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Pragmatik der Veränderung

2019
978-3-8233-9259-0
Gunter Narr Verlag 
Eva-Maria Graf
Claudio Scarvaglieri
Thomas Spranz-Fogasy

Veränderung gilt als raison d'être helfender Berufe in Beratung, Psychotherapie, Coaching, Medizin oder Physiotherapie. Die helfenden Interaktionen in den genannten Berufen und die dadurch initiierten und realisierten Veränderungen werden in und durch das Gespräch zwischen den AgentInnen und den KlientInnen / PatientInnen hervorgebracht. Bei diesem Band handelt es sich um eine der ersten Publikationen, die Zugänge zur qualitativen linguistischen Veränderungsforschung in helfenden Berufen bündeln und systematisieren. Pragmatik der Veränderung analysiert und beschreibt das Ko-Konstruieren von Veränderung mikroanalytisch auf der Basis authentischer Gesprächsdaten. Insbesondere werden interaktive Momente und Praktiken identifiziert, in denen Veränderung angestoßen, umgesetzt oder konstatiert wird. Der Band legt so eine theoretische, methodologische und empirische Systematisierung der linguistischen Veränderungsforschung in helfenden Berufen vor.

Pragmatik der Veränderung Herausgegeben von Prof. Dr. Eva Eckkrammer (Mannheim) Prof. Dr. Claus Ehrhardt (Urbino/ Italien) Prof. Dr. Anita Fetzer (Augsburg) Prof. Dr. Frank Liedtke (Leipzig) Prof. Dr. Konstanze Marx (Greifswald) Prof. Dr. Jörg Meibauer (Mainz) Die Bände der Reihe werden einem single-blind Peer-Review- Verfahren unterzogen. Bd. 2 Eva-Maria Graf / Claudio Scarvaglieri / Thomas Spranz-Fogasy (Hrsg.) Pragmatik der Veränderung Problem- und lösungsorientierte Kommunikation in helfenden Berufen Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Veröffentlicht mit Unterstützung des Forschungsrates der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt, des Departments Sprach- & Literaturwissenschaft der Universität Basel und des Leibniz-Instituts für Deutsche Sprache Mannheim. © 2019 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 2628-4308 ISBN 978-3-8233-8259-1 (Print) ISBN 978-3-8233-9259-0 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0182-0 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® 5 Inhalt Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung . . . . . . . . . . . 7 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Helfendes Handeln. Zum Begriff sprachlichen Helfens und seinen Implikationen für Veränderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 Joanna Pawelczyk Client change in psychotherapy: Methodological challenges and analytical affordances of discourse analysis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Michael B. Buchholz Veränderung braucht Verbindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Claudio Scarvaglieri Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy The Power of LoF. Veränderung durch Lösungsorientierte Fragen im psychotherapeutischen Gespräch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung: Elizitierungs- und Prozessierungsstrategien in Psychotherapie und Coaching-Gesprächen - Ein Vergleich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz „und wie wie entsteht veränderung und damit haben_s wir ja auch mit dir zu tun“ - Einblicke in die kommunikative Basisaktivität ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ im Führungskräfte-Coaching . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 6 Inhalt Cornelia Rüegger Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit. Ein Blick auf kommunikative Prozesse und Praktiken im Ausgangspunkt (nicht) erwünschter Veränderungsprozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Heike Ortner „Das werden wir schon hinkriegen …“: Veränderungskommunikation in physiotherapeutischen Interaktionen während der Neurorehabilitation . . . 265 Claudio Scarvaglieri, Eva-Maria Graf & Thomas Spranz-Fogasy Dimensionen von Veränderung in helfenden Berufen - Befunde und Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy 1. Veränderung als raison d’être helfender Berufe Im Zentrum helfender Berufe wie Medizin, Physiotherapie, Psychotherapie, Beratung und Coaching steht die professionelle Interaktion zwischen Expert*innen und Klient*innen, welche die Klient*innen dabei unterstützen soll, „ihre physische, psychische, intellektuelle und/ oder emotionale Verfassung zu verändern, zu stärken oder Probleme im Zusammenhang damit zu lösen“ (Graf und Spranz-Fogasy 2018b, s. auch Miller und Considine 2009). Veränderung ist der primäre Zweck helfender Berufe, er strukturiert die helfende Interaktion und macht sie von anderen Interaktionsformen unterscheidbar. Der kommunikative Prozess, der Veränderung entweder begleitet (etwa in der Medizin und Physiotherapie) oder ursächlich hervorbringen soll (wie in Therapie, Beratung oder Coaching), ist sprachwissenschaftlich auch bereits mehr oder weniger intensiv erforscht worden (neuere Überblicke etwa bei Pick (Hrsg.) 2017 und Graf und Spranz-Fogasy 2018b, s. auch Graf, Sator und Spranz-Fogasy (Hrsg.) 2014; Busch und Spranz-Fogasy 2015). So wurden etwa einzelne Praktiken (z. B. Bercelli, Rossano und Viaro 2008; Antaki 2008; MacMartin 2008; Spranz-Fogasy 2010; Weiste und Peräkylä 2013), übergeordnete Formate und Mechanismen des Gesprächs (Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011; Bercelli, Rossano und Viaro 2013; Scarvaglieri 2013; Spranz-Fogasy 2014; Graf 2019) wie auch Prinzipien, an denen sich die Interagierenden orientieren (Ferrara 1994; Pain 2009; Pawelczyk 2011) detailliert beschrieben. Dieses Wissen über die die Interaktion prägenden Strukturen wurde jedoch nur vereinzelt mit dem Zweck helfenden Handelns, dem Auslösen hilfreicher Veränderungsprozesse auf Seiten der Klient*innen, in Beziehung gesetzt (aber siehe Voutilainen, Peräkylä und Rusuuvuori 2011; Voutilainen, Rossano und Peräkylä 2018; Pawelczyk und Graf (Hrsg.) under review). Ein Überblick über die Empirie von Veränderungskommunikation sowie ein systematisierender Zugriff auf dieses Phänomens fehlen bis dato. 8 Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy Der Ursprung der modernen Veränderungsforschung liegt in der quantitativ-operierenden, psychologischen Erforschung der Wirksamkeit von Psychotherapie, welche sich ihrerseits in Orientierung an Effektivitätsstudien in der Medizin (nach dem Modell des Randomized Controlled Trial , RCT) entwickelt hat. Dort eingesetzte Verfahren wurden in der weiteren Entwicklung z. B. auch in der psychologischen Coaching-Forschung verwendet, wo ebenfalls quantitative Outcome-Studien die Forschungslandschaft prägen. Die Wirksamkeit von helfender Kommunikation zu erforschen ist ein höchst komplexes Unterfangen: Bei Therapie, Coaching und anderen Formaten helfender Kommunikation handelt es sich nicht um physikalische Gegenstände, die man objektiv vermessen kann, sondern jeweils um ein Konglomerat an sozial und diskursiv konstruierten Handlungspraktiken, die jeweils individuell an die Bedürfnisse von Agent*innen und Klient*innen angepasst werden und sich in einem institutionell überformten Kommunikationsprozess wandeln. Veränderung bzw. Wirksamkeit von Kommunikation in helfenden Berufen wird insbesondere hinsichtlich Wirkfaktoren untersucht. Im Generic Model of Psychotherapy von Orlinsky, Ronnestad und Willutzki (2004), das als transtheoretischer Rahmen relevante Ergebnisse in Bezug auf den Zusammenhang von therapeutischem Prozess und Wirksamkeit integriert, wird hinsichtlich der das Ergebnis beeinflussenden Wirkvariablen zwischen Input-, Prozess- und Kontextvariablen unterschieden. Inputvariablen umfassen, was Agent*in und Klient*in/ Patient*in in den Prozess einbringen. Dies können z. B. Persönlichkeitseigenschaften sein, die Veränderungsbereitschaft der Klient*innen, oder die Ausbildung der Agent*innen. Kontextvariablen verweisen darauf, dass sich die Klient*innen neben der Beratung in einem Umfeld bewegen, das den Beratungsprozess positiv oder negativ beeinflussen kann (vgl. Künzli 2018). Prozessvariablen wiederum beziehen sich auf das Geschehen innerhalb der helfenden Dyade. Im Kontext der Prozessvariablen identifiziert die etablierte quantitative Therapie- und Coachingwirkfaktorenforschung die therapeutische Beziehung, die Aspekte der Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung und motivationalen Klärung sowie die Problembewältigung als zentrale mediators and mechanisms of change (Kazdin 2009), d. h. als Wirkfaktoren. Diese wurden mittels statistisch ausgewerteten prä- und post-Interviews bzw. Fragebögen ermittelt (vgl. Grawe, Bernauer und Donati 1994; Gassmann und Grawe 2006 für die Psychotherapie oder z. B. Behrendt 2006, 2012 für Coaching). Allerdings sind die Fragen WIE bzw. WARUM diese Wirkfaktoren zu einer positiven Veränderung für die Klient*innen führen, bis dato nicht befriedigend geklärt bzw. von einem großen Teil der Forschung gar nicht gestellt worden. Zum einen ist es für die existierende psychologische Interaktionsforschung nur in Ansätzen möglich, der Komplexität menschlicher Kommunikation, die verbal, Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung 9 non-verbal und para-verbal abläuft, gerecht zu werden (vgl. Künzli 2018). Zum anderen ist ein Teil der Forschung primär am ‚Outcome‘ unterschiedlicher Verfahren interessiert und blendet den Prozess, der zu diesen Ergebnissen führt, als „Black Box“ (Elliott 2010: 124) aus (s. etwa Margraf 2009; kritisch Buchholz 2007). So formuliert Kazdin (2009: 418) für die Psychotherapie, „(a)fter decades of psychotherapy research and thousands of studies, there is no evidence-based explanation of how or why even the most well-studied interventions produce change.“ Ähnlich fordern de Haan, Bertie und Sills (2010: 110) qualitative Untersuchungen des Coaching prozesses : In order to understand the impact and contribution of executive coaching and other organisational consulting interventions, it is not enough to just understand general effectiveness or outcome. One also has to inquire into and create an understanding of the underlying coaching processes themselves, from the perspectives of both clients and coaches. Während die quantitativ operierende psychologische Outcome-Forschung den Blick also nahezu ausschließlich auf die Wirksamkeit verschiedener Therapieformen gerichtet hat, haben qualitativ operierende sprachwissenschaftliche Analysen helfender Interaktionen umgekehrt lange die Frage vernachlässigt, welchen Beitrag die beschriebenen kommunikativen Praktiken zur institutionell angestrebten Veränderung der Klient*innen leisten. Sie haben stattdessen ausschließlich das WIE, in dem diese Praktiken realisiert werden, im Blick gehabt (Elliott 2010: 129, Peräkylä 2013: ch. 4). Erst in jüngerer Zeit wird die Bedeutung einer linguistischen Veränderungsforschung verstärkt herausgearbeitet, sind vereinzelte Analysen sprachwissenschaftlicher Provenienz zu hilfreichen Veränderungen in helfenden Berufen vorgelegt worden (Muntigl und Horvath 2005; Graf 2011; Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011; Scarvaglieri 2013, 2015; Voutilainen, Rossano und Peräkylä 2018 sowie die Beiträge in Pawelczyk und Graf (Hrsg.) under review). Diese auf der sprachlich-interaktiven Mikro-Ebene angesiedelten Studien können der sich gegenwärtig entwickelnden Forschungsrichtung change process research , welche wiederum v. a. der Psychotherapie-Forschung entstammt, zugeordnet werden: Change process research using qualitative approaches has advanced psychotherapy research by illuminating aspects of the psychotherapeutic process not visible from clinical trials and more quantitative methods alone. Quantitative approaches, while important in determining treatment efficacy, have not been able to explain “how” treatments work. (Watson und McMullen 2016: 507) In einem Überblicksartikel hierzu diskutiert der Psychologe und Psychotherapeut Robert Elliott (2010) verschiedene Ansätze der Veränderungsforschung, 10 Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy die nach einer Verbindung von Outcome und Prozess streben. Neben den quantitativ verfahrenden Studien des „process-outcome-design“, dem Ansatz des „qualitative helpful factors design“ und dem von Elliott mit entwickelten „signifcant events approach“ geht er dabei auch auf Arbeiten nach dem von ihm sog. „microanalytic sequential process design“ ein. Darunter fasst Elliott „research on the turn-to-turn insession interaction between client and therapist“ (2010: 128). Elliott hebt die Seltenheit gerade dieser Art von Untersuchungen innerhalb der Veränderungsforschung hervor und nennt, neben der der Veränderungsforschung grundsätzlichen zukommenden Unsicherheit über kausale Zusammenhänge zwischen Prozess und Outcome (ebd.: 129, vgl. Kazdin 2009), als Hauptgrund dafür, dass diese Art der Forschung difficult and time consuming (ebd.) sei. Aus der Perspektive der Praxis ist jedoch gerade eine solche Integration von qualitativer, mikroanalytischer Prozessforschung und der Untersuchung von Wirkfaktoren in helfenden Berufen von hoher Bedeutung. So betonen etwa Weiste und Peräkylä (2015: 8), dass „from a clinical point of view, change in the client is indeed of utmost interest “ (vgl. auch Graf 2011 im Kontext von Coaching und ihre Unterscheidung in ‚Meta-Diskurs über Veränderung‘ vs. ‚Veränderungs-Diskurs‘). Der vorliegende Band führt eben diese Integration von mikroanalytischer Prozessforschung mit der Identifikation von Wirkfaktoren im Sinne einer qualitativen Veränderungsforschung zusammen, indem er linguistische Studien versammelt, die Formen hilfreicher Veränderung in Psychotherapie, Coaching, Beratung und Physiotherapie empirisch im Sinne eines sequentiellen Prozess-Designs (siehe oben) nachzeichnen und sich dabei an gemeinsamen Fragen orientieren. Diese Fragen sind sowohl von grundlegender theoretischer Reichweite, etwa was überhaupt als Veränderung zu erfassen und entsprechend zu erforschen ist. Die Antwort auf diese Frage wiederum ist abhängig von der zugrundeliegenden Theorie von Veränderung. Der jeweils untersuchte Gegenstand konstituiert sich dabei in Abhängigkeit von der zugrundeliegenden Theorie von Veränderung bzw. den Prozessen, die dieser Theorie zufolge geeignet sind, hilfreiche Veränderungen auszulösen (zur Frage der Gegenstandskonstitution vgl. Deppermann 2003: 14-16). So fassen etwa linguistische Arbeiten zur Psychotherapie eher das sprachliche Verhalten als Ausdruck von Veränderung (z. B. Muntigl und Horvath 2005, Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011), wohingegen psychoanalytische oder therapietheoretische Ansätze stärker auf psychische Prozesse rekurrieren (Thomä und Kächele 2006: 290 f. oder Krause et al. 2007: 677). Für die gegenwärtige Forschung wie für den vorliegenden Band bedeutet dies, dass die jeweils zugrundeliegende Theorie von Veränderung explizit gemacht werden muss, damit nachvollziehbar wird, auf welcher Grundlage die Daten als bedeutsam für Veränderung ausgewählt wurden. Darüber hinaus Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung 11 liegt ein zentraler Erkenntnisgewinn darin, eine Systematisierung der Ansätze zur Bestimmung und Erforschung von Veränderung in helfenden Berufen zu schaffen - der vorliegende Band strebt in einem abschließenden Beitrag einen solch systematisierten Zugriff auf den Phänomenbereich Veränderung in helfenden Berufen an. In engem Bezug zur Frage der theoretisch bedingten Gegenstandskonstitution stehen methodologische Fragestellungen der Dokumentation und Beschreibung von Veränderung. Traditionell wird Veränderung in Medizin und Psychotherapie entweder anhand physischer Marker gemessen oder mittels Fragebögen in Vorher-Nachher-Studien erfragt (Gassmann und Grawe 2006; Elliott 2010; Lambert (Hrsg.) 2013). Das Ergebnis dieser Untersuchungen wird anschließend dem verwendeten therapeutisch-medizinischen Verfahren zugeschrieben, ohne dass deutlich wird, an welcher Stelle der Behandlung hilfreiche Veränderungsprozesse ausgelöst oder interaktiv unterstützt wurden. Diese Lücke versucht die im Entstehen begriffene qualitativ-linguistische Veränderungsforschung zu schließen, indem sie zunächst den interaktiven Prozess audio- und videographisch dokumentiert. So legt der Großteil der im Band versammelten Beiträge Aufnahmen und Transkripte der interaktiven Prozesse helfenden Handelns zugrunde. Im Unterschied zur Mehrzahl der vorliegenden sprach- und kommunikationswissenschaftlichen Analysen werden diese Prozessdaten jedoch nicht nur formal analysiert, sondern die erkannten, die Interaktion prägenden Muster werden auf ihre funktionale Zweckmäßigkeit, also ihre Bedeutung für das ‚Outcome‘ des Prozesses, hin befragt, wobei die Bedeutung einzelner interaktiver Sequenzen innerhalb des institutionellen Rahmens mit Mitteln der linguistischen Gesprächsanalyse detailliert rekonstruiert wird. Damit wird die ‚Black Box‘ (Elliott 2010) der helfenden Interaktion geöffnet, was Erkenntnisse von theoretischer Bedeutung zum Verhältnis von sprachlichen Formen und Funktionen erbringt, aber auch aus angewandter Perspektive von hoher Bedeutung ist, da konkrete Aussagen über bestimmte kommunikative Handlungen und ihren Zusammenhang zum angestrebten Zweck der Interaktion getroffen werden. Gleichzeitig kann es so zu einem kritischen Abgleich kommen zwischen idealisierten Vorstellungen über das eigene professionelle Handeln und der kommunikativen Realität im Sinne von Stokoes (2012) talk-in-theory versus talk-in-practice. Und schließlich kann die interaktionale Bedeutung von sogenannten seen, but unnoticed Phänomenen in Garfinkels (1967) Sinn mit Hilfe qualitativ-linguistischer Analysen aufgedeckt werden. All dies kann den Ausgangspunkt bilden für eine grundsätzliche kommunikative Sensibilisierung, wie für die Aneignung der herausgearbeiteten Erkenntnisse durch Praktiker*innen helfender Berufe. 12 Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy Aus empirischer Perspektive drängen sich des weiteren Fragen zu den Dimensionen von Veränderung auf, also hinsichtlich Indikatoren und Objekten von Veränderung sowie hinsichtlich interaktiver Praktiken, die Veränderung vorantreiben können bzw. in denen sich Veränderungen manifestieren. Die hier versammelten Beiträge machen, aufbauend auf dem gewählten theoretischen und methodischen Zugang, unterschiedliche Dimensionen von Veränderung sichtbar; auch hier soll im abschließenden Beitrag eine Systematisierung vorgelegt werden. Empirisch lässt sich hilfreiche Veränderung bezüglich der Formen des Wandels an unterschiedlichen Phänomenen festmachen. So zeigt sich Veränderung 1.) an der Oberfläche des kommunikativen Prozesses als verändertes Reden über sich selbst und die eigenen Erlebnisse bzw. als verändertes Reagieren auf das Verhalten des Gegenüber (Muntigl und Horvath 2005; Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011). Veränderung kann 2.) handlungstheoretisch als verändertes Handeln in vergleichbaren Situationen verstanden werden (Thomä und Kächele 2006; Scarvaglieri 2015, 2017) - ein Veränderungsbegriff, der über die aktuell repräsentierte Interaktion zwischen helfender und Hilfe suchender Person hinausgeht und auch das Verhalten im Alltag erfassen soll, so dass er vergleichsweise nahe an dem Verständnis der Praktiker*innen liegt. Aktionale wie rein sprachliche Veränderungen basieren schließlich 3.) auf veränderten psychischen Prozessen, etwa darauf, dass Ereignisse „from new angles“ (Gale 1999: ix; vgl. Scarvaglieri 2013: 281 f.) gesehen werden. Zudem kommt es 4.) in Physiotherapie und Medizin zu körperlichen Veränderungen, die zum Teil unmittelbar in der Interaktion manifestiert sind und videographisch nachgewiesen werden können. Insgesamt fokussieren die Beiträge des Bands v. a. Veränderungsprozesse auf sprachlich-kommunikativer Ebene, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass diese ihrerseits mit mentalen, ggf. somatischen oder physischen Prozessen verkoppelt sind und dass das eigentliche Ziel helfender Berufe in veränderten Verhaltensformen jenseits der aktuell repräsentierten Dyade besteht. Dabei kommt innerhalb der hier konzipierten Veränderungsforschung der Identifikation und Mikroanalyse kommunikativer Praktiken, in denen sich Veränderung interaktiv realisiert, zentrale Bedeutung zu. Diese Detailanalysen kommunikativer Verfahren und ihres Bezugs zum institutionellen Zweck stellen das Zentrum der einzelnen Beiträge wie des gesamten Bandes dar, sie bilden die Basis für eine theoretische Erfassung des Phänomenbereichs wie auch für eine wissenschaftlich informierte Weiterentwicklung der Praxis helfenden Handelns und öffnen in der Verbindung von Mikroanalyse und Makroperspektive nicht zuletzt auch der Gesprächs- und Konversationsanalyse neue methodologische Perspektiven. Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung 13 2. Linguistische Veränderungsforschung Linguistische Veränderungsforschung ist ein im Entstehen begriffenes Feld, das in den letzten Jahren an Dynamik gewonnen hat, was sich an einer zunehmenden Anzahl an Publikationen in diesem Bereich zeigt zu der auch dieser Sammelband gehört (siehe auch Pawelczyk und Graf (Hrsg.) (under review)). Grundsätzlich unterscheiden sich die existierenden Studien danach, ob sie Sequenzen fokussieren, die als Indikatoren für klientenseitigen Wandel angesehen werden können (Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011; Pawelczyk i.d.B.), oder Handlungen der Agent*innen, die an sich in der Lage sind, Veränderungsprozesse anzustoßen (vgl. Scarvaglieri 2015, i.d.B.; Spranz-Fogasy et al. revised; Kabatnik et al. i.d.B.; Spranz-Fogasy et al. i.d.B.) bzw. sie unmittelbar realisieren (Pick und Scarvaglieri i.d.B.). Zudem werden interaktive Loci - längere interaktive Passagen wie Turns, Phasen, Sitzungen oder sitzungsübergreifende Aktivitäten (vgl. Bercelli, Rossano und Viaro 2008, 2013; Voutilainen, Rossano und Peräkylä 2018; Graf und Jautz i.d.B.; Buchholz i.d.B.) - untersucht, in denen Veränderungen zunächst ausgehandelt und dann interaktiv umgesetzt werden. Darüber hinaus werden auch vermehrt embodied practices in den Blick genommen, die - in Zusammenarbeit mit sprachlichen Praktiken, aber auch für sich alleine stehend - als veränderungsinitiierend bzw. allgemeiner, veränderungsrelevant für bestimmte helfende Formate wie Physiotherapie etabliert werden (Ortner i.d.B.). Und schließlich geht es auch darum, wessen Version bzw. Definition einer Situation oder Sachlage im Kontext von sozialer Arbeit als Ausgangpunkt für eine als notwendig eingestufte Veränderung im Sinne eines Eingreifens in z. B. Familien genommen wird (Rüegger i.d.B.). Eine der ersten Arbeiten, die „client change“ im Titel führt, entstammt der Zusammenarbeit des Linguisten Peter Muntigl mit dem Psychotherapeuten Adam Horvath. Sie beschreiben insbesondere zwei Prozesse, die auf der Mikroebene der Interaktion zu Veränderung führen: Zum einen läßt die sprachliche Nominalisierung von problematischen Verhaltensweisen des Patienten (etwa als „this letting him down“ (Muntigl und Horvath 2005: 224)) das fragliche Verhalten als eine eigene, vom handelnden Patienten separate Entität erscheinen und etabliert damit eine mentale Distanz zu diesem Verhalten. Dies wiederum erschwere es den Patient*innen, „to attribute the negative behavior as a central part of their identity“ (Muntigl und Horvath 2005: 225). Zum anderen arbeiteten Therapeut*innen daran, „causal relations between problem behaviors“ (ebd.) zu konstruieren, welche den Ursprung der Problematik außerhalb des Patienten verorteten. Dies ermöglicht es den Patient*innen, eine veränderte Perspektive auf sich selbst und das eigene Verhalten zu gewinnen, was zu psychischer Gesundung und zum Verschwinden von Symptomen beiträgt. Mittels 14 Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy Mikroanalysen agentenseitigen Handelns weisen Muntigl und Horvath in ihren Analysen also auf spezifische sprachliche Verfahren hin, die grundsätzlich in der Lage sind, die Perspektive der Patient*innen zu verändern und damit hilfreiche Veränderungen psychischer und behavioraler Art anzustoßen. Als Indikator dafür, dass dies auch tatsächlich geschieht, werten die Autoren, dass die konkret untersuchte Patientin im Therapieverlauf diese sprachlichen Verfahren übernimmt (Muntigl und Horvath 2005: 226), also selbst mittels Nominalisierung und Konstruktion von kausalen Verhältnissen eine Distanz zum problematischen Verhalten etabliert. Ähnlich sehen auch Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori (2011) in ihrer einflussreichen Arbeit über „therapeutic change in interaction“ die veränderte Reaktion des Patienten auf „conclusions“ des Therapeuten - zusammenfassende Handlungen „that suggest something on the basis of the preceding discussion“ (Voutilainen, Peräkylä und Ruusuvuori 2011: 351) - als Indikator für eine Veränderung, die über eine rein sprachliche Anpassung hinausgeht und auf ein Fortschreiten der Patient*innen innerhalb der „zone of proximal development“ (ebd.: 362; vgl. Leiman und Stiles 2001) hindeutet. Graf (2011, 2015, 2019) zeigt, wie Veränderung in Coaching-Prozessen im Kontext der kommunikativen Basis-Aktivität „Co-Constructing Change“ zu einem Thema interaktiver Aushandlung und Ratifizierung zwischen Klient*in und Coach wird. Veränderung wird hier explizit thematisiert und evaluiert (im Kontext einer weiteren kommunikativen Basis-Aktivität, „Evaluating the Coaching“), so dass die Aussagen der Beteiligten zum Indikator für Veränderung sowie für den interaktiven Umgang damit gemacht werden können. Scarvaglieri (2013, 2015) identifiziert als Ausgangspunkte für hilfreiche Veränderung in der Psychotherapie u. a. die therapeutenseitige Benennung von Erlebnissen der Patient*innen, durch welche der Anschluss an gesellschaftlich etablierte Wissensbestände hergestellt und die Perspektive so verändert wird, dass andere Handlungsoptionen sichtbar werden. Zudem bezweckt das Vorgehen der Therapeut*innen das patientenseitige Verstehen der eigenen biographischen Situation, durch welches die Patient*innen dieser Situation gegenüber handlungsfähig werden (Scarvaglieri 2013). Mit dem Benennen patientenseitiger Erfahrungen wird also auch hier eine konkrete sprachliche Verhaltensweise identifiziert, die das Potential hat, hilfreiche Veränderung auszulösen. Dabei wird auch auf Theorien der kognitiven Linguistik zurückgegriffen (Scarvaglieri subm.), die in Form der Metaphernanalyse einen wichtigen Einfluss auf die qualitative Erforschung von helfenden Berufen gehabt haben (Überblick bei Tay 2013; Schmitt 2014). Dieser Ansatz schreibt der Verwendung der passenden Metaphorik bzw. dem situativ angemessenen „Wechselspiel der Sichtweisen“ (Buchholz 1998: 561) zentrale Bedeutung für Veränderung zu - indem die aktuell passende Metapher gewählt wird, gelingt es Patient*innen, neue Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung 15 und andere Aspekte ihres Selbst zu sehen und zu verstehen. Schmitt schildert z. B., wie in einer Supervision das Verhalten eines Beraters metaphernanalytisch als „drängende[s] ‚in-Bewegung-bringen‘“ (Schmitt 2000: 168) erkannt und daraufhin so korrigiert werden konnte, dass der Betreute mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung entwickeln konnte (s. auch Buchholz u. a. 2008; Tay 2013). In der Arbeit von Bercelli, Rossano und Viaro (2013) findet sich über das Identifizieren einzelner diskursiver Praktiken, die Veränderung initiieren oder fortführen, hinaus der Aspekt der “supra-session courses of action“: die Autoren nehmen dabei eine Perspektive auf Veränderung ein, die das interaktive und thematische Zusammenspiel diskursiver Praktiken über mehrere Sitzungen untersucht. Konkret beschreiben sie den veränderungsrelevanten Zusammenhang von „enquiry“ und „elaboration“ im Kontext von „change of stance“ auf Seiten der Patient*innen. Und schließlich diskutiert die Arbeit von Voutilainen, Rossano und Peräkylä (2018) den Zusammenhang zwischen Themenentwicklung und sequenziellem Kontext, ebenfalls entlang von Therapieprozessen, als Manifestation und Emergenz von Veränderung der Patient*innen. Mit dem vorliegenden Band werden diese Ansätze aufgegriffen und weiterentwickelt, so dass das Potential des „microanalytic sequential process design“ (Elliott 2010) ausgeschöpft werden kann. Gleichzeitig soll der ebenfalls u. a. von Elliott (2010) geäußerten Kritik entgegengetreten werden, dass gerade qualitative Untersuchungen aus der Konversations- und Gesprächsanalyse nur allgemein beschreibend die Gesprächsstruktur der Therapiesitzungen untersuchen, anstatt sich spezifisch dem Veränderungsprozess zu widmen. So stellen sich sämtliche der im Band versammelten Beiträge der Aufgabe, den Prozess helfender Interaktion im Detail zu dokumentieren und mikroanalytisch zu untersuchen. Dabei werden auch, in Ergänzung zu den oben diskutierten, bereits vorliegenden Studien, zum einen weitere sprachliche Verfahren herausgearbeitet, mit denen Agent*innen Veränderungen anstoßen oder realisieren. Zudem werden Indikatoren für Veränderungen auf Seite der Klient*innen identifiziert. Diese empirische Erweiterung des Phänomenbereichs bereitet die ausstehende theoretische Systematisierung von Veränderung in helfenden Berufen vor. Anders als etwa bei der Klassifizierung von Elliott (2010; s. o. 1)), der anhand von Methoden der Forschung kategorisiert, kann dabei jedoch das sprachliche Handeln zwischen Klient*innen und Agent*innen im Hinblick auf seinen Zusammenhang zu Veränderung erfasst und zum Ausgangspunkt der theoretischen Systematisierung werden (vgl. Pick (Hrsg.) 2017). Schließlich werden die sprachlich-interaktiven Verfahren auch vor dem Hintergrund der jeweiligen professionellen Interaktion in die professions-endemischen Theorien von Veränderung im Sinne von Peräkylä und Vehviläinens (2003) professional stocks of interaction knowledge interpretiert. 16 Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy 3. Aufbau des Bandes 1 Den Band eröffnen zwei Beiträge, die die theoretischen Grundlagen von Veränderung in helfenden Berufen vertieft diskutieren. Ina Pick und Claudio Scarvaglieri befassen sich zunächst mit dem Begriff des sprachlichen Helfens, der für viele Arbeiten über Veränderung von Bedeutung ist. Basierend auf handlungstheoretischen Sprachtheorien legen sie ein allgemeines Konzept des Helfens vor, das sie anhand des Beratens auf sprachliches Helfen übertragen und weiterentwickeln. Anschließend zeigen sie in der Analyse von Kommunikation aus verschiedenen sozialen Bereichen (Schule, Autoverkauf, Psychotherapie), wie unterschiedliche Formen des sprachlichen Helfens empirisch realisiert werden und in welcher Relation zu klientenseitigen Veränderungsprozessen diese jeweils stehen. Im Anschluss legt Joanna Pawelczyk zunächst eine detaillierte Diskussion bestehender Ansätze der psychotherapeutischen Veränderungsforschung vor und strebt anschließend an transkriptbasiert zu zeigen, wie sich das prominente Modell der allen Therapieansätzen gemeinsamen Wirkfaktoren („common factors“, Lambert 2013) mit konkreten Interaktionsprozessen verbinden lässt. Dabei werden nicht nur methodologische und empirische Desiderata der linguistischen Veränderungsforschung identifiziert, sondern auch Wege gewiesen, auf denen diese Desiderata bearbeitet werden können. Da die qualitative Veränderungsforschung wesentlich durch Ansätze der Therapieforschung geprägt wurde und in diesem Bereich auf vergleichsweise umfassendes methodisches und empirisches Wissen zurückgegriffen werden kann, befasst sich der empirische Teil des Bandes zunächst mit Veränderung in der Psychotherapie. Michael Buchholz argumentiert in seinem Beitrag gegen den vereinfachenden Gegensatz von medizinisch-technischen und kontextuellen Therapiemodellen und bringt „Konversation“ bzw. Konverationsanalyse als drittes, vermittelndes Element in die Diskussion. Er weist auf die Bedeutung der zwischenmenschlichen Verbindung zwischen Therapeut*in und Patient*in hin, die die Grundlage für jegliche therapeutenseitige Intervention und für die persönliche Weiterentwicklung der Patient*in bildet. Diese Verbindung wird im Anschluss an die Säuglingsforschung als „dyadic state“ gefasst, in Ausschnitten 1 Der vorliegende Band nimmt seinen Ursprung in einem Panel zum Thema The Pragmatics of Change in Therapy and Related Formats , das die Herausgeber*innen im Rahmen der 15. International Pragmatics Conference im Jahr 2017 in Belfast organisierten. Zentrale Beiträge dieses Panels finden sich in ausgearbeiteter und aktualisierter Form neben weiteren (internationalen) Beiträgen einschlägiger Autor*innen aus dem Feld der linguistischen Beratungsbzw. Veränderungsforschung. Wir bedanken uns bei den Reihenherausgeber*innen von „Studien zur Pragmatik“, Eva Eckkrammer, Claus Ehrhardt, Anita Fetzer, Frank Liedtke, Konstanze Marx sowie Jörg Meibauer für die Plattform unsere Ergebnisse präsentieren zu können und für die gute und konstruktive Zusammenarbeit. Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung 17 aus therapeutischen Gesprächen identifiziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung für Veränderung als „vorausschauende Empathie“ beschrieben. Claudio Scarvaglieri befasst sich in seinem Beitrag mit Äußerungen, die auf einer solchen Verbindung zwischen Therapeut*in und Patient*in aufbauen. Interventionen, die auf Verstehen bzw. „Einsicht“ (Freud) in biographische Zusammenhänge abzielen, wird in der tiefenpsychologischen und psychoanalytischen Therapietheorie traditionell sehr hohe Wirksamkeit zugeschrieben. Scarvaglieri plädiert gegen eine Verengung von Verstehen als einseitig von der Therapeut*in vermittelt und zeigt an einem Beispiel, wie sich Therapeut und Patientin gemeinsam einen verstehenden Zugriff auf die biographische Situation der Patientin erarbeiten. Dabei wird deutlich, dass es den Beteiligten nicht etwa um abstrakte rationalistische Einsichtsprozesse geht, sondern um ein Verstehen, das unmittelbar an die Lebensrealität der Patientin andockt und sie daher auch verändern kann. Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal und Thomas Spranz-Fogasy befassen sich mit lösungsorientierten Fragen in psychotherapeutischen Diagnosegesprächen, also mit Fragen, bei denen es der Therapeut*in nicht allein um das Erheben der Anamnese bzw. um bestehende Probleme geht, sondern auch um die Thematisierung von Problemlösungsmöglichkeiten bzw. von Wünschen der Patient*in diesbezüglich. Die Autor*innen arbeiten in der Analyse mit dem Konzept der „Antwortoptimierung“ und zeigen exemplarisch, wie lösungsorientierte Fragen zu einer veränderten Perspektive der Patient*in auf die eigene Situation, das bestehende Problem und etwaige Lösungsmöglichkeiten beitragen können, so dass bereits im Verfahren der Diagnosestellung erste Grundsteine für spätere therapeutische Veränderungen gelegt werden können. Die Untersuchung der Wirksamkeit von Führungskräfte-Coaching hat sich stark an Ansätzen der Psychotherapieforschung orientiert, entsprechend vergleichen Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Christoph Nikendei und Johannes C. Ehrenthal die Bedeutung von Beispiel-Nachfragen in Coaching und Therapie mit Hinblick auf Veränderung in beiden Handlungsformaten. Beispielnachfragen evozieren Darstellungen von Beispielen, die strukturelle Elemente eines allgemeineren Zusammenhangs wie auch deren Beziehungen zueinander enthalten. An Beispielen können so am konkreten Fall zentrale Probleme, alternative Betrachtungsweisen und darauf aufbauend konkrete Veränderungsmaßnahmen diskutiert werden. Unterschiede zwischen den beiden Interaktionstypen zeigen sich vor allem hinsichtlich der Bereitschaft der Patient*innen in der Therapie und Klient*innen im Coaching, über ihr subjektives Erleben zu sprechen. Patient*innen leisten zudem fast immer zunächst Widerstand bei der Bearbeitung von Beispiel-Nachfragen, während Klient*innen bereitwilliger Beispiele darstellen. Im Coaching lassen sich daher Veränderungen sehr 18 Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri & Thomas Spranz-Fogasy viel schneller angehen, während in Therapiegesprächen die Therapeut*innen die Bedingung der Möglichkeit von Veränderung erst noch herstellen müssen. Die vergleichenden Analysen des spezifischen Veränderungspotentials von Beispielnachfragen leisten einen Beitrag zu einem besseren Verständnis von Veränderungskommunikation in helfenden Interaktionen, dienen aber auch dazu, interaktionstypologische Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden helping settings herauszuarbeiten. Eva-Maria Graf und Sabine Jautz beschreiben, wie Veränderung im Coaching sprachlich thematisiert und ko-konstruiert wird. Dazu fokussieren sie die kommunikative Basis-Aktivität „Ko-Konstruieren von Veränderung“ und ihre inter- und intra-aktivitätsspezifische Ausgestaltung im Kontext eines Coaching-Prozesses im Sinne einer case study . Während die inter-aktivitätsspezifische Dimension die gegenseitige Einflussnahme der Basisaktivitäten in ihren jeweiligen kommunikativ-interaktiven Ausgestaltungen in den Blick nimmt, bezieht sich die intra-aktivitätsspezifische Dimension von ‚Ko-Konstruieren von Veränderung’ auf ihre kommunikativ-interaktive Ausgestaltung entlang der verschiedenen Sitzungen des gesamten Prozesses. Die Autorinnen zeigen im Rahmen einer „theme-oriented discourse analysis“ und „activity analysis“, die die Meso-Ebene des Coaching-Gesprächs fokussieren, auf, wie diese beiden Dimensionen entlang der Sitzungen und des gesamten Prozesses im Sinne einer Coaching-Format-spezifischen personen- und prozessorientierten Konstruktion von Veränderung zusammenwirken. Wie erläutert, hat sich die linguistisch orientierte Veränderungsforschung bisher vorwiegend mit Psychotherapie (und seit Kurzem mit Coaching) befasst, der vorliegende Band öffnet das Feld jedoch auch für Studien aus angrenzenden Bereichen, konkret aus der Sozialen Arbeit und der Physiotherapie. Cornelia Rüegger befasst sich zunächst mit der Konstruktion eines Falls in der Sozialen Arbeit, da diese die Basis bildet für anschließende Interaktions- und Veränderungsprozesse. Sie zeigt, dass die institutionelle Ausgangssituation spezifische Erfordernisse zur Herstellung von Hilfebedürftigkeit auf Seiten der Klient*in mit sich bringt. Dies erschwert die Herstellung eines Arbeitsbündnisses (bzw. von Verbindung im Sinne von Buchholz, s. o.), was sich, wie Rüegger zeigt, auch auf die Möglichkeiten zur Herstellung von Veränderung in der Sozialen Arbeit auswirkt. Heike Ortner dokumentiert, wie in der Physiotherapie ein verändertes Bewegungswissen bzw. Bewegungsbewusstsein kommunikativ und physisch von Therapeut*in und Patient*in ko-konstruiert wird. Dabei bezieht sich Veränderung nicht allein auf motorische Sequenzen oder Bewegungsmuster, sondern, ähnlich wie in den Beiträgen zur Psychotherapie, auch auf eine veränderte Einstellung der Patient*in gegenüber der Therapie und gegenüber der eigenen biographischen Situation, konkret der persönlichen Bewegungsfähigkeit. Pragmatik der Veränderung in helfenden Berufen - Einführung 19 Die Beiträge zeigen damit, dass es das Konzept der Veränderung ermöglicht, so unterschiedlich erscheinende soziale Felder wie Psycho- und Physiotherapie, Coaching und Soziale Arbeit miteinander zu verbinden. Diese Verbindung wird in dem abschließenden Beitrag von Scarvaglieri, Graf und Spranz-Fogasy vertieft herausgearbeitet. Die Herausgeber*innen des Bandes fassen zunächst zusammen, welche Beobachtungen die einzelnen Beiträge zu Veränderung anstellen, woran sie diese empirisch festmachen und auf welchen theoretischen Positionen dies jeweils basiert. Dies ermöglicht einen systematisierenden, abstrahierenden Blick auf die gegenwärtige linguistisch orientierte Veränderungsforschung sowie die Identifikation von Desiderata des Feldes. Literatur Antaki, Charles (2008). Formulations in Psychotherapy. In: Peräkylä, Anssi/ Antaki, Charles/ Vehviläinen, Sanna/ Leudar, Ivan (Hrsg.) Conversation analysis and psychotherapy. Cambridge: Cambridge University Press, 26-42. Arbeitskreis OPD (Hrsg.) (2014). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2: Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. 3. überarbeitete Aufl. Bern: Huber. Becker-Lenz, Roland/ Gautschi, Joel/ Rüegger, Cornelia (2017). 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Such a pre-structuring can be performed in weak (formulating or activating of knowledge), intermediate (evaluating alternatives) or strong (explicit weighting of alternatives) ways. Our analyses show that in general the ‘action complex’ of helping in and through language can be performed within different institutional constellations. However, depending on the overarching institutional constellation in which the action complex is embedded, we find varying degrees of pre-structuring alternatives (from weak to strong) as well as differences regarding the pre-structuring of alternatives of thinking versus alternatives of acting in relation to the different settings. We consider helping in and through language endemically geared towards change. Based on our analyzes, change is discussed here in two dimensions: first, change relates to the result of the action process in practice supported by the helping (inter-)actions. Second, change relates to a mental process that is initiated by helping in and through language in the person seeking help. This process is initiated before change becomes evident in practice on the action level. Keywords: Helping in and through language; communicative action; discourse analysis; change as process; change as outcome 26 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri 1. Helfendes Handeln - Eine begriffliche Annäherung Das Konzept des Helfens ist in einer Reihe professionalisierter gesellschaftlicher Domänen - etwa Schule, Bildung, Beratung, Soziale Arbeit - von Bedeutung und gibt entsprechend auch den helfenden Berufen bzw. helfenden Professionen ihren Namen, ohne dass das spezifisch ‚Helfende‘ der so bezeichneten professionalisierten Tätigkeiten präzise bestimmt wäre. Mit diesem Artikel möchten wir zu einer Präzisierung des Begriffs institutionalisierten sprachlichen Helfens beitragen. Dazu gehen wir von einem handlungstheoretischen, prozessorientierten und interaktionalen Verständnis alltäglichen Helfens aus, das wir datenbasiert zu einer Bestimmung von sprachlichem institutionalisiertem Helfen weiterentwickeln. Im Alltag wird ethnokategorial in Situationen von Helfen gesprochen, in denen Aktant*innen bestimmte Handlungen oder Zwischenschritte von Handlungen abgenommen werden. Dies muss nicht immer sprachlich geschehen, sondern kann auch durch nichtsprachliches Handeln vollzogen werden. Dies ist z. B. dann der Fall, wenn ein Kind seine Schuhe zwar anziehen, sie aber noch nicht selbst binden kann, wenn eine verunfallte Person nicht aufstehen und sich in Sicherheit bringen kann oder wenn jemand krankheits- oder altersbedingt nicht in der Lage ist, Nahrung eigenständig zu sich zu nehmen. In all diesen Fällen übernimmt eine helfende Person eine der Teilhandlungen, bindet also etwa den Schuh zu, zieht die verunfallte Person zur Seite, führt den Löffel zum Mund. Dabei können, je nach Grad der Handlungseinschränkung, dem Hilfebedürftigen mehr oder weniger Handlungen abgenommen werden: einem Kind, das gerade dabei ist zu lernen, wie man eine Schleife bindet, muss ggf. nur beim letzten Schritt, dem Zuziehen der beiden Schlaufen, geholfen werden, während einem anderen Kind alle Teilhandlungen des Schuhebindens abgenommen werden müssen. Zudem wird auch dann von Helfen gesprochen, wenn die hilfeempfangende Person an sich in der Lage wäre, die Handlungen selbst durchzuführen - wie etwa bei der Hilfe beim Umzug -, man sie jedoch aufgrund von Menge oder Komplexität der auszuführenden Handlungen entlastet, so dass diese schneller erledigt werden können oder physisch weniger belastend sind. Im Alltag erfolgt Helfen vielfach ohne unmittelbare Gegenleistung; dies ist besonders der Fall, wenn Eltern kleinen Kindern helfen - eine Art Urkonstellation des Helfens -, aber auch bei der sog. „Ersten Hilfe“ bei Unfallopfern, bei nachbarschaftlicher Hilfe u. ä. In modernen Gesellschaften findet sich das Helfen auch als institutionalisierte und organisierte Handlungsform, die in unterschiedlichen gesellschaftlichen Konstellationen mit verschiedenen Zwecksetzungen und für je spezifische Problemlagen durchgeführt wird und der dann auch Gegenleistungen eingeschrieben sind (monetäre Vergütungen, das Erreichen von institutionellen Helfendes Handeln 27 Zwecken, das Aufrechterhalten gesamtgesellschaftlicher Ziele etc.) (Luhmann 1975; Tomasello 2010: 46 f.; 74; Oevermann 2013). Dem Helfen liegt damit eine asymmetrische Grundkonstellation zugrunde (vgl. bereits Rehbein 1977: 323; Kallmeyer 2000: 241) - während die Hilfeempfangenden mit der Ausführung der Teil-Handlungen momentan oder generell überlastet sind, ist die helfende Person in der Lage, diese Handlungen durchzuführen. Helfen setzt entsprechend ein spezifisches Wissen bzw. Können auf Seite der Helfenden voraus. Die genannten Beispiele machen auch deutlich, dass Helfen unterschiedlich situiert sein kann und unterschiedliche Funktionen übernehmen kann: es kann im Sinne des Vormachens dazu dienen, die hilfeempfangende Person in die Lage zu versetzen, die entsprechenden Handlungen selbst durchzuführen (im Sinne der ‘Hilfe zur Selbsthilfe’, diskutiert u. a. bei Oevermann 2013), oder es kann als vollständiger oder teilweiser Ersatz einer Handlungsfähigkeit dienen, die zumindest kurz- oder mittelfristig nicht wiedergewonnen werden kann (etwa bei verunfallten oder dauerhaft erkrankten Personen). Wesentlich für ein gelingendes Helfen ist, dass helfende und hilfeempfangende Person das gleiche Ziel verfolgen bzw. eine geteilte Zielvorstellung diskursiv entwickeln (zum sprachlichen Helfen s. u. Kap. 2). Die Vorstellung über die mit dem Helfen anzustrebende Veränderung des gegebenen, in bestimmter Hinsicht als defizitär empfundenen Zustands kann entweder explizit ausgehandelt werden oder für bestimmte Situationen so typisch sein, dass sie von beiden Seiten vorausgesetzt wird. Beim Schuhebinden etwa ist das Ergebnis aufgrund von Handlungsroutinen vorhersehbar und muss nicht ausgehandelt werden, bei komplexeren Problemlagen gibt es dagegen meist unterschiedliche mögliche Ergebnisse, die im Hilfeprozess abgewogen werden müssen. Wie u. a. die hier analysierten Daten zeigen (u. Kap. 3), basiert Helfen auf der genuin menschlichen Fähigkeit der Perspektivenübernahme, also des zeitweisen Hineinversetzens in andere Handlungsrollen bei geteilter Aufmerksamkeit (Tomasello 2010: 64). Die hier grundlegende Auffassung von Helfen als Übernehmen von (Teil-) Handlungen, welche die Handlungsfähigkeit der hilfeempfangenden Person überlasten würden, liegt unausgesprochen nicht nur der Ethnokategorie des Helfen zugrunde, sondern auch vielen sprach- und sozialwissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema. So spricht Oevermann (2013: 120) davon, dass helfende professionalisierte Praxis dort einsetze, „wo primäre Lebenspraxen mit ihren Krisen nicht mehr alleine fertig werden können und deren Bewältigung an eine fremde Expertise delegieren müssen“, sieht also ebenfalls das Überwinden von Handlungsproblemen durch Abnehmen von Handeln als Wesen des Helfens. Schmitt versteht „Unterstützen im Gespräch“ (1997) als das Ausführen sprachlicher Handlungen, deren Vollzug anderen Sprecher*innen nicht gelingt 28 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri (s. auch Schmitt 2012), Rehbein (1977: 316-324) unterscheidet beim Unterstützen von Handlungen zwischen dem vorschlagenden Entwickeln von Handlungsalternativen, die den Hilfebedürftigen fehlen, und dem ratgebenden Bewerten von alternativen Handlungszielen, das den Hilfebedürftigen abgenommen wird (s. dazu auch Pick 2015: 74 f., Pick 2017b: 446-448). Helfen lässt sich handlungstheoretisch also allgemein als Bewältigen von Handlungen bzw. Stadien innerhalb eines Handlungsprozesses durch die helfende Person für die hilfeempfangende Person fassen. Dies erfolgt an Stellen innerhalb des Handlungsprozesses, an denen die hilfeempfangende Person überlastet ist und basiert auf der mehr oder weniger expliziten Klärung des Handlungsziels. Wie die folgenden Ausführungen zeigen, ist in der Analyse helfenden Handelns mittels Sprache über diese Bestimmung noch hinauszugehen (vgl. Graf & Spranz-Fogasy 2018). Dabei gehen wir davon aus, dass sich sprachliches und nicht-sprachliches Helfen nicht gegenüberstehen, sondern dass beide Formen kombiniert vorkommen können und sich zum Teil gegenseitig ersetzen können (auszuführende Handlungen können z. B. zunächst beschrieben, dann vom Helfenden vertretend durchgeführt werden). Insofern bewegen sich sprachliche und nicht-sprachliche Formen des Helfens innerhalb eines Kontinuums. 2. Sprachliches Helfen Wir möchten nun das sprachliche Helfen weiter bestimmen. Dabei verstehen wir die Rolle von Sprache als Mittel des Helfens. Sprache kann auch als Objekt des Helfens gedacht werden (z. B. bei der Sprachproduktion als Unterstützen, Kokonstruktion oder Abnehmen von Formulierungen, aber auch beim Erstellenhelfen bestimmter spezifischer Textsorten wie Behördenbriefe oder beim Scaffolding etwa beim Erzählen). Wir fokussieren hier zunächst auf die Betrachtung von Sprache als Mittel des Helfens, Situationen, in denen Sprache (auch) Objekt des Helfens ist, müssen Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein, die hier den Rahmen sprengen würde. Als zentral für das Helfen haben wir bisher die folgenden Elemente bestimmt: Ein Einvernehmen über das zu erzielende Ergebnis und damit über die zu erreichende Veränderung als Voraussetzung, um Helfen in Gang zu setzen; eine Befähigung der Helfenden die Hilfesuchenden bei der Erreichung des Ergebnisses zu begleiten; die Übernahme von (Teil-)Handlungen durch eine helfende Person, welche die Hilfeempfangenden (momentan) nicht selbst (in derselben Geschwindigkeit/ Qualität etc.) ausführen können. Grundlegend für unsere Betrachtung des Helfens ist, dass dieses darauf abzielt, in verschiedener Weise Veränderung zu induzieren. In welcher Hinsicht das Abnehmen von welchen Helfendes Handeln 29 (Teil-)Handlungen vereinbart wird, deutet in die Richtung der angestrebten Veränderung. Wir wollen nun weiter explorieren, welche kommunikativen und mentalen Aufgaben grundlegende Strukturmerkmale des Helfens darstellen. Diese werden wir zunächst theoretisch erörtern und in der Folge anhand von Beispielen aus helfenden Interaktionen in verschiedenen institutionellen Kontexten elaborieren. Wie unsere Analysen zeigen, ist die Handlungsstruktur des Helfens in verschiedenen Handlungskonstellationen grundlegend dieselbe, sie ist aber, je nach Einbettung des Helfens, innerhalb von Kontinuen stärker oder schwächer ausgeprägt und zeigt sich entsprechend auch in ihrer sprachlichen Realisierung unterschiedlich (vgl. Pick 2017a). Wir gehen davon aus, dass das Helfen als ein Teil von verschiedenen Handlungskomplexen auftritt, in denen jeweils unterschiedliche übergeordnete Zwecke verfolgt werden. Helfen wird zudem gemeinsam von allen Beteiligten prozedural und interaktional vollzogen (s. auch Schmitt 2012), da auch die Hilfeempfangenden interaktional beteiligt sind, u. a. indem sie Hilfebedürftigkeit anzeigen, sich helfen lassen oder Ziele klären. Wie beschrieben gehen wir davon aus, dass das sprachliche Helfen als ein Abnehmen von (Teil-)Handlungen zu bestimmen ist. Diese Handlungen beziehen sich beim sprachlichen Helfen nicht auf praktisches Handeln, sondern auf eine mentale Vorstrukturierung des Handelns. Zur weiteren Bestimmung des sprachlichen Helfens greifen wir zunächst auf Ergebnisse zum Beraten zurück. Beratendes Helfen eignet sich als Ausgangspunkt für unsere Überlegungen vor allem deshalb, weil zu diesem Handlungstyp eine Reihe linguistischer Ergebnisse vorliegen (Überblick bei Pick 2017c) und weil das Beraten einer der zentralen Handlungstypen sprachlichen Helfens ist (Kallmeyer 2000: 236). Da sich diejenigen Merkmale des Beratens, die sich auf das Helfen beziehen lassen, auch in nicht-beratenden Formen sprachlichen Helfens wiederfinden, entwickeln wir den Begriff sprachlichen Helfens zunächst anhand des Beratens. 2.1 Vorstrukturierung mentaler Prozesse bei der Planbildung Das Abnehmen von (Teil-)Handlungen ist der zentrale Teil des Helfens. Die helfende Person strukturiert dabei je nach Ausprägung die Handlungsplanung, Lösung von Problemen oder die Intervention zur Problemlösung in unterschiedlichem Ausmaß verbal vor, indem sie Denk- und Handlungsalternativen bewertet und gewichtet. Bezogen auf das Beraten bezieht sich diese Vorstrukturierung auf das, was klassisch als Ratgeben beschrieben wurde (Searle 1971: 104 f.; Rehbein 1977: 322-325). Ratgeben kommt immer nur eingebettet in den Handlungskomplex des Beratens vor (vgl. z. B. Auer 2013: Kap. 8), ist also als Handlungskomplex nur analytisch ablösbar. Dies scheint ebenfalls für das Hel- 30 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri fen zu gelten, das in verschiedene (nicht nur beratende) Handlungskomplexe eingebettet realisiert wird. Beim Ratgeben (= Helfen beim Beraten) kann Handeln auf verschiedenen Ebenen abgenommen werden (Pick 2017b: 448-454). Hier müssen Bewertungsprozesse in drei Stufen (mental und verbal) vollzogen werden. Zunächst muss relevantes Wissen sprachlich aktiviert werden (sei es z. B. bezogen auf Lösungsmöglichkeiten, auf Wissensbestandteile, auf Perspektiven der Klienten 1 ), dann muss eine Auswahl von Handlungsmöglichkeiten (Denkalternativen, Lösungsmöglichkeiten, Plänen etc.) getroffen werden, die bezogen auf die Situation der Ratsuchenden anhand von bestimmten Maßstäben (meist Expertenwissen, aber auch Erfahrung, Können) bewertet werden. Weiter kann aus dieser Auswahl eine Alternative besonders gewichtet werden. Der idealtypische Rat („Ich rate Ihnen, X zu tun“) macht bestimmte Wissens-/ Erfahrungsbestände relevant, wählt aus den Alternativen A-Z verschiedene mögliche aus (X, Y, Z) und gewichtet für die Situation des Hilfesuchenden Alternative X als die am besten passende. Bezogen auf das sprachliche Helfen leiten sich daraus die folgenden Annahmen ab: Das Abnehmen verschiedener (Teil-)Handlungen vollzieht sich beim sprachlichen Helfen entlang unterschiedlicher Grade der mentalen Vorstrukturierung (von schwach bis stark). Es können also verschiedene Denk- oder Handlungsschritte (Entscheiden, Planen) abgenommen werden, die die Ausbildung einer Lösung unterstützen. Diese Handlungen können sich auf das Einbringen/ Aktivieren von Wissen (z. B. „Diesel ist billiger als Benzin“ 2 ), das Bewerten von Alternativen (z. B. „ein Dieselfahrzeug ist im Verbrauch günstiger, in der Steuer teurer und belastet die Umwelt stärker“) und das Gewichten von Denk- und Handlungsalternativen beziehen („Ich an Ihrer Stelle würde einen Benziner nehmen“). Relevant für Fragen des Helfens ist, welche Leistung den Hilfesuchenden abgenommen wird und welche Schritte diese selbst durchführen. So wird bei einer schwachen Vorstrukturierung mentaler Prozesse, bei der nur das Aktivieren von Wissen als Handlung abgenommen wird, die Bewertung und Gewichtung den Hilfesuchenden überlassen. Hier ist also ein sehr schwaches Helfen, im Sinne eines schwachen Abnehmens von Handeln, angezeigt. Entsprechend ver- 1 Wir unterscheiden zwischen den für eine Institution tätig werdenden „Agenten“ und den freiwillig oder unfreiwillig in die Abläufe der Institution verwickelten „Klienten“ (Ehlich & Rehbein 1977, Redder 2008) - Klienten sind also nicht nur Personen, die zu einem bestimmten Anliegen beraten werden, sondern auch Kunden in Verkaufsgespräch oder Schüler*innen etc. Während wir uns ansonsten um geschlechtsneutrale Formulierungen bemühen, verwenden wir diese Fachausdrücke der etablieren Terminologie entsprechend im generischen Maskulinum. 2 Die Beispiele zu Diesel und Benziner sind fiktiv und dienen der Veranschaulichung. Helfendes Handeln 31 schiebt sich das Gewicht beim stärkeren Vorstrukturieren. Die verschiedenen Grade der mentalen Vorstrukturierung von Lösungsmöglichkeiten sind damit in einem Kontinuum zwischen einer schwachen Vorstrukturierung (Aktivieren/ Nennen von Wissen als Expertenwissen, Perspektivenerweiterung, Fokussierung etc.), einer mittleren Vorstrukturierung (Bewerten von Alternativen bezogen auf die Situation des Hilfesuchenden) und einer starken Vorstrukturierung (Bewerten und Gewichten von Alternativen) zu verorten. Das schwache Vorstrukturieren kann auf der sprachlichen Oberfläche dem Vorschlagen (Rehbein 1977) ähneln, ein mittlerer Grad der Vorstrukturierung zeigt Formen des Empfehlens (Becker 2015), die starke Form der Vorstrukturierung entspricht den „kanonischen Äußerungsformen“ (Kallmeyer 2000: 230) für das Ratgeben. Vor diesem Hintergrund lassen sich auch von Auer (2013: 89) als „implizit-direkte“ bezeichnete Formulierungen (ich würde X tun) als stark vorstrukturierend einstufen, obwohl sie in ihrer Form eher einem Vorschlag ähneln. Die verschiedenen Grade der Vorstrukturierung können sich sowohl auf Lösungen im mentalen Bereich als auch auf den Handlungsbereich (sprachlich, praktisch) der Klienten beziehen. Den Klienten kann also, bezogen auf ihre Ziele, das Aktivieren bzw. Benennen von Wissen bezogen auf Denk- und Handlungsalternativen (Deutungsperspektiven, Expertenwissen, Erfahrungswissen etc.), das Bewerten oder das Gewichten dieser Alternativen abgenommen werden. Diese verschiedenen Stufen des Abnehmens von Handeln können aber nur dann ihre Funktion als gelingendes helfendes Handeln erfüllen, wenn die helfende Person aufgrund von Asymmetrien (Wissen, Können, Erfahrung etc.) mental bereits eine Bewertung und Gewichtung von Alternativen vorgenommen hat. Das bedeutet, auch das Nennen bzw. Aktivieren von Wissen muss bereits auf die Bewertung und Gewichtung von Alternativen hin zugeschnitten sein, die den Helfenden bei einer schwachen Vorstrukturierung präsent sein müssen, auch wenn sie nicht verbalisiert werden. Von helfenden Personen vorgenommene Gewichtungen von Handlungsmöglichkeiten und damit mental oder verbal vorgenommene Vorstrukturierungen fassen wir allerdings nicht statisch, sondern als Aushandlungs- und Veränderungsprozessen unterliegend, welche in Hilfeprozessen kommunikativ bearbeitet werden müssen. Diese Bewertung und Gewichtung kann sich im Laufe des weiteren Beratungsprozesses verändern oder verschieben, muss aber ausgebildet und interaktional bearbeitet werden. Es ist davon auszugehen, dass sich verschiedene Beratungsformate u. a. dadurch unterscheiden lassen, wie stark vorstrukturierend jeweils tendeziell geholfen (beraten) wird. Nichtsdestotrotz ist zu erwarten, dass in allen Beratungsformaten in den verschiedenen Durchläufen des helfenden Handelns 32 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri verschiedene Grade der Vorstrukturierung mentaler Prozesse in denselben Beratungsformaten vorkommen (vgl. unsere Analysen zum Helfen unten). 2.2 Kommunikativer Prozess: Fokus auf Ziel und/ oder Lösung Bevor eine (Teil-)Handlung von anderen Handelnden abgenommen werden kann, muss sichergestellt sein, dass das mit der abgenommenen Handlung erreichte (bzw. zu erreichende) Ergebnis im Sinne der Hilfesuchenden ist. Ein solches Ergebnis/ Ziel gibt eine Lösungsrichtung vor und benötigt einen Handlungsplan, dieses zu erreichen. Beides muss beim sprachlichen Helfen ausgebildet werden. Dies kann mental geschehen und kommunikativ ausgehandelt werden. Für das Beraten ist dieser Aushandlungs- und Bearbeitungsprozess als Merkmal des Prozessfokus beschrieben (vgl. Pick 2017b: 446-448), mit dem bestimmt werden kann, ob der Schwerpunkt in bestimmten Typen des Beratens stärker auf der Zielklärung oder stärker auf der Handlungsplanung liegt. Ziele beziehen sich auf das Resultat des Handelns, das durch das Beraten unterstützt wird, und schlagen sich in der Regel handlungspraktisch als Resultat einer Veränderung nieder. In einem Hilfeprozess kann auch die Zielbildung immer wieder neu durchlaufen werden und sich interaktional verändern. Für helfendes Handeln kann, je nach Einbettung in verschiedene Konstellationen, die Zielklärung sehr umfangreich und komplex sein. In diesen Fällen können sprachliche Hilfeprozesse auch zur Erreichung der Zielklärung selbst eingeschaltet sein (vgl. unsere Analysen unten). Das Entwickeln von Handlungsplänen/ Lösungen wird durch das Abnehmen von Teilhandlungen helfend unterstützt. Bei der interaktionalen Bearbeitung der Planbildung wird diese immer weiter konkretisiert, indem Denk-/ Handlungsalternativen z. B. gemeinsam überprüft, probeweise durchgesprochen, verworfen oder verfeinert werden. Je nach Konstellation der Handlungskomplexe, in die das Helfen eingebettet ist, ist auch die Schwerpunktsetzung bei der Planbildung unterschiedlich ausgeprägt (also z. B. stärker auf ein Entwickeln von Denkalternativen wie das Verstehen von Zusammenhängen oder das Entwickeln neuer Perspektiven oder auf Handlungsalternativen ausgerichtet wie die Auswahl einer Reisealternative). 2.3 Veränderung im mentalen Bereich Für den Hilfeprozess ist weiter zu unterscheiden, von welcher Art der Veränderung im mentalen Bereich der Hilfeempfangenden das Helfen begleitet ist und in welchen Dimensionen sich eine Veränderung vollzieht oder niederschlägt. Auch das Merkmal der mentalen Veränderung wurde am Beraten unter- Helfendes Handeln 33 sucht, um verschiedene Typen von Beraten zu unterscheiden. Dieses kann je nach Typ stärker auf das Umstrukturieren mentaler Prozesse (Einstellungen, Sichtweisen, Wünsche etc.) bezogen sein oder stärker auf das Erweitern von Wissensbeständen durch Experten-/ Erfahrungswissen (Pick 2017b: 444-446). Beide Spielarten mentaler Veränderung sind nicht ohne einander denkbar, sowohl das Umstrukturieren mentaler Prozesse erfordert ein Wissen bzw. eine Erfahrung über Zusammenhänge zwischen mentalem und aktionalem Handeln, sowie spezifisch im therapeutischen Setting auch ein Wissen über psychische Ursache-Wirkungszusammenhänge. Ebenso geht eine Wissenserweiterung immer mit einer (zumindest rudimentären) Wissensumstrukturierung einher, weil neues Wissen in bestehendes integriert wird und damit ergänzt, erweitert oder anders sortiert werden kann. Dimensionen von Veränderung können auf mentales, verbales oder (em)praktisches Handeln gerichtet sein (vgl. oben Vorstrukturierung der Planung). Daraus ergibt sich eine weitere Beobachtung, die uns für das Helfen bemerkenswert erscheint: Vor allem für sprachlich realisierte Hilfesituationen beziehen sich zentrale Handlungen für und von Veränderung auf mentale Prozesse bei Hilfesuchenden (Wissenserweiterung/ Wissensumstrukturierung und mentales Strukturieren von Denk-/ Handlungsmöglichkeiten). Zwar ist das Eintreten einer Veränderung erst anhand ihrer Folgen, also in der Regel einer Veränderung der Wirklichkeit, ersichtlich (im veränderten Verbalisieren von Wissen, im veränderten (sprachlichen) Handeln der Hilfeempfangenden und seinen Resultaten etc.). Die Voraussetzungen dafür werden aber interaktional ausgehandelt und beinhalten in aller Regel Veränderungen im mentalen Bereich der Hilfesuchenden. Entsprechend setzt ein Veränderungsprozess bereits bei der Wissensbearbeitung der Hilfesuchenden beim Helfen an und manifestiert sich erst später als Resultat einer Veränderung in der Wirklichkeit. Veränderung ist also sowohl als eine ‘Veränderung als Prozess’ als auch als eine ‘Veränderung als Resultat’ zu betrachten. 2.4 Der Handlungskomplex „Sprachliches Helfen“ Insgesamt bestimmen wir somit das sprachliche Helfen als einen Handlungskomplex, der nach einer gemeinsamen Bestimmung des zu erreichenden Ziels für die Hilfesuchenden Handlungen, die zur Zielerreichung notwendig sind, vorstrukturiert und damit den Hilfeempfangenden eigenes mentales Handeln teilweise abnimmt. Sprachliches Helfen dient dazu, ein Handeln (praktisch, empraktisch, sprachlich) vorzubereiten und zu unterstützen, welches die Hilfeempfangenden oder die Helfenden dann weiter praktisch umsetzen, indem sie es selbst durchführen oder auch jemanden damit beauftragen. Teilweise kann 34 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri dieses praktische Handeln bereits im Gespräch durchgeführt oder probeweise verbalisiert werden. Das Vorstrukturieren mentaler Prozesse kann sich sowohl auf das Strukturieren von Denkalternativen (durch Einbringen von Expertenwissen, aber auch durch veränderte Perspektiven auf bekanntes Wissen) beziehen als auch auf das Vorstrukturieren von aktionalen (sprachlichen, praktischen) Handlungsalternativen. Je nach Schwerpunktsetzung des sprachlichen Hilfeprozesses kann das Bearbeiten von Denk- oder Handlungsalternativen einen unterschiedlichen Stellenwert einnehmen, wobei das Vorstrukturieren von Denkalternativen dem Vorstrukturieren von Handlungsalternativen in der Regel vorausgeht. Das sprachliche Helfen wird also nicht in einem Sprechakt bewerkstelligt, sondern als Handlungskomplex (vgl. zum Konzept des Handlungskomplexes Pick 2017b). Das bedeutet, dass das Helfen selbst aus bestimmten interaktional zu realisierenden Teilhandlungen besteht (die Zielbestimmung sowie verschiedene Grade der Vorstrukturierung mentaler Prozesse mit der Folge einer Veränderung im mentalen Bereich des Hilfeempfangenden). Als Handlungskomplex, der wiederum in andere Handlungskomplexe eingebettet ist, wird Helfen von uns also so konzipiert, dass unterschiedlich ausgedehnte sprachliche Hilfeprozesse in unterschiedlichen helfenden Konstellationen zu erwarten sind. Helfen wird in verschiedene (nicht nur beratende) Handlungskomplexe eingebettet realisiert. Die folgende Abbildung stellt diese Überlegungen im Überblick zusammen. Wie bereits ausgeführt, sehen wir den Handlungskomplex Helfen als gemeinsam interaktional von allen Beteiligten hergestellt. Wir fassen in der Abbildung die übergeordneten Aufgabenbestandteile dieses Handlungskomplexes zusammen, die jeweils interaktional bearbeitet werden müssen. Helfendes Handeln 35 Abb. 1: Sprachlicher Handlungskomplex Helfen 36 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri 3. Empirische Betrachtung des sprachlichen Helfens Nach der Entwicklung unserer theoretischen Position zum Helfen zeigen wir in diesem Kapitel, wie unterschiedliche Formen des Helfens im Detail vollzogen werden. Dazu diskutieren wir zunächst ein Datum, in dem mehrere Stadien des Helfens nacheinander durchlaufen werden. Dies ermöglicht es, verschiedene Formen des Helfens an einem Beispiel voneinander abzugrenzen. Anschließend besprechen wir weitere Beispiele, an denen je ein spezifischer Aspekt des Helfens erkennbar wird. Die Auswahl der besprochenen Daten ermöglicht es, das Helfen in verschiedenen sprachlichen Erscheinungsformen zu zeigen und es in unterschiedlichen institutionellen Kontexten sichtbar zu machen. Beides soll unterstreichen, dass der Handlungskomplex Helfen in verschiedenen sozialen Domänen und eingebettet in unterschiedlichen Gesprächstypen vorkommen kann, es sich strukturell aber um denselben sprachlichen Handlungskomplex handelt. Beispiel 1: Genetische Beratung Der folgende Auszug aus einem genetischen Beratungsgespräch (aus Hartog 1996: 253-255) beginnt mit dem Einbringen von Wissen durch die Beraterin (Bf) über den biologischen Vorgang und die statistische Wahrscheinlichkeit der Entstehung von Trisomie 21. 3 3 Um eine einheitliche Formatierung und Darstellung der Beispiele sicherzustellen, die wir teilweies aus der Literatur übernommen haben, wurden sie von uns neu verschriftlicht. Alle Beispiel wurden nach HIAT (Ehlich & Rehbein 1979, Rehbein u. a. 2004) transkribiert. Als Siglen verwenden wir diejenigen, die in den Originalen verwendet werden. Wir danken Rehana Doko für Unterstützung bei der Formatierung der Daten. Helfendes Handeln 37 Bf unterscheidet zwischen „Chromosomenfehlverteilung“ (Partiturfl äche (PF) 6), die „bei der Samenzellbildung“ (PF 7-8) entsteht und solcher, die „bei der Eizellbildung“ (PF 8) entsteht und bewertet dieses Wissen anschließend als „müßig“ (PF 9). Damit gewichtet sie die Frage, ob es bei Ei- oder Samenzellbildung zur Fehlverteilung kommt, für das weitere Entwickeln von Denk- oder Handlungsalternativen der Klienten als nicht relevant. Ohne dass die Klienten sich an dieser Stelle dazu geäußert hätten, nimmt Bf hier also die Perspektive der hilfeempfangenden Personen ein und bewertet und gewichtet das von ihr formulierte Wissen aus deren Perspektive. Anschließend fasst Bf, konsistent zur ihrer vorherigen Bewertung („müßig“), die Fehlbildung generell als „einmalige äh Verteilungsstörung“ (PF 9) und gleichzeitig als etwas, das „bei jedem von 38 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri uns“ vorkommt (PF 11). An dieser Stelle leistet Bf also eine „Wissensvermittlung über Chromosomenfehlverteilungen im allgemeinen“ (Hartog 1996: 255) und nennt - in den Kategorien sprachlichen Helfens betrachtet - ein relevantes Wissen (wonach eine Fehlverteilung keinen fassbaren Regeln folgt und ganz normal auftritt), zunächst ohne daraus Denk- oder Handlungsalternativen zu entwickeln. Gleich folgend geht sie auf die Wahrscheinlichkeit der Befruchtung einer solchen Zelle ein, indem sie dies als strukturell „recht selten“ (PF 12) bezeichnet. Damit nimmt Bf eine erste Bewertung der Denkalternativen (Risiko einer Fehlbildung hoch oder niedrig) vor und strukturiert diese gleichzeitig zusätzlich. Dies geschieht zum einen schlicht durch das vermittelte Wissen (Nennen von Wissen), das es den Klienten nahelegt, die fraglichen Erkrankungen der Kinder als Ergebnis spezifischer biophysischer Prozesse in den Keimzellen der Eltern zu erfassen und über diese Erkrankungen im Zusammenhang der messbaren statistischen Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens nachzudenken. Die Wissensvermittlung strukturiert also das klientenseitige Wissen und Denken über das fragliche Problem und lässt bestimmtes Wissen relevant werden, während anderes gar nicht in den Blick kommt (etwa die Möglichkeit einer Heilung der fraglichen Erkrankungen durch göttlichen Eingriff, wie sie in einem religiös geprägten Diskurs aufkommen könnte). Zum anderen werden bestimmte Denkalternativen bereits gewichtet („müßig“) oder Alternativen bewertet, indem zu den statistischen Ausführungen entsprechende sprachliche ‘cues’ gegeben werden (z. B. „selten“ in PF 12, „nur“ in PF 11 und 12), die die spätere explizitere Gewichtung vorbereiten. In den Kategorien des Helfens, das wir grundlegend als ein Abnehmen von (Teil-)Handlungen betrachten, nimmt Bf den Klienten hier das Wählen und Nennen relevanten Wissens sowie erste Bewertungen von Denkalternativen ab. So hilft sie ihnen, ihren Denk- und Handlungsprozess so zu gestalten, dass sie ihr Ziel, eine Risikoeinschätzung und Entscheidung über das weitere Vorgehen bei der Familienplanung, erreichen können. Helfendes Handeln 39 40 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Im weiteren Gesprächsverlauf setzt sich die relativ schwache Vorstrukturierung von Denkalternativen der Klienten durch Nennen von Wissen zunächst weiter fort. Bis PF 22 nennt Bf das allgemeine „Risiko für jede achtundzwanzigjährige“ (PF 21) Schwangere und kontrastiert dies in PF 22-24 mit dem Risiko für das Kind eines Paares, das bereits „ein mongoloides Kind bekommen“ (PF 23-24) hat. Hier liegt die Wahrscheinlichkeit bei „ein bis zwei Prozent“ (PF 24), dass das Kind ebenfalls an Trisomie 21 erkrankt sein wird. Bf nennt also weiteres Wissen, das es den Klienten ermöglicht, weiter über die Wahrscheinlichkeit des Auftretens einer Trisomie 21 nachzudenken. Würde Bf nun nichts weiter unternehmen, müssten die Klienten an dieser Stelle im Gespräch selbst die von Bf genannten Zahlen („jede tausendste“ vs. „ein bis zwei Prozent“) in ein Verhältnis setzen (die Wahrscheinlichkeit ist im Fall der Klienten, deren erstes Kind entsprechend behindert ist, um das 10bis 20-fache erhöht), um Denkalternativen (hohes/ niedriges Risiko) zu bewerten und dann eine Handlungsalternative als für sie relevant zu gewichten. Die Klienten reagieren jedoch nicht verbal, so dass Bf fortfährt, den Bewertungsprozess für die Klienten vorzustrukturieren (PF 24- 28). Sie spricht dabei zuerst die Ursachen an, die man allerdings „nicht richtig erklären kann“ (PF 25). Hier und mit der folgenden Frage (PF 26-27) „führt die Beraterin vor, wie man mit dem professionellen Wissen deliberiert“ (Hartog 1996: 255 f.). Daran anschließend geht Bf im Hilfeprozess den nächsten Schritt und nimmt eine Bewertung von Denkalternativen vor, indem sie diesen Unterschied als „etwas häufi ger“ (PF 28) bezeichnet. Hartog (1996: 256) bezeichnet diese Bewertung als „bias“, den Bf in der Präsentation des Risikos hat - die bis zu 20fache Erhöhung des Risikos ist nur „etwas häufi ger“. Dieser „bias“ zeigt sich aus der Perspektive des Helfens als Abnehmen einer Teilhandlung (der mentalen Entscheidung für eine Perspektive auf die Situation als mit hohem oder niedrigem Risiko behaftet), das durch Wissensasymmetrien begründet ist. Helfendes Handeln 41 Km fokussiert in seiner Reaktion das von Bf gerade formulierte Wissen mittels „Also“ (PF 28) und rephrasiert (Bührig 1996: 284 f.) die entscheidungsrelevanten Elemente dieses Wissens als „dann stehen die Chancen praktisch eins zu hundert oder zu fünfzig“ (PF 28-29). Die Beraterin reformuliert diese Angaben und überprüft deliberierend, ob die Angabe „eins zu fünfzig“ (PF 30) tatsächlich stimmt, bestätigt sie schließlich (PF 31) und zieht aus den bereits thematisierten statistischen Angaben den Umkehrschluss: „Das heißt natürlich auf der anderen Seite achtundneunzig, neunundneunzig Prozent Chance, daß es nicht wieder auftritt“ (PF 31-33). Diese an statistischen Angaben orientierte Äußerung übersetzt sie dann lebensweltlich als „weit überwiegende Chance natürlich, daß es nicht wieder auftritt“ (PF 33-34). Bereits die explizite Formulierung der statistischen Umkehrung, die im Rahmen einer reinen Vermittlung von Faktenwissen nicht nötig ist, da sie sich mathematisch von selbst versteht, deutet eine Bewertung von Denkalternativen an, welche durch die lebensweltliche Reformulierung noch verstärkt wird. Diese Verstärkung wird zum einen schlicht durch die Reformulierung erreicht, da Wissen, das mehrfach formuliert wird, als besonders bedeutsam gekennzeichnet wird, zum anderen durch die am Alltag orientierte Wortwahl sowie auch durch die Betonung der Negationspartikel „nicht“, die auch paraverbal den Aspekt des Nicht-Eintretens heraushebt. Zudem übernimmt Bf von KM den Begriff der „Chance“, der positiver konnotiert ist als „Risiko“, der Ausdruck, der bisher die Darstellung von Bf dominierte. Hier werden also Denkalternativen immer stärker vorstrukturiert bis hin zu einer Gewichtung durch B, die die Denkalternative eines geringen Risikos als plausiblere heraushebt. Damit wird also das mentale Handeln der Klienten vorstrukturiert, konkrete Handlungsoptionen sind bis zu diesem Zeitpunkt (PF 34) jedoch noch nicht angesprochen worden. Dies erfolgt erst ab PF 35 auf Nachfrage von Km, der auf die wiederholte Formulierung des statistischen Umkehrschlusses mit der Frage nach den (Handlungs-) „Möglichkeiten“ (PF 35) reagiert, um dann eine wichtige Bedingung für die anzustellende Entscheidung zu formulieren und das Ziel für die Handlungsplanung vorzugeben: „Also Kinder wollen wir auf jeden Fall weiter“ (PF 35-36). Damit gehen die Beteiligten im Hilfeprozess voran und besprechen aus dem bisher gemeinsam entwickelten Verständnis resultierende konkrete Handlungsalternativen. Mittels „also dem steht sicher nichts im Wege“ (PF 36) bekräftigt Bf ihre Gewichtung der Denkalternative „geringes Risiko“ nochmals explizit und bestätigt damit die Zielvorgabe der Klienten für die Entwicklung von Handlungsalternativen. An der Tatsache, dass die Klienten das Ziel des Hilfeprozesses etablieren und damit den Hilfeprozess zentral steuern, zeigt sich die interaktive Natur des Helfens an dieser Stelle besonders deutlich - ohne Kooperation des Hilfeempfangenden ist kein Helfen möglich. Daneben wird erkennbar dass das sprachliche Helfen zunächst ein Vorstrukturieren vor 42 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri allem mentaler Prozesse beinhaltet (Denk- und Handlungsalternativen werden beim sprachlichen Helfen zunächst mental vorstrukturiert), deren Übernahme letztlich immer von den Hilfeempfangenden geleistet werden muss. Dies expliziert Bf mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Entscheidung, ob sie der Gewichtung von Bf folgen möchten (PF 37-38). Wir haben in diesem Gesprächsausschnitt also bisher einen komplexen sprachlichen Hilfeprozess verfolgen können, der von schwacher bis starker mentaler Vorstrukturierung von Denkalternativen durch die helfende Person gekennzeichnet ist und der hilfeempfangenden Person so ‚Denkarbeit‘ abnimmt und vorstrukturiert. In diesem Beispiel liegt der Fokus der Veränderung im mentalen Bereich auf der Wissenserweiterung 4 durch Expertenwissen, das von Bf eingebracht wird, um den Klienten das Entwickeln einer (neuen) Perspektive auf ihre Situation zu erleichtern. Wir haben gesehen, dass Bf eine bestimmte Denkalternative präferiert und diese den Klienten über ihre Bewertungen der Alternativen auch mitteilt, die letztendliche Gewichtung aber den Klienten überlässt. U.E. ist die institutionell gebundene Bewertung und Gewichtung der Fälle, wie sie Berater*innen nicht nur in diesem Beispiel vornehmen, eine zentrale Bedingung für helfendes Handeln in dieser Institution (deutlich kritischer dazu Hartog 1996: 257, 303), welches Asymmetrien in der Bewertungsfähigkeit von Alternativen (durch Wissen, Können, Erfahrungen etc.) als notwendig voraussetzt (vgl. Meer 2011). Insofern ist das Helfen hier an die spezifischen Möglichkeiten und Bedingungen der institutionellen Konstellation angepasst. In der weiteren Folge des Gesprächs werden von Bf nun Handlungsalternativen für eine Schwangerschaft bzw. eine Bestimmung des Risikos in einer Schwangerschaft eingebracht („Fruchtwasseruntersuchung“ PF 40), die mit dem bisher beobachteten Hilfeprozess bereits vorbereitet wurden. Das weitere Transkript liegt uns nicht vor, da laut Hartog (1996: 256) eine Fruchtwasseruntersuchung als Möglichkeit aber weiter vertieft wird, gehen wir davon aus, dass sich an dieser Stelle ein weiterer Hilfeprozess, diesmal bezogen auf das Vorstrukturieren von Handlungsalternativen (vgl. Abb. 1), anbahnt. Hier zeigt sich damit, dass beim sprachlichen Helfen das Vorstrukturieren von Handlungsalternativen direkt an das Vorstrukturieren von Denkalternativen angeschlossen werden kann. Hartog (1996: 256) bezeichnet in ihren Analysen dieses Beispiels erst das Entwickeln von Handlungsmöglichkeiten und -anleitungen ab PF 35 („Möglichkeiten“) als „Rat“ (vgl. auch ebd.: 285). Dies dürfte auch dem gängigen alltagsweltlichen Verständnis eines Rates entsprechen. Unsere Analysen bisher 4 Wissenserweiterung geht immer auch mit Wissensumstrukturierungen einher, entsprechend geht es hier um Fragen der Schwerpunktsetzung. Helfendes Handeln 43 machen darüber hinaus deutlich, dass der Prozess sprachlichen Helfens, der letztlich jedem Rat inhärent ist, auch als ein Helfen beim Entwickeln und Gewichten von Denkalternativen rekonstruiert werden kann. Wir haben gezeigt, dass es sich hierbei strukturell um denselben Handlungskomplex handelt. Dass Denk- und Handlungsalternativen in unterschiedlichen Hilfeprozessen unterschiedlich ausgeprägt und unterschiedlich wichtig sind, werden wir an weiteren Beispielen zeigen. Beispiel II: Kurzzeitgesprächspsychotherapie Bevor wir zum Helfen beim Entwickeln von Handlungsalternativen kommen, möchten wir anhand eines Beispiels aus einer Kurzzeittherapie das Helfen beim Umstrukturieren mentaler Prozesse noch etwas genauer beobachten. In therapeutischen Gesprächen ist eine wesentliche Aufgabe der Therapeut*innen, Klienten dabei zu helfen, ihr Wissen und ihre Erfahrungen neu bewerten und verstehen zu können (s. die Beiträge zur Psychotherapie i.d.B. sowie spezifisch zum Verstehen Scarvaglieri i.d.B.). Im dem Auszug aus der dritten Sitzung einer Gesprächspsychotherapie geht es um Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen der familiären Situation, in der sich die Patientin (PA) als Kind befunden hatte, und der gegenwärtigen familiären Konstellation. Der Therapeut (TH) möchte PA dabei helfen, die Parallelen zwischen beiden Situationen zu erkennen. 44 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Helfendes Handeln 45 Der Therapeut spricht in dem Beispiel eine Reihe von Wissenselementen an, die auf eine Parallelisierung der gegenwärtigen biographischen Situation der Patientin mit ihrer Kindheit hindeuten und trägt damit zur Entwicklung von Denkalternativen über diese Situation bei. Er spricht von „Rollenverteilungen“ „in der Familie“ (PF 126), beschreibt diese Rollen kurz oder bittet die Patientin, sie selbst zu beschreiben, und formuliert als „Hintergedanken“, dass sie „irgendwó […] die Rolle heute noch“ (PF 147-148) spiele. TH arbeitet auf diese Weise an dem Wissen der Patientin über sich selbst, über charakteristische Verhaltensweisen und Beziehungsmuster und deren Entstehung. Dies beruht auf Theorien, wonach eine Kongruenz zwischen Selbstbild und Selbststruktur (Eckert 2000, Biermann-Ratjen 2006a) wesentlich ist für eine heilsame Veränderung der Patient*innen - wenn diese ihr Selbst erkennen und verstehen, werden sie in die Lage versetzt, pathogene mentale und behaviorale Strukturen einzuhegen und zu verändern. In diesem Beispiel bringt TH Wissenselemente ein, die die Patientin bei diesem Prozess unterstützen sollen, sie also auf die Spur der Identifi kation von zentralen Elementen, die ihr Erleben prägen, setzen sollen. Anders als ein psychoanalytisch arbeitender Therapeut formuliert er zentrale Wissenselemente jedoch nicht selbst - er deutet ihre gegenwärtige Beziehung zum Ehemann nicht explizit als Wiederholung von Beziehungsstrukturen der Primärfamilie. Dieses Wissen deutet TH lediglich an, etwa mit „irgendwó - des is mein Hintergedanken dabei - spielen Sie die Rolle heute noch“ (PF 147-184), um auf diese Weise eine Wissenssuche bei der Patientin anzuregen. Diese soll selbst das entsprechende Wissen fi nden; Basis dieses Vorgehens ist zum einen die Annahme, dass eine Erkenntnis über das eigene Selbst, die man selbst gewinnt, größere therapeutische Wirksamkeit entfaltet als eine von einer anderen Person vermittelte Erkenntnis (Biermann-Ratjen 2006b), zum anderen, dass die 46 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Patient*innen selbst über den Zeitpunkt, zu dem eine Erkenntnis verbalisiert und verarbeitet werden kann, entscheiden sollten (Freud 1948: 250 f.; Thomä & Kächele 2006: 311 f.). Hinsichtlich des vorgelegten Modells zum Helfen geht TH also wie folgt vor. Zunächst aktiviert er relevantes Wissen bezüglich der Eigenschaften der Klientin und ihrer Schwester (PF 114-117) und vertieft so das Themenfeld der familiären Rollenverteilungen. Damit wird dieses Thema als für die Klientin relevanter Bereich ihrer Denk- und Wissensstrukturen gesetzt. Nachdem die Klientin zunächst lediglich einzelne Wissenselemente über ihre Schwester verbalisiert, diese aber nicht in Bezug zu sich selbst stellt, konkretisiert TH das zu aktivierende Wissen und kommt auf die Rollenverteilung in der Familie zu sprechen (PF 125-134). Dazu nennt er zunächst Fachwissen („also in der Familie gibt s ja Rollenverteilungen“ (PF 126)), das er als allgemeines Wissen weiter vertieft („eine Rolle kann man nur spielen, wenn alle mitspielen“ (PF 128). Ohne abzuwarten, ob die Klientin nach diesem ersten Abnehmen der Teilhandlung - Fokussierung auf die Rollenverteilung - nun selbst weitere Denkschritte vornimmt, konkretisiert TH weiter. Er fokussiert mit „Sie ham auch ne ganz bestimmte Rolle gespielt“ (PF 128-129) weg von der allgemeinen familiären Rollenverteilung hin zur Rolle der Klientin und macht deutlich, dass er diese für besonders relevant hält. Damit stellt er der Klientin die Aufgabe, ihre eigene Rolle im Verhältnis zu den Rollen anderer Familienmitglieder zu explorieren. Mit Wissen zu ihrem Rollenverhalten in konkreten Situationen muss die Klientin diese vom TH relevant gesetzten Denkalternativen selbst füllen. Später im Gesprächsverlauf nimmt TH dann eine weitere Gewichtung der Denkalternativen vor, indem er darauf hinweist, dass er aufgrund seines Expertenwissens davon ausgeht, dass Erkenntnisse über die Rolle der Klientin in ihrer Familie auf ihre aktuelle Lebenssituation übertragen werden können („irgendwó […] spielen Sie die Rolle heute noch“ (PF 147)). Damit gewichtet er nun die Denkalternative bezogen auf die Fokussierung der eigenen Rolle als das zentrale Element, auf das die Klientin ihr Erfahrungs-/ Erlebniswissen hin beleuchten soll. Wir haben es also in diesem Gesprächsausschnitt mit einer Form sprachlichen Helfens zu tun, die sich zum einen stark auf Denkalternativen (und nicht auf Handlungsalternativen) bezieht und zum anderen ein Umstrukturieren von Klientenwissen im Fokus hat. Basierend auf ihrem Expertenwissen über psychische Ursache-Wirkungszusammenhänge können helfende Personen mental vorstrukturieren, welches Wissen für Klienten auf welche Weise relevant wird und in welchen Dimensionen eine Umstrukturierung dieses Wissens sinnvoll angestrebt werden kann. Damit nehmen sie strukturell eine Bewertung und Gewichtung von Denkalternativen vor, die sie jeweils mit fortschreitender Verbalisierung des klientenseitigen Erlebnis-/ Erfahrungswissens weiter in Rich- Helfendes Handeln 47 tung einer Gewichtung von Denkalternativen zuspitzen. Das Helfen besteht also darin, dass Therapeut*innen bestimmte Denkalternativen für die Patient*innen aktivieren, bewerten oder gewichten, die diese dann selbst mit ihrem konkreten Wissen/ Erleben in Verbindung bringen müssen (vgl. Scarvaglieri 2013: Kap. 7.3). Die von den Patient*innen verbalisierten Wissenselemente werden aktiviert und sprachlich so verarbeitet (Scarvaglieri 2013: Kap. 7.2; Scarvaglieri 2015), dass den Patient*innen bestimmte Umstrukturierungsmöglichkeiten mentaler Prozesse nahe gelegt werden (in unserem Beispiel hinsichtlich einer grundsätzliche Parallelität zwischen den Rollen in Erstfamilie und gegenwärtiger Familie), so dass Ansatzpunkte für therapeutische Veränderungsprozesse entstehen (vgl. Scarvaglieri i.d.B., subm.). Es handelt sich in diesem Beispiel insgesamt um ein schwaches bis mittelstarkes Helfen, da zentrale Wissenselemente vom Helfenden nicht vollständig ausformuliert, sondern nur angedeutet und der Beschäftigung durch die hilfeempfangende Personen anheimgestellt werden. TH regt eine Wissenssuche an und etabliert (gewichtet) auch bereits mehrere Suchfoki. Diese werden von der Patientin zum Teil auch aufgenommen, sie formuliert vereinzelte biographische Wissenselemente, kommt aber nicht zu dem von TH angezielten Schluss über die Parallelität der aktuellen und der früheren Beziehungsstrukturen bzw. darüber, dass sich die eine Situation aus der anderen entwickelt hat. Daran, dass TH nicht auf diesem Schluss besteht, dieses Wissen, nachdem es von PA nicht entwickelt wird, nicht selbst formuliert, sondern schließlich einen von PA initiierten Themenwechsel akzeptiert, zeigt sich, dass in der Gesprächstherapie generell ein eher schwaches Helfen vorliegt, bei dem von Therapeutenseite zwar Wissenselemente formuliert und in ihrer Relevanz für PA auch bewertet werden. Die weitergehende Bewertung, Gewichtung, Ergänzung und Verarbeitung von Wissen aber bleiben zu großen Teilen den Patient*innen überlassen. Dies ist funktional, weil die Gesprächspsychotherapie eine Persönlichkeitsumstrukturierung (im Sinne der angesprochenen Kongruenz zwischen Selbstbild und Selbststruktur) und damit eine vergleichsweise weitgehende Veränderung anstrebt, welche von außen zwar angeregt, letztlich aber nur von der Klient*in selbst vollzogen werden kann. Hier zeigt sich damit noch deutlicher, dass sprachliche Hilfeprozesse, egal ob sie auf Denk- oder Handlungsalternativen abzielen, lediglich in einem Abnehmen (durch Vorstrukturieren) mentaler Teilhandlungen bestehen. Diese mentalen Handlungen aber müssen von den hilfeempfangenden Personen übernommen und somit auch selbst nachvollzogen werden. Dies kann - anders als beim praktischen Helfen (z. B. Schuhebinden) - nicht von der helfenden Person übernommen werden. Hier zeigt sich damit erneut (s. Beispiel der genetischen Beratung), dass das Helfen in eine je spezi- 48 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri fische Konstellation eingebunden ist und an institutionelle Zwecke angepasst realisiert wird. Nachdem wir das Vorstrukturieren von Denkalternativen nun an zwei verschiedenen Beispielen mit stärkerer Fokussierung auf Wissenserweiterung (genetische Beratung) und stärkerer Fokussierung auf Wissensumstrukturierung (Kurzzeittherapie) untersucht haben, möchten wir nun ein Beispiel aus einem verkaufenden Gesprächstyp untersuchen, das auf die mentale Vorstrukturierung von Handlungsalternativen ausgerichtet ist. Helfendes Handeln 49 Beispiel III: Verkaufsgespräch beim Autohändler 50 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri In diesem Verkaufsgespräch 5 in einem Autohaus spricht der Verkäufer eine Reihe von Faktoren an, die er bei der Entscheidung für ein bestimmtes Modell für relevant hält. Indem er diese Kriterien nennt, strukturiert er das Handlungsfeld der Klienten vor und hilft ihnen, bei der Entscheidung für ein Modell. Das Transkript setzt mit der Thematisierung des „Verbrauch[s]“ (PF 1) ein, der für die Klientin eine hohe Bedeutung hat, da sie „in der Woche so vierhundert Kilometer […] jobtechnisch“ (PF 2-3) unterwegs ist. Der Berater bewertet das Fahrzeug-Modell „Mini One“ als „vom Verbrauch her […] mehr als ausreichend“ (PF 5-6). Daraufhin spricht er mit dem „Grundpreis“ (PF 7), dem Motortyp („Diesel“ 5 Die Daten wurden uns von Gisela Brünner zur Verfügung gestellt, wir danken ihr sehr dafür. Helfendes Handeln 51 (PF 6)) und der Geschwindigkeit bzw. Beschleunigung („spritziger“ (PF 8)) drei weitere Faktoren an, die den Autokauf beeinflussen können und in den kommenden Passagen weiter verhandelt werden. Bezogen auf das Helfen ist hier relevant, dass V Handlungsalternativen anhand von Kriterien bewertet, nicht aber explizit eine der Alternativen (Benziner oder Diesel) gewichtet. Durch das Nennen von Kriterieren strukturiert er den Entscheidungsprozess für die Kundin zu einem bestimmten Grad vor, die letztendliche Gewichtung der Alternativen und damit die Wahl eines bestimmten Modells, die im Prinzip in ein praktisches Kaufhandeln münden würde, aber überlässt er der Kundin. Dass dieses Gewichten der Kundin überlassen bleibt und diese es auch vornimmt, zeigt sich, als die Kundin eine gängige Maxime (Ehlich & Rehbein 1977: 58-65) formuliert, wonach es „wenn man viel fährt, eher schlauer [ist] n Diesel zu kaufen“ (PF 14) und damit das Gewichten anhand des Kriteriums Kilometerleistung probeweise durchführt. Diese Maxime wird mittels „also“ als eine Schlussfolgerung formuliert, für die KF die Bestätigung des Verkäufers sucht. Dieser bestreitet die Gültigkeit der Maxime („Nein“ PF 14) und führt als Begründung an, dass, anders als „früher“ (PF 14) Diesel nur noch „zehn Cent“ billiger sei „wie Benzin“ (PF 15-16). Darauf schließt er mit „auf der andern Seite“ diesem Aspekt widersprechendes Wissen an, wonach Diesel-Motoren einen „circa zwei drei Liter günstigeren Verbrauch“ (PF 17) aufweisen, was allerdings wiederum „gegen die paar tausend Euro Mehrkosten“ (PF 18) bei der Anschaffung des Diesels gegengerechnet werden müsse. Damit weist er zwar den Schluss der Kundin zurück, ein bestimmtes Kriterium als kaufentscheidend zu gewichten, nimmt selbst aber keine eigene Gewichtung vor, sondern nennt zusätzliche Kriterien. Es handelt sich hier also um ein Helfen, das die Klientin mit einem klaren Ziel initiiert, und bei dem der Agent eine Reihe von Faktoren nennt, die die Entscheidung der Klientin über die ihr zur Verfügung stehenden Optionen, dieses Ziel zu erreichen, beeinflussen können. Damit strukturiert er zum einen vor, in welchen Dimensionen die Klientin über ihre Handlungsoptionen denkt (so gibt er der Frage der Ausstattung im Gespräch eine höhere Bedeutung als die Klientin ihr ursprünglich zuzumessen scheint), auf welchen Aspekten sie also eine etwaige Entscheidung aufbaut. Zudem bewertet er einige der Faktoren auch eindeutig, misst etwa den Treibstoffkosten geringere, dem Anschaffungspreis und der Ausstattung höhere Bedeutung zu. Hier handelt es sich somit um eine mittlere Vorstrukturierung der Handlungsalternativen, die durch das Bewerten von Alternativen ohne deren Gewichtung realisiert wird. Eine Gewichtung und damit Entscheidung für ein bestimmtes Modell wird der Kundin überlassen. Diese wird mit mehrfachem Verweis auf die Möglichkeit einer „Probefahrt“ (u. a. PF 52) sowie durch Übergabe von „Katalog“ (PF 190) und „Kärtchen“ (PF 191) auf einen anderen Zeitpunkt verschoben. 52 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Hier kann nicht ausführlich diskutiert werden, dass der Verkäufer die weit überwiegenden Kriterien für eine der Alternativen (Benziner) nennt, damit also etwas in Richtung eines Gewichtens dieser Alternative geht. Zudem setzt er die Möglichkeit der Zusatzausstattung relevant, die die Kundin von der gesparten Differenz des Preises zu einem Dieselfahrzeug kaufen könnte. Hier liegt es offenbar in seinem Interesse als Verkäufer, dass die Kundin gar nicht erst die Handlungsalternative, nur einen Benziner (ohne weitere Ausstattung) zu kaufen und so einfach weniger Geld auszugeben als vorgesehen, in Erwägung zieht. Es wird erneut deutlich, dass und wie das Helfen jeweils von der Konstellation, in der es verwendet wird, geprägt ist. Diese bedingt in diesem Beispiel, dass der Verkäufer seine Interessen bei der Bewertung von Alternativen einfließen lässt 6 , ohne dass strukturell aus dem rekonstruierten Handlungskomplex ausgebrochen würde. Beispiel IV: Lernberatung in der Schule Ein Helfen, das Handlungsalternativen der Klienten vorstrukturiert, findet sich auch in der sog. „Lernberatung“. Beispiel IV wollen wir als sehr starkes Vorstrukturieren diskutieren und auch hier zeigen, wie der Handlungskomplex helfenden Handelns in seine jeweiligen institutionellen Konstellationen eingepasst wird. Dabei ist nun allerdings ein Grenzfall des Helfens zu beobachten, weil der Schüler sich einer Unterordnung unter institutionelle Ziele zunächst verweigert und eine Zielbestimmung nur zustande kommt, weil sie institutionell gesetzt ist. 6 Damit kann hier nicht mehr von Ratgeben und wohl auch nicht von Beraten als einbettendem Handlungskomplex gesprochen werden, weil beim Ratgeben das Bewerten von Alternativen nominell ausschliesslich im Interesse der Ratsuchenden erfolgen müsste (vgl. Pick 2017: 430-434). Helfendes Handeln 53 54 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Helfendes Handeln 55 Die Daten (aus Fischbach 2015: 62-65) zeigen zunächst, dass bereits der Einstieg in den Hilfeprozess von der Agentin L2w geleistet wird, indem sie das Fach „Englisch“ (PF 1) als relevantes Thema setzt und Stellungnahmen des Klienten zu diesem Thema elizitiert (PF 3-10). Die Agentin übernimmt auch im Folgenden den aktiven Part, der Schüler äußert sich nur gelegentlich und auf spezifi sche Fragen der Lehrerin hin. Dabei macht er deutlich, dass er seine Englischkenntnisse zwar als gering einschätzt (PF 5-6), dies aber nicht als Problem ansieht („ich möcht aber nicht Englisch sprechen“ (PF 8). Auf Seiten des Klienten liegt also kein Problem vor, die Handlungsziele von Agentin, die an den Englischkenntnissen des Schülers arbeiten möchte, und Klient stimmen nicht überein. Hiermit wird ein fundamentaler Zielkonfl ikt deutlich, der einen anschließenden Hilfeprozess an sich unterbinden würde: Ist das mit der Hilfe zu erreichende Ziel nicht im Sinne der Hilfeempfangenden, wäre ein Abnehmen von Handeln durch eine helfende Person kein Helfen mehr (sondern eine Manipulation ö.ä.). Dies bedingt, dass L2w zunächst eine Sequenz zur Zielentwicklung einschaltet. Dies geschieht hier mittels einer Frage, die letztlich eine positive Bewertung des Ziels elizitiert und damit das Ziel nicht grundlegend zur Diskussion stellt („hast du denn eine Idee, wofür das gut sein kann“). Die Frage nach der Bewertung versucht die Sinnhaftigkeit ihres Ziels auch S1m zugänglich zu machen. Dieser 56 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri kooperiert und nennt ein positives Kriterium, das von L2w in der Folge weiter mit den relevanten Inhalten (sprechen und verstanden werden in einem anderen Land) komplettiert wird (PF 10-12). Hier liegt eine Vorstrukturierung von Denkalternativen vor, die sich jedoch noch nicht auf das Thema der Englischkompetenzen bezieht, sondern S1m zunächst helfen soll, die institutionelle Zielsetzung zu übernehmen, also die Denkalternative „Englisch sprechen und verstehen ist mein Ziel“ als relevant zu gewichten. Dazu elizitiert L2w eine positive Bewertung von S1m für ein Ziel, welches sie vorgibt, und beteiligt ihn so nur vermeintlich an der Zielentwicklung. Die Zielentwicklung scheint an dieser Stelle abgeschlossen, ob S1m die Zielsetzung aber für sich übernimmt und den folgenden Hilfeprozess damit legitimiert, wird nicht vollständig deutlich, hat aber auf das weitere Handeln kaum Einfluss, da das Ziel, aktive wie passive Englischkompetenzen zu erwerben, durch die Institution Schule gesetzt ist, so dass Handlungsziele für die Agenten etabliert werden, welche die individuellen Ziele oder Wünschen der Klienten überlagern. Dieses Ziel voraussetzend geht L2w nun auf die Verstehenskompetenzen ein und etabliert damit ein weiteres mit dem Sprechen des Englischen verwandtes Thema. Nachdem S1m Defizite zugibt („Nö, gar nichts fast“, PF 13-14), setzt der Hilfeprozess von L2w ein, welcher sich nun darauf bezieht, S1m bei dem vermeintlich gemeinsam gesetzten Ziel, Englisch sprechen zu können, zu unterstützen. L2w setzt zunächst mit einem Vorstrukturieren von Denkalternativen ein, die S dazu befähigen sollen, zu erkennen, dass er mehr (verstehen) kann als er annimmt. Dies bewerkstelligt sie, indem sie eine konkrete Situation aus dem Unterricht im Gespräch präsent macht und Wissen von S1m dazu elizitiert („hast du verstanden, was Roland gesagt hat? “ (PF 17-18)). Nachdem S1m bestätigt, dass er in der konkreten Situation seinen Mitschüler verstanden hat und damit das für das Entwickeln von Denkalternativen relevante Wissen (S1m konnte in einer Einzelsituation etwas verstehen) genannt ist, könnte L2w den Schüler nun selbst weitere Schlüsse ziehen lassen (Denkalternativen bewerten und gewichten). L2w nimmt allerdings eine weitere Vorstrukturierung vor, indem sie zunächst mit „siehst du? “ (PF 18) anzeigt, dass weitere Implikationen aus der elizitierten Einzelsituation abzuleiten sind. Diese expliziert sie dann prompt und verallgemeinert das Können von S1m in der Einzelsituation zunächst auf „du verstehst schon richtig viel“ bis zu „mehr […], als du im Moment glaubst“ (PF 19-20). Damit gewichtet sie also die Denkalternativen des Schülers „ich verstehe gar nichts“ vs. „ich verstehe mehr, als ich glaube“ explizit in Richtung der letztgenannten Alternative. Dieser Gewichtung von Denkalternativen liegt die nicht explizit gemachte Annahme zugrunde, dass verstehen können wichtig ist, um sprechen zu können. Helfendes Handeln 57 Daran anschließend kommt L2w zum ursprünglichen Thema, dem Sprechen, zurück. Nachdem sie das Wissen des Schülers über sich und seine Verstehenskompetenzen umstrukturieren geholfen hat (ob S1m ihrer Gewichtung folgt, bleibt offen), geht sie sogleich über zum Entwickeln eines Handlungsplans, bei dem sie ebenfalls durch Vorstrukturierung unterstützt. In PF 20-21 fordert sie (formuliert als Wunsch) ein Verhalten des Klienten („ich würd mir wünschen, dass du auch versuchst, das selber zu sprechen“) und gewichtet damit mögliche Handlungsalternativen zur Erreichung des Ziels Englisch sprechen. Sie selbst nimmt also mental eine Auswahl, Bewertung und Gewichtung möglicher Handlungsalternativen, die S zu seinem Ziel führen können, vor und präsentiert verbal lediglich das Ergebnis dieser Erwägungen. L2w beginnt dann, den von ihr präferierten Plan zu begründen („weil“ (PF 19)) und verbalisiert eine Reihe von Wissenselementen, die auf eine Umstrukturierung mentaler Prozesse bei S1m abzielen und damit letztlich seinen Handlungsprozess vorstrukturieren sollen: Sein Verstehen des Englischen, das bereits als Ressource etabliert wurde und hier als Begründung für ein Sprechenkönnen angeführt wird, und ein Normalisieren („es is überhaupt kein Problem“ (PF 24)) seiner Schwierigkeiten (beim Sprechen) und präsentiert sogleich die von ihr präferierte Lösung („dann kannst du immer fragen“ 7 (PF 25)). Damit gewichtet sie in sehr schneller Folge Wissenselemente, die S1m dabei unterstützen können, seine Perspektive auf sein Handeln umzustrukturieren, also zum einen zu erkennen, dass er bereits einiges beherrscht (Verstehen) und dass die mangelnden produktiven Fähigkeiten nicht per se problematisch, sondern erklärbar sind. Zudem bietet sie die Möglichkeit an, auch bei Unsicherheit und Problemen um Hilfe zu bitten. Damit macht sie bereits konkrete Vorschläge für eine Umsetzung der von ihr präferierten Handlungsalternative des Sprechens. Ob S1m diese Denkalternativen, die letztlich seine Perspektive auf sich selbst umstrukturieren sollen, allerdings übernehmen kann, bleibt hier offen (aufgrund der Geschwindigkeit, mit der diese Gewichtungen eingebracht werden, erscheint es uns eher fraglich). L2w fährt dennoch mit der Handlungsplanung für S1m fort, indem sie eine Handlungsalternative konkret gewichtet (das Melden in dafür vorgesehenen Situationen): „Wolln wir versuchen, ob du dich im Klassenenglisch, […] dass du ähm versucht, dich zu melden? “ (PF 25-27). Dieser Handlungsplan wird als „Versuch“ in Frageform verbalisiert, allerdings bleibt dem Schüler in der gegebenen Situation - Gespräch mit zwei Lehrerinnen, deren Beurteilung für ihn versetzungsrelevant ist - kaum die Option, diesen Wunsch abzulehnen (dies sicher auch, weil die vorgeschlagene Handlung, sich am Unterricht zu beteiligen, 7 Hier wäre ein Helfen angesprochen, bei dem Sprache Objekt des Helfens ist (vgl. o. 2.), also bezogen auf das Helfen beim Formulieren oder Suchen der passenden Vokabel etc. 58 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri in diesem Zusammenhang weder ungewöhnlich noch besonders schwierig ist). Der Schüler stimmt einsilbig zu („Jā“ (PF 24)), ohne diese Zustimmung weiter auszuführen und damit eine eigene Handlungsmotivation erkennen zu lassen (vgl. Scarvaglieri 2017). Nach dieser Reaktion konkretisiert die Lehrerin ihren Vorschlag zu einem Handlungsplan, wonach der Schüler „einmal in der Stunde“ versucht, „sich zu melden“ (PF 28-30). Auch hier wird die Zustimmung des Klienten eingeholt („Ja? Wär das ne Vereinbarung? “ (PF 31)), diese erfolgt erneut einsilbig („Jā“) und Fischbach zufolge „sehr widerstrebend“ (2015: 65). Auch hier wird deutlich, dass L2w an die Grenzen des Helfens stößt: Beim sprachlichen Helfen muss die Gewichtung von Denk- und Handlungsalternativen vom Hilfeempfangenden schließlich übernommen werden, ein tatsächliches Abnehmen dieser Handlung durch den Helfenden, wie es hier vollzogen wird, ist nicht möglich. Dies gilt v. a. in Konstellationen, in denen, wie in diesem Beispiel, die Lösung im Einflussbereich der Hilfesuchenden liegt (Lösungsradius, vgl. Pick 2017: 454 f.). Es handelt sich hier also um ein Helfen, bei dem die helfende Person das Problem (schlechte Englischkenntnisse) und das Ziel (häufiger Englisch sprechen) identifiziert, in wenigen Schritten eine Umstrukturierung mentaler Prozesse und einen Handlungsplan zum Erreichen dieses Ziels entwirft und versucht, die hilfeempfangende Person zur Einhaltung dieses Plans zu verpflichten - letzteres, indem das Einverständnis eingeholt und dieser Plan schriftlich fixiert wird (PF 32-33). Das Handlungsfeld des hilfeempfangenden Klienten wird also sehr stark vorstrukturiert. Das Vorstrukturieren von Denk- und Handlungsalternative zeigt sich dabei als verkürztes Nennen von einer bereits durch L gewichteten Alternative und als Verbalisierung eines „fertigen“ Handlungsplans, der sich zudem auf ein Ziel bezieht, das S1m nicht oder nur widerwillig übernimmt. 8 Damit ist unseres Erachtens ein Grenzfall des (aufgedrängten) Helfens erreicht, der sich allein vor dem institutionell gesetzten Hintergrund noch als Helfen bezeichnen lässt, da eine erhöhte Unterrichtsbeteiligung zu besseren Sprachkenntnissen und v. a. einer entsprechend verbesserten Bewertung des Schülers beitragen und damit auch seinen Interessen entsprechen kann. 4. Zusammenfassende Betrachtung: Helfen und Veränderung Wir haben in diesem Beitrag helfendes Handeln als einen Handlungskomplex rekonstruiert, der in sehr unterschiedliche andere Handlungskomplexe einge- 8 Auch in diesem Fall kann nicht mehr von einem Beraten gesprochen werden, , da der Beratungsprozess von der Agentin initiiert wird, beim Klienten also gar kein Problembewusstsein und kein Interesse an einer Beratung vorliegt (Fischbach 2017, vgl. zur Grundkonstellation des Beratens Pick 2017b: 428-437). Helfendes Handeln 59 bettet werden kann. Helfendes Handeln haben wir als Abnehmen von (Teil-) Handlungen konzipiert. Sprachliches Helfen ließ sich auf dieser Basis bestimmen als das Vorstrukturieren von Denk- und Handlungsalternativen bei der Handlungsplanung, die durch das helfende Handeln konkretisiert wird. Dieses Vorstrukturieren von Denk- und Handlungsalternativen kann unterschiedlich stark vorgenommen werden und beinhaltet dann je auf Denk- oder Handlungsalternativen bezogen ein Aktivieren bzw. Nennen von Wissen (schwache Vorstrukturierung), ein Bewerten von Alternativen basierend auf Bewertungskriterien bzw. Maßstäben (mittlere Vorstrukturierung) oder ein Gewichten von Alternativen (starke Vorstrukturierung). Voraussetzung dazu ist eine gemeinsame Zielvorstellung, die entweder vorgegeben (konstellationsabhängig ‚typisch‘) ist oder ausgehandelt wird. Diese Zielvorstellung kann während eines Hilfeprozesses, in dem in der Regel der Handlungskomplex des Helfens mehrfach ganz oder teilweise durchlaufen wird, immer wieder verändert oder neu ausgehandelt werden. Auch zur Entwicklung einer Zielvorstellung kann der Handlungskomplex Helfen eingesetzt werden, was in verschiedenen Gesprächstypen einen großen Stellenwert einnehmen kann (vgl. das Merkmal Prozessfokus, Pick 2017: 446-448). Das Helfen kann der Überwindung eines konkreten Handlungswiderstandes (z. B. dem Finden einer Entscheidung) dienen, aber auch mit dem Ziel eingesetzt werden, Hilfeempfangende dazu zu befähigen, das Nennen, Bewerten und Gewichten von Denk- und Handlungsalternativen künftig selbst vorzunehmen (vgl. Oevermann 2013). Dies geschieht zum einen, weil ihnen beim sprachlichen Helfen schrittweise gezeigt wird, wie man Wissen und Bewertungen bezogen auf Alternativen deliberiert. Zum anderen müssen Hilfeempfangende die von Helfenden vorgenommenen Vorstrukturierungen selbst nachvollziehen und mental integrieren. Dies ist immer dann besonders relevant, wenn eine Lösung (also die praktische Umsetzung des Handlungsplans) nicht im Einflussbereich des Helfenden liegt. Grundlegend für das sprachliche Helfen ist, dass es als interaktionaler Prozess von (typischerweise) zwei Parteien konzipiert ist, die den Prozess beide mitbestimmen und verschiedene interaktionale Aufgaben übernehmen. Dieser Prozess ist durch Asymmetrien hinsichtlich Wissen, Können und persönlicher Erfahrungen der Beteiligten gekennzeichnet. Diese Asymmetrie muss für das Helfen eingesetzt werden, indem von Helfenden zumindest mental und probeweise Gewichtungen vorgenommen werden. Die zugrundeliegenden Asymmetrien sind allerdings nicht statisch, sondern können mit den Hilfeempfangenden interaktional ausgehandelt, verändert, probeweise durchgespielt oder auch verworfen werden. Zudem müssen Ziele gemeinsam interaktional geklärt werden, es muss der Handlungskomplex übereinstimmend in Gang gesetzt werden und es muss gemeinsam geklärt werden, welche Teilhandlungen übernommen werden sollen. 60 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Wir gehen davon aus, dass (sprachliches) Helfen grundsätzlich darauf ausgerichtet ist, Veränderung anzustoßen oder herzustellen. Wir haben es dabei mit einer Veränderung in mindestens zwei Dimensionen zu tun: Zum einen steht am Ende des Handlungsprozesses, der durch das Helfen unterstützt wurde bzw. in den das Helfen eingebettet ist, eine Veränderung (Resultat) . Diese manifestiert sich in einer (praktischen oder verbalen) Handlung (Autokauf, Kündigung etc.), die die Veränderung konkret herbeiführt, oder in einem (generell) veränderten Handeln in wiederkehrenden Situationen (Schuhbinden z. B.). Beides resultiert aus einem Planungsprozess, der in der Regel Denk- und Handlungsalternativen bewertet und gewichtet. Zum anderen ist eine Veränderung im mentalen Bereich der Hilfeempfangenden eine zentrale Dimension der beim sprachlichen Helfen angestrebten Form von Veränderung. Hier setzt eine Veränderung (lange) vor dem konkreten handlungspraktischen Resultat ein. Sie manifestiert sich in einem kommunikativen Prozess von je unterschiedlicher Dauer und Intensität, der durch Schleifen, in denen verschiedene Denk- und Handlungsalternativen durchgespielt, verworfen, umgewertet etc. werden, gekennzeichnet sein kann. Veränderung kann beim Helfen also sowohl in einem materialen, aktionalen Handlungs-Resultat als auch in einem mentalen Prozess bestehen. Wir haben sprachliches Helfen als einen Handlungskomplex untersucht und verstehen unseren Beitrag damit auch als theoretischen und methodischen Impuls für die Untersuchung von sprachlichem Handeln. Mit dem Fokus auf Handlungskomplexe legen wir weder einzelne Sprechakte oder Äußerungen noch Gattungen oder Gesprächstypen als Untersuchungseinheiten zugrunde, sondern verstehen Handlungskomplexe als zusammengesetzt aus Einheiten funktional aufeinander bezogenen interaktionalen Handelns, die verschieden expandiert und in verschiedenen (institutionellen) Konstellationen verwendet werden können (vgl. Pick 2017a: 32-35). Wir haben in unserem Beitrag helfendes Handeln als einen solchen sprachlichen Handlungskomplex rekonstruiert, der in sehr unterschiedliche andere Handlungskomplexe und Gesprächstypen eingebettet sein kann. Diese Einbettung bedingt, dass das Helfen entsprechend der Konstellationen und deren (institutioneller) Bedingungen verschieden ausgeprägt ist, es aber dennoch grundlegend als derselbe sprachliche Handlungskomplex realisiert wird. Damit haben wir auch versucht, den Blick auf sprachliches Handeln etwas zu öffnen und ihn von einzelnen Konstellationen, Gesprächstypen oder Gattungen zu lösen. So hoffen wir, gerade durch das Vergleichen und Kontrastieren den Kern des Handlungskomplexes in seiner Beschreibung und Bestimmung deutlicher werden zu lassen, als das bei Betrachtung eines einzelnen gesellschaftlichen Handlungsfelds möglich gewesen wäre. In dieser Hinsicht möchten wir mit unserem Beitrag das Feld für weitere Forschung öffnen, die helfendes Handeln in verschiedensten Konstellationen empirisch unter- Helfendes Handeln 61 sucht, unseren Vorschlag für einen Begriff sprachlichen Helfens auf weitere Beispiele anwendet, kritisch überprüft und weiterentwickelt. Literatur Auer, Peter (2013/ 1999). Sprachliche Interaktion: Eine Einführung anhand von 22 Klassikern. Berlin/ New York: de Gruyter. Becker, Maria (2015). Ärztliche Empfehlungen in Therapieplanungsgesprächen: Eine gesprächsanalytische Untersuchung. Mannheim: Verlag für Gesprächsforschung. Biermann-Ratjen, Eva-Maria (2006a). Klientenzentrierte Entwicklungslehre. In: Eckert, Jochen/ Biermann-Ratjen, Eva-Maria/ Höger, Diether (Hrsg.) Gesprächspsychotherapie. Lehrbuch für die Praxis. Heidelberg: Springer, 73-92. Biermann-Ratjen, Eva-Maria (2006b). Krankheitslehre der Gesprächspsychotherapie. In: Eckert, Jochen/ Biermann-Ratjen, Eva-Maria/ Höger, Diether (Hrsg.) 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Äußerungen mit exklamativem, adhortativem, optativem, Aufforderungs- oder Heische Modus … Abgebrochene Äußerungen ˙ Äußerungen ohne Modus Zeichen für tonale Bewegungen Zeichen Gekennzeichnete Phänomene ˋ Fallende Intonation ˊ Steigende Intonation ˆ Steigend-fallende Intonation ˇ Fallend-steigende Intonation ˉ Gleichbleibende Intonation 64 Ina Pick & Claudio Scarvaglieri Pausenzeichen Zeichen Gekennzeichnete Phänomene • Kurzes Stocken im Redefluss • • Geschätzte Pause bis zu einer halben Sekunde • • • Geschätze Pause bis zu einer dreiviertel Sekunde ((5s)) Gemessene Pause ab einer Sekunde Zeichen für intrasegmentale Phänomene und sonstige Zeichen Zeichen Gekennzeichnete Phänomene : Ankündigung „ Uneigentliches Sprechen ͜ Schneller Anschluss / Äußerungsinterne Reparatur (Ich mein) Schwer verständliche Passagen (= =) Unverstandene Silben ((Hustet)) Nicht-phonologische Phänomene Für Sie. Emphatische bzw. Kontrastbetonung der unterstrichenen Silbe Client change in psychotherapy 65 Client change in psychotherapy Methodological challenges and analytical affordances of discourse analysis Joanna Pawelczyk Abstract: The issue of client change in psychotherapy is vital for every therapy approach. Yet, at the same time, the research conducted both from clinical quantitative and qualitative perspectives demonstrates the complexity of not only what client change is, but also of how it should be examined. This paper problematizes the very concept of ‘client change’ as this problematization has critical methodological implications for the research. For example, one of the essential questions to be considered is whose perspective we should adopt as researchers in examining client change. Quantitative clinical studies have identified a number of factors that contribute to the effectiveness of psychotherapy (Norcross 2011), yet as Silberschatz (2015: 1) has recently claimed: “little progress has been made in elucidating mechanisms of change”. Little is also known about the interactional process(es) leading to client change. This paper focuses on qualitative approaches to examining client change in psychotherapy. Discourse analysis as a qualitative methodology used to investigate language use in context, has the tools to examine the process of client change. Thus it can be complementary to the main empirical psychotherapy research (Elliott 2012). This paper demonstrates how the clinical and discourse analytic perspectives can be combined in researching client change in two ways. Firstly, discourse analysis can evidence how the postulated mechanisms of change are actually accomplished in an interaction between the psychotherapist and the client. Secondly, based on the concept of common factors in psychotherapy (Lambert 2013a), the paper proposes common interactional strategies in psychotherapy fundamental to promoting client change. Keywords: client change, discourse analysis, conversation analysis, common factors in psychotherapy, common interactional strategies 66 Joanna Pawelczyk Introduction Siri Hustvedt, a well-known American novelist, in her collection of essays entitled “A woman looking at men looking at women. Essays on art, sex, and the mind” makes a reference to her own therapy and change she has experienced as a result of it: For six years I have been in psychoanalytically based psychotherapy twice a week, and I have been changed by it. How this has happened remains mysterious. I could tell you a story now, one different from the story I arrived with on that first day, but the dynamics of how one story supplanted another, how talk, often repetitious, circling, speculative, even nonsensical, has achieved a shift in me, I couldn’t explain to you with any precision. I know this: I feel freer. I feel freer in my life and in my art, and those two are finally inseparable (Hustvedt 2016: 118). The reference to the near impossibility of explicating change coming from such a sharp thinker and observer of human life as Hustvedt herself, already points to the complexity of capturing how client/ patient 1 change occurs. Still, Hustvedt talks about one story replacing the other as a testimony to the experienced change and thus feeling liberated. Yet the trajectory of getting from one life narrative to the other cannot be easily identified. Watzlawick et al. (1974: 2) challenge the commonsensical opposition between change and persistence and put forward the following seemingly paradoxical assumption: …persistence and change need to be considered together in spite of their apparently opposite nature. This is not an abstruse idea, but a specific instance of the general principle that all perception and thought is relative, operating by comparison and contrast. Watzlawick et al.’s (1974) claim seems to be of vital relevance to the clients’ work in psychotherapy where their progression , although assumed to be incremental thus moving directly from point A to point Z, typically takes on a more uneven trajectory (see Lambert 2013b). Thus, as it is often claimed by clients, they take - in their view - one step forward toward improvement and then two steps backward. Furthermore, as Watzlawick et al. (1974) imply, whether something or somebody has in fact changed is very much contingent on the position from which the assessment is made. 1 The paper uses the term client in the generic sense as a person who attends psychotherapy. The term ‘patient’ is used in the analysis of Extract 1 as it discusses a part of psychotherapy session with a woman diagnosed with bulimia. Client change in psychotherapy 67 Referring now to research on client change, Elliott (2012) - one of the key scholars researching client change - comments on the ‘rigidity’ of looking into, i.e. investigating, client change. He refers to the traditional “mode of understanding” in change process research (CPR) as realist relying on such metaphors as “‘change mechanisms’ (change process as machine) and ‘effective ingredients’ (a pharmaceutical metaphor)” (2012: 69). This in turn implies that there should be a recipe-like procedure to be followed if psychotherapists want to achieve a change of some sort in their clients despite, among others, clients bringing very different issues to therapy and numerous diverging approaches to doing psychotherapy. The three views presented above point to a very complex picture of what client change is and what it might entail, its highly contingent character (Watzlawick et al. 1974), as well as the challenges in tracking it down both from the patient’s (Hustvedt 2016) as well as the researcher’s perspective (Elliott 2012). In what follows the main trends in qualitative research on client change are presented, highlighting its methodological complexity. Next, the key tenets of conversation analysis as one of the approaches to discursive engagement with (therapeutic) data as well as the emerging conversation analytic research on client change are discussed. This is followed by the analytical section on the use of discourse analytic approaches in investigating client change. The focus of this section is on common factors in psychotherapy (Lambert 2013a) and common interactional strategies of co-construction and re-construction in promoting client change. Problematizing client change and research on client change Psychotherapy as a longitudinal process is geared to facilitate change that should ideally increase the clients’ contact with their problematic emotional experiences and parts of the self, and to increase their self-reflexive abilities (Rennie 1992; Norcross and Goldfried 2005; Leiman 2012; Voutilainen and Peräkylä forthcoming). The promise of change for the better is why clients embark on the therapeutic trajectory and from the clinical viewpoint client change is the motivation for all psychotherapies (Peräkylä 2013: 573; see also Carey et al. 2007). Yet how the psychological change occurs is still poorly understood (Higginson and Mansell 2008: 310). Elliott (2012: 70) refers to the process of change in psychotherapy as “complex and nuanced” (see also Lambert 2013b) and as Murray (2002) states, questions about the change process often focus on examining how psychotherapy is helpful. Yet client change as a result of psychotherapy, although typically conceived of as bringing positive results and thus some sort of improvement in the client, 68 Joanna Pawelczyk can also be of negative character. The research shows that despite receiving validated and properly performed psychological treatments, some patients “experience deterioration and adverse events” (Bystedt et al. 2014: 319; Lambert 2013b). As reported by Bystedt et al. (2014), it is estimated that the so-called deterioration effect - referring to possible negative effects of psychological treatments (see Bergin 1966) - applies to between five per cent and ten per cent of all patients. Yet not enough is known about the so-called negative effects of psychotherapy (Bystedt et al. 2014). To reiterate, even though client change can be of positive and, in some cases, negative character, the extant research however, takes the default position on client change as positive. A substantial body of research concentrates on identifying and examining the events in the psychotherapy process marked by clients and therapists as significant (e.g., Levitt et al. 2006; Carrey et al. 2007; Nilsson et al. 2007; Higginson and Mansell 2008). It is argued that these events comprise “the effective ingredients of change” (Viklund et al. 2010: 151). For example, Carrey and colleagues (2007) conducted interviews with 27 people at the end of their treatment and found that “many described change as occurring both as a gradual process and at an identifiable - and memorable - moment” (Carrey et al. 2007: 182; see also Higginson and Mansell 2008). Additionally, Carrey et al. (2007) identified six themes in the participants’ accounts of how change occurred. These are: 1. motivation and readiness, 2. perceived aspects of self, 3. tools and strategies, 4. learning, 5. interaction with the therapist, 6. and, the relief of talking. It is worth noting that generally the participants of Carrey et al.’s (2007) study were unable to provide a specific definition of change (see Hustvedt’s (2016) comment above) and similarly to Levitt et al.’s (2006) findings, change was not attributed to concrete therapeutic approaches. Timulak (2007) presented a meta-analysis of factors that clients described as helpful in nine meta-categories: 7. awareness/ insight/ self-understanding, 8. reassurance/ support/ safety, 9. behavioral change/ problem solution, 10. empowerment, 11. relief, 12. exploring feelings/ emotional experiencing, 13. feeling understood, Client change in psychotherapy 69 14. client involvement 15. and, personal contact. One important factor that has emerged from clients’ accounts and that is conducive to change has to do with the therapeutic relationship. The participants of Levitt et al.’s (2006) study used the term “relationship” itself while e.g., “interaction with the therapist” was documented in Carrey et al.’s (2007) research and “feeling understood” and “personal contact” were identified in Timulak’s (2007) meta-analysis. This line of research follows the assumption that “clients’ perceptions of the therapy process are valuable indicators of outcome” (Viklund et al. 2010: 162). Yet, as Viklund et al. (2010: 152) explain, this type of research in which clients are asked to identify the significant moments in their therapies suffers a number of limitations: … identifying psychotherapy events that clients find important may help us capture the effective ingredients of change, but in order to better understand what goes on in those moments there is also a need for detailed examinations of the microprocesses of interaction within the events. The remark concerning the necessity of a detailed examination of those interactional moments deemed as significant by clients (and therapists) will be discussed further in the paper. The current perspective on studying client change, i.e., change process research (CPR) has been proposed by Greenberg (1986) and combines the earlier outcome research paradigm with the process research approach. CPR “concerns itself with explaining both how and why change occurs” (Elliott 2012: 69) and is “a necessary complement to randomized clinical trials and other forms of efficacy research” (Elliott 2010: 123). As discussed by Elliott (2010: 123), CPR comprises four types of research designs such as: quantitative process-outcome, qualitative helpful factors, microanalytic sequential process and the significant events approach, referring to “methods such as task analysis and comprehensive process analysis that integrate the first three.” The complexity of studying client change has been aptly captured by Kazdin (2009: 421) in the quotation: “’How does one get from: ‘My therapist and I are bonding’ to ‘My marriage, anxiety, and tics are better’”. This quotation gives a sense of just one of the salient issues in studying client change, i.e., how we go about finding out the implications and/ or consequences of what happens in the therapy room for the client’s actual non-therapy life. The intricacy of this issue, in fact, has been pointed out by Levitt et al. (2006: 318), who discussed how the clients in their study “vividly describ[ed] the process of moving between these 70 Joanna Pawelczyk two separate worlds of therapy and ‘real life’” that entailed “transforming from person to client and back to person again”. Another likely obstacle to identifying how the client change occurs has to do with the many therapy schools and approaches. Can we really offer an explanation of client change that will be applicable to often seemingly distant therapy schools but sharing the pursuit of change? This issue has been addressed, for example, in the line of research employing the Dialogical Self Theory (Hermans and Dimaggio 2004; see also Norcross and Goldfried 2005). Leiman (2012: 125) proposes “the fundamental twin process of all psychotherapies” that combines promoting client’s disclosure and helping him/ her “to adopt a self-observing stance concerning the presenting problems and the underlying problematic patterns of action and experience”. The self-observation, as Leiman (2012: 125) expounds, “permits an altered relationship to the original problem whatever it may be” by increased awareness of the original issue(s). Leiman (2012: 126) sees the concept of observer position taken by the client as “the common mediator of client change in psychotherapy”. Similarly Avdi (2012: 64) claims that the process of client change “can be evidenced in the development of richer dialogues between voices in the client’s narrative, in a decrease in disorganization or dissociation, and in the development of a reflexive meta-position” (see also Angus et al. 2006; Lambert 2013b; Rennie 1992). Another complexity that needs to be considered in studying client change revolves around the question whose perspective should be adopted in identifying and evaluating potential change. This concurrently relates to the sets of data to be collected and analyzed (see Elliott 2012). Is it the client who is the ultimate/ decisive figure in identifying and/ or assessing whether the therapy brought positive changes in his/ her life and what events they found most helpful (see e.g., Levitt et al. 2006; Carey et al. 2007) or is it his/ her therapist? Interestingly the research shows that the clients’ and therapists’ insights as to what gets identified as ‘helpful’ or ‘hindering’ in psychotherapy do not always overlap (Elliott 2012; see also Caskey et al. 1984). The concept of the analyst’s paradox (Sarangi 2002, 2007, 2010) refers to the necessity to consult discourse analytic findings with the people whose communicative and interactional practices are studied. This is to say that psychotherapists’ and clients’ perspectives are vital for the analytic practice and ultimately for the findings if they are to be applied to the work of therapists (see Sarangi 2010). The question of whose perspective is to be taken on board is not an easy one and cannot be resolved in the same manner for every case, yet it should sensitize researchers’ reflexivity and analytical gaze (cf. Sarangi 2019). Kazdin (2009: 419) states that despite “rather vast literature, there is little empirical research to provide an evidence-based explanation of precisely why Client change in psychotherapy 71 treatment works and how the changes come about.” Elliott (2012: 76) underlines that truly evidence-based practice “should be based on multiple lines of CPR evidence” thus, for example, combining various sources of data to arrive at a better understanding of how client change occurs. This seems to be of pivotal importance as the majority of studies still rely on one set of data and consequently neglect other crucial insights in explaining the process of change. To sum up, studying client change in psychotherapy poses a methodological and analytical challenge and “certainly not an easy path on which to embark” (Kazdin 2009: 428). The complexity however, needs to be properly addressed by the researcher on every stage of research process (see Sarangi 2019). Discourse analysis and analyzing client change Elliott (2012: 70) encourages more qualitative work in CPR by emphasizing that discourse analytic approaches have been so far “under-utilized”. Since the CPR’s focus is also on how change occurs, the broad DA perspective should be of particular relevance. After all: While clients process internally their experiences and content of mind in and between the sessions, what prompts and maintains this processing is the interaction between the client and the therapist, the therapeutic relationship ( Voutilainen and Peräkylä forthcoming ). CA, as one of the approaches within DA and a method of engaging with data, identifies the sequential organization and interactional functions of certain practices that in the local interactional context enable the client to approach a certain issue in a transformed manner. In the context of psychotherapy, CA helps to examine “what sort of features in the therapist’s turns would guide the patient to respond in a particular way, and vice versa” (Voutilainen et al. 2010a: 300). The broad framework of discourse analysis (DA) and in particular conversation analysis (CA) has successfully addressed and identified various interactional phenomena transpiring in the therapeutic interaction as summarized by Peräkylä (2013), e.g., formulations of the client’s prior talk (Antaki 2008; Antaki et al. 2005; Buttny 1996; Davis 1986; Hutchby 2005; Peräkylä 2004; Vehviläinen 2003; Weiste et al. 2016), (re-)interpretations and responses to them (Peräkylä 2004; Bercelli et al. 2008), relational aspects such as resistance (Muntigl 2013), affiliation (Bercelli et al. 2008) and affect/ emotion (Voutilainen et al. 2010b; Pawelczyk 2011; Voutilainen 2012; Muntigl et al. 2014). The CA-oriented research started addressing the issue of client change, see e.g., Muntigl and Horvath (2005), Voutilainen et al. (2011), Muntigl (2013), Vouti- 72 Joanna Pawelczyk lainen et al. (2018). In particular I would like to single out two studies that have employed the methods of conversation analysis in researching client change, i.e., a study by Voutilainen et al. (2011) and by Viklund et al. (2010). Voutilainen and colleagues (2011) focused on sequences of talk that were interactionally similar, i.e., clients’ responses to the therapist’s conclusions. The novelty of the analysis lies in adopting the longitudinal perspective in approaching the clients’ responses as evolving over time. Thus the focus fell on how the clients’ talk was transformed over the course of therapy from a) their rejection of the therapist’s conclusions, through b) the ambivalent responses to what the therapist offered to c) the clients’ agreement with the therapist’s conclusions. Voutilainen et al.’s (2011) analysis implies quite a linear progression of client change as evidenced in their interactional handling of therapist’s conclusions, i.e., from rejection to acceptance. As discussed above, this smooth trajectory might offer a rather idealistic conceptualization of client change. Nevertheless the methods of conversation analysis allowed Voutilainen et al. (2011) to track the change in the clients’ understanding of their situations as manifested by the responses to the therapist’s conclusions. Another study that used the methods of CA but made a step further by combining it with the client-identified significant events is an analysis made by Viklund et al. (2010). The initially client-identified significant moments of their therapies were then analyzed with CA. More specifically interactional structures and practices of these moments were detailed using CA methods. As Viklund et al. (2010: 152) stress: a turn-by-turn study of the therapeutic interaction in events that clients find important will offer an opportunity to explore what takes place between client and therapist and how they make sense of it while it is happening. The analysis showed that most of the sequences recognized by the clients as significant contained disagreement between them and the therapist. The CA-oriented analysis exposed three different ways the disagreement was dealt with by the therapist. Furthermore, it identified disagreement as marked at the level of interactional details rather than in what the participants were saying verbally. Importantly, however, as Viklund et al. (2010) stress “just because an interaction is structurally organized as a disagreement, it is not necessarily experienced as such” (2010: 162). This comment indicates the need to use another set of data, e.g., the interviews in which the clients would be given space to voice and elaborate on the significance of the singled out parts of their therapies as - in their viewconducive to change. Importantly, Viklund et al.’s (2010) study proves the usefulness of microanalytic methods in identifying structural similarity in clients’ identified significant moments. Client change in psychotherapy 73 More studies combining the client-identified significant events approach with the CA microanalytic methods are needed to better understand why certain strategies used by therapists are central to client change (see also Gumz et al. 2015). Fine-grained participant perspective-based CA studies seem to offer much potential in explicating how clients change in the process of psychotherapy. In what follows I exemplify two ways in which broadly defined discourse analysis can be of use and complementary to the mainstream psychological research (Elliott 2012) in researching and identifying client change. Combining clinical and DA perspectives in researching client change The first proposed way has to do with evidencing how the already postulated mechanisms of change are actualized in the psychotherapeutic interaction. The second one draws on the concept of ‘common factors in psychotherapy’ (Lambert 2013a) and proposes ‘common interactional strategies’ as fundamental in promoting client change. By way of introducing the discussion, Lambert (2013a: 9) claims that: … process research aimed at examining the in-session behavior of therapists across different theoretical orientations indicates that the distinctiveness of approaches in practice is less pronounced than it is at the abstract level of theory. This is to say that the postulated differences in how therapy is done across approximately 400 forms (Bongar and Beutler 1995) are claimed to exist mainly in the theoretical models, which constitute certain ideals rather than reflecting what is actually happening in the therapeutic interaction. This very much resonates with the distinction made by Stokoe (2012) between talk-in-theory and talk-in-practice , referring to the difference between how we assume we talk vs. how we actually structure and carry out our conversations. These, in fact, are oftentimes quite different interactional endeavors (see also Peräkylä and Vehviläinen (2003) on the concept of the ‘stocks of interactional knowledge’). The practitioners are typically not aware of this difference and know very little of how they talk to their clients. In other words, theoretical models of how to do a certain type of psychotherapy do not often match how this therapy is done in situ and being decontextualized these models constitute a type of idealization. Similarly, referring to change in psychotherapy, Lambert (2013a: 9) states that … theories of change are somewhat independent of the actual activities that therapists engage in and these activities show a large degree of overlap across theoretically diverse treatments. 74 Joanna Pawelczyk This overlap in activities referred to above is also part of what has commonly been referred to as common factors in psychotherapy (Lambert 2013a). These common factors can be shown to account for a significant amount of patient change (Lambert 2013a). They include: the facilitation of hope, the opportunity for emotional release, exploration and integration of one’s problems, support, advice, and encouragement to try out new behaviors and ways of thinking. The overlap is somehow expected as different schools of therapy aim, as pointed out above, at facilitating the clients’ contact with their troublesome emotional experiences and parts of the self as well as increasing their self-reflection (Voutilainen and Peräkylä forthcoming). The concept of common factors in psychotherapy constitutes the basis upon which the concept of common interactional strategies in psychotherapy is developed in this paper. 1. How the postulated mechanisms of change are actually accomplished in an interaction Therapeutic relationship is a constitutive feature of numerous currently practiced psychotherapeutic schools and protocols (see Erskine 1998; Horvath 2005). It can be claimed that the focus of any therapy is on a contactful relationship between client and therapist. Therapeutic relationship is also one of the most commonly identified mechanism of client change in psychotherapy (Wampold 2001; Peräkylä 2013; Horvath and Bedi 2002; see also Pawelczyk forthcoming) independent of the approach adopted (Norcross 2011; Peräkylä 2013). As discussed above, therapeutic relationship is a common factor identified by clients as driving their change (e.g., Levitt et al. 2006; Carrey et al. 2007): “clients […] spoke of their therapeutic relationship in excess of any other factor and emphasized the importance of the experience of care within that relationship” (Levitt et al. 2006: 322). There also seems to be a consistent finding that the stronger the alliance, the greater the therapeutic change. The concept of therapeutic relationship has been detailed in the (professional) stocks of interactional knowledge (Peräkylä and Vehviläinen 2003), i.e., in the professional literature on psychotherapy, yet its actual accomplishment in an interaction between the therapist and the client has not been adequately described (but see e.g. Muntigl and Horvath 2014). In a broadly defined DA-oriented research, therapeutic relationship and its constitutive features are detailed by a description of the situated interactional practices (Pomerantz and Mandelbaum 2005), thus they are investigated “for how, in the course of time, they are accomplished within everyday interaction by various speaking practices” (Maynard and Zimmerman 1984: 305). This is to Client change in psychotherapy 75 say that discourse analysis as a methodology possess the tools to unpack the professional concept of therapeutic alliance at the level of interaction, i.e., to demonstrate how therapeutic alliance as a key curative aspect of psychotherapy is put into practice, how the therapeutic alliance is ‘languaged’ and ‘discoursed’. In a study by the author (forthcoming), the concept of emotional presence (Geller and Greenberg 2002: 84-85) was examined as a constitutive aspect of therapeutic relationship. Therapist’s emotional presence was operationalized in terms of the therapist’s invoking the client’s immediate experience. The analysis focused on an interactive sequence involving the therapist’s topicalization of the client’s (proffered) nonverbal cues aiming at eliciting emotion talk in the interactional here-and-now of the session and the therapist’s orientation to it. The therapist’s emotional presence was investigated by considering sequences of interaction which consisted of: a) the therapist’s immediate topicalization of the client’s (proffered) nonverbal cue from the preceding turn(s) - the topicalization typically followed the therapist’s formulation of the client’s trouble, and b) the client’s orientation to the therapist’s topicalization of his/ her (proffered) nonverbal cue. The study showed how one salient aspect of therapeutic relationship, i.e., the therapist’s emotional presence is performed in the here-and-now of an interaction and argued for its potential for client change by allowing clients “to project their emotions and/ or engage in overt self-reflexive examination of emotional and relational patterns in the immediate context of their concrete trouble-telling” (Pawelczyk forthcoming). It is assumed that “being regularly exposed to such practices in therapy, clients learn to adopt a self-observing stance and thus come into touch with how they feel about a particular situation or person” (Pawelczyk forthcoming; see also Leiman 2012; Avdi 2012). To sum up, some of the affordances of discourse analytic approaches in studying client change lie in taking up the mechanisms of change as described in the stocks of interactional knowledge of a particular therapy approach (Peräkylä and Vehviläinen 2003) and unveiling how these mechanisms are locally enacted in an interaction. 2. Co-construction and re-construction as ‘common interactional strategies’ in promoting client change This section builds on previous analysis by Pawelczyk and Sokalska-Bennett (2019) in identifying the processes of co-construction and re-construction as key in promoting client change in psychotherapy. 76 Joanna Pawelczyk Co-construction The process of co-construction is a fundamental premise on which every interaction is based: “whatever gets done is a joint achievement of speakers and their interlocutors” (Schegloff 1991: 155). Thus meaning creation is a constant endeavor of all interlocutors in an interaction and “the participants’ subjective understanding of what goes on is manifested in what they say and how they say it (Viklund et al. 2010: 152). As Jacoby and Ochs (1995) explain, the prefix ‘co-‘ refers to a spectrum of interactional phenomena that can transpire in an interactional endeavor, such as, for example, collaboration, cooperation and coordination and co-construction “does not necessarily entail affiliative or supportive interaction” (1995: 171). Neither does it indicate “that participants play identical interactional roles or that through interaction asymmetrical social relationships fall away” (1995: 178). By applying the methods of CA we are able to put an interaction as if under the microscope to identify various types of interactional co-constructive work performed by interlocutors including the non-verbal aspects as well as the (non-)coordination between the verbal and non-verbal. The question then arises: what does co-construction refer to in therapist - client interaction? Is there something qualitatively different about co-construction transpiring in an interaction between the therapist and the client compared to an ordinary conversation? With this question in mind let us now turn to data analysis of an extract from a therapy session with a woman suffering from an eating disorder (see Pawelczyk and Talarczyk 2017). The analyzed session represents a form of systematic therapy that incorporates aspects of social constructionism and feminist trends (Talarczyk 2010). The session was conducted in Polish and the parts relevant to the current discussion were translated by the first author of the paper. The session from which Extract 1 comes, took place in the middle of the patient’s therapy process. The session under scrutiny was focused on identifying the symptoms of the patient’s illness. The data presented below in Extract 1 and 2 were transcribed using the simplified Jeffersonian notation system ( Jefferson 2004) that allows to capture the interactional details of a dialogue. Co-construction Extract 1 01 T: mhm and what you said before suppressing one’s 02 emotions can it also lead to feeling 03 some sort of inner ↑discomfort= Client change in psychotherapy 77 04 P: = yes yes it is such it is inner discomfort= 05 T: = mhm= 06 P: = which needs to explode at some point well 07 it’s like a volcano ↑right 08 T: mhm so more often it is felt like pressure or 09 are these identified concrete ↑emotions 10 P anger (.) somebody has hurt me generally negative 11 emotions 12 T: but they are typically named identified or is 13 it a general tension? ↑felt 14 P: no it’s a tension I wasn’t eating because 15 I was angry= 16 T: = mhm but because you felt for example ↑tension 17 P: ↑although= 18 T: = although 19 P: although not really, for example when I got upset 20 because I was angry because something did not work out 21 so it’s like ↓well not really either but did I make 22 a distinction between anger and such >I don’t know< 23 general tension is difficult for me to say 24 T: mhm 25 P: although when I quarreled with my mom I was angry 26 and I instantly felt like eating something so 27 T: / / but did you often make such a distinction naming 28 your emotions? = 29 P: = no= 30 T: = no= 31 P: = never (.)I remember that I never thought 32 why I eat, I just ate. In line 01 the therapist minimally acknowledges what the patient said in her preceding turn with the marker ‘mhm’ and seeks the patient’s validation and possibly her disclosure on the link between suppressing one’s emotions and inner discomfort. The potential link is implied by the therapist yet carefully hedged with the ‘some sort of ’ (line 03). This interactional strategy of seeking the patient’s view allows the therapist to manage issues of epistemic authority (Lerner and Kitzinger 2007) in the session by putting the patient in the role of the expert (see Pawelczyk and Talarczyk 2017). The therapist’s contribution in lines 01-03 takes the form of the question as indicated by the rising intonation of the last item (‘discomfort’) in line 03 and the syntactic construction of the 78 Joanna Pawelczyk sentence. The patient proffers an upgraded confirmation to the therapist’s query in line 04 (‘yes yes’) yet preceded by some kind of struggling for her own expression (‘it is such it is’). Eventually, however, she echoes the therapist’s proffered phrase ‘inner discomfort’ (line 03). Such echoing indicates the patient’s emphatic agreement with the therapist’s “insightful interpretation” (Ferrara 1994: 115). This is followed by the therapist’s continuer (line 05) thus offering the patient the conversational space to continue her own description of the felt discomfort. The patient’s account of the discomfort is offered in lines 06-07. She uses the metaphor of ‘volcano’ to give a sense of the strength of her distress. It is interesting how the patient hedges the reference to ‘volcano’ by using the marker ‘well’ (line 06), the expression ‘it’s like’ (line 07) and rising intonation on the item ‘right’ that closes the patient’s turn. This indicates seeking the therapist’s stance on it. The exchange in lines 01-07 showed how the therapist and the patient interactionally co-construct the patient’s (subjective) experience by relying on what the patient offered so far (‘suppressing one’s emotions’). The co-construction can also be observed in the therapist’s candidate answer (‘inner discomfort’), which is preceded by the hedge and takes the form of the question. The patient’s echoes the therapist’s candidate answer and further elaborates on it. The patient’s echoing of ‘inner discomfort’ functions as accepting the phrase and as a relevant description of her experience. In interactional terms, the co-construction can be observed in the participants producing their turns in the no-gap-nooverlap manner (lines 04, 05, 06) as if representing the same position. In line 08 the therapist minimally acknowledges the patient’s comparison and further attempts - in the form of the question - to elicit from the patient the specification of her affective state. The patient in line 10 proffers an answer (‘anger’) which receives an extra emphasis. The therapist, however continues interactional probing into the patient’s felt emotions (lines 12-13). The therapist’s candidate answers (‘general tension’, ‘felt’) are rejected by the patient in line 14 and she provides the answer as to why she refused to eat. The patient’s disclosure: ‘I wasn’t eating because I was angry’ is oriented to with no-gap-nooverlap rejoinder in which the therapist continues asking for clarification on the patient’s feelings (line 16). In line 17 the patient attempts to start a new topical line with the false start item ‘although’ (line 17), which is repeated by the therapist in line 18 with rising intonation thus encouraging the patient to continue her narration. The patient resumes her talk in line 19 with ‘although’ and gets involved in working through her emotions (lines 19-23). The patient is offered further interactional space by the therapist as indicated with the continuer in line 24 and -again - the item ‘although’ is used to reflect on her affective states (lines 25-26). The thera- Client change in psychotherapy 79 pist, however, in line 27 interrupts the patient’s disclosure by inquiring about distinguishing her emotions (lines 27-29). The patient immediately orients to the therapist’s question with a latching response ‘no’, which is further mirrored (Ferrara 1994) by the therapist (line 31) indexing a request for elaboration as to why the patient did not make a distinction between her emotions. This is responded to by the patient with the extreme case formulation (Pomerantz 1986) indicating that she - at this point in her therapy - is not able to name the emotions that accompanied her binge eating. The analysis presented above showed how the interacting parties, i.e., the therapist and the patient are involved in co-constructing the patient’s subjective experience which is geared toward her self-disclosure. In this process of co-construction, the patient is interactionally granted the status of expert as the therapist tends to downgrade her epistemic position to reach the session’s goals. The therapist greatly relies on the patient’s lexical and grammatical contributions in building the interaction and seeks the patient’s validation. Furthermore, the interaction as such was conducted in an uninterrupted manner by extensive reliance on no-gap-no-overlap style. To conclude, co-construction resembles one of the common factors of psychotherapy, i.e., the opportunity for emotional release (see Lambert 2013a) as patients/ clients are offered ample interactional space and support to voice their troubles and reflect on their affective states. Such interactively accomplished co-narration (Slembrouck 2015: 242) leads to patient’s self-disclosure which changes the status of the patient’s trouble. The trouble is now disclosed and can be addressed and worked through in the sessions. The second part of data analysis looks into the interactional process of re-construction. Re-construction The interactional process of re-construction, proposed as one of the common interactional strategies in promoting client change, aims at focusing the interaction on the client’s affect and regaining his or her agency, i.e., re-claiming self (see Pawelczyk 2017). In Extract 2 presented below, the therapist is involved in a dialogue with a female client who suffers from depression and whose relationship with her husband is unfulfilling. 80 Joanna Pawelczyk Extract 2 01 C: Do you think I need it? 02 T: probably, people are getting cured of the depression 03 C: mhm 04 T: you need your husband back (3.0) in more than just 05 a companionship probably(.)what are you thinking? 06 (.)you asked me what I thought 07 C: mhm 08 T: but what you think is really more important than 09 what I think 10 C: I kind of live here I didn’t want to look at it 11 T: but you’re telling me the story for a reason we don’t 12 have to be talking about that stuff but we got here 13 C: mhm that would take a lot of courage 14 T: I wonder if you sort of need to win your husband ba: ck 15 in a new way(6.0)except that you can’t be a co: smic mistake 16 and do that at the same time= 17 C: = no that’s true two different worlds 18 T: yeah 19 C: uh they can’t co-exist (.) and there are only few °bridges° 20 T: what do you mean? 21 C: not too many ↑connections(.)when I’m fully in my real 22 life then >I don’t feel like cosmic mistake< and everything 23 that surrounds it but when it comes into it then it can just 24 poison(2.0) everything nothing is the same anymore everything is >hollow hollow< 25 and this is nothing compared to non existing (.)and even 26 in the best moments these thoughts come 27 T: tell me about your anger In line 01 the client seeks the therapist’s reassurance whether she needs to be loved again. The therapist’s response in line 02 is minimally acknowledged by the client. Unlike Extract 1, in lines 04-05 the therapist uses a very direct, confrontational style to engage the client in the dialogue. This is to say that in order to progressively regain the client’s agency and a sense of self, the therapist’s work aims at client’s understanding that she needs to change the character of her marriage. The confrontational character of the therapist’s claim is mitigated with a three second pause (line 04) and the item ‘probably’ (line 05). The therapist’s Client change in psychotherapy 81 agenda was to provoke the client’s response as evidenced in the following question: ‘what are you thinking’ (line 05). The use of the present progressive tense is to refocus the client’s attention on the immediate here-and-now thoughts. This is further strengthened by the therapist’s metacomment of his provision what the client asked for (line 06). This is oriented to by the client with the minimal acknowledgement (line 07) and without any further response or elaboration. The client’s seeming resistance is confronted with the therapist’s attempt to refocus the interaction on the client by topicalizing her thoughts (lines 08-09). This is responded to by the client with referring to her chosen strategy of living in the moment and the decision not to analyze what led to the current state of her marriage (line 10). The therapist, however, continues addressing the client’s self by referring to some intentionality in the client’s narration (lines 11-12). The confrontational character of this statement is marked with the initial ‘but’. The client proffers minimal acknowledgment to the therapist’s claim and then uses a proterm ‘that’ (line 13) to signal that potential self-disclosure would be an act of courage. Pomerantz (1984) states that interlocutors rely on proterms when delicate topics are discussed. In lines 14-15 the therapist echoes his thought expressed in lines 04-05. This time however, the claim is extended and receives more hedging: ‘I wonder’, ‘sort of ’ thus its earlier confrontational character is now substantially mitigated. Furthermore, the client is put in the agentive position as she needs to ‘win’ her husband back which implies some action on the side of the client. The extension of the claim is preceded with an extensive six second pause indicating that something crucial is about to be said. In line 15 the therapist uses the client’s phrase ‘cosmic mistake’ that appeared earlier in the session. As the therapist states: to regain her agency and fix her marital problems, the client can not think of herself as a failure. The client agrees with the therapist’s claim in line 17 - again - proffering very laconic and potentially ambiguous response: ‘two different worlds’. Despite its seeming obscurity, the therapist proffers agreement to the phrase (line 18) while the client further elaborates on her ‘different worlds’ by stating that they ‘can’t co-exist and there are only few bridges’. This quasi metaphoric phrase is oriented to by the therapist with the repair (line 20) through which the client is asked to account for the used expression. The therapist’s questions succeed in refocusing the interaction on the client’s affect and addressing how she feels about her troubling situation rather than how she managed to adjust to it. The affect is marked with the use of the verb ‘feel’ (line 22), reliance on extreme case formulation items: ‘fully’ (line 21), ‘everything’ (line 22 and 24-twice), ‘nothing’ (line 24 and 25), ‘best’ (line 26). The client’s account of what ‘cosmic 82 Joanna Pawelczyk mistake’ emotionally means to her is used by the therapist as a trigger to start addressing the client’s negative feeling, i.e., anger (line 27). As presented above, the interactional process of re-construction refers to the therapist’s active attempts to elicit the client’s feelings-talk, most importantly negative affect, for the purpose or correcting it and/ or un-normalizing (see Pawelczyk and Sokalska-Bennett 2019). The process of reconstruction, compared to co-construction, is characterized by a more confrontational interactional style adopted by the therapist. To sum up, the interactional process of reconstruction resembles one of the common factors in psychotherapy, i.e., exploration and integration of one’s problems (Lambert 2013a). Extract 2 presented above showed the therapist’s attempts at encouraging the client to explore her problematic issue(s) with the ultimate goal of integrating them into her life narrative rather than rejecting them as a way to adjust to her current life situation. The interactional process of re-construction changes the client’s perspective on the described trouble by bringing to the fore his/ her feelings about it for the purpose of correcting and/ or unnormalizing them. Concluding comments In closing, I want to return to Hustvedt’s (2016) remarks on the effects the therapy had on her. Relating to her therapist and the therapy room, she says: She and the room go together, a ritual return to the same space with the same person inside. If I couldn’t depend on their sameness, I might not be able to change. I can only change because the room and my analyst are fixed (Hustvedt 2016: 120). The quote presented above brings in yet another perspective on why a person could experience a change as a result of therapy, and that is ‘sameness’ and its close synonym ‘fixed’. We could extend this reference to ‘predictability’ of people and places so much desired by psychotherapy clients. One of the aims of this paper was to show the complexity of studying client change mainly focusing on qualitative approaches. This complexity must be taken into account by the researchers at every stage of designing and conducting their studies. Following Elliott (2010) methodological pluralism should be seriously considered and ultimately taken aboard both at the stage of data collection and data analysis to avoid various types of paradoxes (see Sarangi 2019). Such an excellent example of combing the perspectives of clients and analytical affordances of CA is the study by Viklund et al. (2010), where significant moments of their therapies were identified by the clients and then analyzed with the methods of CA. It seems that such merging of perspectives will provide Client change in psychotherapy 83 substantial contribution to understanding what it is in psychotherapy that helps clients change. The second aim of the paper was to show how the qualitative methodology of discourse analysis, including conversation analysis in particular, can contribute to understanding client change. More specifically the two interactional processes of co-construction and re-construction were discussed as common interactional strategies in promoting client change based on the concept of common factors in psychotherapy (Lambert 2013a). The interactional process of co-construction privileged the client’s voice by such therapist’s interactional behavior as, among others, granting the client’s expertise in the local here-and-now context, offering ample conversational space to voice his/ her troubles and relying on the client’s/ patient’s lexical and grammatical items. The co-construction ideally leads to the patient’s self-disclosure. Re-construction aims at refocusing the psychotherapeutic interaction on client’s negative affect with the long-term goal of correcting and/ or un-normalizing his/ her experience. Re-construction then means that the client’s feelings about a troublesome situation, rather than his/ her way of adjusting to it, are interactionally brought to the fore. These two interactional processes create opportunities for the client’s emotional release and examination of his/ her problems and as such appear to be of fundamental importance to client transformation. Appendix: Transcription conventions P- patient T- therapist .? - punctuation for intonation ↑ - rising intonation ↓ - falling intonation : : - elongation of the sound (3) - timing in seconds (.) - a pause of less than a second Here - increase in emphasis >here< - faster speech <here> - slower speech / / - interruption = - neither gap nor overlap in talk; latch °bad° - the material between degree signs is quieter than the surrounding talk 84 Joanna Pawelczyk References Angus, Lynne, E./ Boritz, Tali/ Bryntwick, Emily/ Carpenter, Naomi/ Macaulay, Christianne/ Khattra, Jasmine (2016). The narrative-emotion process coding system 2.0: A multi-methodological approach to identifying and assessing narrative-emotion process markers in psychotherapy. Psychotherapy Research 27, 3: 253-269. Antaki, Charles (2008). Formulations in psychotherapy. In: Peräkylä, Annsi/ Antaki, Charles/ Vehvilainen, Sanna/ Leudar, Ivan (Eds.) Conversation Analysis and Psychotherapy. 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Epistemic asymmetries in psychotherapy interaction: Therapists’ practices for displaying access to clients’ inner experiences. Sociology of Health and Illness 38, 4: 645-661. Veränderung braucht Verbindung 89 Veränderung braucht Verbindung Michael B. Buchholz Abstract: The therapeutic world is turning into a change technology, the therapeutic self-image of the last years vanishes - to the detriment of the therapeutic endeavor. The empirical studies discussed here clearly and poignantly contradict this trend. Change needs connection - the title is thesis. Connection is not a one-sided affair, therapists, too, need connection with their patients, otherwise they cannot do their job. As a well experienced clinician I study connection in therapy using conversation analysis (CA). CA hast the potential to reanimate the weary debate between a „technical” and a „hermeneutic” conceptualization of psychotherapy by dynamizing it into a „triadic epistemology”. Here, CA offers concepts like alignment, affiliation and common ground which will be used as conceptual architecture for the analysis of transcribed therapeutic conversations. I will introduce a concept of „anticipatory empathy“. Keywords: Psychotherapy process research, psychoanalysis, conversation analysis, empathy, alignment, affiliation, common ground (1) P: °hh äh: °hh (--) ich meine jeder mensch der hier vor ihnen sitzt äh: : m: h° °h wird wahrscheinlich IRGENDWO IRGENDWIE: ja einfach sich überlegen was für worte verwendet er [für °h dies oder jenes auszudrücken] T: [mhmh; <<pp> mhmh; mhmh; >] Ein Patient, in seiner 30. Sitzung einer tiefenpsychologischen Behandlung 1 1 Entnommen unserer explorativen CEMPP- Studie (Conversation Analysis of Empathy in Psychotherapy Process), die unter meiner Leitung und der von Prof. Dr. Horst Kächele von 2014-2017 an der Berliner IPU (International Psychoanalytic University) durchgeführt und von der Köhlerstiftung dankenswerterweise gefördert worden war. Frau Professor Dr. Dorothea Huber stellte Audio-Aufnahmen aus der Münchner Psycho- 90 Michael B. Buchholz 1. Einführung Frage ich auf der Straße einen Passanten nach dem Weg, dann erfahre ich Veränderung meines Wissens, ich erlebe „epistemics in action“, Kognition hat sich durch Konversation verändert (Heritage 2012). Die Frage, wie Kognition durch Konversation verändert wird, gehört für Psychotherapie(-forschung) schlechthin ins Zentrum; so kann ich dem zunächst nachgehen durch Vergleiche mit anderen Situationen. Treffe ich einen Bekannten unterwegs und mein Gruß wird nicht erwidert, geht es mir wie dem jungen Marcel, der Auf der Suche nach der verlorenen Zeit noch recht unsicher ist, wie und ob er seinen Onkel Adolphe grüßen soll, bang und grußlos an ihm vorübergeht mit der Folge, dass der Onkel es übelnimmt, nicht gegrüßt zu werden und schließlich ihre Beziehung abbricht. Hier verändert sich Beziehung und Kognition, aber durch Nicht-Konversation. Konversation ist mehr als der Austausch von Worten. Auch Nicht-Grüßen kann durchaus als Konversation aufgefasst werden, in der Konversationsanalyse wird dies als „noticeably absent.“ (Sacks und Jefferson 1992/ 1995, Band. 1: 31) bezeichnet. Etwas, das nicht geschah, aber hätte erwartbar geschehen sollen, kann bemerkt und zum Gegenstand von Konversation werden. Sacks ( Sacks und Jefferson 1992/ 1995: 113 ff.) erfindet dafür den Namen der „inference making machine“. Menschen schlussfolgern auch aus dem, was nicht geschieht. Wenn Liebende im Liebesakt einander sagen, dass sie sich lieben, intensivieren Worte die soziale Dimension des „sharing“ (Bergman et al. 2006) und das existentielle „Gemeint-Sein“ (Metzner 2010). Die „embodied dimension“ der Intersubjektivität wird durch die Worte bestätigt, aber Worte können solche Verbindung auch zerstören (Auer 1988). Wie therapeutische Konversation Veränderung ermöglicht, ist sowohl eine handfest-praktische als auch eine hochgradig theoretisch-anspruchsvolle Frage. Sie muss Verbindung ermöglichen und Kognitionen verändern; sie muss mehr sein als die Frage an einen Passanten und sie darf in der Therapie nicht gelebte Liebesverbindung werden. Sie liegt irgendwo dazwischen, die drei Beispiele veranschaulichen Markierungspunkte. Beim ersten Beispiel genügt linguistisches Alignment; die Gewissheit, in einer kurzfristigen, gemeinsam aufgefassten Situation zu sein, in der lokale Rollenpaare von Sprecher/ Hörer definiert und akzeptiert sind, Worte keine doppelten therapie-Studie (Huber und Klug 2016) zur Verfügung, wofür wir ihr sehr danken. Diese Aufnahmen wurden von uns nach GAT2 (Selting et al. 2009) transkribiert. Verglichen wurden je 5 Behandlungen Cognitive Behavioral Therapy (CBT), Psychoanalyse (PA) und tiefenpsychologische Behandlungen (TP). Veränderung braucht Verbindung 91 Bedeutungen haben und falls doch, kann das ignoriert werden. Martin Buber (1923) hätte von einer funktionalen Ich-Es-Beziehung gesprochen. Beim zweiten Beispiel ist die Affiliation berührt. Die Verbindung zu Onkel Alphonse wird durch Marcel nicht bestätigt, ein Erwartbares ist ausgeblieben. Gruß und Gegengruß bilden ein „adjacency pair“, weshalb im Fall einer Störung Versuche des „re-pair“ eingesetzt werden. Hier bestand, in Bubers Terminologie, eine „Ich-Du“-Beziehung. Deren Nicht-Bestätigung verletzt. Im dritten Beispiel verblassen Worte in einer Verbindung, die im glücklichen Fall längst vollzogen ist -dennoch soll gesichert werden, was nicht sicher sein kann, auf Dauer. Bei modernen konversationsanalytischen Autoren finden wir begriffliche Hilfsmittel, um den Unterschied über Buber hinaus zu fassen. A fundamental claim of the approach outlined in this book is that any sequence of ‚communicative action and subsequent response‛ is by nature a unit, not a conjunct. The sequence cannot be derived from independently established concepts ‚communicative action‛ and ‚response‛. This is because neither may be defined without the other. (Enfield 2013: 28) Dies gilt insbesondere für die Liebe, sie kann nicht additiv als „conjunct“ von „Dein Anteil + mein Anteil“ vorgestellt werden; sie ist eine „unit“ und muss integral verstanden werden (vgl. ebd.: 173). Für andere „adjacency pairs“ gilt dies in solcher Tiefe wie bei der Liebe nicht und dennoch, so betont Enfield, müssen sie als „unit“ aufgefasst werden. Niemand ist ein „Antwortender“, wo nicht ein Anderer fragt. Während Buber zwei Typen von Beziehungen unterschied und damit weder Raum ließ für Varianten zwischen den Typen und auch nicht für das Geschehen innerhalb jedes Beziehungstyps, soll hier der Versuch gemacht werden, den konversationsanalytischen Konzepten von Alignment, Affiliation und Common Ground solche Differenzierungen abzugewinnen. Zunächst aber ein kurzer Einblick in die empirische Psychotherapieforschung. 2. Entwicklungen in der Psychotherapie(-forschung) In seinem Band „Changing Families“ verband Jay Haley (1971) die neue Familientherapie mit einer neuen Definition der Aufgabe und Rolle von Therapeuten: er nannte sie „people changer“ (Haley 1971) und sah die Aufgabe der Forschung darin, Optimierungen von angewandter Veränderungstechnologie zu entwickeln. Die technologische Neu-Definition von „Therapeut“ und „Therapie“ durchzog noch die im gleichen Jahr erschienene erste Auflage des „Handbook of Psychotherapy and Behavior Change“ (Bergin und Garfield 1971). Die Ausgabe 92 Michael B. Buchholz von 1986 enthält in keinem Beitrag mehr den Hinweis auf „(Behavior) Change“; es sind nüchterne Überblicksarbeiten (Garfield und Bergin 1986). Der technologische Optimismus hatte sich abgekühlt aus Gründen, auf die die empirische Forschung ein paar Jahre später zu sprechen kommt. Manche (Henry 1998) hatten früh gewarnt vor einer Ausweitung technologischer Ansätze in der Psychotherapie. Psychotherapie hat nicht nur eine „technische“, sondern auch eine „humane“ Dimension und humanistische Tradition. Letztere sehen manche Autoren (Goodman 2016) bereits verloren und sprechen von einer kolonisierenden Macht der Psychotherapie, die sie markant als „McDonaldisierung“ bezeichnen. Diese Debatte ist sehr weit verbreitet. Die Frage nach der Wirksamkeit der Psychotherapie war als „Great Psychotherapy Debate“ von Bruce Wampold (2001) aufgegriffen worden. Viele Meta-Analysen der Wirksamkeitsstudien waren durchgeführt worden, wobei variantenreich die Effektstärke der angewandten Technik gemessen wurde. Wampold unterschied nicht nach Techniken, sondern nach „Hintergrundmodellen“, die selten explizit formuliert wurden. Das eine nannte er „medical model“, das andere „contextual model“. Das „medical model“ ist durch folgende Merkmale gekennzeichnet: a) Symptome (Probleme, Beschwerden) werden als Zeichen einer zugrundeliegenden Störung gelesen und diagnostisch gruppiert; b) die Krankheit wird durch eine psychologische Hypothese erklärt; c) der „Mechanismus“ der Veränderung wird dem speziellen psychotherapeutischen Ansatz zugerechnet und leitet sich aus der Hypothese ab; d) jedem therapeutischen Ansatz eignen spezifische Ingredienzien; e) es gibt einen spezifischen Faktor, der für jede Störung als wirksam identifiziert und als Manual formuliert werden kann. Therapie verwandelt sich in Handhabung solcher Manuale. Das „contextual model“ besteht aus anderen Komponenten: a) Psychotherapie ist eine emotional hochbesetzte Beziehungsform, die eine hilfesuchende Person vertrauensvoll mit einem professionellen Therapeuten eingeht; b) der Patient glaubt - und diese Überzeugung bzw. Hoffnung wird nicht zerstört -, dass der Therapeut hilfreich handelt; c) es gibt eine Art Plan, vielleicht einen Mythos, der plausible Erklärungen für die Probleme liefert und d) schließlich eine Art Ritual oder Prozedur, sie zu bewältigen (z. B. regelmäßige Sitzungen). „Simply stated, the client must believe in the treatment or be lead to believe in it“ (Wampold 2001, S. 25). Die seit den 1970er Jahren weiträumig geführte Debatte, ob Psychotherapie „hermeneutisch“ oder „positivistisch“ sei, fügt sich in dies Schema. Wampolds empirische Befunde erlauben einen Schluss mit deutlichen Worten: Veränderung braucht Verbindung 93 In this book, the scientific evidence will be presented that shows that psychotherapy is incompatible with the medical model and that conceptualizing psychotherapy in this way distorts the nature of the endeavor. Cast in more urgent tones, the medicalization of psychotherapy might well destroy talk therapy as a beneficial treatment of psychological and social problems. (Wampold 2001: 2) Daran wird in der Neuauflage (Wampold und Imel 2015) festgehalten und hier stellt sich der Bezug zu Linguistik und Konversation mehr als deutlich her: "The intervention we discuss in this book is still mostly a human conversation— perhaps the ultimate in low technology. Something in the core of human connection and interaction has the power to heal." (Wampold & Imel 2015, p. 2)Das “low technology”-Modell der Konversation ist es, was in der Psychotherapie hilft und das wird durch beste empirische Forschung bestätigt. Das medizinisch-technische Modell in der Psychotherapie schadet hingegen. Der Vergleich schließt keineswegs aus, dass ähnliche „Techniken“ (z. B. Exploration) in beiden Modellen angewendet werden können, der Unterschied liegt in der übergeordneten Modellbildung. Die aber realisiert sich interaktiv! Das jeweilige Modell wird auf andere Weise wirksame Wirklichkeit als durch Wahl der „Interventionen“. Diese „andere Weise“ ist die Verbindung zwischen den Beteiligten, sie muss durch Konversation realisiert werden. 2.1. Das Geschehen im Behandlungszimmer Umstellung auf das „contextual model“ wäre mehr als gerechtfertigt, als es selbst bei der Verhaltenstherapie (VT), die sich am ehesten als optimierte Veränderungstechnologie versteht, Entwicklungen gab, die Wampolds Kritik antizipierten. Es lohnt, sie etwas zur Kenntnis zu nehmen. Aron Beck, Gründervater der „kognitiven Wende“ in der VT und ursprünglich der Psychoanalyse näherstehend, entwickelte neue Techniken für die Depression, durchaus in Anlehnung an VT-Vorgänger wie Albert Ellis oder George Kelly. Sein Name wurde gleichbedeutend mit CBT. Verglich man die von Beck durchgeführten Behandlungen mit denen von Ellis, ergaben sich jedoch unterschiedliche Evaluationen: Beide hatten verschiedene kommunikative Stile. Woolfolk (2015: 49) spricht davon, dass die Nachfolger die neue „talking cognitive cure“ schätzten. Doch die am mächtigen „National Institute for mental health“ (NIMH) angefertigte empirische Vergleichung zeigte, dass Effekte der Depressionsbehandlung nicht dadurch zustande kamen, dass Kognitionen der Patienten „technisch“ modifiziert worden waren. Diese Kontroverse ist andernorts ausführlich dokumentiert (Buchholz und Gödde 2012). War wirksam also nicht die „Intervention“, sondern das rhetorische Geschick von Persönlichkeiten wie dem ausgebildeten Psychoanalytiker Aron Beck? Die 94 Michael B. Buchholz Einbettung von harten „Techniken“ in eine softe, kommunikative Umwelt? Für diese Vermutung sprach, dass es bei manchen Therapeuten zu erwünschten Effekten kam; sogar schon in Sitzungen vor (! ) der Anwendung von „Techniken“! Das wurde überrascht als „rapid change phenomenon“ (Ilardi und Craighead 1994) beschrieben. Auch andere Untersuchungen ( Jacobson et al. 1996) zweifelten, ob es „Techniken“ waren, die Veränderungen bewirkten. Was das war, formulierte der Titel einer weiteren Untersuchung: „Returning to Contextual roots“ ( Jacobson et al. 2001). 2.2. Persuasive Zyklen in einer technischen Konversation Das bestätigten weitere Studien. Castonguay et al. (1996) beobachteten, wie CBT-Therapeuten unter Stress gerieten, wenn ihre Patienten vorgeschlagene Techniken nicht anwandten und sich im Gespräch zurückzogen. Manche Therapeuten fassten dies als Bestätigung der gestörten Gedankenwelt ihrer Patienten auf, die dann mit gleichen Techniken intensiver angegangen wurde. So entstanden kommunikative „repeated cycles” (Castonguay et al. 1996: 502). Das kannte man in der Psychoanalyse als kollusive Verstrickung des Therapeuten mit dem Widerstand des Patienten. Kontext und „repeated cycles“ sind Phänomene der therapeutischen Konversation, die nicht in Begriffen von „Störung“ und „Intervention“ zu beschreiben sind. Die zyklischen Wiederholungen wurden so beschrieben: Some therapists dealt with strain in the alliance by increasing their attempts to persuade the client of the validity of the cognitive behavioral rationale, as the client showed more and more disagreement with the rationale and its related task. In other instances, the therapist treated these strains as a manifestation of the client’s distorted thoughts, which needed to be challenged. Such interventions led to repeated cycles characterized by the therapist’s perseverance in the application of cognitive techniques and the client’s increased unresponsiveness to the treatment. (Castonguay et al. 1996: . 502) Hier ein Beispiel für solche persuasiven Formen. Die Patientin leidet an einer Tinnitus-Störung, die Verhaltenstherapeutin empfiehlt Entspannungsübungen. Veränderung braucht Verbindung 95 (2) Die 16. Sitzung CBT, Tinnitus-Patientin, Segment 1 T: m: (---) m: , <es> ist sehr schade (-) <<p> es ist (-)> sie können_s trotzdem lernen und können_s trotzdem einsetzen, aber es bleibt <sehr verbUnden> (--) mit der störung. (-) P: mhmh; (.) T: °h und kriegt dadurch auto m atisch eine (.) einen rahmen °hh (1.02) der (-) ein bisschen schade ist (.) <warum> rahmen sie (--) das bild (-) nicht schöner anders (-) ne? es muss [ja nicht] (--) P: [mhm; ] T: hinter, (.) in dem rahmen TInnitus hängen. (--) muss es ja über: haupt nicht. (1.02) sondern es kann zu einer lebenserfahrung werden (.) die ihnen grundsätzlich sehr gUt tun wird! (-) P: hmhm; (--) T: und WEnn sie tinnitus hAben ist es umso wichtiger (.) dass es zu einer lebenserfahrung wird, die ihnen gut tut. (1) und GAR NICHTS mit dem tinnitus zu tun hat (-) oder (-) nur sehr wenig <nur sehr wenig> (.) [ihre] P: [ja; ] T: ursprüngliche motivatIOn war es (.) kann es sein (---) °hh ich muss etwas für mich tun! (--) P: hmhm; Die Therapeutin erklärt der Patientin eine Entspannungstechnik gegen Tinnitus. Wie eine gute Verkäuferin beschreibt sie, dass dies Mittel insgesamt „Wunder“ (das neu gerahmte Bild könne schöner werden, eine ganze Lebenserfahrung, etwas für sich tun) wirke. Die zweifelnde Patientin minimalisiert ihre Redebeiträge. Hier meine Hinweise: 1. Die Entspannungstechnik wird in der Relevanz hochgestuft: ein anderer Rahmen, der das Bild verschönert; Lebenserfahrung, die insgesamt gut tun wird; es wird an die Motivation „etwas für mich“ zu tun, angeknüpft. 2. Die Therapeutin spricht animierend in einem Quasi-Zitat, als würde sie die Stimme der Patientin („für mich“) wiedergeben. Indem sie beide Stimmen artikuliert, ihre und die der Patientin, monologisiert sie den Dialog. 3. Die Patientin reagiert minimalistisch. Der Effekt ist vergleichbar dem, wenn Zuhörer den Blick vom Sprecher abwenden. Sprecher wiederholen Äußerungen (Kidwell 2014; Rossano 2013; Ruiter et al. 2006), wenn Aufmerksamkeit 96 Michael B. Buchholz so entzogen wird. Der Entzug der Patientin steigert die Aktivität der Therapeutin. Das ist der repetitive Zyklus. Das Verb „einsetzen“ rahmt das technische Verständnis von Psychotherapie. Kurz darauf: (3) Die 16. Sitzung CBT, Tinnitus-Patientin, Segment 2 T: <<pp> ja> hh° (--) <<p> hmhm> (1.3) okey (--) äh diesen zusammenhang zwischen: : sie haben_s ja schon selbst das letzte mal gesꜛagt °hh (--) dass ihnen (-) klAR ist dass der tinnitus natürlich auch im zusammenhang <<p> mit ihrer sonstigen psychischen belastung steht! > (-) P: mhmh; (--) T: ä: : : hm wie klar ist ihnen das für den alltag? (1.4) P: J: ic h (-) k O M m sc h o: n i m m er wie d er m al in s o n e situation [rei: : n] und dann T: [<<p> mhm>] (-) P: versuch ich mir halt (.) ziemlich schnell bewusst zu machen (--) ALSO: : dass ich halt (-) da mich nicht reinsteigern sOll <<p> und versuchen> sollte mich irgendwie abzulenken,= T: =<<p> mhm,> (-) <<p> mhm; >= P: =also ich mei: : n_s (--) <<p> jetzt ist er übrigens grad da! > CH(H)E [(H)E(H)E] T: [(H)E(E)E] °hh P: Ä: : HM: : T: sie haben (.) unterschiedlich auf beiden ohren ja? (-) P: ja: ; (.) ALSO jETzt KAM GRAD so ein: (--) si: : : : : ; (-) aber nur g a nz k u rz! manchmal gibt_s ja des <<p> dass des> Ohr so: (.) T: piekst! = P: =wie so verschließt_s [dass man dann] T: [WIE HEISST]denn des? Die Tinnitus-Störung stört die Konversation („<<p> jetzt ist er übrigens grad da! > und „ALSO jETzt KAM GRAD so ein: (--) si: : : : : ; “). Die Therapeutin taktet sich in das Lachen ein, aber beide fassen das Geschehen unverbunden, auf. Die Therapeutin spricht vom „pieksen“, die Patientin metaphorisiert anders: ihr Ohr verschließe sich. Die Therapeutin bleibt beim pädagogischen Frageformat. Veränderung braucht Verbindung 97 Solche „passagère Symptombildung“ ist klinisch früh beschrieben worden; es liegt bislang keinerlei transkribierte Dokumentation vor. Dies ist m.W. das weltweit erste, transkribierte Beispiel. Sandor Ferenczi (1927/ 1984), einer der ersten Freud-Schüler, beobachtete, dass es manchmal während der Sitzung zu Symptombildungen kommt; der Patient leidet an Schwindel, empfindet plötzliche Übelkeit, bekommt Blähungen oder Kopfschmerzen. Ferenczi empfahl Aufmerksamkeit dafür, was dem voraus gehe, insbesondere, was zwischen Therapeuten und Patient geschehen sei; passagère Symptombildungen seien als kommunikative Mitbeteiligung des Körpers unter Berücksichtigung des Kontextes aufzufassen. Die Sitzung passt genau in dieses Bild. Die Patientin reagiert minimalistisch, sie kann die Augen nicht, aber die Ohren schließen. Kurz, eine psychoanalytische Antwort, von Ferenczi angeregt, könnte der Therapeutin nahelegen, etwa zu sagen: „Ah, jetzt haben Sie Ihren Störsender eingeschaltet“, um dann die Kontextualisierung anzufügen: „vielleicht, weil ich die ganze Zeit über so auf Sie eingeredet habe“. 2.3. Was weiter führt - triadische Epistemologie Selbstverständlich ist Tinnitus generell so nicht zu erklären. Die aktuelle Tinnitus-Symptomatik in dieser Gesprächssituation erhielte aber kommunikatives Mitspracherecht, sie müsste nicht bekämpft werden. Als „embodied conversation“ aufgefasst, würde Verbindung dazu in Aussicht gestellt. Die Unterscheidung zwischen medizinisch-technischem und kontextuellem Modell wird erweitert durch - Konversation. Wenn man medizinisches und kontextuelles Modell, „Szientismus“ und „Hermeneutik“, als zwei Seiten einer Münze auffasst, dann bringt die Konversation eine solche metaphorische Münze dynamisch so in Bewegung, so dass sie stehen und sich drehen kann. Dann kann man ständig beide Seiten sehen. Eine entsprechende „triadische Epistemologie“ ist an anderer Stelle ausgearbeitet (Buchholz 2014; Gödde und Buchholz 2012b). Den Tinnitus als Mitteilung aufzufassen macht den „repeated cycle“ unnötig. „Kontextuell-hermeneutische“ Auslegung des Tinnitus wäre zugleich „medizinisch-technische“ Behandlung durch Konversation, die dessen strategisch-kommunikative Position ändert: er würde in die Konversation der Teilnehmer als relevant aufgenommen und nicht als „Störung“ exkommuniziert. Den konzeptuellen Fehler bei der älteren Kontroverse zwischen „Hermeneutik“ und „Szientismus“, zwischen „medizinisch-technischem“ und „kontextuellem Modell“, ausgerechnet die (therapeutische) Konversation zu exkommunizieren, muss man nicht wiederholen. 98 Michael B. Buchholz Der Begriff der Kommunikation, deren sich die Konversationsanalyse bedient, schließt nicht nur die linguistische und soziale Dimension ein, sondern auch die intercorporeale (Meyer et al. 2017). Dabei werden psychotherapeutische Erfahrungen eher bestätigt statt bezweifelt. Aus der Fülle der diesbezüglichen Literatur möchte ich den Aspekt der Enchronie (Enfield 2013) herausgreifen, der später hilfreich sein wird. Enfield mildert die Schärfe des Unterschieds von Konversation und „mind“: So when we study human interaction, we are studying the mind, in the real sense of that word: an interpretative system that is distributed through and across people, places, and times. (Enfield 2013: XVIII) Dann geht er viele Schritte auf die Psychologie zu. Sein Begriff der Enchronie zielt auf den Zusammenhang von partikularen Momenten zu einer umfassenderen Sequenz von kommunikativen Zügen: An enchronic perspective is grounded in trajectories of co-relevant actions, something that has been observed by scholars of social action from Schutz and Mead to Goffman and Garfinkel to Sacks, Schegloff, and Jefferson, to Hanks, Clark, Goodwin, Heritage, Drew, and many others since. A communicative action or move has what Schutz referred to as ‚because motives‛ and ‚in-order-to-motives‛. Because motives are what give rise to a move; they are what occasion it. In-order-to motives are the goals of the person making the move, what they hope to bring about next. I’m picking berries because I’m hungry, and in order to eat them. The behavior is a step in a sequence where each such step interlocks relevantly and coherently both with something that has just happened (or that was otherwise already true in the context of the move) and with something that happens next. … It is the conception of meaning that is now best understood by analysts of recorded sequences of human interaction since Sacks and Schegloff. (Enfield 2013: 31-32) Enchronie - sequentielle Pfade von gleichzeitigen ko-relevanten Handlungen, die in partikularen Elementen aufeinander verweisen und aufgrund derer Gesprächsteilnehmer nächste Handlungen erwarten oder erwartbar machen und sich dabei Motive zusprechen, die Interpretationen sind, aufgrund derer sie nächste Schritte planen und ausführen. Dies alles geschieht in der Zeit und schnell. Bewegungen von Kopf und Hand und Sprechen finden in zeitlicher Synchronie statt und sequentiell; die Elemente fügen sich enchronisch zu einer umfassenderen Gestalt zusammen, deren Stimmigkeit von Teilnehmern wahrgenommen und „interpretiert“ wird. Einheit von Elementen (wie z. B. Frage und Antwort) rangiert methodisch vor den Teilen. Diese Einheit gilt auch für höhere Abstraktionslevel, etwa wenn in therapeutischer Konversation medizinisch-technisches und kontextuelles Modell eine Veränderung braucht Verbindung 99 Einheit bilden. Elemente verweisen (wie im einfachen Fall einer rhetorischen Ellipse) auf Einheit so, dass nicht alle Elemente präsent sein müssen; die Konfiguration von einigen Elementen genügt, um die gesamte Einheit zu präsentieren. Ausbildung solcher Erwartungen geschieht als kultureller Lernprozess, der sich mit Konversation und Kognition enchronisch zusammenfügt - und Kulturen voneinander unterscheidet. Stimmen Elemente nicht zusammen, 2 kann „Reparaturbedarf “ entstehen oder ein Szenenwechsel initiiert werden. Linguistisches Alignment, affektive Affiliation und „Common Ground“ werden mit verändert und müssen doch „Verbindung halten“. 3. Vom Alignment zur Affiliation Zum Unterschied von Alignment und Affiliation. Beim Erzählen von Geschichten konnte beobachtet werden (Stivers 2008), dass Zuhörer sich meist auf „continuers“ (ahja, hm) beschränken. Alignment meint minimale Verständigung, etwa darüber, dass lokale Rollen von Zuhören und Sprechen unstrittig sind. Hörer überlassen dem Sprecher das Territorium. Disalignment entsteht, wenn der Zuhörer das Territorium besetzen möchte, weil etwa der Zuhörer meint, Rat sei gefragt und vorzeitig die Sprecher-Rolle beansprucht, ein Phänomen das in Beratungsgesprächen als „problematisch“ identifiziert wurde (Drew 2007; Voutilainen et al. 2010). Affiliative Äußerungen werden erwartbar, wenn etwa ein Arbeitskollege einem anderen von einer negativen Kritik an seiner Person durch den Chef berichtet - und der zuhörende Arbeitskollege schüttelt nicht wenigstens den Kopf oder nimmt in anderer Weise Stellung. Das Ausbleiben der Stellungnahme ist nicht nur linguistisch “disaligned”, sondern sozial-affiliativ problematisch. Kritische Äußerungen Anderer an der eigenen Person zu zitieren und „stance-taking“ des Zuhörers bilden eine erwartbare Einheit - wird diese „unit“ nicht vollzogen, ändert sich der Beziehungsstatus tiefgreifend. Das lässt sich bis in die Physiologie zeigen. Peräkylä et al. (2015) maßen bei Sprechern und Hörern Herzfrequenz und psychogalvanische Hautreaktion und stellten fest, dass mit dem Erreichen eines narrativen Höhepunktes bei einer Problem-Erzählung auch ein Maximum an physiologischer Erregung anzutreffen ist. Der Erzähler entspannt sich, wenn der Zuhörer im Moment der 2 Freud hatte mit seiner Theorie der Fehlleistungen (Freud 1904) kulturelle Erwartungen verändert. Bevor man davon gehört hatte, waren Fehlleistungen einfach korrekturbedürftig; im therapeutischen Behandlungszimmer werden sie mit Aufmerksamkeit besetzt. Ein Teil dieser neuen Aufmerksamkeit ist in die Alltagskultur vorgedrungen. Was „enchronisch zusammenstimmt“ oder nicht, kann, wie dieses Beispiel zeigt, selbst wiederum Gegenstand von Theoretisierungen werden. 100 Michael B. Buchholz narrativen Klimax eine Äußerung macht, die dem Erzähler bedeutet, der Hörer stehe auf seiner Seite („stance-taking“). Dann fällt die physiologische Erregung des Sprechers ab und die des Hörers steigt steil an. Dies Phänomen, auch schon in therapeutischen Gesprächen untersucht (Voutilainen et al. 2018), wird als „sharing the emotional load“ beschrieben; es verdeutlicht, wie Hörer manchmal tatsächlich eine Last des anderen „mittragen“, also verbunden sind. „Doing together to do together“ Garrod und Pickering (2004) fragen, warum Menschen gerne Konversation treiben? „Einfach zuhören“ wie bei einem Vortrag biete doch viele Vorteile: es ist unaufwendig, man spart Energie, muss keine eigene Aktivität entfalten, die während einer Konversation viel verlangt wird. Warum größere Freude an der Konversation? Der Begründer der Konversationsanalyse hatte beobachtet: The fact that there is a job that any person could clearly do by themselves (sic), provides a resource for members for permitting them to show each other that whatever it is they’re doing together, they’re just doing together to do together. (Sacks und Jefferson 1992/ 1995: 147) Wenn Menschen etwas miteinander tun, entsteht eine „zweite Ebene“: das „doing together to do together“. „Doing together“ wird beobachtet und ist damit verbunden, anderen zu zeigen, „that what you want is to be with them”. Die gegenseitige Beobachtung der Teilnehmer entfaltet („mindful“) Konversation und wird Element von Konversation, ein positiver Affekt stellt sich ein. Konversation ist „easy“ (Garrod und Pickering 2004: 8), weil sie „joint activity“ ist. Linguistisches Alignment weist auf affektive Affiliation voraus. Verbindung sei „the goal of interlocutors“ (ebd.: 292), und „dialog is a form of joint action“ (ebd.: 294). Menschen erreichen mehr als „interactive alignment“. Deshalb sprechen Konversationsanalytiker ebenso wie Sozialpsychologen von „affiliation“ (Couper-Kuhlen 2012; Muntigl und Bänninger-Huber 2016; Pfänder und Skrovec 2014). Um diesen Schritt sichtbar zu machen, kann man das Alignment in Komponenten auseinanderlegen: 1. Durch „interactive alignment“ befinden sich zwei Teilnehmer temporär in der gleichen Situation. Sie nutzen die linguistische Dimension der Konversation selbst im Streit, wenn das „sharing“ längst keine Erwartung mehr ist. Auch Lügen schaffen komplexere Verstehensanforderungen; die Differenz zwischen dem, was man sagt und wie man sich ausrechnet, was der Andere versteht, muss bewältigt werden. Die Kontrolle darüber, ob man das richtig kalkuliert hatte, muss jedoch immer noch eine gemeinsame Situationsauf- Veränderung braucht Verbindung 101 fassung unterstellen. „Interactive alignment“ schafft nicht „genau dasselbe“, aber ein hinreichend äquivalentes Situationsmodell. Wenn Einer es ändert, wird der Andere es (irritiert) bemerken. 2. „Interactive alignment“ kann jedoch nicht expressis verbis verabredet werden, weil es dazu schon in Anspruch genommen werden müsste. Hier kommen die Autoren auf das psychoanalytische Zentralkonzept des Unbewussten zu sprechen: But how do interlocutors achieve alignment of situation models? We argue that they do not do this by explicit negotiation. Nor do they model and dynamically update every aspect of their interlocutors’ mental states. Instead, they use a largely unconscious process of ‚interactive alignment‛. … They do this by making use of each others’ choices of words, sounds, grammatical forms, and meanings. Additionally, alignment at one level leads to more alignment at other levels. Hence, ‚low-level‛ alignment (e.g. of words or syntax) leads to alignment at the critical level of the situation model. (Garrod und Pickering 2004) (Meine Kursivierung, MBB) 3 3. Der implizite Bezug auf ein „situation model“ bildet den Hintergrund für die Gestalt der Details. Entscheidend wird, ob Alignment beibehalten und gesteigert („doing together to do together“) wird oder ein Übergang in eine andere Szene stattfindet. Für ein Auswechseln des Situationsmodells halten Sprachen Metaphern bereit, etwa die vom „sich daneben benehmen“. Der Übergang in ein anderes situatives „Territorium“ kann selbst wiederum sprachlich markiert werden. Dem „going too far“ ist eine konversationsanalytische Studie gewidmet (Drew und Walker 2009). Garrod und Pickering (2004) nehmen zwei Arten des Alignment an, ein unbewusstes und ein bewusstes. Das macht theoretisch wenig Sinn, weil es zirkulär ist, auch wenn mir als Psychoanalytiker die Einführung des Unbewussten sympathisch ist. Naheliegender wäre, Affiliation als Ziel des Alignment aufzufassen. Wird das Modell der Situation gewechselt (aus Therapie wird z. B. ein „Kampf “ wie gegen den Tinnitus) stellt sich ein Gefühl der Irritation ein. Psychoanalytiker nutzen dies als „Gegenübertragung“; sie wurde freilich eher kasuistisch, kaum an der Empirie der Konversation untersucht (Kächele et al. 2013). Für den Wechsel eines „geteilten Situationsmodells“ ein Beispiel. Der Patient sprach von einer biographischen Situation, die ihn sehr demütigte, deretwegen er bereits Gespräche mit Freunden, geführt habe. 3 Die Anführung eines unbewussten Prozesses ist hier keineswegs nur façon de parler, sondern zwingend - es gibt einen Anfang vor dem Anfang, so lautet das Argument, und der ist nur erschließbar. 102 Michael B. Buchholz (4) Zweite Sitzung einer tiefenpsychologischen Behandlung - Szenenwechsel maskiert 9 Garrod und Pickering (2004) verdoppeln freilich das Problem eher als es zu lösen Arten des Alignment an, ein unbewusstes und ein bewusstes. Das macht theoretisch wenig Sinn. Naheliegender wäre, Affiliation als Ziel des Alignment aufzufassen. Wird das Modell der Situation gewechselt (aus Therapie wird „Kampf“ wie beim Tinnitus) stellt sich ein Gefühl der Irritation ein. Psychoanalytiker nutzen dies als „Gegenübertragung“; sie wurde freilich eher kasuistisch, kaum an der Empirie der Konversation untersucht (Kächele et al. 2013). Für den Wechsel eines „geteilten Situationsmodells“ ein Beispiel. Der Patient sprach von einer biographischen Situation, die ihn sehr demütigte, deretwegen er bereits Gespräche mit Freunden, geführt habe. (4) Zweite Sitzung einer tiefenpsychologischen Behandlung - Szenenwechsel maskiert P: und und und<< wo is °h äh: : m: was könnte es 1081 machen beeinflussen >oder oder in in< die wege 1082 leiten.= 1083 T: =und 1084 überhaupt nur wirken bei jemand anderen [mit 1085 dem sie wieder zu tun 1086 P: [ja, 1087 T: ham dann= 1088 P: =>jaja< m: anchmal merke ich das sich 1089 leute sehr unsicher fühlen (.) .h im umgang mit 1090 mir. 1091 (.) 1092 T: hmhm. 1093 (.) 1094 P: also eh: : : m: : : es wo ich manchmal des gefühl hab 1095 ich bin eigentlich der stärkere? [obwohl ich 1096 doch diese 1097 T: [hmhm 1098 P: situation durchgemacht habe, 1099 T: hmhm, 1100 (.) 1101 P: °h äh: weil S/ sie einfach nicht genau wissen °h 1102 wie behandeln S/ sie mich jetzt äh: : m: bin ich 1103 der kranke mensch für S/ sie 1104 3 Die Anführung eines unbewussten Prozesses ist hier keineswegs nur façon de parler, sondern zwingend - es gibt einen Anfang vor dem Anfang, so lautet das Argument, und der ist nur erschließbar. Erzählung und Zuhören schuf Alignment mit dem therapeutischen Hörer. Ab Zeile 1088 spricht der Patient davon, wie er Unsicherheit bei anderen bemerke und er als Stärkerer gesehen wird, obwohl doch er eine schwierige Lebenssituation durchstehen musste. Er reagiert auf die Äußerung des Therapeuten mit „=>jaja<“, der schnelle Redezuganschluss erobert sein Rederecht zurück und könnte zugleich als „Zustimmung“ aufgefasst werden: „power play“ oder „affiliation“? Er verhält sich interaktiv „mächtig“, klagt inhaltlich zugleich darüber, dass „Leute“ sich unsicher fühlen mit ihm. Aus einem interaktiven Alignment wächst ein „Power Play“ hervor. Da das auf eine Weise geschieht, die von beiden unbemerkt bleibt, schlage ich vor, hier von einem „maskierten“ Szenenwechsel zu sprechen. Das Situationsmodell verschiebt sich weiter: Das Wort „behandeln“ kann umgangssprachlich, aber auch spezifisch zur „Behandlung“ verstanden werden. Ebenso vieldeutig die Äußerung: „bin ich der kranke Mensch für sie“. Das kann mit großem S gehört werden. Einerseits andere Menschen („Leute“), von denen er sich unverstanden fühlt; andererseits kann sich der Therapeut mit „Sie“ angesprochen und hören, dass er „nicht genau“ wisse, wie er „behandeln“ solle und den Patienten als „kranken Menschen“ sehe. Angst vor Kritik geht hier zusammen mit (maskiertem) Zweifel am Therapeuten. Dieses Detail der pragmatischen Konkurrenz ums Rederecht in der semantischen Form der Zu- Veränderung braucht Verbindung 103 stimmung leitet den Szenenwechsel von Alignment zu (maskiertem) „power play“ ein. Der Therapeut wird als doppelte Gefahr wahrgenommen: er könnte in seinem Gegenüber nicht mehr nur den „kranken Menschen“, und: er könnte nur den kranken Menschen in ihm sehen. Die Szene hat sich vom Erzählen zum Kampf verändert. Szenenwechsel vollziehen sich anders als Themenwechsel. Themenwechsel werden deutlich, erkennbar, sogar abrupt eingeleitet, Gelegenheiten lassen sich bestimmen (Maynard 1980). Szenenwechsel sind gleitend. Das glissando gelingt, indem hybride Worte (das groß oder klein zu schreibende „sie“, das Wort „behandeln“, die Verallgemeinerungsform der „Leute“) genutzt werden, die sowohl in der bisherigen als auch in der neuen Szene anschlussfähig sind. Hybride linguistische Objekte fügen sich in beide Situationen, sie sichern das interaktive Alignment, man kann fortfahren, ohne dass genau bemerkt werden müsste, dass auch noch von etwas anderem die Rede ist. Hörer verlangsamen irritiert Reaktionszeiten, sobald sie die komplexer werdende Interpretationsaufgabe bemerken, die ihnen zugemutet wird. Der Hörer muss neben dem kognitiven Verstehen das Risiko der Gesichtswahrung einschätzen: Wie groß ist das Risiko, wenn der Therapeut die Bemerkung, „dass sich Leute sehr unsicher fühlen“ auf sich bezieht? Wenn er es thematisiert, würde er seine Unsicherheit eventuell bestätigen? Wenn er es ignoriert, auch? Die Affiliation beider Sprecher wird Belastungsproben ausgesetzt, während das linguistische Alignment Fortsetzungen ermöglicht. Szenenwechsel operieren enchronisch: wie passen einzelne Elemente in eine ganze Sequenz von interaktiven Zügen? Enfield zögert nicht, die linguistische Interaktionstheorie auf nicht direkt beobachtbare Elemente, Motive und Ziele eines Anderen, zu erweitern: The kind of theory that can account for how social behavior is recognized or ascribed is a semiotic one, that is, a theory that defines the means by which people can use perceptions of their environnment as cues for making inferences to things that are not directly observable ; e.g. others’ apparent motivations and goals. Our concept of communication must incorporate this fundamental dynamic semiotic process of sign and oriented response. (Enfield 2013: 29) (Meine Kursivierung, MBB) Die Therapeutik profitiert von einer solchen Theorie, die von den „Hearables“ und „Viewables“ ausgehend auch „Concludables“ (Buchholz und Kächele 2017) beachten kann; Dinge, die nicht direkt beobachtbar sind. Auf Motivationen und Ziele schließen Interaktionsteilnehmer; eine Theorie der therapeutischen Interaktion, die darauf verzichtete, wäre unterkomplexer als der Alltag. 104 Michael B. Buchholz Manchmal wird das geteilte Wissen unmaskiert formuliert. Eine Patientin erzählt von ihren Erfahrungen mit Männern, die sie beobachtet, wenn diese im Café oder bei anderen Treffpunkten ängstlich und zögerlich sind. Sie spricht davon, sie könne das „förmlich riechen“ und fügt „mit Verlaub gesagt“ an und zeigt ihrem Therapeuten damit, dass sie beachtet, dass auch er ein Mann ist; wenn sie also von „den Männern“ redet, könnte er sich beständig mitgemeint fühlen. Die Entscheidung darüber freilich überlässt sie ihm. (5) Sitzung 35 einer tiefenpsychologischen Behandlung - Szenenwechsel unmaskiert P: also ich kann immer nur sagen sie sind wie sie sind. die männer. auch n(h)och irgendwie [mög(h)en; (h)e [(h)e (h)e (h)e T: [<<p> hm.> [(h)e (h)e ((lacht)) P: (h)e (h)e (h)e (h)e ((lacht)) .H! hh ((Klackgeräusch)) °hh ja, (--) mh(h)m. (1.5) P: °hhh (räuspert sich) hhh° (2.5) P: ja ich hab da au(h)ch keine probleme so das (.) jetzt ihnen als mann, (.) T: mhmh? P: das noch zu er[zÄhlen; T: [jA; das merk ich. ja.= P: =ja,= T: =mhmh,= P: =mhmh, (1.4) P: mne=hh (h)e (h)e ((lacht)) Die Patientin wechselt von der Narration (Alignment von Hörer und Sprecher) zur direkten Adressierung und lässt den Therapeuten wissen, dass man Männer, trotz mancher Besonderheiten, „immer noch mögen“ könne und formuliert dann, dass sie auch keine Schwierigkeiten habe, das alles ihm „als Mann“ zu erzählen. Gemeinsam lachend zeigen sie sich mit raschem Austausch von „confirmation tokens“ den Szenenwechsel an, aber die Affiliation ist, anders als im vorhergehenden Beispiel, deutlich positiver. Veränderung braucht Verbindung 105 Wird umgekehrt die Affiliation zu wenig beachtet, kann das Alignment zusammenbrechen. Eine Patientin, die schon ihre Zustimmung zur Audio-Aufzeichnung gab, kommt zur ersten Analyse-Stunde. (6) Erste Analyse-Stunde - Zusammenbruch des Alignment P: [na ich seh schon sie ham (.) das mikrophon schon aufgebaut; [ ((starkes Rascheln)) ] T: JA: ,! >H H< (---) ((starkes Rascheln)) P: <<p> hat ich schon wieder vergessen>= T: =ja. (4.8) ((Papiergeraschel)) T: ↑ ja (1.3) ( (Rascheln hört auf)) Ein leicht neckendes („teasing“) „Na“ mit Verweis auf eine gemeinsame Wahrnehmungswelt bietet Affiliation vor dem „interactive alignment“ an; die Therapeutin, noch beschäftigt, antwortet kraftvoll-laut und gedehnt „JA: “ und atmet stark ein und aus. Nach einer Mikropause beginnt die Patientin leise sich zurückzunehmen und festzustellen, sie habe „schon wieder“ vergessen (die Bandaufzeichnung). Das „schon wieder“ ist das hybride Element; es gehört nicht zu dieser Situation der Begrüßung, sondern zu einer Schuldübernahme. Damit stellt sie sich auf die non-affiliative Reaktion ihrer Therapeutin ein. Man kann den schnellen Redezuganschluss (=) der Therapeutin als Bestätigung hören und die Pause von knapp 5 Sekunden als Verstummen. Die Affiliation bricht ab, das „doing together to do together” kommt nicht zustande. Die Therapeutin beendet die Pause mit einem hochansetzenden „↑ Ja“. Die Verbindung muss neu geknüpft werden. Interaktive Affiliation wird oft mit kleinen Partikeln wie „Na“ gestartet; sie muss sich zur „unit“ komplettieren - oder eben nicht. Ihre Negation bekommt Bedeutung. Deren Bedeutung lässt sich kaum lexikalisch, aber sozial zuordnen: man weiß jetzt, dass der Andere nicht bereit ist oder nicht will. Der kleine Austausch hat Funktion für die affiliative Beziehungsregulation. Affekte können nicht an einer bestimmten, etwa prosodischen Artikulation erkannt werden. Artikulationen wie „OH: .“ können ohne Kontext sehr ähnlich sein. Der Kontext entscheidet: Conceptualizing affect as a context-dependent interpretation based on lexical and prosodic cues in specifiable sequential locations means ridding ourselves of the notion that there are distinct ‚tones of voice‛ for distinct affects independent of context, or 106 Michael B. Buchholz that it is possible or even meaningful to look for ‚acoustic cues‛ corresponding to particular affects in a context-free fashion. Instead it appears to be the case that in given sequential locations actual displays are judged with respect to a restricted set of affects which are considered to be relevant for that location. (Couper-Kuhlen 2016: 118) Solche kleinen Partikel werden durch Hörer „interpretiert“, wobei sich die Bandbreite der Interpretationen eingrenzt auf das, was in einer Situation für relevant gilt (Lindström und Sorjonen 2013; Heritage 2005). Während Alignment relevant bleibt, selbst wenn man nur nach einem Straßennamen fragt, ist Affiliation mit Bezug auf soziale Solidarität, affektive Beteiligung, Stellungnahmen zu diskutieren. Es ist dieser Erwartungskomplex, der dem Ausbleiben einer affiliativen Antwort schmerzliche Wirkung verleiht. Warum eigentlich ist das so? 3.2. Die Dyadic-state-of-consciousness-Hypothese Sich in einer gemeinsamen Situation zu befinden, das Konzept des „doing together to do together“ (Sacks) oder das der „joint action“ (Garrod und Pickering 2004) hat eine entwicklungspsychologische Dimension. Die Hypothese des Säuglingsforschers Ed Tronick (2007) lautet folgendermaßen: The dyadic consciousness hypothesis states that each individual, in this case the infant and mother or the patient and the therapist, is a self-organizing system that creates his or her own states of consciousness (states of brain organization), which can be expanded into more coherent and complex states in collaboration with another self-organizing system. (Tronick 2007: 404) Die Hypothese gilt für helfende Interaktionen universell. Eine Mutter versteht, dass ein Kind unruhig liegt, weil es seinen Arm unter der Decke nicht herausbekommt, sie sieht das, sie hilft - und sie kann das, soweit sie sich in die Lage des Kindes hinein zu versetzen bereit ist. Eine zweite Fähigkeit kommt hinzu: sich zu korrigieren, falls die angebotene Hilfe keine Lösung erbrachte. Tronick sieht einen interaktiven Zirkel, der zur Beobachtung der Affiliation passt: es gibt eine Notlage - eine Antwort der Hilfe - ggf. eine Korrektur der Hilfe - eine Evaluation, ob die Hilfe zureichend war (vgl. Pick und Scarvaglieri i.d.B.). „Dyadic state“ bezeichnet in der Welt der Hilfe das, was ich hier als „unit“ von Enfield entlehnt und in Alignment und Affiliation differenziert habe. Erforderlich wird, die individualistischen Grenzen von Bewusstseinsmodellen zu verlassen, der „state of consciousness“, so schreibt Tronick, „can be expanded“. Wenn das gelingt, entsteht ein kohärenter und zugleich komplexerer Zustand. This dyadic state organization has more components - the infant and the mother - than the infant’s (or mother’s) own self-organized state. Thus, this dyadic system Veränderung braucht Verbindung 107 contains more information and is more complex and coherent than either the infant’s (or the mother’s) endogenous state of consciousness alone. When infant and mother mutually create this dyadic state - when they become components of a dyadic system - both fulfill the first principle of systems theory of gaining greater complexity and coherence. The gesturing mother-held-infant performs an action - gesturing - that is an emergent property of the dyadic system that would not and could not occur unless the infant and mother were related to each other as components of a single dyadic system. (Tronick 2007: 407) Mit Komplexität und Kohärenz werden zwei gegeneinander wirkende Tendenzen beschrieben, die integriert werden müssen. Kohärenz setzt auf Dauer, Komplexität auf Anreicherung und erweiternde Veränderung. Wer Hilfe braucht, sucht unweigerlich nach Veränderung durch Anreicherung von Komplexität, aber wenn er sie annähme, ist er ein anderer als vorher. Die entsprechende Angst kann direkt formuliert werden; hier die Stimme einer Patientin aus einer ersten psychoanalytischen Sitzung. (7) Erste psychoanalytische Sitzung - Angst vor Veränderung P: auf der anderen seite ähm: ; (2.9) ja <<p> ich äh-> (- --) glaub ich ä- (--) hab ich (1.6) hab ich so_n bisschen (2.5) ja <<p> äh: > (-) ich glaub ich hab angst davor (-) dass sich irgend wie das ganze leben so ändert. (.) <<p> dass das> irgendwie (1.5) so ich als (1.1) mh: : : (1.1) als das was ich bin, oder wie ich mich bisher (-) gefühlt habe oder gesehen habe (---) dass das irgendwie alles auf den kopf gestellt wird und irgendwie (-) T: <<pp> mhm> (1.2) P: ja, (.) nachher (--) nix mehr so ist wie es vorher war; (1.2) P: und (-) vorher war_s so schön vertraut (-) also T: aha, (--) P: bekannt, vertraut, (--) ähm: (6.4) und (---) ich hab eigentlich die angst davor dass nachher (-) nichts mehr (-) nichts mehr vertrautes da ist oder dass (--) sich: (---) ja während der analyse irgendwie herausstellt, dass (1.2) ähm: (3) ja dass <<p> es-> (1.7) irgendwie ALLES ANDERS ist, als ich_s eigentlich bisher gesehen habe; 108 Michael B. Buchholz Mit Zögerlichkeiten und redezuginternen Pausen wird der Konflikt zwischen Kohärenz und Komplexität ausformuliert. Die Patientin spricht von ihrer Angst, dass sich „irgendwie das ganze Leben so ändert“ und variiert dies Thema vielfältig. Deutlich wird, warum eine Veränderungstechnologie, so es sie denn gäbe, nicht umstandslos wirken könnte. Deren Mächtigkeit macht Menschen fürchten. Klinisch einseitig ist die Annahme, Menschen wollten „change“, wenn sie einen Therapeuten aufsuchen. Sich zu ändern heißt auch, einzugestehen, „dass irgendwie alles anders“ ist, als man es „eigentlich bisher gesehen“ hat. Dass man sich nachträglich, mit erweiterter Komplexität und veränderter Kohärenz, eingestehen müsste, manche Dinge verkehrt oder unzureichend aufgefasst zu haben. Therapeuten können kaum anders, als das geduldig zur Kenntnis zu nehmen. Vieles wird davon abhängen, ob sich ein „dyadic state“ herstellen wird, der es der Patientin ermöglicht, Hilfe zur Veränderung zu akzeptieren; die sich entwickelnde Affiliation zum Therapeuten wird stärker sein müssen als nur Alignment. Manchmal gelingt eine Auflösung dieser Paradoxie schon in einer Anfangssitzung, wie bei einem Patienten, der sich von übermäßiger Fremdbestimmung durch einen katholischen Vater erdrückt zeigt. Noch bei Jugendreisen habe er sich eine Bibel mitgenommen, Selbstbestimmung habe er nie gelernt: (8) Psychoanalytische Anfangssitzung - Angst vor Veränderung 290 291 292 293 294 295 296 297 298 299 300 301 302 303 304 305 306 307 308 309 310 P: hh=mhm °h charakteristiken, wie mich jetzt so: ; (-) h (.) je m and gesehen hat di: e <<p> h> sitzen in mir ir g e n d w o s o d rin, u n d = h ic h w eiß z w a r, d a s s die vielleicht nicht stim men müssen, aber ich reagiere manchmal genau da: [nach] T: [>mhM; <] P: °hh T: °HH ALSO gehts vielleicht für sie auch in der therapie auch darum; (.) ihr ei: genes (-) konzept von sich selbst erstmal zu (.) entwickeln P: mh=hm; T: jetzt. P: ja. T: w e il d e s j a d e r a rti g ü b e rl a g e rt i s t, v o n ( - ) vorstellungen anderer, (.) ge[gen P: [ja.] T: d i e s i e s i c h n i c h t z u r w e h r s e t z e n k o n n t e n ; offensichtlich P: ja, es ist ne eindeutige fremdbestimmung; immer irgendwo der fall T: mh=hm, Veränderung braucht Verbindung 109 311 312 313 314 315 316 317 318 319 320 321 322 323 324 325 326 327 328 329 330 331 332 333 334 335 336 P: gewesen; (.) .hhh und DANN hab ich [mir eben,] T: [J A A U ß E R] A U ß E R wenn si: e (-) sich sozusagen (--) (h)e=.h(h) P: >mh; < T: wenn sie mir das gestatten ((leicht lachend)) [zu sagen, P: [natürlich] T: wenn sie sich ((leicht lachend)) selbst steine in den weg gelegt haben; da waren sie schon P: (h)m(h)m T: glaub ich selbst bestimmt; also P: ja des sch-= T: =sozusagen beim eintritt in die katholische kirche (.) hab ich mir nochmal überlegt, °hh oder, (-) dass sie die bibel in den spind gestellt ham ((leicht lachend)) P: dis (h)h T: d(h)is s(h)in (h)ei [.hh] P: [(h)e(h)he] T: das si(h)nd ja(h) zeichen ihrer selbstbestimmung, wo s i e a b e r e r r n e t a u f n e k o n f r o n t a ti o n m : h n e n konfrontationskurs gegangen sind, °hh und was ich als außenstehender denk des K O N NTE ja nicht gut ((leicht lachend)) gehen; <<pp> mhm; > P: °hh (1.3) [dis] T: [ne? ] P: das is wahr Mit kräftigem Einatmen und einem konklusiven „ALSO“ beginnt der Therapeut (Z 297) seine Reformulierung (Antaki 2008) und mit einem durch Dehnung hörbaren Fokalakzent auf dem „ei: genen Anliegen“ (Z 298). Das nachfolgende zweigipflige „mh=hm“ (Z 300) ist ein „change of-state-token“ (Heritage 1984). Etwas anderes ist geschehen ist als der Patient erwartet hatte. Das „jetzt“ des Therapeuten ist ein hybrides linguistisches Objekt; es bezieht sich auf das Gespräch, aber auch auf die Situation des Patienten und zugleich klingt es wie eine in ihrer Wirkung kräftige Bedingung; als habe „jetzt“ etwas zu geschehen. Nachdem der Patient zugestimmt hat, kann der Therapeut erneut logisch-konklusiv fortfahren; der mit „Weil“ eingeleitete Teil seiner Formulierung (Z 303) und wieder eine sachlich starke Akzentuierung mit „derartig“ lassen das Bild eines Verschütteten entstehen; es ist das Selbstkonzept des Patienten, das „überlagert“ ist und er konnte sich nicht „zur Wehr“ setzen. Der Patient akzentuiert die passive Seite der „Fremdbestimmung“ und so könnte er sich als Opfer von väterlicher „Fremdbestimmung“ definieren 110 Michael B. Buchholz - Kohärenz wäre gewahrt, dem Therapeuten bliebe nur, das “überlagerte“ Selbstkonzept auszugraben, er wäre eine Art „Retter“. Der Therapeut zielt jedoch auf Veränderung dieser kohärenten Sicht durch raffinierte Komplexitätsanreicherung: er schafft - mit einem milden Lachen und Selbst-Ironie (Z 315: „wenn sie mir das gestatten zu sagen“) und der Patient gewährt das mit einem Overlap des „Natürlich“ (Z 316) - eine reichere Sicht: Gerade im Gehorsam gegenüber väterlicher Fremdbestimmung war der Patient - selbstbestimmt! Auf Reisen hat er, wie vom Vater bestimmt, die Bibel mitgenommen und in den Spind gestellt. Er bestimmte, nicht auf „Konfrontationskurs“ zu gehen. Komplexitätsanreichernde Perspektivierung und Affiliation - das ist die Formel der Veränderung. Sie besteht darin, dass die fremde Perspektive (der Therapeut formuliert deutlich: „ich als Außenstehender“, Z 322) nicht als erneute Fremd bestimmung aufgefasst werden kann, sondern als Anregung, selbst noch in „Verschüttung“ und Verzicht auf „Konfrontation“ das eigene Tun zu erkennen. Gerade, dass das nicht expressis verbis gesagt werden muss, sondern durch Implikation auf der Basis einer starken Affiliation implizit bleiben kann, kann der Patient sich zu eigen machen: „das is wahr“. 4. Von Affiliation zum Common Ground - „vorausschauende Empathie“ Damit komme ich zu einem Thema, das bei Garrod und Pickering (2004: 10) als „implicit common ground“ bezeichnet, aber nicht näher erörtert wurde. Gesprächsteilnehmer müssten den „state of mind“ eines anderen nicht schlussfolgernd erschließen , sondern seien hinreichend miteinander vertraut, um komplexere kognitive Operationen meiden zu können. An anderer Stelle habe ich ein Stufenmodell der kommunikativen Entwicklung von „common ground“ ausführlich vorgestellt (Buchholz 2016) und für eine psychoanalytische Kurztherapie (28 Sitzungen) gezeigt, wie sich „common ground“ in einer therapeutischen Beziehung zeigen und verstehen lässt (Buchholz 2017). „Common Ground“ wird in Psychologie überraschend ähnlich wie in der Linguistik definiert. In der Konversationsanalyse untersucht man „Mitfühlendes Sprechen“ (Kupetz 2014) mit methodischer Feinheit für Prosodie. Selbst in der Psychotherapieforschung setzt sich die Auffassung durch, dass auch Empathie „interaktiv“ hergestellt wird. Clients contribute to both the experience of empathy and its effects in psychotherapy in several ways. Empathy may be at least as much a client variable as it is a therapist variable. Who the client is almost certainly influences therapist empathy. (Elliott et al. 2018: 93) Veränderung braucht Verbindung 111 Pfänder und Gülich (2013) zeigen, dass Empathie als „sich etwas vorstellen können“ verstanden werden kann. Common ground und Empathie sind Realisationen durch Konversation (Gödde und Buchholz 2012a). Der Therapeut bespricht im folgenden Segment mit seinem Patienten die sozialen Folgen seines Selbstmordversuchs. Der Therapeut praktiziert „vorausschauende Empathie“. Ich zeige zwei Segmente aus weit auseinander liegenden Sitzungen. (9) Zweite Stunde einer tiefenpsychologischen Behandlung - Selbstmord und wirklich Eingeweihte 412 413 414 415 416 417 418 419 420 421 422 423 424 425 426 427 428 429 430 431 432 433 434 435 436 T: °h und des andere was ich auch sehr stark so spüre, °h <<pp> w: > immer mal wieder >>wenn wir so z'sa sprechen<< ist °h mh: wie weit sie <<p> mh> da doch ein bisschen scheu sich zurückgezogen haben weil hier ETWAS passiert is °h was ja net nur sie wissen und der sheriff (.) so n d ern (.) ich d e nke h alt a uch < < p p > °h > a n d ere menschen (.) P: ja=a,= T: =mit denen sie (.) beruflichen umgang haben= P: =ja=a,= T: =die_s jetzt auch wissen °hh und ob des vielleicht auch noch ne frage ist die sie irgendwo: [bedrückt oder bewegt P: [äh- T: oder_n problem ist auch P: die meisten menschen wissen natürlich nicht konkret also [diese (.) diese situation vom selbstmord °h T: [mhmh P: wissen (.) nur wirklich eingeweihte äh: : [°h die es T: [a: so P: wissen mussten und=und sehr gute freunde [ich bin also T: [mhmh P: jetzt nicht hinausgegangen und hab äh: °h hab muss sagen h a b s e h r ä h : : ° h < < p > m : > v i e l e l ü g e n i n anführungszeichen erzählt T realisiert hier eine Praxis der Affiliation, indem er rasch gesprochen (Z 413) einfügt: >>wenn wir so z'sa sprechen<< (Muntigl et al. 2014) und ein Wissen um das „doing together to do together“, was auch das eigene „spüren“ (Z 412) ins Gespräch bringt. Dann: wieweit andere vom Selbstmordversuch wissen? Wieweit dies Anlass für den sozialen Rückzug des Patienten wird? Wie hoch der 112 Michael B. Buchholz Selbstanspruch an Aufrichtigkeit noch sein kann? Dies ist keine „Darstellung“ von Empathie, sondern aktive Vorausschau des Therapeuten; vorher war davon nicht die Rede. Der Therapeut realisiert Empathie aus Kenntnis vergleichbarer Lagen. Er praktiziert „enchronisch“ Empathie, da nicht nur ein Selbstmordversuch mit sehr vielen Komplexität anreichernden einzelnen Elementen zur Erörterung steht, sondern weit mehr, v. a. das Verschweigen, die dem Patienten ein moralisches Problem, Freunde getäuscht zu haben, aufgebürdet haben könnten - die Intuition des Therapeuten bewährt sich. Als der Therapeut fragt, ob das ein Problem sei, das seinen Patienten bedrückt (Z 423), elizitiert dies beim Patienten mehrerlei: a) er kategorisiert die Menschen seines sozialen Umfelds intensiviert in „wirklich Eingeweihte“ und „sehr gute Freunde“, was der moralischen Entlastung dient - nicht „alle“ hat er belogen; b) er kann anschließend mitteilen, „viele Lügen“ erzählt zu haben, wobei „in Anführungszeichen“ abmildert, dass er die grundlegende Norm anerkennt, auch wenn er gegen sie verstoßen hat. Das „change-of-state-token“ des Therapeuten (Zeile 430) zeigt, dass er beide Unterscheidungen versteht - er hat tatsächlich Grund, diese Veränderung seiner Annahmen auch mitzuteilen. Auch diese kleine Veränderungsbestätigung verdichtet den „common ground“. Nun eine Sitzung, ein halbes Jahr später: (10) 30. Sitzung - Selbstmordverdächtige 1197 1198 1199 1200 1201 1202 1203 1204 1205 1206 1207 1208 1209 1210 1211 1212 1213 1214 1215 P: da [taucht jetzt gleich wieder die frage in T: [mhmh; P: mir auf °h (--) können sie das begreifen; weil sie h a m _ s sic h er m it s e hr viele n ä h ° h h h selbstmordverdächtigen äh: : (1.2) kandidaten zu tun gehabt in ihrem leben und und °h (-) können sie sich in=in=i: n die situation tatsächlich reinversetzen? °hh (1.1) P: WIE MAN oder <<p> mh: : > WAS ES (.) tatsächlich in einem menschen passieren kann DASS er zu so_m schritt fähig ist. (.) T: mhmh; (3.3) P: und das brauch jetzt gar nicht beantwortet sein es is wie au: : : a: : wieder die situation nur °h um zu sagen wie kann das dann meine frau (-) T: mhmh; mhmh; (.) Veränderung braucht Verbindung 113 1216 1217 1218 1219 1220 1221 1222 1223 1224 1225 1226 1227 1228 1229 1230 1231 1232 1233 1234 1235 P: Wenn ich jetzt schon vielleicht <<p> äh: > an sie die frage richt[en würde können sie des; [°hhh und T: [mhmh; [mhmh; P: irgendwo hab ich ma: : : wahrscheinlich trotzdem erwartet sonst hätt ich ja °h (-) gefragt; (.) T: des: wollt ich auch sagen ja, (3.0) T: egal wie schwer aber (--) <<p> aber erwartet ham sie sich_s wahrscheinlich; >= P: =ja. (7.8) P: aber auch da hab ich eben nichts °hh (--) nichts gesagt, (.) T: mhmh; (1.8) T: °hh JA das is dann ne art von schweigen <<p> das ihnen (-) das leben hätte kosten können da.> (2.2) P: das is richtig Die Formulierung von den „Selbstmordverdächtigen“ kann man ironisch und als kreative Wortschöpfung hören; freilich repariert der Patient seine Äußerung selbst. Die Pause von 1.2 sek hat performative Bedeutung. Schegloff (2010) vermutet, dass die Reparatur durch den Sprecher selbst erfolgt, weil der Sprecher sich vorstellt, wie sein Zuhörer ihn insgesamt, dann aber auch die Fehlleistung gehört haben könnte. Das macht neurowissenschaftlich (Bögels et al. 2015a; Bögels et al. 2015b) Sinn. Sich das vorzustellen, braucht etwa 0.6 sek, den neuen Redezug zu planen, braucht ebenfalls 0.6 sek.. In der kleinen Pause realisiert sich die „stille“ Praxis des „my mind is with you“. Es ist ein bislang übersehenes Stück der Empathie von Patienten für ihre Therapeuten. Die Wortschöpfung selbst ist kreativ; die Silbe „-mord“ geht weiter zu den „Mordverdächtigen“ und damit figuriert sich für einen Moment ein Szenenwechsel: der Therapeut wird in einen Kommissar verwandelt, der Patient wird zu einem „Verdächtigen“. Dazu passend fordert der Patient direkt eine empathische Leistung an: „Können Sie das begreifen? “ Die Kraft dieser Forderung wird nach einer Pause vom Patienten abgemildert, es müsse selbst für einen Therapeuten schwer sein, sich in „die Situation tatsächlich reinzuversetzen“ (Z 1204). Wie kann der Patient das von seiner Frau erwarten, wenn schon Therapeuten sich damit schwer tun? Aber eine entsprechende Äußerung hat er nicht gewagt und auch seine Frau nicht informiert (über den Suizidversuch während einer Reise in einem Hotelzimmer) und nun macht T seine Deutung (Z 1231): Das Schweigen, mit dem 114 Michael B. Buchholz der Patient bislang glaubte, sich zu schützen, wird transformiert zu einem, das ihn „das Leben hätte kosten können“. Die Deutung setzt einen neuen Bedeutungsrahmen. Das Schweigen hielt der Patient für seine Rettung, jetzt wird es das, was ihn hätte das Leben kosten können. Die umwandelnde Funktion der Deutung (Strachey 1934) war früher beschrieben worden, aber für den viel zu umfassenden Bereich der Struktur einer Persönlichkeit. Wir sehen, sie wandelt einen Punkt um. Die enchronische Betrachtung bewährt sich: ein Element wird verändert, die Bedeutung des Verschweigens, und damit ändert sich die Gesamtgestalt der Situation. 5. Schluss Mein Hauptbefund ist: Die Übertragung eines medizinisch-technischen Denkens in die Psychotherapie käme der Minimalisierung von Verbundenheit gleich, starke empirische Befunde zeigen, dass die Idee einer „technischen“ Veränderung die Therapeutik zerstören könnte. Transkriptbeispiele haben gezeigt, dass „Technik“ und „contextual model“ Gegensätze bildeten, solange beide therapeutische Konversation ausklammern. Erst die therapeutische Konversation lässt die zwei Seiten der Münze („Szientismus“ und „Hermeneutik“) gleichzeitig sehen - durch dynamisches Drehen, was beide Seiten kommunikativ sichtbar werden lässt. Die Veränderung, die wir durch Therapie erwarten, braucht mehr als Alignment, nämlich sozial-affektive Affiliation zwischen Therapeut und Patient. Diese, von beiden durch Konversation „ins Drehen“ versetzt, weil erwartet und benötigt, ermöglicht Ausbildung von „common ground“, der stets durch weitere konversationelle Aktivitäten gesichert werden muss. Konversation könnte auch destabilisieren. Die Verbindung von thematisch existentiellen Belangen eines Patienten über viele Stunden hinweg, habe ich als „vorausschauende Empathie“ beschrieben. Das ist die humane Seite der Psychotherapie und der Konversation gleichermaßen, eine „low technology“. Das therapeutische Gespräch stellt eine methodische Herausforderung für die Konversationsanalyse dar, wenn sie sich auf „turn-taking“ der „interaction engine“ (Levinson 2006) allein beziehen würde. Darauf muss die Konversationsanalyse nicht eingegrenzt werden. In vielen Arbeiten (Graf et al. 2014; Peräkylä 2004; Jaegher et al. 2016) konnte gezeigt werden, dass der Anwendungsspielraum der KA sehr viel weiter ausgebaut werden kann, insbesondere wird sie sich in der Zukunft auf das komplexe Problem von „cognition“ verstärkt einlassen müssen. Veränderung braucht Verbindung 115 Literatur Antaki, Charles (2008). Formulations in Psychotherapy. In: Peräkylä, Anssi/ Antaki, Charles/ Vehviläinen, Sanna/ Leudar, Ivan (Hrsg.) Conversation Analysis and Psychotherapy. Cambridge/ New York: Cambridge University Press, 26-43. Auer, P. (1988). Liebeserklärungen. Oder: Über die Möglichkeiten, einen unmöglichen Handlungstyp zu realisieren. Sprache Und Literatur , 61 , 11-31. Bergin, Allen E./ Garfield, Sol L. (Hrsg.) (1971). Handbook of Psychotherapy and Behavior Change: An Empirical Analysis. New York [u. a.]: John Wiley & Sons, Inc. Bergman, Helena Fatouros/ Preisler, Gunilla/ Werbart, Andrzej (2006). 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Based on a corpus of 70 therapy sessions from psychodynamic therapy and client-centered therapy, in this article we aim at reconstructing the connection between therapeutic change and understanding from a linguistic perspective. In a first step, we describe the communicative construction of understanding. Analyzing transcripts of therapy sessions, we show that understanding is achieved through an iterative interactive process in which the therapist first formulates certain ideas, then adapts them to the patient’s reaction and reworks the intervention accordingly. Therapists use the patient’s reaction to tailor the intervention in a way that it can be understood by the patient. Understanding is therefore co-constructed interactively. In a second analytic step we discuss how such understanding contributes to change. We argue that helpful understanding in therapy consists in a reconstruction of influential mental and behavioral processes. This reconstruction identifies aspects that can be manipulated by the patient, thereby creating starting points for change. Understanding such an intervention thus means conceiving of crucial aspects of one’s situation differently and thereby realizing (both mentally and factually) a potential for behavioral change. Keywords: Linguistic therapy research, Understanding, Insight, Interpretation, Action theory 122 Claudio Scarvaglieri 1 Verstehen in der Psychotherapie Seit der Überwindung der Hypnosetherapie durch Sigmund Freud (Freud 1948, 1991) wird der bewussten Rekonstruktion kausaler Zusammenhänge biographischen Erlebens zentrale Bedeutung für die Heilung psychisch verursachter Erkrankungen zugeschrieben. Ein solches Erfassen von Kausalitäten, in Alltag und Sprachwissenschaft häufig als „Verstehen“ bezeichnet, wird in der Therapietheorie unter dem Begriff der „Einsicht“ behandelt. Psychoanalytisch orientierte Behandlungen zielen auf „Veränderungen durch Einsicht“ (Thomä und Kächele 2006: 290) und nutzen als das „wesentliche therapeutische Mittel die Deutung“, welche „durch Einsicht eine Veränderung [von] Störungen […] erreichen“ (ebd.) soll (ähnlich bereits Greenson 1973; Argelander 1981; Sandler u. a. 1991: Kap. 10). Einsichten tragen zur „Selbsterkenntnis“ (Thomä und Kächele 2006: 14) der Patient*innen bei und können, wenn sie akzeptiert und durchgearbeitet, also aus verschiedenen Perspektiven reflektiert und angepasst werden, in das Erleben der Patient*in eingreifen und dieses auf eine Weise verändern, die von den Patient*innen als heilsam wahrgenommen wird und „auch am Verhalten und am Verschwinden von Symptomen nachweisbar“ (ebd.) ist. Auch der an die Psychoanalyse angelehnten tiefenpsychologischen Therapietheorie gilt das „Gewinnen von Einsicht“ (Wöller und Kruse 2009: 141) als einer der „zentralen Wirkfaktoren“ (ebd.), also als ein wesentliches Mittel der heilsamen Veränderung von Patient*innen. Dabei wird Einsicht nicht allein als rationales Erkennen kausaler Zusammenhänge gefasst, sondern als „affektive Einsicht […], an der kognitive ebenso wie emotionale Faktoren beteiligt sind“ (ebd.). Abgegrenzt wird diese therapeutisch wirksame, Veränderung produzierende Form von Einsicht von „intellektualisierenden Pseudo-Einsichten“ (ebd.), die zwar auf den ersten Blick überzeugten, aber keine Verhaltensänderung oder Symptom-Besserung nach sich zögen (s. auch Streeck 2004: Kap. 9, Thomä und Kächele 2006: 291 f., Fonagy u. a. 2008: 434). Diese Unterscheidung zwischen wirksamen „affektiven“ Einsichten und „intellektualisierenden Pseudo-Einsichten“ weist darauf hin, dass in Forschung und Praxis unterschiedliche Auffassungen sowohl zu Form oder Struktur von Einsichten als auch zu ihrer Wirksamkeit existieren. Thomä und Kächele (2006: 290-298) diskutieren in ihrem dreibändigen Standardwerk verschiedene Bestimmungen von Einsicht, etwa in der Tradition Freuds als „Entdeckung unbewusster Realität“ (a.a.O.: 290) oder allgemeiner als „Durchdringen und Verstehen der inneren Natur der Dinge“ (a.a.O.: 291). Dabei halten sie fest, dass für Einsichten im Sinne Freuds - als Wissen über „unbewusste pathogene Kindheitskonflikte und ihre späteren Ableitungen und Auswirkungen“ (ebd.) - nicht generell von einer Veränderungswirkung ausgegangen werden könne, vielmehr jeweils Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 123 „gesondert nachgewiesen werden“ müsse, „dass die Erkenntnis unbewusster Prozesse tatsächlich mit einem heilenden Effekt verbunden ist“ (ebd.). Thomä und Kächele bestreiten also eine grundsätzliche Wirksamkeit des traditionellen Einsichtsbegriffs und fassen Einsicht selbst vergleichsweise weit als „Integration von gegensätzlichen psychischen Ebenen“, insbesondere von „erlebnishaftem und intellektuellem Zugang zu den eigenen inneren Vorgängen“ (a. a. O. 292; vgl. die oben zitierte Bestimmung nach Wöller und Kruse 2009). Während der Einsichts- und der Deutungsbegriff therapietheoretisch intensiv diskutiert werden (s. u. a. Werthmann 1983; Sandler u. a. 1991; Fonagy u. a. 2008; Streeck 2011), wird das sprachliche Zustandekommen von Einsicht vergleichsweise wenig thematisiert. Formuliert werden lediglich Ratschläge dazu, wie „Deutungen“, ein zentrales Instrument zur Förderung von Einsicht, realisiert werden sollten. Demnach sollte eine Deutung „als ein Angebot“ erkennbar sein, „das er [der Patient] nutzen kann, wenn er mag, oder es verwerfen kann, wenn er es nicht nutzen kann“ (Wöller und Kruse 2009: 149). Daher sollten Deutungen nicht als „Aussagen über den Patienten“ (a.a.O: 150) formuliert werden, sondern „als Vermutung oder in Frageform“, um im „Status von Hypothesen“ (a.a.O.: 152) zu verbleiben. Daneben werden in der Therapietheorie auch Indikatoren für die Wirkung einer Deutung diskutiert, also dafür, ob eine hilfreiche, wirksame Einsicht erreicht werden konnte. Dabei wird herausgehoben, dass nicht allein die zustimmende Reaktion einer Patient*in auf „Stimmigkeit und Wirksamkeit“ (a.a.O.: 151) einer Deutung verweist. Zustimmung könne vielmehr „trügerisch“ und etwa darin begründet sein, dass eine Patient*in ihre Therapeut*in „nicht kränken oder verletzen möchte“ (ebd.), oder Patient*innen auch dazu dienen, sich selbst als Expert*innen zum Thema der Deutung zu positionieren und eine eingehendere Auseinandersetzung mit der Deutung zu vermeiden (s. auch Streeck 2004; Scarvaglieri subm.). Als zuverlässigerer Indikator für hilfreiche Einsichten gelten der Therapietheorie eine nachdenkliche oder „affektive Reaktion“ (Wöller und Kruse 2009: 151) bzw. die Tatsache, dass Patient*innen zusätzliche „Einfälle […], Träume“ (ebd.) oder „Assoziationen“ (Thomä und Kächele 2006: 288) anführen, „die durch ihre spezifische Art die Deutung bestätigen“ (ebd.). Die therapietheoretische Literatur unterscheidet also verschiedene Formen von Einsicht bzw. Verstehen und schreibt diesen je unterschiedliche Veränderungswirkung zu. Allerdings werden keine eindeutigen sprachlichen Kriterien genannt, die eine therapeutisch hilfreiche Deutung, die auf Seiten der Patient*innen Veränderungen auslöst, von unwirksamen Deutungen und intellektuellen 124 Claudio Scarvaglieri ‚Pseudoeinsichten‘ unterscheidbar werden lassen. 1 Die Indikatoren, die angeführt werden, beziehen sich allein auf das Verhalten der Patient*innen nachdem eine Deutung formuliert wurde, so dass eine gedanklich-logische Zirkelstruktur entsteht: Eine Deutung trägt dann zu Veränderung auslösender Einsicht bei, wenn die Patient*in auf eine bestimmte Weise reagiert, wenn also Verhaltensänderungen deutlich werden. Diese Kriterien ermöglichen allenfalls eine postfaktische Beurteilung von Einsichten bzw. Deutungen, geben Therapeut*innen jedoch weder Hinweise darauf, wie eine wirksame Deutung gestaltet werden und interaktiv prozessiert werden kann, noch darauf, wie der Einsichtsprozess mental und interaktional verläuft. Dies liegt m. E. zum einen an den vergleichsweise weiten Bestimmungen von Einsicht, die die Therapietheorie zugrunde legt. So scheint etwa die referierte Verbindung von Gegensätzlichem nach Thomä und Kächele (2006: 292) ein zentrales Element jeder Deutung - also auch der wenig wirksamen - auszumachen, da diese grundsätzlich auf die Verbindung von an sich getrennten psychischen Inhalten abzielt - so bestimmt etwa Peräkylä (2004: 292) Deuten als „making links between different domains of experience“. Da es sich um ein wesentliches Element der psychoanalytischen bzw. tiefenpsychologischen Deutung an sich handelt, scheint dieses Kriterium also wenig geeignet, wirksame von unwirksamen Deutungen zu unterscheiden. Ob, wie Thomä und Kächele (2006: 292) weiter fordern, darauf aufbauend eine Integration von erlebnishaftem und intellektuellem Wissen erreicht werden konnte, lässt sich erneut erst post factum erkennen, wenn Einsicht und Veränderung entweder erzielt werden konnten oder nicht. Auf dieser Basis lassen sich daher weder eindeutige Aussagen über erfolgreiche Einsichtsprozesse gewinnen noch Vorschläge zum Entwickeln wirksamer Deutungen vorlegen. Wie anhand der hier vorgelegten Analyse eines konkreten Einsichtsprozesses deutlich wird (Kap. 4), verhindert zum anderen die Konzentration der Therapietheorie auf mentale bzw. kausal-logische Aspekte von Einsichten die Entwicklung eines Einsichtsbegriffes, der die interaktive Realität in der Therapiesitzung erfasst (Buchholz (1998: 553) spricht vom „rationalistischen bias“ der traditionellen Einsichtstheorien). Einsicht lässt sich, so die zu belegende Hypothese, demgegenüber als Ergebnis eines interaktiven Prozesses beschreiben, der von beiden Aktanten gestaltet wird, in dem also z. B. Therapeut*innen ihre Deutungen an die Reaktion der Patient*innen anpassen, Wissenselemente der 1 Der Aspekt der Veränderungswirkung ist derart zentral für den Einsichtsbegriff, dass Verstehensprozesse, die nicht zu Veränderung führen, mit der Vorsilbe ‚pseudo-‘ (von gr. pseūdos „Lüge“ (Kluge 2002: s.v.)) von wirksamen Einsichtsprozessen abgegrenzt werden. Veränderung wird damit zu einem definitorischen Merkmal von Einsicht. Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 125 Patient*innen aufgreifen und in ihre Deutung integrieren und den Patient*innen damit erst ein verändertes Verstehen der eigenen Situation ermöglichen. Die Therapietheorie stellt also die hohe Bedeutung von Einsicht bzw. Verstehen für hilfreiche Veränderungen heraus, legt allerdings einen vergleichsweise weiten Begriff von Einsicht zugrunde und vernachlässigt das interaktive Zustandekommen von Verstehen zugunsten einer Befassung mit kausal-logischen psychischen Zusammenhängen. 2 Verstehen sprachwissenschaftlich Sprachwissenschaftlich wird „Verstehen“ dagegen zunächst nicht wie in der Therapietheorie als Rekonstruktion kausaler Zusammenhänge relevant, sondern als perzeptiver und rezeptiver Nachvollzug von Sprache. Somit kommt es in Teilen zu einer Engführung von Verstehen auf die sprachliche Seite, welche Prozesse handlungslogischen Nachvollziehens vernachlässigt und damit quasi reziprok zur mangelnden Berücksichtigung von interaktiven Prozessen in der Therapietheorie verfährt. Eine solche Engführung des Verstehensbegriffs nehmen besonders traditionelle, experimentell verfahrende psycholinguistische Ansätze vor, denen es um die detaillierte Rekonstruktion der psychischen „Sprachverarbeitung“ (Strohner 2006: 187) durch den „menschlichen Parser“ (Dietrich 2007: 232) geht. Verstehen basiert demnach allein auf dem sprachlich Gegebenen, situative Aspekte, wie die räumliche Konstellation, beteiligte Personen, die interaktive Vorgeschichte oder der Zweck einer Äußerung werden als „Brücke zum Kommunikationssystem“ (Strohner 2006: 194) nur dann in die Analyse einbezogen, wenn sich die fraglichen Verstehensprozesse nicht allein anhand der gegebenen sprachlichen Formen erklären lassen. Der pragmatische Aspekt des Verstehens, wonach sprachliche Handlungen motiviert sind durch den Interaktionsprozess, in dem sie emergieren, wird so zu einem explanativen Residuum, das nicht weiter analysiert wird und innerhalb der psycholinguistischen Modelle für diejenigen Aspekte zuständig ist, die die Modelle selbst nicht erklären können (z. B. semantische „Mehrdeutigkeit“ (Dietrich 2007: 250)). Während für psycholinguistische Ansätze dieser Art die Rekonstruktion von kausalen Aspekten der Interaktion also kaum relevant wird, sehen pragmatische Theorien das Verstehen von Äußerungen innerhalb von übergeordneten Handlungs- und Kooperationsprozessen (grundlegend bereits Hörmann 1976; Hildebrand-Nilshohn 1980; Ehlich und Rehbein 1986). Das sprachliche Verstehen ist demnach in einen Prozess eingebettet, in dem es für die Interagierenden durchweg darum geht, das Handeln des anderen zu ‚lesen‘ - egal ob dieses verbal kommuniziert wird oder nicht. „Verstehen ist - allgemein gesehen - 'älter' als sprachliches Meinen“ (Hörmann 1976: 500), es ist Teil eines Prozesses, in dem 126 Claudio Scarvaglieri Handlungen antizipiert, Handlungsmotivationen rekonstruiert und mögliche Folgehandlungen abgeschätzt werden müssen (s. auch Tomasello 2006; Konerding 2009; Hoffmann 2011; Rehbein et al. 2012). Interagierende rekonstruieren diese situativen Aspekte der Interaktion im Sinne einer „Handlungskausalität“ (Thielmann 2009: 203) und interpretieren darauf aufbauend die sprachlich realisierte Proposition „als spezifizierende Anweisung“ (Hörmann 1976: 500) der Sprecher*in an die Hörer*in, welche innerhalb eines gemeinsamen Handlungsprozesses erfolgt und in diesem auch verstanden wird. Auch sprachliches Verstehen ist also in die Rekonstruktion von Interaktionsbzw. Handlungskausalität eingebettet, auch sprachwissenschaftliche Verstehenstheorien müssen sich daher damit befassen, wie Interagierende handlungskausale Zusammenhänge zwischen verschiedenen aufeinander reagierenden psychischen Objekten herstellen. Dazu wurde, aufbauend auf konversationsanalytischen Arbeiten (v. a. Sacks et al. 1974; Sacks und Schegloff 1979), insbesondere das Konzept des „common ground“ bzw. „grounding“ herangezogen (Clark und Brennan 1991; Clark 1996), das eine Vermittlung der psycholinguistischen mit der pragmatischen Perspektive verspricht (Deppermann 2002, 2010). Dieses basiert zentral auf der Annahme, dass Interagierende ihre Äußerungen an das Wissen anpassen, das sie beim Gegenüber voraussetzen und das damit den Interaktionspartnern gemein ist. Dies zeigt sich z. B. einfach daran, dass ein Gesprächsgegenstand zunächst explizit eingeführt wird (etwa als „that young gentleman“ (Clark und Brennan 1991: 136)) und anschließend, wenn er allen Beteiligten bekannt ist, nur noch mittels phorischen ( he, it ) oder deiktischen ( that one ) Ausdrücken aufgegriffen wird (ebd.). Auch experimentell ließ sich zeigen (z. B. Clark 1996: 119), dass Interagierende den Inhalt und Explizitheitsgrad ihrer Äußerungen an das Wissen anpassen, das sie beim Gegenüber voraussetzen können. Sprecher*innen agieren also von einer Wissensbasis aus, die sie als geteilt voraussetzen, und die sie im Gespräch anpassen und ausbauen. Gleichzeitig zeigen Interagierende einander an, ob und wie sie ihr Gegenüber verstanden haben, sie dokumentieren ihr Verstehen (Deppermann u. a. 2010) vorangegangener Äußerungen und Handlungen. So versuchen sie, das geteilte Wissen kongruent zu halten, also dafür zu sorgen, dass die Beteiligten von einer einheitlichen Wissensbasis, einem je gleich konstruierten common ground , ausgehen. Wird die geteilte Wissensbasis nämlich falsch konstruiert, wenn z. B. ein Miss- oder Nicht-Verstehen einer Äußerung übersehen oder nicht signalisiert wird, so besteht die Möglichkeit, dass Anschlussäußerungen so voraussetzungsreich gestaltet werden, dass sie ebenfalls nicht verstanden werden, sich das Nicht-Verstehen vertieft und es zu problematischen Missverständnissen kommt. Wird umgekehrt die gemeinsame Wissensbasis durch die Sprecher*in als zu gering eingeschätzt, können Ausführungen redundant wirken, was sich ebenfalls auf Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 127 den Verlauf des Gesprächs oder die mentale Modellierung der Beziehung auswirken kann. Der common ground wird also interaktiv gemanagt, Interagierende nutzen, wie Untersuchungen authentischen Handelns zeigen (z. B. Spranz-Fogasy 2010; Reitemeier 2010), für dieses Management nicht etwa nur die sprachlich repräsentierten propositionalen Gehalte, sondern greifen auf sämtliche in der Handlungskonstellation präsenten Aspekte zurück (s. auch bereits Ehlich und Rehbein 1977 für eine Analyse des multimodalen Wissensmanagements). Dazu gehört etwa Wissen über die gemeinsame Handlungsgeschichte, die Interaktionspartner*innen, ihre Handlungsziele, die räumlichen Gegebenheiten und die institutionelle Einbettung der Interaktion (Scarvaglieri 2013a: Kap. 3.2). Auch aus sprachwissenschaftlicher Perspektive geht es beim Verstehen also darum, zu erfassen, wie verschiedene Prozesse miteinander zusammenhängen bzw. auseinander hervorgehen. Bisher wurde ein solcher Verstehensbegriff jedoch wenig genutzt, um entsprechende Prozesse in der Psychotherapie zu beschreiben und auf ihren Zusammenhang hin zu Veränderung zu befragen. Das folgende Kapitel gibt einen Überblick über bestehende Analyseansätze. 3 Verstehen in der linguistischen Therapieforschung Die linguistische Therapieforschung hat bisher eher implizit auf die Bedeutung des Verstehens für Veränderungsprozesse in der Psychotherapie hingewiesen. So wird in Arbeiten von Peräkylä (2004, 2005, 2010, 2011) und Vehviläinen (2003) die sequenzielle Einbettung und kommunikative Prozessierung von Deutungen - dem wesentlichen Mittel zur Förderung von Einsicht - detailliert nachgezeichnet. Dabei wird u. a. hervorgehoben, dass in den Deutungen verbale und inhaltliche „links“ (Peräkylä 2004: 292) zwischen verschiedenen Erfahrungsbereichen der Patient*innen etabliert werden. Diese Arbeiten zeichnen die Struktur derjenigen Äußerungen, die zentral auf Einsicht bzw. Verstehen abzielen, detailliert nach, sie befassen sich aber weder mit dem angezielten Einsichtsprozess an sich - fragen also nicht danach, welche Verstehensprozesse auf Seiten der Patient*innen ausgelöst werden sollen - noch diskutieren sie eine etwaige therapeutische Veränderungswirkung. In einer weiteren, von der psychoanalytischen Therapietheorie (Stern 2004) inspirierten, Untersuchung befasst sich Peräkylä (2008) mit der Fähigkeit „to experience what the other is experiencing“, die er auch als „communion of minds“ (114) oder „moments of meeting“ (116) bezeichnet. Diese macht er an der übereistimmenden bzw. sich ergänzenden Beschreibung von Erfahrungen der Patientin durch Therapeut und Patientin fest und schreibt ihnen große Be- 128 Claudio Scarvaglieri deutung für die Beziehungsgestaltung zu. 2 Damit thematisiert Peräkylä hier zwar eine Form von Verstehen, ein empathisches Sich-in-den-anderen-hineinversetzen bzw. Verstanden-fühlen, bringt dies aber nicht mit dem rekonstruktivem Verstehen kausaler Zusammenhänge, das in der Therapietheorie als veränderungswirksam gilt, in Verbindung und geht entsprechend auch nicht auf Veränderungsprozesse ein. Muntigl und Horvath (2005) dagegen diskutieren am Rande einer Untersuchung zu „client change“ das therapeutenseitige Herausarbeiten von „causal relations“ (225) zwischen einem Problem der Patientin und dessen psychischen und aktionalen Auswirkungen. Ihnen geht es also um ein Verstehen im Sinne eines Nachvollzugs von Kausalität, welches den beschriebenen Formen von Einsicht entspricht (s. o. Kap. 1). Muntigl und Horvath sehen eine Verbindung zwischen Verstehen und Veränderungsprozessen, welche in diesem Fall konkret darin besteht, dass der Therapeut das psychische Problem der Patientin und seine kausal damit verknüpften Auswirkungen als von der Patientin separate Entitäten darstellt, welche „not an integral part of herself“ (ebd.) seien. Dies ermögliche es der Patientin, das Problem und seine Auswirkungen zu externalisieren, was es schließlich erlaube, zu einem anderen, weniger pathogenen Selbstbild zu gelangen (a.a.O.: 226 f.). Muntigl und Horvath identifizieren also in dem veränderten, verstehenden Zugriff auf die eigene Biographie Ansatzpunkte für heilsame Veränderung. Ein Ansatz, der neben therapietheoretischen Ansätzen auf Konzepte der kognitiven Linguistik zurückgreift, betont insbesondere die Bedeutung metaphorischer Rahmungen (im Sinne von Lakoff und Johnson 1980), die es Patient*innen ermöglichen, ihr Erleben auf neue Weise zu sehen (Buchholz 1998; Buchholz u. a. 2008; Tay 2013; Schmitt 2014). Mit einer veränderten metaphorischen Rahmung bestimmter Erlebnisse kann ein verändertes Verstehen dieser Erlebnisse einhergehen, was Folgen für das Verhalten haben kann. So zeigt Schmitt etwa, dass in einer Supervision die Metaphorik eines Beraters als „drängende[s] ‚in-Bewegung-bringen‘“ (2000: 168) erkannt und so korrigiert werden konnte, dass der betreute Klient mehr Eigenständigkeit und Selbstverantwortung entwickeln konnte. Die von Patient*innen und Therapeut*innen verwendeten Metaphern öffnen einen Weg zu einem veränderten, offeneren oder flexibleren Verständnis von Selbst und Anderen (vgl. Buchholz u. a. 2008: 372 f.), welches einen veränderten Umgang mit der eigenen psychischen Situation und darauf aufbauend eine Veränderung bestehender Verhaltensmuster ermöglicht. Diesem Ansatz geht es damit um eine Form des Verstehens, die in den sprachlichen 2 Dabei kommt es m. E. zu einer adhocistischen, theoretisch nicht gestützten Gleichsetzung von sprachlichen und mentalen Prozessen (s. auch Scarvaglieri 2013a: 76 f.). Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 129 Benennungen (den metaphorischen frames ) bestimmter Erlebnisse angelegt ist und deren Zusammenhang zu Veränderungsprozessen sprachwissenschaftlich als Rekonzeptualisierung des individuellen Patientenerlebens aus gesellschaftlicher Perspektive beschrieben werden kann (Scarvaglieri 2013a: 135-152; Scarvaglieri 2015, subm.). Indem Therapeut*innen das patientenseitige Erleben mittels „Frames“ bzw. spezifischer „Symbolfeldausdrücke“ (Bühler 1982 [1934]; Ehlich 1986a) neu benennen, nehmen sie eine sprachliche und mentale „Kategorisierung“ (Konerding 1997) dieses Erlebens vor, welche deutlich werden lässt, dass dieses Erleben mit dem anderer Personen vergleichbar ist und dass entsprechend auch gesellschaftliches Wissen über diesen Typ von Erleben, seine Entstehung, seine Struktur und Möglichkeiten des Umgangs damit vorliegt (Scarvaglieri 2015, subm.). Dieser Analyseansatz kann damit zeigen, wie durch eine veränderte Benennung des Patientenerlebens Ansatzpunkte für Verstehensprozesse und darauf aufbauende therapeutische Veränderungen geschaffen werden können - er befasst sich jedoch mit der sprachlichen Rekategorisierung einzelner Erlebnisse und nicht mit der oben (Kap. 1) unter Verstehen bzw. Einsicht behandelten kausalen Verbindung mehrerer Erlebnisbereiche, der in der Therapietheorie zentrale Bedeutung für Veränderung zugeschrieben wird. Beschrieben wird damit also eine Form des Verstehens, die sich von den Prozessen, denen die Therapietheorie Wirksamkeit zuschreibt, insofern unterscheidet, als Verstehen nicht durch eine sprachlich explizierte kausale Verbindung zwischen verschiedenen Erlebnisbereichen der Patient*innen hergestellt wird, sondern durch ein verändertes konzeptuelles Erfassen eines bestimmten Erlebnisses, das in dem Sinne ‚implizit‘ bleibt, als seine Konsequenzen für ein verändertes Verstehen der biographischen Situation in der Regel nicht versprachlicht werden. Wie das folgende Kapitel zeigt, lässt sich die verändernde Wirkung therapeutischer Interventionen genauer beschreiben, wenn nicht nur die Bedeutung des Benennens bzw. Re-Kategorisierens einzelner Erlebnisse der Patient*innen erfasst wird, sondern auch berücksichtigt wird, wie Therapeut*innen diese Rekonzeptualisierung patientenseitigen Erlebens nutzen, um die fraglichen Erlebnisse in ihrer Vor- und Nachgeschichte verstehbar zu machen, sie also kausal mit anderen Erlebnisbereichen in Verbindung setzen. 4 Veränderung durch Verstehen beispielhaft Im Folgenden wird eine Deutung präsentiert, mit der Therapeut und Patientin am Verstehen der biographischen Situation der Patientin arbeiten. Die Analyse erfolgt an einem prototypischen Beispiel und illustriert ein Interaktionsmuster, das an einem Korpus von 70 Therapiegesprächen aus tiefenpsychologischen und gesprächstherapeutischen Therapien erarbeitet wurde (weitere Analysen 130 Claudio Scarvaglieri in Scarvaglieri 2013a, Darstellung und Kommentierung des Handlungsmusters „Deutung“ auf S. 262-267). Analysiert wird eine „Übertragungsdeutung“, also eine Deutung, die sich auf die Beziehung zwischen Therapeut und Patientin bezieht. Diese Beziehung wird als „Übertragung“ bezeichnet, weil davon ausgegangen wird, dass Patient*innen prägende Grundkonflikte und Beziehungsmuster auf die Beziehung zur Therapeut*in übertragen und damit in der Therapie wiederholen (Sandler u. a. 1991: 40-44). Dies ermöglicht es, in der Therapie die zentralen pathogenen Problembereiche der Patient*in nicht nur zu besprechen, sondern sie quasi in actu ‚durchzuspielen‘. Indem die Therapeut*in sich dabei anders verhält als frühere Interaktionspartner der Patient*in, deren Verhalten wesentlich zur Pathogenese beigetragen hatte, gibt sie der Patient*in Gelegenheit, eine andere Art von Beziehung zu erleben und die durch die Deutung gewonnenen Einsichten in die interaktive Realität im Behandlungszimmer umzusetzen (Strachey 1935, Thomä und Kächele 2006: 298). Übertragungsdeutungen arbeiten also sowohl an einem rationalen Verstehen des Patientenerlebens als auch an einer Umsetzung der gewonnenen Einsichten in die Interaktion. Aufgrund dieses Doppelcharakters wird der Übertragungsdeutung in der therapietheoretischen Literatur „zu Recht die größte therapeutische Wirksamkeit zugeschrieben“ (Thomä und Kächele 2006: 287). Die vorliegende Deutung stammt aus der sechsten Sitzung einer tiefenpsychologischen Kurzzeittherapie, die im Anschluss an einen Suizidversuch der Patientin (Ende 20, geschieden) durchgeführt wurde (Transkription nach HIAT, Rehbein u. a. 2004). In der Sitzung geht es um Formen von Abhängigkeit, welche die Patientin wiederholt gegenüber männlichen Bezugspersonen (Vater, Bruder, Freund) erlebt. Der Therapeut thematisiert in der Deutung eine sich anbahnende Abhängigkeit von Therapie und Therapeut. Präsentiert wird zunächst die Verbalisierung der Deutung, anschließend die Reaktion der Patientin sowie die Nachbearbeitung der Deutung und weitere Reaktionen (s. auch Scarvaglieri 2013a: 195-238). Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 131 Auszug I: Verbalisierung [7] / 6/ / 7/ / 8/ TH [v] • Hm̌  ((3,6s)) Weil ((1,5s)) ich hatt es Ihnen… ‿ Ich weiß nich, ob ich s Ihnen letzte Mal auch so PA [v] [8] / 9/ TH [v] dazu gesagt hab,((2s)) ähm ((4,5s)) des kann ja auch sehr hin derlich sein, sone Einstellung, nich? • Für [9] / 11/ TH [v] Sie . Dass äh wenn Sie sagen: "Also des liegt jetzt nǔr • • an • dem Therapeuten da, dass dass es / 10/ PA [v] Já [10] TH [v] mir gut geht und äh • wenn ich da nich mehr hingeh, dann gehts mir wieder schlecht", oder so, kann ja [11] / 12/ TH [v] auch gleich damit zusammenhängen̄ . ((4,2s)) Ähm ((2,1s)) dass das einfach noch mal so n Stück ((1,2s)) [12] / 13/ TH [v] Wieder hol ung auch is, dieser • Ab hängigkeit, ne? • • Oder ne neue Abhängigkeit, ne? Nach einer kurzen Pause und einem Ansatz zu einer Begründungshandlung (mit „weil“ in s07) beginnt TH die Deutung mit einen Hinweis auf eine „hinderlich[e] […] Einstellung“ (s08). Dieser Hinweis wird als Nichtwissen gerahmt („Ich weiß nicht“), ein Nichtwissen darüber, ob TH die folgend zu formulierenden Wissenselemente (kataphorisch mit „s“ fokussiert) bereits verbalisiert habe. Diese Formulierung von Nichtwissen ist die einzige Konstruktion dieser Deutungspassage, die in Hauptsatztopologie realisiert wird, sie fungiert damit als Matrix (Rehbein 2003), auf der die anderen Äußerungen dieser Passage syntaktisch operieren. Es fällt auf, dass an dieser Stelle zwar auf eine hinderliche Einstellung hingewiesen wird, mit den Deixeis „des“ und „so“ (Ehlich 1987) jedoch auf Elemente verwiesen wird, die bisher nicht verbalisiert wurden und damit an dieser Stelle im Unklaren bleiben. Realisiert wird also zunächst nur ein Hinweis auf Hinderliches, der, auch mit dem nachgeschobenen „so ne Einstellung“, offenlässt, was genau gemeint ist, wie das Hindernis oder Problem strukturiert ist und wer davon betroffen ist. Mit den nächsten Äußerungen werden diese hier aufgerufenen Fragen eine nach der anderen beantwortet. Nach dieser vorausgeschickten, angedeuteten Warnung, die die Aufmerksamkeit der Patientin auf die kommenden Äußerungen richtet, präzisiert TH dann nämlich, für wen die Gefahr besteht: „Für Sie“ (s09). Dabei wird durch Betonung der Hörerdeixis „Sie“ paraverbal auf die Bedeutung dieser Zuschreibung hin- 132 Claudio Scarvaglieri gewiesen - es ist wichtig, dass PA das verbalisierte Wissen auf sich bezieht und an ihrem eigenen Erleben konkretisiert. PA reagiert kurz mit einer bestätigenden Höreräußerung, woraufhin TH mit der Konkretisierung der Warnung fortfährt und das hinderliche Verhalten in Nebensatztopologie (ohne übergeordneten Hauptsatz) aus Hörerperspektive illustriert: „Dass äh wenn Sie sagen: „Also des liegt jetzt nǔr • • an • dem Therapeuten da, dass es mir gut geht und äh • wenn ich da nich mehr hingeh, dann geht s mir wieder schlecht […]“ (s11). Das Hinderliche besteht also darin, dass die Patientin Verbesserungen des Selbsterlebens allein „dem Therapeuten da“, nicht sich selbst, zuschreibt, was das Risiko erhöht, dass erzielte therapeutische Effekte nach Ende der Therapie („wenn ich da nicht mehr hingeh“) verloren gehen („dann geht s mir wieder schlecht“). Der Therapeut formuliert an dieser Stelle das zentrale Wissenselement der Deutung - die Verortung therapeutischer Erfolge allein im Therapeuten und das damit einhergehende Risiko eines Rückfalls - in Form der vorgestellten Rede aus der Perspektive der Hörerin (vgl. Baus und Sandig 1985: 158 f., Yamaguchi 2005), so dass die Äußerung in eine sprachliche Form gekleidet wird, in der sie auch die Hörerin selbst hätte formulieren können. Der Äußerungsakt (zur Unterscheidung der sprachlichen Teilakte s. Rehbein und Kameyama 2004: 556 f., 568) wird damit auf eine Weise realisiert, die es der Patientin leichter macht, die Proposition der Äußerung zu übernehmen, da sie das formulierte Wissen nicht mehr selbst auf sich beziehen muss - es hat ja bereits eine Form, die sie selbst für eine Aussage über sich gewählt haben könnte. Im Anschluss an diese Illustration der PA drohenden Gefahr benennt TH diese als „Wiederholung […] dieser • Abhängigkeit“ (s12) bzw. „neue Abhängigkeit“ (s13). TH greift zum Ende dieser Passage also den Symbolfeldausdruck auf, der die gesamte Sitzung bestimmt hatte, benennt und kategorisiert damit das Erleben der Patientin (vgl. Scarvaglieri 2015, subm.) und parallelisiert („Wiederholung“) die Beziehung zum Therapeuten mit den zuvor thematisierten Beziehungen zu anderen männlichen Bezugspersonen. Damit wird die für eine Übertragungsdeutung zentrale Verbindung zwischen der Situation der Patientin außerhalb der Therapie und der Beziehung zum Therapeuten hergestellt, die Patientin wird auf den repetitiven Aspekt der Beziehung zum Therapeuten hingewiesen. Durch die alternative („oder“ (s13)) Attribuierung als „neu“ (s13) wird zudem deutlich gemacht, dass PA im Begriff ist, den bestehenden Abhängigkeiten eine weitere „neue Abhängigkeit“ hinzuzufügen. Die therapeutisch bedeutsame Benennung und Kategorisierung (zur Bedeutung des Benennens und Kategorisierens s. die Diskussion o. Kap. 3) des „hinderlichen“ Erlebens erfolgt also zum Ende der Deutungspassage, in einer Nominalphrase, die in s12 aus dem Satzfeld heraus nach rechts gestellt wird. Auf diese Weise sowie durch die Betonung von „Abhängigkeit“ wird dieser Nominalphrase besonderes Gewicht verlieren, der Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 133 sprachliche Akt des Benennens wird in den diskursiven Vordergrund gerückt. Die Hörerin muss bis zum Ende von THs Ausführungen auf diese Benennung der drohenden Gefahr warten und hat erst zu diesem Zeitpunkt alle Antworten auf die mit der einführenden Äußerung dieser Passage aufgeworfenen Fragen erhalten. Nach einer kurzen Pause übernimmt sie daraufhin den Turn. Auszug II: Reaktion I [12] / 13/ TH [v] • • Oder ne neue Abhängigkeit, ne? / 14/ PA [v] ((2,1s)) Naja, [13] / 15/ TH [v] • • Hm̌  / 16/ PA [v] abhängig als solches bin ich ja jetzt wieder auch mal von meiner Freundin. • Denn die gibt mir [14] / 17/ PA [v] jetzt sehr viel — • • • ich will nich sagen Selbstbewusstsein — aber • • doch sehr viel ähm… ((1,3s)) Sie [15] / 19/ TH [v] Hm̌  / 18/ PA [v] baut mich sehr auf, indem sie überhaupt da is. • • Also • hm̀ … Die Patientin reagiert mit „naja“, einer Partikel, mit der die illokutive Charakteristik dieser Passage in nuce zum Ausdruck gebracht wird. Na wird von Ehlich (1986b: 138) als „Interjektion der Aufhebung“ beschrieben, die das vorausgehend Gesagte neutralisiert und eine Konvertierung in das folgend zu Verbalisierende einleitet (s. auch Scarvaglieri 2013a: 223). Eben dies tut die Patientin in ihrer Reaktion: sie neutralisiert die Deutung THs, indem sie auf die eigentliche Warnung vor einer Abhängigkeit zur Therapie nicht eingeht, und konvertiert sie zu einer Beschäftigung mit der Beziehung zu ihrer Freundin. 3 Dabei nimmt sie mit „abhängig“ (s15) zwar den zentralen Symbolfeldausdruck der Deutung auf, bezieht ihn jedoch auf ein anderes Objekt („von meiner Freundin“ (s15)), dessen Bedeutung sie herausstellt („Sie baut mich sehr auf, indem sie überhaupt da ist“ (s17)). Es handelt sich also um eine dethematisierende, ausweichende Reaktion, bei der die Patientin nur scheinbar auf die Deutung eingeht, sie aber auf ein anderes Thema bezieht (ähnliche Reaktionen beschreibt Peräkylä (2005: 171 f.)). Wie in dem initialen „naja“ kommt die Ambivalenz dieser Reaktion 3 Die Ergänzung von na um das zustimmende Responsiv ja bremst m. E. die konvertierende und neutralisierende Wirkung von na und verweist auf eine teils zustimmende, prüfende Aufnahme der Deutung. 134 Claudio Scarvaglieri auch in dem sie beschließenden „also hm̀“ zum Ausdruck, wenn PA zunächst mittels „also“ resümierend auf das zuvor formulierte Wissen verweist (zu „also“ s. Bührig 1996: 243 f.) und dann mit dem fallend intonierten „hm̀“ ihren Zweifel noch einmal nonverbal zum Ausdruck bringt. 4 An dieser Stelle der Interaktion handelt es sich also um eine Deutung, die kein verändertes Verstehen der eigenen biographischen Situation und damit auch kein verändertes Verhalten auslösen konnte. Der Therapeut entwickelt die Deutung jedoch weiter, indem er die Reaktion der Patientin integriert. Auszug III: Verarbeitung der Reaktion [15] / 19/ / 20/ TH [v] Hm̌  Nur könnten Sie s ja auch um / 18/ PA [v] baut mich sehr auf, indem sie überhaupt da is. • • Also • hm̀ … [16] TH [v] drehen, die ganze Geschićhte, und sagen : ((1s)) "Äh • vielleicht • • geht das deswegen jetzt so gut mit [17] TH [v] der, • • weil • • ich selber vielleicht noch n bisschen anders bin". TH reagiert auf die Reaktion PAs seinerseits, indem er nicht etwa auf der Deutung besteht und sie wiederholt oder zuspitzt, sondern sie an das Thema der Reaktion anpasst. Er spricht nicht weiter über die Beziehung der Patientin zu ihm, sondern über deren Beziehung zu ihrer Freundin und illustriert an diesem Thema das in der Deutung verbalisierte Prinzip. Demnach müsse die Patientin die Beziehung zur Freundin - wie zum Therapeuten oder anderen Personen - nicht so auffassen, dass positive Empfindungen alleine vom Gegenüber verursacht werden, sondern sie könne das Verhältnis auch in dem Sinne „umdrehen“ (s20), dass Verbesserungen auf Veränderungen der Patientin selbst basieren („weil • • ich selber vielleicht noch n bisschen anders bin“). Wie bei der initialen Verbalisierung der Deutung greift TH dabei das Mittel der vorgestellten Rede aus Hörerperspektive auf und realisiert einen Äußerungsakt, der von der Patientin auch selbst hätte formuliert werden können. Der Therapeut nutzt also die Reaktion der Patientin, um das in der Deutung ausgedrückte Gewusste (Ehlich und Rehbein 1977, Scarvaglieri 2013b) zu konkretisieren und an das Thema anzupassen, über das die Patientin momentan sprechen kann. Die Reaktion der Patientin bietet dem Therapeuten einen Fall, 4 Ehlich (1986b: 54) zufolge drückt das fallend intonierte hm̀ eine „komplexe Divergenz“ aus, was zu der hier vorgelegten Analyse einer dethematisierenden Reaktion passt. Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 135 an dem sich das der Deutung zugrundliegende abstrakte Prinzip - positive Empfindungen und Verbesserungen des Selbsterlebens nicht anderen, sondern sich selbst zuzuschreiben - instantiieren lässt. TH formuliert dies wie beschrieben aus Hörerperspektive und nutzt gleichzeitig einige den propositionalen Gehalt („vielleicht“, „n bisschen“) und die illokutive Kraft („könnten Sie“) modalisierende Mittel, die die Reichweite der Aussage einschränken und die Patientin zu einer Auseinandersetzung mit dem formulierten neuen Wissen und ggf. zu einer eigenständigen Übernahme dieses Wissens anregen. An dieser Nachbearbeitung der Deutung lässt sich nun zeigen, wie Verstehen und Veränderung beim Deuten miteinander verschränkt sind. Dem Therapeuten geht es hier nicht etwa um den Hinweis auf abstrakte Gefahren oder allgemeine Zusammenhänge zwischen psychischen und interaktiven Prozessen, sondern um einen gänzlich anderen Zugriff auf das eigene Erleben. In der Nachbearbeitung der Deutung macht er dies noch einmal deutlicher und formuliert in sprachlich sehr konkreter, auf die Patientin zugeschnittener Form, wie das veränderte Selbstbild der Patientin aussehen könnte und was dies für Konsequenzen für die Modellierung ihrer Beziehungen zu anderen Personen hätte. Wenn die Patientin die Deutung akzeptiert und damit Veränderungen ihrer selbst als Ursprung empfundener positiver Entwicklungen versteht, übernimmt sie dieses veränderte Modell von sich und Anderen. Damit schreibt sie dem eigenen Handeln mehr Bedeutung zu und reduziert die (wahrgenommene) Abhängigkeit von Anderen - das Verstehen besteht also wesentlich in einer veränderten Zuschreibung von Verantwortlichkeiten für das eigene Erleben und verleiht damit dem Ego mehr, dem Alter weniger Bedeutung. Der Therapeut macht in dieser Nachbearbeitung der Deutung deutlich, dass es nicht nur darum geht, zu verstehen, wie und warum die aktuelle biographische Situation entstanden ist, sondern dass die Konsequenzen für das Selbst der Patientin und damit für das gegenwärtige wie das zukünftige mentale und aktionale Handeln im Vordergrund stehen. Indem die Deutung die gegenwärtige Situation in ihrer Vorgeschichte kausal verstehbar macht - erlebte Veränderungen in der Beziehung zu Anderen wurzeln nicht in den Anderen, sondern in der Patientin selbst - kreiert sie Ansatzpunkte für ein verändertes Verstehen von Selbst und Anderen und auch ein anderes, selbständigeres, unabhängigeres Verhalten. Sollte es Patientin und Therapeut nämlich gelingen, das veränderte Selbstkonzept in Alltag und Therapie zu stabilisieren und an wesentlichen Punkten weiterzuentwickeln, wirkt sich dies auf das Verhalten der Patientin aus, so dass es zu einer Reduktion der pathologischen Symptomatik kommen kann. 5 Eine solche Veränderung ist an dieser Stelle noch 5 Zur zentralen Bedeutung des Selbstbildes für die Entstehung und Heilung psychischer Erkrankungen s. u. a. Eckert 2000; Biermann-Ratjen 2006a, 2006b. 136 Claudio Scarvaglieri nicht vollzogen, mit dem konkretisierenden Vorschlag für ein ‚umdrehendes‘ Selbstkonzept wird aber ein Ansatzpunkt geschaffen, an dem entsprechende mentale und (inter-) aktionale Prozesse ansetzen können. Wesentlich dafür ist, dass der Therapeut eine kausale Verbindung zwischen Wissenselementen etabliert, die die Patientin gegenwärtig beschäftigen und die es ihr ermöglichen, das vergleichsweise abstrakte Deutungswissen mit ihrem lebensweltlichen Alltag in Verbindung zu setzen. Der Therapeut entwickelt die Deutung also nicht im Alleingang, sondern integriert die Äußerungen der Patientin in das Deutungswissen, die Deutung wird in dem Sinne kooperativ prozessiert bzw. ko-konstruiert. Die folgende Reaktion der Patientin unterscheidet sich von ihrer ersten ausweichenden Aufnahme der Deutung und verweist auf einen Effekt der Nachbearbeitung der Deutung. In einer weiteren, zweiten Nachbearbeitung greift der Therapeut dies auf und entwickelt die Deutung nochmals weiter. Auszug IV: Reaktion II und Verarbeitung / 21/ PA [v] ((1,1s)) [Da hab ich eigentlich noch [nn] [nachdenklich [18] / 23/ TH [v] ((2,7s)) Weil weil Sie sich vielleicht dann / 22/ PA [v] nich dran gedacht. ((1,2s)) Vielleicht ham Sie da Recht]. [nn] [19] TH [v] leichter tun, einfach mit ((atmet ein)) äh mit der Freundin auch umzugehen und • vielleicht auch sich / 24/ PA [v] Ja [20] TH [v] leichter tunn Spaß zu haben und und nich gleich wieder n schlechtes Gewissen haben zu / 25/ PA [v] Ja des stimmt. [21] TH [v] müssen Spaß zu haben̄ . / 26/ / 27/ PA [v] • • Ja des stimmt. • • • Also schlechtes Gewissen hatt ich in letzter Zeit ((1,1s)) [22] / 28/ TH [v] Hm̌  / 29/ PA [v] so gesehen eigentlich gar nicht. Ü berhaupt nicht. PA reagiert auf die Nachbearbeitung der Deutung zunächst mit einer kurzen Pause und verweist dann auf die Neuheit des Wissens („da hab ich eigentlich noch nich dran gedacht“ (s21)). Anschließend spricht sie die Möglichkeit an, Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 137 dass dieses Wissen mit der Realität übereinstimmen könnte („vielleicht ham Sie da Recht“). Die Reaktion der Patientin weist darauf hin, dass die konkretisierende Nachbearbeitung der Deutung zu einer veränderten Auseinandersetzung mit dem formulierten Wissen führt, konkret zu einem Nachdenken über dessen Korrektheit. Die Patientin reflektiert über das vom Therapeuten angebotene „umdrehende“ Verstehen ihres Erlebens. Sie macht damit einen ersten Schritt in Richtung auf einen veränderten mentalen Zugang zu ihrer Lebenssituation. Mittels „vielleicht“ macht sie aber auch deutlich, dass eine endgültige Bewertung des fraglichen Wissens noch aussteht und von einer weitergehenden mentalen bzw. interaktionalen Auseinandersetzung abhängig ist. TH versucht daraufhin, diese Auseinandersetzung voranzutreiben, indem er mit „weil weil“ (s23) Gründe für das Umkehren der Perspektive auf das eigene Erleben anführt. Demnach besteht die Veränderung der Patientin, die das positive Erleben in der Interaktion mit der Freundin und anderen auslöst, darin, dass sie sich „leichter“ tut, mit ihrer „Freundin umzugehen“ und „Spaß zu haben“, ohne dabei ein „schlechtes Gewissen haben zu müssen“ (s23). TH beschreibt also mögliche mentale Prozesse auf Seiten der Patientin, die die in der ersten Nachbearbeitung der Deutung beschriebene Veränderung (wonach PA „vielleicht noch n bisschen anders“ (s20) ist) konstituieren und dafür verantwortlich sind, dass sie die Interaktion mit anderen als angenehm erlebt. Da die Patientin allgemein psychisch entspannter ist und sich weniger kontrollieren und überwachen muss, fällt ihr der Umgang mit Anderen leichter, kann sie sich selbst und die Beziehungen zu Anderen eher genießen. TH führt also Wissenselemente an, die seine umgedrehte Lesart von PAs Erleben unterstützen und die damit die Kraft haben können, PA von dieser Lesart zu überzeugen (vgl. Scarvaglieri 2017). Die Patientin reagiert darauf zunächst klar zustimmend (s26) und führt anschließend eine Selbstbeobachtung an, die THs Vermutung bestätigt („schlechtes Gewissen hatt ich in letzter Zeit ((1,1s)) so gesehen eigentlich gar nicht“ (s27)). Sie konkretisiert das von TH eingebrachte Wissen also an spezifischem Wissen über das eigene Erleben (im Sinne des partikularen Erlebniswissens nach Ehlich und Rehbein 1977: 47 f.) - einem Wissen, das nur ihr selbst vorliegt und das hier dazu dient, den Vorschlag THs zu bestätigen. Mit dieser Form der „elaboration“ (Peräkylä 2005; vgl. auch Bercelli et al. 2008: 58) der Intervention etabliert die Patientin Ansatzpunkte in ihrem bereits bestehenden biographischen Wissen, an denen das neue, abstraktere Interventionswissen ansetzen kann, die also die Integration des neuen Wissens ermöglichen (in Scarvaglieri 2013b wird diese Form der Wissensverarbeitung als auf den Sprecher gerichtetes Veranschaulichen bestimmt). Insgesamt zeigt sich an diesem Beispiel, wie Therapeut und Patientin gemeinsam am Verstehen der biographischen Situation der Patientin arbeiten. In 138 Claudio Scarvaglieri der ursprünglichen Verbalisierung der Deutung wird die Patientin zunächst auf eine im Entstehen begriffene problematische Abhängigkeit von der Therapie hingewiesen. Diesem Hinweis weicht sie mit „naja“ und dem Verweis auf ihre Freundin aus. Der Therapeut nimmt diese thematische Wende auf und konkretisiert am Thema der Freundin das Deutungswissen, schlägt dabei mit der vorgestellten Rede aus Hörerperspektive sehr konkret einen anderen Umgang mit dem eigenen Erleben und eine „umdrehende“ Modellierung der Beziehung zu Anderen vor. Er arbeitet damit auf ein Verstehen hin, das Konsequenzen für das Selbstbild der Patientin hat und illustriert diese Konsequenzen. Die Reaktion der Patientin wird in die Deutung inkorporiert, sie wird zur Konkretisierung des Deutungswissens genutzt. Darauf reagiert die Patientin dann nicht mehr ausweichend, sondern nachdenklich und reflektierend, was auf eine prüfende Auseinandersetzung mit dem Deutungswissen und eine gewisse Plausibilität der vorgeschlagenen umgedrehten Kausalität verweist. Der anschließenden begründenden Nachbearbeitung der Deutung durch den Therapeuten stimmt die Patientin schließlich explizit zu und führt Selbst-Beobachtungen an, die die Deutung bestätigen und damit den Endpunkt der Deutungspassage bilden (vgl. Peräkylä 2005: 167 f.). Es handelt sich also um einen kooperativen Prozess der Verbalisierung und Verarbeitung von Wissen, in dem beide Beteiligte einen veränderten Zugriff auf das Erleben der Patientin erarbeiten. Nach diesem Blick auf ein Beispiel der interaktiven Produktion und Aushandlung von Verstehen wird im folgenden Kapitel versucht, das Verhältnis von Verstehen und Veränderung in der Psychotherapie systematisch zu fassen. 5 Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie Die Beispielanalyse zeigt, dass ein verändertes Verstehen der biographischen Situation der Patientin nicht etwa durch eine einzelne Äußerung des Therapeuten realisiert wird, sondern dass das Deutungswissen vom Therapeuten zunächst in kleinen, aufeinander arbeitenden Schritten versprachlicht und dann in einem interaktiven Prozess von Patientin und Therapeut überarbeitet und angepasst wird. Verstehen wird erkennbar als Ergebnis eines Kooperationsprozesses, in dem Therapeut und Patientin Wissenselemente auf unterschiedlichen Abstraktionsstufen einbringen, diese aneinander anpassen, ineinander integrieren und insgesamt so lange verarbeiten, bis für die Patientin ein Zugriff auf das eigene Erleben erkennbar wird, der verschiedene Bereiche dieses Erlebens kausal auseinander ableitet und die aktuelle biographische Situation in ihrer Vorgeschichte verstehbar macht. Deutlich wird, wie im Sinne linguistisch-pragmatischer Verstehenstheorien (s. o. Kap. 2) Verstehen in der Interaktion gemanagt wird, indem die Interagierenden das Wissen des Gegenüber rezipieren, die Aufnahme Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 139 der eigenen Äußerungen beim Gegenüber monitoren und anschließende Äußerungen auf diesem common ground aufbauen. Eine Auffassung, die Verstehen, bzw. Einsicht ausschließlich logisch-kausalistisch sowie als Produkt von Einsatzdeutungen darstellt, kann auf dieser Basis zurückgewiesen werden. Die Analyse hat ebenfalls erkennen lassen, dass es Therapeut*innen und Patient*innen nicht etwa um intellektualistische, rein rationale Erklärungen psychischer Prozesse geht. Vielmehr isoliert das Verstehen gerade jene Aspekte des Erlebens, die einer handlungsmäßigen Bearbeitung zugänglich sind. Mit dem Hinweis auf eine entstehende Abhängigkeit zum Therapeuten wird in dem besprochenen Beispiel eine Systematik rekonstruiert, die die Entwicklung der Beziehung zwischen Patientin und Therapeut prägt. Dabei wird mit der Benennung der Gefahr als „Abhängigkeit“ an das Wissen der Patientin über frühere und bestehende Beziehungen zu anderen Personen und über die damit verbundenen Probleme angeknüpft (zur Bedeutung des Benennens s. o. Kap. 3 sowie Scarvaglieri 2015, subm.). Die zuhandene unverstandene biographische Situation, in der die Patientin nur bedingt handlungsfähig ist, wird im Verstehen dadurch handhabbar gemacht, dass eine sie bestimmende Systematik rekonstruiert und auf Ansatzpunkte für Handlungen hin benannt wird. So bezweckt der deutende Hinweis auf das Entstehen einer Abhängigkeit eine Reaktion der Patientin, in der diese sich den Sachverhalt bewusst macht, ihr damit im Zusammenhang stehendes Denken und Handeln reflektiert und darauf aufbauend in ihre Handlungsroutinen eingreift und sie verändert. In der Nachbearbeitung der Deutung schlägt der Therapeut dann auch konkret vor, wie ein solcher Eingriff in das eigene mentale Handeln aussehen könnte: Indem die Patientin erfreuliche Entwicklungen weder ihrer Freundin noch dem Therapeuten oder überhaupt Dritten, sondern sich selbst, zuschreibt, kann sie mentale und aktionale Abhängigkeiten reduzieren, ein verändertes Selbstbild und mehr Selbstständigkeit entwickeln. In einem anderen Beispiel aus der gleichen Therapie (hier nicht dargestellt, s. aber Scarvaglieri 2013a: 239-261) rekonstruiert der Therapeut einen Wiedergutmachungswunsch der Patientin ihrem Vater gegenüber, der die zwiespältige Beziehung zum Vater prägt und ihr das Loslösen und Selbstständigwerden erschwert. TH macht damit die Angst und die neuerlichen Suizidgedanken, die das Empfinden der Patientin prägen, verstehbar und kreiert potenzielle Ansatzpunkte für verändertes mentales und aktionales Handeln. Demnach entspringt das Empfinden der Patientin nicht einfach äußeren, unbeeinflussbaren Prozessen, sondern ist auf Vorgänge zurückzuführen, die in ihr selbst ihren Ausgangspunkt haben und deren Vorgeschichte rekonstruierbar und in ihren Konsequenzen verstehbar ist. Indem die Systematik des eigenen Empfindens rekonstruiert und in diesem Fall ihr Ursprung im Wiedergutmachungswunsch 140 Claudio Scarvaglieri benennend verortet wird, wird dieses Empfinden nicht nur verstehbar, sondern auch beeinflussbar: die Reflexion dieses Wunsches, seiner Entstehung und seiner Folgen kann es der Patientin ermöglichen, dieses Empfinden zu kontextualisieren, in seinen Auswirkungen einzuhegen und in Situationen, in denen sie ansonsten emotional überwältigt wäre, ein höheres Maß an Kontrolle über das eigene Empfinden und Handeln zu erlangen. Zusammenfassend lässt sich Verstehen in der Psychotherapie als das Ergebnis eines interaktiven Prozesses fassen, in dem Therapeut*in und Patient*in Wissenselemente verbalisieren, deren Aufnahme beim Gegenüber prüfen und sie anschließend so lange kommunikativ weiterverarbeiten, bis von der Patient*in ein veränderter Zugriff auf das eigene Erleben dokumentiert wird. Das Verstehen besteht im Wesen in der Rekonstruktion einer Systematik, die erkennbar macht, wie sich die gegenwärtige Situation aus vorangegangenen Situationen entwickelt hat. Die das Erleben prägende Systematik wird dabei auf eine Weise rekonstruiert, die Ansatzpunkte für gegenwärtiges und künftiges Handeln erkennbar werden und die gegebene Situation veränderbar erscheinen lässt. Dem Verstehen der eigenen biographischen Situation ist damit der Kern einer hilfreichen Veränderung bereits eingeschrieben. Der hiermit vorgelegte handlungstheoretische Verstehensbegriff nimmt zum einen die Erkenntnis der pragmatisch-linguistischen Verstehenstheorien (s. o. Kap. 2) auf, wonach es jenseits von Kooperation kein Verstehen gibt und Verstehen gegebene Objekte und Prozesse immer auf die Bedeutung für das eigene Handeln befragt (Scarvaglieri 2013a: 275 f.), er verweist zum anderen auf den therapietheoretischen Einsichtsbegriff (s. o. Kap. 1), dem zufolge Veränderung und Einsicht sich gegenseitig bedingen. Handlungsbezug und Veränderung erweisen sich als essentielle Elemente eines interaktiv gewonnenen Verstehens von zentralen Episoden der Patientenbiographie. Literatur Argelander, Hermann (1981). Was ist eine Deutung. Psyche 35, 999-1005. Baus, Magdalena/ Sandig, Barbara (Hrsg.) (1985). Gesprächspsychotherapie und weibliches Selbstkonzept. Hildesheim: Olms. Bercelli, Fabrizio/ Rossano, Federico/ Viaro, Maurizio (2008). Clients' responses to therapists' reinterpretations. In: Peräkylä, Anssi/ Antaki, Charles/ Vehviläinen, Sanna/ Leudar, Ivan (eds) Conversation analysis and psychotherapy. Cambridge: Cambridge Univ. Press, 43-61. Biermann-Ratjen/ Eva-Maria (2006a). Klientenzentrierte Entwicklungslehre. In: Eckert, Jochen/ Biermann-Ratjen, Eva-Maria/ Höger, Diether (Hrsg.) Gesprächspsychotherapie. Heidelberg: Springer, 73-92. Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 141 Biermann-Ratjen, Eva-Maria (2006b). 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Äußerungen mit exklamativem, adhortativem, optativem, Aufforderungs- oder Heische Modus … Abgebrochene Äußerungen ˙ Äußerungen ohne Modus Veränderung durch Verstehen in der Psychotherapie 145 Zeichen für tonale Bewegungen Zeichen Gekennzeichnete Phänomene ˋ Fallende Intonation ˊ Steigende Intonation ˆ Steigend-fallende Intonation ˇ Fallend-steigende Intonation ˉ Gleichbleibende Intonation Pausenzeichen Zeichen Gekennzeichnete Phänomene • Kurzes Stocken im Redefluss • • Geschätzte Pause bis zu einer halben Sekunde • • • Geschätze Pause bis zu einer dreiviertel Sekunde ((5s)) Gemessene Pause ab einer Sekunde Zeichen für intrasegmentale Phänomene und sonstige Zeichen Zeichen Gekennzeichnete Phänomene : Ankündigung „ Uneigentliches Sprechen / Äußerungsinterne Reparatur (Ich mein) Schwer verständliche Passagen (= =) Unverstandene Silben ((Hustet)) Nicht-phonologische Phänomene Für Sie. Emphatische bzw. Kontrastbetonung der unterstrichenen Silbe The Power of LoF 147 The Power of LoF Veränderung durch Lösungsorientierte Fragen im psychotherapeutischen Gespräch Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy 1 Abstract: Solution-oriented questions conceptually implicate change: a problem or conflict is expected to be solved and the current status will also be changed. Interactionally this is based on structural features of communication: the fundamental sequentiality of verbal interaction, i.e. interrelated succession of utterances of at least two interlocutors, provides for and guarantees the production of intersubjectivity and therapeutic efficacy. Solution-oriented questions as a rhetorical practice serve to produce forward-looking awareness, expansion and reorganization of knowledge as well as an increased ability to act on the patient’s side. These processes become apparent not only locally in the immediate context of solution-oriented questions but also globally in the course of the interaction as a whole. The data for this research consist of psychodiagnostic interviews conducted according to the concept and manual of the Operationalized Psychodynamic Diagnostics (OPD Task Force 2009). Keywords: change, questions, solution-oriented, psychotherapy, Operationalized Psychodynamic Diagnostics, conversation analysis, sequence 1 Wir danken Leonie Bröcher, Louisa Morick und Eileen Oelschläger für wichtige Vorarbeiten im Rahmen ihrer Masterarbeiten. 148 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy wie hätten sie_s denn gern (1.21) wenn sie (.) °hh (0.29) sagen würden (0.85) was (.) was sie an sich verändern könnten (T3-1, 01: 07: 50-01: 07: 55) 2 1. Einleitung Lösungsorientierte Fragen, um die es in diesem Beitrag gehen wird, implizieren begrifflich immer schon Veränderung. Ein wie auch immer geartetes Problem, eine Fragestellung oder gar ein Konflikt soll gedanklich einer Lösung zugeführt und der gegenwärtige Status verändert werden. Den damit verbundenen Reflexionsprozess bezeichnen Muntigl und Zabala (2008: 188) als Schlüssel zu Veränderung im Rahmen psychotherapeutischer Gespräche: „Adequate reflection on one’s experience is often seen as a stepping stone to change because reflection can allow the client to construe his or her life and social relationships in additional and alternative ways“. Der Wunsch nach Veränderung bildet die zentrale Motivation jedweder Form von Psychotherapie (Weiste und Peräkylä 2015: 8). Veränderung umfasst dabei unterschiedliche interne und nach außen wirksame Aspekte wie Erleben, Handeln oder Kommunizieren. Patienten in der Psychotherapie leiden häufig an eingeschränkter Handlungsfähigkeit und es fehlt ihnen oft eine wünschenswerte Lebensperspektive (Bandura 1997; Marciniak 2017). Die Psychotherapie als ko-konstruiertes Behandlungsformat setzt zur Behandlung solcher Defizite auch auf Struktureigenschaften von Kommunikation: Die grundsätzliche Sequenzialität verbaler Interaktion (Deppermann 2008), also die aufeinander bezogene Abfolge von Äußerungen mindestens zweier Sprecher, leistet und garantiert die Herstellung von Intersubjektivität und bildet damit die Grundlage therapeutischer Wirksamkeit (Peräkylä et al. 2008) für gemeinsam eingeleitete Veränderung bei Patienten. Neben unterstützenden sprachlichen Handlungen von Therapeuten sind es dabei gerade auch hinterfragende, gelegentlich sogar konfrontative Äußerungen, die den therapeutischen Gesprächsprozess vorantreiben (Marciniak et al. 2016). Dazu gehören vor allem Fragen, die jedoch in der psychotherapeutischen Forschung eher geringgeschätzt werden. Weiste und Peräkylä (2015: 2) zitieren dazu Elliot et al. (1982) als Kronzeugen: „[…] interpretation and advice are the most helpful and question the least helpful type of therapist intervention“. Die mit Fragen qua konditioneller Relevanz verbundene hohe Interventionsstärke 2 Transkriptausschnitte wurden mithilfe des Transkriptionseditors Folker gemäß den Konventionen des GAT2-Minimaltranskripts (Selting et al. 2009) verschriftlicht; sie werden im Fließtext kursiv geschrieben, als Transkripte in Courier New. Die Angaben in Klammern verweisen auf Therapeut (hier T3) und Gespräch (hier Gespräch 1) sowie auf die Zeitangaben im Gespräch. The Power of LoF 149 gilt dabei als negativ kriterial für die eher zurückhaltende Attitüde zumindest der tiefenpsychologisch orientierten Therapiekonzepte. Unterschätzt wird aber in der Forschung zu psychotherapeutischen Gesprächen das interaktionale und kognitive Potenzial von Fragen, das Köller (2004: 662) so beschreibt: Fragen leiten hypothetische Vorstellungsprozesse ein, die eine immanente Tendenz haben, in Selbstreflexionsprozesse überzugehen. Fragen helfen uns, Wissensdefizite zu lokalisieren, Wissensbedürfnisse zu thematisieren, Interessen für Ursachen und Funktionen zu artikulieren, Bezüge zur Vergangenheit sowie Zukunft herzustellen (…). Fragen setzen einerseits immer Erfahrungen voraus, sie sind andererseits aber auch dazu bestimmt, neue Erfahrungen zu ermöglichen, weil sie einen Wechsel von Sehepunkten und Wahrnehmungsperspektiven beinhalten. Anhand von Lösungsorientierten Fragen möchten wir im Folgenden zeigen, dass solche Fragen darüber hinaus im psychotherapeutischen Gespräch lokal und global Veränderungsprozesse initiieren können. Dazu werden wir zunächst darstellen, in welchen Kontexten Lösungsorientierte Fragen vorkommen, welche Eigenschaften sie aufweisen und wie sie das sequenzielle Umfeld organisieren. Zudem wird analysiert, welche allgemeinen und psychotherapiespezifischen Funktionen mit ihnen verbunden sind, bevor untersucht wird, welche Aspekte von Veränderung in Bezug auf Wissen 3 , Wahrnehmung, Widerstand und Handlungsfähigkeit sowie hinsichtlich der Ausarbeitung konkreter Lösungen auf der sprachlich-interaktiven Oberfläche ausfindig gemacht und im Gesprächsverlauf verfolgt werden können. Zunächst soll jedoch ein kurzer Einblick in die linguistisch-gesprächsanalytische Forschung zu psychotherapeutischen Gesprächen gegeben, und es sollen die der Untersuchung zugrundeliegenden Daten vorgestellt werden. 2. Veränderung durch Psychotherapie aus linguistischgesprächsanalytischer Sicht Als Geburtsstunde der Psychoanalyse gelten Breuers und Freuds „Studien zur Hysterie“ (1895). Die Autoren stellen darin u. a. auch das Aufbrechen von Patientenwiderstand durch gezielte therapeutische Interventionen dar, wodurch eine Linderung der Krankheitssymptome erzielt werden könne (vgl. Breuer und Freud 1895: 258). Man beginnt damit, den Kranken erzählen zu lassen, was er weiß und erinnert, wobei man bereits seine Aufmerksamkeit dirigiert und durch Anwendung der Druckpro- 3 Zu Lösungsorientierten Fragen im Zusammenhang ihrer Leistungen zur Wissenskonstitution im psychotherapeutischen Gespräch s. auch Spranz-Fogasy et al. 2018. 150 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy zedur leichtere Widerstände überwindet. Jedesmal, wenn man durch Drücken einen neuen Weg eröffnet hat, darf man erwarten, dass der Kranke ihn ein Stück weit ohne Widerstand fortsetzen wird. (Breuer und Freud 1895: 257 f.) Die heilende Wirkung von Psychotherapie wird mittlerweile auch durch zahlreiche empirische Studien zu psychodynamischer Veränderung belegt (vgl. Wöller und Kruse 2015, Wiswede et al. 2014). In der psychotherapeutischen Prozessforschung zu psychodynamischen Therapieformen wird hinsichtlich Veränderungsmechanismen angenommen, dass der Therapieerfolg mit der Technik und der Kompetenz der Psychotherapeuten zusammenhängt und dass dabei präzise Interpretationen (Crits-Christoph und Luborsky 1998) und gezielte intervenierende Deutungen entscheidend sind (Barber et al. 1996, vgl. dazu auch Wöller und Kruse 2015). Die sprachliche Intervention gilt demnach als zentrales psychotherapeutisches Behandlungsinstrument. Sprachliche Handlungen und ihre interaktionalen Funktionen sind auch der originäre Untersuchungsgegenstand der Linguistik und insbesondere der linguistischen Gesprächsforschung. In diesem Zusammenhang verstehen wir Fragen auch als eine solche Druckprozedur im Freud’schen Sinn. Die Anfänge der linguistischen Gesprächsforschung gehen tatsächlich sogar mit der Untersuchung psychotherapeutischer und psychiatrischer Gespräche einher, die die ersten linguistisch motivierten technischen Aufzeichnungen von Gesprächen überhaupt darstellen (Peräkylä et al. 2008). Pittenger et al. (1961) analysieren mit Fokus auf die lexikalische und suprasegmentale Ebene die ersten fünf Minuten eines psychiatrischen Interviews. Scheflen (1973) untersucht multimodal das Bewegungsverhalten einer Patientin und verknüpft deren Körperhaltungen mit sprachlichen Handlungen des Erklärens und Verteidigens. Labov und Fanshel (1977) analysieren einen 15-minütigen Audioausschnitt eines Therapiegesprächs. Sie entwickeln dabei die Unterscheidung von A-, B - und AB-events , je nach epistemischer Autorität der Sprecher, ob also nur je ein Sprecher oder beide über höheres Wissen zu dargestellten Sachverhalten verfügen. Damit wird auch deutlich, dass das psychotherapeutische Gespräch maßgeblich von Wissensasymmetrien sowie deren Abgleich und stetige Aktualisierung bestimmt ist (Weiste et al. 2016). Im deutschsprachigen Raum wurden unter Bezug zur Rollenverteilung und der besonderen Interaktionsbeziehung Asymmetrien der Redebeteiligung und Verstöße gegen Konversationsmaximen erforscht (Flader 1978, 1982; Koerfer und Neumann 1982). Scarvaglieri (2013) analysiert anhand von Kurzzeittherapien Handlungen wie das „Verbalisieren des emotionalen Erlebnisgehalts“ und das tiefenpsychologische „Deuten“ mit Blick auf eine sprachlich vermittelte Wissensumstrukturierung und der damit verbundenen Erweiterung eingeschränkter Handlungsfähigkeit. Konerding (2015) schließlich fordert den The Power of LoF 151 Einbezug der emotional-affektiven Komponente auch für die auf Wissen und sprachliches Handeln fokussierte linguistische Forschung. Eine breit angelegte Forschung zu psychotherapeutischen Gesprächen findet sich seit einigen Jahren auch in der conversation analysis (Peräkylä et al. 2008). 4 Muntigl und Horvath (2005) stellen in ihrer Untersuchung „Language, Psychotherapy and Client Change“ Veränderung als einen mehrstufigen und zielorientierten Prozess der Patientenbeeinflussung durch sukzessive Problembearbeitung dar, der von „ scaffolding practices “ gesteuert wird, z. B. Reformulierungen und Fragen (dies. 2005: 223 f.). Die Reformulierung des Problems qua Nominalisierung sowie anschließende Herstellung eines Kausalzusammenhangs durch Fragehandlungen machen das Problem zu greifbaren, externalisierten und sprachlich zu entkräftenden Redegegenständen (dies. 2005: 223). In einer Longitudinalstudie zeigen Voutilainen et al. (2011), wie sich Patientenantworten bezüglich einer bestimmten Therapeutenintervention im Muster von adjacency pair fortlaufend verändern: Anfängliche Resistenz gegen die therapeutische Agenda mündet nach einer ambivalenten Phase in Zustimmung und Einlassung (vgl. Voutilainen et al. 2011: 352). Mit anderen Worten bedeutet dies, dass Veränderung erst durch die sequenzielle Organisation in und durch das therapeutische Gespräch erzeugt wird: Sprachhandlungen setzen verbale Reaktionen des Gesprächspartners konditionell relevant und geben thematisch eine Richtung vor (Peräkylä 2013). Weiste und Peräkylä (2015) diskutieren veränderungsbegünstigende Sprachhandlungen im „Therapeutic discourse“. Die Veränderungen lassen sich durch „qualitative microanalytic research on therapeutic discourse“ (dies. 2015: 4), d. h. den moment-by-moment -Nachvollzug der sprachlichen Interaktion, adäquat beschreiben (s. auch Voutilainen et al. 2011, Mack et al. 2016). Als veränderungsbegünstigende Sprachhandlungen werden unter anderem vier grundlegende therapeutische Interventionen unterschieden: Extensionen, Interpretationen, formulations und Fragen. Allen diesen Sprachhandlungen ist gemeinsam, dass sie eine - zustimmende oder ablehnende - Reaktion des Patienten konditionell relevant setzen und die dadurch sequenziell gemeinsam konstruierte Sinnbedeutung die Basis der nachfolgenden Interaktion bildet. Extensionen sind Fortführungen von vollständigen Äußerungen des Patienten im syntaktischen Anschluss und zeigen an, wie der Therapeut dessen Äußerungen verstanden hat und sie „weiter denkt“. Es handelt sich dabei also um seine eigenen inhaltlichen Fortführungen und nicht um bloße turn completions . Neben Verständnisbekundungen werden mit Extensionen auch komplementäre und widersprüchliche Inhalte zur Patientenäußerung eingebracht oder Verknüpfungen zu anderen Kontexten hergestellt. Interpretationen sind v. a. in psychoanalytisch 4 Für einen aktuellen Überblick s. Weiste und Peräkylä 2015. 152 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy orientierten Settings ein zentrales Instrument. Der Therapeut bringt professionelles Wissen ein, indem er Darstellungen des Patienten in einen umfassenderen Zusammenhang mit grundlegenden psychischen Mustern und Dispositionen stellt und dies damit auch für den Patienten erkennbar und bearbeitbar macht. Formulations 5 , also Reformulierungen von Äußerungen des Patienten durch den Therapeuten, sind nach den Beobachtungen von Peräkylä (2013) die meist genutzte Sprachhandlung in Psychotherapiegesprächen. Es handelt sich um deklarative Äußerungen, mit denen Therapeuten ihren Patienten anzeigen, wie sie deren Darstellungen verstanden haben. In der Forschung werden vier Typen von formulations unterschieden 6 , die für das psychotherapeutische Gespräch funktional sind. Highlighting formulations fokussieren emotional konnotierte deskriptive Elemente in den Patientenäußerungen, sie präferieren Zustimmung und im günstigen Fall weitere therapierelevante Schilderungen. In rephrasing formulations ersetzt der Therapeut deskriptive Elemente der Patientendarstellung durch Beschreibungen damit verbundenen subjektiven Erlebens und suggeriert damit, dass dies der „eigentliche“ Gehalt der Patientenäußerung gewesen sei. Relocating formulations bringen verschiedene Darstellungen des Patienten und darin geschilderte Erfahrungen in einen gemeinsamen, psychologisch bedeutsamen, wechselseitigen Erklärungszusammenhang. In exaggerating formulations schließlich übersteigert der Therapeut Darstellungen des Patienten, um deren Absurdität und Negativität zu verdeutlichen. Der Patient soll damit gezwungen werden, seiner eigenen Darstellung - und Weltwahrnehmung - zu widersprechen; tut er dies nicht, ist auch das ein guter Ausgangspunkt weiterer therapeutischer Diskussion. Unterschätzt wird in der konversationsanalytischen Forschung zu psychotherapeutischen Gesprächen aber das Fragepotenzial von formulations , die in vielen Untersuchungen z. B. zur Arzt-Patient-Kommunikation als Deklarativsatz- Fragen betrachtet werden, was die Reaktionen von Gesprächspartnern auch vielfach bestätigen (Heritage 2010, Spranz-Fogasy 2010). Einen engen Zusammenhang von Fragen und formulations legt auch die Studie von Mack et al. (2016) zu therapeutisch funktionalen Typen von Fragen nahe. Darin zeigt sich, dass Fragen von Therapeuten in ähnlicher Weise wie formulations genutzt werden: Alle o. a. formulations -Typen ließen sich in unseren Daten auch für Fragen nachweisen - und noch einige mehr! Fragen, als hier letztgenannter sprachlicher Handlungstyp therapeutischer Intervention, sollen in der Form von W-Fragen und Verb-Erst-Stellungs-Fragen (V1-Fragen) die Selbstexploration von Patienten anregen. Zu den empi- 5 Zum Konzept der formulations s. Heritage und Watson 1979. 6 S. dazu auch Marciniak et al. 2016 sowie Mack et al. 2016. The Power of LoF 153 risch vorfindlichen Fragetypen in Psychotherapiegesprächen gehören „Beispiel-Nachfragen“, die der Referenzklärung dienen, darüber hinaus aber auch, weil sie stets an Aspekten der subjektiven Erlebensebene ansetzen, beispielhaft Wahrnehmungs-, Beziehungs- oder Handlungsmuster zu elizitieren suchen (Spranz-Fogasy et al. under review). MacMartin (2008) untersucht Fragen mit optimistischem Gehalt, sog. „optimistic questions“, in Bezug auf patientenseitige Widerstandsreaktionen, die die Grundlage für ein Kategoriensystem nach verschiedenen Resistenzgraden bilden (s. u.). Ein weiterer Fragetyp, die „Kollaborative Erklärungsfindungsfrage“, dient der Initiierung gemeinsamer Ursachenklärung, wobei damit vom Therapeuten auch Wahrnehmungs- und Erlebensmuster des Patienten ermittelt werden können (Mack et al. 2016, Siebeking-Thompson 2016). Und schließlich finden sich noch „Lösungsorientierte Fragen“, mit deren Hilfe im geschützten Raum des therapeutischen Settings hypothetische Lösungen für Probleme und Konflikte des Patienten sowie Potenziale der Veränderung gesucht werden sollen (Mack et al. 2016, Spranz-Fogasy et al. 2018). Dieser letztgenannte Fragetyp steht im Mittelpunkt der folgenden Ausführungen. 3. Daten und Methode Das Korpus der Untersuchung besteht aus 15 audio- und videotechnisch aufgezeichneten psychotherapeutischen Diagnosegesprächen aus einer Forschungskooperation zwischen dem Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim und der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik in Heidelberg. Beteiligt sind fünf TherapeutInnen (1w/ 4m) und 15 PatientInnen (8w/ 7m). Die Dauer der Gespräche beträgt 18 Stunden und 43 Minuten (Ø=75 Minuten). Es handelt sich um Erstgespräche, die mit dem Konzept und Manual der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD; s. dazu Arbeitskreis OPD 2014) zu Forschungszwecken des OPD-Therapiekonzepts geführt wurden, eine weitere Behandlung des Patienten durch den jeweiligen Therapeuten ist nicht vorgesehen. 7 Ziel der OPD ist die Identifikation eines therapeutischen Fokus auf der Basis der dargestellten Biografie des Patienten. Die Fokusdefinition benennt prominente maladaptive Beziehungsmuster, konflikthafte Lebensthemen und persönlichkeitsbezogene Einschränkungen und leitet daraus die zentralen therapeutischen Ziele ab. Die therapeutischen Prozesse der nachfolgenden Psychotherapie lassen sich dann stets mit den ermittelten Therapiezielen abgleichen und ma- 7 Die Gespräche wurden also nicht zu Zwecken der linguistisch-gesprächsanalytischen Forschung geführt. Die Ergebnisse der Gespräche wurden den behandelnden Therapeuten für die weitere Behandlung mitgeteilt. 154 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy chen somit Veränderungen erkennbar. Die OPD bezieht sich dabei auf vier psychodynamische und eine deskriptive Achse (vgl. Arbeitskreis OPD 2014: 35-36): 1. Krankheitserleben und Behandlungsvoraussetzungen (psychischer, physischer, sozialer Leidensdruck, Krankheitsverständnis, Behandlungsvoraussetzungen mit Akzent auf Erlebensmomenten, Motivationen und vorhandenen Ressourcen, weniger auf Krankheitsverhalten) 2. Beziehung (z. B. dysfunktionale Beziehungsmuster, Gegenübertragung) 3. Konflikt (intrapsychische, spannungsreiche Konfliktkonstellationen, lebensbestimmende, verinnerlichte Konflikte, welche interpersonellen Konflikten etc. gegenübergestellt werden können) 4. Struktur (Qualitäten oder Insuffizienzen psychischer Strukturen, strukturelle Bedingungen beim Patienten) 5. Psychische und psychosomatische Störungen nach Kapitel V (F) der ICD-10. Auf den ersten vier Achsen der OPD werden spezifische Charakteristika und die Ausprägung der psychischen Störung, von der der erkrankte Patient betroffen ist, eingestuft. Auf Achse 2 wird das für den Patient individuell bedeutsame dysfunktionale Beziehungsmuster beschrieben, indem dargelegt wird, wie der Patient die Umwelt erlebt, seine Reaktion auf die Signale der Umwelt im Selbstbericht darlegt, zeitgleich jedoch auch die Wahrnehmung des Umfelds auf die Reaktion des Patienten benannt wird, als auch die „Antworten“, die dem Umfeld damit nahegelegt werden. Dieses dysfunktionale Beziehungsmuster beschreibt im weitesten Sinne einen maladaptiven interaktionellen „Teufelskreis“. Auf Achse 3 werden die zwei vorherrschenden Konfliktthemen festgelegt. Konflikte stellen dabei nicht auflösbare intrapsychische Widersprüche dar, wie z. B. Versorgungs-Autarkie-Konflikte, Kontroll-Unterwerfungskonflikte, Individuations- oder Abhängigkeitskonflikte oder Selbstwertkonflikte. Deren Bedrohlichkeit versucht der Patient entweder eher in einem mehr aktiven Bewältigungsmodus (z. B. im Falle des Versorgungs-Autarkiekonfliktes mit der Versorgung von anderen Menschen (Objekten)) oder passiven Bewältigungsmodus (z. B. sich eher versorgen zu lassen oder Versorgung einzufordern) zu reduzieren. Zudem werden auf der Strukturachse, der Achse 4, drei defizitäre Strukturmerkmale definiert und das globale Niveau der Persönlichkeitsstruktur festgelegt. Diese Diagnostik dient einerseits der Ableitung und Festlegung von Therapiezielen, andererseits resultieren aus der differenzierten diagnostischen Einschätzung Hinweise auf die therapeutische Herangehensweise und Behandlungsstrategie (z. B. konfliktvs. strukturbezogene Psychotherapie). Die oben beschriebenen Daten wurden gemäß den Kriterien von Mack et al. (2016) auf lösungsorientierte Fragen hin durchsucht. Es fanden sich in zwölf The Power of LoF 155 von 15 Gesprächen 27 lösungsorientierte Fragen. 8 Die Fragen wurden dann hinsichtlich verschiedener Aspekte untersucht: Bezugspunkte der Frage, Turnkomplexität, Fragetypus, Verbtypus, Verbmodus, Tempus, Nutzung von Wahrnehmungs- und Erlebensausdrücken, Adressierung, Formulierungsdynamik, Entwicklungsdynamik, Reformulierungen und Zeitpunkt im Gespräch. 4. Problembearbeitung durch Lösungsorientierte Fragen Als Lösungsorientierte Fragen (LoF) bezeichnen wir sprachliche Interventionen von Therapeuten, mit denen Lösungen für im Gespräch thematisierte Probleme von Patienten gesucht oder seine diesbezüglichen Erwartungen an die Zukunft oder die Therapie ermittelt werden (Mack et al. 2016). Die thematisierten Probleme beziehen sich dabei stets auf eingeschränkte Handlungsfähigkeit der Patienten i.S. reduzierter Agency (Deppermann 2015, Kook 2015, Marciniak 2017). LoF kommen zumeist in späteren Abschnitten der hier untersuchten Gespräche vor (18/ 27 im letzten Drittel) oder früher, jedoch immer am Ende einer komplexeren Themenbehandlung (9/ 27). Dienen große Teile psychodiagnostischer Gespräche der thematischen Behandlung von gegenwärtigen Ereignissen oder Zuständen und vergangenen Erfahrungen, knüpfen LoF daran an und richten sich auf Zukünftiges. Als Fragehandlung setzen sie dabei den Reaktionstyp Antwort konditionell relevant und fordern den Patienten zu einer eigenständigen Lösungsfindung oder der Formulierung von Erwartungen auf. In unseren Daten zeigt sich, dass Patienten LoF stets ausweichend beantworten, wobei unterschiedliche Grade von Dispräferiertheit feststellbar sind (zum Konzept der Präferenz s. Pomerantz und Heritage 2013). Dispräferierte Patientenantworten stellen damit aber immer einen Anknüpfungspunkt für die weitere Bearbeitung durch die Therapeuten dar, entweder qua thematischer Defokussierung oder durch Insistieren des Therapeuten mit dem Ergebnis der Antwortoptimierung (vgl. Spranz-Fogasy et al. 2018). Das Sequenzmuster, das mit der Realisierung von LoF verknüpft ist, besteht demnach aus folgenden Positionen, die wir im Anschluss daran ausführlicher erläutern: 9 8 In zwei der Gespräche ohne LoF wurden Lösungsthemen auf andere Weise angesprochen, als Spekulationen der Therapeuten oder auch von Patienten selbst. In einem Gespräch verzichtet der Therapeut aufgrund der schweren Traumatisierung der Patientin und der Einmaligkeit des Gesprächs generell auf stärker interventive Handlungen. 9 Die Siglen T und P beziehen sich auf die Beteiligungsrollen Therapeut und Patient. 156 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy P 0-Position eingeschränkte Agency thematisch T 1-Position LoF P 2-Position dispräferierte Reaktion (answer-like, partiellkonform, non-answer) T 3-Position Insistenz des Therapeuten Defokussierung (z. B. kollaborative Erklärungsfindungsfrage) P 4-Position optimierte Antwort --- T 5-Position Therapeuten-Ratifikation --- 0-Position: Veränderungspotenzial im Vorlauf Grundlage für einen Lösungsfindungsprozess bildet ein Problem des Patienten, das zuvor elaboriert und evaluiert wird. Es werden also von den Teilnehmern zunächst Bereiche mit Veränderungspotenzial identifiziert, die Aspekte reduzierter Agency (Marciniak 2017) aufweisen und einen thematischen Anknüpfungspunkt für die anschließende Frage darstellen. In Gespräch T2-4 spricht die Patientin von ihrer Handlungsohnmacht ((1) ja immer wieder halt °hh (.) in dieses gefühl von ohnmacht z[urückzu]gelangen (00: 43: 15-00: 43: 20)) und bringt dadurch einen Problemkomplex mit Veränderungspotenzial mit ein. Die Patientin charakterisiert anschließend als ihr Hauptproblem mangelnde Konsequenz ((2) ich kann nicht wirklich konsequent sein (T2-4, 00: 43: 35-00: 43: 37)), worauf die LoF des Therapeuten (s. u.) folgt. Der Patient in T3-1 bringt seine Beschwerden explizit mit fehlender beruflicher Zukunftsperspektive und der Angst in Verbindung, den „falschen“ beruflichen Weg einzuschlagen ((3) wenn ich_n beruf anfang (.) dass_ch dann ähm (0.39) nich mehr die möglichkeit hab irgendwie (1.0) dort rauszukommen […] un ja auch allgemein die angst eben h° dass man nich_s richtige für sich entdeckt (00: 03: 01-00: 03: 16)). In T3-2 thematisiert der Therapeut mittels einer rephrasing formulation ((4) das heißt sie wissen_s gar nich eigentlich wie man sich auch gut streiten kann (00: 56: 03-00: 56: 05)) die Unfähigkeit der Patientin zu streiten . The Power of LoF 157 Position T2-4 T3-1 T3-2 0 wiederkehrende Ohnmacht und fehlende Konsequenz fehlende berufliche Zukunftsperspektive Unfähigkeit zu streiten Tab. 1: Tabelle Position 0. 1-Position: Eigenschaften von LoF LoF als Fragetyp mit zentralem Auftrag zur Lösungsfindung zeichnen sich durch spezifische Eigenschaften aus. Sie knüpfen häufig explizit oder implizit an patienten- oder therapeutenseitige Äußerungen an und setzen qua Präsuppositionen bereits den Fokus auf veränderbare Bereiche. Hier die LoF, die direkt im Anschluss an die o. a. Darstellungen reduzierter Agency folgen: (5) T2-4: wo wo zum beispiel also wo müssten sie (.) wo würden sie sich wünschen dass sie konsequenter wären (00: 43: 44-00: 43: 48) (6) T3-1: woran würden sie merken dass es das richtige is (00: 03: 26-00: 03: 28) (7) T3-2: hätten sie des vorstellen können (.) wie des (.) so aussehen könnte oder wie sie_s gerne hätten (00: 56: 19-00: 56: 19) Formal werden LoF häufig als W- oder in V1integrierten W-Fragen mit konjunktivischen Prädikaten und Zukunftsbezug sowie modaler, emotiver, kognitiver und volitionaler Lexik realisiert. Eine starke prospektiv-projektive Ausrichtung mit dem Fokus auf Vorstellungen, Wünschen und Bereichen der Fähigkeiten, Möglichkeiten und des Wollens in Bezug auf das Leben oder die Therapie sind für LoF charakteristisch (Spranz-Fogasy et al. 2018). Der Konjunktiv markiert den eröffneten Spekulationsraum, in dem der Patient ohne Angst vor realen Konsequenzen mental wie verbal agieren kann (Mack et al. 2016). Durch das Frageformat werden basale kategoriale Informationen zu Person, Zeit oder Ort, bzw. deren konzeptionelle Existenz abgefragt, d. h., der Therapeut fragt implizit, ob der Patient bereits Konzepte zu Lösungen hat oder ggf. Projektionen dafür zulässt. Auffällig ist in allen Fragen die explizite Adressierung, die trotz des dyadischen Settings direkt und teilweise mehrfach realisiert wird. Betrachtet man dies im Kontext reduzierter Agency im Vorlauf, wird Patienten bereits in der Frage ein handlungsfähiges Selbstbild entgegengesetzt, die Frage an sich suggeriert demzufolge schon Veränderung. In T2-4 (s. o.) schließt der Therapeut durch lexikalische Rekurrenz seine LoF an die Darstellung mangelnder Konsequenz der Patientin an und setzt so den Fokus auf exemplarische Bereiche, die näher bestimmt werden sollen. Der Therapeut in T3-1 knüpft an „das richtige für sich entdecken“ des Patienten an, fo- 158 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy kussiert mit merken die Wahrnehmung des Patienten und formuliert mit woran einen denkbaren Trigger dafür, d. h., die emotiv-kognitive Erfahrensebene wird angesprochen. In T3-2 bezieht sich der Therapeut in seiner LoF auf seine eigene Formulierung über die Unfähigkeit der Patientin zu streiten. Position T2-4 T3-1 T3-2 0 wiederkehrende Ohnmacht und fehlende Konsequenz fehlende berufliche Zukunftsperspektive Unfähigkeit zu streiten 1 LoF zu Wunschbereichen für konsequenteres Handeln LoF zu Kriterien des „Richtigen“ LoF zu Wunschbild über gutes Streiten Tab. 2: Tabelle Position 0-1. Reduzierte Agency im Vorlauf wird durch LoF von der Vergangenheit in die Zukunft blickend bearbeitet. Die prospektive Ausrichtung der Frage und das entgegengesetzte stärker handlungsfähige Bild des Patienten stellen sowohl einen zeitlichen als auch perzeptiven Perspektivenwechsel dar. Die veränderte Blickrichtung von Vergangenem auf Zukünftiges in Kombination mit der Schwerpunktsetzung auf das Veränderungspotenzial konfrontiert den Patienten und fordert qua sequenzieller Zwänge die Bearbeitung ein. 2-Position: Antworten auf LoF Durch LoF wird eine interaktive Aushandlungsphase eingeleitet, die im ersten Schritt eine formal-inhaltlich alignierende Antwort präferiert. Diese Erwartung wird aber, zumindest in unseren Daten (ähnlich wie in MacMartin 2008), regelmäßig enttäuscht. So formuliert zwar die Patientin in T2-4 mit der Minimalantwort abgrenzung eine formal passende Reaktion, die aber inhaltlich unklar bleibt. In ihrer Erläuterung: (8) abgrenzung tut für mich (.) unheimlich weh (.) °h [konse]quenz tut für mich (.) unheimlich weh [°h] denn der erste impuls is bei mir immer nachzugeben (00: 43: 51-00: 44: 00) zeigt sie sich problemaber nicht, wie gefordert, handlungsbzw. lösungsorientiert - sie beschreibt einen Zustand, aber keine Handlung (Marciniak 2017). Die Patientin scheint aber jedenfalls eine Vorstellung davon zu haben, in welchem Lebensbereich Handlungseinschränkung und Veränderungsbedarf bestehen. Dispräferiertheit von Antworten auf LoF kann in verschiedenen Formen auftreten. MacMartin (2008) unterscheidet im Zusammenhang optimistischer Fragen dispräferierte answer-like und non-answer responses , die sich im Grad The Power of LoF 159 der Resistenz voneinander unterscheiden. In answer-like responses verlagert der Patient den Fokus ( refocusing ), in non-answer responses zeigt der Patient stärkeren Widerstand durch Anzeige von Unwissen oder den Unwillen, zu antworten. Als partiell-konformen Antworttyp bezeichnen wir zudem Reaktionen, die zwar formal und inhaltlich zur Frage passen, aber mit bspw. Verzögerungssignalen, Abschwächungen oder Zweifeln auch Merkmale dispräferierter Antworten enthalten (vgl. Spranz-Fogasy et al. 2018). Im Gespräch T3-1 reagiert der Patient auf die LoF zu subjektiv-emotiven Kriterien für die richtige Berufswahl dispräferiert mit (9) ich denk mal im großen und ganzen (.) ähm (0.72) is es_s wichtigste für mich dass der beruf mir irgendwo spass macht un dass er mich irgendwo [glücklich] macht (00: 03: 30-00: 03: 37). Die Antwort kann als answer-like refocusing response eingestuft werden, weil der Patient vom Bezugspunkt der Frage durch Verallgemeinerungen, Substitution von richtige zu wichtigste und die lediglich oberflächliche subjektive Bearbeitung deutlich abweicht, d. h., er antwortet vernunftstatt emotionsgesteuert, beide dass-Anschlüsse alignieren zudem nicht mit der LoF. Der Patient zeigt sich in der Antwort außerdem mit niedriger Handlungsfähigkeit gegenüber der Berufswahl. Eine dispräferierte non-answer response findet sich im Anschluss an die LoF zu gutem Streiten in T3-2. Hier reagiert die Patientin mit (10) mhmh (0.31) wüsst ich gar nich (00: 56: 20-00: 56: 21) und zeigt sich auch mit der extreme case formulation 10 ( gar nich ) stark handlungsunfähig, aber interaktional widerständig. Mittels Adressierung wird mit LoF auch Verantwortung an den Patienten übertragen und damit die Bedingungen für weitere, therapeutisch relevante Beobachtungen geschaffen (vgl. Oelschläger 2017): In den LoF-Antworten geben die Patienten Zukunftsvorstellungen, die (Un-)Fähigkeit zum Selbstentwurf, interaktive Vermeidungsstrategien sowie Einstellungen, Zweifel, Unsicherheit und reduzierte Handlungsfähigkeit preis, was in den Folgesequenzen bearbeitet werden kann. Position T2-4 T3-1 T3-2 0 wiederkehrende Ohnmacht und fehlende Konsequenz fehlende berufliche Zukunftsperspektive Unfähigkeit zu streiten 1 LoF zu Wunschbereichen für konsequenteres Handeln LoF zu Kriterien des „Richtigen“ LoF zu Wunschbild über gutes Streiten 2 Abgrenzung Spaß und Glück Unwissen Tab. 3: Tabelle Position 0-2. 10 Pomerantz 1986. 160 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy 3/ 4-Position: Antwortoptimierung Dispräferierte Antworten bilden in der zweiten Sequenzposition den Anknüpfungspunkt für die weitere Bearbeitung in der dritten Sequenzposition, in der Therapeuten auf ihrer LoF insistieren. 11 Der Therapeut kritisiert damit implizit die Antwort des Patienten, der aufgefordert wird, seine anfängliche Antwort zu überdenken und neu zu formulieren. Diese Antwortoptimierung steht stets in direktem Bezug zur ersten (dispräferierten) Antwort auf eine LoF. Die „optimierte“ Antwort in der vierten Position weist sprachlich höhere Übereinstimmung mit der Frage auf als die erste Antwort, sodass unmittelbar lokale Veränderung angezeigt wird. In T2-4 charakterisiert der Therapeut die Antwort abgrenzung der Patientin als ungenügend, indem er ein beispiel einfordert. Die anschließenden Ausführungen der Patientin zu einer exemplarischen Situation, in der über ihren Kopf hinweg bestimmt wurde, führen zur Substitution von abgrenzung durch respekt , d. h., der Bereich, in dem die Patientin konsequenter sein will, ist der, respektiert zu werden. Die Beispielnachfrage des Therapeuten führt hier also zu einer Klärung bezüglich der Ungenauigkeit der ersten Patientenantwort auf die LoF. In T3-1 antwortet der Patient nicht - wie in der Frage impliziert - emotions-, sondern vernunftbezogen, was vom Therapeuten danach durch (11) es klingt jetzt sehr vernünftig wenn sie das so sagen (00: 03: 48-00: 03: 50) auch thematisiert wird. Der Patient stimmt zwar zu, hat aber zu diesem Zeitpunkt des Gesprächs noch keine zur Frage passende Antwort, d. h., eine Antwortoptimierung bleibt (zunächst) aus (s. nächsten Abschnitt). In T3-2 reagiert der Therapeut mit einer weiteren LoF (12) und wenn sie_n bisschen fantasieren würden (00: 56: 23-00: 56: 24), die die Patientin zur Kooperation zwingt. Ihre erste Antwort ändert sich dann zu: (13) äh gut streiten (0.25) ja ich denk gut streiten is einfach ähm (.) °h sachlich zu bleiben einfach (.) [äh in ner ] gewissen tonlage zu bleiben und da nich hinauszugehen und einfach (.) °h des auszudiskutieren (0.46) und dann natürlich_n nenner zu finden (T3-2, 00: 56: 26-00: 56: 41), d. h. ihre erste Antwort zu gutem Streiten wird so optimiert. An diesem Fall lässt sich auch das anfängliche „Unwissen“ deutlich als Resistenzphänomen (s. dazu auch MacMartin 2008, Voutilainen et al. 2011) charakterisieren, da die optimierte Antwort durchaus vorhandene Vorstellungen zu gutem Streiten erkennen lässt. 11 Thematische Defokussierung ist eine weitere Möglichkeit, wird hier aber nicht weiter verfolgt. Ein Beispiel dafür ist die Therapeuten-Reaktion auf die dritte LoF im Schaubild zu T3-1 im nächsten Abschnitt „Globale Prozessierung …“. The Power of LoF 161 Position T2-4 T3-1 T3-2 0 Ohnmacht fehlende berufliche Zukunftsperspektive nicht streiten können 1 LoF zu Wunschbereichen für konsequenteres Handeln LoF zu Kriterien des „Richtigen“ LoF zu Wunschbild über gutes Streiten 2 Abgrenzung Spaß und Glück Unwissen 3 Beispielnachfrage rephrasing formulation , dass vernünftig klingt LoF zu Wunschfantasie zu gutem Streiten 4 opt. Antw. Respekt keine opt. Antw. opt. Antw. Vorstellung zu gutem Streiten Tab. 4: Tabelle Position 0-4. Dispräferierte Antworten schaffen also für den Therapeuten qua Insistieren oder Kritisieren schon lokal Anlässe zur weiteren Bearbeitung, bei der Patienten ihre Antworten überarbeiten und verbessern können. 5. Globale Prozessierung: Veränderung von Wissen und Haltung In unseren Daten konnten wir Veränderungsprozesse aber nicht nur lokal beobachten, sondern in mindestens zwei Gesprächen auch übergreifende, thematisch zusammenhängende Prozesse der Veränderung von Wissen und Haltung identifizieren, die von bzw. mit LoF gesteuert werden. 12 In T3-1 wird der Konflikt des Patienten, sich in einem Spannungsfeld zwischen Wunsch und Vernunft zu bewegen, mit der fehlenden beruflichen Zukunftsperspektive und den sich dadurch verschlimmernden Beschwerden in Verbindung gebracht, was zum Leitthema der Sitzung wird. Die Veränderung zeigt sich dort in einem sukzessiven Prozess der Antwortoptimierung durch therapeutische Interventionen mit kontinuierlicher Zunahme von Handlungsfähigkeit; hier im tabellarischen Überblick: 12 In weiteren Gesprächen spielen LoF und andere therapeutische Interventionen diesbezüglich zusammen, wobei LoF eine prominente Rolle einnehmen, da in ihnen stets Veränderung bereits thematisch ist. 162 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy T3-1, Gesamtlänge 01: 35: 22 h 13 LoF Nr./ Zeit T-LoF P-Antwort Antw.Typ Agency Antw. T-Reaktion opt. Antwort Agency opt.Antw. 1Ab 00: 03: 26 Kriterien des „Richtigen“ Beruf soll Spaß und glücklich machen answer-like refocusing niedrig klingt sehr vernünftig - - 2Ab 01: 07: 50 Veränderungswunsch Unfähigkeit, Unwille zur Veränderung, genießt es, mit Leuten etwas zu unternehmen non-answer & answer-like refocusing niedrig läuft Gefahr sich immer wieder von andern abhängig zu machen Hoffnung auf Selbst- und Eigenständigkeit, eigene Ziele ohne Ängste verfolgen deutlich erhöht 3Ab 01: 23: 30 Zukunftsvorstellung/ -wünsche Unwissen non-answer response niedrig Frage zur Idee, sich für Studiengang zu bewerben - - 13 Die Zeitangaben sollen verdeutlichen, zu welchen Zeitpunkten des Gesprächs LoF formuliert werden. The Power of LoF 163 4Ab 01: 24: 29 Berufliche Restperspektiven Nicht in die Werbung gehen, Nutzen für sich, etwas mit Kindern machen answer-like refocusing erhöht hm; (0.2) wiederholter Wunsch, Künstler zu werden erhöht 5Ab 01: 25: 11 Drei freie Wünsche 1. Weltfrieden, 2. glücklich sein non-answer & complaining & answer-like refocusing niedrig Hinweis auf dritten freien Wunsch - - 6Ab 01: 27: 06 „Egoistischer“ Wunsch Unwissen, jemanden auf einer Wellenlänge zu haben non-answer & answer-like refocusing niedrig Wichtiges Thema, eigene Wünsche zu entwickeln, entgegen bisheriger Handhabe Wunsch, als Künstler Lebensunterhalt zu verdienen deutlich erhöht 7Ab 01: 32: 43 (Gesprächsende) Kompromiss zwischen Wunsch und Möglichkeit Eingeredet bekommen, reich sein zu müssen, um glücklich sein zu können, ekelt ihn an answer-like refocusing response niedrig „Hintertür“ zu noch unbekanntem Kompromiss zwischen Wunschwelt und Realität - - Tab. 5: Tabelle LoF in T-3. 164 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy Zentral sind für die Lösungsfindung die fünfte und sechste LoF, denn sie schließen unmittelbar an die optimierte Antwort zur vierten LoF an, in der der Patient bereits den vagen Wunsch formuliert, Künstler zu werden, das sei aber (14) irgendwie schwierig (T3-1, 01: 25: 05-01: 25: 06). Der Therapeut setzt dann mit der LoF zu drei freien Wünschen fort, um testweise das Wissen des Patienten über seine Wünsche abzufragen. Der Patient reagiert darauf wiederum dispräferiert mit einer Fokusverlagerung, indem er zwei sehr allgemeine Wünsche formuliert, (15) dass es äh auf der welt äh (0.46) frieden gibt (T3-1, 01: 26: 00-01: 26: 03) und (16) dass ich glücklich bin (T3-1, 01: 26: 21-01: 26: 22). Auf die Nachfrage nach einem dritten Wunsch kann der Patient keinen formulieren, sondern wiederholt die genannten. Der Therapeut insistiert mit einer weiteren LoF zu einem egoistischen Wunsch und markiert, dass die Bearbeitung des Handlungsauftrags noch aussteht. Die sechste LoF enthält daher auch gleichzeitig die implizite Funktion, Kritik zu üben (vgl. Oelschläger 2017). Der Patient antwortet erneut dispräferiert, indem er mit Unwissen und dann mit dem Wunsch, (17) dass ich (0.47) jemanden hab der: (1.21) auf dem ich mit ner äh auf ner wellenlänge bin (T3-1, 01: 27: 36-01: 27: 42), reagiert . Da dieses Verhalten zuvor bereits als maladaptiv eingestuft wurde (vgl. LoF 2; Spranz-Fogasy et al. 2018), stellt dies keine Antwortoptimierung dar, was auch die Therapeutenreaktion (18) klingt so als ob des auch v vielleicht_n wichtiges thema sein könnte (des/ es) (3.73) eigene wünsche zu entwickeln (T3-1, 01: 27: 52-01: 27: 57) zeigt. Der Handlungsauftrag bleibt also bestehen und erst nach erneuter Reetablierung der Wunschthematik qua exaggerating formulation am Gesprächsende ((19) aber zum wunsch reicht_s dann nich zu dem (.) dritten (T3-1, 01: 31: 31-01: 31: 33)) kommt es zur Antwortoptimierung ((20) obwohl wenn sie jetz: (0.4) wieder auf den wunsch zurückkommen vielleicht würd ich mir wünschen schon irgendwann °h äh als künstler: (.) mein lebensunterhalt verdienen zu können (T3-1, 01: 31: 39-01: 31: 47)), die mit der LoF zum egoistischen Wunsch formal und inhaltlich übereinstimmt und durch den eigenen inhaltlichen Zusatz, damit auskommen zu wollen, als echter Wunsch gewertet werden kann, womit er eine Veränderung seiner anfänglichen Perspektive deutlich macht. Wegen der enthaltenen Zweifel ( vielleicht ), wird die Antwort jedoch als partiell konform erkennbar, was auch die letzte LoF des Therapeuten zu beruflichen Kompromissen sichtbar macht: (21) so dass sie °h (0.56) immer noch d (0.35) des machen (.) was sie machen möchten aber (0.22) auf ne art und weise die auch möglich is für sie (T3-1, 01: 32: 46-01: 32: 52). Durch Insistieren des Therapeuten kommt der Patient hier schließlich über eine lange Strecke des Gesprächs zur dezidierten Formulierung eines Berufswunsches. Mit dem Auftrag des Therapeuten, dafür eine konkrete, in das Leben integrierbare Umsetzung zu entwickeln, endet dann die Aushandlung, die zen- The Power of LoF 165 tral über LoFs verläuft, und der Therapeut leitet über zu einer Evaluation des Gesprächs. Die Patientin in T3-2 weist insgesamt ein stark ambivalentes und widerständiges Verhalten sowie das Problem der (Nicht-)Annahme von Hilfe auf, das in mehreren Schüben durch LoF bearbeitet wird. Die Zwiespältigkeit und das fragile Veränderungspotenzial der Patientin manifestieren sich in Schwankungen von wiederholtem Widerstand und Ambivalenz sogar innerhalb einzelner Antwortsequenzen, wie bereits von Voutilainen et al. (2011) für ihre Patientin festgestellt wurde. So antwortet die Patientin hier auf die erste LoF zu ihren Therapiehoffnungen dispräferiert mit (22) hm des; (0.26) ; geht schon gar nich weil mir wurd der gleich (genommen) ((lacht)) hh° (T3-2, 00: 34: 15-00: 34: 19). Die widerständige extreme case formulation ( geht schon gar nich ) zeigt durch die Behauptung, der Wunsch sei ihr genommen worden, ihr Erleben einer starken Handlungseinschränkung und ihre Verbitterung darüber, was durch ihr sarkastisches Lachen noch verstärkt wird. Der Handlungsauftrag wird im Anschluss zwar partiell bearbeitet ((23) ich bin eigentlich so mit dem (1.08) wunsch oder dinge (.) im hirn gekommen ähm (0.26) dass ich vergessen kann (0.32) (T3-2, 00: 34: 19-00: 34: 26)), ihr Wunsch vergessen können wird aber vom Therapeuten unrealistisch eingestuft. Der resignierte Anschluss von (24) aber (so_n fall) geht nich ich kann nur lernen damit umzugehen (T3-2, 00: 34: 30-00: 34: 33), womit sie ihre erste Antwort relativiert und gewissermaßen optimiert, zeigt ihre Ambivalenz der Therapie gegenüber. Die Patientin folgt also der Therapeutenagenda zwar rezeptiv, „befolgt“ sie aber nicht. Hier eine schematische Zusammenfassung des Gesprächs: 166 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy T3-2, Gesamtlänge 01: 24: 53 h LoF Nr./ Zeit T-LoF P-Antwort T-Reaktion Antwort Agency Antw. Resistenzgrad 1Ab 00: 34: 07 Therapiehoffnungen/ -wünsche geht gar nicht, Wunsch wurde genommen, Lachen, kam mit Wunsch oder „dinge im hirn“, dass sie vergessen kann, kann nur lernen, damit umzugehen es wäre schön, wenn Neuanfang durch Vergessen möglich wäre answer-like refocusing & non-answer sarcasm 14 sehr niedrig manifest 2Ab 00: 42: 16 Balance herstellen zwischen eigenen und Bedürfnissen Anderer hat es mit sport versucht das is wieder mit sicher selber ausmachen answer-like refocusing niedrig manifest 3Ab 00: 56: 16 Wunschbild gutes Streiten Verneinung, wüsste gar nicht LoF 4 non-answer sehr niedrig manifest 14 Mit optimierter Antwort in Umgebung und erhöhter Agency. The Power of LoF 167 4Ab 00: 56: 23 Wunschfantasie gutes Streiten sachlich, in einer gewissen Tonlage bleiben, nicht hinausgehen, ausdiskutieren und Nenner finden Frage nach Handhabe dafür, wenn ein Gefühl kommt optimierte Antwort, anteilig refocusing erhöht niedrig 5Ab 01: 19: 32 Therapie-Thema/ -Wunsch Zustimmung, Unwissen über Bearbeitung, Nebengedanken, Wunsch nach Hilfe Erstaunlich, weil wüsste nicht, wie ohne Nebengedanken möglich partiell konform niedrig Ambivalenz und Anzeige Kooperations-bereitschaft Tab. 6: Tabelle LoF in T3-2. 168 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy Am Gesprächsende wird das Thema „Hilfe annehmen“ wieder aufgenommen. Im Vergleich der Antworten lässt sich nun nach der fünften LoF deutlich geringerer Widerstand erkennen. Die Patientin reagiert auf die letzte LoF des Therapeuten, in der er fragt, ob hilfe annehmen können ein Therapieziel sein könne, zunächst mit Zustimmung, bevor sie diese wieder abschwächt. Ihre Antwort weist eine ambivalente Veränderungsdynamik auf ((25) ja (0.29) irgendwie +++ schon aber irgendwie weiß ich nich wie man des bearbeiten soll (T3-2, 01: 19: 38-01: 19: 42)). Dabei formuliert sie qua ich weiß nicht wie ein modal prozedurales Wissensdefizit in Bezug auf ihre Handlungsfähigkeit. Sie fährt dann mit einer hypothetischen Affirmation fort (26) also ich würd gern sagen ja (T3- 1, 01: 19: 43-01: 19: 45), wodurch sie lokal Kooperationsbereitschaft anzeigt. Sie beendet schließlich ihre Äußerung mit der Begründung ihrer Vorbehalte ((27) ja ich würd des wirklich so hundertprozent ohne nebengedanken (T3-1, 01: 19: 46- 01: 19: 48)) und der Wunschformulierung (28) ich möchte die hilfe und ich möcht_s annehmen (T3-1, 01: 19: 48-01: 19: 50) ab, womit unklar bleibt, ob es sich um ein hypothetisches oder ein echtes Bekenntnis handelt. Mit seiner letzten LoF kurz vor Gesprächsende testet der Therapeut demnach auch die Kooperationsbereitschaft der Patientin mit Blick auf eine mögliche veränderte Haltung bezüglich der Annahme von Hilfe. Durch die Begründung der temporären Resistenz mit abschließendem (hypothetischen) Bekenntnis zeigt die Patientin Veränderung von manifestem Widerstand zu Ambivalenz mit weiterem Veränderungspotenzial durch Kooperationsbereitschaft an. Was Voutilainen et al. (2011) in einer Längsschnittstudie zu einem ganzen Therapieverlauf zeigen, dass sich Patientenreaktionen von zunächst dispräferierten über partiell konforme zu präferierten Reaktionen verändern können, kann hier in einem einzigen - psychodiagnostischen - Gespräch beobachtet werden. In beiden Falldarstellungen zeigt sich, dass LoF durch die damit initiierte Problembzw. Konfliktbearbeitung Veränderung induzieren, was durch spezifische formulatorische und sequenzorganisatorische Eigenschaften erreicht wird. Ein Problem wird interaktiv identifiziert und die Auseinandersetzung damit wird durch LoF iterativ provoziert, sodass im Vergleich von Anfangs- und Endsequenzen in beiden Gesprächen Veränderung in Form von stetiger Antwortoptimierung zu verzeichnen ist. Der argumentativ gesteuerte Veränderungsprozess stellt dabei ein rekursives Muster von lokalen zu globalen Problembearbeitungsmechanismen dar und führt zu sukzessiver Veränderung in Bezug auf Wissen und Haltung sowie deren Umstrukturierung, was in vitro mitverfolgt werden kann. The Power of LoF 169 6. Diskussion LoF machen Problembearbeitung auf lokaler und globaler Ebene beobachtbar. Im Vergleich von Prä-Kontext und Folgesequenzen von LoF zeigen die Analysen deutliche Veränderung auf sprachlich-interaktionaler Oberfläche. Veränderungspotenzial lässt sich dabei vor und nach LoF nachweisen und eröffnet durch kritische Therapeutenreaktionen die Möglichkeit zur Antwortoptimierung. Im Vorlauf äußert sich das Veränderungspotenzial thematisch als Problem, das durch reduzierte Handlungsfähigkeit des Patienten relevant gesetzt wird. Daran knüpfen LoF an und erschaffen gesprächslokal einen Spekulationsraum - gekennzeichnet durch konjunktivische und modale, emotive, kognitive und volitionale Prädikate -, der einen mentalen wie verbalen Reflexionsprozess zu vorhandenen Lösungsvorstellungen initiiert. W-Frage-Format und thematische Vorgabe fokussieren das Problem und der spezifische Adressatenzuschnitt von LoF - die explizite Adressierung trotz dyadischen Settings - setzen dem zuvor als handlungseingeschränkt charakterisierten Patienten implizit ein handlungsmächtiges Selbstbild entgegen. Dies erlaubt es dem Therapeuten auch, die (Wunsch-)Vorstellungen und Erwartungen des Patienten hinsichtlich dieser Projektionen zu ermitteln und ihn gleichzeitig zu zwingen, über eigene Einflussbereiche zu reflektieren. In erster Linie erhält der Patient dadurch zwar die Kontrolle und Verantwortung für die Lösungsfindung, für den Therapeuten bietet dies jedoch weitere Beobachtungmöglichkeit. Denn der Therapeut erfragt so nicht nur potenzielle Lösungen, sondern auch das Problembewusstsein, die Lösungsfindungskompetenz und -strategien sowie die Defizite und Bereitschaft zur Veränderung. Da den LoF regelmäßig die Darstellung reduzierter Agency vorausgeht, sind dispräferierte Antworten auf Fragen zu Lösungsvorstellungen erwartbar, was sich auch in unseren Daten widerspiegelt: Es konnte keine eindeutig präferierte Antwort identifiziert werden. Aber auch dispräferierte Antworten beinhalten Veränderungspotenzial, das dann die Basis für die nachfolgende interaktive Lösungsaushandlung bilden kann. Durch den direkten Bezug zu dispräferierten Vorgängeräußerungen kann jedoch gezielt eingehakt und explizit Kritik geübt werden, wodurch ein weiterer Reflexionsprozess ggf. mit nachfolgender Antwortoptimierung eingeleitet werden kann. Bleibt eine Ratifikation des Therapeuten aus, bleibt der Handlungsauftrag zur Bearbeitung der LoF bestehen, dessen Bearbeitung sich dann auch über das gesamte Gespräch erstrecken kann. 15 In zwei Gesprächen konnten darüber hinaus globale, thematisch verknüpfte Prozesse der Veränderung von Wissen und 15 Wie Schegloff (1990) zeigt, können adjacency pairs interaktionale Kohärenz auch über weite Strecken eines Gesprächs erzeugen. 170 Susanne Kabatnik, Christoph Nikendei, Johannes C. Ehrenthal & Thomas Spranz-Fogasy Haltung beobachtet werden, die durch über die ganzen Gespräche verteilte LoF gesteuert werden. Dispräferierte Antworten und die Therapeutenreaktionen darauf führen dort jeweils zur Korrektur inadäquater Projektionen, die sich sprachlich in zunehmender Antwortoptimierung zeigt. Optimierte Antworten weisen dabei neue und reflektierte(re) Inhalte auf, die Abnahme von Widerstandsreaktionen zeigt erhöhte Handlungsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft. Durch den sequenziellen Zugzwang von LoF wird die Auseinandersetzung mit dem aktuell thematisierten Problem eingefordert, die kritischen Implikationen erzeugen die Möglichkeit der direkten Bearbeitung dispräferierter Antworten und die gezielte Lenkung führt zu einer Modifikation und Ordnung vielfach nur diffus vorhandener Ideen und Gedanken. Auf diese Weise können sukzessiv durch Insistenz des Therapeuten und den Affirmationsdruck der Fragen auf der Basis des ko-konstruierten Wissens sowohl Behandlungsvoraussetzungen als auch Therapie- und Lebenspläne, -ziele und -wünsche verhandelt sowie Defizite und Widerstand bearbeitet werden. LoF besitzen ein starkes interaktionales und reflexionsbezogenes Potenzial und initiieren so Prozesse von lokaler und globaler Veränderung, die sich in gemeinsamer Wissenskonstitution, dem Ausgleich von Wissensasymmetrien und der Herstellung von Intersubjektivität sowie auf Seiten des Patienten in einer Umstrukturierung des Wissens und der Veränderung seiner Haltung und Agency zeigt. Der Patient bekommt durch rekursive argumentative Steuerung des Therapeuten und die damit verbundenen ko-konstruierten Wissensbestände eine veränderte Lebensperspektive und Lösungsfindungsstrategien an die Hand, auf die er auch außerhalb der Sitzung zugreifen kann. Im Unterschied zu den Untersuchungen von Voutilainen et al. (2011) zeigt sich Veränderung hier in einzelnen Fällen bereits in einer einzigen Sitzung im Vergleich von Anfangs- und Endzustand. Veränderung kann also schon in sehr kleinen Abschnitten von Gesprächen und Therapieprozessen beobachtet werden (s.a. Scarvaglieri in diesem Band), und das, obwohl es sich primär um ein Diagnosegespräch handelt. Das Therapieformat erhält somit doppelte Funktion: Neben der Diagnostik werden Prozesse für Veränderung angestoßen, die in der weiteren Therapie aufgegriffen und weiterentwickelt werden können. Weiteren Aufschluss darüber kann auch die Untersuchung anderer Fragebzw. Interventionstypen im Zusammenwirken mit LoF bieten wie auch der Vergleich zu Veränderungsprozessen in anderen helfenden Berufen. Verwendete cGAT-Transkriptionskonventionen (Minimaltranskript) Nach: Schmidt, Thomas/ Schütte, Wilfried/ Winterscheid, Jenny (2015). cGAT: Konventionen für das computergestützte Transkribieren in Anlehnung an das The Power of LoF 171 Gesprächsanalytische Transkriptionssystem 2 (GAT2). Abrufbar unter: https: / / ids-pub.bsz-bw.de/ frontdoor/ index/ index/ docId/ 4616 (Stand: 01.04.2019) Wörter Literarische Umschrift (keine Großbuchstaben, kein Apostroph, kein Bindestrich, keine Diakritika) Simultanpassagen [ ] Verzögerungssignale äh Rezeptionssignale hm (einsilbig positiv) hmhm (zweisilbig positiv) mh (einsilbig negativ) mhmh (zweisilbig negativ) Vor- und Nachlaufelemente ja, ne Verschleifungen zwischen Wörtern hab_s gibt_s Unverständliches +++ (einsilbiges unverständliches Wort) ++++++ (zweisilbiges unverständliches Wort) ((unverständlich)) (unverständliche Passage, wenn länger als eine Sekunde mit Zeitangabe) Vermuteter Wortlaut (glaube ich) Alternativlautungen (ja/ so) Mikropausen (unter 0,2 Sek. Dauer) (.) Gemessene Pausen (0.35) Einatmen °h h° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,2-0,5 Sek. Dauer) °hh hh° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,5-0,8 Sek. Dauer) °hhh hhh° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,8- 1,0 Sek. 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Requesting examples are defined as retrospective requests from the therapist/ coach to the patient/ client to elaborate the latter’s directly preceding utterance via an exemplary concretization. To appropriately reflect upon past events and upon personal experiences is often considered a key for change given that such reflections allows patients/ clients to develop alternative and new perspectives on their lives, their relationships, their selves etc. To work with examples or to present concrete experiences thus functions as a central change practice both in psychotherapy and in coaching. While this discursive practice entails an inherent change potential, we still have to empirically unfold the sequential, thematic and action theoretical design of requesting examples as well as their interaction-type specific change function(s). This has already been done in the context of therapy. We now widen the focus and contrast these findings with analyses of requesting examples in executive coaching. Thereby this contribution does not only provide in-depth insight into the change potential of requesting examples, but also adds to further differentiate therapy and coaching as regards their discursive and interactive layout. Keywords: Requesting examples; change; therapy; coaching; interaction type; case studies 178 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei 1. Einleitung und ähm (0.5) äh das beispiel hat sozusagen den sinn und zweck etwas genauer zu erkunden (0.25) ne was da natürlich auch z möglicherweise sich übertragen lässt äh auf (0.75) andere situationen bestimmte prinzipien (Zitat der Coach) Im vorliegenden Beitrag fokussieren wir das spezifische Veränderungspotenzial der diskursiven Praktik Beispiel-Nachfragen in den helfenden Formaten ‚Psychotherapie‘ und ‚Coaching‘. Bei Beispiel-Nachfragen handelt es sich um retrospektive Aufforderungen der Therapeut*innen/ Coach*innen an Patient*innen/ Klient*innen, ihre unmittelbar vorausgehende Äußerung mittels eines Beispiels zu elaborieren. Beispiel-Nachfragen evozieren Darstellungen von konkreten Beispielen, die strukturelle Elemente eines generelleren Zusammenhangs wie auch deren Beziehungen zueinander enthalten. An Beispielen können so am konkreten Fall zentrale Probleme, alternative Betrachtungs- und Handlungsweisen und darauf aufbauend konkrete Veränderungsmaßnahmen diskutiert werden. Mit Beispielen zu arbeiten bzw. konkrete Ereignisse zu erzählen, stellt somit eine zentrale Veränderungspraktik dar, da die Reflexion eigener Erfahrungen einen zentralen Baustein von Veränderung darstellt, weil sie es möglich macht, sich selbst und seine sozialen Beziehungen in neuer und anderer Weise zu gestalten (vgl. Muntigl und Zabala 2008: 188). Während von einem grundsätzlichen Veränderungspotenzial dieser diskursiven Praktik auszugehen ist, gilt es, die sequenzielle, thematische und handlungslogische Ausgestaltung von Beispiel-Nachfragen sowie ihre jeweiligen format-spezifischen Funktionen noch empirisch herauszuarbeiten (Vehviläinen et al. 2008: 188 ff.). Die Analysen von Beispiel-Nachfragen in authentischen Psychotherapie- und Coaching-Gesprächen sind Teil einer gesprächsanalytischen bzw. konversationsanalytischen Forschung zu Veränderung induzierenden Sequenzen im therapeutischen Kontext (Voutilainen et al. 2011; Weiste und Peräkylä 2015; Voutilainen und Peräkylä 2016; Voutilainen et al. 2018; Pick und Scarvaglieri i.d.B.; Pawelczyk i.d.B.; Buchholz i.d.B.; Scarvaglieri i.d.B.; Kabatnik et al. i.d.B), insbesondere zu Illustrierungstechniken (Brünner und Gülich 2002, Birkner und Ehmer 2013) und Expansionstechniken (Muntigl und Zabala 2008). Gleichzeitig geht der vorliegende Beitrag über diesen etablierten Forschungsfokus hinaus, indem eine veränderungsbegünstigende kommunikative Praktik, die der Beispiel-Nachfragen, kontrastiv im Kontext von Psychotherapie und Coaching analysiert wird. Das Herausarbeiten der interaktionstyp-spezifischen Charakteristika von Beispiel-Nachfragen ermöglicht dann vertiefte Erkenntnisse in diese veränderungsindizierende Praktik sowie ein fundierteres Verständnis der diskursiven und interaktiven Gemeinsamkeiten und Unterschiede von Psy- Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 179 chotherapie und Coaching im Sinne der Interaktionstypspezifität (vgl. hierzu bereits Pawelczyk und Graf 2011; Graf und Pawelczyk 2014 sowie Graf und Scarvaglieri in Vorb.). In einem ersten theoretischen Abschnitt stellen wir kurz die beiden Handlungsformate Psychotherapie und Coaching vor, gehen auf ihre Handlungsrationale im Hinblick auf Veränderung ein und diskutieren Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Daran anschließend erläutern wir Fragen als zentrale diskursive Praktik in helfenden Interaktionen allgemein sowie spezifisch in den Formaten Psychotherapie und Coaching und nehmen dann Beispiel-Nachfragen in den Blick. Im empirischen Teil werden wir nach einem Überblick über Daten und das methodische Vorgehen die interaktionstyp-spezifischen Elizitierungs- und Prozessierungsstrategien von Beispiel-Nachfragen herausarbeiten, sie anhand zweier Fallstudien erläutern und bezüglich ihres jeweiligen Veränderungspotenzials kontrastiv diskutieren. 2. Psychodynamische Psychotherapie und Coaching - Eine Annäherung an Gemeinsamkeiten und Unterschiede Der hier vorgenommene Vergleich von Psychodynamischer Psychotherapie 1 und Coaching 2 im Hinblick auf die kommunikative Praktik der Beispiel-Nachfragen, ihre spezifische Verwendung sowie ihr spezifischer Beitrag zu Verände- 1 Die Psychoanalyse sowie die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie sind psychodynamische Therapieverfahren, die zusammen mit der Verhaltenstherapie die zentralen Therapieformen im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie in Deutschland darstellen (Gemeinsamer Bundesausschuss (2009/ 2015). Bei beiden Therapieansätzen handelt es sich um Behandlungsformen, bei denen die Biographie der Patient*innen, deren zentrale Beziehungserfahrungen und deren Wirksamwerden in der Therapie im Fokus stehen. Aus diesem Grund sind Beispiel-Nachfragen in der psychodynamischen Psychotherapie von besonderer Bedeutung und begründet damit auch die Wahl dieses Therapieformats für diesen Beitrag. Die sequenzorientierte Erforschung von Interaktion in der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie ist Gegenstand des gemeinsamen Forschungsprojektes des Instituts für Deutsche Sprache Mannheim (IDS) und der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik (siehe dazu Becker und Schedl 2014). 2 Das Beratungsformat Coaching mit Ursprüngen in den USA existiert seit den 1980er Jahren in Deutschland und ist zum momentanen Zeitpunkt, trotz steigender Bedeutung, (noch) nicht professionalisiert und standardisiert (Lane et al. 2018). In seiner seriösen Form kann Coaching grob in zwei unterschiedliche Domänen aufgeteilt werden, life coaching bzw. personal coaching und business coaching bzw. workplace coaching (Stein 2007; Drath 2012; Graf 2019). Ein zentraler Unterschied dabei ist, dass letzteres (zumeist) von der Organisation initiiert und finanziert wird, so dass die lokale Beziehungsdyade Coach-Klient*in eingebettet ist in eine globale Triade Coach-Klient*in-Organisation (vgl. Graf 2019; Graf und Jautz in prep.) und die angestrebte Veränderung sowohl den Klient*innen als auch der Organisation dienen soll (vgl. Passmore et al. 2013: 1). In unserem 180 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei rung ist einerseits eingebettet in Forschung zu interaktionstyp-übergreifenden und -unterscheidenden Merkmalen helfender Interaktionen im allgemeinen (Graf et al. 2014; Graf und Spranz-Fogasy 2018a) sowie fokussierter auch zu beratenden Interaktionen bzw. zum Handlungstyp ‚Beraten‘ (siehe Kallmeyer 1985, 2000; Nothdurft et al. 1994; Habscheid 2015; Limberg und Locher 2012; Pick 2015, 2017). Im Zentrum helfender Interaktionen allgemein sowie in psychotherapeutischen Gesprächen und im Coaching im Besonderen stehen die übergreifenden kommunikativen Kernaufgaben Beziehungsgestaltung und Kommunikation mit Fokus auf Wissensgenerierung und Wissensvermittlung. Auf Seiten der Menschen, die als Patient*innen psychotherapeutische Hilfe suchen und in Anspruch nehmen, liegt zumeist ein leidvolles interaktionelles Geschehen oder ein inneres Konfliktgeschehen vor, aus dem ein relevanter Leidensdruck resultiert, der wiederum die Selbstkohärenz des Betroffenen gefährdet und durch ein vertieftes Verstehen und Reflektieren (und Modifizieren) der außerhalb und in der Therapie erlebten Interaktionen zu lindern (Wöller und Kruse 2018). Auch bei Beratung im Sinne des Coaching suchenden Person existiert - als originäre und anfängliche Motivation Hilfe und Unterstützung zu suchen - ein Problem bzw. ein Wissensdefizit, welche dann mittels der interaktiven und diskursiven Erarbeitung von Lösung(en) sowie der (möglichen) Umsetzung der ko-konstruierten Lösung(svorschläge) im Sinne der jeweils angestrebten Veränderung gelöst bzw. behoben werden sollen. 3 Andererseits wird der Beitrag von vergleichender linguistischer Forschung zu Psychotherapie und Coaching kontextualisiert, die sich bis dato vor allem dem thematischen Komplex des feelings talk und seiner jeweiligen strukturell-sequenziellen, interaktiven und thematischen Ausgestaltung widmete (vgl. Pawelczyk und Graf 2011; Graf und Pawelczyk 2014). Die Gegenüberstellung von Psychotherapie und Coaching ist motiviert durch das ambivalente Verhältnis der beiden Formate bzw. die gleichzeitige Nähe und Distanz von Coaching zu Psychotherapie. Diese Ambivalenz wird in theoretischen und empirischen Zugängen als „ergebnisorientierte Selbstreflexion“ (Greif 2008), „psycho-managerial discourse“ (Schulz 2013) und „space of hybridity and interdiscursivity as regards therapeutic and managerial discourse“ (Graf 2015, 2019) beschrieben. Sie fußt zum einen auf dem ähnlichen Selbstverständnis der beiden Formate als prozessorientierte Patient*innenbzw. Klient*innenbegleitung im Unterschied zur Expertenberatung (Schein 2003). Zum anderen auf der gemeinsamen Hin- Beitrag beschäftigen wir uns mit business bzw. workplace coaching und hier insbesondere mit der Variante des Führungskräfte-Coachings ( executive coaching ) (vgl. Graf 2019). 3 Sehr viel detaillierter unterscheidet Pick (2017) in ihrem Sammelband bzw. als Ergebnis der darin stattfindenden Diskussionen zwischen nicht-skalierbaren und skalierbaren Merkmalen des Interaktionstyps Beraten. Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 181 wendung zum Mensch in seiner/ ihrer Gesamtheit mit allen Facetten, allen affektiven, kognitiven und sozialen Kompetenzen sowie biographischer Muster und aktueller Kontextualisierung. Vor allem aber entsteht die Ambivalenz aus dem häufigen Einsatz originär therapeutischer Interventionen wie z. B. auch Fragen von Coaches in den berufsbezogenen Gesprächen mit ihren Klient*innen (Graf und Spranz-Fogasy 2018b), was auf die Wurzeln von Coaching in unterschiedlichen therapeutischen Schulen wie der systemischen Familientherapie, der lösungsorientierten Kurzzeittherapie oder der Transaktionsanalyse hinweist (vgl. z. B. Drath 2012; Passmore et al. 2013). Und obwohl von beiden professionellen Formaten aus unterschiedlichen Gründen eine klare Unterscheidung bzw. Abgrenzung proklamiert wird, wird die Verhältnisbestimmung zwischen Psychotherapie und Coaching immer wieder problematisiert (vgl. Schmidt-Lellek 2007, 2015). So beschreibt Schreyögg (2012: 84) Coaching u. a. als „Therapie gegen berufliches Leid“, wobei sie Coaching, neben seiner Funktion als Personalentwicklungsmaßnahme, eben gerade als zentrale Dialogform über Freud und Leid im Beruf definiert (ebd.). Forschung wie im vorliegenden Beitrag leistet somit (auch) einen praxisrelevanten Beitrag, diese Verhältnisbestimmung jenseits von theoretischen, marktgetriebenen und ideologischen Argumenten empirisch voranzutreiben. Psychotherapie stellt das ältere, professionalisiertere und normiertere sowie besser erforschte Format der beiden hier diskutierten Formate dar. Trotzdem spricht Lambert (2013: 3) in seiner Einleitung zum Handbook of Psychotherapy and Behavior Change auch hier von „a field characterized by changing emphases, new developments, and considerable controversy“. Und auch Gurman und Messer zeigen in ihrem Werk Essential Psychotherapies, das 2013 in der dritten Auflage erschienen ist, Entwicklungen und Wandel auf, die sich in und zwischen den verschiedenen therapeutischen Schulen seit der ersten Auflage ihres Werkes vollzogen haben. Es scheinen sich dabei zwei unterschiedliche Entwicklungstrends abzuzeichnen: auf der einen Seite eine zunehmende Diversifikation und Spezifizierung innerhalb der großen Therapieschulen, was zu einer starken Zunahme an therapeutischen Ansätzen führt, zum anderen ein zunehmendes Bemühen um Auffinden und Etablieren integrativer Prinzipien und übergeordneter (Wirk-)Faktoren, was sich auch in integrativen Ansätzen zeigt wie dem von Pawelczyk (2011) in ihrem Buch Talk as Therapy diskursanalytisch untersuchten Ansatz der Relationship-Focused Integrative Psychotherapy . Eine einheitliche bzw. allgemein gültige Definition von Psychotherapie bzw. die damit intendierten Veränderungen sind somit nur auf der Basis starker Verallgemeinerungen zu liefern. Bei Psychotherapie handelt es sich laut Lutz (2010: 27) um eine interpersonale Behandlung von Patient*innen mit psychischen Störungen, Problemen oder Beschwerden durch ausgebildete Therapeut*innen mit 182 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei psychologischen Mitteln auf der Basis empirisch bewährter psychologischer Konzepte. Die von den Therapeut*innen eingesetzten Mittel und Interventionen werden spezifisch auf diese Störungen, Probleme oder Beschwerden angepasst, sind zielgerichtet und beruhen auf wissenschaftlicher Überprüfung ihrer Effektivität bzw. Wirksamkeit. Das angestrebte Ziel jeder Psychotherapie lässt sich, wiederum vereinfacht, als „change in the patient’s mind, behaviour and social relations“ (Peräkylä et al. 2008: 6) zusammenfassen. Insbesondere die psychodynamischen Psychotherapieverfahren, in Deutschland die tiefenpsychologisch fundierte sowie die analytische Psychotherapie, legen einen Fokus auf die Bedeutung und Dynamik automatisierter, nicht bewusster mentaler Inhalte sowie zugehöriger regulatorischer Prozesse. Psychotherapie stellt in diesem Verständnis einen Ort dar, in dem Muster leidvollen Erlebens und Verhaltens gemeinsam verstanden, aber auch verändert werden können. Eine Besonderheit psychodynamischer Verfahren besteht darin, dass die Re-Inszenierung der schwierigen Muster in der therapeutischen Situation nicht als Störfaktor, und die therapeutische Arbeitsbeziehung als spezifischer, korrektiver Wirkfaktor betrachtet werden. Therapie dient dem besseren Verständnis eigener Motive („Einsicht“, Jennissen et al. 2018), dem Aufbau funktionalerer psychischer Struktur (Ehrenthal und Grande 2014) und schafft so neben der Symptomlinderung einen Zugewinn an innerer Freiheit und Ressourcen (Ehrenthal 2017). Die Wirksamkeit psychodynamischer Verfahren ist insgesamt gut belegt (Leichsenring et al. 2015). Neben weiterer Forschung zur Effektivität der Methoden stehen Fragestellungen zur Therapeut*innenpersönlichkeit und therapeutischen Kompetenzentwicklung (Rek et al. 2018; Safi et al. 2017), sowie Prozessfaktoren wie etwa Selbstwertveränderung (Dinger et al. 2017) oder Selbstwirksamkeitserleben zunehmend im Vordergrund (Huber et al. 2018). Im Unterschied dazu ist Coaching ein relativ junges Format, das erst in den 1980 Jahren in Deutschland Fuß fasste, bis zum heutigen Tage nicht über übergreifende professionelle Standards verfügt und dessen Erforschung zwar in den letzten beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen hat, aber immer noch viele Forschungslücken aufweise (vgl. Kotte et al. 2016; Fillery-Travis und Cox 2018). Unserem Beitrag liegt folgende Definition von Coaching zugrunde: Bei Coaching im Sinne professioneller Managementberatung handelt es sich um eine vertrauliche, prozessorientierte Einzelberatung psychisch stabiler Klient*innen mit Führungsverantwortung in deren berufsbezogenem Lebenskontext unter Anwendung von Modellen und Interventionen psychotherapeutischer Herkunft (Graf 2019). Dabei geht es um individuelle, relationale und strukturelle bzw. organisationale Anliegen im Sinne von Krisenbewältigung und/ oder Potenzialerweiterung mit dem Ziel - im Sinne einer Interaktionstyp-spezifischen Lesart von Veränderung - für Klient*innen und die Organisation nachhaltige Steige- Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 183 rung ihrer beruflichen Performance, aber auch ihres Persönlichkeits- und Führungspotenzials zu generieren (Schreyögg 2012). Aller Motivation, Coaching in Anspruch zu nehmen (bzw. von Seiten der Organisation Führungskräften nahe zu legen) zugrunde liegt der Wunsch nach Veränderung: „[p]eople come to coaching for lots of different reasons, but the bottom line is change“ (Whitworth et al. 1998: xix). Wie und ob die gewünschte Veränderung in Psychotherapie und Coaching erreicht wird, wird vorrangig im Kontext der Wirkungsforschung bzw. Wirksamkeitsforschung diskutiert und empirisch überprüft. Auch hier - wie in anderen Forschungsfragen auch - orientiert sich die Coaching-Forschung stark an der älteren und etablierteren Psychotherapie-Forschung (vgl. Künzli in Vorb.). Wirksamkeit zu erforschen ist jeweils ein höchst komplexes Unterfangen, da es sich bei Psychotherapie und Coaching eben nicht um physikalische Gegenstände handelt, die man objektiv vermessen kann, sondern jeweils um ein Konglomerat an sozial und diskursiv konstruierten Handlungspraktiken, die in jeder helfenden Interaktion individuell an die Bedürfnisse von Therapeut*in/ Coach und Patient*in/ Klient*in angepasst werden und sich entlang eines Psychotherapiebzw. Coachingprozesses verändern. Bezüglich der angestrebten Veränderung bzw. der angestrebten Wirksamkeit der jeweiligen Handlungsformate, also Psychotherapie oder Coaching, wird im Kontext der Wirkungsforschung bzw. Wirksamkeitsforschung in Bezug auf Wirkfaktoren geforscht. Im Generic Model of Psychotherapy von Orlinsky et al. (2004), das als transtheoretischer Rahmen relevante Ergebnisse in Bezug auf den Zusammenhang von therapeutischem Prozess und Wirksamkeit integriert, wird bezüglich der Ergebnis beeinflussenden oder Wirkvariablen in Input-, Prozess- und Kontextvariablen unterschieden. 4 Inputvariablen umfassen, was Psychotherapeut*in/ Coach und Patient*in/ Klient*in ins Coaching bzw. die Psychotherapie mitbringen. Dies können z. B. Persönlichkeitseigenschaften sein, die Veränderungsbereitschaft der Patient*innen/ Klient*innen, oder die Ausbildung der Psychotherapeut*innen/ Coaches. Prozessvariablen beziehen sich auf das Geschehen während der Psychotherapie oder des Coaching. Und Kontextvariablen verweisen darauf, dass sich die Patient*innen/ Klient*innen in einem Umfeld bewegen, welches den Hilfeprozess positiv, aber auch negativ beeinflussen kann (vgl. Pawelczyk i.d.B.). Aus gesprächslinguistischer Sicht sind dabei die Prozessvariablen besonders interessant, da sie sich auf das konkrete Interaktionsgeschehen beziehen, wozu die Interventionen der Therapeut*innen bzw. Coaches gehören, z. B. 4 In Analogie zum generischen Modell der Psychotherapie entwerfen Künzli und Seiger (2018) für Coaching bzw. die Erforschung der Wirksamkeit von Coaching das Generische Modell der Wirksamkeit von Coaching (vgl. ebd., Künzli in Vorb.). 184 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei aktives Zuhören, Interpretationen, Fragen (z. B. lösungsorientierte Fragen (vgl. Kabatnik et al. i.d.B.) oder Beispiel-Nachfragen, wie im vorliegenden Beitrag diskutiert) und Vieles mehr. Im Folgenden wenden wir uns nun genauer der Intervention „Fragen“ als zentraler diskursiver Praktik helfender Interaktionen zu. 3. Beispiel-Nachfragen in Psychotherapie und Coaching im Kontext von Veränderung Fragen, als übergeordnete Kategorie von Beispiel-Nachfragen, sind in alltagsweltlichen wie in institutionellen Gesprächen ein omnipräsentes und zentrales Steuerungsmittel. Sie gehören nach Köller (2004) zur anthropologischen Grundausstattung des Menschen, da sie Selbstreflexion ermöglichen, Wissensbestände ausleuchten, Sach- und Kausalrelationen herstellen helfen und durch Perspektivenwechsel neue Erfahrungen möglich machen (ebd.: 662). Tracy und Robles (2009: 131) betonen die sinnstiftende Funktion von Fragen für professionelle Kommunikation: Questioning is one of, if not the, central communicative practice of institutional encounters. As a practice it enacts and reflects an institution’s specific goals and values, and the professional and lay identities of key parties. Fragen sind daher auch und gerade in helfenden Interaktionen ein äußerst produktiver Aktivitätstyp für das ultimative Ziel Veränderung. Neben anderen Interventionen wie (Re-)Formulierungen und Interpretation stehen sie daher im Zentrum der Erforschung helfender Berufe. In der gesprächsanalytischen Forschung zu ärztlichen Gesprächen werden Fragen hinsichtlich ihrer grammatischen und semantopragmatischen Form in W-Fragen, Verb-Erststellungsfragen und Deklarativsatzfragen unterschieden und der damit verbundene Wissens- und Verstehensstatus sowie das komplementäre Informationsdefizit bestimmt (Heritage 2010, Spranz-Fogasy 2010). Ihre interaktionale Aufgabe ist dabei der angemessene Wissensausgleich zwischen den Beteiligten. Eine zweite Unterscheidung bezieht sich auf Präzisierungsfragen, die Patient*innendarstellungen zu vertiefen suchen, also an Patient*innen orientiert sind, und Komplettierungsfragen, die aus medizinischem Wissen heraus fehlende Angaben zu elizitieren suchen und primär an die ärztliche Agenda angebunden sind (Spranz-Fogasy 2005). Fragen werden jedoch von Praktiker*innen der verschiedenen helfenden Berufe unterschiedlich bewertet. Gelten sie im professionellen Coaching als „Königsweg zur Exploration des Klienten“ (Wilmes und Loebbert 2013: 38), als Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 185 „zentrale Steuerungsmöglichkeit im Coaching-Prozess“ (Fischer-Epe 2012: 60) und „wichtigste Aufgabe eines Coachs“ (Schreyögg 2012: 269) 5 so werden sie in Teilen der psychotherapeutischen Praxis als zu invasiv abgelehnt und gar als „the least helpful type of therapist intervention“ bezeichnet (Elliot et al. 1982 zitiert nach Weiste und Peräkylä 2015: 2). In der konversationsanalytischen Psychotherapieforschung werden neben Fragen als initiating actions Extensionen (i.e. syntaktisch angeschlossene inhaltliche Erweiterungen), Interpretationen und formulations (i.S. Verstehen dokumentierende Reformulierungen von Patient*innendarstellungen) als recipient actions gefasst (Vehviläinen et al. 2008, Weiste und Peräkylä 2015, Marciniak et al. 2016). Alle diese Sprachhandlungen der Therapeut*innen werden dabei stets im sequenziellen Kontext betrachtet, der durch den Zwang konditioneller Relevanz bestätigende oder widersprechende Reaktionen einfordert und damit die Herstellung von Intersubjektivität leistet und garantiert. Zugleich bildet dieser Zusammenhang von aufeinander folgenden Äußerungen beider Beteiligten die Grundlage therapeutischer Wirksamkeit (Peräkylä et al. 2008) und die Basis für gemeinsam eingeleitete Veränderung bei Patient*innen (Voutilainen et al. 2018). Formulations , als aus konversationsanalytischer Sicht zentrale therapeutische Sprachhandlungen, werden differenziert nach highlighting formulations , mit denen die subjektive Erlebensebene fokussiert wird, rephrasing formulations , die subjektive Anteile aus sachlichen Darstellungen elaborieren, relocating formulations , die verschiedene Darstellungen hinsichtlich gemeinsamer subjektiver Anteile verknüpfen und exaggerating formulations als Widerspruch einfordernde Übertreibungen von Patient*innenäußerungen (Weiste und Peräkylä 2015). 6 Diese Differenzierung von formulations kann auch auf therapeutische Fragen übertragen werden (Mack et al. 2016). Es lassen jedoch auch noch weitere Fragetypen ermitteln: Fragen zur Kollaborativen Erklärungsfindung, Lösungsorientierte Fragen sowie eben auch Beispiel-Nachfragen. Kollaborative Erklärungsfindungsfragen wie beispielsweise „Haben Sie selbst eine Theorie warum ? “ dienen der Initiierung gemeinsamer Ursachenklärung, wobei damit von The- 5 Für eine Übersicht der Praxis und Lehrmeinung bzgl. Fragen im Coaching vgl. zusammenfassend Deplazes (2016: 69 ff.). Siehe auch Graf und Spranz-Fogasy 2018b. 6 Übersehen wird dabei allerdings, dass formulations in anderen Forschungsbereichen, insbesondere dem zu medizinischer Kommunikation, als declarative questions (z. B. Heritage 2010; bzw. Deklarativsatzfragen in Spranz-Fogasy 2010) behandelt werden, womit, im Unterschied zur Psychotherapieforschung, der initiative Charakter solcher Äußerungen fokussiert wird. Es wäre interessant und sicher aufschlussreich, dieser unbemerkten Perspektivendivergenz einmal nachzugehen, weil sie aus den unterschiedlichen Paradigmen von Psychotherapie und Medizin folgt und Fragen in vielen psychotherapeutischen Konzepten als zu invasiv gelten. 186 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei rapeut*innen auch Wahrnehmungs- und Erlebensmuster der Patient*innen ermittelt werden können (Siebeking-Thompson 2017). Lösungsorientierte Fragen wie „Wo soll’s denn hingehen in der Zukunft, was möchten Sie denn machen? “ sollen im geschützten Rahmen des therapeutischen Settings hypothetische Lösungen für Probleme und Konflikte der Patient*innen sowie Potenziale der Veränderung ermitteln (Mack et al. 2016, Kabatnik et al. i.d.B.). Und Beispiel-Nachfragen schließlich sind rückbezügliche Fragen von Therapeut*innen mit der Aufforderung an Patient*innen, eine unmittelbar vorangegangene Äußerung mittels Konkretisierung näher zu erläutern (Spranz-Fogasy et al. revised). Alle diese Fragen bilden ein Bindeglied zwischen Verstehen einerseits und Erfahren wollen andererseits, denn sie dokumentieren bereits Verstandenes und Bekanntes und kommentieren, bewerten oder präsupponieren es. Dabei setzen sie ein bestimmtes Antwortformat konditionell relevant und geben durch die Formulierung bereits Aufschluss über Antwortpräferenzen (Weiste und Peräkylä 2015, MacMartin 2008, Heritage 2010, Spranz-Fogasy 2010). Beispiel-Nachfragen, die im Zentrum dieses Beitrags stehen, finden sich aber auch regelmäßig in allen möglichen institutionellen oder alltagsweltlichen Interaktionen. Sie setzen die Darstellung eines Beispiels konditionell relevant und fordern damit immer mehr als eine ja/ nein-Antwort. Beispiel-Nachfragen referieren dabei retrospektiv auf zuvor geäußerte Darstellungselemente und fordern elaboriertere Ausführungen dazu ein. Beispiel-Nachfragen werden im Folgenden in zwei Formaten helfender Interaktion, der Psychotherapie bzw. Psychodiagnostik und dem Führungskräfte-Coaching, hinsichtlich gemeinsamer und unterschiedlichen Formen und Funktionen untersucht. 4. Daten und Vorgehen Die Untersuchungen basieren auf zwei unterschiedlichen Korpora. Das psychotherapeutische Korpus besteht aus 15 audio- und videotechnisch aufgezeichneten psychotherapeutischen Diagnosegesprächen aus einer Forschungskooperation zwischen dem Institut für Deutsche Sprache (IDS) in Mannheim und der Universitätsklinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik in Heidelberg. Beteiligt sind fünf Therapeut*innen (1w/ 4m) und 15 Patient*innen (8w/ 7m). Die Dauer der Gespräche beträgt 18 Stunden und 43 Minuten (Ø=75 Minuten). Es handelt sich um Erstgespräche, die mit dem Konzept und Manual Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 187 der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD; s. dazu Arbeitskreis OPD 2014) geführt wurden. 7 Das Coaching Korpus besteht aus 9 Coaching-Prozessen des Ansatzes „Emotional Intelligentes Coaching“ (Dietz und Dietz 2007) und enthält insgesamt ca. 145 Stunden authentische Coaching-Gespräche zwischen zwei Coaches (männlich/ weiblich) und ihren Klient*innen, die alle als Führungskräfte in DAX-gelisteten, international operierenden Unternehmen tätig sind. Die Sitzungen wurden zwischen 2007 und 2009 von den Coaches selbst auf Video aufgezeichnet; anschließend wurden sie linguistisch transkribiert. Die Beispiel-Nachfragen wurden zunächst über das gesamte psychotherapeutische Korpus analysiert und beschrieben. Die allgemeinen Merkmale von Beispiel-Nachfragen bezüglich des Gesprächskontextes, ihres Designs, der sequenziellen Struktur, ihrer Funktion(en) wurden dabei anhand der Psychotherapiedaten herausgearbeitet (vgl. Spranz-Fogasy et al. revised). Beispiel-Nachfragen im Coaching-Gespräch werden dazu dann kontrastiv diskutiert. 5. Beispiel-Nachfragen in psychotherapeutischen Diagnosegesprächen In psychotherapeutischen Diagnosegesprächen werden Beispiel-Nachfragen von Therapeut*innen gestellt, wenn eine Darstellung der Patient*innen auf die eine oder andere Weise unklar ist. Beispiel-Nachfragen dienen also zunächst der Referenzklärung, sind aber, wie sich zeigen wird, psychodiagnostisch implikativer als bspw. Fragen nach Zeit, Ort oder Personen etc. Im Korpus psychotherapeutischer Diagnosegespräche wurden in zwölf Gesprächen 33 explizite Beispiel-Nachfragen, die den Ausdruck „Beispiel“ enthalten, identifiziert. In zwei weiteren Gesprächen wurden Beispiel-Nachfragen nur mit Ausdrucksvarianten (z. B. „typischer Fall“) formuliert, in einem weiteren Gespräch wurde keine Beispiel-Nachfrage gefunden. 8 Beispiel-Nachfragen sind in psychotherapeutischen Diagnosegesprächen nicht strukturell vorgesehen, sie emergieren stets lokal im Rahmen von Aushandlungsprozessen. Es handelt sich i. d. R. um kurze Äußerungen, die meist nur deiktisch auf die Bezugsäußerung referieren. Formal können Beispiel-Nachfragen in unterschiedlicher Sprachhandlungstypik vorkommen: als Frage, Aufforde- 7 Eine weitere Behandlung der Patient*innen durch die jeweiligen Therapeut*innen ist nicht vorgesehen. Die Ergebnisse der Gespräche wurden aber den behandelnden Therapeut*innen für die weitere Behandlung mitgeteilt. 8 In diesem Gespräch verzichtet der Therapeut aufgrund der starken Traumatisierung der Patientin weitgehend auf invasivere Fragen. 188 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei rung, Bitte oder gar als Einwort-Imperativ. Eine prototypische Formulierung, die die zentralen Elemente einer Beispiel-Nachfrage enthält, ist „Haben Sie vielleicht ein Beispiel dafür? “. Die verschiedenen Elemente dieser Äußerung dienen dazu, • den Sprachhandlungscharakter als Frage zu qualifizieren ( haben ), • Adressierung zu leisten ( Sie ), • die Aufforderungsqualität zu modalisieren ( vielleicht ), • den Frageskopus und die erwünschte Handlung vorzugeben ( ein Beispiel ) • und Referenz herzustellen ( dafür ), wobei bei den hier analysierten Ausschnitten nur der Ausdruck „Beispiel“ obligatorisch ist. 9 Anhand der folgenden Fallanalyse soll nun verdeutlicht werden, welche sequenziell-organisatorischen Eigenschaften Beispiel-Nachfragen aufweisen und welche psychotherapeutisch/ -diagnostischen Funktionen damit verknüpft sind. Fallanalyse 1 Der Patient beschreibt den Beginn seiner Panikattacken während eines Abendessens ein Jahr zuvor. Er berichtet weiterhin, dass er die mit den Panikattacken verbundenen inneren Spannungen jetzt besser im Griff habe. Die Therapeutin hakt an dieser Stelle ein und es entspinnt sich folgende Diskussion: 10 9 Dass Ausdrucksvarianten wie „typische Situation“ aber nicht zufällig sind, sondern präzise auf den lokalen Kontext zugeschnitten sind, zeigt Blöcher (2017) in ihrer Masterarbeit zu impliziten Beispiel-Nachfragen. 10 Der hier relevante Gesprächsausschnitt erstreckt sich zusammen mit späteren Weiterungen über 4min26sec und muss für diese Analyse aus Platzgründen gekürzt und teilweise paraphrasiert werden. Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 189 T5-2: 00: 09: 00-00: 11: 53 11 1 T: °h ham sie diese anspannung eigentlich schon mal bemerkt wenn sie sich irgendwie geärgert ham oder wenn sie sich sorgen gemacht haben um ne beziehung oder um einen menschen (14.8) 2 P: °hh h° also ich merk eigentlich dann wenn ich äh (.) streite (0.5) ((schmatzt)) dass dann die körperlichen symptom (.) me schwerer werden [Auslassung] vor allem bei (.) wie gsagt personen die mir (.) nah stehn eltern freundin ähm da fühl ich mich dann schon (.) sehr angespannt un_ m öchte das ganze eigentlich gern abbrechen un_dann fi kann i nich weider (.) diskutieren (.) weil ich des gefühl habe es schadet mir 3 T: ham sie da ein beispiel für 4 P: pf es gibt so viel dispute [Auslassung] es jetz ganz (.) ganz zu konkretisieren fällt mir einfach schwer des sin_alltags (.) sachen kleine streitereien [Auslassung] ähm m m warum hast du heut nich eingekauft ich war den ganzen tag arbeiten jetz muss ich wieder mit ich würd gern heim lieber jetz was essen jetz muss ich noch einkaufen gehen hab ich kein bock drauf °hhh und so sachen (.) ähm wo man da einfach (um) kleinichkeit streitet [Auslassung mit kurzer Klärung darüber, dass P hier seine Lebensgefährtin wörtlich zitiert] 5 T: wie gehts ihnen dabei wenn sie das so zu ihnen sagt Die Beispiel-Nachfrage der Therapeutin in dem hier als Position 3 bezeichneten turn ist sequenziell direkt an eine Patientenäußerung (Position 2) angeschlossen und referiert deiktisch auf die eher allgemeinen Ausführungen zu dessen Angespanntheit in Situationen mit signifikanten Anderen. Die Beispiel-Nachfrage setzt dabei eine bestimmte Reaktion konditionell relevant, nämlich ein Beispiel darzustellen und fordert damit mehr als eine ja/ nein-Antwort ein. Die Reaktion des Patienten auf die Beispiel-Nachfrage (Position 4) zeigt zunächst Ausweichverhalten resp. Widerstand ( pf es gibt so viel dispute [Auslassung] es jetz ganz (.) ganz zu konkretisieren fällt mir einfach schwer des sin_alltags (.) sachen kleine streitereien ), bevor er der Aufforderung mit der Darstellung einer konkreten Situation mit einem überraschenden direkten Zitat seiner Lebensgefährtin nachkommt ( warum hast du heut nich eingekauft […] ). Die Therapeutin nimmt nachfolgend Bezug zur Beispieldarstellung (Position 5) und lenkt 11 Die Transkriptausschnitte wurden gemäß den Transkriptionskonventionen von GAT2 als Minimaltranskript verschriftet (Selting et al. 2009), die Darstellung erfolgt im Wesentlichen turnweise. T ist die Therapeutin, P der Patient. Die Angaben verweisen auf Therapeut (hier T5) und Gespräch (hier Gespräch 2) sowie auf die Zeitangaben im Gespräch. 190 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei den Fokus dabei auf die subjektive Erlebensebene des Patienten: wie gehts ihnen dabei wenn sie das so zu ihnen sagt . Etwas später, aber mit explizitem Bezug zu der vom Patienten dargestellten Szene, entwirft sie noch ein Szenario, das der Patient positiv, aber selbstkritisch bewertet: wenn das (.) ihre ähm lebensgefährtin so zu ihnen sagt (.) °h merken sie dann auch manchmal dass sie sich wünschen würden (1.09) dass sie sagt ich (0.92) macht nichts ich geh jetz_einkaufen . Dieses Szenario enthält eine neue, alternative Perspektive auf die Wünsche des Patienten und eröffnet diesem eine differenzierte Wahrnehmung und neue Handlungsoptionen. Die nachfolgende Diskussion verbreitert die Thematik auf das Bedürfnis des Patienten, seine Emotionen besser zu kontrollieren, sich persönlich weiter zu entwickeln und Selbstfürsorge zu erreichen. Die Beispiel-Nachfrage der Therapeutin etabliert neben der sequenziellen Projektion aber auch noch eine retro-sequence i.S. Schegloffs (2007), indem sie die vorangehende Äußerung in Position 2 implizit als insuffiziente Reaktion in Bezug auf die vorausgehende Sprachhandlung der Therapeutin (Position 1) charakterisiert. Diese vorausgehende Sprachhandlung ist in den Psychotherapiedaten stets eine Darstellungsaufforderung mit „rephrasing“-Charakter, zielt also auf die subjektive Erfahrungsebene, die in der Bezugsäußerung der Patient*innen nur sehr vage und allgemein formuliert wurde. 12 So hatte bspw. der Patient im Beispielfall berichtet, dass er aktuell dasselbe Hemd anhabe, das er bei seinem ersten Panikanfall anhatte, und die Therapeutin stellt eine Frage mit „rephrasing“-Charakter (Position 1), auf die der Patient eher ausweichend antwortet, was zur Beispiel-Nachfrage führt. Die Beispiel-Nachfrage stellt also eine Detaillierungsaufforderung dar und kritisiert dabei implizit die Patientendarstellung als nicht ausreichend. Die gesamte Sequenz, die durch eine Beispiel-Nachfrage organisiert wird, lautet zusammengefasst so: 1. Therapeutin: rephrasierende Reformulierung (i.S. einer formulation ) oder Frage mit Fokussierung auf die subjektive Ebene von Patientendarstellungen 2. Patient: unklare, nicht ausreichende Darstellung 3. Therapeutin: Beispiel-Nachfrage 4. Patient: Beispieldarstellung (ggf. mit einleitendem Widerstand und, i.S. einer Insertionssequenz (Stivers 2013: 194 ff.), Insistenz der Therapeutin) 5. Therapeutin: Ratifikation der Beispieldarstellung und weitere Ausdeutung In dieser Darstellung ist die Beispiel-Nachfrage - in Abhängigkeit vom analytischen Schnitt - ein dritter Schritt in der Sequenz. Eine Betrachtungsweise als erster Schritt eines adjacency pairs würde die sequenzielle Organisationsleistung 12 Zu vagem Sprechen in der Psychotherapie s. Schedl et al. 2018. Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 191 erheblich verkürzen, mit der die retrospektiv vorgängige Äußerungen reinterpretiert bzw. bewertet und zugleich die der Bearbeitung in Form einer Beispieldarstellung folgende Auswertung durch Therapeut*innen projiziert werden. Wir finden also nicht nur eine eins-zu-eins-Verknüpfung von Äußerungen, mit der therapeutische Wirksamkeit i.S. von Peräkylä et al. (2008) garantiert wird, sondern eine vielfältigere und unterschiedliche Verkettung der sequenziellen Textur. Es lässt sich zeigen, dass mehrere sequenzielle Mechanismen simultan ineinandergreifen, die der einzelnen Äußerung viele interaktionale Implikationen und Vorgaben mitgeben. Das oben rekonstruierte Sequenzmuster, ggf. auch erweitert durch Insertionssequenzen wie der Insistenz der Therapeutin in Position 4, findet sich in all unseren Fällen aus dem psychodiagnostischen Korpus. Auffällig ist dabei die implizite Kritik in der Beispiel-Nachfrage an der Bezugsäußerung als nicht ausreichend in Bezug auf die rephrasierende Aktivität der Therapeutin zuvor. Es lässt sich zeigen, dass insbesondere das Fehlen einzelner oder mehrerer inhaltlicher Strukturelemente von Erzählungen wie Situationsbeschreibung, Ereignisketten oder Ereignisträger 13 Beispiel-Nachfragen auslöst. Auch der mehrfach benannte Widerstand des/ der Patient*in als Reaktion auf eine Beispiel-Nachfrage ist auffällig häufig in den Daten, er belegt damit nachträglich die Reaktion des/ der Patient*in auf eine rephrasierende Aktivität als ausweichend - der/ die Therapeut*in trifft offensichtlich ein wichtiges bzw. problembehaftetes Thema beim/ bei der Patient*in. Beispiel-Nachfragen elizitieren dabei eher markantere Einzelfälle, an denen Wahrnehmungs- und Handlungsstrukturen deutlich(er) hervortreten: Markante Beispiele reagieren auf die kritische Konnotation der Beispiel-Nachfragen von Therapeut*innen, sie sind erinnerungs“fester“ und -schneller, und vor allem: Patient*innen wählen sie selbst als paradigmatisch aus. Beispieldarstellungen decken dann Strukturelemente des von Patient*innen insuffizient dargestellten globaleren Sachverhalts und deren Bezüge zueinander auf. Neben dem Geschehen in der erzählten „Szene“ selbst wird auch die Wahrnehmung der Szene durch die Patient*innen erkennbar, ihr Handeln und ihre Stellung im berichteten Geschehen oder die Beziehung der Beteiligten zueinander. Beispiele gelten dabei als Einzelfälle eines globaleren Sachverhalts, den (notwendiger Weise) mehrere solcher Einzelfälle konstituieren. Die Erfahrung mehrerer Einzelfälle kann sich bei Patient*innen zu einem - bspw. destruktiven - Wahrnehmungs- und Handlungsmuster verselbständigen oder bereits verselbständigt haben und die Wahrnehmung aktueller und künftiger Erfahrungen oder des Handelns beeinträchtigen oder steuern. Beispieldarstellungen ermöglichen dann die Durch- 13 Zu Strukturelementen von Erzählungen vgl. Kallmeyer und Schütze 1977. 192 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei arbeitung von Alternativen und erlauben die Feststellung von Voraussetzungen und Gründen am Beispielfall. Beispiel-Nachfragen zeigen so paradigmatisch psychotherapeutisch/ -diagnostisches Vorgehen. Insbesondere leisten sie dabei • einen unmittelbaren sequenziellen Anschluss an Patient*innendarstellungen • eine spezifische Verarbeitung von Patient*innendarstellungen • die Turn-Übergabe mit einer spezifischen Aufgabenstellung • die Aufforderung zur Aufdeckung exemplarischer, tieferliegender Erlebens- und Handlungseigenschaften sowie • Reflexionsanregung und Erzeugung von Veränderungspotenzialen 6. Beispiel-Nachfragen in Coaching-Gesprächen Die Rationale von Führungskräfte-Coaching ist eine andere als in der Psychotherapie; der Fokus der gemeinsamen Arbeit liegt auf konkreten berufsbzw. führungsbezogenen Anliegen. Diese werden allerdings, gemäß des hier untersuchten Ansatzes des „Emotional Intelligenten Coachings“, auf der intrapersonalen, besonders der emotionalen Ebene, der Klient*innen bearbeitet, um letztlich so für diese eine Veränderung auch im Verhalten und in ihrer beruflichen Performance zu erreichen. Bearbeiten meint hier ein Benennen von Gefühlen, aber auch ein Re-Inszenieren und erneutes Durchleben der Gefühle im Hier und Jetzt des Coaching-Gesprächs. Die Arbeit mit Beispielen ist in den Coaching-Daten sehr ausgeprägt, allerdings finden sich nur wenige Beispiel-Nachfragen durch die Coaches. Stattdessen wählen sowohl Coaches als auch Klient*innen Beispiele als Illustrationstechnik für die verschiedenen Facetten der Klient*innen-Anliegen. Dies passiert häufig zusätzlich auf der Metaebene, wenn z. B. ein/ e Klient*in einen thematischen Rückbezug auf ein vorher bereits diskutiertes Beispiel mit ok gehen wir zu dem konkreten beispiel zurück 14 rahmt oder der/ die Coach eine vorherige Beispiel-Schilderung der Klientin aufgreift und für die weitere Prozessierung relevant setzt: [Auslassung] nehmen wir das beispiel [Auslassung] oder das letzte mal wo wir an diesem beispiel gearbeitet haben mit den nordamerikanern. Ebenfalls häufig finden sich abschließende Bewertungen von Klient*innen-Darstellungen bzw. Erzählungen durch die Coaches im Sinne von also das ist jetzt_n konkretes beispiel wo sie [Auslassung] bzw. das ist auch so_n beispiel wo sie sich sehr zurücknehmen. Und schließlich wird in den Coaching-Daten - ebenfalls auf der Metaebene - von den Agent*innen die Arbeit mit Beispielen häufig explizit als hilfreich für die gemeinsame Arbeit ( aber jetzt ist es gut dass wir so_n konkre- 14 Die hier zur Illustration angeführten Zitate entstammen dem gesamten Coaching Korpus und sind deshalb nicht näher spezifiziert. Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 193 tes beispiel haben oder dennoch wie gesagt mit so nem konkreten beispiel wird es lebendig und anschaulich kann man besser jetzt mit arbeiten kann man besser jetzt mit arbeiten ) sowie für das Herausarbeiten von übertragbaren Mustern erklärt bzw. beschrieben: ich hab sie ja nach nem beispiel gefragt und das beispiel hat sozusagen den sinn und zweck etwas genauer zu erkunden was sich möglicherweise auch übertragen lässt auf andere situationen bestimmte prinzipien [Auslassung]. Hier zeigt sich die oben angesprochene Rationale des Coaching-Ansatzes, die Anliegen der Klient*innen auf die intrapersonale, emotionale Ebene zu bringen und dort zu bearbeiten, so dass mit den „Prinzipien“ vor allem emotionale Aspekte fokussiert werden: Co1Cl5 - Sitzung 3 (Abschnitt 3.1. Z. 67 ff.) 15 ja sie haben ja (0.25) gesagt sie ha haben ein äh beispiel (0.5) äh also wir haben ja gesagt wir haben ja mehrere möglichkeiten jetzt diese frage anzugehen das eine ist erstmal so (0.25) drüber reden und äh äh dass ich_n bisschen was sage das andere ist wir könnten ganz konkret anhand (0.5) des beispiels auch ähm (1.3) beides machen natürlich drüber reden aber auch erforschen was (0.5) is ein würd mal sagen sowas wie so ein (0.25) ein für sie gesunder umgang damit (umgang) mit dem gefühl ja Je nach Reflektiertheit der Kient*innen bedeutet dies entweder eine faktische Schilderung der Klient*innen auf ihren subjektiven, emotionalen Gehalt hin zu refokussieren oder aber, das initiale Thematisieren von Gefühlen der Klient*innen zu einer Re-Inszenierung dieser Gefühle im Hier und Jetzt der Coaching-Sitzung weiterzubearbeiten. Im gesamten Korpus fallen der häufige Einsatz der Beispielarbeit, initiiert von Coach und Klient*in auf, ebenso die Bereitschaft der Klient*innen, Beispiele ohne Widerstand auf die Einladung des/ der Coach hin zu offerieren, die metadiskursive Rahmung der Beispielarbeit als hilfreiches Tool sowie die häufige Spezifizierung des Ausdrucks „Beispiel“ durch die attributive Ergänzung „konkret“. Die aufgrund des spezifischeren Kontextes arbeitsbezogener Anliegen per definitionem thematisch konkreteren Gespräche im Coaching enthalten viele von Coach und/ oder Klient*in eingebrachten Beispiele, die das Anliegen detailliert illustrieren und ein Bearbeiten von externen Erlebnissen auf der emotionalen Ebene ermöglichen. Der berufsbezogene, und dadurch (vermeintlich) weniger komplexe Kontext von Coaching sowie der Fokus des Formats auf „gesunden“ 15 Die Angaben zum Gespräch verweisen auf Coach und Coachee (hier Co1 und Cl5) und die Sitzung (hier Sitzung 3) sowie auf die Zeilenangaben im Transkript. 194 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei Klient*innen (vgl. Greif 2008), bei denen eine größere Bereitschaft bzw. eine stärkerer Wille zur Veränderung berufsbezogener Probleme anzunehmen ist, erklärt die Tatsache, dass die Klient*innen entweder selbst Beispiele ins Gespräch einführen oder bereitwillig mit diesen arbeiten. Im Unterschied zum grundsätzlich häufigen Einsatz von Beispielen - initiiert von Coach und Klient*innen - als veränderungsinitiierender Praktik, finden sich im Coaching-Korpus nur wenige explizite Beispiel-Nachfragen. Dies erscheint in Anbetracht der allgemeinen und nicht hier im Fokus stehenden Erkenntnisse zum Interaktionstyp-spezifischen Einsatz von Beispielen ein erwartbares Ergebnis. Im folgenden Fall präsentieren wir eine Beispiel-Nachfrage, die in ihrer sequenziellen Struktur den Beispiel-Nachfragen in den Psychotherapie-Daten sehr ähnlich ist. Fallanalyse 2 Der hier exemplarisch diskutierte Coaching-Fall zeigt einen Klienten aus dem Finanzsektor, der von seinem Unternehmen beim Aufstieg auf die nächst höhere Führungsebene ein begleitendes Coaching als Unterstützungsmaßnahme angeboten bekommen hat. Der Klient formuliert eine bessere Work-Life Balance, aber vor allem eine größere Nachhaltigkeit seines Engagements mit den Mitarbeiter*innen als Ziele des Coachings. Gerahmt wird das gesamte Coaching durch Erläuterungen der Coach, dass die gemeinsame Arbeit sich vor allem auf die subjektive Erlebens- und Gefühlsebene fokussieren wird, um daraus mögliche Verhaltensveränderungen im beruflichen Kontext zu erreichen (vgl. Graf 2015, 2019). Im Fallausschnitt erläutert der Klient die Befürchtung, dass sein empathischer Umgang mit seinen Mitarbeiter*innen dazu führt, von diesen nicht ernst genommen zu werden, so dass die in den Gesprächen vereinbarten Ziele im weiteren Verlauf von den Mitarbeiter*innen nicht umgesetzt werden. Die Problematik des verständnisvollen Umgangs wurde vom Klienten selbst thematisiert. Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 195 Co1Cl3 - Sitzung 2 (Abschnitt 2.2 Z. 131 ff.) 1 Kl: ich habe aber so das gefühl (1.3) und da hab ich ä-j jetzt grad in der letzten zeit auch so paar (1.5) erfahrungen irgendwo (0.31) gesammelt oder hab die für mich jetzt identifiziert äh wo ich sag (0.32) m (1.01) vielleicht ist da dieses gute miteinander dieses verständnisvolle auch zum teil (1.3) wirklich n hindernis um nachher (0.32) in dem/ in der umsetzung im job (0.64) das was wir vereinbart haben auch in der konsequenz zu machen wie sie schon gesagt haben [Auslassung] 2 Co: haben sie da eins zwei ganz konkrete beispiele aus der (0.27) jüngeren vergangenheit (wo sie sagen da) °h (.) das is ihnen noch so gegenwärtig (0.67) eine bestimmte person (0.31) oder personen ein oder zwei (0.88) °hh die wir mal (1.01) 3 Kl: also ganz konkret(0.32) was jetz am am frischesten noch da is is öhm (4.15) hm des muss ich vielleicht kurz erklärn (0.42) wir sind öh dazu ((Sprechansatz)) also ich hab ja öhm ne vierte ebene also f die filialleiter Der Klient beginnt in Position 3 seinen Beitrag nach einer kurzen Pause mit einer partiell-konformen Antwort (dazu s. Marciniak 2017), die er aber unterbricht, um der Coach ihr wahrscheinlich unbekannte organisationale Zusammenhänge zu verdeutlichen. In der Beispieldarstellung selbst (nicht mehr im Transkript) berichtet er von einer Filialleiterin, die er innerhalb kurzer Zeit bei zwei Mitarbeiter*innengesprächen begleitet hat und die zwar im Umgang mit ihren Mitarbeiter*innen klare Ansagen macht, die Ausführung bzw. Umsetzung im Anschluss daran aber nicht kontrolliert. Der Klient trifft zunächst verallgemeinernde Aussagen ( ähm (1.4) ich hab mit der (0.5) führungskraft_n sehr gutes miteinander oder sie ist auf der verbalen schiene sehr stark sie bespricht das (0.5) lässt sich dann aber die aussagen nicht (0.5) zeigen ), was die Coach an zwei Stellen veranlasst, nachzuhaken, ob der Klient von grundsätzlichen Mustern oder vom konkreten Beispiel erzählt ( und ich ich hak gleich mal nach (0.5) und äh diese aussage jetzt von ihnen [Auslassung] situationen wo es wo es nicht so gut läuft (0.25) war das auch spezielle bezogen auf (1.9) diese person [Auslassung] ). Nach seiner Bestätigung, dass er sich auf die konkrete Situation bezieht, schildert der Klient detailliert, mit Angaben zu Zeit und Dauer des Gesprächs sowie unter Wiedergabe des Dialogs zwischen Führungskraft und Mitarbeiter sowie zwischen ihm und der Führungskraft, und reflektiert ( das ist natürlich auch noch ne sondersituation ja ) die konkrete Situation mit der Führungskraft als Beispiel. Nach Abschluss der Klientendarstellung klassifiziert die Coach diese mittels einer rahmenden meta-sprachlichen Bewertung als Beispiel ( also das ist jetzt 196 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei ein konkretes beispiel ne ), was durch den Klienten ratifiziert wird. Hier hakt die Coach nach, refokussiert auf die Erlebensebene bzw. die emotionale Ebene im Hier und Jetzt der Beispieldarstellung und extrahiert in der weiteren Prozessierung des Beispiels anliegensrelevante Aspekte. Bezüglich des strukturellen Aufbaus ist die Beispiel-Nachfrage der Coach zunächst ähnlich aufgebaut wie die Beispiel-Nachfragen in den Psychotherapie-Gesprächen: • Qualifizierung der Sprechhandlung als Frage - haben ( Sie ) • Adressierung des Klienten - sie • deiktische Referenz zur vorausgehenden Klientendarstellung - da • Vorgabe des Frageskopus und der gewünschten Handlung - eins zwei ganz konkrete beispiele aus der jüngeren vergangenheit Auffällig ist, dass die Coach ihre Beispiel-Nachfrage hier aufwändig prä- und post-spezifiziert mittels Attributen in Vor- und Nachstellung: zum einen mittels des erweiterten adjektivischen Attributs in Voranstellung ( eins zwei ganz konkrete ), das die Handlung des Beispiel-Gebens sowohl numerisch als auch thematisch im Sinne ihrer Konkretheit näher bestimmt, zum anderen mittels einer temporären Attribution in Nachstellung, die das Beispiel-Geben in seiner zeitlichen Reichweite spezifiziert ( aus der (0.27) jüngeren vergangenheit ) sowie thematisch auf die mentale Präsenz ( wo sie sagen, das is ihnen noch so gegenwärtig ) und auf konkrete Personen ( eine bestimmte Person oder Personen ) hin fokussiert. Im Unterschied zur relativ strengen Sequenz-Struktur in den Psychotherapie-Daten offenbart sich die gesamte Sequenz, die durch eine Beispiel-Nachfrage organisiert wird, in den Coaching-Daten folgendermaßen: 1. Klient: selbst-initiierte Darstellung des Problems/ Anliegens unter thematischer Bezugnahme auf subjektive Erlebniswelt 2. Coach: Beispiel-Nachfrage (incl. Spezifizierung bzgl. zeitlicher Reichweite etc.) 3. Klient: detaillierte Beispieldarstellung (sowohl thematisch als auch sequenziell responsiv) 4. Coach: Metasprachliche Rahmung der Darstellung als Beispiel 5. Klient: Ratifizierung und expliziter thematischer Rückbezug zu Anliegen 6. Coach: vertiefte Fokussierung auf Erlebnisebene/ emotionale Ebene der Beispieldarstellung und Extrahieren anliegensrelevanter Aspekte Beispiel-Nachfragen in den Coaching-Daten weisen zunächst ähnliche bzw. gleiche Formulierungsaspekte auf. Ebenfalls finden sich sowohl in den Psychotherapieals auch den Coaching-Daten erläuternde Aktivitäten der Psy- Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 197 chotherapeut*innen/ Coaches im Kontext der Beispiel-Nachfragen, wie wohl diese grundsätzlich in den therapeutischen Gesprächen knapper ausfallen. Die Sequenzialität der Beispiel-Nachfragen ist in den Coaching-Daten hingegen variabler, da die subjektive Erlebnisebene, auf die die Beispiel-Nachfrage abzielt, entweder dadurch etabliert wird oder aber bereits etabliert ist und anhand des Beispiels weiter prozessiert und vertieft werden soll. D.h. die grundsätzliche Problemhaftigkeit wird von den Klient*innen selbst erfasst, während die tiefer gehende emotionale Bearbeitung des Problems durch den/ die Coach erfolgt. Dass diese Vertiefung im Sinne der Lösungsorientierung von Coaching von den Klient*innen erwünscht ist, zeigt sich in ihren präferierten, partiell-konformen bzw. responsiven Reaktionen auf die Beispiel-Nachfragen. Die Prozessierung des dargestellten Beispiels erfolgt dann oftmals durch eine Re-Inszenierung der darin enthaltenen Gefühle, wobei anliegensrelevante Aspekte extrahiert werden. 7. Diskussion Mit der vorliegenden Studie haben wir den empirischen Fokus der gesprächsanalytischen bzw. konversationsanalytischen Forschung zu Veränderung induzierenden Sequenzen in helfenden Interaktionen erweitert. Dieser lag bis dato primär auf der Psychotherapie und insbesondere auf einzelnen veränderungsinduzierenden Praktiken wie etwa formulations sowie deren interaktive und sequenzielle Ausgestaltung sowohl lokal als auch entlang mehrerer Sitzungen bzw. ganzer Prozesse im Sinne von Bercelli et al.’s (2013) „supra-session courses of action. In diesem Beitrag kontrastieren wir die Verwendung von Beispiel-Nachfragen in Psychotherapie-Daten mit ihrer Verwendung in Coaching-Daten. Diese beiden Formate gegenüberzustellen scheint aufgrund der erläuterten Genese von Coaching und seinem ambivalenten Verhältnis zu Psychotherapie in zweierlei Hinsicht besonders gegenstandsangemessen zu sein: Zum einen leisten die Analysen des spezifischen Veränderungspotenzials von Beispiel-Nachfragen in Psychotherapie und Coaching einen Beitrag zu einem besseren Verständnis von Veränderungskommunikation in helfenden Interaktionen, zum anderen dienen sie auch dazu interaktionstypologische Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Hilfe-Settings herauszuarbeiten. Gemeinsamkeiten, aber auch deutliche Unterschiede zwischen Psychotherapie und Coaching zeigen sich in der thematischen, sequenziellen und interaktiven Ausgestaltung der Beispiel-Nachfragen. In beiden Settings wird anhand von Beispieldarstellungen als Darlegung von Einzelfällen eines globaleren Sachverhalts nicht nur die berichtete Szene offengelegt, damit verbunden werden darüber hinaus auch Wahrnehmungs- und Handlungsweisen der Patient*innen/ 198 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei Klient*innen sowie deren soziale Beziehungen erkennbar. Es werden zudem sequenzielle Struktureigenschaften und -zwänge zur Herstellung von Intersubjektivität genutzt, wie sie auch die Grundlage der Wirksamkeit i.S. der jeweiligen Handlungsrationale bilden. Die Beispieldarstellungen selbst offerieren dann eine Vielzahl an Möglichkeiten zur Verfolgung einschlägiger Themenstränge, deren Reflexion unter Bezug auf Probleme und Wünsche der Patient*innen/ Klient*innen und die Entwicklung von Veränderungspotenzialen i.S. alternativer Wahrnehmungs- und Handlungsweisen. Unterschiede zeigen sich u. a. darin, dass im Psychotherapiegespräch vor allem substanzielle Persönlichkeitsaspekte thematisiert werden, während im Coaching meist begrenzter die professionelle Rolle der Klient*innen im Zentrum steht. Im therapeutischen Setting muss die Ebene des subjektiven Erlebens der Patient*innen erst etabliert werden, während sich im Coaching die Klient*innen selbst schon auf dieser Ebene bewegen bzw. eine große Bereitschaft zeigen, auf diese Ebene zu wechseln. Schließlich finden sich bei Patient*innen fast immer Ausweichbewegungen 16 bei der Bearbeitung der Beispiel-Nachfragen, Klient*innen im Coaching stellen Beispiele hingegen bereitwilliger dar. Im Coaching lassen sich daher Veränderungen sehr viel schneller angehen, während in Psychotherapiegesprächen die Therapeut*innen die Bedingungen der Möglichkeit von Veränderung erst noch herstellen müssen. Dies zeigt sich auch daran, dass im Coaching sehr viel häufiger mit Beispielen gearbeitet wird, die entweder von den Klient*innen selbst in das Gespräch eingebracht werden oder die von den Coaches als Zusammenfassung der Klient*innendarstellung subsumierend ins Gespräch eingebracht werden. Dies zeugt von einer größeren Reflektiertheit der Klient*innen, die die Musterhaftigkeit der dargestellten Beispiele bereits erkannt haben. Unterschiede finden sich auch in der Ausgestaltung der sequenziellen Organisation. In den Psychotherapiedaten ist die Lenkung der Therapeut*innen auf die subjektive Erlebensdimension erforderlich, der Patient*innen mit einem Marker für „Widerstand“ i.S. einer unklaren und unbefriedigenden Reaktion begegnen, während Klient*innen im Coaching die subjektive Erlebensdimension selbst schon etabliert haben. Therapeut*innen müssen diese Dimension dann erst fokussieren, während Coaches sie unmittelbar vertiefen können. Und schließlich können sich beide Teilnehmer*innen im Coaching bereits auf die 16 In der psychodynamischen Theorie wird dies auch als „Widerstand“ bezeichnet und hat die paradox anmutende Funktion, therapeutische Veränderung zu vermeiden. Im Hintergrund steht die Annahme, dass eine den Patient*innen vertraute - wenngleich leidvolle - Situation dem Risiko der Konfrontation mit noch stärkeren (negativen) Affekten und Wünschen, die dem aktuellen Leid zugrunde liegen, oftmals initial vorgezogen wird (Gabbard 2017). Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 199 Lösung berichteter Probleme konzentrieren, während in den Psychotherapiegesprächen noch die Reflexion des Beispiels und die Entwicklung alternativer Wahrnehmungs- und Handlungsweisen ansteht. Insgesamt ist die sequenzielle Organisation in den Coaching-Gesprächen variabler hinsichtlich der der Beispiel-Nachfrage vor- und nachgelagerten Turns. Zusammenfassend lassen sich die Unterschiede und Gemeinsamkeiten in der Elizitierung und Prozessierung von Beispiel-Nachfragen in den OPD- und Coaching-Gesprächen folgendermaßen darstellen: OPD Coaching Position 1 T rephrasierende Reformulierung oder Frage Position 2 P bietet unklare und unbefriedigende Erklärung Kl berichtet Erlebnisse mit Bezug zur subjektiven Erlebensdimension Position 3 T Beispiel-Nachfrage Cos Beispiel-Nachfrage Position 4 P stellt Beispiel dar (oder verweigert es und T insistiert mit Erfolg) Kl bringt Beispiel Position 5 T fokussiert die Erlebnisbzw. Gefühlsebene des Beispiels Co vertieft die Erlebnisbzw. Gefühlsebene des Beispiels … Reflexion des Beispiels und Entwicklung alternativer Wahrnehmungs- und Handlungsweisen lösungorientierte Diskussion von Co und Kl Tab. 1: Zusammenfassende kontrastive Darstellung der sequenziellen Struktur von Beispiel-Nachfragen in Psychotherapie und Coaching (T = Therapeut*in; P = Patient*in; Co = Coach; Kl = Klient*in). 8. Fazit und Ausblick Aus den hier vorgenommenen kontrastiven Analysen zu Beispiel-Nachfragen lassen sich weitere Aufgabenstellungen ableiten. Für den Bereich interaktionstypologischer Domänen bietet es sich an, weitere Hilfe-Settings wie Beraten, Ärzt*innen-Patient*innen-Gespräche, Supervision etc. zu untersuchen, um die Varianz des Äußerungstyps „Beispiel-Nachfrage“ zu erfassen. Des Weiteren sind implizite Beispiel-Nachfragen, also solche, in denen statt des Ausdrucks „Beispiel“ Formulierungen wie „typische Situation“, „andere Fälle“ o. ä. benutzt 200 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei werden, von Interesse - hier lässt sich zeigen, dass die jeweils verwendeten Formulierungen ganz spezifisch auf den lokalen Kontext zugeschnitten sind. Und schließlich dürften auch andere Formen der Einbringung von Beispielen durch Psychotherapeut*innen/ Coaches an Patient*innen/ Klient*innen und deren weitere Bearbeitung im Gespräch oder auch andere Formen von am Einzelfall entwickelter Musterhaftigkeit aufschlussreich sein. Die in der Forschung propagierte therapeutische Wirksamkeit im Sinne eines Veränderungspotentials sequenzieller Strukturen findet wie gesehen jedenfalls gerade in Beispiel-Nachfragen ihr Muster-Beispiel. Und gleichzeitig spiegeln ihr jeweiliger Einsatz und ihre Bearbeitung die Rationale der helfenden Interaktionstypen. Verwendete cGAT-Transkriptionskonventionen (Minimaltranskript) Nach: Schmidt, Thomas/ Schütte, Wilfried/ Winterscheid, Jenny (2015). cGAT: Konventionen für das computergestützte Transkribieren in Anlehnung an das Gesprächsanalytische Transkriptionssystem 2 (GAT2). Abrufbar unter: https: / / ids-pub.bsz-bw.de/ frontdoor/ index/ index/ docId/ 4616 (Stand: 01.04.2019) Beispiel-Nachfragen im Kontext von Veränderung 201 Wörter Literarische Umschrift (keine Großbuchstaben, kein Apostroph, kein Bindestrich, keine Diakritika) Simultanpassagen [ ] Verzögerungssignale äh Rezeptionssignale hm (einsilbig positiv) hmhm (zweisilbig positiv) mh (einsilbig negativ) mhmh (zweisilbig negativ) Vor- und Nachlaufelemente ja, ne Verschleifungen zwischen Wörtern hab_s gibt_s Unverständliches +++ (einsilbiges unverständliches Wort) ++++++ (zweisilbiges unverständliches Wort) ((unverständlich)) (unverständliche Passage, wenn länger als eine Sekunde mit Zeitangabe) Vermuteter Wortlaut (glaube ich) Alternativlautungen (ja/ so) Mikropausen (unter 0,2 Sek. Dauer) (.) Gemessene Pausen (0.35) Einatmen °h h° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,2-0,5 Sek. Dauer) °hh hh° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,5-0,8 Sek. Dauer) °hhh hhh° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,8-1,0 Sek. Dauer) Nonverbale Handlungen und Ereignisse ((lacht)) ((räuspert sich)) (wenn länger als eine Sekunde mit Zeitangabe) 202 Thomas Spranz-Fogasy, Eva-Maria Graf, Johannes C. Ehrenthal & Christoph Nikendei Literatur Arbeitskreis OPD (Hrsg.) (2014). Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik OPD-2: Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. 3. überarb. Aufl. Bern: Huber. Becker, Maria/ Schedl, Evi (2014). Interdisziplinäre Forschungsarbeit im Netzwerk: Brücken bauen. Ein Interview mit Prof. Dr. Thomas Spranz-Fogasy und PD Dr. med. Christoph Nikendei, MME. In: Felder, Ekkehard/ Müller, Marcus (Hrsg.). Diskurszukünfte. Heidelberg: Universität Heidelberg, 16-18. Bercelli, Fabrizio/ Rossano, Federico/ Viaro, Maurizio (2013). Supra-Session Courses of Action in Psychotherapy. Journal of Pragmatics 57, 118-137. Birkner, Karin/ Ehmer, Oliver (2013). (Hrsg.): Veranschaulichungsverfahren im Gespräch. Mannheim, Verlag für Gesprächsforschung. 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In the context of this activity, coach and client define concern and goal of the coaching and work on the latter according to the underlying coaching agenda in order to generate change for the client. While ‚Co-Constructing Change‘ epitomizes the communicative and interactive core of coaching-specific change communication, coach and client also engage in the basic activities ‚Defining the Situation‘, ‚Building the Relationship‘ and ‚Evaluating the Coaching‘. Both, entire coaching processes and individual coaching sessions, occur in loops in these at times repetitive and interdependent basic activities; all activities together allow for change communication. Our contribution exemplarily illustrates the interand intra-activity dimension of the basic activity ‚Co-Constructing Change‘ with the help of a case study of one coaching process. While the former focusses on the mutual influence of the basic activities in their respective communicative and interactive layouts, the latter focusses on the communicative and interactive layout of individual basic activities, in our case of ‚Co-Constructing Change‘, along the various sessions of an entire coaching process. Keywords: Coaching, change communication, communicative basic activities, coconstructing change, inter-activity dimension, intra-activity dimension 1 Bei diesem Zitat handelt es sich um eine Aussage der Coach, als sie das Forschungsprojekt, dem diese Daten entstammen, mit der Klientin bespricht. 210 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz 1. Coaching und Veränderung - Eine Hinführung Coaching ist ein relativ junges, boomendes Interaktionsformat personenbezogener Beratung. Ursprünglich adressiert an (Spitzen-)Sportler*innen und Führungskräfte, ist die Klientel heutzutage deutlich breiter; Angebot und Formen haben ebenfalls stark zugenommen. Grob zu unterscheiden ist - im Kontext seriöser Coaching-Angebote - berufsbezogenes Coaching, das im Sinne einer Personalentwicklungsmaßnahme für Mitarbeitende meist von der Organisation finanziert wird, und Life-Coaching, das sich lebensweltlichen Themen widmet und von Klient*innen selbst finanziert wird (Stein 2007; Drath 2012). Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich mit der ersten Variante, konkret mit Führungskräfte-Coaching, einem personenorientierten Beratungsformat im Management-Kontext. Böning und Strikker (2014) definieren Coaching übergreifend als psychologische Selbstreflexion und sehen in ihm ein gesellschaftliches Phänomen der postmodernen Zeit. Diese ist geprägt von Psychologisierung und Therapeutisierung (Furedi 2004; Illouz 2008; Hausendorf 2011), von Digitalisierung sowie Ökonomisierung (Hochschild 1983, 2012) sämtlicher Lebensbereiche, in denen der Mensch vermehrt auf der Suche ist nach einem Raum zur Reflexion über stetig komplexer werdende (berufliche) Entscheidungsfindungen sowie nach der Außenperspektive eines neutralen und kritischen, aber insgesamt empathischen und wertschätzenden, Gegenübers. Neben diesen „üblichen Verdächtigen“ führt Kühl (2008: 19 ff.) auch die Zunahme an Personaldiagnostik an, bei deren Einsatz es meist zur Feststellung eines Defizits kommt, das wiederum durch geeignete Instrumente der Personalentwicklung, wie etwa Coaching, behoben werden kann. Coaching als helfende Interaktion hat als endemisches Ziel, Klient*innen bei Veränderungen zu begleiten. Um mit Whitworth, Kimsey-House und Sandahl (1998: xix) zu sprechen, „[p]eople come to coaching for lots of different reasons, but the bottom line is change“. Veränderung wird hier Coaching-spezifisch im Sinne Greifs (2008) sowie König und Volmers (2003) verstanden als Verbesserung der Erreichung selbstkongruenter Ziele, bewusste Selbstveränderung, Selbstentwicklung und als Problemlösung. Der Coachingprozess - die Interaktion zwischen Coach und Klient*in entlang mehrerer Sitzungen - ist dabei Teil eines unter Umständen wesentlich länger andauernden Veränderungsprozesses (Orlinsky, Rønnestad und Willutzki 2004). Anfangs- und Endpunkt sind oft kaum determinierbar, da sich Klient*innen z. B. meist nicht erinnern können, wann und wo sich der Wunsch nach Veränderung das erste Mal manifestierte. Im Unterschied dazu ist der Coachingprozess zeitlich determiniert und beobachtbar. Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 211 In der Praxisliteratur wird Coaching als in Phasen ablaufend dargestellt. Dabei handelt es sich um rein deskriptive Modelle, die nicht empirisch überprüft wurden (Deplazes, Graf und Künzli 2018). Obwohl der Differenzierungsgrad der Phasen in diesen Ausführungen variiert, zeigen sich bei ihrer Darstellung große inhaltliche Überschneidungen: Nach einer Einstiegs-/ Orientierungsphase und ggf. einer separaten Kontraktphase folgt eine Phase der Situations- und Zielklärung. Daran anschließend folgt in einer Interventionsphase das eigentliche Coaching und am Ende steht eine Abschluss- und Auswertungsphase (vgl. z. B. König und Volmer 2003; Radatz 2003; Schreyögg 2012 und Lippmann 2013). Aus der Übersicht wird ersichtlich, dass Prozesse in der Praxisliteratur als aus verschiedenen, zumeist zeitlichen Komponenten bestehend verstanden werden, die (mehr oder weniger) sequentiell ablaufen. Auf den eigentlichen kommunikativen Prozess, der Veränderung ursächlich hervorbringt, wird dabei kaum eingegangen; selbst bei Autor*innen, die ‚Coachingprozess‘ explizit mit ‚Coachinggespräch‘ in Verbindung bringen (wie etwa König und Volmer 2003; Schreyögg 2012 oder Berninger-Schäfer 2018), ist der Fokus ausschließlich auf die Aktionen der Coaches gerichtet. Im Unterschied dazu nehmen wir die Interaktion zwischen Coach und Klient*in in den Blick, da wir das helfende Format Coaching und die darin stattfindende Veränderungskommunikation als von den Beteiligten selbst ko-konstruiert erachten. Gleichzeitig können wir durch diese phänomenologisch-deskriptive Perspektive auf den Prozess „[…] durch das Verhalten des Subjektes in der Interaktion Rückschlüsse auf den Veränderungsprozess“ ziehen, Letzterer verstanden als „globaler, allerdings im Inneren eines Subjektes ablaufender Prozess“ (Schröder 2013: 215). 2. Coaching und Veränderung - Was sagt die Forschung? 2.1 Outcome- und Prozessforschung im Coaching - ein kurzer Überblick Der praktischen Bedeutung und Etablierung von Coaching als zentralem Bestandteil gesellschaftlicher und arbeitsplatzbezogener Prozesse steht eine in vielen Bereichen (immer noch) unbefriedigende wissenschaftliche Fundierung gegenüber (Passmore, Peterson und Freire 2013; Fillery-Travis und Cox 2018). Was man allerdings bereits gut empirisch belegen kann, ist, dass Coaching Wirkung zeigt; hierzu liegen mittlerweile mehrere Meta-Analysen vor (für einen Überblick vgl. Deplazes, Graf und Künzli 2018). D.h. Coaching stößt Veränderung an. Bedeutend schwieriger aufzuzeigen, und bis dato kaum versucht, ist demgegenüber, wie und wo im Verlauf von Coachingprozessen Wirkung erzeugt wird. Diese Schwierigkeit gründet darin, dass es sich bei Coaching um 212 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz komplexe (kommunikative) Wechselwirkungen zwischen Coach und Klient*in handelt, die in ihrer Ganzheit nur schwer zu erfassen und zu beschreiben sind. Fillery-Travis und Lane forderten bereits 2006 in einem Überblicksartikel, dass vor der Analyse der Wirkung von Coaching geklärt werden müsse, wie Coaching angewendet werde und welcher Grundstruktur es folge, um dann die Outputs im Rahmen der entsprechenden Grundstruktur zu verstehen. Um mit de Haan et al. (2010: 110) zu sprechen, [i]n order to understand the impact and contribution of executive coaching […], it is not enough to just understand general effectiveness or outcome. One also has to inquire into and create an understanding of the underlying coaching processes themselves, from the perspectives of both clients and coaches. Die diesen Band leitende Frage, wie sich Prozesse der Veränderung in helfenden Interaktionen dokumentieren, analysieren und interpretieren lassen, stellt auch für die Coachingforschung eine grundlegende methodologische Herausforderung dar. In Anlehnung an die Psychotherapieforschung wird grundsätzlich grob in Coaching-Outcomebzw. Ergebnisforschung und Prozessforschung unterschieden (Fillery-Travis und Cox 2018). Während die Forschungslandschaft bis dato von quantitativ arbeitenden psychologischen Studien im Bereich Outcome bzw. Ergebnis dominiert wird, werden Stimmen nach qualitativer Forschung zur Interaktion bzw. zum Prozess lauter: „well-conducted qualitative research into coaching can provide important insights that are simply not possible with quantitative approaches“ (Grant 2013: 33). Die sich etablierende qualitative Coaching-Prozessforschung wird von unterschiedlichen Disziplinen wie Psychologie, Erziehungswissenschaften und Linguistik gespeist, die unterschiedliche Foki setzen und verschiedene Forschungsdesigns wählen (vgl. Wegener et al. 2018 oder Deplazes, Graf und Künzli 2018 für einen Überblick). Die gesprächs-, konversations-, und diskursanalytische Forschung beschäftigt sich erst seit sehr kurzer Zeit mit der helfenden Interaktion Coaching, so dass es erst vereinzelte Analysen zur Interaktion im Coaching gibt. So beschreibt zum Beispiel Winkler (2017) Möglichkeiten der Anwendung von Gesprächsanalyse mit Blick auf Feedback im Chat-Coaching und Jautz (2017, 2018) verwendet gesprächsanalytische Methoden bei der Untersuchung vom Umgang mit Asymmetrien im Coachinggespräch und bei der Ko-Konstruktion von Veränderung mittels der Verwendung von Fragen und Schlüsselbegriffen. Einen konkreten und expliziten Beitrag zur Coaching-Prozessforschung liefert die Forschung von Graf und das von ihr entwickelte Modell der kommunikativen Basisaktivitäten (Graf 2015a/ b, 2018, 2019), das im Folgenden beschrieben werden soll. Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 213 2.2 Linguistische Coaching-Prozessforschung: Das Modell der kommunikativen Basisaktivitäten von Graf (2015a/ b, 2019) Wie unter Punkt 1 erläutert, wird der Ablauf von Coaching in der Praxisliteratur als eine Abfolge verschiedener Phasen beschrieben. Obwohl dabei zumeist von sich wiederholenden Zyklen bzw. Rückkoppelungen gesprochen wird (vgl. Greif 2008), schwingt im Begriff der Phase Linearität und zeitliche Abfolge mit (siehe auch Spiegel und Spranz-Fogasy 2001). Das zentrale Ergebnis der linguistischen Coaching-Prozessforschung jedoch ist, dass sich sowohl der gesamte Coachingprozess, als auch die einzelnen Sitzungen schleifenartig in und durch sich (teilweise) wiederholende und ineinander verwobene kommunikative Aktivitäten vollziehen. Anstelle eines Phasenmodells wurde mit Hilfe der Analyse authentischer Coaching-Gespräche das Modell der kommunikativen Basisaktivitäten, bestehend aus den vier Aktivitäten ‚Definieren der Situation‘, ‚Gestalten der Beziehung‘, ‚Ko-Konstruieren der Veränderung‘ und ‚Evaluieren des Coachings‘, entwickelt. Die einzelnen Aktivitäten bestehen jeweils aus wiederkehrenden kommunikativen Aufgaben, zu deren Lösung den Beteiligten - Coach und Klient*in - bestimmte diskursive Praktiken und konkrete sprachliche Realisierungen zur Verfügung stehen; alle Basisaktivitäten zusammen ermöglichen dabei die Veränderungskommunikation im Coaching (Graf 2015a/ b, 2019). Abb. 1: Kommunikative Basisaktivitäten und ihre kommunikativen Aufgaben Kommunikative Basisaktivitäten als Beschreibungs- und Analysekategorie ermöglichen es, der Prozess- und Personen-Orientierung von Coaching Rech- 214 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz nung zu tragen und den strukturellen, thematischen und interaktiven Verlauf von Coaching nachzuzeichnen. Die einzelnen Bestandteile der Basisaktivitäten finden sich dabei teilweise auch in benachbarten professionellen Beratungsformaten (siehe die Übersicht in Pick 2017); die spezifische Kombination und die jeweilige sprachlich-diskursive Ausgestaltung charakterisieren aber Coaching als eigenständigen professionellen Gesprächstyp. Besonders tragen dazu die inter- und intra-aktivitätsspezifischen Dimensionen der Basisaktivitäten bei, die besagen, dass die kommunikative und interaktive Realisierung der Aktivitäten sowohl entlang der einzelnen Sitzungen variiert als auch, dass sich die kommunikative und interaktive Realisierung der Aktivitäten gegenseitig beeinflusst: Jede Coach-Klient*innen-Dyade gestaltet die Basisaktivitäten diskursiv gemäß ihrer jeweiligen Bedürfnisse und Voraussetzungen. 3. Methode und Daten Die hier gewählte Methode zur Analyse von Veränderungskommunikation im Coaching ist der Diskursanalyse zuzuordnen, genauer gesagt der von Roberts und Sarangi (2005) und Sarangi (2010) beschriebenen theme-oriented discourse analysis sowie der activity analysis von Sarangi (2005). Beide Ansätze beschreiben, wie Sprache professionelle Praxis konstruiert, wobei dies auf der Meso-Ebene zwischen sequentieller Mikro-Ebene und außersprachlicher Makro-Ebene geschieht. Theme-oriented discourse analysis bestimmt focal themes , d. h. thematisch-inhaltliche Aspekte, die für die jeweilige Praxis von Relevanz sind (wie z. B. Veränderung) und analytic themes , d. h. Konzepte aus der Linguistik (oder anderen relevanten Disziplinen) zu deren Beschreibung. Activity analysis zeichnet den Zusammenhang zwischen dem strukturellen, interaktionalen und thematischen Ablauf professioneller Interaktionen nach, um die Interaktionstypspezifischen Muster in Bezug zu primären Themen oder Inhalten (wie z. B. Veränderung) zu identifizieren. Die hier untersuchten Daten entstammen dem Coachingansatz ‚Emotional-Intelligentes Coaching‘ von Dietz Training & Partner (https: / / dietz-training. de). Das Korpus umfasst 9 komplette Coaching-Prozesse zwischen einem männlichen und einer weiblichen Coach und ihren Klient*innen - allesamt Führungskräfte aus international agierenden Dax-gelisteten Unternehmen. Die Prozesse wurden zwischen 2007 und 2009 (von den Coaches selbst) auf Video aufgezeichnet. Insgesamt liegen ca. 145 Stunden authentisches Datenmaterial vor. Für den vorliegenden Beitrag wählen wir im Sinne einer case study einen einzelnen Prozess aus dem Korpus. Dieses Verfahren ist laut Dörnyei (2007: 155) „[…] highly recommended for exploring uncharted territories or making sense of a particularly problematic research area“. Die Auswahl basiert auf Kürze und Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 215 Prototypikalität bzgl. des untersuchten Coachingansatzes. Im Fallbeispiel arbeiten Coach und Klientin über einen Zeitraum von zwei Monaten in drei Sitzungen zusammen; Veränderung soll hier über diesen gesamten Prozesses hinweg, der insgesamt ca. 6 Stunden dauert, dargestellt werden. Inhalte der Sitzungen, die weniger im Fokus stehen, werden deshalb zusammengefasst. Inhaltliche Zusammenfassung des Prozesses: Die Klientin arbeitet als Beraterin in einer international operierenden Consulting-Firma und steht kurz davor, Partnerin zu werden. Sie ist sehr ehrgeizig und leistungsorientiert und fühlt sich als Frau in einem männlich-dominierten Arbeitsumfeld stets unter Druck, besonders tough und kontrolliert aufzutreten und sich nie emotional gehen zu lassen (vgl. Graf und Abdul-Hussain in Vorb.). Nach einem besonders herausfordernden Projekt erleidet sie eines Morgens am Flughafen einen emotionalen Zusammenbruch. Obwohl seitdem einige Zeit vergangen ist, hängt ihr dieses emotionale Erlebnis noch stark nach. Auch privat ist die Klientin in einer schwierigen Situation; ihre tiefe Sehnsucht nach Sicherheit und Partnerschaft findet keine Befriedigung. Das Anliegen der Klientin zu Beginn des Coaching ist deshalb, ihre Emotionalität besser kontrollieren zu können, d. h. zu lernen, sich emotional besser von herausfordernden Situationen distanzieren zu können und bei Empathie-Bezeugungen nicht sofort zu weinen. Wiederkehrende Themen der Klientin im Sinne von Schegloffs (2007) thematic threads sind ihre Weiblichkeit, stereotype Gender-Rollen und ihre Einsamkeit. 4. Ko-Konstruieren von Veränderung im Coaching: Eine Fallstudie 4.1 Die inter-aktivitätsspezifische Dimension der Basisaktivität ‚Ko- Konstruieren von Veränderung‘ Im ersten Teil zeigen wir, wie die vier Basisaktivitäten bzw. ihre kommunikativen Aufgaben und Elemente entlang der drei Sitzungen interaktiv und thematisch aufeinander aufbauen und sich gegenseitig in ihrer Ausgestaltung beeinflussen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit steht dabei die strukturelle, interaktive und thematische Beeinflussung von ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ durch die anderen Basisaktivitäten. 216 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz 4.1.1 ‚Definieren der Situation‘ a) Etablieren des Coachingrahmens: Anbieten und Nutzen von Taschentüchern Aufgrund der starken emotionalen Involviertheit der Klientin spielen in allen drei Coachingsitzungen Taschentücher eine wichtige Rolle. Ihr Vorhandensein und Einsatz zeigen auf, wie Coach und Klientin das Coaching verstehen: als Ort, an dem die Klientin emotional loslassen kann und nicht stark sein muss. Die Beteiligten etablieren und eröffnen damit explizit einen Raum für eine Bearbeitung der Themen der Klientin auf der emotionalen Ebene. Die Klientin formuliert das in der ersten Sitzung so: „ ich h ich hab hier das vertrauen das is wie_n kosmos “ (Sitzung 1, Zeile 356). Ausschnitt (1) entstammt den ersten Minuten der ersten Sitzung. Nach einem ersten Vorstoß der Coach ist die Klientin schon kurz vorm Weinen. Ausschnitt (1) Sitzung 1, Zeilen 46-47 C: hast du ein tempo oder soll ich dir K: ich hab noch n mich vorsichtshalber ausgerüstet weil ich ja (0.75) weil mir klar war dass ((lacht)) dass das ko m mt ((steht auf und holt sich Tasche und setzt sich wieder, sucht Taschentuch in Tasche)) Das Beispiel zeigt nicht nur, dass die Verwendung von Taschentüchern für die Coach völlig normal ist, sondern es zeigt auch die Vorannahme der Klientin, dass das Coaching ein sicherer Ort ist, an dem Weinen sowohl zulässig als auch wahrscheinlich ist. Es ist somit die Klientin, die Coaching als Ort des emotionalen Loslassens etabliert, während die Coach ihr im Miteinander die Freiheit dazu gibt und damit signifikant dazu beiträgt, den Coachingrahmen in diesem Sinne zu etablieren. Ein Intervenieren bzw. ein Bearbeiten des Anliegens auf der intra-personalen Ebene wird so möglich. b) Zeitliche Rahmung des Coachings: Aushandeln der Zahl der Coachingsitzungen Die Zahl der Sitzungen kann Aufschluss geben über die mögliche emotionale Tiefe des Coachings sowie über die Komplexität des Anliegens und/ oder der Herausforderungen, die die Bearbeitung des Anliegens mit sich bringt. Die Anzahl der angedachten Coachingsitzungen zu diskutieren trägt damit zum Definieren der Situation bei, da es die Einschätzungen der Betroffenen spiegelt, wie herausfordernd sich die erfolgreiche Bearbeitung des Anliegens gestalten wird. Im Führungskräfte-Coaching wird die Länge des Coachings meist im Vorfeld zwischen Coach und Human Resources-Abteilung des Unternehmens ausgehandelt. Kommt es demgegenüber zu Änderungen, so zeigt dies in der Regel, Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching dass die zu bearbeitenden Anliegen vielfältiger und komplexer sind als (von der zahlenden Organisation) angenommen. Am Ende der ersten Sitzung stellt die Coach bei der Absprache des Termins für die nächste Sitzung eine Verlängerung des Coachings auf drei Sitzungen zur Diskussion. Der folgende Ausschnitt zeigt, wie sich die Coach dabei allgemein auf Erfahrungswerte bezieht und, mit Rücksicht auf ihre ebenso ehrgeizige wie höchst sensible und verletzliche Klientin, nicht etwa anmerkt, dass es sich um einen besonders schwierigen Fall handelt, dessen Bearbeitung besonders lange braucht. Ausschnitt (2) Sitzung 1, Zeilen 1225-1230 C: und ähm (0.5) ja wir sehen uns in zwei wochen da haben wir einen (0.5) nächsten Termin K: einunddreißigsten ist das glaub ich C: oder einunddreißigsten genau genau (1.0) ja und (0.75) so so meine einschätzung is (0.25) ich würde gerne mit dir da nochmal im april nach einem termin schauen (0.5) leider is bei mir der april (0.25)ziemlich rammelvoll aber ich glaub es wär gut nach dem nächsten mal(0.75) nicht in allzu weiter ferne nochmal auf jeden fall_n dritten zu haben Die Klientin schließt sich dem Vorschlag der Coach an und macht sich eine Notiz eines weiteren Termins, was als Zeichen der Ratifikation gewertet werden kann. Das Coaching zu verlängern ist offenbar auch in ihrem Interesse und ‚Aushandeln der Zahl der Coachingsitzungen‘ wird so im Sinne einer Vorbereitung auf das Bearbeiten des Anliegens auf der intra-personalen Ebene erfolgreich prozessiert. 4.1.2 ‚Gestalten der Beziehung‘ a) Etablieren der Rollen und Identitäten ‚Coach‘ und ‚Klientin‘ Um im Umgang mit Führungspersönlichkeiten, die hohe professionelle Ansprüche an sich und ihr Gegenüber stellen, eine working alliance aufzubauen, ist das Aushandeln von Sachkenntnis von großer Bedeutung. Idealiter soll dies in einem Dialog ‚auf Augenhöhe‘ geschehen (vgl. Jautz 2017). Die diskursive Aushandlung in der Coachingsitzung erlaubt Einblicke in die Qualität der Beziehung zwischen Coach und Klient*in. Im vorliegenden Fall lernt die Klientin innerhalb kürzester Zeit, der Coach zu vertrauen, ihren Gefühlen freien Lauf zu lassen und ihr Anliegen auch auf der persönlichen Ebene bearbeiten zu können. Dies hat, laut Klientin selbst, damit zu tun, dass sie bereits an einem Training zu Emotionaler Intelligenz teilgenom- 218 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz men hat und die Trainerin, die sie mochte und der sie vertraute, ihr Coaching und auch speziell die Coach empfohlen hatte. Das folgende Beispiel (3) zeigt den Anfang der Arbeit am Anliegen der Klientin zu Beginn der zweiten Sitzung. Als Einstieg in die eigentliche Coaching-Arbeit haben die beiden entschieden, gemeinsam ‚Achtsamkeit‘, ein zentraler Bestandteil des Coachingansatzes, zu praktizieren. Ausschnitt (3) Sitzung 2, Zeilen 98-102 C: ja dann (1.0) für dich is es auch gut du bist ja jetzt (0.25) die auch erfahrene achtsamkeitspraktizierende (würd ich ma sagen) ohne worte sondern wirklich dass du dein weg findest umzuschalten wann immer du so weit bist ((Entscheidung-freistellende Handbewegung)) fünf minuten K: und du ziehst mich dann langsam wieder raus das schaff ich nicht ((unverständlich)) ((lacht)) C: soll ich dir nach fünf minuten bescheid sagen Die Coach schreibt der Klientin explizit Erfahrung und Sachkenntnisse in diesem Bereich zu und würdigt zugleich, dass die Klientin Achtsamkeit praktiziert. Einerseits gestaltet sie damit eine nicht-hierarchische Beziehung zwischen zwei Fachfrauen im Bereich Achtsamkeit. Andererseits betont sie aber implizit sehr wohl das Asymmetrische ihrer Beziehung, indem sie die Expertise der Klientin würdigt und ihr auch die Länge der Übung vorschlägt. Die Klientin akzeptiert die ihr zugeschriebene Expertise und nimmt den Vorschlag für die zeitliche Gestaltung der Achtsamkeitsübung an. Dadurch konstruiert sie sich als Laiin, die Anleitung benötigt und etabliert so wieder einen hierarchischen Unterschied. Ihr Lachen unterstreicht dabei ihre Unsicherheit. Dass sie ihre Unsicherheit zeigen und die Verantwortung an die Coach abgeben kann, zeigt aber auch, dass und wie sehr sie ihr vertraut. Eine solche vertrauensvolle Beziehung ist die Voraussetzung für eine erfolgreiche Ko-Konstruktion von Veränderung in der emotional herausfordernden Bearbeitung des Anliegens der Klientin (vgl. Buchholz i.d.B.). b) Aushandeln der Hierarchie innerhalb einer asymmetrischen Beziehung: Gefühlsarbeit im wörtlichen Sinne durch eine spontane Geste der Empathie Neben dem (beruflichen) Coachinganliegen besprechen Coach und Klientin in allen drei Sitzungen auch ein großes privates Thema der Klientin: Sie hat keinen Partner und spürt eine große Sehnsucht nach Sicherheit und danach, umsorgt zu werden. Auch wenn es sich hierbei um einen im Kontext eines beruflichen Führungskräfte-Coachings weniger akzeptierten Diskurs handelt und das Anliegen nicht i.e.S. ‚coachbar‘ ist, so ist es doch höchst relevant in Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 219 der Coachingbeziehung und der gemeinsamen Arbeit. Einerseits steht es in Zusammenhang mit dem beruflichen Anliegen, dass sich die Klientin alleine (gelassen) fühlt und niemanden hat, an den sie sich wenden kann; andererseits hat sie das Thema gleich zu Beginn des Coachings benannt, womit es thematisch und in der Interaktion relevant gesetzt wurde. Die diskursive und interaktive Behandlung dieses höchst emotionalen Themas spielt in der Beziehung der beiden Frauen somit eine zentrale Rolle. Zur Bearbeitung bleibt der Coach nur die Möglichkeit, der Klientin ihr Verständnis und ihre Empathie für dieses private Bedürfnis und Anliegen zu vermitteln und damit ihrer beider emotionale Bindung zu festigen. Es scheint eine nötige Voraussetzung für die (Zusammen-) Arbeit am professionellen Anliegen und dafür, hierbei eine Veränderung zu ermöglichen, die Klientin in ihren privaten Bedürfnissen zu akzeptieren und zu bestärken und damit (indirekt) an ihrem privaten Anliegen zu arbeiten. Im Rahmen ihrer begrenzten interaktiven Möglichkeiten drückt die Coach in allen drei Sitzungen immer wieder ihr Verständnis und ihre Empathie aus. Das folgende Beispiel, Ausschnitt (4), stammt aus der dritten und letzten Sitzung. Gegen Ende des Coachingprozesses sind sowohl die Bearbeitung des Anliegens der Klientin (also das Ko-Konstruieren von Veränderung) als auch die Qualität ihrer Beziehung intensiver als zu Beginn. Ausschnitt (4) Sitzung 3, Zeilen 743-744 K: aber ich kann das nich ändern ((lächelt)) C: ((greift zur Hand der Klientin, hält sie kurz)) ((lächelt)) Als die Klientin erneut auf ihre Sehnsucht nach einem Partner zu sprechen kommt, verleiht sie auch ihrer Überzeugung Ausdruck, dass sie ihre private Situation nicht ändern kann. Die Coach reagiert auf die Hoffnungslosigkeit ihrer Klientin, indem sie spontan ihre Hand ergreift und kurz festhält. Diese spontane Geste der Empathie drückt nicht nur Solidarität aus, sondern ermöglicht auch eine Begegnung auf einer persönlichen Ebene jenseits des verbal strukturierten und institutionell etablierten Coachingrahmens. Dieser ist damit für eine kurze Zeit ausgesetzt. Durch ihr Verhalten betont die Coach eine sehr persönliche Dimension der beruflichen Beziehung und ermöglicht eine (nicht-hierarchische) Begegnung von Frau zu Frau. Die nonverbale Reaktion der Klientin, ihr Lächeln, zeigt, dass sie sich darauf einlässt. Die nonverbale Geste der Coach jenseits des institutionellen Coachingrahmens soll der Klientin das Gefühl vermitteln, sicher und umsorgt zu sein. Dies wiederum unterstützt die Bearbeitung des Anliegens und damit das Ko-Konstruieren von Veränderung in der verbleibenden Zeit der Coachingsitzung. 220 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz 4.1.3 ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ a) Diagnostizieren: Sondieren und Definieren des Anliegens/ Ziels Anliegen sowie Ziel der Klient*innen sind im Coaching zentrale Elemente des Veränderungsprozesses. Coach und Klientin widmen sich deshalb zu Beginn der Aktivität ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ der kommunikativen Aufgabe des Diagnostizierens, um ihr Anliegen und Ziel herauszuarbeiten. Mit Blick auf den organisationalen Kontext und die Ergebnisorientierung von Coaching hat das prospektive Definieren des Ziels oder der angestrebten Lösung Vorrang gegenüber einer retrospektiven Definition des Problems. Das folgende Beispiel zeigt einen solchen prospektiven Akt des Diagnostizierens, den die Coach initiiert, nachdem die Klientin erstmals ihr Problem benannt hat. Ausschnitt (5) Sitzung 1, Zeilen 156-159 C: ja also nehmen wir mal an du würdest dich (0.75) würdest sozusagen (0.25) merken da hat sich was verändert durch durch dieses coaching durch diese zeit und einfach auch durch die weiterentwicklung woran würdest du merken jetz is was anders (6.0) K: das was mir jetz inn kopf kommt is innere gelassenheit Die Coach beschwört ein hypothetisches Szenario herauf (Peräkylä 1995), in dem sich die Klientin vorstellen soll, dass Veränderungen bereits stattgefunden haben. Ein solches Vorgehen verschiebt den Fokus der Klientin weg von der Problempräsentation hin zum Ziel des Coachings. Die Pause von 6 Sekunden kann dahingehend interpretiert werden, dass die Klientin ihr Ziel für das Coaching noch nicht abschließend reflektiert hat. Sie bietet eine spontane Zieldefinition an, in der sie ihren zunächst wenig präzisen Wunsch nach Veränderung als „innere Gelassenheit“ präzisiert. Innere Gelassenheit lässt sich - auch in ihrem beruflichen Kontext - leicht beobachten und wird in den folgenden Coachingsitzungen immer wieder thematisiert, bewertet und weiter bearbeitet. Das Anliegen der Klientin wird damit ‚coachbar‘ und lässt sich auf ihre Arbeit als Beraterin übertragen. b) Intervenieren: Bearbeiten des Coachinganliegens auf der intra-personalen Ebene Das Anliegen auf der intra-personalen Ebene zu bearbeiten, ist ein wesentlicher Bestandteil des Emotional-Intelligenten Coachings und bildet als solches die wichtigste Intervention im zugrundeliegenden Datenkorpus. Große Teile des Coachings sind einem inneren Dialog gewidmet, der Klient*innen Gelegenheiten bietet, auf einer intra-personalen Ebene besseren Zugang zu ihren Persönlichkeitsanteilen zu finden und so besser Einfluss auf ihr Anliegen nehmen Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 221 zu können. Mit Hilfe solcher inneren Dialoge oder durch inneres Beobachten erkunden, hinterfragen oder integrieren die Klient*innen Teile ihrer Persönlichkeit. Dies ermöglicht es ihnen, auch im Außen, also in ihrem beruflichen Kontext, besser mit ihren Gefühlen umgehen zu lernen. Ausschnitt (6) stammt aus der dritten Coachingsitzung und zeigt, wie die Coach die Klientin aus einer intensiven Gefühlslage befreit, indem sie sie durch eine innere Betrachtung leitet. Ausschnitt (6) Sitzung 3, Zeilen 675-677 K: ((weint)) ich kann nicht über dieses letzte projekt reden ohne ((schnäuzt sich)) C: da taucht es auf (ja genau) vielleicht nimmst dir_n moment zeit was sich das meldet (0.5) jetz grade isses da spür mal hin (1.0) einfach mal so neugierig (2.5) genau K: ((lehnt sich zurück)) Dieses Navigieren erlaubt es der Klientin, sich von ihren intensiven Gefühlen zu distanzieren, indem sie sie wie etwas Drittes betrachtet, über das sie nachdenkt - und ihnen damit nicht mehr in dem Maße ausgesetzt ist. Ein solches Eintauchen in die Gefühlswelt erfordert Reflexion und Zeit. Diese Intervention ist eine Art dramatische Zeitlupe, die es der Klientin ermöglicht, die normale Ort-Zeit-Dimension zu verlassen und gleichsam zur Seite zu treten. Die Klientin entspannt sich angesichts dieser Verlangsamung, für die das Coaching Zeit und Raum bietet. Ihre Sorge wird weniger, was sich auf einer körperlichen Ebene in ihrem Zurücklehnen zeigt. In dieser entspannteren Haltung kann die Klientin ihre Erfahrungen wahrnehmen und mit ihnen in Kontakt treten, sich ihrer emotionalen Trigger bewusst werden, diese verstehen und schließlich lernen, angemessen mit ihren Gefühlen umzugehen. Dadurch kommt die Klientin der gewünschten Veränderung näher: mehr innere Gelassenheit in ihrem beruflichen Alltag als Beraterin sowie eine Akzeptanz und Integration ihrer weicheren, feminineren Persönlichkeitsanteile als Teile ihrer Identität. 4.1.4 ‚Evaluieren des Coachings‘ a) Evaluieren der Veränderung bzgl. des/ der Anliegen/ s der Klient*in: Die Klientin thematisiert Veränderungen auf der intra-personalen, emotionalen Ebene Durch Evaluierungen im Coaching werden erfolgreiche Ko-Konstruktionen von Veränderung interaktiv zum Thema gemacht. Evaluationen finden gewöhnlich gegen Ende von Coachingeinheiten statt, insbesondere am Ende einer Sitzung und des gesamten Prozesses. 222 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz Das folgende Beispiel zeigt einige der letzten Minuten der ersten Sitzung, als Coach und Klientin dabei sind, den Coachingrahmen für diese Sitzung zu schließen. Mit Blick darauf, dass die Sitzung für die Klientin hochemotional und aufwühlend war, ist es wichtig, einen expliziten Übergang vom Coachingrahmen zur Welt außerhalb des Coachings und damit zur Arbeitswelt der Klientin zu schaffen. Die Klientin schafft Abstand zu den starken Gefühlen, die sie durchlebt hat, indem sie eine kurze Zusammenfassung anbietet, in der sie ihre Erfahrungen zu Beginn der Sitzung denen am Ende gegenüberstellt. Ausschnitt (7) Sitzung 1, Zeilen 1121-1123 K: das was am anfang so als (2.0) als druck (0.25) da war als das masse die da unten drunter is die sich in diesem druck äußert die ich noch nich so beschreiben konnte (1.5) is etwas klarer Durch den Vergleich bewertet die Klientin implizit die zum Ende kommende Coachingsitzung als Erfolg. Sie thematisiert erste Veränderungen im Sinne von Zugewinn an Klarheit. Gleichzeitig gibt sie damit auch eine positive Bewertung des begonnenen Coachings ab - der Methoden, des Prozederes sowie der Qualität der Beziehung zwischen ihr und der Coach. Eine positive Bewertung am Ende der ersten Sitzung ist einerseits verbunden mit einem Rückblick auf die gemeinsame Arbeit, andererseits mit einem Ausblick auf die weitere Arbeit in den folgenden Sitzungen, die an das gute Ende der ersten Sitzung anschließt. Coach und Klientin können ihre Arbeit auf der Basis ihrer gut funktionierenden Arbeitsbeziehung fortsetzen. Die Bewertung impliziert somit auch einen wichtigen Beziehungsaspekt, der für den Fortgang des Coachingprozesses relevant ist. Darüber hinaus werden indirekt Methoden und Vorgehen von Emotional-Intelligentem Coaching als angemessen bewertet für das Anliegen der Klientin und dessen Bearbeitung. b) Evaluieren der Veränderung bzgl. des/ der Anliegen/ s der Klient*in: Die Coach bietet eine Rückmeldung zur intra-personalen Entwicklung der Klientin an An einigen Punkten des Coachingprozesses gibt die Coach explizit Feedback, wie sie persönlich die Klientin erlebt. Solche Rückmeldungen sind auf zweierlei Weise mit dem Coachinganliegen und der Ko-Konstruktion von Veränderung verknüpft: Einerseits möchten Klient*innen häufig ihr professionelles Auftreten verbessern, wozu der/ die Coach im lokalen Hier-und-Jetzt des Coachings als Sparringspartner*in genutzt werden kann, andererseits führen solche (Zwischen-)Evaluationen den Klient*innen den Prozess und Schritte der Verände- Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 223 rung vor Augen. Evaluierungen sind meist metadiskursiv als subjektive Eindrücke gerahmt, wie man auch in Ausschnitt (8) sehen kann. Ausschnitt (8) Sitzung 2, Zeilen 375-380 C: also was mir jedenfalls auffällt ja is dass äh zwei sachen nh zwei sachen ((unverständlich, 1.0s)) so so rückmelden das eine is dass in dem moment wo du (0.5) so wie jetzt auch (dann) wirklich vom pferd ( 0.25) steigst nh ähm ohne zu wissen was dann noch genau jetz is dass irgendwas sehr weich aussieht K: ((lächelt)) C: also du hast wie_n anderes (0.75) etwas anderes Gesicht (0.75) das ((unverständlich)) n bisschen jünger weicher mädchenhafter Die Coach bietet ihre Rückmeldung in einem Moment an, der für die Klientin emotional sehr sensibel ist, da sie sich auf unsicheres Terrain der intra-personalen Ebene begibt. Die Coach interpretiert die beobachtete Veränderung positiv, was die Klientin mit einem Lächeln ratifiziert. Durch die positive Bewertung der Coach wird es für die Klientin leichter, sich weiter auf emotional unbekanntes Terrain vorzuwagen und dadurch ein tieferes Verständnis ihrer Gefühle auf einer intra-personalen Ebene zu erlangen. Das wiederum ist eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Bearbeitung des Coachinganliegens insgesamt - und damit eine Voraussetzung für die Ko-Konstruktion von Veränderung. Die Bewertung der Coach stellt somit eine Intervention dar, die der weiteren Bearbeitung des Anliegens der Klientin dient. Die Coach spricht dabei die weichere, mädchenhaftere Seite der Klientin an und bewertet diese positiv. Diese Seite der Klientin ist mit ihrer Sehnsucht nach einer Liebesbeziehung verbunden, in der sie sich sicher und aufgehoben fühlt und ihre schwächeren und feminineren Seiten ausleben kann. Das Ziel (im Sinne der angestrebten Veränderung), einen bewussteren Umgang mit ihrer Emotionalität zu entwickeln, wird somit sowohl hinsichtlich des offiziell als Anlass für das Coaching gewählten beruflichen Kontextes als auch des weiterreichenden, privaten Kontextes der Klientin, erreicht. 4.2 Die intra-aktivitätsspezifische Dimension der Basisaktivität ‚Ko- Konstruieren von Veränderung‘ Im zweiten Teil der Analysen fokussieren wir die interaktiven und thematischen Interdependenzen der Basisaktivität ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ bzw. ihrer kommunikativen Aufgaben ‚Diagnostizieren‘, ‚Intervenieren‘ und ‚Transfer sichern‘ entlang der drei Sitzungen im Sinne von Bercelli, Rossano und Viaros 224 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz (2013) Perspektive auf s upra-session courses of action. 2 Bereits bei der Diskussion der inter-aktivitätsspezifischen Dimension der Basisaktivitäten (Punkt 4.1.) wurden mit den Ausschnitten (5) und (6) Beispiele von ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ (konkret von den kommunikativen Aufgaben ,Diagnostizieren‘ und ‚Intervenieren‘) diskutiert, allerdings bezüglich ihrer interaktiven und thematischen Interdependenz mit den anderen kommunikativen Basisaktivitäten. Für die Darstellung der intra-aktivitätsspezifischen Dimension wählen wir kondensierte Bespiele mit Verweis auf das zeitliche Fortschreiten innerhalb der Sitzungen und von Sitzung zu Sitzung, wobei wir teilweise aus Platzgründen nur Ausschnitte zitieren und mitunter kurze Rückmeldungen der Gesprächspartnerin (z. B. hm ) auslassen. 4.2.1 ‚Diagnostizieren‘ Zu Beginn der ersten Sitzung geht es für Coach und Klientin darum, das Anliegen zu benennen und daraus das Ziel des Coachings zu formulieren. Dazu lädt die Coach die Klientin mit den Worten „ ja und jetzt (3.0) zu zu dir zu dem was dich (0.5) (sagen wir) hier her bewegt “ (Sitzung 1, Zeilen 15-16) ein. Diese open-topic elicitation (Peräkylä 1995) prädefiniert nicht vorab die thematische Ausrichtung des Anliegens, sondern eröffnet einen Raum für die Klientin, die für sie relevanten Themen zu benennen. Ausschnitt (9) zeigt, wie die Klientin nach einer ersten Klärung gemeinsam mit der Coach ihr Anliegen in eigenen Worten zusammenfasst. Dies geschieht bereits nach ca. 10 Minuten und damit im Vergleich zu anderen Coachingprozessen relativ schnell (Graf 2015, 2019), was womöglich u. a. darin begründet liegt, dass die Klientin mit dem Ansatz der Emotionalen Intelligenz bereits vertraut ist und durch ihre Vorarbeit im Training einen schnellen Zugang zu ihrem Thema findet. 2 Allerdings fokussieren die Autoren mit ihren Analysen von enquiry sequences und elicitation sequences die Ebene der diskursiven Praktiken, während wir die Ebene der kommunikativen Aufgaben und deren thematische Bestandteile fokussieren. Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 225 Ausschnitt (9) Sitzung 1, Zeilen 103-110 K: unnd ich zwei zwei sachen die für mich jetzt wichtig sind das eine (0.75) ist mir einee etwas dickeree haut zuzulegen oder irg irgendetwas irgendeinen mechanismus zu entwickln dass ich (0.75) dass ich dinge nicht so nah an mich ranlasse […] das andere ist einen mechanismus zu entwickeln dass ich (0.5) nicht jedes mal wenn jemand h° verständnisvoll (0.75) mich danach fragt ich merke dass mir das wasser nach oben steigt Bereits hier deutet sich an, dass Berufliches und Privates im Coachinganliegen der Klientin vermischt sind und dass viel auf der emotionalen Ebene gearbeitet werden wird: Berufliche Niederlagen ebenso wie ein Entgegenbringen von Verständnis setzen der Klientin auf einer persönlichen, emotionalen Ebene zu. Etwas später in der Sitzung benennt die Klientin dann konkret, dass hinter dem beruflichen das private Anliegen steckt, nämlich einen Partner zu finden und sich weniger alleine zu fühlen. In Ausschnitt (10) wird des Weiteren deutlich, dass das berufliche Anliegen nicht ohne das private zu lösen bzw. zu bearbeiten ist, da ihrer Ansicht nach Verständnis für ihre Arbeit vonnöten ist und ein rein privater Rückhalt, wie ihn ihr ihre Familie gibt, dafür nicht ausreicht. Ausschnitt (10) Sitzung 1, Zeilen 284-289 K: ((weinend nachdem sie gemeinsam mit der Coach eine Achtsamkeitsübung praktiziert hat)) eine sache dir mir (2.5) die mich die mir viel zu schaffen macht dass ich ganz alleine das (0.25) ganze trage h° ich hab keinen (0.75) freund keinen mann an meiner seite den ich wo ich einfach mal augen zumachen kann und (2.5) und dann wieder stark sein (2.0) meine eltern geben mir sehr viel rückhalt ich hab_n (0.5) sehr guten draht zu meinen eltern (so viel) auch zu meiner schwester h° aber die (0.25) verstehen den job nicht (1.5) C: du bist alleine Die Coach bringt mit „ du bist alleine “ das private Problem der Klientin auf den Punkt, das sich auf ihre berufliche Situation auswirkt. An dieser Stelle zeigt aber auch die Klientin bereits auf, was ihr helfen würde, wo also das Coaching ansetzen kann: Sie benennt Schwach-Sein-Dürfen als Voraussetzung dafür, (im Beruf) wieder stark sein zu können. Nach einer ersten Einladung der Coach an die Klientin, den Grund ihres Kommens zu benennen und einer allgemeinen Benennung des Anliegens bzw. Ziels (vgl. Ausschnitt (9)) ist das ‚Problem‘ der Klientin bzw. ihr Anliegen mit den unterschiedlichen Facetten (beruflich und privat) nun für und durch Klientin und Coach klar benannt und damit bearbeitbar. 226 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz Dass es mit einer Diagnose ganz zu Beginn nicht getan ist und das Anliegen vielmehr immer wieder bzw. immer genauer diagnostiziert werden muss, zeigt ein Beispiel aus der zweiten Sitzung. Ausschnitt (11) Sitzung 2, Zeilen 218-222 C: ((nach einer gemeinsamen Achtsamkeitsübung)) jetzt grade bist du sehr in kontakt eher auch so mit dem was so schmerzhaft is dem alleinsein auch ja (0.75) ja K: ((weinend)) ja ich glaube deer der wichtigste punkt für mich is halt (1.0) naja auf der einen seite (1.8) lernen (1.5) etwas (0.75) (geraum) zu entwickeln dickere haut zu entwickeln ich bin bin dran In Ausschnitt (11) verknüpft die Klientin das vorab als Problem etablierte und hier noch einmal von der Coach benannte „ alleinsein “ mit ihrem ebenfalls vorab benannten Ziel für das Coaching, nämlich dass es ihr helfen soll, sich eine „ dickere haut “ zuzulegen. Die wörtlichen Wiederaufnahmen verweisen hier auf das interaktional bereits als Anliegen bzw. Ziel Ausgehandelte und ermöglichen den Gesprächspartnerinnen, auf der Grundlage dieses geteilten und nun auch inhaltlich verknüpften Wissens weiterzuarbeiten. Der weitere Verlauf des Coachings zeigt, dass auch bereits Etabliertes mitunter wiederholt wird/ werden muss, um das Coachinganliegen weiter bearbeiten zu können. Ausschnitt (12) vom Ende der zweiten Sitzung schließt inhaltlich an Ausschnitt (10) aus der ersten Sitzung an. Ausschnitt (12) Sitzung 2, Zeilen 1003-1006 K: (0.5) weil ich mir einfach denk dass das jemand ist der sich (3.5) dem mein wohl (ja) ((unverständlich, 2.0s)) (am) herz liegt (13.0) h° irgendwie fühl ich mich doch sehr alleine ((weint)) C: (0.25) ja (1.0) ja (0.5) ich glaub (Vorname) das is wirklich so_n (1.0) das is einfach_n klarer punkt mit dem alleinesein ja (2.0) ja (1.5) ja Die Klientin hat beschrieben, dass das Feedback eines Kollegen zu ihren Stärken und Schwächen für sie hilfreich und gut anzunehmen war, weil sie das Gefühl hatte, dass ihm ihr „ wohl […] (am) herz liegt “. Sie hatte mit diesem Kollegen kurzzeitig eine Beziehung, die sie aufgrund der räumlichen Distanz zwischen ihnen beendet hat. Mit Blick darauf diagnostiziert sie selbst noch einmal, was die Coach in Ausschnitt (10) noch für sie auf den Punkt gebracht hatte: „ irgendwie fühl ich mich doch sehr alleine “. In ihrer Erwiderung ratifiziert die Coach die Diagnose, indem sie den Punkt verstärkend wiederholt: „ das is einfach_n klarer punkt mit dem alleinesein “ und die Klientin dabei auch namentlich an- Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 227 spricht. Das private Anliegen wird auf diese Art mit seinen Auswirkungen auf das berufliche Anliegen erneut wertgeschätzt. 4.2.2 ‚Intervenieren‘ Der Coachingansatz fußt darauf, dass Veränderung in den Klient*innen auf deren Refokussierung von der externen, faktischen Ebene hin zur internen, emotionalen Ebene beruht, was Klient*innen ermöglicht, ihr Innerstes und ihre Emotionen (im Ansatz re-interpretiert als Persönlichkeitsanteile) besser zu verstehen. Durch ein In-Beziehung-Setzen der beiden Ebenen können sie dann im Weiteren auch im beruflichen Außen besser, d. h. erfolgreicher, als Führungskraft auftreten. Im vorliegenden Prozess findet die Interventionsarbeit praktisch ausschließlich über das Üben von Achtsamkeit (als einzige nicht-verbale, allerdings verbal gerahmte, Intervention im Kontext von Emotional-Intelligentem Coaching) und über das Bearbeiten des Anliegens bzw. der Anliegen auf eben dieser intra-personalen Ebene statt. Der gesamte Prozess ist stark von feelings talk geprägt (Pawelczyk 2011; Pawelczyk und Graf 2011; Graf und Pawelczyk 2014), wobei Gefühle bzw. Persönlichkeitsanteile benannt, besprochen und in situ erlebt werden. Da die Klientin mit ihren Gefühlen und Persönlichkeitsanteilen teilweise bereits vorab in einem Training bewusst in Kontakt kam, muss nicht zunächst eine Refokussierung auf diese Ebene stattfinden; stattdessen können Coach und Klientin die teilweise kommunikativ schon etablierten Gefühle und Persönlichkeitsanteile weiter explorieren. Ausschnitt (13) stammt aus der Mitte der ersten Sitzung und zeigt, wie die Coach mit professioneller Verantwortung das private Anliegen der Klientin aufnimmt, aber gleichzeitig eine Refokussierung auf das berufliche Anliegen vornimmt, das (der eigentliche und offizielle) Gegenstand des Coachings ist. Ausschnitt (13) Sitzung 1, Zeilen 613-618 C: das eine is natürlich wenn ich das jetz so anspreche noch mal mit demm (0.75) alleine dich fühlen frag ich mich natürlich (0.5) auch nh das eine is ja is jetz grad so eine lebenssituation (0.5) aber ich frag mich auch inwieweit spielt das ne rolle bei dem was du auch erlebt hast (2.0) also wieweit (0.5) war das auch n nh ne facette davon dass du daa (0.75) allein dich gefühlt hast K: wenn du sagst erlebt hast meinst du insgesamt oder (0.25) in dem projekt C: jaa in diesem in dieser in diesem projekt Im Verlauf der ersten Sitzung ist bereits deutlich geworden, dass die Klientin Alleinsein primär mit ihrem privaten Erleben assoziiert. Sie fragt deshalb nach, 228 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz ob es der Coach um diese Ebene geht („ insgesamt “) und ob sie somit auf dieser Ebene weiterarbeiten kann oder ob es um die berufliche Ebene („ in dem projekt “) geht. Die Coach bestätigt Letzteres und fokussiert damit das, was im Rahmen des Coachings bearbeitet werden kann. Aufgrund der Verknüpfung von Beruflichem und Privatem ist das Alleinsein immer wieder Thema in den verschiedenen Coachingsitzungen und die Coach geht im Rahmen der Arbeit mit den verschiedenen Persönlichkeitsanteilen der Klientin darauf ein. Ein Beispiel für eine entsprechende Intervention findet sich in Ausschnitt (14), der am Ende der zweiten Sitzung zu finden ist und an die in Ausschnitt (12) diskutierte Diagnose anschließt. Ausschnitt (14) Sitzung 2, Zeilen 1009-1018 C: und was sein kann auch also es das is das wär vielleicht ne möglichkeit is dass du die (0.5) kleiner auch die sich so alleine fühlt wie (0.75) auf deinen schoß setzt oder dass du (1.0) du mal zu der_n kontakt (0.25) herstellst (3.0) das ((unverständlich)) auch ein teil von dir der sich so sehr alleine fühlt (6.0) ((unverständlich, 2.0s)) gib ihm noch etwas zeit K: ((weint)) (36.0) ja ich weiß dass der da ist und ((lacht kurz)) spürbar ich persönlich (0.5) kann ihn auch akzeptieren (3.5) und trotzdem ist da natürlich immer wieder die h° die einzelkämpferin die sagt ja (3.0) es tut mir leid aber wir müssen weiter C: (0.25) hm (0.25) hm (0.5) frag mal was würde sich denn (0.75) der andere teil wünschen von dir was bräuchte der (1.0) was was bräuchte der von dir (2.5) sobald er sich so alleine fühlt In ihrer Erwiderung zeigt die Klientin, dass sie sich ‚privat‘ des betreffenden Persönlichkeitsanteils und seiner Bedürfnisse sehr wohl bewusst ist („ ich persönlich (0.5) kann ihn auch akzeptieren “), sie dies beruflich aber derzeit nicht integrieren kann. Hierfür steht das Bild der ‚Einzelkämpferin‘, das die Klientin im Laufe der verschiedenen Sitzungen immer wieder bemüht, um ihre berufliche Position und die berufliche Seite des Alleinseins zu illustrieren. Die Coach lässt sich durch den Hinweis der Klientin, dass im Berufsalltag keine Zeit für solche Fragen ist („ es tut mir leid aber wir müssen weiter “) nicht abhalten von ihrer ursprünglichen Intervention, die Klientin dazu anzuregen, dem Persönlichkeitsanteil nachzuspüren („ gib ihm noch etwas zeit “) und hakt nach, was dieser braucht. Abschließende Antworten findet die Klientin nicht, weshalb exploriert wird. So ist das Alleinsein auch in der abschließenden Sitzung vielfach Thema und Gegenstand weiterer Interventionen. Ausschnitt (15) stammt vom Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 229 Ende der letzten Sitzung. Die Coach zeigt noch einmal, wie ernst sie das primär private Anliegen und die Rolle, die es im beruflichen Kontext spielt, nimmt. Ausschnitt (15) Sitzung 3, Zeilen 863-869 C: (6.0) also ich hab dafür (0.25) so viel verständnis ja das is ein ganz (0.5) tiefes menschliches (0.5) grundbedürfnis ja da nich (0.25) allein zu sein und da jemand zu haben und es is wirklich so es es is viel (0.5) vieles leichter (0.75) ja K: (2.8) vielleicht hab ich das auch (3.5) zu sehr verschüttet oder zu sehr versucht nich zuzugeben (0.25) weil ja alle so furchtbar stark sind und grade als frau in dem job ja auch keine schwächen zeigen und (1.3) es nicht zeigen dass wir irgendwie (0.5) auf andere angewiesen sind Die ausgedrückte Wertschätzung der Coach („ ich hab dafür (0.25) so viel verständnis “) und die Bewertung als „grundbedürfnis“ fungieren als Intervention, die die Klientin dazu bringen, noch einmal die Verknüpfung von Beruflichem und Privatem für sich selbst zu reflektieren („ vielleicht hab ich das auch (3.5) zu sehr verschüttet “). Dies ist aber auch Anlass, ein für sie allgemeineres Problem dahinter mit in Erwägung zu ziehen („ grade als frau in dem job “). 4.2.3 ‚Transfer sichern‘ Bei ‚Transfer sichern‘ geht es darum, das im Coaching Gelernte und Entwickelte vom lokalen Coaching-Rahmen ins Außerhalb des Coachings, also den beruflichen Alltag der Klient*innen zu transferieren und dort als Handlungsalternativen zu etablieren. Diese kommunikative Aufgabe bezeugt besonders gut die Performativität und Zweckorientierung von Führungskräfte-Coaching, d. h. die Notwendigkeit der schnellen Umsetzung des Erlernten in konkrete und idealerweise messbare Ergebnisse im beruflichen Alltag der Klient*innen. Ausschnitt (16), der sich am Ende der zweiten Sitzung findet, illustriert ein Beispiel für das Sichern von Transfer, das über die Coachingsitzung hinaus auf die Zeit danach weist. Im Coaching selbst kann Veränderung lediglich angestoßen werden - gefestigt werden kann sie erst durch die Umsetzung und die weitere Arbeit der Klientin danach. 230 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz Ausschnitt (16) Sitzung 2, Zeilen 1026-1034 C: was (wünscht si) sich der teil [= der, der sich alleine fühlt, EG und SJ] von dir (0.5) also was wie könntest du dem teil helfen auch die nächsten wochen (4.0) wenn der sich meldet (1.0) und (0.5) du spüren kannst was bräuchte der teil dann von dir K: (5.0) ((lacht kurz, ironisch)) (3.5) auf der einen seite ein bisschen aufmerksamkeit (5.0) auf der andern seite (2.8) ja das das geht aber trotzdem in diese richtung der kraft ruhe dann die (0.25) ruhe das heißt nicht (in ruhe gelassen (0.5) hm (1.5) bin) sondern (0.75) ruhe für erholung (2.0) eine von (n) stillen ort wo ich nicht stark sein muss (3.5) wo ich mich entspannen kann (1.5) wo ich wieder kraft tanken kann Die Coach referiert mit ihrer Frage auf den gemeinsam ratifizierten Status quo, dass Alleinsein ein Problem für die Klientin ist, wie auch auf die hier bereits geleistete Arbeit der Klientin mit ihren Persönlichkeitsanteilen, insbesondere mit Blick auf die Bedürfnisse des Teils, der sich alleine fühlt. Das erneute Aufrufen von Diagnose und Intervention dient hier als Vorbereitung für das Sichern des Transfers: „ auch die nächsten wochen “. Die Sicherung übernimmt nicht die Coach, sondern die Klientin selbst sagt, wie der Transfer für sie aussieht, damit die angestoßene Veränderung sich manifestieren und konsolidieren kann. Im vorliegenden Prozess findet sich auch ein Beispiel für Transfer im wörtlichen Sinne, als Transfer der Bearbeitung eines Anliegens/ Problems in ein anderes helfendes Format. Bei der Arbeit mit den Emotionen und Persönlichkeitsanteilen der Klientin ist immer wieder deutlich geworden, dass das eigentliche Problem, das Alleinsein der Klientin, im Rahmen eines Führungskräfte-Coachings nicht bearbeitet werden kann. In ihrer professionellen Verantwortung respektiert die Coach die (oftmals fließenden) Grenzen zwischen Coaching und Therapie und verweist auf eine Expertin, die das private Anliegen der Klientin therapeutisch begleiten könnte. Ausschnitt (17) Sitzung 3, Zeilen 52-56 C: ich kann mir vorstellen (0.75) ja dass auch eine (1.0) therapeutische vo äh therapeutische (0.75) begleitung total hilfreich sein könnte für das tiefer liegende thema also möchte ich dir mal kann sein dass du sagst die nächsten wochen (0.25) würdest du dich dafür entscheiden und ich kann die ne ganz tolle frau empfehlen in (Ort) Relativ zu Beginn der letzten Sitzung gibt die Coach dafür zunächst eine eigene subjektive Einschätzung („ ich kann mir vorstellen “) über den positiven Effekt ei- Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 231 ner Psychotherapie ab („ total hilfreich sein könnte “) und formuliert dann sehr off en und sehr allgemein ein Angebot, der Klientin eine Therapeutin empfehlen zu können, falls diese in absehbarer Zeit eine therapeutische Begleitung in Erwägung ziehen sollte. Damit zeigt sie noch einmal ihre Wertschätzung für dieses, wie sie es nennt, „ lebensthema “ (Sitzung 3, Zeile 59), und die Verknüpfung von Berufl ichem und Privatem, die sie zu diesem Transfervorschlag gebracht haben. 5. Diskussion Die hier vorgestellte Fallstudie illustriert Veränderungskommunikation im Coachingansatz Emotional-Intelligentes Coaching am Beispiel einer sehr ehrgeizigen Klientin, die kurz davor steht, Partnerin in einem Beratungsunternehmen zu werden. Ausgangspunkt für das Coaching ist, dass sie den Eindruck hat, dass sie ihre Emotionalität und ihre weicheren, sensibleren Seiten nicht mehr im Griff hat und sie dies bei ihrer Arbeit behindert. Im dem Coaching vorgelagerten Training hat sie Vertrauen zu den Methoden entwickelt, mit deren Hilfe sie Zugang zu ihren Gefühlen fi ndet. Veränderung bedeutet für sie zunächst, sich eine dickere Haut zuzulegen. Die auf die Persönlichkeit der Klientin, ihre Vorerfahrungen mit Coaching sowie ihrem Therapie-nahen Anliegen ausgerichtete Bearbeitung der vier Basis-Aktivitäten illustriert den Personen-orientierten Charakter des Coachings im Kontext der inter-aktivitätsspezifi schen Dimension der Basisaktivitäten (vgl. Abb. 2). Abb. 2: Inter-aktivitätsspezifi sche Dimension der kommunikativen Basisaktivitäten im untersuchten Coachingprozess 232 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz Eine nähere Betrachtung der kommunikativ-interaktiven Ausgestaltung der Basisaktivität ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ innerhalb und entlang der verschiedenen Sitzungen im Sinne der intra-aktivitätsspezifi schen Dimension zeigt hingegen den prozessualen Charakter von Coaching (vgl. Abb. 3). Abb. 3: Intra-aktivitätsspezifi sche Dimension der kommunikativen Basisaktivität ‚Ko- Konstruieren von Veränderung‘ im untersuchten Coachingprozess 6. Veränderungskommunikation im Coaching - Ausblick Die hier illustrierte thematische und interaktive Ausgestaltung der Basisaktivität ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ und ihrer kommunikativen Aufgaben und Komponenten sind sicherlich dem zugrunde liegenden Coachingansatz des Emotional-Intelligenten Coachings geschuldet und können so nicht 1: 1 für andere Ansätze aus dem Bereich Führungskräfte-Coaching stehen. Hingegen kann die datenbasierte Illustration, wie die inter- und intra-aktivitätsspezifi schen Dimensionen der Basisaktivität ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ entlang der Sitzungen und des gesamten Prozesses zusammenwirken, als empirische Fundierung der grundsätzlichen Personen- und Prozessorientierung des Beratungsformats Coaching interpretiert werden. Allerdings fokussiert unsere Fallstudie im Sinne einer theme-oriented discourse analysis und activity analysis die Meso-Ebene des Coaching-Gesprächs und erlaubt dabei Einsichten in die interaktiven und thematischen Verknüpfungen und Interdependenzen. In nachfolgenden Untersuchungen muss nun mittels einer konversationsbzw. gesprächsanalyti- Einblicke in die kommunikative Basisaktivität im Führungskräfte-Coaching 233 schen Herangehensweise auf die Mikro-Ebene des Coachinggesprächs gezoomt werden, um in Analogie zu Studien von Robinson (2003), Bercelli, Rossano und Viaro (2013), sowie Voutilainen und Peräkylä (in Begutachtung) einerseits die globale (thematische) Dynamik, anderseits auch den sequentiellen Verlauf der diskursiven Praktiken zu beschreiben, die die inter- und intraaktivitätsspezifische Dimension von Ko-Konstruieren von Veränderung realisieren. Mit Voutilainen, Rossano und Peräkylä (2018) ist der nächste Schritt „to discuss relations between development of a theme and sequential context over time.“ Verwendete cGAT-Transkriptionskonventionen (Minimaltranskript) Nach: Schmidt, Thomas/ Schütte, Wilfried/ Winterscheid, Jenny (2015). cGAT: Konventionen für das computergestützte Transkribieren in Anlehnung an das Gesprächsanalytische Transkriptionssystem 2 (GAT2). Abrufbar unter: https: / / ids-pub.bsz-bw.de/ frontdoor/ index/ index/ docId/ 4616 (Stand: 01.04.2019) Wörter Literarische Umschrift (keine Großbuchstaben, kein Apostroph, kein Bindestrich, keine Diakritika) Simultanpassagen [ ] Verzögerungssignale äh Rezeptionssignale hm (einsilbig positiv) hmhm (zweisilbig positiv) mh (einsilbig negativ) mhmh (zweisilbig negativ) Vor- und Nachlaufelemente ja, ne Verschleifungen zwischen Wörtern hab_s gibt_s Unverständliches +++ (einsilbiges unverständliches Wort) ++++++ (zweisilbiges unverständliches Wort) ((unverständlich)) (unverständliche Passage, wenn länger als eine Sekunde mit Zeitangabe) Vermuteter Wortlaut (glaube ich) Alternativlautungen (ja/ so) Mikropausen (unter 0,2 Sek. Dauer) (.) Gemessene Pausen (0.35) 234 Eva-Maria Graf & Sabine Jautz Einatmen °h h° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,2-0,5 Sek. Dauer) °hh hh° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,5-0,8 Sek. Dauer) °hhh hhh° (hörbares Einbzw. Ausatmen von ca. 0,8-1,0 Sek. Dauer) Nonverbale Handlungen und Ereignisse ((lacht)) ((räuspert sich)) (wenn länger als eine Sekunde mit Zeitangabe) Literatur Bercelli, Fabrizio/ Rossano, Federico/ Viaro, Maurizio (2013). Supra-Session Courses of Action in Psychotherapy. Journal of Pragmatics 57, 118-137. Berninger-Schäfer, Elke (2018). Online-Coaching. Wiesbaden: Springer. Böning, Uwe/ Strikker, Frank (2014). Ist Coaching nur Reaktion auf gesellschaftliche Entwicklungen oder auch Impulsgeber? Organisationsberatung, Supervision, Coaching, 21: 4, 483-496. de Haan, Erik/ Bertie, Colien/ Day, Andrew/ Sills, Charlotte (2010). Critical Moments of Clients and Coaches: A Direct-Comparison Study. International Coaching Psychology Review 5: 2, 109-128. Deplazes, Silvia/ Graf, Eva-Maria/ Künzli, Hansjörg (2018). Das TSPP-Modell - Ein Blue Print für die Coaching-Prozessforschung. Coaching | Theorie & Praxis. Dörnyei, Zoltan (2007). Research Methods in Applied Linguistics. Oxford: Oxford University Press. 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Keywords: case, processes and practices of case construction, social diagnosis, working relationship, interactions, latent structures of meaning 1. Ausgangspunkt und Untersuchungsvorhaben 1.1 Der Fall als Fokus professionellen Handelns Aus der strukturtheoretischen Perspektive Ulrich Oevermanns setzt professionalisierte Praxis dort ein, „wo primäre Lebenspraxen mit ihren Krisen nicht mehr alleine fertig werden können und deren Bewältigung an eine fremde Expertise delegieren müssen.“ (2009: 114) Die in die Krise geratene Lebenspraxis wird zum Fall für Hilfestellungen durch professionelle Expert*innen. In stellvertretender Weise befassen sie sich mit den lebenspraktischen Problemen von Individuen, Gruppen und Gemeinschaften (Schützeichel 2014: 46). Rechtliche, medizinische, psychosoziale, ökonomische und andere Problemlagen werden dabei in Fälle transformiert, wobei diese Professionen bzw. „helping professi- 240 Cornelia Rüegger ons“ 1 (Graf, Sator und Spranz-Focasy 2014b; Miller und Considine 2009) ihren je spezifischen Blick auf einen Fall haben (Bergmann, Dausendschön-Gay und Oberzaucher 2014; Hall, Slembrouck und Sarangi 2006). Soziale Arbeit als Profession richtet ihren fallkonstituierenden Blick als institutionell organisierte Hilfe auf soziale Probleme (Staub-Bernasconi 2007) bzw. problematische Formen der Integration und Lebensführung von Menschen (Sommerfeld, Dällenbach, Rüegger und Hollenstein 2016; Sommerfeld, Hollenstein und Calzaferri 2011), wie sie sich zum Beispiel in der Form von Armut, Suchtproblemen, Arbeitslosigkeit, Devianz zeigen. Durch ihre sozialstaatliche Anbindung geht ihr Hilfeauftrag oft mit einem Kontrollauftrag (Becker-Lenz 2005) einher. Veränderungen sollen hier also sowohl vor dem Hintergrund von Hilfe, wie auch von Kontrolle - bspw. im Kontext von Kindesschutzmassnahmen oder der Bewährungshilfe - erzielt werden. Die zielgerichtete Fallarbeit vollzieht sich - anders als z. B. in der Medizin - vor allem als professionelles Handeln in und aus der „professionellen Interaktion“ (Graf, Sator und Spranz-Focasy 2014a; Graf und Spranz-Fogasy 2017; Miller und Considine 2009) mit der Klientel und weiteren an der Problemdynamik beteiligten Personen. In Abgrenzung 2 zu den helfenden Interaktionen in der klassischen Psychotherapie, zielen die Interaktionen in der Sozialen Arbeit nicht nur auf Veränderungen beim Individuum sondern auch auf Veränderungen in den sozialen Systemen (bspw. Familie, Schule, Arbeit, Nachbarschaft, Peers), in denen das Individuum agiert und eingebunden ist und die an der Entstehung und Aufrechterhaltung der Problemdynamik beteiligt sind. Das heisst, der „Lösungsrahmen“ (Pick 2017: 463) liegt bei der Sozialen Arbeit auch ausserhalb des Beratungsgespräches und der interaktive Prozess hat die Funktion sowohl Veränderungen auf (1) der Ebene der Kognitions-Emotions-Verhaltensmuster des Individdums hervorzubringen wie auch (2) Veränderungen in den verschiedenen Handlungssystemen einer 1 Dazu Graf, Sator und Spranz-Fogasy (2014: 1): „A helping profession is defined as a professional interaction between a helping expert and a client, initiated to nurture the growth of, or address the problems of a person’s physical, psychological, intellectual or emotional constitution, including medicine, nursing, psychotherapy, psychological counseling, social work, education or coaching.“ Vor dem Hintergrund eines bio-psycho-sozialen Menschenbildes (bspw. Obrecht 2009) und dem entsprechenden Verständnis von Gesundheit und Krankheit der WHO, bietet sich m. E. eine Erweiterung dieser Definition um die soziale Dimension an. In der Bearbeitung der sozialen Dimension von Gesundheit und Krankheit liegt auch die Funktion der Klinischen Sozialen Arbeit (Rüegger 2012). 2 Diese Abgrenzungen wurden auch formuliert im gemeinsamen Referat von Rüegger und Scarvaglieri (2018). Gesprächseröffnungen in helfenden Professionen - Ein Vergleich von Erstgesprächen in der Sozialen Arbeit und in der Psychotherapie. 21. Tagung zur Gesprächsforschung Rahmenthema: Vergleichende Gesprächsforschung 21.-23. März 2018. Institut für deutsche Sprache Mannheim. Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 241 Lebensführung zur Bearbeitung der Problemdynamik anzustossen und zu begleiten (Rüegger 2012; Sommerfeld, Dällenbach, Rüegger und Hollenstein 2016). Mit Blick auf den Ausgangspunkt dieser erwünschten Veränderungsprozesse sind zunächst zwei zentrale Merkmale professionellen Handelns in der Interaktion hervorzuheben: das Fallverstehen bzw. die Falldiagnostik als Kern der professionellen Rationalität (Rüegger 2010) sowie die Notwendigkeit der Ausgestaltung einer tragfähigen Arbeitsbeziehung (Oevermann 2009: 114). Beide Aufgaben fallen bereits ab dem Erstgespräch zur kommunikativen Bearbeitung durch die Professionellen an. Gleichzeitig gehen mit diesen Gesprächen verschiedene weitere Aufgaben zur kommunikativen Bearbeitung einher. Zum Beispiel muss zunächst die Situation konstituiert werden, damit verbunden erfolgen erste soziale Fremd- und Selbstpositionierungen der Gesprächsteilnehmer*innen, die Herstellung der Interaktionsstruktur und der wechselseitigen Gesprächsbereitschaft (Hall 2003; 2014; Hall, Slembrouck und Sarangi 2006; Hitzler 2012; Hitzler und Messmer 2008; Hofer, Jallais, Morselli, Rotzetter, Grieder, Lopez und Zürcher 2011; Kallmeyer 2000; Rüegger 2017; Spranz-Fogasy 2005; Widulle 2012). Zudem unterscheiden sich diese institutionell gerahmten professionellen Gespräche von Alltagsgesprächen z. B. durch ihre Ausrichtung an institutionellen Zielen wie jener der Profession, 3 unterschiedlichen Verantwortlichkeiten im Prozess, einer Asymmetrie in den Beteiligungsvoraussetzungen u. a. m. (bspw. Candlin und Sarangi 2011; Drew und Heritage 1992; Kallmeyer 2000; Schröder 1994). Oft sehen sich Sozialarbeitende in der Interaktion, im Gegensatz zum ärztlichen oder psychotherapeutischen professionellen Handeln, auch einer unfreiwillig teilnehmenden Klientel ohne intrinsischen Leidendruck und Veränderungsmotivation gegenüber. Daraus ergeben sich zusätzliche Herausforderungen beim Aufbau der Arbeitsbeziehung wie auch für die fallverstehenden diagnostischen Prozesse im Gespräch (Becker-Lenz, Gautschi und Rüegger 2017). Diesen begegnen Sozialarbeitende im Gespräch mit unterschiedlichen Strategien und kommunikativen Praktiken, wie im Beitrag noch dargestellt wird. Empirisch zeigt sich eine enge Verschränkung der Art und Weise der diagnostisch-fallverstehenden Arbeitsweise der Fachpersonen Sozialer Arbeit mit der jeweiligen Charakteristik der Arbeitsbeziehung (Becker-Lenz, Gautschi und Rüegger 2017). Die erwähnten Zusammenhänge sowie eine gelingende Bewältigung der Herausforderungen sind nicht zuletzt von Bedeutung, da die Arbeitsbeziehung zwischen Professionellen und ihrer Klientel (für die Beratung vgl. Nestmann 2004) wie auch die Notwendigkeit, dass die Betroffenen ihre Probleme verstehen (für die Soziale Arbeit vgl. Sommerfeld, 3 Zum sogenannten mehrfachen Tripelmandat der Sozialen Arbeit vgl. Staub-Bernasconi (2007). 242 Cornelia Rüegger Hollenstein und Calzaferri 2011) als Wirkfaktoren für Hilfeprozesse und Veränderungen belegt sind. Doch die Frage, was der Fall ist, also was konkret das fallspezifische Problem der Lebensführung ausmacht, auf welches Ziel hin nun eine Veränderung wie und womit angestrebt wird, ist in ihrer Beantwortung für die Professionellen und ihre Klientel keinesfalls trivial. Ein Fall liegt nicht einfach vor, er bedarf seiner Bestimmung (Wernet 2006: 85). Fälle stehen in Bezug zu einer bestimmten Problemlage oder einer Krise, sie sind aber mit dieser nicht identisch. Basierend auf den Relevanzordnungen von Professionen sind sie das Produkt der Konstruktionsleistungen von Professionellen. Sie sind also epistemische, durch das Wissen der Professionellen konstruierte Objekte (Bergmann 2014; Schützeichel 2014: 46). Die Konstitution eines Falles ist als ein sozialer „Konstruktions- und Transformationsprozess“ (Gildemeister und Robert 1997) zu fassen, der in der Regel über Praktiken der Interaktionen entsteht, welche wiederum in einen organisationalen bzw. gesellschaftlichen Auftrag eingebettet sind (Messmer und Hitzler 2007; Rüegger 2014). Ausgehend von einer initialen Problemkonstellation werden Fälle als Einheit des Wissens durch kollektive Bearbeitung aufgebaut und in einem „institutionellen Prozess durchgearbeitet“ (Hoffmann 2014: 287 f.). Sie sind als Aggregat aus kollektivem, asymmetrisch verteiltem Wissen zu verstehen. „Es sind keine materiellen, sondern kommunikative Objekte. Die Einheit des Falles besteht im Wissen der Beteiligten, das sich in den Kommunikationen zeigt und dessen Spuren in den Akten aufzufinden sind“. (Hoffmann 2014: 288) 1.2 Zum Forschungsprojekt Vor dem Hintergrund dieser Überlegungen lag die Ausgangsthese einer laufenden qualitativ-explorativen Studie (Rüegger, 2014; 2017) darin, dass der Fall in der Sozialen Arbeit im und als Ausgangspunkt von Veränderungsprozessen zunächst im Rahmen eines bestimmten organisationalen und sozialstaatlichen Auftrages zwischen Professionellen und der Klientel interaktiv hergestellt wird und dabei das fallrelevante Wissen „in actu“ sequentiell generiert und in einem noch unbekannten Verhältnis der Wissensdomänen der Professionellen zu jenen der Klientel verschränkt wird. Das leitende professionswie auch interaktionstheoretische Erkenntnisinteresse liegt bei den Interaktionen zwischen Professionellen der Sozialen Arbeit und ihrer Klientel bei der Fallkonstitution bzw. bei den Fragen: Wie wird der Fall zum Fall in den Interaktionen im Prozess der Falldiagnose und welche Sinnstruktur wird in der Verständigung 4 darüber, 4 Unter der Verständigung zur Frage „was ist der Fall“ wird hier der Prozess der interaktiv-relationalen Herstellung von Fallwissen im Gespräch verstanden im Sinne von: was macht das fallspezifische Problem der Lebensführung aus (Falldiagnose) und was ist Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 243 was der Fall ist, zum Ausdruck gebracht? Ziel der Studie ist es, diese Prozessstrukturen der Fallkonstitution und die damit verbundenen kommunikativen Verfahren und interaktiven Praktiken sowie ihre Bedeutung in der Herstellung des Falles und von entsprechendem Fallwissen herauszuarbeiten und zu charakterisieren. Dazu wird Datenmaterial genutzt, dessen Erhebung im Rahmen der vom Schweizerischen Nationalfond finanzierten Studie zu „Diagnostik und Arbeitsbeziehungen” (bspw. Becker-Lenz, Gautschi, und Rüegger 2015; Becker-Lenz, Gautschi und Rüegger 2017) im Feld der Kinder- und Jugendhilfe erfolgte. Als Datenbasis liegen aus sieben Fällen Tonaufzeichnungen 5 von Gesprächen zwischen Professionellen und ihrer Klientel aus der Phase der Fallkonstitution sowie Protokolle der teilnehmenden Beobachtung vor. Ergänzt werden diese Daten durch Dokumente, die in der jeweiligen Praxis im Rahmen der Fallkonstitution eingesetzt oder hergestellt werden (z. B. Dokumente von zuweisenden Behörden, Akten, Abklärungsbericht) und durch Daten, in denen sich ein organisationsspezifischer Blick auf den Fall manifestiert (z. B. Konzepte, Fallbesprechungen, organisationsspezifische Anamnesebögen) wie auch durch Interviews mit den Klient*innen und den Professionellen, um die Problemsicht und Interessen aus unterschiedlichen Perspektiven und deren Begründungen in den Blick zu nehmen. Die qualitative Datenauswertung erfolgt im Kern mittels der Methode der objektiven Hermeneutik (Oevermann 1993; 2000; Oevermann, Allert, Konau und Krambeck (1979). Der Beitrag gibt zunächst einen Überblick zu den herausgearbeiteten Phasen der Fallkonstitution sowie einen Einblick in die erste Phase und damit zum Ausgangspunkt der (nicht)erwünschten Veränderungsprozesse. Der Schwerpunkt der Ergebnisdarstellung liegt dann bei der zweiten Phase, jener Phase der sozialen Produktion bzw. Modifikation des Falles in der face-to-face-Interaktion zwischen den Sozialarbeitenden und ihrer Klientel. Auf der Basis eines Falles aus einer Schulsozialarbeit beleuchtet der Beitrag insbesondere die Eröffnungssequenz eines Gespräches im Kontext der Fallkonstitution. Dieser Fokus wird gewählt, weil bereits mit der Eröffnungssequenz das jeweils Spezifische dieser „helfenden“ Kommunikation zur Problembearbeitung und Veränderung hergestellt wird und die Professionellen entsprechende Aufgaben kommunikativ bearbeiten müssen. Kontrastiert werden diese Ergebnisse durch einen Fall in Bezug darauf zu tun? Interaktive Verständigung benötigt die Herstellung eines „geteilten“ Wissens der Interaktionspartner*innen - d. h. der Herstellung eines sogenannten „common ground“ - der im Laufe einer Interaktion immer wieder aktualisiert wird (Deppermann 2015). Geteiltes Wissen bedeutet aber keineswegs, „ (…) dass die Gesprächsteilnehmenden zu identischen Interpretationen des Diskursverlaufs gelangen“ (ebd.: 11). 5 Transkriptionen in Anlehnung an GAT 2 (Minimaltranskript); alle Daten wurden anonymisiert und die Namen wurden maskiert. 244 Cornelia Rüegger aus der sozialpädagogischen Familienbegleitung. Damit zeigt sich auch, wie im kommunikativen Handeln der Sozialarbeitenden Veränderungsmotivation thematisiert, bzw. zunächst über kommunikative Praktiken (vermeintlich) erzeugt wird. 2. Ausgewählte Ergebnisse 2.1 Ausgangspunkt und „Vorlauf/ Preconstruction“ Erste allgemeine Ergebnisse aus einer Makroperspektive auf die Prozessierung des Falles verweisen auf verschiedene Phasen, Formen und Beteiligte innerhalb einer Fallkonstitution. Abb. 1: Makroperspektive - Fallkonstitution als Prozess Der Ausgangspunkt (nicht)erwünschter Veränderungen beginnt wie in Abbildung 1 dargestellt mit der „Problemanmeldung“. Empirisch zeigen sich in den untersuchten Fallkonstitutionen zuweisende Behörden, Soziale Dienste, Betroffene selber oder Personen aus ihrem Umfeld als Akteur*innen der Problemanmeldung. Bei den Fallkonstitutionen der untersuchten Schulsozialarbeit aus M-Dorf sind die Akteur*innen der Problemanmeldung vor allem die Lehrpersonen, sei es indem sie auf direkten Weg die Schulsozialarbeit kontaktieren oder innerhalb von institutionalisierten interprofessionellen Fallbesprechungen in der Schule ein Problem präsentieren und sozusagen zur Problembearbeitung Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 245 anmelden. In der Analyse 6 einer solchen interprofessionellen Fallbesprechung 7 werden folgende Muster sichtbar: Der Ablauf organisiert sich entlang einer Liste mit Namen von Schulkindern, die nacheinander Gegenstand der Besprechung werden. Der thematisierte Ausgangspunkt liegt jeweils darin, dass diese Kinder der Lehrperson und/ oder den Mitschüler*innen in der Klasse negativ auffallen. Die Schulleitungsperson oder die anwesende Lehrperson stellt das jeweilige Kind in einer orientierenden Einleitung mit dessen Name und seiner Schulstufe vor, formuliert darin kurze Beschreibungen zu wahrgenommenen Verhaltensweisen, die meist mit der Kategorie „störend“ bewertet werden, oder das Kind wird im Abstract abschliessend gar als „nicht mehr beschulbar“ porträtiert. In der anschliessenden kurzen interprofessionellen Besprechung legen die Fachpersonen verschiedene inhaltliche Foki in ihren Problembeschreibungen, denen unterschiedliche sozialtheoretische Rahmungen, objekttheoretische Bezüge sowie normative Bewertungen zu Grunde liegen. Die Lehrpersonen fokussieren meist auf die Verhaltensebene eines Kindes, manchmal sind auch schlechte schulische Leistungen und/ oder das eingeschränkte schulische Potential des Kindes thematisch und immer wieder ist die Rede von nicht kooperativen Eltern, die „massiv schwierig tun“ oder „bocken“ . Der Schulsozialarbeiter spricht in seinen meist selbst gewählten Redebeiträgen von der „sozialen Ebene“ , wobei er die von den Lehrpersonen problematisierten Verhaltensweisen der Kinder in einen systemischen Zusammenhang mit jenen der Eltern stellt, bspw.: (1) Auszug Fallbesprechung: „ich glaube da geht es wirklich um eine grundhaltung der mutter im umgang mit dem kind (…) das Kind ist in einem unglaublichen loyalitätskonflikt“ [zwischen der Mutter und der Lehrperson]. (…) eine Ebene ist die (.) in der mathematik kommt sie [die Mutter] mit dem verfahren des lernen der lehrperson nicht klar und drückt dann ihrem sohn ihr eigenes mathe-verständnis-system auf und schafft damit eine verwirrung dass andreas in zwei welten mathe bewältigen muss (..) und sie ist dann noch übergriffig in bezug darauf dass sie den andreas nicht unterstützt in seinem lernverhalten sondern alles besser weiss und das gefühl hat der lehrer ist eh ein depp (.) oder“ Weitere fallkonstituierende Foki des Schulsozialarbeiters sind in der untersuchten interprofessionellen Fallbesprechung nebst der Eltern-Kind-Interaktion kurze beschreibende Elemente zur Eltern-Kind-Beziehung, das von ihm beob- 6 Quelle: Gesprächsaufzeichnung „interprofessionelle Fallbesprechung Schule M-Dorf “ und teilnehmende Beobachtung. 7 Zusammengesetzt aus der Schulleitung, Lehrpersonen mit Leitungsfunktionen, Fachperson der Schulsozialarbeit, Leitung Sozialer Dienst und einer Fachperson aus dem schulpsychologischen Dienst. 246 Cornelia Rüegger achtete Sozialverhalten des Kindes und das (Nicht)Vorhandensein weiterer Beziehungen, z. B. zu Freunden. Der Leitungsperson der Sozialen Dienste wird nur dann das Rederecht erteilt, wenn es um Fragen der Finanzierung einer Massnahme geht oder rechtliche Aspekte im Vordergrund stehen. Die Fachperson des schulpsychologischen Dienstes erfragt jeweils vorhandene Berichte und Diagnosen und rekurriert in seinen Ausführungen auf entwicklungspsychologisches Wissen, insbesondere auf die kognitive Entwicklung bei Kindern. Auch wenn im interprofessionellen Gespräch nebst persönlichem Erfahrungswissen und alltagsweltlichen Bezügen auch immer wieder verschiedene professionsspezifische Perspektiven und entsprechende Wissensformen auf einen Fall auszumachen sind, bleiben diese wie einzelne Blitzlichter auf den Fall im Raum stehen. Das in der Kommunikation hervorgebrachte Wissen über einen Fall wird nicht, wie vielleicht von einer solchen interprofessionellen Fallbesprechungen und Prozessen der Fallkonstitution 8 zu erwarten wäre, zu einem gemeinsamen Bild im Sinne einer interprofessionellen Fallbeschreibung und Diagnose verschränkt. Im Vordergrund steht auch gar nicht das Beleuchten, Erkunden und Verstehen eines Problems bzw. der beklagten „Störung“. Vielmehr zielt das interdisziplinäre Gespräch im Kern auf eine interaktive Verständigung über geeignete Massnahmen zur Beseitigung der Störung und der Herstellung eines entsprechenden „common ground“ (Deppermann 2015: 7). Wie an diesem Beispiel deutlich wird, kann die Problemanmeldung als Ausgangspunkt (nicht)erwünschter Veränderungen wie die darauffolgende Phase des „Vorlaufs“ bzw. der Preconstruction“ noch gänzlich ohne Zutun und Wissen der späteren Klientel ablaufen. Die fallkonstituierenden Aktivitäten können bereits zur Bestimmung eines Falles von „XY” führen, die sich in der Fallakte niederschlägt. So steht bspw. in dem nachfolgend noch ausführlicher dargestellten Fall aus der Schulsozialarbeit noch vor einem Gespräch mit den Eltern im ersten Akteneintrag vermerkt: (2) Auszug Akteneintrag: Betreff Gonzales Diego (Erziehungsstil Mutter) „Mutter ist Kubanerin, Vater Schweizer. Ich werde die beiden mal zu einem Erziehungsgespräch aufbieten, um zu sehen, wie wir den vErziehungsstil etwasd [sic! ] förderlicher für die schulische Perspektiven von Diego ausgestalten können.“ Diese frühe Verortung und zugleich Reduktion der komplexen und mehrdimensionalen Probleme der Familie in der oberflächlichen Problemformulierung „Erziehungsstil Mutter“ zeigt sich über den untersuchten Fallverlauf hinweg 8 Zur interprofessionellen Kooperation als professionelle Methode und deren epistemischen Voraussetzungen vgl. Obrecht (2006). Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 247 stabil und ist interventionswirksam in der Auswahl der Methoden und Mittel (ausführlich Rüegger 2017). 9 2.2 Soziale Produktion des Falles in Gesprächen zwischen Sozialarbeitenden und Klientel In allen untersuchten Fällen zeigt sich empirisch diese Phase der Produktion bzw. Modifikation des Falles in den Erst- und Folgegesprächen zwischen Sozialarbeitenden und ihrer Klientel (siehe Abb. 1). Wie zu erwarten, 10 lassen sich in den untersuchten (Erst)Gesprächen verschiedene Handlungssegmente (Begrüssung und Gesprächseröffnung, Problemschilderung und Exploration, Ausblick auf Interventionsvorhaben, Gesprächsbeendigung) ausmachen, in denen sich der/ die Professionellen bestimmte Aufgaben zur kommunikativen Bearbeitung vorlegen und mittels bestimmter kommunikativer Praktiken bearbeiten. Doch die objektive Sinnstruktur, die sich im kommunikativen Handeln der Professionellen ausdrückt, zeigt deutliche Unterschiede. Nachfolgend wird exemplarisch und auszugsweise auf eine Gesprächsanalyse aus dem Kontext der erwähnten Schulsozialarbeit eingegangen und dabei v. a. auf die Gesprächseröffnung fokussiert. Im Kontrast dazu werden ausgewählte Analyseergebnisse aus einer sozialpädagogischen Familienhilfe vorgestellt. 9 Zugleich lässt sich hier in der Analyse des Akteneintrages ein erstes Mal die Leseart bilden, dass bei der Herstellung dieses konkreten Falles und des fallrelevanten Wissens kulturspezifische Deutungen des daran beteiligten Sozialarbeiters und möglicherweise auch seine Annahmen zur Art der Partnerschaft der Eltern vorliegen, was sich dann in der weiteren Analyse des Gespräches zwischen ihm und dem Vater sowie in den Interviews zunehmend verdichtet (ausführlich Rüegger 2017). 10 Aus der Beratungsforschung sind unterschiedliche Phasen in der Beratungskommunikation bekannt. Schmitz, Bude und Otto (1989) unterscheiden die Eröffnung, Datensammlung, Interpretation, Handlungsentwürfe, Stellungnahme und Beendigung. Nothdurft (1984) formuliert für Beratungsgespräche die aufeinander aufbauenden Handlungsschritte: Präsentation vom Problem, Definition des Problems durch Ratsuchende und Berater/ in, Entwicklung von Lösungsvorschlägen. Kallmeyer (2000) beschreibt folgende Elemente helfender Interaktionen: Etablierung von Beratungsbedürftigkeit und Instanzeneinsetzung, Problempräsentation, Entwicklung einer Problemsicht durch den Berater, Redefinition des Problems und Festlegung des Beratungsgegenstandes, Lösungsentwicklung, Verarbeitung des Lösungsangebotes durch den Ratsuchenden, Entlastung und Honorierung des Beraters. Im Handlungsschema des ärztlichen Gesprächs unterscheidet Spranz-Fogasy (2005) die Begrüßung und Gesprächseröffnung, Beschwerdeschilderung/ Exploration, Diagnosestellung, Therapieplanung/ Entwicklung, Gesprächsbeendigung und Verabschiedung. 248 Cornelia Rüegger 2.2.1 Produktion bzw. Modifikation des Falles der Familie Gehrig - Gonzales Das untersuchte Gespräch zwischen der Fachperson der Schulsozialarbeit und Herrn Gehrig, dem Stiefvater der 14-jährigen Zwillinge Marisol und Diego, erfolgt auf „Einladung“ des Schulsozialarbeiters im Schulgebäude. Wie zu erwarten, wird das Gespräch durch den Sozialarbeiter eröffnet. 11 (3) Auszug Gesprächstranskript: 01 P: 3.0) aber es sieht so aus, dass es (---) läuft (---) habe ich ich habe den eindruck dass es läuft (.) ist ein gespräch amm äh dienstag zehnter juni (--) °h nachmittag uMM drei (.) paar minuten vorher °h mit dem herr gehrig (.) werner und es geht uMM seine (--) wie würde man sagen stief (.) chinder 02 G: stiefchinder ja Die Interaktionsstruktur der drei Subphasen umfassenden 5-minütigen Gesprächseröffnung verweist auf einen ausgeprägten Führungs- und Steuerungsanspruch durch den Professionellen und weist eine deutliche Dominanz seiner Redeanteile aus. Der Klient trägt zu dieser Struktur bei, indem er zuhört, schweigt, kurze Rückmeldesignale (z. B. Aufmerksamkeitssignale) produziert, das Rederecht nicht selbstbestimmt an sich nimmt und somit die Rede der Fachperson unterstützt (für die ausführliche Analyse der Gesprächseröffnung vgl. Rüegger 2017). In der ersten Subphase der Gesprächseröffnung adressiert der Professionelle (P) Herrn Gehrig (G) als Person und präsentiert sich im Gegensatz dazu aus einer protokollierenden Funktion, wobei aber keine institutionelle Verankerung oder Selbstpositionierung als Experte vorgenommen wird. 12 Eine erste Orientierung über das Gesprächsthema fällt mit dem Hinweis, es gehe um die Stiefkinder, noch wenig konkret aus. Mit Blick auf den interaktiven Prozess der Fallherstellung/ Modifikation und relevantem Wissen sind aber mit der Einführung der sozialen Kategorie „Stiefkinder“ bereits für den Fall bedeutsame Personen und ein Ausschnitt des fallrelevanten spezifischen familiären Beziehungsgeflechtes sichtbar gemacht. 11 Es ist anzunehmen, dass bereits vor dem Auslösen der Tonaufnahme und dem eigentlichen formalen Gesprächsbeginn die beiden Anwesenden in eine kurze Kommunikation traten, was in der Literatur u. a. als „Prä-Beginn“ (Hofer, Jallais, Morselli, Rotzetter, Grieder, Lopez und Zürcher 2011: 20) beschrieben wird, da nach dem Beginn der Aufzeichnung keine Begrüßung erfolgt. Zudem sind auch keine Ausführungen über den Zweck der Aufnahme bzw. den Forschungszweck aufgezeichnet. Aber gerade diese informelle Phase kann zentral zum Vertrauens- und Beziehungsbau beitragen (Maier-Gutheil 2009; Nowak 2010). 12 Zu erwähnen ist hierbei der Forschungskontext. Die Folgen der Gesprächsaufzeichnung zeigen sich u. a. darin, dass v. a. in der Gesprächseröffnung die Fachperson seine Redebeiträge wiederholt auch an nicht anwesenden Dritten ausrichtet und einen sprachlichen Duktus wählt, der zu Beginn an eine Protokollierung erinnert . Zudem produziert der Sozialarbeiter immer wieder Mehrfachadressierungen. Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 249 Zudem bringt der Sozialarbeiter gleichzeitig eine fallbezogene Relevanzmarkierung zum Ausdruck, d. h. aus seiner Perspektive scheint es für den Fall von Bedeutung, dass es sich nicht um die leiblichen Kinder handelt. Das Anlassproblem, das sich in den Akten u. a. mit Bildbelegen eines Hämatoms auf der Backe der Stieftochter dokumentiert und bei der problemanmeldenden Lehrperson eine von Gewalt geprägte Erziehungspraxis vermuten lässt, ist hier ebenso wenig thematisch, wie die explizite Benennung der in den Akten dokumentierten Problemverortung im Erziehungsstil der Mutter. Mit diesem „Ausklammern von Problematisierungen“ ist für das interaktive Geschehen an diesem Punkt wenig Konfliktpotential angelegt, was für die Beziehungsgestaltung förderlich sein könnte. Zugleich wird mit dem Hinweis auf die Stiefkinder ein wichtiger Bezugspunkt eingeführt, von dem der Sozialarbeiter annehmen kann, dass auch der Klient daran interessiert ist. Dieses „Arbeiten mit Interessen“ ist ein wichtiges Merkmal der rhetorischen Figur dieser Fachperson in der Entwicklung von Veränderungszielen bzw. konkret bei seiner Überzeugungsarbeit. Seine Argumentation baut später im Gespräch immer wieder auf dem gemeinsamen Interesse an den Kindern auf. In der zweiten Subphase der Gesprächseröffnung mit der selektiven Darstellung der familiären Vorgeschichte 13 zeigen sich wichtige Merkmale in der Etablierung von Fallwissen im kommunikativen Handeln dieser Fachperson, nämlich über: (1) Einführung von Fallwissen durch den Professionellen in sequentieller Erstposition, (2) objektiven Fakten als Träger versteckter Problematisierungen sowie (3) Vermeidung und Abschwächung gesichtsbedrohender Aktivitäten. (4) Auszug Gesprächstranskript: 03 P: Stiefchinder äh s äh 04 G: s'Marisol 05 P: s'ZwillingsPAAR von seiner EHEfrau (--) die Kinder sind von der Ehefrau (--) und und die Frau stammt von [einer Insel in der Karibik] und die Kinder sind Zwillinge (--) und sie hatte die Zwillinge sehr sehr jung kha [gehabt] gället [nicht wahr] (--) glaube mit sechzehn 06 G: (leise) mit sechzehn ja 13 Gemäss dem sich zeigenden recipient design sind die Informationen auch an die nicht anwesenden Dritten adressiert, was die Vermutung zulässt, dass er diese Vorgeschichte nur für diese erzählt. Doch das Vorgehen entspricht offenbar unabhängig vom Forschungskontext einer Routine. In einem Interview verweist der Professionelle darauf, dass er immer zu Beginn eines Gespräches mit der Klientel gewisse „Vorausgeschichten“ wiederhole, um die Klientel „abzuholen“. „Ich muss verifizieren, dass die Sichtweise für ihn [hier Herr Gehrig] immer noch gängig, stimmig ist. Das muss ich jedes Mal machen“ (Interview 1 mit Schulsozialarbeiter R.; 40.45 - 41.23 min). 250 Cornelia Rüegger 07 P: und sie sind ghürote [verheiratet] seit sie achtzehn ist ungefähr (1.0) 08 G: (leise) ja (1) Der Schulsozialarbeiter erhält durch seine Gesprächsführung bereits in der Gesprächseröffnung die Möglichkeit, in einer sequentiellen Erstposition zentrales Wissen 14 zum Fall einzuführen und eine bestimmte Fallthematik zu setzen. Dabei wählt er selektiv bestimmte Aspekte aus und führt die aus seiner Sicht wichtigen Personen und ihren Beitrag zur Fallproblematik ein. Mit Blick auf den epistemischen Status der beiden Interagierenden beansprucht er hier eine relative Vorrangigkeit („priority“, vgl. Heritage 2013) zum Fallwissen und positioniert sich dadurch gleichzeitig auch auf der Beziehungsebene, 15 wodurch sich m. E. ein Konfliktpotential für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehung sowie für den weiteren Prozess der Herstellung von geteiltem Fallwissen im Gespräch ergeben kann, worauf in der Diskussion noch näher eingegangen wird. (2) Objektive Fakten als Träger versteckter Problematisierungen: Auf der inhaltlichen Ebene zeigt sich bei der Einführung von fallrelevantem Wissen eine stark kondensierte und selektive Darstellung zur familiären Vorgeschichte. Indem er mit der Erwähnung der karibischen Insel Hinweise auf ein Lebensmilieu sowie biographische Angaben zum Alter der Ehefrau und Kindsmutter bei den „Ereignisknotenpunkten“ (Schütze 1984) Geburt und Heirat gibt, präsentiert er den nicht anwesenden Dritten und Herrn Gehrig einen Ausschnitt aus der Zeit der Entstehung der Familie. Im Kontext einer solchen Darstellung ist es nicht beliebig, was der Sozialarbeiter erwähnt. Es werden Personen, Beziehungen, Ereignisverkettungen, Lebensmilieus u. a. m. eingeführt, die für den Fall aus seiner Perspektive für die aktuelle Situation relevant sind. Interessant ist m. E. hier, dass mit der Erwähnung bestimmter objektiver Fakten gleichzeitig mögliche Problematisierungen mittransportiert werden, die aber unausgesprochen sind. So zum Beispiel, dass die Mutter mit 16 Jahren 16 möglicherweise ihren Erziehungsaufgaben noch nicht gewachsen war, oder dass sie zum Zeitpunkt der Heirat nicht autonom war und bis heute in einer ökonomischen Abhängigkeit von ihrem Ehemann steht (letzteres ist aus den Akten bekannt). Dieses Muster der Herstellung geteilten (Fall)Wissens („grounding“, vgl. Deppermann 2015) vollzieht sich in der Eröffnungssequenz jeweils über zwei aufeinander folgende 14 Zu Wissen im Gespräch bspw. Deppermann (2015); in (Inter-)Aktion vgl. Dausendschön-Gay, Domke und Ohlhus (2010), mit Fokus auf Wissen in institutioneller Interaktion vgl. Gross und Harren (2016). 15 Gemäss der Analyse wird der epistemische Status in Bezug auf das Wissen zum Fall, wird im Gesprächsverlauf aber laufend neu angezeigt bzw. ausgehandelt und verändert sich dynamisch. 16 Herr Gehrig ist ca. 40 Jahre älter als seine Ehefrau. Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 251 Sequenzpositionen: Der Professionelle unterbricht seine Einführung von ausgewähltem Wissen zum Fall i. d. R. mit einer kurzen Frage an den Klienten in der Form eines Rückversicherungssignals (bspw. „gället“). Der Klient weist das recipient design nicht ab und produziert in der zweiten Sequenzposition die präferierte Antwort, ratifiziert die eingeführten Informationen zum Fall, womit eine interaktive Verständigung hergestellt ist. In der dritten Position nimmt der Professionelle das Rederecht wieder an sich und führt weiteres Wissen ein. Vom Klienten wird also an der Stelle auch (noch) nicht eine gleichberechtigte Produktion des fallrelevanten Wissens beansprucht. Sozusagen en passant wird auf dieses Weise Wissen zum Fall etabliert und Schritt für Schritt ein bestimmter Fallzuschnitt in den zwei unterschiedlichen Beteiligungsrollen interaktiv produziert. Implizit stellt dieser einen Zusammenhang zu der in der Preconstruction bereits festgelegten Fallproblematik her, doch diese bleibt (noch) unausgesprochen. (3) Vermeidung/ Abschwächung gesichtsbedrohender Aktivitäten in der Gesprächseröffnung: Auch in dieser zweiten Subphase der Gesprächseröffnung lassen sich beim Sozialarbeiter verschiedene - vermutlich strategische - Praktiken feststellen: bspw. ein wiederholtes implizites Angebot einer koproduktiven Rolle im recipient design, Normalisierungen von Sachverhaltsdarstellungen als Ausdruck der Fremdpositionierung und die fehlende Problembenennung. In der dritten und letzten Subphase der Gesprächseröffnung erfolgt dann durch den Professionellen die Etablierung einer Hilfsbedürftigkeit bzw. Beratungsbedarfes des Klienten sowie eine Darstellung der eigenen Problemlösungskompetenz. Obwohl sich in der Analyse an verschiedenen Stellen rekonstruieren lässt, dass die Probleme aus Sicht des Professionellen auch mit dem Stiefvater zu tun haben, wird der Klient weiterhin nicht einer direkten Kritik oder Problematisierung ausgesetzt. Es ist anzunehmen, dass es sich hier um eine „strategische Praktik zur Unterstützung der Herstellung von Kooperation“ handelt. Am Ende der Gesprächseröffnung wird der Klient aufgefordert nun seine „Sicht“ zu schildern. Zusammengefasst geht es im folgenden Handlungssegment jedoch nicht um eine Exploration des subjektiven Wissens des Klienten über Schwierigkeiten im Familienalltag, um dieses dann mit dem Fall- und Interventionswissen des Sozialarbeiters zu verschränken. Es zeigt sich auch nicht die Aushandlung der vorhandenen divergierenden Perspektiven oder eine gemeinsame Entwicklung von Veränderungszielen und entsprechenden Interventionsmöglichkeiten. Es überwiegt die Relevanz des Expertenwissens im Verhältnis zum selbstreferentiellen Wissen des Klienten, aber immer in verdeckter Form. Er bietet ohne gesichtsbedrohende Aussagen dem Klienten eine Umdeutung (Reframing) zu dessen Problemsicht an, wobei er aus den Schilderungen des Klienten nur das Thema der schwierigen Paarbeziehung aufgreift und in der 252 Cornelia Rüegger Interaktion eine Art geteilte Problemsicht im Sinne eines geteilten deskriptiven Fallwissens herstellt. Aber im Gegensatz zur Sichtweise des Klienten sind aus der Perspektive des Professionellen die Beziehungsprobleme nicht beim Verhalten der Ehefrau zu verorten. Indem er aber auf eine explizite Problemdiagnose aus seiner Perspektive verzichtet, bleibt der Dissens unausgesprochen und im Raum stehen. Immer wieder praktiziert er eine Art diagnostisches Verstehen in der Interaktion. Diese Praktik zielt aber ausschließlich auf das Auffinden von möglichen motivationalen Ansatzpunkten beim Klienten, um seine geplante Problemlösung (sozialpädagogische Familienhilfe für die Familie) passgenau zu bewerben und argumentativ durchzusetzen. Solche Ansatzpunkte sind einerseits gemeinsame Interessen und Ziele wie sie in der ersten Gesprächsphase etabliert wurden (bspw. Förderung der schulischen und beruflichen Perspektiven der Kinder), aber auch ein durch den Sozialarbeiter instrumentell-strategisch miterzeugter Leidensdruck. Hierin zeigt sich auch die „Motipulationsstrategie“ (als ein Zusammenzug von motivieren und manipulieren), die der Sozialarbeiter in den Interviews als Merkmal seiner Arbeitsweise explizit ausweist. 2.2.2 Produktion bzw. Modifikation des Falles der Familie Perrez Im starken Kontrast dazu stehen die Prozesse der Fallkonstitution im Fall der Familie Perrez im Kontext einer sozialpädagogischen Familienbegleitung. Es handelt sich um eine Mutter mit einem 5-jährigen Sohn. Die Inanspruchnahme der sozialpädagogischen Familienbegleitung entspringt einem Interesse der Mutter, zugleich ist aber in den Prozessen der Fallkonstitution ein Amt für Fragen im Bereich des Kindesschutzes involviert, so dass von einer eingeschränkten „Freiwilligkeit“ ausgegangen werden kann. Die Gesprächseröffnung 17 erstreckt sich über vier Minuten und weist ebenfalls einen ausgeprägten Führungs- und Steuerungsanspruch durch den Professionellen und eine deutliche Dominanz seiner Redeanteile aus. Nebst einer orientierenden und vertrauensaufbauenden Funktion kommen in den drei Subphasen der Eröffnung u. a. Praktiken der Selbstpositionierung als Familienvater und Fachperson zum Ausdruck sowie die kommunikative Arbeit an der entsprechenden Kompetenzdarstellung zum Gegenstandsbereich Familie und Erziehung. Zudem thematisiert der Professionelle (P) seine Erwartungen bezüglich ihrer Motivation und Veränderungsbereitschaft und nutzt dazu eine Metapher im Sinne eines bildlichen Vergleichs als Veranschaulichungsverfahren (Brünner und Gülich 2002; Buchholz 2015), die an der alltäglichen Erfahrungswelt der Klientin (K) anschlussfähig ist. 17 Quelle: Erstgespräch, Sozialpädagogische Familienbegleitung, Familie Perrez Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 253 (5) Auszug Gesprächstranskript 17 P: °hh und ich brauch gern s_bild vom fitnessschtudio (1.0) dort kann man es abo löse (.) haben sie das auch scho mal es fitnessabo glöst 18 K: ich habe versucht aber irgendwie ist_s nicht gegangen 19 P: genau dann zahlt man und man geht nicht hin 20 K: genau 21 P: und dann wird man nicht fiT (.) und ähnlich ist_s mit familiebegleitung dort kann man ein fi kann sage ja gut jetzt jetzt haben wir/ / familiebegleitung[((hämmert zweimal leicht auf Tisch))]\\ ich komme vorbei(.) aber / / eigentlich[((hämmert auf Tisch))]\\(.) s_massgebende findet ja nachher statt / / wenn[K1: mhm]\\ wenn wenn wenn sie wieder (.) allei äh mit dem kind / / sind[K1: mhm]\\ setzen sie das so um wie wir besprochen haben °h wie sie auch s_ziel haben im fitness hat man ja s_ziel jetzt will ich etwas machen 22 K: mhm 23 P: °h und wenn man nachher nicht geht oder das / / nicht[((Hämmern auf Tisch))]\\ umsetzt / / °h[((Hämmern))]\\ denn bleibt s_resultat / / natürlich meistens so dass_s portemonnaie dünner wird aber äh s_fit sein nicht besser[((mehrfaches Hämmern auf Tisch))]\\ Nebst der erwähnten Veranschaulichung wird mit diesem Bild des Fitnessstudios zum wiederholten Male in der Gesprächseröffnung etwas Normalisierendes in Bezug auf den Aspekt der Inanspruchnahme von Familienbegleitung und der familialen Probleme zum Ausdruck gebracht. Das ist mit Blick auf die Herstellung von Wissen im Gespräch insofern interessant, da der epistemische Status, die soziale Identität und die Beziehungskonstitution, an der Professionelle in dieser Interaktion auch permanent arbeitet, eng mit moralischen Anspruchs- und Erwartungsstrukturen verknüpft ist (Deppermann 2015). Es ist möglich, dass der Professionelle hier Aspekte seiner beruflichen Haltung zum Ausdruck bringt und gleichzeitig, ob bewusst oder unbewusst, mit der Normalisierung an der Beziehungskonstitution arbeitet. Zudem ist der bildliche Vergleich Träger inhaltlicher Bedeutungen. Fitness bedeutet so etwas wie Fähigkeit, Tauglichkeit. An dieser Stelle bildet sich in der Analyse zum ersten Mal die Leseart, dass es dem Professionellen nicht zentral darum geht, das Kind und sein Verhalten zu verstehen, sondern der Mutter aufzuzeigen, wie sie mit dem Kind umgehen kann (fit sein/ fit werden). Die Veränderung zielt auf die Verhaltensebene der Mutter (was sich im Gesprächsverlauf zunehmend verdichtet). Die damit verbundene Arbeitsbeziehung weist in seiner Erwartung eine klare Arbeitsteilung aus: Der „Fitnessinstruktor“ als Fachmann gibt die Hinweise und Impulse, stellt in Absprache mit der Kundin - bzw. hier eben Klientin - das Programm zu- 254 Cornelia Rüegger sammen. Die Klientin als Trainierende leistet die Anstrengung. Grundvoraussetzung dazu ist ihre Veränderungsbereitschaft. Der Professionelle verwendet in der Gesprächseröffnung auch einige Mühe darauf, der Klientin zu signalisieren, dass es auf ihre Mitwirkung und Motivation ankommt. Zugleich zeigen sich immer wieder Praktiken, die für Vertrauensaufbau und Beziehungsgestaltung förderlich sind. Die anschliessende Problemschilderung/ Exploration lässt sich als ein Ausbreiten und Identifizieren von „Themen“ fassen, welche die Klientin, im Rahmen der sozialpädagogischen Familienbegleitung zu bearbeiten wünscht. Dabei drückt sich in seinem kommunikativen Handeln die bereits in der Gesprächseröffnung rekonstruierte Sinnstruktur einer angestrebten Arbeitsbeziehung im „Modus der Zusammenarbeit“ weiter fort. Die Gesprächsorganisation der Problemexploration zeichnet sich dadurch aus, dass die Gesprächsführung weiterhin bei der Fachperson liegt, doch anders als in der Eröffnungssequenz dominieren jetzt die Redebeiträge der Klientin, die sich meist im Darstellungsmuster der Erzählung präsentieren. Dabei nutzt sie u. a. Praktiken zur Relevanzauf- oder -abwertung einer Problematik. Die Fachperson unterstützt ihre Erzählungen durch kurze Rückmeldesignale und den Aktivierungstyp der Fragen, welche der Elizitierung des Klientinnenwissens dienen, vereinzelt auch durch das Einbringen von prädiagnostischen Hypothesen, in denen sich sein fachlicher Wissensstand dokumentiert. So formuliert er bezüglich ihren Erzählungen von wiederkehrenden und als problematisch empfundenen Verhaltensmustern des Kindes: (6) Auszug Gesprächstranskript: 227 P: okay also es gibt (.) von dort her (-) so zwei Themenfelder (.) das eine ist die Frage wie kann man einem Kind (unverständlich) Konsequenz und das andere ist (.) um den (.) dort geht es um Bindung 228 K: nja 229 P: das das Kind muss ja irgendwie eine Bindung zu ihnen entwickeln 230 K: mhm 231 P: (-) und ein Vertrauen 232 K: ja 233 P: Urvertrauen oder wis öb wissen meine Mutter ist ist immer da / / wenn [K1: ja]\\ich sie brauche (-) hm Das eingebrachte Wissen der Klientin und ihre Eigentheorien, bspw. über schwierige Verhaltensweisen ihres Sohnes, werden im interaktiven Geschehen durch den Professionellen selektiv aufgenommen, und mittels theoretischem Beschrei- Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 255 bungs- und Erklärungswissen dimensioniert und reformuliert, die zugleich den Fall in die organisationale Zuständigkeit und vorhandene Formen der Fallbearbeitung (Dienstleistungen) passen lassen (vgl. auch Becker-Lenz/ Gautschi/ Rüegger 2015). In kooperativ verlaufenden Verständigungsprozessen wird es i. d. R. als ein gemeinsam ausgewiesenes relevantes Fallwissen (common ground) etabliert. Es zeigen sich also ausgehend von den lebensweltlichen Erzählungen der Kindsmutter durch den Professionellen Selektionsprozesse der Wissensverarbeitung und der Fallkonstitution, die sich als Praktiken des „Dimensionierens und Zuschneidens“ des Falles fassen lassen, welche den Fall sowohl in die Zuständigkeit der Profession und der Organisation passen lassen. Dabei wird auch ein größeres Thema und Anliegen der Klientin (nach Unterstützung in der Wohnungssuche) in der Herstellung des Falles vom Professionellen explizit ausgeklammert. Es wird als nicht in die Zuständigkeit der Organisation fallend ausgewiesen und bildlich formuliert aus der Fallproduktion kommunikativ „wegschnitten“. Innerhalb der untersuchten Prozesse der interaktiv-relationalen Erzeugung fallrelevanten Wissens zeigt sich nur eine Stelle, an der der Professionelle von sich aus eine zusätzliche Fallthematik und entsprechende Veränderungsmöglichkeiten einbringt. Diese Thematik und entsprechende Veränderungsziele werden von der Klientin nicht aufgegriffen und indem er nach einem zweiten Versuch keine präferierte Antwort erhält, insistiert er nicht darauf und das Thema wird somit in der Prozessierung des Falles auf ihr Wirken hin ausgeklammert. 3. Diskussion und Ausblick Die Aufgabe zur Bestimmung des Falles und entsprechender Veränderungsfoci wird von den Fachpersonen der Sozialen Arbeit in ihrem kommunikativen Handeln auf unterschiedliche Weise bearbeitet. Nicht immer stehen dabei die Eigeninteressen, Anliegen und Veränderungsmotivation der Klientel im Zentrum. Wie im Fall aus der Schulsozialarbeit dargestellt, kann fallrelevantes Wissen und ein entsprechender Veränderungsfokus noch vor einem ersten Gespräch mit der Klientel erzeugt werden. In dieser Phase des „Vorlaufs“ zeigen sich Selektions-, Verdichtungs-, und punktuell Deutungsprozesse als Verfahren der Wissensgenerierung, die ausschließlich auf Wissensformen der Professionellen und einem organisational mitbedingten Fokus basieren. Diese „Preconstruction“ kann bereits zur Bestimmung eines Falles von XY führen (bspw. als Fall von Erziehungsproblemen), die sich in Fallakten als fallrelevantes Wissen inklusive einem Veränderungsfokus materialisiert und sich wie im Fall aus der Schulsozialarbeit in der Prozessierung des Falles relativ stabil halten kann. Dies scheint mir insbesondere von Interesse, da die Falldiagnosen als Teil des professionellen Handelns innerhalb der Fallkonstitution nicht nur bei der Entscheidung über die 256 Cornelia Rüegger Aufnahme/ Abweisung von Klient*innen von Bedeutung ist, sondern die weitere Fallbearbeitung auch inhaltlich steuern und allenfalls auch Irreversibilitäten produzieren, die Klient*innen in mehr oder weniger langen Karrieren festhalten und eventuell gar Verlaufskurven des Erleidens mitproduzieren (auch Bommes und Scherr 2012; Schütze 1996). Wie sich empirisch zeigt, entziehen sich aber die Regeln zur Erzeugung dieses Fallwissens im „Vorlauf “ der Kenntnis Dritter, insbesondere der Klientel. Im Anschluss an die Phase des „Vorlaufs bzw. der „Preconstruction“ folgt die „soziale Produktion bzw. Modifikation“ des Falles in Erst- und Folgegesprächen zwischen den Sozialarbeitenden und ihrer Klientel. Wie einleitend dargestellt, stehen die Sozialarbeitenden aus professionstheoretischer Perspektive dabei nicht nur vor der Aufgabe, die Fallproblematik zu verstehen (soziale Diagnose), sondern gleichzeitig eine tragfähige Arbeitsbeziehung aufzubauen. Letzteres bedingt auf Seiten der Klientel Freiwilligkeit, Interesse, Leidensdruck und Veränderungsmotivation (Oevermann 2009, ähnlich Schütze 1992). Die Ergebnisse der Gesprächsanalyse verweisen nun auf unterschiedliche Sinnstrukturen im kommunikativen Handeln der Sozialarbeitenden. So zeigen sich z. B. im Handlungssegment „Problemexploration“ beim Schulsozialarbeiter kommunikative Praktiken einer strategisch ausgerichteten Diagnostik mit verstehenden Anteilen zum Auffinden von potentiellem Leidensdruck beim Klienten zwecks Bewerben der von der Fachperson bereits festgelegten Interventionsform (ausführlich Rüegger 2017). Diese kommunikativen Praktiken sind hier funktional zur (vermeintlichen) Erzeugung einer Veränderungsmotivation bei der Klientel und sind Teil einer „Motipulations-Strategie“ (auch Becker-Lenz, Gautschi und Rüegger 2015) des Schulsozialarbeiters. In starkem Kontrast dazu das kommunikative Handeln in der Problemexploration des Sozialarbeiters aus der sozialpädagogischen Familienbegleitung. Seine kommunikativen Praktiken sind funktional für das Ausbreiten von „Seiten und Themen“ mit einer starken Orientierung an den Interessen der Klientel und entsprechenden Veränderungsthemen und -zielen. Im kommunikativen Handeln des Professionellen aus der sozialpädagogischen Familienhilfe werden dabei die von der Klientin porträtierten Themen mittels professionellen Wissensbeständen redefiniert und in ein anderes Bezugssystem übersetzt (ähnlich Stichweh 1992). Bauer (2010: 250) spricht in diesem Zusammenhang von einem für professionelles Handeln konstitutiven Transformationsprozess (ähnlich Pfadenhauer 2003). Es zeigen sich aber im kommunikativen Handeln der Professionellen nicht nur Praktiken des Zuschneidens und Umformulierens der Anliegen in den Zuständigkeitsbereich der Profession, sondern auch in jenen der jeweiligen Organisation. Wobei das kommunikative Handeln auch darauf zielt, bestimmte Problemlagen, deren Veränderung von der Klientel Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 257 im Erstgespräch explizit gewünscht wird, explizit aus der Fallkonstitution und damit aus dem Unterstützungsprozess auszuklammern. Die gesprächsanalytische Untersuchung sensibilisiert nun für die jeweiligen komplexen Herausforderungen an das kommunikative professionelle Handeln innerhalb der Fallkonstitution im Kontext Sozialer Arbeit und ihrer sozialstaatlichen Anbindung bzw. als institutionell organisierte Hilfe. Mit der interaktiven Produktion des Falles zeigen sich bei den Fachpersonen kommunikative Praktiken zur Etablierung einer Hilfsbedürftigkeit, der Exploration von Veränderungsthemen bzw. Erzeugung einer (vermeintlichen) Veränderungsmotivation sowie der Hervorbringung, des Zuschnitts und der Transformation der lebensweltlichen Wissensbestände der Klientel in Kategorien professioneller und organisationsbezogener Wissensformen. Damit verbunden sind Prozesse der Anzeige und Relevantsetzung von Wissen, der Positionierung mittels unterschiedlicher Ressourcen in Bezug auf und der Aushandlung von Wissen, womit automatisch das Gegenüber in ein Beziehungsverhältnis gesetzt wird. Dadurch ist im interaktiv-relationalen Geschehen der Aufbau der Arbeitsbeziehung in allen untersuchten Fällen potentiell erschwert, was von den Professionellen mit bestimmten Praktiken mitbearbeitet wird bzw. werden muss, damit die Ausgestaltung einer tragfähigen Arbeitsbeziehung als notwendige Grundlage für die erwünschten Veränderungsprozesse gegeben ist. An dieser Stelle möchte ich eine dieser Herausforderungen herausgreifen. Es ist anzunehmen, dass diese für die Soziale Arbeit durch ihre sozialstaatliche Anbindung und einem entsprechenden Hilfewie auch Kontrollauftrag konstitutiv und deshalb von besonderem Interesse ist. In allen untersuchten Eröffnungen von (Erst-)Gesprächen zeigt sich ein starker Führungsanspruch durch die Fachpersonen und eine Dominanz ihrer Redeanteile. In der Art und Weise, wie z. B. der Schulsozialarbeiter die Aufgaben einer Gesprächseröffnung in seinem kommunikativen Handeln bearbeitet, erhält er durch die sequenzielle Erstposition im interaktiven Geschehen die Möglichkeit, bereits mit der Gesprächseröffnung zentrales Wissen zum Fall einzuführen, eine bestimmte Fallthematik zu setzen, auf ausgewählte Aspekte der Problematik und erwünschter Veränderungen zu fokussieren und die aus seiner Sicht wichtigen Personen und ihren Beitrag zur Fallproblematik einzuführen. Das heisst in Bezug auf den epistemischen Status der beiden Interagierenden wird von ihm eine relative Vorrangigkeit („priority“, vgl. Heritage 2013) zum Fallwissen beansprucht (bzw. durch die sequentielle Erstposition in dieser institutionellen Kommunikation auch ermöglicht). Dadurch positioniert er sich gleichzeitig auch auf der Beziehungsebene, wodurch sich m. E. ein Konfliktpotential für die Ausgestaltung der Arbeitsbeziehung sowie für den weiteren Prozess der Herstellung von geteiltem Fallwissen im Gespräch ergeben kann. Denn es handelt 258 Cornelia Rüegger sich hier beim Sprechen des Sozialarbeiters über diese Wissensbestände aus der persönlichen Erfahrungs- und Lebenswelt des Klienten in der Terminologie von Labov um einen sogenannten „B-event“ (bspw. Labov/ Fanshel 1977: 100), oder anders gesagt, die epistemische Autorität für dieses Wissen liegt eigentlich beim Klienten und nicht beim Sprecher, dem Professionellen. Deshalb ist es für die Gesprächsanalyse des weiteren Datenmaterials der noch laufenden Studie von besonderem Interesse, wie die Professionellen dieser für Gespräche in der Sozialen Arbeit inhärenten Herausforderung begegnen. Empirisch zeigen sich beim Schulsozialarbeiter in der Gesprächseröffnung bpsw. Normalisierungen von Sachverhaltsdarstellungen als Ausdruck der Fremdpositionierung oder eine fehlende explizite Problembenennung. Vermutlich kommt diesen die strategische Funktion zu, den Ausgangspunkt dieses interaktiven Geschehens so zu gestalten, dass das damit einhergehende konfrontative Potential möglichst klein bleibt. Unter Bezug auf die Arbeiten von Goffman zu „face work“(Goffman 1986) könnte auch davon gesprochen werden, dass der Schulsozialarbeiter mit der Art seiner Eröffnung gesichtsbedrohende Aktivitäten zwar nicht gänzlich vermeidet, aber zumindest abzuschwächen versucht, um den Klienten ohne Interesse an einer Kooperation für eine Veränderung aus der organsiational geformten Problem- und Veränderungsperpektive zu gewinnen und anzustossen. Sozialarbeitende stehen also vor der Herausforderung, in ihrem professionellen helfenden Handeln nicht nur den Fall als Ausgangspunkt von Veränderungen, sondern zeitgleich Bedingungen der Möglichkeit von Veränderung herzustellen. Die institutionelle Ausgangssituation im Kontext von Hilfe und Kontrolle erschwert die Herstellung eines Arbeitsbündnisses (bzw. von Verbindung im Sinne des Beitrages von Buchholz), was sich auch auf die Möglichkeiten zur Herstellung von Veränderung in der Sozialen Arbeit auswirkt. Für die qualitative Wirkungsforschung zur „helfenden“ Kommunikation bedeutet dies, auch der Frage nach zu gehen, wie die Herstellung von Veränderungsthemen und Zielen zustande kam, bzw. wer welche Veränderung (nicht) beabsichtigt. Transkription Die Transkriptionen der Gespräche erfolgten in Anlehnung an GAT 2 (Minimaltranskript). Die Daten sind anonymisiert. Literatur Bauer, Petra (2010). Organisatorische Bedingungen der Fallkonstitution in der Sozialen Arbeit: Ein Literaturbericht. Zeitschrift für Pädagogik 56: 2, 249-266. Die interaktive Produktion des „Falles“ in der Sozialen Arbeit 259 Becker-Lenz, Roland (2005). 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The corpus consists of taped authentic interactions in physical therapy at a clinic for neurorehabilitation. Some results: During the exercises, gaze, touch and verbal instructions are closely linked. In contrast, side-talk about the future of the therapy follows different patterns of interaction. Negative evaluations of abilities by patients are frequently ignored, declined or mitigated by therapists. Keywords: Physical therapy; Neurorehabilitation; Interactional Linguistics; Motor Instructions; Evaluations 1 Einleitung Die folgende kurze Sequenz stammt aus einer Interaktion zwischen einem Physiotherapeuten und einem Patienten mit Multipler Sklerose (MS) in einer Klinik für Neurorehabilitation. Der Patient, der schon mehrfach in der Klinik zur Therapie war, wird im Zuge einer akuten Verschlechterung seiner Erkrankung befundet. Unmittelbar vor Beginn der Sequenz schilderte er seine Beschwerden, 266 Heike Ortner im Ausschnitt fragt er nach den Möglichkeiten der Lösung seines aktuellen Problems, einer fortschreitenden und schmerzhaften Einschränkung der Bewegungsfähigkeit seines Beins. Beispiel 01: Kein Versprechen 1 Einheit 003, T_04 = Therapeut, P_03 = Patient, ((07: 17-07: 49)) 01 T_04 + SO; (-) t_04 + blickt auf die Hüfte 02 T_04 jetzt (.) stell * di mal schön \* grod £ HIN. jetzt stell dich mal schön gerade hin t_04 * öffnet schnell beide Hände, deutet Ausrichtung an p_04 £ richtet sich auf 03 * + (2.4) + (4.1) t_04 * legt die Hände auf die Wangen t_04 + blickt auf Hüfte und Knie p_03 + blickt umher 04 T_04 * i hätt + amol \+ GSOgt mia- (2.0) ich hätte einmal gesagt wir t_04 * verschränkt die Arme t_04 + blickt kurz P_03 in die Augen 05 T_04 was ma SCHAUgn können is = was wir schauen können ist 06 T_04 = dass es sich vielleicht a + BISsl- dass es sich vielleicht ein bisschen t_04 + blickt P_03 in die Augen 07 T_04 dassd vielleicht a bissl SICHerer = dass du vielleicht ein bisschen sicherer und besser gehst 08 = und BEsa geascht; und besser gehst 09 P_03 jo ja 10 T_04 wos ma NO: CHher was wir nachher 1 Eine Erklärung der Transkriptionskonventionen findet sich im Anhang. Es wird in der Transkription nicht jedes Detail erfasst, sondern nur deutliche und kommunikativ relevante Veränderungen von Positionen, Gestik, Blickverhalten etc. Das Material wird in Abschnitt 3 beschrieben. Die Kürzel und Zeitangaben beziehen sich auf die Stellung im Korpus. Die Gespräche sind teils stark dialektal - Bsp2dort, wo das Verständnis für bundesdeutsche LeserInnen eingeschränkt sein könnte, wurde eine „Interlinearübersetzung“ eingefügt (kursiv). „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 267 11 nochher vielleicht no SCHAU: gn können is- nachher vielleicht noch schauen können ist 12 wie du vom BOden aufkimmscht; wie du vom Boden aufkommst 13 P_03 jo di: s * do war i + jo gSPONNT; ja das da wäre ich ja gespannt p_03 * schüttelt Kopf p_03 + blickt zur Seite nach oben 14 T_04 [ ha? ] 15 P_03 [ wegn ] a do vom BEIN; wegen da vom bein 16 dass i wenn i des di streckung vom FUAß = dass ich wenn ich das die streckung vom fuß 17 = dass das KNIE schlankelt nimma * so-(2.0) dass das knie schlenkert nicht mehr so p_03 * zeigt dysfunktionale Bewegung des Knies mit der rh 18 wa: scht? weißt du? 19 T_04 miass ma SCHAUGN = müssen wir schauen 20 = i i * KOnns dir net vasprechn = ich ich kann es dir nicht versprechen t_04 * schüttelt den Kopf 21 = dass * wir [ des SCHOFfn ] \*; dass wir das schaffen * streicht mit rh über linken Arm 22 P_03 [ jo jo ] ja ja 23 aber mia KENnen des mal ja, aber wir können das mal ja 24 zusammen UNgschaugn [ und anschaugn ] = zusammen anschauen und anschauen 25 P_03 [ hm hm ] 26 T_04 = und SCHAUgn dass [ ma ] do (.) anschauen und schauen dass wir da 27 P_03 [ jo ] ja 28 T_04 a BESsere leisung finden; eine bessere lösung finden 268 Heike Ortner 29 P_03 hm hm, 30 (2.0) 31 jo + is GLEI. ja ist gleich (egal) p_03 + sieht weg 32 T_04 + o+kay? t_04 + blickt P_03 in die Augen p_03 + blickt T_04 in die Augen 33 (-) 34 P_03 °h + jo, p_03 + sieht weg In dieser Sequenz findet Veränderungskommunikation auf unterschiedlichen Ebenen statt: zum einen werden krankhafte Veränderungen des Bewegungsapparats thematisiert (Z. 07, 08, 15-17), zum anderen wird die kurz- und mittelfristige Perspektive der zukünftigen Therapie verhandelt - was wird im Rahmen der Befundung als Nächstes gemacht, welche Verbesserung könnte durch die Therapie erzielt werden (Z. 19-28)? Der Patient deutet große Hoffnungen an, die vom Therapeuten vorsichtig eingeschränkt werden (Z. 20). In den folgenden Minuten gewinnt der Therapeut durch professionelle Berührungen des Beines und geschulte Blicke einen Eindruck von dem Problem und evaluiert die Bewegungsfähigkeit des Beines. Nach einer schweren neurologischen Krise wie einem Unfall, einem Schlaganfall oder einem MS-Schub sind häufig motorische Prozesse - von alltäglichen Bewegungsabläufen bis hin zu kulturell und sozial überformten Körperpraktiken (vgl. Alkemeyer et al. 2009) - schwer beeinträchtigt. Physiotherapeutische Interventionen im Rahmen der Neurorehabilitation zielen darauf ab, neues bzw. verändertes Bewegungswissen und neues bzw. verändertes Bewegungsbewusstsein aufzubauen. Daher stehen die Verbesserung der motorischen Fähigkeiten und die Erarbeitung neuer Handlungs- und Bewegungsmuster im Mittelpunkt. Die TherapeutInnen setzen vielfältige multimodale Mittel ein, unter anderem verbale Instruktionen und Erklärungen, mimische und gestische Hinweise und taktiles Feedback (Berührungen). Da die PatientInnen ihrerseits durch ihr multimodales Rückmeldeverhalten aktiv in die therapeutischen Einheiten eingebunden sind, handelt es sich um interaktiv ko-konstruierte Prozessierungen komplexer Bewegungsabläufe. In diesem Beitrag werden interaktionale Aspekte der Veränderungskommunikation in der neurorehabilitativen Physiotherapie dargestellt. Als Material dienen Video- und Tonaufnahmen von physiotherapeutischen Einheiten in einer österreichischen Reha-Klinik. Anhand interaktionaler Beispielanalysen werden „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 269 verschiedene Ebenen von Veränderungskommunikation differenziert und hinsichtlich ihrer Bedeutung für den physiotherapeutischen Prozess diskutiert. 2 Grundlagen 2.1 Physiotherapie in der Neurorehabilitation Durch einen Schlaganfall oder eine andere neurologische Erkrankung machen PatientInnen tiefgreifende Erfahrungen von Wandel: Veränderungen betreffen die physische Ebene, die Beziehungsebene, die materielle und die mentale Ebene. Beispielsweise sind alltägliche Bewegungsabläufe beeinträchtigt, was den Umgang mit ungewohnten Objekten wie Gehhilfen oder Adaptierungen des Zuhauses erfordert. In der neurorehabilitativen Physiotherapie stehen motorische Ausfälle im Mittelpunkt des Interesses (vgl. Fries/ Freivogel 2010 für Grundlagen). Der folgende Überblick über die Prinzipien der Physiotherapie soll das Verständnis der Anweisungen in den Beispielen erleichtern. Allen modernen physiotherapeutischen Ansätzen ist die Überzeugung gemeinsam, dass das motorische Lernen nach denselben Prinzipien wie bei Gesunden verläuft und auf neuronaler Plastizität, Regeneration und Reorganisation beruht. Daher werden auch in der Physiotherapie Prinzipien des motorischen Lernens wie Motivation, Wiederholung und Rückmeldung eingesetzt. Durch einen angemessenen therapeutischen Input - manuelle Unterstützung und Feedback, auf das Wesentliche beschränkte verbale Rückmeldungen, positive Verstärkung (Lob), Repetition und Pausen - wird der erwünschte motorische Output gebahnt (vgl. Fries/ Freivogel 2010: 229f., 242, 245). Allgemein werden aktive Techniken (aktives Bewegen) und passive Techniken (Lagerung, Entlastung, passives Bewegen) unterschieden (vgl. Kiesewetter 2012: 30-41). Die beiden Ansätze, die von den im Material repräsentierten TherapeutInnen angewendet werden, sind die Propriozeptive Neuromuskuläre Fazilitation (auch: Faszilitation; in der Folge: PNF, vgl. Voss et al. 1988) und das Bobath-Konzept (vgl. Bassøe Gjelsvik 2007). PNF beruht darauf, dass durch schnell aufeinander folgende propriozeptive Reize (Dehnung, Traktion und Approximation, also Druck) und exterozeptive Reize (taktile, visuelle und verbale Kommandos) ein Stimulationseffekt eintritt, der pathologische Bewegungsmuster und den Muskeltonus zum Positiven verändert und die erwünschten Bewegungen bahnt (= fazilitiert) (vgl. Ebelt-Paprotny 2012: 226f.; Buck et al. 2013: 12f.; Voss et al. 1988: XVII). Grundlage der Intervention sind sogenannte PNF-Patterns, das sind „dreidimensionale Kombinationsbewegungen [Bewegungsmuster, H.O.] der Extremitäten oder des Rumpfes, die sich an gedachten Diagonalen orientieren“ (Ebelt-Paprotny 270 Heike Ortner 2012: 230, andere Hervorhebung i. O.). Das motorische Lernen beruht wesentlich auf einem schrittweisen Vorgehen im Sinne einer Zerlegung in Teilaufgaben sowie auf Wiederholung, deren Zweck die „Entwicklung von Gewohnheitsmustern [ist], die keine willkürliche Anstrengung erfordern, sondern eher automatisch im Rahmen einer motorischen Aufgabe durchgeführt werden“ (Voss et al. 1988: 354). Präzise verbale Anleitungen sollen dabei koordiniert mit Blickkontakt und rhythmisch abgestimmt auf die Berührungen den Drehpunkt betonen (vgl. Voss et al. 1988: 300ff.). Das Bobath-Konzept ist weniger eine Methode als ein Behandlungskonzept, das auf Läsionen im Zentralnervensystem abgestimmt ist (vgl. Bassøe Gjelsvik 2007: 95). Die stark individualisierte Therapie zielt auf das Handeln im Alltag ab, indem kompensatorische Strategien entwickelt werden. Dies beruht auf fortgesetzter Befundung und Bewegungsanalyse, auf der Entwicklung effektiver Verhaltensstrategien und erfordert die Partizipation der PatientInnen (vgl. Greb 2012: 119ff.). Im Zentrum der Analyse und Rekonstruktion stehen sogenannte posturale Sets, d. h. die Stellungen einzelner Körpersegmente während der Bewegungen im Übergang von Grundstellung zu Grundstellung (Stehen, Sitzen etc.) (vgl. Bassøe Gjelsvik 2007: 96). 2.2 Kommunikative Prozesse und Kompetenzen in der Physiotherapie Gespräche in medizinischen Kontexten sind hochgradig ritualisiert, z. B. hinsichtlich der konversationellen Struktur. Allen therapeutischen Gesprächen gemeinsam sind die grundsätzliche Zielorientierung und die Dimensionen des Gesprächsprozesses, die je nach Aktivitätsformat unterschiedlich geregelt werden: das Thema, das Identitäts-, Beziehungs- und Rollenverständnis der AkteurInnen in Abhängigkeit von soziokulturellen, räumlichen und situativen Gegebenheiten sowie die aktuell zu bewältigende Aufgabe selbst (z. B. Diagnose gegenüber Therapie) (vgl. Graf et al. 2014: 1f.). Im Zusammenhang mit dem institutionellen Setting gut untersuchte Merkmale sind die Spezifika der Rederechtverteilung, Typen von Frage-Antwort-Sequenzen, die eingeschränkte Themenwahl, die Asymmetrie in Bezug auf Wissen, Verantwortlichkeit und Machtverhältnisse (vgl. z. B. Heath 1986; Nowak 2010; Spranz-Fogasy 2014, verschiedene Beiträge in Ehlich et al. 1990, Goodwin 1981). Josephson et al. (2015: 129) heben hervor, dass sprachliche Kompetenzen für den Erfolg der Physiotherapie von übergeordneter Bedeutung sind: The language used by both the therapist and patient plays a key role in co-constructing the physiotherapy interaction, the treatment relationship and the joint achievement of treatment goals, with evaluative language appearing to play an important role to express feedback on performance of exercises, physical capacity, and sensation. „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 271 Das physiotherapeutische Setting ist gekennzeichnet durch die Dauer und Frequenz der Therapie, durch räumliche Bedingungen, eine störungsfreie Atmosphäre, Wissensasymmetrien, bestimmte Erwartungen der PatientInnen an Heilung, Linderung und Beachtung, spezifische Regeln (z. B. Vertraulichkeit), eine besondere Körperlichkeit und sehr individuelle Persönlichkeits- und Kommunikationsstile, die jedoch von der Professionalität sowie durch eine partnerschaftliche, dialogische und reziproke Grundhaltung der TherapeutInnen kanalisiert werden (vgl. Elzer 2009a). In der Vergangenheit wurden die kommunikativen Kompetenzen von PhysiotherapeutInnen häufig negativ evaluiert (vgl. Parry 2004b: 978 für einen Überblick über entsprechende Studien und Parry 2005 für Widersprüche zwischen schriftlichen Empfehlungen und der komplexen Praxis). Seit ca. 20 Jahren besteht ein Trend zur Akademisierung und Professionalisierung des Berufs. Die höheren Anforderungen in der Ausbildung gehen auch mit einem anderen Selbstverständnis einher: Man arbeitet nicht vorrangig in einer der Ärzteschaft ‚dienenden‘ Rolle, sondern folgt eigenen theoretischen Konzepten, Leitfäden und Evaluationsprozessen (vgl. Sciborski 2009: 24ff.). 2 Von besonderer Bedeutung sind normative Modelle und Theorien über Interaktion, die das Handeln von AkteurInnen in medizinischen Settings stark beeinflussen; Peräkylä/ Vehviläinen (2003: 729) sprechen von „professional stocks of interactional knowledge“ (SIK). Konversationsanalysen können solches ‚Wissen‘ detaillieren, neu perspektivieren, korrigieren und ausweiten. Es ist nicht Ziel des vorliegenden Beitrags, eine Kritik der beobachteten Interaktionen vorzunehmen oder problematische Sequenzen hervorzuheben, doch die erwähnten SIKs sind für die Therapie und die durch sie angestoßenen Veränderungsprozesse ein maßgeblicher Input. Einzelstudien zu linguistischen Aspekten der Physiotherapie beschäftigen sich unter anderem mit evaluativen Praktiken von TherapeutInnen (vgl. Josephson et al. 2015), mit Entlassungsgesprächen (vgl. Wiles et al. 2004, Keel/ Schoeb 2016, Keel/ Schoeb 2017), mit Gesprächen über Therapieziele (vgl. Parry 2004a, Schoeb et al. 2013), mit Verhandlungen über Können und Nicht-Können (vgl. Parry 2004a, Parry 2005) sowie mit Begründungen (‚accounts‘) von Anleitungen und Empfehlungen (vgl. Parry 2013). Ausgewählte für den vorliegenden Beitrag relevante Ergebnisse aus diesen Studien fließen in die Analyse in Abschnitt 4 ein. 2 Im Sammelband von Elzer (2009b) werden Konzepte und Methoden des Kompetenzerwerbs aus einer praxisorientierten Sicht dargestellt. 272 Heike Ortner 3 Material und Methode 3.1 Material: Pilotstudie „Sprache und Bewegung“ In der Pilotstudie „Sprache und Bewegung: Therapeutische Bewegungsinstruktionen in der Neurorehabilitation“ untersuche ich anhand von Ton- und Videomaterial die interaktionale Konstruktion von ‚motion events‘ in der Physiotherapie. Die Aufnahmen werden an einer Klinik für Neurorehabilitation durchgeführt. 3 Die meisten PatientInnen sind in Rehabilitation infolge eines Schlaganfalls, auch ‚apoplektischer Insult‘ - eine „Ischämie bestimmter Hirnareale“ (Mayer/ Siems 2011: 16), die mit Lähmungserscheinungen, Sprachstörungen und anderen neurologischen Ausfällen einhergeht. Der zweite Schwerpunkt der untersuchten Reha-Klinik ist Multiple Sklerose, wahrscheinlich eine Autoimmunerkrankung, die vielfältige Symptome wie z. B. Spastik, Kraftminderung und Sensibilitätsstörungen verursachen kann (vgl. Mayer/ Siems 2011: 130; Fries/ Freivogel 2010: 232). Bei beiden Erkrankungen sind die vorrangigen Therapieziele die Wiederherstellung, Verbesserung oder Erhaltung von Bewegungsabläufen (vgl. Mayer/ Siems 2011: 16, 132). Ausschlusskriterien bezüglich der PatientInnen sind nicht-deutsche L1, schwere kognitive und sprachliche Defizite und eingeschränkte Geschäfts- und Einwilligungsfähigkeit. Alle bisher aufgezeichneten PatientInnen haben viel Therapieerfahrung, entweder aus früheren Reha-Aufenthalten oder weil die aktuelle Therapie bereits einige Wochen andauert. Im ersten Erhebungszyklus, der die empirische Grundlage des vorliegenden Beitrags darstellt und vorrangig der Exploration der institutionellen und videografischen Möglichkeiten und Einschränkungen diente, wurden zehn physiotherapeutische Einheiten mit neun PhysiotherapeutInnen sowie ebenfalls neun PatientInnen mit einer Gesamtdauer von rund 425 Minuten aufgezeichnet. 4 3 Alle Einheiten wurden in einem separaten Therapieraum mit zwei Dashcams und einem Tonbandgerät aufgezeichnet. Weitere Aufnahmen sind geplant und werden auch ergotherapeutische Interventionen einbeziehen. Zudem soll Material gesammelt werden, anhand dessen der Verlauf der Therapie nachvollziehbar wird. 4 Aus datenschutzrechtlichen Gründen wird die Nennung des genauen Aufnahmeortes und -zeitpunktes sowie die Angabe soziodemografischer Daten (Alter, Geschlecht) unterlassen. Einer Videografie medizinischer Interaktionen, die von Vertrauen und Vertraulichkeit geprägt sind, müssen umfangreiche ethische Überlegungen vorausgehen. Risiken sind beispielsweise negative Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Therapeut/ in und Patient/ in. Das Beobachterparadoxon ist bei der Auswertung stets zu bedenken: Die Kamera ist Teil des Settings. Den Empfehlungen von Parry et al. (2016) hinsichtlich Zugang, Auswahl der ProbandInnen, informed consent , Aufnahme und Datensicherung wurde entsprochen. Für das Projekt liegt die Genehmigung der zuständigen Ethikkommission vor, alle Auflagen wurden erfüllt (Einverständnis des Betriebsrats, Aufklärung über Zweck des Projekts und Freiwilligkeit der Teilnahme, Einholung von Einverständ- „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 273 3.2 Methode: Multimodale Interaktionsanalyse Die vorliegende Untersuchung ist der interaktionalen Linguistik bzw. der multimodalen Interaktionsanalyse zuzuordnen. Der Schwerpunkt der in diesem Beitrag vorgenommenen Interaktionsanalysen liegt auf sprachlich-interaktiven Verfahren, mit denen Veränderungen auf unterschiedlichen zeitlichen, materiellen und konzeptuellen Ebenen angestoßen werden. Durch Mikroanalysen interaktionaler Sequenzen werden die Formen und Funktionen „situativ relevant gesetzter Ressourcen“ (Hausendorf et al. 2012: 9) innerhalb eines Interaktionsensembles dargestellt. Interaktionsensembles sind der Rahmen, in dem ein bestimmtes ‚participation framework‘ (z. B. Sprecher, Adressat, Zuhörer) gemeinschaftlich die Aufgaben eines spezifischen ‚activity framework‘ (z. B. Schmerzlokalisierung durch Zeigen am Körper) löst (vgl. Stukenbrock 2008). Ausdrucksmodi bzw. Ressourcen sind Stimme, Lautstruktur, Gestik, Mimik, Blick, Körperhaltung, Körperorientierung, Position im Raum, Bewegungsarten (vgl. Deppermann/ Schmitt 2007: 24f.). Untersuchte Themen sind z. B. Synchronizität, Sequentialität und Simultaneität (Deppermann/ Linke 2010; Mondada 2007), Projektion (vgl. Auer 2015) sowie Koordination und Alignment (vgl. Deppermann/ Schmitt 2007) in spezifischen Situationen (z. B. Bürgerversammlungen, vgl. Mondada 2012). Räumliche Strukturen sind sozial konstituiert und konstituierend. Allgemein dient der Raum als Ressource der Raum- und Interaktionskonstitution, aber auch als Ressource für interaktive Problemlösungen. Beispielsweise wird die Turn- und Sequenzorganisation teilweise durch Bewegung der Beteiligten im Raum bewerkstelligt (vgl. Hausendorf et al. 2012: 18f.). Spezifisch mit Instruktionssituationen im Rahmen körperlicher Praktiken (‚embodied practices‘) setzt sich Stukenbrock (2014) auseinander: In Interaktionen mit instruktiven Anteilen, zu denen auch physiotherapeutische Behandlungen gehören, ist der Körper mit seinen Bewegungen einerseits eine zentrale Ressource der Face-to-face-Interaktion, beispielsweise durch die kommunikative Bedeutung von Blicken und mimischen Displays, andererseits ist er gleichzeitig Objekt der Kommunikation, der Demonstration und der Evaluation in dem Sinne, dass Instruierende/ r und Instruierte/ r Anleitungen und Ausführungen der Anleitung aufeinander abstimmen. Stukenbrock (2014: 84) schlägt ein multimodales Adjazenzpaar vor, das im ersten Teil (‚initiative‘) meist eine verbale und gestische Instruktion und niserklärungen aller Aufgezeichneten, sichere Speicherung der Daten, Trennung von personenbezogenen Daten und Material, Pseudonymisierung). Eine Auflage der Ethikkommission war, dass keine Ausschnitte aus dem Material in der Öffentlichkeit präsentiert werden dürfen. Auch für den Abdruck von Abbildungen liegt keine prinzipielle Genehmigung vor - eine starke Verfremdung beeinträchtigt die Aussagekraft der Abbildungen so sehr, dass ich darauf verzichte. 274 Heike Ortner im zweiten Teil (‚responsive‘) eine körperliche Ausführung in Kombination mit einer visuellen Orientierung enthält. Einige typische Muster in physiotherapeutischen Interaktionen werden in Abschnitt 4 dargestellt. 4 Exemplarische Analysen 4.1 Überblick: Ebenen der Veränderungskommunikation Allgemein können sich verbal thematisierte Veränderungen auf verschiedene Aspekte beziehen, z. B. auf mit der Krankheit zusammenhängende Fakten, auf körperliche Bewegungen, Handlungen und propriozeptive Wahrnehmungen, auf den Therapieverlauf oder auf psychische Dispositionen. Thematisiert werden z. B. mögliche Veränderungen der Medikation und Bedingungen der Entlassung aus der Klinik. Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf dem zentralen Aspekt der physiotherapeutischen Veränderungskommunikation: auf den Anleitungen und Evaluationen bezüglich der Veränderung einer motorischen Sequenz. Die dabei vorgenommenen Raumreferenzen und Bezugnahmen auf Körperteile, Bewegungsrichtung, Bewegungsqualität und Bewegungsrhythmus sind relativ standardisiert. 5 Veränderungen der Bewegungsausführung werden aktiv infolge verbaler, gestischer, blickgesteuerter und taktiler Instruktionen vorgenommen oder ‚passiv‘ durch meist manuelle Ausübung von Druckberührungen der TherapeutInnen (siehe Beispiel 02). Eine andere Ebene der Veränderungen sind die fortgesetzten Veränderungen in den interaktionalen Displays - vor allem hinsichtlich Gestik, Mimik, Blickverhalten, Proxemik, Berührungen und Prosodie. Veränderungen haben immer einen zeitlichen Bezug. Hier sind zwei verschiedene temporale Ebenen zu unterscheiden: • Prospektive und retrospektive Bezugnahmen: Retrospektiv wird auf bereits Erreichtes oder früher bereits Gekonntes Bezug genommen. Prospektiv wird verhandelt, was noch verbessert werden kann, welche Ziele und Schwerpunkte in der Therapie gesetzt werden (sollen). • Kurz-, mittel- und langfristige Perspektive: Mit dieser zeitlichen Komponente sind die verschiedenen zeitlichen Horizonte gemeint, die in der Therapie besprochen werden. In kurzfristiger Perspektive ist ein wesentliches Ziel der Instruktion die Wahrnehmung von Veränderungen: die Wahrnehmung eines Unterschieds zu einer vorhergehenden Ausführung in der aktuellen Einheit, 5 Fragestellungen dieser Art sind der Fokus der Pilotstudie und werden in einer Folgepublikation ausführlich behandelt, sodass im Rahmen dieses Beitrags mit seiner spezifischen Themensetzung nicht genauer darauf eingegangen wird. „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 275 die Wahrnehmung einer Veränderung bezüglich Schmerz (aktuell auftretender Schmerz), die Wahrnehmung von Grenzen der Ausführung - auch im Vergleich zu anderen Zeitpunkten während der Therapie sowie die Wahrnehmung eines Unterschieds zu früheren Einheiten. In Abschnitt 4.2 werden diese Aspekte anhand von konkreten Beispielen veranschaulicht. 4.2 Mikroebene: Lokale Veränderungen von Körperposition und Bewegungsausführung Beispiel 02 hält eine für das Korpus sehr typische Sequenz fest: Die Therapeutin und die Patientin arbeiten schon seit mehreren Minuten an der Beweglichkeit des Beckens, konkret am kontrollierten Kippen nach vorne und hinten. Zu Beginn der Sequenz liegen beide Hände der Therapeutin auf der Hüfte der Patientin. Beispiel 02: Bingo Einheit 006, T_08 = Therapeutin, P_06 = Patientin ((18: 43-20: 05)) 01 T_08 okay bleib \ βrh DA- t_08 βrh nimmt rh von der Hüfte 02 T_08 £ GU: t; t_08 £ richtet sich auf, setzt sich näher zum Kopf von P_06 03 (1.2) 6 04 T_08 und JETZT βrh probierst einmal, t_08 βrh legt rechte Hand wieder zur linken auf die Hüfte 05 T_08 das becken so ein bisschen βb £ LANG zu machen- t_08 βb schiebt mit beiden Händen Becken von P_06 in Richtung Fuß p_06 £ geht mit der Schiebebewegung mit 06 T_08 und dich DA reinzusetzen; 07 T_08 wie (-) βb geNAU. t_08 βb zieht die Hüfte von P_06 nach oben p_06 £ geht mit der Ziehbewegung mit 08 T_08 und βb £ langlanglanglangLANG; t_08 βb schiebt mit beiden Händen Becken von P_06 in Richtung Fuß 6 Die „Pausen“ sind Phasen, in denen die eigentliche therapeutische Arbeit im Sinne des Mobilisierens passiert. Die PatientInnen sind dabei nicht passiv, sondern arbeiten aktiv mit. 276 Heike Ortner p_06 £ geht mit der Schiebebewegung mit 09 T_08 GUT; + t_08 + blickt zu Gesicht von P_06 10 (2.0) 11 T_08 SUpa; 12 T_08 und NOCH einmal- 13 βb £ (1.0) t_08 βb schiebt mit beiden Händen Becken von P_06 in Richtung Fuß p_06 £ geht mit der Schiebebewegung mit 14 T_08 βb £ SE: hr gut. t_08 βb zieht die Hüfte von P_06 nach oben p_06 £ geht mit der Ziehbewegung mit 15 βb £ + (5.3) t_08 βb mehrmalige Wiederholung von Schieben und Ziehen an der Hüfte p_06 £ mehrmaliges Mitbewegen t_08 + blickt weg von der Patientin in den Raum 16 T_08 mhm, (-) 17 T_08 + lass das knie geSTRECKT, t_08 + blickt zum Knie 18 βb £ (1.5) t_08 noch zweimal Wiederholung des Schiebens und Ziehens p_06 noch zweimal Mitbewegung der Hüfte 19 T_08 geNAU; 20 (2.0) 21 T_08 + SUpa; (-) t_08 + blickt zum Kopf der Patientin 22 T_08 GEht? 23 P_06 mhm, 24 + (3.0) t_08 + blickt auf den Oberkörper von P_06 25 T_08 + okay BLEIB da- t_08 + blickt kurz auf Hüfte, dann auf Knie von P_06 26 £ βb (2.0) t_08 £ setzt sich näher zur Hüfte von P_06 t_08 βrh legt die rechte Hand auf den Oberschenkel von P_06 27 T_08 und JETZT probierst amal + das gestreckte bein- t_09 + blickt kurz zum Gesicht von P_06, dann wieder auf Hüfte „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 277 28 T_08 ein BISSchen nach hinten βrh zu tun- t_08 βrh legt die rechte Hand neben die linke auf die Hüfte 29 T_08 + OHNE dass das £ becken mitgeht. t_08 + blickt kurz zu den Füßen von P_06, dann wieder auf die Hüfte p_06 £ bewegt das Bein nach vor und zurück 30 T_08 JA gut; (-) 31 T_08 und nach βbh VOR, t_08 βbh leichte Positionsänderung der Hände an der Hüfte von P_06 32 + £(2.1) t_08 + B lic k w e c h s elt s c h n ell z w is c h e n H üft e , B ein u n d G e sicht von P_06 p_06 £ bewegt Bein vor und zurück 33 T_08 NOCHmal; 34 T_08 SUpa; 35 T_08 + geNAU. t_08 + blickt zum Gesicht von P_06 36 T_08 die HÜFte soll sich £ bewegen- t_08 £ wirft Kopf nach hinten 37 T_08 ! BIN! go; + (-) t_08 + blickt auf die Hüfte von P_06 38 T_08 ! NOCH! mal; £ t_08 £ beugt sich nach vorne 39 T_08 WOAH stop, 40 £ (1.4) t_08 £ setzt sich um p_06 £ hört auf, das Bein zu bewegen 41 T_08 wart amal 42 βbh (2.5) t_08 βbh ändert noch einmal leicht die Position der Hände, verstärkt Druck 43 T_08 + so jetzt t_08 + blickt auf Bein von P_06 44 βbh £ (3.1) t_08 βbh mehrmals Wiederholung von Schieben und Ziehen an der Hüfte von P_06 p_06 £ folgt den vorgegebenen Bewegungen 45 T_08 okay wenn du βbh [MERKst], 278 Heike Ortner t_08 βbh rüttelt an der Hüfte von P_06 46 P_06 [jo da] GEHT nix mehr; 47 βbh (1.0) t_08 βbh schiebt das Becken von P_06 nach vorne 48 T_08 h° βrh βlh PAUse. t_08 βrh löst sich von der Hüfte βlh rüttelt an der Hüfte 49 P_06 + mhm, t_08 + blickt auf das Bein 50 (2.0) 51 P_06 do * dos gspir \* i scho wieder £ * DO drein \bh gö? da das spüre ich schon wieder da drinnen gell p_06 * Zeigegeste auf Hüfte t_08 £ richtet sich auf t_08 * schüttelt den Kopf t_08 \bh löst beide Hände 52 P_06 aber £ des is ja norMAL (.) <<leiser werdend> wahrscheinlich >; p_06 £ hebt Hand und massiert sich das Hüftgelenk Unmittelbar daran anknüpfend nimmt die Therapeutin zum zweiten Mal in dieser Einheit ein elektrisches Massagegerät zur Hand. Während der Anwendung wird darüber diskutiert, dass die Muskeln lernen müssen, anders zu arbeiten - die Patientin hebt hervor, dass auch das Gehirn die Bewegungsmuster neu lernen muss. Dieses Beispiel zeigt, wie die Bewegungsanleitungen und Veränderungen während einer Übung verbal und mit Berührungen durchgeführt werden: Die Therapeutin gibt verbal Anweisungen (z. B. Z. 4-8, 27-29), korrigiert gleichzeitig mit den Händen durch das Ausüben von Druck (z. B. Z. 32), korrigiert auch verbal (Z. 8) und evaluiert anschließend die veränderte Durchführung (z. B. Z. 9, 11). Dies geschieht üblicherweise in mehreren Schritten, bis eine zufriedenstellende Bewegungsausführung vorliegt. Die Patientin gibt viele nonverbale Rückmeldungen und kurze Kommentare, die sich vor allem auf das eigene Nicht-Können bzw. die Schwierigkeiten mit der Ausübung beziehen (z. B. Z. 46). Das Blickverhalten der TherapeutInnen dient zum einen der Kontrolle der Übung, zum anderen der Markierung von Relevanz einzelner Details der Bewegungsausführung. Gelegentlich schweift der Blick bei längeren Fazilitationssequenzen, in denen nicht gesprochen wird, auch ab, teils allerdings um sich auf die haptische Wahrnehmung von Verhärtungen bzw. Bewegungsschwierigkeiten bei den PatientInnen zu konzentrieren. „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 279 4.3 Mesoebene: Erklärungen, Evaluationen und Metakommunikation Parry (2013) untersucht, wie Handlungen, Instruktionen und Empfehlungen von ‚accounts‘ (Rechtfertigungen, Begründungen, erklärenden Darstellungen) begleitet werden. Meistens sind die ‚accounts‘ und die therapeutischen Handlungen aufeinander abgestimmt, indem ein lokaler Bezug zur aktuellen Übung oder ein globaler Bezug auf mittel- und längerfristige Ziele und Abläufe der Therapie hergestellt wird. Die Verbindung von Vergangenem, Gegenwärtigem und Habituellem wird im Einzelnen nicht immer mit kausalen Konnektoren explizit gemacht, möglicherweise damit die Patientinnen und Patienten die Äußerungen als relevant für Zusammenhänge außerhalb des unmittelbaren Übungskontextes erkennen - auch das Blickverhalten und die körperliche Orientierung sind hier wichtige Hinweise zur Markierung von Relevanz. ‚Accounts‘ sind also strategisch eingesetzte Mittel, um die Relevanz einzelner Handlungen innerhalb einer therapeutischen Einheit oder über den unmittelbaren situativen Kontext hinaus zu markieren (vgl. Parry 2013: 119ff.). In Beispiel 02 wird dieses Muster beispielsweise in den Zeilen 28-29 erfüllt, indem ein kurzfristiges Übungsziel gleichzeitig als allgemein zu erreichender Zustand gerahmt wird. Das interaktive Setzen von Zielen ist aufgrund der Wissensasymmetrie zwischen Therapeut/ in und Patient/ in oft schwierig (vgl. Schoeb et al. 2013) und aufwändig. Dies trifft insbesondere dann zu, wenn die Blickwinkel der Patientinnen und Patienten berücksichtigt werden sollen, was oft patientenseitig durch Status- und Rollenüberzeugungen behindert wird, selbst wenn die TherapeutInnen sich bemühen, die Asymmetrie abzubauen (vgl. Parry 2004a: 678). In Beispiel 01 haben wir gesehen, dass der Therapeut bereits prospektiv möglichen Enttäuschungen entgegenwirkt - allerdings sind im Material Betonungen des Positiven wesentlich häufiger. Evaluationen beziehen sich in der lokalen Perspektive auf die gelungene oder noch nicht zufriedenstellende Bewegungsausführung. Die Annäherung (Approximation) an die von den TherapeutInnen beabsichtigte Bewegungsausführung wird durch Augenkontakt, Lächeln und Streichen markiert, auch durch verbale Rückmeldungen wie z. B. emphatisches ‚ja! WOLL! ‘ (siehe auch Beispiel 03). Schmerzäußerungen sind für PatientInnen in den aufgezeichneten Einheiten eine sehr deutliche Markierung von Überforderung und eine Anweisung an die TherapeutInnen, etwas an der Fazilitation, an der Position oder am gesamten Übungsablauf zu ändern. Josephson et al. (2015) diskutieren evaluative Praktiken und ihre Auswirkungen auf das Bewegungslernen und den Therapieerfolg. Sie ziehen die Appraisal-Theorie mit den Dimensionen AFFECT (emotionale Bewertungen), JUDGMENT (Beurteilungen von Verhalten) und APPRECIATION (evaluative Äußerungen über Prozesse und Objekte) heran und stellen fest, dass abgese- 280 Heike Ortner hen von einleitenden Fragen zur Tagesverfassung oder zu körperlichen Reaktionen und Körpergefühlen während einzelner Übungen wenig Emotionales verhandelt wird. Insbesondere negative Affektivität der PatientInnen wird von den TherapeutInnen kaum oder gar nicht aufgenommen. Beurteilungen in den Dimensionen JUDGMENT und APPRECIATION sind hingegen häufig und beziehen sich hauptsächlich auf aktuelle Fähigkeiten, die aktuelle Ausführung der Übung, den Vergleich zum ‚Normalen‘, ‚Gesunden‘ sowie Schmerz- und Bewegungsqualitäten. Der Fokus liegt insgesamt eher auf biomechanischen Aspekten (vgl. Josephson et al. 2015: 134f.). Durch die enge Beziehung zwischen Therapeut/ in und Patient/ in ist die Konfrontation mit Negativem schwierig; die PatientInnen haben hohe Erwartungen an die Therapie, hoffen auf eine vollständige Wiederherstellung hin zu einem Zustand wie vor dem Schlaganfall (vgl. Wiles et al. 2004: 1271, die dies im Kontext von Entlassungsgesprächen als möglichen Konfliktpunkt diskutieren). Auch in den Aufnahmen für den vorliegenden Beitrag werden negative Emotionen kaum besprochen, sondern mit einer Veränderung der Übung aufgefangen. Evaluationen werden nur selten als solche einfach hingenommen und empathisch kommentiert, sondern ignoriert, explizit zurückgewiesen, abgeschwächt oder umgedeutet. Dies ist jedoch nicht als Mangel an Empathie oder als Nicht-Nutzung eines ‚window of opportunity‘ (Muntigl et al. 2014) zu deuten, sondern ist meistens eine bewusste Strategie, wie Studien von Parry (2004a, 2005) nahelegen. Patientenseitig wird Nicht-Können z. B. durch die Demonstration von Bewusstsein und Anstrengung überdeckt, als Selbstkritik verbalisiert, durch prospektives Management (‚Das ist schwierig‘) oder Vermeidung der Zielnennung abgemildert. Hier ein Beispiel aus dem Material. Eine Patientin versucht mit Festhalten an einem Rollator aufzustehen und verliert dabei leicht das Gleichgewicht. Sie evaluiert das Missgeschick durch einen Vergleich mit anderen Zeitpunkten sehr negativ (auch ausgedrückt mit hängenden Schultern und defätistischem Ton), worauf die beiden Therapeutinnen aber nicht eingehen, sondern gleich eine gelingende Bewegungssequenz einleiten. „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 281 Beispiel 03: Evaluationen Einheit 004, T_05, T_06 = Therapeutinnen, P_04 = Patientin ((29: 57-30: 21)) 01 T_05 ! WU: ! £pa t_05 £ stützt P_04 am rechten Arm t_06 £ stützt P_04 am linken Arm 02 P04 na da MUss i nein da muss ich 03 P04 na is NET [guat gwesn] nein das ist nicht gut gewesen 04 T_05 des βrh LERN £ ma no= p_04 £ setzt sich auf die Liege zurück t_06 βrh stützt P_04 am Rücken 05 T_05 =des LERN ma no; 06 T05 na okAY? = 07 T_05 =gleich no amoi, gleich noch einmal (1.5) 08 P_04 das ist nicht gut gwen das ist nicht gut gewesen 09 T_06 βrh/ βlh so; t_05 βrh stützt P_06 am Arm t_06 βlh stützt P_06 am Arm 10 P_04 nor-normalerweise konn i des besser normalerweise kann ich das besser £ (3.2) p_04 £ setzt mehrmals zum Aufstehen an und erhebt sich t_05 βrh stützt P_06 am Arm t_06 βlh stützt P_06 am Arm 11 T_05 ja! WOLL! ; 12 T_05 βlh SU: ! pa; t_05 βlh berührt P_06 stützend am Oberschenkel Therapeutenseitig wird das Nicht-Können häufig übergangen, abgeschwächt oder durch das Anstoßen einer Sequenz bearbeitet, die erstens die Initiation einer Bewegungsausführung, zweitens die verbale Zurückweisung einer Komponente der Ausführung und drittens die gemeinsame Reparatur des Fehlers umfasst (vgl. Parry 2004b: 1000; Parry 2005). Letzteres kommt im Material für den vorliegenden Beitrag sehr häufig vor. Selbstkritik (‚das kann ich sonst besser‘) wird üblicherweise mit Lob und der Betonung des Könnens begegnet (‚schon viel besser als gestern‘). Das Nicht-Eingehen auf patientenseitige Berichte über 282 Heike Ortner Schwierigkeiten (‚troubles telling‘) ist nicht als Vermeidungsverhalten zu sehen, sondern als eine Strategie, sensibel mit dem Nicht-Können umzugehen - Ambiguität widerspricht zwar der therapeutischen Handlungsmaxime der Klarheit, ist aber manchmal funktional (vgl. Parry 2005: 155). Im Gegensatz zur Beurteilung im Rahmen von ärztlichen Gesprächen und in der Psychotherapie (vgl. Antaki 2014) sind Abschweifungen in der physiotherapeutischen Interaktion nicht dysfunktional und werden von den TherapeutInnen nicht zurückgewiesen oder auf diagnostisch relevante Aspekte umgelenkt. Vielmehr ist es üblich, während länger andauernder Fazilitationen über therapiebezogene, tagesaktuelle oder persönliche Themen zu sprechen - gelingende „Para-Kommunikation“ hält Elzer (2009a: 173) für eine wichtige Teilkompetenz von PhysiotherapeutInnen, da viele PatientInnen auch als Menschen mit einer Persönlichkeit und einem Leben jenseits ihrer Erkrankung wahrgenommen werden möchten. Auf der Mesoebene geht es um die angestrebte und allmählich eingeübte Veränderung von Bewegungsmustern im Alltag oder um die mittelfristige Perspektive der Therapie. Metakommunikation - also das Sprechen über die Therapie - betrifft Evaluationen der aktuellen Bewegungsausführung, extensive Erklärungen von körperlichen Zusammenhängen und Fehlern, Effekte der Therapie (vorrangig positiv) und gemeinsames Lachen über Anstrengung, Stress und Fehlschläge. Besonders häufig ist das Evaluieren von Körpergefühlen: ‚isch des ongenehm? ‘ (‚ist das angenehm? ‘), ‚wo tuat’s genau weh? ‘ und ‚wos spiast jetz? ‘ (‚was spürst du jetzt? ‘) sind dafür typische Formulierungen. 4.4 Makroebene: Globale Veränderungen und längerfristige Perspektiven Frommelt (2010) hebt hervor, dass ein wichtiger Teil der Neurorehabilitation individuelle Narrative, Ressourcen, Stärken und Bedürfnisse der PatientInnen sind. TherapeutInnen und PatientInnen haben sehr unterschiedliche Vorstellungen von Gesundung, Erholung und Heilung, was auch zu Konflikten und patientenseitigen Enttäuschungen führen kann, wie Wiles et al. (2004) in Bezug auf Entlassungsgespräche mit Schlaganfall-PatientInnen feststellen. Im vorliegenden Material sind Ausschnitte einer längerfristigen therapeutischen Beziehung enthalten. Bercelli et al. (2013) beschreiben übergreifende sprachliche Handlungen wie Reinterpretationen in der Psychotherapie, doch auch in der Physiotherapie zeigen sich Elaborationssequenzen über mehrere Einheiten hinweg im Sinne von Bezugnahmen auf frühere Gespräche und gemeinsam Erarbeitetes. Im folgenden Gesprächsausschnitt wird das aktuelle physiotherapeutische Geschehen in seinen größeren Kontext eingeordnet. „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 283 Während der Therapeut das Bein mobilisiert, spricht er mit der Patientin über die weiteren Schritte ihrer Therapie - die Eltern der jungen Patientin suchen ein ambulantes Therapiezentrum für sie. Während des gesamten Gesprächs hält der Therapeut mit beiden Händen das linke Bein der Patienten angewinkelt in der Luft und bewegt es nach links und rechts oder zieht und schiebt daran (wird im Transkript nicht mehr im Einzelnen beschrieben). Beispiel 04: Mittel- und langfristige Pläne Einheit 001, T_01 = Therapeut, P_01 = Patientin ((34: 10-36: 00)) 01 T_01 das würde a SINN mochn; das würde auch Sinn machen 02 T_01 wia ISCH es- wie ist es 03 hobm sei wos gsogt + wie LONG du no do bischt? haben sie etwas gesagt wie lange du noch da bist t_01 + blickt P_01 an 04 P_01 (verneinend) ʔ hm * ʔ hm= \* * p_01 * schüttelt den Kopf t_01 * schüttelt den Kopf 05 P_01 =das hat + der doktor [NAME]= t_01 + blickt wieder auf das Bein 06 P_01 =DER hat ähm= 07 =der hat was GSAGT letzte woche- 08 dass sich des + £ DIEse woche entscheidet; p_01 £ hebt den Arm p_01 + betrachtet ihre Fingernägel 09 P_01 wie lang ich noch bleib. 10 so, 11 (3.0) 12 bis JETzt βrh nix. 13 t_01 βrh löst eine Hand vom Bein, legt sie auf das andere Bein 14 T_01 des isch do £ nit guat do; das ist nicht gut da t_01 £ richtet sich auf, drückt das rechte Bein stärker nach unten 15 P_01 ne? 16 T_01 (verneinend) ʔ hm * ʔ hm; t_01 * schüttelt den Kopf 17 £ (2.8) t_01 £ bewegt das linke Bein von P_01 stärker hin und her 284 Heike Ortner 18 T_01 * mah; t_01 schüttelt den Kopf In Z. 14 führt der Therapeut das Gespräch vom prospektiven Kontext der Therapie zurück zur unmittelbaren manuellen Behandlung. In der Folge wird lange am Hüftbeuger gearbeitet während einer begleitenden Diskussion, dass die Patientin wieder lernen muss, mit diesem Muskel richtig umzugehen - die Patientin weist dies zunächst als unmöglich zurück, doch schließlich wird durch die mehrminütige Mobilisation eine Lockerung erzielt. Die langfristige Perspektive der Therapie wird häufig so wie hier nebenbei besprochen - welche weiteren Reha-Maßnahmen angepeilt werden, wie sich der Alltag langfristig gestalten wird. Therapiemüdigkeit wird im Material nie explizit thematisiert, aber es werden von den PatientInnen immer wieder Veränderungen hinsichtlich ihrer Einstellung zum therapeutischen Geschehen und ihrer Fähigkeiten eingefordert. Auch die Beziehung zwischen Patient/ in und Therapeut/ in selbst ist im Rahmen der wechselseitigen Wahrnehmungs- und (Re-)Aktionsprozesse im Therapieverlauf Veränderungen unterworfen, die im vorliegenden Material nur indirekt durch Bezugnahmen auf frühere Zustände sichtbar werden. 5 Zusammenfassung und Ausblick Der Titel dieses Beitrags bezieht sich auf eine Gesprächssequenz, die ich im Rahmen von vorbereitenden Hospitationen beobachtet und während der Interaktion notiert habe. Da diese ersten Besuche in der Reha-Klinik nicht videografiert wurden, ist die Äußerung kein Teil des Korpus. Sie veranschaulicht jedoch das Fazit des vorliegenden Beitrags sehr gut und soll daher, obwohl gesprächslinguistischen Ansprüchen nicht genügend (und daher auch nicht nach den Konventionen der anderen Beispiele transkribiert), im vollen Wortlaut wiedergegeben werden - getätigt wurde sie von einer Physiotherapeutin, während sie mit einer zweiten Kollegin an der Mobilisierung eines Patienten arbeitet: 1 Therapeutin1: des woa heit a bissi vü [das war heute ein bisschen viel] 2 des moch ma näkschte woch no amol (Pause) [das machen wir nächste Woche noch einmal] (dreht den Kopf und sieht dem liegenden Patienten ins Gesicht) 3 (lächelnd) das werden wir schon hinkriegen 4 dass wir den ganzen mann wieder zusammenbringen. „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 285 Neben dem stark markierten Code-switching zwischen lokalem Dialekt und Standardsprache (zwischen Z. 2-3) und der multiplen Adressierung an den Patienten und die Mit-Therapeutin (Z. 3) ist erwähnenswert, dass drei verschiedene Zeithorizonte angesprochen werden: eine kurzfristige retrospektive Evaluation (die gerade abgeschlossene Therapieeinheit in Z. 1), eine mittelfristige prospektive Ankündigung (der baldige Therapieverlauf in Z. 2) und eine langfristige prospektive Affirmation (der erwartete Outcome der Therapie in Z. 3-4). Das Beispiel zeigt, wie schnell Perspektiven und Bezüge auf Veränderungen in den therapeutischen Maßnahmen gewechselt werden, um ein integriertes Bild der Therapieziele zu erreichen. Das ‚wir‘ bezieht sich dabei nicht allein auf die anwesenden Therapeutinnen, sondern schließt auch den Patienten ein. Dass die Therapie auf der physischen und multimodalen Kooperation zwischen Therapierenden und Therapierten beruht, wird in den aufgezeichneten Einheiten sehr häufig explizit verbalisiert, oft auch mit starken Aufforderungen zum „Mit-Tun“, zum „Sich-Konzentrieren“, zum Verändern von Bewegungsdetails, von Positionen oder auch von internalen Einstellungen und Evaluationen in Bezug auf den kurz-, mittel- und langfristigen Verlauf der Therapie. Von besonderer Wichtigkeit für die Therapie ist das „Hineinspüren“, das in den vielen ‚stillen‘ Teilen der physiotherapeutischen Einheiten von beiden Seiten intensiv durchgeführt wird, meist angeregt durch Berührungen, Zeigegesten und Blickverhalten. Es ist schwierig, der Komplexität dieses interaktionalen Geschehens in einem letztendlich linearen Text auch nur annähernd gerecht zu werden - doch durch die heuristische Portionierung in bewältigbare Beobachtungseinheiten (in der Transkription und Annotation in verschiedene ‚tiers‘) sowie bei der Wieder-Zusammensetzung unter dem besonderen Blickwinkel der Koordination zeigen sich Muster der physiotherapeutischen Veränderungskommunikation insbesondere im Bereich der kurzfristigen übungsbezogenen Veränderungen körperlicher Bewegungen. Entgegen der Vorstellung, dass Instruktionen ein Top-down-Geschehen sind (von TherapeutInnen zu PatientInnen) wird die korrekte Bewegungsausführung durch das körperliche Aufeinander-Ausrichten im Raum, durch Abstimmungsprozesse mithilfe von Blicken, Berührungen und Zeigegesten sowie in verbalen Verhandlungen über Bewegungsanteile wie z. B. die Amplitude hergestellt. Genauso wichtig und mit den Bewegungsinstruktionen verzahnt sind jedoch nicht auf den unmittelbaren Übungszusammenhang gerichtete Verhandlungen der mittel- und langfristigen Therapieziele, der Perspektiven und Grenzen dessen, was mit der Physiotherapie erreicht werden kann. Hier stellt es eine besondere Herausforderung für Therapeut/ in und Patient/ in dar, zu einer realistischen Einschätzung der zu erwartenden Veränderungen zu kommen, den Blick auf das bereits Erreichte zu lenken, Ver- 286 Heike Ortner änderungspotenziale aufzuzeigen, negativen Entwicklungen vorzubeugen und drohenden Enttäuschungen zu begegnen. Ein weiteres lohnendes Untersuchungsobjekt sind Rollendynamiken, insbesondere in interprofessionellen Einheiten, an denen mehrere Therapeutinnen und Therapeuten (Physio- und ErgotherapeutInnen sowie LogopädInnen) mitwirken. Ebenfalls weitere Untersuchungen wert sind motivationale Strategien, die nicht einfach von TherapeutInnen auf der Grundlage professionellen Handlungswissens angewendet werden, um PatientInnen zu etwas Bestimmtem zu bringen, sondern erst greifbar werden in einer sequenziellen Analyse interaktionaler Displays auf verschiedenen Ebenen durch alle beteiligten Personen. 7 Veränderungskommunikation in der Physiotherapie bezieht sich also auf pro- und retrospektive kurz-, mittel- und langfristige körperliche Erfahrungen, die therapeutische Beziehung selbst und die Ziele in- und außerhalb der Therapie. Transkriptionszeichen 8 [ ] Überlappungen (.), (-) Mikropause (bis 0.2), kurze Pause (bis 0.5) - geschätzt (1.5) Pause in Sekunden - gemessen ((lacht)), ((hustet)) Para- und außersprachliche Handlungen °h / h° Einatmen, Ausatmen akZENT ak! ZENT! Fokusakzent extra starker Akzent ? Tonhöhenbewegung: hoch steigend , Tonhöhenbewegung: mittel steigend 7 Dazu gehören oft - wenn auch nicht im Material zum vorliegenden Beitrag - die Angehörigen. 8 Die Transkription orientiert sich an GAT2 (Selting et al. 2009), ergänzt durch die bei Mondada (2007, 2012) veranschaulichten Konventionen zur Notation verschiedener Ebenen interaktionaler Displays. Mondadas Ansatz wurde für den vorliegenden Beitrag jedoch vereinfacht: Die Erstreckung einer Geste wird nicht wie bei Mondada mit einem ----> bei einer Ausdehnung über mehrere Zeilen hinweg dargestellt; das Ende eines Displays wird mit einem \ markiert, sofern keine Veränderung durch ein neues Zeichen angezeigt wird. Das heißt, dass eine Geste etc. so lange andauert, bis entweder ein anderes Zeichen folgt oder der Endpunkt mit \* markiert wird. Das bedeutet auch, dass die Transkription nicht durchgehend Informationen über alle Ebenen ( tiers ) liefert. Dies war eine Entscheidung für den vorliegenden Beitrag, um die Transkripte besser lesbar zu machen und nur die kommunikativ relevanten Veränderungen übersichtlich zu markieren. „Das werden wir schon hinkriegen-…“ 287 - Tonhöhenbewegung: gleichbleibend ; Tonhöhenbewegung: mittel fallend . Tonhöhenbewegung: tief fallend <<lachend> > Sprachbegleitende para- und außersprachliche Ereignisse (Beginn-Ende) ( ) Unverständlich = Schneller Anschluss : Dehnung, Längung * Beginn oder Ende einer Geste mit verbaler Beschreibung *rh Geste mit rechter Hand *lh Geste mit linker Hand *b Geste mit beiden Händen + Beginn eines Blickes mit verbaler Beschreibung β Beginn einer Berührung mit verbaler Beschreibung βrh Berührung mit rechter Hand βlh Berührung mit linker Hand βb Berührung mit beiden Händen £ Beginn einer Handlung mit verbaler Beschreibung \*, \+, \β, \£ Ende einer Geste, eines Blicks, einer Berührung, einer Handlung T_01 Kürzel des Teilnehmers bzw. der Teilnehmerin für eine verbale Äußerung t_01 Kürzel des Teilnehmers bzw. der Teilnehmerin für ein multimodales Display (Geste, Blick, Handlung) Literatur Alkemeyer, Thomas/ Brümmer, Kristina/ Kodalle, Rea/ Pille, Thomas (2009). Einleitung: Zur Emergenz von Ordnungen in sozialen Praktiken. 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Neben verschiedenen Dimensionen von Veränderung lässt die Diskussion auch erkennen, in welche Richtungen sich die sprachwissenschaftliche Untersuchung von Veränderung fruchtbar weiterentwickeln kann, so dass auch das Entwicklungspotential qualitativ-sprachwissenschaftlicher Veränderungsforschung aufgezeigt wird. Abstrakt handlungslogisch (im Sinne von Wrights 1994) lässt sich Veränderung zunächst grundsätzlich als Prozess beschreiben, der an einer Ausgangsituation s1 ansetzt, in der mindestens ein Aspekt (a1…an) als mangelhaft empfunden wird: s1a1 oder s1a1a2 oder s1a1a2an. Die als problematisch erfahrenen Aspekte reichen in den im Band untersuchten Arbeiten von einer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit (Ortner) zu einer bis zur Suizidalität führenden psychischen Problematik (verschiedene Beiträge zur Psychotherapie) und Schwierigkeiten, die eigene Emotionalität in einem männlich-dominierten beruflichen Umfeld zu behaupten (Graf und Jautz). Die in den Beiträgen en détail untersuchten interaktiven Prozesse (i) machen diese Aspekte je unterschiedlich zum Gegenstand sprachlicher, mentaler und aktionaler Bearbeitung und lassen so mögliche Veränderungen entweder als Potenz erkennbar werden [((s1an)i) → s1an n ] oder realisieren sie bereits ganz [((s1an)i) → s1an+n] oder in Teilen [((s1)i) → s1an+ ], so dass die Ausgangssituation s1 graduell je unterschiedlich bearbeitet wird: s1+ . Wie die Analysen in diesem Band zeigen, lässt sich über dieses handlungslogische Schema hinaus deutlich mehr über Veränderung sagen, ja, die Bedeutung der qualitativen Veränderungsforschung liegt gerade in den Beobachtungen, die über einen solch abstrahierenden Zugriff auf Veränderung hinausgehen und im Folgenden zusammengefasst werden sollen. Gleichwohl bietet ein solches Schema nicht nur einen grundsätzlichen Zugang zu Prozessen, die Veränderung zentral bestimmen, sondern lässt auch die Aspekte sichtbar werden, die je unterschiedlich bearbeitet werden: neben der bereits angesprochenen 292 Claudio Scarvaglieri, Eva-Maria Graf & Thomas Spranz-Fogasy problematischen Ausgangssituation s1 sind dies insbesondere die Veränderung auslösenden interaktiven Prozesse (i) und die Substanz der Veränderung an sich (abstrakt beschrieben als ). 1 1. Empirische Dimensionen von Veränderung Aufbauend auf dieser Darstellung lassen sich für einen systematisierenden Zugriff auf Veränderungsprozesse einige der bereits in dem den Band einleitenden Beitrag (Graf u. a.) angesprochenen Aspekte heranziehen, die Beiträge weisen aber auch auf weitere Punkte hin, die bei der Erforschung der Veränderungswirkung von Kommunikation in helfenden Berufen von Bedeutung sind. Die resultierenden Veränderungen ( ) lassen sich, den Beiträgen folgend, auf einem Kontinuum zwischen (eher) mentalen und (eher) aktional geprägten Veränderungsprozessen verorten. So steht insbesondere in der Physiotherapie das Ausführen und Einüben körperlicher Aktionen zur Initiierung und Erreichung von Veränderung im Vordergrund, gleichzeitig zeigt sich auch hier, dass diese Prozesse nicht nur sprachlich und mental begleitet werden, sondern dass es auch um „Veränderungen hinsichtlich ihrer Einstellung [Einstellung der Patient*innen] zum therapeutischen Geschehen und ihrer Fähigkeiten“ geht (Ortner). Am anderen Pol des Kontinuums von aktionalen zu mentalen Veränderungen liegen Prozesse in psychoanalytisch orientierten Psychotherapien, welche grundsätzlich auf lange Frist angelegt sind und zunächst mentale Veränderungen anzielen (s. insbesondere Buchholz). Allerdings machen die Beiträge des Bandes deutlich, dass auch diese Prozesse letztlich aktionale Veränderungen anstreben - etwa wenn Patient*innen auf Nachfrage hin zu dem Schluss kommen, dass sie künftig mehr Respekt von Partner*innen und Freunden einfordern wollen (Kabatnik u. a.) oder wenn das Verstehen der eigenen Biographie auf eine Weise erfolgt, der ein verändertes Selbstkonzept und damit auch ein anderes Verhalten inhärent ist (Scarvaglieri). Auf einer mittleren Position innerhalb dieses Kontinuums befinden sich Veränderungsprozesse in Coaching und Sozialer Arbeit, da diese zum einen innerhalb relativ kurzer Zeit Veränderung erwirken und sicherstellen müssen (in dem bei Graf und Jautz untersuchten Beispiel geschieht dies innerhalb der zweiten bzw. dritten und letzten Sitzung des Coachingprozesses) und also vergleichsweise schnell an ‚handfesten‘ aktionalen Veränderungen arbeiten müssen. Zum anderen sind in der Sozialen Arbeit sehr starke Eingriffsmöglichkeiten im Sinne der sozialen Kontrolle devianten Verhaltens vorgesehen 1 Dabei ist die Möglichkeit, dass Veränderung nur in ihrer Potenz erkennbar wird (n n ) mitgedacht, eine Darstellung als mathematische Formel wäre jedoch redundant. Dimensionen von Veränderung in helfenden Berufen - Befunde und Perspektiven 293 (Rüegger), so dass weitgehende aktionale Veränderungen möglich, aber nicht, wie in der Physiotherapie, in jedem Fall Teil des Prozesses sind. Hinsichtlich derjenigen interaktiven Prozesse (i), die solche Formen von Veränderung anstoßen oder bewirken , lässt sich zunächst die unterschiedliche kommunikative Komplexität und Größe der in den Beiträgen untersuchten interaktiven Passagen herausstellen. Während einige Beiträge den Fokus auf einzelne sprachliche Handlungen legen (etwa auf Beispielnachfragen (Spranz-Fogasy u. a.) oder das helfende Nennen oder Bewerten von Wissen (Pick und Scarvaglieri)) zeigen andere, wie Veränderung in komplexen kommunikativen Passagen von Interaktion prozessiert wird. So stellt Buchholz die Bedeutung von Empathie und zwischenmenschlicher Verbindung zwischen Therapeut*innen und Patient*innen als Grundlage jeglicher Veränderungsprozesse in der Psychotherapie heraus und geht damit auf interaktive Vorgänge ein, die kommunikativ einerseits ubiquitär sind, da im Grunde jeder Beitrag potenziell auch die Beziehung zwischen den Interagierenden bearbeitet. Andererseits werden, wie Buchholz zeigt, Empathie und Verbindung an spezifischen, identifizierbaren kommunikativen Stellen bearbeitet (etwa wenn der Therapeut vorgreifend darauf verweist, dass das Verschweigen des Selbstmordversuches dem Patienten „moralische Probleme“ bereitet). In ähnlicher Form zeigt Pawelczyk, dass sich die vergleichsweise abstrakt formulierten allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie auf konkrete interaktive Passagen beziehen lassen, wie sich auch die in der Therapietheorie häufig sehr weit gefasste „Einsicht“ in konkreten kommunikativen Prozessen manifestiert, mit denen Therapeut*innen und Patient*innen Wissenselemente von unterschiedlicher Provenienz und auf unterschiedlichen Abstraktionsstufen so ineinander integrieren, dass den Patient*innen ein verändernder Zugriff auf das eigene Erleben ermöglicht wird (Scarvaglieri). Auch Graf und Jautz zeigen, wie die kommunikative Basisaktivität „Ko-Konstruieren von Veränderung“ zum einen mittels bestimmter kommunikativer Praktiken wie ‚Diagnostizieren‘ realisiert wird, deren lokale Ausgestaltung sich entlang der verschiedenen Sitzungen verändert, wie aber auch gleichzeitig die Ausgestaltung von ‚Ko-Konstruieren von Veränderung‘ beeinflusst wird von anderen kommunikativen Basisaktivitäten, etwa „Beziehung gestalten“. Während also die Beiträge, die einen weiten Fokus auf veränderungsermöglichende Kommunikation richten, ihre Beobachtungen stets an bestimmten Handlungen festmachen müssen, welche dann wiederum im Kontext des fokussierten übergreifenden Prozesses analysiert werden, müssen auf der anderen Seite diejenigen Analysen, die vorwiegend auf einzelne Handlungen abstellen, diese analytisch in den übergeordneten interaktiven Zusammenhang einordnen. So zeigen Spranz-Fogasy u. a. wie auch Kabatnik u. a., wie Beispiel-Nachfragen bzw. Lösungsorientierte Fragen der Therapeut*innen und Coaches im interaktiven Kontext emergieren, in eben diesem auch ihre 294 Claudio Scarvaglieri, Eva-Maria Graf & Thomas Spranz-Fogasy kommunikative Funktion erfüllen und ihr veränderungswirksames Potenzial entfalten. Auch Pick und Scarvaglieri rekonstruieren die einzelnen Handlungen, aus denen das sprachliche Helfen besteht, als „Handlungskomplex“, in dem Handlungen unterschiedlicher pragmatischer Reichweite verknüpft und auf ihre Funktionalität hin strukturiert werden. Die verschiedenen Beiträge verbindet also die Vermittlung von Phänomenbereichen variierender kommunikativer Komplexität und Größe. Die unterschiedliche empirische Ausrichtung erweist sich damit auch als jeweils verschiedene epistemische Perspektivierung von Veränderung, da alle Beiträge sowohl längere interaktive Passagen als auch einzelne Handlungen untersuchen, diesen jedoch je unterschiedlichen Status für die interaktive Gewinnung von Veränderung zuschreiben. Veränderung kann also sowohl aus der Mikro-, Meso- und Makro-Perspektive der helfenden Interaktionen analysiert werden, wobei die verschiedenen Perspektiven zueinander in Beziehung zu setzen sind. Diese jeweils unterschiedliche Perspektivierung von Veränderung geht mit einer Bewegung einher, die abstrakte Konzepte aus der therapeutischen Wirkungsforschung oder Theorien über die paradoxale Grundstruktur Sozialer Arbeit an konkrete kommunikative Phänomene rückbindet. Auf diese Weise wird in den Beiträgen erkennbar, wie Veränderung interaktiv jeweils spezifisch erarbeitet und dokumentiert wird (Buchholz etwa weist auf die Bedeutung einzelner Ausdrücke wie „a: so“ als „change-of-state-tokens“ hin, die auf erfolgte mentale Veränderungen verweisen). Indem die Interpretation dieser Phänomene innerhalb des jeweiligen institutionellen Rahmens und seiner sozialen Funktionalität erfolgt, verliert sich diese Konkretisierung nicht etwa in der Beschreibung von Einzelphänomenen, sondern lässt Veränderung pragmalinguistisch greifbar werden als etwas, das sich im Zusammenspiel der Interaktionspartner*innen und in der Vermittlung von abstrakten und konkreten Wissenselementen im Gespräch konstituiert. Die existierenden Theorien über Veränderung, die in der Regel dem untersuchten Praxisfeld bzw. der entsprechenden disziplinären wissenschaftlichen Thematisierung entstammen, werden auf diese Weise an sprachlichem Material konkretisiert und können damit auch korrigiert oder ergänzt werden (vgl. dazu allgemein Antaki 2011, Sarangi 2015). Diese „konkrete Negation“ (Rehbein 1994: 56) überkommener Theorien durch die Empirie von Veränderung wird z. B. vorangetrieben, indem die traditionelle Dichotomie zwischen technologischen und kontextuellen Psychotherapiemodellen mithilfe der Konversationsanalyse neu perspektiviert wird oder wenn Theorien aus Therapieforschung und Linguistik in einem veränderten Zugriff auf Verstehensprozesse in der Psychotherapie zusammengeführt werden. Die Arbeiten des Bandes weisen zudem durchweg darauf hin, dass Veränderung, die mittels Kommunikation angestoßen oder erreicht wird, nicht etwa Dimensionen von Veränderung in helfenden Berufen - Befunde und Perspektiven 295 nur von einer der beteiligten Seiten realisiert wird, sondern in einem interaktiven Prozess entsteht, zu dessen Gelingen oder Misslingen alle Beteiligten beitragen. 2 Es zeigt sich jedoch auch, dass der Anteil der Beteiligten an den die Veränderung auslösenden oder realisierenden Handlungen nicht immer gleich groß ist und dass initiierende und reagierende Handlungen entlang des Prozesses unterschiedlich auf die Aktant*innen verteilt sein können (vgl. Pick 2017 für eine ähnliche Unterscheidung bei beratenden und therapeutischen Diskursformen). So weist Rüegger auf die interaktive und institutionelle Dominanz der Sachbearbeiter*innen in der Sozialen Arbeit hin, die von diesen von Beginn des interaktiven Prozesses an etabliert wird, sich in unterschiedlichen „Motipulationsstrategien“ manifestiert und die Rüegger zufolge so weit gehen kann, dass sie angestrebte Veränderungsprozesse eher beeinträchtigt als fördert. Dass Veränderung also nicht nur vom Vollzug bestimmter Handlungen abhängt, sondern auch von der je angemessenen Integration von Klient*innen bzw. Patient*innen in diese Handlungen, zeigen etwa auch die Analysen zur Kommunikation in der Physiotherapie, bei der die Agent*innen zwar die auszuführenden Bewegungen vorgeben und anleiten, dabei aber auf die Beteiligung der Patient*innen angewiesen sind und diese in ihren eigenen Handlungen zentral berücksichtigen müssen. Während Soziale Arbeit und Physiotherapie relativ stark von den Handlungen oder Handlungsvorgaben der Agent*innen bestimmt werden, lassen diese in Coaching und Psychotherapie den Klient*innen und Patient*innen vergleichsweise viel interaktiven Raum - dies zeigt sich bereits beim Blick auf die Verteilung der Sprecheranteile, die bei den letztgenannten Diskursen deutlich auf Seiten der Klient*innen bzw. Patient*innen liegt. Dennoch ist auch in diesen Diskursen das Handeln der Coaches und Therapeut*innen von zentraler Bedeutung, da dieses letztlich die institutionelle Charakteristik der jeweiligen Diskursformen realisiert (entsprechend fokussieren Kabatnik u. a. und Spranz-Fogasy u. a. auf Handlungen der Therapeut*innen) und den Agent*innen auch die Verantwortung für das Gewinnen von Veränderung zugeschrieben wird. Festzuhalten ist also, dass die kommunikative Erarbeitung von Veränderung in allen Fällen interaktiv gestaltet ist, dass diese jedoch hinsichtlich der Involvierung von Agent*innen vs. Klient*innen oder Patient*innen variieren kann. 2 In dieser Hinsicht unterscheiden sich die hier untersuchten helfenden Berufe etwa von medizinischen Berufen, in denen im Extremfall - etwa einer Notoperation - Veränderung auch ohne bewusste Beteiligung der Patient*in erreicht werden kann. Allerdings ist auch dies keineswegs der Standardfall medizinischer Versorgung, die i. d. R. zentral auf die aktive Integration der Patient*innen in den Handlungsablauf angewiesen ist (aus linguistischer Perspektive s. dazu u. a. Busch & Spranz-Fogasy 2015, Koerfer & Albus 2018). Entsprechend stellt „Beziehungsgestaltung“ eine Kernaufgabe helfender Interaktion bzw. helfender Berufe dar (Graf & Spranz-Fogasy 2018). 296 Claudio Scarvaglieri, Eva-Maria Graf & Thomas Spranz-Fogasy 2. Methodologische Aspekte der Veränderungsforschung Eine weitere Dimension von Veränderung greift neben empirischen auch methodologische Fragestellungen auf. Zentral für die Erforschung von Veränderung ist schließlich die Frage, woran diese analytisch festgemacht wird, was also - in der Terminologie der etablierten Outcome-orientierten Wirkungsforschung - „Indikatoren“ für Veränderung sind. Die Beiträge weisen in dieser Hinsicht auf eine gewisse Bandbreite dessen hin, was als Dokumentation oder Indikation von Veränderung verstanden werden kann. Dazu gehören etwa Äußerungen der Klient*innen oder Patient*innen, die mentale Veränderungen explizit kommentieren („Da hab ich eigentlich noch nich dran gedacht. ((1,2s)) Vielleicht ham Sie da Recht.“ (Scarvaglieri, vgl. Buchholz)) und damit auf Effekte der vorangegangenen Intervention verweisen. Einen ähnlichen, aber weiteren, Fokus legt das Konzept der „Antwortoptimierung“ (Kabatnik u. a.) an, welches mehrere Sprecherzüge umfasst - nachdem Patient*innen zunächst dispräferiert auf eine Lösungsorientierte Frage geantwortet hatten, reagieren sie auf eine weitere Äußerung der Therapeut*in in deutlich übereinstimmender Form, indem sie etwa mögliche Lösungen für Probleme formulieren und damit „lokale Veränderungen“ ausdrücken. Im Coaching wird die Frage von Veränderung im Vergleich zur Psychotherapie deutlich aktiver und expliziter thematisiert, so dass Graf (2015, 2019) das „Ko-Konstruieren von Veränderung“ als eine von vier kommunikativen Basisaktivitäten des Coachings bestimmt. Entsprechend finden sich in den Gesprächen längere Passagen, in denen Veränderungsmöglichkeiten thematisiert und verabredet werden - in dem bei Graf und Jautz diskutierten Fall gehört etwa dazu, dass eine „therapeutische Begleitung“ der Klientin nach Abschluss des Coachings vorgeschlagen wird sowie wiederholt auf Mittel hingewiesen wird, mit denen die Klientin sich das eigene Empfinden bewusst machen kann. Noch handfester wird Veränderung zum Teil in der Physiotherapie spürbar, etwa wenn Therapeut*innen Erfolge bei der gesteuerten oder autonomen Ausführung von Bewegungen explizit kommentieren („ja! WOLL! “, „SU: ! pa“, „schon viel besser als gestern“ (Ortner)). Daneben zeigt sich aber auch in dieser Form helfenden Handelns, dass einzelne Veränderungen, die von den Therapeut*innen angestrebt und in der Analyse thematisiert werden, im Status der Potenzialität verbleiben - so werden Veränderungen der Einstellung zur eigenen Bewegungsfähigkeit zwar angesprochen, z.B indem negative Einschätzungen der Paient*innen zurückgewiesen werden. („Ah geh, das geht doch schon ganz gut“). In der analysierten interaktiven Situation bleibt aber unklar, ob sie von den Patient*innen wirklich vollzogen werden. Ähnlich ist dies häufig in der Psychotherapie - so zeigt etwa Pawelczyk, wie z. B. durch „co-narration“ von problematischen Lebensepisoden interaktive Momente hergestellt werden, Dimensionen von Veränderung in helfenden Berufen - Befunde und Perspektiven 297 die zu sprachlichen und mentalen Veränderungen führen können. Ähnlich wie bei der Erarbeitung von einem verstehenden Zugriff auf das eigene Erleben (Scarvaglieri) und einigen weiteren Beiträgen zur Psychotherapie kann eine behaviorale Veränderung jedoch nicht in actu nachgewiesen werden, diese verbleibt im Status der Potenzialität. Eine Reihe von Arbeiten der linguistischen Veränderungsforschung in der Psychotherapie (neben den hier versammelten z. B. auch Muntigl und Horvath 2005, Scarvaglieri 2015) beschreiben also interaktive Prozesse, die Ausgangspunkte für heilende mentale Prozesse sein können, welche dann ihrerseits zu verändertem Handeln und Erleben auf Seiten der Patient*innen und damit zu einem Abklingen der Symptomatik führen. Da Psychotherapie im Wesen eine sprachlich-interaktive Bearbeitung mentaler Prozesse innerhalb einer interaktiven Dyade ist, deren Veränderungswirkung sich im Handeln außerhalb dieser Dyade, im Umgang mit anderen Personen, manifestieren soll (vgl. Scarvaglieri 2013), ist diese Problematik der qualitativen therapeutischen Veränderungsforschung inhärent - Veränderungsprozesse werden in der Interaktion von Therapeut*innen und Patient*innen angestoßen, im Normalfall aber außerhalb dieser vollzogen (die Situation im Coaching ähnelt dieser, allerdings hat sich in diesem Diskursformat ein expliziterer Umgang mit Fragen der Veränderung etabliert, was auf die Berufs- und Ergebnisbezogenheit des Coachings, welche sehr klare Prozessziele nahelegt, zurückzuführen ist). Gesprächslinguistische Ansätze, wie sie in diesem Band versammelt sind, können anhand des gegebenen sprachlichen Materials aus der interaktiven Dyade daher solche Momente des Anstoßens von Veränderung identifizieren, sie können, da Patient*innen und Klient*innen nicht in ihrem Alltag beobachtet werden, jedoch nicht unmittelbar verifizieren, inwiefern sie tatsächlich behaviorale Konsequenzen zeitigen. In dieser Hinsicht bietet sich perspektivisch eine methodische Weiterentwicklung der Veränderungsforschung an, indem qualitative Verfahren mit Methoden der quantitativen Outcome-orientierten Forschung wie z. B. Fragebogenerhebungen zu verschiedenen Messzeitpunkten kombiniert werden. Daneben zeigt sich die mehr oder weniger explizite Thematisierung und Bearbeitung von Veränderung im Gespräch als eine weitere Dimension, hinsichtlich der sich Formen von Veränderung in helfenden Berufen unterscheiden lassen. Während dies in der Psychotherapie wie beschrieben häufig im Hintergrund verbleibt und auch rein quantitativ entsprechende Passagen vergleichsweise geringen Raum einnehmen, wird im Coaching mit seiner dezidierten Ergebnisorientierung deutlich expliziter und häufiger auf Veränderung eingegangen. In der Physiotherapie werden Veränderungsprozesse nahezu konstant überwacht und auch immer wieder kommentiert, während in der Sozialen Arbeit, Rüegger folgend, mögliche Interventionen zwar lange Zeit im Hintergrund der Interaktion verbleiben, im Zweifelsfall aber durchaus manifest 298 Claudio Scarvaglieri, Eva-Maria Graf & Thomas Spranz-Fogasy in das Leben der Klient*innen eingreifen (der Sozialen Arbeit scheint daher in dieser Dimension ein Sonderstatus zuzukommen, da Veränderung einerseits über lange Strecken wenig thematisiert wird, diese andererseits aber äußerst weitgehende Folgen haben kann). Zusammenfassend lassen sich anhand der den Band konstituierenden Beiträge also fünf Dimensionen unterscheiden, die für durch Kommunikation betriebene Veränderungsprozesse allgemein von Bedeutung sind und die es ermöglichen, unterschiedliche Formen von Veränderung an sich bzw. Verfahren des analytischen Zugriffs auf Veränderung zu unterscheiden. Diese Dimensionen erfassen, ob eher mentale oder eher aktionale Veränderungsprozesse angestoßen und vollzogen werden (1); welche Komplexität bzw. interaktionale Größe den fraglichen Prozessen zukommt (2); wie Theorien von Veränderung auf empirische Prozesse bezogen und damit am kommunikativen Material konkretisiert werden (3); welche interaktiven Beiträge jeweils Agent*innen und Patient*innen oder Klient*innen übernehmen (4); sowie aus methodologischer Perspektive, an welchen Prozessen Veränderung analytisch erkennbar wird (5). Wir erwarten, dass weitere Forschungsarbeit eine Erweiterung und Verfeinerung dieses Dimensionenkatalogs erbringen wird. 3. Aufgaben und Perspektiven der Veränderungsforschung Hinsichtlich der Entwicklungsperspektiven der Veränderungsforschung wurde bereits eine notwendige Kombination mit quantitativ-statistischen Verfahren der Outcome-orientierten Forschung angesprochen. 3 Daneben weisen die Beiträge auf weitere methodologische und empirische Desiderata hin. So wird Veränderung bis dato in der Regel allein auf Seiten der Patient*innen bzw. Klient*innen verortet - Buchholz zeigt jedoch an einer Passage aus der Psychotherapie, dass nicht nur Therapeut*innen Empathie für ihre Patient*innen aufbringen, sondern dass dies auch umgekehrt passiert. Eine solche umgedrehte Perspektive legen auch viele Gespräche mit Praktiker*innen aus dem Feld nahe, die über eigene Veränderungsprozesse in biographisch besonders bedeutsamen Fällen berichten. Das professionelle Erfahrungswissen (vgl. Peräkylä & Vehviläinens 3 Hierzu sind bereits Projekte in Vorbereitung, die im Rahmen von mixed-methods Ansätzen qualitativ-linguistische Forschung zu Coaching-Prozessen kombinieren mit psychologischer Coaching-Interaktionsforschung (Graf u. a. under review) bzw. psychologischer Wirksamkeitsforschung (Künzli und Winkler under review). Während das erste Projekt das Ziel verfolgt, eine Typologie erfolgreicher, also veränderungsinduzierender, Frage-Sequenzen zu entwickeln, geht es im zweiten Projekt darum, ein Mehr-Ebenen-Responsivitäts-Modell zu entwickeln um das Problem der „appropriate responsiveness“ im Sinne von Kramer und Stiles (2015) methodisch einer Lösung näher zu bringen. Dimensionen von Veränderung in helfenden Berufen - Befunde und Perspektiven 299 (2003) „professional stocks of interaction knowledge“), aber auch vereinzelte qualitative Untersuchungen (Schmitt 2000), lassen also erwarten, dass sich auch auf Seiten der Agent*innen Veränderungsprozesse vollziehen, die für das Gelingen des institutionellen Prozesses und für patientenseitige Veränderung von Bedeutung sind. Veränderungen der an einem solchen Prozess beteiligten Personen können auch eine veränderte interaktive Beziehung mit sich bringen (Buchholz 1998: 2003) - einem konsequenten Interaktionsbegriff folgend müssen künftige qualitative Arbeiten zur Veränderung daher auch diese Dimensionen stärker in Blick nehmen. Neben der interaktiven Dyade sollte die linguistische Veränderungsforschung zudem verstärkt berücksichtigen, dass die Kommunikation in einen spezifischen institutionellen Kontext eingebettet ist und von diesem je unterschiedlich beeinflusst wird. Rüegger etwa stellt (darin u. a. Oevermann 2013 folgend) deutlich heraus, dass die institutionellen Gegebenheiten der Sozialen Arbeit das kommunikative Geschehen in einem Maße beeinflussen, das die Veränderungswirkung von Kommunikation beeinträchtigt. Auch im Coaching ist neben Coach und Klient*in die Organisation (Unternehmen, Behörde u. ä.) zu berücksichtigen, die nicht nur die finanziellen Ressourcen für den Prozess bereitstellt, sondern etwa auch die Zielsetzung und den zeitlichen Rahmen des Coachings beeinflusst (vgl. Graf und Jautz in Vorb.). So zeigt sich in dem von Graf und Jautz analysierten Beispiel, dass im Coaching nicht nur berufliche Probleme im engeren Sinne thematisch werden können, sondern auch seelische Belastungen der Klient*innen, die sich auf ihre berufliche Praxis auswirken. Die Art, wie mit diesen Problemen vor dem Hintergrund institutioneller Vorgaben (u. a. zum zeitlichen Rahmen, zum Inhalt und zur Zielstellung von Coachinggesprächen) umgegangen wird, unterscheidet sich dabei deutlich von einem Zugang, der in der Psychotherapie gewählt worden wäre. In dieser ragen institutionelle Rahmenbedingungen vergleichsweise wenig in den kommunikativen Prozess hinein (Scarvaglieri 2017 spricht daher vom „Hörerzentrierten Diskurs“ der Psychotherapie), aber auch hier können rechtliche, finanzielle oder organisationsspezifische Fragen relevant werden und den kommunikativen Prozess beeinflussen (etwa wenn eine Therapie beendet werden muss, bevor Patient*innen bereit dafür sind). Diese Aspekte sind verstärkt zu berücksichtigen, damit die Veränderungsforschung in Richtung einer linguistischen Institutionsanalyse weiterentwickelt werden kann. Einige Beiträge verweisen in diesem Sinne bereits auf die Bedeutung einer vergleichenden Perspektive auf Veränderung (Spranz-Fogasy u. a., Buchholz, Pick und Scarvaglieri). Weitere empirische Untersuchungen darüber, wie Veränderung in unterschiedlichen helfenden Berufen ihrer je spezifischen institutionellen Ausrichtung entsprechend (Graf und Spranz-Fogasy 2018) angestoßen 300 Claudio Scarvaglieri, Eva-Maria Graf & Thomas Spranz-Fogasy und realisiert wird, würden die unterschiedliche kommunikative Prozessierung und Verarbeitung von veränderungswirksamen Handlungen deutlicher erkennbar werden lassen und damit insgesamt zu einem breiteren Verständnis von Veränderung beitragen, das die institutionelle Struktur, den kommunikativen Prozess und die jeweilige Zwecksetzung erfasst (s. auch Graf u. a. 2014). Nicht zuletzt können solche Untersuchungen auch aus angewandter Perspektive von besonderer Bedeutung sein, da sie anhand von Verfahren in verwandten Diskursarten Alternativen für etablierte institutionelle Vorgehensweisen erkennbar werden lassen (Rüegger und Scarvaglieri 2018) und sie es Praktiker*innen, die in verschiedenen institutionellen Formaten tätig sind (etwa Therapeut*innen, die auch als Coaches arbeiten), ermöglichen, zu erkennen, wie sich kommunikative Formate in verschiedenen Diskursformen voneinander unterscheiden. Eine weitere Dimension der Entwicklung von Veränderungsforschung besteht in qualitativen Langzeituntersuchungen (vgl. Voutilainen u. a. 2011, 2018), die es ermöglichen, die Veränderungswirkung von salienten interaktiven Momenten über den gesamten institutionellen Prozess hin zu verfolgen. Solche Untersuchungen fehlen besonders in der Psychotherapie, die sich häufig über einige Dutzend Sitzungen erstreckt, was gesprächslinguistische Analysen ganzer Therapien in voller Detailliertheit schlichtweg unmöglich erscheinen lässt (anders ist dies bei den Diskursformen, die durch eine kürzere Prozessdauer und somit weniger Kommunikation charakterisiert sind - s. den Beitrag von Graf und Jautz). Der Umfang des Datenmaterials in der verbal orientierten Psychotherapie würde eine methodisch kontrollierte Vorauswahl von zu analysierenden Momenten, an denen Veränderungen sichtbar werden, nötig machen, was eigene methodische Herausforderungen mit sich bringen würde, die u. U. in interdisziplinären Arbeitsbünden angegangen werden müssten. Eine verstärkte Interdisziplinarität zeigt sich generell als Desiderat der Veränderungsforschung. Einige der Beiträge des Bandes realisieren diese bereits, in der Zusammenarbeit von Forscher*innen aus verschiedenen Disziplinen (Kabatnik u. a., Spranz-Fogasy u. a.) oder dadurch, dass die Verfasser*innen selbst sowohl sprach- und sozialwissenschaftliche als auch professionell-praktische Kenntnisse über das untersuchte Feld einbringen (Rüegger, Buchholz, Graf). Da der Aspekt der Veränderung als raison d’être ihrer beruflichen Tätigkeit für die Praktiker*innen von besonderer Bedeutung ist, sie ihr interaktives Handeln in der Regel gerade auf diesen Aspekt ausrichten, verfügen sie über umfangreiche Wissensbestände über Möglichkeiten und Schwierigkeiten der Gewinnung von Veränderung mittels Kommunikation. Die linguistische Veränderungsforschung kann von diesem Wissen profitieren, indem sie zum einen Fragestellungen aufnimmt, die für die institutionelle Praxis von Bedeutung sind, so dass die Forschung unmittelbar praxisrelevant wird und ihre Ergebnisse auch institutionell Dimensionen von Veränderung in helfenden Berufen - Befunde und Perspektiven 301 umgesetzt werden können (vgl. z. B. Roberts und Sarangi 2003, Gülich u. a. 2008, Gülich 2012). Zum anderen können praxisgestützt bestimmte Suchfoki nach möglichen veränderungsauslösenden Handlungen etabliert werden. Ohne sich Fragestellungen oder Analysevorsätze allein aus dem Feld vorgeben zu lassen, kann eine pragmatische Linguistik der Veränderung in dieser Form auch zur Korrektur, Präzisierung oder Konkretisierung (im oben angesprochenen Sinne der „konkreten Negation“ von Theorie durch Empirie) überkommener Feldtheorien zur Wirksamkeit sprachlichen Handelns beitragen. Literatur Antaki, Charles (Hrsg.) (2011). 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Prof. Dr. Eva-Maria Graf Universität Klagenfurt Institut für Anglistik und Amerikanistik Universitätstrasse 65-67 A-9020 Klagenfurt am Wörthersee Dr. Sabine Jautz Universität Siegen Seminar für Anglistik Adolf-Reichwein-Str. 2 D-57068 Siegen Susanne Kabatnik, M.A. Universität Mannheim Seminar für Deutsche Philologie Germanistische Linguistik D-68131 Mannheim Prof. (apl.) Dr. med. Christoph Nikendei Universitätsklinikum Heidelberg Klinik für Allgemeine Innere Medizin und Psychosomatik Standort Bergheim Thibautstrasse 4 D-69115 Heidelberg Ass. Prof. Dr. Heike Ortner Universität Innsbruck Institut für Germanistik Innrain 52 A-6020 Innsbruck Prof. Dr. Joanna Pawelczyk Uniwersytet im. Adama Mickiewicza w Poznaniu Wydział Anglistyki aleja Niepodległości 4 PL-61-874 Poznań Dr. Ina Pick Universität Basel Deutsches Seminar Nadelberg 4 CH-4051 Basel Cornelia Rüegger Fachhochschule Nordwestschweiz Hochschule für Soziale Arbeit Institut für Professionsforschung und -entwicklung IPP Riggenbachstrasse 16 CH-4600 Olten 306 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren Prof. Dr. Claudio Scarvaglieri Universität Gent Department of Translation, Interpreting and Communication Groot-Brittanniëlaan 45, geb. B B-9000 Gent Prof. Dr. Thomas Spranz-Fogasy Leibniz-Institut für Deutsche Sprache 10 16 21 Mannheim D-68016 Mannheim Studien zur Pragmatik herausgegeben von Eva Eckkrammer, Claus Ehrhardt, Anita Fetzer, Frank Liedtke, Konstanze Marx und Jörg Meibauer Pragmatik, das Studium der Sprachverwendung in all ihren Facetten, hat sich zu einer allgemein anerkannten sprachwissenschaftlichen Disziplin entwickelt. Sie hat viele Fragestellungen benachbarter Disziplinen wie der Semantik oder der Syntax in sich aufgenommen und unter neuem Vorzeichen vorangetrieben. Dabei bezieht sie den Spracherwerb und Sprachwandel mit ein und reflektiert die Bezüge zu anderen Wissenschaften, zum Beispiel der Philosophie, Psychologie und Soziologie. Eine Folge dieser Entwicklung ist eine starke Ausdifferenzierung der Pragmatik in unterschiedliche Forschungsstränge und Teilparadigmen. Von der experimentellen bis zur formalen Pragmatik, von der Gesprächsforschung bis zur Textanalyse, von der Soziopragmatik bis zur pragmatischen Syntax erstreckt sich das Feld der pragmatischen Untersuchungsansätze. Die Studien zur Pragmatik bieten zum ersten Mal im deutschsprachigen Raum ein Forum für qualitativ hochwertige Arbeiten zur Pragmatik in ihrer ganzen Breite. Sie sind theoretisch offen für die verschiedenen Strömungen dieser Disziplin und besonders geeignet für solche theoretisch und empirisch begründete Untersuchungen, die die pragmatische Diskussion weiter vorantreiben. Die Bände der Reihe werden einem Peer-Review Verfahren unterzogen. Bisher sind erschienen: 1 Detmer Wulf Pragmatische Bedingungen der Topikalität Zur Identifizierbarkeit von Satztopiks im Deutschen 2019, 260 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8260-7 2 Eva-Maria Graf, Claudio Scarvaglieri, Thomas Spranz-Fogasy (Hrsg.) Pragmatik der Veränderung Problem- und lösungsorientierte Kommunikation in helfenden Berufen 2019, 306 Seiten €[D] 88,- ISBN 978-3-8233-8259-1