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Ernst Schönwiese

2012
978-3-7720-5465-5
A. Francke Verlag 
Robert G. Weigel

Der Band versammelt kritische Beiträge zu wesentlichen Aspekten des Werks von Ernst Schönwiese. Nach Gattungen aufgeteilt, untersuchen und würdigen sie seine Lyrik, Poetologie und Prosakunst, die außer dem Erzählenden auch Aphorismen und vor allem Essays einschließt, die Übertragungen fremdsprachiger Dichtung und Beziehung zu gleichgesinnten Dichterpersönlichkeiten sowie, nicht zuletzt, die das Gesamtwerk durchziehende esoterische Haltung. So ergibt sich eine überblicksartige Zusammenschau seines OEuvres, die nicht nur die Bedeutung des Dichters Schönwiese, sondern auch des Literaturkenners und Kritikers sowie des Herausgebers und Übersetzers herausarbeitet und veranschaulicht.

E dition Patm os Robert G. Weigel (Hg.) Ernst Schönwiese: Aspekte seines Werks Vorträge des Internationalen Ernst Schönwiese Symposiums der Universität Auburn E dition Patm os Herausgegeben von Joseph P. Strelka Band 17 Robert G. Weigel (Hg.) Ernst Schönwiese: Aspekte seines Werks Vorträge des Internationalen Ernst Schönwiese Symposiums der Universität Auburn Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gefördert durch das Kulturamt der Stadt Wien. © 2012 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. 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O’Brien ………………………………………………………………. 63 Aspekte der Dichtung Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit: Aufbau und Strukturelemente von Schönwieses Gedichtzyklus Antworten in der Vogelsprache Klaus Weissenberger …………………………………………………………... 93 Hölderlinian Shadow and Light on Poems by Ernst Schönwiese Emery George …………………………………………………………………. 109 Prosa und Hörspiel Der novellistische Formkünstler Schönwiese Ilona Slawinski ……………………………………………………………….. 133 Schönwiese und das Hörspiel Abendstunde im Spätherbst Wolfgang Greisenegger ………………………………………………………. 143 6 Inhaltsverzeichnis Esoterik Schönwieses Esoterik in seiner Lyrik und seinen übersetzten Essaybänden Joseph P. Strelka ………………………………………………………………. 153 Die Bedeutung René Guénons, Leopold Zieglers und Frithjof Schuons für die geistige Entwicklung Ernst Schönwieses Matthias Korger ………………………………………………………………. 165 Bezugspunkte Ernst Schönwiese und Hermann Broch Naser Secerovic ……………………………………………………………….. 191 Ernst Schönwiese im Dialog mit Juan Ramón Jiménez und David Herbert Lawrence Klaus Weissenberger ………………………………………………………….. 203 Die Autoren ………………………………………………………………..... 229 Personenregister …………………………………………………………….. 233 Vorwort des Herausgebers 1. Der vorliegende Band vereinigt im wesentlichen Vorträge eines Internationalen Symposiums, das vom 31. März bis 2. April 2011 an der Universität Auburn im Bundesstaat Alabama (USA) stattgefunden hat. An dieser Stelle seien vor allem dem Department of Foreign Languages and Literatures und dem Dekanat des College of Liberal Arts gedankt. Gedankt sei auch Professor Joseph Strelka für seine Bemühungen als Reihenherausgeber, die zur Drucklegung des Bandes führten. Ernst Schönwiese wurde am 6.1.1905 in Wien geboren, wo er auch zur Schule ging und Jura, Germanistik und Philosophie studierte. Nach dem Abschluss als Doktor Iuris 1930 arbeitete er als Publizist und Dozent an der Volkshochschule Leopoldstadt, wo er zugleich auch literarische Fachgruppen leitete und Beziehungen pflegte zu den bedeutendsten Dichtern der Zeit, ja österreichischer, deutschsprachiger Literatur - mehr zu diesem Thema in dem Beitrag Wynfrid Kriegleders - überhaupt: Robert Musil und Hermann Broch 1 , deren Werk er in der von ihm begründeten und 1935/ 36 erschienenen literarischen Zeitschrift das silberboot vorstellte; er hat nicht nur diese, sondern auch große, im damaligen deutschen Sprachraum kaum bekannte Autoren der Weltliteratur vorgestellt (zu denen Schriftsteller vom Format eines Joyce, Proust und Faulkner gehörten). Während der Zeit der Emigration in Ungarn (von 1938-1945) begann er mit seiner lebenslangen Beschäftigung mit Mystik, worüber in vorliegendem Band die Beiträge Joseph Strelkas und Matthias Korgers berichten. Nach der Rückkehr - er verließ Budapest als die Invasion der Roten Armee bevorstand, die ebensowenig Gutes versprach wie der Anschluss Österreichs durch Hitler-Deutschland - arbeitete er zunächst (bis 1954) als Leiter der amerikanischen Sendergruppe Rot-Weiß-Rot in Salzburg. Hier wie später als für Literatur und Wissenschaft verantwortliches Mitglied der Programmdirektion des Österreichischen Rundfunks (von 1954 bis 1971) zeichnete er sich auch als Hörspielregisseur aus - mehr zum Thema Schönwiese und Hörspiel findet sich in dem einschlägigen Aufsatz Wolfgang Greiseneggers. In den Jahren von 1946-1952 erneuerte er die Herausgabe des silberboots, mit einer der ursprünglichen durchaus ähnlichen Ausrichtung auf moderne Literatur. Viele der im Exil lebenden Autoren fanden hier zudem erste Veröffentlichungsmöglichkeiten. 2 Schönwieses ästhetisches Konzept, das er 1984 in den Innsbrucker Poetikvorlesungen eingehend veranschaulichte - siehe die Beiträge vor allem von Karl Guthke und Robert Weigel -, wurde von der 1 Mehr zu der Beziehung mit Hermann Broch im Beitrag von Naser Secerovic. 2 Vgl. Ursula Weyrer, “Das Silberboot”: Eine österreichische Literaturzeitschrift (1935-36, 1946- 52), (Innsbruck: Institut für Germanistik, 1984). 8 Vorwort des Herausgebers nachfolgenden Generation, besonders und verstärkt seit seinem Ableben, als konservativ eingestuft. Schönwiese ging es, wie bereits ausgeführt, nicht um Sozialkritik oder Finger-Zeigen auf historisch begangene Fehler, doch darf sicherlich der historische Hintergrund, vor dem Schönwiese als Kritiker und Förderer von Literatur auftrat, nicht außer Acht gelassen werden: so floh er zunächst vor der totalitären Unterdrückung Hitler-Deutschlands (und Österreichs) nach Budapest, das er umgehend verließ als die andere, stalinistischkommunistischer Ausprägung, unmittelbar bevorstand; und es darf nicht vergessen werden, dass sie ja durchaus auch der jungen Republik drohte, war doch Österreich in Besatzungszonen aufgeteilt und die Einführung wirklicher Demokratie landesweit keineswegs garantiert - und dieser unmittelbaren Gefahr entgegenzuwirken, hat zweifelsohne vor allem seine Tätigkeit beim Sender Rot-Weiß-Rot mitgeprägt. Vor allem aufgrund seiner Stellung beim Rundfunk, bis zu einem gewissen Grad aber auch als Herausgeber des silberbootes, der qualitativ sicherlich besten österreichischen Literaturzeitschrift, hatte er erheblichen Einfluss auf das Literaturgeschehen und Kulturleben in Nachkriegsösterreich. So wurde er mehrmals eingeladen, verschiedene Bände der Stiasny Reihe herauszugeben, wirkte als Präsident des PEN Klubs, der damals angesehensten Autorenorganisation in Österreich, war Mitglied des „Österreichischen Kunstsenats“ und fungierte als Juror beim Österreichischen Staatspreis für Literatur. Dabei war Schönwiese immer auch, wie Taci O’Briens Arbeit deutlich macht, offen gegenüber Neuerungen (und nicht nur denen der Moderne der Vorkriegszeit). Darüber hinaus beweisen gerade zeitgenössische Schriftsteller wie der von Karl Guthke in seinem Aufsatz herangezogene Durs Grünbein, dass die für Schönwiese wesentliche Komponente des Überzeitlichen bzw. der Zeitlosigkeit der vom Ethischen getragenen Dichtung auch heute Gültigkeit hat. Ganz im Sinne von Schönwiese, dem es zur Horizonterweiterung immer auch um die Verbreitung anderssprachiger literarischer Werke ging, stellte so der (bezeichnenderweise im Exil lebende) chinesische Nobelpreisträger Gao Xingjian fest: Whether or not mankind can truly understand the world is not merely a philosophical problem. … it is a deeply human problem, it is in fact the starting point of all perception and cognition, and, as such, the ultimate origin of literature. The root motivation of literature is man‘s search for the significance of his own existence. … literature probes the mystery of what it means to be a human being in this world. … all literature worth its salt tends to transcend purely practical and mundane concerns, and examines reality on a higher level. … literature satisfies our spiritual needs; it speaks to our hearts rather than our reason. 3 3 Gao Xingjian, “Environmental Literature. What Are We Writing Today? ”, in: The Taipei Chinese PEN, No. 154 (2010), S. 54f. Vorwort des Herausgebers 9 Schönwiese war daher außer als Publizist von Essays und Verfasser literarischer Prosa - verwiesen sie auf den Beitrag von Ilona Slawinski über das novellistische Werk - auch als Übersetzer und Nachdichter fremdsprachiger Gedichte tätig, so aus dem Englischen (D.H. Lawrence), dem Spanischen (J.R. Jiménez), dem Flämischen (Herwig Hensen) sowie den Dichtungen großer fernöstlicher Mystik. Sein Hauptwerk besteht freilich aus seinen Gedichtbänden, beginnend mit dem (1937 konzipierten) 1947 erschienenen und von Formenstrenge geprägten Band Der siebenfarbige Bogen. Die Gedichte aus Das unverlorene Paradies (von 1951) zeigen „ein gewisses Aufbrechen der strengen romanischen Strophenformen“ 4 - indem er bewusst und direkt Hölderlin- Verse und Rhythmen verwendete -, ehe er sich mit Baum und Träne (von 1962) strukturell Formen moderner Lyrik näherte, die fortan bis zu seinem letzten Band, den hier von Klaus Weissenberger im Detail besprochenen Antworten in der Vogelsprache (von 1987) die Gedichte bestimmten. Ernst Schönwiese starb am 4.4.1991 in seiner Geburtsstadt Wien, wo er in einem Ehrengrab auf dem Zentralfriedhof begraben liegt. Sein Werk wie seine Bedeutung für die Literatur nach dem Krieg geriet leider allzu schnell in Vergessenheit. Mögen die an dieser Stelle kurz erläuterten Aufsätze des vorliegenden Bandes zur Wiedererweckung des Bewusstseins um seine Verdienste und seines schriftstellerischen Werkes beitragen. 2. Karl Guthke erläutert in seinem Beitrag Schönwieses Auffassung von der Dichtung, in dem er historisch-kulturelle Parallelen und Bezüge herstellt, sie also in einen größeren zeitlichen Rahmen einordnet, den er absteckt von der Klassik (vor allem Schiller) über den von Schönwiese geschätzten europäischen Zeitgenossen T.S. Eliot bis zur Gegenwart, namentlich Joseph Brodsky, vor allem aber Durs Grünbein; gerade letzterer verteidigt den von Schönwiese verfochtenen Anspruch der Dichtung als Wahrheits- und Erkenntnisvermittler, da sie Abstraktion und imaginative Anschaulichkeit harmonisch vereint. Von Dichtung als Religion bzw. als Religionsersatz will freilich eine Katastrophenzeit wie die unsere, heutige, die, wie Guthke feststellt, Literatur und Autor zum einen schon für tot erklärte, und zum andern (so die Postmoderne) vom Humanismus geprägte Ideale, Ideelles überhaupt als irrelevant abtut (wie auch die Krise der Humanities an amerikanischen Universitäten zur Genüge demonstriert), nichts wissen - was die Katastrophe umso schlimmer macht. In eine ähnliche Richtung weist der Beitrag Robert Weigels, der im Detail verfolgt wie Schönwiese in seinen Poetikvorstellungen das ästhetische Konzept seiner Poetik durch Heranziehen eines breit gefächerten Spektrums von Werken nicht nur aus Literatur und Dichtung, sondern auch aus Wissen- 4 Joseph P. Strelka, “Schönwiese, Ernst,” in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007) [online] http: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd118610244.html 10 Vorwort des Herausgebers schaft und Philosophie erläutert und gleichsam untermauert. Jenen Dichtern und Denkern gemein ist ihre Überzeugung, dass Dichtung gerade in Zeiten des Wertzerfalls wie er unsere heutige Welt kennzeichnet, richtungsweisend wirken kann, 5 weil sie jene angesprochene höhere Realität erschließt, die, beginnend beim Einzelmenschen, zu einer Bewusstseinserweckung und Bewusstmachung der allgemeinen, auf das Materialistische beschränkten und daher reduktionistischen Weltsicht beiträgt. Der Mensch ist nämlich, um noch einmal auf Goa Xingjian zu verweisen, „much more complicated and unpredictable than the simplifying labels of a purely materialist worldview can ever convey.“ Dies hängt mit der Tatsache zusammen - im übrigen ganz im Sinne Schönwieses -, „that there are some basic values and ideals that are firmly anchored in the matrix of our conscience and consciousness, and it goes without saying that these lie outside the realm of pure utilitarianism, and transcend the ages.“ 6 Wynfrid Kriegleder zeigt, dass Schönwieses Verständnis der österreichischen Literatur anschließt an zeitgenössische Modelle (z.B. Oskar Bendas) über Wesen und Eigenart der österreichischen Literatur (im Gegensatz zu anderen, insbesondere der deutschen). Dabei wird deutlicht, dass seine Auffassung hinsichtlich der Besonderheit des Österreichischen in Einklang steht mit seinem in den Poetikvorlesungen entwickelten ästhetischen Konzept - gehört doch ein Großteil der darin, gewissermaßen als Zeugen, zur Illustration herangezogenen Autoren und Dichter zur österreichischen Literatur - was freilich nur Schönwieses dichterisches Einfühlungsvermögen bzw. scharf- und feinsinnigen literarischen Geschmack unter Beweis stellt, führt er doch deren absoluten literarischen Größen an wie Kafka, Broch und Musil. Traci O’Brien unternimmt es, das vielerorts kursierende und überaus simplifizierende Bild Schönwieses als eines konservativen Traditionalisten ins rechte Licht zu rücken. Anhand seiner mannigfachen Essays zu Literatur und Literaturkritik veranschaulicht sie ihre These, dass Schönwiese, obschon der Tradition verhaftet, durchaus offen und fortschrittlich (progressive) war, freilich nicht im Sinne einer Fortschrittlichkeit, der es um Neuerung um der Neuerung willen geht wie einer Literatur, die ihr Sendungsbewusstsein, den Inhalt vergisst und „Sinn“-lose Sprachspielereien als Fortschritt, Neuerung betrachtet. So stellte er in seinen Funkessays Weltliteraten vom Range eines Hemingway, Gide und D.H. Lawrence vor, die im deutschen Sprachraum seiner Zeit noch weniger bekannt waren, denen es aber (wie ihm selbst) um Wiederfindung eines Wertmaßstabs ging - wie auch Friedrich Bergammer, Juliane Windhager, Friedrich Torberg und Johannes Urzidil in der österreichischen Literatur, um deren Förderung sich Schönwiese in seinen Essays allgemein bemühte. 5 Vgl. das unlängst erschienene einschlägige Werk Joseph P. Strelkas, Dichter als Boten der Menschlichkeit. Literarische Leuchttürme im Chaos des Nebels unserer Zeit (Tübingen: Francke, 2010). 6 Gao Xingjian, “Environmental Literature”, S. 54 u. 49. Vorwort des Herausgebers 11 Ilona Slawinskis Analyse des umfangmäßig schmalen Prosawerks Schönwieses, vor allem aber der klassischen Novelle „Regen im Tessin“, verdeutlicht, dass auch die Prosa anschließt an die erwähnte Formenstrenge der frühen Lyrik. Mit beiden zielt er ab auf die Erschließung einer höheren Realität (wie sie im meisterlich konstruierten Doppelten Boden von „Regen im Tessin“ durchbricht), die ihm gleichsam Merkmal wahrer Dichtung (wie er sie auch in seiner Ästhetik konzeptualisierte) überhaupt war. Dem Hörspielregisseur Schönwiese widmet sich der Aufsatz Wolfgang Greiseneggers. Anhand seiner international erfolgreichen Bearbeitung von Dürrenmatts Abendstunde in Spätherbst, die 1958 mit dem bedeutenden Prix Italia ausgezeichnet wurde, weist Greisenegger nach, wie es Schönwiese, der selbst weder Hörspiele noch Dramatisches verfasste, mit - für ihn bezeichnend - dichterischem Feingefühl für die Sprache, aber auch das Dramaturgische an sich, gelang, Dürrenmatts satirische Intention zu unterstreichen und intensivieren, indem er dessen Handlungsführung strafft und durch subtiles Streichen präzisiert. Darüber hinaus komplementiert Greisenegger seine Analyse einleitend mit einem kurzen historischen Abriss über Bedeutung und Relevanz des Hörspiels für den Kulturbetrieb der fünfziger und sechziger Jahre. In seiner detaillierten Analyse von Schönwieses letztem Gedichtband weist Klaus Weissenberger nicht nur die schon im Titel, Antworten in der Vogelsprache, anklingende Beziehung zum Märchen nach, sondern zeigt darüber hinaus, dass der bewusst als Zyklus konzipierte Band gleichsam als „Summa Poetica“ Schönwieses betrachtet werden muss: versinnbildlichen doch die vier Abschnitte, die keine Überschriften tragen - aber, so Weissenberger, aufgrund ihrer Thematik mit den Titeln „Auf dem Weg zu sich selbst“, „Vorbilder und Gegenbilder“, „Über die Liebe“ und „Erleuchtung“ versehen werden könnten -, im Grunde Entwicklungsstufen eines Selbstverwirklichungsprozesses (nicht unähnlich dem im Märchen). Im Verlauf seines Aufsatzes enthüllt Weissenberger aber auch, dass der Märchenbegriff im Eingangsgedicht nicht wörtlich genommen werden darf, sondern Symbolfunktion hat, da ja die großen Volksmärchen fast durchwegs gesunkenes mythisches und mystisches Kulturgut darstellen. Aus diesem Grund geht es bei der Besprechung der Gedichte immer um Esoterik und dies umso mehr, als dieser letzte Band auch jenes Gedicht enthält, dem Weissenberger in seiner Analyse auch entsprechenden Platz einräumt und welches das direkte lyrische Ergebnis von Schönwieses erster Erleuchtungserfahrung wurde. Wenn als Höhepunkt des Aufsatzes sodann wiederum das Ganze mit den „Märchen“-Eingangsversen geschlossen wird, dann ist die wahre Bedeutung des Gedichtbandtitels wie des ganzen Bandes verdeutlicht. In seiner Studie über den Einfluss der Lyrik Hölderlins, weist Emery George, feinsinnig und überzeugend, deren „Shadow and Light on Poems“ von Schönwiese nach. So kennzeichnet beider Schaffen der Übergang von der Formenstrenge des Frühwerks (Elegie und Ode) zu freien Versformen und Rhythmen - Hymnen bei Hölderlin, und fast aphoristische, von Lyrik 12 Vorwort des Herausgebers bzw. Gedankengut des Fernen Ostens inspirierte Gedichte bei Schönwiese. George untersucht jene Beziehungen in drei Teilen, wobei er zunächst Parallen auf thematischer Ebene herausarbeitet, dann Gedichte vergleicht, die in Stil und Ton Beziehungen aufweisen, um schließlich auf die Verwandtschaft in Form und Mystik einzugehen. Dem Esoteriker Schönwiese bzw. dessen lebenslanger Beschäftigung mit Mystik und Esoterik ist der Beitrag des Schönwiese Biographen Joseph Strelka gewidmet. Lyrik und Esoterik zielten ihm in gleicher Weise auf tiefere Schichten ab als jene des oberflächlichen Verstandes für die Oberfläche, die Dichtung durch besondere Formen der Imagination, die reine Esoterik durch Bewusstseinserweiterung. Es geht um Grenzüberschreitung in Richtung auf eine höhere Realität, die sich zwischen den Zeilen in allen Gedichtbänden findet, auch wenn nur Das unverlorene Paradies als wirklich ausschließlich esoterisch gelten kann. In der Folge hatte sich Schönwiese Übertragungen ins Deutsche zugewandt, vor allem Essaybänden großer östlicher Esoterik: über die Praxis des Mahamudra, die Hua-Yan-Lehre und schließlich die letzte taoistische Weisheit. Gemein ist freilich allen - und hier zeigt sich nicht nur die Parallele zym lyrischen Werk, sondern vielmehr die geistige Einheit von Schönwieses Gesamtwerk - das Streben nach Erfassung des ganzen Menschen sowie das Hinausgelangen über die Welt der Gegensätze. Matthias Korger geht in seiner Studie dem Einfluss der Autoren der „integralen Tadition“ (wie René Guénon und Frithjof Schuon) auf die spirituelle Entwicklung Schönwieses nach. Jene Autoren, wie sein verdienstvolles und höchst aufschlussreiches Studium der unveröffentlichten Briefwechsel (im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek) mit Frithjof Schuon, Leopold Ziegler, Siegfried Lang und André Préau bezeugt, bestimmten nicht nur Schönwieses spirituelles Interesse vor allem zu Beginn der fünfziger Jahre, sondern dienten gleichsam auch der theoretischen Vorbereitung seiner intellektuellen Erkenntnis und der sich später vollziehenden (auch) praktischen Wendung zum Buddhismus. Unter Hinzuziehung des Briefwechsels zwischen Schönwiese und Hermann Broch weist Naser Secerovic sowohl Brochs Einfluss auf das Denken und Schaffen des siebzehn Jahre jüngeren Schönwiese nach, als auch dessen uneingeschränkte und ungemeine Förderung von Brochs Werk im silberboot vor und nach dem Krieg, sowie ihre auf dieser geistigen Affinität beruhende lebenslange Freundschaft. Beiden gemein war ihre im letzten tiefreligiöse - freilich im ursprünglichen Sinn als religio verstanden - Auffassung von Dichtung als Sinnsuche, die in die tiefsten, sich dem Rationalen entziehenden Seelenschichten vorstößt. Klaus Weissenberger zeigt in seinem Beitrag über Schönwieses Auseinandersetzung bzw. „Dialog“ mit Jiménez und D.H. Lawrence - deren Lyrik er, gleichsam nachdichtend, ins Deutsche übersetzte - die geistigen Berührungspunkte und innere Verwandtschaft seines dichterischen Schaffens mit dem des Spaniers und des Engländers. Mit Jiménez verband ihn dessen religiöses Sendungsbewusstsein - aus jedem (wahren) Gedicht müsse, so Vorwort des Herausgebers 13 Schönwiese, „das Licht der Erleuchtung hervorblitzen“ - bzw. die Umsetzung seiner mystischen Haltung auf formaler Ebene. Bei Lawrence war es dessen kompromissloses Ethos, das ihn anzog: so sein Hinterfragen pedantisch exoterischer judäo-christlicher Moralvorstellungen und seine Kritik an normativ-orthodoxen Gottesbegriffen, die, so auch Schönwiese, der Erfahrung des Göttlichen entgegensteht. Poetologie und Literaturverständnis Urwissen: Ernst Schönwieses Auffassung der Dichtung im historischen Horizont Karl S. Guthke 1. Eine Tagung über einen bedeutenden europäischen Lyriker - das verwundert. Denn um Lyrik, um Dichtung, ja: generell um Literatur ist es hierzulande still geworden in den Jahrzehnten seit dem New Criticism und seinem Kult des “poem itself” (wie damals ein berühmtes Buch hieß) oder auch des Ästhetischen am Literarischen überhaupt. Sobald feststand, dass Jerzy Kosinskis The Painted Bird oder auch Binjamin Wilkomirskis Bruchstücke: Aus einer Kindheit 1939-1948 nicht Erlebnisberichte waren, sondern nur Literatur, war das Interesse daran erloschen. Dass es die Dichter sind, die “stiften”, was bleibt, glauben heute nicht mehr viele, und erst recht nicht in der englischsprachigen Welt. Michael Dirda, der Pulitzerpreisträger und Literaturkritiker der Washington Post, hat vor kurzem ein Lied davon gesungen: eine klangreine Jeremiade, und noch dazu in der führenden britischen Highbrow- Kulturzeitschrift. 1 In den vergangenen fünfzig Jahren, so hört man da, habe sich die Vorstellung vom Gebildeten (“of what it means to be cultivated”) gewandelt von der traditionellen Vertrautheit mit den Great Books der ehemals obligatorischen Universitätsvorlesungen zur technologisch versierten Pop-Kultur des Internets und Fernsehens. Fontanes hoher Anspruch an die Literatur oder doch seine eigene mit ihren “tausend Finessen” (“Wer liest Novellen bei die Hitze? ”) 2 wird heute beantwortet von Stephen King-Lesern am kalifornischen Strand. Die Humanities generell haben einen schweren Stand, angefangen bei den Universitäten, wo sie einstmals den Kern der nicht nur akademischen Bildung darstellten. Die amerikanische Philosophin Martha C. Nussbaum hat sich diesem Trend neuerdings mit nobler Geste entgegengestemmt mit ihrem Buch Not for Profit: Why Democracy Needs the Humanities 3 - ob mit größerem Erfolg als die Kreuzzüge gegen das kulturelle Analphabetentum, die Harold Bloom, E. D. Hirsch und andere unternommen haben, bleibt abzuwarten. 4 1 The Times Literary Supplement, 12. November 2010, S. 18; in der Spalte “Freelance”. Vgl. auch TLS, 4. März 2011, Lesley Chamberlain über Svetlana Boyms Another Freedom: “To keep open a space for Art as the first possibility of another freedom would require a tolerance and love of the aesthetic for its own sake of which the contemporary world has barely a memory” (S. 24). 2 An Emil Dominik, 14. Juli 1887. 3 Princeton Univ. Press, 2010. 4 Das gilt auch für die Zukunftsvision des Goethe-Biographen Nicholas Boyle in seinem Buch 2014: How to Survive the Next World Crisis, London: Continuum, 2010: eine vom Geist des religiösen Humanismus geprägte Kultur als globales Leitbild, das aus der rezenten Krise hervorgehen möge. 18 Karl S. Guthke Ein Bildungstraditionalist wie Ernst Schönwiese hätte über diesen Trend besorgt den Kopf geschüttelt. Umso erfreuter wäre er gewesen über den großaufgemachten Bericht über die Ehrenrettung der Dichtung, der Literatur überhaupt, als Erkenntnisvermittlung von höchsten Graden durch den poeta doctus und Büchnerpreisträger Durs Grünbein in der angesehensten amerikanischen Kulturzeitschrift, The New York Review of Books, verfasst von dem Lyriker und Essayisten Adam Kirsch, dessen Wort programmatisches Gewicht bekommt dadurch, dass er der Herausgeber der Zeitschrift ist. 5 Was er groß herausstellt, ist die Überzeugung Grünbeins, dass es damit ein Ende haben müsse, dass “die Dichtung der blinde Fleck im Kulturgedächtnis der neueren Menschheit” sei. 6 In Vergessenheit geraten sei in unserer Lebenszeit die selbst die Philosophie überragende kulturelle Bedeutung der Dichtung als “chief interpreter of the world”, und das so sehr, dass das Wiederaufgreifen dieses Anspruchs durch Grünbein beim heutigen Leser mit Skepsis aufgenommen werde. 7 Dennoch stehe Grünbein nicht allein auf weiter Flur. Kirsch verweist auf Joseph Brodsky. Dieser, so erinnert der Übersetzer Michael Hofmann in der Einführung zu Grünbeins Gedichtsammlung Ashes for Breakfast 8 , unternehme eine vergleichbare Rehabilitation der lyrischen Dichtung in seinem Essay “A Poet and Prose” in seinem Essay-Band Less Than One 9 : ihre Vorrangstellung in der Hierarchie der Kulturzeugnisse verdanke die Lyrik ihrer Bewahrung des originären “Worts”, großgeschrieben im kleinschreibenden Englisch. Wer dächte hier nicht an Schönwieses Privilegierung eben dieses Worts, das der Dichtung ihren Rang verleiht als Aussage über “den Menschen”. Grünbein allerdings, nicht Brodsky, ist heute der mit Abstand signifikantere, weil historisch gebildete und in den Wissenschaften versiertere Fürsprecher des Primats der Dichtung als “höchstes Prinzip” 10 , durch das der Mensch sich seiner selbst vergewissert. Sie, die Dichtung, ist es und war es (bis zu ihrer “Entmündigung” schon in der Antike durch die Philosophie, die ursprünglich nur berufen war, die Dichtung auszulegen, und dann durch die Naturwissenschaft), und soll es wieder sein, die “Wahrheit” und “Erkenntnis” vermittelt. 11 Was an diesem Anspruch des prominentesten deutschsprachigen Lyrikers der Gegenwart und “one of the greatest literary essayists and cultural thinkers” 12 hier nun aber besonders fasziniert, ist dies: mit seinem programmatischen Appell schlägt Grünbein die beiden Grundakkorde an, die die 5 “Germany: The Poet after the Fall”, 14. Oktober 2010, S. 53-57. 6 Grünbein, Gedicht und Geheimnis, Frankfurt: Suhrkamp, 2007, S. 93. 7 Kirsch, S. 53. 8 New York: Farrar Straus and Giroux, 2005. 9 New York: Farrar Straus and Giroux, 1986. 10 Gedicht und Geheimnis, S. 166. 11 Gedicht und Geheimnis, S. 82, 164-165, vgl. S. 85-88. 12 Michael Eskin in der Einführung zu Grünbein, The Bars of Atlantis, New York: Farrar, Straus and Giroux, 2010, S. xi. Schönwieses Auffassung der Dichtung 19 Dichtungsauffassung Schönwieses über Jahrzehnte hin konsequent bestimmt haben. Erstens besteht für ihn die signaturgebende Leistung der Dichtung in der “Versöhnung von etwas rein Ideellem mit seinen unerwartet konkreten Erscheinungen”: “Den Gedanken in sinnliche Anschauung zu verwandeln” - das sei das Prinzip eines geglückten Gedichts, wobei ihm nicht von ungefähr (wovon später noch zu sprechen ist) die “metaphysical poets” des siebzehnten Jahrhunderts in den Sinn kommen. 13 Zweitens spielt bei Grünbein eine Rolle, dass es historisch einen kulturellen Raum gegeben habe, in dem die geistig-sinnliche Einheit oder die Harmonie von “Abstraktion” und “imaginativer Anschaulichkeit”, von “Intellekt” und “sinnlicher Wahrnehmung” Wirklichkeit war, nämlich in der Epoche vor der Verselbständigung der modernen Naturwissenschaften im Zeitalter Galileis. 14 Durch Grünbein ist somit die anthropologische und die kulturhistorische Bedeutung der Dichtung wieder im Gespräch. Das mag ein Anlass sein für einen Rückblick auf ähnliche Bestrebungen, in deren Tradition er steht - wie Schönwiese auch. Skizziert hat diese Bestrebungen Walter Jens in seinem kanonischen Buch Statt einer Literaturgeschichte 15 im partiellen Anschluss an Hugo Friedrichs ebenso kanonisches Werk Die Struktur der modernen Lyrik. 16 Der springende Punkt ist bei beiden, dass mit dem Verlust eines “tragenden Wertgefüges” die moderne Dichtung “niemals [mehr] nur Poesie” sein könne, sondern ihren Geltungsanspruch begründen müsse durch eine Fusion von Poesie und “Denken” oder “Philosophie”, von “Vision und Kalkül, Abstraktion und kreativer Phantasie”, “Unbewußtem” und “Bewußtem”. 17 Geleistet wird solche Fusion statt vom Feld-, Wald- und Wiesenpoeten von dem von Jens berufenen poeta doctus, wie auch Schönwiese einer war, der nicht von ungefähr den ähnlich gestimmten Heinz Politzer so titulierte. 18 Die Tradition solcher Bemühung um die Vereinigung von rationaler Reflexion und imaginativer Sinnlichkeit verfolgt Hugo Friedrich bis zu Poe und Baudelaire zurück, Jens geht ihr weiter nach bis zur deutschen Romantik um 1800 (Novalis, Hölderlin, F. Schlegel). Edgar Lohner sah diese Bemühung um Synthese überdies in der Gedankenlyrik Schillers vorgegeben in seinem tonangebenden großen Essay Schiller und die moderne Lyrik. 19 Solche Differenzen verblassen aber vor der den modernen Kritikern und deren Kronzeugen gemeinsamen Überzeugung, dass es in vormoderner Zeit einen inzwischen 13 Gedicht und Geheimnis, S. 27, 28, 92. 14 Grünbein, Galilei vermißt Dantes Hölle und bleibt an den Maßen hängen, Frankfurt: Suhrkamp, 1996, S. 91. Dazu Olav Krämer, “Bildliches Denken als Erkenntnismodus zwischen Poesie und Wissenschaft: Grünbein über Dante, Darwin, Hopkins und Goethe”, in: Schreiben am Schnittpunkt: Poesie und Wissen bei Durs Grünbein, hg. v. Kai Bremer u. a., Freiburg i. Br.: Rombach, 2007, S. 246 (woher die Zitate); Goethe stellt für Grünbein eine Ausnahme dar (s. Krämer, S. 253). 15 Pfullingen: Neske, 1957. 16 Hamburg: Rowohlt, 1956. 17 Jens, S. 14, 17, 20. 18 Gesammelte Werke in Einzelbänden, I, Innsbruck: Berenkamp, 2008, S. 343. 19 Göttingen: Pohl u. Sachse, 1964. 20 Karl S. Guthke zerfallenen kulturellen Raum gegeben habe, in dem diese Fusion lebendige Wirklichkeit war: Schönwiese sah diese Heimat der ganzheitlichen Kultur jedenfalls in Ausläufern noch in der Goethezeit intakt (der man neuerdings einen Sammelband Der ganze Mensch gewidmet hat) 20 intakt, singulär allenfalls noch bei Kafka, während Novalis sie ins Mittelalter zurückprojizierte und T. S. Eliot diese ideale Welt in einem vielzitierten Aufsatz von 1921 über die “metaphysical poets” noch im nachelisabethanischen siebzehnten Jahrhundert gegeben sah. So oder so handelt es sich da um ein Bewusstsein von dem in der jeweiligen Gegenwart geschehenen Verfall einer Kulturgemeinschaft, deren Träger die - eine, nämlich die christliche - Religion war, wie undogmatisiert auch immer. Deren haltgebende geistige Funktionen zu übernehmen, sieht sich die Literatur aufgerufen im säkularisierten Horizont der jeweiligen Folgezeit. So hat es Wolfgang Kayser, ähnlich anderen, dargestellt in Die Wahrheit der Dichter. 21 Die Dichter, seit Solon und Plato im Verdacht zu lügen, avancieren zu Vermittlern der Wahrheit (wie selbst deren Verleumder, Nietzsche, zuzugestehen wusste). 22 Schönwiese passt sich in diese Tradition expliziter ein als andere. Wenn er Dichtung als Sinnoffenbarung versteht - “immer ging es [mir] um die eine Frage nach dem Sinn”, schreibt er in autobiographischer Rechenschaft 23 -, wenn er also als Dichter der “Ursehnsucht […] nach Sinngebung eines Daseins” antwortend entgegenkommt, dann setzt er Dichtung geradezu ineins mit “Religion” für die Generationen seiner Lebenszeit, in der das “Gedankengebäude” des Christentums als Sinnquelle versage. 24 “Die dichterische Erfahrung und die religiöse Erfahrung sind eins.” So steht es 1958 in den “Fünf Thesen zur heutigen Literaturkritik”. 25 Indem ein solcher Dichter seine Werke schafft aus der von Schönwiese immer wieder berufenen Amalgamation des Denkerischen und Sinnlich-Imaginativen, vermittelt er in säkularer Zeit nichts Geringeres als die “Wieder-Verwirklichung […] ältester Urweisheit des Menschen”. 26 Hand aufs Herz: Schönwieses (wie auch Grünbeins) Auffassung von Dichtung nimmt sich in unseren postmodernen Tagen ziemlich “retro” aus mit ihrem Anspruch an die Erkenntnisfähigkeit, Wahrheitserschließung und Leitfunktion des Literarischen. Die Tage, als die Poeten, lange genug, “Ge- 20 Der ganze Mensch: Anthropologie und Literatur im 18.Jahrhundert, hg. v. Hans-Jürgen Schings, Stuttgart: Metzler, 1994. 21 Hamburg: Rowohlt, 1959, bes. S. 56. 22 Dazu Maria Bindschedler, Nietzsche und die poetische Lüge, Basel: Recht u. Gesellschaft, 1954. 23 Schönwiese, Gesammelte Werke in Einzelbänden (Anm. 18), II (2009), 63. 24 Ges. Werke in Einzelbänden, II, 216. 25 Wort in der Zeit, IV: 11, S. 17; vgl. Ges. Werke, II, 219. Siehe auch Joseph Strelka in Schönwiese, Traum und Verwandlung, Graz u. Wien: Stasny, 1961, S. 23: “Das künstlerische ist dem religiösen Urerlebnis ident.” 26 Joseph P. Strelka, Ernst Schönwiese: Werk und Leben, Frankfurt: Lang, 2005, S. 30. Schönwieses Auffassung der Dichtung 21 setzgeber” der Menschheit waren (nach Shelleys zu Tode zitiertem Wort), sind vorbei. Oder doch nicht? Und zu Recht? So empfiehlt es sich zu fragen: wie profiliert und legitimiert sich Schönwiese genauer in diesem kulturgeschichtlichen Horizont? Indiziert ist zunächst ein schärferer Blick auf die Grundlinien seines Verständnisses von Literatur als kulturbegründendem Artefakt, dann die Frage, welche Eideshelfer er in Anspruch nimmt für seine Auffassung, und schließlich (da diese Eideshelfer so gut wie ausnahmslos seine Zeitgenossen sind) die Überlegung, ob man diesen Horizont, wie Schönwiese ihn absteckt, nicht etwas erweitern könne, und zwar in zwei Richtungen: einmal in die historische Tiefe mit der Erinnerung an Vorgänger in der deutschen Klassik und Romantik und zweitens mit dem Ausblick über die kontinentaleuropäischen Grenzen hinaus, namentlich auf T. S. Eliot, der sich als Geistesverwandter profiliert, dem Schönwiese denn auch seine Aufmerksamkeit und Anerkennung gewidmet hat. (Die Ausweitung des Horizonts in die Gegenwart wurde mit dem Hinweis auf Grünbein bereits abgesteckt.) 2. Schönwieses poetologische Gedankenbildung umkreist immer wieder, was Strelka schon 1960 die “Synthese tiefsten Gefühls und klarsten Bewußtseins” genannt hat; diese ist für Schönwiese das anthropologische summum bonum, das “allen Menschen gemeinsam sein sollte” und als solches auch einmal, wie gesagt, Grundlage eines kulturellen Raums gewesen ist. 27 Magistral resümiert hat Schönwiese diesen Gedankenkomplex, dem auch Erich Heller in seinem Kultbuch Enterbter Geist einen auf Eliot, Rilke und Nietzsche fokussierten Exkurs gewidmet hat, 28 gegen Ende seines Lebens in den Innsbrucker Poetik-Vorlesungen, die 1985 unter dem Titel Dichtung als Urwissen des Menschen vom dortigen germanistischen Institut veröffentlicht wurden. Dort ist es Schönwiese jedoch vorwiegend darum zu tun, seine Überzeugungen in Beziehung zu setzen zu ähnlichen Positionen von ihm geistesverwandten Kulturtheoretikern - mit dem Ergebnis, dass sie auch etwas von deren Tönung annehmen. Klangreiner präludiert werden seine Anschauungen daher in ein paar vorausgehenden kulturkritischen Bekundungen. In dem Essay “Gedanken zur Lyrik” von 1980 formuliert er konzis seine postulative Anthropologie, nämlich die “ganzheitliche” Sicht des wahrhaft Humanen. Dies ist für ihn die Synthese, in jedem Akt des Encounters mit Welt und Mitmensch, von rational “denkerischem” Verhalten einerseits und “Gefühlen und Empfindungen” andrerseits. Diese Vereinigung ist verwirklicht und gibt sich kund in der “dichterischen Erkenntnis”. Was diese Erkenntnis erfasst, ist eine “Wahrheit” über den Menschen, kraft welcher sie 27 Strelka, Rilke, Benn, Schönwiese und die Entwicklung der modernen Lyrik, Wien: Forum, 1960, S. 102-103. Vgl. auch Strelka, Schönwiese, S. 13. 28 Frankfurt: Suhrkamp, 1954, S. 205-219. 22 Karl S. Guthke “den Menschen darin einübt: wirklich und ernst wahrhaft ein Mensch zu sein. Sie ist die Wacherhalterin des Humanen”. 29 In dem Essay “Neuer Glaube - neue Menschen” von 1983 erweitert Schönwiese diesen anthropologischpoetologischen Gedanken ins Kulturhistorische und Kulturutopische. Das “letzte große Gedankengebäude”, das einen solchen haltgebenden Sinn zu vermitteln und in einer kulturellen Gemeinschaft als “geistige Weltordnung” zu verwirklichen imstande war, war das Christentum. “Heute” jedoch erfüllt es diese Funktion nicht mehr. 30 Daher ist es die Aufgabe der Kunst und insbesondere der Dichtung, der in vielerlei “egoistische” Gruppen und “Ersatzreligionen” zersplitterten Menschheit etwas zu bieten, was jenem ehemaligen Kulturkosmos der Gläubigen analog ist, nämlich ein neues oder erneuertes sinngebendes “gemeinsames Weltbild”, kurz: einen “neuen Glauben” (S. 223, 217). Dichtung “wird wieder Gottesdienst, wie sie es ehedem war, Wacherhalterin des Gefühls für das gemeinsame Weltbild” (S. 224). Das ist also das Weltbild eben jener Menschen, die in ihrem Persönlichkeitsprofil jene immer wieder beschworene Ganzheit von “Rationalem und Irrationalem”, “Intellekt” und “Gefühl” (S. 218) realisiert haben, die das Siegel des “vollkommenen Menschen” ist (S. 220). “Nur ein neuer Glaube kann das Abendland vor dem Untergang retten” (S. 219). Das Neue ist dabei jedoch Repristination “ehemaliger Werte”, also weiter zurückliegender Sinngebungen (S. 223), ja: “uralter, ewiger Wahrheit” (S. 219), und es sind die Dichter, die sie bewahren und weiterreichen. Der Gedanke an Novalis’ “Christenheit oder Europa” ist unabweislich bei diesem Credo mit Vokabeln wie “Erbsünde”, “Erlöser” und “Gott” (S. 220-222). Novalis als Ahnherr - um so erstaunlicher ist, dass Schönwiese in der Summa seiner Anschauungen, in Dichtung als Urwissen des Menschen, bevorzugt Verbündete benennt, die seine Zeitgenossen sind, deutschsprachige vor allem. Mit ihren ähnlichen (nicht identischen) Ansichten nominiert er diese als Gewährsleute seines zweiteiligen Leitkonzepts (des anthropologischen und sekundär auch des kulturhistorischen) - was dieses Konzept als kanonisch statt als bloß eins unter anderen beglaubigt. Ausgangspunkt ist Brochs Diagnose “Zerfall der Werte” (und damit der ganzheitlichen Persönlichkeit und der darauf basierenden Einheit der europäischen Kultur), par excellence formuliert in Kapitel 44 von Huguenau oder die Sachlichkeit (1932). Broch figuriert dementsprechend als Schönwieses Kronzeuge für das anzustrebende Ideal der Weltbegegnung: für die Unio von Denken und Fühlen, wissenschaftlicher Abstraktion und sinnlicher Wahrnehmung, Kopf und Herz, Verstand und Seele, Rationalität und Mystik, wie Schönwiese sie in immer neuen Variationen und grandiosem Synkretismus vorführt anhand von Zitaten aus Texten seiner Gewährsleute. Die Gewährsleute stammen aus den verschiedensten Bereichen: Literatur, Philosophie, Physik, Theologie, Psychologie. Es sind, in lockerer Folge, Karl Kraus, Martin 29 Ges. Werke, II, 183. 30 Ges. Werke, II, 216. Seitenangaben beziehen sich im folgenden auf diesen Band. Schönwieses Auffassung der Dichtung 23 Buber, Robert Musil, Erich Neumann (der Psychologe aus dem Eranos- Kreis), Werner Heisenberg, Paul Claudel, Lew Schestow, Jean Améry, Richard Beer-Hofmann, Franz Kafka (um ein paar weniger geläufige Namen zu übergehen und ebenso Schönwieses hier eher flüchtige Seitenblicke auf den Zen-Buddhismus sowie auf Pascal und auf Goethe - anlässlich eines nicht unproblematischen Buchs von Andrew Jaszi - sowie schließlich auf Wilhelm von Humboldt). Alle diese Gewährsleute werden - ungeachtet ihrer doch recht unterschiedlichen individuellen Abwandlungen des Gedankens - souverän in Dienst genommen für die von Broch angeregte Überzeugung: was dem Zerfall der Werte entgegenwirken und den Weg zu einer neuen kulturellen Gemeinschaftordnung weisen könne, sei die speziell “dichterische Erkenntnis”. Denn auf den Spuren Brochs setzt Schönwiese diese Erkenntnis der “denkerischen Erkenntnis” entgegen als die einzige, die aus der die “Totalität aller Erfahrungs- und Erlebensmöglichkeiten” 31 entspringt. Die Summe zieht er in diesem Sinn gegen Ende seiner “Urwissen”-Vorlesungen: In einer Zeit des Wertverlustes und der unerläßlich notwendig gewordenen Sinnsuche, in einer so verworrenen Zeit, wie es unsere ist, sind es einzig die Dichter, die, in einem letzten Wesenskern unverwirrbar geblieben, das Unzerstörbare in uns wiederzuerwecken und zu bewahren vermögen. Die in ihnen lebendig gebliebene Fähigkeit, den unitiven Seelenzustand, der das Religiöse an sich ist, voll zu entfalten und zu gestalten, führt immer wieder zu neuen Ausprägungen ihrer unitiven Erlebnisse und Erfahrungen. (S. 58) Was dem Literarhistoriker an Schönwieses Zeugenappell in Sachen Kulturkonservatismus auffällt, ist nicht nur, dass Hofmannsthal hier fehlt - Hofmannsthal, der Addisons “the whole man must move at once” zu einem Leitmotiv seines Selbst- und Dichtungsverständnisses machte und überdies 1907 in seiner Rede “Der Dichter und diese Zeit” ganz ähnliche Töne anschlug wie Schönwiese. Es ging da um die existenznotwendigen “Gedankengefühle […], die allein der Dichter gibt”, um das “fühlende Denken, denkende Fühlen”, das mit der wegweisenden Kraft des Religiösen aus der Malaise der Gegenwart hinausführen könne, die von Wissenschaft und Technologie überfordert sei. 32 Verwunderlicher noch als das Fehlen Hofmannsthals ist die relativ geringe historische Tiefe der Begründung von Schönwieses Credo und ferner die Beschränkung auf Gleichgesinnte in Kontinentaleuropa und damit überwiegend im deutschsprachigen Raum. Nachdem einleitend à propos von 31 Dichtung als Urwissen des Menschen, Innsbruck: Institut für Germanistik der Universität, 1985, S. 21. Broch, “Denkerische und dichterische Erkenntnis” (1933), Kommentierte Werkausgabe, IX: 2, Frankfurt: Suhrkamp, 1976, S. 46. 32 Zu Addison: Winfried F. Weiss, “England: Hofmannsthal’s Insular Mirage”, Comparative Literature, XXV (1973), 60-67, bes. S. 62; Rede: Gesammelte Werke in Einzelausgaben, Prosa II, Frankfurt: Fischer, 1951, S. 279, 280. 24 Karl S. Guthke Grünbein und Brodsky auf die Zukunftshaltigkeit von Schönwieses Vorstellung aufmerksam gemacht wurde, empfehlen sich jetzt ein paar Überlegungen zur Vorgeschichte in der Goethezeit und dann zur Zeitgenossenschaft mit Eliot. 3. Franz Werfel hat Schönwiese einmal daran erinnert, dass “wir alle” auf den Schultern von Vorgängern stünden. 33 Strelka hat daraufhin auf Schönwieses Rezeption östlicher und westlicher Mystik aufmerksam gemacht. Davon erlaube ich mir hier, von Unkenntnis beflügelt, abzusehen. Zeitlich näher liegt die Goethezeit. Schönwiese selbst hat bekanntlich mit dem wiederholten Bekenntnis zu Goethe in diese Richtung gedeutet. Nicht nur war für Goethe und seine Zeit der Glaube an die Fähigkeit und Berufung der Dichtung, ontologisch-existentielle Wahrheit zu vermitteln, noch nicht stark erschüttert: “der Dichtung Schleier” stammte “aus der Hand der Wahrheit”, der Weg in “der Erkenntnis Land” führte durch das “Morgentor des Schönen”. Vor allem aber war für die Goethezeit - als Bedingung der Möglichkeit solcher Wahrheitserkenntnis - “der ganze Mensch”, wie gesagt, ein Leitthema. “Alles, was der Mensch zu leisten unternimmt, […] muß aus sämtlichen vereinigten Kräften entspringen”. 34 Darauf vor allem soll es hier und im folgenden ankommen, wenn es gilt, den historischen und europäischen Horizont Schönwieses ins Auge zu fassen. “Klassizist” sei für ihn nie ein Schimpfwort gewesen, hat Schönwiese in seinem geistigen Lebenslauf betont. 35 In erster Linie ist bei solchem “In Spuren gehen” wohl zu denken an die kulturelle Erkenntnisbedeutung und den hohen anthropologischen Rang, den die Dichtung in der Goethezeit als Vermittlerin von Ganzheitlichkeit noch hat. Kleists Aufsatz über das Marionettentheater, “vielfach als Schlüsseltext der klassischen Ästhetik gelesen”, 36 mythisiert die von Schönwiese immer wieder beschworene Unio sämtlicher Kräfte des geistig-emotional-sinnlichen Haushalts des Menschen als Rückkehr ins Paradies. Ähnliche ideale Selbstverwirklichung projizierten Winckelmann (schon in den “Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst” von 1755) und dann Friedrich Schlegel (in dem 1794 entstandenen Aufsatz “Über das Studium der griechischen Poesie”) in die Antike als orientierendes Image für Bildung in der eigenen Gegenwart. Vor allem aber wäre an Schiller zu denken, wie es in diesem Zusammenhang nicht nur Grünbein getan hat, sondern auch Hofmannsthal. 37 Und zwar gilt dies nicht so sehr im Hinblick auf Schillers, letzt- 33 Nach Strelka, Schönwiese (Anm. 26), S. 11. 34 Goethe, Hamburger Ausgabe, IX, 514. 35 Ges. Werke, II, 62. 36 Helmut Koopmann im Kommentar in Kleist, Sämtliche Werke, München: Artemis u. Winkler, 7. Aufl., 1994, S. 1151. 37 Grünbein, Gedicht und Geheimnis, S. 87; Hofmannsthal, Ges. Werke (s. o. Anm. 32), S. 288. Schönwieses Auffassung der Dichtung 25 lich auf Aristoteles und zeitnäher auf Lessing zurückgehende Überordnung der poetischen Wahrheit über die historische (programmatisch in seinem Brief an Caroline von Beulwitz vom 10. Dezember 1788) wie vielmehr im Hinblick auf sein Ideal der (Wieder)vereinigung von Ratio, Emotion und Sinnlichkeit in Über die ästhetische Erziehung des Menschen und in Über naïve und sentimentalische Dichtung wie auch praxisnäher schon in der aufsehenerregenden Bürger-Rezension mit ihrer Forderung nach Totalität als Litmus- Test für die Echtheitsqualität von Autor, Werk und Wirkung. Soweit ich sehe, ist Schönwiese auf diesen “Vorfahr”, Schiller also, nie zu sprechen gekommen, vielleicht weil ihm diese Konstellation selbstverständlich schien. Dem Präludium Schillers kurz Aufmerksamkeit zu schenken, lohnt sich nichtsdestoweniger. 38 Auf Kultur- und Zivilisationskritik läuft auch Schillers Gedankenführung hinaus, und wie die Schönwieses zielt auch sie letztlich auf die Zukunftsvision einer zur Harmonie sanierten öffentlich-staatlichen Gesellschaft, die anthropologisch auf der je individuell geprägten Ganzheitlichkeit der Person be-ruht. Und zwar ist diese zweifache Harmonie eine wiederhergestellte Harmonie. Denn Schillers Hoffnung ist genauer, daß “die Trennung in dem innern Menschen wieder aufgehoben” werde. 39 Das wäre die (Wieder)geburt des “ästhetischen” Menschen, dessen gemeinschaftliche Lebensform der “ästhetische” Staat wäre. Die eigenwillige Terminologie (“ästhetisch”) 40 erklärt sich durch Schillers Überzeugung, dass die “Trennung”, die Zerrissenheit, wie man später sagen wird, aufgehoben und die “Einheit der menschlichen Natur wieder her[ge]stell[t]” werde (S. 347) “durch “die [Erfahrung der] Schönheit” (S. 336, vgl. S. 380). Denn allein das Schöne vermag das Getrennte zu vereinen. Wie aber geschieht das? Getrennt, einander entfremdet, sind für Schiller in seiner Gegenwart die “sinnliche Natur” und die “vernünftige Natur” des Menschen (S. 344-345); die diesen beiden entsprechenden “Triebe” wirken gegeneinander. Vereint, in Harmonie gebracht, werden sie, wenn sie ihren jeweiligen autoritären Geltungsanspruch einschränken in Anerkenung des jeweils entgegengesetzten “Triebs”. Der Mensch “soll empfinden, weil [d. h. während] er sich bewußt ist, und soll sich bewußt seyn, weil er empfindet”. Dann, und nur dann, wäre er “in voller Bedeutung des Worts, Mensch” (S. 353). (Man vergleiche das Echo bei Schönwiese [s. o. S. 22].) Solche Harmonie bewerkstelligt der idiosynkratisch so genannte “Spieltrieb”, der dem “Stofftrieb” wie auch dem “Formtrieb” den insistenten Ernst nimmt: “In demselben Maaße[,] als er den Empfindungen und Affekten ihren dynamischen Einfluß nimmt, wird er sie mit Ideen der Vernunft in Ueberein- 38 Ursula Weyrer, “Das Silberboot”: Eine österreichische Literaturzeitschrift (1935-36, 1946-52), Innsbruck: Institut für Germanistik, 1984, S. 99: “Die Fähre verstand sich als deutsche Nachfolgerin des “silberbootes” aus den dreißiger Jahren. Wie dieses formulierte auch sie die ‘humane Verpflichtung des Wortes’ und berief sich auf Schiller und auf die klassisch-idealistische Geistestradition.” 39 Nationalausgabe, XX, 329. Seitenzahlen beziehen sich im folgenden auf diese Ausgabe. 40 Die Kernstelle ist S. 375-376. 26 Karl S. Guthke stimmung bringen, und in demselben Maaße, als er den Gesetzen der Vernunft ihre moralische Nöthigung benimmt, wird er sie mit dem Interesse der Sinne versöhnen” (S. 354-355). Nun aber der Clou: wo der Spieltrieb dieser Bestimmung gemäß wirkt, entsteht “in weitester Bedeutung S c h ö n h e i t ” (S. 355). Schön in diesem Sinn ist der Mensch, in dem “denken” und “fühlen” sich zusammenfinden zur “lebenden Gestalt” (S. 355). Und schön in diesem Sinn “eines in sich selbst vollendeten Ganzen” (S. 364) und damit “ganz Mensch” (S. 359) wird er durch die Erfahrung und Verinnerlichung des Schönen des Kunstwerks, das seinerseits “die zwey entgegengesetzten Zustände des Empfindens und des Denkens verknüpft” und derart “erzieherisch” wirksam wird (S. 366, vgl. S. 380). Und wie bei Schönwiese die Erfahrung des Schönen immer schon die Erfahrung der Wahrheit einschließt - Keats’ schon sprichwörtlich gewordene Gleichsetzung von “beauty” und “truth” bringt sich in Erinnerung -, so auch bei Schiller: Es kann, mit einem Wort, nicht mehr die Frage seyn, wie er von der Schönheit zur Wahrheit übergehe, die dem Vermögen nach schon in der ersten liegt, sondern wie er von einer gemeinen Wirklichkeit zu einer ästhetischen, wie er von bloßen Lebensgefühlen zu Schönheitsgefühlen den Weg sich bahne. (S. 398) “Die Übereinstimmung zwischen […] Empfinden und Denken”, die im putativ orginären “Zustande [des Menschen] w i r k l i c h statt fand” (doch vereinzelt auch in der Gegenwart noch bestehen kann, wie im Fall Goethe) und deren Aufhebung durch “Trennung” geschieht, sobald der Mensch in den “Stand der Kultur” tritt - das ist auch die Grundvoraussetzung von Schillers Reflexionen Über naïve und sentimentalische Dichtung (S. 437), die kein geringerer als der Nobelpreisträger Orhan Pamuk vor kurzem wiederbelebt hat als relevant für gegenwärtiges Dichtungsverständnis in seinen Norton Lectures The Naïve and the Sentimental Novelist (2010). Hier die Kernstelle bei Schiller: So lange der Mensch noch reine […] Natur ist, wirkt er als ungetheilte sinnliche Einheit, und als ein harmonirendes Ganze. Sinne und Vernunft […] haben sich in ihrem Geschäfte noch nicht getrennt, vielweniger stehen sie im Widerspruch miteinander. […] Ist der Mensch in den Stand der Kultur getreten […], so ist jene s i n nl i c h e Harmonie in ihm aufgehoben, und er kann nur noch als m o r a l i s c h e Einheit, d. h. als nach Einheit strebend, sich äußern. (S. 436-437) Und wieder ist es die Kunst, jetzt speziell die “Poesie”, in der die beiden Möglichkeiten des Menschen, die es in Schillers spätzeitlicher Gegenwart geben kann, sich kundgeben: Schönwieses Auffassung der Dichtung 27 Wendet man nun den Begriff der Poesie, der kein andrer ist, als der M e n s c h h e i t i h r e n m ö g l i c h s t v o l l s t ä n d i g e n A u s d r u c k z u g e b e n, auf jenen beyden Zustände an, so ergiebt sich, daß dort in dem Zustande natürlicher Einfalt, wo der Mensch noch, mit allen seinen Kräften zugleich, als harmonische Einheit wirkt, wo mithin das Ganze seiner Natur sich in der Wirklichkeit vollständig ausdrückt, die möglichst vollständige N a c h a h m u n g d e s W i r k l i c h e n - daß hingegen hier in dem Zustande der Kultur, wo jenes harmonische Zusammenwirken seiner ganzen Natur bloß eine Idee ist, die Erhebung der Wirklichkeit zum Ideal oder, was auf eins hinausläuft, die D a r s t e l l u n g d e s I d e a l s d e n D i c h t e r m a c h e n m u ß. (S. 437) Aber Schiller wäre nicht Schiller, wenn er nicht auch diese beiden Typen der Dichtung letztlich doch zu vereinigen suchte in einem “höhern Begriff, der sie beyde unter sich faßt” (S. 437). Denn generell “macht ja den Dichter aus, daß er […] die Natur in ihrer ursprünglichen Einfalt wieder in sich herzustellen weiß” (S. 462) und damit auch im Aufnehmenden. Wirkt das noch fast wie eine Verabsolutierung des “Naiven” auf Kosten des “Sentimentalischen”, so bringt eine spätere Stelle Klärung: Dem naiven Dichter hat die Natur die Gunst erzeigt, immer als eine ungetheilte Einheit zu wirken, in jedem Moment ein selbstständiges und vollendetes Ganze zu seyn und die Menschheit, ihrem vollen Gehalt nach, in der Wirklichkeit darzustellen. Dem sentimentalischen hat sie die Macht verliehen oder vielmehr einen lebendigen Trieb eingeprägt, jene Einheit, die durch Abstraktion in ihm aufgehoben worden, aus sich selbst wieder herzustellen, die Menschheit in sich vollständig zu machen, und aus einem beschränkten Zustand zu einem unendlichen überzugehen. Der menschlichen Natur ihren völligen Ausdruck zu geben ist aber die gemeinschaftliche Aufgabe beyder[.] (S. 473) Und noch abstrahierender: Denn endlich müßen wir es doch gestehen, daß weder der naive noch der sentimentalische Charakter, für sich allein betrachtet, das Ideal schöner Menschlichkeit ganz erschöpfen, das nur aus der innigen Verbindung beyder hervorgehen kann. (S. 491) Das “Schöne” der Menschlichkeit in beiden Erscheinungsformen reflektiert sich im Werk. Denn als Dichter ist der eine wie der andere Typus schließlich auf die Schönheit verpflichtet. Und Schönheit ist wiederum, wie schon in der Ästhetischen Erziehung, “das Produkt der Zusammenstimmung zwischen dem Geist und den Sinnen, es spricht zu allen Vermögen des Menschen zugleich, und kann daher nur unter der Voraussetzung eines vollständigen und freyen Gebrauchs aller seiner Kräfte empfunden und gewürdiget werden” (S. 487). 28 Karl S. Guthke 4. Schiller ist nicht der einzige aus der deutschen klassisch-romantischen Zeit, auf dessen Schultern Schönwiese steht, aber sicherlich der weithin sichtbarste. Um im Bild zu bleiben: nicht nur auf den Schultern von Vorgängern steht Schönwiese, wie jeder Autor in Spätzeiten; er findet sich auch im Schulterschluss mit Zeitgenossen. Manche von ihnen, vielleicht viel zu viele vereinnahmend, hat Schönwiese selbst in Dichtung als Urwissen des Menschen beim Namen genannt. Wie gesagt, fehlt dort merkwürdigerweise der Blick über den Ärmelkanal, der Blick auf T. S. Eliot. Bereits 1921 hat Eliot, kaum Anfang dreißig, programmatisch und mittlerweile von der zünftigen komparatistischen Literaturgeschichtsschreibung anerkennend bestätigt, 41 aufgerufen zur Rückkehr zu einer seit dem mittleren siebzehnten Jahrhundert verschütteten literarischen Tradition der “unified sensibility”, die, wie der Silberboot-Mitarbeiter Hans Hennecke bereits in den dreißiger Jahren erkannte, 42 Schillers literarisch-anthropologischem Ideal überraschend ähnlich ist. In vollendeter Form war diese Tradition ausgeprägt bei den sogenannten (nämlich bis dato so beschimpften und besonders von dem Orakel der englischen Kritik, Samuel Johnson, nicht geschätzten) “metaphysical poets” der unmittelbaren Nach-Shakespeare-Zeit, mit Crashaw und Donne an der Spitze. Anlaß für Eliots epochemachenden Essay war die von Herbert J. G. Grierson herausgegebene und mit einer Einführung begleitete Anthologie Metaphysical Lyrics and Poems of the Seventeenth Century: Donne to Butler. 43 Weniger eine Buchbesprechung als eine originelle Skizzierung der Geschichte der englischen Dichtung von Donne über Milton und Dryden bis hin zu Tennyson und Browning, sieht Eliots Essay die nach den “metaphysical poets” verloren gegangene “virtue” dieser Dichter als “something permanently valuable”. Gemeint ist damit deren Fähigkeit, Gefühle und sinnliche Wahrnehmungen unmittelbar mit dem Denken zu amalgamieren: “Their mode of feeling was directly and freshly altered by their reading and thought. […] there is a direct sensuous appreciation of thought, or a recreation of thought into feeling”. 44 Donnes “naked thinking heart” (“The Blossome”) hätte Eliot zitieren können als kompakte Formel für die seither vielberufene “unified sensibility” des wahrhaft “intellectual poet” (Eliot selbst spricht von “unification of sensibility” [S. 65]), die nachmals, seit Milton und Dryden, zur “dissociation of sensibility” verkommen sei, eklatant bei Tennyson und Browning: “Tennyson and Browning are poets, and they think; but they do not feel their thought immediately as the odour of a rose. A thought 41 Resümierend etwa bei Gerhart Hoffmeister, Deutsche und europäische Barockliteratur, Stuttgart: Metzler, 1987, S. 36. 42 “John Donne und die ‘metaphysische Lyrik’ Englands”, in Hennecke, Dichtung und Dasein, Berlin: Henssel, 1950, S. 152; zuerst 1938. 43 Oxford: Clarendon, 1921. 44 Selected Prose of T. S. Eliot, hg. v. Frank Kermode, London: Faber and Faber, 1975, S. 63. Seitenverweise im Text beziehen sich auf diese Ausgabe. Schönwieses Auffassung der Dichtung 29 to Donne was an experience; it modified his sensibility” (S. 64). Nicht nur lässt dies Ideal Eliots, das es wiederzugewinnen gelte, an den von Schönwiese unentwegt umkreisten Willen zur Unio von Denken und Fühlen und Sinnlichkeit, aus der alles Dichterische entspringt, denken; nicht nur hätte Schönwiese ferner mit Eliots Vorstellung sympathisieren können, dass es, eben in den Jahrzehnten des früheren siebzehnten Jahrhunderts in England, eine Kultur gegeben hätte, in der das Ideal noch Wirklichkeit war. Als verwandt berührt hätte Schönwiese auch die Folgerung Eliots, dass ausgerechnet in der Amalgamierung von Denken, Fühlen und Sinneswahrnehmung etwas erfahren und dann in der Dichtung gestaltet wird, das Eliot nicht zögert, die Wahrheit zu nennen. Der Dichter, wie er ihn sich wünscht, verwandelt seine Gedanken und Interessen “into poetry, and not merely meditate[s] on them poetically. A philosophical theory which has entered into poetry is established, for its truth or falsity in one sense ceases to matter, and its truth in another sense is proved” (S. 65). Der Dichter ist bei Eliot also, wie bei Schönwiese und dessen Vorgängern in der deutschen Klassik, ausgestattet mit einem “Erkenntnisvermögen eigener Art”. 45 Der hier visierte Brückenschlag von Schönwiese zu Eliot ist nicht ohne Bodenhaftung. Schönwiese hat sich mit Nachdruck um die Bekanntmachung Eliots in den deutschsprachigen Ländern bemüht. Die Rezeptionsforschung hat das leider nicht zur Kenntnis genommen. 46 Dabei beginnt Schönwieses Eintreten für Eliot nicht etwa erst 1948, im Jahr des Nobelpreises, als Eliot, bis dahin “in Deutschland noch kaum bekannt”, 47 zum “großen Bildungserlebnis” der Deutschen und Österreicher wurde, 48 namentlich durch die Fürsprache von Ernst Robert Curtius, Hans Hennecke und Hans Egon Holthusen sowie Grete und Hans Heinrich Schaeder. Bereits im ersten Band seiner Zeitschrift das silberboot hat Schönwiese ein Gedicht Eliots in der “deutschen Nachdichtung von Hermann Broch” unter dem Titel “Morgen am Fenster” veröffentlicht (I: 3, S. 105). Das war im Juni 1936, im selben Jahr, als der zum Autorenkreis des silberboots gehörende Hans Hennecke seinen (noch zu erörternden) ersten Essay über Eliot in der Europäischen Revue herausbrachte. Noch in diesem Jahr mußte das silberboot, politisch bedingt, sein Erscheinen einstellen. Als es dann nach zehnjähriger Unterbrechung wieder erschien und mit Elan und Erfolg die seine literarhistorische Bedeutung ausmachende Mission erfüllte, der deutschsprachigen literarischen Welt Einblick zu verschaffen in das, was sie 45 Zur Aktualität T. S. Eliots, hg. v. Helmut Viebrock u. Armin Paul Frank, Frankfurt: Suhrkamp, 1975, S. 13 (Viebrock). 46 Viebrock (Anm. 45); Nordamerikanische Literatur im deutschen Sprachraum seit 1945, hg. v. Horst Frenz u. Hans-Joachim Lang, München: Winkler, 1973; Günter Auerbach, “T. S. Eliot in Deutschland”, Literaturmagazin, VII, hg. v. Nicolas Born u. Jürgen Mathey, Reinbek: Rowohlt, 1977, S. 355-372. 47 Grete u. Hans Heinrich Schaeder, Ein Weg zu T. S. Eliot, Hameln: Seifert, 1948, S. 11. 48 Viebrock, S. 16. 30 Karl S. Guthke in der vorausgehenden Zeit verpasst hatte, 49 gehörte Eliot, neben Joyce, Proust, Faulkner, Gide u. a., schon gleich 1946 zu den am nachdrücklichsten in den Blick gerückten ausländischen Autoren. So stand bereits im ersten Heft des Jahres, programmatisch und die Kontinuität betonend, noch einmal “Morgen am Fenster”, diesmal samt des englischen Wortlauts von “Morning at the Window” (II: 1, S. 21); und im achten Heft des silberboots (November 1946) folgten Eliots zwei “Präludien” in der Neugestaltung von Broch, 50 und als Herausgeber fügte Schönwiese dort am Fuß der Seite als eine Art Vorstellung des Autors ein Zitat aus Eliots im selben Jahr auf Deutsch erschienenen Rundfunkansprachen The Unity of European Culture hinzu. Darin stellt der Dichter sich mit entsprechender Bescheidenheitsfloskel in die Nachfolge Baudelaires und Valérys und in die nächste Nachbarschaft von Rilke und Yeats: In der zweiten Hälfte des Neunzehnten Jahrhunderts kam der größte Beitrag zur europäischen Dichtung zweifellos von Frankreich. Ich denke dabei an die Bewegung in der französischen Lyrik, deren Grundlage von Baudelaire gelegt wurde und die mit Paul Valéry geendet hat. Ohne diese Bewegung wäre das Werk dreier nichtfranzösischer Dichter - alle drei voneinander sehr verschieden - überhaupt nicht denkbar. Das sind Rainer Maria Rilke, der vor wenigen Jahren verstorbene irische Dichter Yeats und - wenn ich so persönlich sprechen darf - ich selbst. Auf sie und mich hat die französische Lyrik dieser Periode einen entscheidenden Einfluß ausgeübt. Wie kompliziert aber literarische Einflüsse sein können, zeigt die Tatsache, daß diese französische Bewegung ihrerseits einem amerikanischen Dichter irischer Abstammung sehr viel verdankt: dem Dichter Edgar Allan Poe. (II: 8, S. 142) Ebenfalls noch im ersten Nachkriegsjahrgang von Schönwieses Zeitschrift stand Hans Henneckes Essay “Die nordamerikanische Lyrik der Gegenwart”, in dem das “sehr neuartige Dichtertum” Eliots besonders nachdrücklich hervorgehoben wird: “Er ist heute der zweifellos überragendste Vertreter der für die englische Sprachwelt ja seit je so kennzeichnenden Personalunion von Dichter und Kritiker; daher auch sein seit 1920 in der angelsächsischen, neuerdings aber auch in der romanischen und skandinavischen Welt unabsehbar wachsender Einfluß”. 51 Was diese eminente Bedeutsamkeit des englischen Lyrikers ausmacht, deutet Hennecke hier an, wenn er gleich fortfährt: “Er 49 Programmatisch formuliert von Schönwiese im silberboot 1946, S. 1. 50 1951 brachte Wolfgang Cordan im silberboot noch im Zusammenhang eines Hinweises auf Kavafis einige Zeilen aus dem Waste Land, von denen der griechische Lyriker sich habe anregen lassen (IV: 1, S. 31). 51 II: 4, S. 214. Der Artikel steht ebenfalls in dem von Schönwiese und Willi Weismann herausgegebenem Almanach Die Fähre, 1946, S. 130-135. Die Fortsetzung der Fähre, Literarische Revue, brachte 1948 auch das Eliot-Gedicht “Mariana” in der Übersetzung von Franz Baermann Steiner (III, 535). Schönwieses Auffassung der Dichtung 31 zumal vermittelt der heutigen Dichtung das Bewußtsein der hohen Aktualität der englischen Barocklyrik”, deren Analogon Hennecke in der “mondänen Spiritualität” Laforgues und Corbières sieht, die Eliot als “produktiver Ausdruck der Moderne seit je wichtiger waren als selbst Baudelaire und Mallarmé”. Schönwiese, der diesen Aufsatz gleich zweimal drucken ließ, wird seine helle Freude an diesem Passus gehabt haben; denn worauf Hennecke hier, unüberhörbar für den Kenner der Materie, anspielt, ist nichts anderes als jene Aufhebung der “dissociation of sensibility” und Wiederherstellung der “association of sensibility”, die Eliot 1921 in seinem vielbeachteten Essay über die “metaphysischen” Dichter des englischen Barocks gefeiert hatte und die, wie angedeutet, Schönwieses eigenem literarisch-ästhetischen Programm kongenial ist. - Zum Schluß dieses Blicks auf das silberboot ist zu erwähnen, daß, ebenfalls noch vor der Verleihung des Nobelpreises an Eliot, der seit dem ersten Jahrgang regelmäßige Mitarbeiter Franz Golffing Rudolf Alexander Schröders Übersetzung Mord in der Kathedrale ausführlich besprochen hat, allerdings auch nicht ohne auf “Fehler” und “Schwächen” des Stücks aufmerksam zu machen; Schönwiese ließ das offenbar durchgehen, da der Rezensent abschließend festhielt, dass “der hohe Wert als Poesie” nicht zu bestreiten sei. 52 So verdienstvoll die Hinweise Schönwieses und seiner von ihm selbst bestimmten Mitarbeiter auf den Lyriker Eliot sind, der, es sei wiederholt, Schönwieses eigenem Konzept der anthropologisch-literarisch-ästhetischen Unio aller Facetten des Denkens, Fühlens und Wahrnehmens weithin sichtbar Ausdruck gegeben hatte in seiner Wiederentdeckung der englischen Barocklyrik - mindestens ebenso bedeutsam ist sein Eintreten für Eliots Engagement für eine grenzenüberschreitende europäische Kultur. Dass dessen “Äußerungen als Kulturkritiker und Herausgeber über ‘Die Einheit der europäischen Kultur’ […] für das weltliterarische Konzept [des silberboots] selbst verbindlich” 53 waren, lässt sich schwer einleuchtend erweisen, ist aber plausibel. Relevanter im gegenwärtigen Zusammenhang ist jedenfalls, dass Eliots Konzept kultureller Einheit eminent vereinbar ist mit Schönwieses Projektion (in die Vergangenheit und in die Zukunft) einer kulturellen Gemeinschaft, in der die bezeichnete Unio in der Person sowohl wie in der Ordnung des menschlichen Zusammenlebens Wirklichkeit ist. Und diese sympathetische Verbindung mit dem Engländer ist dem Österreicher, hellhörig, wie er war für signifikante Ereignisse in der literarischen Welt auch außerhalb der deutschsprachigen, keineswegs entgangen. In Jahren von 1945 bis 1954 soll Schönwiese Funk-Essays über Eliot verfasst haben für die von ihm geleitete Literaturabteilung der amerikanischen Sendergruppe Rot-Weiß-Rot in Salzburg. Leider findet sich aber im Nachlass Schönwieses im “Österreichischen Literaturarchiv” in der Nationalbibliothek, wie mir Herr Dr. Michael Hansel auf Grund seiner Recherchen mitteilt, 52 IV: 1 (1948), S. 23-24. Über Golffing s. Weyrer (Anm. 38), S. 67. 53 Weyrer, S. 141. 32 Karl S. Guthke nichts an derartigen Texten, und die Wiener Diplomarbeit von Eva Roither über “Ernst Schönwiese und das literarische Programm des Senders ‘Rot- Weiß-Rot’ in Salzburg 1945-1954 […] anhand des Nachlasses von Ernst Schönwiese” (2008), die die einschlägigen Manuskripte Schönwieses aus den Jahren seiner Tätigkeit für den Sender verzeichnet, nennt ebenfalls keinen Text zu Eliot; die Verfasserin macht jedoch auf eine Spur aufmerksam: im Radioprogrammheft für 1951 findet sich für den Abend des 4. Dezember der Eintrag: “Europäische Porträts: T. S. Eliot” (Mitteilung von Dr. Hansel). So muss man sich begnügen mit Schönwieses Besprechung von Eliots im März 1946 in einer Sendereihe des Deutschen Dienstes des Londoner Rundfunks gehaltenen Rundfunkvorträgen The Unity of European Culture. Schönwieses Zitat daraus als Ergänzung zu einem lyrischen Text im silberboot wurde bereits wiedergegeben. Und zwar zitierte Schönwiese aus der deutschen Übersetzung von Leonie Hiller: Die Einheit der europäischen Kultur, die zusammen mit dem englischen Original 1946 im Berliner Verlag Carl Habel erschienen war, mit einem Nachwort von Hans Hennecke. Schönwiese hat diese Ausgabe noch 1946, im November, in demselben Heft des silberboots in den höchsten Tönen angezeigt, in dem Eliots “Präludien” abgedruckt wurden samt dem Vorstellungszitat aus diesem Text (II: 8, S. 166), wiederholt in der Fähre im selben Jahr (I: 9, S. 573). Bevor davon die Rede ist, ein Blick auf Eliots Reden selbst. Eliot greift in diesen drei Ansprachen nicht noch einmal ausdrücklich zurück auf sein anthropologisch-literarisches Ideal der “unified sensibility”. Doch ist diese unausgesprochen stets als Hintergrundsmusik zu hören, wenn er (nicht ohne Platitüden) in drei Ansätzen die ideale (einmal wirklich gewesene und jetzt, nach dem Krieg, wiederzugewinnende) Symphonie der kulturellen Manifestationen nicht in diesem oder jenem Land, sondern in einem in diesem Sinne geeinten Europa beschwört. In einem solchen Kulturraum beeinflussen die in den jeweiligen Regionen beheimateten Künste und “Ideen” sich symbiotisch gegenseitig in fruchtbarer Weise, und zugleich werden sie jenes geistigen Erbes inne, das ihnen allen haltgebend gemeinsam ist. Das sind die Traditionen, die Eliot mit den Stichworten Israel, griechischrömische Antike und Christentum benennt. Das Christentum spielt dabei für ihn die herausragende Rolle, während die anderen Kulturwelten allenfalls gestreift werden. Dass Schönwiese Eliot gefördert habe wegen seiner Sympathie mit dessen “christlicher Geistigkeit”, ist behauptet, aber auch bestritten worden. 54 Gleich wie man dazu steht, ist jedoch zu Eliots Favorisierung des Christentums, in der dritten dieser Rundfunkreden, zu sagen: der Anglo- Katholik spricht hier keineswegs in dogmatischer Weise. Er betont vielmehr: auch der nicht mehr im christlichen Glauben geborgene Europäer werde in allem, was er sage und tue, seinem christlichen Kulturerbe verpflichtet bleiben, so sehr er sich auch zu den Nicht-Gläubigen zählen möge. Nur eine christliche Kultur hätte einen Voltaire oder Nietzsche hervorbringen können, 54 Strelka, Ernst Schönwiese (Anm. 27), S. 140 gegen Weyrer, S. 233 (Zitat). Schönwieses Auffassung der Dichtung 33 und nur in dem Sinne meint Eliot, die europäische Kultur könne das restlose Verschwinden des christlichen Glaubens nicht überleben. 55 Das hätte auch Schönwiese gelten lassen, sollte man denken. Aber was hat er nachweislich von Eliots drei Reden gehalten? Er begrüßt in seiner Rezension die Drucklegung der Reden über Die Einheit der europäischen Kultur ohne Abstriche. Zunächst findet er, ohne das eigens zu sagen, bei Eliot eine Bestätigung seiner erwähnten eigenen Mission nach 1945, den Anschluss an die außerdeutsche Weltliteratur wiederzugewinnen. Er zitiert: Kein Volk hätte in der Dichtung leisten können, was es geleistet hat, ohne die gleichzeitigen Bemühungen seiner Nachbarvölker und Nachbarsprachen auf dem selben Gebiet. Wir können die Literatur eines europäischen Landes nicht verstehen, ohne daß wir eine gute Kenntnis der europäischen Gesamtliteratur besitzen. Damit die Literatur eines Landes sich erneuern kann, ist zweierlei notwendig: erstens die Fähigkeit, fremde Einflüsse aufzunehmen und zu assimilieren, und dann die Fähigkeit, zu ihren eigenen Quellen zurückzufinden und aus ihnen neu zu lernen. Daraus folgt (wiederum Zitat): In der Dichtung kann kein Land auf unbegrenzte Zeit Großes leisten. Ein Land löst als Zentrum literarischen Schaffens das andere ab. Es gibt in der Dichtung keine absolute Originalität, keine völlige Loslösung von der Vergangenheit. Die Geburt eines Virgil, eines Dante, eines Shakespeare, die Geburt eines Goethe verleiht mit einem Schlage der gesamten europäischen Dichtung ein neues Gesicht. Das dürfte auch das Ethos seiner eigenen Zeitschrift, des Silberboots, gewesen sein. Kein Wunder, dass Schönwiese daraufhin besonders angetan ist von Eliots Würdigung der Bedeutung von Kulturzeitschriften, die die nationalen Grenzen hinter sich lassen: Um die Einheit der europäischen Kultur zu erhalten, erscheint Eliot, dem langjährigen Herausgeber der repräsentativen englischen Zeitschrift “Criterion”, die Schaffung “eines Netzes von unabhängigen Zeitschriften notwendig, damit Ideen rasch und frei zirkulieren können. Mindestens eine Zeitschrift dieser Art sollte es in jeder Hauptstadt geben. Ihre Herausgeber und regelmäßigen Mitarbeiter sollten einander kennenlernen, öfters besuchen, um ihre Ideen auszutauschen. Die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Zeitschriften würde eine dauernde Anregung bilden für den Austausch von Gedanken- und Gefühlswerten zwischen den Ländern Europas, so 55 Eliot, Notes Towards the Definition of Culture, New York: Harcourt, Brace, 1949, S. 126. Deutsch in Eliot, Werke, Frankfurt: Suhrkamp, II, 1967. 34 Karl S. Guthke daß die Literatur jedes einzelnen von ihnen ständige Bereicherung und Erneuerung erführe. Käme es wieder zu einem solchen europaweiten Austausch, wie es ihn vor dem Krieg zeitweise gegeben habe in einer idealen geistigen Gemeinschaft, dann hätten auch die gemeinsam ererbten europäischen Werte ein Zukunft, die die je nationalen Kulturen befruchten: Dies würde dazu beitragen, daß das europäische Geistesleben sein hohes Niveau behielte. Es müsse “in der europäischen Kultur ein gemeinsames Grundelement geben, ein langsames gegenseitiges Befruchten im Denken, Fühlen und Sagen, eine Wechselbeziehung in der Kunst und in der Idee”, um so mitzuhelfen, “etwas von den Werten zu retten, die uns allen gemeinsam anvertraut worden sind: das Erbe Roms, Griechenlands und Israels, das Erbe der zweitausendjährigen Kultur Europas. Nicht überraschend findet Schönwiese am Schluss Eliots Ausführungen zusammenfassend “sehr beherzigenswert”. Es ist offensichtlich: der Rezensent macht sich die Überzeugungen des Autors rückhaltlos zu eigen oder besser: er sieht wie in einem klärenden Spiegel seine eigenen poetologischen und kulturellen Bestrebungen (die damals, vier Jahrzehnte vor den Innsbrucker Vorlesungen, noch längst nicht ausformuliert waren) in den Worten “einer der interessantesten und anregendsten Persönlichkeiten des modernen englischen Geisteslebens der letzten dreißig Jahre”. In der am Schluss des silberboot-Heftes gedruckten biographischen Skizze (S. 167), die nur vom Herausgeber selbst stammen kann, stößt Schönwiese in dasselbe Horn: Eliots Zeitschrift Criterion (1922-1939), von der in der zweiten Rundfunkansprache ausführlich die Rede ist, wertet er als “Englands bedeutendste literarische und kulturpolitische Revue”. “Der bahnbrechende Kulturkritiker und Essayist Eliot”, heißt es weiter, und hier folgt Schönwiese einem Stichwort des Nachworts von Hennecke, “muß neben Ortega y Gasset, Unamuno und Paul Valéry genannt werden.” (Die Namen bürgen übrigens dafür, dass Schönwiese keineswegs, wie behauptet worden ist [s. Anm. 54], auf Vorbilder von betont christlicher Geistigkeit fixiert ist.) Schönwieses Resümee, wieder im Anschluss an Henneckes Nachwort: “Eliot ist seit mehr als zwei Jahrzehnten einer der einflußreichsten Dichter und Kritiker Englands und Amerikas.” Und dies, wie gesagt, ein Urteil bereits aus dem Jahre 1946, als Eliot auf dem Kontinent noch alles andere als eine bekannte Größe war. Die biographische Skizze verweist zwar auf eine “Abhandlung” von Ernst Robert Curtius in der Neuen Schweizer Rundschau (von 1927) und einen “Aufsatz” von Hans Hennecke in der Europäischen Revue (von 1936), doch ist das wieder nur ein Echo eines entsprechenden Hinweises von Hennecke im Nachwort zu Die Einheit der europäischen Kultur (S. 64). Auch beschäftigt sich Curtius in seiner Studie eigentlich weniger mit Eliot und seinem Werk als mit der religionsgeschichtlichen und -philosophischen Filiation des “gelehrten Dichters”, wie sie sich Schönwieses Auffassung der Dichtung 35 im Waste Land (das Curtius in diesem Jahr in Übersetzung veröffentlicht hatte) zu erkennen gibt. 56 In einem späteren Aufsatz hat Curtius diese Bemühung um die Bekanntmachung Eliots im deutschen Sprachraum denn auch als Schlag ins Wasser bezeichnet: “neu entdeckt” worden sei Eliot erst zwanzig Jahre später, also in der Zeit, als auch Schönwiese mit Nachdruck auf ihn aufmerksam macht. 57 Hennecke stellte 1936 in “T. S. Eliot: Der Dichter als Kritiker” den Engländer dementsprechend als “einen fast völlig Unbekannten” vor. Wichtig im Hinblick auf Schönwiese ist daran, trotz dem an Schwafelei grenzenden Wortrausch, dass Hennecke dort besonders betonte, was für Schönwieses Poetologie und Anthropologie bestimmend werden sollte, nämlich Eliots Wiederentdeckung der “metaphysical poets” 1921 und damit der Synthese von Denken, Fühlen und sinnlicher Wahrnehmung in der Seinsweise des Dichters und in der Signatur seines Werks. Hennecke spricht von “Denksinnlichkeit” und “Denkerlebnissen”. Eliot habe diese seit dem siebzehnten Jahrhundert verschüttete Möglichkeit des In-der-Welt-Seins wiederbelebt in seinem eigenen Werk, und es folgt für Hennecke: “Wie sehr könnte die deutsche Dichtung […] der Gegenwart hier von dem Kritiker Eliot sachlich lernen! ” 58 Diesen Aufsatz seines Mitarbeiters am silberboot mag Schönwiese gelesen haben oder auch nicht. Zum Teil wörtlich aber werden Passagen daraus wieder aufgegriffen, in dem viel kürzeren Nachwort, das Hennecke 1946 zu Die Einheit der europäischen Kultur beigesteuert hat (S. 61-64). Schönwiese hat diese Ausführungen in seiner Rezension als “meisterliches kleines Porträt” bezeichnet. Worauf sich solche Zustimmung gründet, ist nicht schwer zu erraten. Eliot, heißt es bei Hennecke gleich im Auftakt, habe seine Bedeutung darin, daß er “der heutigen Dichtung das Bewußtsein der hohen Aktualität der englischen Barockdichtung” vermittle, deren Kenntnis (und damit die Eliot-Kenntnis) namentlich der deutschsprachigen Literatur zugute kommen könne. Was damit gemeint ist, kann nur jene gesamtmenschliche und gesamtdichterische Unio sein, von der Hennecke 1936 ausführlicher gesprochen hatte - und die Schönwieses eigener Idealvorstellung, wie gesagt, entspricht, ja: genauer entspricht als die ähnlichen Überzeugungen mancher der kontinentaleuropäischer Autoren, die er in Dichtung als Urwissen des Menschen ausgiebig zitieren sollte. 56 Wiederabgedruckt in Curtius, Kritische Essays zur europäischen Literatur, Bern: Francke, 1950, S. 298-315. 57 “T. S. Eliot und Deutschland”, Der Monat, I: 3 (1948), 72-75. 58 Europäische Revue, XII (1936), 721-735. Wiedergedruckt in Hennecke, Dichtung und Dasein (Anm. 42), S. 186, 187 (Zitate). In seinem Aufsatz über “John Donne und die ‘metaphysische Lyrik’ Englands” von 1938 hat Hennecke noch einmal Eliot ausführlich zitierend hervorgehoben als verantwortlich für die “unabsehbar einflußreiche Umwertung” der Vorstellung von Dichtung im Anschluss an die erneut geschätzten metaphysischen Dichter und hingewiesen auf Affinitäten bei Rilke und anderen. Wiederabgedruckt in Dichtung und Dasein, S. 146-152. 36 Karl S. Guthke Mit seiner rückhaltlosen Zustimmung zu dem Engländer hat der Österreicher offensichtlich einen Weggefährten entdeckt. In Ergänzung zu dem historischen Wurzelgeflecht, das in die klassisch-romantische Zeit und vornehmlich bis zu Schiller zurückreicht und das in der Gegenwart seine Ausläufer noch in den Bekundungen des Bücherpreisträgers Durs Grünbein und auch Joseph Brodskys hat, fügt Schönwiese sich damit in ein laterales oder synchronisches Netzwerk ein. Und diese Zeitgenossenschaft dürfte ihm, aus dem begeisterten Ton seiner Äußerungen zu Eliot zu schließen, nicht wenig bedeutet haben. Sie dürfte ihn bestärkt haben in seinem Credo (das Zitat sei wiederholt): In einer Zeit des Wertverlustes und der unerläßlich notwendig gewordenen Sinnsuche, in einer so verworrenen Zeit, wie es unsere ist, sind es einzig die Dichter, die, in einem letzten Wesenskern unverwirrbar geblieben, das Unzerstörbare in uns wiederzuerwecken und zu bewahren vermögen. Schönwiese profiliert sich damit im End- oder Höchststadium der Geschichte der eingangs signalisierten Aufwertung der Literatur zum Religionsersatz oder zur Lebenshilfe, wie sie Erich Heller beschrieben hat: Die Geschichte des Aufstiegs des Dichters von dem bescheidenen Platz eines Märchenerzählers und Liedersängers zu den Höhen der Schöpfung, vom Liebhaber der Phantasie zum Sklaven der schöpferischen Einbildungskraft, vom kündenden Werkzeug göttlicher Weisheit zum Erzeuger neuer Götter ist eine Geschichte, so ruhmreich wie sie qualvoll ist. 59 Angesichts des ebenfalls eingangs skizzierten schweren Stands der Literatur und der Humanities in unserer Gegenwart hat eine solche Auffassung von der Bedeutung der Dichtung in säkularer Zeit ihre Anhänger weitgehend verloren. Um so bedenkenswerter ist ihre Wiederbelebung heute durch Autoren wie Brodsky und Grünbein. Von diesem Blickpunkt gesehen, steht auch Schönwiese nicht auf verlorenem Posten. 59 Heller, Enterbter Geist (Anm. 28), S. 234. Schönwieses Poetik. Wesen, Bedeutung und Größe der Dichtung Robert G. Weigel Dichter Vogel Über brennendem Wald Bann Goldschwer hängen die Flügel der Dichter die den Himmel vergaßen ihr Käfig ist Weite Poeten Steine in der Mauer eines fremden Reichs (Karl Lubomirski) Gero von Wilperts Sachwörterbuch der Literatur definiert Poetik als „die Lehre und Wissenschaft von Wesen, Gattungen und Formen der Dichtung sowie den ihnen eigenen Gehalten und Darstellungsmitteln.“ 1 Ausgangspunkt ist Aristoteles Gattungspoetik, mit der sich gleichsam auch die Bedeutung der Mimesis als wesentliches dichterisches Mittel manifestiert; 2 auch Horaz, dessen Diktum des „prodesse et delectare“ eine enorme wirkungsgeschichtliche Rolle spielt, besteht auf Schlichtheit und Formenstrenge; letztere wirkt, ebenso wie Ciceros rhetorische Schriften, weiter und beeinflusst vor allem die normenorientierte mittelalterliche Auffassung, obschon sie in Deutschland erst mit dem Meistersang theoretisch begründet und festgelegt wird. In Poetiken vom Barock - so in Opitz Buch von der deutschen Poeterey - bis zur Aufklärung - so in Gottscheds Critischer Dichtkunst - wird so der gesamte Bereich der Dichtung, gleichsam der Vernunft folgend und Wahrscheinlichkeit anstrebend, durch festgesetzte Normen zu regeln versucht. Erst die mit „der radikalen Wendung zum Subjekt“ und der „Entdeckung des Individuell- Geschichtlichen und Individuell-Menschlichen“ 3 einhergehenden Dichtungstheorien des Sturm und Drang sind weniger an Dichtung als poetologischem System interessiert als am dichterischen Schaffen, das - im Gegensatz zur Vernunft als Leitprinzip - von Gefühl und Inspiration lebt. So betonte Herder, einer der für unseren Zusammenhang wichtigsten Theoretiker, nicht nur 1 Gero von Wilpert, Sachwörterbuch der Literatur (Stuttgart: Alfred Körner, 1979), S. 608. 2 Vgl. Jürgen H. Petersen, Mimemis-Imitatio-Nachahmung: eine Geschichte der europäischen Poetik (München: Fink, 2000) und Erich Auerbach, Mimesis. Dargestellte Wirklichkeit in der abendländischen Literatur (Bern: Franke, 9 1994) 3 Hermann Wiegmann, Geschichte der Poetik: ein Abriss (Stuttgart: Metzler, 1977), S. 83. 38 Robert G. Weigel die „Bedeutung der Empfindungen für den Dichter“, sondern setzte sich „für eine Poesie des Ausdrucks“ ein; 4 und um den Ausdruck in Denkbildern und Gleichnissen (im Gegensatz zum Ausdruck bzw. der Sprache als Mitteilung) geht es, wie wir sehen werden, auch Schönwiese. Wie sich im Grunde schon der Titel von Schönwieses Poetikvorlesungen zurück verfolgen lässt auf Herder und Hamann, für die gerade in den ältesten Urkunden der Menschheit „das Menschliche unmittelbar naturhaft aus der Offenbarung des Göttlichen hervortrat als Bild und Gleichnis, nicht in abstrakten Worten … Erfassen, Verstehen, Erkennen, Vorstellen, Sprechen: das ist Urpoesie. ‚Poesie ist die Muttersprache des menschlichen Geschlechts‘“ 5 - die geistige Verwandtschaft mit Schönwieses Poetikvorlesungen, Dichtung als Urwissen des Menschen, ist offensichtlich und bedarf keiner Erläuterung. Da Schönwiese in den Vorlesungen kurz auf ihn eingeht, sei an dieser Stelle und nicht nur der Vollständigkeit halber auch Wilhelm von Humboldt erwähnt, der - vor allem in seinem aufschlussreichen Aufsatz „Ueber Göthes Hermann und Dorothea“ - „das Gebiet der Einbildungskraft“ als jenes „Feld, das der Dichter als sein Eigenthum bearbeitet“, identifiziert. Während in der Wirklichkeit „immer eine Bestimmung jede andere aus[schließt]“, kennt die Phantasie und implizit auch die Dichtung jene Beschränkung nicht, „da die Seele, von der Phantasie begeistert, sich über die Wirklichkeit erhebt.“ 6 Die Sphäre der Phantasie steht daher der Wirklichkeit im Grunde diametral gegenüber, „weil in der einen Sphäre alles miteinander sinnvoll zusammenstimmt, während dergleichen in der anderen schlechterdings nicht vorkommt“, 7 da jede Erscheinung einzeln, zusammenhanglos für sich selbst steht. Dies erinnert sehr an Goethes Idee vom Ineinander Verwebtsein der Dinge, weshalb es nicht überrascht, dass auch in Schönwieses Poetikvorlesungen im Rahmen seiner Beschreibung der Urgegensatzpaare zur Erläuterung Goethe und Humboldt unmittelbar aufeinander folgen, und dass er bei Goethe Entzweiung und Vereinigung als jenen Gegensatz betrachtet, den die Dichtung, wie von Humboldt angedeutet, erfasst und überkommt. Womit wir in medias res wären. Im Anschluss an die im deutschsprachigen Raum wohl bekanntesten, 1959 eingeführten Frankfurter Poetikvorlesungen, 8 „die den an der Dichtung, ihren Problemen und ihrem Progress interessierten Studierenden die Möglichkeit geben, literarische Werke und Werkfragen nicht nur aus der akademischen Perspektive der Literaturwissenschaft, sondern auch … der Sicht 4 Ehrhard Bahr, „Aufklärung,“ in: Ehrhard Bahr (Hrsg.), Geschichte der deutschen Literatur. Kontinuität und Veränderung. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Band 2: Von der Aufklärung bis zum Vormärz (Tübingen: Francke, 1988), S. 85. 5 Richard Newald, Ende der Aufklärung und Vorbereitung der Klassik. 1750-1786 (München: Beck, 1985), S. 167. [=Helmut de Boor, Richard Newald (Hrsg.), Geschichte der deutschen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Band 6] 6 Zitat nach Petersen, Mimesis, S. 227. 7 Ibid., S. 228. 8 Eigentlich „Stiftungsgastdozentur für Poetik“ Schönwieses Poetik 39 des über sein kreatives Wirken reflektierenden Schriftstellers zu sehen und zu verstehen“, 9 kam Schönwiese bzw. der Universität Innsbruck 1984 die Ehre zu, deren - inzwischen auch an anderen Universitäten institutionalisierten - Poetikvorlesungen zu eröffnen. Schon im Vorwort zu Schönwieses „nachträglich schriftlich“ zusammengestellten Vorlesung, die im Übrigen noch immer über die Universität Innsbruck zu beziehen ist, weist Alfred Doppler auf Schönwieses Anliegen hin, dass neben der Erkenntnis durch Vernunft, und vor allem in Zeiten des Zerfalls wie wir ihn auch heute, nur intensiviert, erleben, der „dichterischen Erkenntnis als eine besondere Art der Welt- und Lebensdeutung“ 10 eine für die Menschheit überaus wichtige Rolle zukäme. Schönwiese geht es also nicht um Erörterung stilistischer und technischer Probleme dichterischen Schaffens oder ein kritisches Reflektieren über den Akt des Schreibens an sich, noch um eine Auseinandersetzung mit kulturellen Modererscheinungen, sondern um gleichsam mehr: Dichtung als weg- und richtungweisend, besonders für den aufgeschlossenen, aufrichtigen Menschen, der gleichsam selbst sucht und weiß um den der wissenschaftlichen Erkenntnis unzugänglichen „Rest“ (wie Hermann Broch es formulierte) bzw. den vergessenen oder zumindest verschütteten, aber nie verloren gegangenen und schon von Humboldt und Goethe implizierten unitiven Zustand. Im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts wandelt sich das traditionelle positivistisch-materialistische, im Zeichen der Nützlichkeit stehende und auf Kausalität beruhende, wissenschaftliche Weltbild - Einsteins Relativitätstheorie erschüttert Newtons Axiome von Zeit und Raum, und Heisenberg, für unseren Zusammenhang besonders wichtig, da Schönwiese ihn ausführlich zitiert, revidiert die herkömmliche Subjekt-Objekt- Betrachtungsweise, und weist nach, dass die Natur ohne die Einbeziehung des Menschen nicht zu verstehen ist. Und der berühmte Physiker und Nobelpreisträger scheute sich auch nicht auf die vorwissenschaftlichen, alten Religionen Bezug zu nehmen, die den „Wert und Sinn des Lebens in Bildern und Gleichnissen“ darstellen - wie eben auch die Dichtung, weshalb Schönwiese sie der Religion gleichstellt. 11 Und „diesen Sinn herauszulösen“ bleibt sowohl für Heisenberg als auch Schönwiese unabdingbare Aufgabe des Menschen, da er im Letzten von den „Beziehungen der Menschen zur zentralen Ordnung der Welt handelt“, und somit „ein entscheidender Teil unserer Wirklichkeit [ist].“ (P 39) Heisenberg ist also, wie seine Suche nach der Welt- 9 http: / / www.poetikvorlesung.uni-frankfurt.de/ Geschichte_der_Poetikdozentur1.html 10 Ernst Schönwiese, Dichtung als Urwissen der Menschheit. Poetik-Vorlesungen. (Innsbruck: Institut für Germanistik der Universität, 1985), S. 5. Im Folgenden im Text mit der Sigle P gekennzeichnet. 11 Ganz ähnlich zu finden auch in von Schönwiese nicht zitierten Passagen der Gespräche zwischen Heisenberg, Pauli, Bohr und Dirac: „The language of religion is more closely related to the language of poetry than to the language of society.“ In: Werner Heisenberg, Physics and Beyond. Encounters and Conversations [Übersetzung von A.J. Pomerans] (New York: Harper & Row 1971), S. 87. 40 Robert G. Weigel formel veranschaulicht, 12 besonders interessiert an den universalen Zusammenhängen, dem, was die Welt im Innersten zusammen hält, was sich freilich (wie auch bei Schönwiese) nicht in einem naiven, an institutionalisierte Religion gebundenen Glauben manifestiert, sondern vielmehr in einer Art religiöser Grundhaltung - soll heißen, re-ligio im Sinne von Wiederbindung. Jener für ihn zweifellos vorhandenen „zentralen Ordnung“ kann man, wie der Seele anderer Menschen, gegenwärtig werden, weil, so Heisenberg, „das Wort Seele … die zentrale Ordnung, die Mitte bezeichnet bei einem Wesen, das in seinen äußeren Erscheinungsformen sehr mannigfach und unübersichtlich sein mag.“ Gerade dieser Seele aber, die sinnbildlich steht für die Ordnung und „die Mitte aller Wesen“, führt Schönwiese aus, „entspringt jenes Erleben, das sich als Kunst und Dichtung manifestiert.“ (P 40) Wie schon der Titel der Vorlesungen impliziert, geht es Schönwiese also darum, Dichtung bzw. „das Dichterische schlechthin auf eine breite, allgemein-menschliche Basis zu stellen, in dem er sie zu seinen Wurzeln zurückführt.“ 13 Folgerichtig verweist er im Anschluss an Heisenberg auf einen weiteren Wissenschaftler, aus der Psychologie bzw. der Tiefenpsychologie der Schule C.G. Jungs: Erich Neumann. „Das schöpferische Unbewußte“ ist nicht nur, wie Neumann in seinem Essay „der mystische Mensch“ ausführt, das zentrale Problem der Tiefenpsychologie und der Mystik, sondern auch, wie Schönwiese hinzufügt, des Dichterischen - und problematisch gerade deshalb, weil es sich unmittelbarer Erfassung des Bewusstseins verschließt. Neumann verweist in diesem Zusammenhang auf eine „seelische Frühzeit“, die noch die Einheit allen Lebens kannte, in der das Einzel-Ich nicht los gelöst war von den „Nicht-Ich-Instanzen“, sondern vielmehr „das, was wir Welt-Außen und … Seele-Innen nennen“, verschmolzen. Diesen unitiven Zustand (im Sinne Bubers, von dem noch zu sprechen sein wird), der - so Schönwiese - als „Archetyp der paradiesischen Ganzheit … unzerstörbar“ in der menschlichen Seele fortlebt, immer wieder zu erinnern, ist Aufgabe des Dichters und dichterischen Schaffens. Das mystische Einheitserlebnis hat auch für Neumann immer zu tun mit dem Schöpferischen, weil das Individuum immer schöpferisch ist „allein durch seine Begegnung mit dem Numinosen“, wobei es irrelevant ist, „ob sich die Begegnung im Religiösen oder im Künstlerischen“ vollzieht. In seinem zwölf Jahre später in seinem Todesjahr erschienenen Aufsatz über „die Psyche als Ort der Gestaltung“, den Schönwiese als eine Art Vermächtnis seiner Metapsychologie betrachtet, entwickelt Neumann diesen Gedanken weiter und bezeichnet das „Schöpferisch-Gestaltende als die Urmanifestation, die in der individuellen Psyche des Menschen sich ausprägt.“ (P 41) Der Mensch erfährt seine eigene Numinosität bzw. das ihm „inkarnierte Absolute“, in dem er sich als „ein Schöpferisch-Gestalten- 12 Armin Hermann, Werner Heisenberg. 1901-1976 (Bonn-Bad Godesberg: Inter Nationes, 1976), S. 108-124. 13 Joseph P. Strelka, Ernst Schönwiese. Leben und Werk (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2005), S. 91. Schönwieses Poetik 41 des erlebt“, wodurch er sich vom relativen Menschen des Nur-Ich zum absoluten Menschen des wahren Selbst, das sich in der „Ich-Selbst-Einheit“ manifestiert, verwandelt. Dahinter verbirgt sich gleichsam, wie Joseph Strelka bemerkt, eine der „ältesten und wichtigsten Lieblingsideen“ 14 Schönwieses: denn nur durch diese Erfahrung kann der Mensch seine „Ich-Fixiertheit“ überwinden und die Wandlung vollziehen „zu einem entscheidend veränderten und neuen Weltgefühl“, (P 42) das auch der echten Dichtung zu Grunde liegt. Das in diesem Kontext von Neumann konstatierte Ur-Phänomen des „Gestaltend-Gestaltlosen“ bedeutet freilich nicht Leere im Sinne von Leersein, sondern meint vielmehr Leere im Sinne der östlichen Religiosität, die gleichsam alle potentiellen Gestaltungsmöglichkeiten in ihrer Unbegrenztheit impliziert. Schönwiese ist sichtlich beeindruckt davon, dass der moderne Tiefenpsychologe zu ganz ähnlichen Einsichten gelangt, wie sie aus den ältesten östlichen religiösen Zeugnissen überliefert sind. Neumanns Verweis auf die Zen-Lehre aufgreifend, deduziert Schönwiese - gleichsam deren bekannte Bedeutung für Dichtung, Kunst allgemein hervorhebend -, dass wir im Zen (zumindest in seinem allgemeinsten Sinn genommen) möglicherweise „jene religiöse Ur-Erfahrung des Menschen“ haben, „in der alle Religionen übereinstimmen.“ Zen, so fährt er fort, ist Poesie und das Dichterische daher „ident mit dem Ur-Erlebnis und der Ur-Erfahrung des Menschen“, wie sich in der Dichtung überhaupt „das allen Religionen gemeinsame Erlebnis inkarniert.“ (P 42) Wenden wir uns nun jenen Dichtern zu, die Schönwiese zur Veranschaulichung seiner Ausführungen heranzieht. So steht zu Beginn der Vorlesungen Martin Buber, dessen Gegenüberstellung des Urgegensatzes der Ich-Es- und der Ich-Du-Haltung gleichsam auch Ausgangs-, Bezugs- und Mittelpunkt ist eines nur eine Seite umfassenden Essays Schönwieses mit dem Titel „Gedanken zur Lyrik.“ 15 Darin legt er in verdichteter Form, gewissermaßen in nuce sein Credo hinsichtlich Wesen, Aufgabe und Erkenntnis des Dichterischen dar; es überrascht nicht, dass dieses identisch ist mit seiner oben zitierten Grundhaltung, ist doch Schönwieses gesamtes Schaffen im Letzten ein Werk aus einem Guss. Während der Mensch in der Ich-Es-Haltung den Nebenmenschen diskursiv als Objekt sieht, identifiziert er sich in der Ich-Du-Haltung mit dessen „inneren Seinsstand“ und erfährt für diesen Augenblick die „gesamte existentielle Situation“ des Du erlebnishaft mit. Entäußerung des Ich und, damit verbunden, Einswerden mit dem Du (im Grunde also die mystische Haltung) sind für Schönwiese „die eigentlich menschliche, die humane Haltung.“ Aufgabe gerade des Lyrikers sei es, dieses Humane, „als die existentielle Ursituation des Menschen, nacherlebbar“ zu machen, soll heißen, den Vorgang der „sittlichen Wendung“ im Leser hervorzurufen; und er 14 Ibid. 15 Ernst Schönwiese, Gedanken zur Lyrik; ursprünglich in Podium 35. 1. Heft, 1980, S. 11. Im Folgenden wird zitiert nach dem Abdruck in Ernst Schönwiese, Kunstprosa, hrsg. v. Joseph Strelka (Hall in Tirol: Behrenkamp, 2009), S. 183. 42 Robert G. Weigel schlussfolgert, dass „die dichterische Erkenntnis“ gerade darin besteht, am besonderen Fall des individuellen Seins die immer gleiche, ewige „allgemein menschliche existentielle Situation“, 16 den Menschen zu vermitteln. Dichterische Erkenntnis im Gegensatz zur denkerischen, rationalen, wissenschaftlichen Erkenntnis ist von zentraler Bedeutung auch im Werk Hermann Brochs, der der Teilerkenntnis der sich fortwährend verselbständigenden Einzelwissenschaften die „Totalität des Erkennens und Erlebens“ 17 künstlerisches Schaffens im Sinne Goethes gegenüberstellt; Dichten ist demnach immer „Ungeduld der Erkenntnis“ 18 und verfolgt gleichsam immer die „Fortsetzung der rationalen Erkenntnis über die rationale Grenze hinaus“, indem sie das Irrationale mit einbezieht bzw. eben jenen von wissenschaftlicher Erkenntnis nie erreichten „Weltrest“ erahnt, „und den zu erfassen die ewige Sehnsucht des Menschen ist.“ 19 In seiner Analyse von Brochs Denken erklärt Schönwiese, dass mit dem Irrationalen freilich nicht der Vernunft Entgegengesetztes gemeint ist, sondern vielmehr etwas „Metarationales“, das - gleichsam Aufgabe aller echten Dichtung - als gewissermaßen „supramentales Ur- und Grunderlebnis“ dem nur rational erkennenden Wissen gegenübergestellt wird. Schönwiese verweist auf Brochs zuerst der Schlafwandler- Trilogie eingearbeitetes Traktat vom Zerfall der Werte, in dem dieser den Auflösungsprozess eines allgemein gültigen Weltbildes und Weltgefühls, wie ihn noch das Mittelalter kannte, in sich mannigfach verselbständigende, autonome Partialwertsysteme beschreibt, die ihrer eigenen Logik folgend, nur das rationale Erkennen der Vernunft als im Letzten gültiges Wissen anerkennen. Jenes offensichtlich beschränkte Wissen kennt freilich keinen allumgreifenden Wert wie ihn der christliche Glaube des Mittelalters darstellte; vielmehr intensiviert sich der Auflösungsprozess durch Aufspaltung immer weiterer Teilwertsysteme, deren einziges und somit oberstes Wertbewusstsein das, obschon Vernunft gebunden, des eigenen Systems ist. Die Vernunft hat sich selbst verabsolutiert und weder die Erkenntnis der Philosophie noch die der von ihr abgelösten Wissenschaften 20 - wie schon im Zusammenhang mit Heisenberg deutlich wurde - entspricht jenem ganzheitlichen Erkennen, das für Broch und Schönwiese Aufgabe und Botschaft des Dichterischen ist: „totalitätserfassende Erkenntnis, die das ganze Sein“ (P 21) umfasst, also jene Einheit von Erkennen und Erleben, die die rationale, wissenschaftliche Erkenntnis nicht nur „sprengt“ und „überflügelt“, sondern gleichsam auf den mystischen Rest gerichtet ist bzw. jene die äußere Wirklichkeit transzendierende höhere Realität erschließt. Es geht um das ethische und metaphysische Problem, das zum einen von der Philosophie, beginnend schon im neunzehn- 16 Ibid. 17 Hermann Broch, „Denkerische und dichterische Erkenntnis,” in: Schriften zur Literatur 2. Theorie = Kommentierte Werkausgabe 9/ 1, hrsg. von P.M. Lützeler (Frankfurt: Suhrkamp, 1975), S. 46. 18 Ibid., S. 49. 19 Ibid., S. 48. 20 Walter Schulz, Philosophie in der veränderten Welt (Pfullingen: Neske, 1984), S. 8. Schönwieses Poetik 43 ten Jahrhundert, mehr oder weniger aufgegeben wurde; 21 und zum andern von der nur denkerischen bzw. ratioïden (so die Terminologie Musils, von dem noch zu sprechen sein wird) Erkenntnis der Wissenschaft gänzlich ausgeschlossen bleibt. Dennoch steht es aber im Grunde im Mittelpunkt allen menschlichen Erkenntnisstrebens, da es die Basis seiner Werthaltungen bestimmt; und gerade diese Werthaltungen im Menschen „wachzuhalten“ kommt nun dem Dichter bzw. der dichterischen Erkenntnis zu, und gerade sie ist es, die am Ende des Wertzerfalls (Broch bezeichnet es auch als Nullpunkt) nicht nur „den Keim zu einer neuen religiösen Ordnung des Menschen enthält“, sondern gleichsam den Weg weist, „an dessen Ende der neue Mythos sichtbar“ (P 23) wird, aus dem die Welt sich, so die Hoffnung, erneuert. Zwar nicht bis zur Schaffung eines neuen Mythos durchdringend, umkreist auch das Denken Robert Musils die Problematik des Gegensatzes von rationaler und mystischer Erkenntnis bzw. wie er es nannte, von Ratioïdem und „anderem Zustand.“ Joseph Strelka hat darauf hingewiesen, dass Musil aufgrund seiner naturwissenschaftlich-technisch orientierten Ausbildung „zunächst dem Pol der Ratio sehr viel näher stand”, und daher ursprünglich vornehmlich „die spekulative Methode des Intellekts“ seinen Weg zur Erkenntnis bestimmte; andererseits bewahrte ihn dies aber auch davor, „allzu leicht den Versuchungen zu verkürzender Reduktion und schwärmerischer Verwirrung zu erliegen, sodaß er sehr bewußt zwischen einer ‚Schleudermystik zu billigsten Preisen‘, einem dunklen Mystizismus und einer ‚taghellen Mystik‘ unterschied.“ 22 Dieser „taghellen Mystik“ entspricht im Grunde der „andere Zustand“, bei dem Objekt und Subjekt eins werden bzw., so Schönwiese, „im Erleben“ miteinander „verschmelzen“, während beim Ratioïden Subjekt und Objekt getrennt bleiben und einander diametral gegenüber stehen. Die Einswerdung von Subjekt und Objekt des anderen Zustands vollzieht sich mit Hilfe der „Einbildungskraft“, von der man, vielleicht präziser oder deskriptiver, wie Schönwiese meint, auch als „Einverwandlungskraft“ sprechen könnte, da sie mit der Fähigkeit zu tun hat, „sich in einen Andern hineinzubilden.“ Exempelhaft sei verwiesen auf das Kapitel „Atemzüge eines Sommertages“ aus dem Mann ohne Eigenschaften, an dem Musil noch an seinem Sterbetag arbeitete, und aus dem Schönwiese ausführlich zitiert, weil es um das Thema der Einverwandlung, des sich Hineinbildens, hier von Schwester und Bruder auf dem Wege zur Selbstfindung bzw. „höchsten Selbstlosigkeit“ geht, an dessen Ende sich schließlich „Außen und Innen [berühren], als wäre ein Keil ausgesprungen, der die Welt geteilt hat.“ 23 Ziel und Ergebnis der Einverwandlungskraft ist also die schon von Buber her bekann- 21 So stellt Schulz fest, ibid., S. 7, dass „die Metaphysik ihre Rolle ausgespielt [hat].“ 22 Joseph P. Strelka, Robert Musil. Perspektiven seines Werks (Frankfurt a.M.: Lang, 2003), S. 87. 23 Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften, Bd.2, Aus dem Nachlaß, hrsg. v. Adolf Frisé (Reinbek: Rowohlt, 1981), S. 1234. 44 Robert G. Weigel te unitive Haltung, die, wie Schönwiese erklärt, die gleichsam „ethische Haltung“ ist. Anliegen der Dichtung hat daher immer zu sein, diese dem Menschen eigene Fähigkeit, sich „in andere einzuverwandeln, wachzuerhalten“ - wodurch sie uns gleichsam ethisch erzieht, ohne „rational irgendwelche moralischen Grundsätze zu predigen.“ (P 20) Natürlich geht es allen von Schönwiese zur Veranschaulichung des Wesens des Dichterischen heran gezogenen Dichtern im Grunde um die gleiche Problematik: zum einen Klärung und Erhellen dessen, wo das Schöpferische im Menschen angesiedelt und verankert ist, und zum andern die Suche nach jener das allgemein Menschliche ortenden Weltsicht, also einer über die „objektiv-rationale“ Wirklichkeit hinaus gehenden Realität, deren Vermittlung gleichsam Aufgabe und Ziel der Dichtung ist. Möglich ist dies aufgrund der dem Menschen inhärenten Einbildungskraft, von der bereits (bei Musil) gesprochen wurde, und seinem dem Unbewussten immanenten Wissen um den mystischen Rest, von dem Broch handelte und als Fünklein dem Menschen eingeboren ist, sowie dem was Kafka, wie wir sehen werden, das Unzerstörbare nennt. Unter Bezug auf Herbert Kesslers Unterscheidung zwischen Verstandes-Ich und Persönlichkeits-Ich - letzteres als „Einheit von Ich und Ander-Ich“, (P 28) das bereits vom Du durchtönt ist und gleichsam „das wahre Seins-Ich“ - geht Schönwiese zunächst auf Goethe ein, bei dem sich der Urkonflikt im Menschen zwischen Dualem und Unitivem, der auch dem Interesse Kesslers galt, am Begriffspaar der Entzweiung und Vereinigung offenbart. Goethe erkannte - und darin besteht der offensichtliche Bezug auch zu Kafka - die ursprüngliche Einheit aller Gegensätze, der Urpolarität im „unbekannten Zentrum“ bzw. „schöpferischen Zentrum der Wirklichkeit.“ (P 29) Während Musil und Broch diese Einheit eines übergreifenden, sinngebenden Wertgefühls als mühevolle Aufgabe ihrem Schaffen zugrunde legten, war es für Kafka natürlich und selbstverständlich bzw. „mit absoluter Gewißheit noch gegeben.“ Seine „Unschuld“ 24 bzw. „dichterische Reinheit und Einfachheit wußte genau, daß das unauflöslich Irrationale [im Sinne Brochs] und nichts anderes ihre Aufgabe war“; 25 und in seinem künstlerischen Schaffen verlässt er gerade aufgrund seines „gesicherten und unerschütterbaren Wert- und Weltgefühls“ (P30) oft die traditionelle Realitätsdarstellung und sieht die Wirklichkeit bzw. die Welt „völlig aus sich selbst heraus, aus seiner eigenen, allerpersönlichsten Schau heraus“, 26 die eben mit dem Unzerstörbaren zu tun hat, das darzustellen, zu erfassen und in uns zu befreien, Anliegen des Parabolikers Kafka ist. Schönwiese zieht einen Aphorismus aus der Beschreibung eines Kampfes, mit dem Titel „Er“ heran, in dem der Mensch, also „er … zweigeteilt“ ist: „ein Teil übersieht das Ganze, sieht, daß er hier steht und die Quelle daneben ist, ein zweiter Teil aber merkt nichts, hat höchstens 24 Hermann Broch, Briefe 3 (1945-1951) = Kommentierte Werkausgabe 13/ 3, hrsg. von P.M. Lützeler (Frankfurt: Suhrkamp, 1981), S. 207. 25 Ibid., S. 287. 26 Joseph P. Strelka, Der Paraboliker Franz Kafka, (Tübingen: Francke, 2001), S. 5. Schönwieses Poetik 45 eine Ahnung dessen, daß der erste Teil alles sieht.“ 27 Während der Aphorismus selbst eine konkrete durstlöschende Quelle impliziert, die dem Dürstenden bereit stünde, wenn er sie nur bemerkte, erhebt Schönwieses Interpretation die Situation auf eine überhaupt für den Menschen zutreffende, allgemein gültige Ebene. Einerseits hat dieser nämlich das Potential, das Ganze zu sehen, also sich und die Quelle (des Lebens, könnte man hinzufügen), andererseits birgt er in sich aber auch die Gefahr, „nur noch den Teil, also sich selbst zu sehen“, und zu vergessen „was man unverkümmert als Ganzes sein könnte.“ (P 30) Dies ist nicht nur die Situation des Mannes vor dem Gesetz in der wohl berühmtesten Parabel Kafkas, sondern auch, wie Schönwiese eröffnet, des Lesers. Einem Leser, dessen Wissen nur auf der Perspektive seiner individuellen Erkenntnis gründet, dem also der Sinn für bzw. das Wissen um das Ganze abhanden gekommen ist, und der sich daher, so Schönwiese, nicht mehr das „Ur-Wissen, jene ur-religiösen Seins-Zusammenhänge zu verlebendigen mag“, (P 30) wird die Lektüre Kafkas tragisch-unerlöst anmuten und eher depressiv stimmen. Ihr befreiendes Moment, die Darstellung und Durchschaubarkeit menschlicher Schwäche, die Kafkas Werk ein durchaus humoristisches Element verleiht, wird jenen Lesern unverständlich bleiben müssen. Doch kehren wir zurück zur Parabel „Vor dem Gesetz“, die Schönwiese in voller Länge zitiert. Das Denken des Mannes ist vollkommen ich-bezogen, sein Wissen also somit eingeschränkt und immer nur ein Teil-Wissen - weshalb er sein Leben, tragisch sich irrend, vor dem Gesetz verharrt. Aufgrund seiner Ich-Bezogenheit hat er nicht nur das „Ur-Vertrauen“ des in die Ganzheit des Seins eingebundenen Menschen verloren, sondern erahnt auch nicht mehr jenes dem Menschen eingeborene, obschon unbewusste Wissen um das Absolute, in diesem Fall das Gesetz, „das jedem und immer zugänglich sein sollte und auch ist.“ (P 33) Schönwiese beruft sich dann auf einen Aphorimus Kafkas, aus dem dritten Octavheft der Hochzeitsvorbereitungen auf dem Land: „Glauben heißt: das Unzerstörbare in sich befreien, oder richtiger: sich befreien, oder richtiger: unzerstörbar sein, oder richtiger: sein.“ Schönwiese verdichtet in der Folge Anfang und Ende zu dem einfachen Satz: „Glauben heißt sein.“ Glauben ist dabei freilich nicht in konfessionell-religiösem Sinne zu verstehen, sondern vielmehr als „die ganzheitliche Art des Wissens“ - im Gegensatz zum rational-denkerischen -, ein Wissen, dem das Unzerstörbare, also jenes angesprochene Fünklein im Menschen immanent ist. Nur diese „Gesichertheit in Erlebtem und Erfahrenem“, schlussfolgert Schönwiese, „schenkt jene Gewißheit des Herzens“, die über rationales Verständnis hinausgehend, den Weg bahnt zum „wahren und wirklichen Sein“ (P 34) - dem Ursprung auch der echten Dichtung. Im Zusammenhang mit Herder und Humboldt wurde schon eingangs auf das für das Dichterische wesentliche Moment der Einbildungskraft hingewie- 27 Franz Kafka, Beschreibung eines Kampfes. Novellen, Skizzen, Aphorismen aus dem Nachlaß, hrsg. von Max Brod (Frankfurt a.M.: Fischer, 1986), S. 221. 46 Robert G. Weigel sen, die Schönwiese im Zusammenhang mit Musil als Einverwandlungskraft bezeichnete. Als allgemeinmenschliche, doch - aufgrund des Wertzerfalls und der alles vereinheitlichenden Übermacht der Produktion - nur noch in verkümmertem Zustand sich befindliche und von Auslöschung bedrohte „Gabe der Verwandlung“ findet sich ihre Relevanz für den „Beruf des Dichters“ auch bei Elias Canetti, insbesondere seinem Aufsatz mit dem gleichnamigen Titel. Ausgehend von Canettis Broch-Rede von 1936, in der er „neben der Jagd nach Tatsachen deren Zusammenfassung zu einem Gegenbild der Zeit als Aufgabe des Schriftstellers betrachtete“, 28 steht dann vor allem jene 1976 gehaltene Rede Canettis über dichterische Berufung im Mittelpunkt von Schönwieses Interesse. Denn auch bei Canetti treten die in den Poetikvorlesungen verfolgten Aspekte des Urgegensatzes zu Tage, die sich hier identifizieren lassen als: Verbot der Verwandlung, wie es die im Zeichen von Technik und Massenproduktion stehende Welt heute fordert, versus Leidenschaft der Verwandlung, die zwar in jedem Menschen vorhanden ist, besonders aber vom Dichter - gleichsam auf „eine älteste vorwissenschaftliche Weise des Begreifens“ - als „Lust auf Erfahrung anderer von innen her“ erfahren und erlebt wird, und ihm erlaubt, den anderen zu fühlen, hinter den Worten zu erkennen; ebenso im Gegensatz von Egoismus oder Egozentrik und Begriffen wie Erbarmen, Liebe, Herz, Ichlosigkeit, die dem Bereich der Gefühle angehören. Erst dem Einverwandeln in den anderen, „in jedes Einzelne, das da lebt und ist“, vollzieht sich jenes Mitfühlen und Mitleiden, das für Canetti gleichsam Verantwortung des Dichters ist, „eine Verantwortung für das Leben, das sich zerstört, und … von Erbarmen genährt ist.“ (P 36) Der Realist in Canetti ist sich freilich bewusst, dass gefühlsmäßige Kategorien wie Liebe und eben das Erbarmen in der verwissenschaftlichten, technokratischen Welt im Grunde keinen Platz haben; dennoch „schämt“ und „scheut“ er sich nicht, gerade diese in den Bereich der Religion abgeschobenen Kategorien ins Feld zu führen, da nur so der Mensch und die Welt sich ändern, verwandeln können. Zur Erklärung verweist er auf den Wesenskern aller Mythen, der in der in ihnen vollzogenen Verwandlung besteht. Der Mensch, vor allem aber der Dichter „erlernt und übt“ am Mythos und den tradierten Literaturen die Verwandlung, doch ist er „nichts, wenn er sie nicht unaufhörlich an seiner Umwelt anwendet.“ (P 36) Anhand des ausgiebig zitierten Romans Lefeu oder der Abbruch von Jean Améry geht Schönwiese auf den Gegensatz von konzeptuellem Sinn, dessen positivistische Definition vom „Sinn des Satzes“ Lefeu alias Améry verwirft, und emotivem bzw. emotionellem Sinn ein, wie er auch für die dichterische Erzählung die Relevanz „der subjektiven Evidenz“ betont, entgegen aller rationalen Einsprüche. Der bewusst in der Nachfolge Brochs geschriebene Roman verdeutlicht daher vor allem den weiteren Verfall der Werte und „die 28 Zsusza Széll, „Ist ‘Wahrheit ein Meer von Grashalmen‘? Zu Canettis Denkhaltung,“ in Ist Wahrheit ein Meer von Grashalmen? Zum Werk Elias Canettis, hrsg. von J.P. Strelka und Z. Széll (Bern: Lang, 1993), S. 13. Schönwieses Poetik 47 Einsamkeit des Menschen unserer Zeit, der sich vergebens nach innerer Begegnung sehnt.“ (P 54) Diese ist umso weniger möglich als auch das Dichterische, das Zugang zum Nebenmenschen schaffen könnte (wie Schönwiese ja gerade zu illustrieren versucht), zu bloßer, obschon logischer, Sprachspielerei verkümmert ist, wie das „Geplapper“ der Dichterin Irene verdeutlicht: „Es kann nicht gut gehen mit Irene und ihresgleichen“, (P 52) so die Schlussfolgerung des Romans. Die Gefühllosigkeit des modernen Menschen kritisierte bzw. beklagte auch der Lyriker und Essayist Werner Kraft. Das Problem der heutigen Generation liegt für ihn in darin, dass sie zwar „sehr klug, aber zu dumm ist“, weil sie „keine echten Gefühle mehr [hat].“ (P 45) In seinem Buch über österreichische Lyriker von Trakl bis Lubomirski, 29 in dem auch Schönwiese ein Kapitel gewidmet ist, stellt Kraft fest, dass auch die Dichter selbst meist nur noch „standardisierte Wahrheiten“ niederschreiben, mit denen sie anstatt wirklich zu gestalten nur ausdrücken, dass sie „dagegen“ sind. Dagegensein ist aber Kopfarbeit, also denkerisch, und somit auch vom Journalisten zu bewältigen; während Gestalten, Schaffen das gesamte Spektrum menschlichen Seins, also seine Gefühle bzw. „Fühlfähigkeit“ einschließt, die immer nur „der schöpferischen Fruchtbarkeit des Herzens“ entspringt. (P 46) Erinnert wird in diesem Kontext auch an Pascal, den Schönwiese ebenfalls in seiner Reihe von Urgegensätzen auflistet: die Polarität von Verstand und Herz wird gelöst, in dem er letzterem jene Erkenntnis zuordnet, die das Fassungsvermögen des Verstandes „übersteigen.“ (P 44) Diese Polarität von Kopf-Herz wurde in sinnbildlicher Form und äußerst gelungen von Paul Claudel in seiner Parabel der unglücklichen Ehe von Animus und Anima gestaltet. Animus, der Verstand wird darin als „aufgeblasener, pedantischer … Spießbürger“ charakterisiert, der aufgrund seiner Bildung, seines angelesenen Wissens alles besser weiß bzw. besser zu wissen glaubt, besser wissen zu müssen; und gerade deshalb tyrannisiert er die ungebildete, „dumme“ Anima, wohl wissend, dass ihr das ganze Vermögen gehört. Die zentrale Stelle des Gleichnisses findet sich allerdings in dem „wunderlichen Lied“ Animas, das zu entschlüsseln Animus verwehrt bleibt, weil es der Sphäre des Gefühlsmäßigen entstammt, die den Bereich verstandesmäßigen Erfassens übersteigt; oder wie Schönwiese erklärt: „Unser Kopf möchte erzwingen, was nur das Herz freiwillig und spontan zu schenken fähig ist.“ Anima verschließt sich ihm - „die Seele schweigt sowie der Verstand sie ansieht“ -, in dem sie sich, in einer Art meditativen Zustands, allem rationalen Reflektieren entzieht; wenn sie symbolisch dem „göttlichen Geliebten“ die Tür öffnet, kommt dies der „Wiederherstellung des ursprünglichen, ganzheitlichen Zustands“ (P 44) gleich. Anima verkörpert die Freiheit 29 Werner Kraft, Österreichische Lyriker. Von Trakl bis Lubomirski. Aufsätze zur Literatur (Eisenstadt: Roetzer, 1984). Das Buch ist im übrigen Schönwiese zu seinem 80. Geburtstag gewidmet. 48 Robert G. Weigel des Herzens, die über das Ich hinausgeht, und jene Kräfte freisetzt, die z.B. auch hinter Musils „anderem Zustand“ stehen. Erst die innere, unitive Haltung, die in der Wirklichkeit des Herzens, also der nicht an die Ichhaftigkeit gebundenen Liebe verankert ist, wird im Letzten Antworten geben auf Fragen nach dem Sinn und der Wahrheit, die auch den russischen Philosophen Lew Schestow in seiner „poetologischen Philosophie“ beschäftigten. Zum einen das Problem der Mitteilbarkeit des „Primärsten“ und „Allerletzten“, um das es auch der Poesie geht; und zum andern die Erkenntnis, dass mit den Mitteln der Vernunft die Wahrheit nicht zu erschließen ist. Nur im intuitiven, übervernünftigen, mystischen Seinszustand (wie Claudel ihn in der Figur Animas versinnbildlichte), erübrigt sich die Frage nach dem Sinn, weil der Mensch in dieser Erfahrung „über alles Fragen hinausgelangt und in die Fraglosigkeit heimgekehrt ist.“ Zur Veranschaulichung fügt Schönwiese zwei Verse aus seinem Gedichtband Versunken in den Traum an: „Ich glaube fast, ich liebe: / / die Welt darf sinnlos sein.“ (P 48) Die Liebe bzw. der Zustand des Liebens entrückt den Liebenden von der äußeren Wirklichkeit, ihre Bedeutung wird somit irrelevant. Das Gedicht möge gleichsam als Überleitung dienen zu einer kurzen Besprechung von drei Lyrikern, auf die Schönwiese im Schlussteil der Vorlesungen eingeht. Michael Guttenbrunners erschütterndes Liebesgedicht über den Tod der Geliebten offenbart wie es dem Dichter gelingt, den Schmerz derart bildlich zu gestalten, dass dieses Bild unvergesslich bleibt und den Leser den Schmerz gleichsam nachempfinden, mitfühlen lässt - ein Wesensmerkmal, wie Schönwiese ausführt, aller wahren Dichtung. Er verweist in diesem Kontext auf Heideggers Feststellung, dass „die eigentliche Zwiesprache mit dem Gedicht eines Dichters … allein die Dichterische“ ist, was durchaus zutrifft, geht es doch um das Gespräch zwischen dem Dichter, der sein Erlebnis gestaltet und jedem von uns, „der das in der Sprache Gestalt gewordene Erlebnis in sich wieder zu erfahren und nachzuvollziehen fähig ist.“ (P 59) Anhand des schwer in literarische Kategorien einzuordnenden, bisweilen an Kafka erinnernden, Lyrikers Karl Kleinschmidt belegt Schönwiese, dass es sich „bei der dichterischen Sprache gleichsam um eine Ursprache der Menschheit“ - erinnert sei an die eingangs zitierten Hamann und Herder - handelt, „die alle verstehen, die diesseits schon jenseits des Stromes sind, …, die fliegen ohne Flügel und singen ohne Mund“ (P 49f.) - Verständigung also über alle Gegensätze hinaus. Auf ähnliche Weise spricht der Lyriker Friedrich Bergammer, der am Ende von Schönwieses Ausführungen steht, vom Urzustand des Erlebens, den auszudrücken der Sprache allerdings die Worte fehlen. Zu versuchen, ihn direkt durch das Medium der Sprache mitzuteilen, wird immer mit dem „Zerdenken“ des ganzheitlich Erlebten einhergehen und dieses somit gleichsam auflösen. Allerdings sind die „Gegenstände des Herzens“ immer auch an Gesehenes bzw., so Bergammer, „schaubar Gedachtes“ gebunden, die Gestalt annehmen in der Sprache des Dichters - einer Sprache „der Augen, der Schau, der Vision“ im Gegensatz zu der des rational redenden Mundes. Schönwieses Poetik 49 In der dichterischen Vision wird das gleichsam Unsagbare dennoch gesagt, erlebt: als „Bild, Ausdruck und Gestaltung in einem.“ (P 55) Bergammer veranschaulicht, ja gestaltet dieses sprachlich schwer zu fassende Problem des Dichterischen an sich als Gleichnis vom Unsagbaren in einem seiner Gedichte: Wenn es nicht des Menschen Stimme ist, die das Wort sagt, was ist es dann, das ungesagt dennoch sagt was im Grunde nicht zu sagen ist. Für Schönwiese bringt das Gleichnis das Wesen des Dichterischen auf den Punkt und findet sich ganz ähnlich formuliert in einem seiner Gedichte: Zwischen Sichtbarem und Unsichtbarem Schwebst du, mein Gedicht, nur dem Gefühl lebendig und faßbar. Und doch erscheint in dir: Das eine, das überall ist und nirgends, zwischen Sichtbarem und Unsichtbaren, unfaßbar, dennoch gefaßt im Laut gewordenen Schweigen des Gedichts. (P 55) Schönwiese zieht, wie wir gesehen haben, in den Poetikvorlesungen alles heran was zur Erhellung von Ursprung, Wesen und Wert der Dichtung und des Dichterischen beiträgt: theoretisch-essayistische Diskurse zum Thema 30 von Literaten wie Buber, Musil, Broch und Canetti und von Wissenschaftlern verschiedenster Bereiche wie Neumann, Heisenberg und Pascal sowie literarische Werke unterschiedlicher Gattungen, von der Kurzform des Aphorismus und der Parabel (Kafka, Claudel) über den Roman (Musil, Broch, Améry) bis zum Gedicht (Kraft, Guttenbrunner, Bergammer). Abschließend verweist Schönwiese auch darauf, dass Poetik, wie einleitend gezeigt wurde, sich verstandesmäßig offensichtlich als Theorie der Dichtung definiert, und somit inhärenter Teil der Literaturwissenschaft ist. Wenn es ihr gleichsam auch um die Analyse und Interpretation des Dichterischen geht, so legten dies Schönwieses Vorlesungen nicht nur hinreichend dar, sondern verdeutlichten anhand des Schaffens exempelhafter Dichter, Denker und Wissenschaftler darüber hinaus, dass es der Dichtung (zumindest der wahren) um gleichsam mehr geht: Sie gehört maßgeblich zum „kulturellen Haushalt der Menschheit“, ihr Wesenskern findet sich, wie gesehen, in allen tradierten Religionen, und als Vermittlerin und Botschafterin jener allen Menschen im Unbewussten inne wohnenden Urerfahrung wird es immer ihre Aufgabe sein, „diese Erfahrung im Bewußtsein wachzuerhalten“, sodass es der Menschheit, obschon bisweilen vergessen, dennoch nie „ganz verloren gehen kann.“ Wenn Schönwiese deshalb von der Dichtung als „Teil einer allgemeinen Gesamtwissenschaft vom Wesen des Menschen und seinem Dasein überhaupt“ (P 59) spricht, eröffnet dies Perspektiven nicht nur 30 Es sei nur angedeutet, dass die Grenzen zwischen den Gattungen fließend sind, handelt es sich doch gerade bei den hier zitierten auch um durchaus künstlerische Werke, nämlich der Kunstprosa. 50 Robert G. Weigel für die Literaturkritik im Wissenschaftsbetrieb, sondern für die Relevanz der Beschäftigung mit Dichtung an sich, die häufig (und nicht nur von unwilligen Studenten) in Zweifel gezogen wird. 31 Gesamtwissenschaft meint im Grunde nichts anderes als das, was in jüngster Zeit unter dem Begriff interdisziplinäre Studien an Einfluss gewann. Der Grundgedanke, dass man aus der Teilerkenntnis einzelner Wissenschaftsbereiche durch Korrespondenz mit anderen, im Grunde immer interdependenten Bereichen - geht es doch im Letzten immer um die Erweiterung menschlichen Wissens - zu neuer, weiter reichender Erkenntnis gelangt, war zentrales Moment auch in den Überlegungen der von Schönwiese vorgestellten Dichter und Denker: Totalitätserfassung und gleichsam Bewusstwerdung der über das Individuelle hinausgehenden Ganzheit des Seins. Gerade heute könnte also Dichtung und ihre Vermittlung nicht nur einen wesentlichen Beitrag liefern, sondern eine zentrale Rolle spielen, in dem sie rein rational erreichte Teilerkenntnisse bzw. wissenschaftliche Unbestimmtheitsstellen erhellen kann. Freilich bedürfte es auch einer Rückbesinnung der Literaturwissenschaft auf das eigentlich Dichterische, ist doch nicht jeder, obschon möglicherweise literarische, Text und ebenso nicht jedes - obschon augenscheinlich in Versform - Gedicht Dichtung im Sinne der Schönwieseschen Vorlesungen. 32 Umso mehr seien sie deshalb uns allen für ein vertieftes Verständnis des Wesens und Anliegens der Dichtung zur Lektüre empfohlen. 31 Vgl. den Beitrag Karl Guthkes in diesem Band. 32 Zu dieser Problematik allgemein z.B. René Wellek, The Attack on Literature and Other Essays (Chapel Hill: University of North Carolina Press, 1982). Ernst Schönwieses Bild von der österreichischen Literatur Wynfrid Kriegleder 1964 erschien als Band 125 der Stiasny-Bücherei des Stiasny-Verlags (Graz/ Wien) ein Band mit dem Titel Das zeitlose Wort. 1 Die Stiasny-Bücherei, die ursprünglich den Untertitel Das österreichische Wort trug, kam von 1956 bis 1968 heraus und umfasst mehr als 150 Bände. Ihr Ziel war die Etablierung eines Kanons der österreichischen Literatur. 1955 hatte die Republik Österreich durch den Staatsvertrag ihre volle Souveränität wieder erlangt. Das Bemühen, die Eigenständigkeit des Staates nach den Jahren des Anschlusses an Deutschland, 1938 bis 1945, auch auf kulturellem Gebiet zu dokumentieren, zeitigte viele kulturpolitische Aktivitäten, darunter auch die genannte Buchreihe. Die ersten zwölf Bände brachten Texte von Ferdinand Saar, die Kudrun, Anton von Prokesch-Osten, Nestroy, Lenau, Stifter, Theodor Däubler, Charles Sealsfield, Jakob Julius David, Raimund, Sacher-Masoch und den Ackermann von Böhmen. Und so ging es weiter - eine österreichische Tradition vom Mittelalter bis ins 20. Jahrhundert wurde etabliert. Auch der Band 125 passt in dieses Programm. Es handelt sich um eine von Joseph Strelka herausgegebene „Anthologie österreichischer Lyrik von Peter Altenberg bis zur Gegenwart“. Wichtig in unserem Kontext ist, dass Ernst Schönwiese ein Nachwort lieferte, eine 14 Absätze umfassende, etwa sieben Seiten lange Reflexion unter dem Titel Marginalien zur Eigenart der österreichischen Literatur. Schönwiese geht hier in der gebotenen Kürze auf ein Problem ein, das nach 1945 heftig diskutiert wurde, das dann in den 1970er und 1980er Jahren in der österreichischen Germanistik nochmals eine erstaunliche Konjunktur hatte, und das im Jahr 2011 eigentlich erledigt sein sollte: Gibt es eine „deutlich als solche charakterisierte österreichische Literatur“? (ZW 229). Dass das Problem im Jahre 2011 noch immer nicht erledigt ist, beweisen nach wie vor Äußerungen deutscher Kritiker und deutscher Germanisten, die von einer einzigen deutschen Literatur ausgehen und dieser einzigen deutschen Literatur selbstverständlich Werke österreichischer und Schweizer Autoren zurechnen. Lediglich hinsichtlich der DDR-Literatur hat sich allgemein herumgesprochen, dass diese doch vorübergehend eine Art Sonderstatus einnahm. Aber da die DDR seit 1990 Geschichte ist, ist für gar nicht so wenige deutsche Kritiker und Literaturwissenschaftler seit 1990 die Welt wieder in Ordnung und die deutsche Literatur wieder eine einheitliche. 1 Das zeitlose Wort. Eine Anthologie österreichischer Lyrik von Peter Altenberg bis zur Gegenwart. Eingeleitet und ausgewählt von Joseph Strelka, mit einem Nachwort von Ernst Schönwiese. Graz und Wien: Stiasny Verlag 1964. Zitate aus diesem Buch erfolgen fortlaufend im Text, mit der Sigle ZW und der Seitenangabe. Wynfrid Kriegleder 52 Eigentlich ist es nicht nötig, auf solche Auffassungen überhaupt zu reagieren. Warum sollten kanadische Literaturwissenschaftler ihre kostbare Zeit damit verbringen, zu begründen, dass die kanadische Literatur selbstverständlich NICHT Teil der US-amerikanischen Literatur ist? Warum sollten USamerikanische Literaturwissenschaftler ihre kostbare Zeit damit verbringen, zu begründen, dass die amerikanische Literatur selbstverständlich NICHT Teil der englischen Literatur ist? Warum sollten brasilianische Literaturwissenschaftler ihre kostbare Zeit damit verbringen, zu begründen, dass die brasilianische Literatur selbstverständlich NICHT Teil der portugiesischen Literatur ist? Und so weiter. Aber es ist eben die Aufgabe der Wissenschaft, gegen den Irrtum anzukämpfen, stetig und immer wieder. Und in einer langfristigen Perspektive haben wir damit ja auch Erfolg. Wir müssen zum Beispiel heute nicht mehr wissenschaftlich gegen das geozentrische Weltbild argumentieren. (Außer vielleicht, wenn wir auf bibelfundamentalistische „Wissenschaftler“ in den US-amerikanischen Südstaaten stoßen). Und wir müssen, um im Bereich der Literaturwissenschaft zu bleiben, nicht mehr die ästhetische Qualität von Texten mithilfe irgendeiner Ideologie rechtfertigen. Steter Tropfen höhlt auf Dauer auch den härtesten Stein; stetes Argumentieren erreicht irgendwann auch den letzten Hohlkopf - und so wird sich letzten Endes auch die Existenz der österreichischen Literatur bis in die hintersten Regionen Deutschlands herumsprechen. Aber das alles ist nicht mein Thema. Mein Thema sind die kurzen Reflexionen Ernst Schönwieses über die Eigenart der österreichischen Literatur in seinem Nachwort. Schönwiese beruft sich auf drei Schriften. Oskar A. H. Schmitz' Der österreichische Mensch von 1924, Oskar Bendas Die österreichische Kulturidee von 1936 und Ivar Ivasks Aufsatz Das große Erbe, der im gleichnamigen 100. Band der Stiasny-Bibliothek erschienen war. Es ist damit ziemlich klar, in welche Argumentationslinie sich Schönwiese einreiht. Ich werde auf Oskar Benda noch zu sprechen kommen und möchte nur kurz die Position des estnischamerikanischen Kulturwissenschaftlers Ivar Ivask skizzieren. 2 Ivask, 1927 in Riga geboren, 1944 nach Deutschland geflüchtet und 1949 in die USA ausgewandert, promovierte über Hugo von Hofmannsthal und wirkte dann als Professor für Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Oklahoma. Er war auch aufgrund einer persönlichen Bekanntschaft stark von Heimito von Doderer beeinflusst und setzte in seinen Schriften die positiv konnotierte österreichische Literatur klar von der deutschen ab. Als kennzeichnend für die österreichische Tradition betonte er das lebendige Erbe und das Ordnungsdenken; als typisch für die deutsche Tradition erachtete er dagegen „ungezügelte Phantasie“, „Überbetonung des Inhalts auf Kosten der Form“, „Faszination mit Ideen, Gedanken, Sinn und ‘Tiefe‘“, „Mangel an 2 Zum Folgenden vgl. Mari Tarvas: Ivar Ivask und die österreichische Literatur. Vaasa/ Germersheim 2002. Schönwieses Bild von der österreichischen Literatur 53 Anschaulichkeit“ und eine „Neigung zum Dilettantismus“. 3 Ivasks dichotomische Behandlung der österreichischen und der deutschen Literatur wurde später mehrfach kritisiert. Egon Schwarz warf ihm „Wunschdenken“ vor. 4 Schönwieses Auffassung in den Marginalien zur Eigenart der österreichischen Literatur sei nun im Detail rekonstruiert. Zunächst zeigt sich, dass Schönwiese, in Übereinstimmung mit allen anderen Zeitgenossen, die sich darüber den Kopf zerbrachen und bis heute den Kopf zerbrechen, die österreichische Literatur mathematisch gesehen als Teilmenge der deutschsprachigen Literatur definiert. Die österreichische Literatur ist in erster Linie deutschsprachig. Wie alle anderen Zeitgenossen zieht Schönwiese aus diesem Ansatz aber nicht den Schluss, nach weiteren Teilmengen der deutschsprachigen Literatur zu fragen. Das wäre ja naheliegend. Man könnte nach der Teilmenge „Schweizer“ Literatur fragen, vielleicht auch nach der Teilmenge „preußische Literatur“ oder „bayrische Literatur“. Doch das geschieht nicht. Die nichtösterreichische deutschsprachige Literatur wird als monolithischer Block betrachtet, weshalb Schönwiese schon im zweiten Absatz seines Nachworts sein Modell von Gesamtmenge und Teilmenge(n) zu einem bipolaren Modell verändert und nach dem Unterschied zwischen „dem Deutschen und dem Österreicher“ fragt. Dieser Gegensatz sei ein menschlich allgemeingültiger, der sich überall nachweisen lasse, „wo Menschen auf Grund verschiedener historischer und kulturgeschichtlicher Entwicklungen nebeneinander leben.“ (ZW 229) Als erstes Fazit bleibt festzuhalten, dass Schönwiese, in Übereinstimmung mit praktisch allen anderen Literarhistorikern, die Chance nicht ergreift, den Komplex „deutsche Literatur“ aufzusprengen oder zu dekonstruieren, sondern ihn unangetastet lässt und lediglich einen Block „österreichische Literatur“ heraussprengt - oder auch herausoperiert. (In Parenthese sei darauf hingewiesen, dass es die deutsche Literatur natürlich nicht „gibt“. Sie ist ein Konstrukt von Generationen von Literarhistorikern - ein Konstrukt, das sich in der Literaturwissenschaft durchaus bewährt hat, kein Zweifel. Aber das Konstrukt ist ein Konstrukt, keine essentielle Gegebenheit). In seiner weiteren Argumentation deutet Schönwiese die Differenz zwischen Österreich und Deutschland, zwischen den beiden Kulturen, als eine Differenz zwischen einer Kultur des Seins und einer des Werdens. Hier, im dritten Absatz, bringt er einen kleinen, aber wichtigen Exkurs zur fernöstlichen Philosophie, auf den ich später eingehen werde, da er wohl die Essenz seines Nachdenkens enthält. Ich folge aber zunächst seiner weiteren Argumentation. 3 Ivar Ivask: Das große Erbe. Die übernationale Dichtung der österreichischen Dichtung. In: Ivar Ivask / Otto Basil / Herbert Eisenreich: Das große Erbe. Aufsätze zur österreichischen Literatur. Graz/ Wien: Stiasny 1962, 5-59. Hier S. 22, zitiert nach Mari Tarvas: Ivar Ivask und die österreichische Literatur, S. 19. 4 Egon Schwarz: Das große Erbe. In: The Germanic Review (1965). Zitiert nach Mari Tarvas: Ivar Ivask und die österreichische Literatur, S. 24.ö. Wynfrid Kriegleder 54 Im vierten Absatz bezieht sich Schönwiese auf die für ihn literarhistorisch entscheidende Gewährsperson, Oskar Benda, und auf dessen Schrift Die österreichische Kulturidee in Staat und Erziehung von 1936. Ein kurzer Exkurs über Oskar Benda sei erlaubt. Der 1886 im ungarischen Rakacza geborene Offizierssohn, der in Wien und Prag deutsche und englische Philologie studierte und dann als Lehrer in Prag, Triest, Aussig und Wien tätig war, nahm als Kriegsfreiwilliger am Ersten Weltkrieg teil. Er stand nach 1918 dem Kreis der sozialdemokratischen Volkshochschulen nahe, wurde 1925 Landesschulinspektor für Wien und wirkte auch als Vertreter Österreichs beim Kulturausschuss des Völkerbundes. Schon damals war er als Kulturhistoriker publizistisch tätig. 1935 führte Josef Nadler gegen ihn einen Prozess, weil ihm Benda seine Rassentheorie vorgeworfen hatte. Der Prozess endete mit einem außergerichtlichen Vergleich. 1938 wurde Benda von den Nationalsozialisten aus politischen Gründen entlassen und zunächst ohne Ruhegenuss, schließlich mit einer auf die Hälfte gekürzten Pension in den Ruhestand geschickt. 1945 wurde er ordentlicher Professor für Österreichische Literaturgeschichte und allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Wien; in dieser Funktion starb er 1954. Einer seiner prominentesten Schüler ist Joseph Peter Strelka. Benda setzte sich nach 1945 entschieden für die Entnazifizierung der Wiener Germanistik ein und vertrat gegen die geistesgeschichtliche Schule und gegen Josef Nadlers Stammeskunde eine sozialgeschichtlich argumentierende Literaturwissenschaft. In seiner 1936 erschienenen Schrift Die österreichische Kulturidee in Staat und Erziehung 5 hatte Benda die „österreichische Humanität“ als eine maßvolle „coincidentia oppositorum“, als einen Ausgleich von Gegensätzen definiert. Bendas bis heute bedenkenswerten, sozialgeschichtlich fundierten Überlegungen zur Ausbildung des „österreichische[n] Menschentum[s]“ versuchen, die kulturelle Ausprägung Österreichs, im Gegensatz zu Preußen, aus der sozialgeschichtlich unterschiedlichen jeweils „führenden Oberschicht eines Gesellschaftskörpers“ 6 abzuleiten. Für Österreich konstatiert er eine Dienstaristokratie als kulturrelevant; der österreichische Stil, den er in den verschiedensten Künsten beschreibt, sei eine „Spielart des feudalen Stils“. Es ist hier nicht der Ort, Bendas Überlegungen in extenso zu referieren. Mir scheinen zwei Gesichtspunkte bemerkenswert. Benda definiert als typisch österreichisch ein „Humanitätsideal“, das er an die „franziskanische Humanitas“ des Franz von Assisi anschließt, eine humanistische „Grundidee der brüderlichen Einheit des Menschheitsgeschlechtes durch die Lehre von der Gleichheit aller Menschen vor Gott“. 7 Aus dieser Grundeinstellung erkläre 5 Oskar Benda: Die österreichische Kulturidee in Staat und Erziehung. Wien: Saturn-Verlag 1936. 6 Ebd., S. 56. 7 Ebd., S. 79-82. Schönwieses Bild von der österreichischen Literatur 55 sich die österreichische Ablehnung „des Übertriebenen“, 8 die Abneigung gegen den deutschen „Geistesaristokratismus“ und gegen jegliche Absolutsetzung des Subjekts; als historische Voraussetzungen dieser Entwicklung führt Benda außerdem den Katholizismus an. Der „Österreicher“, so merkt Benda an, sei „grundsätzlich Wirklichkeitsmensch“; der „österreichische Realismus“ sei „Ehrfurcht vor der Schöpfung, wie sie ist, und die er daher sowohl noch in der überschäumenden aristophanischen Verspottung des Allzumenschlichen wie in der sublimiertesten Stilisierung edlen Menschentums festhält“. 9 Bemerkenswert ist zweitens, dass Benda, der in seinen Überlegungen neben dem Österreichischen auch das Preußische und das Schweizerische zu erklären versucht, daran festhält, dass all diese Ausprägungen - er nennt sie jeweils „Volkstum“ - selbstverständlich Teile des deutschen Volkes seien. Was aber nun eigentlich das deutsche Volk ausmache, darüber gibt er letztlich keine Auskunft. „Volk“ definiert er einleitend als „ethnische Sprachgemeinschaft“. 10 Gegen alle „immer wieder laut werdenden reichsdeutschen Stimmen, die unser [d.h.: der Österreicher] deutsches Volkstum auf Grund einer willkürlich konstruierten ‘Deutschheit‘ bestreiten“, hält er fest: „wir sind nach Herkunft, Sprache und Artung Deutsche“. 11 Begründet wird diese Gewissheit aber lediglich durch unser „Wissen von deutschem Sprachgeist, von deutschem Welterleben, von deutscher Dichtung, Kunst und Musik, von deutscher Staatsauffassung, Sittlichkeit und Sitte. Wir wissen, daß es eine besondere deutsche Kultur als Ausdruckform besonderer deutscher Geistigkeit gibt, und wenn wir es nicht wüßten, würden es uns die fremden Kulturvölker durch ihre Ablehnung wie durch ihre Bejahung sagen“. 12 Anders formuliert: Wir sind Deutsche, weil wir uns als solche definieren und weil uns die anderen als solche definieren. Was das aber genau ist - „Deutsche“ - und wodurch wir uns von den Nicht-Deutschen unterscheiden, bleibt offen bzw. bleibt auf die Sprache beschränkt. Ich kehre zu Schönwieses Marginalien zurück. Er referiert im Anschluss an seine Zusammenfassung der Position Bendas das berühmte bipolare Schema Hugo von Hofmannsthals, das dieser während des Ersten Weltkriegs zur Abgrenzung der Preußen von den Österreichern erstellt hatte. Es sollte festgehalten werden, dass Hofmannsthal noch vom „Preußen“, nicht vom „Deutschen“ gesprochen hatte. Schönwieses identifiziert jedoch den Preußen mit dem Deutschen und spricht bei seiner Rekonstruktion des Schemas zuerst ganz korrekt vom „Deutschen preußischer Prägung“, ehe er im weiteren Verlauf der Argumentation generalisierend vom „Deutschen“ handelt. 8 Ebd., S. 86. 9 Ebd., S. 88f. 10 Ebd., S. 9. 11 Ebd., S. 16. 12 Ebd., S. 17. Wynfrid Kriegleder 56 Das oft abgedruckte Hofmannsthalsche Schema soll hier nicht näher erläutert werden. Es kontrastiert preußische „Tüchtigkeit“ mit österreichischer „Menschlichkeit“, mangelndes „Gedächtnis für vergangene Phasen“ bei den Preußen mit der österreichischen „[t]raditionelle[n] Gesinnung, stabil durch Jahrhunderte“, preußisches „Selbstgefühl“ mit österreichischer „Selbstironie“. Das Schema entstand in jener Zeit, in der sich der Zerfall der Habsburger Monarchie abzeichnete und Hugo von Hofmannsthal intensiv über die besondere Identität Österreichs nachdachte. Eine Frucht dieses Nachdenkens war bekanntlich Hofmannsthals konservatives kulturpolitisches Engagement in der Zeit der ersten österreichischen Republik, das sich in der Gründung der Salzburger Festspiele niederschlug. Und eine literarische Ausgestaltung fand das Schema in seiner Komödie Der Schwierige, wo dem quintessentiellen Österreicher Kari Bühl der forsche preußische Baron Neuhoff, nomen est omen, gegenübersteht. Wichtig ist Schönwieses Einsicht, dass Hofmannsthals Schema nicht nur „die Vorzüge des Österreichers“ zeige, sondern auch auf die Gefahren der postulierten Grundhaltungen verweise. „Hineindenken in andere bis zur Charakterlosigkeit“ hatte Hofmannsthal als typisch österreichisch notiert. 1961, nicht allzu lange vor Schönwieses Nachwort, war im Österreichischen Rundfunk ein Einpersonenstück von Carl Merz und Helmut Qualtinger gelaufen, Der Herr Karl, das Porträt eines typischen Wiener Spießbürgers, der opportunistisch als Mitläufer an allen politischen Systemen der jüngeren Vergangenheit partizipiert hat, vom Ständestaat bis zur Zweiten Republik, und dabei nichts dazu gelernt hat. Er hat sich immer in die jeweils herrschende Mentalität hineingedacht, „bis zur Charakterlosigkeit“. Zurück zu Schönwieses Marginalien. An dieser Stelle, nach dem Abschnitt über Hofmannsthal, vollzieht er den entscheidenden Denkschritt. Letztlich gehe es nicht um die Polarität, um das Entweder-Oder. „Das Gegensatzpaar Entweder-Oder ist vielmehr selber erst der eine Pol des lebendigen Lebens, dem das Sowohl-Als auch, als der andere Pol des Seins, gegenübersteht“. Der „eigentliche Urgegensatz“ liege zwischen dem „Auseinanderbrechen des Gegensatzpaares einerseits und der Übergegensätzlichkeit andererseits, zwischen einseitigem Extremismus und ausgleichender Synthese.“ (ZW 233) An dieser Stelle, wir sind inzwischen im achten Absatz des Nachworts, kehrt Schönwiese zum Gegensatz zwischen der deutschen und der österreichischen Kultur bzw. Literatur zurück und betont erneut, dass die österreichische Literatur „aus ganz anderen geistigen und seelischen Wesenselementen entstanden“ sei (ZW 234) und keineswegs der deutschen Literatur so ohne weiteres einverleibt werden könne. (Und er äußert einen interessanten Nebengedanken: ähnlich liege es um das Verhältnis zwischen der englischen und der amerikanischen oder der spanischen und der südamerikanischen Literatur.) Mit einem längeren Zitat von Herbert Eisenreich kommt Schönwiese ans Ende seiner Argumentation. Freilich ist anzumerken, dass er damit in ein konservatives Fahrwasser gerät, das aus seinen Überlegungen nicht notwen- Schönwieses Bild von der österreichischen Literatur 57 dig abzuleiten ist. Immerhin war ja Ernst Schönwiese dereinst der große Kulturvermittler gewesen, der sich für Musil und Broch eingesetzt und die fremdsprachige moderne Literatur ins provinzielle Österreich gebracht hatte. Eisenreichs Äußerungen sind zwar aus dem kulturkämpferischen Ambiente der frühen 1960er Jahre zu verstehen und richten sich eher gegen einen forcierten Modernismus als gegen Versuche, für neue Erfahrungen neue Formen zu suchen. Dennoch: Ein Satz wie „Österreichisch ist eo ipso die Reserve gegenüber jedweder Modernität“, den Schönwiese zustimmend zitiert (ZW 35), muss wohl jeden irritieren, der Musil und Broch für erstens österreichisch und zweitens modern hält. Schönwiese, der seine Marginalien mit einem Broch-Zitat beendet, fasst im vorletzten Absatz seine Ideen zusammen. „Im Österreicher“ lebe „der Instinkt, daß alles schlecht ist, was trennt, und daß nur gut sein kann, was verbindet. Selbst den hier dargestellten Gegensatz zwischen deutscher und österreichischer Seelenhaltung“ versuche er daher als „Komplementärhälften anzuerkennen“. Denn „schöpferisch fruchtbar“ sei „immer nur jene Ebene“, auf der „die Gegensätze zwar keineswegs zu bestehen aufhören, wo aber auf geheimnisvolle Weise aus Pol und Gegenpol ein Drittes wird, aus These und Antithese die Synthese, aus Satz und Gegensatz jenes Übergegensätzliche, in dem auch alle echte und bleibende Dichtung zuerst und zuletzt ihre Wurzeln hat“. (ZW 235) Unvermerkt ist Schönwiese von der Debatte um das Wesen der österreichischen Literatur zu seiner eigenen Poetik, zu seinem Selbstverständnis als Dichter gekommen. Schon vorher, im dritten Absatz des Nachworts, hat sich das angekündigt. Dort hatte er den Gegensatz zwischen Österreich und Deutschland als einen Gegensatz zwischen einer Kultur des Seins und einer des Werdens beschrieben und „echtes Sein“ als „die im Gleichgewicht gehaltene Spannung zwischen den Polen“ beschrieben, eine Spannung, die zwar „statisch erscheinen“ könne, in Wahrheit aber „von stärkster innerer Dynamik“ sei. (ZW 230) „Werden“ hatte er dagegen definiert als „das noch nicht gewonnene Gleichgewicht“, als ein Schwanken „zwischen den Polen“, das bald den einen, bald den anderen Pol ergreife und verabsolutiere und daher nur dynamisch SCHEINE , in Wirklichkeit aber „voll jäher und furchtbarer Abstürze“ sei. In fast denselben Worten, die er auch im vorletzten Absatz verwendet, erklärt Schönwiese hier diesen „Urgegensatz“ „in einem Bild fernöstlichen Denkens“: Dem Werden gelte „immer nur das Entweder-Oder, entweder das Yin oder das Yang. Das Sein aber ist im Tao, im Taigi beschlossen, in der ins Gleichgewicht gelangten schöpferischen Spannung zwischen den Polen […] kurz im Wissen um die Ebene der Übergegensätzlichkeit“. (ZW 231) Übergegensätzlichkeit, das Transzendieren der temporären Gegensätze - das ist Ernst Schönwieses poetisches Programm. Es liegt daher nahe, zu vermuten, dass er eigentlich sich selbst, sein Lebenswerk beschrieb, wenn er 1964 in den soeben analysierten Marginalien die Eigenart der österreichischen Literatur zu ergründen suchte, dass er eine österreichische Literaturtradition Wynfrid Kriegleder 58 konstruierte, in die er sich selbst eingemeinden konnte. Denn Geschichten der österreichischen Literatur kann man viele schreiben, als typisch und eigen-artig kann man manches erkennen. Von dem Nachwort des Jahres 1964 ausgehend sollen weitere programmatische Äußerungen Ernst Schönwieses zur österreichischen Literatur gesucht werden. Zunächst aber werfe ich einen Blick auf einen 20 Jahre jüngeren Text Schönwieses, der mit der Frage der österreichischen Literatur gar nichts zu tun hat. Es handelt sich um eine systematische Entfaltung seiner Poetik, die Schönwiese 1985 veröffentlicht hat. 1984 hielt er an der Universität Innsbruck auf Einladung des Germanisten Alfred Doppler eine Poetik-Vorlesung, die ein Jahr später unter dem Titel Dichtung als Urwissen des Menschen veröffentlicht wurde. 13 Wie die meisten Poetik-Vorlesungen von Schriftstellern an Universitäten - eine Textsorte, die seit den 1960er Jahren Konjunktur hat - bietet auch Schönwieses Vorlesung einerseits allgemeine Überlegungen über die Rolle und Funktion von Dichtung und Literatur, andererseits eine Rechtfertigung der eigenen poetischen Praxis. Wie in solchen Vorlesungen üblich, stellt sich der Verfasser damit implizit oder explizit in eine bestimmte Tradition der Literatur. Bevor ich versuche, Schönwieses Gedanken in aller Kürze zu referieren, nenne ich jene Schriftsteller, auf die er sich in seiner Vorlesung bezieht und aus deren Texten er ausführlich zitiert. Es sind, von einigen Theoretikern wie dem Symbolforscher Herbert Kessler, 14 dem russischen Philosophen Lew Schestow 15 und dem Essayisten Werner Kraft abgesehen, in dieser Reihenfolge: Karl Kraus, D. H. Lawrence, Martin Buber, Robert Musil, Herman Broch, der Tiefenpsychologe Erich Neumann, Franz Kafka, Elias Canetti, Wilhelm von Humboldt, Werner Heisenberg, Paul Claudel, Michael Guttenbrunner, Karl Kleinschmidt, Jean Améry, Friedrich Bergammer, Richard Beer- Hofmann. Sechzehn Autoren also insgesamt, darunter - wenn wir Buber, Kafka und Canetti dazu zählen - elf aus Österreich. Schönwieses Überlegungen im Detail zu rekonstruieren bedürfte eines eigenen Beitrags. Entscheidend ist, und darauf weist er in einer Zusammenfassung am Ende selbst hin, dass er von polaren Gegensätzen ausgeht, die er als Manifestationen „eines sehr komplexen Ur-Gegensatzes“ 16 erkennt. Exemplifiziert wird dieser Ur-Gegensatz an der von Karl Kraus vorgenommenen Unterscheidung zwischen der Sprache als Mitteilung und der Sprache als Ausdruck. Dem entspricht Martin Bubers Unterscheidung zwischen der Ich- Es-Haltung, also der zweckrationalen Betrachtung des Anderen, und der Ich- Du-Haltung, die eine Vereinigung mit dem Anderen anstrebt und die Sub- 13 Ernst Schönwiese: Dichtung als Urwissen des Menschen. Innsbruck: Institut für Germanistik 1985. 14 Herbert Kessler: Das offenbare Geheimnis. Freiburg i. B.: Aurum 1977. Es handelt sich hier um ein Buch über Symbolik. 15 Lew Schestow: Spekulation und Offenbarung. Essays und kritische Betrachtungen. Hamburg/ München: Ellermann 1963. 16 Schönwiese: Dichtung als Urwissen des Menschen, S. 57. Schönwieses Bild von der österreichischen Literatur 59 jekt-Objekt-Dualität überwinden will. Bei Robert Musil finden wir den Gegensatz zwischen „dem Ratioïden und der taghellen Mystik des anderen Zustandes“, bei Broch „zwischen der denkerischen und der dichterischen Erkenntnis“. 17 Mit den Begriffen Ernst Neumanns bringt Schönwiese den Gegensatz auf den Punkt: Hier der relative Mensch „des Nur-Ich“, dort der absolute Mensch „des wahren Selbst“, der mystische Mensch, der seine eigenen Numinosität erfahren könne, nachdem das „von der Rationalität vorgegaukelte illusionäre Ich“ verschwunden sei. Die Dichtung, so Schönwiese, habe die Aufgabe, in „einer Zeit des Werteverlustes und der unerläßlich gewordenen Sinnsuche“ das „Unzerstörbare in uns wiederzuerwecken und zu bewahren“. In der Dichtung fände sich daher der „Wesenskern aller überlieferten Religionen“, das „Urwissen vom Menschen“. 18 Dass sich Schönwiese hier ganz deutlich in die Debatte des frühen 20. Jahrhunderts einreiht, wofür vor allem die Namen Musil und Broch stehen, ist offensichtlich. Mir geht es aber nicht um die Ähnlichkeiten und Differenzen seiner Positionen zur Position anderer Autoren, und es geht mir schon gar nicht um die Frage, wie sich Schönwieses Position im Jahr 1984 zur Position anderer zeitgenössischer Dichter verhält. Ich gehe vielmehr dem auffallenden Befund nach, dass das, was Schönwiese 1984 als Aufgabe der Dichtung definiert, eine erstaunliche Ähnlichkeit hat mit dem, was er in seinen Marginalien von 1964 als Wesen des Österreichischen definiert hat. In Parenthese sei eingefügt, dass ich selbst von einem überzeitlichen Wesen des Österreichischen überhaupt nicht überzeugt bin, dass ich aber eine temporäre kollektive Eigenart einer größeren Gruppe für durchaus plausibel halte, also zum Beispiel eine auf eine bestimmte Epoche beschränkte nationale Mentalität. Aber selbst wenn ich einen solchen Nationalcharakter für Unsinn hielte - als kulturhistorische Konstruktion, mittels deren sich Gruppen selbst definieren und mittels deren sie von anderen definiert werden, müssen sie beschrieben und erforscht werden. Meine Frage in diesem Beitrag gilt daher dem Bild Ernst Schönwieses von der österreichischen Literatur, das ich im Sinn der Imagologie als Autostereotyp betrachte, also als Selbstbild eines Mitglieds einer bestimmten Gruppe von dieser Gruppe. Im Fall Ernst Schönwiese gilt folgender Befund: 1. Schönwiese sieht die österreichische Literatur im Gegensatz zur deutschen Literatur als eine Literatur, die eine stärkere Affinität zum Überwinden der Gegensätze, zur coincidentia oppositorum aufweise. 2. Diese coincidentia oppositorum sei die eigentliche Aufgabe der Literatur schlechthin: eine Bewahrung des Urwissens der Menschheit, vor jeglicher Subjekt-Objekt-Aufspaltung. 3. Da für Schönwiese die österreichische Literatur die wahre Sendung der Dichtkunst erfüllt, favorisiert er jene Werke und Dichter, die 17 Ebd. 18 Ebd., S. 58f. Wynfrid Kriegleder 60 dieser Auffassung nahekommen, und vernachlässigt jene, die ihr nicht entsprechen. Besonders deutlich wird diese eingeschränkte Wahrnehmung in einer kleinen Anthologie Österreichische Lyrik nach 1945, die Schönwiese 1960, also vier Jahre vor dem eingangs erwähnten Zeitlosen Wort Joseph P. Strelkas, im S. Fischer-Verlag im Rahmen der Reihe „S. Fischer Schulausgaben - Texte moderner Autoren“ herausbrachte. Die Sammlung beschränkte sich auf Autoren, „die erst nach 1945 hervorgetreten sind“. Die Auswahl ist hinsichtlich der aufgenommenen Autoren durchaus repräsentativ, auch wenn die ausgewählten Texte eher dem Typus des traditionellen Gedichts entsprechen und die in den 1960er Jahren stärker werdenden, vor allem sprachreflexiven Züge eine geringe Rolle spielen. Aber man findet u.a. Ilse Aichinger, H.C. Artmann, Ingeborg Bachmann, Thomas Bernhard, Christine Busta, Paul Celan, Jeannie Ebner, Erich Fried, Gerhard Fritsch, Herta Kräftner, Christine Lavant und Andreas Okopenko. Wenn man vom Fehlen Ernst Jandls und Friederike Mayröckers bzw. der später so genannten „Wiener Gruppe“ absieht, ist das ein Kanon, der auch in einer heute geschriebenen österreichischen Literaturgeschichte zu finden wäre. Das kurze, nur drei Seiten umfassende Nachwort verrät allerdings, dass Schönwiese die bleibenden Werke der österreichischen Lyrik eben doch in der Zwischenkriegszeit verortet. Denn im Nachwort spricht er vor allem vom Hofmannsthal-Kreis, von Rilke und Werfel, Broch und Ernst Waldinger, kaum aber von jenen jungen Autoren und Autorinnen, die in der Anthologie vorgestellt werden. Seine Diagnose, die österreichische Lyrik der Nachkriegszeit sei von einem „nie ganz zum Schweigen zu bringende[n] Traditionsbewußtsein“ gezeichnet gewesen und „[r]adikale literarische Umbrüche“ hätten „keinen Anklang gefunden“, 19 ist zwar zutreffend, deckt sich aber kaum mit der später zum Ausdruck gebrachten Selbstwahrnehmung vieler dieser Lyriker, die im Gegenteil, vermutlich oft einer Selbsttäuschung erliegend, ihren Willen, sich von der Tradition abzukehren, bekräftigt haben. 20 Soweit Schönwiese in seinem Nachwort die zusammengestellten Gedichte überhaupt charakterisiert, reiht er sie in sein Verständnis von der wahren Aufgabe der Dichtkunst ein: sie alle vereinige der „Grundimpuls aller Lyrik“, die Sehnsucht nach dem „andern Zustand“ Musils, die Leidenschaft, dem von Broch konstatierten Wertezerfall „die Kraft und Unerschütterlichkeit des eigenen Wertgefühls entgegenzusetzen“. „Ich glaube, das ist eigentlich das Credo der hier vereinigten Lyriker“, beschließt Schönwiese sein Nachwort. Ganz unrichtig ist das sicher nicht, aber in erster Linie dürfte hier der Wunsch der Vater des Gedankens gewe- 19 Österreichische Lyrik nach 1945. Auswahl und Nachwort von Ernst Schönwiese. Frankfurt: Fischer 1960, S. 79. 20 Vgl. etwa Konstanze Fliedl (Hg.): Andreas Okopenko. Graz / Wien: Droschl 2004 oder Evelyne Polt-Heinzl / Daniela Strigl (Hg.): Im Keller. Der Untergrund des literarischen Aufbruchs um 1950. [auf dem Titelblatt: nach 1945]. Wien: Sonderzahl 2006. Schönwieses Bild von der österreichischen Literatur 61 sen sein. Österreichische Lyrik ist für Ernst Schönwiese jedenfalls jene Lyrik, die seinen Forderungen an die Dichtkunst nachkommt. Nicht unähnlich ist der Befund bei einer Aufsatzsammlung, die Schönwiese 1980 unter dem Titel Literatur in Wien zwischen 1930 und 1980 im Wiener Amalthea-Verlag herausbrachte. Der möglicherweise der Verlagspolitik geschuldete Titel trügt, denn es werden auch Autoren behandelt, die man kaum der Wiener Literaturszene zurechnen kann 21 , und im Zentrum stehen erneut die großen Autoren der Zwischenkriegszeit, also Kafka, Musil und Broch sowie weitere Exilautoren. Die Literatur der 1960er und 1970er Jahre kommt kaum vor. Freilich ist zu vermerken, dass Schönwiese in dieser Sammlung manchmal zeitgenössische österreichische Autoren erstaunlich zustimmend zur Kenntnis nimmt. Denn der Band wird mit dem Aufsatz „Der verratenen Welt eine Rose schenken. Der Schriftsteller und seine Zeit“ abgeschlossen, in dem Schönwiese darüber reflektiert, ob und inwieweit sich Schriftsteller mit den aktuellen Problemen ihrer Zeit auseinandersetzen sollten. Und hier verweist er unter vielen anderen auch auf Erich Frieds Warngedichte von 1964 und auf Peter Turrini. Das bisher herausgearbeitete Bild von der österreichischen Literatur, das Ernst Schönwiese vertrat, wird auch durch einen Blick auf seine Zeitschrift das silberboot bestätigt. Diese bekanntlich sowohl vor 1938 als auch nach 1945 existierende, von Schönwiese herausgegebene Zeitschrift gilt mit Recht deshalb als eines der wichtigsten Periodika der Zeit, weil sie in Textabdrukken und Rezensionen die internationale klassische Moderne propagierte und das österreichische Publikum mit Autoren bekannt machte, die im ziemlich restaurativen und provinziellen kulturellen Klima kaum wo erwähnt wurden - genannt seien neben Kafka vor allem James Joyce, André Gide, William Faulkner, Thomas Wolfe und Thornton Wilder. Nach 1945 machte sich das silberboot vor allem durch sein Eintreten für die Exilliteratur verdient. Dabei dominierte die österreichische Literatur. Ursula Weyrer konstatiert: „Von den 717 Beiträgen (461 literarische Texte und 256 Rezensionen) stammen 328 (=45,7%), und zwar 213 literarische Texte und 115 Rezensionen, von österreichischen Verfassern oder beschäftigen sich mit österreichischer Literatur“. 22 Der Schwerpunkt dieser österreichischen Literatur lag bei den bedeutenden Autoren der Zeit um und nach dem Ersten Weltkrieg: Hofmannsthal, Trakl, Werfel, Franz Blei, vor allem aber Musil und Broch; nach 1945 spielt Lernet- Holenia eine wichtige Rolle. Zeitgenössische österreichische Autoren sind dagegen nach 1945 nur in geringem Ausmaß vertreten, anders als in der zweiten bedeutenden Wiener Literaturzeitschrift der Nachkriegszeit, Otto Basils Der Plan. Auch in seiner Eigenschaft als Zeitschriftenherausgeber fand Ernst Schönwiese die bewahrenswerte österreichische Literatur vor allem in den Werken der Zwischenkriegszeit. 21 Etwa Franz Kafka und Hermann Grab. 22 Ursula Weyrer: „Das Silberboot“. Eine österreichische Literaturzeitschrift (1935-36, 1946-52). Innsbruck: Institut f. Germanistik 1984, S. 164. Wynfrid Kriegleder 62 Ich fasse zusammen: Ernst Schönwieses Anspruch war ein weltliterarischer - als Kulturvermittler ging es ihm darum, das österreichische Publikum mit den bedeutenden Texten der Weltliteratur bekannt zu machen. Dennoch setzte er sich auch mit der Frage nach der Eigenart der österreichischen Literatur auseinander. In dieser Auseinandersetzung schloss er an die avancierten Positionen der Zwischenkriegszeit an, wie sie etwa von Oskar Benda vertreten wurden, der sich gegen Josef Nadlers Auffassung wandte, wonach die Literatur durch rassisch-biologische Faktoren oder durch die Landschaft determiniert werde. In seiner Überzeugung, die österreichische Literatur als Teil einer nicht näher definierten deutschen zu sehen, blieb Schönwiese ein Kind seiner Zeit. Was er als Eigenart der österreichischen Literatur definierte, deckt sich über weite Strecken mit seiner Auffassung von der wahren Aufgabe der Dichtung überhaupt - und deckt sich damit mit seiner eigenen Poetik. Verkürzt gesagt: Die wahre österreichische Dichtung ist jene Dichtung, die das macht, was auch Ernst Schönwiese macht, und Ernst Schönwiese ist ein österreichischer Dichter, weil er auf österreichische Art und Weise dichtet. Kritisch könnte man einwenden, dass sich Schönwiese die Besonderheit der österreichischen Literatur so zurechtlegt, wie er sie braucht, dass also sein Bild von der österreichischen Literatur ein exklusives ist. Weniger kritisch könnte man anmerken, dass sich der poeta doctus Ernst Schönwiese in eine Tradition einreiht, die er weltliterarisch definiert und in seiner österreichischen Heimat besonders ausgeprägt vorfindet. Die von ihm herangezogenen Kronzeugen gehören ja in der Tat zum besten, was die österreichische Literatur hervorgebracht hat. Der unbeteiligte Literaturhistoriker freilich wird feststellen müssen, dass zur österreichischen Literatur auch anderes - manchmal durchaus Unerfreuliches - gehört, das er nicht verschweigen darf. A Progressive Traditionalist: Ernst Schönwiese as a Literary Critic Traci S. O’Brien A reader unfamiliar with the breadth of Ernst Schönwiese’s work as a poet and a literary critic might be inclined to understand his traditionalism as no longer modern or relevant. Perhaps also that he is antiquarian, authoritarian, or elitist - or simply “out.” It is certainly due to Schönwiese’s veneration of certain kinds of tradition that he is generally relegated to “the older generation” of poets in various anthologies. Nevertheless, such categorizations may not include a full understanding of what this term, “tradition,” might mean, and whether or not Schönwiese’s work is relevant to continued debates about what language can and cannot do, or, as Beth Bjorklund defines it, the “efficacy of poetic speaking” (28). 1 This issue is particularly important if, as Joseph P. Strelka insists, the inter-generational acrimony is based on a misunderstanding of Schönwiese’s works, which, according to Strelka, stubbornly persists. 2 Yet Schönwiese’s influence on the postwar cultural scene in Austria as a respected literary critic is indisputable and has been publicly acknowledged. 3 Schönwiese continued to exert this influence even after his literary journal, das silberboot, ceased publication in 1952. 4 1 Beth Bjorklund, ed. and trans., Contemporary Austrian Poetry (Cranbury: Fairleigh Dickinson UP, 1986). 2 Strelka refers to Schönwiese as a “seit Jahren bewusst tot geschwiegenen bedeutenden Autor” (7), in Joseph P. Strelka, Ernst Schönwiese: Werk und Leben (Frankfurt a.M.: Peter Lang, 2005). He points out that Schönwiese is not mentioned (or given only cursory mention) in many definitive works of Austrian literary history (61). For those unfamiliar Schönwiese’s work, there are several anthologies which provide an introduction as well as the necessary background to any discussion of tradition and experimentalism in Austrian literature mid-century. Bjorklund, for example, provides a very lucid introduction to postwar Austrian poetry (27-39), and includes poems by Schönwiese (59-60). The Anthology of Modern Austrian Literature includes two poems by Schönwiese translated into English by Herbert Kuhner (57-8). Milne Holton and Herbert Kuhner, eds., Austrian Poetry Today. Österreichische Lyrik heute (New York: Schocken Books, 1986), also include four poems by Schönwiese (14-17). The essay collection, Vivat Austria. Schönwiese - Kafka - Roth - Stifter, ed., Jan Aler, opens with “Ernst Schönwiese: Poeta divinans” (Amsterdam: Rodopi, 1985: 2-63). More typically, essay collections such as those edited by Donald G. Daviau, for example, Major Figures of Modern Austrian Literature (New York: Peter Lang, 1988) and Major Figures of Contemporary Austrian Literature (New York: Peter Lang, 1987); or Frederick Ungar, ed., Handbook of Austrian Literature (New York: Frederick Ungar, 1973); or Alan Best and Hans Wolfschütz, eds., Modern Austrian Writing (London: Oswald Wolff, 1980), do not mention Schönwiese. For a bibliography of literature relating to Schönwiese, see “Schönwiese, Ernst,” in Neue Deutsche Biographie 23 (2007): 426-7; and <<http: / / www.deutsche-biographie.de/ pnd118610244.html>>. 28 April 2012. 3 One of the few Austrians who was inducted into the “Deutsche Akademie für Sprache” in Darmstadt (1956) as well as one of the few literary figures whose likeness was put on Traci S. O‘Brien 64 A closer look at traditional themes in Schönwiese’s critical essays reveals a value system which is much more flexible than such a term would imply. In fact, Schönwiese’s essays reveal a reverence for tradition which resists the rupture commonly referred to as Zero Hour in postwar Germany and Austria. Deeply humanist, Schönwiese’s critical stance seeks to reframe facile interpretations of tradition and the avant-garde by exploring the productive tension between “Zeitverhaftung” and “Zeitlosigkeit,” 5 and calling on both to do what he calls “Brücken schlagen.” The focus of this paper is on Schönwiese’s role as the perceptive and articulate discussant of other people’s work. Though there are many things worthy of attention in Schönwiese’s literary critical essays, I will highlight those elements which allow us to talk about him as a “progressive traditionalist.” Even today, Schönwiese intervenes in the dichotomizing discussions of tradition and the role of language in Austria’s literary history. The selection of Schönwiese’s literary critical essays under consideration here appeared in different venues from the immediate postwar period through 1980, with the heaviest concentration in the late 1950s, early 1960s. 6 Some essays appeared in journals such as Wort in der Zeit and deal with broad literary critical issues; others, such as his “Funk-Essays,” which were broadcast on the radio, 7 or his introductions to specific authors in their own publications, deal with those authors and their works. In order to discuss the sort of tradition Schönwiese upheld and validated, I would like first to focus specifically on what Schönwiese found worthwhile - but also new and exciting - in the works of other authors which he discussed in these literary critical essays, despite their somewhat different genres and purposes. Then, in order to place these essays in a context, I tie them back to the other essays of literary criticism which Schönwiese published in the late 1950s and which speak more generally to questions of tradition and the avant-garde. Two of these essays are “Probleme des Wertzerfalls und der Integration,” and “Ohnmächtige Nachhutgefechte der Geschlagenen. Oder a stamp by the Austrian postal service, Schönwiese’s importance as a poet to the German-speaking world seems beyond question. See Neue Deutsche Biographie, 426-7. 4 For a brief history of das silberboot, see Ursula Weyrer, “Der Förderer zeitgenössischer Dichtung,” in Ernst Schönwiese. Sein geistiges Profil und seine literarische Bedeutung, ed., Joseph P. Strelka (Bern: Peter Lang, 1986: 197-226), esp. 197-213. For more in-depth treatment, see Weyrer, “‘das silberboot’. Eine österreichische Literaturzeitschrift (1935-36; 1946-52)” (Diss. Innsbruck, 1986). 5 See Strelka, Werk und Leben, 9. 6 This timeline is important if, as both Weyrer and Strelka assert, 1961 represented an important year of change in Schönwiese’s own aesthetic. See also note 14. 7 As both Strelka and Weyrer note, Schönwiese was the head of literary programming of the post-War Salzburg station “Rot-Weiß-Rot” from 1945-54, and from 1954-71, he led program management for the department in charge of culture, radio plays, and science at the Austrian National Radio in Vienna. See Werk und Leben, 70. The “Funk-Essays” discussed here appear in Ernst Schönwiese. Kunstprosa. Gesammelte Werke in Einzelbänden, Vol. 2, ed., Joseph P. Strelka (Hall in Tirol: Berenkamp, 2009). A Progressive Traditionalist 65 ‘Wo bleibt die wirkliche Avantgarde? ’” 8 The link between these essays and his literary critical work brings to light ways in which Schönwiese communicates with readers beyond a misunderstood dichotomy of rigid traditionalism and avantgardism, a division which Schönwiese himself questions and clarifies. 1. A glimpse into Schönwiese’s literary critical essays reveals how dismissive opinions about his “traditionalism” are in fact missing some key features of it, and that it is possible to talk about Schönwiese as a “progressive” traditionalist - and not a nostalgic traditionalist - despite his affirmation of certain kinds of traditions. Schönwiese’s Funk-Essays on Ernest Hemingway, André Gide, and D.H. Lawrence, broadcast in 1945, 1951, and 1960 respectively, provide important examples for this kind of analysis. 9 Other than the fact that the subjects of the three essays are all not Austrian (although this, too, is important) the most obvious thing which connects these essays on Hemingway, Gide and Lawrence is the structure of their presentation. When broadcasting these radio essays, Schönwiese used a dialogic method: the quotes by the author were spoken by one radio speaker while the literary critical parts were spoken by another, creating an audible distinction between the two roles and, thus, an exchange or dialog between the authors and the interpretation of their work. 10 In these radio broadcasts, Schönwiese was also able to paint in very few brushstrokes what was deeply meaningful about these authors and their work. As Strelka notes, Schönwiese is able to circumvent the potential pitfalls of this medium (“simplification” or “reduction”) and to identify the “essential characteristics” of both author and work. 11 He states that, for Schönwiese, the literary critical essay “um das Aufspüren innerer Wesensmerkmale geht, die aus ihrem Versteck geholt werden und die noch 8 Ernst Schönwiese, “Probleme des Wertzerfalls und der Integration” (Wort in der Zeit 5.12 [1959]: 11-19); and “Ohnmächtige Nachhutgefechte der Geschlagenen. Oder ‘Wo bleibt die wirkliche Avantgarde? ’”(Wort in der Zeit 5.3 [1959]: 1-8). Some other essays which handle similar topics are: “Fünf Thesen zur heutigen Literaturkritik” (Wort in der Zeit [1958]: 9-17); and “Falsche und Echte Avantgarde. Oder die Krise der Kritik” (Wort in der Zeit [1958]: 26-33). 9 Schönwiese, “Ernest Hemingway,” in Ernst Schönwiese: Kunstprosa (165-9); “In Memoriam André Gide 21. Februar 1951” (170-4); “Im Namen des Lebens der Dichter David Herbert Lawrence: Sein Werk und Sein Lebensgefühl. Zur 30. Wiederkehr seines Todestages am 2. März 1960” (175-82). All quotes from Schönwiese’s radio essays, unless otherwise noted, are taken from this anthology. Hereafter, page numbers will be given parenthetically in the text. As Strelka notes, the manuscripts for Schönwiese’s radio essays are located in the archives of the Austrian National Library in Vienna, Austria (Werk und Leben, 85). For more on Schönwiese’s radio essays, see ibid 84-7. 10 ibid 84. 11 ibid 84-5. Traci S. O‘Brien 66 wichtiger sind als äußere Beobachtung.” 12 Especially for this genre which was only heard and not read by its audience, it was even more important “sich durch Hingabe an und Identifikation mit dichterischen Werken, welche die Besonderheit der Größe ihrer Autoren zum Ausdruck bringen, deren Wesentlichestes sichtbar zu machen.” 13 There is another important similarity among these essays, one which is germane to this analysis and complicates the notion of Schönwiese as a traditionalist. In all three, Schönwiese appreciates what is new and groundbreaking in how each author examines the human condition. For example, it is Hemingway’s stylistic innovation which earns him Schönwiese’s endorsement. 14 At a time when Hemingway was largely not present on Austrian or German critical radar, 15 Schönwiese begins his 1945 radio-essay by calling Hemingway “der Meister der Kurzgeschichte” and “der Schöpfer eines völlig neuen Stils.” 16 It is precisely “its innovative ‘Zeitverhaftung‘“ that Schönwiese singles out in Hemingway’s style, calling it “vielleicht die typische Dichtform unserer Zeit, unseres Jahrhunderts, dieses Jahrhunderts des Telegra- 12 Though this would be truer for the biographical essays, Schönwiese approached all of his essays in this manner. The literary critical essays would contain perhaps fewer biographical facts, but would certainly still attempt to bring out the deep connection between author and work. See Strelka, Werk und Leben, 73. 13 ibid 84. 14 As an interesting aside, Weyrer suggests that Schönwiese was much more tolerant of stylistic innovation in prose genres and rejected certain types of Sprachspielerei in poetry because the latter was his field of production (“Förderer” 210). Schönwiese’s work as a lyric poet is beyond the scope of this essay. However, as others point out, in the early 1960s Schönwiese made a break with formal aesthetics and entered a new phase in his own work in which he experimented with freer forms. See Klaus Weissenberger and Robert Weigel in this volume. 15 On the changing reception of Hemingway in Germany, see Helmut Papajewski, “The Critical Reception of Hemingway’s Works in Germany since 1920,” in The Literary Reputation of Hemingway in Europe, ed., Roger Asselineau (New York: New York UP, 1965: 73- 92). There was an appreciative readership for Hemingway’s work in the late 1920s which disappeared during the 1930s. Though Papajewski does not mention Austria specifically, one can assume similar circumstances given the political climate in Austria of the 30s and 40s. See also Arno Heller, “The Fading of a Legend: Hemingway’s Reception in Germany and Austria” (The Hemingway Review 11 [1992]: 27-35). Heller notes that two other factors impacted on Hemingway reception in Nazi Germany: Hemingway’s negative comments vis-à-vis totalitarianism published in Klaus and Erika Mann’s journal; and Hemingway’s German translator, Annemarie Horschitz, was Jewish and Hemingway refused to sever his working relationship with her. See Heller 27. 16 Schönwiese’s assessment of Hemingway’s work apparently differed from that of his contemporaries. As Papajewski notes, “the generation between 1920 and 1930 was not so much interested in Hemingway’s structural, technical and linguistic methods in the narrowest sense (although, it is true, one critic had already recognized the ‘art of omission’); they were rather interested in the affinity between Hemingway’s characters and their own generation” (75). Arno Heller comments on this phenomenon as it occurred after the Second World War. See Heller 28. A Progressive Traditionalist 67 phen, des Telefons, des Kinos und Rundfunks” (165). 17 Indeed, Schönwiese begins his essay by noting that Hemingway is only one year older than the century in which he lives. In this way, Schönwiese places him in time, while the emphasis also creates a parallel with the title of Hemingway’s short story collection, In Unserer Zeit. 18 Hemingway’s completely new narrative style earns him, according to Schönwiese, a special place in U.S. contemporary literature. Thus, while highlighting Hemingway’s innovation, Schönwiese also takes care to place Hemingway within a literary tradition when he describes how Hemingway has given new form to the short story genre. Schönwiese accomplishes this first by a brief comparison to Katherine Mansfield, whom he calls a “Meisterin” (165) of another kind of short story, namely, the one which is actually like a chapter of a novel. Schönwiese explains the difference by noting that in Mansfield’s stories, the reader has a sense of what precedes and what follows the particular episode depicted in the story. This is accomplished via references to the prior life of the protagonists and hints as to what will become of them in the future. In addition, the reader is also permitted a window into the protagonists’ inner life. In other words, this type of short story seems as if it has been excised from something much larger, with the connections to the excised parts intact. In contrast, Hemingway’s stories - which Schönwiese notes is typical of modern American literature - give only limited and indirect access into the inner life of its protagonists, often through sparse dialog, or through “verdecktes Gespräch” (166). Schönwiese connects this style to Ibsen (in drama) and to O. Henry. Thus, Schönwiese clearly endorses a literary tradition but emphasizes the value of creating it anew in order to speak meaningfully to a modern audience. However, it is not merely the modernity or stylistic innovation - this telegraph style for which Hemingway indeed became famous - which Schönwiese praises. This style also creates tension between the explicit and the tacit which in turn provides access and understanding to much of Hemingway’s prose. Schönwiese states that it is the dialog, “der den Erzählungen Hemingways oft eine seltsame dramatische Note gibt” (166). This dramatic character is, in fact, the dissonance between the brevity and simplicity of style and the depth of human emotion beneath the surface. Schönwiese notes that “die Menschen sprechen scheinbar von etwas ganz Nebensächlichem und Äußerem; aber hinter diesem Gespräch spürt man, trotz der scheinbaren äußeren Ruhe, die größten Leidenschaften und stärksten inneren Kämpfe” (166). As an example of the masterful tension in Hemingway’s work, Schönwiese discusses “Indian Camp,” which appeared in the collection, In unserer 17 Carlos Baker, Hemingway’s biographer, asserts that his subject knew how to “get the most from the least, how to prune language how to multiply intensities, and how to tell nothing but the truth in a way that allowed for telling more than the truth,” Hemingway: The Writer as Artist (Princeton: Princeton UP, 1972) 117. 18 Ernest Hemingway, In unserer Zeit. Erzählungen (trans. Annemarie Horschitz; Berlin: Rowohlt, 1932); In Our Time (New York: Scribner, 1925, 1996). Traci S. O‘Brien 68 Zeit. It tells the story of a doctor’s visit to this camp in order to tend to a young Indian woman in the throes of a terrible, painful labor. For Schönwiese, it is the tension between appearance and reality which makes the story compelling. The husband of the young woman, seemingly unmoved by her pain, lies in the top bunk and is turned away from the scene. The doctor misunderstands the husband’s seeming stillness, and thus criticizes his lack of feeling or caring while praising the young woman’s bravery. Dripping blood soon reveals the truth, however: beneath the surface of his silence and seeming coldness was actually the deepest of feeling. As Schönwiese reads the story, the young husband was unable to endure his wife’s pain and thus has slit his own throat. Like much of Hemingway’s oeuvre, this particular story has undergone multiple (re)interpretations in the intervening years, and the meaning of the husband’s suicide is debated. 19 One thing has not changed since Schönwiese’s radio essay in 1945, though, and that is the appreciation of Hemingway’s pruned down style and the awareness that still waters run deep in Hemingway’s fictional world. As Schönwiese puts it: “eine höchst männliche Scham vor den eigenen Gefühlen, eine Scheu, mit seinen Empfindungen hausieren zu gehen, zeichnet den Dichter Hemingway ebenso aus, wie alle seine Gestalten. Und das macht ihren besonderen Reiz aus und gibt ihnen ihre einmalige innere Spannung” (167). Schönwiese connects the author to his story, but also the style of his storytelling to the message, and captures for his listener the unique style Hemingway employed. Furthermore, Hemingway’s longer prose works are no less startling for Schönwiese. About Farewell to Arms [In einem anderen Land], which he calls the American counterpart to Im Westen Nichts Neues, Schönwiese states that Hemingway is able, “seine Menschen die einfachsten und scheinbar nichtigsten Worte sagen 19 Arno Heller notices a shift in the critical literature surrounding Hemingway beginning with Hemingway’s suicide in 1961 which led to a “revaluation of Hemingway as a person and subsequently also his work.” See Heller 31-2. In Jeffrey Meyers, “Hemingway’s Primitivism and ‘Indian Camp,’” (Twentieth Century Literature 34.2 [1988]: 211-22), the author points out that the story has been “subjected to a wide variety of interpretations, ranging from the obvious to the absurd, by critics who have recognized its power and struggled with its meaning. The story contains two shocking incidents: the doctor performs a Caesarean operation with a jackknife but without anesthetic, and the husband silently commits suicide” (212). Meyers himself interprets the suicide as “Hemingway’s ambiguous attitude to primitivism” (211) and based on “profound experience” of the “behavior, customs, and religion” of Native Americans (219) and ultimately shows Hemingway’s success in portraying the primitive. The husband’s suicide is also interpreted as the expression of the deeply underlying tensions between life and death in Hemingway, as in Matthew Stewart, Modernism and Tradition in Ernest Hemingway’s In Our Time (Rochester: Camden House, 2001), especially 38-43; or, alternatively, as a contest of wills with the “white” doctor and resistance to white dominance, in Amy Lovell Strong, “Screaming through Silence: The Violence of Race in ‘Indian Camp’ and ‘The Doctor and the Doctor’s Wife,” in Hemingway. Seven Decades of Criticism (East Lansing: Michigan State UP, 1998: 29-44); or as proof that Hemingway was not a misogynist with the concession that men are not capable of enduring pain as women are, in Margaret Bauer, “Forget the Legend, Read the Work” (College Literature 30.3 [2003]: 124-37). A Progressive Traditionalist 69 zu lassen und doch hinter ihnen die ganze Seele, das Schlagen des Herzen fühlbar zu machen” (167). In the essay, Schönwiese has both placed Hemingway in a literary tradition (of the American short story) but also emphasized how Hemingway has changed the tradition with his exciting innovation. Hemingway was able to create something new and powerful because he has a finger on the pulse of his age and listens to “das Schlagen des Herzen.” For those familiar with Schönwiese’s poetry and his consistent attempt “im Geistigen vor allem … vom Herzen her das Verbindende zu betonen,” 20 it is perhaps no surprise that he admired Hemingway’s prose. Indeed, for Schönwiese, great poetry needed to evoke “die ursprüngliche, in jedem Menschen schlummernde Hingabefähigkeit.” 21 In the same vein, Schönwiese’s work as a literary critic was defined “durch Hingabe und Identifikation” (Strelka), and it is ultimately this capacity which he emphasizes in Hemingway’s prose. While it may be evident that Hemingway is part of a specific literary tradition Schönwiese admires, how Hemingway fits into the more general tradition which Schönwiese supports will become clearer later in this essay. The next example of an appealingly innovative subject is in Schönwiese’s 1951 radio essay on the event of André Gide’s death. 22 As an aside, Strelka points out that Schönwiese was able to prepare this radio essay for broadcast in a few short hours, demonstrating both the breadth and depth of his literary ken. As Strelka states, “so weit dies überhaupt auf so engem Raum möglich ist, gibt dieser Funk-Essay nicht nur ein Bild des Wesentlichen von Werk und Persönlichkeit des verstorbenen großen Autors, sondern alles in allem ein überaus lebendiges Bild.” 23 The breadth of Schönwiese’s knowledge is not the focus here - although it is undoubtedly impressive - but rather the things Schönwiese chooses to highlight about Gide: his ethical individualism and his stylistic innovation. On the one hand, they do not seem to be traditionally “traditional.” 24 On the other hand, they bring the concept of a “Zerfall des Wertes” into sharper focus. Such clarity is necessary as this “dissolution of values” is of central importance in Schönwiese’s work. One of the things to which Schönwiese draws attention in this radio essay is Gide’s commitment to humanity and human rights. Schönwiese expresses these things in Gide’s words as “der Kampf der Kultur gegen die Barbarei” (170). Schönwiese also notes the debt that the development of French literature over the previous fifty years owes to Gide with his work as editor of the 20 Strelka, Werk und Leben, 9. 21 ibid 13. 22 Schönwiese, “In Memorian André Gide: 21. Februar 1951” (170-4). 23 Strelka, Werk und Leben, 85. 24 In fact, the Catholic Church repudiated Gide and his works the following year, hence, it is perhaps noteworthy that Schönwiese endorsed Gide’s work and his ethics so strongly. See “Condemnation of the Works of André Gide by the Supreme Sacred Congregation of the Holy Office,” in Gide: A Collection of Critical Essays, ed., David Littlejohn (New Jersey: Prentice Hall, 1970: 30-5). Traci S. O‘Brien 70 Nouvelle Revue Française. Among other things, Gide was one of the first ones to bring public attention to Marcel Proust. At the same time, Schönwiese implies that the greater debt is owed to Gide’s strength of character in repudiating communism after a visit to the Soviet Union in the 1930s. For Schönwiese, it is “kein Wunder, dass ein überzeugter Individualist, ein so unbestechlich selbständig denkender Geist vom Range André Gides Zeit seines Lebens den Versuchungen des Totalitarismus widerstand” (173). He quotes Gide’s comments on the Soviet Union (translated into German): “Ich zweifle daran, daß in irgendeinem anderen Lande der Geist heute unfreier, starker vergewaltigt und geknechtet ist, als im sowjetischen Russland” (173). 25 With this one statement, which would be one of the few times that Schönwiese is openly political in these literary critical essays, he creates a strong connection between the humanist ideals which structure his world view, and an individualism which is anchored in a commitment outside the self. Indeed, this individualism is connected not with self-absorbed whim but rather with freedom and human rights. In Schönwiese’s own literary output, the development of individual freedom and subjectivity is not based on whim but rather lies “jenseits der engen Grenzen enger Ich-Willkür.” 26 A moment’s return to Schönwiese’s essay on Hemingway brings to light the former’s validation of individual commitment to higher ideals and his reinforcement of a certain kind of tradition. At the end of his essay on Hemingway, Schönwiese weaves in a discussion of For Whom the Bell Tolls 25 There is a similar quote by Gide in Return from the U.S.S.R. (trans. Dorothy Bussy; New York: Alfred A. Knopf, 1937): “What is wanted now is compliance, conformism. What is desired and demanded is approval of all that is done in the U.S.S.R.; and an attempt is being made to obtain an approval that is not mere resignation, but a sincere enthusiastic approval. What is most astounding is that this attempt is successful. On the other hand the smallest protest, the least criticism, is liable to the severest penalties, and in fact is immediately stifled. And I doubt whether in any other country in the world, even Hitler’s Germany, the spirit is thought to be less free, more bowed down, more fearful (terrorized), more vassalized” (42). The original is from Gide’s Souvenirs et Voyages: “Et je doute qu’en aucun autre pays aujourd’hui, fût ce dans l’Allemagne de Hitler, l’esprit sois moins libre, plus courbé, plus craintif (terrorisé), plus vassalisé” (752). 26 Strelka, Werk und Leben, 58. This kind of affirmation of the individual also seems to run counter to any notion of Schönwiese as a nostalgic traditionalist, because such traditionalists, for example, flocked to nationalist literature in the 1920s and 1930s with an emphasis on “das Volk” to the eventual exclusion of individualist tendencies or individual rights. In contrast, the political implications of high art in its reaffirmation of universal values are clear in this comment by Strelka. Speaking about Schönwiese, he asserts, “dass Schönwieses rein dichterischen und geistigen Werten echten Menschentums gewidmete Zeitschrift [das silberboot] trotz oder vielmehr gerade infolge ihrer vornehmen Haltung von unmittelbarer Aktualität gewesen ist, als es sich rückblickend im ersten Augenblick zeigt. Denn gerade in dieser Haltung wandte sich die Zeitschrift in ihrem ersten Jahrgang deutlicher, entschiedener und wirkungsvoller gegen die nationalsozialistische Kulturpolitik als dies eine Zeitschrift hätte tun können, die sich in direktem Engagement auf dasselbe Niveau hinabbegeben hätte,” in Strelka, Forward, Ernst Schönwiese: Sein geistiges Profil und seine literarische Bedeutung, 7. A Progressive Traditionalist 71 [Wem die Stunde schlägt]. He praises the “unromantic” heroism of its hero, the American, Robert Jordan. Vor der erschüttenden Große des Schlußkapitels verstummt jedes Wort. Vielleicht ist noch niemals der Tod eines wahren und echten Kämpfers so unromantisch, ja anti-romantisch geschildert worden, wie der Tod dieses Amerikaners Jordan, der hier für ein Volk, das den Krieg nie geliebt hat und nie eine sentimentale oder romantischheroische Beziehung zu ihm kannte, das aber bewiesen hat, daß es zu kämpfen weiß und das Schwerste und das Bitterste auf sich nimmt, wenn es einmal wirklich notwendig ist und die wahren Rechte und Freiheiten des Menschen gilt. (169) 27 As Schönwiese told his audience, Robert Jordan dies defending the band with the thought “‘denk an die anderen! ’ und dieses Nicht-an-sich-denken, sondern an die anderen, denen er schließlich sein Leben opfert, das ist der einfache und strenge Lebensgedanke nicht nur der Hauptperson dieses Buches, sondern aller derer, die wahres Menschentum wollen und lieben”(169). This love of humanity brings us back to Schönwiese’s admiration of Gide. His admiration of Gide’s commitment to humankind includes Gide’s portrayal of humanity’s problems with a “furchtloser Liebe zur Wahrheit und mit psychologischer Erkenntnis” (170). It is in this vein that he discusses what was new and groundbreaking in Gide’s work, and connects, as he did with Hemingway, Gide’s ability to be innovative with his commitment to being in his time. In this essay on Gide, Schönwiese narrows in on the one prose work which Gide himself gave the subtitle novel, and that is Les Faux-Monnayeurs (1925) [Die Falschmünzer]. For Schönwiese, this is not only one of the greatest novels but one of the greatest novel experiments whose influence continued to that day. The particularity of that experiment, Schönwiese explains, is that for the first time, the narrative report of the novel is interrupted by diary entries of one of the main characters of the novel, enabling a psychological depth and nuance which had not been achieved previously (170). Schönwiese notably appreciates, therefore - as was the case with Hemingway - not just the impressive stylistic innovation per se but rather how this again enables the artistic form of the novel to capture more of the human experience as this experience has changed and become more complex. 28 Schönwiese 27 In terms of the variety and sheer mass of scholarship on Hemingway, For Whom the Bell Tolls is no exception. For an interpretation which complicates Schönwiese’s but still focuses on a nuanced interpretation of the ethical elements, see James L. Kastely, “Toward a Politically Responsible Ethical Criticism: Narrative in The Political Unconscious and For Whom the Bell Tolls,” in Ernst Hemingway: Seven Decades of Criticism (East Lansing: Michigan State UP, 1998: 185-212). 28 The reader is perhaps reminded here of Robert Musil’s concept of the essayistic novel, which Strelka also evokes in reference to Schönwiese, whereby the writer “ein Ding von vielen Seiten nimmt, ohne es ganz zu erfassen, - denn ein ganz erfasstes Ding verliert Traci S. O‘Brien 72 heralds in Gide’s novel the harmony which is created from these different modes. 29 In the same way, Schönwiese describes Gide, the author. Gide, both puritan and joyful imp, “gelang [es], den Willen zur Freude dieses Kindes mit dem strengen Pastor in der eigenen Brust in Einklang zu bringen,” due to his “unermüdlich ringenden und suchenden Geist”(172). Finally, much of what Schönwiese admires about Gide is that Gide took this inner conflict, or “innere[n] Gegensatz, den er auszugleichen, zu sublimieren, in Harmonie emporzuheben wußte” (172). 30 Schönwiese specifically highlights das “Übergegensätzliche” - which is not aufgehoben, but rather emporgehoben, into harmony. This quality is, according to Schönwiese, where “alle echte und bleibende Dichtung zuerst und zuletzt ihre Wurzeln hat” and comes to be synonymous with the timeless values, which are still of their time. 31 At the end of his essay on Gide, Schönwiese repeats Gide’s phrasing of the spirit which guided his own life and work’s purpose: “der Geist des freien Urteils, der Unabhängigkeit und des Protests gegen alles war, was das Herz und die Vernunft sich weigerte anzuerkennen,” (170, 174) emphasizing for his listeners again what he saw as the underlying worth and value of Gide’s contribution to not only French, but world, literature: his commitment to humanity. In a similar vein, Schönwiese praises D.H. Lawrence on the event of the thirtieth anniversary of the latter’s death, again by pointing out what is different about him. As in his broadcasts on Hemingway and Gide, Schönwiese creates connection across time and national boundaries in order to conjure up for his audience the importance of D.H. Lawrence to world literature of the twentieth century. He thus begins this essay by immediately distancing his analysis of Lawrence’s importance as an author from his most famous work, Lady Chatterley’s Lover (1928). In fact, Schönwiese asserts that to mit einem Male seinen Umfang und schmilzt zu einem Begriff ein.” Robert Musil, Der Mann ohne Eigenschaften (Hamburg: Rowohlt, 1994): 1.250, quoted in Strelka, Werk und Leben, 58. 29 It is again interesting to note Weyrer’s comment that Schönwiese was much more enthusiastic about experiment in fictional genres, like the novel, than in poetry. See Weyrer, “Förde-rer,” 210. See note 14. 30 Though he was critical of Gide’s later works, eminent French literary scholar, Henri Peyre, also emphasized the importance of Gide’s early novel: “[Gide] broadened French literature by treating grave moral and religious issues in his novels: the disassociation of love and pleasure, of carnal passion and respect; homosexuality viewed as a legitimate attachment; the struggle between an ordinary life and a rigid and lofty conception of religion; the opposition of the claims of society and the expansion of the individual, of duties to others and duties to oneself. The question which obsessed Gide most harrowingly all his life was that of sincerity: how to be, how to become fully himself when the very profession of a writer forced him to adorn or to revile himself, to assume masks, and to cultivate the art of either striking or pleasing,” in Contemporary French Literature (New York: Harper & Row, 1964) 3. For a critical view of Gide’s personal and literary life, see his chapter, “André Gide: Martyr and Hero of Sincerity,” in Literature and Sincerity (New Haven: Yale UP, 1963: 276-305). 31 See, for example, Schönwiese, “Marginalien zur Eigenart der österreichischen Literatur,” in Das zeitlose Wort (Graz/ Wien: Stiasny, 1964: 235-6). A Progressive Traditionalist 73 know only this book - which was indeed a shocking piece of fiction for its day - is to know this author very little. Instead, Schönwiese again emphasizes what is new, powerful - and timeless - in Lawrence’s work, and states, um Geheimnis und Macht des Unbewußten geht es Lawrence in allen seinen Büchern. Als einer der ersten Geister des zwanzigsten Jahrhunderts erkannte er als die Ursache des Verfalls aller Kulturschöpferischen Kräfte die Unfähigkeit des Menschen unserer Tage, sich dem Geheimnis des schöpferischen Unbewußten anzuvertrauen, sich den tiefsten Wesensimpulsen anheim zu geben und statt dessen der eiskalten Bewußtheit und Berechnung sich zuzuwenden. (177-8) This contrastive relationship between creativity and cold calculation which Schönwiese notes in Lawrence’s 1920 novel, Women in Love [Liebende Frauen], is one that Schönwiese highlights at other moments in his criticism and will be addressed again later in this paper. Schönwiese comes to the conclusion that “die Ansprüche des Herzens gegenüber der bewußten Ratio zu verteidigen” is the red thread running through Lawrence’s work. Though it does make Lawrence noteworthy, this conflict between the heart and reason is clearly not particular to Lawrence. Rather, “das alles sind Umschreibungen des einen ewigen Urkonflikts des Menschen, in jener Form, in der ihn Lawrence erlebt und erkannt hat. Wie sehr mit all dem Verherrlichen der unbewußten inneren Antriebskräfte und der scheinbaren Anbetung der reinen Vitalität immer nur die Macht und der Anspruch des Herzens gemeint war” (179). With this sentence, Schönwiese acts as a mediator between the popular interpretation of Lawrence’s work and the meaning which reveals itself to the attentive reader, that is, “das Rätselvolle, so leicht Mißzuverstehende” (180) about Lawrence’s work which is related to the latter’s religious and spiritual beliefs. Schönwiese’s reading of Lawrence is therefore also intended to create meaningful connections for his listeners, or “Brücken zu schlagen,” a metaphor which emerges quite often in Schönwiese’s work both as a literary critic and a poet. 32 It is surely assertions such as these - that is, of an eternal “Urkonflikt” and of the connection between an inability to surrender to the mystery of creative unconscious and the dissolution of creative powers - which earned for Schönwiese the label “traditional poet.” His continued reference to “Urerlebnis” and to the universality of the concept which the term implies - and which Schönwiese directly states is his purpose and the purpose of all great literature - makes it very clear why he admired writers and poets who did new things with the language but did not support word play or stylistic innovation for its own sake. Adolf Opel addresses the issue of generational conflict in his anthology of modern Austrian literature. The Vienna Group (as well as or the group that emerged a bit later with Graz as its center) was 32 See, for example, Schönwiese’s essay on Friedrich Torberg, Prosakunst, 156. It is also a metaphor which Schönwiese critics use. See Weyrer, “Förderer,” 208. Traci S. O‘Brien 74 “concerned above all with putting language to the test, [and] language for them became the essential matter of literature.” 33 As Bjorklund explains, the experimentalists of these groups “were opposed to symbol and metaphor, regarding it as a mask for phony metaphysics” and their intent was “to strip language of its mythology and mysticism by reducing it to the material substance which it, in fact, is.” 34 Opel states quite pointedly that poets like “Wilhelm Szabo, Ernst Schönwiese, and Johann Gunert … unusually find an appreciative public only among their contemporaries” and that the dynamic between generations has been lost and has given way to “a merciless frontformation: ‘young’ and ‘old,’ ‘progressive’ and ‘reactionary’ face each other in hostile deadlock and attempts to communicate are very rarely made.” 35 Without taking Schönwiese’s own artistic development into consideration, 36 one can see in the essays by Schönwiese already discussed here, that to call Schönwiese a reactionary or even a nostalgic traditionalist is to miss what is new and vital in his own work - or as he says about Hermann Broch’s work - “wie alle richtigen Gedanken, nur von relativer, nicht aber von absoluter Neuheit sind.” 37 Certainly, in twenty-first century literary criticism, any kind of reference to universal values is considered old-fashioned or out-ofdate, presumably because systems which purported to have universal value, such as a literary canon, for example, have revealed themselves as exclusionary. However, Schönwiese asserts that it is irrelevant whether one refers to such values or not for they still continue to exist. Furthermore, it is the rediscovery of the universal which is the real genius of the modern poet. The tradition to which Schönwiese continually refers is an essentially human one. This also explains his interest in opening up an appreciative public in Austria for authors like Hemingway, Gide, and Lawrence, rather than in enforcing some kind of artificial national boundary. Schönwiese’s essay, “Probleme des Wertzerfalls und der Integration,” expounds upon the ideas which underlie his literary critical essays. This essay 33 Adolf Opel, “Beyond Mayerling and Sarajewo - A Survey of Austrian Literature,” trans. Gudrun Gomori and Barbara Marshall, Anthology of Modern Austrian Literature (1-13); here 8. 34 Bjorklund, Contemporary Austrian Poetry, 31. 35 Opel, “Survey of Austrian Literature,“ 9. 36 Ironically, by the time Opel’s anthology was published, Schönwiese had, according to Gudrun Brokoph-Mauch, achieved new formal heights in his own poetry, which had replaced his attachment to more traditional forms. His previous affinity for the strict, classical form - which was, as she asserts, not in keeping with the times - was replaced by a mastery of an open form, and a new linguistic rhythm and tension. The collections of poetry Schönwiese published in the midto late-1960s point “mit dem Abstreifen einer inzwischen unzeitgemäßen Form zur vollen künstlerischen Entfaltung, so daß jetzt seine Gedichte zum ‘adäquaten, innerlich wie äußerlich begründeten Ausdruck eines Zeitinhaltes’ vorgestoßen sind”(18-19). See Gudrun Brokoph-Mauch, “Die Lyrik,” in Ernst Schönwiese: Sein geistiges Profil und seine literarische Bedeutung, (15-31). See also note 14. 37 Ernst Schönwiese, “Probleme des Wertzerfalls und der Integration,” 13, hereafter cited parenthetically as “Probleme.“ A Progressive Traditionalist 75 was first given as a talk at the fifth international writers’ convention in Meran, and then published in 1959 in Wort in der Zeit. A dialogic structure is evident in this essay as well. Indeed, Schönwiese brings in many other voices which create a harmonious chorus with his own. As Schönwiese explains, the dissolution of values - a clear reference to Hermann Broch’s Die Schlafwandler - is actually the dissolution of a value. In his view, previous generations were able to take it for granted that there was some kind of absolute truth connecting all life and all meaning. Quoting from Broch’s famous work, Schönwiese evokes the concept that a community’s “soziale Struktur, ihre Kunst, ihre soziale Verbundenheit, kurzum ihr ganzes Wertgefüge waren dem umfassenden Lebenswert des Glaubens unterworfen: der Glaube war der Punkt, bei dem jede Fragekette endigte.” 38 In this particular narrative of the disintegration of values (there are other traditions which have similar narratives, says Schönwiese), the removal of the Christian God from the center of all human activity removes the ultimate answer to all questions. Schönwiese asserts to this group of writers that one may, therefore, not write about “Wertzerfall” or “Wertverlust” without also writing about “Wertintegration” (“Probleme” 12). This straightforward declaration is based on the assumption that human community, let alone culture and literature, is not possible without such “Wertintegration.” With “integration,” Schönwiese puts the search for values at the forefront of any poetic creation or criticism, and emphasizes that this is the stuff of culture. Furthermore, he contrasts his position with that of the “Stunde null,” or Zero Hour, of postwar Europe to which the disintegration of unifying values (in Western tradition, of the Christian God) seemed to culminate. Schönwiese tells his audience that Western cultural values were “innerhalb eines Zerfallsprozesses, der beinahe an sein Ende, den Punkt des reinen Nihil gelangt zu sein scheint” (“Probleme“ 13). Thus, though he certainly understands the skepticism of those calling for an end to “phony metaphysics” (Bjorklund), he sees the appropriate response as the search for timeless values rather than in their negation. According to Schönwiese, the tension between the dissolution of values and the integration of new ones is the “Urspannung unseres Daseins” (“Probleme” 12). Such an assertion explains the connection between style and content so vital to Schönwiese’s literary criticism, as it reveals this most basic tension. It also explains the metaphor of “Brücken schlagen,” or the careerlong desire to make connections and to bridge gaps in understanding. Rather than the severe break caused by the Second World War that the term “Stunde null” implies, Schönwiese is interested in creating connections and building bridges to a tradition which is still relevant though it must be accessed anew. As Ursula Weyrer notes, “Dieses Vorführen von Wegbereitern des Gegenwärtigen, das Brückenschlagen in die Tradition, kennzeichnet auch den Be- 38 Hermann Broch, Die Schlafwandler. Eine Romantrilogie (Zurich: Rhein-Verlag, 1931-2) 476, quoted in Schönwiese, “Probleme,” 13. Traci S. O‘Brien 76 stand an österreichischer Literatur im silberboot und wird aus dem Kontext von Schönwieses Literaturauffassung ... verständlich.” 39 Despite the ways in which subsequent generations of literary critics may have categorized him, Schönwiese emphasizes that his is not a reactionary or nostalgic tradition. In another essay he published in Wort in der Zeit, “Ohnmächtige Nachhutgefechte der Geschlagenen, oder ‘Wo bleibt die wirkliche Avantgarde? ’”, Schönwiese assembles a polyphony of contemporary opinions about the difference between reactionaries and conservatives. 40 For example, he quotes literary historian, Johannes Klein, for the latter’s interesting assertion that one must be open to change in order to uphold tradition in any authentic manner. Such a concept revaluates the seemingly contrastive relationship between conservatives and revolutionaries by allying them instead: man darf unter ‘Gegenwartsliteratur’ nicht immer nur die revolutionären oder, in unserer Zeit, gar die auflösenden Leistungen verstehen. Der, der wahrhaft bewahrt, ist gegenüber dem Neuen aufgeschlossen und gehört ihm in wesentlichen Zügen selber an. Denn alles echte Bewahren steht auch in der Wandlung; nur der Reaktionäre wandelt sich nicht und glaubt, durch Ablehnung und Bekämpfung allein wirken zu können. Gegenüber dem geistig Reaktionären steht auch der geistig Konservative auf der Seite der Revolutionäre. 41 At the same time, Schönwiese is aware of the potential for misunderstanding his aesthetic position. In a formulation which purposefully evokes the biblical Word, Schönwiese asks, “wie soll der Dichter in einer Welt, die das entscheidende ‘Wort’ längst vergessen und verloren hat, noch seinerseits das Wort finden, - zu Worte kommen? Und wie soll dieses von ihm einmal wiedergefundene Wort von einer also in Verwirrung geratenen Welt vernommen und verstanden werden? ” (“Probleme” 13). More specifically, when discussing one of the seminal influences on his own work, the poet, Rudolf Borchardt, Schönwiese asks: “Im Ernst: wieviele leben heute, die imstande sind, die Dichtungen dieses traditionsbewußtesten unter den großen Lyrikern unserer Sprache überhaupt noch aufzunehmen und zu würdigen” (“Wo bleibt? ” 133). This problem, as Schönwiese sees it, points again to the import- 39 Weyrer, “Förderer,” 208. Interestingly, Bjorklund points to the generational conflicts which erupted in the years following the Second World War, but emphasizes the qualities which connect these Austrian poets. Though she grants that there have been conflicts between more traditional poets born in the earlier part of the twentieth century and the radical, experimental groups such as the Vienna Group and then the “Forum City Park,” she also gives considerable weight to the commonality of their underlying concerns, which are about language and “what language can or cannot accomplish” (28). 40 Schönwiese, “Ohnmächtige Nachhutgefechte der Geschlagenen, oder Wo bleibt die wirkliche Avantgarde,” 133, hereafter cited parenthetically as “Wo bleibt? ” 41 Johannes Klein, ”Die deutschsprachige Literatur der Gegenwart und ihre Stellung zur Weltliteratur” (Welt und Wort 13 [1958]: 293, cited in Schönwiese ”Wo bleibt? 133). A Progressive Traditionalist 77 ance of mediation and of bridging the gaps in language and meaning. Gaps exist not only between national languages, but they are also present in the “babylonische… Sprachverwirrung der Seelen” (“Probleme” 13), in which Schönwiese seeks to intervene with his literary critical essays by pointing towards humanist values that must be rediscovered. It should be underscored that, at least in these essays from the 1950s, Schönwiese does not lay the blame at the feet of the new generation of poets and authors for their inability “zu Worte zu kommen.” Previous generations had inherited life’s inherent meaning from their forebears; however, after two world wars, Schönwiese understands this generation’s lack of faith in the previous answers to life’s questions. “Die Götter der Väter sind ihnen tot,” Schönwiese states. At the same time, he charges his audience not to forget that something which could perish was never really alive to begin with (“Probleme” 14). Hence, Schönwiese asserts, it is part of the genius, but also the mission, of the artist to search for these true things. In this way, he argues for a universal which has its tradition but must always be rediscovered. On a pragmatic level, it is hard to argue with the logic with which Schönwiese begins this essay. “Da ohne ein die Menschen verbindendes und für alle verbindliches Wertgefühl und Wertwissen weder ein geordnetes menschliches Zusammenleben, noch Kultur oder Dichtung möglich sind,” the poet must think about building connections. He contends that one may not speak of “Wertzerfall” without simultaneously thinking of “Wertintegration,” and thus arrives at the logic for the title of his talk (“Probleme” 12). Even after the horrors of war may have confirmed the process of dissolution of social values, for human beings “dem ‘Zerfall der Werte’ eine ‘Integration der Werte’ gegenübergestellt werden soll, gleichsam als die logische Konsequenz, als die Schlußfolgerung, die aus der Erkenntnis des Wertzerfalls gezogen werden muß” (“Probleme” 12). Toward the end of this essay, Schönwiese also discusses Franz Kafka as an author who integrated universal values: Kafka “war derjenige, der an den Höhepunkten seines Lebens, in den erleuchteten Augenblicken mit absoluter Sicherheit um die letzte Wahrheit und den entscheidenden Sinn wußte, und der, trotz diesem glasklaren Wissen, in anderen Stunden ganz und gar ein Mensch seiner Zeit, der Zeit des verlorengegangenen Wertes war, und darunter litt” (“Probleme” 17). Schönwiese points out that Kafka’s prose reflects this tension, and that many readers vicariously experience the torture and depression in scenarios which seem to offer no exit. Schönwiese reminds us, however, that Kafka himself, according to Max Brod, at times shook with laughter when reading his own work aloud. “Das bestätigt das Gesagte aufs deutlichste,” states Schönwiese. “Es ist ein Unterschied, ob von einem klaren Wertmaßstab aus eine Situation betrachtet wird oder ob man ihr, die infolge der eigenen Wert-Unwissenheit nicht mehr durchschaubar ist, qualvoll ausgeliefert bleibt,” and gives the example of the person in Kafka’s parable, “Vor Traci S. O‘Brien 78 dem Gesetz”, who is never able to pass through the gate even when the means to do so was there all the time. 42 To Schönwiese, the presence of a “klaren Wertmaßstab” makes poetry, and more generally literature, relevant and important to humanity. Otherwise, it is simply “interesting” to literary critics and cultural studies (“Probleme” 15). Although he makes it implicitly throughout the essay, Schönwiese leaves one of his most interesting points for the very end. After he has spoken about Broch, Kafka, and also Robert Musil, Schönwiese relates how he returned to his Latin dictionary for the definition of “integratio” and found “renewal,” and that the verb integro means recreate, renew, or to begin anew. Thus, it becomes clear that Schönwiese’s reverence for tradition and values is a generative one (“Probleme” 18). 2. The next section of this paper centers on several published literary critical essays (on Friedrich Bergammer, Juliane Windhager, and Friedrich Torberg) as well as a biographical essay (on Johannes Urzidil) in terms of Schönwiese’s emphasis on the “integration of values.” Though seemingly two different types of essays - one literary, the other biographical - in practice they are very similar. In all of these essays, Schönwiese seeks to capture the essential aspects of the person’s life and work and how each author responds to the essentially human problem of “dieses Fehlen eines allen Menschen gemeinsamen Gefühls für Sinn und Wert des Daseins, das Fehlen eines immer präsenten Wissens um eine letzte Wahrheit” (“Probleme” 13-14). Thus, as Strelka notes, the difference between the literary critical and the biographical essay is one of percentage, not content. 43 Furthermore, my focus in this section is less on respective stylistic innovations, as that is not Schönwiese’s emphasis. As noted, for Schönwiese the mark of genius in the modern poet was the ability to rediscover a “Wertmaßstab” for humanity. Thus, I will be looking at Schönwiese’s discussion of these poets for this “Wertintegration,” or renewal of values, because such a focus underscores the view of Schönwiese as a progressive kind of traditionalist. In these essays, Schönwiese highlights, among other things, the renewal of values as expressed in revelatory kinds of metaphors: a flash of lightning or a light in the dark, metaphors of melting, unfreezing, and warmth, metaphors of genuine connection to others, or “Verkettung,” and communication with “Sprache jenes echten Wertes” (“Probleme” 14). It is worth noting, as Strelka does, that Schönwiese’s poetic ability is 42 Franz Kafka, “Vor dem Gesetz,” in Sämtliche Erzählungen (Frankfurt a.M.: Fischer, 1970: 131-2; cited in Schönwiese, “Probleme,” 18). 43 Strelka notes that, “[g]anz wie bei den biographischen Essays liegt auch bei den literaturkritischen Essays ihre Bedeutung darin, daß aufgrund von Schönwieses persönlicher Hingabe und Durchdringung des jeweiligen Werks sowie seine lebendige Kenntnis der Autoren die behandelten Dichtungen zu einem plastischen Leben erweckt werden” (Nachwort 257). See also Strelka, Werk und Leben, 73, 76-7. A Progressive Traditionalist 79 demonstrated not only in his ability to discern the quality of the work he analyzes but that he is also able to elevate his own essays into “Kunstprosa.” 44 One of the things which Strelka finds most appealing about Schönwiese’s literary critical essays is their dearth of dry facts. Instead, Schönwiese brings his subjects to life for the reader, gives them “plastisches and farbiges Leben.” 45 I also note that Schönwiese looks at each of these authors for what they contribute beyond themselves and how they struggle to find and create meaning in the face of this acknowledged “Wertzerfall.” In Friedrich Torberg’s work, for example, this is made even more powerful by his experience of exile or in Juliane Windhager’s case, by the realization and poetic rendering of her own mortality, to which she responds with acceptance rather than rebellion. At the core of each of Schönwiese’s essays is the essential question of life’s meaning, “das immerwährende Ringen menschlichen Geistes um Selbstbesinnung” (“Probleme” 15) and how this is reflected in the life and work of the poet. Moreover, this struggle is consistently connected to something outside the self, or the attempt “das Verbindende zu suchen,” as Friedrich Torberg does through connection to an other, or the “Du.” 46 All of Schönwiese’s chosen poets and authors mirror this challenging process of finding and creating meaning through connection. They all attend to their contemporary reality with values that he calls timeless. Any other kind of work, Schönwiese has stated, may well be interesting, but will not have the same impact, nor will it endure over time. In the following, I will be looking at the “plasticity” which Schönwiese creates for his readers, first via this reintegration of values, and second, for his discussion of the difficult aesthetic he perhaps shares with them. Schönwiese therefore often reminds his audience that only the attentive and meditative reader will gain access to the works which he discusses. Fritz Glückselig, or Friedrich Bergammer as he was known to the reading public, is one example. 47 Schönwiese begins his analysis of Bergammer’s poetry with a quotation from the poet about his own calling: “Wenn der Dichter im Dunkel menschlich mit sich selbst spricht, wie sollten seine Worte nicht orakelhaft klingen? ” 48 As this afterword to Bergammer’s collection was published in 1959, it is not surprising that one would find parallels to the essay on “Wertintegration” discussed above. Indeed, by quoting this line from 44 Strelka refers Friedrich Sengle and his naming of the fourth literary genre, namely “die nichtfiktionale Kunstprosa,” Werk und Leben 73, n63. 45 ibid 73, 76-7. 46 Schönwiese acknowledges Martin Buber in this context of the reference to the I/ Thou. This is also, of course, the subject of much of Schönwiese’s poetry. 47 According to Strelka, it was Schönwiese who suggested the pseudonym to this talented young lyric poet. See Strelka, Nachwort, Kunstprosa, 256. 48 Ernst Schönwiese, “Friedrich Bergammer: Die Fahrt der Blätter,” in Kunstprosa 131-5; originally published in Die Fahrt der Blätter, by Friedrich Bergammer (Wien: Bergland, 1959: 65-71). Traci S. O‘Brien 80 Bergammer, Schönwiese addresses the very issue of a “babylonische Sprachverwirrung,” or the “falsche und trügerische Verzauberung durch Scheinwerte” (“Probleme” 13, 16). The mysteriousness of the poet’s words arises from the fact that he is speaking “menschlich” - or of humanity for humanity - in the darkness of a “Welt des illusionären Irrtraums” (131). In this essay, Schönwiese continues to quote Bergammer: “Das Sein der Dichtung ist die Wirklichkeit,” but clarifies for the reader that he does not mean some kind of “naturalist” reality (as Naturalism never really took root in Austria anyway 49 ), but rather the “real reality” of correspondence between the “Geist- Seele” and the “Welt-Erscheinung” (131). It is the difference between an “Irrtraum” and a “Wahrtraum” (131) for which the poet is one of the privileged speakers. 50 Without the traditional values which may have previously been a unifying force, universal ideals may in fact seem “orakelhaft.” As Schönwiese states, “da der Prozeß des Wertzerfalls beinahe an das Ende seines Weges, den Nullpunkt gelangte, das Gebäude unserer Sinn gebenden Beziehungen nahezu vollständig eingestürzt ist und der Einbruch des Chaos immer unaufhaltsamer wird … ist es daher angezeigt, den ‘Erlebnisurgrund’ von Dichtungen wie denen Bergammers ein wenig zu verdeutlichen” (131). They are not mere “snack-poems,” but rather hermetic texts which only reveal themselves to the meditative reader. The tension in Bergammer’s poetry, according to Schönwiese, is between two fundamentally different types of human existence: “die des vollen Seins und die des abgefallenen, sinnentleerten, bruchstückhaften Seins” (131). In Bergammer’s own aphorisms which Schönwiese cites, the former is expressed by “Verkettung,” which is the highest human goal, and the latter with the notion that “die einzige Beziehung zwischen Mensch und Mensch das eisige Interesse zu werden droht” (131). The former is possible with the recognition that there is an individuality which is, in fact, not “Ich-bezogen” or self-centered, but rather based on something higher outside of individual human existence which can flow through the individual as spirit. It is the allusion to spirit in Bergammer’s poetry that indicates the possibility of transcendence, or the “Versöhnung des Gegensatzes” (133). Transcendence for the poet (and ostensibly the reader) is enabled by a spiritual “Können,” or something outside the self, as Schönwiese demonstrates in his 49 See Ivar Ivask, “Austrian Literature,” in Encyclopedia of World Literature I (New York: Frederick Ungar, 1967: 70-82) 71. 50 The dream is another important metaphor in Schönwiese essays. For example, he quotes from a letter by D.H. Lawrence: “Nicht ihrem Verstand dürfen Sie vertrauen, noch Ihrem Willen - sondern jenen tiefen Gefühlsvermögen, das die verborgenen Wellen empfängt, die aus den Tiefen des Lebens kommen. Es ist etwas, was unterhalb des Bewußtseins und unterhalb des Willensbereichs vor sich geht - es ist etwas, was unerkannt geblieben und verloren gegangen und zerstört worden ist. Überlassen Sie sich dem Traum der größeren Wahrheit, der tiefsten Wahrheit, der tiefen, tiefen Kraft und Abgründigkeit der Quelle” (181). A Progressive Traditionalist 81 interpretation of the following poem by Bergammer entitled “Kunst”: “Kunst ist Nicht-Können/ das ein Können bewältigt./ Was wäre Kunst sonst? / Können, das ein Können bewältigt? ” (133). As Schönwiese explains, transcendence does not mean that either disappears, but rather that both elements are always present, that is, “Können” and “Nicht-Können.” In Bergammer’s poetry, the tension between the two creates the knife’s edge where they meet, but also the literal and metaphorical “Schwinge” (133) where question and answer become one, thus symbolizing also “die Vereinung” (133) which is the goal of meaningful human existence. The reality described and endorsed by this poetry is challenging, but Schönwiese emphasizes the reward of being able to understand this difficult poet - that is, transcendence of the chasm that separates these two ways of being and glimpsing the “Wahrtraum” or, here, “Erlebnisurgrund”: [h]at man auf diese Weise den Erlebnisurgrund erfaßt, so ist damit auch die Verständigung mit einem Autor erreicht, der dem Ruf nach einer Poesie, die durch das reinigende, läuternde Fegefeuer eines höheren Bewußtseins geschritten ist, dank seiner religiösen Kraft nachzukommen vermochte. (134) Having understood this poet, the meditative reader has mirrored the poet’s process of finding his way to the “truedream.” As Schönwiese notes, Bergammer’s aim is to mediate these most difficult ideas with contemplative gestures, in images and form, whereby reading and understanding the poem is akin to reading and understanding the “truedream.” In contrast, Schönwiese levels clear criticism at other contemporary poets who shy away from or shun essential value: [Bergammer] ist kein ‘Gedankenlyriker,’ wohl aber frei von jener oft verhängnisvollen Scheu vor dem Geistigen, die einen großen Teil der zeitgenössischen Lyrik so geistlos erscheinen läßt, und den wahren Wirklichkeiten entfremdet, und sie, trotz stofflicher Zeitnähe, völlig zeitfern an allem, wonach die Zeit verlangt und was ihr Not täte, blind und taub vorübergehen läßt. (134) As Bjorklund points out, the relationship to tradition is one of the “crucial issues” in Austrian thought, whereby “convention and innovation interact to produce a redefinition of received structures and a reformulation of old questions in accordance with the changing attitudes of present-day society” (26). With his criticism, Schönwiese underscores the assertion that “old questions” are in fact part of the poet’s mission. While Schönwiese’s aesthetic may seem to be a kind of call to traditionalism, Schönwiese emphasizes that these moments of “Verkettung,” or connection, in Bergammer’s poetry are in fact also moments in their own time, which address anew questions of relevance to contemporary human existence. Traci S. O‘Brien 82 Humanist ideals create the framework we need in order to understand Schönwiese’s concept of tradition and his search for meaning, as well as his criticism of the avant-garde. In another essay, Schönwiese tries to answer the question, “Wo bleibt die wirkliche Avantgarde? ” The problem is that der konkrete Mensch entfiel der Kunst ausgerechnet zu einem Augenblick, da nichts notwendiger war, als den konkreten Menschen in der Wirklichkeit seines Daseins gegen die Gleichgültigkeit zu manifestieren. Die Avantgarde der Künste war des Menschen überdrüssig geworden. Statt wahrhaft zu rebellieren, und zwar gegen den Schwund an menschlicher Wirklichkeit, äffte sie nur noch den gleichgültigen Menschen nach. (134) 51 Schönwiese criticizes the rejection by the avant-garde of any real quest for meaning and the denial that it even exists. In such work, human existence becomes an abstract concept, disconnected from any real meaning, a poetic move that perpetuates the dissolution of values rather than standing against it. In contrast, he calls Bergammer’s “Kriegsballade,” which depicts the moment of church bells ringing in a city after it has been bombed, a poem in which “eine Zeitsekunde ins Zeitlose gehoben worden ist” (135). 52 Schönwiese highlights this poetic moment because human being and thing contemplated become one, and in the process a person is again made conscious of “real reality.” It is the moment of the “Schwinge,” or the moment in which one glimpses the true meaning of existence, even in the face of seeming meaninglessness. Rather than producing abstraction and indifference, Schönwiese emphasizes that such moments facilitate that, “das Innere sich am Erschauten ordnet, klärt und erfrischt” (134), and when this occurs, “das Eis zu schmelzen, das Erstarrte wieder zu fließen vermag” (135). The image of ice melting is contrasted with the frozen state of disconnected being. In Schönwiese’s view, a unifying tradition cannot be frozen or inflexible; it cannot be accessed through nostalgia, nor is it located solely in the past. By the same token, his skepticism of the avant-garde arises from his view that it is not necessarily making actual (or productive) rebellion against tradition. As Strelka explains, Schönwiese consciously harkened back in his own poetry to the time before the Anschluss with Germany and proved that “man als ehrlicher und ernsthafter Dichter selbst in der unmittelbaren Nachkriegszeit durchaus nicht erst das Dichten neu erfinden hatte müssen.” 53 A 51 Heinz Beckmann, “Flucht aus dem sechsten Schöpfungstag” (Rheinischer Merkur [1959]; quoted in Schönwiese, “Ohnmächtige Nachhutgefechte,” 134). 52 This poem was one of two poems by Bergammer included in the anthology of Austrian poetry, Das zeitlose Wort, collected by Joseph Strelka with an Afterword by Ernst Schönwiese. See Friedrich Bergammer, “Kriegsballade,” in Das zeitlose Wort (Graz and Vienna: Stiasny, 1964) 152. 53 To this Strelka adds somewhat cynically, “die Behauptung, man hätte es müssen, beweist keinesweg ihre Richtigkeit” (Werk und Leben 9). On this point, see also Bjorklund, esp. 25-7. A Progressive Traditionalist 83 humanist tradition is, in fact, the very thing which allows, in Bergammer’s poetic world view, for transcendence of “das eisige Interesse” or “die eiskalte Berechnung” (Lawrence) which prevents human beings from finding commonality with or being connected to one another. Schönwiese affirms transcendence of a self-centered subjectivity in mul- tiple traditions, including, but not limited to, Christianity. As Strelka points out, what differentiates Schönwiese from other modern poets who use traditional images is the difference between a fractured, piecemeal play with imagery and the harmonic use of images in service of human connection (“Verkettung”). 54 Schönwiese validates the evocation of ancient traditions which shed light on the human condition and the continuing struggle to find meaning in our existence. Thus, he stands in the poetic tradition of attempts to mediate this “Erlebnisurgrund,” as Bergammer does. The surrender to a uni-versal truth is precisely the quality which Schönwiese admires in Juliane Windhager’s poetry as well. He affirms her embrace of the unchangeable nature of human mortality and its transmutation into the surrender to something higher than the self. Similar to Schönwiese’s suggestion that universal truths do, in fact, exist whether acknowledged by human beings or not, so too does human mortality linger waiting to be (re)discovered as unalterable truth. Schönwiese begins his essay on Windhager, originally published as an afterword to her collection, Der linke Engel (1959), by telling the story of how they first met, or rather how he first encountered her work. 55 Standing out starkly in a stack of entries for the Österreichischer Staatspreis in 1956, her poetry made Schönwiese believe that he had encountered “eine neue und echte Dichterin” (136). Born in 1912 and already a published author of prose under her maiden name, “neu” she was not; thus he was surprised he had not met her previously. However, she was “eine Dichterin, die, fern von allem Ehrgeiz zu veröffentlichen, ihre Verse schrieb, als reinen Ausdruck und Niederschlag eines persönlichen Werde- und Reifeprozesses.” This connection between Windhager’s personal and her poetic growth is made manifest for Schönwiese in a poet who “wahrhaft vergönnt ist, ‘zu lauschen den Stimmen über unserer Endlichkeit” with humility and acceptance (137). Another significant feature of Windhager’s poetry which Schönwiese affirms is her use of both ancient and Christian symbolism to connect a profound love of “das Diesseits,” to something beyond. As Schönwiese sees it, the finite world in her poetry becomes “zugleich zur klar lesbaren Schrift dessen, was weit darüber hinaus geht.” But, again, such a connection is easily misunderstood, suggests Schönwiese. “Man versteht diese Gedichte, ihre ganze Tiefe und Fülle jedenfalls, erst, wenn sich einem das in der vorder- 54 Strelka, Werk und Leben, 19. 55 Schönwiese, “Juliane Windhager: Der linke Engel,” in Kunstprosa 136-41; originally published as Nachwort, Der linke Engel. Gedichte, by Juliane Windhager (Wien: 1959: 71-2). Traci S. O‘Brien 84 gründigen Sicht Gegebene - dank der Suggestivkraft der Dichterin - zu Durchblicken auf weitere, immer tiefere und reinere Ebenen geistiger Schau öffnet” (139). 56 By way of example, Schönwiese excerpts parts of her poem about children picking berries. In this poem, Windhager combines the ripeness of the fruit with their mortality - of the fruit to be sure, but also of the children. The sweetness and scent distracts from this reality, but it remains present in the sweet ripeness of the fruit, which is, in turn, contrasted with the presence of the children and the “verwunschenes Gespinst” which is the finite world. The poet wishes that they might see and recognize the mortality, because it is in this mortality that one really tastes the fruit. “Wagt euch, ihr Hände,/ gemach in das Dickicht,” the poet charges, “Diesseits nur findet ihr,/ sterblich und schön ...” Then, as Schönwiese tells us, the poem ends with the mysterious line, “Drüben ist nichts so getrost ohne Ruhm” (139). Schönwiese does not completely solve the mystery for his readers, but keeps pointing us in the right direction. It is the universal quality of human existence and its ultimate reality that Windhager wants us to remember: “Wir haben die Schwelle vergessen, über die wir in dieses Leben traten und über die wir wieder aus ihm gehen werden” (141). What Schönwiese says about Broch, therefore, also holds true for Windhager: “Immer geht es … um die Wieder- Erinnerung des gesicherten Wert-Mittelpunktes, von dem aus alles menschliche Wirken, das ethische wie das ästhetische, hirarchisch eingeordnet wird, und erst Sinn und Bedeutung erhält” (“Probleme” 15). Schönwiese’s essay on Friedrich Torberg, entitled “Die chassidische Seele singt: der Lyriker Friedrich Torberg (1908-1979),” also brings attention to the essential humanist quality of the latter’s poetry, despite the experience of persecution and exile. 57 Schönwiese praises Torberg’s narrative talents, but he introduces him as a poet. In fact, Schönwiese first became acquainted with Torberg through those verses written in exile but not read by Schönwiese until after the war. Schönwiese’s essay, written some thirty years after this first acquaintance, still evokes the postwar period and reminds the reader of the poet’s power, as well as the social and cultural importance of such affirmative power, in times of crisis and seeming meaninglessness. In this way, the poet mediates “Wissen um jenes ‘Uralte’ … , das zugleich immer auch das wahre Neue ist.” 58 Schönwiese describes the immediate postwar era as the time when everyone “auf die literarischen Arbeiten warteten, die dem erst Durchlebten und Durchlittenen Ausdruck geben würden.” Of course, Schönwiese, “der eine Zeitschrift herausgab, die ... bewußt die Brücke über den Abgrund 56 Four of Windhager’s poems are included in the anthology, Das zeitlose Wort. Two of these, namely “Die Zeit begreifen” and “Überfuhr,” had previously not been published in book form. See entry on Windhager in Quellennachweis, Das zeitlose Wort, 248. 57 This essay appears both in Kunstprosa (156-60) and Schönwiese, Literatur zwischen 1930 und 1980 (Vienna: Amalthea Verlag, 1980: 159-66). For consistency, page numbers here refer to the essay in Kunstprosa. 58 Strelka, Introduction, Das zeitlose Wort, 8. A Progressive Traditionalist 85 schlagen wollte, wartete umso ungeduldiger” (156). Schönwiese reminisces about how Torberg provided the “lyrische Formel für alles Ersehnte, Verlorene, Unerreichbare” and calls these poems, “Verse, in denen ein Dichter dem Augenblick geantwortet hat, ohne erst der viel berufenen ‘Distanz’ oder irgendeiner ‘Vergangenheitsbewältigung’ zu bedürfen: hier war unmittelbare Gegenwart unmittelbar bewältigt worden.” It was the transcendent quality of poetry which made this possible, because even in the face of horror, “Wort bleibt Wort. Reim bleibt Reim. Lied bleibt Lied” (156). At the same time, this “dich-terische Gestaltung der Zeit” was possible, according to Schönwiese, precisely because Torberg had such a deep - and flexible - relationship to his tradition. In other words, Torberg had “eine chassidische Seele, … die Seele eines Mystikers,” something which Schönwiese connects to Torberg’s admiration for Martin Buber’s work (158). Ultimately, Schönwiese admires the attempt at “Ich-losigkeit” in both Torberg and Buber. It is evident to Schönwiese about Torberg, but also to today’s reader of Schönwiese’s essay about Schönwiese himself, that this is not some nostalgic evocation of tradition for its own sake, but a humble attempt to live up to it and to make it relevant for one’s contemporary society. As noted above, the difference between Schönwiese’s biographical essays and his literary critical essays is a matter of proportion, not of substance. Though Schönwiese consistently seeks to connect salient details from an author’s life to his or her work, such details are naturally emphasized more in the biographical essays. In his essay on Johannes Urzidil, Schönwiese organizes his essay around two relevant details from Urzidil’s life which he connects meaningfully with Urzidil’s work. These are: his (German-speaking) Czech heritage and his reliance on “Handwerk” as a way of negotiating responsibility both to people and to things. 59 Urzidil’s heritage connects him to Rainer Maria Rilke, Franz Kafka, Gustav Meyrink, Max Brod, Hermann Grab, and other well-known authors from this time. Aptly titled, Schönwiese’s essay on Urzidil, “Der letzte grosse Erzähler der Prager Schule: Johannes Urzidil (1896-1970),” leaves no doubt as to how he sees Urzidil in this tradition. 60 At the beginning of the essay, Schönwiese allows Urzidil to introduce his birth city himself. As Urzidil describes it, Prague war die Geistesmitte des Landes, das Goethe als ‘Kontinent im Kontinent’ bezeichnet hatte; die Stadt der Tschechen, der Deutschen und des österreichischen Adels, wo zwischen Romantik und Gotik der Türme, dem Barock der Fassaden und Kuppeln und über dem 59 See Strelka, Werk und Leben, 73-5. 60 Schönwiese, “Der letzte grosse Erzähler der Prager Schule: Johannes Urzidil (1896- 1970),” in Literatur zwischen 1930 und 1980 (Vienna: Amalthea Verlag, 1980: 127-44). As Strelka notes, Schönwiese knew Urzidil long before the latter became famous after the Second World War. In 1935, Urzidil was the foreign editor for Schönwiese’s journal, das silberboot, in Prague. After the war, they renewed their friendship and Schönwiese supported Urzidil’s work. See Strelka, Kunstprosa, 257. Traci S. O‘Brien 86 Schwung der Moldaubrücken noch die Klänge Mozarts vernehmbar waren, der ‘seine Prager’ liebte, und die holdselig-herben Musiken von Smetana und Dvořák; die Synagogenstadt, wo noch immer der Golem herumgeisterte und wo man den Gestalten aus den Meisternovellen von Jan Neruda persönlich begegnen konnte. Und es war dieses Prag vor allem die Mitte der uralten Heimat zweier Nationen, die - ungeachtet aller Fehden - Form und Schicksal des Landes gemeinsam gestaltet und geprägt und die Mühe und Liebe vieler Geschlechter daran gewendet hatten. 61 Moreover, it seems clear that Schönwiese endorses Urzidil’s view of his own tradition and the generative effect, as well as the intellectual importance, of the atmosphere in this relatively small nation. Subsequently, Schönwiese again lets Urzidil have the word: “Kleine Nationen haben die gleichen Stärken und Schwächen wie große, die völlig geschichtsbrache Zeitläufe durchleben können, während ein benachbartes ‘kleines’ Volk unvergängliche Beiträge zur Förderung, Vertiefung oder Befreiung des Menschentums leisten mag” (127). Schönwiese clarifies the concept of freedom in the following: “Freiheit, so darf man hinzufügen, zwar gewiß auch im staatlichen und politischen Sinn, sehr viel mehr aber noch im Sinn der inneren Freiheit jedes einzelnen. Es geht also um die Kontinuität geistig-seelischer Haltungen, die ihre Wurzeln in den durch die Jahrhunderte ererbten und weiter geformten Tiefen des menschlichen Wesens haben und mit metaphysischen Gewißheiten verbunden sind” (127-8). 62 In his analysis of Urzidil’s life and work, therefore, Schönwiese also invites the meditative reader to attend to what is universally meaningful while at the same time deeply rooted in a tradition. The second biographical element that Schönwiese discusses is Urzidil’s work as a leather craftsman. Schönwiese highlights this fact by discussing Urzidil’s essay, “Über das Handwerk” (128-9), and points out the explicit relationship Urzidil sees between craftsmanship and poetry in the “Zusammenhang zwischen der Verantwortung gegenüber Menschen wie Gegenständen und dem Gefühl, auch der Materie Rechenschaft zu schulden” (129). 63 The parallels between art and craftsmanship surface multiple times in Schönwiese’s essay with quotations by Goethe (129) and by Kafka (130). 64 61 Johannes Urzidil, Geschenke des Lebens (Wien/ Graz: Stiasny, 1962: 7-8), quoted in Schönwiese 128. This description of Prague as a city of disparate energies and influences which create productive dynamics also brings to mind Schönwiese’s essay entitled “Marginalien” in which he describes Austrians as “being” (“sein”) productively between such energetic poles. 62 While such a statement could certainly be politically provocative as it seems to privilege individual fate over the social, one should also remember that, according to Schönwiese, this type of individual freedom is necessary to resisting totalitarianism and fascism. 63 Johannes Urzidil, “Über das Handwerk,” in Fragen der Zeit (Agis Verlag, Krefeld 1954: 4- 31). Strelka emphasizes the fact that Schönwiese was able to single out Urzidil’s essay, “Über das Handwerk,” as an indicator of Urzidil’s essential world view. See Werk und Leben 73-5. 64 Strelka also comments on these connections (ibid 73). A Progressive Traditionalist 87 Moreover, part of the epigram by Urzidil with which Schönwiese chose to open his own essay resonates with these feelings of responsibility. Urzidil wrote: “Wer endlose Mühe an das zarte und feste Gewebe der Dichtung setzt, der muss streng mit sich selbst und unbestechlich mit dem Material verfahren” (127). In a formulation which calls to mind Bergammer’s reverence for the object, for Urzidil, “das Gegenständliche [bildet] die Voraussetzung und den Ausgangspunkt aller Künste - einschließlich der Dichtung” (129). Schönwiese also notes how Urzidil draws a parallel between the “Stufengang vom Lehrling zum Gesellen und zum Meister” of both the craftsman and the artist (130). To discuss Urzidil’s own development as a crafter of fiction, Schönwiese places his first published short story, “Barnabaal,” written when Urzidil was not quite 25 years old, side by side with one of his much later stories, “Traum eines Löwenbändigers,” published when Urzidil was 60. 65 Most certainly chosen by Schönwiese because of their thematic similarity, both stories have a circus-like element to them. The former narrates the experiences of a giant who is put on display in a circus booth, and the latter of a lion tamer at a circus whose own lion comes to him in a dream. Indeed, Schönwiese says, “der entscheidende Unterschied der neuen Arbeit gegenüber der früheren liegt aber in der psychologischen Vertiefung des Problems” (134), which is accomplished by the shift in point of view. In the earlier work, the story is told from the perspective of the imprisoned spirit (that is, the giant). In the later story, the human being has a dream in which his repressed soul speaks to him. Despite the obvious growth in artistic ability, each story achieves, according to Schönwiese, “die Gestaltung einer Erkenntnis und Erfahrung von zeitloser Allgemeingültigkeit” (134), namely the tension between “dem echten Wesen und dem Unwesen verlogener Künstlichkeit” or “der vom Alltagsbewußtsein längst verdrängte Konflikt zwischen Natur und Unnatur, zwischen echtem Leben und Dekadenz” (134-5). Though Schönwiese does not mention Bergammer specifically, he has pinpointed in Urzidil that quality which corresponds to the seeming breech between a world of illusion and the “Wahrtraum,” which was the lyrical idea at the center of Bergammer’s poetry. Schönwiese does accentuate the timeless themes at play here with a reference to the well-known parable by Paul Claudel, “Animus and Anima” (135). 66 When reading Urzidil’s short story, one must think about Claudel’s parable of 65 As Schönwiese notes, Barnabaal first appeared in the periodical, Die Dichtung, in 1921. It appeared the following year in Otto Pick, ed., Deutsche Erzähler aus der Tschechoslowakei (Reichenberg : Heris-Verlag, 1922). “Traum eines Löwenbändigers” appeared in Wort in der Zeit (2.2 [1956]: 6-10). 66 For both a translation of this parable as well as a discussion of its importance in a religious context, see D.C. Schindler, “Why We Need Paul Claudel” (Communio: International Catholic Review 34 [2007]: 120-49), esp 131-4. Traci S. O‘Brien 88 Verstand und der Seele, oder noch deutlicher: dem eitlen Kopf und dem wachen Herzen. Wenn der Löwe klagt, daß er sein wahres natürliches Wesen unterdrücken muß und sich selbst bändigt, während der eitle Kopf des Dompteurs sich einbildet, er selbst sei es, der da bändigt und leitet, so glaubt man Anima, die Seele, klagen zu hören, die Seele, die zu sich selbst zurückkehren will. Das Wissen, daß wir in Wirklichkeit die Seele sind und nichts von dem, wofür unser dummer Verstand uns halten mag, lebt als unauslöschliche Erinnerung für immer in uns und kann nie vergessen werden. (135-6) This idea of an “unauslöschliche Erinnerung” is one that connects not only the two stories by Urzidil, and the parable by Claudel, but also Kafka’s parable, “Vor dem Gesetz,” to Schönwiese’s essay on “Wertintegration.” Specifically, all works have at their core the theme of continued existence of universal human values even if they are outside the boundaries of individual perception or even consciousness. Schönwiese calls “Traum eines Löwenbändigers” a “furchtbare Versinnbildlichung der heutigen Situation des Menschen” (137). But as noted above, Schönwiese asserts that “Götter, die sterben können, nie welche [waren].” The same hope exists for human beings, Schönwiese says, in Urzidil’s prose: “die Totgeglaubte [kann] erwachen, sie, die niemals wirklich zu sterben vermag und zu der wir, als zu uns selbst, als zu unserm wahren Selbst, zurückkehren müssen” (137). The idea that something indestructible exists outside of mere individual self-absorption, is a red thread throughout Urzidil’s poetry as well as his fiction. Schönwiese picks up the metaphor of craftsmanship again in the discussion about Urzidil’s poetry and connects the idea of the craftsman (or, the poet) with the tool of its production (“Werkzeug”). He highlights Urzidil’s ability to become the “Organ des Geistes” (143), having just reminded the reader of Goethe’s command, “mache ein Organ aus dir! ” (140). Schönwiese emphasizes at this point that “an allen Gestalten, die [Urzidil] schuf, an allen Schicksalen, die er nachzeichnete, war ihm der rational nicht völlig auflösbare Rest wichtiger als das für den Verstand Nachrechenbare” (143). Indeed, the very first line of the epigram which began the essay, points to that which cannot be grasped consciously or rationally: “Dichter dichten stets mehr als sie wissen,” wrote Urzidil (127). Not only does this quotation identify Urzidil as someone who is of like mind, but it connects both of these two relevant details from Urzidil’s life. On the one hand, it points to the mysterious unknown stating quite clearly that there is something beyond the human experience for which the poet is a conduit (similar to the “nicht-Können” of Bergammer’s poem cited above). On the other hand, the metaphor underscores the painstaking craftsmanship at the heart of Urzidil’s commitment to his literary work. I have spent a good deal of time talking about what Schönwiese had to say about other writers, rather than focus on Schönwiese’s own poetic work. Nevertheless, this dialog - between Schönwiese, the authors, and us - offers ways in which Schönwiese’s words are still relevant because of his appeals to A Progressive Traditionalist 89 certain kinds of tradition. He reminds us to think about how we talk to each other, to choose our words carefully - as the poets do - because words are unique instruments of communication rather than, as the “concrete” poets might argue, objects of curiosity unto themselves. Furthermore, the search for meaning in words, in texts, which is often difficult and requires meditative thought, is a way in which art mimics life. In other words, the reader looks for meaning und in the process “die Erringung eines Zustandes, in welchem ‘der geheimnisvolle Funken im Grunde der Seele zu leuchten beginnt.’” 67 Schönwiese’s literary critical essays are valuable because he so clearly gives us insight into the transformative possibilities of tradition within the work of a wide variety of writers. He also provides a model to those of us in the humanities of what one can do with humanistic tradition(s). We can, like Schönwiese does in these essays, attempt to make meaning relevant to our students, “Brücke schlagen,” between the seeming irrelevance of any kind of universal, and the assertion that any kind of true individuality - as he contends with Gide - is not antithetical to but rather consistent with universal values. In fact, individuality is dependent on these universal values. It seems that we in academia today are perpetually in a state of theoretical adolescence - thinking that our parents (that is, tradition) have nothing to teach us. Some may resist tradition or “universals” because they believe that it has been used for unethical purposes - that is, to erase difference and exclude those who do not seem to fit (due to gender, ethnicity, race, or other particularities). However, Schönwiese asserts that tradition must be flexible and open to innovation to be valid. Thus, what he calls forth is not the erasure of difference but rather the affirmation of something essentially human despite our differences. Thus, I end on the idea which began this paper: Ernst Schönwiese, progressive traditionalist. 67 Schönwiese, “Fünf Thesen zur heutigen Literaturkritik,” 17. Aspekte der Dichtung Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit: Aufbau und Strukturelemente von Schönwieses Gedichtzyklus Antworten in der Vogelsprache Klaus Weissenberger Aus mehreren Gründen kommt Ernst Schönwieses letztem Gedichtband Antworten in der Vogelsprache von 1987 eine besondere Bedeutung zu: Zum einen handelt es sich dabei nicht um eine Sammlung von Gedichten aus einem bestimmten Lebensabschnitt, sondern um einen Gedichtzyklus, der als solcher konzipiert ist; denn er besteht aus vier Abschnitten, die eine gewisse Abfolge von Entwicklungsstufen implizieren. Es sind Stufen eines mystischen Versenkungsprozesses, mit deren dichterischer Gestaltgebung Schönwiese seine Summa Poetica vorgelegt hat, der deshalb auch kein weiterer von ihm autorisierter Lyrikband gefolgt ist. 1 Der Zyklus beginnt mit dem als Motto zu verstehenden Eingangsgedicht, das auch als Erklärung zum Gesamttitel dient: Die Sprache der Vögel erlernen, wie im Märchen! - Vergiß dein eignes Geschwätz - Und das Märchen ist Wirklichkeit. (6) In vielen Mythen und esoterischen Traditionen gelten Vögel als Symbole der menschlichen Seele oder kosmischen Repräsentanz und haben als solche Eingang in die Märchen gefunden. Ihre Sprache zu verstehen, kommt dem Einklang des religiösen Urmenschen mit der sakralen Zeit, in illo tempore, gleich. Entsprechend beginnt das Märchen Der Zaunkönig mit dem Hinweis auf diesen Zustand: „In den alten Zeiten, da hatte jeder Klang noch Sinn und Bedeutung. [...] Zu dieser Zeit hatten auch die Vögel ihre eigene Sprache, die jedermann verstand, jetzt lautet es nur wie ein Zwitschern, Kreischen und Pfeifen, und bei einigen wie Musik ohne Worte.“ 2 In den Märchen der Brüder Grimm wird durch den Sprachwechsel auf die Zugehörigkeit der Vögel zum magischen Bereich hingewiesen; entweder sprechen sie in Versen oder in hochdeutschen Märchen auf Plattdeutsch und in plattdeutschen Märchen auf Hochdeutsch. In Aschenputtel (KHM 154-164) sind es die Vögel, die Aschenputtel drei Mal auf ihre Bitte hin zu einem Kleid verhelfen, das ihrer seelischen Vollkommenheit so sehr entspricht, dass Stiefmutter und Stiefschwestern sie nicht erkennen können, und die Vögel sind es, deren gereimten Spruch über den Misserfolg und Erfolg der Schuhprobe der Prinz 1 Ernst Schönwiese: Antworten in der Vogelsprache. Gedichte (Limes: 1987). 2 Kinder- und Hausmärchen, ges. durch die Brüder Grimm (München: Winkler, 1984), 715. Im folgenden mit der Sigel “KHM” bezeichnet. Klaus Weissenberger 94 verstehen kann, wodurch er seine Ebenbürtigkeit mit Aschenputtel beweist. In Sneewittchen (KHM 297-308) verweisen die Vögel auf den alchemistischen Prozess, für den die Heldin prädestiniert ist; denn die Wunschvorstellung der Mutter von einem Kind so weiß wie Schnee, so rot wie Blut, und so schwarz wie der Rahmen aus Ebenholz verweist auf die drei Entwicklungsstufen der materia prima im alchemistischen Prozess von nigredo über albedo zu rubido, 3 und nachdem die Zwerge Sneewittchen im Sarg mit ihrem Namen in goldenen Buchstaben aufgebahrt haben, halten drei Vögel Wache, eine Eule, ein Rabe und zuletzt eine Taube - während die Eule als Symbol der Weisheit den Prozess als solchen symbolisiert, verweisen Rabe und Taube auf die beiden ersten Stufen des Prozesses, der mit den Buchstaben des Namens aus Gold seinen Höhepunkt darstellt. Der Prinz beweist seine Auserwähltheit, indem er Sneewittchen von den Zwergen als Geschenk erbittet, nachdem er sie von ihnen „nicht um alles Gold auf der Welt“ erlangen konnte. Das unabsichtliche Stolpern seiner Diener, das das Übergreifen des kosmischen auf den profanen Bereich indiziert, führt zur endgültigen Überwindung der negativen Elementargewalt des Mütterlichen. Entsprechend dieses Purifikationprozesses stirbt die Stiefmutter durch das Feuer. In Fitchers Vogel besteht die jüngste Tochter die Probe des Hexenmeisters, indem sie das ihr anvertraute Ei in Sicherheit bringt, bevor sie die ihr verbotene Kammer betritt, wo sie ihre beiden zerhackten älteren Schwestern und viele auf gleiche Weise umgekommene Mädchen vorfindet. Aufgrund ihrer psychischen Integrität kann sie ihre Schwestern wieder beleben, indem sie alle Körperteile richtig zusammenfügt, bis keiner mehr fehlt - also Ordnung aus dem Chaos schafft. Während sie den Hexenmeister, der sie aufgrund der bestandenen Probe heiraten will, dazu zwingt, ihre Schwestern wieder zurück nach Hause zu bringen, rettet sie sich dadurch, dass sie einen als Braut geschmückten Totenkopf aus dem Bodenloch des Hexenhauses herausschauen lässt, sich als Vogel verkleidet und als solcher die Hochzeitsgäste und den zurückkehrenden Bräutigam täuschen kann, weil einerseits ihre Verkleidung dem natürlichen Entwicklungsprozess der Vögel entspricht und andererseits der Totenkopf den verdienten Tod des Hexenmeisters indiziert, so dass sie mit ihrem Spruch, also in der Vogelsprache antwortend, die Wahrheit sagt: ‚du Fitchers Vogel, wo kommst du her? ’ ‚Ich komme von Fitze Fitchers Hause her.’ ‚Was macht denn da die junge Braut? ’ ‚Hat gekehrt von unten bis oben das Haus, und guckt zum Bodenloch heraus.’ (KHM 260) Im goldenen Vogel (KHM 321-328) ist es ebenfalls der dritte Sohn, dem es gelingt, die verlorengegangene spirituelle Harmonie wieder herzustellen. Be- 3 Hedwig von Beit: Symbolik des Märchens. Versuch einer Deutung I (Bern: Francke, 2. Aufl., 1960), 702. Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit 95 sonders auffallend bei diesem Märchen ist die differenzierte archetypische Grundkonstellation. Der goldene Äpfel tragende Baum repräsentiert in seiner doppelten Symmetrie von linker und rechter und überirdischer und unterirdischer Hälfte ein Mandala-Symbol. Der allnächtliche Verlust eines Apfels von diesem Baum ist die Folge von der unbalancierten Familienkonstellation des Königs mit seinen drei Söhnen, die einer seelischen Verarmung gleichkommt; es fehlt die anima-Komponente. Nur der jüngste Sohn, dem es nach profanen Maßstäben am Besten fehlen soll, kann den Nachweis erbringen, dass sich ein goldener Vogel die goldenen Äpfel aneignet, kann sich auf die große Fahrt begeben und mit Hilfe des Fuchses den goldenen Vogel, das goldene Pferd und die schöne Jungfrau, die miteinander verknüpft sind, dem magischen Bereich abgewinnen. Die schwierigste Probe besteht in dem Wunsch des Fuchses getötet zu werden, den der Prinz erst beim zweiten Mal, nachdem ihm die erste Verweigerung beinahe das Leben gekostet hat, erfüllt. Doch erst mit dem Opfer desjenigen, der ihm geholfen hat, alle Gefahren auf seiner großen Fahrt zu bestehen, überantwortet er sich vollkommen dem magischen Bereich und wird entsprechend belohnt; denn der Fuchs ist der verwunschene Bruder seiner dem magischen Bereich abgerungenen Braut, so dass wie bei einer Wiedergeburt nach der Beseitigung der beiden älteren Brüder eine neue und vollkommen ausgewogene Konstellation entstanden ist: König und Sohn aus dem überirdischen Bereich und Braut und ihr Bruder aus dem magischen. Diese Hinweise auf die Vogelsprache des Märchens sollen nur Schönwieses Anspielungen darauf illustrieren. Denn es besteht ein prinzipieller Unterschied zwischen der Gestaltung und Wirkungsintention im Märchen und in Schönwieses Lyrik; denn während sich das Märchen durch die gestaltgebende Ordnung des Guten und Schönen vor dem Hintergrund des Bösen und Hässlichen rechtfertigt, weil darin die gemeinschaftsstiftende Funktion des Schamanen oder Erzählers mit den Identifikationsbestrebungen der Zuhörer zur Deckung kommt, ist es für den Dichter allein der schöpferische Akt, der seinen Anspruch rechtfertigt, Wahrheiten auszusagen. Daher will Schönwiese mit den vier Abschnitten von Antworten in der Vogelsprache die mit dem Selbstverwirklichungsprozess des Märchenhelden zu vergleichenden Stufen seiner Wiedergeburt oder seines Satori nicht nur darstellen, sondern auch zu deren Nachfolge aufrufen. Obwohl die vier Abschnitte keine Überschriften tragen, können diese aufgrund ihrer Thematik leicht ergänzt werden, wie I. Auf dem Weg zu sich selbst, II. Vorbilder und Gegenbilder, III. Über die Liebe, IV. Erleuchtung. Allen Abschnitten gemeinsam ist eine didaktische Grundkomponente, die aber nie normative oder präskriptive Züge besitzt, so dass es sich nur annäherungsweise um Lehrgedichte mit einer eindeutigen leicht nachzuvollziehenden Lehre handelt. Die beiden ersten Abschnitte enthalten oft Aufforderungen in der Form von Rufen oder Sprüchen, um richtungsweisend für Autor und Leserschaft zu wirken. Dagegen haben die beiden folgenden Abschnitte mehr liedhaften Charakter, und zwar in der „mystischen“ Spielart dieser Lyrikgattung oder tragen auch aphoristische Züge. Aufgrund dieser Gattungsvielfalt entgehen diese Ge- Klaus Weissenberger 96 dichte der Gefahr, stereotypisch zu wirken, sondern verweisen stattdessen auf die jeweils neu zu gewinnende Erkenntnis. Daher ist es besonders wichtig, die poetische Gestaltung der einzelnen Gedichte herauszustellen. Man kann sie als freirhythmisch klassifizieren, wobei man allerdings hinsichtlich des Begriffs der Freiheit zwischen der Freiheit von einer festen metrischen Ordnung und der Freiheit zu einer sich selbst begründenden klar unterscheiden muss, weil es sich bei diesen Gedichten Schönwieses um eine Freiheit zu einer Ordnung handelt, die sich ihm als schon immer vorhanden darbietet. Deshalb scheinen sie, rein oberflächlich betrachtet, aus Prosaversen zu bestehen, deren poetische Eigenschaft sich jeweils neu offenbart. Dafür kann das Eingangsgedicht, das aus zwei Verspaaren besteht, als passendes Beispiel gelten. Es beginnt mit der Aufforderung im Optativ „Die Sprache der Vögel erlernen“, der das lehrhafte Beispiel „wie im Märchen! “ folgt. Davon hebt sich ganz scharf der kategorische Befehl „Vergiss dein eignes Geschwätz“ ab, wodurch die menschliche Sprache als prinzipielles Medium von Kommunikation, Daseinsbewältigung und Erkenntnisgewinnung einerseits vollkommen diskreditiert wird, doch zugleich die Unausführbarkeit des Befehls offensichtlich ist. Auf dieses der logozentrischen Kultur vorgeworfene Paradox folgt der Gewinn aus seiner geforderten Aufhebung wie ein selbstverständliches Ergebnis: „und das Märchen ist Wirklichkeit.“ Dieser schlichte Prosasatz wird dadurch zum Vers, indem jedes Wort seine volle Bedeutung erst durch seine Beziehung innerhalb des Gedichts erfährt. So leitet „und“ die Selbstverständlichkeit der folgenden Aussage ein; mit dem Artikel „das“ verändert sich die literarische Gattungsbezeichnung „Märchen“, die im zweiten Vers als Vergleich gedient hat, zum Symbol für die homöostatische Kultur, die sich in den Koordinaten von sakraler Zeit und sakralem Raum konstituiert, als solche also „ist“, unabhängig von historischer Zeit und daher im lutherischen Sinne Wirklichkeit „ist“, nicht nur laut Calvin „bedeutet“. An die Stelle der profanen Wirklichkeit tritt die kosmische, aber nicht als verfügbarer Besitz, sondern immer im Kontext der Widersprüchlichkeit ihrer Realisation. Analog zur Aufforderung, das eigene Geschwätz zu vergessen, erfolgt die, alles zu vergessen, „was du gesehen,/ alles, was du gedacht hast./ Sei nur noch Ohr/ und vernimm,/ was das Unhörbare zu dir spricht“ (8). Die rational nicht zu erfüllende Forderung, das Bewusstsein des Ichs in seiner gesamten Komplexität von Sinneswahrnehmungen und intellektuellem Selbstverständnis auszulöschen, erfährt ihre reziproke Entsprechung in der ebenso paradoxen Forderung, in der totalen Hingabe an das Sinnesorgan des Hörens, das Unhörbare zu vernehmen, das zu einem spricht. Die schwebenden Betonungen über „Únhörbáre“ verkehren die semantische Bedeutung des Wortes in ihr Gegenteil, lassen es auf ihre Art und Weise eine zu vernehmende Sprache werden. Entsprechend endet das Gedicht „Wenn wir doch klug genug wären, nicht mehr klug zu sein“ mit der Erkenntnis „Leben ist tiefsinnige Sinnlosigkeit“ und dem Wunsch: Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit 97 Schenk mir, o schenk mir den Mut und die Kraft zu der Herrlichkeit des Nicht-Sinns! (17) Das klingt durch die Annäherung von „Kraft“ an „Herrlichkeit“ in der Form der Fürbitte an die Schlussworte des Vaterunsers an, wobei „Nicht-Sinn“ als letztes Wort sehr wohl auf eine kosmische Instanz verweist, die sich jedoch der rationalen Erkenntnis und deshalb auch einer rationalen Versprachlichung entzieht. Entsprechend nennt Schönwiese „’Gott’, dieses mißverständliche Wort für etwas Richtiges“ und fügt die scheinbar blasphemische Äußerung hinzu: „wir wären ‚Gott’,/ wenn wir wüßten, daß wir es sind! “ (19). Doch in Wirklichkeit hat er damit seine eigene Formulierung für die Selbstbestimmung Gottes gegenüber Moses als „Ich bin, der ich bin“ gefunden, die die Grundlage der Kabbalah bildet, so dass diese Schlussverse eigentlich zu lesen wären: „wir wären ‚Gott’,/ wenn wir wüßten, daß wir ES sind! “ Was wissen wir aber eigentlich? Für Schönwiese ist die Begrenztheit und Fragwürdigkeit des menschlichen Wissens eine der Grundvoraussetzungen für den Prozess der spirituellen Ich-Erweiterung. Keiner ist wahrhaft ein Mensch, keiner ein Dichter, der nicht mehr weiß als man wissen kann. Denn was einer nur weiß, das weiß er nicht. Nur wer nichts mehr weiß, weiß alles. (9) Selbstverständlich erinnern diese Formulierungen an den sokratischen Ausspruch „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, aber gerade die Nähe des Wortlauts lässt den entscheidenden Unterschied erkennen. Bei Sokrates handelt es sich um das Denkprinzip der Vorurteilslosigkeit, bei Schönwiese jedoch darum, das rationale Wissen zum Wissen um die Alleinheit zu erweitern, um das kosmische Prinzip der Vereinigung von Makrokosmos und Mikrokosmos, des Aufgehens der Vielfalt im Nichts der Allheit: „Nur wer nichts mehr weiß, weiß alles.“ Nur wem das gelingt, verdient die Bezeichnung „wahrhaft ein Mensch oder Dichter“ zu sein. Der Verweis auf die Pilatus-Worte „Ecce homo“ - „Sehet, welch ein Mensch“ (Joh. 19,5) - nach der Geißelung und Krönung Christi mit einer Dornenkrone setzt den Maßstab für das Wissen um den kosmischen Bezug, das das rationale Wissen transzendiert. Ähnliches gilt für den Dichter, der nur durch die totale Selbstaufgabe an seine Sendung ein außerweltliches Wissen empfängt. Entsprechend beruht jedes echte Gedicht auf dem Erlebnisakt einer Erleuchtung, einem Satori, der sich auch dem Leser oder Hörer nur ohne die Klaus Weissenberger 98 Erklärung des Autors mitteilen kann: „irgendwann - ganz plötzlich - wird es hell werden in dir“(24). Zugleich dient der Erleuchtungsakt als Nachweis oder Wertmaßstab: Ein Gedicht ist nur soviel wert als aus ihm dieses Licht der Erleuchtung hervorblitzen kann. Er versteht sich von selbst, dass die Repräsentanten aller teleologisch ausgerichteten, für ein spezifisches Publikum und aus einem begrenzten Anlass heraus verfassten Lyrik diesen Maßstab nicht anerkennen. Doch welche einerseits überindividuelle und überzeitliche, jedoch andererseits demütig bescheidene Intention spricht aus dem Bekenntnis: Ich spreche zu niemandem, denn es gibt einen Niemand, der alle und alles ist. Nur wer zu Niemand spricht, spricht zum Menschen. (10) Natürlich sind bei diesen Versen die Anklänge an Paul Celans Gedicht „Psalm“ unüberhörbar: „Niemand knetet uns wieder aus Erde und Lehm./ Niemand bespricht unseren Staub./ Niemand./ / Gelobt seist du, Niemand.“ 4 Doch Schönwiese setzt sich nicht wie Celan mit dem durch die Shoa problematisierten orthodoxen jüdischen Gottesbegriff auseinander, sondern unterwirft sich dem buddhistischen Gottesbegriff der aus dem Nichts hervorgehenden und sich zum Nichts aufhebenden Vielfalt der irdischen Gegenständlichkeit. Erst aus dieser spirituellen Teilhabe kann Schönwiese den Anspruch erheben, „zum Menschen zu sprechen.“ Doch dafür muss er auch von seiner eigenen Person absehen können, und sich nur als Werkzeug, Medium oder Gefäß der überzeitlichen Botschaft verstehen: „Gleichgültig, wer ein Gedicht auslöst,/ gleichgültig, wer es schrieb“ (11). Daher erklärt sich diese Botschaft in ihrer Überindividualität nur als Gnadenakt, während die Individualität allein für das Negative verantwortlich ist, so dass sie dem Vergessen anheimfallen soll: Möge ich vergessen werden, völlig ausgelöscht, wie nie dagewesen! Das Gute, das ich -vielleicht getan habe, geschah ohne mich, unbewußt, ohne Überlegen. Nur das Böse kam wirklich von mir. (29) 4 Paul Celan: Die Niemandsrose (Frankfurt a. M.: S. Fischer, 1963), 23. Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit 99 Doch diese Aufforderung, Schönwiese als Mensch und Dichter zu vergessen, in einem Akt, der so ganz und gar der nur den Menschen aneignenden Erinnerungskultur widerspricht, diese Aufforderung lässt sich nur über die Bereitschaft zur Nachfolge verwirklichen, diesen Prozess der Selbstüberwindung auf sich zu übertragen. Aus dieser Reziprozität des Vergessens erklärt sich das Abschlussgedicht des zweiten Teils: Mein letztes Wort: Vergiß mich! Mein letzter Wunsch: Vergeßt... (34) Warum dann überhaupt unser Leben? Gerade dieses „Warum“ „wetterleuchtet und klagt in jedem Gedicht“ für Schönwiese (7). So berechtigt diese Frage scheint, so vage ist die Antwort darauf. Denn es handelt sich nicht um eine gegenseitige rational messbare Aufrechnung, um ein Warum, „auf das der Kopf antwortet,/ seine Antwort ist falsch“, weil bereits die Frage falsch ist. Daraus ergibt sich die paradoxe Schlussfolgerung: ein Andrer in dir muss die Antwort geben: die Antwort, die es nicht gibt. Es kann nicht DIE Antwort geben, weil sich die existentielle Frage einem jeden immer wieder neu stellt und die Antwort nur aus dem Augenblick des Einklangs des eigenen Daseins mit dem Dasein als einem Ganzen hervorgeht und dann nicht mehr gültig ist. Deshalb stellen sich aufgrund dieses Paradoxes die darum wissenden Fragen: „Hast du sie verstanden? / Und wirst sie wieder vergessen? “, weil sie den Augenblick der Erleuchtung einrahmen, in dem sich Verstehen und Vergessen gegenseitig bedingen. Dieser Unberechenbarkeit und zugleich Zutraulichkeit entspricht die Amsel, die gerade als ganz gewöhnlicher Vogel symbolisch unbelastet ist und als visuelle genau lokalisierte Erscheinung die Antwort in der Vogelsprache als stummer Blick für den fragenden Betrachter bereit hält: Dort drüben sitzt sie -eine schwarze Amselauf dem Baum vor deinem Fenster und sieht dich an. Es ist die melodische Verschränkung der alliterierenden topographischen Fixpunkte mit den i- und a-Assonanzen von einerseits „sitzt sie“ und „sieht dich“ und andererseits „schwarze Amsel“, aufgrund der die Distanz von „dort drüben“ zu „vor deinem Fenster“ klanghaft überbrückt wird und sich die gesuchte Antwort in der unmittelbaren Folge aller drei Klangelemente - Klaus Weissenberger 100 „sieht dich an“ - dichterisch verwirklicht. Wie bewusst Schönwiese diese Klangelemente integriert hat, lässt sich daran erkennen, dass eine Amsel eo ipso schwarz ist. So literarisch unbelastet allerdings ist die Amsel keineswegs; denn Robert Musil hat in seiner Novelle „Die Amsel“ das Initialerlebnis des „anderen Zustands“ gerade mit diesem Vogel verknüpft, und Schönwiese ehrt mit diesem Gedicht seinen Vorgänger, ohne ihn zu kopieren. So wie sich der rationalen Warum-Frage die Antwort von vornherein entzieht, erklärt Schönwiese die Wie-Frage „Wie kann ich ein richtiges Leben führen? “ von vornherein als falsch und fordert an ihrer Stelle: Laß dein Leben aus dir heraus, folge und gehorche ihm. Aber misch dich nicht ein! (20) Diese Aufforderung beruht auf der Erkenntnis, dass fast alle Menschen nicht ihrem inneren Wesen in seiner kosmischen Bestimmung, sondern ihrer notwendigerweise beschränkten Ich-Verwirklichung folgen. Die i-Assonanzen in ihrer Verbindung mit den Zischlauten „misch dich nicht“ gibt die Dominanz des Ich-Bezugs als abzulehnende Dissonanz zu erkennen. Es sind diese Fragen, die das prinzipielle menschliche Bedürfnis, sich, Welt und Kosmos rational zu erklären, demonstrieren, aber gerade darin die Unfähigkeit, wirklich zu leben, offenbaren: Wenn sie wirklich lebten, brauchten sie nichts zu verstehen. Aber sie leben nicht wirklich, drum wollen sie immer wissen. Leben ist die Antwort auf etwas, nach dem nie gefragt werden dürfte. (12) Mit diesem paradoxen Schlussfazit wird letztendlich unser rationaler Erkenntnisdrang dafür verantwortlich gemacht, das Leben in seiner kosmischen Sinngebung zu verfehlen. Dies gilt sowohl für alle die Menschen, die wie auf dem Markt ihre Waren kaufen und verkaufen und „immer noch glauben,/ sie kauften und verkauften Wirklichkeiten“ (280), als auch für den, der sich darüber wundert, weil er sich im Gegensatz zu den anderen Menschen dessen bewusst ist, aber sich doch immer von neuem davon befreien muss: Du bist selbst der hinterhältige Aufseher in dem Gefängnis, in das du dich gesperrt hast. (28) Kafkas Erzählung „Vor dem Gesetz“ erfährt hier ihre Umsetzung in ein Gedicht. Und wie Thomas Mann versteht sich Schönwiese als „Spätgeborener“, Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit 101 doch im Gegensatz zu diesem, der sich in ironischer Distanzierung über die eigenen Unzulänglichkeiten und die seiner Zeit hinwegsetzen kann, klagt sich Schönwiese auch selbst an: Kann einer noch die Wahrheit sagen? Kennen wir sie noch? Wir dienen alle der Lüge, ob wir wollen oder nicht. Jeder. Ein wenig mag ich meine Fälschungen schillern zu lassen, meiner selber spottend, zynisch und bitter, damit die Wahrheit, die sie verhüllen, heimlich hindurchschimmern kann. Aber nur noch selten gelingt es, die Lüge so zu sagen, dass sie erkannt wird und die Wahrheit triumphiert. Immer seltener. - Aber mehr ist nicht möglich. Dir nicht, und mir nicht. - Es ist zu spät! (31) Gerade für den Menschen der Moderne ist es so schwierig, den Schleier der Maya nicht nur zu erkennen, sondern auch zu durchbrechen. Dies zeigt sich sogar in der Liebesbeziehung, obwohl gerade diese für Schönwiese der mitmenschliche Bereich ist, in dem sich der Schleier der Maya heben kann. Das Kurzgedicht „Ihre langen Wimpern waren aus Kunststoff: / Ihre Träne war echt.“ (40) gibt die für die moderne Gesellschaft charakteristische Dichotomie zwischen Schein und Sein, Oberflächlichkeit und Verinnerlichung, Täuschung und eigentlicher Wirklichkeit zu erkennen. Sehr viel subtiler dagegen ist das Gedicht über die Beziehung Goethes zu Ulrike von Levetzow, die rückblickend abgestritten hat, Goethes Zuneigung erwidert zu haben. Doch sprechen Goethes poetische Zeugnisse dagegen, so dass sich die wirkliche Beziehung hinter dem Schleier des Geheimnisses verbirgt: Das einst so geliebte Mädchen von Marienbad sagte im Alter, sich erinnernd, auf die Frage eines Besuchers: ‚Keine Liebschaft war es nicht.’ Aber es war Liebe; und, wenn ich dich liebe, was geht es dich an’, hat der gesagt, der ihr verfallen gewesen war. (52) Goethes Worte kommen aus den Lehrjahren und sind Philine in den Mund gelegt, die den verwundeten Wilhelm pflegt und derart antwortet auf Wilhelms dringendes Verlangen, sich von ihm zu trennen, da er seiner Gefühle ihr gegenüber nicht mehr Herr zu werden droht. So stehen sich in Schönwieses Gedicht konkrete und dichterische Wirklichkeit genau gegenüber. Dazu muss man noch wissen, dass Goethe Ulrike im ersten Jahr ihrer Auf- Klaus Weissenberger 102 enthalte in Böhmen die Wanderjahre geschenkt hat, weil sie noch keines seiner Werke kannte, und, da sie eine Vorgeschichte dazu vermutet hatte, ihr den Inhalt der Lehrjahre erzählt hat, 5 so dass dieses Goethe-Zitat durchaus in den Kontext der Marienbader Episode hineinpasst, und nicht nur dieser Episode. Denn es ist auch als symptomatisch für alle Liebesbeziehungen Goethes angesehen worden, 6 weil es die Sublimierung des Persönlichen zum Idealen beinhaltet und darin zugleich Goethes Prinzip der Entsagung rechtfertigt. Die erste Strophe dieses Gedichts, die in Ulrikes Zitat endet, scheint im Prosastil eines Berichts zu sein. Doch im zweiten Vers kommt es zu einem Einbruch des sachlichen Berichts durch den Einschub „im Alter, sich erinnernd“; denn dadurch relativiert sich Ulrikes Aussage und zwar nicht nur aufgrund des zeitlichen Abstands, sondern noch viel mehr aufgrund von Ulrikes Weigerung, sich als das so geliebte Mädchen auszugeben. Der rhythmische Gegensatz von „das einst so geliebte Mädchen“ und „Keine Liebschaft“ ist so ostentativ, dass das Ulrike-Zitat nur als Abwehr anzusehen ist und dadurch als indirektes Eingeständnis einer Liebesbeziehung. Folgerichtig verneint die zweite Strophe Ulrikes Behauptung: „Aber es war Liebe“ und lässt darauf das Goethe-Zitat folgen, in dem die Ausschließlichkeit und Unbedingtheit von Goethes Liebesbereitschaft Ulrike gegenüber zu erkennen sind, deretwegen alle pragmatischen Erwägungen, höchstwahrscheinlich von Ulrikes Mutter und nicht von Ulrike selber, nur als Verkennen dieser „Sternstunde“ auszulegen sind. Goethe folgte dem ihm zugefallenen Gesetz, - er war „ihr verfallen“ -, während Ulrike sich diesem Gesetz verweigerte. Kein Wunder, dass sie dreizehn Bewerber ausgeschlagen hat und unverheiratet geblieben ist. Auf alle epistolarisch festgehaltenen Liebesbeziehungen trifft das Gedicht zu, das die durch die Zeit bedingte Abschwächung der früheren Intensität thematisiert. Was ist geblieben von ihrer Liebe, außer den Briefen, aus denen noch die Flammen züngeln? Ein sanftes Glühen, das wärmt, so daß sie lächeln können. (45) Die Häufung von i- und ü-Assonanzen in der ersten Strophe gibt das mit Hilfe der Briefe noch nachzuvollziehende ehemalige Liebesfeuer wieder, und wenn sich die Beziehung von Eros zu Agape weiterentwickelt hat, bringt die durch die Briefe wachgerufene Erinnerung ein Lächeln hervor, sowohl als 5 Johannes Urzidil: Goethe in Böhmen (Zürich und Stuttgart: Artemis, 1962), 157. 6 Georg Simmel: Goethe (Leipzig: von Klinkhardt & Biermann, 2. Aufl. 1917), 193-209; bes. 202. Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit 103 Zugeständnis an die Vergänglichkeit dieser früher für unvergänglich gehaltenen Gefühle als auch als Freude, sie überhaupt empfunden zu haben. Diese Deutungen Schönwieses beruhen auf sehr viel persönlicher Erkenntnis, die auch die anderen nicht auf sich bezogenen Liebesgedichte kennzeichnet. Doch es gilt auch das Umgekehrte, dass die persönlichen Liebesgedichte Schönwieses ins Überpersönliche einer auf Gegenseitigkeit beruhenden Ich-Erweiterung verweisen. Dies offenbart sich selbst beim Ehestreit: Wenn du wütend bist und glaubst, mit mir zanken zu müssen, wie soll ich verstehen, was du sagst, wenn ich hinter dem Funkeln deines Zorns immer nur deine Augen sehe, die die ganze Wahrheit wissen. (51) Der dem Augenblick verhaftete Anlass des Ehestreits wird „unverständlich“ gegenüber der „ganzen Wahrheit“, die das Fundament dieser Beziehung bildet, so dass das momentane „Funkeln des Zorns“ vor der grundsätzlichen Gelassenheit des Wissens um „die ganze Wahrheit“ unwirksam wird. Diese eigentliche Wirklichkeit der Liebesbeziehung kann sich schließlich bis zur beiderseitigen Aufhebung von räumlicher Distanz steigern. Ich weiß nicht, wo du bist. Du weißt nicht, wo ich bin. Aber der, der wir beide wirklich sind, geht immer mit uns. (49) Das Gedicht beginnt mit der prosaischen Feststellung, dass keiner der Partner weiß, wo sich der andere befindet. Doch die totale Spiegelbildlichkeit der beiden Sätze verwandelt die Prosaform zu Versen, so dass zum einen die Frage nach dem Aufenthaltsort eine existentielle Bedeutung gewinnt, und sich zum anderen die Begrenztheit des logisch ausgerichteten Wissens gerade in diesem Bereich offenbart. Doch dieses Nicht-Wissen stellt keineswegs einen Mangel dar, sondern die Vorbedingung dafür, das beiden spirituell Gemeinsame, das ihre Wirklichkeit ausmacht, sich zu vergegenwärtigen. In diesem Akt lassen die Liebenden räumliche und zeitliche Begrenzungen hinter sich und öffnen sich dem Zauber einer märchenhaften Wirklichkeit. Von einer derartigen Verzauberung zeugen dann auch die Gedichte des letzten Abschnitts, der allgemein gesehen von der Erleuchtung handelt. Der Dichter kontempliert seine Sterblichkeit und seinen Wunsch, noch so Vieles sagen zu mögen, woran ihn seine Sterblichkeit hindert: „Aber wie viele Brücken aus Worten/ werde ich nicht mehr betreten! “ (62) In dieser Formulierung für den poetischen Schöpfungsakt sieht sich der Dichter als Vermittler zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos, aber nicht als aktiv Handeln- Klaus Weissenberger 104 der, sondern als Instrument, als Empfangender, für dessen poetisches Ich die Brücke zwischen dem numinosen Nicht-Ich und einer dafür empfänglichen Menschheit gespannt ist. Doch gerade und allein deshalb ist Schönwieses dichterische Sendung nicht mehr an ein sprachliches Lautwerden gebunden, sondern kann als schweigendes Vermächtnis über seinen Tod hinweg weiterwirken, indem wir sie - wie die Vogelsprache - in uns lebendig werden lassen. Doch ich werde nie aufhören, auch schweigend alles zu sagen. (62) Im Zentrum des letzten Abschnitts stehen mehrere Gedichte, die den Ich- Verlust als notwendige Voraussetzung für die Ich-Erweiterung zum Thema haben, oder in anderen Worten die Initiation in das Mysterium der Erleuchtung. Im Fall des ersten Gedichts ist es besonders interessant, wie sehr dieses von der Struktur her mit dem Grimmschen Märchen Der goldene Vogel verwandt ist. Bist du bereit, dich an der Hand nehmen und führen zu lassen? - Aber das genügt nicht. Du mußt dich selbst bei der Hand nehmen können: den in dir, dessen du dich bedienst und der du nicht wirklich bist. Aber auch der, der dich bei der Hand nimmt, bist du nur zum Schein. In Wirklichkeit gibt es beide nicht. (65) Im Märchen ist es der dritte und jüngste Sohn des Königs, dem es allein gelingt, die Proben des Märchens zu bestehen, obwohl es ihm nach den logozentrischen Prinzipien des Vaters „am Besten fehlen soll“. Ihm gelingt es, weil er sich der Führung des Fuchses anvertraut, dem er am Waldrand - also an der Grenze zwischen dem profanen und magischen Bereich oder dem Bewussten und Unbewussten -, begegnet. Er vertraut seiner Intuition, die ihn immer und blitzschnell an die richtige Stelle bringt, wo er sich jedoch nie an die Weisungen des Fuchses hält, er sich diesbezüglich „selbst bei der Hand nimmt“, weil der Fuchs ihm nur hilft, aber „nicht wirklich er ist“; denn er erkennt, dass nur der goldene Käfig zum goldenen Vogel gehört, der goldene Sattel zum goldenen Pferd und die schöne Prinzessin vom goldenen Schloss sich von ihren Eltern verabschieden muss. Obwohl der Prinz dadurch immer in Lebensgefahr gerät, erfährt er gerade dadurch immer eine Bereicherung, Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit 105 die als Ich-Erweiterung zu deuten ist. Nach der Rückkehr in den profanen Bereich müssen die beiden älteren Brüder, die sich unrechtmäßig in den Besitz von Vogel, Pferd und Prinzessin gebracht haben, mit dem Tod bestraft werden, sie haben als Gegenbeispiel der zu überwindenden Ausgangsstufe gedient. Der Prinz muss aber auch den Fuchs töten, sich mit ihm durch seine Opferung identifizieren, wodurch der sich als der verwunschene Bruder der Prinzessin herausstellt. Dadurch entsteht anstelle der ursprünglichen Ausgangsstufe von König und drei Söhnen die neue Konstellation von König und Sohn mit der Prinzessin und ihrem Bruder. Erst darin erreicht der Erneuerungsprozess, der, was man nur zu leicht vergisst, der des Königs ist, den Grad der eigentlichen Wirklichkeit; alle anderen Stufen dienen nur als Zwischenstufen zur letzten einzig gültigen. Allerdings ist Schönwiese noch konsequenter und lässt letztendlich dieses Ich und dieses Du in der Begegnung mit dem Nicht-Ich aufgehen, weil seine Ausgangsposition aufgrund des dominierenden Wertzerfalls viel problematischer geworden ist: „in Wirklichkeit gibt es beide nicht.“ Analog dazu steht die Dialogform, die es dem Initianden erlaubt, seinen Läuterungsprozess sich gegenüber zu artikulieren, doch gerade darin ihn dazu verleitet, sein Ich als prinzipiellen Adressaten auszuklammern, sich selbst etwas vorzutäuschen, was gar nicht den Gegebenheiten des Ich entspricht. Wer glaubst du, ist der mit dem du sprichst? Du sprichst immer nur mit dir selbst. Jedes Gespräch ist ein Monolog. Und doch scheint ihr zwei zu sein. Scheint! Aber vergiss nie: es gibt keinen Zweiten. (66) Nur wenn das Ich bereit ist, Gerichtstag über sich selbst zu halten, keinen anderen aus sich zu machen, „keinen Zweiten“, kann es mit seinem Anliegen Erfolg haben. Das gleiche gilt für die Suche nach dem „eigentlichen Du“, die allzu leicht die Suche nach einem Wunschbild seiner selbst ist. Was suchst du? Immer den, der du eigentlich bist. In Wirklichkeit warst du aber nie ein Anderer; Du warst unausgesetzt immer nur er. Was also suchst du? (67) Die abschließende Wiederholung der Frage „Was also suchst du? “ greift die ganze Problematik des Selbsttäuschungsmanövers auf und verbindet sie mit dem Ethos der absoluten Aufrichtigkeit sich selbst gegenüber. Denn nur dann kann kommen, wie es in einem anderen Gedicht heißt, dass das Du und das Selbst zur gegenseitigen Entsprechung finden: „Aber längst bin nicht mehr ich es, der ruft,/ sondern du selber rufst nach dir selbst“. Statt wie Klaus Weissenberger 106 früher wie durch einen Alptraum aus dem Schlaf gerissen zu werden, führt dieser Ruf zur Eröffnung des großen Geheimnisses: „Und nun? / Womit hast du dich so tief verzaubert? “ (73). Oder in anderen Worten: Wenn das Kartenhaus meines Ichs Endgültig einstürzt in mir, gibt es keinen mehr, nur noch die reine Seligkeit. (74) Doch dieser Zustand lässt sich nicht einfach erzwingen, er kommt unerwartet und ist der Ausschüttung des Heiligen Geistes auf die Jünger Christi oder der eigentlichen Bedeutung von Inspiration und Enthusiasmus als der Einwohnung des Geistes oder des Gottes zu verstehen. Dieses Ereignis zwingt alle anderen Ordnungen oder Prinzipien in seinen Bann; wie beim großen Bühnenauftritt ist die Konzentration aller wie von selbst, also ohne Anweisungen, darauf gerichtet. Plötzlich ist es da, schlägt alles in seinen Bann, und hat seinen großen Auftritt. Hab ich es getan? Wie ist es geworden? Es geschieht. Es gibt niemanden, der darüber verfügte. Öffne dich - Andres kannst du nicht tun - wie ein Gefäß, bereit, zu empfangen! (75) „Es“ ist nicht das simple unpersönliche Pronomen, sondern das kosmische Nicht-Ich, das sich hinter den sprachlichen Verlegenheitsformen verbirgt und immer mitgelesen oder mitgehört werden muss, um den prozessualen Aspekt in seiner ganzen Dimensionalität zu verstehen. Ganz absichtlich gebraucht Schönwiese diese gewöhnlichen prosaischen Formulierungen, weil sich dieses Ereignis zum einen wie von selbst ergibt und zum anderen nur vom Initianden als solches erkannt wird. Darin drückt sich die außerweltliche Gesetzmäßigkeit aus, die sich immer in dem Gegenüber von scheinbarer Bedeutungslosigkeit und dem tieferen wirklichen Sinn darbietet. Entsprechend ist der Vers „Es gibt niemanden, der darüber verfügte“ in einem doppelten Sinn zu verstehen - denn, rein legalistisch verstanden, wird jeder irdischen Person die Verfügbarkeit darüber aberkannt. Dagegen bleibt dem Initianden keine andere Wahl, als mit negativen Umschreibungen die allumfassende schöpferische Instanz zu bezeichnen, weil sie sich dem irdischen sprachlogischen Zugriff entzieht. Diese Differenzierung reicht bis zur kunst- Das Märchen als „eigentliche“ Wirklichkeit 107 vollen Nuance des Konjunktivs „verfügte“, der legalistisch gesehen einen Irrealis ausdrückt, aus der Perspektive der höheren Wirklichkeit jedoch die Möglichkeit des „großen Auftritts“, die nur als Gnadenakt zu verstehen ist. Demzufolge bleibt dem Initianden keine andere Wahl, als sich als Empfangender dem Geschehen hinzugeben. Es handelt sich dabei um eine alchemistische Hochzeit, wie sie auf christlicher Seite Maria in ihrem unbefleckten Empfängnis zuerkannt wird und von den christlichen Mystikerinnen als Hochzeit mit Jesus gedeutet wird. Entsprechend nimmt die letzte Strophe den Charakter des englischen Grußes an Maria an, wobei, analog zur voraufgegangenen sprachlichen Doppelbödigkeit, die betont körperliche Bildlichkeit in jedem einzelnen Punkt spirituell zu verstehen ist. Das rhythmische Äquivalent dafür, wodurch diese esoterische Botschaft ihre poetische Verwirklichung findet, besteht in ihrer Aufgliederung in vier bis auf einen sehr kurze Verse, die Leser und Hörer dazu aufruft, die Vergeistigung der körperlichen Bildlichkeit bis zum Höhepunkt des Empfangens zu vollziehen. Öffne dich -Andres kannst du nicht tunwie ein Gefäß, bereit, zu empfangen! Doch darin findet der Zyklus noch nicht seinen endgültigen Abschluss. Dieser erfolgt erst mit der Transzendierung der eigenen Körperlichkeit. Endlich erwacht zu dem, was ich wirklich bin, nicht mehr der Sklave meines Körpers, wie könnte ich sterben im Tode? Nie geboren, weil ich das Niemals-Geborene bin, lebe und wirke ich in einer Heiterkeit, die die Seligkeit selber ist. (76) Die Verwandlung zum „wirklichen“ Ich erfolgt als Überwindung der eigenen Körperlichkeit, die das Ich daran gehindert hätte, sich im Tod von ihr zu befreien. Darin ist der Zustand des „Nie- und Niemals-Geborenen“ erreicht, der Vorkörperlichkeit, ein Zustand der Schwerelosigkeit, von dem eine Heiterkeit ausgeht, die die außerweltliche Seligkeit selbst ist und darin dem gnostischen Gedankengut in den Seligpreisungen der Bergpredigt verwandt ist. Die i-,ei- und e-Assonanzen der beiden letzten Verse repräsentieren die lautliche Entsprechung für die märchenhafte Wirklichkeit des Einklangs mit dem Kosmos. In dieser Erfahrung und deren poetischer Verwirklichung gipfelt die anfängliche Aufforderung: Klaus Weissenberger 108 Die Sprache der Vögel erlernen, wie im Märchen! Vergiß dein eignes Geschwätz - Und das Märchen ist Wirklichkeit. Hölderlinian Shadow and Light on Poems by Ernst Schönwiese 1 Emery George Doch ein Schatten fällt von jenen Leben In die anderen Leben hinüber. (Hugo von Hofmannsthal, “Manche freilich . . .”) For the professional student of modern European poetry, one used to the rich juxtapositions of the seemingly formless and the formally controlled, the work of the Austrian poet and writer Ernst Schönwiese (1905-1991) will come as something of a problematic and provocative surprise. As Henry and Mary Garland, in their Oxford Companion to German Literature, briefly characterize Schönwiese’s lyric work, it is verse “mystical in tone and traditional in form.” 2 In this, he arguably does not stand alone on the twentieth-century European scene; but, taken of and by themselves, the mystical element and the formal control do not spell out equal levels of lyrical quality in Schönwiese’s oeuvre. As we read the poetry for the first time - and this is a pronounced element in my encounter with it - we become aware of its being comparable with the work of poets from Johann Wolfgang Goethe to Gottfried Benn. The surprise element is the more pronounced, as Schönwiese often, and seemingly gladly, writes in the odic meters of Horace (which Goethe, for one, does not do). Professor Joseph P. Strelka, to whose kindness my work is deeply indebted, rightly calls attention to the work of Rudolf Alexander Schröder and of Rudolf Borchardt, two audible cultivators of classical metrical design. 3 The comparatist will at the same time not forget that poets such as Schröder and Borchardt are themselves deeply influenced by the most preeminent cultivator of classical meters in German verse, Friedrich Hölderlin. 1 Lecture, delivered at the International Ernst Schönwiese Symposium, 30 March to 2 April 2011, at Auburn University. I wish to thank Professor Robert G. Weigel, Chair, Department of Foreign Languages and Literatures, Auburn University, for the invitation to participate in the Symposium; Professor Joseph P. Strelka, Vienna, for his graciously sending me a copy of his book Ernst Schönwiese. Werk und Leben, and other help; Professor Klaus Weissenberger, Rice University, for a valuable note; and Mary W. George, Senior Reference Librarian, Princeton University Library, for numerous bibliographic favors in connection with the present project. Thanks are due also to the Libraries of Cornell and Yale Universities and of the University of Pennsylvania, for the kindness of books on speedy Borrow Direct. 2 Oxford: Clarendon P, 1976, s.v. “Schönwiese, Ernst.” 3 See, e.g., Rudolf Alexander Schröder, Gesammelte Werke in fünf Bänden, vol. 1: Die Gedichte (Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1952), “Die Oden” (11-77); “Die Elegien” (78-137); “Die Epigramme” (138-144). See also Joseph P. Strelka, Ernst Schönwiese. Werk und Leben (Frankfurt am Main: Peter Lang, 2005) 11, Index. Cited as Strelka and page. Emery George 110 Indeed when we think of Hölderlin’s influence, we tend first of all to remember those meters. Yet Hölderlin, most importantly, also changes as an artist. The overall design element in Schönwiese’s work of which we are reminded at the outset is that, just as Hölderlin’s work shifted around 1800 from the classical forms - metered elegy, epigram, and ode - to the so-called free-verse form of the Pindaric hymn, so Schönwiese’s work went in time from the formally controlled to the freer designs, ranging from the fragmentarily lyrical and the aphoristic to the orientalizing. It even went to such a form as the haiku, or a suggestive derivative. In this paper, I hope to show how Schönwiese’s rich lyrical production goes from the classical meters that draw me to a comparison of his oeuvre with that of Hölderlin, to a chinoiserie that takes us from the metrical to the mystical and nature-oriented. Our exploration leads to a view that Schönwiese is at either level consciously a follower of Hölderlin’s. Shadow and light - we photograph first the deep shadow of prosody minimally supported by content, of content unsupported by form, to varying degrees; then we come to the light, the full illumination of mysticism regardless of questions of form. Here, we are no longer reminded of Hölderlin’s work to quite the extent to which we are in Schönwiese’s earlier books, with the immediacy of, say, an ode or an elegy. Hölderlin has no chinoiserie; here, Ezra Pound far more readily comes to mind, 4 yet Hölderlin’s interest in “Asia” and in India, ranging from the early “Alexanders Rede an seine Soldaten bei Issus” to the hymnic fragment “Kolomb,” holds its own to the last as we consider Schönwiese’s mysticism. 5 1. The Deeper Shadow: Schönwiese’s Poetry, Phase I Through the first two phases of his lyric production Schönwiese is a craftsmanly poet; if there is one predicate that is applicable to his work, it is that it shows a highly skilled formal tiller and metrist, and a master of a number of forms in the Western tradition. Early on in Das lyrische Werk, there are fine examples of the sonnet, the sestina, and terza rima. Against this backdrop, the first surprise effect that we encounter among the poems of Der siebenfarbige Bogen (1947) is the second Horatian ode in that collection, “Sommerliche Ode,” written in an odic measure Hölderlin never used, the Third Asclepiadean. Here is its fourth and last stanza: 4 To cite only the poetry: see Ezra Pound, Cathay, in: E. P., Personae, 5th prtg. (New York: New Directions, n.d. [1926]) 127-142. See also Hugh Kenner, “The Invention of China,” in: H. K., The Pound Era (Berkeley, Los Angeles: The U of California P, 1971) 192-222. 5 See Heinz-Martin Dannhauer, Hans-Otto Horch, et al. (eds.), Wörterbuch zu Friedrich Hölderlin. I. Teil: Die Gedichte. Auf der Textgrundlage der Großen Stuttgarter Ausgabe, Tübingen: Max Niemeyer, 1983. Cited as WB. Hölderlinian Shadow and Light 111 Mit gebräuntem Gesicht, rosig von junger Glut, In den Hecken noch spielt lachend dein blondes Kind. Komm du nah an mein Herz, sieh in mein Auge tief : Was zu zweit wir genossen: lebt! - 6 Schönwiese wrote but one poem in this meter, as did August, Graf von Platen (1796-1835) the untitled ode whose first line reads: “Mag altrömische Kraft ruhen im Aschenkrug.” 7 If Schönwiese was encouraged by this isolated ode by Platen, in theme and attitudes the two odes are at polar extremes. Platen celebrates death to about the extent that Schönwiese in “Sommerliche Ode” celebrates life. Here, Schönwiese is much closer to Hölderlin, namely, in the love that either poet shows children. In the late hymn “Der Einzige,” second version, Hölderlin sings (lines 87-89): “Der Vater der Erde freuet nemlich sich deß/ Auch, daß Kinder sind, so bleibet eine Gewißheit/ Des Guten.” And let us reread the Tübingen tower poem “Auf die Geburt eines Kindes,” as full of life and hope as is the oddly metered ode by Schönwiese. 8 The Austrian poet celebrates the beginnings of life and oneness with what is as intensely alive as a child or a parent. We are invited to address two poems by Schönwiese: the elegy “Meiner Mutter” and the Alcaic ode “Werdende Mutter,” facing each other on the opening. 9 Hölderlinian shadow and light fall on both. In “Meiner Mutter,” its author greets and honors his own mother, “lächelnd im silbernen Haarkranz” (line 21). Therewith he echoes, or at least reminds us of, Hölderlin’s Homburg elegy “Meiner verehrungswürdigen Grosmutter,” line 3 “in des Alters silberner Krone.” 10 Hölderlin, the grandchild and young poet, perceives the honored grandparent’s beauty in advanced age, at the birthday celebration for which Hölderlin’s mother asked her son to write this early elegy. 11 The local resemblance cited is of considerable interest; it may well hint at the possibility that Schönwiese had read “Meiner verehrungswürdigen Grosmutter” before he wrote “Meiner Mut- 6 “Sommerliche Ode,” as in: Ernst Schönwiese, Das lyrische Werk in chronologischer Folge seines Erscheinens, Gesammelte Werke in Einzelbänden, 1, ed. Paul Wimmer and Joseph P. Strelka (Innsbruck, Vienna: Berenkamp, 2008): 36 (lines 13-16). Cited as LW and page. 7 See August Graf von Platen, Sämtliche Werke in zwölf Bänden, 4 (Leipzig: Max Hesse, n.d. [1909]): 66-67 (Oden XVIII [26]). 8 For the passage from “Der Einzige,” second version, and for “Auf die Geburt eines Kindes,” see Hölderlin, Sämtliche Werke, ed. Friedrich Beißner and Adolf Beck, 8 vols. in 15 (Stuttgart: W. Kohlhammer, J. G. Cottas Nachfolger, 1943-1985) 2: 1: 159-160 and ibid. 266, respectively. Cited as StA, volume, part, page, and line; also Friedrich Hölderlin, Sämtliche Werke, “Frankfurter Ausgabe,” ed. D. E. Sattler et al., 20 vols. and 3 suppl. (Basel, Frankfurt am Main: Stroemfeld/ Roter Stern, 1975-2008) 9: 83; [8: 787]. Cited as FHA, volume, and page. In what follows, I do not cite FHA, vol. 8; see my review, Hölderlin- Jahrbuch 32 (2000-2001): 345-365. 9 LW 38-39. 10 See StA 1: 1: 272-273; 272; FHA 6: 109. 11 On the poem’s occasion, see StA 1: 2: 592-593; FHA 6: 105-106. Emery George 112 ter.” 12 But the elegies of both poets are worth juxtaposing, for the contemplative study of motherhood they offer in the very act of comparison. One of the most important turns in Hölderlin’s poem is the poet’s addressing his grandmother as “du theure Mutter! ” (line 1). Besides its tight-fitting rightness, it calls attention to that Mother who (lines 7-8) “einst den/ Besten der Menschen, den Freund unserer Erde gebahr. -” To what shadowy and lit-up thoughts does this resemblance lead? It leads to the Alcaic ode “Werdende Mutter.” In that hymn to “des Leibes Wunder” (line 4), we are instructed as we come to this passage: “Du Magd des Herrn im unerschöpflich/ Reifenden, ewigen Erntefelde” (lines 7-8). Quite apart from the fact that “Erndte” (“Ernte”) is one of Hölderlin’s rather frequently cultivated words, 13 what reader, not only in the Western tradition, but also, we ask, in the pieties of Eastern Christianity, does not overhear the Magnificat, the canticle of Mary Annunciate: “Magnificat anima mea Dominum. . . . quia respexit humilitatem ancillae suae” (Luke 1: 46, 48) (trans. [KJV]: “My soul doth magnify the Lord. . . . for he hath regarded the lowly estate of his handmaiden”). In Hölderlin’s hymnic fragment “An die Madonna,” that “lowly . . . handmaiden” is celebrated as Queen of the universe, as indeed she is in Dante. 14 Hölderlin writes: “Geboren dir im Schoose/ Der göttliche Knabe” (lines 29-30); further: “Die frischaufblühenden Kinder” (line 51) are her concern: “Kömmst lächelnd du, und fragst, was er, wo du/ Die Königin seiest, befürchte” (lines 52-53). Hölderlin’s hymnic fragment “An die Madonna,” besides being a moving prayer, is a study in motherhood, as is Schönwiese’s ode. The latter’s reverence, as man and artist, toward what his title implies, is shaded, yet emerging into the light, in its concern with the wonder of the body, of becoming, of life: “Du bist die Frau, die niemals endet,/ Liebend sich über ein Kind zu beugen” (“Werdende Mutter,” lines 15- 16). Schönwiese was to all indications a devoted family man; he and Hölderlin are close in their love for children. We have quoted the hymn “Der Einzige,” second version; let us also do this for the Tübingen tower poem “Auf die Geburt eines Kindes”; I will here read but the second stanza: Indessen freue dich des Lebens, Aus einer guten Seele kommt Die Schönheit herrlichen Bestrebens, Göttlicher Grund dir mehr noch frommt. In warmth, the poem is a match for Schönwiese’s ode to his daughter. 12 By slender chance, to be sure. He could have done so only in StA 1: 1: 272-273; this first part of vol. 1 appeared in 1946. On the (sparse) transmission of the text, see StA 1: 2: 593- 594; also FHA 6: 105. 13 I adhere to the old-spelling practice of the two critical editions of Hölderlin’s work. 14 See especially Dante, Par. 32-33. Hölderlinian Shadow and Light 113 “Sommerliche Ode,” however isolated formally, is a poem of peace; the very collection it appears in, Der siebenfarbige Bogen, dates from 1947, and breathes what might have been the air of the postwar years. 15 Hölderlin himself uses the image of the rainbow, as a symbol of newly concluded peace, in the Alcaic ode “An eine Fürstin von Dessau” and in the late elegy “Heimkunft” (shadow of subject, light of dissimilarity in form). 16 With these sightings, we might suggest comparison also with the equally peaceable Schönwiese poem “Werdende Mutter” (see above). While in Alcaics, this poem also rings a bell with the Tübingen tower poem “Auf die Geburt eines Kindes,” as with the tragic, and appropriately brief, “Auf den Tod eines Kindes”: Die Schönheit ist den Kindern eigen, Ist Gottes Ebenbild vieleicht, - Ihr Eigentum ist Ruh und Schweigen, Das Engeln auch zum Lob gereicht. 17 The little poem is a master stroke of indirect treatment; the sad news comes to us from outside the text. Hölderlin was well acquainted with two mothers whose children died at childbirth: his own, and Frau Elisabeth Zimmer, wife of Ernst Zimmer (1772-1838), the poet’s host at Tübingen between 1807 and 1843. We are invited to consider Schönwiese’s own feelings on the beauty of children. Not last, we contemplate the Marian element of praise, as considered above. We have considered and compared poems connected in theme, and, we hope, connected appealingly; let us conclude our first section by having a look at poems of Schönwiese’s first stage related less in theme than in form. I have in mind the two Alcaic odes “Die Muschel,” by Schönwiese, versus “Dem Sonnengott,” one of the last poems of Hölderlin’s Frankfurt period. 18 Both are compact, four-stanza utterances. Schönwiese’s ode sings the stranger music, into the ear of the willing listener, the self, told to hold the “Schneckenhaus” (line 2) to his ear, and to discover (or: rediscover; my addition) the tone of godhood: Hör, wie es singt, und lebe in solchem Klang; Nie aus dem Ohr verliere der Gottheit Ton; 15 Without allusion to the cold war, already then freezing over, Strelka (9) calls attention to the fact that the poems of Der siebenfarbige Bogen were ready well before World War II, and could be published only after the war. 16 The image of the rainbow as a symbol of peace occurs in the Homburg ode “An eine Fürstin von Dessau,” line 22, and in the late elegy “Heimkunft,” lines 79-80 (StA 1: 1: 309 and ibid. 2: 1: 96-99; 98, respectively; also FHA 5: 749 [under the title “Der Prinzessin Amalie von Dessau”] and ibid. 6: 313). In “Heimkunft,” the wording is “des heiligen Friedens/ Bogen.” 17 StA 2: 1: 264; FHA 9: 80. 18 “Die Muschel”: LW 61; “Dem Sonnengott”: StA 1: 1: 258; FHA 5: 453. Emery George 114 Sei du gehorsam solcher Stimme Und, ja, und endlich erkenne wieder: Es ist dein Herz, dein eigenes, das da spricht; Die Muschel klingt, so, wie dir das Blut gerauscht. 19 The major break, between stanzas 2 and 3, occurs in Hölderlin’s ode also; it comes between the visual and the tonal in the poem. In the quotation below, the “er” of line 7 is the young sun god, who has just bathed his locks in the golden clouds: Doch fern ist er zu frommen Völkern, Die ihn noch ehren, hinweggegangen. Dich lieb’ ich, Erde! trauerst du doch mit mir! Und unsre Trauer wandelt, wie Kinderschmerz, In Schlummer sich, und wie die Winde Flattern und flüstern im Saitenspiele Bis ihm des Meisters Finger den schönern Ton Entlokt, . . . 20 Partly visual, partly tonal, each ode shares occupancy in the world of tone in yet another, although related, sense: in its unmistakable structural allusion to Hölderlin’s theory of Wechsel der Töne. 21 Within this grammar, each stanza of either ode is characterized by a tone, thus: naiv, heroisch / idealisch, naiv (“Die Muschel”); naiv, idealisch / heroisch, naiv (“Dem Sonnengott”). Now - what is a tone, in Hölderlin’s poetics? Let me quote, necessarily somewhat at length: At the practical level: a tone is a bundle of features, phonic and semantic, segmental and suprasegmental, which together help establish the components (theme, mood, allusiveness) and thus the overall quality [identity, character] of a text or of any segment of it. . . . The term tone is itself a lexical bundle; it includes such concepts as attitude, effect, manner, meaning. 22 The next question we are asked to field is this: What is naiv, heroisch, or idealisch about a textual segment, here, an odic stanza? This question is answered by the ways in which we look at each section (here: odic stanza) in a sequence of contrasting occurrences. In Hölderlin’s ode “Dem Sonnengott,” for example, line 9 “Dich lieb’ ich, Erde! trauerst du doch mit mir! ” bears the impress of heroicity as defined by Hölderlin in his practice: encounter, 19 Lines 9-14; LW 61. 20 In Hölderlin’s work, “Saitenspiel,” e.g., occurs; see WB. 21 See Emery E. George, Hölderlin’s Hymn “Der Einzige”: Sources, Language, Context, Form (Bonn: Bouvier, 1999), ch. 12, and n. 30 (475). Cited as 1999 and as here. The primary references are: StA 4: 1: 238-240 (“Wechsel der Töne”); corresponding to FHA 14: 340-341 (“Poetologische Tafeln”). 22 See 1999, ch. 12, n. 11 (472). Hölderlinian Shadow and Light 115 struggle, active observation. 23 The line, introducing the second half of this ode, which also exists as lines 1-8 alone, exerts an effect of surprise, and a set of features totally unexpected. It gives the impression of an implied answer to a question posed by the poet: How do I go on and complete a conception not thought of before? The solution shows the artificer at work. 24 If we now go over to Schönwiese’s ode “Die Muschel,” line 9 “Hör, wie es singt, und lebe in solchem Klang” is characterized by the ideal tone: the term of overall view, anticipation of fulfillment of the whole, here, in the self listening to itself. But while the self does that, it is never to lose the tone of overall godhood, the sense of the unity of the listening subject with nature and with divinity. The very occurrence of the word “Ton” (line 10; anticipated by 6 “Töne” and finding further support in 11 “Stimme”) is of the essence of the semantic and tonal music of the ode in unison. Word occurrence carries the message of poetic tonality in the same measure as does the musical language of “Dem Sonnengott,” in the latter ode’s second half. Here, as in Schönwiese’s ode, mimesis and structure are at one; we are being delivered meaning in toto. In Hölderlin’s theory, the tones control the structure of an ode, an elegy, a Pindaric hymn. The very concept of Wechsel der Töne (modulation of tones) spells dialectical movement, response, contrast. 25 To this law of development, change, and cadential close all formally controlled poems are subject; and one overhears its operations in Schönwiese’s odes and elegies as clearly as in corresponding forms from Hölderlin’s pen. In the odes of Der siebenfarbige Bogen we overhear the law of opposition and succession, of “Vorstellung und Empfindung und Räsonnement,” 26 as audibly as we do in Hölderlin’s work. To be sure, four-stanza odes, whether in Alcaics or in the Fourth Asclepiadean (the two principal odic meters in which the two poets write) are a rarity in the work of either. But if we listen, we will hear the music of the tones. And if we look, the shadow and the light will be observed to rise and fall in increasing clarity, from the work of the one poet to that of the other. 23 This is an excellent example of heroicity brought to the fore at either the beginning or the end of a tonal cycle. Cf. below, and n. 26 (on tones of the “Anmerkungen zur Antigonä”). 24 Cf. epigrammatic versus developed odes, e.g. “An unsre großen Dichter” (StA 1: 1: 261; FHA 5: 547) vis-à-vis its full realization, “Dichterberuf” (StA 2: 1: 46-48; FHA 5: 559-561). 25 See especially E. L. Stahl, “Hölderlin’s Idea of Poetry,” in: [no ed. named,] The Era of Goethe: Essays Presented to James Boyd (Oxford: Basil Blackwell, 1959) 148-162. Stahl (ibid. 158-161) draws in musical structure, especially the sonata-allegro form. 26 See “Anmerkungen zur Antigonä” (StA 5: 265, 5-6; FHA 16: 411, 7). “Vorstellung und Empfindung und Räsonnement” answer to the tonal sequence idealisch, naiv, heroisch. On the tonal levels Grundton, Sprache, Wirkung (outside information, text, abiding impression), see 1999, 299-301, and ch. 12, nn. 30-43. Emery George 116 2. Phase II, Light and Receding Shadow: The Visual Moment We have taken a look at odic composition by either poet; it is now time to ask ourselves: Do the tonal implications of attitude and method manifest themselves in other fields of the sensuous continuum, such as, for example, in the visual? If we now go on to the second phase of Schönwiese’s lyric production, to the book entitled Stufen des Herzens (1956), we will not be disappointed. In fact, we here find perhaps the most remarkable example of Schönwiese’s visual talent, the poem “Die Windsbraut. Zu Oskar Kokoschkas gleichnamigem Bild.” 27 Two phenomena claim our attention simultaneously: (1) that the poem is a classical elegy; and (2) that it is based on a painting (named in the poem’s title). Let us attend to the latter first. The painting Die Windsbraut (The Tempest), by the Austrian expressionist painter and writer Oskar Kokoschka (1886-1980), is a powerful document of his stormy love affair with Alma Mahler (1879-1964). The painting, now hanging at the Kunstmuseum, Basel, 28 hides nothing; it is a work “in which the features of the two lovers are clearly recognizable.” 29 Kokoschka finished the picture in 1913. Schönwiese saw it in Basel, after the war, when he presumably spent some time in Switzerland. 30 That he should have been attracted to the work of the Austrian expressionist is no surprise; but that this should be the sole poem by him, Schönwiese, that so specifically alludes to a painting, gives us pause nonetheless. 31 27 LW 159-160. 28 See Johann Winkler and Katharina Erling (compp. and eds.), Oskar Kokoschka, Die Gemälde, 1906-1929 [catalogue raisonné] (Salzburg: Verlag Galerie Welz, 1995) 58-60; 58 (entry no. 99). Cited as Erling. Kunstmuseum Basel acquired the painting in 1939. 29 See Emery E. George, “A Gambler in Life and Art: Franz Werfel (1890-1945),” in: Cross Currents: A Yearbook of Central European Culture 10 (1991): 159-173; 163, and n. 13. 30 Erling (58) has the completion date 1913. According to remarks made by Kokoschka himself, the picture was “finished in the Spring of 1914”; see Ludwig Goldscheider, Kokoschka (London: Phaidon, 1963) 76 (entry no. 16). As to where Schönwiese may have seen it, I have found no documentation of a (postwar) Swiss stay by him. However, Professor Strelka assures me that Schönwiese did see the picture, and he could have done so only in Basel. 31 Besides “Die Windsbraut,” poems by Schönwiese that are on works of art or allude to such include but are not limited to: “Auf eine Keramikfigur ein junges Mädchen darstellend” (LW 26-27); “Der alte und der junge Chronos: Zu einer Zeichnung von Adolph Menzel” (ibid. 99); “Auf eine unbekannte, symbolische Handzeichnung Goethes” (100); “Vor den Zeichnungen Ernst Barlachs” (103); “Gott antwortet,” line 37 (129-130; 130: “wie Hieronymus in dem Gehäuse” alludes to Albrecht Dürer’s 1514 copperplate engraving by that title); and “Stilleben” (217). This last does not, as I see it, conjure a Cézanne still life. The most visually vivid holistic reply to “Die Windsbraut,” however modest its subject, is the poem on the ceramic figure. Ernst Barlach (1870-1938), like Kokoschka a double talent, is an artist Schönwiese clearly admired, to judge from the numerous running quotations from Barlach’s writings, starting with the epigraph to the collection Das unverlorene Paradies (LW 101). Hölderlinian Shadow and Light 117 Let us be realistic and exploratory at once. While most odic and elegiac forms among Schönwiese’s poetry can be shown to be responses to Hölderlin’s work in whole or in part, before we construe “Die Windsbraut” as affirming similarly, we need to adjust our sights. We cannot, here, limit our comparisons to texts of the same genre. We are fortunate if we cast a glance at some closing lines of Hölderlin’s late ode “An Eduard,” second version. The poetic persona sings “die/ Mahnende Flamme des Zeitengottes./ / Es regt sein Sturm die Schwingen dir auf” (lines 36-37), thereby making the addressee a bird (eagle), of the coming storm (of revolution). 32 We find local resemblance; but both painting and poem hold out a challenge to the critic looking for further correspondences. Hölderlin’s arguable allusions within his poems to paintings and other works of visual art number fairly into the dozens. 33 Let us limit ourselves to a modest number of such invitations. Here, too, I shall not posit genre against genre. In work by Hölderlin of which I am thinking, it is first of all such late poems as “Der Einzige,” “Patmos,” and “An die Madonna” that pay demonstrable - and documented - debts to specific paintings. It has been shown, for example, that passages in the hymn “Der Einzige” and in the hymnic fragment “An die Madonna” are indebted to Leonardo da Vinci’s Vergine delle Rocce (Virgin of the Rocks), which Hölderlin saw in Paris. 34 “Patmos” is even richer in its debts. The hymn as a whole was brought on by Albrecht Altdorfer’s painting Die beiden Johannes, which Hölderlin saw at the Städtisches Museum in Regensburg, when in Isaak von Sinclair’s company he visited it in 1802. 35 Moreover, when we come to the following pas-sage (in “Patmos,” stanza 10), we are once again viewing a painting: Wenn aber stirbt alsdenn An dem am meisten Die Schönheit hieng, daß an der Gestalt Ein Wunder war und die Himmlischen gedeutet Auf ihn, . . . 36 The painting in question is a copy, by Marcello Venusti, of Michelangelo’s Christ on the Cross, with Mary and John. In that picture, indeed the “heavenly ones” point at Christ; Mary points at him, as does an angel on a cloud, on 32 See Sattler’s commentary on “An Eduard,” FHA 5: 662: “Um was es ging, sagt das Gedicht deutlich genug: die Revolution in Deutschland.” Text of ode: ibid. 675-676. 33 See 1999, ch. 6, sec. 2 (“Landscapes”), and nn. 51-88 (384-390); ibid. ch. 10, sec. 2, and nn. 55-60 (452-453); also Romano Guardini, Form und Sinn der Landschaft in den Dichtungen Hölderlins (Tübingen: Rainer Wunderlich, 1946, 2nd prtg. 1952). 34 See 1999, 180; ch. 7, and n. 29 (397). Under discussion are “Der Einzige,” first version, line 34 (third version, line 36) “Des Haußes Kleinod” and “An die Madonna,” lines 21 “Gewölb[ ]” and 101 “Felsen.” 35 See 1999, ch. 6, and n. 72 (387-388). 36 Lines 136-140; StA 2: 1: 165-172; 169. Emery George 118 Christ’s right-hand side. 37 Hölderlin could have known about this copy only by having read Wilhelm Heinse’s novel Ardinghello, oder die glückseligen Inseln, which Hölderlin most assuredly did by autumn 1802. 38 His acquaintance with these three paintings - by Leonardo, Altdorfer, and Venusti - is in any case documented; it is not a matter of “as if,” as Romano Guardini would have it. Guardini contends that in a passage in volume 2 of Hyperion, Hölderlin is painting “eine Landschaft nach der Art von Claude Lorrain.” I have done this myself; 39 drawing a hypothetical parallel between a passage of poetry and a work of visual art is tempting, and effective when done convincingly. Here, we are after documentation. For Schönwiese’s elegy “Die Windsbraut,” we need no solider document than the poem’s subtitle. Let us look at the language of “Die Windsbraut.” If there is one overall stance characterizing this relatively brief but powerful elegy (powerful to its very vowels and consonants, an analysis into which we cannot enter here), it is its being in what I am tempted to call the turbulent tone. Now, there is no such tone in Hölderlin’s Tönewechsel grammar, and I am not about to suggest that we add it. 40 Yet the poem is unmistakably a “wind’s bride” 41 in its own right: Windsbraut du, Sturmvogel der Liebe, nun ruhst du mir friedlich, Innen aber der Wind Gottes das Herz dir durchwühlt. In self-contradiction, the “storm-bird of love” rests, then (lines 4-5, with enjambement): und doch: seliger Unruhe voll Schwebst du, und fühlst es, du schwebst, ein Adler, hoch in den Lüften; ... Again and again, the voice from within the poem addresses the “Windsbraut,” the “Sturmvogel” (line 15), until we begin to realize that the poem 37 See Wilhelm Heinse, Ardinghello und die glückseligen Inseln, ed. with illus. by Max L. Baeumer (Stuttgart: Philipp Reclam, 1975), plate 8; ibid. 166-168; 167: “[Mariens] Daum und Zeigfinger nach dem Jünger hin gerichtet.” The “pointing at Christ” is Hölderlin’s contribution. 38 Ardinghello first appeared in 1787, followed by a second printing in 1794. We can assume that Hölderlin read it immediately upon its first appearance, as he was in the habit of reading important works, at least of literature. See Theodor Reuss, Heinse und Hölderlin, Stuttgart: J. F. Steinkopf, 1906; Pierre Grappin, “Ardinghello et Hyperion,” Études Germaniques 10 (1955): 200-213. 39 Guardini 19; cf. 1999, ch. 6, n. 55 (385): landscape effect in the ode “Die Heimath.” 40 We have already added the free tone to the received three; see Emery E. George, “The Fourth Tone,” Journal of English and Germanic Philology 94, no. 4 (October 1995): 483-496. The tones are anthropologically based (see sec. 1: “Humanity and the Tones”). 41 I recall having so rendered the title of Heinz Piontek’s poem “Windsbraut”; see my translation in Modern European Poetry, ed. Willis Barnstone (New York: Bantam Books, 1966, 4th prtg. 1970) 168. Hölderlinian Shadow and Light 119 moves on shifting reference. In line 21 (of twenty-two), we are treated to the revelation: “Zwei, die sich lieben wie wir.” The voice speaking out of the poem 42 is that of Kokoschka himself, addressing Alma Mahler. She is the tempest, the “bride of the wind”; and the artist is necessarily the groom, the wind itself. Yet caution is advised; how we read that penultimate line cuts both ways. The painting, finished in 1913, is undoubtedly the closing gesture toward a protracted love affair that has spent its turbulence. And as far as allusion to “Patmos” is concerned, there are, besides this hymn’s debt to paintings, two additional gestures, one from within the poem and one from without. The former is recorded in “Die Windsbraut,” line 5 “du schwebst, ein Adler” (cf. “Patmos,” stanza 1); the latter, in the book title Ausfahrt und Wiederkehr, an insight from the postwar years. The passage in “Patmos” to which this title alludes, the invocation, reads (lines 13-15): “gieb unschuldig Wasser,/ O Fittige gieb uns, treuesten Sinns/ Hinüberzugehn und wiederzukehren.” Let us also listen to the outside allusion: in “Die Windsbraut” (line 7): “Da wir umschlungen noch ruhn, traumschaukelnd in enger Umarmung.” We are brought back to the painting we view at Basel: the lovers are in a boat without rudder, 43 in a storm-tossed sea. In “Mnemosyne,” Hölderlin’s last Pindaric hymn, its third version, lines 15-17 read as follows: Vorwärts aber und rükwärts wollen wir Nicht sehn. Uns wiegen lassen, wie Auf schwankem Kahne der See. Not that Schönwiese necessarily relied on this passage at the point indicated, but even if a coincidence, an example of “as if,” the resemblance is not without interest. “Auch Worte sind Bilder,” the poet writes in his late collection Geheimnisvolles Ballspiel. 44 The collection in which “Die Windsbraut” comes to us, Stufen des Herzens (1956), is well named; the shadow slowly yields to the light that falls over from Hölderlin’s poetry to that of the Austrian poet. As in Hölderlin’s work, elegies by Schönwiese are less abundant than odes, and yet they are present from the beginning of the published oeuvre. The ten classical elegies that I have spotted in Das lyrische Werk all fall into the first two phases of the lyric production. They do not match Hölderlin’s mature elegies in either text length or rhapsodic writing (e.g. in the latter’s “Heimkunft,” lines 23-36 constitute a single sentence). Schönwiese’s elegies range from six lines (“Ab- 42 Dramatizing poems by Hölderlin include (we cite StA, followed by FHA): “Sokrates und Alcibiades” (1: 1: 260; 5: 457); “Emilie vor ihrem Brauttag” (1: 1: 277-297; 3: 121-145); “Chiron” (2: 1: 56-57; 5: 823-825); “Menons Klagen um Diotima” (2: 1: 75-79; 6: 169-173); “Wenn aus der Ferne . . .” (2: 1: 262-263; 9: 62-63). 43 Cf. Dante, Purg. 6.77: “nave sanza nocchiere in gran tempesta” (“ship without pilot in a raging gale” [Sayers]). 44 See the hymn “Mnemosyne,” third version, StA 2: 1: 197-198; 197; LW 211. Emery George 120 schied nahmen wir”) to twenty-six (“Tessiner Elegie”). And yet the possibility of comparison presents itself. If we now take the radical step of juxtaposing an approximately twelve-couplet elegy by Schönwiese (“Tessiner Elegie”) with a six-stanza one by Hölderlin (“Stutgard”), we might once again approximate either poet’s craft via the tones. Those in “Stutgard” are, one tone per stanza: naiv, heroisch, idealisch/ idealisch, heroisch, naiv. 45 The tones of “Tessiner Elegie” I perceive to be: couplets 1-4 naiv; 5-8 heroisch; 9-13 idealisch. One more comparison: Schönwiese’s “Elegie,” by groups of four lines: naiv, idealisch, heroisch / heroisch, idealisch, naiv. Read this poem against the second version of Hölderlin’s elegy “Der Wanderer,” and we obtain, by stanza: heroisch, idealisch, naiv / naiv, idealisch, heroisch. 46 Read either poem slowly, against mimesis, and you will see the light from Hölderlin’s work falling over to Schönwiese’s side. Here, we can give only examples: “Stutgard,” stanza 3, where the poet remembers Swabia’s rulers and other princes, we can read as being in either the ideal or the heroic tone; and the ambiguity is a reminder that the question of whether we are reading Grundton, Sprache, or Wirkung is very much an open one. 47 No such ambiguity is present in the intimate naïveté of “Der Wanderer,” second version, stanza 4; nor indeed in the closing heroicity of that unusual elegiac hymn. The persona comes home, expecting to be welcomed by his family; he concludes: “Und so bin ich allein” (97). Only with the physical forces (lines 98-99 “Aether! / Erd’ und Licht! ”) and with the metaphysical ones (98, 100) does he maintain his bonds. Similar singing aiming at unison despite itself can be heard in the turbulent polyphonic strands of “Die Windsbraut,” in the overheard tones of the at once speaking and singing voice. 48 45 This precisely is the progression of tones in the opening six stanzas of Hölderlin’s hymn “Der Rhein”; see note, StA 2: 2: 730, 23-26 (emended; wording: “Progreß und Regreß”). 46 See D. E. Sattler, Friedrich Hölderlin, 144 fliegende Briefe, 2 vols. (Darmstadt, Neuwied: Luchterhand, 1981), 2: 403-409; 405 (par. 2). Both rows, permutation 1. 47 See 1999, 299, ch. 12, and n. 30 (475); cf. above, n. 26. 48 We are listening to the tones in “Der Wanderer” and “Die Windsbraut,” both elegies. To give an example from “Der Wanderer,” definitive version: the naive tone is clearly audible in stanza 4. Let me quote lines 59-64 (StA 2: 1: 81-82; FHA 6: 71): Still ists hier. Fern rauscht die immer geschäfftige Mühle, Aber das Neigen des Tags künden die Gloken mir an. Lieblich tönt die gehämmerte Sens’ und die Stimme des Landmanns, Der heimkehrend dem Stier gerne die Schritte gebeut, Lieblich der Mutter Gesang, die im Grase sizt mit dem Söhnlein; Satt vom Sehen entschliefs; . . . A sense of quality emerges in tonal structure; but tonal modulation is not simply a given in a poem; the poet has to work at it. This is made very clear by Hölderlin himself when, in both the rhymed “Diotima” and in “Der Rhein,” he points to tonal progression; see also numbered frg. 21, “Ovids Rükkehr nach Rom.” Then speaks Hölderlin the critic. In a letter he writes of the poems of Friedrich Emmerich (1773-1802): “auf der einen Seite wechseln die Töne nicht genug, auf der andern stimmen sie nicht genug zu einem karakteristischen Ganzen zusammen” (Hölderlin to Christian Ludwig Neuffer, letter 189, lines 38-40 [StA 6: 1: 355-356; 356]; emphasis mine). Hölderlinian Shadow and Light 121 3. Schönwiese’s Lyric Work, Phase III: In the Brilliant Light of Mysticism It is no exaggeration to name “Die Windsbraut” the festive centerpiece of the Schönwiesian canon; for if it is true that almost every poem in that canon sings of the mystical merger of the I and the you, “Die Windsbraut” is at the very least a remarkable example of it. We contemplate the unio mystica first in a painting that is an epitome of disorderly order. Kokoschka left the painting unsigned. 49 If we now go on and explore Schönwiese’s later books, we shall find the poet’s signature on unsigned work that, like Hölderlin’s late poetry, is radically different in form from what precedes it, while being highly similar in substance. We shall consider poems in the later collections, from Baum und Träne (1962) to Antworten in der Vogelsprache (1987). Here, Schönwiese abandons the metered classical forms every bit as much as Hölderlin does, and cultivates short poems, often reminiscent of the haiku. Indeed Schönwiese shows an amazing interest in Chinese - and in two instances, Japanese - poetry. To be sure, with one possible exception, Schönwiese translated the Chinese poems not from the originals, but rather from English, within the Oriental mysticisms he studied in Hungary and in the United States. 50 49 See Erling 58. Professor Weissenberger tells me that, besides the joint inspiration of subject and feeling, Kokoschka based his painting Die Windsbraut on a poem by Georg Trakl: Klage Schlaf und Tod, die düstern Adler Umrauschen nachtlang dieses Haupt: Des Menschen goldnes Bildnis Verschlänge die eisige Woge Der Ewigkeit. An schaurigen Riffen Zerschellt der purpurne Leib Und es klagt die dunkle Stimme Über dem Meer. Schwester stürmischer Schwermut Sieh ein ängstlicher Kahn versinkt Unter Sternen, Dem schweigenden Antlitz der Nacht. (“Klage,” second version; see Georg Trakl, Dichtungen und Briefe, ed. Walther Killy and Hans Szklenar, 2 vols., 1 [Salzburg: Otto Müller, 1969]: 166 [cited as Dichtungen and page]). In addition, in his autobiography, Kokoschka writes: “An einem Abend war der Dichter Georg Trakl in mein ödes Atelier gekommen, . . . / / Und plötzlich hat er begonnen, ein Gedicht zu sagen: . . . Trakl hat das merkwürdige Gedicht ‘Die Nacht’ vor meinem Bild geformt, bis er es auswendig sagen konnte: [there follows quotation of ‘Die Nacht,’ lines 16-18, with the word “Windsbraut” occurring in line 18; see Dichtungen 160]. / / Mit der bleichen Hand hat er auf das Bild gezeigt und es ‘Die Windsbraut’ genannt” (see Oskar Kokoschka, Mein Leben, ed. with a Foreword by Remigius Netzer [Munich: F. Bruckmann, 1971] 136-137). 50 See Strelka 146 (Schönwiese’s stay in Hungary); ibid. 146-147 (stay in U.S.). Emery George 122 Before undertaking our comparisons at this third stage of Ernst Schönwiese’s lyric work, I find myself having to do a slight disclaimer. Schönwiese is reported to have been a systematic student of a number of schools and varieties of mystical experience, such as first of all the mysticism of Meister Eckhart, the “Ich--Du” mystique of Martin Buber, then of Sufism, Buddhism in at least two of its forms, finally of Taoism. 51 This is not to imply that he was also competent in Oriental languages (as, say, T. S. Eliot was in Sanskrit); 52 still, by comparison with Hölderlin’s interests, Schönwiese’s seem impressive in their breadth. Hölderlin was a mystic, but an unsystematic one; the closest we may observe him to be to a system is his being instructed in Württemberg Pietism. 53 He was competent in Hebrew and in Greek. He can certainly be called a qualified Christian mystic, if such poems as “Brod und Wein,” “Der Einzige,” “Patmos,” and “An die Madonna” may be called to witness. And they hint at the character of his entire output. If his interest in “Asia,” and, within it, in India, is limited to allusions found in given poems, some are of cosmic focus even so. In “Patmos,” at line 181, Hölderlin unites Christ with Śiva Nataraja, Lord of the Dance. 54 It also holds that Hölderlin’s interests range over world geography. The great river poems, “Am Quell der Donau,” “Der Rhein,” and “Der Ister,” show this amply. A mythically attuned hymnic fragment such as “Wenn aber die Himmlischen . . .” is an excellent example of mysticism across the world atlas. We are thus talking about limitations in both poets, but also of world-encompassing limitlessness in either; and their work at this third stage is at the very least comparable in the sense of affinity, as suggested below. The mystical third of our look, under the brilliant light, sets in with a surprise once again. The first poem that shows debt to Chinese philosophy, “Wer es erkannt hat, weiß nichts mehr zu sagen,” 55 still comes in Schönwiese’s collection Stufen des Herzens (1956), but at the extreme end, far from the 51 Strelka 146; LW 359. 52 See Peter Ackroyd, T. S. Eliot: A Life (New York: Simon and Schuster, 1984) 47: in the year 1912-1913, at Harvard, Eliot “enroll[ed] in C. R. Lanman’s course in Indic philology.” 53 See in particular Priscilla A. Hayden-Roy, “A Foretaste of Heaven”: Friedrich Hölderlin in the Context of Württemberg Pietism (Amsterdam: Rodopi, 1994); also Anne Fremantle (ed.), The Protestant Mystics [, an anthology,] with an Introduction by W. H. Auden, New York: Mentor Books, 1965. Hölderlin is represented by his hymns “Andenken” (“Memories”), trans. Vernon Watkins (154-155) and “Patmos,” trans. R. F. C. Hull (155-161). 54 The passage in “Patmos” reads (line 179-182): “Wenn nemlich höher gehet himmlischer/ Triumphgesang, wird genennet, der Sonne gleich/ Von Starken der frohlokende Sohn des Höchsten, / / Ein Loossungszeichen, …“ (StA 2: 1: 273). The allusition is to the Hindu Trimurti, in which Brahma is the Creator, Vishnu the Preserver, and Śiva the Destroyer and Regenerator. Christ thus properly corresponds to Vishnu, rather than to Śiva; the passage confirms, if anything, Hölderlin’s bold religious creativity. Cf. 1999, ch. 9 , n. 120 (445) 55 LW 179. Hölderlinian Shadow and Light 123 turbulence of “Die Windsbraut.” “Wer es erkannt hat . . .” is a sonnet, as if to signal that we have left the field of structural, and specifically metrical, invitations to compare poem for poem. We shall stay with comparison text for text, but at this third stage of our focusing, mysticism and form, rather than style or tone, shall be our guide. Allowing for the mystical experience of silence to mirror its like, we come to Hölderlin’s hymnic fragment “Einst hab ich die Muse gefragt . . .”: Einst hab ich die Muse gefragt, und sie Antwortete mir Am Ende wirst du es finden. Kein Sterblicher kann es fassen. Vom Höchsten will ich schweigen. 56 Laotse, two lines by whom are quoted under Schönwiese’s title, says: “Wer es kennt, spricht nicht davon”; the oracular voices of muse and sage echo. Indeed, Schönwiese closes his sonnet with: “wer spricht, der hat es nicht zu eigen./ Den, der es ist, erkenn’ am Tun und Schweigen! ” 57 The very length of subsequent poems helps create atmosphere. There is here a chinoiserie in store for us; in these later collections, Schönwiese represents several Chinese poets: Po Chü-i, Tao Yüan-ming (with three poems), Yen-chi Kuang-wen; and the Japanese Bashō and Ikkyū . 58 We are now in the collection Baum und Träne (1962); the poem is untitled: Die Verse les ich, die du mir gesandt, beim Licht der Kerze, bis sie abgebrannt. Die wunden Augen sehn das Wachs vertropfen. Den Wellen lausch ich, die ans Ufer klopfen. 59 “After Po Chü-i,” we are told in the subscript to the little poem, and to me it sounds suspicious. Checking in an older volume of translations into the Hungarian by the prominent poet and writer Dezső Kosztolányi (1885-1936), indeed I find the very text. 60 Since, as we know, Schönwiese was in Hungary 56 StA 2: 1: 220-221; 220. 57 LW 179. 58 LW 179-255. Schönwiese’s generation found itself in the midst of the excitement of chinoiserie in Western poetry and art. The first act of it, for his age, was without a doubt Hans Bethge, Die chinesische Flöte (Leipzig: Insel, 1907), on parts of which the composer Gustav Mahler (1860-1911) based his late song cycle Das Lied von der Erde (l908-l909). See Henry-Louis de la Grange, Gustav Mahler, vol. 4: A New Life Cut Short (1907-1911) (Oxford: Oxford U P, 2008). In this final volume of de la Grange’s colossal Mahler biography there is even a heading that reads: “Jugendstil and Chinoiserie” (1325). 59 LW 189. 60 See Dezső Kosztolányi, Idegen költők (Foreign Poets) [Collected Verse Translations], ed. Gyula Illyés (Budapest: Révai, 1942) 467: “Yüan Chen verseit olvasgatva a hajón” (“Perusing Yüan Chen’s Poems on the Boat”). Not in Kosztolányi’s Kínai és japán versek (Chinese and Japanese Poems) (Budapest: Révai, 1931, 4th prtg. 1947). Emery George 124 between 1938 and 1945, and learned enough of the language to translate two sonnets by Attila József, 61 it is not unimaginable that the above German text comes to us directly from the Hungarian rather than over English. As far as comparability of the point the poem by Po Chü-i makes with Hölderlin’s work may be concerned, the German poet was surrounded by friends who themselves wrote, and he almost always encouraged their work. 62 An epigrammatic ode from Hölderlin’s Frankfurt period, “An die jungen Dichter,” illustrates this nicely: “Lieben Brüder! es reift unsere Kunst vieleicht.” 63 For Schönwiese, the lines after Po Chü-i are perhaps a reminder that followers of Mahayana Buddhism are free to “rely on the aid of . . . Bodhisattvas whose wisdom, mercy, and readiness to help are unbounded.” Buddha - light. Bodhisattva - knower of light. The brilliant light of the Eightfold Path is a guide for both poets. 64 Japanese mysticism seems to join Laotse’s urging us to maintain silence; “Meditation über das fünfte Koan des Mumonkan” 65 is again a sonnet, but with a totally different voice and situation, it seems right to say an existential one. “Was ist das Wesen der Wahrheit? ” Asked such a question over a mountain gorge, one should answer it, “Und koste es das Leben.” And in the last two lines of the sonnet: “Wirst du den Sturz - um SEINETwillen - wagen: / Heben dich Engel auf, dich heimzutragen,” in the heavenly light, Hölderlin’s very own answer rings out (“Patmos,” lines 3-4): “Wo aber Gefahr ist, wächst/ Das Rettende auch.” And we are not finished with “Patmos.” We have seen evidence of Schönwiese’s tendency to quote earlier poetry, as, here, he quotes wording from the conjuration of the Earth Spirit (Faust, line 481). Should we, then, be surprised to read: “Alles ist gut! ” in the untitled “Du / draußen bei deinen Rosen, . . .”? The quotation, “Alles ist gut! ” comes verbatim from “Patmos” (line 88), from the midst of the meditation on 61 Strelka 113. József [sic]. 62 See Paul Böckmann (ed.), Hymnische Dichtung im Umkreis Hölderlins. Eine Anthologie (Tübingen: J. C. B. Mohr [Paul Siebeck], 1965); on Emmerich, whom Hölderlin did not encourage, cf. above, n. 48 (pace Böckmann 349-350). On the positive side, see Hölderlin to Casimir Ulrich Böhlendorff, 4 December 1801 (letter 236), StA 6: 1: 425-426; ibid. 6: 2: 1074-1077. The writer reports to Böhlendorff on having read the latter’s play Fernando oder Kunstweihe and compliments its author on his having attained precision and warmth, two prerequisites of good writing (letter 236, lines 6-14). 63 “An die jungen Dichter,” line 1 (StA 1: 1: 255; FHA 5: 524), emphasis mine. 64 See EB 14, 4: 356 (s.v. “Buddhism”). The name Buddha comes from Sanskrit bodhi “enligh- tenment.” 65 See LW 184. The Mumonkan is a collection of Zen Buddhist kōan texts, “brief, enigmatic anecdote[s] or dialogue[s] between two contesting parties”; see Steven Heine, Opening a Mountain: Kōans of the Zen Masters (New York: Oxford U P, 2002) 1-35; 1 (“Introduction: What Are Kōans? ”). For German text, translated from the Chinese, see Heinrich Dumoulin (ed. and trans.), Mumonkan, Die Schranke ohne Tor. Meister Wu-Men’s Sammlung der achtundvierzig Kōan (Mainz: Grünewald, 1975) 50-51 (“Fünftes Beispiel: Hsiang-yen’s ‘Mann auf dem Baum’”). Caution: Schönwiese could not have used this edition; Der alte und der junge Chronos appeared in 1957. Hölderlinian Shadow and Light 125 Christ’s death, in stanza 6: “Denn alles ist gut. Drauf starb er. Vieles wäre/ Zu sagen davon” (lines 88-89). Let us once again take a passage from a brief poem by Schönwiese and compare it with one from a longer one by Hölderlin. Lines 1-2 of “Der Wasserfall” read: “Er scheint stillzustehen/ und fließt doch unablässig.” The late hymn “Der Ister” contains this very suggestion (lines 41-46; the “Der” of line 41 is the river Danube, named Istros by the Greeks): Der scheinet aber fast Rükwärts zu gehen und Ich mein, er müsse kommen Von Osten. Vieles wäre Zu sagen davon. 66 The last two lines of this passage are a verbatim quotation of the above quoted lines from “Patmos” (i.e. lines 88-89). Let us take a tiny break from things Indian and Chinese, and go to the short poem by Bashō that reads: “Im tiefen Schatten dieser Bäume lauscht ich/ der unhörbaren Flöte Melodie.” 67 Deep shades of trees; inaudible music: both are images Hölderlin uses repeatedly. What is delicate and unique about the poem as a whole is its combining of these features while offering an artefact of sound and stunning probable improbability. If there is one form the poem reminds us of, it is the haiku; I am going to quote Ezra Pound’s equally masterly haiku “In a Station of the Metro”: The apparition of these faces in the crowd; Petals on a wet, black bough. 68 We should be equally ready to quote Hölderlin’s “Hälfte des Lebens,” among other poems of suggestive form. Hölderlin wrote no haiku. But a Western poet preoccupied with haiku and poems resembling that delicate form, coming across a poem like “Hälfte des Lebens,” might well wonder, even argue. Are there passages in it that sing the haiku’s inaudible music? Let us quote: Mit gelben Birnen hänget Und voll mit wilden Rosen 66 “Der Wasserfall” (LW 190); “Der Ister,” lines 41-46 (StA 2: 1: 190-192; 191). 67 LW 190. Trans.: “Temple of Suma -/ hearing the unblown flute/ in the deep shade of trees”: haiku no. 293 (of 724 translated); see Matsuo Bashō, Bashō’s Haiku: Selected Poems by M. B., ed. and trans. David Landis Barnhill (Albany: State U of New York P, 2004) 75. There are about 980 extant haiku by Bashō (see Introduction, ibid. 16). No. 293 is the only one in the present reference to contain the image of the flute. 68 See Ezra Pound, Personae 109. Cf. Kenner 184-187. Note that Pound reverses the haiku’s syllabic pattern, giving seven - five - seven syllables instead of five - seven - five. Emery George 126 Das Land in den See, Ihr holden Schwäne, . . . Better yet; these closing three lines seem to have been made to order: Die Mauern stehn Sprachlos und kalt, im Winde Klirren die Fahnen. Sensitivity is the word, the music of the unheard tone. The light, of Zen thought, falls over to the ear listening to Hölderlin, from the poetry and poetics of Bashō: “Im tiefen Schatten dieser Bäume lauscht ich / der unhörbaren Flöte Melodie.” 69 We hear the melody of the inaudible flute in Hölderlin’s elegy “Stutgard,” where the poet-persona, extending a greeting to the city, the “motherland princess,” apostrophizes her (line 81): “Immer hast du Gesang mit Flöten und Saiten gebilligt” in the celebratory tone of the autumn festival that is this elegy’s diapason. 70 And that, kindly listener, is the mystique of music: that, once performed, it is gone, and can be but recalled in the poetic performance. We hear, a poet conjures, the melody of the inaudible flute. 71 The light of mysticism, of the immediate presence of God and the gods, is inextinguishable, and captured in angelic celebration. The message is that life is not life unless in the true music of thankfulness, it celebrates life. Let me conclude by proposing two juxtapositions and stasis-filled contemplations of poems. The first begins: “Eine Raupe siehst du? / Es ist ein Schmetterling.” Answering it, we find, discreetly hidden in “Ihr sichergebaueten Alpen . . . ,” one of Hölderlin’s late hymnic fragments, line 14 “Und der Seidenbaum.” The “silk tree” is the white-mulberry tree, whose leaves serve the silkworm as food. Hölderlin is here contemplating the economy of nature; the scene conjures the work of the distinguished naturalist and painter Maria Sibylla Merian (1647-1717), who painted these scenes of metamorphosis - silkworm, caterpillar, butterfly - out of pure love for what lives, in the true Buddhist spirit of reverence for all living things. There is no evidence that Hölderlin was aware of Merian or her work, but well might he have been. One of her best-known books, in German entitled Die Raupen, dates from 1679. 72 Schönwiese’s brief poem concludes: “Wer nur die Erscheinung sieht/ sieht nichts.” 69 “Hälfte des Lebens,” lines 1-4, 12-14 (StA 2: 1: 117); Bashō (LW 190). 70 “Stutgard,” line 81 (StA 2: 1: 86-89; 88; FHA 6: 201). 71 One additional note: Hölderlin himself was musically gifted, and played flute and keyboard. On his musical interests and other references of a similar nature, see StA 8: 241- 245. 72 “Eine Raupe . . .”: LW 256. “Ihr sichergebaueten Alpen . . . ,” line 14 “Und der Seidenbaum” (StA 2: 1: 231-232; 231). See also Natalie Zemon Davis, Women on the Margins: Three Seventeenth-Century Lives (Cambridge, MA: Harvard U P, 1995) [ch. 3: ] “Metamorphoses: Maria Sibylla Merian,” ibid. 142-216, 295-335; Merian’s Raupen cited, ibid. 146. Hölderlinian Shadow and Light 127 Elsewhere, he probably sings, or closely worded: “Wer nichts sieht/ sieht alles.” 73 We have come back to the mystery of life and to ways open to us to clebrate it; our inquiry has come full circle. Here is Hölderlin’s simple eightliner “An eine Rose,” from his first Tübingen period, a young student’s rhymed and metered exercise, but warm in tone and addressed to a person; the ambiguity of the rose image holds us in contemplation: Ewig trägt im Mutterschoose, Süße Königin der Flur! Dich und mich die stille, große, Allbelebende Natur; Röschen! unser Schmuk veraltet, Stürm’ entblättern dich und mich, Doch der ewge Keim entfaltet Bald zu neuer Blüthe sich. 74 Schönwiese’s answer, in the voice of the mystic: “Tausend Rosen/ sind eine Rose./ Und eine Rose/ ist das All.” 75 We may hold this to be an in-depth commentary in nuce on Hölderlin’s Tübingen offering, which, while addressed to a specific individual, also addresses all life. A closing prayer from Schönwiese’s 1951 collection Das unverlorene Paradies summarizes our take on the spiritual shadow and light on his poetical work: 73 See the lines “Nur wer nichts mehr weiß,/ weiß alles” (LW 276). They occur in Schönwiese‘s 1987 collection Antworten in der Vogelsprache. One important caveat: Schönwiese’s vision does not hold understanding the language of birds as a given to the uninitiated; see “Die Sprache der Vögel erlernen, / wie im Märchen! -” For that reason, this is one point where the possibilities of comparison with Hölderlin’s poetry and poetics reach their limit. The latter’s vision includes, rather prominently, the mythical image of the (German-) speaking eagle; see the hymn “Germanien” (StA 2: 1: 149-152) and the late hymnic fragment “Der Adler” (ibid. 229-230). Cf. Dante, Par. 19 (the speaking eagle). 74 See StA 1: 1: 172, ibid. 1: 2: 470-471; FHA 2: 185. In his note on sources (ibid. 183), Sattler titles the little poem “Albumblatt für Rosine Stäudlin”; he writes that the title “An eine Rose” may come from Neuffer, who republished the poem in his Taschenbuch for 1824. The dedicatee, whose tragically brief dates are 1767-1795 (see StA 8: 189), was one of the two sisters of Gotthold Friedrich Stäudlin (1758-1796) and betrothed of Neuffer. 75 LW 219. There is also the possibility that Schönwiese’s “Tausend Rosen . . .” contains an allusion to the mystical “One and All,” which, in its Greek form (“Hen kai pan”), Hölderlin, Hegel, and Schelling used between them as a password at the Tübinger Stift. See especially Max L. Baeumer, “Hölderlin und das Hen kai pan,” Monatshefte 59 (1967): 131-147. Emery George 128 Nichts will ich sein, als nur der Widerschein Von Deinem Licht, das leuchtet dieser Welt. Der Spiegel nur vor Deiner Sonne Schein, Eh’ er zurück in Deine Hände fällt. So bin erwacht ich endlich Deinem Wort, Das mir mein Herz mit seliger Lust umzirkt, Und meine Hand, die lange schon gedorrt, Regt sich aufs neue mir und schafft und wirkt. 76 76 “Nichts will ich sein, als nur der Widerschein . . .” (LW 121). One last note: Guillaume Apollinaire is absolutely right: “Versecraft is like the work of a fine mechanic”; see Hugo Friedrich, The Structure of Modern Poetry, from the Mid-Nineteenth to the Mid-Twentieth Century, trans. Joachim Neugroschel (Evanston, IL: Northwestern U P, 1974) 113 (emphasis mine). One correction: Feinmechaniker means not “fine mechanic” but rather “precision-tool maker.” Hölderlinian Shadow and Light 129 Ernst Schönwiese (1905-1991) THE TEMPEST On Oskar Kokoschka’s Picture of That Name Bride of the wind, you, storm-bird of love, you now rest here, contented, Inwardly, though, God’s wind rummages, ransacks your heart. No hand is gentler and no eyes open with more consolation Than do yours; and yet: filled with a blessed unrest, Hover, you do, and you feel it, an eagle, you, hovering up there; Over a day marked to flee, bathing, the soul becomes young. As we’re still resting, entwined, dream-pitching and tossing, embraced tight, Hand in hand; and your mouth, flaming of tongue, closes in --Lightning bolt--: strike! it showers us, endlessly calming, the knowl- edge: Love, which so fused us, also forces the blessing from high. Tempest: you hauled me inside, now, into the only great secret, And it unravels, your glance gives itself to me, your kiss. Of what I do, ah, always you’re now the one goal, and ever You live astir in my blood, do it yourself, and through me. Ah, for what would I be before you, storm-bird, but that the smallest Squeeze of your finger, a wave, or but a glance brushing past, Softly in breathing its last, a word wakes my heart’s deep music! Sounding from you, in a word, redeeming, the act gives itself. See: so you hold our bliss in faith in hands that receive it And your victorious heart renders the lent lasting, true. Two who love deeply as we do, are free to the timeless, eternal: Into their opened-up hearts streaming in endless increase. Translated from the German By Emery E. George Prosa und Hörspiel Der novellistische Formkünstler Schönwiese Ilona Slawinski Ernst Schönwiese war in erster Linie Lyriker und Essayist. Die fiktionalen Gattungen der Dichtungen lagen ihm sehr wenig und daher gibt es nur drei Werke, die dem fiktionalen Erzählen zugerechnet werden können: Ein Romanfragment mit dem Titel „Mondspaziergang“, eine Short story mit dem Titel „Die Heimkehr“ und die klassische Novelle „Regen im Tessin“. 1 Ein zeitüberdauerndes bedeutendes Werk davon ist nur „Regen im Tessin“, das sich durch realistische Plastizität und Formkunst von den beiden anderen unterscheidet. Diese große novellistische Formkunst soll hier gezeigt werden. Das kurze Romanfragment „Mondspaziergang“ zeigt als Protagonisten einen Mann namens Clemens und seine Frau, die Bettine heißt. Clemens hat das Gefühl, als stünde zwischen ihm und Bettine eine Art Glaswand, welche jegliche innige Gemeinsamkeit verhindert. Eigentlich entschließt er sich nur, um noch etwas länger von ihr weg zu bleiben, zum Mondspaziergang, dessen traumhafte Nachtlandschaft aber die wichtige und notwendige Wendung in ihm herbeiführt. Es ist nur ein kurzer Spaziergang zum Hügel hinter dem Haus, wo um diese Jahreszeit der Mondaufgang stattzufinden pflegte. Der innere Monolog der Gedanken Clemens beginnt damit, dass er das Problem enthüllt, das die Ehepartner im Grunde voneinander trennt. Würde Bettine nicht, fürchtet er, vielleicht spotten, dass er, der nüchterne Ingenieur, in der Nacht durch die Wiesen streifte, um den Mondaufgang zu sehen? Würde sie nicht dieses kleine, halb listig durchschauende, halb ironische Lächeln haben, bei dem er immer das Gefühl hatte, dass sie ihn auslachte? Denn er war ein Maschinenbauer mit der Gehirnstruktur eines Technokraten und der totalen Phantasielosigkeit eines philosophischen Materialisten. Während sie es liebte, sich dem reichen Gefühlsleben ihrer Phantasie hinzugeben, sei es indem sie von der besonderen Stelle eines dickleibigen englischen Romans bezaubert ist, sei es, durch ihre innere Bewegtheit von einigen Takten einer Sonate, die sie auf dem Klavier spielte oder sei es schließlich durch den Anblick des alten, steinernen, heidnischen Gottes, den sie allein gekauft und im Garten aufgestellt hatte. Je länger er während seines Spazierganges darüber nachdachte, desto klarer und deutlicher wurde ihm das Problem, das aus dieser Verschiedenheit entstanden war und das einen Hauptpunkt in Schönwieses Werken wie in seiner eigenen Lebensphilosophie darstellte: Sie, Bettine, vermochte es, ihr 1 „Der Mondspaziergang“ und „Regen im Tessin“ sind heute am leichtesten greifbar durch den Band von Ernst Schönwiese: Kunstprosa. Hg. von Joseph P. Strelka als zweiter Band der Gesammelten Werke in Einzelausgaben. Innsbruck 2009, S. 13-31. Die Short story „Die Heimkehr“ ist abgedruckt in der Zeitschrift Story, Jg. 1951, Heft 5, S. 61-70. Ilona Slawinski 134 eigenes Ich zu vergessen, zu überwinden, in der Hingabe in diesem Fall an Werke der Kunst, die ihre Phantasie beflügelten und gerade in der Hingabe an anderes, eine Bereicherung und ein Glück zu empfinden, die ihm versagt waren. Da aber auch in ihm, wenngleich verdeckt, irgendwo, irgendwie instinktiv eine Sehnsucht nach einem Leben in einem großen, starken, sicheren Gefühl sich regen konnte, empfand er nun plötzlich diesen Unterschied zwischen Bettine und sich selbst so, dass er selbst etwas dazu zu lernen, etwas aufzuholen hatte. So, dass der Mondspaziergang durch sein traumhaft bezauberndes Nachtbild das Ergebnis hat, dass Clemens in sein Haus zurück eilte, um endlich darüber eine offene Aussprache zu haben. „Es stand alles auf dem Spiel: das wahre Glück und der Sinn ihrer beider Dasein.“ Damit bricht das Fragment ab. Aber damit ist auch ein eigener und zudem wichtiger Abschnitt aus einem geplanten Roman in seiner Ganzheit dargestellt, ein Abschnitt, der nicht nur ein grundsätzliches existentielles Problem des Menschen, sondern auch den tieferen Sinn der Berufung zu einem Erzähler gleichsam zusammenfassend und durch den letzten Satz auch in doppeltem Sinn abschließend behandelt. Das ist wohl auch der Grund, weshalb das Romanfragment in den Auswahlband von Schönwieses Prosa aufgenommen wurde, die ganze Short story aber nicht. Denn sie behandelt eigentlich dasselbe Problem, lediglich dass es im „Mondspaziergang“ um die mangelnde Hingabe des Mannes geht, in der „Heimkehr“ aber um die mangelnde Hingabefähigkeit der Frau. Die Short story liest sich indessen eher wie die poetologisch überaus gekonnte Lektion in die Short-story-Kunst Hemingways, was besonders den Kontrast zum „Regen im Tessin“ deutlich macht. Diese Novelle nämlich strotzt förmlich von wahrhaftigem Leben und ist beflügelt von der Atmosphäre aufkeimender Liebe. Die „Heimkehr“ exemplifiziert die Kunst Hemingways an einem negativen Beispiel unzulänglicher Liebe. Die ganze Short story ist der innere Monolog einer Frau, die gerade von einem Schiurlaub heimgekehrt ist. Der Arzt hatte ihr mitgeteilt, dass ihrem Mann ein baldiges, langsames und entsetzliches Ende bevorstünde. Bei ihrer „Heimkehr“ findet sie den Mann körperlich bereits weitgehend verfallen und psychisch als ein Wrack tiefer Depression vor. Der Monolog ist vordergründig als Selbstrechtfertigung der Frau angelegt, jedoch so formuliert, dass entsprechend der Hemingway-Methode die Wahrheit hinter der Rechtfertigung zum Vorschein kommt. Dadurch gerät die ganze Selbstrechtfertigung im Grunde zu einem Schuldbekenntnis. Die Frau erweist sich dem Problem in keiner Weise gewachsen und scheitert zumindest zum Teil selbstverschuldet aus Mangel an seelischer Stärke, da ihre Hingabefähigkeit zu begrenzt und gering ist. Die Novelle „Regen im Tessin“ entstand in der Zeit nach dem Ende des II. Weltkrieges, als Schönwiese in Salzburg lebte. Die Novelle atmet auch insofern Wirklichkeit, da sie im Tessin am Ufer des Lago Maggiore spielt, wo er wiederholt einige Tage zu verbringen pflegte. Am Ufer dieses Sees haben Der novellistische Formkünstler 135 aber auch die Tagungen des Eranos-Kreises stattgefunden, die er ganz besonders geschätzt hat und die tiefen Einfluss auf seine geistige Entwicklung genommen haben. Die Novelle ist insbesondere dadurch wirklichkeitsbezogen, als zumindest drei der männlichen Gestalten und wohl auch einer der beiden weiblichen Charaktere aus dem Leben gegriffen sind. Das Modell des Erzählers sowohl des Rahmens als auch der Binnengeschichte ist Schönwiese selber, der auch tatsächlich im Haus des geschilderten Gastgebers mitunter ein Zimmer gemietet hat. Der „Hausherr und Gastgeber“, von dem nur der Vorname Wolfgang verraten wird, hat als wirkliches Modell aus dem Leben den Schriftsteller Wolfgang Cordan, der dem George-Kreis nahe stand. Er hatte sich in allen literarischen Gattungen versucht, ist aber besonders durch seine historischen Romane zu Bedeutung gelangt. Der letzte dieser Romane vor der Geschichte galt Julian Apostata und der Autor hatte sich so in das Thema eingelebt, dass er als Beinamen der Hausgemeinschaft „Der Grieche“ erhalten hat. Der dritte Mann, der in der Novelle den Namen Rainer trägt und als Italiener ausgegeben wird, hat als Modell den wenig bekannten deutschen Philosophen Reinhold Klemm, der ganz so aussah und sich bewegte wie die Gestalt der Novelle und der eine interessante Arbeit über Schönwieses Lyrik verfasst hat. 2 Von den zwei weiblichen Charakteren ist zweifellos jener der jungen italienischen Schauspielerin, Odyssia, nach einem wirklichen Modell gestaltet, die im Gegensatz zu ihrem anscheinend flotten und oft spöttischen Benehmen literarisch so ernsthafte Autoren, wie Dino Buzzati und Malaparte, schätzte. Lediglich der „gelegentliche Sekretär“ Wolfgangs mit Namen Heinz, zweifellos sein homoerotischer Gefährte und dessen etwas ältere, etwas mütterliche Gattin, Lola, besitzen möglicherweise kein wirkliches Modell. Der Tonfall der Novelle ist ebenfalls realistisch, wechselt allerdings vom heiteren Rahmen zur Ernsthaftigkeit der Binnengeschichte und der zweiten Rahmenhälfte, was einen klug gewählten Kontrast ausmacht. Die Charakterisierung der Personen des Rahmens unterstreicht, dass Heinz gerade für eine Zeitschrift eine amerikanische Kurzgeschichte übersetzt, und in der Wirklichkeit ist es jene Zeitschrift, in der auch Schönwieses Short story erschienen ist. Von Wolfgang heißt es, dass er als George-Jünger „einen schrägen Strich“ setzte, wo unsereins einen Beistrich machte oder einen seltsam hochgestellten Punkt, wo ein anderer ein Fragezeichen gesetzt hätte. 3 Rainer, „der Philosoph“, rauchte seine Pfeife, die so entsetzlich roch, wie es offenbar den Anhängern einer streng ästhetischen Lebenshaltung entsprach. Odyssia hatte mausgraue Augen, die sehr beweglich waren und blitzschnell von einem zum anderen hüpften und - aus Verlegenheit oder Abenteuerlust - niemals auf einem Punkt verweilen konnten. Obwohl am 2 Zu Reinhold Klemm vgl. Joseph P. Strelka: Ernst Schönwiese. Frankfurt/ Main - Bern - New York 2005, S. 17, 20, 21, 61. 3 Ernst Schönwiese: Kunstprosa, op. cit., S. 17. Ilona Slawinski 136 Eingang der Novelle mit besonderem Nachdruck erklärt wird, dass im Tessin grundsätzlich das ganze Jahr hindurch Sonnenschein herrsche, regnet es gerade bei Ankunft des Erzählers bereits drei Tage. Durch diesen ebenso ungewöhnlichen wie entsetzlichen Regen kommt es zu einem literarischen Gespräch und als der Rahmenerzähler, älter als die anderen, an die Stehgreif- Sprichwort-Geschichten aus der Frühzeit des Rundfunks erinnert, wird er sofort von Wolfgang in sanfter Bosheit festgenagelt, selbst eine solche Geschichte zu erzählen. Als der darüber unglückliche und unfreiwillige Erzähler im Kreis herum fragt, welches Sprichwort er als „Aufgabe“ wählen sollte, schlägt Odyssia spöttisch vor: Wie man sich bettet, so liegt man. Wenn gesagt werden konnte, dass charakteristisch für die Kunstform der Novelle ihre Eröffnungen sind, und ferner gesagt werden konnte, dass sich diese Eröffnungen im Gegensatz zu den Märchenanfängen: „Es war einmal ...“, aber auch zu den Eröffnungen von Erzählungen, die allzu oft mit einem Andante beginnen, das oft in die Vergangenheit zurück führt, beginnt die Novelle in der Regel mit einem vollen Akkord und setzt in der Gegenwart ein. 4 Der volle Akkord von Schönwieses Novelle ist nicht einfach ein gewöhnlicher Regen, sondern jener Regen im Tessin, der kein „sanfter Salzburger Schnürlregen“ ist, sondern der windgepeitscht von allen Seiten kommt, Kaskaden und hochspritzende Gießbäche erzeugt. Und die Novelle spielt nicht in der Vergangenheit, sondern ist aktuelle Gegenwart: Ich kam in Locarno an, als es bereits drei Tage geregnet hatte. 5 Die zweite wichtige Charakteristik der Novelle besteht darin, dass sie einen Rahmen hat. Es gibt vielerlei Arten von Rahmen, begonnen von der vergleichsweise archaischen und einfachen Form von Boccaccios Decameron, wo zehn junge Menschen in einer Villa außerhalb von Florenz einander durch zehn Tage hindurch Geschichten erzählen, um sich die Langeweile zu vertreiben, da sie vor der Pest aus der Stadt mit ihren vielen Vergnügungen auf das Land hatten fliehen müssen. Auch hier bei Schönwiese geht es darum, zur Überwindung der Langeweile der im Regen festgehaltenen Gesellschaft eine Geschichte zu erzählen. Aber der Rahmen der Novelle Schönwieses ist schon sehr viel komplizierter und kunstvoller als der Boccaccios. Er erinnert eher an die im 19. Jahrhundert von Conrad Ferdinand Meyer erreichte hohe Rahmenkunst in dessen Novelle „Die Hochzeit des Mönchs“. Die Ausgangssituation bei Meyer ist im Grunde eine ähnliche wie bei Schönwiese. Eine Gesellschaft, hier die Hofgesellschaft des Fürsten Cangrande von Verona, sitzt um den Kamin des großen Raumes und erzählt Themengeschichten. Da kommt der große Dichter Dante, der Exilant, dem Cangrande Schutz und Gastfreundschaft gewährte, die Treppe herunter und wird ähnlich wie in „Regen im Tessin“ eingeladen, eine Geschichte zu erzählen. Hier ist das Thema allerdings „plötzlicher Berufswechsel“. Der Rahmen 4 Nino Erné: Kunst der Novelle. Wiesbaden 1961, S. 17. 5 Kunstprosa, op. cit., S. 16. Der novellistische Formkünstler 137 aber, von Meyer zu besonderer Kunstform entwickelt, beginnt wie der „Regen im Tessin“ mit einer gleichsam symphonischen Breite. Dort wird die Hofgesellschaft im einzelnen so vorgestellt, wie hier die sechs Hausbewohner. Dante aber, der Richter und Moralist der Epoche, erzählt eine Geschichte, in welcher die Mitglieder der Hofgesellschaft ganz ihrem Charakter entsprechen, wenn sie auch unter anderem Namen in der Geschichte auftauchen. Auf diese Weise entsteht eine überaus kunstvolle Durchdringung der Binnengeschichte durch die Rahmengeschichte, sodass eine Art von integraler Ganzheit entsteht. Schönwiese verwendet eine ähnliche Methode, um eine solche Durchdringung der Binnengeschichte durch die Rahmengeschichte durchzuführen. Als sein Erzähler die Aufgabe erhalten hat, eine solche „Sprichwortgeschichte“ zu erzählen, da versucht er, in die Enge gedrängt, mehr Hilfe zu suchen. „So gebt mir doch wenigstens einige weitere Bestimmungsglieder für die Geschichte“, bittet er. Nun hat ein Mitglied der Gesellschaft, nämlich Odyssia, bereits das Thema bestimmt: „Wie man sich bettet, so liegt man“, das war spöttisch und ironisch auf den Erzähler gemünzt gewesen, denn da er die Idee der Stehgreif- und Sprichwortgeschichten aufgebracht hatte, musste er nun selber eine erzählen. Der spöttisch heitere Charakter des Sinns dieses Sprichworts auf der Ebene des Rahmens wird auf der Ebene der Binnengeschichte sodann zu großer Ernsthaftigkeit vertieft. Lola, die mütterliche Gattin des Sekretärs Heinz, schlägt vor, dass der Held einen bestimmten Charakter haben sollte und ihr Mann, der jugendliche „Sekretär“ erklärt, es sollte jemand sein, dessen Charakter Charakterlosigkeit wäre. Man sieht, wie die Vorschläge der einzelnen Personen eine Beziehung zu ihrem eigenen Charakter aufweisen. Wolfgang, der Hausherr, findet, dass auch der strahlendste Charakter sich an Begebenheiten offenbaren muss. Sogar Geschehnisse, die nicht von den Personen selbst ausgehen, sondern von außen auf sie einwirken, können sie formen oder wandeln. Das erweist sich als Vorausdeutung auf die zweite Rahmenhälfte. Da hat Lola einen neuen Einfall: „Es könnte doch irgendein Unglück passieren. Vielleicht hat er einen Autounfall.“ Rainer, der Ästhet, steuert ein weiteres wichtiges Detail bei: „Lassen wir doch die Hauptperson eine bestimmte Lieblingswendung haben.“ Zum Beispiel könnte er andauernd sagen: „Was habe ich schon davon.“ Lola hat immer neue Ideen: „Und noch etwas“, sagt sie, „er könnte vielleicht bei irgendeiner Gelegenheit, einen Geldbetrag gewinnen.“ Der Erzähler, die heitere Atmosphäre verstärkend, reagiert darauf mit der Frage: „Wollen Sie nicht vielleicht selbst die Geschichte erzählen, gnädige Frau, Sie wissen, wie ich sehe, viel genauer über sie Bescheid als ich.“ Sodann aber bittet er noch einmal um Hilfe im Hinblick auf andere Personen als die Hauptperson. Hier springt nun wieder Odyssia mit dem Vorschlag ein, es möge sich um einen Mann zwischen zwei Frauen handeln. Während der Erzähler noch darüber nachsinnt, dass er damit so ziemlich das Ilona Slawinski 138 abgedroschenste Thema zugewiesen erhalten habe, ruft Wolfgang aus: „Jetzt ist’s aber Schluß! “ Mit dem Gedanken, Wolfgang sei einmal sein Freund gewesen und voll der Reue darüber, die Idee mit den Stehgreif- und Sprichwortgeschichten geäußert zu haben, beginnt er also drauf los zu erzählen. Damit ist aber die kunstvolle Vernetzung von Rahmen und Binnengeschichte bereits geschehen, denn in der Binnengeschichte kommen nun alle Vorschläge und Ideen der Anwesenden vor, die ihrem Charakter entsprechen, wie im Rahmen von Meyers Novelle, die dem gewaltigen Dante in den Mund gelegt ist. Jedenfalls ist der Rahmen von „Regen im Tessin“ nicht einfach konventioneller Schmuck, sondern wirkliches Gestaltungsmittel der Kunst. Das nächste wichtige Kunstmittel der Novelle, die Person des Erzählers, greift bei Schönwiese einerseits nicht nur auf die Urform der Novelle mit ihrem Erzähltwerden in einem Publikumskreis zurück, sondern zielt andererseits auch bereits in die Moderne, denn hier hat der Erzähler schon etwas von der Kontrastfigur gegenüber dem Publikum an sich, das er in homogener Weise gegen sich zusammen geschlossen sieht. Seinen einzigen Freund Wolfgang hat er ja durch dessen Bosheit verloren, und der später sich entwickelnden Gemeinsamkeit mit ihm ist sich Odyssia selbst noch in keiner Weise bewusst. In der zweiten Rahmenhälfte entwickelt sich eine andere Gruppierung, die dazu führt, dass der Erzähler zusammen mit Odyssia im Sonnenschein sitzt, während alle anderen der Gruppe im „Regen im Tessin“ zurück bleiben. Diese Beobachtung weist bereits auf das nächste Strukturelement der Novelle voraus, auf den „Kristallisationspunkt“. Er darf weder mit dem Thema noch mit der Pointe gleichgesetzt werden, sondern ist „der Punkt“, „auf den sich jeder Satz, jedes Bild, jede Handlung der Novelle irgendwie beziehen lassen.“ 6 Dieser Kristallisationspunkt ist bei Schönwiese wie in dem von Nino Erné vorgestellten Muster der „Venus von Ille“ eines der größten Novellisten aller Zeiten, Prosper Mérimée, der Titel „Regen im Tessin“. Der Erzähler hofft während seiner Anreise - wie gewöhnlich - mit Sicherheit in herrlich sonniges Wetter zu gelangen und wird bei seiner Ankunft durch einen geradezu orkanartigen Regensturm in die Realität zurückgeholt. Die negative Auswirkung dieser Regenkatastrophe zeigt sich auch in der Langeweile der durch den Regen im Haus festgehaltenen Hausgenossenschaft. Es ist der Regen, der dazu führt, dass er seine Geschichte erzählen muss. In seiner Geschichte ist der Hauptheld Fred Margeneit, der alles berechnet und berechnen zu können glaubt, der Idealisten verachtet, weil sie „unberechenbar“ sind, und dem der Regen als Metapher für die bösen, negativen, weil auch unberechenbaren Seiten des Lebens dient. Hinter dem oberflächlichen Scheinthema „Wie man sich bettet, so liegt man“, wird hier das wirkliche Hauptthema plötzlich sichtbar: dass der schlaueste, berechnende Materialismus durch einen unerwarteten Regenguss zunichte gemacht werden kann, was indirekt ein Hin- 6 Nino Erné, op. cit., S. 54. Der novellistische Formkünstler 139 weis auf Möglichkeit und Sinn des Idealismus ist. Diese Botschaft vom Sinn des Idealismus wird in der Binnengeschichte am Exempel der Liebe statuiert, weil gerade an ihr, die irrealer Altruismus ist, alles auf das Gegenteil des berechnenden Materialismus hinaus läuft und wie eine positive Rechtfertigung des unangenehmen Regengusses wirkt. Der zentrale Punkt der Fabel der Binnengeschichte besteht darin, dass das Schicksal es sich in den Kopf gesetzt zu haben schien, Margeneit die positiven Auswirkungen eines symbolischen Regensturms in Form eines Autounfalls klar zu machen. Denn ihm wird in der Todesstunde zum ersten Mal klar, dass seine Lieblingswendung auch noch einen zweiten, tieferen Sinn haben kann als den oberflächlichen, in dem er sie immer verwendet hatte. Als ihm die schnell herbei geeilte, weggejagte frühere Geliebte seine Tränen der Bitternis über ein verfehltes Leben mit dem Taschentuch trocknen will, entdeckt sie, dass seine Augen bereits gläsern sind. Nachdem der Erzähler in der zweiten Rahmenhälfte erklärt hatte, dass durch Margeneits letzte Erkenntnis sein Sprichwort einen tieferen Sinn erhalten hatte, schweigt er und alle anderen schweigen auch, so dass man nur hörte, wie der Wind ganze Regenböen gegen das Glas der Terrassentür peitschte. Mit dem Regen begann die ganze Novelle, mit dem Regen endete die Binnengeschichte und mit dem Regen würde auch die zweite Rahmenhälfte enden, wenn der Erzähler mit Odyssia im Spätsonnenschein Zürichs im Kaffeehaus sitzt und sie lesen, wie alle die anderen im Tessin zurückgelassenen unter einem Wetter leiden: Regen. So viel zum Kristallisationspunkt. Als der Erzähler seine Geschichte beendet hat und schweigt, ist er nieder gedrückt, denn er fürchtet, völlig versagt zu haben. Doch als nach einiger Zeit langsam und zögernd ein Gespräch zustande kommt, erweist es sich, dass dem nicht so war. Ja, Wolfgang erkennt parallel zum zweiten Sinn des Sprichworts in der Binnengeschichte, dieser sogar eine verborgene mythische zweite Dimension zu. Er behauptet, sie sei eine moderne Version des Mythos von Jason zwischen Medea und Kreusa. Der Erzähler aber kann nicht einschlafen und beschließt, trotz des Regens noch einen Nostrano trinken zu gehen. Auf dem Gang stößt er auf Odyssia, die denselben Wunsch hat. Also waten sie gemeinsam durch die Fluten zur nahen Grotto di Statione. Es stellte sich heraus, dass Odyssia auch einen Vornamen hatte, sogar einen sehr hübschen, sie hieß Loretta. Die beiden blieben bis Mitternacht. Als es am nächsten Morgen noch immer regnete, war des Erzählers Geduld zu Ende. Aber auch Loretta verabschiedete sich. Sie wollte nach Süden, um in Mailand Verwandte zu besuchen. Der Erzähler aber wollte nach dem Norden, um über Luzern und Bern nach Lausanne zu fahren, wo er einen Tag verbringen wollte. Wolfgang sagte feierlich „Nordenwärts“. Als er dann in Zürich gemeinsam mit Loretta aus dem Zug stieg und über den Bahnhofsplatz einer der schönsten Straßen der Welt zu schritt, war der Himmel wolkenlos blau und sie genossen die späten Strahlen der Sonne. Ilona Slawinski 140 Als sie sodann in einem Kaffeehaus am Limmatufer einander gegenüber saßen, sah er plötzlich, dass Lorettas Augen, deren flinke Beweglichkeit und abenteuernde Unruhe ihr den Namen „die Mausäugige“ eingetragen hatten, weil sie niemals an einem Gegenstand haften bleiben konnten, das erste Mal nicht hin- und herflitzten wie huschende Mäuschen. Mit freudig überraschtem Staunen wurde er gewahr, dass sie ihm ruhig und unverwandt in die Augen sah. Als sie aber in den Zeitungen die Wetterberichte lasen, war alles umgekehrt als gewöhnlich, sie fanden an allen Orten schönes oder zumindest erträgliches Wetter, nur hinter den Orten Locarno und Lugano stand das kleine, nur aus fünf Buchstaben bestehende Wort: Regen. Als das „Eigentliche“ und „Wesentliche“ der Novelle wird aber von Nino Erné der so genannte „Doppelte Boden“ genannt, der im „Durchbruch oder doch zumindest Durchblick ins Übernatürliche“ besteht. 7 Auch den gibt es natürlich hier in Schönwieses Novelle und zwar da, wo in der Binnengeschichte der Erzähler erklärt: „Aber das Schicksal, das es sich scheinbar in den Kopf gesetzt hatte, den Egoisten Fred Margeneit doch noch in seiner Überzeugung zu erschüttern und wenigstens an den Anfang eines richtigeren Weges zu stellen, hatte noch einige Trümpfe in der Hand.“ 8 Zunächst hatte es ihm in Wanda einen Menschen an die Seite gestellt, der genau so war wie er selbst und der nach den gleichen Grundsätzen lebte. Es ist dies einer der beliebtesten Tricks des Schicksals, einem auf diese Weise zu Bewusstsein zu bringen, wie man selber ist und einen das erleben zu lassen, was man blind und unbedacht anderen angetan hat. Da ihm also Wanda den Abschied gibt, versucht er sie so rasch wie möglich zu erreichen und löst dadurch den tödlichen Autounfall aus. Es ist in die banale Alltagssprache übersetzt im Grunde nichts anderes als das Eingreifen des Karma als metaphysisch ausgleichender Macht bereits in diesem Leben. Hier geschieht der „Durchblick“ in den doppelten Boden. Dennoch ist damit noch immer nicht eines der allerwichtigsten Strukturelemente der Novelle überhaupt genannt und behandelt worden: die Pointierung. 9 Ein Witz, eine kurze Anekdote enden bekanntlich mit einer Pointe, wobei die Betonung auf dem Wort „einer“ liegt. Die Kunstform der Novelle hat eine Technik entwickelt, ganze Pointenketten durch das ganze Werk hindurch zu konstituieren. Erné unterscheidet die Pointe der klassischen Novelle von der gebrochenen Pointe, von der verbogenen Pointe, und von einem Salto Mortale der Pointe. Das bedeutet in abstrakter Zeichenschrift, dass die eine einzige Pointe der Anekdote einen Punkt darstellt, die Pointierung der Novelle aber eine ganze Linie oder noch besser zwei Linien, die vom gleichen Ausgangspunkt aus sich zuletzt in der Spitze eines Winkels treffen, die den Schluss der Novelle bildet. Entlang dieser Linien läuft die 7 Nino Erné, op. cit., S. 63. 8 Kunstprosa, op. cit., S. 28. 9 Nino Erné, op. cit., S. 85-97. Der novellistische Formkünstler 141 Pointenkette, geradlinig, gebrochen oder auch mit Widerhaken versehen, immer jedoch reich facettiert. Im „Regen im Tessin“ wird die Pointenkette durch die Beziehung des Erzählers zu Wolfgang und seinen Hausgenossen in Bewegung gesetzt und sie verläuft insofern nicht geradlinig, als zuerst die Beziehung zu Wolfgang allein im Vordergrund steht, die von dem Satz an „Wolfgang war mein Freund gewesen“ auf Odyssia umspringt. Wolfgang hat ihn zunächst vom Bahnhof abgeholt, Wolfgang kocht besonders für ihn sein Risotto, sodann aber schadet es der Beziehung, dass infolge der durch den Regen ausgelösten Langeweile Wolfgang nichts Wichtiges mehr sagen kann, so dass er auch nicht mehr wie gewohnt nach einer wichtigen Aussage die Zungenspitze als bedeutungsvollen Schlusspunkt an die Oberlippe setzen konnte. Sogar die beweglich flitzenden Augen Odyssias waren müde und lustlos geworden. Wolfgang freilich wird wieder etwas lebendig, als er den boshaften Einfall hat, seinen Freund festzunageln, dass er selbst eine Sprichwortgeschichte erzählen muss. Da Wolfgang immer fordernder wird und der Erzähler sich wie ein literarischer Trapezkünstler vorkommt, der sich produzieren soll, kommt es zum völligen Umschlag der Beziehung zu Wolfgang. In der Binnengeschichte beginnt sodann eine zweite Pointenkette der Beziehung des Erzählers zu seinem eigenen Haupthelden Margeneit beginnend mit des Erzählers Unverständnis für Margeneits Verachtung der Idealisten, gefolgt vom schließlichen Verstehen des berechnenden Materialisten, das Bild der durch den Anblick eines liebenden Antlitzes überraschten Egoisten Margeneit, dessen schockiertes Ende seiner Beziehung zu Wanda bis zur Läuterung in der Todesstunde mit der Verständnisvertiefung für sein eigenes Lieblingssprichwort: „Wie man sich bettet, so liegt man.“ Durch das Sprichwort werden die beiden Ebenen der Binnengeschichte und der zweiten Rahmenhälfte zusammen geführt, denn das Sprichwort war es gewesen, das beide, den Erzähler wie den negativen Helden Margeneit, gemeinsam betroffen hatte. Mit dem Unterschied freilich, dass Margeneit nach aufgeblasenem Egoismus schließlich Demut lernen muss, während der zunächst zu deprimierter Bescheidenheit herunter gedrückte Erzähler seine Genugtuung erfährt, da der Kunstrichter Wolfgang seiner Geschichte mythische Tiefe zurechnet. Das ist im Grunde nebenbei eine zweite Öffnung zum Übernatürlichen. Die wichtigste Folge der nun wieder an die allererste Pointenkette sich anschließende Kette der Beziehung zu Odyssia, die seit der unfreundlichen Bosheit seines Freundes Wolfgang aus unbekannter Unbewusstheit begonnen hatte, ist, in sein Bewusstsein aufzusteigen. Nun ist die vorwitzige Odyssia nach dem Ende der Erzählung plötzlich ganz still. Sodann ergibt es sich, dass auch sie einen Nostrano trinken gehen möchte. Sie eröffnet dem Erzähler ihren Vornamen und am Morgen reist sie gleichzeitig mit ihm ab, wenngleich zu verschiedenen Zielen. Aber jetzt hat sich die anfängliche Distanz zwischen dem Erzähler und seinem Freund Wolfgang gegenüber der Ilona Slawinski 142 Gesamtgruppe der anderen Hausgenossen völlig verschoben und besteht zwischen dem Erzähler und Odyssia einerseits und der Gesamtheit der anderen Hausbewohner andererseits. Welch eine hübsche Schlußpointe ist es doch, wenn die beiden in Zürich plötzlich gemeinsam aus dem Zug steigen und die vielleicht noch wirkungsvollere nächste, dass sie in den Wetterberichten finden, dass sie in der Sonne, die zurückgebliebenen Hausgenossen aber weiter im Regen sitzen. Nachdem Odyssia dem Erzähler plötzlich „ruhig und unverwandt“ in die Augen blickt, lautet der letzte Satz der ganzen Novelle: „Aber damit - beginnt schon eine andere Geschichte.“ Und das ist fast schon eine Überpointe, mit der eine neue Kette beginnen könnte. Zusammenfassend ist versucht worden, zu zeigen, mit welcher Meisterschaft Ernst Schönwiese die Kunst der Novelle beherrscht. In dieser Novelle ist er wie in seiner frühen Lyrik ein Vertreter traditioneller hoher Formkunst. Was ja auch im Hinblick auf seine ungewöhnlich tief reichende Befassung mit Mystik und esoterischen Traditionen zutrifft. Wenn er aber in seiner späteren Schaffensperiode auch in der Lyrik zu offenen Formen gegriffen hat und wenn sich sein Interesse für Esoterik fernöstlichen Traditionen geöffnet hat, so ist er im Grunde doch immer der konservative Traditionalist und meisterhafte Könner der Kunst geblieben, wofür er vor allem in der ersten Zeit nach seinem Tod mit dem Preis einer einsamen schweigenden und abseitigen Position bezahlen musste. Möge das Symposium an der Auburn University und dieser Sammelband hier ein Beginn sein, ihn bekannter zu machen. Schönwiese und das Hörspiel Abendstunde im Spätherbst Wolfgang Greisenegger Die hohe Zeit des Hörspieles ist vorbei seit das Fernsehen die Unterhaltung organisiert und der Computer die Phantasie okkupiert. Die neue Gattung der Hörbücher, die sich seit einigen Jahren steigender Beliebtheit erfreut, bleibt wohl auch künftig auf einen engen Kreis von Liebhabern und Kennern beschränkt, obwohl die digitale Aufnahmetechnik und die Qualität der Wiedergabegeräte eine Fülle neuer Möglichkeiten eröffnet haben. Für den Kunst- und Kulturhistoriker, aber auch den Soziologen, bietet das Hörspiel reiches Material, das erst seit relativ kurzer Zeit durch die Digitalisierung der Archive leichter zugänglich wurde. So sind historische Ton- und Bilddokumente heutzutage viel leichter zugänglich als noch vor wenigen Jahren. Die Bedeutung des Mediums Hörspiel hat sich seit Jahrzehnten stetig vermindert. Eine Massenpanik, wie sie Orson Welles mit seinem Hörspiel Krieg der Welten 1938 auslöste, ist seit langem auszuschließen. Seit der Mitte der Vierzigerjahre des 20. Jahrhunderts hatte sich das Hörspiel auch im deutschsprachigem Raum als eigenständige literarische Gattung durchgesetzt, nachdem in der Zwischenkriegszeit von den Pionieren des Rundfunks die technischen und künstlerischen Qualitäten des neuen Mediums entwickelt und erprobt worden waren. (Walter Benjamin, Bertolt Brecht, Filippo Tommaso Marinetti und andere hatten sich schon damals um eine Analyse der neuen - künstlerischen - Möglichkeiten bemüht.) Das Radio war innerhalb weniger Jahre zum Haushaltsgegenstand geworden, über den nahezu jeder Bürger nicht nur in seiner gewohnten Umgebung erreicht, sondern auch ‚abgeholt’ werden konnte. Diese intime Qualität erkannten die faschistischen Regime der Zwischenkriegs- und Kriegszeit und wussten sie zu nutzen. Die italienischen Futuristen experimentierten schon früh mit dem Kunst-Medium Radio, wie die Nationalsozialisten mit dem Propagandainstrument, das überlebenswichtige Informationen mit dem Volksempfänger in jedes Haus lieferte. Diese Erfahrung nutzen schließlich auch die alliierten Befreier mit ihren Sendern, die den Rundfunk als wesentliches Instrument für einen, auf breiter Basis ruhenden Aufbau eines demokratischen Staatswesens ansahen und jeweils auch technisches und inhaltliches (ideologisches) Know-how einbrachten. Der Einfluss dieses Wettbewerbes der Weltanschauungen und seiner realpolitischen Umsetzungen bot der Kultur so manche Möglichkeit. Vor allem dort, wo sich die Einflusssphären der amerikanischen und sowjetischen Interessen überlagerten, wie in Wien, wurden Maßstäbe gesetzt, die der Kultur Freiräume eröffneten. Mit der Übergabe der Sender an die Republik Österreich blieb ein hoher Standard erhalten, der von einer nicht zu übersehenden Rivalität der Länderstudios untereinander, vor allem aber der Bundeslän- Wolfgang Greisenegger 144 derstudios mit Wien, profitierte. Ohne hier österreichische Mediengeschichte betreiben zu wollen, sei daran erinnert, dass innerhalb des Mediums Hörfunk, dem Hörspiel, dem kulturellen Wort - aus heutiger Sicht - erstaunlich viel Raum gegeben wurde. Diese Großzügigkeit der Kultur gegenüber resultierte nun nicht mehr, besser gesagt nicht mehr so offensichtlich, aus weltanschaulicher Rivalität, sondern aus einem ernst genommenen Kulturauftrag, der durch bedeutende Persönlichkeiten formuliert, getragen und geprägt wurde und sich auch öffentlich zu verteidigen im Stande und willens war. Das Vierteljahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs kann wohl als jene Zeit angesehen werden in der das Hörspiel als Gattung in seiner künstlerischen Qualität, wie seiner Breitenwirkung die größte Bedeutung erlangte. Ins Zentrum dieser Entwicklung, die in Mitteleuropa auch als Epoche des Wiederaufbaues bezeichnet wird, fällt die für das Hörspiel so bedeutsame Schaffenszeit von Friedrich Dürrenmatt. Der Schweizer Schriftsteller schrieb in den 50er und beginnenden 60er Jahren acht Hörspiele, die zuerst in Zeitschriften, dann im ‚Arche Verlag’ in Einzelbänden und schließlich als ‚Gesammelte Hörspiele’ (1961) herausgebracht wurden. (Heute wäre eine derartige 318 Seiten starke, Leinen gebundene Edition wohl nicht verkäuflich. Diese Mehrfachverwendung und -Verwertung von Stoffen und Texten ist für jedes Seminar, das sich mit Gattungsfragen und ökonomischen Grundlagen der Literatur auseinander setzt, geradezu exemplarisch.) Im Klappentext zu den ‚Gesammelten Hörspielen’ wird die erste, nicht unumstrittene Biographie Dürrenmatts von Elisabeth Brock-Sulzer zitiert: „... Die Form des Hörspiels war künstlerisch gesehen eine Wohltat für Dürrenmatt. Als ein Dramatiker, der sich von Anfang an zu der Sprache als dem umfassendsten Theaterelement bekannt und auch die Wege gefunden hat, die Sprache theatergemäß zu verwenden, mußte er in der Beschränkung auf die Sprache kaum zusätzliche Schwierigkeiten finden … Wie rein Dürrenmatts Hörspiele ihre Form ausprägen, konnte man beobachten, als seine ‚Abendstunde im Spätherbst’ einmal vom Fernsehen übernommen wurde. Die bildliche Erscheinung wirkte aufgesetzt, überflüssig ….“ 1 Ernst Schönwiese, der als Programmdirektor des Österreichischen Rundfunks, 1954 aus dem ‚amerikanischen’ Salzburg, wo er am Sender Rot-Weiß- Rot die Literaturabteilung aufbaute und betreute, nach Wien berufen wird, ist eine jener Persönlichkeiten, die nicht nur den Kulturauftrag, der dem Staatsfunk aufgegeben ist, erfüllen, sondern ihn gleichsam verkörpern. Seine Kompetenz in Fragen der Literatur ist ebenso unbestritten, wie seine organisatorischen Fähigkeiten. Roman Roček beschreibt den Schriftstellerkollegen und Vorgesetzten im ORF in einer Mischung aus Distanz und Bewunderung. Das Zitat stammt aus der materialreichen, ja, monumentalen Kultur-Ge- 1 Friedrich Dürrenmatt, Gesammelte Hörspiele, Zürich 1961. Vgl. Elisabeth Brock-Sulzer, Friedrich Dürrenmatt. Stationen seines Werkes, Zürich 1960. Schönwiese und das Hörspiel 145 schichte des Österreichischen P.E.N., die Roček vor der Jahrtausendwende abschloss. Sie erschien im Jahr 2000 unter dem von Brecht inspirierten Titel ‚Glanz und Elend des P.E.N.‘ als ‚Biographie eines literarischen Clubs’ in Wien. Da heißt es: „Ernst Schönwiese ist ein Mann der Synthese … Er ist nicht nur der bedeutendste Kenner von Literatur, der mir je begegnet ist, er ist auch ein passionierter Leser. Deshalb ist er streng geworden und bekundet wenig Nachsicht mit Bluffern, die so offensichtlich den Dadaismus für sich erfinden und die Rudimente von Sinnzusammenhängen in der modernen Gesellschaft zerstören. Für ihn … bedeutet Dichten den Versuch, in der Gesellschaft auftretende Werteverluste durch Reintegration in ein Sinnkontinuum auszugleichen: Dichtung ist also dem dialogischen Denken verwandt und daher dem Ethos.“ 2 Dieses von Roček angesprochene Dialogische führte Schönwiese als Sendungsgestalter und als Programmverantwortlicher wie von selbst zum Hörspiel. Eine seiner öffentlichkeitswirksamen Arbeiten in Wien war die Inszenierung eines schon von anderen Anstalten gesendeten Hörspieles. Es wird deutlich, dass es Schönwiese nicht darum geht, sich eine Uraufführung für den Österreichischen Rundfunk zu sichern, sondern ein Exempel zu statuieren, wie im Staatsrundfunk mit dem dichterischen Wort umgegangen werden könne und solle. Er setzt Abendstunde im Spätherbst von Friedrich Dürrenmatt auf den Sendeplan, ein Hörspiel, das im Norddeutschen Rundfunk Monate davor produziert und bereits am 7. März 1957 gesendet worden war. Der Süddeutsche Rundfunk war mit einer anderen Inszenierung am 20. März auf Sendung gegangen. Die Erstsendung in Wien folgte erst am 20. November des gleichen Jahres. (Mir ist es nicht gelungen, den Briefwechsel Schönwieses mit dem Bühnenverlag aufzutreiben, um unter Umständen mehr über seine Beweggründe zu erfahren.) Es fällt allerdings auf, dass Schönwiese als Regisseur bis auf die Ausnahme von Thomas Manns Fiorenza, die er bereits 1950 in Salzburg inszeniert hatte, in Wien 1954 bis Spätherbst 1957 nur Übersetzungen aus dem Englischen, Französischen und Altgriechischen für den Rundfunk bearbeitet und inszeniert. Dürrenmatt könnte also so etwas wie ein Türöffner für das original-deutschsprachige Hörspiel verwendet worden sein. (Es fällt auf, dass der „große Erneuerer des Hörspiels im deutschsprachigen Raum“- Günter Eich, Michael Fruth -, von Schönwiese in Wien nicht inszeniert wurden, wie andere Neuerer des Hörspieles auch). In Salzburg hatte sich Schönwiese für den Hörfunk durchaus auch Werke österreichischer Dramatiker hergenommen: Kurt Becsi, Felix Braun, Egon Friedell, Hugo von Hofmannsthal, Karl Kraus, Johann Nestroy, Arthur Schnitzler, Berthold Viertel, Hans Weigel, Stefan Zweig, ergänzt durch deutsche Autoren: Büchner, Goetz, Hauptmann, Kasack, Klabund, Kleist, Heinrich und Thomas Mann. 2 Roman Roček, Glanz und Elend des P.E.N. Biographie eines literarischen Clubs, Wien 2000, S. 504f. Wolfgang Greisenegger 146 Auffallend ist, dass sich das Geschehen der Abendstunde auf bloß zwei Personen konzentriert, zwei weiteren werden nur wenige Sätze übertragen, zwei Personen wurden in der Fassung Schönwieses gestrichen. In einer zweiten Auseinandersetzung mit einem Hörspiel Dürrenmatts, Der Prozess um des Esels Schatten, der eine von Wieland geborgte Fabel dramatisiert, werden dagegen mehr als zwanzig Stimmen hörbar. Das Hörspiel geht fast auf den Tag genau zwei Jahre nach der Abendstunde auf Sendung. Beide Inszenierungen werden je zwei Mal in kurzer Frist wiederholt. Schönwiese ließ sich auch von dem Umstand nicht beirren, dass die Fabel („Nach Wieland, aber nicht sehr“) sechs Jahre davor bereits im eigenen Haus produziert und gesendet worden war. Wäre es nicht denkbar, ist zu fragen, ob Schönwiese an diesen beiden Musterbeispielen des Hörspieles demonstrieren wollte, welche Grundvoraussetzungen für die Planung zweier so unterschiedlicher Werke sich ergeben, angefangen von der Budgeterstellung, Besetzung, Proben, Technik, Umgang mit den Mitwirkenden, vor allem aber der Regie? Die Abendstunde im Spätherbst wurde zu einer der erfolgreichsten Hörspielproduktionen des ORF, denn bis 2001 können nicht weniger als sieben Wiederholungen registriert werden. Im graphisch gepflegten Druck der Abendstunde verkündet der Verleger stolz , dass „im Herbst 1958 das Hörspiel mit dem größten internationalen Hörspielpreis, dem Prix d´Italia, ausgezeichnet worden [ist]. Die Verleihung erfolgte für die Aufführung des Österreichischen Rundfunks. Es wurde inzwischen von Radiostationen in neun Ländern und Sprachen übernommen.“ 3 Erwähnt zu werden verdient, dass Die Abendstunde im Spätherbst nicht nur im Frühjahr 1958 vom Schweizer Radio unter dem Titel Herr Korbes empfängt oder die Abendstunde im Spätherbst produziert und 1960 gesendet wurde. Zwei Mal wurde das Stück auch für deutsche Fernsehsender produziert und zwar 1960 in der Regie von Rudolf Noelte und 1988 unter der Leitung von August Everding. Eine Bearbeitung kam aber auch im Theater auf die Bühne. Gültig geblieben ist freilich nur die Fassung, die Ernst Schönwiese mit Hanns Ernst Jäger als Autor, Kurt Sowinetz als Besucher, Fritz Holzer als Sekretär und Willi Schumann als Hoteldirektor aufgenommen hatte. Die Erstsendung fand am 20. November 1957 statt. 4 Der Text wurde von Schönwiese an nur wenigen Stellen behutsam gekürzt, um den Spannungsbogen und den Rhythmus der Sprache zu erhalten. Trotzdem wird ironische Distanz gehalten, bleibt das Spiel Spiel und Analyse des schriftstellerischen Handwerks. 3 Friedrich Dürrenmatt, Abendstunde im Spätherbst. Ein Hörspiel, Zürich 1959, S. 44. 4 Der Besetzungszettel gibt an: Regie Ernst Schönwiese, Musik Otto Walter, Assistenz Emmy Kern, Rikki Stollberg, Schnitt Hans Mahr, Ton Rudolf Winter. Mit: Hanns Ernst Jäger (Autor), Kurt Sowinetz (Besucher), Fritz Holzer (Sekretär), Willi Schumann (Hoteldirektor). Das Regiebuch Schönwieses, das im Österreichischen Literaturarchiv aufbewahrt wird, wurde am 15. Oktober 1957 abgeschlossen, also relativ knapp vor der Erstsendung am 20. November 1957. Schönwiese und das Hörspiel 147 In zeitlicher Nähe zu den ersten Funkinszenierungen der Abendstunde reflektiert Dürrenmatt in der ‚Weltwoche’ über seine Arbeit aus einer, für ihn typischen, ironischen Distanz: „Der Grund, weshalb man denn eigentlich Hörspiele schreibt, ist schon interessanter. Auch finanziell. Er liegt darin, dass Hörspiele benötigt und bestellt werden. … So verdanke ich dem Hörspiel viel, auch Geld; die deutschen Sender zahlen anständig. … Weshalb dies so ist, muss hier ja nicht näher untersucht werden. Was da die Menschheit an technischen Möglichkeiten aus sich herausentwickelt, braucht offenbar seine kulturelle Krönung, seine künstlerische Erhöhung, will nachträglich berechtigen, indem es Geist fordert, geradezu nach Geist hungert. … Sicher gibt es die Freude an der Sprache, das Vergnügen zu spüren, dass ein Wort, ein Satz, eine Periode, eine Passage oder gar ein Gedanke nur so sein kann und nicht anders; die Lust an der Raffinesse, am Detail, an der Unterscheidung und so weiter; doch zählt dies alles nichts, war man einmal dabei, wie eine Gestalt zu leben beginnt, Eigengesetzlichkeit erlangt, zu reden anfängt, die Sprache diktiert, selber ihr Schicksal formt: diesem Erlebnis gegenüber wird alles andere gleichgültig, zweitrangig. … Und dann noch das Beste: mit deinen Hörspielen tauchst du wieder unter … kein ernsthafter Kritiker nimmt sie wahr, liest sie, er schaut sie ja nur als reine Gelegenheitsarbeit an, und so lässt sich gerade in ihnen ungestört oft das Wesentlichste tun oder doch vorbereiten.“ 5 Dürrenmatt lüftet mit dieser Nebenbemerkung in seinem Beitrag für eine Wochenzeitung die schützende Maske, bekennt wie wichtig ihm die so fragile Gattung des Hörspieles ist, seine spezifische Kunst. Da begegnen sich der Schriftsteller, der Fallensteller und sein Interpret, der Brückenbauer. Im Gegensatz zu den vielen Funk-essayistischen, der Bildung dienenden, Kultur vermittelnden Aufgaben, die ein Ressortleiter, wie Schönwiese, im Rundfunk zu erfüllen hat, kann er die Personen des Spieles für sich und den Dichter sprechen lassen, er kann zurücktreten, untertauchen, Wesentliches hörbar machen. Es verdient beobachtet zu werden, dass Schönwiese selbst weder Hörspiele, noch Dramatisches verfasst hat. Er bleibt Interpret, kritischer Analyst, Beobachter, Bearbeiter mit zwingendem Gefühl für den inhärenten Rhythmus der Texte, aber auch für die Baugesetze der Dramaturgie. Es ist lohnend, für die Interpretation der spezifischen Leistung Schönwieses zu beobachten, dass der Regisseur den Schritt aus dem Studio auf die Bühne, in den Raum, nicht unternimmt, obwohl ihm die profunde Kenntnis der Qualität und die Prominenz seiner Sprecher wohl auch große Bühnen geöffnet hätten. Es bleibt bei der Konzentration auf das dichterische Wort, auf die Stimme als Instrument, der aufgezwungenen Distanz und der Unbestimmbarkeit des Raumes. Es scheint so, als wolle sich Schönwiese den Zufälligkeiten der Bühnenerscheinung nicht ausliefern, den Text vor der Trivialisierung des Theaters bewahren. 5 Erstmals veröffentlicht in ‚Die Weltwoche’, Zürich 12.12.1958. Wolfgang Greisenegger 148 Es ist bezeichnend, wie Schönwiese seine Rundfunkfassung der Abendstunde im Spätherbst einrichtet. Er ergänzt den Titel des Hörspieles durch den Untertitel: „Utopische Komödie zur Phänomenologie des Schriftstellers“ und zieht derart einen - durchsichtigen - Schleier der Transformation ins Philosophische ein, bevor die Sprecher der handelnden Personen und der Spielleiter genannt werden. Dieser Prozess der Präzisierung setzt sich fort mit dem Beginn des gesprochenen Textes: „Meine Damen, meine Herren. Zu Beginn möchte ich“, beginnt der Autor seine Conference (in der Fassung Schönwieses), „als wäre ich ein Theatermaler, oder besser, wenn es dies gäbe, ein Rundfunkmaler, den Ort dieser vielleicht seltsamen, aber wahren Geschichte erzählen“. (Der von Dürrenmatt vorgeschlagene Text stolpert umständlicher in das Geschehen: „Meine Damen, meine Herren. Zu Beginn halte ich es für meine Pflicht, Ihnen den Ort dieser vielleicht etwas seltsamen, aber ich schwöre es - wahren - Geschichte zu beschreiben“.) 6 Ein weiteres Beispiel für die Technik der Bearbeitung: wenn es etwa im Text heißt: „Ich weiß genau, daß sie diese meine wahre Geschichte nicht für wahr halten werden“, dann ersetzt Schönwiese: „nicht für wahr nehmen werden“, traut also dem Hörer größere Einsicht zu als der Autor. Diese subtilen Änderungen und manche Korrekturen begleiten die Wiener Spielfassung. Etwa wenn der Zuhörer als Zuschauer aufgefordert wird den Spielplatz sich vorzustellen, dann streicht Schönwiese das, wo Dürrenmatt den Zuhörern zu nahe tritt: („Sie brauchen nur die Augen zu schließen, dann sehen sie den Raum deutlich, nur Mut, Phantasie besitzen Sie wie alle Menschen, auch wenn sie es vielleicht bezweifeln“). Der Autor sieht unverhofft einen Besucher: „Der Kerl ist bald beschrieben. Streng bürgerlich, klein, hager, einem alten Reisenden in Versicherungen nicht unähnlich. Eine Mappe unter dem Arm. Näher auf den Herrn einzugehen ist nicht nötig, schon aus dem Grunde, daß er nach dem Ablauf unserer Geschichte auf eine ganz natürliche Weise nicht mehr vorhanden, und deshalb auch nicht mehr von Interesse sein wird. Doch genug. Der Besucher beginnt zu sprechen, wir wären so weit“. Die ganze Passage ist in der Wiener Fassung gestrichen. Schönwiese weiß, dass er sich auf Kurt Sowinetz, den Sprecher des Besuchers, verlassen kann, all das was Dürrenmatt den Zuhörern nahe bringen will, ohne diese Vorstellung, hörbar zu machen. Ebenso wurden ein herumliegender Dolch und ein Revolver, aber auch weibliche Kleidungsstücke, die nur auf der Bühne sichtbar, Sinn machten, als allzu deutliche Accessoires des Kriminalgenres weggelassen. Einige Satzstellungen wurden geändert, um den Fluss des Geschehens nicht aufzuhalten. Da und dort wird auch subtil gestrichen, um Pointen zu verstärken. „Der Besucher: endlich lauerte ich Ihrem Sekretär auf. Ein strenger junger Mann. Der Autor: Theologiestudent. Mausearm. Muß sein Studium verdienen“. 6 Die Szenenanalyse folgt: Friedrich Dürrenmatt, Gesammelte Hörspiele, a.a.O.: ‚Abendstunde im Spätherbst’ S. 293-318 und vergleicht den gesendeten mit dem publizierten Text. Es erweist sich nicht als sinnvoll für jeden der angeführten Striche und der textlichen Retuschen die Seitenangaben der Belegstellen gegenüberzustellen. Schönwiese und das Hörspiel 149 Schönwiese verkürzt auf: „Theologiestudent“. Die Inszenierung zeichnet ein stringentes, ja, ungeduldiges Tempo aus, da wird auf keiner Pointe sitzen geblieben, da treibt alles mit der Unerbittlichkeit einer griechischen Tragödie auf den finalen Mord zu. „Sie haben mir die Idee zu einem Hörspiel gegeben und nun müssen Sie sterben, denn ich schreibe nur, was ich erlebe, weil ich überhaupt keine Phantasie besitze, weil ich nur schreiben kann, was ich erlebe. Durch mich werden Sie in die Weltliteratur eingehen, Fürchtegott Hofer ...“. Die satirische Wirkung entsteht durch eine sachliche Atemlosigkeit, die auf die Schlusspointe zielt, dass das Hörspiel nichts anderes darstellt als die Wiederholung des Geschehens. Die Abendstunde im Spätherbst ist wohl eine auf die Spitze getriebene ironische Stellungnahme in der Realismusdebatte, die in beiden Deutschland mit Erbitterung geführt wurde. Es ist deshalb wohl kein Zufall, dass das Stimmenspiel erst 1969 in der DDR produziert wird (Regie: Werner Grunow) und auf dem Sendeplatz ‚Figaro’, versehen mit einer umständlichen Einführung (2,42 Minuten), gesendet wird. Das Geschehen wird in der Schweiz dadurch lokalisiert, dass beide Sprecher (Wolf Kaiser und Martin Hörchinger) im Tonfall und in der Gemächlichkeit des Sprechrhythmus die Schweiz als Ort des Geschehens erkennen lassen. Tatsächlich beträgt die reine Spielzeit drei Minuten mehr als in der Wiener Fassung und wirkt wie auf eine Bühne gestellt, im Gegensatz zu Schönwieses Interpretation, die die Authentizität einer Reportage vermittelt. (Dürrenmatt bearbeitet 1980 die Abendstunde zur Dichterdämmerung für die Bühne. In einer Notiz der Druckausgabe stellt er klar, „daß er diese Bearbeitung, die Parodie der Literatur, gleichzeitig in eine Parodie des Theaters erweitern“ müsse. Er legt im weiteren Wert darauf, zu bemerken, daß seine „Meinung über die Kritik nicht so freundlich ist wie die, welche in diesem Stück geäußert wird“.) 7 Die Aufnahme, die in einem Studio des NDR entstand, ist ähnlich packend wie die Fassung Schönwieses, benötigt aber 46,47 Minuten Spielzeit, da weniger Striche gemacht wurden. Ernst Schröder ist der Autor, Willy Maertens der Besucher, Regie führt Gustav Burmester. Die Ähnlichkeiten im Grundduktus der Inszenierung zwischen der Wiener und der NDR-Fassung (1957) sind erstaunlich. Das Gewicht zwischen den Kontrahenten hat sich allerdings verschoben: Fürchtegott Hofer ist Korbes besser gewachsen als in den anderen Deutungen und wird dadurch fast zu einer tragischen Figur. Der wertende Vergleich der Wiener und der Hamburger Fassung ergibt: die dramaturgische Einrichtung der Wiener Inszenierung ist knapper, treffender als die des Norddeutschen Rundfunks, die manch Überflüssiges mitschleppt. Die darstellerische Qualität der Hamburger Besetzung ist freilich größer, packender, genauer. (Eine Produktion des DRS aus dem Jahr 1958 von Herr Korbes empfängt wird nur der Vollständigkeit wegen genannt; sie lohnt nicht der näheren Befassung. Trotz der Oberflächlichkeit der Inszenierung, die den Dichter als besoffenes ‚Urviech’ hörbar macht, das im tiefen Bass Lacharien 7 Friedrich Dürrenmatt, Dichterdämmerung. Eine Komödie, Zürich 1980, S. 168. Wolfgang Greisenegger 150 donnert, fand die bisher letzte Ausstrahlung der Inszenierung von Kurt Bürgin im Dezember 2010 statt.) Die größte - internationale - Anerkennung fand die Fassung Schönwieses, die auch, soweit sich das heute noch feststellen lässt, die meisten Wiederholungen erlebte. Ihre Grundlage ist eine konsequente, den Urtext nicht verletzende Strichfassung, die mit feinem Gespür Entbehrliches, das weder die Charaktere bestimmt, noch einer konsequenten Handlungsführung dient, entfernt. Die Darsteller werden angehalten einen schnellen Rhythmus beizubehalten, dem die Wortdeutlichkeit und dramaturgische Konsequenz nicht geopfert werden. Die satirische Absicht Dürrenmatts kommt voll zur Wirkung, ohne, dass sie betont werden muss. Es wurde versucht, bloß einen Aspekt schöpferischer Arbeit Ernst Schönwieses im Massenmedium Hörfunk an nur einem Beispiel anzudeuten. Den großen Horizont, sein geistiges Profil und seine literarische Bedeutung 8 haben Berufenere gewürdigt und analysiert. Der Hörfunk war für den Dichter, den Intellektuellen, den Kulturpolitiker, jene solide Basis, die ihm nicht nur Unabhängigkeit für sein künstlerisches Schaffen sicherte, sondern auch ins Zentrum der kulturpolitischen Debatte rückte. Er war einer derjenigen, die die Fundamente des geistigen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg legte und nicht zuletzt als Programmdirektor für Literatur, Hörspiel und Wissenschaft des Österreichischen Rundfunks den Neubau als europäisches Projekt vehement betrieb. Seine Bearbeitung und Inszenierung der Letzten Tage der Menschheit für den Rundfunk demonstrieren wohl am besten seine dramaturgische Virtuosität und Kühnheit in der radiophonen Umsetzung. Die behutsame und doch entschiedene Hand des Dramaturgen wird aber auch am Beispiel seiner Hörspielbearbeitung von Hermann Brochs Drama Entsühnung deutlich, die von Broch befördert, als Druck 1961 in Zürich erschien, wie Joseph P. Strelka, wohl der beste Kenner der Persönlichkeit und des Werkes von Ernst Schönwiese, nachgewiesen hat. 9 8 Vgl. Joseph P. Strelka, Ernst Schönwiese. Werk und Leben, Frankfurt/ M. 2005. 9 Ebda. Esoterik Schönwieses Esoterik in seiner Lyrik und übersetzten Essaybänden Joseph P. Strelka Die erste ernsthafte Begegnung Ernst Schönwieses mit Mystik und Esoterik fand statt, als er in seinen noch jungen Jahren Mitglied des zweiten Blei- Kreises im Café Herrenhof, nämlich in den Jahren von 1935 bis 1938, war. Hier war er mit Hermann Broch und Robert Musil zusammen getroffen, die er zu Lesungen in die Volkshochschule Leopoldstadt einlud, über die er dort auch selbst Vorträge hielt und aus deren Werk er Beiträge in seiner Literaturzeitschrift das silberboot wie auch in seiner nicht weniger anspruchsvollen Lyrikanthologie Patmos veröffentlichte. Broch war es, der in seinen Gesprächen mit Schönwiese dessen Interesse für das Metaphysische überhaupt weckte und durch Musil begann er sich für dessen mystischen „anderen Zustand“ zu interessieren, der den Abschluß seines großen Romans bilden sollte. 1 In seinem ersten Lyrikband Der siebenfarbige Bogen, der bereits 1937 abgeschlossen vorlag, aber erst 1947 erscheinen konnte und für den er schon 1937 den Emil-Reich-Preis der Universität Wien erhalten hatte, gibt es vor allem eines seiner frühen Gedichte, das rein esoterisch ist. Es trägt den Titel „Vor dem Einschlafen“ und, dass ihm seine ganze Bedeutung zunächst gar nicht voll bewusst war, macht das Ganze noch interessanter. Erst als er nach dem Krieg im Tessin den wenig bekannten Philosophen und C.-G.-Jung-Schüler Reinhold Klemm kennen lernte, machte ihn dieser auf den tieferen Sinn aufmerksam. 2 Dieses Gedicht enthält Strophen wie diese: Nächtliche Seele, tritt leis Nah an die stygische Welle, Sieh, wie die finstere Quelle Spiegelt den steinernen Kreis. Auch Gedichte, wie „Verwandlung des Ichs“, „Sibyllinische Verse“, „Unvergänglicher Augenblick“ und „Begegnung mit dem Unendlichen“, schon dieses ersten Bandes kündigen die Entwicklung des späteren Esoterikers an. Es war in der Zeit seines Exils in Budapest und ganz besonders ab 1943, dass Schönwiese weniger unter dem Druck der Bombenbedrohung als unter 1 Vgl. Ernst Schönwiese: Erinnerungen an den Blei-Musil Tisch im Café Herrenhof. In: Literatur in Wien zwischen 1930 und 1980. Wien-München 1980, S. 71-90 und Ernst Schönwiese: Erinnerungen an Hermann Broch. In: Literatur und Kritik. Jg. 1986, S. 412-427. 2 Vgl. Joseph P. Strelka: Ernst Schönwiese. Leben und Werk. Frankfurt am Main-Bern-New York 2005, S. 16-17 und 20-21. seinen Joseph P. Strelka 154 der Furcht von der nun auch in Ungarn tätigen Gestapo verhaftet zu werden, einen engeren und direkten Zugang zur Mystik als inneren Trost fand. Zuerst war es die christliche Mystik des Meisters Eckhart und etwas später dazu noch die jüdische Mystik durch Martin Buber. Als er sich nach dem Krieg in Salzburg niederließ und mitunter für ein paar Tage in die Schweiz fuhr, wo er im Tessin auch den erwähnten Reinhold Klemm kennen lernte, trat darüber hinaus der Eranos-Kreis nachhaltig in sein Bewusstsein. Dessen Tagungen fanden ja auch am Ufer des Lago Maggiore statt. Es war der wahrscheinlich einzige deutschsprachige Kreis außerhalb des Exils, in dem während der Kriegsjahre bedeutende geistige Arbeit geleistet wurde, die auch besonders esoterische Probleme einschloss. Schönwiese kaufte alljährlich die Bände dieses Kreises, ließ sie im Sender Rot-Weiß-Rot besprechen und arbeitete sie genau durch. Der erste Gedichtband, der zur Gänze ein rein esoterischer Gedichtband werden sollte, entstand 1951 auf eigenartige Weise dadurch, dass Schönwieses damaliger Verleger, der Münchner Kunsthändler Wilhelm Gurlitt, neun Steinzeichnungen von Ernst Barlach zusammen mit den Veröffentlichungsrechten gekauft hatte, die er in Form eines Buches präsentieren wollte. Da neun Bilder selbst mit kurzen Kommentaren nicht einmal eine kleine Broschüre ergeben hätten, wandte er sich an Ernst Schönwiese mit der Bitte, zu jeder dieser Steinzeichnungen einige Gedichte zu verfassen. Schönwiese fand im Gnostiker Ernst Barlach einen Geistesverwandten, der ihm diese Auftragsarbeit zu einem inneren Fest machte und das Ergebnis war der von Gurlitt herausgebrachte Prachtband. Es war ein inhaltlich voll komplementärer Gedichtband zu den Steinzeichnungen Barlachs und der erste große Durchbruch von Schönwieses Lyrik zu wirklich bedeutender Dichtung. Er hing denn auch so sehr an diesem Band, dass er vierunddreißig Jahre später eine völlige Neufassung davon schrieb, eine kürzere, kondensierte Version des Bandes, in der etliche der alten Gedichte fehlen und auch einige neue entstanden. Die Neufassung erschien in dem Band Versunken in den Traum, den sein Verlag anlässlich seines achtzigsten Geburtstags veröffentlichte. 3 Im Nachlass aber fand sich eine neue Gedichtserie zu anderen Steinzeichnungen von Ernst Barlach, mit dem Titel „Die Lauschenden“, die in dem neuen Band der Gesamtausgabe des lyrischen Werks nun enthalten ist. 4 Sechs Jahre nach dem Erscheinen des Unverlorenen Paradieses erschien ein Gedichtband Schönwieses, der als einer der ersten Gedichtbände in Österreich auch ein Zen-Gedicht enthielt. Der Band hatte den Titel Der alte und der junge Chronos und das Gedicht war ein lyrischer Kommentar und ein Lösungsversuch zur Aufgabe des fünften Koans des Mumonkan. 3 Ernst Schönwiese: Das unverlorene Paradies. Wien-Linz-München 1951 und Ernst Schönwiese: Versunken in den Traum. Hg. von Marguerite Schlüter und Joseph P. Strelka. Wiesbaden und München 1985. Beide Fassungen sind zur Gänze in der neuen Gesamtausgabe von Schönwieses lyrischem Werk, herausgegeben von Paul Wimmer, enthalten. 4 Ernst Schönwiese: Das lyrische Werk. Hg. von Paul Wimmer. Innsbruck 2008, S. 303-320. Schönwieses Esoterik 155 In seiner Lyrik gab es nach dem Unverlorenen Paradies keinen einzigen, reinen esoterischen Gedichtband mehr, obwohl sich seit dem Band Der alte und der junge Chronos seine esoterischen Interessen nicht nur nach dem Fernen Osten hin erweitert, sondern zur Gänze in seinem geistigen Leben intensiviert hatten. Aber von nun an enthielten alle seine Gedichtbände eine Reihe von einzelnen esoterischen Gedichten, manche sogar auch einzelne Übertragungen von Gedichten japanischer Lyriker. Der Band Baum und Träne brachte einzelne Nachdichtungen von Po Chü-i, von Bashō , von Tao Yüan-ming und von Ikkyū. In manchen Fällen waren die ganzen Bandtitel eigentlich esoterische Aussagen wie Geheimnisvolles Ballspiel und Odysseus und der Alchimist. Das letzte, überaus wichtige esoterische Einzelgedicht trägt den Titel „Plötzlich ist es da“. Es ist in seinem letzten Gedichtband Antworten in der Vogelsprache erschienen. Und es ist Schönwieses lyrische Darstellung seiner ersten eigenen mystischen Erleuchtungserfahrung. Er verdankte diese Erfahrung Garma Chang, seinem Lehrer in tibetischem Yoga, der erst nachdem Schüler wie Lehrer tot waren, im Bewusstsein der Öffentlichkeit als der große Kenner und Könner tibetischen Yogas bekannt wurde. Schönwiese hat ihm auch eines seiner Gedichte, mit dem Titel „Einem Lehr- und Lebensmeister“ gewidmet, das im Band Versunken in den Traum enthalten ist. Wenn Schönwieses esoterisches Interesse sich trotz seiner Erweiterung und Intensivierung in seiner Lyrik quantitativ verringert hatte, so war es dafür umso nachdrücklicher in Essaybänden in den Vordergrund getreten. Ja in den Jahren, nachdem er als Lyriker völlig verstummt war, gehörte seine gesamte Arbeitskraft der Übertragung von Essaybänden bedeutender östlicher Esoterik ins Deutsche. Es ging um Bände der buddhistischen und taoistischen Tradition. Dichtung hatte ja für Schönwiese niemals Spiel, sondern immer Botschaft bedeutet, sogar und gerade als es in einem seiner Gedichte geheißen hatte: „Spielen sollst du“. Immer war ihm Dichtung Teil und oftmals wichtigster Teil seines Strebens nach Sinnsuche, existentiellen Leitideen, praktischer Lebenshilfe und - um ein Wort seines Freundes Hermann Broch zu gebrauchen - Ungeduld der Erkenntnis. Wie er alle innerlich gewonnene Erkenntnis und Erfahrung oftmals in dichterischer Gestalt auszudrücken versucht hat. So betrachtet war es ein komplexer Prozess, der ihn zum Buddhismus führte. Einerseits ist die Befassung mit dem Buddhismus auch aus dem Bedürfnis entstanden, die Kreise seiner Dichtung weiter und weiter zu ziehen, andererseits hat diese Befassung mit dem Buddhismus seine Dichtung befruchtet und bereichert. So bedeuteten für ihn eigentlich Dichtung und Esoterik eine tiefere Einheit. Diese Einheit ist vor allem dadurch gegeben, dass sowohl seine Dichtung wie seine Übertragungen essayistischer Texte aus einer Geisteshaltung heraus erfolgten, die in beiden Fällen gleicher Weise aus den Quellen esoterischer Traditionen gespeist wurden. Er übersetzte nämlich keine Theravada- Texte exoterischer Art des Buddhismus, sondern lediglich Dokumente esoterischer Erfahrungen und Ideen des Zen-Buddhismus und des tibetischen Joseph P. Strelka 156 Mahamudra. Was Zen betrifft, so wurde er zu einem österreichischen Spitzenvertreter der weiten westlichen Geistesströmung, die Arthur Koestler einmal als die Reaktion der ersten Generation von Intellektuellen auf das atomare Zeitalter bezeichnet hatte. Was das Mahamudra betraf, so war es jene Tradition, durch welche Schönwiese selbst eine mystische Erleuchtungserfahrung gehabt hatte. Wozu als weiteres noch kommt, dass einerseits Schönwieses Dichtung auf Sinndeutung des Lebens gerichtet war, andererseits und umgekehrt seine Übertragungen esoterischer fernöstlicher Esoterik in der Form von Essays von dichterischer Qualität erfolgten. Lyrik und Esoterik haben ja gemeinsam, dass sie beide über das rein Verstandesmäßige hinaus zielen, um zu tieferen Schichten des Unbewussten und Seelischen vorzudringen. Sie neigen beide zu einer Art Erfassungsversuch der integralen Ganzheit des Geistigen. Dem aber ist bei Schönwiese durch seine Kenntnis der ganzheitlichen buddhistischen Hua-Yen-Lehre von der Totalität eine neue Tiefendimension zugewachsen. Freilich hat er auch in der Esoterik einen langen Entwicklungsprozess durchlaufen. Ein erster und bereits überaus eindrucksvoller Meilenstein dieser Entwicklung, die immer schon, in Dichtung wie Esoterik durch ein erstaunliches Qualitätsbewusstsein ausgezeichnet war, stellt der Gedichtband Der helle Tag von 1955 dar, der noch immer ungedruckt ist und der ausschließlich deutsche Nachdichtungen Schönwieses aus indischen, chinesischen und japanischen Quellen enthält. Lediglich einige kleine Proben dieser Nachdichtungen sind 1961 in der Anthologie von Schönwieses Dichtung Traum und Verwandlung erschienen. 5 Es sind dies „Morgenandacht“ betitelte Verse des Meisters Schankara aus dem Indischen, je ein Kurzgedicht von Fu T’ai-yuan und Fu-ta-schih aus dem Chinesischen und je ein Haiku von Bashō, Ryōkan und Gochiku aus dem Japanischen. Schönwiese hat auch das Kernstück des bisher vielleicht wichtigsten Traktats des großen Sufi-Meisters Ibn Arabi „Risalatul-Ahadiyah“ (Traktat von der Einheit) zusammen mit einem Nachwort des Guenon-Mitarbeiters Jean Reyor zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt, die ebenfalls bis jetzt ungedruckt geblieben sind. Das erste esoterische Essaybuch Schönwieses war nicht einfach die Übersetzung eines anderen ganzen Buches, sondern war eine Anthologie, die er selbst zusammengestellt hatte und das den deutlichen Stempel seiner Herkunft von seinem großen Lehrmeister Chang trägt. Es trägt den Titel Mahamudrafibel. 6 Das Buch besteht aus einer Einleitung Schönwieses, die ebenfalls aus Changs Schriften schöpft, aus Changs Beitrag zum Buch von Evans-Wentz Teachings of Tibetan Yoga und aus vier kleinen Texten von Milarepa, dem größten tibetischen Mystiker und Dichter zugleich. Mahamudra ist eine besondere tibetische Yogamethode. Der Begriff bedeutet ins Deutsche übersetzt: „Das große Symbol“ und etliche Kenner, da- 5 Ernst Schönwiese: Traum und Verwandlung. Hg. von Joseph Strelka. Graz 1961. 6 Garma C. C. Chang: Mahamudrafibel. Wien 1979. Schönwieses Esoterik 157 runter auch Schönwiese, bezeichnen es als die „tibetische Form des Zen- Buddhismus“. 7 Ein Jahr nach Erscheinen der Mahamudrafibel hat die sehr ernsthafte und bedeutende österreichische Zeitschrift Bodhi Baum anlässlich seines 75. Geburtstags eine eigene Schönwiese-Nummer herausgebracht. Darin hat Schönwiese die Entwicklung seiner eigenen Beziehung zum Buddhismus ausführlicher dargestellt als sonst irgendwo. 8 Die kondensierteste Definition von Mahamudra aber hat Schönwiese dieser Fibel durch seine Übertragung der englischen Übersetzung Changs von dem großen Milarepa eingefügt: Wenn jemand im eigenen Geist sich besinnt Auf den ursprünglichen Zustand seines Geistes, Lösen sich alle trügerischen Gedanken von selber auf In das Reich der letzten Wirklichkeit. Niemand ist mehr zu finden, der Leiden verursacht, und niemand, der leidet. Das erschöpfende Studium der Sutras Lehrt uns nicht mehr als dies Eine. 9 Es ist dies eine verdichtete Darstellung von Funktion und Ziel der Mahamudra-Praxis. Viele Jahre war Ernst Schönwiese geistig an theoretischen Texten über Esoterik in den wichtigsten Traditionen der Menschheit gewachsen. Er hatte viele Jahrgänge der Zeitschrift Études Traditionelles über die reine Metaphysik des großen französischen Esoterikers René Guénon ebenso durch gearbeitet wie auch zahlreiche Jahrgänge der britischen Buddhismus-Zeitschrift Middleway. Er hatte die Texte der größten Mystiker von allen gelesen: jene von Meister Schankara für Vedanta, von Lao Tse und Dschuang Tse für den Taoismus, die klassischen Koan-Sammlungen des Zen und die wichtigsten Sutren des Mahayana-Buddhismus, den Zohar sowie die wichtigsten Schriften von Martin Buber. Mit dem größten christlichen Mystiker - Meister Eckhart - hatte er aber begonnen. Zu diesem hatten sich Schriften des Bernhard von Clairvaux, der Therese von Avila und Jakob Boehmes gefügt. Jetzt hatte er zum ersten Mal nach all dem Buchwissen die zentrale Erleuchtungserfahrung der Großen selbst im eigenen Geist nachvollzogen. Chang war nicht nur ein hochgebildeter, sprachenkundiger amerikanischer Professor der Vergleichenden Religionswissenschaft gewesen, er war seiner Herkunft nach auch ein handfest-pragmatischer Chinese gewesen, der durch viele Jahre die tibetische Klosterpraxis durchgemacht hatte, freilich besonders ausgezeichnet dadurch, dass sein eigener Lehrer kein geringerer war als der bei allen tibetischen Buddhisten hochberühmte „lebende Buddha“ 7 Vgl. Ernst Schönwiese: Mahamudra. Das tibetische Zen. In: Bodhi Baum. Zeitschrift für Buddhismus und meditatives Leben. 9. Jg. (1984), Nr. 1, S. 7, 34, 54, 61 und 67. 8 Gespräch mit Ernst Schönwiese. In: Bodhi Baum. 5. Jg. (1980), Nr. 1, S. 5-11. 9 Mahamudrafibel, op. cit., S. 53. Joseph P. Strelka 158 Kong Ka im Kloster von Meia Nya. Darum vermochte er auch mit den vielen umständlichen und unnötigen Details eines exoterischen Aufputzes des Klosterlebens aufzuräumen. Ein großer Reformer der Kirche wie Joachim von Fiore konnte nicht radikaler gegen die Entartung der Kirche zu Felde ziehen. Den Abschluss solcher Kritik des großen Chang bildeten in der Regel die beiden knappen und höchst untibetischen Worte „It stinks“, was seinen amerikanischen Studenten allerdings besonders geläufig war. Bei Chang war alles auf das Wesentliche zurück geschnitten. Das zeigt sich besonders deutlich im ersten der esoterischen Bücher, das Schönwiese zur Gänze übersetzt hat. Es war Changs Practice of Zen. 10 In seiner Einleitung dazu unterstreicht Schönwiese, dass es das authentische Buch über das chinesische Ch’an darstellt, aus dem sich das japanische Zen entwickelt hat. Er unterstreicht vor allem den Unterschied zwischen dem Satori als ersten Erleuchtungsfunken und der endgültigen, vollkommenen Erleuchtung als letztem Ziel. Wie er auch besonders auf Changs Bestehen als unerlässliche Voraussetzung jeglicher wirklichen, erfolgreichen Zen-Praxis hinweist, eine einfache, theoretische Einführung in jene „Lehre vom Geist“ zu fordern, die als das Herz des Zen bezeichnet werden kann. Zusammen mit dieser Geist-Lehre ist es die Darstellung der spezifischen Zen-Art verschiedener Typen von Meditationspraxis (Chang erwähnt insgesamt sieben) und den handfesten „zehn Ratschlägen“, die den Kern dieser Einführung in die Zen-Praxis bilden. Kein geringerer Fachmann als W. Y. Evans-Wentz wurde durch dieses Buch zum dem Urteil bewogen, dass es kein besseres Buch über Zen gibt. Nicht zuletzt wird in diesem Buch auch klar gesagt, dass sich Zen keineswegs gegen die verstandesmäßige Erkenntnis selbst wendet, sondern lediglich gegen das völlig alleinige und starre Klammern an den Intellekt innerhalb des allgemeinen Sich-Anklammerns des Menschen. Denn, wie Chang ausführt, haben wir in der Regel sogar mehr als eine Sache, an die wir uns klammern. Wenn wir eine davon loslassen, klammern wir uns desto fester an eine andere: Ein Blinder wird immer zu seinem Gehör oder seinem Tastsinn Zuflucht nehmen, ein unglücklich Liebender kann sich an den Alkohol oder die Religion klammern. Aber ein Zen-Meister wird immer seinen Schüler in die Sackgasse völliger Ausweglosigkeit treiben, wo einfach nichts mehr vorhanden ist, um sich anzuklammern oder auszuweichen. An diesem letzten Punkt der Verzweiflung muss die Sucht, sich an etwas zu klammern, einfach aufgegeben werden, um der letzten großen Freiheit des Loslassens und der Leere willen. Hier müssen wir auch die letzte Bastion des Denkens verlassen, um in den unbekannten Abgrund der Buddhaschaft zu springen. Der Weg dahin kann in der Regel nicht durch den Kopf allein erfolgen. Man muss sich, nach Schönwieses Einleitung „in langer und vor allem kon- 10 Garma C. C. Chang: Die Praxis des Zen. Freiburg im Breisgau 1982. Schönwieses Esoterik 159 sequenter Weise selbst umerziehen, ummeditieren, umtrainieren, ... um wieder aus dem Ganzen zu leben und aus der Totalität tätig zu werden“. 11 Das nächste Buch, das Schönwiese ins Deutsche übersetzt hat, stammt von dem damals im ganzen Westen best bekannten Vertreter des Zen: Daisetz Taitaro Suzuki. Das bedeutet jedoch keineswegs eine Abwendung Schönwieses von seinem verehrten Lehrer Chang, sondern ist die Folge eines Fingerzeiges, den er eben von diesem erhalten hatte. Der immens gebildete Professor der Religionswissenschaft hatte alle die vielen Bücher Suzukis gelesen, wobei ihm der ungewöhnliche Qualitätsunterschied über eine breite Skala vom Schwachen bis zum Besten aufgefallen war. Ohne sich einen Augenblick zu besinnen, hatte Chang auf Schönwieses Frage das beste Buch genannt, das in Schönwieses Übersetzung Ur-Erfahrung und Urwissen betitelt war. 12 Das Buch besteht in der erweiterten Ausgabe von zwei Vorträgen, die Suzuki 1946 vor dem japanischen Kaiserhaus gehalten hat. Seine Besonderheit besteht darin, dass es das einzige Buch Suzukis ist, in dem er sich eingehend mit der Kegon-Philosophie (chinesisch: Hua-Yen-Lehre) auseinandersetzt, die vielen Kennern und darunter auch Chang, der selbst ein hervorragendes Grundbuch über den Buddhismus geschrieben hat, das aber nur chinesisch erschien, als der Gipfel chinesischen Denkens gilt. Von besonderem Quellenwert ist dabei vor allem nur die in der erweiterten Ausgabe enthaltene Übersetzung des berühmten „Traktats vom goldenen Löwen“ des Hua-Yen-Meisters Fa-Tsang. Wie Schönwiese selbst in einer abschließenden Anmerkung richtig feststellt, ist dieser Traktat selbst als Ganzes inhaltlich zu summarisch komprimiert und verdichtet, als dass er von den meisten Lesern in seiner ganzen Tiefe erfasst werden könnte. In oberflächlich zusammenfassender Weise lässt sich aber über ihn sagen, dass es selbstverständlich nicht um einen wirklichen goldenen Löwen geht, sondern um einen symbolischen, bei welchem das Gold für den Begriff Li (die Leere) und der Löwe für den Begriff Shih (das Besondere, das Konkrete, die Form) steht. Das Gleichnis vom goldenen Löwen dient aber hauptsächlich dazu, die wechselseitige Bedingtheit von Gold und Löwe, sowie von Leere und Form zu veranschaulichen, die schließlich zur Einsicht der Überwindung des Dualismus von Sein und Nichtsein führt. Diese spekulativ-mystische Leere steht bereits hinter dem oben erwähnten Zitat Schönwieses, wonach man sich in langer und vor allem konsequenter Weise selbst umerziehen, ummeditieren, umtrainieren muss, um wieder aus dem Ganzen zu leben und aus der Totalität tätig zu werden. 11 Die Praxis des Zen, op. cit., S. 9. 12 Daisetz Taitaro Suzuki: Ur-Erfahrung und Ur-Wissen. Die Quintessenz des Buddhismus. Wien 1983. Vgl. dazu auch Schöwieses besonders wichtige Übertragung des Buches von Garma C. C. Chang: Die buddhistische Lehre von der Ganzheit des Seins. Bern - München - Wien 1989, S. 54-57 und 288-97. Joseph P. Strelka 160 Der „Traktat vom goldenen Löwen“ beinhaltet im Grunde nicht nur einen überaus modern wirkenden, polyperspektivischen Pluralismus, sondern bringt vor allem noch das Zeit-Moment herein, wenngleich nicht mit außenorientierten physikalischen, sondern mit innenorientierten existentiellen Implikationen. Dabei wird die Zeit so gesehen, dass sie sich im jeweils gegenwärtigen Augenblick kristallisiert. Das wesentliche Endergebnis aber nach vollständigem Erfassen dieses äußerst komplexen und schwierigen Gleichnisses vom goldenen Löwen besteht zuletzt in seiner Überwindung: Man kann zuletzt den ganzen goldenen Löwen in seiner gleichnis-lehrhaften Bedeutung fallen lassen und vergessen, sobald man die Sache selbst erfasst hat. Die Sache selbst aber besteht darin, die Dinge in ihrer Soheit (Tathata) und ihrer Umschlossenheit von „Li“, dem „shunyata“ der buddhistischen Lehre, zu verstehen, oder noch besser, mit seiner ganzen Existenz zu „realisieren“. „Wenn wir sowohl über das Gold wie über den Löwen hinausblicken, sind wir von allen Täuschungen befreit und der Geist ist im Frieden gleich dem großen Ozean; wenn alle die quälenden Leidenschaften sich legen, und alle die Irrtümer des Verstandes erledigt sind, schwindet jedes Gefühl der Bedrohung. Alle Verwirrungen sind wie weggefegt, alle Hindernisse beiseite geräumt, und die Quelle alles Leidens ist für immer versiegt. Wenn einer diesen Seinszustand der Erleuchtung und Seligkeit erreicht hat, ist er ins Nirvana eingegangen“. 13 Es erscheint nur folgerichtig, dass das nächste Buch Schönwieses sich nun ganz der Hua-Yen-Lehre selbst zuwenden wird und das ist auch tatsächlich der Fall. Wie es auch nicht überraschend ist, dass dieses Buch von Chang selbst stammt. Wenn er mit vergleichsweise handfest praktischen Hinweisen auf die Praxis der Meditation des Mahamudra begonnen hatte, so hatte er nunmehr die Theorie dahinter auseinandersetzen und erklären wollen. Es besteht daher ein direkter Zusammenhang zwischen den beiden Polen. Dieser Zusammenhang wird klar, wenn man sich daran erinnert, dass Changs erlauchter Lehrer Kong Ka einstmals seinen wenigen, sorgfältig ausgewählten persönlichen Schülern in der Meditationspraxis vertraulich eröffnet hatte: „Verwirf jede Art des Sich-an-Etwas-Anklammerns und das Wesen wird sich sofort zeigen“ 14 Es wirft ein bezeichnendes Licht auf die geistige Größe Schönwieses, dass diese heimlich anvertraute Quintessenz des großen Kong Ka genau der Punkt war, den er mehr als zwei Jahrzehnte, bevor er mit Chang zusammentraf, in seinem ersten, oben erwähnten Zen-Gedicht über das fünfte Koan des Mumonkan selbst gemacht hatte. Die Hua-Yen-Lehre liefert die erklärenden Beweise in Form einer öffentlichen Untermauerung dazu. Das beginnt mit den Kommentaren zur zentralen Stelle des Herz-Sutras, wonach Form Leere 13 Das ist der zehnte und abschließende Abschnitt des Traktats vom Goldenen Löwen in Schönwieses Übersetzung. In: Ur-Erfahrung und Ur-Wissen, op. cit., S. 95. 14 Mahamudrafibel, op. cit., S. 75. Schönwieses Esoterik 161 und Leere Form ist, und geht bis zur Abweisung des sogenannten „Svabhava Denkens“. Denn wie sinnlos ist es, sich an irgendetwas Konkretes (die Form) zu klammern, wenn sie doch eigentlich Leere oder zumindest nicht verschieden von Leere ist. Wobei dieser Begriff der Leere leicht missverstanden werden kann. In der Hua-Yen-Lehre meint er nämlich ausdrücklich etwas, das weder mit der Abwesenheit noch mit der Vernichtung von „Etwas“ zu tun hat. Diese rational verstandesmäßig-logische Unmöglichkeit der wahrnehmbaren Gleichzeitigkeit von Soheit und Leere, des Goldes und des Löwen wahrzunehmen, erfüllt sich im Erleuchtungszustand, zu dessen Erreichung Chang seine handfest praktischen Hinweise zur Hand hatte. Wobei noch darauf hingewiesen werden sollte, dass Mahamudra nur eine und dazu die verhältnismäßig einfachste Form im gesamten Gebäude des tibetischen Buddhismus darstellt. Eine kompliziertere, differenziertere und schwieriger zu erlernende Form sind die so genannten Sechs Yogas von Naropa. Chang war der erste, der diese zuvor geheim gehaltenen tibetischen Rituale in englischer Übersetzung bekannt gemacht hat. Freilich vermag das Lesen der Texte allein keineswegs zur Erlangung des praktischen Meditationsziels zu führen, sondern man benötigt dazu die Hilfe eines kundigen Lehrers. Um aber mit der Theorie der Hua-Yen-Lehre fort zu fahren: Nach ihrer Auffassung ist Form nur darum Leere, weil erstens alles dauernden Veränderungen unterworfen ist - nicht zuletzt auch das Ich des Menschen selbst - und darum nichts statisch die gleiche Form bleiben kann. Weil zweitens alle Dinge voneinander abhängig sind und keinen absoluten Eigenbestand haben. Und weil drittens schließlich die sogenannte Außenwelt mit ihren Erscheinungen im Grunde nichts anderes darstellt, als eine Verbindung von Vorstellungen, die einerseits dem kollektiven Karma und andererseits den Projektionen des eigenen Bewusstseins entstammen. Jene eigenartige Leere, die weder Abwesenheit noch Vernichtung darstellt, ist ein eigenartiges Etwas, das alles durchdringt und ermöglicht und dadurch umgekehrt selbst Form ist. Sie kann durch Mahamudra oder Zen ins Gesamtbewusstsein gehoben und dadurch völlig realisiert werden und zwar in verschiedenen Graden der Intensität. Der tibetische Buddhismus unterscheidet zehn Grade der Intensität des Erleuchtungszustandes. Oder sie kann theoretisch als reines Kopfwissen bewusst gemacht werden durch Überwindung des „Svabhava-Denkens“, das dem normalen menschlichen Verstandes-Denken von Natur aus anhaftet und das überwunden werden muss und kann. Dieses Svabhava-Denken nimmt jegliche Handlung, jegliches Geschehen und natürlich auch jedes Ding als feste Einheit und statischen Gegenstand an, die für sich, eigenständig und einheitlich, unabhängig von allen anderen bestehen und durch das Anklammern an ihre eindeutig eingeschränkte Soheit des Seins, ihre „Das-heit“, sind sie scheinbar vollständig erfassbar. Diesem Svabhava-Denken wird vor der Hua-Yen-Lehre als positives Gegenmit- Joseph P. Strelka 162 tel das „Nishvabhava“ oder „Nicht-Svabhava-Denken entgegen gestellt, das in allem das Gegenteil davon darstellt, vor allem aber dynamisch und flexibel ist und frei die unendliche Zahl von Möglichkeiten einbezieht, die sich selbst im Hinblick auf scheinbar eindeutig und eingeschränkt Bekanntes ergeben“. 15 Da Schönwiese in der Tradition des Buddhismus an einer Art Ende des gedanklich Möglichen angelangt zu sein glaubte, war es wiederum nur folgerichtig, dass er - wenn schon nicht Erweiterung - so zumindest Bestätigung des bisher Erreichten in einer anderen Tradition suchte. Was die Meditationspraxis betraf, wusste er, dass es immer weiter gehen müsste und dass er einfach dabei zu bleiben hatte. Bei der gedanklichen Theorie war das etwas anderes. Da er aber immer schon besonders am Taoismus interessiert gewesen war, in den Fünfzigerjahren so sehr, dass er alle Werke der Dichtung systematisch zu sammeln begonnen hatte, die vom Taoismus ernsthaft beeinflusst waren, wandte er sich Terrence Gray zu, der nicht zufällig sogar ein taoistisches Pseudonym als Autorennamen gewählt hatte, nämlich Wei-Wu-Wei. Zwar war Gray kein völlig lupenreiner Taoist und in seinen Essays, die das letzte waren, was Schönwiese noch übersetzt hatte, verband er Ideen und Zitate von berühmten Zen-Patriarchen und einiger ihrer vorzüglichsten Schüler mit parallelen Ideen des Taoismus. Aber gerade diese Parallelen waren ja jetzt für Schönwiese von besonderem Interesse. Der Schluss seines Buches allerdings weist in die Richtung des Taoismus. Wei-Wu-Wei entstammte einer reichen Familie in Suffolk und studierte in Cambridge am Cam, wo er auch ein Theater gründete. Später lebte er in Monte Carlo. Er erwarb einen Weinberg im Rhône-Tal, wo er seinen eigenen Wein presste, hielt eine Zeit lang Rennpferde und reiste in den Sechzigerjahren nach Indien, Thailand, Taiwan und Hongkong auf den Spuren der Ch’an- Überlieferung. In Japan besuchte er Suzuki und Soen Nakagawa Roshi. Er verfasste Bücher über die Lehren des Zen und des Tao. Eines dieser Bücher, All else is Bondage, hat Schönwiese unter dem Titel Die einfache Erkenntnis ins Deutsche übertragen. 16 Es ist in eine Art aneinandergereihter Kurz-Essays aufgegliedert und es ist nach der Überzeugung eines Ungenannten „P. J. G.“ die kürzeste, klarste und direkteste Fassung der Arbeiten, die unter dem Pseudonym Wei-Wu-Wei erschienen sind. 17 Von der Form her wechseln Essays mit Aphorismen, deren Kürze nicht dichterischer Absicht entsprang, sondern als notwendige Folge dem Ungenügen der Ausdrucksmöglichkeit der Darstellung in einer westlichen Sprache entstammen. 15 Im westlichen Denken kommt nach Changs Überzeugung dem Nishvabhava-Denken vor allem Alfred Korzybskis „nicht-aristotelische Methode“ nahe. 16 Wei-Wu-Wei: All else is Bondage. Hongkong 1970, deutsch: Die einfache Erkenntnis. Südgellersen 1994. 17 Vgl. die Widmung am Beginn des Buches. Schönwieses Esoterik 163 Was Wei-Wu-Weis Buch unter anderem für Schönwiese besonders anziehend machte, war sein Eingehen auf das, was er den „Lebenstraum“ nennt, ein Phänomen, das Schönwiese durch Jahrzehnte sowohl als Lyriker als auch als Denker beschäftigt hatte. Für Wei-Wu-Wei war ein auslösender Faktor für seine Ansicht Huang Po gewesen, welcher der zehnten Generation der chinesischen Zen-Patriarchen angehört und aus guten Gründen den Beinamen „Der Grenzdurchbrecher“ erhalten hat. Wie der aus dem Schlaftraum erwachte Träumer sich nicht die Frage stellt, ob die Figuren oder andere Phänomene seines Traumes nun ihre Aktivitäten weiterhin unbeobachtet durch ihn fortsetzen, so geschieht es auch in jedem Tagtraum und eben auch im Lebenstraum, den alle für Wirklichkeit halten: „Auch im Leben überlegt der Erwachte nicht, ob seine Gefährten im ‚Lebens’-Traum nun mit ihm erwacht sind, oder ob sie jetzt ihren eigenen ‚Lebens’-Traum weiter führen, denn er weiß jetzt, daß weder dieser noch jener, der er selbst zu sein scheint, etwas anderes waren als phänomenale Objekte des vermeintlichen Träumens. In beiden Fällen ist die scheinbare Realität des geträumten Geschehens für immer verschwunden“. 18 Mit anderen Worten: Es geht darum, aus der im Grunde unwirklichen Welt, in der wir uns verbissen an alles Mögliche klammern und uns selbst unglücklich machen, zur Erleuchtungserfahrung zu gelangen, was gleichnishaft dem Erwachen aus dem „Lebens“-Traum zur tatsächlichen Wirklichkeit entspricht, weshalb denn auch oft das Erleuchtungserlebnis - und ganz besonders im Englischen - als Realisation bezeichnet wird. Der letzte Schritt sodann, am Ende des Buches, wird unter dem Titel „Dao“ (= Tao) vollzogen. Dort wird klar gestellt, dass dies mit dem Verstand allein nicht erfasst werden kann. Aus diesem Grund ist die „Lehre“ eigentlich die „Nicht-Lehre“, so wie das Tun eigentlich das Nicht-Tun ist. Das taoistische Nicht-Tun aber ist das Wei-Wu-Wei. Das Tao selbst ist damit die „Anwesenheit der Abwesenheit des Wollens“. 19 Wenn es eine denkerische Entwicklung vom ersten frühen Essay des ganz jungen Ernst Schönwiese „Neuer Glaube - Neue Menschen“ zu jener letzten taoistischen Weisheit gibt, dann ist es die Entwicklung von Wunsch und Forderung nach Ich-Überwindung zu der Einsicht, dass es dieses Ich im herkömmlichen Sinn gar nicht gibt: „Wenn man das verstanden hat, tief verstanden, gibt es da noch länger einen Grund, warum man sich im Leben einer Identifikation mit einem psychosomatischen Ich unterwerfen sollte, von dem man nun klar erkannt hat, daß es nicht ist? Hat man nicht erkannt, daß ein ‚Ich’ nur unser eigenes Objekt ist, erfaßbar wie denkbegrifflich, und daß es nicht sein kann, was wir sind? “ 20 18 Die einfache Erkenntnis, op. cit., S. 77. 19 Die einfache Erkenntnis, op. cit., S. 91. 20 Die einfache Erkenntnis, op. cit., S. 93. Joseph P. Strelka 164 Ist dieser Zustand erreicht, so wird es Neid, Hass und Bosheit nicht mehr geben, Rache wird nicht länger erhofft werden. Ein Segen der Güte wird dominieren einer Welt gegenüber, die wir als „wir-selbst“ wieder erkennen. Auch was die Form betrifft, gibt es natürlich eine Entwicklung. Der letzte Absatz des frühesten Essays „Neuer Glaube - Neue Menschen“ klingt an die Prosa Hölderlins an. Nach dem Krieg wurde Schönwieses Prosa zusehends unpathetischer, nüchterner und knapper, was die Qualität seiner Prosakunst aber keineswegs geschmälert, sondern eher gesteigert hat. Sein Platz in der Geschichte des Geistes und der Dichtung ist auf weite Sicht hin auf jeden Fall gesichert. Um aber zuletzt auch noch einmal zu seiner Lyrik zurück zu kehren, kann man sagen: Zwischen der den ganzen Menschen erfassenden Realisierung des über die Welt der Gegensätze Hinausgelangens durch die Praxis des Mahamudra über die Hua-Yan-Lehre bis zur letzten taoistischen Weisheit zeigt Schönwieses lyrische Ausdrucksgestaltung diese Entwicklung vorausahnend und sodann gleich mit vollziehend, sodass es eine einzige geistige Einheit bildet. Sogar seine Lyrik kennt die Bezauberung hinausreichend über das rein Gedankliche, durch Elemente lyrischer Irrationalität in Richtung der wirklichen „Realisation“. Das ist auch der wesentliche Sinn jener Verse, mit denen er das allerletzte Gedicht seines letzten Gedichtbandes Antworten in der Vogelsprache beschlossen hat: Endlich erwacht zum dem, was ich wirklich bin, nicht mehr der Sklave des Körpers, wie könnte ich sterben im Tode? Nie geboren, Weil ich das Niemals-Geborene bin, lebe und wirke ich in einer Heiterkeit, die die Seligkeit selber ist. Die Bedeutung René Guénons, Leopold Zieglers und Frithjof Schuons für die geistige Entwicklung Ernst Schönwieses Matthias Korger Einleitung Gegenstand unserer Studie ist die Bedeutung, die René Guénon, Leopold Ziegler und einige Guénon geistig verwandte Persönlichkeiten, besonders Frithjof Schuon, für die intellektuelle und spirituelle Entwicklung Ernst Schönwieses hatten. Joseph P. Strelka wies in seinem grundlegenden Werk Ernst Schönwiese nachdrücklich auf die Wichtigkeit Guénons und Zieglers für Schönwiese hin. 1 Am Anfang unserer Arbeit stehen die wenigen Textstellen, in denen Schönwiese entweder von Guénon oder Ziegler direkt spricht oder Denkmotive, die er mit ihnen gemein hat, anspricht. Da diese Denkrichtung im deutschen Kulturraum fast unbekannt ist, wird zunächst eine kurze Einführung in das Denken Guénons, Zieglers und Frithjof Schuons gegeben. Von letzterem ist zwar im gedruckten Werk Schönwieses nur einmal die Rede, in Nr. 28/ 1952 der Zeitschrift das silberboot, aber aus einer Anzahl von Briefen Schönwieses an verschiedene Adressaten - nicht zuletzt aus dem Briefwechsel zwischen Schönwiese und Schuon - geht die Wichtigkeit, die Schuon für ihn hatte, deutlich hervor. das silberboot 28/ 1952 enthält von Schönwiese ausgewählte Passagen aus Werken Guénons und Schuons, einführende „Notizen“ Schönwieses über diese beiden Autoren und über Leopold Ziegler und einen Artikel des Mannes, dem Schönwiese die Kenntnis Guénons, Schuons und vielleicht auch Zieglers verdankte: des Schweizer Lyrikers Siegfried Lang (1887-1970). Dieser Artikel Langs ist der wenig veränderte Neudruck einer Arbeit aus dem Jahr 1931, der ersten deutschsprachigen Darstellung des Werkes von Guénon überhaupt. Im Vergleich mit diesen von Schönwiese ausgewählten Texten werden seine eigenen Ansichten herausgearbeitet. Die meisten in unserem Kontext wichtigen Äußerungen Schönwieses finden sich in seinen unveröffentlichten Briefwechseln mit Schuon, Lang, André Préau und auch mit Persönlichkeiten, die mit dieser Denkrichtung von sich aus nichts zu tun hatten. Die Zitate unserer Arbeit erfolgen aus den von Strelka herausgegebenen Gesammelten Werken in Einzelbänden - mit Ausnahme der dort nicht enthaltenen Zitate aus den Zeitschriften das silberboot und Bodhi-Baum und den Brie- 1 Joseph P. Strelka: Ernst Schönwiese, Frankfurt a.M. 2005, S. 12, 70, 98. Matthias Korger 166 fen aus dem unveröffentlichten Nachlass, der im Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek, Wien aufbewahrt ist. Der Verfasser dankt Professor Joseph P. Strelka für viele gemeinsame Gespräche über die Probleme dieser Arbeit, Dr. Michael Hansel vom Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek für die eingehende Vorarbeit und fachliche Beratung, Mag. Werner Rotter und Mag. Martin Wedl (beide ebenfalls Literaturarchiv) für die hilfreiche Bereitstellung von Schönwieses ungedrucktem Nachlass. Seiner geistigen Erkenntnis brachten die Jahre nach dem Krieg die Bekanntschaft mit den östlichen Darstellungen des Urwissens, der fernöstlichen des Tao, der mittelöstlichen des Vedanta und der nahöstlichen der Sufis. Im Vergleich dieser drei orientalischen Doktrinen mit der Ausprägung christlicher Lehre durch Meister Eckehart und der chassidischen durch Martin Buber vermochte er jene Ur- und Selbstoffenbarung der Wahrheit zu erfahren, die immer wieder zu erleben und im Wort zu gestalten er als Sinn und Auftrag seines Lebens empfindet. Führer auf dem Weg zu dem, was er für sich gern die Urfabel des Menschengeschlechts nennt - allgemein gültigen Grundtatsachen und -geschehnissen wie sie auch seinen erzählenden Bemühungen zugrunde liegen und einem in Arbeit befindlichen Entwicklungsroman das Rückgrat geben sollen - ist ihm einer der größten und verschollensten Geister unserer Zeit geworden: René Guénon. Er und Leopold Ziegler, der geniale deutsche Religionsphilosoph der Bücher Überlieferung und Menschwerdung, sind heute die heimlichen Partner eines inneren, nie aussetzenden Gesprächs. 2 Ich glaube, daß die Begriffe Urwahrheit, Urüberlieferung und Uroffenbarung der Menschheit sehr wichtig sind, weil sie nämlich zeigen, daß es in allen Kulturen Gemeinsames gibt. Dies Gemeinsame zu betonen, das scheint mir heute besonders wichtig zu sein. Ein Mann der von großem Einfluß auf mich gewesen ist und den ich außerordentlich hochschätze, ist der französische Denker und Religionsphilosoph René Guénon, ein Mann, der die Lehre von der Urwahrheit, der Uroffenbarung in seinem Werk immer wieder deutlich gemacht hat. (…) Er ist 1951 gestorben, aber seine Ideen werden von einem zwar kleinen, aber sehr lebendigen und tätigen Kreis weiter dargestellt und in neuen Beispielen sichtbar gemacht. Diese Urwahrheit und dieses Urwissen vom Sinn des Lebens immer wieder zu zeigen, und aus allen Überlieferungen herauszufiltern, das Gemeinsame zu finden, das scheint mir vielleicht überhaupt das Wichtigste zu sein. 3 Meine poetologischen Überlegungen (…) habe ich (…) unter dem Titel Dichtung als Urwissen des Menschen dargestellt. (…) Hinter all diesen Gedankengängen steht eine lebenslange Suche nach einer allgemein 2 Ernst Schönwiese: Sinn und Auftrag (1952), zitiert nach: Ernst Schönwiese: Kunstprosa (Gesammelte Werke in Einzelbänden), Bd. 2, hrsg. v. Joseph P. Strelka, Hall i.T. 2009, S. 64. 3 Bodhi-Baum - Gespräch mit Ernst Schönwiese, Bodhi-Baum 5, 1/ 1980. S. 11. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 167 verbindlichen Urwahrheit vom Sinn des Lebens, eine Erfahrung, die von aller echten Dichtung tradiert wird. 4 Zwischen den beiden ersten Zitaten liegen achtundzwanzig Jahre, vom zweiten zum dritten sind es weitere zehn Jahre des beruflichen Erfolgs, der Reifung als Dichter und (für Schönwiese am wichtigsten) der spirituellen Reifung. 1951, nach dem Tod Guénons, wurde Schönwiese von Lang auf Guénon, Schuon und vielleicht auch auf Ziegler aufmerksam gemacht, seine Beschäftigung mit den Werken dieser Denkrichtung und sein brieflicher und teilweise auch persönlicher Kontakt mit Guénons Geistesverwandten und mit Ziegler (der bei aller Affinität sich in einigem unterscheidet) war 1951 - 1957 am intensivsten. Vermutlich war die beträchtliche Ausweitung seines Arbeitsbereichs durch seine Ernennung zum stellvertretenden Programmdirektor des Österreichischen Rundfunks 1954 Ursache dafür, dass er sich nicht mehr imstande sah, diese Kontakte aufrecht zu erhalten. Dass er seine Grundhaltung seit 1951 nicht geändert hat, das wird unsere Arbeit zeigen. 1971 wurde Schönwiese in den Chan-Buddhismus, die chinesische Urform dessen, was im Westen vor allem als japanischer Zen-Buddhismus bekannt ist, und in das tibetische Mahamudra eingeweiht. 5 Seine Sicht auf das Grundsätzliche entwickelte sich insofern, als er sich als Buddhist verstand und der Aussage über Guénon im oben zitierten Interview mit der Zeitschrift Bodhi-Baum hinzufügte: „Der Buddhismus ist diejenige Überlieferung der Menschheit, die alle Urwahrheiten, Uroffenbarungen am deutlichsten, am klarsten, am richtigsten gesehen hat, und sie viel konkreter tradiert als jede andere Religion.“ 6 Aber die Betonung des Gemeinsamen in allen Traditionen ist geblieben: Der Buddhismus ist seiner Meinung nach den anderen Religionen nur relativ überlegen. In unserem dritten Zitat formuliert der Fünfundachtzigjährige seine lebenslange Überzeugung, Dichtung bringe das Urwissen des Menschen und die Erfahrung der Suche nach Urwahrheit vom Sinn des Lebens zum Ausdruck. In der bereits nach der inneren Erschütterung, die die Begegnung mit Guénons Werk in ihm hervorrief, geschriebenen autobiographischen Skizze beschreibt Schönwiese als wichtigstes Ereignis seiner Kindheit, als er „(…) auf einem Waldspaziergang mit dem Vater plötzlich wie eine Erleuchtung die Erkenntnis hat, das Höchste auf Erden sei, sich zu verlieren, sich an etwas zu verlieren.“ 7 Der Fünfundsiebzigjährige, der durch die Schule Guénons, 4 Selbstvorstellung für die Deutsche Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt (1990), zitiert nach: Ernst Schönwiese: Kunstprosa, … a.a.O., S. 102. 5 Über seinen Initiator und spirituellen Lehrer Garma Chang siehe Joseph P. Strelka „Der Esoteriker Schönwiese in seiner Lyrik und in seinen übersetzten Essays“ in diesem Sammelband. 6 Bodhi-Baum-Gespräch, … a.a.O. 7 Kunstprosa, … a.a.O., S. 61. Matthias Korger 168 des Reifens seiner Lyrik und des Buddhismus gegangen war, formuliert so: „Einer der entscheidendsten, wenn nicht der entscheidendste religiöse Grundbegriff ist das ‚Ichloswerden‘, das ‚Ich‘ loswerden.“ 8 In einem Brief an Strelka bezeichnete Schönwiese Dichtung als Methode zur „Einübung in der Ich-Losigkeit, als Entichungsübung.“ 9 1984 betitelte er Vorlesungen zur Poetik an der Universität Innsbruck Dichtung als Urwissen des Menschen. 10 Wie Frithjof Schuon sah Schönwiese die Religionen in ihrer inneren Einheit, 11 wie Ananda Coomaraswamy sah er die verschiedenen Religionen als Dialekte einer Ursprache. 12 Schon im Alter von achtundzwanzig Jahren, als er sicher noch keine Kenntnis von Guénons oder Zieglers Werk hatte, schrieb Schönwiese: Jede Religion (…) ist Metapher des geistigen Weltzusammenhanges. (…) Dem Gläubigen ist Gott der letzte Sinn (…) in der Form eines sinnenhaften, vorstellbaren, fast realen Symboles, doch eines Symboles für einen unmittelbar überhaupt nicht faßbaren oder sagbaren Ursinn. 13 Bereits diese Zitatauswahl zeigt, daß Strelka nicht übertreibt, wenn er immer wieder darauf hinweist, Schönwiese sei durch Guénon und Ziegler geprägt worden, wobei Voraussetzung für eine solche Prägung eine natürliche Affinität ist. Es ist auf den ersten Blick unverständlich, daß diese ihm so wichtigen Namen in seinem gedruckten Werk so selten vorkommen. Ich vermute, dass der Grund hierfür in Schönwieses außergewöhnlicher Bescheidenheit liegt. Ähnlich wie später gegenüber dem Buddhismus und dem Taoismus, verstand sich Schönwiese gegenüber Guénon, Schuon und Ziegler als Vermittler. Er stellte solchen, die er für dazu berufen hielt, über den Rundfunk und über das silberboot die Möglichkeit zur Verfügung, sich zu äußern. Im Fall des Buddhismus und des Taoismus übersetzte er selber Texte aus dem Englischen, schrieb aber fast nichts eigenes darüber. 8 Bodhi-Baum-Gespräch, … a.a.O., S. 10. 9 Strelka, Schönwiese, … a.a.O., S. 15. 10 Ernst Schönwiese: Dichtung als Urwissen des Menschen (1985), zitiert nach Ernst Schönwiese: Kunstpros, … a.a.O, S. 199-215. 11 Frithjof Schuon: Von der inneren Einheit der Religionen, Interlaken 1981; Schuon wird unten ausführlich vorgestellt. 12 Ananda K. Coomaraswamy: Symplegades (1947) in: Coomaraswamy: Traditional Art and Symbolism (Selectes Papers 4), Princeton 1977, S. 521. Coomaraswamy (1877-1947), Sohn eines Tamilen und einer Engländerin, Kustos für indische und islamische Kunst am Museum of Fine Arts in Boston, schrieb vor allem über Religion und Kunst im Vergleich der Überlieferungen auf metaphysischer Grundlage. 13 Ernst Schönwiese: Neuer Glaube - Neue Menschen (1933) zitiert nach: Ernst Schönwiese: Kunstprosa …, a.a.O., S. 219-220. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 169 Sein lyrisches Werk, das schon in der ersten Zeit nach der Begegnung mit dem Werk Guénons Nachdichtungen indischer, chinesischer und japanischer mystischer Dichtung (auf Grund von Übersetzungen ins Englische und Französische) enthielt, legt in wachsendem Maß Zeugnis von seiner spirituellen Entwicklung ab. Im Herbst 1951 machte Schönwiese einen entscheidenden Sprung in der spirituellen Erkenntnis: Siegfried Lang wies ihn auf Guénon, Schuon und vielleicht auch auf Ziegler hin. Wie stark diese Erfahrung auf ihn wirkte, das sollen zwei Zitate aus Briefen Schönwieses bezeugen, eines aus einem Brief an den Erzähler, Literaturkritiker und Übersetzer aus dem Französischen, Eduard H. Steenken: Kennen Sie den franzoesischen Religionsphilosophen René Guénon der vor etwa Jahresfrist in Kairo gestorben ist? Auf ihn aufmerksam geworden zu sein war vielleicht das positivste Ergebnis meiner vorjaehrigen Schweizer-Reise, vor allem meines Besuches in Basel bei dem Dichter Siegfried Lang. (…) Schönwiese weist weiters auf die Zeitschrift Etudes Traditionnelles hin, an der Guénon richtunggebend beteiligt war und auf ihre Schweizer Mitarbeiter Frithjof Schuon und Titus Burckhardt. 14 Und auf Ziegler: Vielleicht kennen Sie auch Leopold Zieglers grossartige und geniale zwei Buecher ‚Ueberlieferung‘ und ‚Menschwerdung‘ beide bei Jakob Hegner erschienen. Sie fussen ganz auf Guenons esoterischer, nicht orthodoxer, aber das Tiefste im Menschen anruehrender Religiositaet. (…) Meine Freizeit gehoert seit Monaten ganz der Auseinandersetzung und geistigen Diskussion mit Guénons und Zieglers Buechern. (…) 15 Das andere Zitat ist aus einem Brief vom 2. Mai 1952 an Siegfried Lang: Das nächste Heft meiner Zeitschrift wird deutlich jene Entwicklung zeigen, die dem Herausgeber die Begegnung mit Ihnen gegeben hat. Ich weiß heute, daß ich Ihnen einfach begegnen mußte. Es war alles folge-richtig und auf eine geheimnisvolle Weise sinnvoll. 16 Schönwiese ist nicht der einzige, den die Begegnung mit Guénon, Schuon, Coomaraswamy oder Ziegler (wie gezeigt werden wird, war Ziegler wohl ein Geistesverwandter, stand aber doch in einem gewissen Abstand) spontan 14 Titus Burckhardt (1908 - 1984), Architekt, Kunsthistoriker und Symbolforscher, Großneffe Jacob Burckhardts, Mitglied der von Frithjof Schuon geleiteten Tariqa Ala ouia. Schrieb u.a. Vom Wesen heiliger Kunst in den Weltreligionen, Zürich 1955. 15 Brief Ernst Schönwiese an Eduard H. Steenken (25.4.1952), Nachlaß Ernst Schönwiese (NL Schönwiese). Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek Wien (LIT), o.Sign. 16 Brief Ernst Schönwiese an Siegfried Lang (2.5.1952), NL Schönwiese, LIT, o.Sign. Matthias Korger 170 erkennen lässt: Das ist, was ich immer gesucht habe! Das liegt in der Erkenntnis der inneren Einheit der Traditionen, nicht synkretistisch (weder durch rationalistische Zusammenfügung noch durch irrationalistische Einheits-Empfindung), sondern überrational (Siegfried Lang übersetzt es: suprarational) = metaphysisch. An dieser Stelle muss eine begriffliche Klärung durchgeführt werden. Der Begriff „integrale Tradition“, den Schönwiese immer wieder verwendet, ist im deutschen Sprachgebrauch für diese Denkrichtung gebräuchlich geworden, wiewohl ihn Guénon nur selten verwendete, er verwendete durchwegs „tradition primordiale“ = „Urtradition“ oder „ursprüngliche Tradition“. Es scheint, dass Ziegler die Übersetzung „integrale Tradition“ selbst eingeführt und nachher darauf vergessen hat. In unserer Arbeit wird der Begriff „integrale Tradition“ durchgängig verwendet, da er sich im deutschen Sprachgebrauch durchgesetzt hat. Im englischen Sprachgebrauch wird der Begriff „perennial philosophy“ = „philosophia perennis“ mit einer ähnlichen Bedeutung verwendet, in beiden Fällen ist die Definition nicht ganz eindeutig. Philosophia perennis kam bei Guénon nicht vor, wohl aber bei Ananda Coomaraswamy, Frithjof Schuon und Leopold Ziegler. Da die integrale Tradition im deutschen Sprachraum so gut wie unbekannt ist, scheint mir eine kurze allgemeine Einleitung nötig. Das Werk Gúenons, Zieglers und Schuons soll kurz skizziert werden, vor allem hinsichtlich der Lehren, die für Schönwiese von Bedeutung waren. René Guénon René Guénon (1886-1951) wurde in Blois geboren. Von früher Jugend an war für ihn die Suche nach metaphysischer Wahrheit und spiritueller Verwirklichung das allein Wichtige. In seiner Jugend hatte sich Guénon neognostizistischen und okkultistischen Gruppen angeschlossen, später verurteilte er diese Richtungen uneingeschränkt. Er lebte bis zu seiner Auswanderung nach Ägypten 1930 im Rahmen des Katholizismus und publizierte in katholischen Zeitschriften, vor allem über Symbolik. Guénon erhielt 1912 die Initiation in die Sufi-Tariqa 17 Shādhilīyya, vorher hatte er offensichtlich Einweihungen in indische und chinesische Lehren bekommen. Er studierte Mathematik und Philosophie und unterrichtete zeitweise an Gymnasien. 1930 fuhr Guénon auf der Suche nach unpublizierten Texten des Sufismus nach Kairo. Er verließ Ägypten bis zu seinem Tod 1951 nicht mehr. Guénon wurde ägyptischer Staatsbürger und führte seinen Initiationsnamen Scheich Abd-el Wahed Yahia. Guénons hauptsächliches Publikationsorgan war die Zeitschrift Le 17 Tariqa (arab. Pfad, Weg): Bezeichnung für den Weg der Initiation in die Esoterik des Islam, im engeren Sinn Bezeichnung für die Sufi-Orden. Shādilīyya: Der Name ist vom Begründer, dem marokkanischen Mystiker Abu'l-Hasan ash-Shādhilī, gestorben 1258, abgeleitet. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 171 Voile d'Isis, später in Études Traditionnelles umbenannt, für die er seit 1928 kontinuierlich Artikel und Rezensionen schrieb, die später, in Buchform zusammengefasst, herausgegeben wurden, und deren Geist er in wachsendem Maß bestimmte. Guénon verfasste auch einige Monographien. Der posthum erschienene Teil seiner Bücher besteht aus (manchmal willkürlich zusammengestellten) Artikelsammlungen. Die Themen von Guénons Schriften können in fünf Gruppen eingeteilt werden: Metaphysik; Symbolik; Tradition; Initiation und spirituelle Verwirklichung; Ablauf des kosmischen Zyklus und Kritik der modernen Welt. Seine Lehre, die sich als überindividuelle Darstellung der integralen Tradition versteht, hat besondere Affinität zum Advaita-Vedānta Shankaras und zur islamischen Einheitsgnosis (wahdat al-wujūd) Ibn-Arabis. 18 Im Zusammenhang mit Schönwiese ist für uns vor allem die Bedeutung, die „tradition“ bei Guénon hatte, wichtig. Man darf „tradition“ (= Tradition) nicht mit „coûtume“ (= Gewohnheit) verwechseln. Das Kriterium für die Bezeichnung „Tradition“ ist der Ursprung im Übernatürlichen und Metaphysischen. Eine nur menschliche Überlieferung kann nicht Tradition genannt werden: „Es gibt nichts wahrhaft Traditionelles und es kann auch gar nichts wahrhaft Traditionelles geben, das nicht ein Element aus der Ordnung des Übermenschlichen mit einbegreift.“ 19 Dieses Element aus der Ordnung des Übermenschlichen ist in der esoterischen Mitte aller einzelnen Überlieferungen gegenwärtig, „Urtradition“ drückt nicht nur das zeitliche Vorhergehen sondern in höherem Maß den metaphysischen Vorrang aus. Die einzelnen traditionellen Formen sind Manifestationen der Urtradition, die sakral und in ihrem Ursprung nicht menschlich ist. 20 Die Spuren dieser Urtradition sind in den Symbolen, Riten und Mythen der einzelnen Traditionen zu erkennen. Guénon versteht Tradition als metaphysische, universelle und esoterische Überlieferung: …wenn man überall solche Übereinstimmungen findet, ist das nicht mehr als ein einfacher Anhaltspunkt für die Existenz einer Urtradition? (tradition primordiale) … Im Übrigen genügt es, ein wenig zu suchen … um von allen Seiten die Spuren dieser wesentlichen Einheit der Lehre zu entdecken, deren Bewußtsein sich manchmal in der Menschheit verdunkeln konnte, aber niemals gänzlich verschwunden ist. 21 18 Shankarāchārya, 788-820, indischer Heiliger und Metaphysiker. Hauptvertreter des nichtdualistischen Advaita-Vedānta. Muhyīuddīn Ibn al-Arabi, 1165 - 1240, Metaphysiker und Sufi-Meister. Einer der am stärksten gnostisch ausgerichteten islamischen Denker. 19 Guénon: Le Règne de la quantité et les signes des temps, Paris 1986, S. 206. 20 Vgl. Guénon: Le Roi du monde, Paris 1981, S. 19-20. 21 Guénon: Symboles de la Science Sacrée, Paris 2000, S. 27-28. Matthias Korger 172 Und auch der Begriff „Uroffenbarung“ findet sich bei Guénon: Die Uroffenbarung (révélation primordiale), Werk des göttlichen Wortes wie die Schöpfung, verkörpert sich sozusagen in den Symbolen, die sich von Zeitalter zu Zeitalter überliefert haben von den Anfängen der Menschheit an und dieser Prozeß ist, in seiner Ordnung, abermals analog zu dem der Schöpfung selbst. 22 An dieser Stelle muss kurz erklärt werden, welche Bedeutung der zentrale Begriff „Metaphysik“ bei Guénon hat. Im Gegensatz zur abendländischen Philosophie, die seit Aristoteles (mit Ausnahme der Neuplatoniker und von ihnen inspirierter Denker wie Nikolaus von Kues) Metaphysik als Ontologie, als Lehre vom Sein als Sein, versteht und damit das Ganze auf einen Teil reduziert, überliefert Guénon die vielleicht am klarsten vom indischen Vedānta formulierte Lehre von der Nicht-Dualität. Diese geht nicht vom Sein, sondern vom höchsten Prinzip aus, das nur als „nicht-dualistisch“ gekennzeichnet werden kann, als jenseits der Bestimmung des Seins, der ersten aller Bestimmungen. 23 Das metaphysische Unendliche ist der „(…) fundamentalste aller Begriffe.“ 24 Von seinem Verständnis hängt nicht nur das Verständnis der Seinsstufen, sondern das der Metaphysik im Ganzen ab. Leopold Ziegler Schönwiese ist durchaus beizupflichten: Zieglers Werke Überlieferung und Menschwerdung haben „(…) René Guénon Entscheidendes zu danken.“ 25 Überlieferung ist das erste Werk Zieglers, das von der Auseinandersetzung mit dem Werk Guénons geprägt ist. Ziegler spricht hier von der „(…) Einheit aller Überlieferungen.“ 26 Ziegler wendet sich gegen die Behauptung des christlichen Konfessionalismus (für ihn besonders durch Martin Luther verkörpert) „(…) es sei der Welt außer der Offenbarung im Fleische keine andere bekannt geworden.“ 27 Der Logos als offenbarender Ursinn dürfe nicht mit dem fleischgewordenen Wort verwechselt werden. In der Gegenwart ist dem Christen aufgegeben, sich zu der höheren Anschauung emporzuheben: „(…) es sei diese dem Großteil der Menschheit zugewiesene Überlieferung grundsätzlich als das Werk der „anderen“ Offenbarung zuzulassen, alle christliche Offenbarung ergänzend und erweiternd (…).“ 28 Nun kommt die bekannte und von uns 22 ebd., S. 19. 23 Guénon: Introduction générale à l‘étude des doctrines hindoues, Paris 1983, S. 253. 24 Guénon: Les États multiples de l’être. Paris 1984. 25 das silberboot 28/ 1952, S. 184. 26 Leopold Ziegler: Überlieferung, Sankt Augustin 1999. S. 248. 27 ebd., S. 434. 28 ebd., S. 441. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 173 schon zitierte Stelle: „(…) seit eben Guénon das Wort von der ‚integralen Tradition‘, Wort von der heilen und heiligen Überlieferung in die Diskussion der Völker geworfen hat.“ 29 Wir haben schon darauf hingewiesen, dass es vermutlich Ziegler selbst war, der anstelle des von Guénon fast ausschließlich verwendeten „tradition primordiale“ „Urtradition“ oder „Urüberlieferung“ (das Ziegler manchmal auch verwendet) den Begriff „integrale Tradition“ einführte, der gegenüber „Urtradition“ einen etwas anderen Akzent setzt. Integrale Tradition beruht auf Gottes Selbstoffenbarungen im Geist und in der Wahrheit. Die einzelnen Überlieferungen des Orients müssen als „(…) in sich gleichwertige Spielarten einer einzigen, uns freilich nicht mehr zugänglichen Uroffenbarung“ 30 genommen werden. Offenbarung ist „(…) übernatürlich kraft eigener Definition und (…) auch wesenhaft übervernünftig.“ 31 Der Logos als offenbarender Ursinn darf nicht mit dem fleischgewordenen Wort verwechselt werden. Gott teilt sich der Welt auch in der Weise „(…) der nicht-existentiellen Erkenntnis mit (…) - sei es im exoterischen Stil eines sinnbildlichen, mythisch-symbolischen Urwissens, sei es im esoterischen Stil des absoluten Wissens.“ 32 Schon diese wenigen Zitate von Passagen, die die für Schönwiese wichtigsten Gedanken Zieglers herausstellen, zeigen, dass er (unterschieden von Guénon oder Schuon) gerade seit er sich zur integralen Tradition bekannte, seinen Ausgangspunkt im Christentum nimmt und von ihm aus zur Urtradition und den einzelnen anderen Überlieferungen geht, dabei aber überzeugt ist, dass „(…) dereinst im goldenen Zeitalter, sämtliche Völker der Erde im Besitz einer seither verlorenen Uroffenbarung waren.” 33 Leopold Ziegler (1881-1958) ist heute auch im deutschen Kulturraum weitgehend vergessen. Aber zwischen 1920 und 1940 war er einer breiteren Öffentlichkeit bekannt. 1920 hatte er für sein erstes grundlegendes Werk Gestaltwandel der Götter den Nietzsche-Preis erhalten. In diesem Werk ist die Verwandtschaft mit Nietzsche und mit seinen Zeitgenossen Spengler und Graf Keyserling unübersehbar. Ausgangspunkt seines Denkens war im wesentlichen die Philosophie seiner Zeit und sein Widerstand gegen sie. In einem „Lebensbericht“ von 1948, anlässlich der Publikation von Menschwerdung, beschreibt er seine Ausgangssituation folgendermaßen: Der erste Weltkrieg wurde zum entscheidenden Anlaß für eine Auseinandersetzung mit den Geschichtsgegebenheiten Nation und Staat, Person und Gesellschaft. („Der deutsche Mensch“, 1915; „Volk, Staat und Persönlichkeit“, 1916). Um vieles vordringlicher jedoch erweist sich die Bemühung um eine gesicherte Grundlage der religiösen 29 ebd. 30 ebd., S. 442. 31 ebd., S. 443. 32 Leopold Ziegler: Überlieferung; Sankt Augustin 1999, S. 435. 33 Leopold Ziegler: Menschwerdung, Olten 1948, Bd. I, S. 86. Matthias Korger 174 Überzeugung, vorerst diesseits des Christentums und in manchen Stücken noch gegen dieses. 34 In Der europäische Geist, Zieglers letzter Arbeit, bevor er Guénon geistig begegnete, schreibt Ziegler bereits von „mutmaßlicher Urreligion“. Um zur vollen Erkenntnis dieser Zusammenhänge zu kommen, musste er das Werk Guénons (das ihm durch André Préau vermittelt wurde), in sich aufnehmen. Er stattete Guénon seinen Dank ab in zwei Artikeln, die sich direkt auf ihn beziehen und in vielen Zitaten in seinen Werken nach 1936. Auf Grund der mehrmaligen Erwähnung in den Briefwechseln Schönwieses mit Lang und Préau kann man annehmen, dass Schönwieses Briefwechsel mit Ziegler intensiv gewesen sein muss. Leider konnte nur ein einziger Brief Zieglers an Schönwiese vom 6. April 1953 in Schönwieses Nachlass gefunden werden, in dem er ihm attestiert: „(…) daß sogar der Sachwalter, Handhaber eines modernsten Propagandaapparates zutiefst ein Mystiker sein kann.“ 35 Aus den vorliegenden Unterlagen geht hervor, dass Schönwiese einen Vortrag Zieglers über Guénon und einen Vortrag Préaus über Ziegler auf Radio Rot-Weiß-Rot senden ließ. Frithjof Schuon Im gedruckten Werk Schönwieses kommt Frithjof Schuon nur einmal, in das silberboot 28/ 1952 vor, der später ausführlich zu besprechenden „Sondernummer“ - ohne als solche bezeichnet zu werden - zur integralen Tradition. Hier wird - allerdings extensiv - aus seinem Frühwerk Leitgedanken zur Urbesinnung 36 zitiert. Der direkte Briefwechsel Schönwieses mit Schuon und Äußerungen Schönwieses in Briefen an Siegfried Lang, André Préau und andere Adressaten zeigen, dass er von Schuon nachhaltig beeindruckt war. Die Tatsache, dass er ihn persönlich kennenlernte, mag auch dazu beigetragen haben. Schuon war einundzwanzig Jahre jünger als Guénon und hatte zur Zeit der intensiven Beschäftigung Schönwieses mit der Lehre der integralen Tradition (1951-1955) entsprechend weniger publiziert. Frithjof Schuon (1907-1998) wurde in Basel geboren und war württembergisch-elsässischer Abstammung, in seiner Kindheit war Deutsch seine erste Sprache. Nach dem frühen Tod seines Vaters 1918 zog seine Mutter mit ihm und seinem Bruder in das zu Frankreich gekommene Elsaß. Schuon war Lyriker von Rang (Schönwiese ließ auf Radio Rot-Weiß-Rot eine Auswahl aus Schuons Gedichten lesen). Das Deutsche blieb lebenslang 34 Leopold Ziegler: Lebensbericht (1948) in: Leopold Ziegler: Briefe, 1901-1958, St. Augu s tin 1997, S. 450. 35 Brief Leopold Ziegler an Ernst Schönwiese (6.4.1953) NL Schönwiese, LIT, o.Sign. 36 Frithjof Schuon: Leitgedanken zur Urbesinnung, Zürich 1935. Neuauflage unter dem Titel: Urbesinnung, Freiburg i. Br. 1989. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 175 die Sprache von Schuons Lyrik. Aus seinem metaphysischen Werk sind nur die Leitgedanken zur Urbesinnung in deutscher Sprache geschrieben. Das erste seiner Hauptwerke De l’unité transcendante des religions übersetzte er selber ins Deutsche: Von der inneren Einheit der Religionen. 37 Schuon wollte Maler werden, war aber nach dem Tod des Vaters dazu gezwungen, als Textildesigner zu arbeiten. Er zeichnete und malte lebenslang. In späteren Jahren, besonders nach seiner Begegnung mit der indianischen Spiritualität, entstanden bedeutende visionäre Bilder. Auch für Schuon war die spirituelle Suche von Kindheit an das wichtigste Lebensmotiv. Schon in ungewöhnlich früher Jugend war er von der indischen Tradition fasziniert. Die Begegnung mit dem Werk Guénons wurde für ihn entscheidend: Auch er ging den Weg des Islam. Schuon wurde von Scheich Mustafa al-Alawi in die Tariqa Alawiyya initiiert und wirkte - im Gegensatz zu Guénon, der eine solche Funktion nicht ausüben wollte - auch als Initiator und spiritueller Meister. Schuon publizierte in der von Guénon geistig geleiteten (und von Schönwiese abonnierten) Zeitschrift Etudes Traditionnelles und schrieb eine große Anzahl Bücher in französischer Sprache. Zu dem für Schönwiese wichtigen Begriff der „Urreligion“ und ihrem Verhältnis zu den einzelnen Religionen schreibt Schuon: (…) die Vorsehung duldet keinerlei Vermischung der verschiedenen Offenbarungsformen, seitdem es diese Verschiedenheit gibt, das heisst, seitdem sich die eine Urmenschheit in verschiedene „Menschheiten“ aufgeteilt und sich von der einen Urreligion losgelöst hat; diese Urreligion lebt innerhalb jeder Esoterik oder auch innerhalb jeder Art von Heiligkeit weiter, und diese beiden Elemente, Esoterik und Heiligkeit stellen grundsätzlich die einzigmögliche Einheitsreligion dar. 38 Von den großen Religionen drückt der Islam die Urreligion am direktesten aus: „(…) er stellt sich außerhalb der Zeit, greift auf den Anfang zurück, ist die sich ausdrücklich vom Geschehnishaften abwendende Urreligion.“ 39 Das bedeutet aber keinen Vorzug vor den anderen Religionen: „Jede stellt auf Grund ihrer Rechtmässigkeit ‚die Religion‘ dar, also eine Form der Urreligion oder der Allwahrheit.“ 40 Die Wahrheit liegt jenseits aller Beweisführungen unendlich im Menschen, sie ist sein Urgehalt, sein Urstoff, seine letzte Wirklichkeit, - 37 Frithjof Schuon: De l’unité transcendante des religions, Paris 2000. Dt. Übersetzung: Von der inneren Einheit der Religionen, Interlaken, 1981. 38 Frithjof Schuon: Von der inneren Einheit … a.a.O., S. 25. 39 ebd., S. 112. 40 ebd., S. 97. Matthias Korger 176 sein „Selbst“, das anhand wahrer Begriffe an die Oberfläche des Bewusstseins zünden kann. 41 Die Möglichkeit von Gnosis und Esoterik liegt im Wesen des Menschen: „So ist die Gnosis für jene bestimmt, deren Geist von Natur aus den kosmischgöttlichen Urgehalten offensteht.“ 42 In Gnosis und Esoterik sind die Wurzeln der Kunst: So muss es denn geistige Wege geben, die mit dem kosmischen Urgehalt der Künste verbunden sind (…) Der streng „sachliche“ Wesenszug der Handwerke (…) verbindet die Künste mittelbar mit der Gnosis: die Künste sind ursprünglich geistige Berufungen und Wege zur Erlangung der dem „irdischen Paradiese“ entsprechenden menschlichen Vollendung. (…) Der Maurer ordnet zusammenhanglose Rohstoffe an und macht Gottes Wohnung daraus: so wird seine Seele aus einem unbestimmten Chaos zum Tempel der göttlichen Gegenwart, und dieser Tempel hat zum Urbilde das Weltall. 43 Und wenn Schuon in der dazugehörigen Anmerkung schreibt: Diese Entsprechung zwischen der Ausübung einer Kunst und der geistigen Entwicklung tritt besonders deutlich im Zen-Buddhismus (…) zutage. Siehe die Zen-Bücher von Daisetz Teitaro Suzuki, auch Zen in der Kunst des Bogenschiessens (…) von Eugen Herrigel (…). 44 - dann hat er, wie wir sehen werden, Schönwiese aus der Seele gesprochen. In seinem Brief vom 30.12.1952 bot Schuon das von ihm selbst ins Deutsche übersetzte Kapitel „Über die Formen der Kunst“ aus seinem Buch De l’unité transcendante des religions Schönwiese zur auszugsweisen Sendung im Rundfunk an. 45 Schönwiese nahm das Angebot sehr gerne an: Es würden die Abschnitte gewählt werden, deren Anwendung auch auf die Dichtung besonders einleuchtet, so daß man etwa einen allgemeinen Titel geben kann (…) vielleicht sogar: „Die Dichtung und der Geist der Überlieferung.“ 46 Hier zeigt sich der Grad der Wertschätzung Schönwieses: Wie die folgenden Zitate aus diesem Kapitel zeigen, sind Schuons Beispiele durchwegs der bildenden Kunst entnommen. Schönwiese kündigte die Sendung für August oder September 1953 an. 41 ebd., S. 14. 42 ebd., S. 39. 43 ebd. S. 34-35. 44 ebd., S. 47, Anm. 4. 45 Brief Frithjof Schuon an Ernst Schönwiese (30.12.1952), NL Schönwiese, LIT, o.Sign. 46 Brief Ernst Schönwiese an Frithjof Schuon (22.5.1953), NL Schönwiese, LIT. o.Sign. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 177 Für Schuon liegt das Wesen der Kunst „(…) in den Formen im weitesten Sinne (…) sodaß da, wo die Formen geistig falsch sind, auch die Kunst falsch ist.“ 47 Daraus folgt: Die überlieferungsgemässe Kunst allein, - im weitesten Sinne des Wortes, also insofern als die Kunst alle äussere Form und alles in irgendeiner Weise dem Ritus Zugehörende, also alles „Liturgische“ in sich schliesst, - diese Kunst allein kann die sinngemässe Entspre- chung zwischen der göttlichen und kosmischen Ordnung einerseits und der menschlichen und künstlerischen andrerseits verbürgen. 48 Als wesentlichsten Grundsatz überlieferungstreuer Kunst nennt Schuon: „(…) vor allem soll das Werk dem Gebrauche, zu dem es gemacht ist, voll Rechnung tragen, und es soll diese Zweckmässigkeit auch verdeutlichen.“ 49 Kunstgesetze entspringen nicht einfach ästhetischen Erwägungen, sondern es handelt sich „(…) um die Anwendung kosmischer Gesetze, deren notwendiges Ergebnis die ihrer Ebene entsprechende Schönheit ist.“ 50 Daraus folgert Schuon, daß die Höhepunkte der überlieferungstreuen Kunst im Abendland in der byzantinischen, der romanischen und der frühbis hochgotischen Kunst liegen, die „(…) eine wesentlich erkenntnismäßige, also ‚realistische‘ Kunst sind (…)“, 51 während in der Spätgotik bereits der Zerfall in den Dualismus von Spiritualismus und Materialismus beginnt, der die abendländische Neuzeit auf allen Ebenen prägt und in der Kunst deutlichen Ausdruck findet. Es ist charakteristisch, dass Schönwiese diese den gewöhnlichen Vorstellungen seiner Zeit - und erst recht denen der unmittelbaren Gegenwart - durchaus zuwiderlaufende streng überlieferungsgemäße Betrachtungsweise offensichtlich weitgehend geteilt hat. Frithjof Schuon war eindeutig der spirituell Höchstrangige der Korrespondenzpartner Schönwieses aus dem Bereich der integralen Tradition. Er war schon seit vielen Jahren spiritueller Lehrer und seit einigen Jahren Scheich einer Tariqa. Es ist auffallend, dass er Schönwiese als Gleichgestellten, ja manchmal geradezu als „Dichterbruder“ anspricht. Auf die Zusendung von Schönwieses Gedichtband Das unverlorene Paradies antwortete Schuon: „Besten Dank für Ihr Buch. Darin fiel mir nicht nur die Schönheit Ihrer Gedichte auf, sondern auch der Tiefsinn der Betrachtungen, mit welchen Ernst Barlach seine Steinzeichnungen begleitet“, und er schließt: „Mit den freundlichsten Grüssen und besten Wünschen.“ 52 47 Frithjof Schuon: Von der inneren Einheit…, a.a.O., S. 51. 48 Frithjof Schuon: Von der inneren Einheit…, a.a.O., S. 59. 49 ebd., S. 60. 50 ebd., S. 60. 51 ebd., S. 58. 52 Brief Frithjof Schuon an Ernst Schönwiese (30.12.1952), NL Schönwiese, LIT, o.Sign. Matthias Korger 178 das silberboot - 28/ 1952 In Nummer 28/ 1952 der Zeitschrift das silberboot scheinen auf der Titelseite, im Inhaltsverzeichnis und in den von Schönwiese selbst verfassten „Notizen“ zu den Beiträgen Namen auf, die in den früheren Nummern nicht einmal erwähnt worden waren: René Guénon, Frithjof Schuon und Leopold Ziegler. Von Siegfried Lang, von dem bisher nur ein Gedicht und eine Rezension publiziert worden waren, enthält diese Nummer einen theoretischen Aufsatz über das Werk Guénons und drei Gedichte. In der „Notizen“ genannten kurzen Vorstellung der Autoren durch Schönwiese charakterisiert er Guénon vor allem durch Zitate aus Zieglers Werken. Im Gegensatz zu heute hatte Ziegler damals im deutschen Kulturraum einige Reputation. Im deutschen Sprachbereich hat als erster Leopold Ziegler Guénons „großgeplante Arbeit, einer noch lebendigen Gesamtüberlieferung der Menschheit nachzuspüren“, richtig erkannt (…) Guénon habe „das Wort von der integralen Tradition (…) in die Diskussion der Völker geworfen.“ Schönwiese weist auf die „(…) ihrerseits epochal zu nennenden beiden Werke Zieglers „Überlieferung“ und „Menschwerdung“ hin, „(…) die René Guénon Entscheidendes zu danken haben.“ Frithjof Schuon wird als „während Jahren Mitarbeiter an René Guénons ,Etudes Traditionnelles‘, als gründlicher Kenner der sufischen Lehren“ vorgestellt. 53 Schönwiese bringt eine von ihm selber getroffene Auswahl von Zitaten aus dem einzigen zu diesem Zeitpunkt in deutscher Übersetzung erschienenen Werk Guénons Die Krisis der Neuzeit (La Crise du Monde moderne) 54 ein - er meinte überdies mit Recht, dieses Buch wäre grundsätzlich nicht der geeignetste Weg, Guénon vorzustellen, besser als dieses zeit- und kulturkritische Werk wäre eines metaphysischen Inhalts (sh. unten Brief Schönwieses an Préau vom 21.3.1953) - und eine Auswahl von Passagen aus Schuons in deutscher Sprache geschriebenem und 1935 erschienenem Werk Leitgedanken zur Urbesinnung, das überdies ein Vorwort Langs und einige empfehlende Sätze Zieglers enthielt. Bei der Auswahl aus der Krisis der Neuzeit wählte Schönwiese daher auch Aussagen zur Metaphysik und zur Kunst vor den zeit- und kulturkritischen: „Alle Kunst erfüllt ihre Aufgabe, soweit sie echt symbolischer Sinngebung fähig und daher geeignet ist, Stützpunkte für die Besinnung zu bieten und insofern des weitern ihre Regeln Rückstrahlungen und Anwendungen der Urwahrheiten sind.“ 55 Innerhalb einer überlieferungstreuen Kultur ist es kaum begreiflich, daß jemand den Anspruch erhebe, einen Gedanken als sein Eigentum anerkannt zu sehen (…) Ein wahrer Gedanke kann nicht neu sein, 53 das silberboot 28/ 1952, S. 184. 54 René Guénon: La Crise du Monde moderne, Paris 1992, dt. Übers.: Die Krisis der Neuzeit, Köln 1951, Übs. Von Matin Otto, einem Schüler und Verehrer Zieglers. 55 René Guénon: Die Krisis der Neuzeit, zitiert nach: das silberboot 28/ 1952, S. 176. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 179 denn die Wahrheit (…) besteht unabhängig von uns und an uns ist lediglich, sie zu erkennen … 56 In der von uns schon zitierten autobiographischen Skizze schrieb Schönwiese, es sei „(…) die schönste Bestätigung der Annäherung an ein unerreichbares Ideal, daß man von einigen seiner Dichtungen schreiben konnte, sie ließen vergessen, daß ein so und so benannter Mensch sie geschrieben habe.“ 57 Frithjof Schuons Leitgedanken zur Urbesinnung ist, wie Siegfried Lang einmal an Schönwiese schreibt, im Stil bewusst Meister Eckhart nachempfunden, was es für Schönwiese, der in Eckhart denjenigen sah, der ihn zur Mystik erweckt hatte, besonders verwandt machen musste. Was ist die Urlehre? Sie ist das in Formen verhüllte, sich in Formen kundgebende, durch Menschenalter hindurch stets neugestaltig wiederkehrende und ewig sich gleichbleibende Wissen von den letzten Zusammenhängen. Diese in mannigfaltigen Formen lebende, von keiner Form beschränkte, immer wieder zum reinen Geiste zurückführende Wahrheit ist die Urlehre (...). Die Urbesinnung ist eine geistige Bewegung mit dem Göttlichen und geht vom Kern unseres Wesens aus, darin wir selber göttlich sind, so daß eigentlich das Göttliche spricht und die Vernunft nur vernimmt. Das Herz ist das innere Erkenntniswerkzeug und der Sitz des Geistes (…). 58 Bei solchen Formulierungen fand sich Schönwiese auf einer Ebene wieder, die ihm schon lang innerlich vertraut war. Dieses Vertrautsein wurde verstärkt, wenn Schuon schreibt: Das Herz ist die Mitte des Menschen als Wesen überhaupt. Das Herz macht seine verbindende einigende Mitte aus, durch welche er göttlich ist. Das Herz ist das einheitliche göttliche Auge (…) Das Herz ist das verlorene Eden in uns, oder die verlorene Urlehre, das verlorene Wort, der vergessene Name Gottes (…). 59 Der Titel einer von Schönwiese zusammengestellten Sammlung eigener Aphorismen lautet Die Suche nach dem vergessenen Wort. Diese Aphorismen tragen deutlich die Spur der vorausgegangenen intensiven Beschäftigung mit der integralen Tradition. Das „ewige Wort der Seele (…) Logos, Brahma, das Tao, der Zen, die Liebe, das Wort“ kann verloren gehen, vergessen werden. 60 56 ebd., S. 177. 57 Ernst Schönwiese: Kunstprosa …, a.a.O., S. 64. 58 Frithjof Schuon: Leitgedanken zur Urbesinnung, zitiert nach: das silberboot, S. 147. 59 ebd. 60 Ernst Schönwiese: Die Suche nach dem vergessenen Wort, in: Kunstprosa, … a.a.O., S. 51. Matthias Korger 180 Dieses Wort, das wahre und echte Menschenwort, verloren gegangen und doch immer wieder neu gefunden in unserem Herzen nie ganz verstummen zu lassen auf Erden, ist Sinn und Auftrag der Dichtung. Was der Kopf allein erkennt, ist immer ichhaft (…) Nur die nichtichhafte Erkenntnis des Herzens ist das wahre Erkennen und schafft Gewißheit. 61 In Arbeiten, die lange vor 1951 erstmals erschienen sind und die Schönwiese daher gekannt haben müsste, behandelte Guénon die Lehre von der Suche nach dem verlorenen Wort. Sie ist (…) eine der hauptsächlichen Aufgaben des freimaurerischen Weges (…) ist aber nicht spezifisch für die Freimaurerei, weil fast alle Traditionen erinnern, (…) daß in der Folge der fortschreitenden Entfernung vom Ursprung die Erkenntnis, die im ursprünglichen Zustand (état primordial) naturgemäß gegeben war, immer mehr verhüllt wurde. 62 Das verlorene Wort wird wie ein göttlicher Name angesehen. 63 Bezüglich des Herzens als Mitte und des Verhältnisses zwischen Erkenntnis und Liebe ist der Unterschied zwischen Guénon und Schuon wohl eher in der Ausdrucksweise als in der Sache: „Das Herz wird in allen Traditionen als Sitz der Intelligenz betrachtet“. Guénon erläutert in einer Anmerkung, es handle sich hier um die reine Intelligenz im universalen Sinn und nicht um den Verstand (raison). In der christlichen Kunst sind die Darstellungen des leuchtenden Herzens älter, sie stammen aus Zeiten, in denen die Intelligenz noch mit dem Herz in Verbindung gebracht wurde, während seit dem 17. Jahrhundert fast ausschließlich das flammende Herz begegnet, seit die modernen Ideen das Herz auf die Entsprechung zum Gefühl reduziert hatten. 64 „Da ist das Göttliche im Herzen, wo Erkenntnis und Liebe zusammenklingen. Im Geiste ist die Erkenntnis Liebe, und Liebe Erkenntnis; denn Erkenntnis ist nichts anderes als Einssein.“ 65 Auf diese und ähnliche Formulierungen bei Schuon - etwa: „Doch welchergestalt die von Gott gegebenen Behälter auch sein mögen, überall fließt 61 ebd., S. 54 u. 55. 62 Jean-Marc Vivenza: „Parole perdue”, in: J.M. Vivenza: Le dictionnaire de René Guénon, Grenoble 2002, S. 371-372. 63 René Guénon: Etudes sur la Franc-maçonnerie et la compagnonage, II, Paris 1991, S. 42. 64 René Guénon: Le Coeur rayonnant et le Coeur enflammé, in: René Guénon: Symboles de la Science sacrée, Paris 2000, S. 390 391. 65 Frithjof Schuon: Leitgedanken zur Urbesinnung, a.a.O., in: „das silberboot” 28/ 1952, S. 148. - Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 181 der Wein der Erkenntnis und Liebe“ 66 - spielt Schönwiese an, wenn er schreibt: Guénon (…) ist, soweit ich sehe, zuerst (…) für jnana, weit vor bakti. Das schafft dem Erleben seines Werkes - für mich wenigstens - eine gewisse Distanz (…) Wenn ich bei Schuon den Satz lese, daß connaissance und amour nur zwei Seiten der selben Sache sind, dann sage ich mit Freuden ja, Guénon meint es wohl auch so, aber er würde es wohl kaum so formulieren. 67 Siegfried Langs Artikel „Refugium der Metaphysik“ und sein Briefwechsel mit Schönwiese Wir haben Siegfried Lang schon kennengelernt als denjenigen, der Schönwiese, dessen eigener Aussage nach, die Kenntnis Guénons und der integralen Tradition vermittelte. Dr. Siegfried Lang (1887-1970) war Germanist und Romanist und freiberuflicher Übersetzer literarischer Werke aus dem Französischen und aus dem Englischen. Er war - von Stefan George inspirierter - Lyriker vom Rang Schönwieses, dessen Gedichte von Schönwiese aber auch u.a. von Staiger, Curtius und Lernet- Holenia hochgeschätzt wurden. Lang erhielt 1954 den Großen Basler Kunstpreis, ist aber heute sicher noch vollständiger vergessen als Schönwiese. Langs Artikel „Refugium der Metaphysik. René Guénon und sein Lebenswerk“ 68 ist Nachdruck seines 1931 in der Neuen Schweizer Rundschau 69 erschienenen gleichnamigen Artikels, erweitert nur durch ganz kurze Inhaltsangaben der seit 1931 erschienenen Werke Guénons und ganz kurze biographische Angaben. Offensichtlich hat Lang Guénon niemals brieflich kontaktiert. Dass Guénon seine von Lang referierte negative Haltung gegenüber dem Buddhismus später änderte, wird nicht berichtet - ein Missverständnis zwischen Lang und Schönwiese, da Lang Schönwiese in einem Brief aufgefordert hatte, den Abschnitt über den Buddhismus ganz herauszunehmen. Lang, der als freiberuflicher literarischer Übersetzer immer große finanzielle Schwierigkeiten hatte, war wohl nicht in der Lage, den Text zu überarbeiten. Da diese Studie offenbar für Schönwiese die erste Einführung in das Werk Guénons war, ist sie für uns von besonderem Interesse. Sie ist eine recht gute theoretische Einleitung in das Werk Guénons, wie es Anfang 1931 66 Frithjof Schuon: Von der inneren Einheit der Religionen, Interlaken 1981, S. 128. Bis auf das Kapitel, dessen von ihm selbst erstellte Übersetzung Schuon ihm schickte [sh. oben] lag Schönwiese damals nur das französische Original vor: Frithjof Schuon: De l’unité transcendante des religions, Paris 1949. Schuon übersetzte das ganze Buch später selber ins Deutsche. 67 Brief Ernst Schönwiese an André Préau (11.4.1952) NL Ernst Schönwiese, LIT, o.Sign. 68 das silberboot, a.a.O., S. 149- 61. 69 Neue Schweizer Rundschau, Mai 1931, S. 334-351. Matthias Korger 182 publiziert vorlag. Für die Übersetzung der Terminologie Guénons war Lang sicher der Geeignetste: Als professioneller Übersetzer aus dem Französischen und überzeugter Anhänger Guénons verband er die innere Identifikation mit der Sache mit perfekten Kenntnissen der französischen Sprache - oder jedenfalls mit viel besseren als Ziegler oder Schönwiese. Lang verwendet die Begriffe „Urwissen“ (S. 156, 160), „Urreligion“ (S. 160), „ursprüngliche Tradition“, „Urtradition“ (beides für „tradition primordiale“), aber nicht „integrale Tradition“, was für die Annahme spricht, dass dieser Begriff auf Ziegler zurückgeht, „reine Geistigkeit“ („intellectualité pure“, S. 150), „supra-rationale Erkenntnis“, „Intellektuelle Erkenntnis“ („intuition intellectuelle“, S. 153, 155), von der Lang schreibt: „(…) steht im Gegensatz zur diskursiven und mittelbaren Erkenntnis rationaler Ordnung (…) denn sie steht über dem Unterschied von Subjekt und Objekt (…) in ihr sind Objekt und Subjekt vereint (identifiziert).“ (S. 155) „Die metaphysische Realisierung besteht im Wesentlichen in der Identifizierung durch die Erkenntnis („connaissance“).“ (S. 159) „Alle metaphysisch kompletten Theorien sind gleichwertig (im Grund identisch) (…). Unsere Religionen enthalten nur Bruchstücke der metaphysischen Doktrinen.“ (S. 153) Parallelen im abendländischen Schrifttum sah Lang in dem seit dem Mittelalter immer wieder angetönten Thema „(…) von etwas, das verlorengegangen und wieder gefunden werden müsse (Gralssage, zahlreiche Märchen bis in die Tage der deutschen Romantik).“ (S. 159) 70 Er meint, dass diese Suche nach den Ursprüngen in der Romantik, bei Hamann und Herder wohl immer wieder auftauche, aber erst bei Goethe wirklich in die Tiefe gehe: „Ur- Mensch, Ur-Sprache, Ur-Pflanze, Ur-Religion, Optisches Ur-Phänomen sind Begriffe, die in ihm aufgeleuchtet haben dürften. (…) Die ,Weltfrömmigkeit‘ des Mannes setzt voraus die Vorstellung einer Ur-Religion, von der die verschiedenen Weltreligionen nur differenzierte Erscheinungsformen zeigen.“ Die Grundidee eines Fragment gebliebenen Gedichts „Die Geheimnisse“ wäre die Wiederherstellung eines Urwissens, des „Alphabets des Weltgeists“ gewesen. Leopold Ziegler habe in seiner dreiteiligen Schrift „,Zwei Goethereden und ein Gespräch‘ (…) die goethische Tendenz auf das Ur-Wesen hervorgehoben.“ (alle Zitate S. 160) Nach Schönwieses Aussage, durch Lang auf die Autoren der integralen Tradition (Guénon, Schuon, Burckhardt, Préau und noch einige andere) gekommen zu sein, ist die Annahme plausibel, dass er auch die Kenntnis Zieglers Siegfried Lang verdankt. Diese könnte allerdings auch auf den Verleger Jakob Hegner zurückgehen, der die beiden wesentlichen Werke Zieglers der unmittelbaren Nachkriegszeit verlegte und an Schönwiese Bücher seines Verlages zur Rezension im Sender Rot-Weiß-Rot schickte. Jedenfalls kann man davon ausgehen, dass Lang die erste Fassung von „Refugium der Metaphysik“ Schönwiese bei dessen Besuch 1951 gegeben hat und dass Schön- 70 Vgl. oben das Motiv vom verlorenen oder vergessenen Wort. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 183 wieses Verständnis der Terminologie Guénons in erster Linie von Lang geprägt wurde. Die Beziehungsetzung Goethes zu Guénon, die Lang und Ziegler herstellen, ist sicher bei Schönwiese auf fruchtbaren Boden gefallen, da Goethe für ihn „(…) das große Leitbild alle Zeit hindurch“ 71 blieb. Aus dem Briefwechsel Schönwieses mit Lang haben wir bereits mehrmals auf den Brief Schönwieses vom 2.5.1952 hingewiesen, in dem er sich bei Lang dafür bedankt, ihm die Kenntnis der ganzen Richtung zu verdanken. Am 17.9.1953 schreibt Schönwiese über seine Begeisterung für den auch für Guénon sehr wichtigen indischen Metaphysiker Shankara (sh. oben) und darüber, dass er Nachdichtungen auf Grund von Übersetzungen durchgeführt habe. Am 18.4.1954 schreibt Schönwiese über seine wachsende Begeisterung für den Zen-Buddhismus und für das Werk Daisetz T. Suzukis, von dem er später ein Buch ins Deutsche übersetzte. Wir erfahren aus der Antwort Langs vom 11.5.1963, dass Schönwiese ihn in einem nicht erhaltenen Brief gefragt haben muss, ob Lang etwas über Ansätze zu einer Muslimgemeinschaft in Österreich wisse - Lang wusste nichts darüber. Vor seinem Anschluss an die Buddhistische Religionsgemeinschaft hatte Schönwiese offensichtlich auch in die Richtung des von den meisten Anhängern der integralen Tradition gewählten Weges gesucht. Lang, mit dem Schönwiese von allen Anhängern der Tradition bei weitem am längsten bekannt und auch persönlich befreundet war, war der einzige aus dieser Lebenssphäre, mit dem die Korrespondenz lange Zeit über das Jahr 1957 hinausging, Der Briefwechsel zwischen Ernst Schönwiese und André Préau Von Schönwieses Briefwechseln mit Anhängern der integralen Tradition ist der Briefwechsel mit André Préau derjenige, in dem die Briefe in kürzester Zeit folgten und am ausführlichsten waren er hatte zeitweise geradezu exzessiven Charakter. In keinem anderen Briefwechsel werden sachliche Probleme so ausführlich erörtert. Das lag wohl hauptsächlich an einer außerordentlich hohen Disposition beider für die Kommunikation durch das Schreiben von Briefen, teilweise aber wohl auch daran, dass Préau der einzige von Schönwieses Ansprechpartnern aus der Tradition war, mit dem er (wegen des weit entfernten Wohnorts Préaus in Südwestfrankreich) nie Gelegenheit zum persönlichen Gespräch hatte. André Préau (1893 - 1976) war während langer Zeit einer der engsten Anhänger Guénons, den er aus dessen Pariser Lebenszeit (vor 1931) persönlich kannte. Er dürfte Sprachwissenschaften, Indologie und Philosophie studiert haben - Préau schreibt fast nie über seine Lebensumstände. Jedenfalls hatte er ausgedehnte Sprachkenntnisse - er konnte Deutsch, Englisch und Sanskrit so gut, das er aus diesen Sprachen schwierigste Texte ins Französische übersetzte. Außerdem beherrschte Préau Grundbegriffe des Chinesischen, was ihn zu 71 Joseph P. Strelka: Ernst Schönwiese …, a.a.O., S. 15. Matthias Korger 184 Publikationen über den Taoismus qualifizierte. Préau übersetzte aus mehreren Sprachen (auch für Industriebetriebe) und gab Sprachkurse. Er dürfte auch Philosophie studiert haben, denn seine Kenntnisse in europäischer wie in orientalischer Philosophie waren enzyklopädisch. Préaus Verbindung zur deutschen Kultur war besonders eng - so hatte er Ziegler schon vor seiner Beschäftigung mit Guénon gelesen und war mit einer Deutschen verheiratet. Préau publizierte in den Etudes Traditionnelles und anderen Zeitschriften u.a. Artikel über Guénon und Ziegler. Er stand mit Ziegler bis zu dessen Tod 1958 in kontinuierlichem Briefwechsel und übersetzte beide Artikel Zieglers über Guénon ins Französische. Allerdings hatte Préau, wie er selbst sagt, nach fünfzehn Jahren unbedingter Anhängerschaft, angefangen, kontinuierlich auf Distanz zu Guénon zu gehen und dann, nach Guénons Tod 1951, das auch öffentlich kundzutun. Angesichts von Schönwieses Begeisterung für Guénon warnte er diesen immer wieder vor einer Haltung kritikloser Bewunderung, die er selber, wie er zugibt, fast zwei Jahrzehnte lang eingenommen hatte. Aber er geht immer sehr ausführlich und mit detaillierter Sachkenntnis auf die von Schönwiese angesprochenen Probleme ein. Im Brief vom 21.3.1953 bedankt sich Schönwiese dafür, dass Préau „(…) gelegentlich mäßigend und kritisch einschränkend (…)“ auf ihn einwirkte, betont aber: Ich lese nun seit Monaten in meiner Freizeit fast nur Guénon und in den E.T. (Études Traditionnelles. D.Verf.) Es sind wahrlich unausschöpfbare Dinge (…) Sie werden sich nicht ganz denken können, was mir die Begegnung mit dem Werk Guénons und all den Schätzen, die in den E.T. gesammelt sind, bedeutet (…) Mit vielen der Probleme, die seine Bücher behandeln, hatte ich mich zwar schon beschäftigt, - aber wie ganz anders lösen sie sich nun mit Guénons Hilfe. Wo man vor verschlossenen Türen stand und nicht weiter fand, dort ist jetzt ein Weg. 72 Er weist - sehr zu Recht - darauf hin, dass das Bild Guénons, das aus dem zu diesem Zeitpunkt einzigen ins Deutsche übersetzten Werk entstehen könnte, nicht nur einseitig sondern geradezu irreführend sei, weil man ihn dann als jemanden sehen könnte, der in erster Linie an Kulturkritik interessiert wäre und das allem vorausgesetzte metaphysische Fundament übersehen. Sehr bemerkenswert sind die Parallelen, die Schönwiese zwischen Guénon einerseits und Hermann Broch und Robert Musil andererseits herstellt. Hermann Broch (…) geht dabei ganz genauso von der Überzeugung aus, daß das Abendland seit dem Ende des Mittelalters einen Prozeß von auflösenden, zersetzenden und herabziehenden Tendenzen durchmacht (…) Broch hat auch viele philosophische Aufsätze ge- 72 Brief Ernst Schönwiese an André Préau (21.3.1953) NL Schönwiese, LIT, o.Sign. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 185 schrieben über das Thema „Rationale und irrationale“ (oder poetische) Erkenntnis (das Wort „irrational“ ist mißverständlich, meint aber das, was Guénon als connaissance suprême bezeichnet (…) Robert Musil (…) führt (…) von der rein rationalen Erkenntnis des Menschen an eine (…) gesamtheitliche, alle inneren Kräfte zusammenfassende Erkenntnis heran (…) Guénon ist neben all diesen Versuchen eben doch am klarsten und saubersten (so scheint es mir wenigstens) insbesondere schon in der Terminologie.“ 73 Im Brief vom 11.4.1953 drückt Schönwiese zum ersten Mal eine leichte Distanz zu Guénon aus, das Thema wurde anlässlich von Schönwieses Auswahl aus Schuons Leitgedanken zur Urbesinnung für das silberboot 28/ 1952 behandelt. In Schönwiese wuchs das Verlangen nach dem Anschluss an eine von der Tradition geprägte Gemeinschaft. Nachdem ihm Préau über die verschiedenen Gruppen, die sich im Anschluss an die Lehre Guénons gebildet hatten, geschrieben hatte antwortete er: „Wie sehr würde ich es begrüßen, wenn es auch bei uns eine Möglichkeit gäbe, alle diese Wege zu prüfen und den seinen zu wählen, um ihn dann in der erkannten Gemeinschaft zu gehen.“ 74 Schönwiese freut sich, Ramana Maharshi wieder gelesen zu haben, diesen von Guénon aufs höchste geschätzten indischen spirituellen Meister des nichtdualistischen Vedānta (1879-1950) Herrigels Buch Zen in der Kunst des Bogenschießens 75 spielte für Schönwiese neben einigen Büchern Daisetz T. Suzukis die Rolle des Einstiegs in den Zen und in eine aus dem Taoismus in den Buddhismus übernommene Denkweise, in der Schönwiese in wachsendem Maß seine spirituelle Heimat fand. Hier sah er sein Ideal von Dichtung als spiritueller Übung erfüllt: So gilt das von Herrigel Gesagte vor allem auch für jede künstlerische oder dichterische - noch allgemeiner jede schöpferische Tätigkeit. Es geht eben um das „Nichttun, ohne etwas ungetan zu lassen“ des Lautse, um das spontane, ursprüngliche, echte Tun. 76 Später, als Schönwiese längst führendes Mitglied der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesellschaft geworden war, wurde das Wu-Wei, das aktive Nichthandeln des Taoismus, das auch Eingang in den chinesischen Chan-Buddhismus fand, zum Gesetz seines Lebens. In seinen letzten Lebensjahren war Schönwieses hauptsächliche Beschäftigung die Übersetzung von Schriften des englischen Taoisten Terence Gray, der unter dem Pseudonym Wei-Wu-Wei schrieb. 77 Bereits 1954 hatte er die entscheidende Einsicht: „(…) das ich-lose, den Allwillen wirken lassende Tun des heimgekehrten Selbst 73 Brief Ernst Schönwiese an André Préau (11.4.1953) NL Schönwiese, LIT, o.Sign. 74 Brief Ernst Schönwiese an André Préau (30.7.1953) NL Schönwiese, LIT, o.Sign. 75 Eugen Herrigel: Zen in der Kunst des Bogenschießens, Bern 1985. 76 Brief Ernst Schönwiese an André Préau (4.6.1954), NL Schönwiese, LIT, o.Sign. 77 Wei-Wu-Wei: Die einfache Erkenntnis, übers. von Ernst Schönwiese, Südergellersen 1994. Matthias Korger 186 (…) nach außen erscheint es wie ein Geschehen (…) fast wie ein Getan- Werden.“ 78 Im gleichen Brief (wie auch schon in früheren Briefen an Préau und an Lang) spricht Schönwiese seine Bewunderung für Shankara aus. Shankara war für Guénon wie für Schuon der wichtigste Kommentator des Vedānta, der nicht-dualistischen indischen Metaphysik. In einer Schrift, die 1945 in den Etudes Traditionnelles erschienen war und die Schönwiese daher gekannt haben müsste, charakterisiert Guénon Wu- Wei: (…) das Nicht-Handeln ist keineswegs die Inaktivität (…) es ist im Gegenteil höchste Aktivität (…) (…) das Nicht-Handeln impliziert für denjenigen, der dorthin gelangt ist, eine völlige Loslösung von der Äußeren Aktion (…) weil ein solches Wesen sich im Zentrum des kosmischen Rades befindet, während alle kontingenten Dinge nur zu dessen Umfang gehören. 79 Aus dem Briefwechsel Schönwiese-Préau wissen wir indirekt, dass es zwischen Schönwiese und Ziegler einen intensiven Briefwechsel gegeben haben muss (wie auch zwischen Préau und Ziegler, aus welchem der Verfasser eine Auswahl, gemeinsam mit den wenigen Briefen Guénons und Schuons an Ziegler, ediert und kommentiert hat). 80 Der letzterhaltene Brief ist eine Huldigung Préaus an den Poeten Schönwiese anlässlich des Jahreswechsels 1957. Zusammenfassung Ausgangspunkt unserer Arbeit war Strelkas ausdrücklicher Hinweis auf die Bedeutung Guénons und Zieglers für die intellektuelle und spirituelle Entwicklung Schönwieses. Das Studium von Schönwieses unveröffentlichter Korrespondenz hat die Richtigkeit dieser Ansicht nachdrücklich bestätigt. Ich habe den Namen Frithjof Schuons hinzugefügt, dessen Wichtigkeit für Schönwiese erst aus Schönwieses Briefwechseln eindeutig hervorgeht. Man kann den Einfluss der Autoren der integralen Tradition nicht hoch genug einschätzen. Wie ich mich anhand einiger Zitate zu zeigen bemühte, war es ein Sprung in der spirituellen Erkenntnis, der aufgrund von Schönwieses Begegnung mit dem Werk 78 sh. Anm. 76 79 René Guénon, Contre le quietisme, in: René Guénon: Initiation et realisation spirituelle, Paris 1980, S. 206, zuerst erschienen in Etudes traditionnelles, Dez. 1945. 80 Matthias Korger: „René Guénon, Frithjof Schuon und André Préau: Leopold Zieglers Begegnung mit der integralen Tradition. Auswahl, Einleitung und Anmerkungen zum Briefwechsel,“ in: Paulus Wall, im Auftrag der Leopold-Ziegler-Stiftung, [Hrsg.] Leopold Ziegler: Briefe und Dokumente. Gesammelte Werke in Einzelbänden, Bd. 5, Würzburg 2005, S. 297-346. Die Bedeutung Guénons, Zieglers und Schuons 187 Guénons, Zieglers und etwas später auch Schuons (vor allem wegen der besonderen Bedeutung, die der Kunst in dessen Werk zukommt) stattfand. Schönwieses Sicht der integralen Tradition war sozusagen ökumenisch: Er schaute in erster Linie auf das den Autoren Gemeinsame. Schönwiese schrieb 1953 an André Préau, er lese in seiner Freizeit kaum noch anderes als Guénon und die Etudes Traditionnelles. Sein Briefwechsel mit Préau umfasste manchmal mehrere Briefe pro Monat. Nach Schönwieses großem Karrieresprung im Juni 1954 werden die Briefe seltener und hören spätestens Ende 1957 ganz auf - außer dem Briefwechsel mit Siegfried Lang, den er schon seit Jahrzehnten kannte und mit dem er auch persönlich befreundet war. Ich vermute, dass Schönwiese angesichts des gewaltigen Anstieges seiner Berufsarbeit gezwungen war, seine Kräfte noch stärker zu konzentrieren. René Guénon schrieb mehrmals, für die spirituelle Entwicklung wäre eine gründliche theoretische Vorbereitung unabdingbar, sie müsse aber in die Praxis umgesetzt werden durch die Initiation in eine traditionale Esoterik durch einen berechtigten Initiator, die daraus folgende meditative Praxis und durch die regelmäßige Praxis einer traditionellen Exoterik. 1971 fand Schönwiese durch die Vermittlung Strelkas seinen Initiator und spirituellen Lehrer Garma Chang und bald darauf wurde er innerhalb der Wiener buddhistischen Gruppen aktiv, zu deren späterer öffentlicher Anerkennung als „Österreichische Buddhistische Religionsgesellschaft“ er maßgeblich beitrug. Schönwiese blieb lebenslang integraler Traditionalist und bezeugte noch im Alter die Bedeutung, die Guénon für ihn hatte. Aber nachdem er sehr intensiv die theoretischen Grundlagen gelegt hatte, sah er offensichtlich seine Lebensaufgabe nicht mehr in erster Linie in der Beschäftigung mit den Schriften der Autoren der integralen Tradition, sondern im spirituellen Leben entsprechend ihren Grundsätzen und in deren Umsetzung in sein dichterisches und schriftstellerisches Werk - davon handelt Strelkas Beitrag zu diesem Sammelband. Bezugspunkte Ernst Schönwiese und Hermann Broch Naser Secerovic Es gibt etliche Gemeinsamkeiten, welche die beiden österreichischen Dichter Ernst Schönwiese und Hermann Broch verbinden. Einige treten mehr, andere weniger offen zutage. Sehr bezeichnend unter diesen Gemeinsamkeiten ist die Tatsache, dass sie beide ihren - natürlich nur in einem bestimmten Sinne - „wohlverdienten“ Platz in Joseph Strelkas Buch Vergessene und verkannte österreichische Autoren gefunden haben. 1 Als einzigem der darin erwähnten Autoren sind Hermann Broch dabei sogar zwei Kapitel gewidmet. Und diese zwei Dichter vereinigen in höchstem Maße den Titel von Strelkas Buch in sich. Broch ist nämlich ein zweifellos verkannter Dichter, vor allem aufgrund der Tatsache, dass er immer wieder vor allem im Zusammenhang mit seiner Theorie vom Zerfall der Werte und seiner Kulturkritik rezipiert und der - bedeutendere - Rest seines Werks, den man mit Brochs eigenen Worten als den „religiösen“ Teil bezeichnen könnte, häufig ausgeblendet wird. Jedoch lässt sich nicht sagen, dass Broch ein vergessener Autor ist, da „die Einsicht in die hohe Bedeutung Brochs im letzten halben Jahrhundert trotz allem eher gefestigt, als daß sie in Vergessenheit geraten wäre.“ 2 Ernst Schönwiese hingegen ist in der österreichischen Literaturlandschaft als Dichter fast völlig unbekannt. Wenn überhaupt, dann kennt man ihn vor allem noch als Gründer und Herausgeber der Zeitschrift „silberboot“, die auch für Broch von großer Bedeutung war, sowohl vor als auch nach dem Zweiten Weltkrieg. Und im Grunde kann ihnen beiden eine solche Charakterisierung, die sie von Strelka erhalten haben, in der heutigen Zeit eigentlich sogar zur Ehre gereichen, wenn man sich bloß vor Augen führt, welche Art von Literatur heutzutage sehr oft hochgelobt und mit Preisen und Auszeichnungen überschüttet wird. Bereits 1934 attestierte Broch nämlich in einem seiner bedeutendsten und bekanntesten Essays mit dem Titel Geist und Zeitgeist seiner Zeit etwas, das in der heutigen Zeit eine weitaus größere Geltung für sich beanspruchen darf. Er schrieb: „Überall wird getrachtet, den «interpretierenden» Menschen und seine labile persönliche Sprache weitgehend auszuschalten und so zu einem Objektivitätsideal der reinen Beschreibung und Darstellung zu gelangen.“ 3 Es ist mehr als eindeutig, wie sehr sich Broch hier beispielsweise in die Tradi- 1 Joseph P. Strelka, Vergessene und verkannte österreichische Autoren, Tübingen 2008. Es muss hier betont werden, dass Strelka zu denjenigen Wissenschaftlern gehört, die sich am meisten darum bemüht haben, dass diese beiden Dichter den ihnen angemessenen Platz bekommen. 2 Ebd., S. 55. 3 Hermann Broch, Geist und Zeitgeist. In: Kommentierte Werkausgabe (KW), hrsgg. v. Paul Michael Lützeler, Bd. 9/ 2, Schriften zur Literatur 2. Theorie, Frankfurt am Main 1986 2 , S. 181. Naser Secerovic 192 tion Goethes einreiht. Man denke nur an Goethes mit Newton ausgefochtenen Kampf um die Farbenlehre und seine feste Überzeugung, dass sich eigentlich nichts vom Menschen trennen und kühl objektivieren lasse, am allerwenigsten seine Erkenntnis. Es braucht nicht besonders betont zu werden, wie eng Brochs Befürchtung zum Beispiel mit den von Roland Barthes stammenden und später aktuell gewordenen Postulaten vom „Tod des Autors“ und der „Geburt des Lesers“ zusammenhängt. Dabei handelt es sich, in Brochs Worten, um den Tod des „interpretierenden Menschen“, in diesem Fall des Autors, mit der ihm eigenen „labilen persönlichen Sprache“. Notwendig daraus hervorgegangen ist die sogenannte „Geburt des Lesers“, also die Geburt eines Interpreten, der das im nun zwangslogischerweise „Schreiber“ genannten Autor zusammengelaufene sprachliche Knäuel, das uns als Werk bekannt ist, zu entwirren hat, ohne sich um das Persönliche des Autors zu kümmern, weil dieser, nachdem er sein Werk vollendet hat, nichts mehr damit zu tun hat. Wie sehr dieser Versuch, zugunsten der Objektivität der Interpretation die unsichere Person des Autors auszuschalten, nach hinten losgegangen ist und die Tür zu einer schrankenlosen Subjektivität sperrangelweit geöffnet hatte, braucht nicht näher erläutert zu werden. Als sehr symptomatisch ließe sich nur die auf den ersten Blick scheinbar unbedeutende Tatsache anführen, dass aus Roman Ingardens „Unbestimmtheitsstellen“ auf einmal plötzlich „Leerstellen“ geworden waren, also etwas, das nicht unbestimmt, sondern gar nicht ist. Eingebürgert haben sich dann auch die Leerstellen und nicht die Unbestimmtheitsstellen. Schuld daran trägt, um wieder mit Brochs Worten zu sprechen, der „Stil der Epoche“, der auch Brochs und Schönwieses dichterisches Werk verkannt und vergessen bleiben lässt. Über die Gründe lassen sich hier nur Vermutungen anstellen. Möglicherweise entzieht sich aber Brochs und Schönwieses Dichtung einer solchen, heute überall anzutreffenden, Zugangsweise irgendwie. Vielleicht lässt sich ihre Dichtung nicht auf Leerstellen reduzieren sondern besteht auf dem Ausfüllen der Unbestimmtheitsstellen, sie besteht also aus einem aktiven Dialog zwischen dem Text und dem Leser und nicht aus einem end- und grenzenlosen Monolog des Lesers. Offenbar sperrt sich der „Zeitgeist“ und der damit unzertrennliche „Stil der Epoche“ dem Dialog irgendwie, er kann mit dem Dialog nichts anfangen. Auch dies hatte Broch bereits in seinem ersten Roman mit dem Titel Die Schlafwandler vorhergesagt, als er Menschen in ihrer absoluten Einsamkeit beschrieb, ohne die Möglichkeit einer Annäherung, zu der sie Zuflucht nehmen könnten, aber mit dem in allen vorhandenen Wunsch nach Annäherung, der sich im dämmerhaften Wunsch nach einem Erlöser äußert. Gar nicht so falsch lag deswegen Elias Canetti - mag man sich ansonsten auch Brochs Urteil anschließen, als er in einem Brief an Egon Vietta schrieb: „denn bei aller Anerkennung des Cannetischen Talents kann ich eigentlich mit dem Schönwiese und Hermann Broch 193 Buch (gemeint ist Canettis Roman Die Blendung) nichts anfangen“ 4 - als er in seiner Rede anlässlich des 50. Geburtstages von Hermann Broch am 14. November 1936 den wahren Dichter, mit dem eigentlich Broch gemeint war, als welchen man aber auch zweifellos Ernst Schönwiese bezeichnen kann, als einen „Hund seiner Zeit“ 5 beschrieb, also als jemanden, der in der Lage ist, das Versteckteste der Zeit, in der er lebt, aufzuspüren, um es dann in künstlerischer Form von sich zu geben. Vielleicht hält die heutige Zeit einfach den Spiegel nicht aus, der ihr von Broch und, wenn auch auf eine andere Art und Weise, von Schönwiese vorgehalten wird. Dies sind jedoch alles vage und unbeweisbare Vermutungen, die durch das Verhältnis der beiden Dichter und durch ihre gegenseitige Beeinflussung bloß ein wenig erhellt, auf keinen Fall bewiesen werden können. Seinen ersten Kontakt mit Hermann Brochs Werk schildert der bereits achtzigjährige Ernst Schönwiese in seinem anlässlich von Brochs hundertstem Geburtstag im Jahre 1986 geschriebenen Essay Erinnerungen an Hermann Broch folgendermaßen: „Es begann damit, daß ich eines Tages im Schaufenster einer Wiener Buchhandlung eine Neuerscheinung liegen sah mit dem Titel Die Schlafwandler von einem Autor namens Hermann Broch, den ich bis dahin nicht gekannt hatte. Ich las die ersten beiden Bände des als Trilogie geplanten Romans und war tief beeindruckt.“ 6 Offensichtlich wurden in Brochs Erstling Sachen ausgesprochen, die bereits in Schönwieses Denken zumindest keimhaft vorhanden waren und die ihn bereits seit längerer Zeit beschäftigt hatten, denn andernfalls lässt sich eine solche Begeisterung Schönwieses für Brochs Roman eigentlich nicht erklären. Allerdings ist dies bei der außerordentlichen Aktualität der Schlafwandler im Grunde auch nicht weiter verwunderlich. Wie hoch Schönwiese Brochs Roman im Hinblick auf die damalige Jugend schätzte und was für einen Wert er ihm zumaß, wird am besten aus zwei seiner an Broch gerichteten Briefe deutlich. Der erste stammt vom 17.5.1936, und dort schreibt Schönwiese begeistert: „nur Broch: der einzige wahrhafte junge und gesunde erzählende Dichter unserer Gegenwart! “ 7 Den zweiten schrieb Schönwiese zwei Monate später am 20.7.1936 und dort äußerte er sich folgendermaßen: „Aber Sie, und bisher einzig und allein Sie, sind unser Sprecher, Sie sagen das, was wir ahnen, was wir sagen müssten und natürlich noch nicht sagen können. Sie geben den Sinn der Nachkriegsgeneration der nachrückenden Jugend, Sie sind in allem weiter und jünger als die beiden anderen.“ 8 Mit den „beiden anderen“ meinte Schönwiese Robert Musil und Thomas Mann. Diese 4 Hermann Broch, Briefe 1. 1913-1938, KW 13/ 1, Frankfurt am Main 1986 2 , S. 438. 5 Elias Canetti, Das Gewissen der Worte, München und Wien 1976, S. 13. 6 Ernst Schönwiese, Erinnerungen an Hermann Broch. In: Kunstprosa, hrsg. v. Joseph P. Strelka, Hall in Tirol 2009, S. 84. 7 Ernst Schönwiese: Brief an Hermann Broch vom 17.5.1936, Literaturarchiv der Österreichischen Nationalbiblithek, Wien (LIT), Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. 8 Ernst Schönwiese: Brief an Hermann Broch vom 20.7.1936, LIT, Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. Naser Secerovic 194 beiden Briefe mögen hier stellvertretend für zahlreiche andere ähnliche Stellen stehen. Allerdings darf man auch nicht vergessen, dass Broch von der damaligen Jugend überhaupt nicht so intensiv rezipiert wurde, wie sich eventuell aus Schönwieses Brief schließen ließe. Dies bekräftigt also noch mehr die Behauptung, dass Schönwiese seine eigenen, in sich schlummernden Ahnungen und Ideen bei Broch bereits geformt und ausgesprochen fand. Angesichts einer solchen Hochschätzung und Verehrung überrascht es nicht, dass Broch sofort von Schönwiese eingeladen wurde, an der Volkshochschule Leopoldstadt, wo sich Schönwiese damals als junger Dozent um alles Literarische wie Kurse, Dichterlesungen oder Vorträge kümmerte, eine Lesung aus dem zu diesem Zeitpunkt noch unveröffentlichten dritten Teil seiner Trilogie zu halten, welcher den Titel 1918 - Huguenau oder die Sachlichkeit trug. Die Einladung zur Lesung nahm Broch an. Drei Tage vor Brochs Lesung hielt Schönwiese selbst als eine Art Ankündigung in der Volksschule einen Vortrag über Brochs Roman. Später sollten noch Lesungen Brochs aus seinem Drama Die Entsühnung, das in Zürich unter dem Titel ... denn sie wissen nicht, was sie tun uraufgeführt wurde und von dem Schönwiese eine Hörspielfassung für den Rundfunk erstellte, sowie aus dem unvollendet gebliebenen Filsmann-Roman folgen. Schönwieses Einladung zur ersten Lesung aus den Schlafwandlern vom 13.3.1932 sowie Brochs positive Antwort vom 18.3.1932 sind die ersten Briefe eines langen und regen Briefwechsels, der sich, mit einer durch die „Sintflut“ 9 erzwungenen Pause zwischen 1938, also dem Jahr, in dem Broch emigrierte, und 1946, bis Brochs Tod am 30.5.1951 erhalten sollte. Dieser Briefwechsel macht erstens die großen Verdienste deutlich, die Schönwiese bei der Verbreitung und Bekanntmachung von Brochs Werk hat. Zweitens zeigt er die damit verbundene große Verehrung und später Freundschaft, welche die beiden Dichter verband. Drittens wird aus diesen Briefen wenigstens in Ansätzen, wenn auch nicht immer ausdrücklich, ersichtlich, dass Schönwiese Broch als eine Art Lehrer betrachtete und auch akzeptierte, was dann auch in Schönwieses Werk mehr oder weniger sichtbar zum Tragen gekommen ist. Die Briefe kreisen dabei anfangs vor allem um das „silberboot“ sowie um die von Schönwiese herausgegebene und 1935 erschienene Lyrik-Anthologie Patmos. Zwölf Lyriker, wo natürlich auch Broch mit seinen Gedichten vertreten war. Mit dieser Anthologie wollte Schönwiese vor allem einige Lyriker etwas bekannter machen, deren Rang zu der Zeit nicht wirklich erkannt war. Neben Broch befinden sich dort noch beispielsweise Robert Musil, Friedrich Bergammer, Heinz Politzer, Erika Mitterer, Felix Braun oder Ernst Waldinger. Sehr charakteristisch für Schönwieses und Brochs Verhältnis sind diejenigen Briefe, die sich um die Gründung und die Herausgabe des „silberboots“ 9 Ernst Schönwiese: Brief an Hermann Broch vom 20.1.1946, LIT, Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. Dabei handelt es sich um den ersten Nachkriegsbrief, den Schönwiese an Broch geschrieben hat. Schönwiese und Hermann Broch 195 drehen. Broch nahm großen Anteil an Schönwieses Zeitschrift und es lag ihm offenbar sehr am Herzen, dass diese Zeitschrift Erfolg hat und eine bestimmte Leserschaft gewinnt. Deshalb stand er Schönwiese immer zur Verfügung und dieser holte sich oft Rat bei ihm und besprach alles Mögliche mit ihm. So berät ihn Broch - einst Leiter einer 1906 von seinem Vater erworbenen Spinnfabrik in Teesdorf - sowohl bei Geldangelegenheiten als auch bei der Auswahl der Texte für die Zeitschrift. Er versucht, Schönwiese auch mit verschiedenen Autoren und Verlegern in Verbindung zu setzen und versucht auch, Geld für das „silberboot“ aufzutreiben. Besonders bezeichnend ist Brochs Reaktion auf die Tatsache, dass Schönwiese Anfang 1936 arbeitslos geworden war. „Er war entsetzt und von tiefer Anteilnahme erfüllt. Alle seine folgenden Briefe - und es sind, schon rein äußerlich betrachtet, die längsten, die ich von ihm erhalten habe - handeln fast ausschließlich von seinen Überlegungen, wie er mir in meiner schwierigen Situation helfen könnte. Er gab durchwegs praktische, ganz handfeste Ratschläge und war unermüdlich in der Suche nach einer Chance, die sich zu einer neuen beruflichen Tätigkeit für mich würde entwickeln lassen.“ 10 Der anfangs zunächst geschäftliche Ton der Briefe wandelte sich bald in einen freundschaftlichen, wofür die folgenden zwei Briefausschnitte ein Beispiel ablegen sollen. So schrieb Schönwiese am 17.5.1936 an Broch Folgendes: „Mögen Sie nun bedenken in welchen Gefühlswirbel, in welche Befangenheit mich Ihr herrlicher und gütiger Brief versetzt hat, der mir sagte, das Sie [...] an meinem Schicksal in so lieber Weise Anteil nehmen. [...] Ihre Anteilnahme war der einzige Trost, der mich in den letzten Tagen erreicht hat und half mir, über Vieles leichter hinwegzukommen. [...] Glauben Sie mir: es vergeht kein Tag, ohne dass wir, meine Frau und ich, von Ihnen sprechen. Was an Gedanklichem standhält und bei uns geblieben ist, stammt aus Ihren Büchern und Aufsätzen.“ 11 Dass Broch sich seinerseits einer Freundschaft öffnet und zweifellos auch eine tiefe Zuneigung für Schönwiese empfindet, wird aus seinem Brief vom 3.11.1936 deutlich, wo es heißt: „Lieber Freund Dr. Schönwiese, bitte nehmen Sie den Freund dieser Anrede im wörtlichsten Sinne, denn ich empfinde Sie als solchen: je älter ich werde [...] desto klarer wird mir, dass die positiven Angelegenheiten dieses Lebens von sehr großer Schlichtheit sind, und zu diesen sehr schlichten Dingen gehört ein verhältnismässig seltenes, nämlich jene einfache menschliche Beziehung, die man Freundschaft nennt. Und ich bin froh und dankbar, die Ihre gefunden zu haben.“ 12 Vermutlich ist es nicht besonders gewagt zu behaupten, eine solche Freundschaft könne nur auf einer gemeinsamen geistigen Grundlage beruhen, die es noch in Ansätzen zu zeigen gilt. Davon jedoch etwas später. 10 Erinnerungen an Hermann Broch, S. 95. 11 Ernst Schönwiese: Brief an Hermann Broch vom 17.5.1936, LIT, Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. 12 Hermann Broch: Brief an Ernst Schönwiese vom 3.11.1936, LIT, Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. Naser Secerovic 196 Neben der bereits erwähnten Lyrik-Anthologie spiegelt sich Schönwieses tiefe Verehrung für Broch vor allem auch in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift, in welcher Broch von Anfang an vertreten ist und wo auch nach dem Zweiten Weltkrieg Brochs Texte veröffentlicht werden. Unter anderem erscheinen von Broch im „silberboot“ die Gedichte Stiller Frühlingsmorgen und Mitte des Lebens, dann die Novellen Antigonus. Supplent für Mathematik. Eine methodologische Novelle und Vorüberziehende Wolke, des Weiteren Auszüge aus den Romanen Der Tod des Vergil und dem erst posthum veröffentlichten Bergroman, sowie Auszüge aus den Essays Erwägungen zum Problem des Kulturtodes und Denkerische und dichterische Erkenntnis. 13 Außerdem widmet Schönwiese Broch sowohl zu dessen 50. als auch zum 60. Geburtstag ein Sonderheft. Die Förderung des Dichters und Denkers Hermann Broch im „silberboot“ ist so intensiv, dass später zurecht behauptet werden konnte: „Hermann Broch ist der Autor, den die Zeitschrift am meisten gefördert und mit dem sie sich am intensivsten beschäftigt hat. Kein anderer hatte mehr Platz für Texte zur Verfügung, auf keinen anderen wurde öfter hingewiesen.“ 14 Selbst Broch äußerte sich in diesem Zusammenhang in dem bereits zitierten Brief vom 3.11.1936 folgendermaßen: „Ohne eine falsche Bescheidenheit zu heucheln [...] glaube ich wieder einmal feststellen zu müssen (oft tat ich es schon), dass Sie meine Wirkung in ihrem Ausmass überschätzen, dass ich demgemäss im Sb. ohnehin eine der realen Wirkung nicht adäquate Rolle schon gespielt habe, und dass demgemäss bei Leuten, die von solcher Wirkung nicht getroffen sind, die Meinung entsteht, das Sb. sei eine Privatgründung des Rheinverlags“, also des Verlags, in dem Brochs seine Bücher publizierte. Jedoch ging Schönwieses Eintreten für Broch noch weiter. Auch als Leiter der Literaturabteilung der amerikanischen Sendergruppe Rot-Weiß-Rot sorgte Schönwiese nach dem Zweiten Weltkrieg dafür, dass Brochs Name „oft in den Äther gesprochen“ 15 wurde. Anders gesagt, Schönwiese hielt zahlreiche Funk-Essays über Brochs Werk. Außerdem sorgte er auch im wahrsten Sinne des Wortes dafür, dass die Stimme des Exilanten Hermann Broch auch nach dem Zweiten Weltkrieg Österreich erreichte. So schreibt Schönwiese am 29.3.1946 an Broch: „Diese Woche haben Sie - was Sie wahrscheinlich gar nicht wissen - über den Sender Rot-Weiß-Rot zu Österreich gesprochen. Wir haben nämlich Ihre Vorlesung aus dem Tod des Vergil auf einer Schallplatte, die wir aus New York erhielten, gesendet.“ 16 Broch seinerseits, der sich selber in einer äußerst prekären finanziellen und gesundheitlichen Lage befand, schickte regelmäßig Pakete aus den USA 13 Vgl. Sonja Gindele, Hermann Broch und Ernst Schönwiese. Eine literarische Korrespondenz, Saarbrücken o.J., S. 35f. 14 Ursula Weyrer, Das Silberboot. Eine österreichische Literaturzeitschrift, Innsbruck 1985, S. 177. Zitiert nach Gindele, S. 35 15 Schönwieses Brief an Broch vom 20.1.1946. 16 Ernst Schönwiese: Brief an Hermann Broch vom 29.3.1946, LIT, Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. Schönwiese und Hermann Broch 197 an Schönwiese und dessen Familie. In seinem letzten Brief an Schönwiese, einem der letzten überhaupt, geschrieben eine Woche vor seinem durch einen Herzinfarkt verursachten Tod in New Haven, schreibt Broch unter anderem auch über die Verzögerung seiner geplanten Europareise, die durch seine Arbeitsüberlastung und wiederholte Krankenhausaufenthalte bedingt war: „Das hat meine Fahrt wieder einmal verzögert, doch hoffe ich, im Laufe des Sommers bestimmt abreisen zu können. Fahren Sie mir also bitte nicht herüber; es wäre zu dumm, wenn wir in der Mitte des Atlantic aneinander vorbeiführen.“ 17 (Brief vom 23.5.1951) Zu einem Wiedersehen ist es niemals gekommen. Seine Erinnerungen an Hermann Broch beendet Schönwiese mit einem Rekurs auf diesen letzten Brief Brochs: Wir fuhren nicht aneinander vorüber und sind einander auch nicht mehr begegnet. Denn als dieser Brief in meine Hände gelangte, war Hermann Broch bereits tot. Das Bild, wie er mit meiner Tochter in das Mikado-Spiel vesunken ist, bleibt das letzte Bild, das ich von ihm in Erinnerung trage. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, über vieles, das mich bewegte, mit Broch, wie einst in den dreißiger Jahren, sprechen zu können. Daß es nicht mehr dazu gekommen ist, zähle ich zu den schmerzlichsten, vom Schicksal erzwungenen Versäumnissen meines Lebens. 18 Diese außerordentlich kurze und lückenhafte Darstellung ihres Verhältnisses sowie die wenigen angeführten Äußerungen Schönwieses, aus denen sich seine Begeisterung für Broch und dessen Werke erkennen lässt, lässt darauf schließen, dass Brochs geistiger Einfluss auf Schönwiese auch von großer Bedeutung gewesen sein wird. Im Brief vom 17.5.1936 nennt sich Schönwiese sogar „Zögling Schönwiese“. Brochs äußerst scharfe Analyse der sehr turbulenten und spannungsreichen Zeit, in welcher er gelebt hat, hinterließ auch bei Schönwiese einen bleibenden Eindruck. Dieser Eindruck soll an einem Beispiel nur in Umrissen dargestellt werden. Neben der bereits erwähnten Begeisterung Schönwieses für Brochs Erstling ist noch eine Sache von grundlegender Bedeutung für Schönwieses späteres Schaffen. Auch diese erwähnt er in seinen Erinnerungen. Es ist ein Ausspruch Brochs, den dieser während eines gemeinsamen Spazierganges machte und den Schönwiese selbst als „unvergeßlich“ bezeichnet: „Das Einzige, was einen Menschen von heute wirklich ernsthaft interessieren kann, ist Theologie.“ Das war eine höchst erstaunliche und trotz mancher vorausgegangener Gespräche über religiöse Probleme eine für mich geradezu verblüffende Formulierung. Wir jungen intellektuellen Literaten von damals waren nicht besonders religiös veranlagt. [...] Unsere Einstellung war aufklärerischer Art und betont ratio- 17 Hermann Broch: Brief an Ernst Schönwiese vom 23.5.1951, LIT, Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. 18 Erinnerungen an Hermann Broch, S. 99f. Naser Secerovic 198 nal. [...] Für einen solchen jungen Mann mußte der Ausspruch Brochs beinahe wie ein Schock wirken. Erst in weiteren Gesprächen wurde mir klar, worum es Broch ging. Er suchte in allen seinen Arbeiten, den dichterischen wie den wissenschaftlichen, bis in die letzte Tiefenschicht des Erlebens vorzudringen, eben die religiöse Schicht, wo die Entscheidungen fallen. Ich erkannte bald, daß Broch mit jenem Ausspruch keinerlei orthodox-dogmatische Religiosität gemeint hatte. Die Theologie, von der er gesprochen hatte, war vielmehr die theologia perennis einer Ur-Religio, in deren Erfahrungen alle Menschen übereinstimmen. Brochs Ausspruch, der mir in seiner ganzen umfassenden Bedeutung damals nicht sofort klar war, wurde im Laufe der Jahre zu einem der wesentlichen und bestimmenden Denkbilder meines Lebens. 19 In diesem Sinne ist auch eine Stelle aus dem Brief vom 17.5.1936 zu verstehen, wo Schönwiese schreibt: „Sie sind nicht nur der Denker des «Zerfalls der Werte», Sie sind auch der große M e n s c h , der jener Dichter zu allererst sein muss, der das erste zaghafte Erwachen der Seele zu neuen Werten, «die ersten lange verschollenen Vogelstimmen», gestalten will.“ In einer Zeit des totalen Wertezerfalls versucht Broch nämlich, durch Dichtung neue verbindliche Werte aufscheinen zu lassen, allerdings erst nach den Schlafwandlern, die man bloß als eine Diagnose bezeichnen könnte. Eng verbunden ist ein solcher Wunsch auch mit Brochs Enttäuschung von der Philosophie jener Zeit. Die Philosophie hatte nämlich aufgehört, sich mit den für sie wesentlichen Fragen zu beschäftigen, sie reduzierte sich selbst auf nur ein Segment ihrer selbst und beschränkte sich immer mehr auf analytische Philosophie und Logik. Broch, der unter anderem auch philosophische Vorlesungen an der Wiener Universität gehört hatte, sprach in diesem Zusammenhang von einer „Bankrotterklärung der Philosophie“. 20 So wie der Platoniker Broch die Philosophie verstand - also als etwas, das im weitesten Sinne von dem, was Broch als das Religöse bezeichnete, nicht zu trennen war, das jedoch mit konfessioneller Religionszugehörigkeit nichts zu tun hatte -, musste sie sich jedoch unbedingt mit den wesentlichen Fragen beschäftigen, auch wenn man diese nicht beantworten kann, ja wenn diese überhaupt nicht zu beantworten sind. Eine Abkehr der Philosophie von dieser Beschäftigung hinterließ ein großes Loch, das es irgendwie zu füllen galt, zumal diese von der Philosophie verschwiegenen oder ignorierten Fragestellungen dringender als jemals zuvor geworden waren. Genau dort sah Broch die Aufgabe der Dichtung, die sich für ihn vom Ethischen, also in jedem Fall mit Werten Verbundenem, nicht trennen ließ. Dass der erwähnte Spaziergang auf jeden Fall am Anfang ihrer Bekanntschaft stattgefunden haben muss, zeigt Schönwieses erster gedruckter, 21 aus 19 Erinnerungen an Hermann Broch, S. 87f. 20 Hermann Broch, Die Schlafwandler, KW 1, Frankfurt am Main 1986 4 , S. 619. 21 Vgl. Joseph Strelka, Ernst Schönwiese. Werk und Leben, Frankfurt am Main 2005, S. 92. Schönwiese und Hermann Broch 199 dem Jahr 1933 stammender Essay Neuer Glaube - Neue Menschen, 22 der im Kunstprosa-Band der von Joseph Strelka herausgegebenen Gesammelten Werke als einziger unter dem Oberbegriff Religiöser Essay angeführt ist. Bei Strelka heißt es an einer Stelle im Zusammenhang mit diesem Essay: „Schönwiese hat bereits hier, am Beginn seiner Entwicklung, jene Grundidee festgelegt und ausgeführt, die später in seiner Dichtung, in seiner Kritik, in seiner Dichtungstheorie immer wieder zur Botschaft erhoben werden sollte.“ 23 In diesem Essay tritt Brochs geistiger Einfluss ganz offen zu Tage, was Schönwiese offenbar auch gar nicht zu verbergen versucht hat. Er übernimmt sogar manche Stellen fast wörtlich aus Brochs in den dritten Teil der Schlafwandler integrierten Essay vom Zerfall der Werte und wenn er zum Beispiel vom „egoistische[n] Mensch[en]“, 24 der „Theologie des Egoismus“ und der „Politik des Egoismus“ 25 seiner Zeit spricht, dann bekommt man im Grunde eine exakte Beschreibung von Huguenau, der Titelfigur des dritten Teiles der Schlafwandler. Die Grundidee des Essays von Schönwiese ist diejenige, die auch Brochs Essay zugrunde liegt. Es ist die These, dass das Mittelalter ein ideales Wertzentrum hatte, nämlich den Glauben an den christlichen Gott, dass jedoch dieser absolute Wert verloren gegangen ist und eine Leere hinterlassen hat, die der Mensch ständig bestrebt, ja sich gezwungen sieht, zu füllen. Das hängt vor allem damit zusammen, dass der Mensch immer sinnhaftig handeln muss, dass er seinem Handeln immer einen Sinn zuzuteilen bestrebt ist, den ihm nur das Weltbild liefern kann, in dem er sich befindet. „Wer den Sinn dieser Welt sucht, er sucht Gott.“ 26 Beide sind sich auch einig darin, dass dies nicht rational geschehen kann. „Die irrationalen Kräfte des Gefühls müssen ihr Ja dem Ja des Intellekts hinzufügen.“ 27 Genauso wie bei Broch ist es ein Zusammenspiel von rationalen und irrationalen Kräften, das dem Menschen einen annehmbaren Sinnzusammenhang liefern kann. Es sind noch zahlreiche Parallelen vorhanden, die hier jedoch nicht erwähnt zu werden brauchen. Was man jedoch auf jeden Fall erwähnen muss, ist die Tatsache, dass Schönwiese sich in einem entscheidenden Punkt von Broch entfernt, beziehungsweise über ihn hinausgeht. Während Broch in seinem Essay vom Zerfall der Werte nämlich nur eine Diagnose liefert und alles, was darüber hinaus gehen würde, in seinem dichterischen Werk verarbeitet, spricht Schönwiese in seinem Essay, wie bereits der Titel sagt, von „Neuem Glauben“ und „Neuen Menschen“. 22 Ernst Schönwiese, Neuer Glaube - Neue Menschen. In: Ders., Kunstprosa, S. 216ff. 23 Strelka, Ernst Schönwiese, S. 93. 24 Neuer Glaube - Neue Menschen, S. 217. 25 Ebd., S. 223. 26 Ebd., S. 220. 27 Ebd., S. 218. Naser Secerovic 200 Ziel und Endzweck aller geistigen Weltformung, also auch der Religionen kann nur sein: der dienende, sich hingebende, altruistische und damit positive und erst wahrhaft lebendige Mensch, - und eine diesem Ziel entsprechende Organisation des menschlichen Zusammenlebens. Dieser Mensch, der zugleich der vollkommene, der vollendete ist, Vorbild und Ideal, ist die neue Realisation des Weltsinnes, ist die neue Gestalt Gottes, seine tröstliche «Menschwerdung», ist Sinn und Ziel der Welt schlechthin. Der neue, dieses seines Sinns bewußte Mensch ist das Ziel des neuen Erdenglaubens. Dieses Ziel könnte die Menschen einander wieder nähern und unter eine Fahne sammeln. Nur der Mensch, der sich dieses Zieles, für das aktiv während des ganzen Lebens und auf die Dauer irdischen Bestandes hinaus von jedem Einzelnen zu kämpfen sein wird, in jedem Augenblick bewußt bleibt, hat ein Recht, sich wahrhaft Mensch zu nennen. Sinn des Menschen ist, dem Menschen zu dienen: ihn in immer vollkommenerer Form zu wollen, und kein Ziel zu haben neben diesem. Der vollkommene Mensch ist das ideale und oberste Ziel, das dem christlichen Gott des Mittelalters entspricht. Im Dienst dieses Zieles steht jeder Mensch, diesem Ziel tätig näher zu kommen, ist seine Berufung. [...] Die vollkommene Welt ist das neue Paradies, das es zu verwirklichen gilt. 28 Es sind Sätze, die utopisch klingen, allerdings in einer Zeit, die mit Utopien nichts mehr anzufangen im Stande war. Im Grunde verstößt Schönwiese hier gegen seine eigene Überzeugung und wird im Grunde zu rational, und zwar dort, wo das Rationale allein nichts zu bewirken vermag. In diesem Zusammenhang, wenn auch nicht direkt und zwei Jahre nach der Entstehung des zitierten Essays von Schönwiese, steht möglicherweise auch ein Kommentar Brochs zu Schönwieses frühen Gedichten: „Zu Ihren Gedichten noch etwas Prinzipielles: sie wären vollkommen, wenn Sie das didaktische Element aus ihnen radikal entfernen könnten.“ 29 Zahlreiche spätere Gedichte Schönwieses zeigen, wie sehr er sich diesen Rat Brochs zu Herzen genommen hatte. Vielleicht zeigt es auch die Tatsache, dass Schönwiese keinen vergleichbaren Essay mehr geschrieben hat. Seine in diesem ersten Essay formulierten Grundideen fanden ihren stärksten Ausdruck zweifellos in seinen Gedichten. Auch Brochs größter Roman Der Tod des Vergil ist ein lyrischer Roman, wie Broch ihn selber bezeichnet. Und in seinem Kommentar zum Vergil schreibt Broch: „Es gehört zum Wunder der Lyrik, daß sie das Alogische zwischen den Worten und Zeilen ungesagt schweben lassen und damit ins Logische und Verständliche einspannen kann.“ 30 Das Lyrische besitze auch eine Kraft, „die durch die magische Spannung zwischen den Worten und Zeilen mehr auszusagen vermag als das 28 Ebd., S. 220f. 29 Hermann Broch: Brief an Ernst Schönwiese vom 25.4.1935, LIT, Sammlung Ernst Schönwiese, Sign.: ÖLA 20/ 93. 30 Hermann Broch, Der Tod des Vergil, KW 4, Frankfurt am Main 1986 4 , S. 462. Schönwiese und Hermann Broch 201 bloß Nennbare es kann.“ 31 Aus dem Grunde findet man den neuen Menschen eigentlich nicht in Schönwieses Essay, aber man findet ihn in seinen Gedichten, und zwar viel wahrhaftiger und glaubwürdiger, als er jemals in einem Essay auftauchen könnte. Dort findet man auch den neuen - oder richtiger: uralten - Glauben. In fast allen seinen Gedichten spürt man den Versuch, diesen neuen Menschen wieder aufleben zu lassen. In dem Sinne stellt sowohl Schönwieses als auch Brochs gesamte Dichtung eine Suche dar, eine Suche, die weder zu einem Ziel kommen kann noch kommen soll. Sehr gut ersichtlich wird das aus dem folgenden Gedicht aus Schönwieses Gedichtband Geheimnisvolles Ballspiel, einem Gedicht das den Kern von Schönwieses gesamter Poetik darstellt und hier abschließend zitiert sei: Eines Nachts erwachte ich zwischen zwei Träumen. Licht war in meinem Herzen wie nie zuvor, und ich wußte das Gedicht. Wozu es aufschreiben -, es konnte nicht anders lauten. Am morgen, zwischen Tagtraum und Traumtag, war es vergessen. Seither, zwischen Traumtod und Todtraum, suchen alle meine Gedichte dieses eine. 32 31 Ebd., S. 471. 32 In: Ernst Schönwiese, Das Lyrische Werk. Hrsg. v. Paul Wimmer u. Joseph P. Strelka, S. 213. Ernst Schönwiese im Dialog mit Juan Ramón Jiménez und David Herbert Lawrence Klaus Weissenberger Der große Kenner der abendländischen Kultur- und insbesondere Literaturgeschichte, Wladimir Weidlé, hat in seinem Werk Die Sterblichkeit der Musen den inneren Austrocknungsprozess der Kunst im 19. und 20. Jahrhundert konstatiert und nur in einer Rückbesinnung auf die ursprüngliche Fundierung der Kunst in der Religion die Voraussetzung für ihre Erneuerung gesehen. 1 Es besteht kein Zweifel, dass Weidlé diese Voraussetzung in der Lyrik von Juan Ramón Jiménez erfüllt sieht, wenn er schreibt: „Auf die Dichtung Juan Ramón Jiménez’ paßt das Wort ‚Mysterium im hellen Licht’ mehr als auf irgendeine andere. Denn hier wird die Reinheit, die gleichbedeutend mit Vollkommenheit ist zur Einheit und Transparenz...“. 2 Es ist diese Hochschätzung von Jiménez gewesen, die Ernst Schönwiese dazu angeregt hat, sich mit dessen Werk so intensiv auseinanderzusetzen, dass er 1979 eine Sammlung von dessen Gedichten übertragen und in einem Band mit dem Titel Falter aus Licht herausgegeben hat. 3 1981 hat Schönwiese diesem Band eine Auswahl von D. H. Lawrences späten Gedichten in Übersetzung folgen lassen. Es ist die Intention dieses Beitrags, im Folgenden nicht so sehr Schönwieses Übertragungen aus dem Spanischen und Englischen auf ihre Treue dem Original gegenüber zu untersuchen, als vielmehr die innere Affinität Schönwieses zu diesen beiden Lyrikern aufzuzeigen. Indem Schönwiese Jiménez’ Gedichtband dessen Widmung „Der ungeheuren Minorität“ (5) voranstellt, verweist er unvermissverständlich auf das religiöse Sendungsbewusstsein des spanischen Dichters, da nämlich mit der Bezeichnung dieser Minorität als „inmensa [ungeheuer]“ die Charakteristiken des Göttlichen als mysterium tremendum, numinosum et fascinosum impliziert werden, 4 ein Sendungsbewusstsein, das nur wenige zeitgenössische Dichter sowohl von Jiménez als auch Schönwiese teilen. Nicht von ungefähr leitet Schönwiese den Band mit dem Titelgedicht „Falter aus Licht“ ein und schließt ihn mit dem Gedicht „In diesem Licht“ ab. Denn damit schafft er den 1 Wladimir Weidlé: Die Sterblichkeit der Musen. Betrachtungen über Dichtung und Kunst in unserer Zeit. (Stuttgart: Deutsche Verlagsanstalt, 1958). 2 Zitat aus zweiter Hand: Juan Ramón Jiménez: Falter aus Licht (Wiesbaden: Limes Verlag, 1979), Schutzumschlag. Das Zitat entstammt einem Aufsatz von Weidlé, der auf Spanisch unter dem Titel “La poesía ‘pura’ y el espíritu mediterráneo” in einem Würdingsband für Jiménez in der Zeitschrift La Torre V, 19-20 (1957), 199-210 erschienen ist; das Zitat, auf dem die deutsche Fassung leicht abgewandelt basiert, ist auf S. 206. 3 Juan Ramón Jiménez: Falter aus Licht (Wiesbaden: Limes Verlag, 1979); die zitierten Gedichte aus diesem Band haben die Sigle J. 4 Rudolf Otto: Das Heilige: Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen (Breslau: Trewendt und Granier, 1917). Klaus Weissenberger 204 tiefer liegenden Kontext der „ungeheuren Minorität“, der durch die Anfangsverse des Johannes-Evangeliums vorgegeben ist: „Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort [...] In ihm war das Leben, und das Leben war das Licht der Menschen. Und das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht ergriffen“ (Joh. 1. 1-5). Noch deutlicher wird der Aspekt der „ungeheuren Minorität“ als die von der Mehrheit der Menschen verkannte Offenbarung Gottes in seiner Schöpfung in den darauf folgenden Bibelversen ausgedrückt: „Das war das wahrhaftige Licht, welches alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen. Er war die Welt, und die Welt ist durch ihn gemacht; aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum; und die Seinen nahmen ihn nicht auf“ (Joh. 1. 9-11). Es besteht kein Zweifel daran, dass Jiménez als Schüler einer jesuitischen Schule mit der Bibel und den Anfangsversen des Johannes-Evangeliums sehr vertraut war. Doch gerade der Anfang des Johannes-Evangeliums lässt einen starken Einfluss von außerchristlichem mystischem Gedankengut erkennen, wie es in der Licht-Symbolik der Kabbalah im Sohar, dem Buch des „Glanzes“, seinen konkreten Niederschlag gefunden hat. Selbst wenn Jiménez’ direkte Auseinandersetzung mit dem Sohar nicht nachzuweisen ist, so kann man davon ausgehen, dass er, der für mystische Erleuchtungserlebnisse offen war und sich für vedantische Mystik interessierte, mit den im Sohar verarbeiteten Prinzipien der Kabbalistik und deren bildlicher Realisierung, gerade weil das Buch in Kastilien verfasst worden ist, zumindest indirekt vertraut war. Es ist nämlich äußerst überraschend, wie verwandt der von ihm für sein Gottesverständnis geprägte Begriff der „pantheistischen Mystik“ 5 mit der kabbalistischen Lehre von der Schechina als der „einwohnenden Gegenwart“ Gottes in der Welt ist. Die Mehrzahl der von Schönwiese übertragenen Gedichte stammt aus Jiménez mittlerer Periode, die durch die Übersiedlung von seinem Heimatdorf Moguer nach Madrid im Jahr 1912 und sein durch den Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs hervorgerufenes Exil im Jahr 1936 markiert ist. Die Gottesvorstellung dieser Zeit hat er mit der vom Großteil der Menschheit vertretenen Ansicht der „unsichtbaren Realität“ 6 bezeichnet, wie der posthum erschienene Gedichtband betitelt ist, und sein dichterisches Selbstverständnis darin gesehen, im schöpferischen Akt des Dichtens das mysterium ineffabile der göttlichen Gegenwart zur Erscheinung zu bringen und zwar ohne dabei einer abstrakten Begrifflichkeit zu verfallen, sondern nur durch eine konkrete Bildlichkeit. Das bestätigt das Eingangsgedicht in überzeugender Weise: 5 Juan Ramón Jiménez: “Notes by Juan Ramón Jiménez”, in God Desired and Desiring, übers. v. Antonio T. de Nicolás (New York: Paragon House Publishers, 1987), 126f. 6 Juan Ramón Jiménez: Invisible Reality. La Realidad Invisible (1917-1920, 1924) (New York: Paragon House Publishers, 1987). Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 205 Falter aus Licht, die Schönheit flieht, wenn ich mich ihrer Rose nähere. Blind laufe ich hinter ihr her... bald hier, bald dort sie zu fassen... Einzig in meiner Hand bleibt: die Geste ihrer Flucht. (J. 7) In dem Bild „Falter aus Licht“ verbinden sich fast totale Körperlosigkeit und Farbenfrohheit zu einem Spiel der Schwerelosigkeit, das auf eine Vergegenwärtigung Gottes als Schönheit verweist - besonders auf Grund von deren näherer Charakterisierung durch „ihre Rose“, so dass sich damit die Rose zum Symbol des Pentagramms, dem Zusammentreffen von Makrokosmos und Mikrokosmos, zu erweitern scheint. Die Einzigartigkeit dieses Moments der coincidentia oppositorum zeigt sich in der Unmöglichkeit, ihn zu erzwingen oder seiner habhaft zu werden, weil er sich dem bewussten Zugriff entzieht. Dementsprechend gleicht das beabsichtigte Besitzergreifen dem blinden, aller Schönheit widersprechenden Hinterherlaufen nach einem Schmetterling, der immer im letzten Augenblick der nach ihm greifenden Hand ausweicht. Damit erweitert sich das konkrete Bild, ins Leere gegriffen zu haben als „Geste ihrer Flucht“, das so typisch für die von jedermann gemachte Erfahrung ist, zum immer leer ausgehenden Nachvollzug, Seele und Leib wie „Falter“ und „Hand“ aufeinander abzustimmen. Doch trotz und sogar auch gerade wegen dieses „Griffs ins Leere“ lädt sich rückblickend das Bild vom „Falter aus Licht“, „mariposa de luz“, zur erfolgten göttlichen Vergegenwärtigung auf, als in sich selbst ruhender Schönheit, die sich als mysterium ineffabile dem direkten sprachlichen Zugriff entzieht. Um keinen Zweifel an der Erkenntnis dieser prinzipiellen menschlichen Kontingenzgebundenheit zu lassen, schließt Schönwiese den Band mit dem folgenden Eingeständnis von Jiménez ab: IN DIESEM LICHT Und in diesem Licht bist du; aber ich weiß nicht, wo du bist, ich weiß nicht, wo das Licht ist. (J. 125) Der Titel fungiert als scheinbar unumstößliche Schlussfolgerung aus allen vorausgegangenen Gedichten, die der erste Vers - angezeigt durch die Interjektion „und“ verunsichert, fast fragend bestätigt. Und darin ist bereits die prinzipielle Problematik ausgesprochen, die sich in dem demonstrativen Pronomen von „diesem Licht“ als intentionaler einengender Zugriff sprachlich ausweist, der sich damit sein existentielles Ungenügen selbst zuerkennt. Das zweifache Eingeständnis des „Nicht-Wissens“ ist nur die zwingende Konsequenz aus der verfehlten Einsicht in die göttliche Allgegenwart, die Klaus Weissenberger 206 sich eben nicht in der Spezifizierung zu „diesem Licht“, sondern als „das Licht“ manifestiert. Es ist der als unbedeutend erscheinende Unterschied zwischen „esa (luz)“ und „la (luz)“ („dieses Licht“ und „das Licht“), von dem die Vergegenwärtigung des mit Du angesprochenen Gottes abhängt, und damit auch die Anforderungen zu erkennen gibt, die Jiménez an den dichterischen Sprachvollzug stellt. Die indirekte Frage des ersten Verses scheint Ernst Schönwiese in einem späten Gedicht aus dem Band Antworten in der Vogelsprache aufgegriffen und aufgrund seines transzendenten Gottesbegriffs pointierter gestellt zu haben: Gibt es das Licht wirklich, das ich ersehne? Oder ist alles nur Einbildung und Traum? Es gibt keinen Zweifel. Die Sehnsucht wächst. Denkbild, das ich mir ahnend vorzauberte, ich bleibe dir weiter treu. 7 Die beiden Fragen, die die erste Strophe bilden, sind in nüchterner Sachlichkeit gestellt, um dadurch deren Grundsätzlichkeit zum Ausdruck zu bringen, wobei sich die existentielle Problematik in der Hinterfragung der sich gegenseitig ausschließenden Einschätzung von der Wirklichkeit „des Lichts“ zeigt, die sich entweder als ersehnt bestätigt oder bloß als „Einbildung und Traum“ entlarvt. Doch indem die erste Frage als abrupter Auftakt die transzendentale Dimension von „Licht“ nicht nur als „das Licht“, sondern auch - betont durch die i-Assonanzen - als „wirklich“ herausstellt, gewinnt die Anerkennung des Makrokosmos bereits in der Frage an intuitiv erfahrbarer Substanz, die sich in der zweiten Strophe als Antwort bis zur Gewissheit verstärkt. Auch erfolgt der Schlagaustausch von Frage und Antwort in je drei Versen, worin sich die Ebenbürtigkeit der Antwort manifestiert, deren einleitender Vers darüber hinaus durch die Ausgewogenheit der beiden Kurzsätze der dadurch ausgesprochenen Abfolge eine innere Zwangsläufigkeit verleiht: die Leugnung jeglichen Zweifels hat notwendigerweise die Steigerung der bereits in Vers 2 ausgesprochenen Sehnsucht zur Folge. Für diesen Prozess setzt Schönwiese den Begriff „Denkbild“ ein, der, obwohl er von der Forschung einerseits auf Benjamins, Adornos, Blochs und Kracauers Kurzprosa angewendet wird und andererseits auf Dürers „Melancholia“ oder Raffaels „Schule von Athen“, doch noch ziemlich offen ist, indem er die Wechselwirkung von rationalem und irrationalem Erkenntnisvermögen impliziert und darin eine richtungsweisende Funktion ausübt. Dementsprechend ist das „Denkbild“ von der Begegnung von Makrokosmos und Mikrokosmos für 7 Ernst Schönwiese: Das lyrische Werk in chronologischer Folge seines Erscheinens. Gesammelte Werke in Einzelbänden, Bd. 1, hg. v. Joseph P. Strelka (Innsbruck u. Wien: Berenkamp, 2008), 296; im folgenden werden die Gedichte dieses Bandes durch die Sigle Sch. ausgezeichnet. Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 207 Schönwiese aus dem reziproken Prozess von intuitivem Erahnen und reflektierender Imagination hervorgegangen, aus einem „Sich-Vorzaubern“, so dass das Gestalt gewordene Denkbild Leitbild geworden ist. Das kommt einem prozessualen Wahrheitsbegriff gleich, der auf der Korrelation von Erkennen und Entdecken beruht und sich sprachlich in Analogie zum göttlichen Schöpfungsakt in der intendierten Identität von Wort und Sache, Darstellendem und Dargestellten oder Buchstabe und Geist manifestiert. Auf dieses Beziehungsgeflecht im zwischenmenschlichen Bereich trifft der Begriff der Liebe zu, allerdings nicht ausschließlich im zwischenmenschlichen, sondern auch im spirituellen Bereich, wie der Korintherbrief I,13,13 lehrt: „Nun aber bleibt Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; aber die Liebe ist die größte unter ihnen“. Entsprechend bekennt sich Schönwiese zu seinem „Denkbild“ wie zu einer Geliebten: „Ich bleibe dir treu“. Bereits in Jiménez Falter-Gedicht hat die Verknüpfung der Licht- und Rosen-Symbolik die zentrale Bedeutung erkennen lassen, die der Dichter der Rose als dichterischem Bild beigemessen hat. Davon zeugt noch viel eindeutiger das folgende Gedicht: Der weiße Mond nimmt dem Meer das Meer und gibt ihm das Meer wieder. In seiner Schönheit, die ruhig und gelassen siegt, ist die Wahrheit nicht mehr Wahrheit; und zur einen dauernden Wahrheit erwacht, was vorher ohne sie war. Ja. Göttliche Klarheit, die das Sichere nimmt, und der Wahrheit neu ihre Seele gibt. Rose, nicht mehr erwartete, die der Rose die Rose nimmt, um der Rose die Rose wiederzugeben. (J. 27) Das grandiose Schauspiel des sich im Meer spiegelnden Mondes, das nur für den Augenblick seiner Wahrnehmung stattfindet, dient Jiménez dazu, auf die Diskrepanz zwischen Meer als sprachlichem Zeichen und Meer als dem von diesem Bezeichnetem hinzuweisen, auf die Diskrepanz zwischen begrifflicher Verallgemeinerung und immer wieder neu zu erlebender Schönheit, in der sich die nicht zu verallgemeinernde göttliche Gegenwart manifestiert. Deshalb geht es dem Dichter darum, im Gedicht die der Zeit verhaftete Wahrheit zugunsten der die Zeit überdauernden einen Wahrheit aufzugeben, „was vorher nicht da war“. Dazu kann er „Ja“ sagen; denn darin manifestiert sich die „göttliche Klarheit“, die das Gesicherte der Konvention zerstört, um Klaus Weissenberger 208 „dem Wahren 8 neu seine Seele zu geben“, es in seiner Göttlichkeit immer wieder neu zu erleben. Dies ist die sich immer wieder verflüchtigende intensivste Erfahrung, der sich der Dichter über die verschiedenen Bedeutungsebenen der „Rose“ dichterisch anzunähern versucht. Denn es handelt sich bei der fünffachen Anrufung der „Rose“ um Initiationsebenen oder Stufen der Begegnung mit dem Göttlichem, angefangen mit der höchsten und deshalb „nicht mehr erwarteten“, die sich als Geschenk offenbart, wenn man bereit ist, alle vorausgegangenen Vorstellungen aufzugeben, um die höchste nicht nur als einzige, sondern auch als erstmalige zu erfahren. Über das Insistieren auf dem Wort „Rose“ besitzt diese dichterische Formgebung des Zusammenfallens von Mikrokosmos und Makrokosmos eine ungewöhnlich starke klangliche Konkretheit, die im spanischen Original unüberhörbar ist und eine hypnotische Wirkung ausübt: ¡Rosa no presentida, que quitara a la rosa la rosa, que le diera a la rosa la rosa! (J. 26) Wie sehr muss sich Schönwiese von diesem Gedicht angesprochen gefühlt haben, wenn man sein Gedicht „Tausend Rosen“ von 1964 zum Vergleich mit diesem heranzieht: TAUSEND ROSEN sind eine Rose. Und eine Rose ist das All. (219) Natürlich besteht die Möglichkeit, dass Schönwiese dieses Gedicht von Jiménez bereits gekannt hat, bevor er sein „Rosen“-Gedicht verfasst hat. Doch unabhängig davon lässt es gerade die lautliche Nähe beider Gedichte zu, auf ihre Unterschiede genauer einzugehen. Beide Dichter bedienen sich des Paradoxons, um eine logisch nicht nachvollziehbare Grenzüberschreitung vorzunehmen - Jiménez mit dem Widerspruch, der Rose die Rose wegzunehmen, um der Rose die Rose wiederzugeben, und Schönwiese in der zweifachen logisch widersprüchlichen Gleichsetzung von Mehrzahl und Einzahl einerseits und Einzahl und Infinität andererseits. Doch während Jiménez durch den Gleichklang der fünffachen Wiederholung von „Rose“ den konkreten Bezug des Bildes transparent macht, erfolgt bei Schönwiese ein direkter Umschlag aufgrund des numerologischen Bedeutungsspiels, das an Scheherezade und ihre Märchen erinnert, die sie in Tausend und einer Nacht erzählt. Die Zahl tausend repräsentiert die Totalität der profanen Welt in allen ihren Erscheinungsformen, die, zusammengefasst zur Ganzheit der 8 Diese Korrektur von Schönwieses Übertragung ist gerechtfertigt; denn im Original steht “lo verdadero [das Wahre]” als Steigerung zu “la verdad” in den voraufgegangenen Versen. Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 209 Eins, das schöpferische Prinzip darstellen, das aus dem Geist Gottes als All vor der Schöpfung hervorgegangen ist. Bei zwei anderen Gedichten Schönwieses ist die Nähe zu Jiménez Rosen- Bild ganz unverkennbar. Sehr spruchhaft beginnt das Gedicht „Sich ins Rechte denken - das genügt nicht./ Sich ins Rechte fühlen, - das entscheidet“ und endet als eine Art Antwort mit dem nur mit dem Tast- und Geruchssinn nachzuvollziehendem und Jiménez so verwandtem Gestus: Die Seele tastet nach ihrer Rose, voll Verlangen nach Duft. (Sch. 278) Entsprechend lässt Jiménez sein Gedicht „Das Gedicht 3“ in dem Ausruf gipfeln: „Mein Lied,/ ertöne, eh’ du ertönst; [...] laß dir entströmen: Frische und Duft! “ (13). Bei dem anderen Gedicht Schönwieses handelt es sich um eine Art Liebesgedicht aus dem dritten Teil von Antworten in der Vogelsprache, das auf der prinzipiellen Gegenüberstellung des „Ich“- und „Du“-Bereichs beruht: Du draußen bei deinen Rosen, ich herinnen bei den meinen, so ganz anderen. Du in deiner Wirklichkeit, ich in der meinen. Alles ist gut! (Sch. 289) Gerade wegen des Vergleichs beider Bereiche anhand der „Rosen“ als tertium comparationis könnte die Gegenüberstellung des „Du“-Bereichs als „draußen“ und des „Ich“-Bereichs als „herinnen“ nicht schärfer sein. Doch da es sich in beiden Fällen um „Wirklichkeit“ handelt, um eine echte gültige Sinngebung des Lebens, schließen sie sich nicht gegenseitig aus, sondern fügen sich - in einem Rückgriff auf die etymologische Grundbedeutung des Wortes „gut“- zur Geschlossenheit des Guten als dem, was zueinander passt, zusammen. Während sich für Schönwiese die Unterschiede zwischen der physischen Gartenarbeit der Gattin an den Rosen und seiner dichterischen in einer Gemeinsamkeit aufheben, beruht Jiménez’ Identifikation des Gedichts mit der „Rose“ auf dem entgegengesetzten Prinzip der Ausschließlichkeit, für das er das biblische „Noli me tangere“ nahezu wörtlich zitiert, das in unserem Zusammenhang von besonderem Interesse ist, weil es Christus nach seiner Auferstehung Maria Magdalena gegenüber ausspricht, um damit auf seine Transformation von der physisch-weltlichen zu einer spirituell-außerweltlichen Vergegenwärtigung hinweist, an der sie noch nicht teil hat. In diesem Kontext fällt auch die hervorragende Bedeutung Maria Magdalenas ins Ge- Klaus Weissenberger 210 wicht. Denn nicht nur wird ihr in der Bibel die Protophanie Christi zuerkannt und sie zur Apostala Apostolorum erklärt, 9 sondern sie erscheint in der Pistis Sophia, der bedeutenden gnostischen Schrift aus dem 3. Jahrhundert, sowohl als „Sprecherin und Sprachrohr der JüngerInnen“ und „Vermittlerin zwischen Jesus und der JüngerInnengruppe“ als auch als „Hauptauslegerin der Botschaft und Lehre“ (232-252). 10 Zweifelsohne hat diese vor allem esoterische Bedeutung Maria Magdalenas zahlreiche abendländischen Maler zu ihren Darstellungen der Protophanie angeregt, so dass sich Jiménez’ als „EL POEMA I“ betiteltes Gedicht gerade auf Grund seines Lakonismus wie von selbst in diese mystische Tradition einreiht: DAS GEDICHT I Rühr es nicht an, denn es ist wie die Rose! (J. 9) Im Gegensatz zu dieser betonten Ausgrenzung aus dem Manifestationsbereich des Poetischen, die selbst vor dem Du des Dichters nicht halt macht, weigert sich Schönwiese zwar, „das Gedicht zu erklären“, jedoch verweigert er keineswegs den Zugang zu diesem, sondern regt den Leser dazu an, sich das Gedicht „aus sich selber erklären“ zu lassen. Diese maieutische Funktion von Dichtung kennzeichnet für Schönwiese nicht nur das Kriterium für die Gültigkeit seiner Gedichte, sondern auch den prinzipiellen Unterschied zwischen beiden Dichtern: Ein Gedicht ist nur so viel wert als aus ihm dieses Licht der Erleuchtung hervorblitzen kann. (Sch. 281) Dieser Unterschied, aber auch die innere Verwandtschaft zu einander zeigen sich ebenfalls in der Bedeutung, die die beiden Dichter „Schlaf“ und „Traum“ beimessen. Für Jiménez gelten sie als Vorstufen des Erwachens in die dichterische Vision, die ihm sein Leben bestätigt: EPITHAPH FÜR MICH, DEN LEBENDEN Verstorben in den Schlaf. Auferstanden in das Leben. (J. 35) Dementsprechend erlauben ihm „Schlaf und Tod“, weil er sie als „Brüder“ erkennt, den Zugang zur letzten Stufe der Ich-Aufhebung im „Nichts“ zu erahnen. 9 Claudia Büllesbach: Maria Magdalena in der frühchristlichen Überlieferung. Historie und Deutung (Hamburg: Verlag Dr. Kovac, 2006), 73-76. 10 Diesen Hinweis auf die außerordentliche Bedeutung, die der Maria Magdalena von der Gnosis zuerkannt worden ist, verdanke ich Joseph P. Strelka. Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 211 DIE DREI Schlaf und Tod, meine unsichtbaren Brüder, Brüder im Tiefsten, Brüder im Nichts! (101) Ganz sicher hat Schönwiese bei der Übertragung dieses Gedichts an den Anfang von Georg Trakls Gedicht „Klage“ gedacht: „Schlaf und Tod, die düstern Adler/ Umrauschen nachtlang dieses Haupt: / Des Menschen goldnes Bildnis/ Verschlänge die eisige Woge/ Der Ewigkeit.“ 11 und deshalb bewusst „sueño“ mit „Schlaf“ und nicht mit „Traum“ übersetzt, um gerade mit Hilfe der gleichlautenden Gedichtanfänge den grundsätzlichen Unterschied zwischen beiden Gedichten hervorzuheben. Seine Abänderung gegenüber Jiménez findet in dem Gedicht „Aufgeschreckt aus dem Traum“ statt: Aufgeschreckt aus dem Traum -: alles ist erinnert und ich „weiß“. Entsunken in den Traum -: alles ist vergessen, und es gibt keinen mehr, der etwas „wissen“ könnte. (S ch. 277) Die vollkommen strukturelle Parallelität der beiden Strophen hebt die Abänderungen des Wortlauts in der zweiten Strophe so markant hervor, dass die beiden Strophen ein Gegen- und Nacheinander oder eine unweigerliche Abfolge wie Frage und Antwort, Konflikt und Auflösung, Ausgangsituation und erhofftes Ziel, Beispiel und Gegenbeispiel implizieren. Während das „Aufschrecken aus dem Traum“ zur Konfrontation mit der profanen Zeit in ihrem chronologischen Ablauf und dem Wissen um das Verhaftetsein an alle ihre Manifestationen führt, leitet das „Entsinken in den Traum“ die Auflösung der existentiellen Problematik in einem Vergessen der Gegenständlichkeit und einem damit verbundenen Nicht-Wissen als Ausdruck für den Einklang mit der Alleinheit ein. Es ist gerade diese Parallelität, die dem Prozess der mystischen Ich-Auflösung eine Doppelperspektivität verleiht; denn zum einen findet dieser Prozess in der Perspektive des Initianden als sich vollziehender und mit dem Abschluss des Gedichts bereits vollzogener Prozess statt, doch zum anderen erhält er dadurch auch die Perspektive eines exemplarischen Charakters, die zur Nachfolge von Leser oder Hörer im Selbstvollzug anregt. Die Unterschiede zwischen den beiden Dichtern lassen sich auch in ihrer Annäherung an das Haiku erkennen, wie aus dem Vergleich zwischen Jimé- 11 Georg Trakl: Die Dichtungen (Salzburg: Otto Müller Verlag, 11. Aufl., 1953), 196. Klaus Weissenberger 212 nez’ Gedicht „Ekstase“ und Schönwieses Gedicht „Jeder hat sein Geheimnis“ hervorgeht. EKSTASE Grünes Blatt und belebende Sonne; mein Fleisch und meine Seele! (J. 119) Obwohl das Gedicht das Kriterium der Länge von siebzehn Silben für das Haiku im spanischen Original fast erfüllt - dort 18 oder 19 Silben -, zerfällt das Gedicht, zumindest vordergründig, in zwei mit dem Haiku unvereinbare Hälften, eine bildhafte und eine das Bildhafte ausdeutende: Dem Verhältnis zwischen dem grünen Blatt und der es belebenden Sonne entspricht das zwischen Fleisch und Seele. Erst in der Überwindung dieses vom Analogiedenken hervorgerufenen Dualismus hebt sich der Gegensatz zwischen Natur und Mensch in der Gemeinsamkeit beider an der göttlichen Schöpfung auf, ein poetischer Akt, der durch die erhöhte Spannweite aufgrund der Betonung der menschlichen Stofflichkeit als „Fleisch“, die erst durch die „Seele“ ihre Erfüllung zur Ganzheit findet, vorgegeben ist und den Titel „Ekstase“ rechtfertigt. Schönwieses Gedicht dagegen verbleibt ganz im Bildlichen, aus dem sich der Umschlag in das Satori der Ich-Verwandlung bruchlos ergibt. Allerdings erweitert er die Haiku-Form, um eine erhöhte Spannung zwischen den Bildkonnotationen zu erreichen und dadurch dem abschließenden Ausgleich Unbedingtheitscharakter zu verleihen. JEDER HAT SEIN GEHEIMNIS Unermüdlich schreibt die Schnecke ihre Botschaft in blitzender Silberschrift auf das Grün der Blätter. (219) Die Spannung entsteht aus dem Gegensatz zwischen der mit der Schnecke verbundenen sprichwörtlichen Konnotation der Langsamkeit - selbst in der Abwandlung zu der des Unermüdlichen - und der der „blitzenden Silberschrift“, der im Bildbereich kaum stärker vorstellbar ist, aber dem durch die Naturvorlage und das stoisch alternierende Gleichmaß zugleich alle Aufdringlichkeit fehlt. Der letzte Vers würde in vielen Haikus fehlen, doch gerade er führt die Gegensätze zur in sich ruhenden Einheit in ihrer sich gegenseitig bedingenden Entsprechung vor dem Hintergrund der mystischen Farbe „grün“ und bestätigt die mit dem Titel aufgestellte Behauptung von der Ubiquität des „Geheimnisses“. Bei einigen Gedichten Schönwieses hat es den Anschein, dass ihn die Übertragung von bestimmten Gedichten von Jiménez zu deren Kontrafaktur Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 213 angeregt hat. Ein schlagendes Beispiel dafür sind das Gedicht „Ruhm“ von Jiménez und sein Gedicht „Nichts wird bleiben“, bei denen wörtliche und bildliche Entsprechungen ganz offensichtlich sind. RUHM Welches deiner Lieder wird bleiben, gleich einer ewigen Blüte, Herz, wenn es von dir weder Grab noch Erinnerung geben wird; welche unter allen diesen Blüten dieser meiner grünenden Wiese, die jetzt der frohe Wind meines Lebens bewegt? (J. 85) Wie eine Antwort darauf klingt Schönwieses Gedicht: Nichts wird bleiben, keine Erinnerung. So schnell, wie du einen Traum vergißt, wirst auch du vergessen sein. Aber die kleine Welle im Meer, die dein Leben war, ist dagewesen in all den zeitlosen Jahrtausenden, aus denen sie auf dich zugeschaukelt war, um in unendlichen Zeiten weiterzugehen. (Sch. 293) Selbstverständlich stellt sich jeder Dichter die Frage nach der bleibenden Gültigkeit seiner Werke; ist diese doch Maßstab und raison d’être seines Schaffens. Jiménez geht sogar so weit, von dem Andenken an seine Person vollkommen Abstand zu nehmen und nur nach dem die Zeit überdauerndem Werk, „gleich einer ewigen Blüte, Herz“ zu fragen. Angesichts dieser Forderung oder dieses Maßstabs ist es nur zu verständlich, dass die Frage unbeantwortet bleiben muss. Doch dadurch verschiebt sich die Blickrichtung auf die Frage zurück, der es spezifisch um die Identifizierung zumindest eines der „Lieder, das bleiben wird“, geht. Um dieses Werk als solches hervorzuheben, wird es näher bestimmt und zwar durch Bilder aus der das Leben repräsentierenden und ausstrahlenden Natur - „ewige Blüte, Herz“ - ; genauer gesagt handelt es sich um eine „Blüte unter Blüten auf einer grünenden Wiese, die jetzt der frohe Wind [des Dichters] Lebens bewegt“. Diese vegetative Bildlichkeit ist dermaßen affirmativ, dass die Frage zur rhetorischen Frage wird und die auf die Zukunft zutreffenden Identifikationskriterien - oder zumindest deren Voraussetzungen - bereits in der Gegenwart erfüllt sind, was einer mystischen Allverbundenheit sehr nahekommt. Auf ein derartiges Transparentmachen der Gegenwartsverhaftung lässt sich dagegen Schönwiese nicht ein, sondern erklärt - vielleicht auf Jiménez Frage Bezug nehmend - kategorisch „Nichts wird bleiben“, nicht einmal eine Klaus Weissenberger 214 „Erinnerung“. Jedoch gebraucht er - vielleicht im Anklang an Jiménez’ Bild des „frohen Windes (seines) Lebens“ - das Bild der „Welle im Meer, die dein Leben war“, um daran die zeitliche und überzeitliche Einbettung des Menschen begreifbar zu machen. Dieses Bild zeugt von der Hingabefähigkeit des Dichters an das große und eigentliche Geheimnis unseres Kommens und Gehens, vor dem sich die Frage nach dem Ruhm erst gar nicht stellt. Beide Dichter haben auch den Augenblick der inneren Erleuchtung in einem Gedicht festgehalten. Jiménez’ Gedicht hat den bezeichnenden Titel „Ach! “ [spanisch „¡Ay! “], und Schönwieses Gedicht ist titellos und beginnt mit dem Wort „plötzlich“. ACH! Augenblicke, in denen das Morgen nicht zählt; in denen sich alles heute erfüllt; und wir bereit sind zu allem, gleichgültig wozu oder womit! Wie sich unser Wesen entfaltet; wie groß wir dann sind! Wie allein wir sind! ... Und wie wenig sie uns fehlen: der Mensch und der Gott! (93) Im Vergleich dazu Schönwieses Gedicht: Plötzlich ist es da, schlägt alles in seinen Bann, und hat seinen großen Auftritt. Hab ich es getan? Wie ist es geworden? Es geschieht. Es gibt niemanden, der darüber verfügte. Öffne dich - andres kannst du nicht tun - wie ein Gefäß, bereit, zu empfangen! (Sch. 298) Für beide Dichter geht es darum, dem Augenblick der Erleuchtung poetische Gestalt zu verleihen. Das von Schönwiese gewählte „Ach! “ gibt das ambivalente Schwanken von „Ay! “ zwischen Betroffenheit und Klage wieder und erinnert an den abschließenden Ausruf von Alkmene in Kleists Amphytrion. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Epiphanie-Darstellungen zeigt sich bereits in Jiménez Gebrauch des Plurals „Augenblicke“; denn damit verweist er auf eine Verallgemeinerung von mehreren Erlebnissen und nimmt dem einzelnen seine spezifische Individualität. Das soll nicht Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 215 heißen, dass die von Jiménez angeführten Aspekte nicht authentisch sind, nur wirkt seine Darstellung nicht mehr spontan und unmittelbar. So beschreibt er die Aufhebung der chronologischen Zeit zu einem „Heute“ ex negativo und ebenso das Aufgeben des eigenen Willens durch seine Charakterisierung als „gleichgültig“. Auffallend ist auch der pluralis maiestatis, in dem natürlich die erfolgte Ich-Erweiterung ihren Ausdruck findet: „Wie sich unser Wesen entfaltet; wie groß wir dann sind! “. Aber der Ich-Verlust, der im mystischen Prozess der Ich-Erweiterung vorausgeht, fehlt und wird auch nicht impliziert. Das „Alleinsein“ ist Ausdruck der Sonderstellung, auf die der Dichter sogar stolz ist und die auch im Gebrauch des Plurals für die eigene Person mitschwingt. Und in dieser Ambivalenz zwischen Hingabe und erhöhtem Selbstbewusstsein endet das Gedicht: „Und wie wenig sie uns fehlen: der Mensch und der Gott! “. Denn im Spanischen wie auch im Deutschen bedeutet dieser Ausspruch primär, dass der Dichter Mensch und Gott nicht mehr braucht. Erst sekundär löst sich diese Blasphemie dadurch auf, dass die Epiphanie die Sprachbezeichnung für das Göttliche transzendiert. Dadurch, dass aber auch der „Mensch“ in diesem Prozess mit eingeschlossen ist, seien es die eigene Menschlichkeit oder die der Mitmenschen, handelt es sich bei dieser Erleuchtung nicht um die Endstufe eines mystischen Prozesses, sondern vielmehr um eine Form des Pantheismus. Von daher relativiert sich die anscheinend existentiell zu deutende Beklagung des „verlorenen“ Augenblicks zu einem vorübergehenden Schicksalsschlag: DER AUGENBLICK Ich hab ihn verloren, verloren, verloren! ... Er ist vorbei! Und mit dem Augenblick Verlor ich die Ewigkeit! (J. 83) Schönwiese dagegen beschwört nur den einen Augenblick der Erleuchtung - ebenfalls im Präsens, ohne jedoch eine Vergangenheit zu implizieren oder diesen Augenblick in irgendeiner Weise zu relativieren. Daher ereignet sich diese Epiphanie spontan, unmittelbar und prozesshaft und am Initianden, der davon betroffen ist, so dass ihm nur die Wahl der passiven Hingabe an das Geschehen bleibt, zu der ihn der außerweltliche Befehl - nicht unähnlich zu der Verkündigung Marias durch den Engel - auffordert. Da das Gedicht damit abschließt, bleibt sprachlogisch gesehen die Frage offen, ob der Initiand den Befehl verweigert oder befolgt. Doch aufgrund des erfolgten Verlaufs kann sich dichtungslogisch gesehen der Initiand nur dem Geschehen vollkommen hingeben, so dass die Ambivalenz des Schlusses die Funktion hat, auf die Exklusivität des mystischen Erleuchtungsaktes hinzuweisen, der sich in letzter Instanz einer sprachlichen Wiedergabe verweigert. Während Juan Ramón Jiménez in Spanien als der große Lyriker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt und 1956 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet worden ist, hat David Herbert Lawrence für seine Romane erst Klaus Weissenberger 216 verspätet Anerkennung gefunden und für seine Lyrik bis jetzt nur sehr vereinzelt. Schon deshalb verdient Ernst Schönwieses Übertragung von D. H. Lawrences späten und letzten Gedichten, die eine Auswahl aus seinem Band Pansies von 1929 und den posthum veröffentlichten Bänden More Pansies und Last Poems von 1932 darstellen, besondere Beachtung. Schönwiese hat diese Gedichte 1981 unter dem Titel Der Atem des Lebens, 12 einem Gedichttitel aus Lawrences letztem Gedichtband, veröffentlicht und damit einer breiteren des Englischen nicht mächtigen deutschsprachigen Leserschaft zugänglich gemacht. Obwohl der genaue Zeitpunkt der Übertragungen nicht bekannt ist, ist es doch bemerkenswert, dass die Gedichte Schönwieses, in denen er Gedanken Lawrences aufgreift oder sich mit ihnen auseinandersetzt, in seinem letzten Gedichtband Antworten in der Vogelsprache von 1987 enthalten sind. Von Jiménez kommend muss man sich vorerst die Frage stellen, was Schönwiese an Lawrences später Lyrik so sehr zugesagt hat, dass er über hundert Gedichte davon übertragen hat. Wenn ihn an Jiménez’ Lyrik die formale Verwirklichung von dessen mystischer Neigung zur Übertragung angeregt hat, ist es im Falle von D. H. Lawrence dessen kompromissloses Ethos. So wie er in seinen Romanen die mythische Tiefendimension des Eros in bisher verdrängter Offenheit aufdecken will, so geht es ihm in seinen Gedichten um eine damit korrespondierende vielleicht noch pointiertere Wahrheitssuche nach dem kosmischen Bezug des Menschen in allen seinen Eigenheiten. Dieses Ziel verfolgt er mit unnachgiebiger Direktheit und Unbesorgtheit gegenüber der allgemeinen Fortschrittshörigkeit und den Konventionen jedweder Art. Dafür ist der folgende Vierzeiler ein schlagendes Beispiel: Die Tiefste aller Sinnlichkeiten ist der Sinn für Wahrheit, und die nächsttiefste sinnliche Erfahrung ist der Sinn für Gerechtigkeit. (L. 83) Wahrheit und Gerechtigkeit dem sinnlichen Erfahrungsbereich zuzuordnen, widerspricht den judäo-christlichen Moralvorstellungen so vollkommen, dass dies an Häresie grenzt. Was Lawrence damit fordert, ist die Substitution des vorherrschenden ratioiden kodifizierten oder anderswie rituell erstarrten Wahrheits- und Gerechtigkeitssinns mit einem gelebten und erfahrenen. Lawrence macht sich über Wissensdrang und Wissensspeicherung, die die abendländische Kultur und Zivilisation charakterisieren, sogar lustig, wenn er erklärt: „All unser Wissen ist nichts, wir sind nur vollgestopfte Papierkörbe,/ wenn wir nicht in Fühlung sind mit dem in uns, das lacht über all unser Wissen“ (L. 57). Deshalb proklamiert er unsere Nicht-Existenz in dem gleichnamigen Gedicht, „solange wir nicht tief und sinnenhaft in Füh- 12 D. H. Lawrence: Der Atem des Lebens. Späte und letzte Gedichte (Wiesbaden u. München: Limes Verlag, 1981); im folgenden durch die Sigle L. ausgezeichnet. Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 217 lung sind/ mit dem, was gefühlt, aber nicht erkannt werden kann“ (L. 53). Dem entspricht Schönwieses lehrhafter Spruch: „Sich ins Rechte denken, - das genügt nicht./ Sich ins Rechte fühlen, - das entscheidet“ (Sch. 278), und analog dazu lehnt Schönwiese die Argumentation auf der Basis von Beweisen direkt ab: Komm mir nur nicht mit Beweisen! Dem Kopf kann man alles beweisen, auch das Schlimmste. Aber dein Herz weiß gar nicht, was das ist, ein Beweis. (Sch. 279) Gerade an normativen oder orthodoxen Gottesbegriffen entzündet sich für beide Dichter ihr entschiedener Einspruch, weil diese die Erfahrung des Göttlichen verhindern. So hinterfragt Lawrence geradezu die denotative Funktion der sprachlichen Bezeichnung in dem Gedicht „Was sind die Götter? “ Was sind die Götter schließlich, was sind die Götter? Die Götter sind ohne Namen und ohne Bild, doch als ich einen riesigen, sommerlich vollerblühten Lindenbaum erblickte, sah ich plötzlich tief in das Auge Gottes: das ist genug. (L. 77) Gerade weil sich die Götter der sprachlichen Benennung und jeglicher Beschreibung entziehen, „weigert“ sich Lawrence davor, dieser Versuchung zu verfallen, doch nimmt er die „Götter“ trotzdem wahr und verleiht ihnen vegetative Gestalt, die bis zu einer impliziten Namensnennung von „Autumnus“ und „Priapus“ führt: Aber die ganze Zeit über sehe ich die Götter: Den Mann, der da das hohe Korn mäht, plötzlich schwanken die Weizenhalme, ergeben sich und sinken nieder mit einem jähen Aufrauschen und einer seltsamen Entschlossenheit zu fallen, o die Götter, der schwingende Leib Gottes! O die Stille Gottes, der sich herabsenkt, Autumnus, und es ist erst Juli, das blaß-goldene Fleisch des Priapus ist in den Schlaf gesunken. (L. 81) Im Gegensatz dazu ist Lawrences Vergleich der göttlichen Schöpfung mit der eines Künstlers, der sein Werk Form annehmen sieht, geradezu blasphemisch: Klaus Weissenberger 218 DAS WERK DER SCHÖPFUNG Das Geheimnis der Schöpfung ist der göttliche Drang zu schaffen, aber es ist ein mächtiger, geheimnisvoller Drang, es ist kein Wissen. [...] Gott ist ein großer Drang, voll von Wundern, geheimnisvoll und mächtig, aber er weiß nichts im voraus. Sein Drang nimmt Gestalt an im Fleisch, und sieh da! wird zur Schöpfung! Gott selber blickt das Gewordene voll Verwunderung an beim erstenmal. Sieh an, da hat ein Geschöpf seine Form gefunden! Wie seltsam! Laßt mich darüber nachdenken! Laßt mich es begreifen! (L. 119) So wie sich das künstlerische Werk seinem Schöpfer gegenüber verselbständigt, so versteht Lawrence den Menschen in seiner Verselbständigung gegenüber Gott und zwar zu einem solchen Grad der Emanzipation, dass Gott über seine Schöpfung erst einmal verwundert ist und dann über diese nachzudenken beginnt und sie zu begreifen versucht. Doch trotz dieser nach Außen hin häretischen Reduktion Gottes hat Lawrence in seiner Identifizierung mit Gott als Künstler - zumindest für sich - eine Gottannäherung vollzogen. Einer damit verwandten Vorstellung von der Selbstverwirklichung Gottes in seiner Schöpfung begegnen wir in einem Gedicht Schönwieses, das bezeichnenderweise mit der Infragestellung der Identität von Zeichen und Bezeichnetem in dem Wort „Gott“ beginnt. Gott? Was hatten die Menschen damit gemeint? Er ist endlich Wirklichkeit geworden ... Mit allem, was unsere Sinne wahrnehmen, ist er eins. Alles Erscheinende ist sein Leib. Er ist herabgestiegen aus seiner unsichtbaren Welt in die sichtbare. Endlich können wir ihn sehen und ihn mit unserer Hand berühren als Flieder oder das geheimnisvoll spürbare Leben hinter der Stirn eines Hundes. (Sch. 296) Indem Schönwiese die Frage nach Gott durch die Frage „Was hatten die Menschen damit gemeint? “ erstens zeitlich in die Vorvergangenheit verlegt und zweitens mit dem unbestimmten Pronomen „damit“ auf die semantische Ebene reduziert, hat er sich bereits von dieser Argumentationsebene vollkommen distanziert und kann im direkten Gegensatz zu dieser - sowohl temporal als auch pronominal - die göttliche Selbstverwirklichung in dem Satz „Er ist endlich Wirklichkeit geworden ...“ verkünden, in einem Satz, der in seiner Aussagekraft mit der Osterbotschaft „Er ist auferstanden! “ zu ver- Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 219 gleichen ist und gerade wegen des Adverbs „endlich“ auf die Parusie verweist, also das lang ersehnte Ende aller Zeiten. Doch es geht Schönwiese nicht um das Jüngste Gericht, sondern eher um die Erkenntnis von der Welt als der sichtbaren Manifestation Gottes, ähnlich der kabbalistischen Schechina: „Alles Erscheinende ist sein Leib“. Der kabbalistischen Vorstellung von der Vereinigung Gottes mit der Schechina als seiner Braut entsprechen auch sein „Herabsteigen aus seiner unsichtbaren Welt in die sichtbare“ ebenso wie die ersehnte Berührung in der Begegnung der Liebenden. Doch in welchem Gegensatz zu diesem hochgeistigen Erwartungshorizont stehen die Beispiele für die sinnliche Wahrnehmung Gottes - als „Flieder“ oder als „das geheimnisvoll spürbare Leben hinter der Stirn eines Hundes“! Wie antiklimaktisch und scheinbar trivial! Doch gerade diese Wirkung hat Schönwiese beabsichtigt und deshalb auch die Verbildlichung „als Flieder“ einen Vers ausfüllen lassen, um nämlich darin die menschliche Aufgabe zu veranschaulichen, im Trivialen oder Gewöhnlichen die göttliche Gegenwart zu erkennen und dadurch vorbereitet zu sein, sie in ihrer Gesamtheit auch auf komplexerer Ebene wahrnehmen zu können. Und wie sehr sind wir eigentlich dankbar, wenn der Flieder wieder blüht oder wir mit einem Hund eine so enge Verbindung eingegangen sind, dass wir uns um seine Seele sorgen! Auch an mehreren anderen Beispielen lässt sich aufzeigen, wie sehr sich Lawrences und Schönwieses Auseinandersetzung mit dem Christentum dialogisch gestaltet. So verwirft Lawrence das für das Christentum zentrale Gebot der Nächstenliebe, weil es zur Lüge oder zum Ungehorsam zwingt: GEBOTE Als Jesus uns gebot, unseren Nächsten zu lieben, zwang er uns, einer ungeheuren Lüge nachzuleben oder ungehorsam zu sein: denn wir können niemanden auf Befehl lieben, weder Nächsten noch Nichtnächsten, und diese erlogene Liebe hat uns bis ins Mark zerstört. (L. 85) Wie ein Echo darauf klingt Schönwieses Gedicht „Soll und Haben“, das in seiner zweiten Strophe durch den Vergleich der Liebe mit der „pfingstlich aufblühenden Narzisse“ eine für Lawrence typische vegetative Bildlichkeit aufgreift: Du sollst deinen Nächsten lieben ...! Ich verachte jedes „du sollst! “ Wenn mich jemand liebt, wenn er soll, ist das keine Liebe. Die Soll-Liebe kann mir gestohlen bleiben. Die Haben-Liebe, die pfingstlich aufblüht wie eine Narzisse ist die wahre Liebe. Klaus Weissenberger 220 Auch wenn das Blühen einmal enden muß und wenn es noch so schmerzt, daß es nicht ewig dauert, sondern vergeht. (Sch. 287) In den zwei Gedichten „Gott und der Heilige Geist“ und „Demut“ widerspricht Lawrence sogar dem Trinitätsdogma, indem er den Heiligen Geist von Gott abtrennt und zum „tiefsten Teil unseres Bewußtseins“ erklärt; und Lawrences daraus gezogene Konsequenzen haben Schönwiese zu einer gedanklichen Weiterführung angeregt. GOTT UND DER HEILIGE GEIST Man sündigt nicht wider Gott, was kümmert sich Gott um eine Sünde! Aber man sündigt wider den Heiligen Geist, weil der Heilige Geist in uns, in unserem Fleisch ist, ein Teil unseres Bewußtseins. Der Heilige Geist ist der tiefste Teil unseres Bewußtseins, darin wir uns selbst erkennen als das, was wir sind, und um unsere Abhängigkeit von etwas Schöpferischem wissen, das über uns hinausgeht. Wenn wir also wider unser eigenes tiefstes Bewußtsein handeln, zerstören wir natürlich das wesentlichste Selbst in uns, und ist das geschehen, gibt es keine Hilfe, keine Rettung mehr, das wesenlose Nichts ist unser Teil. (L. 63) Obwohl Lawrences Exegese ganz offensichtlich einen häretischen Verstoß gegen das Trinitätsdogma repräsentiert, beruht dieser auf seinen Erfahrungen von künstlerischer Inspiration, deren Auftreten ihn von der Einwohnung einer schöpferischen Kraft in seinem Körper überzeugt hat, die „über (ihn) hinausgeht“. Anders kann er sich nicht den Unterschied zwischen der Selbsterkenntnis, „als das, (was er ist)“ und dem „Schöpferischen [...], das über (ihn) hinausgeht“, erklären. Er ist sich auch dessen bewusst, dass nur die absolute Ehrlichkeit sich selbst und dem künstlerischen Prozess gegenüber die Voraussetzung für das Umschlagen ins Schöpferische ist. Daher zerstört für ihn „die Sünde wider den Heiligen Geist“ „das wesentlichste Selbst in (ihm)“, seine schöpferische Kraft, ohne die er sogar „das wesenslose Nichts“ darstellt. Natürlich steht dahinter sein Wissen um seine künstlerische Berufung, die ihre Verwirklichung im schöpferischen Prozess fordert und deren rauhes, autoritäres und kämpferisches Auftreten er in dem Gedicht „Demut“ rechtfertigt. DEMUT Heutzutage von Demut zu reden, ist eine Sünde wider den Heiligen Geist. Es ist eine heimliche Flucht vor der Verantwortlichkeit unseres eigenen Bewußtseins. (L. 65) Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 221 Demut ist eine christliche Haupttugend, „die aus dem Bewusstsein unendlichen Zurückbleibens hinter der erstrebten Vollkommenheit [...] hervorgehen kann“. 13 Doch gerade aus seiner Erfahrung der Einwohnung des Heiligen Geistes im künstlerischen Prozess muss er sich gegen die Demut sträuben, da er „die erstrebte Vollkommenheit“ ja in sich selbst wirksam erlebt hat, und bekennt sich damit zum göttlichen Ursprung des schöpferischen Prozesses. Auf dieses aphoristische Gedicht bezieht sich Schönwiese direkt, indem er es seinem Gedicht „Überlege und mache dir klar“ als Motto voranstellt. Überlege und mache dir klar, wer jetzt, in diesem Augenblick, in dir spricht: die Erscheinung oder der, der du wirklich bist. Wer sich für die Erscheinung hält, hat wenigstens demütig zu sein. Für den andern gibt es weder Demut, noch Überheblichkeit. (Sch. 295) Während Lawrence in der Ablehnung der Demut die Voraussetzung für die göttliche Inspiration zum schöpferischen Prozess erkannt hat, geht es Schönwiese um die dichterische Darstellung des mystischen Prozesses als solchem, in dem der Ich-Verlust zur Ich-Erweiterung im Aufgehen des Ich in der Alleinheit führt. Deshalb fordert er für „diesen Augenblick“, den Augenblick des Umschlags oder Satori, die „klare“ Unterscheidung zwischen der inneren Stimme als bloßer Erscheinung des Ich, als dessen leere Hülle, Hülse oder Wunschbild, oder der inneren Stimme als das „wirkliche“ Ich, das sich selbst ist. Denn bei der Einschätzung seiner Selbst als bloße „Erscheinung“ ist der Abstand zur Vollkommenheit unüberwindbar, so dass Demut im rituellen Nachvollzug die einzig mögliche Haltung ist. Im Gegensatz dazu steht die innere Stimme als das „wirkliche“ Ich, die Schönwiese als „der andere“ bezeichnet, der im Vergleich zur bloßen Erscheinung seiner selbst nicht nur „anders“ ist, sondern sich auch als solcher versteht und konkret begreift. Deshalb trifft „Demut“ auf diesen „anderen“ nicht zu, denn das würde einer Selbstverleugnung gleichkommen, aber auch ebenso „Überheblichkeit“, denn als „Meister“ prahlt man nicht mit seiner Meisterschaft, sondern wirkt einfach im Vollzug seiner selbst. Diese Distanz - nicht so sehr zu Lawrence, sondern zu den engagierten Schreihälsen oder zu den kultisch irregeleiteten Nachplappernden unserer Zeit - mit dem so einfach lautenden Vers „Für den anderen gibt es weder Demut, noch Überheblichkeit“ zum Ausdruck gebracht zu haben, gibt das Feingefühl von Schönwieses poetischer Meisterschaft zu erkennen. Denn die Meisterschaft manifestiert sich darin als Grat- 13 Giorgi Schischkoff: Philosophisches Wörterbuch, 21. Aufl. (Stuttgart: Alfred Kröner Verlag, 1978) 113. Klaus Weissenberger 222 wanderung zwischen den zwei Extrempositionen, ohne überhaupt genannt zu werden. Lawrences schärfster häretischer Ausbruch in Schönwieses Auswahl seiner Gedichte trägt den Titel „Das Gebet des Herrn“: Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit. Geheiliget werde dein Name, der du namenlos bist. Gib, o gib mir, außer meinem täglichen Brot, mein Reich, meine Kraft und meine Herrlichkeit. Alle Dinge, dir zugekehrt, haben ihr Reich, ihre Kraft und ihre Herrlichkeit. Wie das Reich der Nachtigall in der Dämmerung, deren Kraft und Herrlichkeit ich oft gehört und gefühlt habe. Gleich dem Reich des Fuchses in der Dunkelheit, bellend in seiner Kraft und seiner Herrlichkeit, Tod bedeutend der Gans. Wie die Kraft und die Herrlichkeit der Wildgans, die im Nebel über dem See ihren Schrei ausstößt. Und ich, ein Mensch in seiner Blöße, rufe, rufe zu dir um mein Manna, mein Reich, meine Kraft und meine Herrlichkeit. (L. 133) Bei diesem Gedicht handelt es sich um eine Neuschreibung des Vaterunsers, die zum Teil auf Umstellungen von ursprünglichen Versen des Gebets, Umformulierungen und Erweiterungen besteht. So beginnt das Gedicht mit der Doxologie, die eigentlich als Abschluss des Gebets die Antwort der Gemeinde und ihr Einverständnis bekundet, doch jetzt ohne diesen Kontext ist, als ob sie zur Diskussion stünde, und das tut sie auch. Doch bevor dies stattfindet, folgt die erste Du-Bitte mit der Erweiterung „der du namenlos bist“, die eine der Grundvorstellungen Lawrences von Gott und den Göttern darstellt, aber natürlich im Widerspruch zur Heiligung von Gottes Namen steht. Auf diese Anmaßung folgt im Zusammenhang mit der ersten Wir-Bitte, der um das tägliche Brot, die zur Wir-Bitte umformulierte Doxologie „Gib mir, o gib mir, [...] mein Reich, meine Kraft und meine Herrlichkeit“. Das repräsentiert, rein äußerlich gesehen, eine unerhörte Anmaßung, jedoch, rein innerlich gesehen, äußerstes Vertrauen auf Gott, ihm das zu gewähren, was er, wie danach beschrieben wird, Nachtigall, Fuchs und Wildgans gewährt. Der Dichter versteht sich als vox clamantis in deserto, in seiner Person Moses und Johannes, den Täufer verbindend, rufend „um mein Manna, mein Reich, meine Kraft und meine Herrlichkeit“ - ein Ruf von so viel Gottvertrauen, Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 223 dass er auf diese widersinnigste Weise zugleich die Zuversicht seiner Erfüllung beinhaltet. Bei Schönwiese tritt eine derartige Umkehrung der Doxologie als paradoxe Ausdeutung seiner zum Aphorismus verdichteten Ablehnung des Ratioiden: „Leben ist tiefsinnige Sinnlosigkeit“, auf: Schenk mir, o schenk mir den Mut und die Kraft zu der Herrlichkeit des Nicht-Sinns! (Sch. 278) Auch Schönwiese verkehrt die Doxologie zur Bitte, um zumindest für sich, entgegen dem orthodoxen christlichen Gottesverständnis, die Erfahrung des „Nicht-Sinns“ als Gottesannäherung in Anspruch zu nehmen. Was bei Lawrence eine eher konkret bildhafte Form annimmt, stellt sich bei Schönwiese, analog zu einem magister ludi, als Gedankenspiel auf höchster mystischer Erfahrungsebene dar. Dieser Unterschied wird besonders deutlich in Lawrences vielen Vergegenwärtigungen antiker Mythen - von Hermes, Aphrodite, den Argonauten, Odysseus, den griechischen Helden - und am deutlichsten in der Vergegenwärtigung des „lebendigen Gottes“. PAX Alles, worauf es ankommt, ist, eins zu sein mit dem lebendigen Gott, ein Geschöpf zu sein im Haus des Gottes des Lebens. Wie eine Katze, die auf dem Stuhl eingeschlafen ist, friedlich, in Frieden und eins mit dem Herrn des Hauses, mit der Herrin, daheim, daheim im Haus des Lebendigen, schlafend am Herd und gähnend vor dem Feuer. Schlafend am Herd der lebendigen Welt, gähnend daheim vor dem Feuer des Lebens und die Gegenwart des lebendigen Gottes fühlend wie eine unerschütterliche Gewißheit, eine tiefe Ruhe im Herzen, Gegenwart des Herrn, der am Tisch sitzt in seinem eigenen größeren Sein im Hause des Lebens. (L. 131) Mit welch einfachen Worten und alltäglichen Bildern spricht Lawrence das größte Problem des Menschen aus! In seinem Aufsatz „Religiös sein“ hat er es so direkt gesagt: „Gott ist, und wir wissen’s alle. Das Problem ist jedoch: wie gelangt man zu ihm. Das ist das größte Problem, das je uns Menschen gestellt wurde. Wie soll der Mensch sich zu Gott in Beziehung bringen, in lebendige Beziehung? Das heißt: wie soll der Mensch Gott finden? Das ist das Klaus Weissenberger 224 eigentliche Problem“. 14 Lawrence hat den Mut, mit Bildern aus dem alltäglichen Leben jedes Menschen die Gegenwart des „lebendigen Gottes“ vor unseren Augen entstehen zu lassen, und dies geschieht, indem er an rein sinnlich-emotionalen Bildern der im Haus von Herr und Herrin friedlich schlafenden Katze die Beziehung zwischen Mensch und Gott so detailliert als häusliche Geborgenheit darstellt, dass sie sich zur effektiven Gegenwart verdichtet. Denn so wie sich die Katze instinktiv „schlafend am Herd und gähnend vor dem Feuer“, daheim fühlt, so fühlt sich der Mensch - „im Hause des Lebens“ -, „schlafend am Herd der lebendigen Welt, gähnend daheim vor dem Feuer des Lebens“ und nimmt „die Gegenwart des lebendigen Gottes [...] wie eine unerschütterliche Gewißheit“ wahr. Die Gotteskindschaft wird als intensives Friedenserlebnis mit sich und der Welt und im Einklang, „friedlich, in Frieden und eins“ mit Gott erfahren, wie in der direkten Beziehung von Moses zu Gott, aus der auch das Zusammen der „Tischgemeinschaft“ und der aarontische Segen stammen: „Der Herr segne dich und behüte dich; der Herr lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig; der Herr hebe sein Angesicht über dich und gebe dir Frieden“ (4. Mose 6, 24- 26). Es ist diese elementare Gotteserfahrung, die für Lawrence die Gegenwart Gottes zu erkennen gibt. Schönwiese dagegen lässt uns an der Prozesshaftigkeit seiner Gottsuche teilnehmen, die vom Ich-Bezug über das Du zur Ich-Auflösung führt: Manchmal presse ich die Hände gegen meine Lippen, um meine Sehnsucht zu ersticken. Dann endlich erinnere ich dich, aber mit keinem Namen, nur mit der tiefen Gewißheit fühlbarer Einheit. Wenn das Kartenhaus meines Ichs endgültig einstürzt in mir, gibt es keinen mehr, nur noch die reine Seligkeit. (Sch. 298) Die drei Strophen dieses Gedichts beginnen jeweils mit einer Zeitangabe, die von „machmal“, über „dann endlich“ zu einem unbestimmten, in einem Wenn-Satz artikulierten Zeitpunkt gipfeln und die drei Stadien oder Stufen des mystischen Prozesses repräsentieren: Erstens die Erfahrung des Dualismus zwischen Immanenz und Transzendenz, die als ein existentielles Ausgeliefertsein empfunden wird, zweitens die visio, die dem Bedürfnis und der Bereitschaft nach Überwindung des Dualismus entspringt und als ein erstes 14 Zitat aus zweiter Hand: Ernst Schönwiese: “Im Namen des Lebens. Der Dichter David Herbert Lawrence. Sein Werk und sein Lebensgefühl”, Kunstprosa, hg. v. Joseph P. Strelka (Innsbruck u. Wien: Berenkamp, 2009) 179. Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 225 Eins-Sein mit dem Göttlichen zu verstehen ist, und schließlich das Leben auf die unio hin, in dem die Totalität der menschlichen Bewusstseins- und Erfahrungskräfte auf das Ziel der dauernden Gotteinung ausgerichtet ist. Sehr wichtig bei dieser Schematisierung des mystischen Prozesses ist die Tatsache, dass sie keine notwendig stattfindende Abfolge implizieren. Entsprechend stellt die erste Strophe das Überwältigtsein von der Erfahrung des existentiellen Dualismus dar und die Sehnsucht, dieses Ausgeliefertsein zu überwinden; doch die Geste, die Sehnsucht nach Erlösung durch das Zupressen der Lippen zu ersticken, verweist in diesem körperlichen Rückbezug auf das prinzipielle Problem der Ich-Verhaftung. Erst die Erinnerung als Er-Innerung oder Verinnerlichung des Du stellt den ersten Schritt zur Ich-Überwindung dar. Zwar bedauert der Initiand noch, dem Du keinen Namen geben zu können, doch die „tiefe Gewißheit fühlbarer Einheit“ - Lawrence hat dies „eine unerschütterliche Gewißheit“ genannt - weist den spirituellen Weg. Das „Wenn“, mit dem die letzte Stufe der Erleuchtung eingeleitet wird, ist sowohl konditional als auch temporal zu verstehen, denn ihre Erfüllung ist an die „endgültige“ Ich-Aufgabe, das „Einstürzen des Kartenhauses des Ichs“, gebunden. Folglich „gibt es keinen mehr“ zu diesem Zeitpunkt: persönliche Identität und historische, chronologische Zeit sind aufgehoben im Zustand „reiner Seligkeit“ oder der „All-Einheit“. Es versteht sich von selbst, dass sowohl Lawrences ekstatisches Lebens- und Gottesverständnis als auch Schönwieses Epiphanien auf einem positiven Bezug zum Tod beruhen, indem ihr Wissen um den eigenen Tod sie zu ihrer kosmischen Sinngebung des Lebens inspiriert hat. Auch in ihren diesbezüglichen Gedichten manifestiert sich das Gegenüber von plastischer Konkretheit und mystischem Gedankenspiel. So ermahnt sich Lawrence, sein „Todesschiff zu bauen“ und „mit Nahrung, mit kleinen Broten und Wein für die dunkle Fahrt hinab ins Vergessen“ zu versehen (L. 139). Doch der Tod ist nur der Übergang vom „alten Ich (zum) neuen“ (L. 137), und es „löst sich ein Streif aus dem Dunkel [...] es kommt die Dämmerung, die grausame Dämmerung der Rückkehr ins Leben aus dem Vergessen“. Warte, warte, das kleine Schiff treibt dahin unter dem tödlichen aschigen Grau eines Dämmerns über der Flut. Warte, warte! Ein Schimmer von Gelb und seltsam, o frierende blasse Seele, ein Rosenschimmer. Ein Rosenschimmer, und alles beginnt von neuem. (L. 139) Mit dem Bild des „Rosenschimmers“ [„flush of rose“] vollzieht Lawrence eine Anverwandlung von Homers „rosenfingriger Eos“ aus der Odyssee und verleiht seiner Auffassung von der menschlichen Wiedergeburt dadurch Überzeugungskraft, dass diese als mythische Gesetzmäßigkeit der von Odysseus täglich erfahrenen Wiedergeburt des Tages aus der Nacht entspricht. Klaus Weissenberger 226 Dagegen vertraut Schönwiese darauf, dass das von ihm in seiner Dichtung gesagte seinen Tod überdauern wird. Wieviel Zeit bleibt mir? Die Tage sind gezählt. Es werden immer weniger. Ich möchte so vieles noch sagen. Aber wie viele Brücken aus Worten Werde ich nicht mehr betreten! Doch ich werde nie aufhören, auch schweigend alles zu sagen. (Sch. 294) Das irdische Dasein des Menschen wird primär quantitativ bemessen, sowohl zeitlich als auch leistungsmäßig. Entsprechend stellt sich die Frage nach der verbleibenden Lebenszeit, der Wunsch „so vieles noch zu sagen“ und der Kummer „wie viele Brücken von Worten nicht mehr zu betreten“, in anderen Worten, die Vermittlerrolle zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos mit Hilfe der Dichtung nicht mehr ausüben zu können. Doch die ihm aus der Erleuchtung erwachsene Botschaft ist eben nicht an profane Maßstäbe gebunden und bedarf nicht eines akustisch wahrnehmbaren Mediums, sondern kann schweigend vernommen werden und darüber hinaus nicht additiv, sondern ungeteilt als „alles“, weil sie aus der Erfahrung der All-Einheit hervorgegangen ist. Das von Schönwiese für seine Lawrence-Übertragungen ausgewählte Titelgedicht „Der Atem des Lebens“ soll als Abschluss seines Dialogs mit Lawrence dienen, obwohl Schönwiese kein Gedicht verfasst hat, das in direktem, allerhöchstens indirektem Bezug zu diesem steht. Der Atem des Lebens ist in den scharfen Winden der Verwandlung vermischt mit dem Atem der Vernichtung. Aber wenn du tiefes, köstliches Leben atmen willst, sei nur Atmen, schweigend, im Dunkel, und sorge dich nicht. (L. 129) Ganz bestimmt hat dieses Gedicht Schönwiese an Goethes Gedicht „Im Atemholen sind zweierlei Gnaden“ aus dem West-östlichen Divan erinnert. Und ebenso sicher ist es, dass die Bedeutung von Atem und Atmen für die indischen und fern-östlichen Lehren und deren Meister Schönwiese bei seiner Titelwahl entscheidend beeinflusst haben. Doch auch unabhängig davon zeigt das Gedicht Lawrences unmissverständliche Hingabe an das Leben in seinem Wechselspiel zwischen Geburt und Tod, wobei die Sorge um das Sterben die meisten Menschen daran hindert, wirklich zu leben. Von daher ist Lawrences Ermunterung zu verstehen, „schweigend, im Dunkel“ - hinhörend und innerlich sehend - sich nur dem „Atem des Lebens“ hinzugeben, also ohne Angst vor dem Tod. Schönwiese hat im Liebesakt die Möglichkeit gesehen, „daß eines im anderen stirbt und in dem Tode ein Drittes wird: das Schönwiese im Dialog mit Jiménez und D.H. Lawrence 227 Kind“. Doch die meisten „verweigern den Tod! “ und sind daher „zu zweit einsamer als allein“. Das ist für Schönwiese die Erbsünde der Menschheit, ihr Unwillen, über den Ich-Verlust eine Ich-Erweiterung zu erfahren, der den Fluch der Vertreibung aus dem Paradies zur Folge hatte und dadurch der Menschheit als solcher die natürliche, direkte Gemeinschaft mit Gott versagt hat, die nur noch von den wenigen, von Jiménez als „ungeheure Minorität“ Bezeichneten, wahrgenommen werden kann. Sie wollen nicht mehr sterben. Jetzt traf sie der Fluch: nicht mehr sterben zu können! (Sch. 287) Im spirituellen Gegensatz zu diesem Fluch trifft der folgende Dreizeiler von Jiménez auf das poetische Selbstverständnis aller drei Dichter zu: Buch, Verlangen, überall zu sein, in Abgeschiedenheit! (J. 73) Die Autoren Emery GEORGE, geboren in Budapest, Jahrgang 1933, ist ordentlicher Professor emeritus für deutsche Sprache und Literatur an der University of Michigan, Ann Arbor. Seine Forschungsinteressen finden sich innerhalb des 18. und früheren 19. Jahrhunderts, außerdem im Bereich der Komparatistik und der mitteleuropäischen Lyrik des 20. Jahrhunderts. Hauptveröffentlichungen: 28 Bücher, unter denen 3 Bände Literaturkritik, 3 Bände Übersetzungen aus dem Werk zeitgenössischer ungarischer Lyriker (Miklós Radnóti, János Pilinszky), 9 Bände eigener Lyrik und 6 Bände über Hölderlin, einschließlich, in Zusammenarbeit mit D. E. Sattler, Homburger Folioheft, Faksimile-Edition (Frankfurter Hölderlin-Ausgabe, Supplementband III). Georges Übersetzungsband: Friedrich Hölderlin, Selected Poems, Bilingual Edition, ist soeben erschienen bei Kylix Press, Princeton. Kontakt: eegeorge@hotmail.com Wolfgang GREISENEGGER, geboren 1938, Studium der Theaterwissenschaft, Kunstgeschichte und Deutschen Philologie an der Universität Wien. Promotion 1964 über den Wandel der Farbigkeit auf dem Theater vom Mittelalter bis zur Goethezeit. Habilitation 1977. Seit 1982 Vorstand des Instituts für Theaterwissenschaft der Universität Wien. Ordentlicher Universitätsprofessor seit 1986. Dekan der Grund- und Integrativwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien 1989 - 1994. Prorektor der Universität Wien von 1994 - 1998, Rektor von 1998-99. Dekan der Fakultät für Human- und Sozialwissenschaften 2000-2004. Korrespondierendes Mitglied der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Theaterkritiker. Autor. Regisseur Kontakt: wolfgang.greisenegger@univie.ac.at Karl S. GUTHKE, born 1933, was trained at the universities of Heidelberg, Texas (M.A.), and Göttingen (Ph.D.). Appointmens at the University of California (Berkeley) and at the University of Toronto; since 1968 at Harvard University. Research interests: the literary and cultural history of the several German-speaking countries in its social context. Publications about pre- Romanticism, Lessing, Haller, Hauptmann, literary life in the eighteenth century, tragicomedy, and literature after "the death of God." Numerous publications, more recently about Goethes Weimar und die grosse Öffnung in die weite Welt; Epitaph Culture in the West; Lessings Horizonte: Grenzen und Grenzenlosigkeit der Toleranz; Schillers Dramen, enlarged edition; Die Erfindung der Welt: Globalität und Grenzen in der Kulturgeschichte der Literatur; and Sprechende Steine: Variationen über ein Thema der Kulturgeschichte. Kontakt: guthke@fas.harvard.edu Matthias KORGER, geboren 1938 in Wien, Studien in Philosophie, Psychologie, Pädagogik, Vergleichende Religionswissenschaft, Theologie, Deutsche Literatur, Geschichte, Kunstgeschichte in Wien und Paris. Promotion in Phi- 230 Die Autoren losophie 1966 in Wien über Augustins Erkenntnislehre. 1968 und 1969 Postgraduate-Studien an der Ecole des Hautes-Etudes. 1970 bis 2000 Tätigkeit als Beamter an der österreichischen Nationalbibliothek (Leiter der Abteilung Sacherschließung, Fachreferent für Philosophie). Arbeiten zu Augustinus, die Beziehung zwischen Leopold Ziegler und den Autoren der integralen Traditon im Rahmen von Leopold Ziegler. Gesammelte Werke und von Leopold Ziegler, Beiträge zum Werk (Königshausen & Neumann, Würzburg). Erste umfassende Darstellung von Werk und Leben Guénons in deutscher Sprache in vier Folgen der Zeitschrift GNOSTIKA (2007-2008) sowie von Schönwiese als Esoteriker (GNOSTIKA 2005). Kontakt: dr.korger@gmail.com Wynfrid KRIEGLEDER, geb. 1958, Studium der Germanistik und Anglistik, seit 1997 a. o. Univ.-Prof. am Institut für Germanistik der Universität Wien. Lehr- und Forschungstätigkeit am Berea College (Kentucky, USA), der Duke University, der Yale University, der University of Kansas, den Universitäten Szeged, Osijek, Wroclaw, Antwerpen, Bern, La Sapienza (Rom). Forschungsschwerpunkte: Deutsche und österreichische Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, Imagologie, Erzählliteratur. Veröffentlichungen: Aufsätze zum deutschen Amerikabild, zur deutschen und österreichischen Literatur des 18. bis 20. Jahrhunderts. Zuletzt: (Hrsg. mit Andrea Seidler und Jozef Tancer): Deutsche Sprache und Kultur im Raum Pest, Ofen und Budapest. Bremen: edition lumière 2011, Eine kurze Geschichte der Literatur in Österreich. Menschen - Bücher - Institutionen. Wien: Praesens 2011. Kontakt: wynfrid.kriegleder@univie.ac.at Traci S. O’BRIEN is Associate Professor of German at Auburn University in Auburn, Alabama, and holds academic degrees from the Graduate Center, City University of New York. She has published articles on women’s writing and foreign language pedagogy. Her recent book project, entitled Enlightened Reactions: Emancipation, Gender, and Race in German Women's Writing, came out with Peter Lang in 2011. Kontakt: tso0001@auburn.edu Naser SECEROVIC arbeitet als Oberassistent für neuere deutsche Literatur an der Abteilung für Germanistik der Philosophischen Fakultät Sarajevo. Sein Hauptinteresse gilt der Literatur der Moderne, speziell dem Einfluss von gnostischem Gedankengut auf das Werk Hermann Brochs. Außerdem befasst er sich mit der Motiv- und Stoffforschung, vor allem im Zusammenhang mit dem Faust-Mythos, sowie dem Golem- und Homunkulusstoff. Kontakt: naser.secerovic@lol.ba Ilona SLAWINSKI, geboren 1954. Studium der Slawistik und Kunstgeschichte an der Universität Wien. Studienaufenthalte an den Universitäten in Die Autoren 231 Moskau, Warschau und Ljubljana. Ausbildung für den Bibliotheks-, Dokumentations- und Informationsdienst. 1982-2006 wissenschaftliche Mitarbeiterin des Österreichischen Ost- und Südosteuropa-Instituts, von 2002-2006 deren stellvertretende Direktorin. Seit 1989 Betreuung von Mitarbeiter/ innen der Österreich-Bibliotheken im Auftrag des Bundesministeriums für europäische und internationale Angelegenheiten und seit 1997 Organisation von internationalen Seminaren für Mitarbeiter/ innen der Österreich-Bibliotheken. Seit 1998 Mitglied des Vorstandes der Vereinigung österreichischer Bibliothekare. Seit 2007 Leiterin des Zentrums Ost-/ Südosteuropa an der NÖ Landesakademie und seit 2011 Betreuung der Auslandskultur beim Amt der NÖ Landesregierung. Kontakt: office@noe-zos.at Joseph P. STRELKA, geboren 1927 in Wiener Neustadt, 1937 bis 45 Bundesgymnasium Wiener Neustadt, 1945 bis 50 Studium der Germanistik und Philosophie an der Universität Wien. Später Leiter der literaturwissenschaftlichen Arbeitsgemeinschaft am Institut für Wissenschaft und Kunst in Wien. Zwischendurch ein Forschungsjahr in Paris. Ab 1964 Lehrtätigkeit in den USA, zuletzt als Professor für Deutsche und Vergleichende Literaturwissenschaft an der State University of New York. Gastprofessor in West- Berlin, Augsburg, Parma und Johannesburg. Vorträge in beiden Amerikas, in Südostasien, Israel und in fast allen Staaten Europas. Verfasser und Herausgeber vieler Bücher und einiger Buchreihen über Literaturgeschichte und Literaturtheorie. Erhielt vier Festschriften. Österreichisches Bundesverdienstkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse und andere Auszeichnungen. Kontakt: strelka@aon.at Robert G. WEIGEL, geboren 1961, Studium der Geschichte und deutschen Literatur an der University at Albany, SUNY. Lehrt seit 1993 deutsche Sprache und Literatur an der Auburn University in Alabama. Publikationen vor allem zur österreichischen Literatur des 20. Jahrhunderts, zuletzt als Herausgeber eines Sammelbandes über Arthur Koestler (Tübingen, Francke 2009). Kontakt: weigerg@auburn.edu Klaus WEISSENBERGER, geb. 1939. Seit 1971 Professor der Germanistik an der Rice University in Houston, Texas. Buchpublikationen: Formen der Elegie von Goethe bis Celan (1969), Die Elegie bei Paul Celan (1969), Zwischen Stein und Stern. Mystische Formgebung bei Else Lasker-Schüler, Nelly Sachs und Paul Celan (1976). Editionen: Die deutsche Lyrik von 1945 bis 1975: Zwischen Botschaft und Spiel (1981), Prosakunst ohne Erzählen. Die Gattungen der nicht-fiktionalen Kunstprosa (1985); außerdem für die neue Ausgabe von Wilhelm Lehmanns Werken dessen Roman Der Provinzlärm (1986). Mitherausgeber der Festschrift für Joseph P. Strelka Ein Leben für Dichtung und Freiheit (1996). Autor von Aufsätzen zur Lyrik, Exilliteratur und nicht-fiktionalen Kunstprosa. Kontakt: klausw@rice.edu Personenregister Ackroyd, Peter, 122 Addison, Joseph, 23 Adorno. Siehe Wiesengrund, Theodor Aichinger, Ilse, 60 al-Alawi, Mustafa (Scheich), 175 Aler, Jan, 63 Altdorfer, Albrecht, 117 Altenberg, Peter, 51 Améry, Jean, 23, 46, 49, 58 Apollinaire, Guillaume, 128 Apostata, Julian, 135 Aristoteles, 25, 37, 172 Artmann, Hans Carl., 60 ash-Shādhilī, Abu'l-Hasan, 170 Asselineau, Roger, 66 Assisi, Franz von, 54 Auden, Wystan Hugh, 122 Auerbach, Erich, 37 Auerbach, Günter, 29 Bachmann, Ingeborg, 60 Baeumer, Max L., 118 Bahr, Ehrhard, 38 Baker, Carlos, 67 Barlach, Ernst, 116, 154, 177 Barnhill, David Landis, 125 Barnstone, Willis, 118 Barthes, Roland, 192 Bashō, Matsuo, 123, 125, 126, 155, 156 Basil, Otto, 53, 61 Baudelaire, Charles, 19, 30, 31 Bauer, Margaret, 68 Beck, Adolf, 111 Beckmann, Heinz, 82 Becsi, Kurt, 145 Beer-Hofmann, Richard, 23, 58 Beißner, Friedrich, 111 Beit, Hedwig von, 94 Benda, Oskar, 10, 52, 54, 55, 62 Benjamin, Walter, 143, 206 Benn, Gottfried, 21, 109 Bergammer, Friedrich, 10, 48, 49, 58, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 87, 88, 194 Bernhard von Clairvaux, 157 Bernhard, Thomas, 60 Best, Alan, 63 Bethge, Hans, 123 Beulwitz, Caroline von, 25 Bindschedler, Maria, 20 Bjorklund, Beth, 63, 74, 75, 76, 81, 82 Blei, Franz, 61, 153 Bloch, Ernst, 206 Bloom, Harold, 17 Boccaccio, Giovanni, 136 Böckmann, Paul, 124 Boehme, Jakob, 157 Böhlendorff, Casimir Ulrich, 124 Bohr, Niels, 39 Borchardt, Rudolf, 76, 109 Born, Nicolas, 29, 83 Boyle, Nicholas, 17 Boym, Svetlana, 17 Braun, Felix, 145, 194 Brecht, Bertolt, 143, 145 Bremer, Kai, 19 Broch, Hermann, 7, 10, 12, 22, 23, 29, 30, 39, 42, 43, 44, 46, 49, 57, 58, 59, 60, 61, 74, 75, 78, 84, 150, 153, 155, 184, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201 Brod, Max, 45, 77, 85, 122 Brodsky, Joseph, 9, 18, 24, 36 Brokoph-Mauch, Gudrun, 74 Browning, Robert, 28 Buber, Martin, 23, 40, 41, 43, 49, 58, 79, 85, 122, 154, 157, 166 Büchner, Georg, 145 Buddha, 124, 157 Büllesbach, Claudia, 210 Burckhardt, Jacob, 169 Burckhardt, Titus, 169, 182 Bürger, Gottfried August, 25 Bürgin, Kurt, 150 Burmester, Gustav, 149 Busta, Christine, 60 Buzzati, Dino, 135 Calvin, Johannes, 96 Canetti, Elias, 46, 49, 58, 192, 193 Celan, Paul, 60, 98 Cézanne, Paul, 116 234 Personenregister Chamberlain, Lesley, 17 Chang, Garma, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 167, 187 Chü-i, Po, 123, 124, 155 Cicecero, Marcus Tullius, 37 Claudel, Paul, 23, 47, 48, 49, 58, 87, 88 Coomaraswamy, Ananda, 168, 169, 170 Corbière, Tristan, 31 Cordan, Wolfgang, 30, 135 Crashaw, Richard, 28 Curtius, Ernst Robert, 29, 34, 35, 181 Dannhauer, Heinz-Martin, 110 Dante, Alighieri, 19, 33, 112, 119, 136, 137, 138 Däubler, Theodor, 51 Daviau, Donald G., 63 David, Jakob Julius, 51 Davis, Natalie Zemon, 126 de Boor, Helmut, 38 de la Grange, Henry-Louis, 123 Dirac, Paul, 39 Dirda, Michael, Dirda, 17 Doderer, Heimito von, 52 Dominik, Emil, 17 Donne, John, 28, 29, 35 Doppler, Alfred, 39, 58 Dryden, John, 28 Dschuang Tse, 157 Dumoulin, Heinrich, 124 Dürer, Albrecht, 116, 206 Dürrenmatt, Friedrich, 11, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150 Dvořák, Antonin, 86 Ebner, Jeannie, 60 Eckhart, Meister, 122, 154, 157, 179 Eich, Günter, 145 Einstein, Albert, 39 Eisenreich, Herbert, 53, 56 Eliot, Thomas Stearns, 9, 20, 21, 24, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 122 Erling, Katharina, 116 Erné, Nino, 136, 138, 140 Eskin, Michael, 18 Evans-Wentz, Walter Yeeling, 156, 158 Everding, August, 146 Fa-Tsang, 159 Faulkner, William, 7, 30, 61 Fliedl, Konstanze, 60 Fontane, Theodor, 17 Frank, Armin Paul, 29 Frenz, Horst, 29 Fried, Erich, 60, 61 Friedell, Egon, 145 Friedrich, Hugo, 10, 19, 111, 120, 122, 128 Frisé, Adolf, 43 Fritsch, Gerhard, 60 Fu T’ai-yuan, 156 Fu-ta-schih, 156 Garland, Henry und Mary, 109 George, Emery, 11, 12, 114, 116, 118, 129 George, Mary W., 109 George, Stefan, 135, 181 Gide, André, 30, 61, 65, 69, 70, 71, 72, 74, 89 Gindele, Sonja, 196 Glückselig, Fritz. Siehe Bergammer, Friedrich Gochiku, 156 Goethe, Johann Wolfgang, 17, 19, 23, 24, 26, 33, 38, 39, 42, 44, 85, 86, 88, 101, 102, 109, 115, 116, 182, 183, 192, 226 Goetz, Curt, 145 Golffing, Ralf, 31 Gottsched, Johann Christoph, 37 Grab, Hermann, 61, 85 Grappin, Pierre, 118 Gray, Terrence, 162, 185 Greisenegger, Wolfgang, 7, 11 Grierson, Herbert J.G., 28 Grimm, Jacob und Wilhelm, 93 Grünbein, Durs, 8, 9, 18, 19, 20, 21, 24, 36 Grunow, Werner, 149 Guardini, Romano, 117, 118 Guénon, René, 12, 157, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, Personenregister 235 175, 178, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187 Gunert, Johann, 74 Gurlitt, Wilhelm, 154 Guthke, Karl, 7, 8, 9, 17, 50 Guttenbrunner, Michael, 48, 49, 58 Hamann, Johann Georg, 38, 48, 182 Hansel, Michael, 31, 32, 166 Hauptmann, Gerhart, 145 Hayden-Roy, Priscilla A., 122 Hegner, Jakob, 182 Heidegger, Martin, 48 Heine, Steve, 124 Heinse, Wilhelm, 118 Heisenberg, Werner, 23, 39, 40, 42, 49, 58 Heller, Arno, 66 Heller, Erich, 21, 36, 66 Hemingway, Ernest, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 74, 134 Hennecke, Hans, 28, 29, 30, 31, 32, 34, 35 Hensen, Herwig, 9 Herder, Johann Gottfried, 37, 38, 45, 48, 182 Hermann, Armin, 40 Herrigel, Eugen, 176, 185 Hiller, Leonie, 32 Hirsch, Eric Donald, 17 Hofer, Fürchtegott, 149 Hoffmeister, Gerhart, 28 Hofmann, Michael, 18 Hofmannsthal, Hugo, 23, 24, 52, 55, 56, 60, 61, 109, 145 Hölderlin, Friedrich, 11, 19, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 115, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 164 Holthusen, Hans Egon, 29 Holton, Milne, 63 Holzer, Fritz, 146 Homer, 225 Horace. Siehe Horaz Horaz, 37 Horch, Hans-Otto, 110 Hörchinger, Martin, 149 Horschitz, Annemarie, 67 Huang Po, Hsi-yün, 163 Humboldt, Wilhelm, 23, 38, 39, 45, 58 Ibn al-Arabi, Muhyīuddīn, 171 Ikkyū, Sōjun, 123, 155 Ingarden, Roman, 192 Ivask, Ivar, 52, 53, 80 Jäger, Hanns Ernst, 146 Jandl, Ernst, 60 Jaszi, Andrew, 23 Jens, Walter, 19 Jiménez, Juan Ramón, 9, 12, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 227 Joachim von Fiore, 158 Johannes der Täufer, 204, 222 Johnson, Samuel, 28 Joyce, James, 7, 30, 61 József, Attila, 124 Jung, Carl Gustav, 40, 153 Kafka, Franz, 10, 20, 23, 44, 45, 48, 49, 58, 61, 63, 77, 78, 85, 86, 88, 100 Kaiser, Wolf, 149 Kasack, Hermann, 145 Kastely, James L., 71 Kavafis, Konstantinos, 30 Kayser, Wolfgang, 20 Kenner, Hugh, 31, 110, 125 Kermode, Frank, 28 Kern, Emmy, 146 Kessler, Herbert, 44, 58 Keyserling, Hermann (Graf), 173 Killy, Wather, 121 King, Stephen, 17 Kirsch, Adam, 18 Klabund, 145 Klein, Johannes, 76 Kleinschmidt, Karl, 48, 58 Kleist, Heinrich von, 24, 145, 214 Klemm, Reinhold, 135, 153, 154 Koestler, Arthur, 156 Kokoschka, Oskar, 116, 119, 121, 129 Kong Ka (Lama), 158, 160 Koopmann, Helmut, 24 Korger, Matthias, 7, 12, 165, 186 Korzybski, Alfred, 162 236 Personenregister Kosinski, Jerzy, 17 Kosztolányi, Dezső, 123 Kracauer, Siegfried, 206 Kraft, Werner, 47, 49, 58 Kräftner, Herta, 60 Krämer, Olav, 19 Kraus, Karl, 22, 58, 145 Kriegleder, Wynfrid, 7, 10, 51 Kuang-wen, Yen-Chi, 123 Kuhner, Herbert, 63 Laforgue, Jules, 31 Lang, Hans-Joachim, 29 Lang, Siegfried, 12, 20, 165, 167, 169, 170, 174, 178, 179, 181, 182, 183, 186, 187 Lanman, Charles Rockwell, 122 Lao Tse, 124, 157 Laotse. Siehe Lao Tse Lavant, Christine, 60 Lawrence, David Herbert, 9, 12, 13, 58, 65, 72, 73, 74, 80, 83, 203, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 223, 224, 225, 226 Lenau, Nikolaus, 51 Leonardo, da Vinci, 117 Lernet-Holenia, Alexander, 61, 181 Levetzow, Ulrike von, 101 Littlejohn, David, 69 Lohner, Edgar, 19 Lorrain, Claude, 118 Lubomirski, Karl, 37, 47 Lützeler, Paul Michael, 42, 44, 191 Maertens, Willy, 149 Maharshi, Ramana, 185 Mahler, Alma, 116, 119, 123 Mahr, Hans, 146 Malaparte, Curzio, 135 Mallarmé, Stéphane, 31 Mann, Heinrich, 145 Mann, Thomas, 100, 145, 193 Mansfield, Katherine, 67 Marinetti, Filippo Tommaso, 143 Mayröcker, Friederike, 60 Menzel, Adolph, 116 Merian, Maria Sybilla, 126 Mérimée, Prosper, 138 Merz, Carl, 56 Meyer, Conrad Ferdinand, 136, 138 Meyers, Jeffrey, 68 Meyrink, Gustav, 85 Michelangelo Buonarotti, 117 Milarepa, Jetsün, 156, 157 Milton, John, 28 Mitterer, Erika, 194 Mozart, Wolfgang Amadeus, 86 Musil, Robert, 7, 10, 23, 43, 44, 46, 48, 49, 57, 58, 59, 60, 61, 71, 72, 78, 100, 153, 184, 185, 193, 194 Nadler, Josef, 54, 62 Nakagawa Roshi, Soen, 162 Neruda, Jan, 86 Nestroy, Johann, 51, 145 Netzer, Remigius, 121 Neuffer, Christian Ludwig, 120 Neugroschel, Joachim, 128 Neumann, Erich, 23, 40, 41, 49, 58, 59 Newald, Richard, 38 Newton, Isaac, 39, 192 Nicolás, Antoino T. de, 204 Nietzsche, Friedrich, 20, 21, 32, 173 Nikolaus von Kues, 172 Noelte, Rudolf, 146 Novalis, 19, 22 Nussbaum, Martha C., 17 O’Brien, Traci, 8, 10 Okopenko, Christoph, 60 Opel, Adolf, 73, 74 Opitz, Martin, 37 Ortega y Gasset, José, 34 Otto, Martin, 178 Otto, Rudolf, 203 Pamuk, Orhan, 26 Papajewski, Helmut, 66 Pascal, Blaise, 23, 47, 49 Pauli, Wolfgang, 39 Petersen, Jürgen H., 37, 38 Peyre, Henri, 72 Pick, Otto, 87 Piontek, Heinz, 118 Platen, August Graf von, 111 Plato, 20 Poe, Edgar Allan, 19, 30 Politzer, Heinz, 19, 194 Personenregister 237 Polt-Heinzl, Evelyne, 60 Pound, Ezra, 110, 125 Préau, André, 12, 165, 174, 178, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187 Prokesch-Osten, Anton von, 51 Proust, Marcel, 7, 30, 70 Qualtinger, Helmut, 56 Raffael (Santi), 206 Raimund, Ferdinand, 51 Reuss, Theodor, 118 Rilke, Rainer Maria, 21, 30, 35, 60, 85 Roček, Roman, 144, 145 Roither, Eva, 32 Rotter, Werner, 166 Ryōkan, 156 Saar, Ferdinand, 51 Sacher-Masoch, Leopold, 51 Sattler, Dietrich E., 111, 117, 120 Schaeder, Grete u. Hans Heinrich, 29 Schankara, Adi, 156, 157 Schestow, Lew, 23, 48, 58 Schiller, Friedrich, 19, 24, 25, 26, 27, 28, 36 Schindler, David Christopher, 87 Schings, Hans-Jürgen, 20 Schischkoff, Giorgi, 221 Schlegel, Friedrich, 19, 24 Schlüter, Marguerite, 154 Schmitz, Oskar A.H., 52 Schnitzler, Arthur, 145 Schönwiese, Ernst, 7, 8, 9, 10, 11, 12, 13, 17, 18, 19, 20, 21, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 42, 43, 44, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 93, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 103, 104, 106, 109, 110, 111, 112, 113, 115, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 129, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 140, 142, 143, 144, 145, 146, 147, 148, 149, 150, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 222, 223, 224, 225, 226, 227 Schröder, Ernst, 149 Schröder, Rudolf Alexander, 31, 109 Schulz, Walter, 42 Schumann, Willi, 146 Schuon, Frithjof, 12, 165, 167, 168, 169, 170, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 186 Schwarz, Egon, 53 Sealsfield, Charles, 51 Secerovic, Naser, 7, 12, 191 Sengle, Friedrich, 79 Shakespeare, William, 28, 33 Shankara, Adi, 171, 183, 186 Simmel, Georg, 102 Sinclair, Isaak von, 117 Slawinski, Ilona, 9, 133 Smetana, Friedrich, 86 Solon, 20 Sowinetz, Kurt, 146, 148 Spengler, Oswald, 173 Stahl, Ernest Ludwig, 115 Steenken, Eduard H., 169 Steiner, Franz Baermann, 30 Stewart, Matthew, 68 Stifter, Adalbert, 51, 63 Stollberg, Rikki, 146 Strelka, Joseph Peter, 7, 9, 12, 20, 21, 24, 32, 40, 41, 43, 44, 46, 51, 54, 63, 64, 65, 66, 69, 70, 71, 72, 78, 79, 82, 83, 84, 85, 86, 109, 111, 113, 116, 121, 122, 124, 135, 150, 153, 154, 156, 165, 166, 167, 168, 183, 191, 193, 198, 199, 201, 206, 224 Strigl, Daniela, 60 Strong, Amy Lovell, 68 Suzuki, Daisetz Taitaro, 159, 162, 176, 185 Szabo, Wilhelm, 74 238 Personenregister Széll, Zsusza, 46 Szklenar, Hans, 121 Tarvas, Mari, 53 Tennyson, Alfred, 28 Therese von Avila, 157 Torberg, Friedrich, 10, 73, 78, 79, 84, 85 Trakl, Georg, 47, 61, 121, 211 Turrini, Peter, 61 Unamuno, Miguel de, 34 Ungar, Frederick, 63, 80 Urzidil, Johannes, 10, 78, 85, 86, 87, 88, 102 Valéry, Paul, 30, 34 Venusti, Marcello, 117 Vergil, 33 Viebrock, Helmut, 29 Viertel, Berthold, 145 Vietta, Egon, 192 Vivenza, Jean-Marc, 180 Waldinger, Ernst, 60, 194 Walter, Otto, 146 Wedl, Martin, 166 Weidlé, Wladimir, 203 Weigel, Hans, 145 Weigel, Robert, 7, 9, 37, 66, 109 Weismann, Willi, 30 Weiss, 7, 8 Weiss, Winfried, 23 Weissenberger, Klaus, 9, 11, 12, 66, 93, 109, 121, 203 Wei-Wu-Wei, 162, 163. Siehe Gray, Terrence Wellek, René, 50 Welles, Orson, 143 Werfel, Franz, 24, 60, 61, 116 Weyrer, Ursula, 7, 25, 31, 32, 61, 64, 66, 72, 73, 75, 76, 196 Wiegmann, Hermann, 37 Wieland, Christoph Martin, 146 Wilder, Thornton, 61 Wilkomirski, Binjamin, 17 Wilpert, Gero von, 37 Wimmer, Paul, 111, 154, 201 Winckelmann, Johann Joachim, 24 Windhager, Juliane, 10, 78, 79, 83, 84 Winkler, Johann, 116 Winter, Rudolf, 146 Wolfe, Thomas, 61 Wolfschütz, Hans, 63 Xingjian, Gao, 8, 10 Yeats, William Butler, 30 Yüan-ming, Tao, 123, 155 Ziegler, Leopold, 12, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 172, 173, 174, 178, 182, 183, 184, 186 Zimmer, Elisabeth und Ernst, 113 Zweig, Stefan, 145 Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Postfach 25 60 · D-72015 Tübingen · Fax (0 7071) 97 97-11 Internet: www.francke.de · E-Mail: info@francke.de Der Band versammelt kritische Beiträge zu Leben und Werk Arthur Koestlers. Durch Ausleuchtung mannigfacher Aspekte seines umfangreichen literarischen und politisch motivierten essayistischen Werkes sowie der wissenschaftstheoretischen Schriften und Rezeptionsgeschichte ergibt sich eine überblicksartige Zusammenschau des Koestlerschen Œuvres. Untersucht werden dabei Facetten seiner von der Erfahrung des Totalitarismus und des Exils geprägten, turbulenten Lebensgeschichte; die literarische Verarbeitung der Rußlandreise bzw. der kommunistischen Jahre in der Trilogie Die Gladiatoren, Sonnenfinsternis, Ein Mann springt in die Tiefe; die Autobiografie sowie jene theoretischen Schriften, die nicht nur Koestlers Interesse an Psychologie sondern auch seine Kritik am Reduktionismus der modernen Wissenschaft widerspiegeln; und nicht zuletzt die Arbeiten zur Parapsychologie, mit der er jenen reduzierenden Verabsolutierungstendenzen entgegen zu wirken versuchte und deren Förderung er sich am Ende und gleichsam als letztes Ziel seines Schaffens widmete. Der Band wird abgerundet durch komparatistisch angelegte Studien, die u.a. Koestlers Beziehung zu Manès Sperber, aber auch seine Nähe zu dem Werk Hermann Brochs hervorheben. Robert G. Weigel (Hg.) Arthur Koestler: Ein heller Geist in dunkler Zeit Vorträge des Internationalen Arthur Koestler-Symposiums der Universität Auburn 2007 Edition Patmos, Band 13 2009, 223 Seiten, €[D] 39,00/ SFr 66,00 ISBN 978-3-7720-8312-9 056109 Auslieferung Mai 2009.indd 11 09.06.2009 7: 39: 17 Uhr