auch am Ende der Geschichte lässt Muriel Inhalte aus dem Bilderbuchtext aus. So endet Muriels Geschichte damit, dass die kleine müde Elfe ins Bett gebracht wird. Im Bilderbuchtext hingegen folgt dieser Handlung noch der „Gute-Nacht-Wunsch“ des Prinzen, die Information, dass die Elfe „sogleich“ (ebd., 9. DS) einschläft und die Aufzählung verschiedener Dinge, von denen die Elfe träumt (vgl. ebd., 9. DS). Auch ohne diese Informationen aus dem Bilderbuchtext ist Muriels Geschichte verständlich: Da die kleine Elfe zuvor zu müde war, um selbst nach Hause zu fliegen (vgl. 8. DS) und das Ende der Geschichte ist, dass sie ins Bett gebracht wird, ist es eine logische Konsequenz, dass sie nun - im Gegensatz zur Situation zu Beginn der Geschichte (vgl. 1. DS) - einschläft. Muriel lässt somit lediglich Informationen aus, die für das Verständnis der Geschichte nicht notwendig sind. Die von Muriel ausgelassenen Informationen werden im Bilderbuch zum Teil in Erzählerrede und zum Teil in Form von direkter Rede dargestellt. Das von Muriel gewählte Geschichtenende ist weniger ausgeschmückt als das der Originalgeschichte. Zudem findet eine komprimierte Darstellung des Inhalts dar. Im Bilderbuch heißt es: „Also hob sie der Nachtfalterprinz behutsam auf, trug sie nach Haus und legte sie sanft in ihr Blütenbett“ (Drescher 2017, 9. DS). Die äquivalente Passage in Muriels Text lautet: also hob der prinz sie auf und fl: o: g mit ihr zum [blättert während des Wortes ‚zum‘ um] ihr em beTT (8./ 9. DS). Muriel verzichtet auf die Ortsangabe nach Hause und transportiert eine ähnliche Botschaft durch den Gebrauch des Personalpronomens ihr zur genaueren Bestimmung des Bettes. So wird klar, dass der Prinz sie nach Hause gebracht haben muss. Zur vierten Doppelseite formuliert Muriel einen Dialog. Zum kompletten Ver‐ ständnis dieses Dialoges ist der Blick auf das zugehörige Bild des Bilderbuches notwendig: [2] , w a s m a c h s t du denn [? ] da‘ [.] ,ach, ich weiß es AUCH [.] NICH. [2] meine KIN-da wolln einfach und einfach nich ein-schlafn.‘ [krächzendere Betonung ab dem Wort ‚ach‘] (4. DS). Da diese Textpassage ausschließlich aus 484 3 Auswertung und Ergebnisse direkter Rede ohne Begleitsatz besteht, geht nur aus diesem Bild hervor, dass es sich bei der Figur, mit der die Elfe in einen Dialog tritt, um eine Füchsin handelt. Aus dem entsprechenden Bilderbuchtext hingegen kann explizit entnommen werden, dass es sich um Füchse handelt: „Flirr flog weiter und kam zu einer Fuchsmutter. Die trug ihre Kinder vor dem Bau hin und her.“ (Drescher 2017, 4. DS) Zwar ist der von Muriel ausgelassene Inhalt notwendig zum Verständnis der Geschichte, jedoch kann diese Leerstelle mit Hilfe des zugehörigen Bildes gefüllt werden. An dieser Stelle liegt eine Bild-Text-Korrespondenz vor, bei dem Bild und Text die Geschichte gemeinsam erzählen (geflochtener Zopf). Ähnliches gilt für die bereits zitierte Passage also hob der prinz sie auf und fl: o: g mit ihr zum [blättert während des Wortes ‚zum‘ um] ihr em beTT (8./ 9. DS). Im Vergleich zum Bilderbuchtext enthält Muriels Text nicht die Information, dass der Prinz sie ins Bett legt. Mit Hilfe des Bildes, das die kleine Elfe liegend in einem Bett zeigt, lässt sich diese Leerstelle jedoch schließen. Nachfolgend wird der Blick auf Musterhaftigkeit in Muriels Text gelegt. Zu‐ nächst ist festzuhalten, dass Muriel ihre Textproduktion mit Hilfe eines Bau‐ musters gestaltet. Dieses Baumuster besteht aus fünf Sequenzen. Inhaltlich ist jede Sequenz so aufgebaut, dass die kleine Elfe einem oder mehreren Waldbewohnern begegnet, die ebenfalls wach sind. Jede Sequenz endet damit, dass die kleine Elfe schnell davonfliegt. Dabei greift Muriel jedes Mal auf die Formulierung rasch davonfliegen zurück. Im Folgenden wird das von Muriel gebildete Baumuster mit dem Baumuster des Bilderbuches verglichen (vgl. Tabelle 25). 3.1 Textanalysen 485 Bausteine Kindertext Baumuster (5 Sequenzen) (S) Bilderbuchtext Baumuster (4 Sequenzen) (S) Baustein 1 Flirr trifft auf/ beobachtet einen/ mehrere Waldbewohner S1: Vogel S2: Sandmännchen S3: Fuchsmutter mit Kindern S4: Eule S5: Zwergenfamilie Flirr trifft auf/ beobachtet einen/ mehrere Waldbewohner S1: Sandmännchen S2: Fuchsmutter mit Kindern S3: Käuzchen S4: Zwergenfamilie - Baustein 2 Thematisierung des Nichtschla‐ fens Thematisierung des Nichtschla‐ fens Baustein 3 Flirr fliegt schnell davon am Ende einer DS Formulierung: „rasch davon‐ fliegen“ Flirr fliegt weiter zu Beginn oder am Ende einer DS Formulierung: sprachliche Varia‐ tionen („weiterfliegen“, „davon‐ schwirren“, „rasch davon flat‐ tern“, „weiterfliegen“) Tabelle 25: Baumustervergleich, Textanalyse VII Während jede der fünf Sequenzen einen Satz mit dem sprachlichen Muster rasch davonfliegen enthält, der als Abschluss der jeweiligen Sequenz dient, weist das Baumuster des Bilderbuches eine stärkere sprachliche Variation auf. Im Bilderbuch wird jeweils zwischen zwei Sequenzen erzählt, dass die Elfe davon‐ fliegt. Dabei wird diese Information zweimal am Anfang eines Textes einer Doppelseite gegeben und zweimal am Ende eines Textes einer Doppelseite. Auch die Formulierungen variieren dabei: zweimal zu Beginn einer neuen Sequenz werden die folgenden Formulierungen verwendet: „flog weiter“ (Drescher 2017, 4. DS) und „schwirrte davon“ (ebd., 5. DS). Zweimal wird das Wegfliegen der Elfe am Ende einer Sequenz mit den folgenden Formulierungen ausgedrückt: „und flatterte rasch davon“ (ebd., 5. DS) und „und flog weiter“ (ebd., 6. DS). Muriel scheint eine Kombination aus diesen beiden Formulierungen zu wählen (rasch davonfliegen) und setzt diese konstant zum Abschluss jeder Sequenz ein. An dieser Stelle sei zur Verdeutlichung folgende zusätzliche Beobachtung zu Muriels sprachlicher Darstellung der Tätigkeit des Fliegens ergänzt. Während Muriel in den Sequenzen, die zum Baumuster gehörten, stets auf die Formu‐ lierung rasch davonfliegen zurückgreift, wählt sie auf der ersten Doppelseite die Formulierung in die Wolken hineinflattern: also [? ] stieg sie aus dem el-f en BETT äh [? ] [3] und flatterte in die [2] WOLken hinEIN (1. DS). Ein ähnlicher Inhalt wird im Bilderbuch mit Hilfe der Formulierung „in die tiefe Nacht hineinfliegen“ (vgl. Drescher 2017, 2. DS) zum Ausdruck gebracht. Gleiches gilt für die drei weiteren 486 3 Auswertung und Ergebnisse Textpassagen, in denen Muriel außerhalb des Baumusters die Tätigkeit des Fliegens in Sprache fasst. In zwei der drei Textpassagen verwendet Muriel die Formulierung mit jemandem zu etwas fliegen. Die erste Textpassage lautet: der z WERGENPRINZ oder wie er heißt falta[.]prinz [? ] [.] nz flogte mit ihr […] zu einem [flüstert ab ‚einem‘] ffest [? ] (7./ 8. DS). Im Bilderbuchtext wird in diesem Kontext auf die gleiche Formulierung zurückgegriffen: „Da nahm sie der Prinz an der Hand und flog mit ihr zu einer hell erleuchteten Waldlichtung“ (Drescher 2017, 8. DS). Die zweite Textpassage lautet: also hob der prinz sie auf und fl: o: g mit ihr zum […]ihr em beTT (8./ 9. DS). Im Bilderbuchtext wird an dieser Stelle die Tätigkeit des Fliegens nicht thematisiert: „Also hob sie der Nachtfalterprinz behutsam auf, trug sie nach Haus und legte sie sanft in ihr Blütenbett“ (ebd., 9. DS). Die dritte Textstelle beinhaltet die Formulierung zu Hause fliegen, die als Annäherung an die auch im Bilderbuch in diesem Kontext verwendete Formulierung nach Hause fliegen interpretiert werden kann: bis sie so: müde war, dass sie nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t m e h r z u h a u s e fliegen konnte (8. DS). Der Text des Bilderbuches lautet: „[…] dass sie nicht einmal mehr nach Hause fliegen konnte“ (Drescher 2017, 8. DS). Die Formulierung rasch davonfliegen ist in Muriels Text somit ausschließlich in den sich wiederholenden Sequenzen vorhanden. In Muriels Text wird somit auf sprachlicher Ebene markiert, welche Teile der Geschichte zu den wieder‐ kehrenden Sequenzen gehören und welche nicht. Muriels Baumuster weist somit an dieser Stelle eine stärkere Strukturiertheit auf als das Baumuster des Bilderbuchtextes. Die stärkere Struktur zeigt sich zusätzlich im mehrfachen Gebrauch eines sprachlichen Musters und seiner Variation in Form von direkter Rede. Zudem weist Muriels Baumuster im Vergleich zu dem des Bilderbuches eine zusätzliche Sequenz auf. In Muriels Textproduktion lassen sich mit Blick auf den Bilderbuchtext sprach‐ liche Muster identifizieren, die im Bilderbuch vorkommen, die im Bilderbuch nicht vorkommen und die im Bilderbuch in Variation vorkommen. Mehrfachen Gebrauch eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch nicht vorkommt, macht Muriel, indem sie an zwei Stellen das Muster [Licht] führt zu/ in etwas verwendet. In der ersten Textpassage wird die kleine Elfe durch ein Licht in eine Höhle geführt: die elfe [ausatmen] [zeigt mit dem Finger auf den Text] füh: rt sich das licht in ei [verschluckt das ‚ne‘] höh: le, [nimmt den Finger schwungvoll zur Seite weg vom Buch] wo ein sand-männ-ch en die s ä c k e fü: llt mit viel mehr schlafsand [? ] als SONST (3. DS). In der entsprechenden Textpassage im Bilderbuch ist 3.1 Textanalysen 487 dieser Inhalt nicht enthalten: „Sie traf ein kleines Männlein, das im Schein einer Laterne funkelnden Sand in kleine Säcke füllte“ (Drescher 2017, 3. DS). Zum zweiten Mal verwendet Muriel dieses Muster in der folgenden Textpas‐ sage: [3] da/ [.] da [atmet aus] führte ein lichtstrah: l zu einem klein en ZWERgenhäusch en [? ] (6. DS). Erneut führt Licht, in diesem Fall ein Lichtstrahl, zu einem Ort. In der äquivalenten Textpassage aus dem Bilderbuchtext wird ein ähnlicher Inhalt durch andere sprachliche Mittel transportiert: „Sie folgte einem kleinen Licht, das unter ihr zwischen den Wurzeln der Bäume schimmerte. Es kam aus einer Zwergenwohnung […].“ (Drescher 2017, 6. DS) Hier folgt die Elfe einem Licht, das sie sieht. Muriel nutzt also in zwei Sequenzen das sprachliche Muster [Licht] führt zu/ in etwas, das im Bilderbuch nicht vorhanden ist. Mit Hilfe dieses Musters drückt sie einen Inhalt aus, der lediglich in einer der beiden Sequenzen im Bilderbuch vorkommt. Auf diese Weise erhält Muriels Text eine stärkere Struktur in Bezug auf diese Sequenzen - sowohl inhaltlich als auch sprachlich. Sie verwendet das Muster jeweils zu Beginn einer Sequenz und beschreibt damit, wie die kleine Elfe zu dem Ort gelangt, an dem das Geschehen stattfinden wird. Der Text weist zudem den einmaligen Gebrauch eines sprachlichen Musters auf, das im Bilderbuch vorkommt: Dies betrifft den Gebrauch der Formulierungen Flirr, die kleine Elfe, Kannst du auch nicht einschlafen und Wenn ich nur könnte. Auf der ersten Doppelseite verwendet Muriel das sprachliche Muster flä: r, die kleine el-fe (1. DS) im gleichen Kontext wie es im Bilderbuch verwendet wird. Es handelt sich bei diesem Muster um einen komprimierten Ausdruck, um Flirr vorzustellen: Sie ist eine Elfe und sie ist offenbar noch nicht erwachsen. Das sprachliche Muster wird von Muriel in eine neue syntaktische Struktur integriert. Während im Bilderbuch der Ausdruck nach der finiten Verbform genannt wird („In einer warmen Sommernacht konnte und konnte Flirr, die kleine Elfe, nicht einschlafen“ (Drescher 2017, 1. DS)), ist dies in Muriels Satz umgekehrt: flä: r, die kleine el-fe [? ] […] k o n n t e [? ] nicht einschlaf en (1. DS). Im Zusammenhang mit dem Zusammentreffen von der kleinen Elfe und einer Eule greift Muriel auf das sprachliche Muster Kannst du auch nicht einschlafen zurück, das im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird. So formuliert Muriel die Satzkonstruktion ,kannst du auch nich einschlafn? ‘, f/ fragte die kleine elfe z/ den f/ [.] die: eule [? ] (5. DS), während die entsprechende Formulierung im Bilderbuch folgendermaßen lautet: „‚Kannst du auch nicht schlafen? ‘, fragte sie“ (Drescher 2017, 5. DS). Muriel bindet das sprachliche Muster somit auf die gleiche Weise in die syntaktische Struktur ein, wie dies im Bilderbuchtext geschehen ist: In eine 488 3 Auswertung und Ergebnisse Satzverbindung bestehend aus einem Hauptsatz in Form von direkter Rede und einem nachgestellten Begleitsatz. Auch die Inhalte der beiden Sätze weisen hohe Ähnlichkeiten auf. Muriel verwendet jedoch das sprachliche Muster die kleine Elfe, während im Bilderbuch in diesem Kontext das Personalpronomen sie enthalten ist. Im gleichen Kontext wie im Bilderbuch gebraucht Muriel das sprachliche Muster Wenn ich nur könnte: ,wenn ich nur könnte‘, [traurige Betonung] seufzte die el/ kleine elfe (7. DS). In beiden Texten stellt dieses Muster eine Antwort der Elfe auf eine Frage des Prinzen dar. Im Bilderbuch lautet die Textpassage: „‚Ach! ‘, seufzte die kleine Elfe ‚Wenn ich nur könnte …‘“ (Drescher 2017, 7. DS). Im Gegensatz zum Bilderbuch, wo der Begleitsatz dem sprachlichen Muster vorausgeht, nutzt Muriel direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz. Somit bindet sie das sprachliche Muster in eine neue syntaktische Struktur ein. Einmalig macht Muriel Gebrauch von einer Variation eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt - und zwar von der Formulierung in die Wolken hineinflattern. Dieses sprachliche Muster ist Bestandteil des folgenden Satzes aus Muriels Text: also [? ] stieg sie aus dem el-f en BETT äh [? ] [3] und flatterte in die [2] WOLken hinEIN (1. DS). Muriels Formulierung in die Wolken hineinflattern lässt sich als Variation des sprachlichen Musters in die tiefe Nacht hinein losfliegen, Typ „Ersetzen“/ „Weg‐ lassen“, im gleichen Kontext bezeichnen: „Also stieg die kleine Elfe aus ihrem Bett und flog los, in die tiefe Nacht hinein“ (Drescher 2017, 1. DS). Dabei wird das Nomen Nacht durch das Nomen Wolken ersetzt, das Adjektiv tief zur Beschreibung der Nacht wegelassen und das Verb hineinfliegen durch das Verb hineinflattern ersetzt. Das konzeptionell schriftliche Präfix hinein des Verbs behält Muriel dabei bei. Das Verb flattern wird im Bilderbuch auf der fünften Doppelseite als Bestandteil der Formulierung „und flatterte rasch davon“ (ebd., 8. DS) verwendet. Möglicherweise beeinflusste das Vorkommen des Verbes in diesem Kontext den Eingang desselben in die von Muriel gebildete Formulierung. Der mehrfache Gebrauch eines sprachlichen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, lässt sich im Hinblick auf die Formulierungen etwas rasch tun, die kleine Elfe und mit jemandem zu etwas fliegen feststellen. Mehrfach enthält Muriels Text die Formulierung etwas rasch tun, die Muriel sowohl in gleichen Kontexten wie das Bilderbuch als auch in neuen Kontexten einsetzt. Fünfmal verwendet Muriel diese Formulierung in der Form des sprachlichen Musters rasch davonfliegen am Ende einer jeden Sequenz. Das Adjektiv rasch ist im Bilderbuch nur Bestandteil 3.1 Textanalysen 489 einer einzigen Formulierung, die in der Sequenz des Baumusters verwendet wird, in der Flirr auf das Käuzchen trifft: „Flirr schüttelte den Kopf und flatterte rasch davon“ (Drescher 2017, 5. DS). Die Formulierung lautet rasch davonflat‐ tern. Also ließe sich die von Muriel mehrfach verwendete Formulierung rasch davonfliegen als Variation des Musters rasch davonflattern (Typ „Ersetzen“) bezeichnen, die von Muriel im gleichen und in neuen Kontexten verwendet wird. Das Verb fliegen wird im Bilderbuch fünfmal verwendet. Zweimal davon wird es im Rahmen des Baumusters verwendet: „Flirr flog weiter“ (Drescher 2017, 4. DS) und „und flog weiter“ (ebd., 6. DS). Die weiteren Formulierungen lauten: „und flog los, in die tiefe Nacht hinein“ (ebd., 1. DS), „flog mit ihr zu einer hell erleuchteten Waldlichtung“ (ebd., 8. DS) und „nach Hause fliegen konnte“ (ebd., 8. DS). Möglicherweise ist die von Muriel verwendet Formulierung eine Kombination zweier Formulierungen aus dem Bilderbuch. Außerdem verwendet Muriel das sprachliche Muster etwas rasch tun ein weiteres Mal und zwar in einem neuen Kontext: [.] nur noch EI: n lied und dann [atmet hörbar ein] geht’s aber rasch ins BETTÄH‘ (6. DS). An dieser Stelle wird deutlich, dass Muriel scheinbar um die Funktion des Musters und die Bedeutung des Wortes rasch weiß, da sie das Muster funktional einsetzt und damit einen ähnlichen Inhalt wie im Bilderbuch vermittelt: schnell ins Bett gehen bzw. schnell einschlafen. Im Bilderbuchtext selbst wird ein ähnlicher Inhalt mit Hilfe der Formulierung endlich schlafen transportiert: „Also gut, noch ein Lied, aber dann wird endlich geschlafen! “ (Drescher 2017, 7. DS) Auch dieses sprachliche Muster kann als Variation des sprachlichen Musters rasch davonflattern, Typ „Ersetzen“/ „Weglassen“ bezeichnet werden, das in einem neuen Kontext verwendet wird. Fünfmal enthält Muriels Text das sprachliche Muster die kleine Elfe (1. DS, 3. DS, 4. DS, 5. DS, 7. DS). Im Vergleich dazu verwendet Muriel viermal das sprachliche Muster die Elfe (2. DS, 3. DS, 7. DS, 8. DS). Im Bilderbuchtext ist das sprachliche Muster die kleine Elfe ebenfalls fünfmal enthalten (vgl. Drescher 2017, 1. DS, 2. DS, 4. DS, 5. DS, 7. DS). Dreimal nutzt Muriel dieses Muster dabei im gleichen Kontext wie der Bilderbuchtext. Das Muster die Elfe wird im Bilderbuch nicht verwendet. Es lässt sich als Variation des Musters die kleine Elfe beschreiben. Einmal wird die Formulierung kleine Elfe als Ansprache verwendet (vgl. ebd., 9. DS), die in Muriels Text nicht verwendet wird. Fünfmal wird nur der Vorname der Elfe gebraucht: Flirr (vgl. ebd., 4. DS, 5. DS, 6. DS, 8. DS, 9. DS). Auch diesen nutzt Muriel ohne den Zusatz (vgl. 1. DS) in ihrer Textproduktion gar nicht. Der Text von Muriel weist auch hier eine stärkere Musterhaftigkeit auf als der Bilderbuchtext, da das Muster die Elfe als Variation des Musters die kleine Elfe bezeichnet werden kann. 490 3 Auswertung und Ergebnisse Wie im Zusammenhang mit dem von Muriel gebildeten Baumuster bereits er‐ läutert macht Muriel zweimal Gebrauch vom sprachlichen Muster mit jemandem zu etwas fliegen. Dabei weist die erste äquivalente Textpassage des Bilderbuches dieses Muster auf, während es bei der zweiten Textpassage nicht der Fall ist. Somit wird das Muster von Muriel einmal in gleichen Kontext wie im Bilderbuch gebraucht und einmal in einem neuen Kontext, wobei es von Muriel in eine neue syntaktische Struktur eingebunden wird. Mehrfach macht Muriel Gebrauch eines sprachlichen Musters (und einer Varia‐ tion dieses Musters), das im Bilderbuch vorkommt: Dies betrifft das Muster Was tust du da? . Wie bereits beschrieben verwendet Muriel mehrfach eine ähnliche Frage als direkte Rede. Diese drei Stellen werden nun mit Blick auf den Bilderbuchtext analysierst. Eine Textpassage, die Muriel zur dritten Doppelseite formuliert, lautet: die elfe […] füh: rt sich das licht in ei […] höh: le, […] wo ein sand-männ-ch en die s ä c k e fü: llt mit viel mehr schlafsand [? ] als SONST. [.] ,was machst du denn da? ‘ (3. DS) Die äquivalente Textpassage des Bilderbuchtextes lautet: „Sie traf ein kleines Männlein, das im Schein einer Laterne funkelnden Sand in kleine Säcke füllte. „‚Was tust du da? ‘, fragte Flirr“ (Drescher 2017, 3. DS). Muriels Formulierung lässt sich als Variation des sprachlichen Musters Was tust du da? (Typ „Ersetzen“/ „Er‐ weitern“) bezeichnen. Das Verb tun wird durch das Verb machen ersetzt, das eine ähnliche Bedeutung hat. Des Weiteren enthält Muriels Formulierung im Vergleich zum Muster des Bilderbuches eine Ergänzung in Form von der Partikel denn. Die Formulierung wird von Muriel im Vergleich zum Bilderbuchtext ohne Begleitsatz verwendet. Das von Muriel verwendete sprachliche Muster kann jedoch auch als Übernahme eines Musters in einem neuen Kontext bezeichnet werden, da dieses auf der vierten Doppelseite in einem ähnlichen Zusammenhang enthalten ist: „‚Was machst du denn da? ‘, flüsterte die kleine Elfe“ (Drescher 2017, 4. DS). Zur vierten Doppelseite, auf der die Elfe die Fuchsmutter trifft, formuliert Muriel folgenden Text: , w a s m a c h s t du denn [? ] da‘ [.] ,ach, ich weiß es AUCH [.] NICH. [2] meine KIN-da wolln einfach und einfach nich ein-schlafn.‘ (4. DS) Im Bilderbuchtext wird - wie bereits erwähnt - genau die gleiche Formulierung verwendet: „‚Was machst du denn da? ‘, flüsterte die kleine Elfe“ (Drescher 2017, 4. DS). Scheinbar handelt es sich hier um die Übernahme eines sprachlichen Musters im gleichen Kontext. Allerdings verwendet Muriel das Muster auf eine andere Weise: Sie bindet es in einen Dialog ohne Begleitsätze ein, während es im Bilderbuch in Kombination mit einem Begleitsatz genutzt 3.1 Textanalysen 491 wird. Muriel bildet somit zur dritten und vierten Doppelseite jeweils exakt die gleiche Formulierung als direkte Rede ohne Begleitsatz. Wie bereits erwähnt nutzt Muriel eine Frage ähnlicher Art zur Herstellung einer neuen Sequenz ihres Baumusters, die im Bilderbuch nicht enthalten ist: da traf sie einen VOgel und fragte ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ (2. DS) Zum einen ist hier eine Nähe zum sprachlichen Muster was machst du denn da? , das Muriel in der dritten und vierten Sequenz verwendet, erkennbar. Anstatt des Lokaladverbs da verwendet sie lediglich ein anderes Lokaladverb (hier) und ergänzt die Formulierung noch so spät DRAUßen. Die von Muriel gewählte Formu‐ lierung weist jedoch auch eine Nähe zu der Formulierung auf, die im Bilderbuch im Zusammentreffen von Elfe und Nachtfalterprinz verwendet wird: „‚Guten Abend‘, sagte er freundlich. ‚Was machst du denn so spät noch hier? Solltest du nicht längst schlafen? ‘“ (Drescher 2017, 7. DS) Muriels Formulierung was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? (3. DS) lässt sich somit auch als Variation des sprachlichen Musters was machst du denn so spät noch hier? (Typ „Erweitern“/ „Reihenfolge“) in einem neuen Kontext bezeichnen. Im Vergleich zu diesem Muster weist Muriels Muster eine veränderte Reihenfolge der Elemente so spät und hier auf. Des Weiteren enthält Muriels Muster die Ergänzung DRAUßen (3. DS). Das Lokaladverb draußen wird im Bilderbuchtext nicht verwendet. Möglicherweise handelt es sich hier um die Variation eines sprachlichen Musters im neuen Kontext. Muriel scheint zum Herstellen einer neuen Sequenz auf Versatzstücke aus dem Bilderbuch zurückzugreifen, jedoch auch auf neue Elemente (draußen). Im Zusammenhang mit dem Zusammentreffen von Elfe und Prinz, das nicht zum eigentlichen Baumuster gehört, verwendet Muriel eine Formulierung, die das Muster Was machst du denn da nicht enthält: ,gehst du denn nich noch schon jetz ins bett? ‘ (7. DS) In drei der fünf Sequenzen des Baumusters ist in Muriels Text das sprachliche Muster Was machst du denn noch hier oder eine Variation dessen enthalten. Das Bilderbuch enthält mehr Variationen in Bezug auf die Fragen der Lebewesen in den Sequenzen: „Was tust du da? “ (Drescher 2017, 3. DS), „Was machst du denn da? “ (Ebd., 4. DS) und „Kannst du auch nicht schlafen? “ (Ebd., 5. DS). Eine Formulierung, die Ähnlichkeiten mit den beiden erst genannten aufweist, wird außerhalb des Baumusters genutzt: „Was machst du denn so spät noch hier? “ (Ebd., 7. DS) Muriels Text weist somit im Vergleich zum Bilderbuchtext innerhalb des Baumusters mehr Wiederholungen auf, was ihm eine stärkere Struktur verleiht. 492 3 Auswertung und Ergebnisse Mehrfacher Gebrauch struktureller Muster, die im Bilderbuch vorkommen, lässt sich in Muriels Text bezüglich der sechs Muster [Adjektiv + Nomen], [Adjektiv + Verb], [„Also“ + Verb], [„Da“ + Verb], [Satz + „und“ + Satz] und [„Dann“ + Verb] feststellen. Siebenmal enthält der Text Formulierungen, denen das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] zugrunde liegt: Auffällig daran ist, dass die Leerstelle „Adjektiv“ von Muriel fast ausschließlich mit dem Adjektiv klein gefüllt wird. Fünfmal verwendet Muriel den Ausdruck die kleine Elfe und einmal den Aus‐ druck kleines Zwergenhäuschen. Dabei handelt es sich bei dem Ausdruck die kleine Elfe um ein von Muriel häufig verwendetes sprachliches Muster aus dem Bilderbuch. Im Bilderbuch wird im Gegensatz zu Muriels Text von einer „Zwergenwohnung“ (Drescher 2017, 3. DS) gesprochen, die nicht näher be‐ schrieben wird. Achtmal weist das Bilderbuch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] insgesamt auf. Das Muster, das den genannten sechs Formulierungen aus Muriels Text zugrunde liegt, kann alternativ folgendermaßen beschrieben werden: [„klein“ + Nomen]. Dieses Muster liegt zehn Formulierungen aus dem Bilderbuchtext zugrunde (kleine Elfe, kleines Männlein, kleine Säcke, kleines Licht). Von Muriel wird das strukturelle Muster wird von Muriel dreimal im gleichen Kontext und dreimal in einem anderen Kontext als im Bilder‐ buch verwendet. Einmal verwendet Muriel die Formulierung hübsche Melodie (f/ n/ der hübschen melodie und flogte […] rasch davon (6. DS)). Diese wird im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet („Flirr lauschte der hübschen Melodie und flog weiter“ (Drescher 2017, 6. DS)). Sechs Formulierungen aus Muriels Geschichte liegt das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] zugrunde. Auffällig hierbei ist, dass die Leerstelle „Adjektiv“ ausschließlich durch das Adjektiv rasch gefüllt wird. Fünfmal wird das Adjektiv rasch von Muriel mit dem Verb davonfliegen kombiniert. Diese Formulierung ist Bestandteil des ihrer Geschichte zugrundeliegenden Baumusters. Einmal wird das Adjektiv rasch mit der Formulierung es geht ins Bett (vgl. 6. DS) kombiniert. Muriel verwendet somit sechsmal das strukturelle Muster [„rasch“ + Verb]. Zweimal macht Muriel Gebrauch vom strukturellen Muster [„Also“ + Verb]. Auf der ersten Doppelseite nutzt sie dieses Muster, um eine Konsequenz auf eine Situation einzuleiten: Da die Elfe nicht einschlafen kann, steigt sie aus dem Elfenbett und flattert in die Nacht hinein (also [? ] stieg sie aus dem el-f en BETT äh [? ] [3] und flatterte in die [2] WOLken hinEIN (1. DS)). Im Bilderbuch heißt es im gleichen Kontext: „Also stieg die kleine Elfe aus ihrem Bett und flog in die Nacht hinein“ (Drescher 2017, 2. DS). Die von Muriel verwendete Formulierung scheint daher der Gebrauch 3.1 Textanalysen 493 eines strukturellen Musters aus dem Bilderbuch im gleichen Kontext zu sein. An der zweiten Stelle, an der Muriel das Muster [„Also“ + Verb] verwendet, erfüllt es die gleiche Funktion: eine Konsequenz einleiten. Da die Elfe nach dem Tanz zu müde zum Fliegen ist, wird sie vom Elfenprinzen aufgehoben und nach Hause gebracht: und TANzte bis sie so: müde war, dass sie nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t m e h r z u h a u s e fliegen konnte. also hob der prinz sie auf und fl: o: g mit ihr zum [blättert während des Wortes ‚zum‘ um] ihr em beTT. (8./ 9. DS) Auch hier wird das Muster im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet: „Also hob sie der Nachtfalterprinz behutsam auf, trug sie nach Haus und legte sie sanft in ihr Blütenbett“ (Drescher 2017, 9. DS). Ein drittes Mal wird das Muster im Bilderbuch noch in einem weiteren Kontext verwendet: „‚Also gut, noch ein Lied, aber dann wird endlich geschlafen! ‘“ (Ebd., 6. DS) Dreimal verwendet Muriel Formulierungen, denen das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] zugrunde liegt. Auf der zweiten Doppelseite nutzt Muriel es funktional, um eine neue Sequenz und ein neues Ereignis einzuleiten: Die kleine Elfe trifft einen Vogel. Die von Muriel formulierte Textpassage lautet folgendermaßen: also [? ] stieg sie aus dem el-f en BETT äh [? ] [3] und flatterte in die [2] WOLken hinEIN. [blättert um] da traf sie einen VOgel und fragte ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ (1./ 2. DS) Dieser Inhalt ist im Bilderbuch selbst nicht vorhanden. Auch auf der sechsten Doppelseite nutzt Muriel das strukturelle Muster [„Da“ + Verb], um eine neue Sequenz und ein neues Ereignis einzuleiten: Ein Lichtstrahl führt die kleine Elfe zu einem Zwergenhäuschen (die elfe sag/ guck/ äh schüttelte den kopf und flog rasch daVON. [blättert während des Wortes ‚davon‘ um] [3] da/ [.]da […] führte ein lichtstrah: l zu einem klein en ZWERgenhäusch en (5.-6. DS)). Im Bilderbuch wird ein ähnlicher Inhalt ohne dieses Muster dargestellt: „Sie folgte einem kleinen Licht, das unter ihr zwischen den Wurzeln der Bäume schimmerte“ (Drescher 2017, 6. DS). Auch zum dritten Mal macht Muriel Gebrauch von diesem Muster, um ein neues Ereignis einzu‐ leiten: Ein Elfenprinz taucht auf (/ n/ der hübschen melodie und flogte [dumpfe Betonung] rasch davon. [blättert während des Wortes ‚davon‘ um] [2] da kam ein f/ [atmet ein] el-fen-PRINZ flatta. (6.-7. DS)). Auch hier wird der Inhalt im Bilderbuch auf eine andere Weise zum Ausdruck gebracht: „Ein Nachtfalterprinz kam des Weges“ (Drescher 2017, 7. DS). Im Bilderbuch selbst wird das Muster nur einmal in einem anderen Kontext verwendet: „Nein, da war an Schlaf nicht zu denken“ (ebd., 2. DS). 494 3 Auswertung und Ergebnisse Zweimal nutzt Muriel das Muster somit, um die Begegnung zwischen der Elfe und einem anderen Lebewesen einzuleiten, die gewöhnlich eher plötzlich geschieht. In allen drei Fällen wird ein unerwartetes Ereignis mit Hilfe dieses Musters eingeleitet. Zudem stellt dieses Muster in allen drei Fällen auch den Anfang des Textes einer Doppelseite dar. Es erfüllt somit jedes Mal zusätzlich die Funktion, den Inhalt der neuen Bilderbuchseite mit dem Inhalt der bereits „vorgelesenen“ Bilderbuchseite zu verknüpfen. Das strukturelle Muster [Satz + „und“ + Satz] lässt sich sechsmal in Muriels Textproduktion finden, sowohl in direkter als auch in indirekter Rede. Auf diese Weise werden Inhalte miteinander in Verbindung gebracht. So formuliert Muriel ,die kinder könn einfach und EINfach nich EINschlafen […] und deswegen brauch ich d o p p e l t s o v i e l sand als [? ] sonst.‘ (3. DS) und ,NEI: N, ich schlafe MORgens [? ] und nachts [? ] […] dann nachts [? ] hock ich auf einem ast [? ] und sin-ge.‘ (6. DS). In den folgenden vier Textpassagen erfüllt das Muster [Satz + „und“ + Satz] zusätzlich die Funktion, ein zeitliches Nacheinander von Inhalten zu markieren: ,ich singe‘, sagte der vogel [krächzend] [beginnt mit dem Daumen die Seite umzublättern, lässt sie wieder fallen] [5] und die elfe flog rasch daVON (2. DS). meine KIN-da wolln einfach und einfach nich ein-schlafn.‘ […] und die elf/ [.] die kleine elfe flog RASCH [? ] davon (4. DS). da/ [.] da [atmet aus] führte ein lichtstrah: l zu einem klein en ZWERgenhäusch en [? ] [ 13 , M gibt zwei unverständliche Laute von sich] [.] [atmet aus] ähm [atmet ein] und der vater sagte […] (6. DS). die/ der z WERGENPRINZ oder wie er heißt falta[.]prinz [? ] [.] nz flogte mit ihr [? ] [umblättern] zu ein em [flüstert ab ‚einem‘] ffest [? ] [schaut sich noch einmal die vorherige Seite an, blättert direkt wieder zur nächsten Seite] und die elfe ähm [.] m [atmet hörbar ein, verschluckt das ‚s‘ von ‚sagte‘] agte ,ein sommernachtsfest‘ (7./ 8. DS). In allen vier Fällen, in denen ein zeitliches Nacheinander markiert wird, bezeichnen die Subjekte der beiden miteinander verknüpften Sätze, unterschied‐ liche handelnde Figuren. Es werden durch den Gebrauch des strukturellen Musters somit die Handlungen zweier verschiedener Figuren miteinander verknüpft. Im Bilderbuchtext wird das strukturelle Muster [Satz + „und“ + Satz] fünfmal verwendet: „Die Grillen zirpten laut, Glühwürmchen schwärmten und der Mond lachte hell in Flirrs Blütenbett“ (Drescher 2017, 1. DS). „‚Ich bin das 3.1 Textanalysen 495 Sandmännchen und heute brauche ich beinahe doppelt so viel Sand wie sonst‘“ (ebd., 3. DS). „Ich schlafe nachts nie, denn da ist es so schön dunkel und man ist alleine […]“ (ebd., 5. DS). „Es kam aus einer Zwergenwohnung und Flirr hörte, wie der Zwergenpapa zu seinen Kindern sagte […]“ (ebd., 6. DS). Die Funktion, ein zeitliches Nacheinander von Inhalten zu markieren, erfüllt es jedoch nur einmal: „‚Schlafe jetzt und träume süß.‘ Und wirklich, Flirr schlief sogleich ein“ (ebd., 9. DS). Im Gegensatz zu Muriels Text erfüllt das Muster im Bilderbuch nur in drei von fünf Fällen die Funktion, die Handlungen zweier verschiedener Figuren miteinander zu verknüpfen. Dreimal nutzt Muriel das Muster im gleichen Kontext wie im Bilderbuch und dreimal in einem neuen. Zweimal macht Muriel Gebrauch vom strukturellen Muster [„Dann“ + Verb]: dann flog die kleine elfe rasch daVON (3. DS). Nachdem das Sandmännchen ihre Frage beantwortet hat, fliegt die Elfe davon. Muriel nutzt das Muster funktional und ordnet damit die Handlung des Wegfliegens in den zeitlichen Zusammenhang ein. Das Muster dient der Textstrukturierung und markiert ein zeitliches Nacheinander von Handlungen oder Ereignissen. Ein ähnlicher Inhalt wird im Bilderbuch mit Hilfe von anderen sprachlichen Mitteln dargestellt: „Flirr flog weiter“ (Drescher 2017, 4. DS). Das Muster [„Dann“ + Verb] wird von Muriel in ihrer Textproduktion noch ein zweites Mal verwendet - und zwar in der direkten Rede: na gut, nur noch EI: n n/ [.] nur noch EI: n lied und dann [atmet hörbar ein] geht’s aber rasch ins BETTÄH (6. DS). Das Muster wird auch im Bilderbuch im gleichen Kontext genutzt: „Also gut, noch ein Lied, aber dann wird endlich geschlafen! “ (Drescher 2017, 6. DS) Während es von Muriel durch die Konjunktion und erweitert wird, wird es im Bilderbuch durch die Konjunktion aber erweitert. Zudem weist Muriels Text auch den mehrmaligen Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters auf, das im Bilderbuch vorkommt: An zwei Stellen macht Muriel Gebrauch vom strukturellen Muster [Partikel 1 + „und“ + Partikel 1]. Dieses Muster lässt sich als Paarformel bezeichnen und gleichzeitig enthält es das rhetorische Mittel der Wiederholung. Da in beiden Fällen die Leerstelle „Partikel 1“ mit der Partikel einfach gefüllt wird, kann die Formulierung alternativ auch als sprachliches Muster der Form einfach und einfach beschrieben werden. Muriel macht in folgendem Kontext Gebrauch vom strukturellen Muster [Partikel 1 + „und“ + Partikel 1]: ,die kinder könn einfach und einfach nich einschlafen [laut ab dem ersten ‚einfach‘] [wirft sich in die Stuhllehne, schaut nach oben, schaut E an, E schaut M mit einem traurigen Blick an und äußert einen traurigen Laut, M äußert einen unverständlichen Laut] und deswegen brauch ich d o p p e l t s o v i e l 496 3 Auswertung und Ergebnisse sand als [? ] sonst.‘ (3. DS) In Form von direkter Rede bringt das Sandmännchen zum Ausdruck, dass es viel mehr Schlafsand als sonst benötigt, da die Kinder nicht schlafen können. Durch den Gebrauch des rhetorischen Mittels wird die Unfähigkeit der Kinder, in dieser Nacht einschlafen zu können, akzentuiert. Kombiniert mit Muriels Reaktion nach dieser Aussage - einem traurigen Blick, den sie der zuhörenden Person zuwirft und einem traurigen Laut, den sie von sich gibt - und der Fortführung der Satzverbindung (vgl. 3. DS), vermittelt sie mit diesem sprachlichen Mittel die schwierige oder anstrengende Situation des Sandmännchens, das nun viel mehr arbeiten muss. Im Bilderbuch wird dieses strukturelle Muster, das gleichzeitig ein rhetori‐ sches Mittel ist, in diesem Kontext nicht verwendet. Hier wird ein ähnlicher Inhalt ohne Wiederholung der Partikel einfach zum Ausdruck gebracht: „Die Kinder können einfach nicht einschlafen“ (Drescher 2017, 3. DS). Das Muster wird jedoch in einem anderen Kontext des Bilderbuches verwendet. So erzählt die Fuchsmutter im Bilderbuch der kleinen Elfe Flirr, dass ihre Kinder nicht schlafen wollen: „Meine Kinder wollen und wollen nicht schlafen“ (ebd., 4. DS). Diese Formulierung ist nach dem strukturellen Muster [Verb 1 + „und“ + Verb 1] gebildet. An dieser Stelle wirkt die Fuchsmutter - so wie in Muriels Text das Sandmännchen - etwas unzufrieden mit der Situation. Das von Muriel an dieser Stelle gebrauchte strukturelle Muster lässt sich folglich als Variation des strukturellen Musters [Verb 1 + „und“ + Verb 1] oder als Gebrauch des strukturellen Musters [Wort 1 + „und“ + Wort 1] in einem neuen gleichen Kontext bezeichnen. Muriel nutzt das strukturelle Muster [Partikel 1 + „und“ + Partikel 1] ein zweites Mal als Bestandteil der Figurenrede der Fuchsmutter, die erzählt, dass ihre Kinder nicht schlafen wollen: meine KIN-da wolln einfach und einfach nich ein-schlafn (4. DS). Durch den Gebrauch des Musters wird der Eindruck vermittelt, dass die Kinder schon über eine längere Zeit hinweg nicht einschlafen können. Es schwingt dabei auch ein bisschen die Anstrengung oder Verzweiflung der Fuchsmutter mit. Im Bilderbuchtext wird ein ähnliches strukturelles Muster - wie bereits beschrieben - im gleichen Kontext verwendet. Anders als in Muriels Text, in dem die Partikel einfach wiederholt wird, wird hier jedoch das Verb wollen wiederholt, um den gleichen Inhalt auszudrücken. Die Wörter einfach und wollen sind in beiden Sätzen vorhanden. Auch die Funktion, die dieser Ausdruck im Text erfüllt, ist die gleiche, die auch Muriels Formulierung in ihrem Text hat. Somit lässt sich das von Muriel gebrauchte strukturelle Muster als Variation des strukturellen Musters [„Verb 1 + „und“ + Verb 1“] im gleichen Kontext bezeichnen. Es lässt 3.1 Textanalysen 497 sich des Weiteren als der Gebrauch des strukturellen Musters [„Wort 1“ + „und“ + „Wort 1“] im gleichen Kontext beschreiben. Muriels Text beinhaltet auch den einmaligen Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vorkommt: An einer Stelle verwendet Muriel die Formulierung „und tanzte und tanzte und tanzte und tanzte“ (9. DS), die als Variation des strukturellen Musters [Verb 1 + Verb 1] (Typ „Erweitern“) bzw. als Variation einer Paarformel beschrieben werden kann, die gleichzeitig das rhetorische Mittel der Wiederholung beinhaltet. Das Muster erfüllt die Funktion, dem Leser auf anschauliche Weise zu vermittelt, dass die kleine Elfe sehr lange tanzt. Im Bilderbuch wird an der gleichen Stelle auf dieses strukturelle Muster zurückgegriffen. „Sie tanzte und tanzte, bis sie so müde war“ (Drescher 2017, 8. DS). Hier wird das Verb tanzen zweimal wiederholt, um die lange Zeit des Tanzens darzustellen, die die Elfe müde macht. Muriel vermittelt durch die vierfache Wiederholung des Verbes tanzen noch eine längere Zeitspanne und Intensität des Tanzens als im Bilderbuch. Die Formulierung lässt sich somit als Gebrauch einer Variation eines strukturellen Musters (Typ „Erweitern“) im gleichen Kontext bezeichnen. Die Formulierung lässt sich auch als Ausdruck beschreiben, dem eine Varia‐ tion des bereits erwähnten strukturellen Musters [„Wort 1“ + „und“ + „Wort 1“] (Typ „Erweitern“) zugrunde liegt. An erzähltypischen Mustern enthält Muriels Text direkte Rede. Dabei verwendet Muriel fünfmal direkte Rede ohne Begleitsatz (3. DS, 3. DS, 4. DS, 4. DS, 5. DS), viermal direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz (2. DS, 6. DS, 7. DS, 8. DS) und dreimal direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz (3. DS, 5. DS, 7. DS). Anders als im Bilderbuchtext, in dem direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz dominiert, greift Muriel am häufigsten auf direkte Rede ohne Begleitsatz zurück. Im Bilderbuch wird auf diese Form der direkten Rede am zweithäufigsten zurückgegriffen. Am zweithäufigsten wählt Muriel hingegen direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz. Diese Form kommt im Bilderbuch nur ein einziges Mal vor („und Flirr hörte, wie der Zwergenpapa zu seinen Kindern sagte: ‚Also gut, noch ein Lied, aber dann wird endlich geschlafen! ‘“ (Drescher 2017, 6. DS)) und wird von Muriel im gleichen Kontext verwendet: und der vater sagte ,nur noch/ [.] na gut, nur noch EI: n n/ [.] nur noch EI: n lied und dann [atmet hörbar ein] geht’s aber rasch ins BETTÄH.‘ (6. DS) Zum Bilden der Begleitsätze wählt Muriel die unspezifischen Verben sagen (viermal) und fragen (zweimal), die beide auch im Bilderbuch mehrfach in einem Begleitsatz enthalten sind, sowie einmal das spezifische Verb seufzen (7. DS), 498 3 Auswertung und Ergebnisse das im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird. Die im Bilderbuch in Kombination mit direkter Rede verwendeten spezifischen Verben rufen und flüstern werden hingegen von Muriel nicht aufgegriffen. (Vgl. Tabelle 30 im digitalen Anhang) Während die kleine Elfe im Bilderbuch „[e]in Sommernachts‐ fest“ (Drescher 2017, 8. DS) begeistert ruft (spezifisches Verb), sagt (unspezifisches Verb) die Elfe es in Muriels Text (vgl. Tabelle 31 im digitalen Anhang). Dabei fügt Muriel der direkten Rede eine „überraschte Betonung“ hinzu, sodass sie dem unspezifischen Verb sagen durch ihre Intonation eine Zusatzinformation verleiht. Der Gebrauch direkter Rede erfüllt in Muriels Text zwei bis drei Funktionen: Erstens verwendet Muriel direkte Rede, um die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch zu vermitteln, die im Bilderbuch ebenfalls als direkte Rede formuliert sind (Fall 1). Dies trifft auf zehn der zwölf Verwendungszusammen‐ hänge von direkter Rede in Muriels Text zu (vgl. 3. DS, 3. DS, 4. DS, 4. DS, 5. DS, 5. DS, 6. DS, 7. DS, 7. DS, 8. DS). Dabei greift Muriel teilweise auf die gleiche Form von direkter Rede wie im Bilderbuch zurück und wählt teilweise eine andere. Beim Vergleichen der äquivalenten Passagen von Bilderbuchtext und Muriels Textproduktion lassen sich zahlreiche identische Formulierungen erkennen. Jedoch kommt es nicht vor, dass die komplette Formulierung bestehend aus direkter Rede ohne Begleitsatz oder direkter Rede mit Begleitsatz in Muriels Text und im Bilderbuchtext identisch ist. Zweitens nutzt Muriel direkte Rede, um Inhalte in Sprache zu fassen, die im Bilderbuch nicht versprachlicht sind und im Bild dargestellt sind (Fall 3), teilweise jedoch gar nicht enthalten sind (Fall 4). So verwendet Muriel zweimal direkte Rede, als sie die zusätzliche Sequenz des Baumusters bildet: da traf sie einen VOgel und fragte ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ ,ich singe‘, sagte der vogel (2. DS). Bezüglich des Gebrauchs des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb] in Muriels Text im Vergleich zum Bilderbuchtext lässt sich Folgendes feststellen: Muriels Text weist insgesamt 13-mal das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] auf (vgl. Tabelle 32 im digitalen Anhang). Auffällig dabei ist zunächst, dass zwei mehrfach vorkommende sprachliche Muster am häufigsten vorkommen: die kleine Elfe und rasch davonfliegen (dunkelgrau hervorgehoben). Muriels Text enthält siebenmal das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen]: Fünfmal handelt es sich dabei um die Formulierung die kleine Elfe. Siebenmal kommt das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] (grau hervorgeben) vor, wobei es sich sechsmal um die Formulierung rasch davonfliegen handelt. Zudem ist zu 3.1 Textanalysen 499 nennen, dass es sich bei allen strukturellen Mustern der Form [Adjektiv + Verb] und die Form [„rasch“ + Verb] handelt. Der digitale Anhang enthält eine Übersicht über Textpassagen aus Muriels Text, in denen sie Gebrauch vom strukturellen Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] macht, während ein ähnlicher oder der gleiche Inhalt des Bilderbuches ohne Rückgriff auf dieses Muster dargestellt wird (vgl. Tabelle 33). Dieser Vergleich zeigt, dass Muriel in diesem Zusammenhang achtmal auf das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] zurückgreift, wobei sie viermal das sprachliche Muster rasch davonfliegen verwendet, einmal die Formulierung rasch gehen und zweimal das sprachliche Muster die kleine Elfe. Lediglich einmal (kleinen ZWERgenhäusch en (6. DS)) greift sie nicht auf das sprachliche Muster kleine Elfe oder das strukturelle Muster [„rasch“ + Verb] zurück. Tabelle 26 verdeutlicht überblicksartig, dass sich Muriels Text mit Blick auf die genannten mehrfach verwendeten Muster im Vergleich zum Bilderbuchtext durch eine stärkere Struktur auszeichnet. Bilderbuchtext Muriels Text „die kleine Elfe“ (0. DS, 1. DS, 2. DS, 4. DS, 5. DS, 7. DS) (6x) „die kleine Elfe“ (1. DS, 3. DS, 4. DS, 5. DS, 7. DS) (5x, davon 3x im gleichen Kontext wie im Bilderbuch) „weiter fliegen“ (4. DS), „davon schwirren“ (5. DS), „rasch davon flattern“ (5. DS), „weiter fliegen“ (6. DS) (5x) „rasch davonfliegen“ (2. DS, 3. DS, 4. DS, 5. DS, 6. DS) (5x im gleichen Kontext) - „endlich schlafen“ (6. DS) „rasch ins Bett gehen“ (6. DS) (gleicher Kontext) Tabelle 26: Gebrauch der Muster die kleine Elfe und [„rasch“ + Verb] in Muriels Text im Vergleich zum Bilderbuchtext, Textanalyse VII Es wird deutlich, dass Muriel die von ihr häufig verwendeten Muster - sowohl das sprachliche Muster die kleine Elfe als auch das strukturelle Muster [„rasch“ + Verb] verwendet, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch mittels dieses Musters vermittelt wurden, als auch um solche Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch nicht vorhanden sind oder auf eine andere Weise sprachlich transportiert wurden. Bei Muriel enthalten die beiden am häufigsten gebrauchten Muster jeweils ein Adjektiv. Die Beobachtungen zu Musterhaftigkeit in Muriels Text lassen sich wie folgt zusammenfassen: Muriels Textproduktion enthält wie das ihr zuvor vorgelesene 500 3 Auswertung und Ergebnisse Bilderbuch Die kleine Elfe kann nicht einschlafen ein Baumuster. Im Gegensatz zum Baumuster des Bilderbuches ist das von ihr gebildete Baumuster stärker strukturiert: Dies geschieht durch die durchgängige Wiederholung des sprach‐ lichen Musters rasch davon fliegen am Ende jeder Sequenz sowie durch den mehrfachen Gebrauch des sprachlichen Musters Was machst du denn da? und seiner Variation. Die Formulierung rasch davonfliegen lässt sich als Variation des einmal im Bilderbuch verwendeten sprachlichen Musters rasch davonflattern bezeichnen, das von Muriel im gleichen und in neuen Kontexten verwendet wird. Möglicherweise handelt es sich hierbei auch um eine Kombination zweier Muster aus dem Bilderbuch. Auch die Formulierung Was machst du denn da? lässt sich im Vergleich zum Bilderbuchtext als Gebrauch eines sprachlichen Musters im gleichen und im neuen Kontext bezeichnen. Eine von Muriel gebildete Variation dieses Musters kann zusätzlich als Variation eines Musters aus dem Bilderbuch in einem neuen Kontext beschrieben werden. Zudem weist Muriels Baumuster im Vergleich zum Baumuster des Bilderbuchtextes eine zusätzliche Sequenz auf. Neben den sprachlichen Mustern, die Bestandteil des Baummusters sind, weist Muriels Textproduktion (mit Blick auf den Bilderbuchtext) noch weitere sprachliche und strukturelle Muster auf. So macht sie dreimal Gebrauch von sprachlichen Mustern, die im gleichen Kontext wie im Bilderbuch vorkommen. Zweimal bindet sie dabei das entsprechende Muster in eine neue syntaktische Struktur ein. Außerdem verwendet sie eine Variation eines sprachlichen Mus‐ ters, das im gleichen Kontext wie im Bilderbuch vorkommt. Mehrfach gebraucht Muriel die sprachlichen Muster die kleine Elfe und die Elfe. Dadurch, dass im Bilderbuch zu diesem Zwecke die Ausdrücke Flirr und die kleine Elfe verwendet werden, weist Muriels Text auch an dieser Stelle eine stärkere Musterhaftigkeit als der Bilderbuchtext auf. Außerdem verwendet Muriel an zwei Stellen das sprachliche Muster [Licht] führt zu/ in etwas, um einen ähnlichen Inhalt zu vermitteln, wie er im Bilderbuch an der zweiten Stelle durch andere sprachliche Mittel zum Ausdruck gebracht wird. Auch strukturelle Muster, die im Bilderbuchtext vorkommen, verwendet Muriel mehrfach. Sie macht sechsmal Gebrauch vom Muster [Adjektiv + Verb], wobei dieses fünfmal der im Baumuster enthaltenen Formulierung rasch weiterfliegen zugrunde liegt. Siebenmal macht Muriel vom strukturellen Muster [Adjektiv + Nomen] Gebrauch. Dabei handelt es sich fünfmal um die Formulierung die kleine Elfe. Zum Formulieren einer Konsequenz nutzt Muriel zweimal im gleichen Kontext wie im Bilderbuch das strukturelle Muster [„Also“ + Verb]. Mehrfach nutzt sie das strukturelle Muster [„Da“ + Verb], das im Bilderbuch nur einmal 3.1 Textanalysen 501 in einem anderen Kontext verwendet wird. Das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] wird von Muriel einmal in einem neuen und einmal im gleichen Kontext wie im Bilderbuch genutzt. Ein weiteres mehrfach verwendetes Muster zur Verknüpfung von Inhalten ist das auch im Bilderbuch mehrfach enthaltene Muster [Satz + „und“ + Satz]. Muriel gebraucht des Weiteren eine Variation eines strukturellen Musters, das im Bilderbuch vorkommt, mehrfach. Zudem macht sie an zwei Stellen Gebrauch vom strukturellen Muster [Partikel 1 + „und“ + Partikel 1], das auch als Paarformel bezeichnet werden kann. Dieses lässt sich zusätzlich als Variation des Musters [Verb 1 + „und“ + Verb 1] aus dem Bilderbuch im gleichen und im neuen Kontext beschreiben. An einer weiteren Stelle nutzt Muriel einer Variation des im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendeten strukturellen Musters [Verb 1 + „und“ + Verb 1]. Wie das Bilderbuch enthält Muriels Text das erzähltypische Muster direkte Rede mit vorangestelltem, nachgestelltem und ohne Begleitsatz. Direkte Rede nutzt Muriel meist, um Inhalte, die auch im Bilderbuch in Form von direkter Rede verfasst sind, darzustellen. Hinsichtlich des Gebrauchs von Elementen konzeptioneller Schriftlichkeit lassen sich an Muriels Text folgende Beobachtungen machen. Lediglich zweimal macht Muriel Gebrauch von einer Präsensform in der Erzählerrede. Die beiden Verb‐ formen sind dabei Bestandteil einer einzigen hypotaktischen Satzkonstruktion (füh: rt, fü: llt (3. DS)). Fast ausschließlich (28-mal) nutzt Muriel hingegen in der Erzählerrede das Präteritum. Dabei bildet sie die Präteritumform des starken Verbs fliegen viermal korrekt (flog) und zweimal analog zu einem schwachen Verb (flogte). Dies deutet auf implizites Wissen hin. Die meisten Verben, die Muriel im Präteritum verwendet, sind im Bilderbuch im gleichen Kontext wie in ihrer Textproduktion enthalten. Das Verb führen, das Muriel im Präteritum verwendet (führte (6. DS)), ist im Bilderbuch nicht enthalten. Dies lässt sich ebenfalls als Hinweis deuten, dass Muriel nicht nur feste Formu‐ lierungen abspeichert und wiederholt. Zudem verwendet sie Präteritumformen in neuen Kontexten (sagte (2. DS), fragte (2. DS), traf (2. DS), flog (9. DS)). Muriels Text weist drei hypotaktische Satzkonstruktionen auf (vgl. auch Tabelle 34 im digitalen Anhang). Dabei verwendet Muriel einmal einen Rela‐ tivsatz, der mit dem Relativadverb wo eingeleitet wird: die elfe […] füh: rt sich das licht in ei […] höh: le, […] wo ein sand-männ-ch en die s ä c k e fü: llt mit viel mehr schlafsand [? ] als SONST (3. DS). Ein mit dem Relativadverb wo eingeleiteter Relativsatz ist im Bilderbuch selbst nicht enthalten. Ein ähnlicher Inhalt wird im Bilderbuch mit Hilfe eines durch das Relativpronomen das eingeleiteten Relativsatz dargestellt: „Sie traf ein kleines Männlein, das im 502 3 Auswertung und Ergebnisse Schein einer Laterne funkelnden Sand in kleine Säcke füllte“ (Drescher 2017, 3. DS). Muriel bildet somit zur Darstellung eines ähnlichen Inhalts eine andere hypotaktische Satzkonstruktion als im Bilderbuch. Einmal bildet Muriel einen Relativsatz, der mit dem Relativpronomen was eingeleitet wird: ,du weißt doch, was i/ [.] […] was ich sage z/ (5. DS). Im Bilderbuch wird eine solche Nebensatzkonstruktion im gleichen Kontext verwendet, um einen ähnlichen Inhalt zum Ausdruck zu bringen. „‚[…] wenn du verstehst, was ich meine …‘“ (Drescher 2017, 5. DS). Zusätzlich wird ein mit dem Relativpro‐ nomen was eingeleiteter Nebensatz in einem anderen Kontext im Bilderbuch verwendet: „‚Ach, ich weiß auch nicht, was heute Nacht los ist‘, sagte die Fuchsmutter“ (ebd., 4. DS). An einer weiteren Stelle nutzt Muriel einen durch die Konjunktion dass eingeleiteten Konsekutivsatz: und TANzte und TANzte und TANzte […] und TANzte bis sie so: müde war, dass sie nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t m e h r z u h a u s e fliegen konnte (8. DS). Hier wird im Bilderbuch die gleiche Nebensatzkonstruktion im gleichen Kontext verwendet, um einen ähnlichen Inhalt in Sprache zu fassen: „Sie tanzte und tanzte, bis sie so müde war, dass sie nicht einmal mehr nach Hause fliegen konnte“ (Drescher 2017, 8. DS). Muriel verwendet verschiedene Ausdrücke, die dem schriftsprachlichen Register zugeordnet werden können. Sechsmal (vgl. 2. DS, 3. DS, 4. DS, 5. DS, 6. DS, 6. DS) nutzt sie das Adjektiv rasch, das im Bilderbuch vorkommt - sowohl im gleichen Kontext als auch in neuen Kontexten. Das Adverb deswegen (vgl. 3. DS), das im Bilderbuch nicht gebraucht wird, nutzt Muriel einmal. In ihrer Textpassage zur ersten Doppelseite nutzt Muriel das konzeptionell schriftliche Präfix: und flatterte in die [2] WOLken hinEIN (1. DS). Dieses Präfix wird im Bilderbuch im gleichen Zusammenhang zur Vermittlung eines ähnlichen Inhalts verwendet, allerdings in Kombination mit einem anderen Verb (fliegen): „und flog los, in die tiefe Nacht hinein“ (Drescher 2017, 2. DS). Hier nutzt Muriel ein konzeptionell schriftliches Präfix im gleichen Kontext wie im Bilderbuch. Dabei bringt sie einen anderen Inhalt als der Bilderbuchtext zum Ausdruck, wählt andere sprachliche Mittel und bindet das Präfix in eine neue syntaktische Struktur ein. Muriel greift auf verschiedene sprachliche Mittel zur Akzentuierung zurück, um Inhalte hervorzuheben (Leserorientierung). Zweimal nutzt Muriel die In‐ tensitätspartikel so, um Aspekte hervorzuheben: ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ (2. DS) […] bis sie so: müde war, dass sie nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t m e h r z u h a u s e fliegen konnte (8. 3.1 Textanalysen 503 DS). Ein weiteres von Muriel verwendetes Mittel zur Akzentuierung ist der Gebrauch rhetorischer Mittel. Sie greift mehrfach auf Wiederholungen zurück: die kinder könn einfach und EINfach nich EINschlafen (3. DS), meine KIN-da wolln einfach und einfach nich ein-schlafn. (4. DS) und TANzte und TANzte und TANzte [atmet ein] und TANzte bis sie so: müde war, dass sie nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t m e h r z u h a u s e fliegen konnte (8. DS). Ein weiteres Mittel, auf das Muriel zurückgreift, ist die besondere Betonung bestimmter Ausdrücke. Muriel legt beispielsweise durch eine besondere Intonation den Fokus auf Wörter, die die Besonderheit der Situation kennzeichnen. Flirr fragt den Vogel, was er noch spät draußen macht. Dabei betont Muriel das Lokaladverb draußen: ,was machst du denn hier noch so spät DRAUßen? ‘ (2. DS) Dies vermittelt den Eindruck, dass es ungewöhnlich ist, sich des Nachts draußen zu befinden. Des Weiteren legt Muriel durch langsames Sprechen den Fokus auf die ungewöhnlich große Menge an Sand, die das Sandmännchen in dieser ungewöhnlichen Nacht benötigt: und deswegen brauch ich d o p p e l t s o v i e l sand als [? ] sonst‘ (3. DS). Eine ähnliche Wirkung erzielt Muriel in diesem Zusammenhang mit der beson‐ deren Betonung des Adverbs sonst: […] wo ein sand-männ-ch en die s ä c k e fü: llt mit viel mehr schlafsand [? ] als SONST. (3. DS) Auffällig ist, dass die Hervorhebung bestimmter Ausdrücke durch Intonation stets in Figurenrede vorkommt. Zudem „liest“ Muriel den Text teilweise gestaltend „vor“ und greift somit auf ein Mittel zur emotionalen Involvierung der Zuhörerschaft zurück. Zum einen spricht Muriel teilweise mit verstellten Stimmen, wenn sie Figurenrede darstellt: ,ich singe‘, sagte der vogel [krächzend] (2. DS). ,ach, ich weiß es AUCH [.] NICH. [2] meine KIN-da wolln einfach und einfach nich ein-schlafn.‘ [krächzendere Betonung ab dem Wort ‚ach‘] (4. DS). Dabei wählt sie teilweise die Stimmlage passend zur Gefühlslage des sprechenden Lebewesens: ,kannst du auch nich einschlafn? ‘, f/ fragte die kleine elfe z/ den f/ [.] die: eule [? ] [traurige Betonung ab ‚kannst‘] (5. DS). ,wenn ich nur könnte‘, [traurige Betonung] seufzte die el/ kleine elfe [.] (7. DS). Zum anderen begleitet Muriel ihre Aussage einmal mit einem Laut und einem Blick zur Zuhörenden bzw. zum Zuhörer, die der Aussage der von ihr unmittelbar zuvor geäußerten Textpassage entsprechen: die kinder könn einfach und EINfach nich EINschlafen [laut ab dem ersten ‚einfach‘] [wirft sich in 504 3 Auswertung und Ergebnisse die Stuhllehne, schaut nach oben, schaut E an, E schaut M mit einem traurigen Blick an und äußert einen traurigen Laut, M äußert einen unverständlichen Laut] (3. DS). Muriels Textproduktion weist erst auf der vierten Doppelseite Überarbeitungen auf. Die folgenden zwei inhaltlichen Überarbeitungen beziehen sich auf die Bezeichnung der Protagonistin: und die elf/ [.] die kleine elfe flog RASCH [? ] davon (4. DS). ,wenn ich nur könnte‘, [traurige Betonung] seufzte die el/ kleine elfe (7. DS). Noch bevor Muriel das Nomen Elfe vollständig ausgesprochen hat, hält sie inne, setzt neu an und ergänzt jeweils das Adjektiv klein im Ausdruck (die kleine elfe). Hierbei handelt es sich jeweils um eine inhaltliche Änderung in Form von einer Ergänzung und Spezifizierung: Es wird explizit hervorgehoben, dass es sich um eine kleine Elfe handelt. Im Bilderbuchtext wird die Protagonistin Flirr an keiner Stelle als Elfe, sondern stets als kleine Elfe bezeichnet. Der Grund für die beiden Überarbeitungen Muriels könnte somit im Bestreben Muriels liegen, im eigenen Text möglichst die gleichen Formulierungen zu verwenden, die auch im Bilderbuch enthalten sind und somit eine Annäherung an die sprachliche Form des Bilderbuches anzustreben. Diese Überlegung ist jedoch nur als Hypo‐ these zu betrachten. An der folgenden Textpassage ist eine weitere inhaltliche Überarbeitung zu beobachten: ,kannst du auch nich einschlafn? ‘, f/ fragte die kleine elfe z/ den v/ [.] die: eule [? ] (5. DS). Auf dem zugehörigen Bild sind eine Eule und die kleine Elfe zu sehen. Da eine Eule auch als Vogel (übergeordneter Begriff) bezeichnet werden kann, den Muriel bereits zur Textproduktion auf der zweiten Doppelseite verwendet hat, liegt die Vermutung nahe, dass Muriel bereits dabei war, den Begriff Vogel zu bilden, als sie die Formulierung den v/ äußert, das Wort jedoch nach dem ersten Laut abbricht und durch ein das Bild exakter beschreibendes Nomen ersetzt. Auch diese Überarbeitung lässt sich als Spezifizierung des Inhalts bezeichnen. Bei der folgenden Überarbeitung wird die Konjunktion und, die Inhalte lediglich miteinander verbindet, durch das Temporaladverb dann ersetzt, das Inhalte in einen zeitlichen Zusammenhang zueinander stellt: ,NEI: N, ich schlafe MORgens [? ] und nachts/ [? ] […] dann nachts [? ] hock ich auf einem ast [? ] und sin-ge.‘ (5. DS) Das Temporaladverb wird funktional eingesetzt, da eine Zeitspanne zwischen den beiden Zeitpunkten morgens und nachts liegt. Auch hier kann von einer Spezifi‐ zierung gesprochen werden. In der nächsten Szene überarbeitet Muriel zweimal ihren Satzanfang: da/ […] die elfe/ […] f/ ,du weißt doch, was i/ [.] […] was ich sage z/ . die elfe sag/ guck/ äh schüttelte den kopf und flog rasch daVON (5. DS). Zunächst 3.1 Textanalysen 505 beginnt sie den Satz mit dem Temporaladverb da. Anschließend beginnt sie den Satz mit dem Subjekt Die Elfe. Das Verb lässt Muriel aus - eventuell könnte es sich bei dem von Muriel bereits geäußerte Laut f/ vor dem Subjekt die elfe um den Anfang eines Verbes (z. B. fragen) handeln. Es folgt direkte Rede in Form eines Satzgefüges. Zu diesem würde das Verb fragen jedoch inhaltlich nicht passen. Im Vergleich zum Bilderbuchtext fällt jedoch auf, dass es sich bei dieser Aussage um eine Aussage der Eule handelt. Auch der folgende Satz, der die Reaktion der Elfe auf diese Frage beinhaltet, lässt darauf schließen, dass es sich bei der direkten Rede um die Äußerung der Eule handeln muss, die ohne Begleitsatz dargestellt wird. Daher scheint alles, was Muriel vor der Formulierung du weißt äußert, im Text „gelöscht“ worden zu sein. Im nachfolgenden Ausschnitt des Transkripts nimmt Muriel zwei inhaltliche Überarbeitungen in Bezug auf die Reaktion der Elfe auf die Aussage der Eule vor: die elfe sag/ guck/ äh schüttelte den kopf und flog rasch daVON (5. DS). Muriel ändert das Verb sagen zunächst in das Verb gu‐ cken und anschließend in das Verb schütteln. Diese Überarbeitungen können als Annäherung an die inhaltliche und sprachliche Form des Bilderbuches begriffen werden. Der äquivalente Satz des Bilderbuches lautet: „Flirr schüttelte den Kopf und flatterte rasch davon“ (Drescher 2017, 5. DS). Die folgende Überarbeitung ist inhaltlicher Art. Muriel ergänzt die konzeptionell mündliche Formulierung na gut in der Figurenrede: und der vater sagte ,nur noch/ [.] na gut, nur noch EI: n n/ [.] nur noch EI: n lied und dann [atmet hörbar ein] geht’s aber rasch ins BETTÄH.‘ (6. DS) Muriel ergänzt ein Element, das die Aussage des Satzes ein wenig verändert: Durch die Ergänzung wird die Gutmütigkeit des Zwergenvaters herausgestellt, der sich offenbar auf den Wunsch seiner Kinder einlässt und noch ein Lied mit ihnen oder für sie singt. Muriel nähert sich mit dieser Ergänzung sowohl inhaltlich als auch sprachlich stärker an die Formulierung des Bilderbuches an, die folgendermaßen lautet: „‚Also gut, noch ein Lied, aber dann wird endlich geschlafen! ‘“ (Drescher 2017, 6. DS) An der folgenden Stelle nimmt Muriel eine Überarbeitung des bestimmten Artikels vor: die/ der z WERGENPRINZ oder wie er heißt falta[.]prinz [? ] [.] nz flogte mit ihr […] (7. DS). Es könnte sich hier zum einen um eine grammatische Überarbeitung handeln. Zum anderen lässt sich diese Überarbeitung jedoch auch als inhaltliche Überarbeitung interpretieren. Möglicherweise sollte der Satz ursprünglich mit dem von Muriel häufig verwendeten sprachlichen Muster die kleine Elfe begonnen werden. Die folgenden zwei Überarbeitungen beziehen sich auf die Bezeichnung des Prinzen. Im Bilderbuch werden die Bezeichnungen „Nachtfalterprinz“ (Drescher 2017, 7. 506 3 Auswertung und Ergebnisse DS, 9. DS, 9. DS) und „Prinz“ (ebd., 8. DS) verwendet. An der ersten Stelle for‐ muliert Muriel: da kam ein f/ [atmet ein] el-fen-PRINZ flatta (7. DS). Muriel äußert zunächst den Laut f/ , bricht das Wort ab und ersetzt es durch das zusammengesetzte Wort el-fen-PRINZ flatta. Bei den Äußerungen f/ und flatta könnte es sich um Annäherungen an das im Bilderbuch enthaltene Wort Falter handeln. An der zweiten Stelle nimmt Muriel sowohl eine sprachliche als auch eine inhaltliche Überarbeitung vor: die/ der z WERGENPRINZ oder wie er heißt falta[.]prinz [? ] [.] nz flogte mit ihr […] (7. DS). Durch das Ersetzen des Kompositums Zwer‐ genprinz durch das Kompositum Falterprinz nimmt Muriel eine Annäherung an die Formulierung des Bilderbuches Nachtfalterprinz vor. Somit scheint Muriel in beiden Fällen zu versuchen, die gleiche Formulierung wie im Bilderbuch zu nutzen und durch die vorgenommenen Überarbeitungen eine Annäherung an die sprachliche Form des Bilderbuches anzustreben. Auch an der folgenden Stelle nimmt Muriel eine inhaltliche Überarbeitung vor: und TANzte bis sie so: müde war, dass sie nicht einschla/ äh d a s s s i e n i c h t m e h r z u h a u s e fliegen konnte (8. DS). Die Formulierung nicht einschlafen können wird im Bilderbuch sowie in Muriels Text häufig gebraucht. Möglicherweise ist dies der Grund, weshalb Muriel sie zunächst in diesem Kontext verwendet. Es scheint eine Pendelbewegung zwischen p und d stattgefunden zu haben. Die Formulierung nicht einschlafen können scheint nicht zur Textidee zu passen - an dieser Stelle scheint Muriel - diesen Schluss lässt die ihre Überarbeitung zu - das Gegenteil ausdrücken zu wollen. Auch hier findet durch die Überarbeitung eine Annäherung an die inhaltliche Form des Bilderbuches statt. Zusammenfassend lässt sich zu den von Muriel vorgenommenen Überar‐ beitungen festhalten, dass die inhaltliche Überarbeitung in Form von einer Spezifizierung mehrfach identifiziert werden konnte: Dabei fand einmal eine Ergänzung einer Textstelle statt und dreimal ein Ersetzen eines einzelnen Wortes. Zudem führten mehrere Überarbeitungen zu einer Annäherung an die sprachliche Form des Bilderbuches und bzw. oder zu einer Annäherung an die inhaltliche Form des Bilderbuches. Wie das Transkript verdeutlich, ist Muriel fähig, einen monologischen Text zu produzieren. Muriels Text ist bis auf eine Leerstelle, die mit Hilfe des zugehörigen Bildes erschlossen werden kann, aus sich heraus verständlich. In den anderen Fällen, in denen direkte Rede ohne Begleitsatz gewählt wird, lässt es sich aus dem Kontext schließen, von welcher Figur die direkte Rede jeweils geäußert wird (vgl. 3. DS, 5. DS). Muriel stellt Kohärenz her und berücksichtigt so in ihrer Textproduktion eines der zentralsten Merkmale von Textualität. 3.1 Textanalysen 507 Muriels implizite Textkompetenz wird insbesondere an den Stellen deutlich, an denen sie ein aus dem Bilderbuch stammendes Muster oder ein neues sprachliches Muster funktional in neuen Kontexten einsetzt oder dieses in eine neue syntaktische Struktur einbindet. Entsprechend des Modell Polanyis (vgl. I.6; Neuweg 2004; Polanyi 1985) kann dies als Hinweis darauf gedeutet werden, dass jeweils eine implizite Beziehung zwischen dem Muster (p) und seiner Funktion (d) besteht. Auch der mehrfache funktionale Gebrauch eines Musters in verschiedenen Kontexten der Geschichte ist in Muriels Text mehrfach zu finden. Die Formulierung rasch davonfliegen, die sich als Variation eines Musters aus dem Bilderbuch bezeichnen lässt, wird von Muriel stets zum Abschluss einer Sequenz des Baumusters genutzt. Während dies im Bilderbuch nicht so ist, greift Muriel stets auf diese Formulierung zurück, um den gleichen Inhalt, das Davonfliegen der Elfe, zum Ausdruck zu bringen. Das Muster erfüllt die Funktion, das Ende einer Sequenz zu markieren. Der Gebrauch des Musters etwas rasch tun in einem neuen Zusammenhang deutet darauf hin, dass eine implizite Verbindung zwischen dem sprachlichen Muster etwas rasch tun (p) und seiner Bedeutung etwas schnell tun (d) vorliegen muss: Es wird hervorgebracht, um zu vermitteln, dass die Zwergenkinder nach dem Lied aber schnell ins Bett gehen sollen (vgl. 7. DS). Das strukturelle Muster [„Also“ + Verb] wird jeweils im gleichen Kontext wie im Bilderbuch verwendet und fungiert als sprachliches Mittel, um eine Konsequenz darzustellen. Das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] nutzt Muriel im Vergleich zum Bilderbuchtext mehrfach in neuen Kontexten: Zweimal erfüllt es dabei die Funktion, eine (unerwartete) Begegnung zwischen der Protagonistin und einer weiteren Figur einzuleiten. In allen drei Fällen bildet es den Anfang des Textes einer Doppelseite und dient somit des Weiteren zur Verknüpfung von Inhalten der Geschichte und zur Herstellung von Kohäsion. Das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] nutzt Muriel funktional zum Darstellen des zeitlichen Nacheinanders von Ereignissen und zur Textverknüpfung - in den gleichen Kontexten wie im Bilderbuch sowie in einem neuen Kontext. Im Gegensatz zum Muster [„Da“ + Verb] wird dieses von Muriel nicht am Anfang einer Doppelseite und nicht zur Einleitung von unerwarteten Begegnungen genutzt. Des Weiteren macht Muriel mehrfach Gebrauch vom strukturellen Muster [Satz + „und“ + Satz]. In fünf der sechs Fälle werden durch dieses Muster die Handlungen zweier verschiedener Figuren in ein zeitliches Nacheinander gestellt. Hierbei hat das Muster eine Funktion, die es im Bilderbuch nicht erfüllt. An zwei Stellen nutzt Muriel eine Paarformel, der das strukturelle Muster [„Wort 1“ + „und“ + „Wort 1“] zugrunde liegt und die von Muriel funktional eingesetzt wird. In beiden Fällen nutzt Muriel das Muster als Bestandteil von direkter Rede. Durch den Gebrauch des Musters wird an 508 3 Auswertung und Ergebnisse beiden Stellen der Eindruck erweckt, dass die Kinder schon über eine längere Zeit hinweg nicht einschlafen können bzw. wollen, wobei auch ein wenig von der Unzufriedenheit mit der Situation durch die sprechende Figur mitschwingt. Dabei wird im Bilderbuch nur an einer der beiden Stellen auf das strukturelle Muster [„Wort 1“ + „und“ + „Wort 1“] zurückgegriffen. Überdies nutzt Muriel eine andere Wortart zum Füllen der Leerstellen als im Bilderbuch. An einer weiteren Stelle nutzt Muriel eine Variation einer Paarformel im gleichen Kontext wie im Bilderbuch funktional. Zweimal greift sie auch auf das im Bilderbuch an einer Stelle verwendete sprachliche Muster Was machst du denn da? zurück, wenn die Protagonistin eine weitere Figur nach ihrer Tätigkeit fragt. Muriels implizites Wissen über schriftsprachliche Texte zeigt sich des Weiteren in von ihr genutzten Elementen konzeptioneller Schriftlichkeit. Hier ist erstens der fast durchgängige Gebrauch des Präteritums, der typischen Erzählzeit, zu nennen. An den Stellen, an denen Muriel eine übergeneralisierte Präteritumform bildet (flogte (6. DS, 7. DS)), an solchen Stellen, an denen sie Präteritumformen in neuen Kontexten nutzt und an solchen Stellen, an denen sie eine Präteritumform eines Verbes bildet, das im Bilderbuchtext nicht enthalten ist, wird deutlich, dass Muriel (mindestens) diese Formen nicht lediglich als Einheit memoriert hat und wiedergibt. Muriels implizite Wissen über schriftsprachliche Texte zeigt sich zweitens im Gebrauch von Formulierungen, die eher dem konzeptionell schrift‐ lichen Register zugeordnet werden können. Dazu gehört der Gebrauch einer im Bilderbuch nicht vorkommenden Konjunktion, der Gebrauch eines Präfixes in Kombination mit einem anderen Verb als dem im Bilderbuch mit diesem Präfix kombinierten Verbes und der mehrfache Gebrauch eines Adverbs im gleichen sowie in neuen Kontexten im Vergleich zum Bilderbuchtext. Drittens zeigt sich Muriels implizites Wissen über schriftsprachliche Texte im Gebrauch von drei hypotaktischen Satzkonstruktionen, die typisch für das schriftsprachliche Register sind. Zweimal werden sie von Muriel im gleichen Kontext wie im Bilderbuch genutzt und einmal im gleichen Kontext wie im Bilderbuch, um einen ähnlichen, aber nicht identischen Inhalt zum Ausdruck zu bringen. Hier nutzt Muriel jedoch eine andere Art von Nebensatz als im Bilderbuch in diesem Kontext enthalten ist. 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen Im Folgenden werden zentrale Beobachtungen, die zu den sieben analysierten Pretend-Reading-Situationen gemacht wurden, systematisch zusammenge‐ 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 509 163 An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass es sich hierbei lediglich um beobachtete Tendenzen handelt, die in weiteren (quantitativen) Studien zu prüfen sind oder bereits bestehende Befunde bestätigen. tragen und miteinander verglichen, um anschließend Tendenzen aufzuzeigen. 163 Der Übersichtlichkeit halber erfolgt die Darstellung der Beobachtungen aus den einzelnen Textproduktionen in tabellarischer Form (vgl. digitaler Anhang). Zudem werden an entsprechender Stelle Hypothesen formuliert. Es wird auf acht Punkte eingegangen: Da Muster als zentrale Einheit identifiziert werden konnten, über die die Textkompetenz „funktioniert“, wird der Blick zunächst auf Musterhaftigkeit gerichtet. Anschließend werden Beobachtungen zur He‐ rausforderung konzeptioneller Schriftlichkeit durch das Setting zum Pretend Reading zusammengestellt. Die darauffolgenden zwei Punkte beziehen sich in starkem Maße auf Textmerkmale von Kindertext und Bilderbuchtext im Vergleich: Dies betrifft zum einen neue, veränderte und ausgelassene Inhalte, aber auch Beobachtungen zum Poetischen in den kindlichen Textproduktionen. Als Nächstes werden zwei für Textualität bedeutsame Merkmale in den Blick genommen: Kohärenz und Leserorientierung. Einem zentralen Element des Text‐ produktionsprozesses, dem Überarbeiten, widmet sich der daran anschließende Punkt. Als Anreicherung der dargestellten Beobachtungen zu den sieben Text‐ produktionen dienen an entsprechender Stelle Hinweise auf Beobachtungen, die in Hinblick auf die Daten aus den Erhebungsdurchgängen A bis D gemacht wurden. Abschließend erfolgt eine Zusammenstellung der aus dem Vergleich der Analysen resultierenden Beobachtungen, im Zuge dessen weitere Hypo‐ thesen formuliert werden. Die Zusammenstellung dient dazu, auf Grundlage der Datenauswertung Antworten auf die Forschungsfragen zu formulieren, wie Vorschulkinder einen Text organisieren, ob und wie ihnen eine monologische Textproduktion gelingt und welche Bezüge zwischen der sprachlichen Gestal‐ tung des Kindertextes und des zuvor vorgelesenen Bilderbuches über die sieben analysierten Textproduktionen hinweg erkennbar sind. Musterhaftes und Mustergebrauch Zunächst erfolgt ein Überblick über Beobachtungen zur Musterhaftigkeit auf verschiedenen Ebenen. Dazu wird in einem ersten Schritt der Blick auf den mehrfachen Gebrauch eines sprachlichen oder strukturellen Musters innerhalb eines Kindertextes gerichtet. Im Hinblick auf die Faktoren Form und Bezug zum Bilderbuchtext werden dabei fünf Fälle unterschieden. Zudem werden Überlegungen zu verschiedenen Funktionen mehrfach gebrauchter sprachlicher und struktureller Muster angestellt. In einem zweiten Schritt werden Funk‐ 510 3 Auswertung und Ergebnisse tionen sprachlicher und struktureller Muster thematisiert, die im Kindertext einmalig verwendet werden. In einem dritten Schritt wird der Gebrauch von Baumustern in den Blick genommen, der den mehrfachen Gebrauch struktu‐ reller und sprachlicher Muster vereint. Dabei wird hinsichtlich des Umgangs mit Baumustern zwischen vier Typen unterschieden. Weitere Überlegungen zum Gebrauch sprachlicher und struktureller Muster werden in einem vierten Schritt angestellt und betreffen die folgenden vier Punkte: Zunächst wird eine spezifische Form der strukturellen Muster genauer betrachtet: strukturelle Muster, die zur genaueren Beschreibung Adjektive enthalten. Auch hier wird der Gebrauch dieses Musters durch die Kinder zu äquivalenten Mustern in den Bilderbuchtexten in Beziehung gesetzt. Anschließend werden Beobachtungen zu der für die Entwicklung von Textkompetenz bedeutsamen Fähigkeit (vgl. Kruse/ Kruse 2007; Pätzold 2005) des Einbindens von Mustern in neue syntak‐ tische Strukturen zusammengestellt. Bei der Analyse von Textproduktionen kann mehrfach beobachtet werden, dass sich ein im Kindertext enthaltenes sprachliches Muster von einem Muster im Bilderbuch lediglich durch ein oder mehrere semantisch ähnliche Wörter unterscheidet. Dieses Phänomen wird als Nächstes thematisiert. Im Anschluss daran wird Musterhaftigkeit in den Blick genommen, die sich in Bezug auf einen dritten Text zeigt. In einem fünften Schritt werden Beobachtungen zum Gebrauch von Mustern der dritten Ebene zusammengetragen, die sich sowohl auf erzähltypische Muster (direkte Rede und für Narrationen typische Geschichtenenden) beziehen als auch auf den Gebrauch von Überschriften. In einem letzten Schritt wird der Blick auf das beobachtete Phänomen gerichtet, dass Kinder ein Muster aus dem Bilderbuch in ihrer Textproduktion auf eine vom Bilderbuch abweichende Weise realisieren. Diese Beobachtungen beziehen sich auf unterschiedliche Ebenen von Muster‐ haftigkeit. Mehrfacher Gebrauch eines sprachlichen oder strukturellen Musters Hinsichtlich des mehrfachen Gebrauchs eines sprachlichen oder strukturellen Musters lassen sich auf der Grundlage der sieben analysierten Textproduktionen mit Blick auf die Faktoren Form und Bezug zum Bilderbuchtext fünf Fälle unterscheiden. • Fall 1: Mehrfacher Gebrauch sprachlicher und struktureller Muster, die im Bilderbuchtext vorkommen • Fall 2: Mehrfacher Gebrauch von Variationen sprachlicher und struktureller Muster, die im Bilderbuchtext vorkommen • Fall 3: Mehrfacher Gebrauch sprachlicher und struktureller Muster, die im Bilderbuchtext nicht vorkommen 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 511 • Fall 4: Mehrfacher Gebrauch eines sprachlichen oder strukturellen Musters, das im Bilderbuchtext vorkommt, und seiner Variation • Fall 5: Mehrfacher Gebrauch sprachlicher und struktureller Muster, die im Bilderbuchtext nicht vorkommen, und seiner Variationen Die Fälle 1 bis 3 beziehen sich auf die Beobachtung, dass mehrere Kinder inner‐ halb ihrer Textproduktion ein sprachliches oder strukturelles Muster mehrfach verwenden, wobei die Form des Musters jeweils identisch ist. Dabei kann das Muster in dieser Form im Bilderbuchtext vorhanden sein (Fall 1), in Variation im Bilderbuchtext vorkommen (Fall 2) oder gar nicht im Bilderbuchtext enthalten sein (Fall 3). Zudem kann die Beobachtung gemacht werden, dass Kinder ein sprachliches oder strukturelles Muster in ihrer Textproduktion mehrfach verwenden, dabei jedoch auch auf Variationen dieses Musters zurückgreifen. Auf diese Beobachtung beziehen sich Fall 4 und Fall 5. Fall 4 betrifft dabei Muster, die im Bilderbuchtext vorkommen, während Fall 5 solche Muster beschreibt, die im Bilderbuchtext nicht enthalten sind. Des Weiteren wird bei der Fallunterscheidung jeweils zwischen sprachlichen Mustern (a) und strukturellen Mustern (b) unterschieden. Tabelle 35 (digitaler Anhang) gibt einen Überblick über den mehrfachen Ge‐ brauch sprachlicher Muster, die im Bilderbuchtext vorkommen (Fall 1a). Auffällig bei dieser Übersicht ist, dass im Kindertext die entsprechende Formulierung entweder häufiger als im Bilderbuch gebraucht wird oder genauso oft. In keinem der Beispiele lässt sich beobachten, dass ein vom Kind mehrfach gebrauchtes sprachliches Muster im Bilderbuch häufiger als im Kindertext vorkommt. An dieser Stelle wird eine Tendenz zur stärkeren Strukturierung der Kindertexte durch den häufigeren Rückgriff auf sprachliche Muster als im entsprechenden Bilderbuchtext deutlich. Tabelle 36 (digitaler Anhang) enthält eine Übersicht zum mehrfachen Ge‐ brauch struktureller Muster, die im Bilderbuchtext vorkommen (Fall 1b). Bei der Betrachtung der mehrfach verwendeten strukturellen Muster im Kindertext im Vergleich zum entsprechenden Bilderbuchtext wird die im Hinblick auf sprachliche Muster beobachtete Tendenz zunächst nicht sichtbar: Siebenmal wird das jeweilige strukturelle Muster im Kindertext häufiger verwendet als im Bilderbuchtext, achtmal wird es im Bilderbuchtext häufiger gebraucht als im Kindertext und einmal sind die Anzahlen identisch. Ein Blick auf die Art der verwendeten strukturellen Muster zeichnet jedoch ein anderes Bild: Bei den sieben strukturellen Mustern, die von den Kindern häufiger als im Bilderbuch verwendet werden, handelt es sich um gängige Mittel zur Herstellung von Kohäsion. Dreimal ist das Temporaladverb da zu nennen (Ben, Kira, Muriel). 512 3 Auswertung und Ergebnisse Dieses wird in keinem Beispiel im Bilderbuch häufiger als im Kindertext genutzt. Zweimal wird das Temporaladverb dann aufgelistet (Nicole, Muriel). Auch hier ist kein Beispiel vorhanden, bei dem dieses Temporaladverb im Bilderbuch häufiger genutzt wird. Zudem sind der Gebrauch der Konjunktionen und (Muriel) und aber (Nicole) zur Verbindung von Sätzen zu nennen, die im jeweiligen Kindertext häufiger als im Bilderbuchtext gebraucht werden. Bei drei weiteren Kindern (Kira, Nicole und Mia) wird die Konjunktion und zwar weniger häufig als im Bilderbuch genutzt, jedoch sind die Unterschiede zwischen den Häufigkeiten des Gebrauchs nicht sehr hoch. Mit Blick auf die erhobenen Daten lässt sich somit erkennen, dass von den sieben Kindern vier Kinder (Ben, Kira, Muriel, Nicole) die Temporaladverbien da und/ oder dann häufiger als im Bilderbuchtext für ihre Textproduktion heranziehen. Zudem ist eine Tendenz zum mehrfachen Gebrauch der Konjunktion und zwischen zwei Sätzen beobachtbar - und zwar ebenfalls bei vier der sieben Kinder. Darüber, ob der Gebrauch der strukturellen Muster, die die genannten Temporaladverbien und Konjunktionen beinhalten, durch das Vorkommen dieser Muster im jeweiligen Bilderbuchtext beeinflusst worden sein könnte, können keine Aussagen gemacht werden, da es sich bei diesen Konstruktionen nicht um buchspezifische Muster handelt. Fall 2 liegt vor, wenn ein sprachliches oder strukturelles Muster von einem Kind in seiner Textproduktion mehrfach verwendet wird, das im Bilderbuch selbst in einer ähnlichen Form enthalten ist. Die im Kindertext mehrfach gebrauchte Formulierung oder sprachliche Konstruktion lässt sich dann als Variation eines Musters aus dem Bilderbuch bezeichnen. Aus Tabelle 37 zum mehrfachen Gebrauch von Variationen sprachlicher Muster aus dem Bilderbuchtext (Fall 2a) (vgl. digitaler Anhang) geht hervor, dass sich ein ähnliches Bild wie bei Fall 1 abzeichnet. Bei der Mehrheit der Beispiele (fünf von neun) wird die Formulierung im Kindertext häufiger verwendet als die jeweils ähnliche Formulierung im Bilderbuchtext. Bei zwei Beispielen sind die Häufigkeiten identisch und lediglich bei zwei Beispielen kommt eine ähnliche Formulierung im Bilderbuchtext häufiger vor als in der Textproduktion des Kindes. Tabelle 38 zum mehrfachen Gebrauch von Variationen struktureller Muster aus dem Bilderbuch (Fall 2b) (vgl. digitaler Anhang) zeigt, dass bei fünf der zehn Beispiele die Anzahl des verwendeten Musters in Kindertext und Bilderbuchtext identisch ist, während bei zwei Beispielen das jeweilige Muster im Bilderbuch und in drei Beispielen das Muster im Kindertext häufiger zu finden ist. Wie bei Fall 1b in Bezug auf das strukturelle Muster [„Da“/ „Dann“ + Verb] fällt auch in diesem Zusammenhang der mehrfache Gebrauch von Variationen des 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 513 strukturellen Musters [„Dann“ + Verb] auf, der im Kindertext entweder höher ist als im Bilderbuchtext (Kira) oder genauso hoch (Ida). In Kiras Textproduktion ist dieser um ein Fünffaches höher als im Bilderbuchtext. Fall 3 liegt vor, wenn ein sprachliches oder strukturelles Muster, das im Bilderbuch nicht enthalten ist, vom Kind in seiner Textproduktion mehrfach verwendet wird. Wie bei Fall 1 und Fall 2 fällt auch bei Fall 3 (vgl. Tabelle 39 und 40 im digitalen Anhang) der mehrfache Gebrauch des strukturellen Musters [„Dann“ + Verb“] auf, das Ida 14-mal in ihrer Textproduktion verwendet, obwohl es nicht im ihr zuvor vorgelesenen Bilderbuchtext enthalten ist. Wird ein sprachliches oder strukturelles Muster (und seine Variation) ver‐ wendet, das im Bilderbuchtext mehrfach vorkommt, liegt Fall 4 vor. Auch aus Tabelle 41 zu Fall 4a zum Gebrauch sprachlicher Muster ist eine Tendenz zur stärkeren Strukturierung im Kindertext im Vergleich zum Bilderbuchtext ab‐ lesbar: So verwendet Muriel in ihrer Geschichte zwei identische Formulierungen und eine leicht abgewandelte, während die drei äquivalenten Formulierungen des Bilderbuchtextes stärker variieren. Ben greift viermal auf das sprachliche Muster vor/ mit lauter Angst zurück, das im Bilderbuch nur einmal in Variation (voller Angst) enthalten ist. Das Bild, das sich bereits bei den Fällen 1, 2 und 3 abgezeichnet hat, wird auch bei Fall 4b zum Gebrauch struktureller Muster deutlich: Jan verwendet das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] und seine Variation [„Und dann“ + Verb] häufiger, als dieses strukturelle Muster im Bilderbuch vorkommt (vgl. Tabelle 42 im digitalen Anhang). Auf den ersten Blick ist zwar der Unterschied zwischen dem dreimaligen Gebrauch des Musters durch Jan und dem zweimaligen Auftreten des Musters im Bilderbuchtext nicht sehr groß, jedoch handelt es sich bei dem von Jan „vorgelesenen“ Text lediglich um einen Auszug aus der kompletten Bilderbuchgeschichte. Den mehrfachen Gebrauch sprachlicher und struktureller Muster, die im Bilderbuchtext nicht vorkommen, und ihrer Variationen beschreibt Fall 5. Das von Nicole mehrfach verwendete sprachliche Muster komm, Torro, das bei jedem Gebrauch variiert wird (Typ „Reihenfolge“ (der Wörter), „Ersetzen“ oder „Hinzufügen“ (eines Wortes)), kommt stets innerhalb der direkten Rede vor (vgl. Tabelle 43 zu Fall 5a im digitalen Anhang). Einen mehrfachen Gebrauch eines strukturellen Musters, das im Bilderbuchtext nicht vorkommt, und seiner Variationen (Fall 5b) weist keine der sieben analysierten Textproduktionen auf. Zusammenfassend ist anhand der Beobachtungen zu den sieben Textproduk‐ tionen eine Tendenz zur stärkeren Strukturierung der Textproduktionen der Kinder im Vergleich zum jeweiligen Bilderbuchtext erkennbar: Diese zeichnet 514 3 Auswertung und Ergebnisse sich dadurch aus, dass in mehreren Kindertexten jeweils ein sprachliches oder strukturelles Muster, das im Bilderbuchtext in identischer oder ähnlicher Form ein- oder mehrfach enthalten ist, häufiger verwendet wird als im jeweiligen Bilderbuchtext (Fall 1, 2, 5). Diese geschilderte Beobachtung lässt sich auch an weiteren Textproduktionen, die im Rahmen der vorliegenden Studie in Pretend-Reading-Situationen entstanden sind, machen (vgl. digitaler Anhang, Tabelle 44). Insgesamt lassen sich sieben Funktionen der mehrfach gebrauchten sprachlichen und strukturellen Muster in den Texten der Vorschulkinder identifizieren. • Funktion 1: Gleiche Bedeutung, gleiche Funktion - Rückgriff auf das gleiche Muster (Ben, Ida, Muriel und Nicole) • Funktion 2: Passung von Inhalt und sprachlicher Form - sich wiederholende Handlungen durch sich wiederholende Muster zum Ausdruck bringen (Ben und Muriel) • Funktion 3: Textstrukturierung durch die strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] und [„Da“ + Verb] (Ben, Kira, Mia, Jan, Ida und Muriel) • Funktion 4: Mehrfacher Gebrauch des strukturellen Musters [„Und“ + Satz] zur Kohäsionsbildung und zur Markierung eines zeitlichen Nacheinanders (Ben, Kira, Ida, Mia, Nicole, Jan und Muriel) • Funktion 5: Mehrfacher Gebrauch des strukturellen Musters [„Aber“ + Satz] zur Darstellung von Kontrasten zwischen Aussagen (Nicole, Ben und Kira) • Funktion 6: Komprimierte Darstellung von Inhalten (aus dem Bilderbuch) (Ben, Ida, Nicole und Muriel) • Funktion 7: Verbindung einzelner (im Bild dargestellter) Szenen (Ida, Nicole, Jan) Es kann beobachtet werden, dass Kinder auf das gleiche Muster zurückgreifen, wenn damit die gleiche Funktion für den Text erfüllt bzw. die gleiche Bedeutung vermittelt werden soll (Funktion 1). Dreimal verwendet Ben das sprachliche Muster vor/ mit lauter Angst in Kombination mit dem Verb rennen. In allen drei Fällen wird ein angstvolles Rennen einer Figur (Frosch, Hase) mit Hilfe dieser Formulierung zum Ausdruck gebracht. Ida nutzt zweimal das sprachliche Muster vor lauter Schreck in Kombination mit dem Verb springen, wenn ein Tier (Wiesel, Hase), nachdem es sich erschrocken hat, einen Sprung macht. Kira nutzt zweimal die Formulierung Zick-Zack und Clown Beppo. Zweimal greift Muriel in ähnlichen Kontexten auf das strukturelle Muster [Partikel 1 + Partikel 1] zurück, das ebenfalls eine Variation eines Musters aus dem Bilderbuchtext darstellt. Sie bringt durch den Gebrauch dieses Musters die Unzufriedenheit der sprechenden Figur mit der Situation, dass die Kinder nicht einschlafen 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 515 (können), zum Ausdruck. Das Muster erfüllt des Weiteren die Funktion, die Zeitspanne darzustellen, in der die Kinder nicht einschlafen können oder wollen. Des Weiteren nutzt Muriel zweimal das sprachliche Muster [Licht] führt zu/ in etwas zu Beginn einer Sequenz und bringt damit zum Ausdruck, wie die kleine Elfe zu dem Ort gelangt, an dem das Geschehen stattfinden wird. In Nicoles Textproduktion lassen sich das sprachliche Muster komm, Torro und zwei Variationen dieses Musters identifizieren. Dieses Muster wird von Nicole in zwei Kontexten jeweils in die direkte Rede eingebunden und hat die Funktion, eine Figur (Torro) zu ermutigen. Auch im Bilderbuchtext wird der Protagonist Torro in diesen beiden Kontexten in Form von direkter Rede von anderen Figuren ermutigt, wobei diesen beiden Formulierungen des Bilderbuchtextes jedoch kein gemeinsames Muster wie in Nicoles Text zugrunde liegt. Zudem greift Nicole dreimal auf das strukturelle Muster [„So ein“ + Nomen] bzw. auf seine Variation [„So ein“ + Adjektiv + Nomen] zurück. Auch dieses Muster bindet Nicole in Figurenrede ein - entweder in einen inneren Monolog oder in die direkte Rede einer Figur in Form eines Selbstgespräches des Protagonisten. Nicole nutzt das Muster in allen drei Fällen, wenn der Protagonist seine negativen Emotionen über seine Situation äußert. Bezogen auf Polanyis Wissenstheorie (vgl. I.6; Neuweg 2004; Polanyi 1985) deuten die genannten Beispiele darauf hin, dass bei den Kindern eine implizite Verbindung zwischen dem jeweiligen Muster (proximaler Term) und seiner Be‐ deutung bzw. der Funktion, die es erfüllt (distaler Term), vorliegen muss. Soll die gleiche Bedeutung ein weiteres Mal im Text vermittelt werden, wird erneut auf das gleiche Muster zurückgegriffen, das sich bereits bewährt hat. Dabei handelt es sich in den analysierten Textproduktionen sowohl um Muster, die auch im Bilderbuchtext vorhanden sind ([Licht] führt zu/ in etwas), die in Variation im Bilderbuch vorhanden sind (mit/ vor lauter Angst vs. voller Angst) als auch um solche, die Kindern sehr wahrscheinlich in anderen Zusammenhängen in der Vergangenheit begegnet sind (vor lauter Schreck, [„komm“ + Name], [„So ein“ + Nomen]). Diese Beobachtung lässt sich auch bei Textproduktionen machen, bei denen sich Kinder eines Baumusters zur Textorganisation bedienen. Es werden wiederkehrende Handlungen (Bausteine) innerhalb eines Baumusters mit Hilfe des gleichen Musters zum Ausdruck gebracht. Zudem kann festgestellt werden, dass sich wiederholende Handlungen mit Hilfe von sich wiederholenden Mustern dargestellt werden (Funktion 2): Dies tut Ben, indem er ein Baumuster mit einer stärkeren Struktur als im Bilderbuch bildet. So thematisiert Ben in beiden Sequenzen seines Baumusters das Klopfen eines oder mehrerer Tiere an der Haustür eines weiteren Tieres. Dazu greift Ben in 516 3 Auswertung und Ergebnisse beiden Fällen auf das sprachliche Muster an jemandes Tür klopfen zurück und bildet zudem den Satz jeweils mit Hilfe des strukturellen Musters [„Da“ + Verb]. Somit wird in Bens Text die inhaltliche Wiederholung durch die sprachliche Textgestaltung reflektiert. Zudem wählt Ben außerhalb des Baumusters zweimal das sprachliche Muster nichts ist von jemandem zu sehen zur Darstellung von ähnlichen Inhalten. Die sich wiederholende Handlung des Hasen, zum Haus zu gehen und zu merken, dass die gewünschte Person nicht vor Ort ist, wird durch eine sich wiederholende Formulierung auf der sprachlichen Ebene unter‐ strichen. Muriel drückt die sich wiederholende Handlung des Davonfliegens der Protagonistin am Ende jeder Sequenz jeweils mit Hilfe des sprachlichen Musters rasch davon flattern, einer Variation eines Musters aus dem Bilderbuch, aus. Zweimal greift Muriel auf das sprachliche Muster Was machst du denn da? zurück, wenn die Protagonistin ihrer Geschichte eine weitere Figur nach ihrer Tätigkeit fragt. Dieses Muster ist im Bilderbuch an einer Stelle enthalten. Zur Darstellung ähnlicher Inhalte innerhalb eines Textes wird von vier der sieben Kinder ein und dasselbe sprachliche oder strukturelle Muster funktional eingesetzt. Funktion 3 betrifft die Textstrukturierung durch die strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] und [„Da“ + Verb]: Bei mehreren Kindern handelt es sich bei einem mehrfach verwendeten Muster um das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] (Kira, Jan, Muriel, Ida) bzw. seine Variation [„Denn“ + Verb] (Mia). Die von den Kindern damit realisierte Funktion ist dabei die (zeitliche) Einbettung einer neuen Handlung in das Geschehen und die Darstellung eines zeitlichen Nacheinanders. Dieses Muster dient der Verbindung verschiedener Ereignisse oder Handlungsschritte und somit dem Herstellen von Kohäsion. Der mehrfache Gebrauch des strukturellen Musters [„Da“ + Verb] ist in den Textproduktionen von Ben, Kira, Muriel und Jan zu beobachten. Hier dient es teilweise der Verbindung verschiedener Inhalte und der Herstellung von Kohäsion. Teilweise wird es zur Markierung eines plötzlich auftretenden Ereignisses gebraucht, wie es in Jans und Muriels Textproduktion zu beobachten ist. Sechs Kinder greifen bei ihrer Textproduktion auf das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] und/ oder das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] zurück. Diese Muster dienen zur Textorganisation, zum Herstellen von Kohäsion und zur Markierung des zeitlichen Nacheinanders von Ereignissen, während das strukturelle Muster [„Da“ + Verb] auch ein (plötzlich) auftretendes Ereignis sprachlich markieren kann. Der mehrfache Gebrauch des strukturellen Musters [„Und“ + Satz] kann zur Kohäsionsbildung und zur Markierung eines zeitlichen Nacheinanders dienen 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 517 (Funktion 4). Alle sieben Kinder nutzen das strukturelle Muster [„Und“ + Satz]. Oft wird es verwendet, um Geschehnisse in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen. Der mehrfache Gebrauch des strukturellen Musters [„Aber“ + Satz] kann zur Darstellung von Kontrasten zwischen Aussagen dienen (Funktion 5). Nicole nutzt das Muster siebenmal, Ben nutzt es zweimal, Kira einmal. Muster, die mehrfach gebraucht werden, können zudem der komprimierten Darstellung von Inhalten (aus dem Bilderbuch) dienen (Funktion 6). Vier Text‐ produktionen weisen sprachliche Muster auf, die dazu dienen, einen Inhalt (aus dem Bilderbuch) in komprimierter Form dazustellen, der stattdessen auch mit Hilfe eines Satzes transportiert werden könnte. Dies gilt für die folgenden bereits genannten sprachlichen Muster. So gebraucht Ben zweimal den Phra‐ seologismus vor lauter Angst und zweimal das sprachliche Muster mit lauter Angst. Diese Inhalte könnten auch durch einen Kausalsatz (weil jemand große Angst hat) oder eines Hauptsatzes ( Jemand hat große Angst und …) transportiert werden. An einer Stelle nutzt Ben das sprachliche Muster mit lauter Angst (11. DS), als im Bilderbuch der Satz „Ich hatte […] schreckliche Angst“ (Velthuijs 2016, 11. DS) vorkommt. Ida verwendet ein sehr ähnliches Muster wie Ben mehrfach. Ihr Text enthält dreimal das im zuvor vorgelesenen Bilderbuch nicht enthaltene sprachliche Muster vor lauter Schreck jeweils in Kombination mit einem Verb. Es transportiert eine ähnliche Botschaft wie der Nebensatz „weil jemand einen Schrecken bekommen hat“. Nicole greift mehrfach auf das im Bilderbuch nicht vorhandene strukturelle Muster [„So ein“ + Nomen] zurück und komprimiert damit den Inhalt, der in der Bilderbuchgeschichte mit Hilfe von mehreren Sätzen dargestellt wird. Muriel nutzt zweimal die Formulierung einfach und einfach nicht einschlafen können/ wollen, der das strukturelle Muster [Partikel 1 + Partikel 1] zugrunde liegt. Auf diese Weise bringt sie mit wenigen Worten den Inhalt zum Ausdruck, dass die Kinder über einen langen Zeitraum nicht einschlafen können oder wollen. Auch das sowohl im Bilderbuchtext als in Muriels Text genutzte sprachliche Muster Flirr, die kleine Elfe erfüllt die Funktion, eine Figur näher zu charakterisieren. Der Inhalt der Apposition könnte mit einem kompletten Satz wiedergeben werden. Funktion 7, die mehrfach verwendete Muster erfüllen können, besteht darin, Verbindungen zwischen einzelnen (im Bild dargestellten) Szenen herzustellen: Ida macht fünfmal Gebrauch vom sprachlichen Muster dann ging er weiter bzw. von seiner Variation dann kam es weiter. Dieses Muster erfüllt in ihrem Text stets die Funktion, einen sprachlichen und inhaltlichen Übergang zwischen Szenen bzw. Bildern des Bilderbuches zu schaffen. In drei Fällen nutzt Nicole 518 3 Auswertung und Ergebnisse das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] mit der Funktion, einen Übergang zwischen zwei Doppelseiten bzw. zwei Bildern herzustellen. Ähnliches lässt sich bei Jans Textproduktion beobachten: Er macht dreimal zu Beginn einer neuen Doppelseite Gebrauch vom strukturellen Muster [„Dann“ + Verb]. Einmaliger Gebrauch sprachlicher und struktureller Muster Hinsichtlich der Funktionen, die einmalig gebrauchte sprachliche und strukturelle Muster für Textproduktionen haben, lässt sich die verdichtete Darstellung des Inhaltes des Bilderbuchtextes durch den Gebrauch eines sprachlichen Musters (Funktion 6) auch zwei von Ben einmalig verwendeten Mustern zuordnen. Ers‐ tens verwendet Ben das kompakte sprachliche Muster es raschelt und braschelt, um einen ähnlichen Inhalt in Sprache zu fassen, der im Bilderbuch durch zwei Sätze zum Ausdruck gebracht wird: „er hörte überall seltsame Geräusche. Es knackte im Schrank und raschelte unter den Dielen“ (Velthuijs 2016, 1. DS). Zweitens verwendet er das sprachliche Muster von etwas wimmeln, das im Bilderbuchtext nicht enthalten ist. Gebrauch von Baumustern Es folgen Überlegungen zum Baumustergebrauch. Drei der vier Kinder, denen ein Bilderbuch mit Baumuster vorgelesen wurde, nutzen auch ein Baumuster bei der eigenen Textproduktion: Ben, Ida und Muriel. Jan hingegen verwendet kein Baumuster zur Textorganisation. Anzumerken ist jedoch, dass er nur einen Auszug der Bilderbuchgeschichte „vorliest“. In den anderen drei Fällen lassen sich Abweichungen der Baumuster, die von den Kindern gebildet werden, von den Baumustern der Bilderbuchgeschichten feststellen. Der Vergleich der Textproduktion von Ben mit dem Bilderbuchtext zeigt, dass hier der Geschichte, die im Original nur ein leicht strukturiertes Baumuster aufweist, ein stärker strukturiertes Baumuster verliehen wird. Auch Muriels Baumuster weist - im Gegensatz zu dem im Bilderbuch verwendeten - eine stärkere Strukturierung auf: Muriel gebraucht das sprachliche Muster und flog rasch davon als letzten Satz einer jeden „vorgelesenen“ Sequenz des von ihr realisierten Baumusters, während die sprachliche Form, die im Bilderbuch zur Darstellung dieses Inhalts gewählt wurde, mehr Variationen zeigt. Auch zeigt das von Muriel realisierte Baumuster im Vergleich zum Bilderbuch eine stärkere Struktur durch das in drei von fünf Sequenzen genutzte sprachliche Muster Was machst du denn da? . Idas Text zeigt ebenfalls Variationen der beiden Baumuster des Bilderbuchtextes. Während das erste Baumuster eine stärkere Struktur als das des Bilderbuches aufweist, zeichnet sich das zweite durch eine schwächere Struktur als die des Bilderbuches aus. Insgesamt gesehen bestehen die von Ida 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 519 verwendeten Baumuster aus weniger Bausteinen als die Baumuster des ihr zuvor vorgelesenen Bilderbuches. Mit Blick auf beide Baumuster lässt sich in Idas Text eine stärkere Vereinheitlichung als im Bilderbuchtext feststellen. An der ersten Sequenz von Idas erstem Baumuster lässt sich zudem beobachten, dass der gleiche Inhalt wie im Bilderbuch von Ida mit einem ähnlichen, aber sprachlich anders gebauten Muster dargestellt wird. Zusammenfassend lassen sich zwei Beobachtungen zum Gebrauch von Bau‐ mustern festhalten: Erstens werden Textproduktionen zu einem Bilderbuch mit Baumuster von drei der vier Kinder ebenfalls über ein Baumuster organisiert. Zweitens weisen die Baumuster, die von drei der vier Kinder gebildet werden, im Großen und Ganzen eine stärkere Struktur auf als die äquivalenten im Bilderbuch verwendeten Baumuster. Die vier Textproduktionen der Kinder, die zu einem Bilderbuch mit Baumuster entstanden sind, weisen jeweils eine Besonderheit im Umgang mit dem Bau‐ muster auf, die sich wie folgt darstellen lässt: • Typ 1: Erweitern des Baumusters des Bilderbuches um einen weiteren Baustein (Ben: Klopfen an der Tür) • Typ 2: Erweitern des Baumusters des Bilderbuches um eine weitere Sequenz (Muriel: Einarbeiten der Abbildung eines Vogels) • Typ 3: Füllen des Baumusters des Bilderbuches mit anderen Inhalten oder/ und einer anderen sprachlichen Gestaltung (Ida: Anapher wird mit anderen Inhalten/ sprachlichem Material gebildet) • Typ 4: Textorganisation ohne Baumuster ( Jan: Rückgriff auf das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb]) Bei der Betrachtung der sieben kindlichen Textproduktionen ist eine Tendenz zur stärkeren sprachlichen Strukturierung erkennbar. Dies wird zum einen sichtbar an der in den meisten Fällen stärkeren Strukturiertheit der von Kindern verwendeten Baumuster und zum anderen am mehrfachen Gebrauch eines sprachlichen oder strukturellen Musters innerhalb des jeweiligen Textes. Dabei kann dieses Muster im Bilderbuch einmal oder mehrfach vorkommen. Gebrauch struktureller Muster, die Adjektive zur genaueren Beschreibung enthalten Nachfolgend wird ein besonderer Fall eines strukturellen Musters systematisch betrachtet: strukturelle Muster, die Nomen, Verben und weitere Wortarten enthalten, welche durch Adjektive genauer bestimmt werden. Zunächst erfolgt ein Vergleich der Häufigkeiten des Gebrauchs struktureller Muster der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] in Kindertext und Bilderbuchtext. Anschlie‐ 520 3 Auswertung und Ergebnisse ßend wird untersucht, wie Inhalte, die im Bilderbuchtext durch Muster der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] zum Ausdruck gebracht werden, von den Kindern in Sprache gefasst werden. Dabei wird zwischen drei Fällen unterschieden. Daran schließt eine Untersuchung aller Textstellen, in denen ein Kind auf das Muster zurückgreift, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuchtext ohne Rückgriff auf dieses Muster vermittelt werden. Abschließend wird der Umgang mit dem strukturellen Muster [„schön“ + Adjektiv/ Verb] gesondert in den Blick genommen. Eine Gegenüberstellung der Häufigkeiten des Gebrauchs struktureller Muster der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb/ weitere Wortart] in kindlicher Textproduk‐ tion und Bilderbuchtext (vgl. Tabelle 45 im digitalen Anhang) lässt zunächst die Einteilung der Textproduktionen in zwei Gruppen zu: Bei den Textproduktionen der ersten Gruppe (Ben, Kira, Nicole, Jan) ist zu beobachten, dass diese eine geringe Anzahl an strukturellen Mustern aufweisen, die aus einem Adjektiv in Kombination mit einem Nomen, Verb oder einem zweiten Adjektiv bestehen, obwohl das jeweils vorgelesene Bilderbuch dieses strukturelle Muster viel häufiger (zwischen acht- und 23-mal) enthält. So weist Kiras Textproduktion ein solches Muster gar nicht auf, während es im Bilderbuch 16-mal enthalten ist. Auch Jans Textproduktion enthält lediglich ein Muster dieser Art, während diese Art von Muster im Bilderbuch achtmal vorkommt. Ben nutzt dieses Muster dreimal, während es im Bilderbuch 22-mal enthalten ist und Nicole verwendet es viermal, während es die Bilderbuchgeschichte 23-mal enthält. In den Texten der zweiten Gruppe (Muriel, Ida, Mia) ist ein solches Muster im Gegensatz zu den übrigen vier Kindertexten mindestens siebenmal enthalten. Zudem fällt der Unterschied zwischen den Häufigkeiten des Vorkommens dieses Musters im Kindertext und im Bildertext bei Textproduktionen der zweiten Gruppe geringer aus als bei den Textproduktionen der ersten Gruppe. Ein genauerer Blick offenbart jedoch, dass beim Füllen des Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb] mit Inhalten bei den Texten der zweiten Gruppe kein großer Variantenreichtum bei der Wahl der Adjektive zu beobachten ist: So sind die meisten Adjektive, die Muriels Text enthält, Bestandteil der sich mehrfach wiederholenden sprachlichen Muster die kleine Elfe und rasch davonfliegen. Bei fünf der sieben Formulierungen, denen das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] zugrunde liegt, handelt es sich um die Formulierung die kleine Elfe. Bei sechs der sieben Formulierungen, denen das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] zugrunde liegt, handelt es sich um die Formulierung rasch davonfliegen und einmal um die Formulierung rasch gehen. In Mias Text enthält das Muster [Adjektiv + Nomen] bzw. [Adjektiv + Verb], das sie insgesamt elfmal verwendet, achtmal das Adjektiv schön. Ida verwendet einmal das Muster [Adjektiv + Verb]. 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 521 164 Brenner, Katharina/ Roßbach, Iris (2003): Mit den Wichteln durch die Woche. Kangaroo. Das Muster [Adjektiv + Nomen] gebraucht sie sechsmal, wobei es viermal das Adjektiv lang enthält und davon dreimal zur Bezeichnung des Tieres dient, das im Bilderbuch den Eigennamen Lange Luda trägt. Anzumerken ist, dass diese Beobachtung auch für Bens Textproduktion (Gruppe 1) zutrifft: Bei zwei der drei von ihm verwendeten Muster der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] handelt es sich um das sprachliche Muster der kleine Frosch. Die beobachtete Tendenz zum Gebrauch struktureller Muster der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] zeigt sich zudem an einer Textproduktion zum Bilderbuch Mit den Wichteln durch die Woche  164 aus Durchgang A. Im Kindertext wird das Muster zwölfmal gebraucht, im Bilderbuchtext 27-mal. Auch hier offenbart ein genauerer Blick, dass im Kindertext das strukturelle Muster lediglich mit fünf unterschiedlichen Adjektiven (knackig, frisch, groß, schön und fröhlich) gefüllt wird, während es im Bilderbuchtext 17 sind (vgl. Tabelle 46 im digitalen Anhang). Zudem sind vier dieser Adjektive (knackig, frisch, schön und fröhlich) mehrfach Bestandteil dieses Musters, z. B. fröhlich im Sand buddeln, fröhlich mitsingen, fröhlich tanzen und fröhlich mittanzen. Da Kindertexte, die in Pretend-Reading-Situationen entstehen, in der Regel eine geringere Textlänge als die zuvor vorgelesenen Bilderbuchtexte haben, erfolgt ein Vergleich der Verwendungskontexte des strukturellen Musters [Ad‐ jektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv]. Dazu wird untersucht, wie Inhalte, die im Bilderbuchtext mit Hilfe des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] zum Ausdruck gebracht werden, in den Textproduktionen der Kinder in Sprache gefasst werden. Auf Grundlage der sieben Textproduktionen lassen sich dabei drei Fälle unterscheiden: Kein Gebrauch des strukturellen Musters (Fall 1), Gebrauch des strukturellen Musters (Fall 2) und Gebrauch einer Variation des strukturellen Musters (Fall 3) (vgl. Tabelle 47 im digitalen Anhang). Liegt Fall 1 vor, ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] vermittelt wird, in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird ohne den Gebrauch dieses Musters zum Ausdruck gebracht. Dies lässt sich in allen sieben Textproduktionen beobachten. Bei Fall 2 wird der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch mit Hilfe des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] zum Ausdruck gebracht wird, mit Rückgriff auf das Muster ausgedrückt. Fall 2 lässt sich weiter ausdifferenzieren (Fall 2a - Fall 2d). 522 3 Auswertung und Ergebnisse Bei Fall 2a (Identische Füllung (Adjektiv) + identische Füllung (Nomen/ Verb)) ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] vermittelt wird, in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird durch den Gebrauch des gleichen Adjektivs in Kombination mit dem gleichen Verb/ Nomen zum Ausdruck gebracht. Dies ist in den Texten von Nicole, Jan und Muriel zu finden. Bei Fall 2b (Identische Füllung (Adjektiv) + andere Füllung (Nomen/ Verb)) ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] vermittelt wird, in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird durch den Gebrauch des gleichen Adjektivs in Kombination mit einem anderen Verb/ Nomen zum Ausdruck gebracht. Dies gilt für die Texte von Ida und Muriel. Bei Fall 2c (Andere Füllung (Adjektiv) + identische Füllung (Nomen/ Verb)) ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] vermittelt wird, in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird durch den Gebrauch eines anderen Adjektivs in Kombination mit dem gleichen Verb/ Nomen zum Ausdruck gebracht. Bei Fall 2d (Andere Füllung (Adjektiv) + andere Füllung (Nomen/ Verb)) ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] vermittelt wird, in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird durch den Gebrauch eines anderen Adjektivs in Kombination mit einem anderen Verb/ Nomen zum Ausdruck gebracht. Dies gilt für Idas Text. Zusätzlich kann zwischen den ersetzten Wörtern (a - d) eine semantische Nähe (markiert durch (S)) vorliegen. S1 bezieht sich dabei auf eine semantische Nähe zwischen den Adjektiven, während sich S2 auf eine semantische Nähe zwischen dem jeweils zweiten Wort des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb] bezieht. Liegt Fall 3 vor, wird der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch mit Hilfe des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] zum Ausdruck gebracht wird, mit Hilfe einer Variation des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] zum Ausdruck gebracht. Auch Fall 3 lässt sich weiter ausdifferenzieren. Zunächst ist zwischen Typ „Erweitern“ und Typ „Ersetzen“ zu unterscheiden, die beide in Mias Text zu finden sind. Bei Fall 3 - Typ „Erweitern“ ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] vermittelt wird, in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird durch den Gebrauch einer Variation des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb] des Typs „Erweitern“ zum Ausdruck gebracht. Zusätzlich kann - analog zur 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 523 Ausdifferenzierung von Fall 2 - eine Zuordnung zu einem der folgenden Fälle vorgenommen werden: a. Identische Füllung (Adjektiv) + identische Füllung (Nomen/ Verb) b. Identische Füllung (Adjektiv) + andere Füllung (Nomen/ Verb) c. Andere Füllung (Adjektiv) + identische Füllung (Nomen/ Verb) d. Andere Füllung (Adjektiv) + andere Füllung (Nomen/ Verb) Bei Fall 3 - Typ „Ersetzen“ ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb/ Nomen] vermittelt wird, in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird durch den Gebrauch einer Variation dieses Musters des Typs „Ersetzen“ zum Ausdruck gebracht. Auch hier kann zusätzlich eine Zuordnung zu einem der folgenden Fälle vorgenommen werden: a. Identische Füllung (Adjektiv) + identische Füllung (Nomen/ Verb) b. Identische Füllung (Adjektiv) + andere Füllung (Nomen/ Verb) c. Andere Füllung (Adjektiv) + identische Füllung (Nomen/ Verb) d. Andere Füllung (Adjektiv) + andere Füllung (Nomen/ Verb) Eine weitere Ausdifferenzierung der Fälle ist mit Hilfe weiterer Textproduktionen möglich. Den Tabellen 48 bis 54 (digitaler Anhang) ist zu entnehmen, wie Inhalte, die im Bilderbuchtext mit Hilfe des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb/ Adjektiv] zum Ausdruck gebracht werden, im Kindertext in Sprache gefasst werden. Sind die Inhalte, in denen im Bilderbuchtext das strukturelle Muster vorkommt, im Kindertext nicht enthalten, werden die entsprechenden Textpassagen des Bilderbuches in der tabellarischen Übersicht nicht aufgeführt. In Bens Text (vgl. Tabelle 48 im digitalen Anhang) ist ausschließlich Fall 1 zu identifizieren: Dreimal wird ein Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] zum Ausdruck gebracht wird, auch von Ben vermittelt. Dies geschieht ohne den Gebrauch dieses Musters. Dreimal ist auch ein Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] vermittelt wird, in Bens Textproduktion enthalten. Auch hier greift Ben nicht auf das strukturelle Muster zurück. In Kontexten, in denen im Bilderbuch das Muster [Adjektiv + Verb/ Nomen] verwendet wird, wird es von Ben somit nicht verwendet. Auch Kiras Text (vgl. Tabelle 49 im digitalen Anhang) weist ausschließlich Fall 1 auf: Dreimal ist ein Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] vermittelt wird, in Kiras Textproduktion enthalten. Wie Ben 524 3 Auswertung und Ergebnisse greift Kira hier nicht auf das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] zurück, um diesen Inhalt zum Ausdruck zu bringen. In Idas Text lässt sich Fall 1, Fall 2b und Fall 2d identifizieren (vgl. Tabelle 50 im digitalen Anhang): Achtmal ist ein Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt wird, in Idas Textproduktion enthalten. Fünfmal wird ein solcher Inhalt - wie in den Textproduktionen von Ben und Kira - ohne den Gebrauch dieses Musters vermittelt (Fall 1). Fall 2b liegt viermal vor: Zweimal greift Ida zum Vermitteln eines Inhalts auf das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] zurück, wählt dabei das gleiche Adjektiv wie im Bilderbuchtext (lang), kombiniert es aber anstatt mit dem Nomen Luder mit einem anderen Nomen (Tier). Ein weiteres Mal kombiniert Ida den Namen Duda mit dem Adjektiv lang, während dieses Adjektiv im Bilderbuch zusammen mit dem Namen Luda in diesem Kontext zu finden ist. Fall 2d ist zweimal zu identifizieren: Zwei Inhalte, die im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt werden, sind in Idas Textproduktion enthalten und werden durch den Gebrauch eines anderen Adjektivs in Kombination mit einem anderen Nomen zum Ausdruck gebracht: Anstatt große Füße wird von langen Beinen gesprochen. Zwischen groß und lang sowie zwischen Füße und Beine besteht eine semantische Nähe (Fall 2d (S1/ S2)). Anstatt des Ausdrucks schnabliges Schnabeltier bildet Ida den Ausdruck brummeliges nashier (8. DS), dem ebenfalls das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] zugrunde liegt. Während zwischen den Adjektiven schnablig und brummelig keine semantische Nähe besteht, haben die Nomen Schnabeltier und Nastier eine inhaltlich ähnliche Bedeutung (S2) (Fall 2d (S2)). In Mias Text liegt Fall 1, Fall 3b und Fall 3c vor (vgl. Tabelle 51 im digitalen Anhang). Einmal wird ein Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt wird, von Mia ohne den Gebrauch dieses Musters in Sprache gefasst: Sie spricht von Kindern anstatt von „kleine[n], arme[n] Wesen“ (Lindgren 2013, 3. DS) (Fall 1). Mia macht zudem anstatt vom strukturellen Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] von einer Variation dieses Gebrauch: [Adjektiv + Adjektiv + Nomen]. Dabei findet eine Ergänzung um ein weiteres Adjektiv statt. Es liegt Fall 3c vor, da sie das Nomen (Herz) wie im Bilderbuchtext verwendet, jedoch anstatt des Adjektivs klein die zwei Adjektive schön und golden wählt. Unbeachtet bleibt an dieser Stelle die Beobachtung, dass die Information, die das Adjektiv golden in Mias Textproduktion im Bilderbuchtext durch den Gebrauch eines Nomens vermittelt wird: Während Mia von einem schönen goldenen Herz spricht, lautet die Formulierung im Bilderbuch „kleines Herz aus Gold“ (Lindgren 2013, 10. DS). Einmal liegt Fall 3b 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 525 (S) vor: Anstatt des strukturellen Musters [Adjektiv + Verb] verwendet Mia das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen]. Dabei wählt sie das gleiche Adjektiv wie im Bilderbuch (komisch), kombiniert dieses aber nicht mit einem Verb (klingen) wie im Bilderbuch, sondern mit einem Nomen (Geräusch), um einen ähnlichen Inhalt sprachlich zu transportieren. Da zwischen den Wörtern klingen und Geräusch zusätzlich eine semantische Nähe besteht, liegt somit Fall 3b (S) vor. Fall 1 liegt in Nicoles Text (vgl. Tabelle 52 im digitalen Anhang) fünfmal vor. Zweimal wird hier der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt wird, ohne den Gebrauch dieses Musters zum Ausdruck gebracht. Dreimal gilt dies für den gleichen oder einen ähnlichen Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Ad‐ jektiv + Verb] transportiert wird. Fall 2a lässt sich zweimal identifizieren: Einmal ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt wird, in der Textproduktion von Nicole enthalten und wird durch den Gebrauch des gleichen Adjektivs in Kombination mit dem gleichen Nomen zum Ausdruck gebracht (doofer Tag). Einmal ist der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] vermittelt wird, in der Textproduktion von Nicole enthalten und wird durch den Gebrauch des gleichen Adjektivs in Kombination mit dem gleichen Verb zum Ausdruck gebracht (heimlich rausstrecken). Jans Text (vgl. Tabelle 53 im digitalen Anhang) weist einmal Fall 1 auf: Ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt wird (lautes Lied), ist in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird ohne den Gebrauch dieses Musters zum Ausdruck gebracht (irgendwas). Fall 2a liegt einmal vor: Ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt wird, ist in Jans Textproduktion enthalten und wird durch den Gebrauch des gleichen Adjektivs in Kombination mit dem gleichen Nomen zum Ausdruck gebracht (großes Gespenst). Siebenmal liegt Fall 1 in Muriels Textproduktion (vgl. Tabelle 54 im digitalen Anhang) vor: Dabei ist fünfmal der gleiche oder ein ähnlicher Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt wird, in ihrer Textproduktion enthalten und wird ohne den Gebrauch dieses Musters zum Ausdruck gebracht. Zweimal gilt dies für den gleichen oder einen ähnlichen Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] transportiert wird. Viermal liegt Fall 2a vor: Viermal ist der gleiche Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] vermittelt 526 3 Auswertung und Ergebnisse wird, in Muriels Text enthalten und wird durch den Gebrauch des gleichen Adjektivs in Kombination mit dem gleichen Nomen zum Ausdruck gebracht. Dreimal handelt es sich dabei um das sprachliche Muster kleine Elfe und einmal um das sprachliche Muster hübsche Melodie. Fall 2b (S) ist einmal enthalten: Der gleiche Inhalt, der im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] vermittelt wird (rasch davonflattern), ist in der Textproduktion des Kindes enthalten und wird durch den Gebrauch des gleichen Adjektivs in Kombination mit einem anderen Verb zum Ausdruck gebracht (rasch davonfliegen). Zwischen den beiden Verben besteht eine semantische Nähe. Eine Zusammenstellung der geschilderten Beobachtungen aus den sieben Textproduktionen ist der Tabelle 55 im digitalen Anhang zu entnehmen. Zusammenfassend sind vier zentrale Punkte festzuhalten: Erstens liegt Fall 1 bei fünf Kindern (Ben, Kira, Ida, Nicole und Muriel) am häufigsten vor: In den meisten Fällen wird ein Inhalt, der im Bilderbuch mit Hilfe eines strukturellen Musters der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] ausgedrückt wird, von den Kindern ohne Rückgriff auf dieses Muster zum Ausdruck gebracht. Insgesamt liegt Fall 1 über die sieben Textproduktionen hinweg bei 28 von 41 Textpassagen vor. Zweitens ist bei drei der sieben Kinder (Nicole, Jan und Muriel) zu beobachten, dass sie einen Inhalt, der im Bilderbuch mit Hilfe des strukturellen Musters der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] transportiert wird, mit Hilfe dieses Musters vermitteln, wobei die Kinder auf die gleiche Kombination von Adjektiv und Nomen/ Verb wie im Bilderbuchtext zurückgreifen (Fall 2a). Fall 2a liegt bei sieben der 41 Textpassagen vor. Drittens wird bei zwei der sieben Kinder (Ida und Muriel) ein Inhalt, der im Bilderbuch mit Hilfe des strukturellen Musters der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] transportiert wird, auch durch dieses Muster zum Ausdruck gebracht, wobei das gleiche Adjektiv wie im Bilderbuchtext gebraucht wird und das Nomen bzw. das Verb durch ein semantisch ähnliches ersetzt wird (Fall 2b). Fall 2b liegt bei vier der 41 Textpassagen vor. Viertens kann bei keinem der sieben Kinder beobachtet werden, dass ein Inhalt, der im Bilderbuch mit Hilfe des strukturellen Musters der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] transportiert wird, auch durch dieses Muster transportiert, wobei ein identisches Nomen oder Verb wie im Bilderbuchtext gewählt wird, aber ein anderes Adjektiv verwendet wird (Fall 2c). Bei einer genaueren Betrachtung der Beobachtungen zu Fall 1 (Kein Gebrauch des strukturellen Musters) ist auffällig, dass in den meisten Fällen (21 von 28) die inhaltliche Information, die im Adjektiv des im Bilderbuch vorhandenen strukturellen Musters enthalten ist, im Kindertext durch den Verzicht auf das 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 527 Muster wegfällt. Dabei lassen sich sieben Ausnahmen in den Textproduktionen von Ida, Kira, Muriel und Ben identifizieren. In den ersten zwei Beispielen aus Idas Text wird die Information durch eine andere Wortart transportiert (Nomen, Intensitätspartikel): So verwendet Ida das Kompositum Langtier (6. DS), während im Bilderbuch der Ausdruck Lange Luda (Scheffler 2017, 6. DS) vorkommt. Hier verarbeitet Ida das Adjektiv lang in einem Kompositum, sodass die Information trotz des Verzichts auf das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] enthalten bleibt. Während im Bilderbuch „alles in heller Aufre‐ gung“ (Scheffler 2017, 5. DS) ist, kombiniert Ida das Adjektiv aufgeregt mit der Intensitätspartikel so und transportiert auf diese Weise die Information, die im Bilderbuch durch das Adjektiv hell vermittelt wird. Im dritten Beispiel wird eine ähnliche Information durch eine andere Wortart (Verb) transportiert: Während die Figur Clown Beppo im Bilderbuch neugierig in die Richtung geht, aus der ein Lachen kommt (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 8. DS), verzichtet Kira auf das Adjektiv neugierig zur näheren Beschreibung der Gangart des Clowns. Jedoch verwendet sie das Verb laufen anstatt gehen. Dadurch wird eine Zusatzinformation vermittelt: Der Clown hat es offenbar eilig, in die Richtung zu kommen, aus der das Lachen kommt. Hier ist u. a. wie im Bilderbuch die Interpretation möglich, dass er sich aus Neugier schneller fortbewegt. Muriel verwendet anstatt des sprachlichen Musters kleines Männlein (Dre‐ scher 2017) das Kompositum Sandmännchen (vgl. Exkurs: Komposita). Dieses transportiert die Eigenschaft klein durch das Suffix -chen. Während die Tiere im Bilderbuch „atemlos an die Tür hämmern“ (Velthuijs 2016, 5. DS), klopfen sie in Bens Text an die Tür. Im Gegensatz zum Bilderbuch ist das „An-die-Tür-Klopfen“ Bestandteil eines Bausteins eines Baumusters, der von Ben in beiden Fällen durch das sprachliche Muster an jemandes Tür klopfen dargestellt wird. Während im Bilderbuch der Protagonist Frosch „große Angst“ (Velthuijs 2016, 1. DS) hat, hat in Bens Text ein kleiner Frosch Angst (vgl. 1. DS). Durch den Verzicht auf das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] als Objekt wird ein leicht variierender Inhalt transportiert. Das strukturelle Muster wird von Ben jedoch als Subjekt verwendet (kleiner Frosch) und somit mit anderen Inhalten gefüllt. Während im Bilderbuchtext die Figur Torro etwas „trotzig sagt“ (vgl. Abedi 2011, 7. DS), nutzt Nicole Intonation, um eine ähnliche Information auf eine andere Weise zu vermitteln: ‚das MACH ich nicht.‘ [widerspenstige Stimme] , sagt torro (7. DS). 528 3 Auswertung und Ergebnisse Nachdem der Blick auf die sprachliche Gestaltung der Inhalte in den Kinder‐ texten gerichtet wurde, die im Bilderbuch durch das strukturelle Muster [Ad‐ jektiv + Nomen/ Verb] zum Ausdruck gebracht werden, werden alle Textstellen aus den kindlichen Textproduktionen in den Blick genommen, in denen ein Kind das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] darüber hinaus verwendet (vgl. Tabelle 56 im digitalen Anhang). Hierbei handelt es sich nur um Inhalte, die im Bilderbuchtext ohne das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] dargestellt werden. Dazu lassen sich fünf Beobachtungen festhalten: Erstens verwenden zwei Kinder (Kira und Jan) das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] nicht, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch nicht durch dieses Muster vermittelt werden. Zweitens nutzen vier der fünf Kinder, die Gebrauch vom strukturellen Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] machen, das strukturelle Muster der Form [Adjektiv + Nomen], während alle fünf Kinder die Form [Adjektiv + Verb] gebrauchen. Drittens wird bei drei Kindern (Ben, Nicole und Muriel) durch den Gebrauch des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen/ Verb] eine ähnliche Bedeutung vermittelt wie im Bilderbuch durch ein Wort: Von zwei Kindern (Ben, Nicole) wird das Adjektiv laut als Bestandteil des strukturellen Musters [Adjektiv + Verb] verwendet. In beiden Fällen wird es mit einem spezifischen Verb (rufen und schimpfen) kombiniert. Im Bilderbuch sind in diesen Kontexten die spezifischen Verben schreien und schnauzen enthalten. Die Kombination von laut und rufen entspricht in etwa der Bedeutung von schreien, während die Kombination aus laut und schimpfen der Bedeutung von schnauzen, einem viel weniger gängigen spezifischen Verb, nahekommt. Muriel verwendet das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen] (kleines Zwergenhäuschen) und umschreibt damit das im Bilderbuch verwendete Kompositum Zwergenwohnung. Im Adjektiv ist dabei die Komponente klein enthalten. Ein kleines Häuschen ist vergleichbar mit der im Bilderbuch erwähnten Wohnung. Viertens verwendet Muriel - wie bereits erwähnt - die Adjektive rasch und klein, die auch im Bilderbuch vorkommen. Die tabellarische Übersicht (Tabelle 56) verdeutlicht, dass sie diese auch gebraucht, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch nicht mittels dieses Musters vermittelt werden oder nicht enthalten sind. Fünftens wird das Adjektiv schön von zwei Kindern (Ida und Mia) verwendet - von Ida einmal und von Mia achtmal. Der Gebrauch des strukturellen Musters der Form [„schön“ + Adjektiv/ Verb] wird im Folgenden gesondert in den Blick genommen. Dass ein Kind das Adjektiv schön in seiner Textproduktion mehrfach verwendet, konnte bereits bei der Analyse vorhergehender Textproduktionen zum Bilderbuch Die kleine Raupe 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 529 165 Die Namen der beiden Kinder wurden aus Datenschutzgründen geändert. 166 McGee, Marni/ Biscoe, Cee (2010): Bärtram. Alles wieder gut. Brunnen. Nimmersatt im Rahmen des Auswertungsverfahrens beobachtet werden. Tabelle 57 (digitaler Anhang) stellt den Gebrauch des strukturellen Musters [schön + Nomen/ Verb] in den Textproduktionen von Ida und Mia dessen Gebrauch im jeweiligen Bilderbuchtext gegenüber. Zudem werden Funktionen benannt, die das Muster im jeweiligen Kontext erfüllt. Auffällig dabei ist, dass das Adjektiv schön in den Bilderbuchtexten nicht enthalten ist. Somit scheinen die beiden Kinder bei ihrer Textproduktion auf ein ihnen bereits bekanntes Muster zurückzugreifen. Mia greift mehrfach auf das Muster [„schön“ + Adjektiv/ Verb] und auf Variationen dieses Musters (so/ ganz) zurück und bringt damit zum Ausdruck, dass der Abend gelungen ist. Der mehrfache Einsatz dieses Musters dient somit der Darstellung und der Betonung des Gelungenseins des Abends. Dazu bringt Mia explizit die Schönheit der einzelnen Geschenke, des Baumes sowie des Abends insgesamt zur Sprache. Im Bilderbuch erfolgt die Erwähnung der Geschenke und des Baumes ohne eine explizite (positive) Bewertung durch den Erzähler. Um die positive Wendung des für die Kinder einst sehr traurigen Abends darzustellen, wird im Bilderbuch auf andere sprachliche Mittel zurückgegriffen. So geht aus der direkten Rede einer Figur (Inga) hervor, dass die Kinder an Heiligabend noch nie so viel Spaß hatten wie an jenem Abend (vgl. Lindgren 2013, 9. DS). An anderer Stelle wird in der Erzählerrede die Freude beim Auspacken der Geschenke genannt (vgl. ebd., 10. DS). Es geht somit explizit aus dem Text des Bilderbuches hervor, dass die Figuren Spaß und Freude haben. Lediglich an einer Stelle bedient sich Mia dieses sprachlichen Mittels und erwähnt explizit den Gefühlszustand des Kindes: und sie freute sich (9. DS). Auch Ida greift auf das ihr bekannte Muster [„schön“ + Adjektiv/ Verb] zurück und liefert damit eine Begründung für eine Überlegung einer Figur, die über den Inhalt des Bilderbuchtextes hinausgeht bzw. sich davon unterscheidet. Der Gebrauch des strukturellen Musters [„schön“ + Adjektiv/ Verb] erfüllt somit Funktionen, die im Bilderbuchtext durch die Verwendung anderer sprachlicher Mittel erfüllt werden (Mia) oder Funktionen, die im Bilderbuchtext gar nicht erfüllt werden (Ida). Die Tabellen 58 und 59 im digitalen Anhang zeigen ergänzend den Gebrauch des strukturellen Musters [„schön“ + Nomen/ Verb] im Vergleich zum jeweiligen Bilderbuchtext aus den Textproduktionen von Nick 165 (Durchgang B) zum Bilderbuch Bärtram. Alles wieder gut  166 und Alex (Durchgang A) zum Bilderbuch Mit den Wichteln durch die Woche. 530 3 Auswertung und Ergebnisse Im Gegensatz zu den Bilderbüchern, die Ida und Mia vorgelesen worden sind, enthält das Bilderbuch Bärtram. Alles wieder gut das strukturelle Muster [„schön“ + Nomen/ Verb] mehrfach (dreimal). Nick greift auf dieses Muster in seiner Textproduktion viermal zurück, wobei er es zweimal in Kontexten verwendet, in denen es im Bilderbuch nicht vorkommt (vgl. Beispiel 4 und 5 in Tabelle 58): Während im Bilderbuch die Formulierung „süßer Enkel“ (McGee/ Biscoe 2010, 11. DS) verwendet wird, gebraucht Nick das gleiche strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen], wählt jedoch das Adjektiv schön (schöner Enkel). Die inhaltliche Botschaft bleibt dabei ähnlich. Während die beiden Figuren im Bilderbuch „leckeren Kakao“ (ebd., 12. DS) trinken, trinken sie in Nicks Text schön Kakao. Anstatt des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen], das im Bilderbuch in diesem Kontext vorkommt, wählt Nick das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb] und vermittelt damit einen ähnlichen Inhalt. Als Adjektiv wählt Nick erneut das Wort schön. Nick verwendet somit mehrfach das Adjektiv schön, um Positives zum Ausdruck zu bringen. Alex greift insgesamt dreimal auf das strukturelle Muster [schön + Nomen/ Verb] zurück. Es liegt z. B. der Formulierung sich einen schönen Nachmittag machen (vgl. Beispiel 2 in Tabelle 59) zugrunde und wird von Alex verwendet, um einen im Bilderbuch nicht vorhandenen Inhalt zum Ausdruck zu bringen. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass vier der sieben Textproduktionen eine geringe Anzahl an strukturellen Mustern der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] enthalten. Die übrigen drei Texte, die sich durch einen höheren Gebrauch dieses Musters auszeichnen, weisen jeweils mehrfach den Gebrauch des gleichen Adjektivs innerhalb dieses Musters auf. Muster in neue syntaktische Strukturen einbinden Nachfolgend werden Beobachtungen zum Einbinden von Mustern in neue syn‐ taktische Strukturen geschildert. Bei allen sieben Textproduktionen kann beob‐ achtet werden, dass Kinder sprachliche Muster (oder Variationen sprachlicher Muster) in neue syntaktische Strukturen einbinden. Hier lassen sich zwei Fälle unterscheiden. Im ersten Fall bindet ein Kind ein Muster (oder eine Variation eines Musters), das im Bilderbuch im gleichen Kontext verwendet wird, in eine neue syntaktische Struktur ein. Im zweiten Fall bindet ein Kind ein Muster (oder eine Variation eines Musters), das im Bilderbuch in einem anderen Kontext verwendet wird, in eine neue syntaktische Struktur ein. Sechs der sieben Kinder binden sprachliche Muster (oder ihre Variationen), die im Bilderbuch vorkommen, in neue syntaktische Strukturen ein. Drei Kinder binden dabei Muster aus dem Bilderbuch funktional in neue Zusammenhänge ein (vgl. dazu Tabelle 60 und Tabelle 61 im digitalen Anhang). 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 531 167 Campanella, Marco/ Casalis, Anna (2017): Leo Lausmaus hat schlechte Laune. Köln: Lingen. Gleiche Inhalte durch unterschiedliche Wörter mit ähnlicher Bedeutung innerhalb sprachlicher Muster darstellen Es folgen Beobachtungen zum Ersetzen semantisch ähnlicher Wörter innerhalb sprachlicher Muster. Tabelle 62 (digitaler Anhang) enthält eine Gegenüberstel‐ lung von Textpassagen aus Kindertext und Bilderbuchtext, bei denen gleiche Inhalte durch unterschiedliche Wörter mit ähnlicher Bedeutung innerhalb sprachlicher Muster dargestellt werden. Bei fünf der sieben Kinder lässt sich beobachten, dass sie ein Wort oder eine Formulierung des sprachlichen Musters durch ein semantisch ähnliches Wort ersetzen, das entweder dem konzeptionell mündlichen Sprachgebrauch zugeordnet werden kann oder ein geringeres Maße an Schriftsprachlichkeit aufweist, als das äquivalente Wort des Bilderbuches (vgl. dazu Tabelle 62 im digitalen Anhang). Kinder scheinen in diesen Fällen auf ihnen aus dem eigenen Sprachgebrauch bekanntere Wörter zurückzugreifen. Die beschriebene Tendenz lässt sich ebenfalls an einer Pretend-Reading-Si‐ tuation zum Bilderbuch Leo Lausemaus hat schlechte Laune  167 (Durchgang A) beobachten (vgl. Tabelle 63 im digitalen Anhang). Im Bilderbuch wird beispielsweise die Formulierung so fest an Mamas Pfote ziehen verwendet: „Aber so fest er auch an Mamas Pfote zieht, dieses Mal bekommt er nichts“ (Campanella/ Casalis 2017b, 5. DS). Das Kind greift hingegen auf die weniger konzeptionell schriftliche Formulierung so doll an Mamas Pfote drücken/ treten zurück: wenn leo so do: ll an seiner pfote/ an mamas pfote drückt/ [.] tretet, bekommt er schon mal gar: kein eis [.] Erkennbare intertextuelle Bezüge über den Bilderbuchtext hinaus - Musterhaftigkeit in Bezug auf einen dritten Text Eine weitere Beobachtung zu Musterhaftigkeit bezieht sich auf erkennbare inter‐ textuelle Bezüge über den Bilderbuchtext hinaus. Hier kann von Musterhaftigkeit in Bezug auf einen dritten Text gesprochen werden. Bei zwei der sieben analy‐ sierten Textproduktionen liegt die Vermutung nahe, dass sich das jeweilige Kind eines sprachlichen Musters oder eines Ausdrucks aus einem dritten Text bedient haben könnte, das oder den es in seine Textproduktion funktional eingebunden hat. So scheint Mia auf eine Formulierung aus dem bekannten Kinderlied Brüderchen, komm tanz‘ mit mir zurückzugreifen, während Ida Gebrauch vom Kompositum Hasendorf macht, das durchaus in anderen Bilderbüchern, welche die Themen Ostern und Hasen behandeln, vorkommt. Dabei handelt es sich 532 3 Auswertung und Ergebnisse 168 An dieser Stelle ist Mias Text mehrdeutig: Entweder handelt es sich bei der im Text enthaltenen Frage um direkte Rede ohne Begleitsatz oder um einen inneren Monolog. Beim Vergleich mit der äquivalenten Passage der Bilderbuchgeschichte liegt die Vermutung nahe, dass es sich um direkte Rede handelt. jedoch nur um Mutmaßungen. Ida macht Gebrauch von der im Bilderbuchtext nicht enthaltenen Redewendung und weg war er, indem sie sie variiert (und weg ist er). Gebrauch von Mustern der dritten Ebene Hinsichtlich der Beobachtungen zum Gebrauch von Mustern der dritten Ebene wird zunächst der Gebrauch erzähltypischer Muster (direkte Rede, für Narrationen typische Geschichtenenden und Schlussformelgebrauch) in den Blick genommen. Anschließend werden Beobachtungen zum Gebrauch weiterer Muster der dritten Ebene zusammengetragen, die sich nicht auf Narrationen im speziellen, sondern auf textsortenübergreifende Merkmale beziehen (Überschriften). Gebrauch erzähltypischer Muster Alle vorgelesenen Bilderbuchtexte verfügen über direkte Rede, wobei keiner der Bilderbuchtexte durch einen besonders geringen Anteil an direkter Rede auffällt. Bei den Kindertexten variiert der Anteil an direkter Rede jedoch. Wäh‐ rend die Textproduktionen von Nicole, Ben, Ida und Muriel jeweils mehrfach Figurenrede in Form von direkter Rede aufweisen, enthalten die Texte von Mia, Jan und Kira einen auffällig geringen Anteil an direkter Rede: Kira nutzt einmal direkte Rede, Mia höchstens einmal 168 und Jan greift bei seiner sehr kurzen Textproduktion auf dieses sprachliche Mittel gar nicht zurück. In den Kindertexten lassen sich verschiedene Formen direkter Rede finden: Direkte Rede ohne Begleitsatz, direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz und direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz. Es folgt eine Gegenüberstellung der Häufigkeiten des Vorkommens der verschiedenen Formen von direkter Rede im jeweiligen Kindertext und dem dazugehörigen Bilderbuchtext. Dabei werden zunächst die sechs Textproduktionen danach geordnet, welche Form direkter Rede in ihnen am häufigsten enthalten ist (vgl. dazu Tabelle 64 im digitalen Anhang). Bei Muriels, Nicoles und Mias Textproduktionen ist direkte Rede ohne Be‐ gleitsatz die dominanteste Form direkter Rede (Fall 1). Muriel macht fünfmal Gebrauch von direkter Rede ohne Begleitsatz, viermal von direkter Rede mit vorangestelltem Begleitsatz und dreimal von direkter Rede mit nachgestelltem Begleitsatz. Anders als im Bilderbuchtext, bei dem direkte Rede mit nachge‐ stelltem Begleitsatz dominiert, greift Muriel am häufigsten auf direkte Rede ohne Begleitsatz zurück. Im Bilderbuch wird auf diese Form der direkten Rede 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 533 am zweithäufigsten zurückgegriffen. Am zweithäufigsten nutzt Muriel direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz. Diese Form kommt im Bilderbuch nur ein einziges Mal vor. Nicole verwendet zum Großteil direkte Rede ohne Begleitsatz (15-mal), aber auch direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz (sechsmal), während sie lediglich einmal auf direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz zurückgreift. Alle drei Formen der direkten kommen auch im Bilderbuch vor, während dort jedoch direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz überwiegt und direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz lediglich einmal vorkommt. Wie Nicole macht Ida in ihrer Textproduktion am häufigsten von der direkten Rede ohne Begleitsatz Gebrauch (18-mal). Zweimal verwendet sie direkte Rede mit nachgestelltem Begleitsatz und lediglich einmal direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz. Im Bilderbuchtext sind die ersten beiden Formen direkter Rede zu finden sind. Wie in Idas Text wird im Bilderbuch am häufigsten Gebrauch von direkter Rede ohne Begleitsatz gemacht, gefolgt von direkter Rede mit nachgestelltem Begleitsatz. Mia verwendet einmal direkte Rede ohne Begleitsatz, die jedoch auch als innerer Monolog bezeichnet werden könnte. Der zugehörige Text der Bilder‐ buchgeschichte enthält zwölfmal und damit am häufigsten direkte Rede mit nachgestelltem Redebegleitsatz, viermal direkte Rede ohne Redebegleitsatz und lediglich einmal direkte Rede mit vorangestelltem Redebegleitsatz. Direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz (Fall 2) kann als dominanteste Form direkter Rede in Bens Text bezeichnet werden. Ben macht fast ausschließ‐ lich von direkter Rede mit vorangestelltem Redebegleitsatz Gebrauch - und zwar zwölfmal. Lediglich an einer Stelle verwendet er sowohl einmal einen vorange‐ stellten als auch einen nachgestellten Begleitsatz (Doppelung der Aussage). An einer weiteren Stelle macht er Gebrauch von direkter Rede ohne Begleitsatz. Die direkte Rede des Bilderbuchtextes liegt meist in Form von direkter Rede mit nachgestelltem Begleitsatz vor, gefolgt von direkter Rede ohne Begleitsatz. Die in Bens Text dominierende direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz ist im Bilderbuchtext nicht enthalten. Die dominanteste Form direkter Rede in Kiras Text ist direkte Rede mit nachgestellten Begleitsatz (Fall 3), auf die sie einmal zurückgreift. Diese Form ist auch im zugehörigen Bilderbuchtext am häufigsten zu finden. Unabhängig davon, welche Form direkter Rede im Bilderbuch überwiegt, machen vier der sechs Kinder, die direkte Rede für ihre Textproduktion nutzen, am häufigsten Gebrauch von direkter Rede ohne Begleitsatz. Obwohl in den vorgelesenen Bilderbüchern direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz stets 534 3 Auswertung und Ergebnisse am wenigsten oder gar nicht enthalten ist, so nutzt eins der sechs Kinder (Ben) diese Form am häufigsten und ein Kind (Muriel) diese Form am zweithäufigsten. Der Gebrauch von direkter Rede durch das Kind kann mit Blick auf den Bilderbuchtext vier Funktionen erfüllen (vgl. Tabelle 65 im digitalen Anhang). So kann direkte Rede vom Kind genutzt werden, um die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch zu vermitteln, die im Bilderbuch ebenfalls als direkte Rede formuliert sind (Fall 1), um Inhalte, die im Bilderbuch in Erzählerrede wiedergegeben werden, in Sprache zu fassen (Fall 2), um Inhalte auszudrücken, die im Bilderbuch nicht versprachlicht sind (hier wird der Inhalt im Bilderbuch im Bild dargestellt) (Fall 3) und um Inhalte auszudrücken, die im Bilderbuch nicht enthalten sind (Fall 4). Direkte Rede wird von Ben ausschließlich dazu verwendet, um Inhalte zu vermitteln, die auch im Bilderbuch in Form von direkter Rede dargestellt werden (Fall 1). Komplette Formulierungen bestehend aus direkter Rede ohne Begleitsatz oder direkter Rede mit Begleitsatz sind dabei aber nie vollständig identisch mit denen des Bilderbuchtextes. Kira verwendet direkte Rede einmal, um einen Inhalt auszudrücken, der auch im Bilderbuch mit Hilfe von direkter Rede zum Ausdruck gebracht wird (Fall 1). Dabei nutzt sie eine Variation der Formulierung des Bilderbuches. Alle Inhalte, die Ida mit Hilfe von direkter Rede wiedergibt, werden auch im Bilderbuch mit diesem sprachlichen Mittel zum Ausdruck gebracht (Fall 1). Dabei sind lediglich zweimal die kompletten Formulierungen, bestehend aus direkter Rede ohne Begleitsatz oder direkter Rede mit Begleitsatz, im Vergleich zum Bilderbuchtext identisch. Nicole greift am häufigsten (15-mal) auf direkte Rede zurück, um die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuchtext zu vermitteln, die im Bilderbuch ebenfalls als direkte Rede formuliert sind (Fall 1). Dabei sind die kompletten Formulierungen bestehend aus direkter Rede ohne Begleitsatz oder direkter Rede mit Begleitsatz lediglich zweimal in Kindertext und Bilderbuchtext identisch. Zweimal greift Nicole auf das sprachliche Mittel der direkten Rede zurück, um Inhalte zu vermitteln, die im Bilderbuch in Erzählerrede wiedergegeben werden (Fall 2). Dreimal nutzt Nicole direkte Rede, um Inhalte darzustellen, die im Bilderbuch nicht versprachlicht sind (Fall 3). Mia nutzt höchstens ein einziges Mal direkte Rede. Hier wird ein Inhalt wiedergegeben, der im Bilderbuch zum Teil als direkte Rede und zum Teil in Form von Erzählerrede wiedergegeben wird (Fall 1/ Fall 2). Am häufigsten nutzt Muriel direkte Rede, um die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch zu vermitteln, die im Bilderbuch ebenfalls als direkte Rede formuliert sind (Fall 1). Dies trifft auf zehn der zwölf Verwendungszu‐ sammenhänge von direkter Rede in Muriels Text zu. Trotz vieler sprachlicher Ähnlichkeiten sind die kompletten Formulierungen bestehend aus direkter Rede 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 535 ohne Begleitsatz oder direkter Rede mit Begleitsatz nie vollständig identisch. Außerdem nutzt Muriel direkte Rede, um Inhalte in Sprache zu verfassen, die im Bilderbuch zum Teil nicht versprachlicht und zum Teil nicht enthalten sind (Fall 3/ 4). Dies trifft auf zwei Textpassagen zu. Aus Tabelle 66 (im digitalen Anhang) geht hervor, dass bei den Textproduk‐ tionen der sechs Kinder die kompletten Formulierungen bestehend aus direkter Rede (ohne oder mit Begleitsatz) in Kindertext und Bilderbuchtext weniger häufig identisch sind als dass sie sich unterscheiden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass alle sechs Kinder, die direkte Rede nutzen, auf dieses sprachliche Mittel zurückgreifen, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch ebenfalls in Form von direkter Rede dargestellt werden (Fall 1). Bei allen sechs Kindern ist dies die Funktion, die direkte Rede in ihren Texten am häufigsten erfüllt. Dabei sind nur bei zwei der sechs Kinder wenige Formulierungen zu finden, die komplett identisch mit den Formulierungen des Bilderbuchtextes sind. Zwei Kinder nutzen direkte Rede, um Inhalte, die im Bilderbuch in Erzählerrede dargestellt werden, zum Ausdruck zu bringen (Fall 2). Zwei Kinder nutzen direkte Rede, um Inhalte darzustellen, die im Bilderbuchtext nicht versprachlicht sind (Fall 3) oder nicht versprachlicht und nur teilweise im Bild enthalten (Fall 3/ 4) sind. Diese beiden Beobachtungen verdeutlichen das freie Operieren mit und das Nutzen des erzähltypischen Musters der direkten Rede als ein sprachliches Mittel der Textproduktion. Es folgen Beobachtungen zum Gebrauch spezifischer und unspezifischer Verben in Redebegleitsätzen. Die Vier-Felder-Tafel (vgl. Tabelle 67 im digitalen Anhang) gibt einen Überblick über den Gebrauch spezifischer und unspezifischer Verben in von den sieben Kindern verwendeten Redebegleitsätzen, während Tabelle 68 (digitaler Anhang) den Gebrauch un(spezifischer) Verben in Redebegleit‐ sätzen der Kinder denen des vorgelesenen Bilderbuches gegenüberstellt. Fünf der sieben Textproduktionen enthalten Redebegleitsätze. Während Mias Text einmal direkte Rede ohne Begleitsatz (oder einen inneren Monolog) enthält, weist Jans Text keine direkte Rede auf. Der zugehörige Bilderbuchtext enthält die unspezifischen Verben sagen (Müller 2013, 1. DS, 1. DS, 2. DS, 2. DS, 2. DS, 2. DS, 11. DS), fragen (ebd., 3. DS) und denken (ebd.). Anzumerken ist, dass Jans Textproduktion erst auf der siebten Doppelseite des Bilderbuches beginnt und Jan somit lediglich auf den Gebrauch der direkten Rede auf der elften Doppelseite in seiner Textproduktion verzichtet. Beim Vergleich des Gebrauchs von Verben in Redebegleitsätzen anhand der fünf Textproduktionen, in denen Redebegleitsätze enthalten sind, lassen sich vier zentrale Beobachtungen machen: Erstens handelt es sich bei der Mehrheit der Verben, die die Kinder in Begleitsätzen in ihren Textprodukti‐ 536 3 Auswertung und Ergebnisse 169 Die Verben fragen und sich fragen werden aufgrund ihrer unterschiedlichen Zuordnung zu unspezifischen und spezifischen/ präzisen Verben als unterschiedliche Verben behan‐ delt. Das Verb fragen ist im zugehörigen Bilderbuchtext enthalten. onen verwenden, um Verben, die auch im jeweils vorgelesenen Bilderbuch in Begleitsätzen enthalten sind. Die einzige Ausnahme bildet das von Ida verwendete Verb sich fragen  169 . Zweitens wählen drei Kinder (Ben, Kira und Nicole) ausschließlich Verben in Begleitsätzen, die im Bilderbuchtext mehrfach in Begleitsätzen vorkommen. Bei Muriels Textproduktion gilt dies für zwei von drei Verben in Begleitsätzen (Ausnahme: seufzen) und bei Idas Textproduktion für eins der drei in Begleitsätzen enthaltenen Verben (Ausnahmen: sagen und sich fragen). Drittens enthalten alle fünf Textproduktionen eine höhere Anzahl an unspe‐ zifischen Verben als an präzisen Verben. Kiras und Idas Textproduktionen weisen dabei ausschließlich unspezifische Verben auf. Unspezifische Verben können zum alltäglichen Sprachgebrauch von Kindern gerechnet werden und auch als gängige Verben bezeichnet werden. Viertens gehören drei der vier präzisen Verben, die die fünf Kinder verwenden (lachen, schimpfen, rufen), zu solchen, die dem alltäglichen Sprachgebrauch von Kindern gerechnet werden können. Eine Ausnahme bildet das Verb seufzen. An einigen Stellen wird ein unspezifisches Verb im Kindertext von Intona‐ tion/ Mimik begleitet, wodurch ein ähnlicher Inhalt wie im Bilderbuch im gleichen Kontext durch ein spezifisches Verb zum Ausdruck gebracht wird (vgl. Tabelle 69 im digitalen Anhang). So lässt sich beobachten, dass in vier Fällen das unspezifische Verb sagen mit der besonderen Betonung eines anderen Wortes (doch), mit einer Erhöhung der Lautstärke oder mit einer veränderten Betonung kombiniert wird und auf diese Weise die Bedeutungen der spezifischen Verben beteuern, rufen, schimpfen und begeistert rufen hergestellt werden. Im Folgenden wird der Blick darauf gerichtet, wie die Kinder ihre Geschichten sowohl inhaltlich als auch sprachlich beenden. Die Geschichtenenden der sieben Textproduktionen der Kinder lassen sich im Vergleich zum jeweiligen Geschich‐ tenende des Bilderbuches vier Kategorien zuordnen: Kategorie 1: Identisches Ende in Bilderbuch und Kindertext, Kategorie 2: Alternatives Ende - Ersetzen von Inhalten, Kategorie 3: Ende der Geschichte des Bilderbuches geht über das Ende der Geschichte des Kindes hinaus (Auslassen von Inhalten) und Kategorie 4: Ende der Geschichte des Kindes geht über das Ende der Geschichte des Bilderbuches hinaus (Hinzufügen von Inhalten) (vgl. Tabelle 70 im digitalen Anhang). Alle sieben Kinder beenden ihre Geschichten mit Erzählerrede. Dies trifft auch für den Fall zu, dass das Bilderbuch selbst mit direkter Rede endet (Ben). Auffällig ist, 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 537 dass die Kinder, die ein vom Ende der Bilderbuchgeschichte abweichendes Ge‐ schichtenende wählen, jeweils auf ein typisches Geschichtenende zurückgreifen: Die Protagonistin oder der Protagonist geht zu Bett (Muriel), die Protagonistin oder der Protagonist geht fort/ verabschiedet sich (Nicole, Mia, Ida) oder die Protagonisten lachen fröhlich (Ben). So nennt Claudia Rathmann als ein pro‐ totypisches Geschichtenende, dass sich die Hauptperson schlafen legt (vgl. Rathmann 2014, S. 23). Des Weiteren listet sie die Möglichkeit „Protagonisten verabschieden sich“ (ebd.) auf, was in Mias Text einseitig durch das Winken der Protagonistin ausgeführt wird. Das Fortgehen des Protagonisten (Ida und Nicole) ist diesem von Rathmann genannten Geschichtenende ähnlich. Dies deutet auf das Vorhandensein impliziten Textwissens bezüglich des Aufbaus von Narrationen hin. Als weiteres erzähltypisches Muster ist der Schlussformelgebrauch zur Markie‐ rung des Geschichtenendes zu beobachten: So markieren vier der sieben Kinder (Ida, Muriel, Jan und Ben) das Ende ihres Textes sprachlich durch den Gebrauch einer Schlussformel. Ida, Muriel und Jan wählen dabei die Formel zu Ende. Ben nutzt das Nomen Ende, das nach den Definitionen von Bubenhofer (2009) und Brommer (2018) ebenfalls als Muster bezeichnet werden kann. Auf diese Weise grenzen sie eindeutig das „Vorgelesene“ bzw. den Text vom Dialogischen ab. Weitere identifizierte erzähltypische Muster sind das Verwenden einer Redewen‐ dung am Ende von Geschichten, um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Figur verschwindet, die Leseransprache sowie die Wiederholung sprachlicher Einheiten zur Darstellung einer sich wiederholenden Handlung. Weitere Beispiele, die zeigen, wie Kinder identische sprachliche Einheiten wiederholt verwenden, um sich wiederholende Handlungen (Inhalte) darzustellen, wurden bereits im Zusammenhang mit der Darstellung von Funktionen mehrfach gebrauchter sprachlicher und struktureller Muster in den Texten der Vorschulkinder aufge‐ führt. Dazu zählen 1. Gleiche Bedeutung, gleiche Funktion - Rückgriff auf das gleiche Muster und 2. Passung von Inhalt und sprachlicher Form - sich wiederho‐ lende Handlungen durch sich wiederholende Muster zum Ausdruck bringen. Gebrauch weiterer Muster der dritten Ebene Zu den identifizierten Mustern der dritten Ebene gehört auch der Gebrauch von Überschriften (vgl. Tabelle 71 im digitalen Anhang). Lediglich zwei der sieben Kinder beginnen ihre Textproduktion mit einer Überschrift. Auffällig dabei ist, dass es sich in beiden Fällen nicht um komplett identische Übernahmen sprachlicher Muster (Überschriften) aus dem Bilderbuchtext handelt. Die von Mia verwendete Formulierung lässt sich als Variation des sprachlichen Musters 538 3 Auswertung und Ergebnisse aus dem Bilderbuch (Typ „Weglassen“) beschreiben, während sich die von Ben gewählte Formulierung als Variation des sprachlichen Musters aus dem Bilderbuch (Typ „Ergänzen“) bezeichnen lässt. Andere Realisierung eines Musters, das im Bilderbuch vorkommt Auf unterschiedliche Arten realisieren Kinder ein Muster des Bilderbuches auf eine andere Weise als im Bilderbuch. Diese Beobachtung bezieht sich sowohl auf strukturelle Muster als auch auf erzähltypische Muster. Weiter lassen sich Beobachtungen zu strukturellen Mustern auf der Satzebene und auf der Mehrwortebene unterscheiden. Bei den strukturellen Mustern auf der Satzebene ist Fall A „Identisches strukturelles Muster, gleiche Funktion, aber neue Inhalte und andere sprachliche Realisierung“ (Mia) von Fall B „Identisches Muster, gleiche Funktion, gleicher Inhalt, aber andere sprachliche Realisierung“ (Ida) abzugrenzen. Liegt Fall A vor, wird das gleiche Gestaltungsmittel wie im Bilderbuch ge‐ braucht, das die gleiche Funktion erfüllt, aber mit neuen Inhalten und auch einer anderen sprachlichen Form gefüllt wird. Dies lässt sich bei Mias Übernahme der Fragen am Anfang der Geschichte beobachten: Das strukturelle Muster [Anrede des Lesers und Frage, ob ihm Pippi Langstrumpf bekannt ist + Relativsatz] wird von Mia im gleichen Kontext wie im Bilderbuch verwendet, während die Leerstellen des Musters mit anderen Inhalten gefüllt werden. Dazu greift Mia auf andere sprachliche Mittel zurück als die des Bilderbuches. Auch das Muster [Person + Nebensatz, der etwas über die Person aussagt], das sowohl in Mias Text als auch im Text der Bilderbuchgeschichte enthalten ist, wird in beiden Texten im gleichen Kontext verwendet, während die Leerstellen in Mias Text mit anderen Inhalten gefüllt werden. Auch hier werden von Mia andere sprachliche Formen zum Füllen der Leerstellen gewählt (andere Nebensatzkonstruktionen, anderes Subjekt) als im Bilderbuchtext. Eine ähnliche Beobachtung lässt sich - wie bereits erwähnt - auch bei der Realisierung von Idas erster Sequenz des Baumusters machen (Fall B). Ida verwendet wie im Bilderbuch eine Anapher, bildet diese jedoch mit anderen Inhalten und sprachlichem Material. Dass strukturelle Muster auf der Mehrwortebene von Kindern auf eine andere Weise als im Bilderbuch realisiert werden können, zeigt Idas Textproduktion: Ida bildet den Ausdruck brummeliges nashier (8. DS), um ein Tier zu benennen, das im Bilderbuch als „schnabliges Schnabeltier“ (Blake/ Scheffler 2017, 8. DS) bezeichnet wird. Sie greift auf das strukturelle Muster [Adjektiv + Bezeichnung für ein Riechorgan + „Tier“] zurück und füllt es mit neuen Inhalten, die zur entsprechenden Abbildung im Bilderbuch passen. 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 539 Ähnliches kann beim Gebrauch erzähltypischer Muster beobachtet werden: Ida macht Gebrauch von der Wiederholung sprachlicher Einheiten zur Darstel‐ lung einer sich wiederholenden Handlung. So wiederholt sie die Formel [„Dann siehte(te) He Duda, wie“ + X], während im Bilderbuch selbst die Formel [„He Duda sah“ + X + „und beschloss“ + X] wiederholt wird. Zudem gebraucht Ida ein weiteres erzähltypisches Muster: Das Verwenden einer festen Redewendung (meist am Ende von Geschichten), um zum Ausdruck zu bringen, dass eine Figur verschwindet. Während das Bilderbuch eine Variation des Phraseologismus dahin zurückgehen, wo jemand hergekommen ist enthält, um den Inhalt zu vermitteln, dass der Antagonist den Schauplatz verlässt, verwendet Ida die Redewendung und weg ist er. Im Gegensatz zum Bilderbuch bezieht sich dieses sprachliche Muster auf das Verschwinden des Protagonisten am Ende der Geschichte. Herausforderung von konzeptioneller Schriftlichkeit In allen sieben analysierten Pretend-Reading-Situationen werden die Kinder durch das Setting herausgefordert, in unterschiedlichem Maße Elemente kon‐ zeptioneller Schriftlichkeit zu produzieren. Die folgenden Beobachtungen be‐ ziehen sich erstens auf den Gebrauch von Präteritum und Plusquamperfekt, zweitens auf das Bilden hypotaktischer Satzkonstruktionen und drittens auf die Wahl schriftsprachlicher Formulierungen. Präteritumformen sind in allen sieben Textproduktionen enthalten. In sechs der sieben Textproduktionen ist das Präteritum das am häufigsten verwendete Tempus in der Erzählerrede. Zu diesen Textproduktionen zählen die Texte von Ben, Kira, Ida, Mia, Jan und Muriel. Bei den Textproduktionen von Kira, Jan und Nicole ist der Gebrauch des Präteritums zu beobachten, obwohl der Bilder‐ buchtext selbst im Präsens verfasst ist (vgl. dazu Tabelle 72 im digitalen Anhang zum Tempusgebrauch in der Erzählerrede). Dies lässt auf implizites Wissen über schriftliche Narrationen schließen, das durch das Setting herausgefordert wird. Es ist naheliegend, dass implizites Wissen über den typischen Tempusge‐ brauch in Bilderbüchern besteht. Obwohl die Erzählerrede der vorgelesenen Bilderbücher Clown Beppo und Apfelsaft holen im Präsens und Perfekt bzw. ausschließlich im Präsens verfasst ist, ist in den Textproduktionen von Kira und Jan das Präteritum das am häufigsten verwendete Tempus in der Erzählerrede. In den Texten von sechs Kindern lassen sich übergeneralisierte Präteritum‐ formen starker Verben finden. Lediglich Bens Text weist solche Formen nicht auf. Auffällig ist dabei die bei der Analyse mehrerer Textproduktionen gemachte Beobachtung, dass ein Kind im gleichen Text sowohl die korrekte Präteritum‐ 540 3 Auswertung und Ergebnisse 170 Plusquamperfekt lässt sich als Merkmal elaborierter Sprache bezeichnen (vgl. Müller-Brauers et al. 2017, S. 201). form eines starken Verbs bildet als auch die inkorrekte (Übergeneralisierung). So verwendet Muriel die Formen flogte und flog und Mia die Formen gab und gibte. Dies kann als Hinweis auf vorhandenes implizites Wissen gedeutet werden. Der Gebrauch des Plusquamperfekts, eine weitere Zeitform, die eher der konzeptionellen Schriftlichkeit zugeordnet werden kann, 170 lässt sich auch in einigen Pretend-Reading-Situationen beobachten. So greift Nicole einmal auf eine Plusquamperfektform zurück, Ida nutzt zweimal das Plusquamperfekt und Ben dreimal. Zudem bildet Ida einmal den Konjunktiv II, der im zuvor vorgelesenen Bilderbuch in einem anderen Kontext verwendet wird. Auch dieser entspricht eher dem schriftsprachlichen Register. Ein Vergleich der An‐ zahlen von Präsens-, Perfekt-, Präteritums- und Plusquamperfektformen (vgl. Tabelle 73 im digitalen Anhang) ergibt, dass über die Textproduktionen hinweg mit Abstand am häufigsten Präteritumformen verwendet wurden (141). Auch die Anzahl der Zeitformen, die der konzeptionellen Schriftlichkeit zugeordnet werden (Präteritum und Plusquamperfekt) ist mehr als doppelt so hoch wie die Anzahl der Zeitformen, die eher der konzeptionellen Mündlichkeit (Präsens und Perfekt) entsprechen. Bei allen sieben Kindern wird in der Pretend-Reading-Situation der Gebrauch des Präteritums herausfordert. Diese Beobachtung schließt die drei Kinder mit ein, denen ein (überwiegend) im Präsens (Erzählerrede) verfasstes Bilderbuch vorgelesen wurde. Einige hypotaktische Satzkonstruktionen lassen sich in den Textproduktionen von Nicole, Ida, Muriel, Mia und Kira identifizieren. Dabei enthalten auch die Bilderbücher, die diesen Kindern vorgelesen wurden, mehrere hypotakti‐ sche Satzkonstruktionen. Im Gegensatz dazu weisen die Textproduktionen von Ben und Jan keine hypotaktischen Satzkonstruktionen auf. Auffällig ist, dass das Bilderbuch, das Ben vorgelesen bekam, selbst lediglich zwei hypotak‐ tische Satzkonstruktionen enthält, und das Bilderbuch, das Jan vorgelesen wurde, keine hypotaktischen Satzkonstruktionen enthält. Die Bilderbücher, die den beiden Kindern angetragen worden sind, deren Textproduktionen keine hypotaktischen Satzkonstruktionen enthalten, weisen somit selbst keine bis wenige hypotaktische Satzkonstruktionen auf (vgl. Hervorhebung in Tabelle 74 zum Gebrauch von Nebensätzen im digitalen Anhang). Ausgehend von dieser Beobachtung sei die Hypothese aufgestellt, dass das Vorhandensein mehrerer hypotaktischer Konstruktionen im vorgelesenen Bilderbuchtext einen 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 541 Einfluss darauf haben kann, ob die Kinder selbst in Pretend-Reading-Situationen hypotaktische Satzkonstruktionen in ihrer Textproduktion verwenden. Bei genauerer Betrachtung der von den Kindern gebildeten hypotaktischen Satz‐ konstruktionen lassen sich vier zentrale Beobachtungen festhalten (vgl. Tabelle 75 im digitalen Anhang): Erstens werden Nebensatzkonstruktionen genutzt, wenn im Bilderbuch der gleiche Inhalt mit der gleichen Nebensatzkonstruktion zum Ausdruck gebracht wird (Kategorie 1), wenn der gleiche Inhalt im Bilder‐ buch durch eine andere Nebensatzkonstruktion ausgedrückt wird (Kategorie 2), wenn der Inhalt im Bilderbuch ohne Nebensatzkonstruktion zum Ausdruck gebracht wird (Kategorie 3) oder wenn ein im Bilderbuchtext nicht enthaltener (neuer) Inhalt mit Hilfe einer Nebensatzkonstruktion ausgedrückt wird (Kate‐ gorie 4). Die zweite Beobachtung besteht darin, dass drei der fünf Kinder (Ida, Mia, Nicole) die meisten hypotaktischen Satzkonstruktionen verwenden, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch nicht vorkommen. Drittens verwenden alle fünf Kinder Nebensatzkonstruktionen, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch im gleichen Kontext mit der gleichen Nebensatzkonstruktion ausgedrückt werden. Als vierte Beobachtung ist zu nennen, dass jedoch keines der fünf Kinder Nebensatzkonstruktionen ausschließlich verwendet, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilder‐ buch im gleichen Kontext mit der gleichen Nebensatzkonstruktion ausgedrückt werden. Hinsichtlich des Gebrauchs schriftsprachlicher Formulierungen lässt sich fest‐ stellen, dass die Textproduktionen von zwei Kindern ( Jan und Ben) keine Ausdrücke aufweisen, die eindeutig dem Register konzeptionelle Schriftlichkeit zugeordnet werden können. Die Mehrheit der analysierten Kindertexte (fünf von sieben) enthält hingegen Formulierungen dieser Art. Die von den Kindern verwendeten schriftsprachlichen Ausdrücke lassen sich in drei Gruppen ein‐ teilen (vgl. Tabelle 76 im digitalen Anhang). Die Formulierungen der ersten Gruppe sind im Bilderbuch im gleichen Kontext vorhanden. In Muriels Textproduktion trifft dies für das Adjektiv rasch zu, Mia verwendet das Adverb ausgerechnet, in Nicoles Produktion ist hier das sprachliche Muster sich umschauen einzuordnen und in Kiras Text lassen sich dieser Gruppe die sprachlichen Muster an jemandem vorbeieilen und seinen Augen nicht trauen zuordnen. Die zweite Gruppe beinhaltet konzeptionell schriftliche Ausdrücke, die im Bilderbuch vorkommen und von den Kindern in einem neuen Kontext verwendet werden. Ob es sich hierbei um Übernahmen aus dem Bilderbuch handelt, ist unklar. Auch dieser Gruppe ist der Gebrauch des Adverbs rasch in Muriels 542 3 Auswertung und Ergebnisse Text zuzuordnen. Zudem verwendet sie das Präfix hinein. Nicole gebraucht zweimal das Temporaladverb nun, das im Bilderbuch in einem anderen Kontext vorkommt. Ida verwendet das Verb erblicken, das als Variation des sprachli‐ chen Musters sich blicken lassen bezeichnet werden kann, das im Bilderbuch vorkommt. Bei Ausdrücken der dritten Gruppe handelt es sich um konzeptionell schrift‐ liche Formulierungen, die nicht im Bilderbuch vorkommen. Kinder werden in diesem Fall vermutlich durch das Setting herausgefordert, konzeptionell schriftliche Ausdrücke zu wählen, die nicht im Bilderbuch vorkommen. In diesem Fall muss ein Rückgriff auf bereits vorhandenes implizites Wissen über konzeptionelle Schriftlichkeit, z. B. als Sprache in geschriebenen Texten, stattfinden, das die Kinder in anderen Kontexten erworben haben. Es lässt sich zum einen der Gebrauch konzeptionell schriftlicher Adverbien beobachten: So beinhaltet Muriels Textproduktion das Kausaladverb deswegen und Idas Text weist das Temporaladverb nun auf. Mia verwendet das Adjektiv rechtzeitig. Auch konzeptionell schriftliche sprachliche Muster lassen sich finden, die dieser Kategorie zuzurechnen sind: So greift Ida zweimal auf den im Bilderbuch nicht erwähnten Ausdruck ein wenig zurück und Nicole verwendet das teilweise konzeptionell schriftlich wirkende sprachliche Muster eins hat er übersehen. Nicole wählt die Konjunktionen sodass und obwohl, die eher dem konzeptionell schriftlichen Register zugeordnet werden können und Mia macht Gebrauch von dem Präfix herein. Hervorzuheben ist die Beobachtung, dass bei den sieben Textproduktionen insgesamt fünf schriftsprachliche Ausdrücke im gleichen Kontext wie im Bilder‐ buch verwendet werden und fünf der von den Kindern verwendeten Ausdrücke in einem anderen Kontext im Bilderbuch enthalten sind, während die meisten schriftsprachlichen Ausdrücke (neun) im jeweiligen Bilderbuch gar nicht vor‐ handen sind. Vier der fünf Kinder (Ida, Mia, Nicole und Muriel) verwendeten in ihren Textproduktionen sowohl konzeptionell schriftliche Ausdrücke, die im Bilderbuchtext enthalten sind, als auch solche, die im Bilderbuchtext nicht vorkommen, während nur Kiras Text ausschließlich konzeptionell schriftliche Formulierungen aufweist, die auch im Bilderbuch enthalten sind. Zusammenfassend ist zum Gebrauch schriftsprachlicher Formulierungen fest‐ zuhalten, dass das Setting - den dargestellten Beobachtungen zufolge - Kinder sowohl zum Gebrauch konzeptionell schriftlicher Ausdrücke herausfordern kann, die im Bilderbuchtext enthalten sind, als auch zum Gebrauch schrift‐ sprachlicher Ausdrücke, die im Bilderbuchtext nicht vorkommen. Aus Tabelle 77 (digitaler Anhang) ist ersichtlich, dass in allen sieben Textproduktionen 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 543 Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit identifiziert werden können. Während sich diese bei allen sieben Textproduktionen hinsichtlich des Tempusgebrauchs zeigen, weisen zwei der sieben Textproduktionen ( Jan und Ben) in den Bereichen Syntax und Lexik keine Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit auf. Neue, veränderte und ausgelassene Inhalte Im Folgenden wird der Blick auf Beobachtungen zu inhaltlichen Abweichungen zwischen Kindertext und Bilderbuchtext gerichtet. Diese betreffen neue, verän‐ derte und ausgelassene Inhalte im Vergleich zum Bilderbuchtext. Anhand der sieben Textproduktionen lassen sich sechs Funktionen identifi‐ zieren, die neue Inhalte in der Textproduktion des Kindes im Vergleich zum Bilderbuchtext erfüllen können: Versprachlichung von nur im Bild dargestellten Inhalten (1), Schließen inhaltlicher Leerstellen im Bilderbuchtext (2), Erweitern von direkter Rede zu einem Dialog (3), Direkte Rede zur Darstellung von Emotionen (4), Übergänge zwischen Bildern bzw. Doppelseiten schaffen (5) und Realisierung eines Baumusters (6). Tabelle 78 (digitaler Anhang) gibt einen Überblick zur Versprachlichung zusätz‐ licher Informationen aus einem Bild (Funktion 1). Es wird angegeben, durch welches sprachliche Mittel das jeweilige Kind den neuen Inhalt zum Ausdruck bringt. Dabei lassen sich drei Fälle unterscheiden: Entweder wird eine Handlung ergänzt, die auf einer Doppelseite ausschließlich durch ein Bild erzählt wird (Fall A), es werden Handlungen erzählt, die im Bilderbuchtext nicht erzählt werden (Fall B) oder es findet eine Spezifizierung statt (Fall C). Mia versprachlicht die letzte Szene der Geschichte (Pippi Langstrumpf verlässt die Kinder), die im Bilderbuch nur im Bild dargestellt ist (Fall A). Muriel, Mia, Ida und Kira ergänzen Handlungen, die im Bilderbuchtext nicht erzählt werden, aber durch ein Bild erzählt werden (Fall B): So scheint Muriel durch die Abbildung eines Vogels auf einer Bilderbuchseite dazu herausgefordert werden, das ihrer Geschichte zugrundeliegende Baumuster um eine neue Sequenz zu erweitern. Zur sprachlichen Gestaltung bedient sie sich Bausteinen ihres Baumusters. Mia scheint den im Bilderbuch abgebildeten älteren Mann und die ältere Dame, die im Bilderbuchtext nicht erwähnt werden, als Großeltern der Kinder zu deuten und versprachlicht diese Information in ihrem Text. Idas Geschichte enthält die Handlung, dass der Protagonist, ein Hase, seine Ohren herunterklappt. Diese Information ist im Bilderbuchtext nicht enthalten, jedoch bildlich dargestellt. Kira nimmt in ihrer Textproduktion im Gegensatz zum Bil‐ derbuchtext, in dem nur das Kunststück eines Protagonisten (Zick-Zack) Erwäh‐ 544 3 Auswertung und Ergebnisse nung findet, Bezug auf die Kunststücke von beiden Protagonisten (Zick-Zack und Clown Beppo). Das zugehörige Bild zeigt beide Figuren. Spezifizierung (Fall C) lässt sich in Idas und Nicoles Texten beobachten: Während im Bilderbuchtext auf eine Höhle Bezug genommen wird, beschreibt Ida diese Höhle durch den Gebrauch des Adjektivs dunkel näher. Das zugehörige Bild zeigt eine graue Höhle, in der eine Kerze einen Schatten an die Höhlenwand wirft. Während aus dem Bilderbuchtext lediglich hervorgeht, dass sich die zwei Figuren Frosch und Huhn verkrochen haben, formuliert Nicole, dass sich Huhn und Frosch hinter einem Stein versteckt hatten. Diese Information ist dem zugehörigen Bild des Bilderbuches zu entnehmen. Nicole greift bei der Darstellung des neuen Inhalts auf die erzähltypische Zeitform Plusquamperfekt zurück, das der konzeptionellen Schriftlichkeit entspricht. Zudem erwähnt Nicole in ihrem Text explizit, dass eine Figur vor dem Haus steht. Diese Information ist ausschließlich dem Bild zu entnehmen. Bei fünf Kindern ist beobachtbar, dass sie in ihren Textproduktionen Inhalte in Sprache fassen, die im Bilderbuchtext ausschließlich im Bild dargestellt sind, nicht aber im Text. Dies reicht vom Generieren eines Textes zu einer Bilderbuchseite, bei der die Geschichte komplett durch das Bild erzählt wird, bis hin zur Spezifizierung von Inhalten. Diese Beispiele deuten auf den möglichen Einfluss und die Funktion der Bilder für die Textproduktion hin: Sie stützen die Textproduktion. Teilweise scheinen die Kinder durch die Bilder herausgefordert zu werden, in ihrer Textproduktion auf bereits verwendete Muster erneut zurückzugreifen bzw. ein sprachliches oder strukturelles Muster zu wählen, das in ihrer Textproduktion mehrfach vorkommt. Auch Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit (Tempus, Syntax) sind in der Versprachlichung von Inhalten enthalten, die lediglich im Bild dargestellt sind. Hervorzuheben ist dabei die Beobachtung, dass in allen Textstellen, in denen ein Verb vonnöten ist, vom Kind mindestens ein Verb im Präteritum oder Plusquamperfekt gewählt wird. In Mias und Nicoles Texten werden inhaltliche Leerstellen im Bilderbuchtext geschlossen (Funktion 2). Mia fasst Inhalte in Sprache und schließt dadurch Leer‐ stellen im Bilderbuchtext, die von der Leserschaft normalerweise geschlossen werden. So erwähnt sie explizit das Betreten der Wohnung durch Pippi Lang‐ strumpf sowie die Handlung, dass ihr Affe von einem Sack herunterspringt. Nicole schafft sprachlich einen Übergang zwischen zwei Szenen, indem sie einen Ortswechsel beschreibende Sätze einbaut und realisiert diesen Übergang mit Hilfe von direkter Rede. Diese Beobachtungen stimmen mit einer Beobachtung aus einer Pretend-Reading-Situation zur Geschichte Anton übernachtet bei Tim aus dem Bilderbuch Meine liebsten Gute-Nacht-Geschichten. 7 traumhafte 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 545 171 Hibbert, Melanie (2015): Meine liebsten Gute-Nacht-Geschichten. 7 traumhafte Ge‐ schichten. Igloo Books. Geschichten  171 überein. Im Bilderbuchtext heißt es: „Ganz zum Schluss fiel ihr noch ein, den gelben Bären in den Rucksack zu stecken. Als Anton bei seinem Freund Tim ankam, rasten sie sofort in den Garten.“ (Hibbert 2015, 1./ 2. DS) Das Mädchen füllt in ihrem Text eine Leerstelle des Bilderbuchtextes: Sie fügt die Information hinzu, wie Anton und seine Mutter zum Haus von Tim gelangen: dann ziehen die alles an, [.] gehen los, mit auto oder mit taxi. ‚komm, mama, jetzt gehen wir los.‘ ‚warte, wir müssen noch deine zahnbürste einpacken‘, sagt die mama. ‚okay‘. [3] [blättert um] DANN haben sie ganz viel spaß[.] (1./ 2. DS) Nicoles Text weist Funktion 3 auf: Zweimal wird direkte Rede zu einem Dialog erweitert: An der ersten Stelle reagiert der kleine Stier Torro zweimal auf die Ermutigungsversuche seiner Freunde, während im Bilderbuchtext keine verbale Reaktion des Stieres geschildert wird. An der zweiten Stelle ergänzt Torro die Antwort der Mutter auf eine Frage des kleinen Stieres, die im Bilderbuchtext nicht explizit beantwortet wird. Zur Darstellung von Emotionen ergänzt Nicole direkte Rede (Funktion 4). Sie verwendet zweimal das im Bilderbuch nicht vorhandene strukturelle Muster [„So ein“ + Nomen], um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch sprachlich nicht dargestellt werden. An beiden Stellen wird die Leerstelle dabei durch das Nomen Mist gefüllt. Dieses in direkte Rede oder einen inneren Monolog eingebettete Muster erfüllt die Funktion, die Emotionen des Protagonisten zum Ausdruck zu bringen. Hervorzuheben sei, dass die Sprache der Nicole zuvor vorgelesene Bilderbuchgeschichte Torro sieht rot ebenfalls stark von direkter Rede geprägt ist. Funktion 5, Übergänge zwischen Bildern oder Doppelseiten zu schaffen, lässt sich in den Texten von Nicole und Ida finden: Dazu verwendet Nicole dreimal das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb]. Ida realisiert diese Funktion fünfmal durch das sprachliche Muster dann ging er weiter bzw. seine Variation dann kam es weiter. Funktion 6, die Realisierung eines Baumusters, liegt bei Bens Textproduktion vor. Ben fügt in seine Geschichte ein neues inhaltliches Element ein (das Klopfen an der Tür) und realisiert so einen Baustein eines Baumusters, das in seinem Text mehr Bausteine aufweist als das des Bilderbuchtextes. Dabei greift er auf das von ihm in seiner Textproduktion mehrfach verwendete strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] zurück. 546 3 Auswertung und Ergebnisse Veränderte Inhalte in der Textproduktion eines Kindes im Vergleich zum Bilder‐ buchtext lassen sich zwei Kategorien zuordnen: Der Einfluss der bildlichen Darstellung auf die Textproduktion (Kategorie 1) und weiteren Beobachtungen zu veränderten Inhalten (Kategorie 2). Wird ein Inhalt aufgrund einer bildlichen Darstellung verändert (Kategorie 1), kann dies damit in Zusammenhang stehen, dass eine Diskrepanz zwischen Text und Bild besteht (Fall A) oder dass ein Bild vom Kind mit Hilfe seines Weltwissens interpretiert wird (Fall B: Bildinterpretation und Weltwissen). Fall A liegt in Kiras und Muriels Textproduktionen vor: Kira erwähnt ausschließlich Männer, während im Bildbuchtext von Männern und Frauen sowie von Leuten die Rede ist. Das zugehörige Bild zeigt lediglich Männer. Während dem Bilder‐ buchtext entnommen werden kann, dass die Protagonistin „in die tiefe Nacht“ (Drescher 2017, 2. DS) hineinfliegt, nimmt Muriel eine kleine Änderung vor, indem sie die Protagonistin in die Wolken hineinflattern lässt. Möglicherweise hat das zugehörige Bild einen Einfluss auf diese Formulierung, da helle Flecken auf dem blauen Himmel zu sehen sind, die als Wolken interpretiert werden können. Sprachlich bedient sich Muriel einer Formulierung, die sich als Varia‐ tion des sprachlichen Musters aus dem Bilderbuchtext bezeichnen lässt. An den aufgezeigten Abweichungen (vgl. Tabelle 79 im digitalen Anhang) wird der starke Einfluss der Bilder auf die Textproduktionen der Kinder deutlich. In Nicoles, Muriels, Kiras und Idas Texten scheinen Gründe für die Abweichungen zwischen Bilderbuchtext und Kindertext in der Interpretation von Bildern (Fall 2) zu liegen (vgl. Tabelle 80 im digitalen Anhang). Nicole interpretiert den im Bild dargestellten Kuhfladen, in dem der Protagonist Torro ausrutscht, als Pfütze. Als lautmalerischen Ausdruck wählt sie passend dazu auch nicht den im Bilderbuch enthaltenen Ausdruck „FLATSCH! “ (Abedi 2011, 6. DS), sondern greift auf den geläufigeren und besser zum Geräusch, das bei einem Sturz ins Wasser entsteht, passenden Ausdruck PLATSCH (6. DS) zurück. Ähnliches ist bei Muriels Textproduktion zu beobachten. Anstatt des Begriffs Käuzchen, der im Bilderbuchtext verwendet wird, nutzt Muriel den Begriff Eule. Das zugehörige Bild zeigt eine Eule bzw. ein Käuzchen. Zur Bezeichnung der Zacken des Drachen Zick-Zack wählt Kira den Begriff Stacheln anstatt des im Bilderbuch verwendeten Ausdrucks Zacken. Die bildliche Darstellung der Zacken erinnert ein wenig an rote Dornen (Stacheln) einer Rose. Ida scheint die bildlichen Darstellungen der Eicheln als Haselnüsse zu interpretieren. Zudem wählt sie den Begriff Nastier (nashier), als sie sich auf die Abbildung des Schnabeltiers be‐ zieht. Dieses ist mit einem runden Schnabel mit zwei Nasenlöchern gezeichnet. Auch scheint Ida das Bild des mit den Füßen ausschlagenden Kaninchens als Springen zu deuten. 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 547 172 Das von Jan an dieser Stelle geäußerte Wort ist unverständlich. Neben den sich auf bildliche Darstellungen beziehenden Fällen (Kategorie 1) lassen sich vier weitere Fälle identifizieren, die im Zusammenhang mit verän‐ derten Inhalten stehen (Kategorie 2): Abweichende Interpretation von Inhalten des Bilderbuchtextes (Fall A), Allgemeiner statt spezifischer (Fall B), Leerstellen, die sich mit Hilfe der Abbildung schließen (Fall C), Veränderte Inhalte - identische Funktion (Fall D) und weitere veränderte Inhalte (Fall E). Bei Mias Textproduktion lässt sich eine abweichende Interpretation von In‐ halten des Bilderbuchtextes (Fall A) feststellen: Im Bilderbuch ist der Inhalt ent‐ halten, dass die Kinder, die Weihnachten ohne ihre Eltern verbringen müssen, u. a. „[n]ichts Gutes zu essen“ (Lindgren 2013, 3. DS) haben, da ihrer Mutter ein Einkauf nicht mehr möglich war: Und sie hatten auch keinen Tannenbaum! Keine Weihnachtsgeschenke! Nichts Gutes zu essen! Denn ihre Mama hatte es nicht geschafft, etwas einzukaufen, bevor sie krank wurde. Kein Wunder, dass die Kinder weinten! Alles war furchtbar traurig, wie es manchmal sein kann. (Ebd.) Der von Mia erzählte Inhalt weicht etwas vom Inhalt des Buches ab: Da der Mutter der Einkauf nicht mehr möglich war, hatten die Kinder überhaupt kein Essen mehr und demzufolge starken Hunger: ja, die mama von den, die hat es nicht mehr rechtzeitig geschafft, nochmal EINkaufen zu fahren. es war alles alle. sie hatten so: ein hunger, als bosse das gesagt hat. (3. DS) Mias Schluss‐ folgerung aus dem nicht stattfindenden Einkauf ist somit ein körperliches Leiden, nämlich Hunger, während im Bilderbuchtext ein rein seelisches Leiden beschrieben wird. Der Fall Allgemeiner statt spezifischer (Fall B) trifft auf Jans Textproduktion zu: Im Bilderbuchtext hört der Protagonist ein „unheimliches … Geräusch“ (Müller 2013, 7./ 8. DS), während er in Jans Geschichte irgendwas hört (8. DS). Es lässt sich zudem beobachten, dass veränderte Inhalte dazu führen können, dass eine Leerstelle entsteht, die jedoch mit Hilfe des zugehö‐ rigen Bildes geschlossen werden kann (Fall C): Während im Bilderbuch im gleichen Kontext der Name der handelnden Figur genannt wird, verwendet Jan vermutlich stattdessen das Personalpronomen er. 172 In Mias Textproduktion lässt sich mehrfach beobachten, dass sie ein strukturelles Muster, das im Bilderbuch im gleichen Kontext enthalten ist, mit anderen Inhalten füllt. Die veränderten Inhalte erfüllen dabei die gleiche Funktion wie die Inhalte, die im Bilderbuch Bestandteile des strukturellen Musters sind (Fall D). Weitere veränderte Inhalte (Fall E) zeigen die Texte von Jan und Kira. Jan stellt einen 548 3 Auswertung und Ergebnisse veränderten Inhalt dar (ein Gespenst erscheint, während es im Bilderbuchtext an einem Ort lauert), indem er auf das auch im Bilderbuch enthaltene strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] zurückgreift, von dem er in seiner Textproduktion mehrfach Gebrauch macht. Während im Bilderbuch das Essen angekündigt wird, thematisiert Jan den Vorgang des Essens. Auch an dieser Stelle greift er auf das strukturelle Muster [„Dann“ + Verb] zurück. Kira kombiniert das Verb tanzen mit dem Nomen Seiltänzerin, während im Bilderbuch das Verb hüpfen mit diesem Nomen kombiniert wird. Es kann zudem die Beobachtung gemacht werden, dass alle sieben Kinder beim Vortragen ihrer Geschichte inhaltliche Elemente aus dem Bilderbuchtext weglassen (ausgelassene Inhalte). Dabei ist zu unterscheiden zwischen dem Weglassen von für das Verständnis der Handlung der Geschichte irrelevanten Inhalten (Kategorie 1) und dem Herstellen von Leerstellen (Kategorie 2). Unter Kategorie 1 fallen bei allen sieben Kindern inhaltliche Elemente aus dem Bilderbuchtext, die nicht notwendig für das Verständnis der von den Kindern „vorgelesenen“ Geschichte sind. Hier wird zwischen sechs Fällen unterschieden: Auslassen von Beschreibungen von Handlungsorten und Figuren (Fall A), Kom‐ primierung des Inhalts/ Verdichtete Darstellung des Inhalts - Zusammenfassen von Handlungsschritten (Fall B), Komprimierung des Inhalts - Auslassen von Details (Fall C), Wahl eines exemplarischen Elements aus mehreren äquivalenten Elementen (Fall D), Auslassen kompletter Handlungen (Fall E) und Auslassen von Inhalten, die im Bilderbuchtext in Form von direkter Rede vorliegen (Fall F). Mia, Nicole, Kira und Ida verzichten auf im Bilderbuchtext enthaltene Be‐ schreibungen von Handlungsorten und Figuren (Fall A). So lässt Mia den Inhalt der Einleitung aus, der sich nicht auf die vier handelnden Figuren bezieht, sondern die Situation an dem Ort, an dem die Geschichte spielt, allgemein beschreibt. „In allen Fenstern der kleinen Stadt leuchteten die Weihnachtslichter, und an den Weihnachtsbäumen brannten die Kerzen“ (Lindgren 2013, 2. DS). Auf dem zugehörigen Bild sind Weihnachtsbäume mit leuchtenden Kerzen zu sehen. Nicole verzichtet ebenfalls auf eine Einleitung, in der Zeit und Ort des Geschehens benannt werden, der Protagonist kurz vorgestellt und die Ausgangssituation beschrieben wird und steigt stattdessen mit einem Dialog in die Geschichte ein. Muriel verzichtet in der Einleitung ihrer Geschichte auf die Begründung, warum die Protagonistin ihrer Geschichte nicht einschlafen kann: „Die Grillen zirpten laut, Glühwürmchen schwärmten und der Mond lachte hell in Flirrs Blütenbett“ (Drescher 2017, 1. DS). Auf dem zugehörigen Bild ist ein heller Mond mit lächelndem Mund zu sehen sowie Glühwürmchen und andere Insekten. Kira verzichtet auf einen Einleitungssatz und steigt ohne Erwähnung von Ort und Vorstellung der Protagonisten in die Handlung ein. Im 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 549 Bilderbuchtext heißt es: „Clown Beppo wohnt mit seinem kleinen Drachen in einem kunterbunten Zirkuswagen“ (Schwarz/ Wenisch 2002, 1. DS). Das zuge‐ hörige Bild zeigt einen jonglierenden Clown, einen kleinen Drachen und einen Teil eines bemalten Fahrzeuges. Ida verzichtet im Vergleich zum Bilderbuchtext auf die Beschreibung der Antagonistin, des Wiesels: „Ihre Zähne waren so scharf wie Glassplitter und ihre Augen waren so schnell wie Flöhe“ (Blake/ Scheffler 2017, 6. DS). Auf dem zugehörigen Bild ist das Wiesel mit deutlich sichtbaren spitzen Zähnen abgebildet. Alle vier Kinder lassen die genannten inhaltlichen Elemente in ihrer Textproduktion aus, obwohl sie (teilweise) im Bild dargestellt sind. Jan, Nicole, Muriel und Kira stellen Inhalte verdichtet dar, indem sie im Bilderbuchtext geschilderte Handlungsschritte zusammenfassen (Fall B): Jan wählt eine komprimierte Darstellung des Inhalts, indem er die Aufzählung der Orte, an denen der Protagonist der Geschichte vorbeikommt, weglässt („Dann flitzt er los, vorbei an dem Monster und dem Geräusch und dem Gespenst und die Treppe hinauf “ (Müller 2013, 9. DS)) Stattdessen fasst er den Inhalt mit dem Satz zusammen: und dann kam er bald an der küche an (9. DS). Auch diese sind für den Kern der Geschichte irrelevant. Die zugehörigen Bilder zeigen nicht die einzelnen im Text genannten Stationen, sondern viermal den rennenden Protagonisten. Ähnliches ist bei der Textproduktion von Nicole zu beobachten: Sie verzichtet im Gegensatz zum Text der Bilderbuchgeschichte auf die Aufzählung der einzelnen Orte, an denen der Protagonist vorbeikommt, und auf eine nähere Beschreibung der Art und Weise des Rennens: „Torro rennt. Er rennt einfach los, so schnell er kann, so schnell das Feuer ihn treibt. Vorbei am Hühnerhaus, vorbei am Fußballfeld, vorbei am Teich mit den Fröschen. Und weiter, über die große Wiese hinter den Häusern.“ (Abedi 2011, 11. DS) Nicole wählt die Formulierung zu der GA: Nzen welt rennen und stellt so den Inhalt komprimiert dar. Auf dem zugehörigen Bild sind eine große Wiese, ein Hühnerhaus und ein Teich mit Fröschen zu sehen. Während im Bilderbuchtext einzelne Handlungen der Figur Beppo aufgeführt werden (Blick unter den Zirkuswagen, Frage an die Seiltänzerin, Frage an den Feuerschlucker (vgl. Schwarz/ Wenisch 2002, 4. DS)), die Bestandteil seiner Suche nach seinem verschwundenen Drachen Zick-Zack sind, fasst Kira die Suche mit Hilfe des Wortes suchen in einem Satz zusammen: dann suchte der clown BEPPO den zickzack (4. DS). Die drei im Text genannten Handlungen werden nicht im Bild dargestellt. Stattdessen zeigt das Bild einen Clown, der seinen Blick unter ein Bett richtet. Diese Handlung lässt sich mit dem Verb suchen bezeichnen. 550 3 Auswertung und Ergebnisse Kira nimmt eine Komprimierung des Inhalts vor, indem sie Details auslässt, die die Bilderbuchgeschichte enthält (Fall C). Dazu gehören die Angabe von Gründen für durchgeführte Handlungen, das Nennen von Emotionen sowie das Nennen genauerer Orts- und Zeitangaben. Zudem lässt sich Fall D, die Wahl eines exemplarischen Elements aus mehreren äquivalenten Elementen, an Kiras Textproduktion beobachten: Aus drei Ele‐ menten, die zur Suche des Protagonisten nach seinem Drachen gehören, wählt sie eines aus. Dieses Element ist im Bild dargestellt, während die anderen beiden nicht abgebildet sind. Kira, Muriel und Ben lassen komplette Handlungen aus (Fall E): Kira ver‐ zichtet auf das Nennen von vier Handlungen des bzw. der Protagonisten. Alle diese Handlungen sind nicht im Bild dargestellt. Muriel spart den Traum der kleinen Elfe am Geschichtenende aus, der das Erlebte resümiert. Gleiches gilt für Ben, der die Handlung des Zubettgehens überspringt und sich stattdessen gleich der für das Buch relevanten und zentralen Handlung widmet, die aus dem Wahrnehmen von Geräuschen, Angstbekommen und Wegrennen besteht. Ben, Nicole, Kira, Muriel und Ida lassen Inhalte aus, die im Bilderbuchtext in Form von direkter Rede vorliegen (Fall F). Ben verzichtet auf die Darstellung von Handlungen der Figuren inklusive Dialoge zwischen Figuren, die ebenfalls nicht relevant für das Verständnis der Geschichte sind. Auch er nimmt dadurch eine Komprimierung vor. Zudem verzichtet Ben im Vergleich zum Bilderbuchtext auf die Wiedergabe für das Verständnis der Ausgangssituation irrelevanter Ge‐ danken des Frosches in Form von direkter Rede. Zudem lässt er die im Bilderbuch auf das Lachen der Tiere erfolgende direkte Rede, die eine Erklärung für das Lachen liefert, aus. Ähnliches lässt sich bei Nicoles Textproduktion beobachten: Sie lässt für das Verständnis der Geschichte irrelevante direkte Rede weg. Kira verzichtet bei ihrer Textproduktion fast komplett auf direkte Rede. Auch Muriel lässt am Ende ihrer Geschichte die direkte Rede des Nachtfalterprinzen aus, der der Elfe einen „Gute-Nacht-Wunsch“ überbringt. In Idas Text bleiben der Jubel der Kaninchen („‚He Duda, du bist ein Held‘, riefen sie“ (Blake/ Scheffler 2017, 12. DS).) und He Dudas Verwunderung über die Bezeichnung Held („‚Ich dachte, ich wäre ein Kaninchen.‘“ (Ebd., 11. DS)) unerwähnt. Diese Aussagen bauen auf die in Idas Geschichte nicht enthaltenen Erkenntnis des Protagonisten auf, was für ein Tier er ist. Zudem enthält Idas Text nicht die sich wiederholende Aussage des Wiesels „Nein, mein Freund“ (Blake/ Scheffler 2017, 8. DS, 9. DS, 9. DS). Es kann festgestellt werden, dass alle sieben Kinder inhaltliche Elemente aus dem Bilderbuchtext auslassen, die zum Verständnis der Handlung der Geschichte irrelevant sind. Somit lassen sich Tendenzen zur Komprimierung des Inhalts feststellen: Diese werden realisiert durch das Auslassen einzelner Hand‐ 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 551 lungsschritte, genaueren Beschreibungen und Erläuterungen sowie den Verzicht auf direkte Rede. Teilweise werden von einigen Kindern Informationen aus dem Bilderbuchtext weggelassen, die bewirken, dass die „vorgelesene“ Geschichte Leerstellen (Kate‐ gorie 2) enthält. Hier kann zwischen vier Fällen unterschieden werden: Auslassen von für das Verständnis der Geschichte relevanter direkter Rede (Fall A), Auslassen von für das Verständnis der Geschichte relevanter Erzählerrede (Fall B), Leerstellen, die sich mit Hilfe der Abbildung schließen - Bild und Text erzählen die Geschichte gemeinsam (Fall C), und Geschichte an einer anderen Stelle beginnen (Fall D). Kira und Ida lassen direkte Rede aus, die für das Verständnis der Geschichte nicht relevant ist (Fall A): So erfährt der Protagonist in Idas Geschichte zum Bilderbuch He Duda nicht, was für ein Tier er ist, obwohl er im Laufe der Geschichte darüber nachdenkt. Im Bilderbuch stellt dies die zentrale Frage dar, die im Laufe der Geschichte beantwortet wird. Die Information, dass es sich bei „Lange Luda“ (Blake/ Scheffler 2017) um ein Wiesel handelt, ist im Bilderbuch‐ text in Form von direkter Rede enthalten, während in Idas Text das Langtier nicht als Wiesel bezeichnet wird. Kira nennt weder die Information, warum der Drache Zick-Zack gerne Kunststücke aufführen möchte (Langeweile) noch das Verbot von Clown Beppo. Diese inhaltlichen Elemente sind der Grund für das Verschwinden des Drachens und die darauffolgende Suche von Clown Beppo nach ihm. Jan lässt in seiner Textproduktion für das Verständnis der Geschichte relevante Erzählerrede aus (Fall B), indem er die titelgebende Aktion „Apfelsaft holen“ in seinem Text nicht erwähnt, obwohl diese auf den von ihm ausgewählten Bilderbuchseiten auf der Textebene thematisiert wird. Die Texte von Nicole, Muriel, Jan, Ida, Kira und Ben enthalten Leerstellen, die nur mit Blick auf die zugehörigen Bilder des Bilderbuches geschlossen werden können, wodurch Bild und Text die Narration gemeinsam erzählen (Fall C). So geht aus Nicoles Textproduktion nicht hervor, wozu die Hauptfigur Torro Kisten benötigt. Das zugehörige Bild zeigt Torro auf dem Boden liegend zwischen Kisten. Wissend um die Vorgeschichte und unter Einbezug dieses Bildes könnte die Leerstelle von der Leserschaft interpretativ geschlossen werden. In Muriels Text ist es an einer Stelle notwendig, das Bild zum Text heranzuziehen, um zu wissen, wem die Figurenrede zuzuordnen ist, da Muriel an dieser Stelle keine Begleitsätze zur direkten Rede nutzt. Hier erzählen Bild und Text die Geschichte gemeinsam. Im Bilderbuchtext hingegen lässt sich aus dem Text selbst die Infor‐ mation entnehmen, wann die kleine Elfe und wann die Fuchsmutter spricht. An einer weiteren Stelle lässt sich nur mit Blick auf das zugehörige Bild erkennen, 552 3 Auswertung und Ergebnisse dass die kleine Elfe am Ende der Geschichte im Bett liegt. Im Vergleich zum Bilderbuchtext fehlt in Muriels Text die Information, dass der Prinz sie ins Bett legt. Mit Hilfe des Bildes, das die kleine Elfe liegend in einem Bett zeigt, lässt sich diese Leerstelle jedoch schließen. In Jans „Teilgeschichte“ wird nur mit Hilfe der Bilder klar, auf welche Figuren sich die von Jan verwendeten Personalpronomen er und sie beziehen. Auf das Nennen von Namen oder anderen Bezeichnungen für die handelnden Figuren verzichtet Jan im Gegensatz zum Bilderbuchtext. Aus Idas Text geht im Gegensatz zum Bilderbuchtext (direkte Rede) nicht hervor, dass es sich bei dem Langtier um ein Wiesel handelt. Diese Information ist jedoch den zugehörigen Bildern zu entnehmen. Kira lässt in ihrem Text unerwähnt, dass der Drache Zick-Zack in einer Kindergruppe steht, während er Kunststücke vorführt. Die Kinder sind sowohl auf dem zugehörigen Bild als auch im Bilderbuchtext erwähnt worden. Kurz darauf kommen diese Kinder in ihrem Text zu Wort. Mit Hilfe der Bilder kann erschlossen werden, welche Kinder gemeint sind. Leerstellen können auch dadurch entstehen, dass ein Kind die Entscheidung trifft, nur einen Teil des Bilderbuches „vorzulesen“ und die Geschichte an einer anderen Stelle beginnt (Fall D). Dies trifft auf Jan zu, der bewusst eine Stelle im Bilderbuch auswählt, zu der er was besseres sagen kann. Es handelt sich dabei um die Situation, in der der Protagonist auf ein (vermeintli‐ ches) Gespenst trifft und somit um eine Stelle, an der der Protagonist starke Emotionen hat. Dieses Verhalten bzw. diese Strategie kann bei einer anderen Pretend-Reading-Situation aus Durchgang D zum Bilderbuch Freunde (Heine 2004) beobachtet werden. Marcel (M) wählt die Stelle aus, die er nach eigenen Angaben am besten „vorlesen“ kann und „liest“ ab dieser Stelle das Buch bis zur letzten Doppelseite „vor“. M: weißt du was ich am gutesten [.] machen kann [? ] E: [2] was denn [? ] M: [5] [M räuspert sich, blättert zur Mitte des Buches] [.] (ta [.] da.) [.] und da essen sie körschen [3] eine f/ eine körsche für (johnny) mausa […] Ein zentrales Element für das Auslassen oder Nicht-Auslassen inhaltlicher Elemente aus dem Bilderbuchtext scheinen die Bilder des Bilderbuches zu sein. Mehrfach werden inhaltliche Elemente ausgelassen, die in direkter Rede dargestellt werden. Direkte Rede ist im Bild nicht erkennbar. 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 553 Überlegungen zu Poetischem in Kindertexten Um Hinweise auf die Frage zu finden, welchen Einfluss poetischer Sprachge‐ brauch auf die Übernahme und den Gebrauch sprachlicher Muster bei der Textproduktion der Kinder hat, erfolgt eine Gegenüberstellung des Gebrauchs von rhetorischen Mitteln bzw. Stilmitteln in Kindertext und Bilderbuchtext. Hierbei sind drei Fragen leitend: • Welche rhetorischen Mittel sind im Kindertext zu finden? • (Wie) wird der mit Hilfe des rhetorischen Mittels transportierte Inhalt im Bilderbuchtext zum Ausdruck gebracht? • Wie wird der mit Hilfe eines rhetorischen Mittels transportierte Inhalt des Bilderbuches im Kindertext zum Ausdruck gebracht? Rhetorische Mittel des Bilderbuches, mit denen Inhalte zum Ausdruck gebracht werden, die der jeweilige Kindertext nicht enthält, werden nicht berücksichtigt. Der Gebrauch rhetorischer Mittel lässt sich anhand der sieben Textproduktionen folgendermaßen klassifizieren: 1. Das rhetorische Mittel ist nur im Kindertext enthalten. a. Der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt ist im Bilderbuch enthalten. b. Der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt ist im Bilderbuch nicht enthalten. 2. Das rhetorische Mittel ist sowohl im Kindertext als auch im Bilderbuchtext enthalten. a. In beiden Texten wird das gleiche rhetorische Mittel und die identische Formulierung verwendet. b. In beiden Texten wird das gleiche rhetorische Mittel, aber unter‐ schiedliche Formulierungen oder unterschiedliches Wortmaterial ver‐ wendet. 3. Das rhetorische Mittel ist nur im Bilderbuch enthalten. a. Der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt ist im Kindertext enthalten und wird ohne den Gebrauch eines rhetorischen Mittels zum Ausdruck gebracht. b. Der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt ist im Kindertext enthalten und wird durch ein anderes rhetorisches Mittel transportiert. Die Zusammenstellung bezieht sich dabei auf folgende rhetorische Mittel: Anapher, Epipher, Wiederholung, Alliteration (Stabreim), Reim, Ellipse und Pa‐ rallelismus. Zusätzlich werden Paarformeln (ohne Wiederholung) in den Blick 554 3 Auswertung und Ergebnisse genommen. Wenn es offensichtlich ist, werden weitere Wirkungen der rhetori‐ schen Mittel (neben der Befriedigung eines poetisch-ästhetischen Bedürfnisses (vgl. dazu Pelz 1996, S. 33)) benannt. Tabellarische Übersichten zu den sechs Fällen (1a, 1b, 2a, 2b, 3a, 3c) sind im digitalen Anhang enthalten (vgl. Tabellen 81 bis 86). Bei Fall 1 ist das rhetorische Mittel nur im Kindertext enthalten. Auffällig bei der Übersicht zu Fall 1a, bei dem der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt im Bilderbuch enthalten ist, ist der hohe Anteil an Anaphern: Bei neun der 19 identifizierten rhetorischen Mittel handelt es sich um dieses rhetorische Mittel. Sieben der neun Anaphern sind dabei auf das strukturelle Muster [„Da“/ „Dann“ + Verb] bezogen. Hierbei handelt es sich um ein strukturelles Muster, das zur Textstrukturierung dient: Es findet eine Darstellung eines zeitlichen Nacheinanders von Handlungen oder Ereignissen statt. Zudem gehören drei der gelisteten rhetorischen Mittel zu der Gruppe der sprachlichen und strukturellen Muster, die in anderen Kontexten des Bilderbuches in dieser oder in einer variierten Form vorhanden sind (Paarformel in Kombination mit dem Verb einschlafen (Muriel) Monster und Gespenster (Ben), Monster und Gespenster (Ben)). Zwei der sieben Kinder verwenden somit Rhetorik zur Darstellung von Inhalten, die im Bilderbuch nicht mit Hilfe von einem rhetorischen Mittel zum Ausdruck gebracht werden, während das rhetorische Mittel jedoch in anderen Kontexten im Bilderbuch zur Darstellung ähnlicher Inhalte verwendet wird. Auch zu Fall 1b, bei welchem der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt nicht im Bilderbuch enthalten ist, gehören Anaphern. Dabei bestehen diese - ähnlich wie die des Falls 1a - aus der Wiederholung der struk‐ turellen Muster [„Da“/ „Dann“ + Verb] in zwei aufeinanderfolgenden Sätzen. Zur Darstellung dieser Inhalte gehört ebenfalls - ähnlich wie zu Fall 1a - einmal die Verwendung eines rhetorischen Mittels (Monster und Gespenster), das in anderen Kontexten im Bilderbuch zur Darstellung ähnlicher Inhalte verwendet wird. Bei Fall 2 ist das rhetorische Mittel sowohl im Kindertext als auch im Bilder‐ buchtext enthalten. Wird in beiden Texten das gleiche rhetorische Mittel und die identische Formulierung verwendet, liegt Fall 2a vor. Im Vergleich zu den übrigen Gruppen kommt es seltener vor, dass ein Kind das gleiche rhetorische Mittel und die identische Formulierung wählt, um einen im Bilderbuch im gleichen Kontext auf die gleiche Weise zum Ausdruck gebrachten Inhalt zu transportieren. Insgesamt ist dies bei vier Kindern zu beobachten, von denen drei Kinder nur einmal davon Gebrauch machen und ein Kind zweimal davon Gebrauch macht. 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 555 Liegt Fall 2b vor, wird in beiden Texten das gleiche rhetorische Mittel verwendet, jedoch werden unterschiedliche Formulierungen bzw. unterschied‐ liches Wortmaterial gebraucht. Aus Tabelle 84 im digitalen Anhang geht hervor, dass zahlreiche rhetorische Mittel von den Kindern sprachlich auf eine andere Weise realisiert werden. Dazu gehört in besonderem Ausmaß der Gebrauch von Anaphern und Wiederholungen. Im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Wiederholungen kann auch von einer Anlehnung an den Stil der Sprache des Bilderbuches gesprochen werden. So wird beispielsweise sowohl in der Geschichte Torro sieht rot als auch in Nicoles Textproduktion ein Satz mit minimaler Änderung wiederholt: So heißt es im Buch „Er hat es vorgestern nicht geschafft. Er hat es gestern nicht geschafft [Hervorh. d. Verfasser]“ (Abedi 2011, 1. DS), während Nicole einen anderen Satz minimal verändert wiederholt: ‚ich geh nach HAUse.‘ [leicht erhöhte Stimme ]‚komm torro, du schaffst das.‘ [3]‚ich geh aber nach hause‘ (1. DS). Bei Fall 3 ist das rhetorische Mittel nur im Bilderbuch vorhanden. Ist der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt auch im Kindertext ent‐ halten, wird jedoch ohne ein rhetorisches Mittel vermittelt, liegt Fall 3a vor (vgl. Tabelle 85 im digitalen Anhang). Insgesamt siebenmal wird in Bilderbuchtexten ein Inhalt mittels einer Alliteration zum Ausdruck gebracht, der im Kindertext ohne den Gebrauch einer solchen transportiert wird. Davon ist die Alliteration sechsmal Bestandteil eines sprachlichen Musters im Bilderbuchtext. Fünf dieser in Bilderbuchtexten verwendeten Alliterationen liegt ein struk‐ turelles Muster der Form [Adjektiv + Nomen] zugrunde: lange Luda (dreimal), das lange Luder, schnabliges Schnabeltier. Einmal wird dabei vom Kind ein anderes Adjektiv und ein anderes Nomen als im Bilderbuch verwendet (Fall 2d): brummeliges nastier (8. DS) anstatt „schnabliges Schnabeltier“ (Blake/ Scheffler 2017, 8. DS). Zweimal wird ein anderes Nomen als im Bilderbuch verwendet (Fall 2b): das lange TIER (5. DS) anstatt „das lange Luder“ (Blake/ Scheffler 2017, 5. DS) und das lange tier (7. DS) anstatt „lange Luda“ (Blake/ Scheffler 2017, 7. DS). In diesen beiden Fällen kann das vom Kind verwendete Muster als Variation des Musters des Bilderbuchtextes beschrieben werden. Dabei wird stets ein ähnlicher Inhalt wie im Bilderbuchtext vermittelt. Einmal wird das Adjektiv und die durch dieses Wort transportierte Informa‐ tion weggelassen (Fall 1): das tier (10. DS) anstatt „lange Luda“ (Blake/ Scheffler 2017, 10. DS). Das Kind verwendet im Gegensatz zum Bilderbuch kein (aus mindestens zwei Wörtern bestehendes) sprachliches Muster, sondern transportiert einen Teil des Inhalts aus dem Bilderbuch mit Hilfe eines Nomens. Dieser Teilinhalt ist zum Verständnis der Aussage ausreichend. Einmal wird vom Kind ein Kompositum, bestehend aus dem Adjektiv und einem anderen 556 3 Auswertung und Ergebnisse Nomen, gebildet (Fall 1): das langtier (6. DS) anstatt „lange Luda“ (Blake/ Scheffler 2017, 6. DS). Das Kind verwendet kein (aus mindestens zwei Wörtern bestehendes) sprachliches Muster und transportiert einen ähnlichen Inhalt wie im Bilderbuch, indem es ein Wortbildungsmuster (Stein/ Stumpf 2019) gebraucht (vgl. Exkurs: Komposita). Einmal verwendet ein Kind anstelle der eine Alliteration enthaltenen Formulierung nachts nie schlafen, die Formulierung nachts auf einem Ast hocken, durch die eine ähnliche Aussage transportiert wird. Dieses sprachliche Muster kann somit als Variation des zuerst genannten sprachlichen Musters (Typ „Ersetzen“) bezeichnet werden. Der von den Kindern ohne den Gebrauch einer Alliteration vermittelte Inhalt ist stets ähnlich bzw. erfüllt die gleiche Funktion wie der des Bilderbuches. Bei vier der sechs Beispiele verwendet das Kind wie im Bilderbuch ein sprachliches Muster bestehend aus (mindestens) zwei Wörtern. In den anderen zwei Fällen greift das Kind jeweils auf ein einzelnes Wort zurück. Ist der durch das rhetorische Mittel zum Ausdruck gebrachte Inhalt im Kin‐ dertext enthalten und wird durch ein anderes rhetorisches Mittel transportiert, liegt Fall 3b vor. Dreimal lässt sich beobachten, dass ein Kind einen Inhalt, der im Bilderbuch durch ein rhetorisches Mittel zum Ausdruck gebracht wurde, durch ein vom Bilderbuch abweichendes rhetorisches Mittel vermittelt wird. Tabelle 87 (digitaler Anhang) zeigt überblicksartig, wie häufig die unterschiedlichen Gruppen dem Gebrauch/ Nicht-Gebrauch rhetorischer Mittel in den sieben Textproduktionen zugeordnet werden können. So kann 20-mal (höchstes Vorkommen) beobachtet werden, dass im Bilderbuchtext und im Kindertext im gleichen Kontext das gleiche rhetorische Mittel enthalten ist, jedoch vom Kind sprachlich auf eine andere Art und Weise realisiert wurde. 19-mal (zweit‐ höchstes Vorkommen) wurde vom Kind ein rhetorisches Mittel verwendet, um einen Inhalt zum Ausdruck zu bringen, der im Bilderbuchtext nicht enthalten ist. 15-mal (dritthöchstes Vorkommen) brachte ein Kind einen Inhalt ohne Rückgriff auf ein rhetorisches Mittel zum Ausdruck, der im Bilderbuchtext durch den Gebrauch eines rhetorischen Mittels vermittelt wurde. Lediglich fünfmal (zweitniedrigstes Vorkommen) lässt sich beobachten, dass ein Kind im gleichen Kontext das gleiche rhetorische Mittel und die gleiche Formulierung wie im Bilderbuchtext wählt. An diesen Beobachtungen wird erneut deutlich, dass sich die Textproduktionen der Kinder hinsichtlich der sprachlichen Gestaltung mehrfach von der der zugehörigen Bilderbuchtexte unterscheiden. Hinweise auf die Übernahme rhetorischer Mittel aus dem Bilderbuchtext lassen sich nur wenige finden. Hin‐ gegen gibt es in größerem Maße Hinweise darauf, dass das Vorhandensein rhe‐ torischer Mittel im Bilderbuchtext (bzw. ein durch poetischen Sprachgebrauch 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 557 geprägter Stil) den Gebrauch rhetorischer Mittel in den Textproduktionen der Kinder scheinbar herausfordern kann. Neben den bereits aufgelisteten rhetorischen Mitteln und dem Gebrauch von Paarformeln soll auch die Wortneuschöpfung bzw. der Neologismus als poetisches Element betrachtet werden. Neologismen sind in den sieben Textproduktionen nur vereinzelt zu finden - und zwar in zwei der sieben Kindertexte (vgl. dazu Tabelle 88 im digitalen Anhang). Zu den identifizierten Neologismen gehören Nomen und Verben. Die drei Beispiele lassen sich zwei Gruppen zuordnen: Komprimierte Darstellung eines Inhalts mittels eines Neologismus (Gruppe 1) und Neologismus als Bestandteil einer Variation eines strukturellen Musters des Bilderbuches (Gruppe 2). Ida (Gruppe 1) bildet gemäß eines Wortbildungsmusters, das auch anderen Tierbezeichnungen (Koalabär, Stachelschwein) des Bilderbuchtextes zugrunde liegt, den Neologismus Langtier. Das Adjektiv lang bezeichnet dabei eine Eigenschaft des Wiesels, das mit einem langen Körper abgebildet ist. Mit Hilfe des Neologismus bringt sie einen ähnlichen Inhalt zum Ausdruck, der im Bilderbuchtext mit Hilfe des sprachlichen Musters lange Luda vermittelt wird. Er unterscheidet sich darin von dem des Bilderbuchtextes, dass Ida auf die Tierart (Langtier) Bezug nimmt, während im Bilderbuchtext lange Luda der Name des Tieres ist. Durch die Bildung des Kompositums scheint Ida im Sinne der Sprachökonomie zu handeln, indem sie ein Wort anstatt zwei Wörter wählt. Nicole (Gruppe 1) bildet den Neologismus wegkichern. Im Gegensatz zu Ida bringt sie damit einen Inhalt zum Ausdruck, der im Bilderbuchtext nicht enthalten ist. Sie orientiert sich bei der Bildung ebenfalls an einem Wortbildungsmuster. Die Bedeutung von wegkichern kann als komprimierte Darstellung des folgenden Inhalts interpretiert werden: weggehen und dabei kichern. Somit scheint auch Nicole im Sinne der Sprachökonomie zu handeln und bringt mit Hilfe eines einzelnen Wortes den gleichen Inhalt zum Ausdruck, der herkömmlich mit Hilfe von mehreren Wörtern transportiert wird. Das dritte Beispiel (Ida) (Gruppe 2) unterscheidet sich von den ersten beiden: Hier bildet Ida ein Kompositum analog zum Kompositum des Bilderbuchtes: Nastier anstatt Schnabeltier. Auch hier orientiert sich das Kind am Wortbildungs‐ muster, das dem Kompositum des Bilderbuches zugrunde liegt. Inhaltlich wird mit dem Neologismus ein ähnlicher Inhalt transportiert wie im Bilderbuch. Auch wird der Neologismus analog zur sprachlichen Darstellung des Bilderbuches in ein strukturelles Muster der Form [Adjektiv + Nomen] eingebettet. Im Gegensatz zu den Beispielen der Gruppe 1 findet keine komprimierte Darstellung des Inhalts statt. 558 3 Auswertung und Ergebnisse 173 Carle, Eric (2018 45 ): Die kleine Raupe Nimmersatt. Hildesheim: Gerstenberg. Ergänzende Beobachtungen aus weiteren Durchgängen sind Tabelle 89 (di‐ gitaler Anhang) zu entnehmen. Die zwei dort aufgelisteten Beispiele lassen sich ebenfalls Gruppe 1 zuordnen. Im Bilderbuch Die kleine Raupe Nimmersatt  173 wird die Tatsache, dass das Ei aufbricht, bevor die kleine Raupe schlüpft, durch das Onomatopoetikum knack zum Ausdruck gebracht. Das Kind thematisiert den Vorgang des Aufbrechens des Eies zusätzlich auf eine andere Art: Es verwendet das Verb aufknacken. Dieses dient dazu, eine komprimierte Darstellung des folgenden Vorgangs zu liefern: Etwas bricht auf, wobei ein hörbarer „Knack“-Laut entsteht. Zwar handelt es sich bei dem Verb aufknacken an sich nicht um einen Neologismus. Da dieses Verb jedoch in der deutschen Sprache in anderen Kontexten und auf eine andere Weise verwendet wird (etwas aufknacken anstatt etwas knackt auf) und in diesen Kontexten eine andere Bedeutung hat, wird es im Verwendungskontext des Kindes als Neologismus bezeichnet. Im Bilderbuch Bärtram. Alles wieder gut wird eine Tasse wie folgt beschrieben: „Sie ist aus hauchdünnem Porzellan […]“ (McGee/ Biscoe 2010, 11. DS). Es wird somit Gebrauch gemacht von einem zusammengesetzten Adjektiv, das ein Nomen näher beschreibt ([Adjektiv + Nomen]). Das Kind verwendet zur Beschreibung das zusammengesetzte Nomen Hauchmetall und bringt damit einen ähnlichen Inhalt zum Ausdruck. Dem Neologismus liegt auch hier ein Wortbildungsmuster zugrunde. Dem vom Kind gebildeten Nomen liegt das gleiche Muster zugrunde wie im Bilderbuchtext dem Adjektiv: [„Hauch“ + Wort]. Im Zusammenhang mit der Bildung von Neologismen spielen Komposita eine entscheidende Rolle. Der folgende Exkurs richtet sich auf die Bildung von Komposita, die nicht als Neologismen bezeichnet werden können. Exkurs: Komposita Der vorliegenden Arbeit liegt ein Musterbegriff zugrunde, der sich auf Muster bezieht, die mindestens aus zwei Wörtern bestehen (vgl. I.5.7). Stein und Stumpf (2019) schließen hingegen in ihren Musterbegriff auch Musterhaftigkeit auf der Wortebene mit ein. Tabelle 90 (digitaler Anhang) bezieht sich auf weitere von Kindern (Muriel, Kira, Ida) verwendete Komposita mit Blick auf im jeweiligen Bilderbuchtext enthaltene ähnliche Komposita. Wie im Rahmen der Studie gezeigt werden konnte, dass Formulierungen in den Textproduktionen der Kinder als Variationen sprachlicher und struktu‐ reller Muster des Bilderbuchtextes beschrieben werden können, deuten die im 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 559 Folgenden beschriebenen Beobachtungen zum Gebrauch von Komposita darauf hin, dass in den Textproduktionen der Kinder auch Variationen von Mustern auf der Wortebene vorzuliegen scheinen. Muriel verwendet zweimal ein Kompositum der Form [„Elfen“ + Nomen] ([Nomen 1 + Nomen 2]). Im Bilderbuchtext ist kein Kompositum mit dem Nomen Elfe enthalten, wohl aber das Nomen Elfe. Der von Muriel einmal als Elfenbett und einmal als Bett bezeichnete Schlafplatz der kleinen Elfe Flirr wird im Bilderbuch teilweise als Bett, teilweise aber auch als Blütenbett bezeichnet. Bei der zweiten Formulierung handelt es sich ebenfalls um ein Kompositum der Form [Nomen 1 + Nomen 2]. Der von Muriel als Elfenprinz benannte Prinz wird im Bilderbuchtext im gleichen Kontext als Nachtfalterprinz bezeichnet. Muriels Formulierung kann sowohl als Variation eines Musters auf Wortebene (Typ „Ersetzen“) bezeichnet werden - und zwar des Musters [„Nachtfalter“ + „Prinz“] - als auch als Formulierung, der das im Bilderbuchtext enthaltene Muster [Nomen + „Prinz“] zugrunde liegt. An anderer Stelle verwendet Muriel das Kompositum Zwergenprinz, das sie kurz darauf durch das Kompositum Falterprinz ersetzt (Überarbeitung), um auf die Figur des Prinzen zu referieren. Der Formulierung Zwergenprinz liegt das bereits erwähnte Muster [Nomen + „Prinz“] zugrunde, das im Bilderbuchtext nicht enthalten ist. Allerdings weist der Bilderbuchtext Formulierungen auf, die nach dem Muster [„Zwergen“ + Nomen] gebildet sind, das ebenfalls Muriels Formulierung zugrunde liegt: Zwergenpapa und Zwergenwohnung. Das bereits erwähnte Kompositum Falterprinz lässt sich als Variation des im Bilderbuchtext im gleichen Kontext enthaltenen Musters [„Nachtfalter“ + „Prinz“] (Typ „Weg‐ lassen“) beschreiben. Zudem verwendet Muriel ein zweites Kompositum, das sie gemäß dem Muster [„Zwergen“ + Nomen] gebildet hat: Sie spricht von einem Zwergenhäus‐ chen in Kombination mit dem Adjektiv klein, während im Bilderbuchtext das Kompositum Zwergenwohnung verwendet wird. Zweimal ist zu beobachten, dass Muriel anstatt des strukturellen Musters [Adjektiv + Nomen], das im Bilderbuch im entsprechenden Kontext enthalten ist, ein Kompositum bildet. Erstens verwendet sie anstatt der Formulierung funkelnder Sand das Kompo‐ situm Schlafsand, das zusätzlich eine Information zur Funktion über den Sand des Sandmännchens transportiert: das Eintreten des Schlafes. Dass der Sand funkelt, ist im Kompositum jedoch nicht enthalten. Zweitens verwendet Muriel das Kompositum Sandmännchen, während im Bilderbuch in diesem Kontext von einem kleinen Männlein die Rede ist. Das Kompositum Sandmännchen wird im Bilderbuch in zwei anderen Kontexten verwendet. An diesen beiden Stellen ist eine Komprimierung der sprachlichen Form zu erkennen: Anstatt 560 3 Auswertung und Ergebnisse eines sprachlichen Musters, das gemäß der Definition der vorliegenden Studie aus mindestens zwei Wörtern besteht, wählt sie ein einziges Wort, um einen ähnlichen Inhalt zu transportieren. Diese Tendenz zur Komprimierung der sprachlichen Form wurde bereits an Idas Neologismus Langtier deutlich, den sie in dem Kontext verwendet, in dem im Bilderbuch das sprachliche Muster lange Luda vorkommt. Zu der Textproduktion von Kira lassen sich ähnliche Beobachtungen wie zu Muriels Text machen. Kira verwendet dreimal ein Kompositum der Form [„Zirkus“ + Nomen], während im Bilderbuchtext in allen drei Kontexten le‐ diglich eines der beiden Nomen verwendet wird. Das Nomen Zirkus ist im Bilderbuch mehrfach enthalten. Ebenfalls weist der Bilderbuchtext ein Kompo‐ situm der Form [„Zirkus“ + Nomen] mehrfach in anderen Kontexten mit einem anderen Nomen (Zirkuswagen) auf. Ida bildet das Kompositum Wuschelbär und findet damit eine Tierbezeich‐ nung für ein Lebewesen, das im Bilderbuch als Dachs bezeichnet wird. Sie macht dabei Gebrauch vom Muster [X + „Bär“]. Dieses liegt dem im Bilderbuch enthaltenen Kompositum Koalabär zugrunde. Weiter gefasst lässt sich das Muster auch als [X + „Tierart“] bezeichnen, welches auch dem im Bilderbuch enthaltenen Kompositum Stachelschwein zugrunde liegt. Kohärenz Zunächst wird zusammenfassend dargestellt, mit welchen Mitteln die Kinder Kohärenz herstellen. Zur Herstellung von grammatischer Kohärenz (Kohäsion) werden von den sieben Kindern verschiedene Kohäsionsmittel gewählt. Dabei werden einige Mittel von allen sieben Kindern genutzt. Alle sieben Kinder greifen auf Pro-Formen (Pronomina, Adverbien, Pronominaladverbien, Demon‐ strativpronomen) zurück. So nutzen alle Kinder Personalpronomen, die sich auf ein vorangegangenes Nomen beziehen. Gebrauch von Temporaladverbien machen ebenfalls alle sieben Kinder. Während Ida dabei mehrfach auf das Tem‐ poraladverb da zurückgreift und Mia das Temporaladverb denn (als regionale Variante des Adverbs dann) gebraucht, machen Jan, Kira, Muriel und Ben von beiden Temporaladverbien da und dann Gebrauch. Mindestens ein Demonstra‐ tivpronomen zur Herstellung von Kohäsion nutzt Mia. Muriel verwendet des Weiteren das Kausaladverb also und das Relativadverb wo zur Herstellung von Kohäsion. Ein weiteres Kohäsionsmittel, das Kinder nutzen, ist der Gebrauch von Konnektiven. Als Bindeglieder verwenden mehrere Kinder Konjunktionen. Alle sieben Kinder machen Gebrauch von der Konjunktion und. Die Konjunktion 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 561 dass verwenden Mia, Muriel, Ida und Kira. Jan und Ben machen von dieser Konjunktion keinen Gebrauch, während Nicole die Konjunktion sodass nutzt. Die Konjunktion aber nutzen Ben, Ida und Nicole. Temporale Konjunktionen verwendet Mia. Die folgenden drei Mittel zur Herstellung von Kohäsion werden in den sieben Textproduktionen nur vereinzelt genutzt. Vom elliptischen Anschluss machen Nicole und Ida Gebrauch. Kohäsion wird in Mias, Kiras, Muriels und Jans Textproduktionen auch durch die größtenteils durchgängige Verwendung des Präteritums (Tempuskontinuität) in der Erzählerrede erzeugt (Tempus). Rekurrenz als Kohäsionsmittel nutzt Mia. Kohäsionsmittel, die in den Textproduktionen der sieben Kinder am häu‐ figsten vorkommen, sind der Gebrauch von Personalpronomen, die sich auf vorangegangene Nomina beziehen (Pro-Formen), der Gebrauch der Temporalad‐ verbien dann und da (Pro-Formen) sowie der Gebrauch der Konjunktion und (Konnektive). Leserorientierung Mit Blick auf das Beschreibungsinstrument zur Leserorientierung lässt sich bei allen sieben Textproduktionen eine Leserorientierung feststellen - und zwar in unterschiedlichen Ausprägungen. So greifen die Kinder in unterschiedlichem Maße auf verschiedene Mittel zurück, um Aspekte in ihrem Text hervorzuheben. An lexikalischen bzw. syntaktischen Mitteln (Gruppe 1) weisen alle Kindertexte den Gebrauch rhetorischer Mittel (Gruppe 1a) auf. Jedes Kind verwendet min‐ destens einmal ein rhetorisches Mittel funktional. Irrelevant dabei ist, ob der Gebrauch intendiert ist oder nicht. Mit Hilfe des rhetorischen Mittels der Wieder‐ holung werden Aspekte in Muriels Textproduktion hervorgehoben. Diese nutzt sie in Kombination mit einer Paarformel sowie einer Variation einer Paarformel. Auch Mia verwendet das rhetorische Mittel der Wiederholung funktional. Ben verwendet eine Paarformel, die gleichzeitig einen Reim beinhaltet. Auch Nicole nutzt eine Paarformel, die sie mehrfach wiederholt. Der Einsatz ist funktional. Durch den Gebrauch einer Anapher hebt Ida in ihrem Text Aspekte hervor. Auch Kira setzt eine Anapher funktional ein. Jan macht Gebrauch von einer Alliteration. Die Textproduktionen von Muriel, Ida, Nicole und Mia weisen als weitere lexikalische bzw. syntaktische Mittel Verstärkungen von Bedeutungen durch den Gebrauch der Intensitätspartikel „so“ und „ganz“ und des Adjektivs „ganz“ (Gruppe 1b) auf. Diese vier Kinder verwenden die Intensitätspartikel so und/ oder ganz und/ oder das Adjektiv ganz zur Verstärkung. 562 3 Auswertung und Ergebnisse An verbalen Mitteln, die durch Intonation zum Ausdruck gebracht werden (Gruppe 2) lässt sich in allen Textproduktionen die Hervorhebung von einzelnen Wörtern oder Wortgruppen (in Figuren- oder Erzählerrede) (Gruppe 2a) identifi‐ zieren. Ben, Mia, Ida und Nicole heben bestimmte Wörter und/ oder Formulie‐ rungen durch eine besondere Intonation hervor - und zwar sowohl in direkter Rede als auch in Erzählerrede. Muriel betont nur bestimmte Ausdrücke in der Figurenrede. Jan wählt eine tiefere Tonlage, als er von einem Gespenst spricht und betont es dadurch. Bei ihm kommt Betonung bestimmter Wörter nur in der Erzählerrede vor, wobei sein Text keine Figurenrede enthält. Auch Kira betont ausschließlich Ausdrücke in der Erzählerrede, wobei anzumerken ist, dass auch ihr Text nur einen geringen Teil an Figurenrede aufweist. In den meisten Fällen werden von den Kindern sprachliche Hervorhebungen passend zum Inhalt gewählt. Lediglich in Kiras Text ist beim Großteil der Betonungen keine Passung zwischen Betonung und Inhalt zu erkennen. Alle sieben Kinder akzentuieren bestimmte Wörter oder Formulierungen ihrer Textproduktion durch eine besondere Betonung (Aussprache). Variation von Tonlage, Lautstärke und Lesetempo (Gruppe 2b) weisen die Textproduktionen von Mia und Jan auf. Mia „liest“ einen Liedtext, der den Tanz der Figuren beschreibt, passend zum Inhalt singend „vor“. Jan spricht leicht singend mit erhöhtem Tempo, als er zum letzten Satz der Geschichte gelangt, was ebenfalls zum dargestellten Inhalt passt. Unterschiedliche Figurenstimmen (Isler et al. 2018) (Gruppe 2c) wählen Muriel und Nicole. Sie gestalten ihre Textproduktion teilweise dadurch, dass sie ihre Stimme verstellen, wenn sie direkte Rede verschiedener Figuren „vorlesen“. Diese ist entweder an die Gefühlslage der sprechenden Figur angepasst oder an die Figur in ihrer Eigenart an sich. An nonverbalen Mitteln (Mimik und Gestik) (Gruppe 3) lässt sich Blickkontakt zur Zuhörerin oder zum Zuhörer während des „Vorlesens“ (Gruppe 3a) in den Pretend-Reading-Situationen mit Ida, Muriel und Nicole beobachten. Ida nimmt während des „Vorlesens“ mehrmals Blickkontakt zur Zuhörerin oder dem Zuhörer auf und lächelt sie oder ihn an. Einmal nimmt Muriel Blickkontakt zur zuhörenden Person auf, während Nicole einmal Blickkontakt zu ihrer sich im Raum befindenden Mutter aufnimmt und lächelt. Vier der sieben Kinder richten ihren Blick während des „Vorlesens“ jedoch nicht auf die zuhörende Person. Das „Vorlesen“ begleitendes Zeigen auf Bilder im Bilderbuch (Gruppe 3b) lässt sich nur bei Ida beobachten, die während des eigenen „Vorlesens“ mit dem Finger auf bestimmte Bilder des Bilderbuches deutet. Das „Vorlesen“ begleitende Mimik (Gruppe 3c) setzt Mia ein: Sie nutzt in einer Textpassage besondere Mimik, die passend zum Inhalt gewählt ist. 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 563 Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass sich Leserorientierung bei den analysierten sieben Pretend-Reading-Situationen am häufigsten durch Hervor‐ hebung einzelner Wörter oder Wortgruppen durch Intonation sowie durch den Gebrauch rhetorischer Mittel zeigt. Überarbeitungen Die vorgenommenen Überarbeitungen der Vorschulkinder geben zum einen Aufschluss darüber, dass die mündlichen Textproduktionsprozesse - wie ange‐ nommen (vgl. I.3.2 zu Text, Textkompetenz und Textproduktion) - bereits ein bedeutsames Merkmal des Schreibprozesses, nämlich die mit ihm verwobenen Überarbeitungsprozesse beinhalten. Zum anderen lassen sie Rückschlüsse auf mögliche Bestrebungen der Kinder bei der Textproduktion zu. Es kann zwischen verschiedenen Arten von Überarbeitungen unterschieden werden. Zunächst können sowohl inhaltliche als auch sprachliche Überarbei‐ tungen identifiziert werden. Auffällig dabei ist, dass sich diese Überarbeitungen mehrfach als Annährung an die sprachliche Form des Bilderbuches bzw. als Annährung an den Inhalt des Bilderbuches interpretieren lassen. So gibt diese Art von Überarbeitungen mögliche Hinweise auf das Bestreben der Kinder, den Inhalt des Bilderbuches möglichst genau wiederzugeben bzw. möglichst die gleiche Formulierung zu wählen wie im Bilderbuch, was die unter Kapitel I.6 zum impliziten Wissen und Lernen formulierte Annahme stützt: Die Schreibidee, die sowohl die inhaltliche Idee als „auch eine Vorstellung von der Form“ (Dehn/ Schüler 2010, S.-25) meint, scheint relativ nah am Bilderbuchtext zu sein. Neben dieser zentralen Beobachtung kann hinsichtlich inhaltlicher Überar‐ beitungen zudem die Passung von Bild und Text festgestellt werden. Dabei wird deutlich, welchen Einfluss das Medium Bilderbuch auf die Textproduktion hat. Diese Beobachtung hebt erneut die stützende Funktion der Bilder für die Text‐ produktion hervor. Inhaltliche Überarbeitungen, die den Verstehensprozess für den Leser erleichtern, können als Hinweis auf eine vorhandene Leserorientierung gedeutet werden. Bei sprachlichen Überarbeitungen kann aufgrund der Beobachtungen anhand der sieben Textproduktionen zwischen grammatischen Überarbeitungen und stilistischen Überarbeitungen unterschieden werden. An dieser Stelle ist die Unterscheidung zwischen Sprachrichtigkeit und Sprachangemessenheit, auf die Merklinger beim diktierenden Schreiben zurückgreift (vgl. Merklinger 2012, S. 62ff.), hilfreich: Dabei betrifft der Bereich der Sprachangemessenheit „das Kontinuum von konzeptioneller Mündlichkeit und Schriftlichkeit“ (Merklinger 2012, S. 64). So beziehen sich beim Pretend Reading die grammatischen Überar‐ 564 3 Auswertung und Ergebnisse beitungen auf die Sprachrichtigkeit, während stilistische Überarbeitungen zum Großteil als Annäherung an konzeptionelle Schriftlichkeit verstanden werden können (z. B. hinsichtlich des Tempus, der Syntax). Auch diese Überarbeitungen lassen sich als Hinweise auf ein vorhandenes implizites Textwissen hinsichtlich konzeptioneller Schriftlichkeit und der Be‐ deutsamkeit der Leserrolle deuten. Zusammenfassung der Beobachtungen und Zusammenstellung der Hypothesen Um abschließend festzuhalten, welches praktische Können sich im Hinblick auf monologische Textproduktion durch Pretend-Reading-Situationen bei den sieben Kindern herausfordern lässt (Forschungsfrage 1), werden nun die fol‐ genden der Studie zugrundeliegenden Forschungsfragen zusammenfassend beantwortet. So wird in einem ersten Schritt dargestellt, wie die sieben Vor‐ schulkinder einen Text organisieren bzw. ob und wie ihnen eine monologische Textproduktion gelingt (Forschungsfrage 1.1). In einem zweiten Schritt wird zusammengetragen, welche Bezüge zwischen der sprachlichen Gestaltung des Kindertextes und der des zuvor vorgelesenen Bilderbuches zu erkennen sind (Forschungsfrage 1.2). Hypothesen werden jeweils an entsprechender Stelle formuliert. Zur Beantwortung der Frage, wie Vorschulkinder einen Text organisieren bzw. ob und wie ihnen eine monologische Textproduktion gelingt, wird zunächst auf die Frage eingegangen, mit welchen Mitteln Kohärenz hergestellt wird. Zudem wird zusammengetragen, ob und wie die Kinder die Leserin oder den Leser bei der Textproduktion in den Blick nehmen. Anschließend wird zusammengestellt, was die Anker sind, die die Textproduktion stützen. Dies leitet zu der Frage über, ob sich Musterhaftigkeit in den Textproduktionen zeigt und welche Funktionen die verwendeten Muster erfüllen. Anschließend wird die Frage beantwortet, inwieweit sich konzeptionelle Schriftlichkeit im Tempusgebrauch, im Gebrauch hypotaktischer Satzkonstruktionen und in der Wahl schriftsprachlicher Formu‐ lierungen in den Textproduktionen der Kinder zeigt. Kohäsionsmittel, die in den analysierten Texten am häufigsten vorkommen, sind der Gebrauch von Personalpronomen, die sich auf vorangegangene Nomina beziehen, der Gebrauch der Temporaladverbien dann und da und der Gebrauch der Konjunktion und. Das Medium Bilderbuch bringt eine Besonderheit beim Herstellen von Kohärenz mit: Text und Bild können die Geschichte gemeinsam 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 565 erzählen (vgl. Staiger 2014; Thiele 2002). So enthalten die Texte von fünf Kindern Leerstellen, die jedoch mit Hilfe der Bilder geschlossen werden können. Bei allen sieben Textproduktionen lässt sich eine Leserorientierung feststellen, die jedoch in unterschiedlichen Ausprägungen vorhanden ist und durch unter‐ schiedliche Mittel hergestellt wird. Am häufigsten zeigt sich Leserorientierung durch Hervorhebung einzelner Wörter oder Wortgruppen durch Intonation und durch den Gebrauch rhetorischer Mittel. Für jede der sieben Textproduktionen lässt sich (mindestens) ein dominantes Gestaltungsmerkmal identifizieren, mittels dessen das jeweilige Kind seinen Text organisiert bzw. das sich als die Textproduktion stützender Anker bezeichnen lässt. Als die Textproduktion stützende Anker sind Muster auf verschiedenen Ebenen zu nennen. Dazu zählt der Gebrauch von Baumustern, der mehrfache Gebrauch von strukturellen Mustern und der Gebrauch von direkter Rede. Drei der vier Kinder (Ben, Muriel und Ida), die ein Bilderbuch vorgelesen bekamen, das u. a. über ein oder mehrere Baumuster organisiert ist, greifen auch bei der Organisation ihres Textes auf ein oder mehrere Baumuster zurück. Während sich der mehrfache Gebrauch des strukturellen Musters [„Dann“/ „Da“ + Verb] in starkem Maß in den Textproduktionen zweier Kinder (Kira und Ben) zeigt, lässt sich dieses Mittel auch in den übrigen fünf Textproduktionen in weniger ausgeprägtem Maße identifizieren. Mias Text ist stark durch den Gebrauch des strukturellen Musters [„schön“ + Nomen] geprägt. Nicole organisiert ihre Textproduktion in einem hohen Maß über den Gebrauch von direkter Rede. Dieses Muster nutzt sie teilweise auch in Kontexten, in denen im Bilderbuch keine direkte Rede enthalten ist oder um im Bilderbuch nicht enthaltene Inhalte zum Ausdruck zu bringen. Musterhaftigkeit ist in allen sieben Textproduktionen auf unterschiedlichen Ebenen erkennbar. Hervorzuheben ist, dass jedes Vorschulkind (mindestens) ein sprachliches oder strukturelles Muster in seinem Text mehrfach (in identischer oder in variierter Form) verwendet. Insbesondere ist in diesem Zusammenhang der mehrmalige Gebrauch des strukturellen Musters [„Da“/ „Dann“ + Verb] innerhalb eines Textes zu nennen, den alle sieben Textproduktionen aufweisen. Zudem ist eine Tendenz zur stärkeren Strukturierung der Textproduktionen der Vorschulkinder im Vergleich zum jeweiligen Bilderbuchtext erkennbar. Diese zeichnet sich u. a. durch den mehrfachen Gebrauch eines sprachlichen oder strukturellen Musters aus, das im Bilderbuchtext in identischer oder ähnlicher Form ein- oder mehrfach enthalten ist, und im Text des Kindes häufiger verwendet wird als im Bilderbuch. So verwenden fünf der sieben Kinder ein sprachliches Muster oder eine Variation eines sprachlichen Musters mehrfach, 566 3 Auswertung und Ergebnisse das im Bilderbuch ein- oder mehrmals - aber weniger häufig als im Kindertext - enthalten ist. Anhand der sieben Textproduktionen können sieben Funktionen identifiziert werden, die mehrfach gebrauchte sprachliche und strukturelle Muster erfüllen können. 1. Gleiche Bedeutung, gleiche Funktion - Rückgriff auf das gleiche Muster 2. Passung von Inhalt und sprachlicher Form - sich wiederholende Handlungen durch sich wiederholende Muster zum Ausdruck bringen 3. Textstrukturierung durch die strukturellen Muster [„Dann“ + Verb] und [„Da“ + Verb] 4. Mehrfacher Gebrauch des strukturellen Musters [„Und“ + Satz] zur Kohäsionsbildung und zur Markierung eines zeitlichen Nacheinanders 5. Mehrfacher Gebrauch des strukturellen Musters [„Aber“ + Satz] zur Darstel‐ lung von Kontrasten zwischen Aussagen 6. Komprimierte Darstellung von Inhalten (aus dem Bilderbuch) 7. Verbindung einzelner (im Bild dargestellter) Szenen Die Funktion, einen Inhalt in komprimierter Form darzustellen (Funktion 6), können auch einmal verwendete sprachliche und strukturelle Muster erfüllen. Zwei der sieben Kinder machen (mehrfach/ einmalig) Gebrauch vom struktu‐ rellen Muster [„schön“ + Adjektiv/ Verb]. Dieses Muster ist in den zugehörigen Bilderbuchtexten jedoch nicht vorhanden. Dieses Muster kann Funktionen für die Textproduktion haben, die im Bilderbuchtext durch andere sprachliche Mittel erfüllt werden (Mia), oder Funktionen, die im Bilderbuchtext gar nicht erfüllt werden (Ida). Bei den beiden Kindern liegt somit implizites Wissen über den Gebrauch des Adjektivs schön vor, das sie in anderen Sprachgebrauchssitu‐ ationen erworben haben müssen. Hinsichtlich des Gebrauchs erzähltypischer Muster sind Beobachtungen zu typi‐ schen Geschichtenenden, Schlussformelgebrauch und direkter Rede festzuhalten. Fünf der sieben Kinder wählen ein Geschichtenende, das inhaltlich vom Ende der Geschichte des zugehörigen Bilderbuches abweicht. Dabei greifen sie alle auf ein für Narrationen typisches Geschichtenende zurück. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass die fünf Kinder über implizites Textwissen bezüglich des Aufbaus von Narrationen verfügen, das sie durch bereits zurückliegende Erfahrungen mit Narrationen erworben haben müssen. Vier der sieben Kinder machen Gebrauch von einer Schlussformel zur Markierung des Geschichtenendes. Dazu greifen sie auf die weit verbreiteten Formulierungen zu Ende oder Ende 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 567 zurück. Es lassen sich vier Funktionen identifizieren, die der Gebrauch direkter Rede erfüllen kann: • Fall 1: Mittels direkter Rede werden die gleichen oder ähnliche Inhalte wie im Bilderbuch zum Ausdruck gebracht, die im Bilderbuch ebenfalls als direkte Rede formuliert sind. • Fall 2: Mittels direkter Rede werden Inhalte vermittelt, die im Bilderbuch in Erzählerrede wiedergegeben werden. • Fall 3: Mittels direkter Rede werden Inhalte ausgedrückt, die im Bilderbuch nicht versprachlicht sind. Dabei ist der Inhalt im Bilderbuch im Bild dargestellt. • Fall 4: Mittels direkter Rede werden Inhalte zum Ausdruck gebracht, die im Bilderbuch nicht enthalten sind. Sechs der sieben Kinder machen Gebrauch von direkter Rede in ihrer Textpro‐ duktion. Alle sechs Kinder verwenden (am häufigsten) direkte Rede, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen, die im Bilderbuch ebenfalls in Form von direkter Rede dargestellt werden (Fall 1). Dabei verwenden lediglich zwei der sechs Kinder einige Formulierungen, die komplett identisch mit den Formulierungen des Bilderbuchtextes sind. Fall 2 lässt sich in zwei Textproduktionen identifizieren, Fall 3 und Fall 3/ 4 jeweils in einer Textproduktion. Diese Beobachtungen veranschaulichen, dass die Kinder das erzähltypische Muster der direkten Rede als ein sprachliches Mittel der Textproduktion einsetzen und teilweise frei damit operieren, um Inhalte zum Ausdruck zu bringen. Hinsichtlich der Formen direkter Rede lässt sich festhalten, dass die Mehrheit der Kinder (vier von sechs) am häufigsten Gebrauch von direkter Rede ohne Begleitsatz macht - und zwar unabhängig davon, welche Form von direkter Rede im zuvor vorgelesenen Bilderbuch überwiegt. Während in den vorgelesenen Bilderbüchern direkte Rede mit vorangestelltem Begleitsatz stets am wenigsten oder gar nicht enthalten ist, wird diese Form von einem Kind am häufigsten und von einem weiteren Kind am zweithäufigsten gebildet. Die folgenden zwei Beobachtungen beziehen sich auf die Textproduktion der fünf Kinder, die in ihren Textproduktionen direkte Rede mit Begleitsatz verwenden. Erstens sind - abgesehen von einer Ausnahme - alle Verben, die die Kinder in Begleitsätzen in ihren Textproduktionen verwenden, auch im jeweils vorgelesenen Bilderbuch in Begleitsätzen enthalten. Dabei machen drei Kinder ausschließlich Gebrauch von solchenVerben, die im Bilderbuchtext in Begleitsätzen mehrfach vorkommen. Insgesamt verwenden vier der fünf Kinder in ihren Begleitsätzen zum Großteil Verben, die auch mehrfach im Bilderbuchtext in Begleitsätzen vorkommen. Zweitens gebrauchen alle fünf Kinder eine höhere Anzahl an unspezifischen Verben als an präzisen Verben. 568 3 Auswertung und Ergebnisse Im Hinblick auf weitere Muster der dritten Ebene lässt sich Folgendes zum Ge‐ brauch einer Überschrift festhalten: Während alle vorgelesenen Bilderbuchge‐ schichten mit einer Überschrift (bzw. einem Titel) beginnen, versehen lediglich zwei der sieben Kinder ihre Geschichte mit einer Überschrift. Dabei handelt es sich nicht um identische Übernahmen der sprachlichen Muster (Überschriften) aus dem Bilderbuch. Die Überschriften der Kinder lassen sich in beiden Fällen als Variationen dieser sprachlichen Muster (Typ „Weglassen“ und Typ „Ergänzen“) beschreiben. Zum Gebrauch von Elementen konzeptioneller Schriftlichkeit in den mündlichen Textproduktionen lässt sich hinsichtlich des Gebrauchs von Präteritum und Plusquamperfekt, hypotaktischer Satzkonstruktionen und schriftsprachlicher Aus‐ drücke Folgendes festhalten. Bei allen sieben Kindern wird in der Pretend-Reading-Situation der Gebrauch des Präteritums herausgefordert. Diese Beobachtung schließt sowohl die vier Kinder ein, die ein Bilderbuch vorgelesen bekamen, das überwiegend im Präteritum (Erzählerrede) verfasst ist, als auch jene drei Kinder, denen ein (überwiegend) im Präsens gehaltenes Bilderbuch (Erzählerrede) vorgelesen wurde. Bei sechs der sieben Kinder ist Präteritum das am häufigsten verwendete Tempus in ihrer Textproduktion. Während sich bei allen sieben Textproduktionen Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit hinsichtlich des Tempusgebrauchs zeigen, weisen zwei der sieben Textproduktionen (Ben und Jan) in den Bereichen Syntax und Lexik keine Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit auf. Hervorzuheben ist, dass die je‐ weiligen Bilderbücher selbst keine bis zwei hypotaktische Satzkonstruktionen aufweisen. Mit den meisten Textpassagen, die hypotaktische Satzkonstruktionen ent‐ halten, werden Inhalte zum Ausdruck gebracht, die im Bilderbuch nicht vorkommen. Am zweithäufigsten werden Inhalte in Sprache gefasst, die im Bilderbuch im gleichen Kontext mit der gleichen hypotaktischen Konstruktion zum Ausdruck gebracht werden. Jedoch verwendet keines der Kinder Neben‐ satzkonstruktionen ausschließlich zu diesem Zweck. Vier der fünf Kinder, deren Texte Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit hinsichtlich der Lexik aufweisen, verwendeten sowohl konzeptionell schriftliche Ausdrücke, die im jeweiligen Bilderbuchtext enthalten sind, als auch solche, die im Bilderbuchtext nicht vorkommen. Hypothese 1: Das Vorhandensein einer höheren Anzahl an hypotaktischen Satzkonstruktionen im vorgelesenen Bilderbuchtext kann in Pretend-Reading-Si‐ 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 569 tuationen einen Einfluss darauf haben, dass die Kinder selbst hypotaktische Satzkonstruktionen in ihren Textproduktionen bilden. Elemente konzeptioneller Schriftlichkeit (Tempus, Syntax) können zudem in Textpassagen identifiziert werden, in denen ausschließlich im Bild dargestellte Inhalte von den Kindern zum Ausdruck gebracht werden. Diese Beobachtung lässt sich bei allen fünf Textproduktionen einmal bis mehrfach machen, bei denen ausschließlich im Bild dargestellte Inhalte in Sprache gefasst werden. Zur Beantwortung der Frage, welche Bezüge zwischen der sprachlichen Gestal‐ tung des Kindertextes und der des zuvor vorgelesenen Bilderbuches zu erkennen sind, wird zusammengetragen, welche Elemente, insbesondere Muster, aus dem vorgelesenen Bilderbuch (in welcher Form, welchem Kontext und mit welcher Funktion) übernommen werden. Mit Hilfe des entwickelten Analyserasters zur Beschreibung von Musterhaftigkeit in Kindertexten mit Blick auf den vorgele‐ senen Bilderbuchtext können anhand der sieben Textanalysen im Hinblick auf sprachliche und strukturelle Muster drei Kernbeobachtungen gemacht werden. Erstens kann gezeigt werden, dass die Textproduktionen der Kinder sprachliche und strukturelle Muster enthalten, die im Bilderbuchtext sowohl in identischer Form als auch in variierter Form enthalten sind. Zweitens wird deutlich, dass sprachliche und strukturelle Muster, die im Bilderbuch enthalten sind, in den Textproduktionen der Kinder sowohl in den gleichen syntaktischen Strukturen wie im Bilderbuch vorkommen als auch in neue syntaktische Strukturen einge‐ bunden werden. Drittens können sprachliche und strukturelle Muster sowohl im gleichen Kontext wie im Bilderbuch als auch in neuen Kontexten in den Textproduktionen identifiziert werden. Zudem wird die Tendenz sichtbar, dass einige Kinder innerhalb sprachlicher Muster, die auch im Bilderbuchtext im gleichen Kontext enthalten sind, einzelne Wörter oder Formulierungen durch semantisch ähnliche Wörter oder Formulie‐ rungen ersetzen, die einen geringeren Grad an Schriftsprachlichkeit aufweisen. Zum Gebrauch des strukturellen Musters [Adjektiv + Verb/ Nomen] im Vergleich zum Bilderbuchtext lässt sich Folgendes festhalten: Vier der sieben Textproduk‐ tionen enthalten eine geringe Anzahl (0-4) an Formulierungen, denen das strukturelle Muster [Adjektiv + Nomen/ Verb] zugrunde liegt. Drei Textproduk‐ tionen, die eine höhere Anzahl (7-13) an Formulierungen dieser Form enthalten, weisen jeweils mehrfach den Gebrauch des gleichen Adjektivs innerhalb dieses Musters auf. Es lässt sich somit kein Variantenreichtum bei der Wahl der Adjektive beobachten. 570 3 Auswertung und Ergebnisse Zur sprachlichen Darstellung von Inhalten, die im Bilderbuchtext durch das strukturelle Muster [Adjektiv + Verb/ Nomen] zum Ausdruck gebracht werden, können drei Fälle unterschieden werden: Kein Gebrauch des strukturellen Mus‐ ters (Fall 1), Gebrauch des strukturellen Musters (Fall 2) und Gebrauch einer Variation des strukturellen Musters (Fall 3). Anhand der Daten aus den sieben Textproduktionen kann beobachtet werden, dass in 28 von 41 Fällen ein Inhalt, der im Bilderbuch mit Hilfe eines strukturellen Musters der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] transportiert wird, von den Kindern ohne Rückgriff auf dieses Muster zum Ausdruck gebracht wird (Fall 1). Dabei liegt Fall 1 bei fünf der sieben Kinder am häufigsten vor. Zum Gebrauch sprachlicher und struktureller Muster, die Adjektive enthalten, lassen sich folgende Hypothesen aufstellen: Hypothese 2: Inhalte, die im Bilderbuchtext mit Hilfe eines strukturellen Musters der Form [Adjektiv + Nomen/ Verb] zum Ausdruck gebracht werden, werden von Vorschulkindern häufig ohne Rückgriff auf dieses sprachliche Mittel vermittelt. Hypothese 3: Wenn Vorschulkinder auf ein strukturelles Muster der Form [Ad‐ jektiv + Nomen/ Verb] zurückgreifen, verwenden sie dabei häufig mehrfach das gleiche Adjektiv in Kombination mit einem Verb bzw. Nomen oder mit dem gleichen Verb bzw. Nomen. Hypothese 4: Sprachliche Muster, die ein Adjektiv in Kombination mit einem Nomen oder Verb enthalten und im Bilderbuchtext vorkommen, werden von Vorschulkindern häufiger in ihre Textproduktion integriert, wenn sie im Bilderbuch mehrfach vorkommen und funktional eingesetzt werden können (z. B. als Bestand‐ teil eines Baumusters zur Darstellung sich wiederholender Handlungen). Die Mehrheit der Kinder, die ein Bilderbuch mit Baumuster vorgelesen bekam, organisiert ihre Textproduktion zu diesem Bilderbuch ebenfalls über ein Bau‐ muster. Dabei kann beobachtet werden, dass die von den Kindern gebildeten Baumuster nicht komplett identisch mit den Baumustern der Bilderbücher sind. Zudem weisen die von den Kindern gebildeten Baumuster im Großen und Ganzen eine stärkere Struktur auf als die äquivalenten im Bilderbuch erhaltenen Baumuster. Im Hinblick auf den Umgang mit Textproduktionen zu einem Bilderbuch mit Baumuster können vier Typen identifiziert werden: Erweitern des Baumusters des Bilderbuches um einen weiteren Baustein (Typ 1), Erweitern des Baumusters des Bilderbuches um eine weitere Sequenz (Typ 2), Füllen des Baumusters des Bilderbuches mit anderen Inhalten oder/ und einer anderen sprachlichen Gestaltung (Typ 3) und Textorganisation ohne Baumuster (Typ 4). 3.2 Vergleichende Darstellung der Beobachtungen zu den sieben Textanalysen 571 Hypothese 5: Vorschulkinder tendieren dazu, ihre Textproduktionen zu Bilderbü‐ chern mit einem Baumuster ebenfalls über ein solches zu organisieren. Dabei ist die Tendenz zu beobachten, dass die Baumuster der Kinder (häufig) eine stärkere Struktur als die des Bilderbuches aufweisen. Es folgen vier zentrale Beobachtungen zum Einfluss des poetischen Sprachge‐ brauchs auf die Übernahme und den Gebrauch sprachlicher Muster. Am häu‐ figsten kann anhand der sieben Textproduktionen beobachtet werden, dass im Bilderbuchtext und im Kindertext im gleichen Kontext das gleiche rhetorische Mittel enthalten ist und dieses vom Kind sprachlich auf eine andere Art und Weise realisiert wird. Am zweithäufigsten wird vom Kind ein rhetorisches Mittel verwendet, um einen Inhalt zum Ausdruck zu bringen, der im Bilderbuchtext nicht enthalten ist. Hier fällt in besonderem Maße der mehrfache Gebrauch von Anaphern im Zusammenhang mit dem strukturellen Muster [„Da“/ „Dann“ + Verb] am Satzanfang auf, der der Textorganisation dient. Zur Darstellung im Bilderbuch nicht enthaltener Inhalte mit Hilfe eines rhetorischen Mittels durch ein Kind gehört auch die Verwendung sprachlicher und struktureller Muster, die in anderen Kontexten des Bilderbuchtextes in identischer oder variierter Form vorhanden sind und dort zur Darstellung ähnlicher Inhalte dienen. Am dritthäufigsten bringt ein Kind einen Inhalt ohne Rückgriff auf ein rhetorisches Mittel zum Ausdruck, der im Bilderbuchtext durch den Gebrauch eines rhetorischen Mittels vermittelt wird. Insbesondere Alliterationen werden von Kindern mehrfach nicht in ihre Textproduktionen übernommen. Vereinzelt lässt sich beobachten, dass ein Kind im gleichen Kontext das gleiche rhetorische Mittel sowie die gleiche Formulierung wie im Bilderbuchtext wählt. Anhand dieser Beobachtungen lassen sich die folgenden Hypothesen generieren: Hypothese 6: Das Vorhandensein rhetorischer Mittel im Bilderbuchtext bzw. ein durch poetischen Sprachgebrauch geprägter Sprachstil kann den Gebrauch rhetorischer Mittel in den Textproduktionen der Kinder herausfordern. Dies kann sich im Gebrauch anderer sprachlicher Realisierungen rhetorischer Mittel und in der Übernahme eines ähnlichen Sprachstils zeigen. Hypothese 7: Identische Übernahmen rhetorischer Mittel aus dem Bilderbuchtext lassen sich in den Textproduktionen der Vorschulkinder nur vereinzelt identifi‐ zieren. In wenigen Textproduktionen der Vorschulkinder sind Neologismen enthalten. Sie dienen - ähnlich wie einige von den Kindern verwendete sprachliche Muster - mehrfach der Funktion, Inhalte in komprimierter Form darzustellen. 572 3 Auswertung und Ergebnisse 4 Ertrag und Diskussion Überblick über zentrale Befunde und Erträge der Studie Der vorliegenden Studie zur frühen Textkompetenz liegen zwei zentrale For‐ schungsfragen zugrunde. Erstens ist es ein Anliegen der Studie, zu untersuchen, welches implizite Textwissen bzw. welches praktische Können (Neuweg 2000) sich bei Vorschulkindern im Hinblick auf monologische Textproduktion durch Pretend-Reading-Situationen herausfordern lässt. Die zweite Frage knüpft an Ergebnisse zur ersten Frage an und zielt auf die Eignung der Methode Pretend Reading als Sprachfördermethode ab, wobei - im Gegensatz zu gängigen Sprachförderkonzepten (vgl. I.1) - die Textebene in den Blick genommen wird. Um Vorschulkinder zu einer Textproduktion im Medium der Mündlichkeit anzuregen, wurde ein Setting zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situa‐ tion entwickelt, bei dem das Vorschulkind, das noch nicht oder kaum lesen kann, aufgefordert wird, ein ihm bekanntes Bilderbuch „vorzulesen“ (vgl. II.2.1). Implizites Wissen, das nach Neuweg (2000) „in der praktischen Kompetenz einer Person […] zum Ausdruck kommt“ (Neuweg 2000, S. 198), zeigt sich in den Textproduktionen der Kinder. Um der Frage nachzugehen, welches praktische Können sich hinsichtlich der Produktion von Texten durch das Setting herausfordern lässt, wurden exemplarisch sieben Textproduktionen von Vorschulkindern daraufhin betrachtet, wie die Vorschulkinder ihren Text orga‐ nisieren und ob und wie ihnen eine monologische Textproduktion gelingt. Zur Textanalyse wurden in induktiv-deduktiven Verfahren verschiedene Kategorien und Analyseinstrumente entwickelt. Ein wichtiger Aspekt bei der Analyse der Textproduktion bestand im Herausarbeiten von Bezügen zur sprachlichen Gestaltung des zuvor vorgelesenen Bilderbuches. Die analysierten Textproduktionen verdeutlichen, dass bereits Vorschulkinder über (implizites) Textwissen verfügen können, das - sofern es durch eine entsprechende Aufgabenstellung herausgefordert wird - von ihnen zur Text‐ produktion genutzt werden kann. Darin besteht ein bedeutsamer Ertrag der vorliegenden Studie. Anhand der Analyse von sieben Textproduktionen kann gezeigt werden, dass diese Vorschulkinder durch die Aufgabenstellung, ein Bilderbuch vorzulesen, dazu angeregt werden konnten, monologische Texte im Medium der Mündlichkeit zu produzieren. Dabei weisen alle sieben Texte neben der Monologizität weitere Merkmale konzeptioneller Schriftlichkeit auf - wenn auch in unterschiedlich ausgeprägtem Maße. Somit geben die sieben Textanalysen - und darüber hinaus zahlreiche Erprobungen von Pretend-Rea‐ ding-Situationen während der Durchgänge A bis D -, in denen Kinder durch das Setting zum Pretend Reading zu einer monologischen Textproduktion her‐ ausgefordert werden konnten, deutliche Hinweise darauf, dass das entwickelte Setting bei Vorschulkindern zur Erreichung des genannten Ziels beitragen kann. Die Analysen deuten somit darauf hin, dass die Methode des Pretend Reading als Sprachfördermaßnahme im vorschulischen Bereich dienen könnte, die sowohl auf die literale Basisqualifikation I (Ehlich et al. 2008, S. 20) und zum Teil auch auf die literale Basisqualifikation II (ebd., S. 20f.) ausgerichtet wäre. Damit lässt sich die Studie als Antwort auf die Forderungen von Sauerborn (2018) und Redder et al. (2011) nach der Förderung von Sprachkompetenzen lesen, die im Bereich der konzeptionellen Schriftlichkeit liegen (vgl. I.1). Auf Grundlage der Befunde der Studie lässt sich die folgende tragfähige Hypothese aufstellen: Mit Hilfe der Methode Pretend Reading können Kinder im Vorschulalter zu mono‐ logischer Textproduktion im Medium der Mündlichkeit herausgefordert werden. Die Methode birgt ein vielversprechendes Potential in sich, um als alternative Sprachfördermaßnahme zur Entwicklung früher Textkompetenz beizutragen. Zur Überprüfung dieser Hypothese bietet sich als Anschlussstudie eine Ent‐ wicklungsstudie an: Um die Steigerung der Textkompetenz durch die Methode Pretend Reading empirisch zu prüfen, sollte eine randomisierte, kontrollierte Studie (Randomised Control Trial, RCT) durchgeführt werden, die den Gütekri‐ terien von Campbell, Cook und Shadish (2002) entspricht und als Goldstandard angesehen wird (vgl. Campbell/ Cook/ Shadish 2002). Um die Eignung von Pretend Reading als Sprachfördermaßnahme im Vorschulalter weiter zu untersu‐ chen, sollte das Setting insbesondere mit Kindern, die aus einer schriftfernen Umgebung kommen, erprobt werden. Entsprechend den Ausführungen zur Intertextualität in Kindertexten von Christensen (vgl. Christensen 2011, S. 59; I.7) ist zu vermuten, dass sich auch Vorschulkinder durch die vermehrte Textpro‐ duktion im Pretend-Reading-Modus zu einem zuvor vorgelesenen Bilderbuch allmählich Muster aneignen, die sie mit der Zeit auch ohne eine vorangehende Bilderbuchrezeption in weiteren Texten gebrauchen können (vgl. I.7). In diesem Zusammenhang sei zudem auf die Ausführungen zum epistemischen Schreiben im Sinne eines lernenden Schreibens von Pohl und Steinhoff (2010) sowie auf die Aussage Dehns hingewiesen, nach der Schreiben selbst einen Lernprozess darstellt (vgl. Dehn 2009, S.-154; Augst et al. 2007, S.-364f.; I.6.2). Als weiterer zentraler Befund der vorliegenden Studie ist die Bedeutsamkeit der Rolle von Mustern für die Textproduktion von Kindern hervorzuheben. So zeigt sich Musterhaftigkeit in den sieben analysierten Textproduktionen - mit 574 4 Ertrag und Diskussion Blick auf das im Rahmen der Studie eigens entwickelte Vier-Ebenen-Modell zur Beschreibung von Musterhaftigkeit - auf unterschiedlichen sprachlichen Ebenen. Dabei konnten starke Bezüge zur Sprache der vorgelesenen Bilderbücher fest‐ gestellt werden. Bei keiner der Textproduktionen zu einem Bilderbuch handelte es sich jedoch um eine komplette Übernahme des Bilderbuchtextes. Alle sieben Textproduktionen wiesen zum einen im Bilderbuch enthaltene sprachliche und strukturelle Muster auf, die von den Kindern in identischer Form, im gleichen Kontext und in die gleichen syntaktischen Strukturen eingebunden wurden. Zum anderen konnte beobachtet werden, dass alle sieben Kinder sprachliche und strukturelle Muster im Vergleich zum Bilderbuchtext in neue syntaktische Strukturen einbanden, in neuen Kontexten verwendeten und sie variierten. So kann mit Dehns Worten auch in diesem Kontext von der „Adaption und Variation von Mustern“ (Dehn 1999, S. 47) gesprochen werden. Die zentrale Rolle von Musterhaftigkeit ist jedoch nicht auf Textproduktionen zu reduzieren, die in einem Setting zum Pretend Reading entstehen. Vielmehr - und dies konnte im Rahmen der theoretischen Beschäftigung mit dem Verhältnis von Muster‐ haftigkeit und Kreativität in der Textproduktion herausgearbeitet werden - sind Kreativität und Formelhaftigkeit (vgl. Stein 1995) zentrale Bestandteile der (alltäglichen) Sprachproduktion (vgl. I.5). In ähnlichen Situationen auf die gleiche Formel zurückzugreifen ist ökonomisch und führt zu einer kognitiven Entlastung. Vor dem Hintergrund dieser Erklärung im Sinne Steins lässt sich auch der in den Textproduktionen der Kinder beobachte mehrfache Gebrauch eines einzelnen sprachlichen oder strukturellen Musters zur Darstellung ähnli‐ cher Inhalte betrachten. Nach Pätzold lässt sich die Fähigkeit, sprachliche Formulierungen aus an‐ deren Texten für die eigene Textproduktion zu nutzen, als Bestandteil der protoliteralen Textkompetenz bezeichnen (vgl. Pätzold 2005, S. 88). Diese Fähig‐ keit des Einbindens von Mustern in neue Zusammenhänge kann nach Kruse und Kruse (2007) der Entwicklung von Textkompetenz dienen (vgl. ebd., S. 30). Dem‐ entsprechend lassen sich insbesondere die anhand der Textproduktionen aus den Pretend-Reading-Situationen gemachten Beobachtungen zum Einbinden von Mustern in neue Zusammenhänge als Hinweise darauf deuten, dass sich das erprobte Setting zur Förderung von früher Textkompetenz anbietet. In der vorliegenden Studie lag ein weiterer Fokus auf der Rolle des impliziten Wissens bei der Textproduktion. Durch eine Übertragung der Theorie impliziten Wissens von Michael Polanyi auf den Schreibprozess als Problemlöseprozess (I.6.2) leistet die vorliegende Studie zudem einen Beitrag zur Polanyi-Rezeption. Diese Überlegungen wurden in einem weiteren Schritt auf mündliche Textpro‐ duktionen von Kindern im Rahmen von Pretend-Reading-Situationen bezogen. 4 Ertrag und Diskussion 575 Bei dieser Übertragung wird dem Gebrauch von Mustern im Textproduktions‐ prozess eine bedeutsame Rolle zugemessen. Zudem liefert die vorliegende Studie eine detaillierte Darstellung des For‐ schungsstandes zum Pretend Reading im Elementarbereich im angloamerikani‐ schen Sprachraum, kombiniert mit dem Forschungsstand zum Pretend Reading im Elementar- und Grundschulbereich im deutschsprachigen Raum. Im Zuge dessen werden benannte Forschungsdesiderate zusammengetragen und For‐ schungslücken, die die vorliegende Studie (in gewissem Maße) zu schließen vermag, aufgezeigt. Auf diese Weise legt die Studie einen Grundstein für weitere Forschungsarbeiten zum Pretend Reading im Elementarbereich im deutschspra‐ chigen Raum. Des Weiteren konnten im Rahmen der vorliegenden Studie, die einen hypothe‐ sengenerierenden Charakter aufweist, sieben Hypothesen hinsichtlich der Text‐ produktion von Vorschulkindern in Pretend-Reading-Situationen aufgestellt werden (vgl. II.3.2.6). Diese zielen auf die Beziehung bzw. das Verhältnis von sprachlicher Gestaltung von Bilderbuch und Kindertext hinsichtlich konzeptio‐ neller Schriftlichkeit (Hypothese 1) ab. Zudem beziehen sie sich auf den Gebrauch von Adjektiven als Bestandteil von Mustern (Hypothesen 2, 3 und 4), auf den mehrfachen Gebrauch von Mustern innerhalb eines Textes (Hypothese 3 und 4), auf den Gebrauch von Baumustern (Hypothese 5) sowie auf den durch poetischen Sprachgebrauch geprägten Sprachstil (Hypothesen 6 und 7), wobei die Textproduktion des Kindes stets im Vergleich zum Bilderbuchtext betrachtet wird. Diese Hypothesen sind in quantitativen Studien zu prüfen. Mit Blick auf weiterführende Studien zum Pretend Reading stellt die vorliegende Studie mehrere im Rahmen der Datenauswertung entwickelte Analyseinstru‐ mente zur Beschreibung von Textproduktionen (mit Blick auf das zuvor vorge‐ lesene Bilderbuch) zur Verfügung (vgl. II.2.3.1). Das ihm Rahmen der Datenerhebung entwickelte Setting zum Pretend Rea‐ ding inklusive der ausdifferenzierten Hinweise zum Einsatz der Methode (vgl. Informationsblatt zur Durchführung einer Pretend-Reading-Situation im An‐ hang) sowie die dazu ausgearbeitete Schulung (vgl. digitaler Anhang) könnten als Basis für Weiterbildungsmaßnahmen für Erzieherinnen und Erzieher im Rahmen von Sprachfördermaßnahmen im Elementarbereich dienen. Durch die Erprobung von Instruktionen in Pretend-Reading-Situationen konnte die Studie an dem von Currenton et al. (2008) formulierten Forschungsdesiderat ansetzen, wonach zu prüfen sei, welche Frage- und Kommentartechniken von Eltern und Lehrpersonen sich eignen, um den Gebrauch von dekontextualisierter Sprache zu 576 4 Ertrag und Diskussion unterstützen (vgl. Currenton et al. 2008, S. 183; I.4). Die erarbeiteten Instrukti‐ onshinweise zur Durchführung einer Pretend Readings Situation entsprechen der von Müller und Stark (2016) geäußerten Vermutung, dass in Trainingspro‐ grammen zur vorgestellten Methode eine besondere Aufmerksamkeit auf das Rollenbewusstsein der Vorschullehrenden gerichtet werden müsse (vgl. Müller/ Stark 2016, S. 14; I.4). Weiterführende Überlegungen zum Einsatz der Methode des Pretend Reading als mögliche Sprachfördermaßnahme werden im folgenden Abschnitt angestellt. Pretend Reading als Sprachfördermaßnahme Weinhold (2002) begründet das Nutzen der Schrift zu einem Zeitpunkt, an dem Kinder erst im Schrift-Erwerb sind, damit, dass sie auf diese Weise Spaß am Schreiben-Lernen vermittelt bekommen können und das „Weiß-Wozu“ von Schriftlichkeit erfahren können (vgl. Weinhold 2002, S. 147). Analog zu diesen Überlegungen Weinholds könnte das „Vorlesen“ eines Bilderbuches (das als Textproduktion zu bezeichnen ist) vor der Fähigkeit, lesen und schreiben zu können, Vorschulkindern durch die erfahrbaren Reaktionen der Zuhörerinnen und Zuhörer auf ihr „Vorlesen“ eine Möglichkeit bieten, das „Weiß-Wozu“ vom Vorlesen (und ggf. des Verfassens narrativer Texte) zu erfahren. Im Falle einer Implementierung von Pretend Reading als Sprachfördermaß‐ nahme im Vorschulbereich ist zu überlegen, ob es sinnvoll wäre, eine leichte Modifikation des Settings vorzunehmen. Die Aussage des Vorschulkindes Jan hast du doch gerade schon mal vorgelesen als Reaktion auf die Aufforderung, das soeben von der oder dem Erwachsenen vorgelesene Bilderbuch vorzulesen (vgl. II.3.1.6), kann als Hinweis darauf gedeutet werden, dass das Setting, einer oder einem Erwachsenen ein Bilderbuch „vorzulesen“, das diese oder dieser bereits kennt, für einige Kinder zu künstlich wirkt. So wäre eine mögliche Annäherung des Settings an das Projekt zum Pretend Reading in der dritten Klasse von Merklinger und Wittmer (2018) denkbar: Hier bekamen die Drittklässler den Auftrag, das Bilderbuch den Erstklässlern im Pretend-Reading-Modus „vorzulesen“, damit diese die Methode anschließend selbst ausprobieren können (vgl. I.4). In Anlehnung an dieses Vorgehen wäre es denkbar, ein Vorschulkind im Pretend Reading zu schulen, damit es später anderen Kindern im Kindergarten dieses Buch ohne die Anwesenheit der Erzieherin oder des Erziehers „vorlesen“ kann. Bei der Durchführung von Pretend-Reading-Situationen mit Vorschulkindern kam es vereinzelt auch zu Verweigerungen der Kinder. Auffällig daran ist, dass diese Weigerungen ausschließlich bei der Durchführung von Pretend-Reading-Situationen auftraten, die im häuslichen Rahmen stattfanden, nicht aber 4 Ertrag und Diskussion 577 unter institutionellen Bedingungen (in Kindergärten bzw. Kindertagesstätten). Basierend auf der genannten Beobachtung wäre es interessant zu untersu‐ chen, ob der Kontext, in dem eine Pretend-Reading-Situation durchgeführt wird (privater Kontext vs. institutioneller Kontext), einen Einfluss auf das Verhalten der Kinder hinsichtlich des Ausführens der Aufgabe, das Bilderbuch „vorzulesen“, hat. Einzuräumen ist allerdings mit Blick auf die erhobenen Daten der vorliegenden Studie auch, dass vor der Auswahl der Kinder für die Pretend-Reading-Situationen Gespräche von Studierenden mit Erzieherinnen bzw. Erziehern stattfanden, wodurch die Wahl auf Kinder fiel, mit denen sich die Erzieherinnen bzw. Erzieher die Durchführung eines solchen Settings vorstellen konnten. Die Analyse der Textproduktionen der Kinder gab Hinweise darauf, dass Inhalte, die im Bilderbuch mit Hilfe des strukturellen Musters [Adjektiv + Verb/ Nomen] zum Ausdruck gebracht wurden, von den Kindern in den meisten Fällen ohne Rückgriff auf dieses Muster transportiert wurden (vgl. II.3.2.1). Diese Beobachtung deckt sich mit Befunden zum Gebrauch von Adjektiven von Augst et al., denen zufolge „[d]as schreibdidaktische ‚Brauchtum‘ des schmückenden Adjektivs […] weitgehend ins Leere [zielt]“ (Augst et al. 2007, S. 36). Daraus ist zu schließen, dass bei der Auswahl des Bilderbuches für Pretend-Reading-Si‐ tuationen die Menge an enthaltenen Adjektiven kein Auswahlkriterium sein sollte. Ausblick Über die bereits vorgestellten Möglichkeiten zur Weiterarbeit sind weitere Anschlussstudien denkbar, denen sich der folgende Abschnitt widmet. Wie in Kapitel II.3.2.6 deutlich wurde erscheint der Blick auf den Gebrauch von Komposita in Textproduktionen zu Pretend-Reading-Situationen vielver‐ sprechend: Kinder scheinen bei Komposita nach dem Muster [Nomen-Nomen] teilweise das erste Nomen durch andere im Bilderbuch enthaltene Nomen auszutauschen. Auch hier lassen sich somit Variationen von Mustern in den Kindertexten identifizieren - jedoch im Hinblick auf Wortbildungsmuster (Stein/ Stumpf 2019). Das Vier-Ebenen-Modell zur Beschreibung von Musterhaftigkeit könnte folglich um eine weitere Dimension erweitert werden, um zusätzlich Ein-Wort-Muster zu integrieren. Es würde so eine Erweiterung des Musterbe‐ griffes um die Wortebene stattfinden. Eine weitere mögliche Studie zum Pretend Reading nimmt Interaktionen in Pretend-Reading-Situationen in den Blick, die zwischen einem Kind und einer oder einem Erwachsenen bzw. einem Kind und dem Material (Bilderbuch) stattfinden. Das Potential einer solchen Untersuchung deutet sich beispielsweise 578 4 Ertrag und Diskussion 174 Der Name des Kindes wurde aus Datenschutzgründen geändert. Der folgende Auszug stammt aus einer Pretend-Reading-Situation (Durchgang D) zum Bilderbuch Campa‐ nella, Marco/ Casalis, Anna (2015): Leo Lausemaus wartet auf Weihnachten. Aus dem Italienischen von Frieda Böhm. Köln: Lingen. beim Blick auf die Reaktionen von Kira (Textanalyse II) und Jan (Textanalyse VI) auf die Aufgabenstellung „vorzulesen“ an. Denkbar wäre hier die Arbeit mit der videobasierten Ethnographie (Tuma/ Schnettler/ Knoblauch 2013). Zudem erscheint es interessant, den Einfluss der Formulierung der Aufgabenstellung („vorlesen“ vs. erzählen) auf die Textproduktion bei Vorschulkindern zu unter‐ suchen, um der Frage nachzugehen, welche Frames durch diese beiden Begriffe bei den Kindern aufgerufen werden, die sich in der Textproduktion zeigen. Bei der vorliegenden Arbeit wurde nicht der Frage nachgegangen, unter wel‐ chen Bedingungen bestimmte Muster vom Kind übernommen werden. So besteht ein weiteres Forschungsdesiderat darin, zu prüfen, ob und inwiefern ein Effekt von Hervorhebungen einzelner sprachlicher und struktureller Muster durch betontes Sprechen beim Vorlesen der Bilderbücher durch die oder den Erwachsenen vor der Pretend-Reading-Situation auf die Übernahme jener Formulierungen in die eigenen Texte festgestellt werden kann. Interessant erscheint zudem eine Studie zum Pretend Reading im Vorschulalter, bei der mehrere Vorschulkinder jeweils das gleiche Bilderbuch „vorlesen“, wobei das Setting mit unterschiedlich gestalteten Büchern wiederholt wird. Auf diese Weise könnte untersucht werden, ob es bestimmte sprachliche und strukturelle Muster gibt, die Kinder bevorzugt in ihre Textproduktion übernehmen und - anknüpfend an die Beobachtungen der vorliegenden Studie zur Musterhaftigkeit - welche Funktionen diese Muster für die Textproduktionen der Kinder erfüllen. Dieses Forschungsdesiderat knüpft zudem an die von Becker (2017) geschilderte Beobachtung zum Nacherzählen einer mehrfach gehörten Geschichte an, dass es bei der Einarbeitung von Elementen aus dem Ausgangstext in den eigenen Text bei den Kindern weniger bevorzugte und bevorzugte Ausdrücke zu geben scheint (vgl. Becker 2017, S. 162). Diese Erkenntnisse könnten wiederum für die Auswahl von Bilderbüchern für Pretend-Reading-Situationen genutzt werden. Die Methode Pretend Reading birgt ein großes Potential, Vorschulkinder her‐ auszufordern, ihr praktisches Können im Hinblick auf die Produktion mono‐ logischer Texte herauszufordern. Abschließend sei auf zwei alternative Be‐ zeichnungen für die Tätigkeit Pretend Reading hingewiesen. So formuliert das Vorschulkind Maria: 174 also ich/ [.] les dir einfach nach. ich les einfach so ausgedacht. 4 Ertrag und Diskussion 579 Literaturverzeichnis Primärliteratur Abedi, Isabel (2011): Torro sieht rot. In: Abedi, Isabel (Hrsg.): Die schönsten Bilderbuch‐ geschichten von Isabel Abedi. Mit Bildern von Dagmar Henze, Silvio Neuendorf und Ana-Maria Weller. Kinderland, S.-7-35. Arnold, Marsha Diane/ Liwska, Renata (2017): Die Schneemacher. Hildesheim: Gersten‐ berg. Blake, Jon/ Scheffler, Axel (2017 2 ): He Duda. Übers. ins Deutsche von Salah Naoura. Weinheim, Basel: Beltz/ Gelberg. Campanella, Marco (2015): Leo Lausemaus wartet auf Weihnachten. Mit Bildern von Anna Casalis. 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Beispiel 1: „Du hast dir ja ein Buch ausgesucht, das du gerne magst. Ich möchte dir dieses Buch jetzt vorlesen. Du kannst ja mal gucken, ob ich das gut vorlese. Und dann liest du mir das Buch vor.“ Beispiel 2: „Ich möchte dir jetzt gern das Bilderbuch vorlesen, das du ausgesucht hast. Und wenn ich fertig bin, tauschen wir und dann darfst du mir das Buch vorlesen.“ 2. Der Erwachsene liest dem Kind das Bilderbuch vor. Beispiel: „Dann lese ich dir jetzt das Buch vor, hier aus meinem Vorlesesessel.“ 3. Der Erwachsene fordert das Kind auf, nun das Bilderbuch „vorzulesen“ (siehe II.2) 4. Das Kind tut so, als würde es das Bilderbuch vorlesen. Von diesen vier Schritten ist eine Videoaufnahme anzufertigen. Kamera 1 zeigt die beiden Personen von vorne. Sie dient dazu, neben den sprachlichen Äußerungen Mimik, Gestik und Körperhaltung während der Pretend-Reading-Situation aufzuzeichnen. Kamera 2 zeigt das aufgeschlagene Bilderbuch. Sie wird hinter den Personen positioniert („Blick über die Schulter“). Diese Kamera soll das Umblättern, Zeigen auf Bilddetails und Wörter während der Pretend-Reading-Situation aufzeichnen. II. Beschreibung des Settings: Lassen Sie das Kind ein Bilderbuch auswählen, das es mag (und schon mehr‐ mals vorgelesen bekommen hat). Achten Sie darauf, dass es sich um kein gereimtes Bilderbuch handelt. Das gewählte Buch soll außerdem kein didaktisiertes Leselernbuch sein (z. B. aus der Reihe Sonne, Mond und Sterne), sondern möglichst ein ästhetisch anspruchsvolles Bilderbuch, das zum Vorlesen und Anschauen gedacht ist. Auch Pop-up-Bücher sollten nach Möglichkeit nicht ausgewählt werden. Beispiel: „Ich freue mich, dass du dir Zeit genommen hast. Such dir mal ein Buch aus, das du gerne magst und das du schon öfter vorgelesen bekommen hast. Ich bin gespannt, welches Buch du dir aussuchst.“ 1. Sorgen Sie für eine ruhige Atmosphäre. Nehmen Sie in einem „Vorlese‐ sessel“ Platz. Das Kind sollte auf einer Sitzgelegenheit neben Ihnen sitzen, sodass Sie zusammen in das Bilderbuch sehen können (nicht übereck sitzen). Die beiden Sitzgelegenheiten sollten sich optisch voneinander unterscheiden. Lesen Sie zuerst dem Kind das Bilderbuch vor. Nehmen Sie dabei eine typische Vorlesehaltung ein: Sitzen Sie aufrecht auf einem Stuhl/ Sessel, halten Sie das Buch in einer typischen Vorlesepose, verdeutlichen Sie mit Hilfe des Zeigefingers, was Sie gerade vorlesen… (→ Vorbild zum Imitieren) Zeigen Sie beim Vorlesen jedoch nicht auf die Bilder des Bilderbuches. Führen Sie die Pretend-Reading-Situation nicht an einem Tisch durch, außer wenn dies vom Kind gewünscht wird. 2. Bitten Sie nun das Kind, das von ihm gewählte Bilderbuch vorzulesen. Bieten Sie dem Kind den „Vorlesesessel“ an, auf dem Sie saßen, als Sie vorgelesen haben. Beispiel 1: „Jetzt hab ich dir das Buch vorgelesen und du hast zugehört. Und jetzt tauschen wir mal! Jetzt liest DU mir das Buch vor und ICH höre dir zu. du darfst dich jetzt auf den Vorlesesessel setzen und bekommst das Buch und ich setze mich auf deinen Platz.“ Beispiel 2: „Nun hab ich dir das Buch vorgelesen. Jetzt würde ich mich freuen, wenn du mir das Buch mal vorliest. (…)“ Beispiel 3: „Und jetzt höre ich zu, und du liest mir das Buch vor. (…)“ III. Hinweise zur Durchführung der Pretend-Reading-Situation: Allgemeiner Hinweis: Das Kind soll nicht angeleitet werden, einzelne Passagen des Buches korrekt wiederzugeben. Vielmehr geht es darum, dass das Kind herausgefordert wird, einen kohärenten Text monologisch zu produzieren. 600 Anhang 175 vgl. dazu „Kruse, Iris (2010): Das Vorlesen lernförderlich gestalten: Astrid Lindgrens Märchen ‚Sonnenau‘ - Ein Unterrichtsbeispiel zum ‚Höreraktivierenden Vorlesen‘. In: Grundschulunterricht. Deutsch, H. 1, S. 18-22.“ und „Kruse, Norbert: Vorlesebeobachtung. Handreichung. Universität Kassel.“ 176 Vgl. dazu Kruse (2010) • Fragen Sie bei der Wahl des Bilderbuches das Kind nicht, welches Buch es „auswendig kann“. • Achten sie beim Vorlesen darauf, dass Sie das Bilderbuch ‚gestaltend‘ vorlesen, damit das Kind erlebt, dass Sie selbst als Vorlesende auch von der Geschichte affiziert sind und zugleich das Kind emotional von dem Buch angesprochen wird. ○ Variieren Sie Tonlage, Lautstärke und Lesetempo. 175 ○ Setzen Sie Pausen an geeigneten Stellen ein. 176 ○ Verleihen Sie bei wörtlicher Rede den einzelnen Personen/ Tieren ver‐ schiedene Stimmen. • Verzichten Sie beim eigenen Vorlesen des Bilderbuches auf Fragen und Kommentare zum Vorgelesenen. • Wenn das Kind sagt, dass es noch nicht lesen kann, verwenden Sie bitte die Formulierung „Tu mal so, als würdest du vorlesen“. • Verwenden Sie die Formulierungen „vorlesen“ und „tu mal so, als würdest du vorlesen“. Verzichten Sie auf den Ausdruck „erzählen“. • Fordern Sie das Kind nicht auf „vorzulesen“, „was es noch weiß“, denn sonst kann der Eindruck entstehen, es ginge darum, das Buch korrekt wiederzugeben. Abgesichert werden muss, dass das Kind einen kohärenten Text monologisch produziert. Vermeiden Sie bitte Folgendes: E: Tu einfach mal so, als würdest du das, was ich dir gerade eben vorgelesen hab‘, nochmal vorlesen. [.] Was weißt du denn noch? K: [.] DIESE Seite [zeigt auf zweite Seite der Geschichte] • Falls das Kind Probleme hat, die Textproduktion zu beginnen, ist es möglich, ihm die ersten Wörter des Bilderbuches (z. B. „Eines Tages“) als Einstiegs‐ hilfe vorzugeben. • Verzichten Sie während der Pretend-Reading-Situation weitgehend auf ein Gespräch über Inhalte des Buches, um nicht anstatt der Monologizität des „Vorlesens“ die Dialogizität herauszufordern. • Verzichten Sie auf Nachfragen bezüglich der Handlung oder der han‐ delnden Personen der Geschichte wie „Und wer ist das? “ / „Und was macht der? “, um das Kind zu animieren. Es könnte zu knappen konzeptionell Anhang 601 mündlichen Antworten des Kindes führen („Der Frosch.“/ „Angeln.“), zu einem Wechsel von der Monologizität zur Dialogizität, vom „Vorlesen“ zu einem Gespräch oder zum Erzählen. • Vermeiden Sie Kommentare zu den „vorgelesenen“ Inhalten, sofern diese nicht vom Kind gefordert werden. Emotionale Reaktionen in Form von Ausrufen wie „Oh! “ oder „Puh! “, die inhaltlich an der Textproduktion des Kindes orientiert sind, sind hingegen erlaubt. • Verzichten Sie darauf, vom Kind richtig wiedergegebene Inhalte des Buches zu bestätigen („Genau“), um beim Kind nicht den Eindruck zu erwecken, dass es den Inhalt des Buches korrekt wiedergeben muss. • Falls das Kind versucht, einzelne Wörter zu lesen, greifen Sie nicht ein und unterbinden Sie es nicht. • Falls das Kind auf ein einzelnes Wort zeigt und Sie fragt „Was steht hier? “, sagen Sie ihm unmittelbar und direkt, was dort steht, anstatt das Kind durch ein gelenktes Gespräch selbst die Antwort finden zu lassen. • Antworten Sie kurz auf inhaltliche Nachfragen des Kindes. Beispiel: „Heißt der Peter? “ „Er heißt Paul.“ • Stellt das Kind Ihnen während des eigenen „Vorlesens“ die Frage „Was kommt jetzt noch mal? “, geben Sie einen kurzen inhaltlichen Impuls. • Fragt das Kind Sie während des eigenen „Vorlesens“ „Ist das richtig? “, antworten Sie „Du kannst nichts falsch machen. Wenn du das vorliest, ist das richtig. Denn du bist ja der Vorleser/ die Vorleserin.“ • Falls das Kind ins Stocken kommt, fragen Sie es „Wie geht’s weiter? “ (Möglichkeit A). Bewahren Sie Ruhe und lassen Sie Pausen zu (Möglichkeit B). Weitere Möglichkeiten, wie Sie reagieren können, falls das Kind ins Stocken kommt: Möglichkeit C: K: Ich weiß nicht mehr, wie’s weitergeht. E: Das ist nicht schlimm, dann tust du so, als ob du lesen würdest und dann machst du weiter. K: [.] Sie war nicht mehr klein und hungrig. Sie war satt und groß und dick geworden. Möglichkeit D: K: Der Johnny Mauser schlägt ihm die Milchkanne [.] ähm - der dicke Waldemar der bläst in die Trompete und der Waldemar/ ähm der Franz von Hahn kräht. E: Mhhhm [3]. Du kannst nichts falsch machen, einfach so tun, als ob du mir das vorliest. 602 Anhang K: Genau. [.] Ähm, kein Berg war STEIL, kein Pfütze war ihm ZU TIEF Möglichkeit E: Wiederholen Sie den letzten Satz oder einen Teil des letzten Satzes, den das Kind „vorgelesen“ hat. Möglichkeit F: Fassen Sie kurz zusammenfassen, was Kind gerade „vorgelesen“ hat. Die folgenden Verhaltensweisen sollten vermieden werden, wenn das Kind ins Stocken kommt. Fordern Sie das Kind nicht auf, umzublättern. Überlassen Sie das Umblättern nach Möglichkeit (! ) dem Kind. Vermeiden Sie bitte Folgendes: K: Igel sah wie Dachs in den Himmel s t a rr - te E: [8] hm [2] wie geht die Geschichte weiter [.] wollen wir mal auf der nächsten Seite gucken? K: [11] Weiß ich nicht [5] [blättert zwei Seiten weiter] Dachs h o l t e [2] T ö p fe , P f a n n e n [2] aus (seinem) Haus [blättert um] Vermeiden Sie bitte auch Folgendes: E: Erinnerst du dich noch, was Pauli sich gefragt hat? K: Wann sein Geburtstag ist. Verweisen Sie, wenn das Kind ins Stocken kommt, nicht auf die Bilder des Bilderbuches, um nicht in die Textproduktion des Kindes einzugreifen und das Kind nicht zum Beschreiben der Bilder oder zum Erzählen zu verleiten. Verwenden Sie nicht die Formulierung „Und dann? “, da diese die Sprachpro‐ duktion des Kindes beeinflussen kann. K: [blättert um] Conn/ Conni bastelt mit Mama die Einladungskarten. [8] E: Und dann? K: Und dann [.] backt Conni [.] den Ku-chen und darf schon ganz alleine den Teig rühren [4] und/ un/ un/ und Mami backt den Schokoladenkuchen für dahause. Geben Sie dem Kind keine Sätze aus dem Bilderbuch vor und auch keine inhaltlichen Impulse, außer wenn dies ausdrücklich vom Kind gefordert wird. Abgesichert werden muss, dass das Medium „Buch“ der Trigger für die Textproduktion ist und das eigenständige Spiel zwischen Bild und Text die Textproduktion des Kindes herausfordert. Stand: 30.04.2021 Anhang 603 Register Adjektiv-299, 331, 369, 447, 453, 469, 493, 499, 520, 571, 578 Alltagsintegrierte Sprachförderung-26 Ausgelassene Inhalte-549 Instrument zur Beschreibung ausgelassener Inhalte-262 Auswertungsinstrumente-248 Bilderbuch 21, 28 ff., 32, 35 f., 38, 42, 44, 51, 74, 77, 79, 82, 89, 142 f., 158, 208, 212, 219, 228 f., 281 Bildungssprache-13, 46 Design-Based Research-221, 223, 226 Beurteilungsphase-222, 239 Prototypenentwicklung-222, 228 Vorprüfung-222, 226 Dialogic Reading-25, 36 f., 42, 74, 76 Hypothesen-565, 569, 571 f. Implizites Lernen-207 Implizites Wissen 175, 207, 337, 378, 419 f., 462, 471, 509, 516, 538, 540, 543 Intertextualität-13, 44, 151-154, 532 Kognitive Entlastung-134, 147 Kohärenz-50, 288, 317, 347, 388, 482, 561 Kohäsion-51, 288, 317, 347, 388, 431, 466, 482, 512, 515, 561 Kompositum-351, 356, 460, 507, 528, 559, 578 Konzeptionelle Schriftlichkeit 11 f., 17, 22, 40, 47 f., 63, 68, 70, 79, 82, 111, 231, 267, 305, 333, 371, 412, 455, 470, 502, 540, 569 Leerstelle-52, 261 f., 545, 552, 566 Leserorientierung-51, 304, 333, 371, 412, 457, 470, 503, 562 Instrument zur Beschreibung von Leserorientierung-259, 272 Literalität-39, 61, 65 Monologizität 42, 48, 78, 219, 225, 231, 306, 335, 417, 457, 471, 507, 565 Muster-115, 167, 171, 290, 325, 352, 395, 437, 485, 510, 539, 574 Analyseraster zur Beschreibung von Musterhaftigkeit im Kindertext mit Blick auf den Bilderbuchtext-248, 264 Baumuster-142, 170, 211 f., 290, 352, 485, 572 Erzähltypisches Muster-169, 300, 331, 369, 407, 449, 498 Mini-Baumuster-395 Sprachliches Muster-293, 325, 358, 396, 437, 468, 488 Strukturelles Muster 298, 328, 365, 399, 442, 469, 493, 520 Textmuster-123, 141, 144 Vier-Ebenen-Modell zur Beschreibung von Musterhaftigkeit-171, 271, 575 Neologismus-351 f., 431, 558 f., 572 Neue Inhalte-544 Instrument zur Beschreibung von Funktionen neuer Inhalte-261 Phraseologismus-116, 125 f., 130 f., 136, 138, 149 f., 166 Phraseoschablone-131, 137 Protoliteralität-64 Qualitative Inhaltsanalyse-245 Rhetorisches Mittel-554, 572 Schreibidee-61, 191 Sprachökonomie-558 Textprozeduren-149, 195 Transkriptionskonventionen-240 Überarbeitung 306, 335, 375, 418, 459, 471, 505, 564 f. Veränderte Inhalte-547 Instrument zur Beschreibung veränderter Inhalte-261 Verben in Begleitsätzen-258, 536 Vier-Felder-Tafel zu unspezifischen Verben in Begleitsätzen-258, 274, 536 Vorlesegespräch-74 f., 77, 112, 238 Register 605 Literacy im Elementar- und Primarbereich Forschungsbeiträge zu Literalität & Literarität Herausgegeben von Iris Kruse, Christiane Miosga, Katharina J. Rohlfing und Elvira Topalovi´c Die Reihe Literacy im Elementar- und Primarbereich (LiEP) ist ein Forum für Forschungsarbeiten im deutschsprachigen Raum, die eine sensible und kritische Phase des Literacy-Erwerbs in den Blick nehmen. Die Reihe geht von einem weiten Literacy-Begriff aus, der der Erforschung von Sprachbildungsprozessen in der inklusiven, mehrsprachigen Gesellschaft im digitalen Wandel angemessen ist. Dem entspricht ein Wissenschaftsverständnis, das unterschiedliche theoretische wie empirische Studien ermöglicht. Alle Bände der Reihe durchlaufen ein Peer-Review- Verfahren. Sie richten sich an Forschende, Lehrende und Studierende sowie an Erzieher: innen und Lehrkräfte in Bildungsinstitutionen wie Kita und Schule. Bisher sind erschienen: 1 Laura Drepper Ebenen des Narrativen in Bildimpulsen und Erzähltexten Eine empirische Studie über Wirkungspotentiale von Bildern auf schriftliche Erzählfähigkeiten in der Grundschule 2022, 405 Seiten €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8784-4 2 Kristina Strozyk Pretend Reading: Vorschulkinder „lesen vor“ Implizites Textwissen und Textproduktion am Ende des Kindergartenalters 2023, 605 Seiten €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8791-2 ISBN 978-3-7720-8791-2 Gängige Sprachförderkonzepte, die derzeit in Kindertagesstätten zum Einsatz kommen, konzentrieren sich primär auf die Förderung von Syntax und Wortschatz und sind häufig dialogisch ausgerichtet. Um bereits vorhandenes implizites Textwissen aktivierend herauszufordern, bietet es sich an, Kinder zu monologischen Textproduktionen anzuregen. Diesen Ansatz wählt diese Studie, in der Vorschulkinder aufgefordert wurden, ein ihnen bekanntes Bilderbuch „vorzulesen“. Die Datenerhebung zu diesem als Pretend Reading bekannten Verfahren erfolgte in vier Durchgängen und in jeweils an das gezeigte Sprachhandeln der Kinder angepassten und modifizierten Settings. Die Auswertungsergebnisse verweisen eindrücklich auf das vielversprechende Potenzial des Pretend Reading zur Sprachförderung. Die Funktion der Musterhaftigkeit für eigene Textproduktion wird dabei besonders betont.