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Wechselkurse des Vertrauens

2013
978-3-7720-5478-5
A. Francke Verlag 
Klaus Müller-Wille
Joachim Schiedermair

Dass Finanzkrisen tiefe gesellschaftliche Vertrauenskrisen auslösen und ganze Länder in den Ruin treiben können, ist keineswegs erst seit den ökonomischen Turbulenzen der letzten beiden Jahrzehnte bekannt. Schon in früheren Jahrhunderten wurde eingehend über die Gefahr von Staatsverschuldung, Spekulations wesen und globalen Finanzströmen diskutiert. Dagegen mag es überraschen, dass sich ausgerechnet Autoren und Autorinnen, die traditionell Romantik und Biedermeier zugerechnet werden, in ihren Erzählungen und Dramen intensiv mit Fragen von Ökonomie und gesellschaftlichem Vertrauen auseinandergesetzt haben. Der vorliegenden Band versucht dies an Schriften aus dem dänischen und schwedischen Idealismus zu belegen, wobei u.a. Texte von Hans Christian Andersen, Thomasine Gyllembourg und Søren Kierkegaard behandelt werden. Dabei wird auch nachgewiesen, welch nachhaltigen Einfluss dieses Thema auf die Schreibweise der Autorinnen und Autoren ausübte. Immerhin mussten sie in dieser Zeit lernen, sich mit ihren Produkten auf einem zusehends über ökonomische Prozesse regulierten literarischen Markt zu etablieren.

A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL BEITRÄGE ZUR NORDISCHEN PHILOLOGIE 51 Dass Finanzkrisen tiefe gesellschaftliche Vertrauenskrisen auslösen und ganze Länder in den Ruin treiben können, ist keineswegs erst seit den ökonomischen Turbulenzen der letzten beiden Jahrzehnte bekannt. Schon in früheren Jahrhunderten wurde eingehend über die Gefahr von Staatsverschuldung, Spekulationswesen und globalen Finanzströmen diskutiert. Dagegen mag es überraschen, dass sich ausgerechnet Autoren und Autorinnen, die traditionell Romantik und Biedermeier zugerechnet werden, in ihren Erzählungen und Dramen intensiv mit Fragen von Ökonomie und gesellschaftlichem Vertrauen auseinandergesetzt haben. Der vorliegenden Band versucht dies an Schriften aus dem dänischen und schwedischen Idealismus zu belegen, wobei u.a. Texte von Hans Christian Andersen, Thomasine Gyllembourg und Søren Kierkegaard behandelt werden. Dabei wird auch nachgewiesen, welch nachhaltigen Einfluss dieses Thema auf die Schreibweise der Autorinnen und Autoren ausübte. Immerhin mussten sie in dieser Zeit lernen, sich mit ihren Produkten auf einem zusehends über ökonomische Prozesse regulierten literarischen Markt zu etablieren. Klaus Müller-Wille (geb. 1966) Lehrstuhlinhaber für Nordische Philologie an der Universität Zürich, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Skandinavische Romantik, Skandinavische (Neo)Avantgarden, Theorien zu Schrift und Schreiben, Buchästhetik. Joachim Schiedermair (geb. 1969) Lehrstuhlinhaber für Neuere Skandinavische Literaturen an der Universität Greifswald, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Bild-Text-Bezüge in der skandinavischen Literatur der Moderne, Skandinavische Romantik, Alteritäts- und Fremdheitskonzepte, Säkularisierung als Narration. Müller-Wille/ Schiedermair (Hrsg.) Wechselkurse des Vertrauens Klaus Müller-Wille / Joachim Schiedermair (Hrsg.) Wechselkurse des Vertrauens Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus (1800-1870) 034713 Nord. Phil. 51 - Müller-Wille_034713 Nord. Phil. 51 - Müller-Wille Umschlag 22.04.13 17: 18 Seite 1 Wechselkurse des Vertrauens Beiträge zur Nordischen Philologie Herausgegeben von der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien Redaktion: Oskar Bandle †, Jürg Glauser, Silvia Müller, Klaus Müller-Wille, Hans-Peter Naumann, Barbara Sabel, Thomas Seiler Beirat: Michael Barnes, François-Xavier Dillmann, Stefanie Gropper, Annegret Heitmann, Andreas G. Lombnæs Band 51 · 2013 A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL Klaus Müller-Wille / Joachim Schiedermair (Hrsg.) Wechselkurse des Vertrauens Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Gedruckt mit Unterstützung der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. © 2013 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Werkdruckpapier. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Druck und Bindung: Laupp & Göbel, Nehren Printed in Germany ISSN 1661-2086 ISBN 978-3-7720-8478-2 Titelbild: Schwedische Banknote von 1836 Quelle: Fotografie von Uppsala universitets myntkabinett Die Beiträge dieses Bandes gehen auf die skandinavistische Tagung „Wechselkurse des Vertrauens. Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus (1800-1870)“ zurück, die vom 25. bis 28. September 2010 an der Nordischen Abteilung der Universität Greifswald stattfand. Für die Unterstützung bei der Durchführung der Tagung bedanken wir uns bei der Ernst-Moritz-Arndt- Universität Greifswald. Wir danken den Beiträgern dieses Bandes, dass sie uns ihre Artikel zur Verfügung gestellt haben. Bei den allfälligen Korrektur- und Layout-Arbeiten des Bandes hat uns Johannes Hunziker tatkräftig unterstützt. Wir bedanken uns herzlich für sein Engagement. Weiterhin bedanken wir uns bei dem Leiter des Münzkabinetts der Universität Uppsala Hendrik Mäkeler, der uns Fotografien ausgesuchter schwedischer Banknoten zur Verfügung gestellt hat, welche das Verhältnis zwischen Ökonomie und Vertrauen auf anschauliche Art illustrieren. Für die Finanzierung des Bandes, der den Mitgliedern der Schweizerischen Gesellschaft für Skandinavische Studien als Jahresgabe zur Verfügung gestellt wird, bedanken wir uns schliesslich bei der Schweizerischen Akademie für Geistes- und Sozialwissenschaften. Klaus Müller-Wille (Zürich) und Joachim Schiedermair (Greifswald) Dank ....................................................................................................................................................V K LAUS M ÜLLER -W ILLE , J OACHIM S CHIEDERMAIR Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung .....................................................................IX I. Natürliche Prosperität - Politische Ökonomien der Romantik ..............................1 B ERIT G LANZ , G REIFSWALD Natürliche Armut und reiche Natur - Naturkonzepte als Ökonomiekritik im skandinavischen Idealismus ....................................................................................................3 J ONAS A SKLUND , H ALMSTAD Legitimitet och likviditet. Om kungamaktens värde i Carl Fredrik Dahlgrens Mollbergs epistlar ................................26 II. Zirkulation und Gabe - Modelle gesellschaftlichen Vertrauens ......................... 49 J OACHIM S CHIEDERMAIR , G REIFSWALD Der Kaufmann von Kopenhagen. Geld und Gabe in Thomasine Gyllembourgs Novelle Jøden (1836) ................................ .51 S OPHIE W ENNERSCHEID , G ENT Haben oder Nichthaben. Zur Zirkulation der Werte in H.C. Andersens At være eller ikke være (1857) ...................69 A NA -S TANCA T ABARASI -H OFFMANN , M AINZ „Was in der Welt der Endlichkeit das Geld ist, sind geistlich die Begriffe“. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs über das Erkennen der religiösen Wahrheit .....88 III. Produktion und Produktivität - Ökonomien der Autorschaft ........................ 119 A NNEGRET H EITMANN , M ÜNCHEN „Og indrette Alt til alle Parters Tilfredshed“. Liebes- und Produktionsdiskurse in Thomasine Gyllembourgs Montanus den Yngre ............................................................... 121 F REDERIKE F ELCHT , B ERLIN „Man er for Verden, hvad Verden troer om En! “ - Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier .........................................................................142 IV. Phantom Publikum - Ungedeckte ästhetische Werte ......................................... 163 F LORIAN B RANDENBURG , B ERLIN Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur. Zu Figuren des Ökonomischen in Carsten Hauchs Slottet ved Rhinen (1845) ..............165 K LAUS M ÜLLER -W ILLE , Z ÜRICH Ende gut, alles gut? Das Imaginäre der Ökonomie und die Konstitution des Populärtheaters (Fasting, P.A. Heiberg, Overskou, Hertz) ........................................193 K LAUS M ÜLLER -W ILLE UND J OACHIM S CHIEDERMAIR Seit Valdemar Vedels Doktorarbeit Studier over Guldalderen i dansk Digtining 1 aus dem Jahr 1890 hat man sich daran gewöhnt, die Epoche der dänischen Kulturgeschichte von 1800 bis 1850 mit Ovids Topos vom Goldenen Zeitalter in Verbindung zu bringen. Doch zunächst wollte Vedel gar nicht auf Ovid anspielen, sondern eine Parallele zur künstlerischen Blütezeit in den Niederlanden des 17. Jahrhunderts etablieren, eine Parallele, der das Rijksmuseum in Amsterdam und Statens Museum for Kunst in Kopenhagen im Jahr 2001 in einer sehenswerten Ausstellung nachgegangen sind. 2 In beiden Fällen steht die Metapher in einem eigentümlichen Missverhältnis zur dänischen Realität im 19. Jahrhundert. In den Niederlanden führte der wirtschaftliche Aufschwung im 17. Jahrhundert zu neuen Käuferschichten, so dass das Aufblühen von Kunst und Kultur unmittelbar an merkantilen Erfolg geknüpft war. Im Dänemark des frühen 19. Jahrhunderts dagegen musste die Kultur das Angebot einer Gegengeschichte zum ökonomischen Niedergang mit dem Staatsbankrott im Jahr 1813 machen. Geld als Möglichkeitsbedingung von Kultur - dieses Denkmodell des niederländischen Goldenen Zeitalters passt wiederum nicht zu Ovids aurea aetas. So taucht das Gold in den Metamorphosen überhaupt erst im Eisernen Zeitalter auf: [M]an drang in der Erde Geweide. Schätze, die tief sie versteckt und den stygischen Schatten genähert, Grub man hervor - dem Schlechten zum Anreiz; das schädliche Eisen Ist schon getreten ans Licht und - schädlicher noch als das Eisen - Auch das Gold. 3 Überhaupt erinnert Ovids Entwurf dieser dritten Epoche eher an die in Dänemark langsam einsetzende Industrialisierung und ihre Ausbeutung natürlicher Ressourcen. Und auch der sich akzelerierende Globalisierungsprozess mit seinem sich ausweitenden Welthandel, der die Basis des bürgerlichen Wohlstandes bildet, steht Ovids Paradiesesvision entgegen - so erwähnt er explizit, dass die Menschen der aurea aetas noch keine Schiffe kannten. In der Metapher des Goldenen Zeitalters 1 Valdemar Vedel: Studier over Guldalderen i dansk Digtning. Kopenhagen: 1890. 2 Ragni Linnet, Lene Bøgh Rønberg und Kasper Monrad (Hg.): Two Golden Ages. Masterpieces of Dutch and Danish Painting. Amsterdam, Kopenhagen: 2001. 3 Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Lateinisch - deutsch. Hg. von Erich Rösch. München, Zürich: 1992 (I, 138-142). Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair X treffen also zwei entgegengesetzte Diskursstränge aufeinander: Aufstrebende Ökonomie und Globalisierung auf der niederländischen Seite, vorkapitalistische Regionalität auf der Ovidschen. Nun verlieh Vedel die Bezeichnung Goldenes Zeitalter der dänischen Kunst der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erst nachträglich und in einem melancholischen Bewusstsein der eigenen Nachzeitigkeit. Doch schon die zeitgenössische Literatur selbst hatte die Verstrickung von wirtschaftlichem und künstlerischem Erfolg nostalgisch reflektiert, was Adam Oehlenschlägers Drama Correggio (1811) 4 in paradigmatischer Weise illustriert: Der Künstler Correggio schleppt sich am Ende des Dramas an einem Sack mit Geld zu Tode, also am finanziellen Ertrag seiner Kunst, die der bisher in Armut lebende Künstler so dringend herbeisehnte. 5 Geld wird also gleichzeitig als Katalysator und als das Andere der Kunst konzipiert. Doch zu dieser ästhetischen Pointe gesellt sich eine politische: Correggios Tod tritt in einem Moment ein, als bereits ein Bote des Herzogs von Mantua unterwegs ist, der ihn an den herzoglichen Hof ziehen will, womit Correggio seiner finanziellen Probleme enthoben wäre. Herzogliche Gnade und großzügiges Mäzenatentum stellt Oehlenschläger gegen und über die Logik des Kommerzes, der als berechnend und intrigant gekennzeichnet wird und (indirekt) den Tod des Künstlers verantwortet. Das Drama platziert sich damit nostalgisch in einen sozialen Kontext, der durch den Übergang von absolutistisch organisierten zu liberal-bürgerlichen Gesellschaften geprägt ist. Bekanntermaßen ist dieser Prozess von einem ausgeprägten monetären Diskurs durchzogen; Niklas Luhmann zufolge fungiert er sogar als der entscheidende Motor bei der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft. 6 Doch genauso wichtig für diesen Übergang ist der Vertrauensdiskurs, der den ökonomischen Diskurs entscheidend flankiert. Der Konnex leuchtet in Zeiten nach der Finanzkrise unmittelbar ein, ist eine bestimmte Währung doch nur so lange Wertmedium, solange ihr Vertrauen entgegengebracht wird. Die regulative Macht des Geldes ist demnach nicht autopoetisch, sondern getragen von sozial ausgehandelten Vertrauensstrukturen. Ab dem 19. Jahrhundert wurde Vertrauen - so argumentieren historische Studien - „als eine Kapitalform“ angesehen, „die die Transaktionskosten gering zu halten verspricht“. 7 Eine der wichtigsten Aufgaben eines Akteurs auf den 4 Adam Oehlenschlæger: „Correggio“. In: Ders.: Poetiske Skrifter. Hg. v. H. Topsøe-Jensen. Bd. IV. Kopenhagen: 1928. S. 263-430. 5 Die tragische Anekdote übernimmt Oehlenschläger aus Giorgio Vasaris Vite, sie hat jedoch nichts mit Correggios wahrem Leben gemein. 6 Niklas Luhmann: Die Wirtschaft der Gesellschaft. Frankfurt a. M.: 1988. 7 Ute Frevert: „Vertrauen. Historische Annäherungen an eine Gefühlshaltung“. In: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Hg. von Claudia Benthien. Köln, Weimar, Wien: 2000, S. 178-197, hier S. 188. Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung XI Finanz- und Wirtschaftsmärkten bestand seither in der symbolischen Markierung von Liquidität, lies: von Vertrauenswürdigkeit. Es leuchtet demnach unmittelbar ein, den Vertrauensbegriff literatursoziologisch für die Rekonstruktion der sich im 19. Jahrhundert wandelnden ökonomischen Situation innerhalb des literarischen Felds fruchtbar zu machen - eine Situation, die Oehlenschlägers oben genanntes Drama anklingen lässt: Bekanntermaßen geht die Literatur im 19. Jahrhundert auf den Markt. Mit der Herausbildung einer liberalen Presse wird die Schriftstellerei zu einem Beruf, der seinen Mann / seine Frau ernähren kann. Diese Transformation bringt die neue Rolle des integren Intellektuellen-Künstlers hervor, der die Abhängigkeit von möglichen Mäzenen und damit die Verpflichtung ihnen gegenüber abgeworfen hat und sich nun als selbständiger Akteur auf der kulturellen Bühne geriert. Deshalb muss der Künstler verschleiern, dass seine neue Freiheit nur durch die Unterwerfung unter die apersonalen Mechanismen des Marktes erkauft wurde, einer Logik, die nicht mehr wie im Feudalismus über die Repräsentation von Fülle und Grandeur königlicher Macht organisiert ist, sondern über die Logik der Knappheit der zur Verfügung stehenden Güter und der Knappheit der Mittel, sie zu erwerben. Die Vertrauenswürdigkeit des Künstlers basiert somit auf einer Selbstinszenierung, die seine Unabhängigkeit von Mäzen und Markt markiert. So evident also der Konnex zwischen Vertrauen und Ökonomie per se ist und so evident er auch für das literarische Feld zu sein scheint, so wenig wurde er in der Literaturwissenschaft bisher thematisiert. Dies liegt wohl an dem eigentümlichen Ungleichgewicht, mit dem die beiden Diskurse je für sich bisher in den Philologien behandelt wurden. So kann das Wechselverhältnis zwischen Literatur und Ökonomie als etablierte Forschungsperspektive mit respektablen Ergebnissen gelten (siehe den Überblick unten), wohingegen Vertrauen als Untersuchungskategorie in den Literaturwissenschaften bisher kaum Beachtung geschenkt wurde. Diese Beobachtung trifft für andere Disziplinen nicht zu. Man kann geradezu von einer „explosionsartigen Veröffentlichungswelle“ 8 in verschiedenen Bereichen - in der Philosophie, der Soziologie, den Politik- und Wirtschaftswissenschaften, der Psychologie, der Theologie - sprechen. 9 Im Folgenden sollen aus der Fülle der Einfallswinkel drei Aspekte des Themas angerissen werden, die für die Literaturwissenschaft eine Rolle spielen könnten. 8 Martin Hartmann: „Einleitung“. In: Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts. Hg. von Ders. und Claus Offe. Frankfurt a.M., New York: 2001, S. 7-34, hier S. 7. 9 Eine gute Einführung in die Beschäftigung mit dem Thema Vertrauen in den genannten Disziplinen bietet der Reader von Hartmann und Offe (Hg.): Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts. Als Indiz für die Virulenz des Themas soll noch auf das interdisziplinäre Forschungsprojekt Vertrauen verstehen. Grundlagen, Formen und Grenzen des Verstehens hingewiesen werden, das von 2009 bis 2012 an der Universität Zürich verortet war. Beteiligt waren dort Forschende der Neuroökonomie, der empirischen Wirtschafts forschung, der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, der Soziologie, Psychologie, Religions philosophie, Theologie und Religionswissenschaft. - - Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair XII 1. Vertrauen als Phänomen der Moderne: Oehlenschlägers Beispiel und der angedeutete Konnex zur Marktsituation legt es nahe, Vertrauen als eine Kategorie aufzufassen, die eine besondere Relevanz für den Modernisierungsschub in der Mitte des 19. Jahrhunderts spielte. So sieht etwa Georg Simmel, einer der Stammväter des Modernisierungsnarrativs, im Vertrauen die soziale Ressource schlechthin, die sich im Zuge der funktionalen Ausdifferenzierung und der damit einhergehenden Versachlichung der Beziehungen in modernen Gesellschaften von personalen Vertrauensbeziehungen zu Systemvertrauen gewandelt hat; 10 anschaulicher ausgedrückt: in modernen Gesellschaften wird Vertrauen nicht mehr vorrangig mit persönlicher Bekanntschaft motiviert, egal ob es sich auf den Nachbarn, den Händler an der Ecke, den Feudalherren oder auf die Güte eines personal gedachten Gottes bezieht, vielmehr setzt man Vertrauen in die Engmaschigkeit des sozialen Netzes, in die selbstregulierenden Kräfte der Märkte, auf die Unabhängigkeit von Entscheidungsgremien o.ä. 11 Anthony Giddens Untersuchung The Consequences of Modernity (1990) gehört zu den prominentsten Fortführungen dieses Ansatzes. Bei ihm stellt sich als die „Hauptbedingung der Vertrauenserfordernisse [...] das Fehlen vollständiger Informationen“ dar, 12 eine Situation, die sich mit der zunehmenden Komplexität moderner Gesellschaften verschärft: So verlangt das Agieren in komplexen Situationen ein Expertenwissen, das der Einzelne nicht überprüfen kann, sondern auf dessen Validität er sich verlassen muss. Vertreter des soziologischen Modernisierungsnarrativ gehen demnach davon aus, dass ab dem 19. Jahrhundert ein gesteigerten Bedarf an Vertrauen zu erwarten sei, weil moderne Gesellschaften aufgrund ihrer Organisation in unabhängige Funktionsbereiche auf eine starke Spezialisierung angewiesen sind. 2. Zur Geschichte des Vertrauens: Soziologische Modernisierungstheorien haben - trotz der zeitlichen Verlaufsform ihres Evolutionsmodells - einen systemischen Anspruch. Aufgrund des hohen Abstraktionsgrades jedoch müssen die von ihnen konstatierten Verlaufsformen am historischen Quellenmaterial reifiziert werden. Dies leisten in Bezug auf den Vertrauensbegriff die Arbeiten, die im Umfeld von Ute Frevert entstanden sind. Die Historikerin Frevert hat die wechselnden Semantisierungen und symbolischen Inszenierungen des Vertrauensdiskurses in verschiedenen Studien 13 untersucht und dabei einen entscheidenden Funktionswandel im 19. Jahr- 10 Georg Simmel: Soziologie. Untersuchung über die Formen der Vergesellschaftung. Hg. von Otthein Rammstedt. Frankfurt a.M.: 1992, S. 393 und 394 (= Gesamtausgabe, Bd. 11). 11 Eine Variante der Depersonalisierung des Vertrauens arbeitet Jan Philipp Reemtsma heraus, wenn er die These vertritt, dass sich das Gottesvertrauen am Ende des 18. Jahrhunderts auf den Glauben an die Nation und die von ihr garantierte Rechtsordnung verlagert habe. - Jan Philipp Reemtsma: Vertrauen und Gewalt. Versuch über eine besondere Konstellation der Moderne. Hamburg: 2008. 12 Anthony Giddens: Konsequenzen der Moderne. Frankfurt a.M.: 1995, S. 48. - Siehe auch Ders.: „Risiko, Vertrauen, Reflexivität“. In: Reflexive Modernisierung. Hg. von Ulrich Beck, Anthony Giddens und Scott Lash. Frankfurt a.M.: 1996, S. 316-337. 13 z. B.: Ute Frevert: „Vertrauen in historischer Perspektive“. In: Politisches Vertrauen. Soziale Grundlagen reflexiver Kooperation. Hg. von Rainer Schmalz-Bruns und Reinhard Zintl. Baden- Baden: 2002, S. 39-59. - Dies: „Vertrauen - eine historische Spurensuche“. In: Vertrauen. Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung XIII hundert nachweisen können, der seine Relevanz gerade für den eben erwähnten Prozess entfaltet: War Vertrauen zuvor noch überwiegend theologisch eingefärbt, wird es im bürgerlichen Zeitalter zu einem zentralen Begriff, der Ökonomie, Politik, Religion, familiäre Strukturen und (im „Selbstvertrauen“) das bürgerliche Selbstverständnis verbindet. Wie die Modernisierungstheorien macht also auch Frevert einen Bruch im 19. Jahrhundert aus, nicht aber weil sie ein gesteigertes Bedürfnis für Vertrauen konstatiert, sondern weil sich der Zielpunkt und der Umfang der betroffenen Diskurse verändern, in denen der Ausdruck „Vertrauen“ eine Rolle spielt. Dies belegen vor allem die zahlreichen Beiträge der von Frevert herausgegebenen Anthologie Vertrauen. Historische Annäherungen (2003). Der Schwerpunkt liegt zugegebenermaßen vor allem auf Themenbereichen des 20. Jahrhunderts (um nur einige zu nennen: Waffenrecht, Innere Mission, Physiognomik, Kernenergie), behandelt werden aber auch die Frage, ob und wie Vertrauen im Mittelalter zu denken sei 14 oder wie Vertrauen im Kontext der Gelehrtenkorrespondenz der Frühen Neuzeit konzipiert ist. 15 In der Summe der Beiträge kann die Anthologie demnach der These nicht unbedingt zustimmen, Vertrauen sei ein Phänomen, das erst in der Moderne zu sich selbst gefunden hätte. Man kann folglich behaupten, dass die historischen Arbeiten zur Geschichte des Vertrauens ihren Ausgang bei den theoretisch-systemischen Vorgaben der Soziologie nehmen, diese letztlich aber relativieren. Die wenigen literaturwissenschaftlichen Arbeiten, die bisher den Begriff des Vertrauens untersuchten, nehmen vor allem in Ute Freverts Begriffsgeschichte ihren Ausgangspunkt und verstehen sich als Beiträge zur Literaturgeschichte. 16 Historische Annäherungen. Hg. von Ute Frevert. Göttingen: 2003, S. 7-66. - Dies.: Does Trust Have a History? (= Max Weber Lecture Series No. 2009/ 01). San Domenica di Fiesole: 2009. - Dies.: „Wer um Vertrauen wirbt, weckt Misstrauen. Politische Semantik zwischen Herausforderung und Besänftigung“. In: Glanzlichter der Wissenschaft. Ein Almanach. Hg. von Deutscher Hochschulverband. Stuttgart: 2009, S. 49-55. - Dies.: „Trust as work“. In: Work in a modern society. The German historical experience in comparative perspective. Hg. von Jürgen Kocka. New York: 2010, S. 93-108. 14 Dorothea Weltecke: „Gab es ‚Vertrauen‘ im Mittelalter? Methodische Überlegungen“. In: Frevert (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen, S. 67-89. 15 Franz Mauelshagen: „Netzwerke des Vertrauens. Gelehrtenkorrespondenzen und wissenschaftlicher Austausch in der Frühen Neuzeit“. In: Frevert (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen, S. 119-151. 16 Bisher hat fast ausschließlich die Forschung zu Heinrich von Kleist den Vertrauensbegriff entdeckt. Schon 1938 entstand eine Studie zum Motiv des Vertrauens bei Kleist, 1949 wurde es gar Gegenstand einer Monographie. Des Themas angenommen hat sich in letzter Zeit die Germanistin Anne Fleig, die an einer „Literatur- und Kulturgeschichte des Vertrauens“ arbeitet. Neben einigen Aufsätzen, die z. T. noch nicht erschienen sind, hat sie in Zusammenarbeit mit Barbara Gribnitz die Tagung „gib mir Vertraun“ - Vertrauen im Werk Heinrich von Kleists und in der Literatur um 1800“ ausgerichtet. Einige der Vorträge wurden im Kleist-Jahrbuch 2012 abgedruckt. Anne Fleig: „Das Gefühl des Vertrauens in Kleists Dramen ‚Die Familie Schroffenstein‘, ‚Der zerbrochene Krug‘ und ‚Amphitryon‘“. In: Kleist-Jahrbuch (2008/ 09), S. 138-150. - Dies: „Achtung: Vertrauen! Skizze eines Forschungsfeldes zwischen Lessing und Kleist“. In: Kleist-Jahrbuch (2012), S. 329-335. - Christoph Gschwind: „Vertrauensbrüche als Anagnorisis in Schillers Dramen“. In: Kleist-Jahrbuch (2012), S. 336- 347. - Alexander Lahl: „‚...dass die Natur unseren Hoffnungen keine Grenzen gesetzt hat.‘ Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair XIV 3. Welterschließung: Vertrauen wird also zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich konzeptualisiert; doch man kann auch argumentieren, dass Vertrauen nicht nur in Zeitverläufe eingebettet sei, sondern in gewissem Sinn auf die Strukturierung von Zeit zurückwirke. Das Verdienst, dies herausgearbeitet zu haben, kommt Niklas Luhmann zu, der bereits 1968 eine der ersten Monographien über die Rekonstruktion von Vertrauensprozessen vorlegte. 17 Er versteht Vertrauen als Strategie der optionenreduzierenden Vorwegnahme, mit der der Vertrauende sein Zeiterleben bearbeitet. Dazu kombiniert er die Termini „künftige Gegenwarten“ und „gegenwärtige Zukunft“. Letzterer meint den Horizont potentiell unendlicher Möglichkeiten, auf den sich jede Gegenwart hin öffnet. Diese unübersichtliche Vielfalt potentieller Zukünfte wird als gefährdend erlebt, weil sie ein zielgerichtetes, die Optionen abwägendes Handeln in der Gegenwart unmöglich macht. Hier nun kommt bei Luhmann das Vertrauen ins Spiel: Die „Vertrauensbildung und -vergewisserung [befasst] sich mit dem Zukunftshorizont der jeweils gegenwärtigen Gegenwart. Sie versucht Zukunft zu vergegenwärtigen“, 18 d.h. die Komplexität der unendlich offenen gegenwärtigen Zukunft zu reduzieren, indem bestimmte Parameter - im Vertrauen auf andere Akteure oder wahrscheinliche Entwicklungen - ausgeschlossen werden. Vertrauen wird dementsprechend als Strategie der Komplexitätsreduktion definiert. Damit operationalisiert Vertrauen das Nicht-Wissen über möglicherweise entscheidende Parameter und die Ungewissheit über den Ausgang künftiger Prozesse und prozessiert so Handlungsoptionen in einer an sich unüberschaubaren Welt. Auch wenn Luhmann seine Studie im Kontext des Modernisierungsnarrativs verstanden haben will und damit zu den Positionen zu zählen ist, die unter 1 vorgestellt wurden, eröffnet die Analyse der Verstrickung von gegenwärtiger Zukunft und zukünftigen Gegenwarten den Blick auf die welterschließende Wirkung des Vertrauens. Diesen Aspekt streicht auch Anne Fleig heraus, wenn sie - ausgehend von Positionen der Aufklärung - Vertrauen als „Gefühlshaltung zwischen Wissen und Fühlen [konzipiert]. Es kann als Haltung zur Welt und damit als Form der Welterfassung gedeutet werden.“ 19 Man könnte hier den Begriff der „performativen Rück- Geschichtsvertrauen um 1800“. In: Kleist-Jahrbuch (2012), S. 366-380. - Jule Nowoitnick: „‚Denn deinem Engel kannst du dich sichrer nicht vertraun, als mir‘. Vertrauen als sprachlicher Akt bei Heinrich von Kleist“. In: Kleist-Jahrbuch (2012), S. 348-355. - Elke Pfitzinger: „Blindes Vertrauen? Die stabile Welt von Kleists ‚Das Käthchen von Heilbronn‘“. In: Kleist-Jahrbuch (2012), S. 356-365. - Pieter Fokko Schmith: Das Vertrauen in Heinrich von Kleists Briefen und Werken. Amsterdam: 1949. - Hermann J. Weigand: „Das Motiv des Vertrauens im Drama Heinrich von Kleists“. In: Monatshefte für deutschen Unterricht 30 (1938), S. 233-254. 17 Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. Stuttgart: 2000. 18 Luhmann: Vertrauen, S. 15. 19 Fleig: Achtung: Vertrauen! , S. 330. Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung XV koppelung“ 20 bemühen: Vertrauen vergegenwärtigt Zukunft, um dadurch gestalterisches Handeln im Jetzt zu ermöglichen. Dabei wird eine Welt produziert, die in gewissem Sinn das hervorbringt, worauf man sich bei der Produktion dieser Welt bereits verlassen hat. In einer performativen Volte bringt Vertrauen die Welt erst hervor, zu der es sich verhält. Vertrauen ist somit in einem Bereich zu verorten, in dem Fiktives in Reales umschlägt, besitzt demnach einen „Als-ob-Rang“ 21 und berührt damit ganz grundsätzlich Bereiche der Ästhetik. In den Problemkomplex der Welterschließung durch Vertrauen gehört auch die Gegenseite des Vertrauens, das Misstrauen. So wird diskutiert, wie sich Vertrauen und Misstrauen zueinander verhalten und wie sie durch den Mittelbereich des Zweifels miteinander verbunden sind. Ist die „Thematisierung von Vertrauen“ nicht „bereits eine Problemanzeige“, 22 mithin Zeichen von Zweifel, wenn nicht gar von Misstrauen? Argumentiert man so, wäre Vertrauen als präreflexiv zu fassen: Dass jemand einem anderen vertraut, wäre nur von außen, von einem Dritten, einem Beobachterstandpunkt aus festzustellen: „Der Handelnde nimmt typischerweise seine Haltung nicht als eine des Vertrauens wahr. Etwas als Vertrauen wahrzunehmen heißt, die Möglichkeit eines Verrats in Erwägung zu ziehen“. 23 Da narrative Texte gerade durch die Komplexität ihrer Kommunikationssituation charakterisiert sind, können sie in einem Zug die Perspektive des im Vertrauen Agierenden und des Beobachters behandeln und so die Überlappung von Vertrauen, Zweifel und Misstrauen textuell ausagieren. Nicht umsonst gehört zu den Grundtheoremen der Erzähltheorie sowohl die Metalepse wie der unzuverlässige Erzähler. Ganz anders als im Fall des Vertrauens sind in den letzten Jahrzehnten eine nicht mehr zu überschauende Vielzahl von literaturwissenschaftlichen Studien erschienen, 20 Er stammt aus Albrecht Koschorkes Narratologie und bezeichnet dort den Sachverhalt, dass im „Bereich sozialer Ontologie“ Repräsentationsformen häufig die Gegebenheiten erst erschaffen, die sie bezeichnen. Albrecht Koschorke: Wahrheit und Erfindung. Grundzüge einer Allgemeinen Erzähltheorie. Frankfurt a.M.: 2012, S. 23. 21 Der Ausdruck stammt aus einer Rezension von Josef Früchtl zu Martin Hartmanns Studie Die Praxis des Vertrauens. Früchtl selbst hat eine Studie zum Vertrauen aus der Perspektive einer Philosophie des Films erarbeitet. Der Verlag kündigt sie für März 2013 an, weshalb sie leider für diese Zusammenstellung von Positionen, die für die Literaturwissenschaften relevant sind, nicht berücksichtigt werden konnte. - Josef Früchtl: „Vertrauen bedeutet in der Praxis keine Zweifel zu haben“. http: / / www.faz.net/ -gr6-6euro8 (letzter Aufruf: 24.1.2013). - Ders.: Vertrauen in die Welt. Eine Philosophie des Films. München: [angekündigt für 2013]. - Martin Hartmann: Die Praxis des Vertrauens. Berlin: 2011. 22 Martin Endreß: „Vertrauen und Vertrautheit - Phänomenologisch-anthropologische Grundlegung“. In: Hartmann/ Offe (Hg.): Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts, S. 161-203. Hier: S. 203. 23 Olli Lagerspetz: „Vertrauen als geistiges Phänomen“. In: Hartmann/ Offe (Hg.): Vertrauen. Die Grundlage des sozialen Zusammenhalts, S.85-113. Hier: S. 113. Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair XVI die sich mit dem Wechselverhältnis von Literatur und Ökonomie beschäftigt haben. Dementsprechend wäre es schlichtweg vermessen, einen Forschungsüberblick präsentieren zu wollen. Dies gilt um so mehr, da es - entgegen dem Bemühen, unter dem Schlagwort des „New Economic Criticism“ ein neues methodisches Paradigma zu lancieren, 24 - kaum gelinge dürfte, dem breiten Forschungsfeld ein scharfes Profil zu verleihen. Die entsprechenden Untersuchungen sind vielmehr von einer Pluralität verschiedenster methodischer Ansätze gekennzeichnet, die von literatursoziologischen Betrachtungen über semiotische Reflexionen bis hin zu diskursanalytischen und wissenspoetologischen Modellen reichen. Ohne dieses Feld unterschiedlicher Theorien in irgendeiner Art abstecken zu wollen, seien in der Folge zumindest fünf der zentralen Forschungsthemen benannt, die insbesondere im Zusammenhang mit der romantischen Literatur Beachtung gefunden haben. 1. Literatur als Ware (Literatursoziologie): Das komplexe Wechselverhältnis von Ökonomie und Literatur zwischen 1800 und 1870 lässt sich kaum behandeln, ohne auf die gravierenden sozialhistorischen Veränderungen zu sprechen zu kommen, die - wie oben erwähnt - in diesem Zeitraum zur Konstitution eines eigenständigen literarischen Marktes in Skandinavien führen. 25 Überspitzt formuliert könnte man sagen, dass man erst in dieser Zeit mit Literatur Geld zu verdienen beginnt. Dabei wird die seltsame Verwandlung der Bücher in Waren von den Zeitgenossen durchaus aufmerksam und kritisch registriert. Auch die erste Generation der Autoren, denen es mehr oder weniger gelingt, sich allein von ihrem Schreiben zu ernähren, bleibt nicht von Polemik verschont. Die entsprechende Zäsur in der Geschichte des literarischen Handlungssystems ist nicht nur häufig beschrieben, sondern auch durch konkrete literatursoziologischen Fallstudien dokumentiert worden. So liegen nicht nur Arbeiten über die konkrete Ökonomie einzelner Autoren dieses Zeitraums vor, 26 auch die konkreten Geschäftsgrundlagen ganzer Verlage ist aufgearbeitet worden. 27 24 Vgl. Martha Woodmansee und Marc Osteen (Hg.): The New Economic Criticism. Studies at the intersection of literature and economics. London, New York: 1999. 25 Während die Geschichte des schwedischen Buchmarktes - und damit auch die verzögerte und langsame Ökonomisierung des literarischen Feldes in frühen 19. Jahrhundert - aufgrund der Forschungstätigkeit der Literatursoziologischen Abteilung am Literaturwissenschaftlichen Institut der Universität Uppsala verhältnismäßig gut dokumentiert ist, ist man in Dänemark auf allgemeine literaturhistorische Darstellungen angewiesen. Vgl. stellvertretend Bo Bennich-Björkman: Författaren i ämbetet. Studier i funktion och organisation av författarämbetet vid svenska hovet och kansliet 1550-1850. Stockholm: 1970; Johan Svedjedal: Almqvist - berättaren på bokmarknaden. Berättartekniska och litteratursociologiska studier i C.J.L. Almqvists prosafiktion kring 1840. Uppsala: 1987; Bo Bennich-Björkman: „Författarkarriär och litteraturfunktion i det äldre svenska samhället“. In: Litteratursociologi. Texter om litteratur och samhället. Hg. von Lars Furuland und Johan Svedjedal. Lund: 1997, S. 346-354. 26 Wieder sei auf die einschlägige Forschungstätigkeit der Literatursoziologischen Abteilung am Literaturwissenschaftlichen Institut der Universität Uppsala verwiesen. Für diesen Zeitraum exemplarisch: Svedjedal: Almqvist och bokmarknaden, und Carina Burman: Mamsellen och förläggarna. Frederika Bremers förlagskontakter 1828-1865. Uppsala: 1995. In Dänemark fehlen entsprechende Studien unseres Wissens. Selbst Informationen über Andersens Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung XVII Auch wenn keiner der in diesem Band versammelten Beiträge von diesem wichtigen literatursoziologischen Hintergrund absieht, finden sich doch keine Artikel, die alleine den veränderten soziologischen Rahmenbedingungen der Literatur gewidmet sind. Vielmehr konzentrieren sich die in diesem Band versammelten Aufsätze auf die Frage, inwiefern und auf welch unterschiedliche Art und Weise die neue Bedeutung von ökonomischen Prozessen in den literarischen Texten selbst verhandelt wird. 2. Monetärer und ästhetischer Wert: So bleibt die Ökonomisierung des literarischen Feldes selbstverständlich nicht ohne Folgen für grundlegende Überlegungen über den Wert und die Eigenartigkeit der literarischen Produktion. Schon 1981 hat Heinrich Bosse nachweisen können, wie eng etwa die neuen Vorstellungen vom Genie als ungebundener Produktionsinstanz literarischer Texte mit juristischen Konzepten von geistigem Eigentum und Urheberschaft korrespondieren. 28 Umgekehrt führt die Fixierung der Buchproduktion auf quantifizierbare ökonomische Werte relativ früh dazu, dass man sich über einen - eben von den ökonomischen Transaktionen unangetasteten - symbolischen Wert der Literatur zu verständigen beginnt. 29 Dieser Wert kann eben nicht in einfach definier- oder gar bezifferbaren Beträgen auf den Punkt gebracht werden, sondern findet seinen Ausdruck im vage bestimmten Kriterium der ästhetischen Qualität, dem man sich allenfalls interpretativ annähern kann. Die Relation zwischen dem ökonomischen und dem literarischen Handlungssystem ist mit anderen Worten durch eine Vielzahl von Widersprüchen gekennzeichnet. Die ökonomische Fundierung der Literatur trägt zunächst zu einer Autonomisierung des literarischen Handlungssystems bei. Der Versuch, sich von ökonomischen Rahmungen zu lösen, führt dagegen zu Bestrebungen, die Eigenständigkeit literarische Werte in kritischer Auseinandersetzung mit der Ökonomie zu definieren. Schließlich wiederum orientieren sich entsprechende Beschreibungen des symbolischen Werts der Literatur indirekt an Vorgaben aus der ökonomischen Ökonomie und sein weitverzweigtes Verlegernetz muss nach wie vor mühsam aus dessen Briefen oder Rezeptionsstudien rekonstruiert werden. Hersholt, Jean (Hg.): Hans Christian Andersen og Horace Scudder. En Brevveksling. Kopenhagen: 1948; Bredsdorff, Elias: H.C. Andersen og England. Kopenhagen: 1954; Ivy Møller-Christensen: Den gyldne trekant. H.C. Andersens gennembrud i Tyskland 1831-1850. Odense: 1992. Dagegen ist ausgerechnet die ökonomische Ausnahmesituation Kierkegaards verhältnismäßig gut erschlossen. Frithiof Brandt und Else Rammel: Søren Kierkegaard og Pengene. Kopenhagen: 1935. 27 Petra Söderlund: Romantik och förnuft. V.F. Palmblads förlag 1810-1830. Stockholm: 2000. 28 Heinrich Bosse: Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit. Paderborn: 1981. 29 Grundlegend zum Verhältnis dieser Wertvorstellungen vgl. John Guillory: Cultural Capital. The Problem of Literary Canon Formation. Chicago, London: 1993; die Gültigkeit dieser Dichotomien für den skandinavischen Raum versucht Anders Mortensen in zwei Studien zu Carl Jonas Love Almqvist zu belegen. Vgl. Mortensen, Anders: „Att göra ‚penningens genius till sin slaf‘. Om Carl Jonas Love Almqvists romantiska ekonomikritik.“ In: Årsbok Vetenskapssocieteten i Lund (2004), S. 48-76; Mortensen, Anders: „Romantic Critics of Political Economy.“ In: Money and Culture. Hg. von Fiona Cox und Hans-Walter Schmidt- Hannisa. Frankfurt a.M.: 2007, S. 87-96. Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair XVIII Theorie. Genau auf dieses komplexe und widersprüchliche Verhältnis zwischen Literatur und Ökonomie nehmen schließlich Autoren Bezug, die spannungsgeladene Relation von monetärem und symbolischem Wert für unterschiedlichste Erzählungen nutzen. 3. Geld als Motiv: In seiner inzwischen klassischen Studie zum Motiv des Geldes in der deutschen romantischen Literatur hat Manfred Frank nachweisen können, wie eingehend sich gerade die Autoren des frühen 19. Jahrhunderts mit der neuen Rolle der Ökonomie als eines leitenden gesellschaftlichen Handlungssystems auseinandergesetzt haben. 30 Dieser Befund ist inzwischen durch eine Vielzahl von Arbeiten bestätigt worden, die zeigen, auf welch unterschiedliche Art und Weise literarische Texte der Romantik auf Geld und finanziellen Transaktionen Bezug nehmen. 31 Sicherlich laufen die entsprechenden literarischen Darstellungen häufig auf eine vorhersehbare moralische Pointe hinaus: An der unbestrittenen Wirkungsmacht des Geldes wird vehemente Kritik geübt. Als altbekannte Gegenkonzepte fungieren ethische, religiöse oder nationale Werte, die auf die Nachhaltigkeit einer nicht materiell fundierten Lebenspraxis verweisen sollen. Die entsprechenden Gegenüberstellung von ‚Geld und Liebe‘, ‚Geld und Glaube‘, ‚Geld und Ehre‘, ,Geld und Natur‘ etc. - die gerne auch zu Dichotomien von ‚Schein und Sein‘ überhöht werden - prägen insbesondere dänische Erzählungen, die nach dem Staatsbankrott von 1813 erscheinen. Spätestens seit diesem Datum ist den Autoren bewusst, welche Gefahren von dem gesellschaftlichen Leitmedium Geld ausgehen können. 4. Ökonomische Diskurse: Allerdings bleibt es nicht allein bei einer solch moralischen Verurteilung von Geld und Finanzwirtschaft. Viele Texte begnügen sich nicht mit einer einfachen Ökonomiekritik und einer Dämonisierung des Geldes. Sie geben auch von der Faszinationskraft Auskunft, welche die unvorhersehbaren Effekte und die Dynamik des Finanzgeschehens auf Autoren des frühen 19. Jahrhunderts ausübte. 32 So zeugen ihre Texte auch von einer intensiveren Auseinandersetzung mit der ökonomischen Theoriebildung, auf die in Form von impliziten und expliziten intertextuellen Anspielungen Bezug genommen wird. Besonders Adam Smiths Metapher der invisible hand wird wieder und wieder bedient, um den undurchsichtigen Geschehensverlauf ökonomischer Prozesse im Rückgriff auf das ältere Narrativ der Providenz erzählbar zu machen. 33 30 Manfred Frank: „Das Motiv des ‚kalten Herzens‘ in der romantisch-symbolistischen Dichtung“. In: Ders.: Kaltes Herz, Unendliche Fahrt, Neue Mythologie. Frankfurt a.M.: 1989, S. 9-49. 31 Vgl. stellvertretend Ulrich Stadler: Die theuren Dinge. Studien zu Bunyan, Jung-Stilling und Novalis. Bern/ München: 1980; Werner Hamacher: „Faust. Geld“. In: Athenäum 5 (1995), S. 131-188; Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt a.M.: 1998. 32 Ein schöne Illustration dieser Theses bietet Carl Jonas Love Almqvists Essay Hvad är penningen? (1839; Was ist das Geld? ). Vgl. dazu Klaus Müller-Wille: Schrift, Schreiben und Wissen. Zu einer Theorie des Archivs in Texten von C.J.L. Almqvist. Tübingen/ Basel 2005 (= Beiträge zur Nordischen Philologie; 39), S. 434-451. 33 Vgl. Eleanor Courtemanche: The ‚invisible hand‘ and British fiction 1818-1860. Basingstoke: 2011. Zu weiteren literarischen Verfahren, die Metaphorik der Wirtschaftswissenschaften Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung XIX 5. Geld als Zeichen: Die diskursive Verschränkung von Ökonomik und Literatur führt über solche Erzählmodelle hinaus aber auch zu recht eigenwilligen Interpretationen des alten topischen Vergleichs zwischen Geld und Sprache. Vergleiche zwischen Geld und Sprache finden sich schon in der Antike und gewinnen in den Sprachtheorien des 18. Jahrhunderts erneut an Relevanz. 34 Ohne den Forschungsstand zu simplifizieren, kann wohl behauptet werden, dass die Metaphorik, mit der wechselseitig auf Sprache und Ökonomie Bezug genommen wird, im Verlauf des 19. Jahrhunderts zusehend komplexer wird. Dies hat vor allen Dingen damit zu tun, dass Phänomene wie Falschgeld, Kredite und Aktienhandel genutzt werden, um über eine neue Form der finanziellen Logik zu spekulieren, die ihrerseits zu Einsichten in die differentielle Logik des Sprachsystems genutzt werden kann. 35 Das Interesse gilt vor allem dem Phänomen ungedeckter monetärer Zeichen, denen weder aufgrund der Materialität der Zeichenträger noch über eine stabile referentielle Funktion Wert zugesprochen werden kann. 36 Der metaphorische Bezug auf diese Art von Zeichen, die ihren Wert allein aus der fortlaufenden Zirkulation gewinnen, erlaubt durchaus neue Einsichten in die Funktionsweise der Sprache. Zumindest versuchen verschiedene romantische Autoren diesen metaphorischen Bezug zu nutzen, um ihrerseits über andere Verwendungsmöglichkeiten der Sprache zu reflektieren. In diesem Sinne gewinnt der Verweis auf die Ökonomie und die Ökonomik letztendlich poetologische Relevanz. 37 Nahezu alle Beiträger des Bandes argumentieren ausgehend von diesem - hier selbstverständlich nur in Umrissen skizzierten - Forschungsstand. Uns war allerdings daran gelegen, das weite Thema der Wechselbeziehung von Ökonomie und poetisch fruchtbar zu machen, vgl. Nicole Bracker und Stefan Herbrechter (Hg.): Metaphors of Economy. Amsterdam: 2005 (= Critical Studies; 25). 34 Ausführlicher dazu mit den entsprechenden Literaturangaben vgl. den Beitrag von Tabarasi- Hofmann in diesem Band. 35 Stellvertretend zum romantischen Interesse an Falschmünzen und Falschmünznerei vgl. Caroline Pross: Falschnamenmünzer. Zur Figuration von Autorschaft und Textualität im Bildfeld der Ökonomie bei Jean Paul. Frankfurt a.M. u.a.: 1997. Theoretisch wird die entsprechende Wechselrelation zwischen Falschgeld und Sprache vertieft von Jacques Derrida: Falschgeld. Zeitgeben I. München: 1993. Zu dieser und anderen verschrobenen Geldtheorien der Postmoderne vgl. Nadja Gernalzick: Kredit und Kultur. Ökonomie- und Geldbegriff bei Jacques Derrida und in der amerikanischen Literaturtheorie der Postmoderne. Heidelberg: 2000 (= American studies; 80). 36 Zur wichtigen Rolle der Staatskreditslehre von Adam Müller in diesem Zusammenhang vgl. Eric Achermann: Worte und Werte. Geld und Sprache bei Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Georg Hamann und Adam Müller. Tübingen 1997 (= Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext; 32). 37 Zur entsprechenden wechselseitigen Verschränkung von Poetologie und Wissen vgl. Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München: 2002. Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair XX Literatur von Anfang an auf eine spezifischere Fragestellung zuzuspitzen. Deshalb wird in den folgenden Beiträgen besonderer Wert auf den bereits angesprochenen Konnex zum Vertrauensdiskurs gelegt, mit deren Hilfe man die allfälligen Krisen in Politik und Ästhetik zu überwinden erhofft, welche mit dem Modernisierungsprozess und der damit einhergehenden neuen Rolle eines labilen Marktgeschehens einhergehen. Die Beiträge basieren auf Vorträgen einer skandinavistischen Tagung, die unter dem Titel, den auch dieses Buch trägt, vom 25. bis 28.9.2010 an der Nordischen Abteilung der Universität Greifswald stattfand. Die Diskussionen dieser Tage waren in folgenden Fragenhorizont eingebettet: Wie wird der monetäre Diskurs in der Frühphase der Globalisierung konstruiert und in der Kunst der Zeit repräsentiert? Welche Strukturen der Vertrauensbildung werden nötig, damit der ökonomische Diskurs die Schlüsselstellung in der Herausbildung der bürgerlichen Gesellschaft übernehmen kann? Wie verändern sich Wertmodelle und - damit verbunden - wie verändern sich Konventionen, die Vertrauen ermöglichen, sowie Zeichen, über die Glaub- und Kreditwürdigkeit vermittelt werden? Welche neuen Loyalitäten werden aufgebaut, die eine Lösung vom Mäzenatensystem ermöglichen, ohne die neue Bindung an den monetären Diskurs zu offenbaren: die Nation, die Religion, die autonome Kunst? Könnte man behaupten, dass der künstlerische Realismus um die Mitte des 19. Jahrhunderts gerade daraus seine Überzeugungskraft bezieht, dass er mit der Anrufung der Wirklichkeit eine Loyalität suggeriert, die aufgrund ihrer scheinbaren Überprüfbarkeit besonders vertrauenswürdig erscheint? Die Herausgeber sind sich bewusst, dass der vorliegende Band nur einen Ausschnitt aus dem angerissenen Themenspektrum bietet, hoffen aber, dass er einen ersten Schritt leistet, der weiter Diskussionen - auch über Fachgrenzen hinweg - anregt. 1. Natürliche Prosperität - Politische Ökonomien der Romantik: Der Band wird bewusst mit einem Beitrag eingeleitet, der dezidiert auf die möglicherweise grundlegende ökonomiekritische Tendenz in der literarischen Romantik aufmerksam macht. Dabei zeigt Berit Glanz in ihren textnahen Analysen von vier zentralen Gedichten der isländischen, schwedischen und finnlandschwedischen Romantik auf, mit Hilfe welch plakativer Dichotomien sich Autoren wie Bjarni Thorarensen, Erik Gustaf Geijer oder Johan Ludvig Runeberg daran machen, einen Gegensatz zwischen nationaler Identität und internationalem Finanzkapital herbeizuschreiben. Geld und Luxus werden in ihren Gedichten in eine merkwürdige Opposition zur erhabenen (kargen und kalten) Natur des Nordens gebracht. Dass nicht alle nationalen Phantasien und Phantasmen der skandinavischen Romantik in eine solche Fundamentalkritik des Ökonomischen münden müssen, zeigt Jonas Asklund in seinem Beitrag auf. Ausgerechnet die Hommage an die freizügigen Sauf- und Liebeslieder eines Carl Michael Bellman, die der Stockholmer Romantiker Carl Dahlgren 1820 unter dem Titel Mollbergs epistlar publiziert, nimmt Asklund zum Anlass, um das literarische Nachwirken einer prominenten deutschen Volkswirtschaftslehre nachzuweisen. In seinen textnahen Analyse zeigt er, wie genau Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung XXI Dahlgren in der Metaphorik des Textes auf Adam Müllers Versuche einer neuen Theorie des Geldes (1816) Bezug nimmt, um Carl XIV Johan Bernadotte von gesellschaftspolitischen Vorzügen eines staatlichen Kreditwesens zu überzeugen. 2. Zirkulation und Gabe - Modelle gesellschaftlichen Vertrauens: Die folgenden drei Beiträge widmen sich der Kontexualisierung des ökonomischen Diskurses in ganz unterschiedlichen kulturellen Logiken. Joachim Schiedermair kann nachweisen, wie in Thomasine Gyllembourgs Novelle Jøden (1836) die Logik des ökonomischen Tauschs von äquivalenten Werten mit einer Logik der Gabe konkurriert. Soll der Austausch von Waren gegen Geld die Eigenständigkeit der Tauschenden erhalten, indem er die Transaktion zeitlich begrenzt, ist es dem Gabentausch nicht darum zu tun, eine Gegengabe herauszufordern, die den ursprünglich investierten Wert wieder in die Hände des Gebenden zurückspielt; vielmehr stellt die Gabe einen Vorschuss an Vertrauen dar, indem sie eine Überbietung fordert und so eine nicht endende gegenseitige Verpflichtungsrelation provoziert. Gyllembourgs Jøden nun erprobt beide Logiken im Zusammenhang einmal der Judenemanzipation dann aber auch der Frauenemanzipation. Die Novelle wird gerade dadurch interessant, als sie zeigt, dass dieselbe kulturelle Logik je nach Kontext ganz unterschiedliche Effekte zeitigen kann. Hans Christian Andersen ist bereits seit einiger Zeit als Portalfigur der Moderne kanonisiert. Seine Texte gleichen Sensorien, mit denen er die gesellschaftlichen Krisen seiner Epoche analysiert und ästhetisch überformt. Sophie Wennerscheid kann am Roman At være eller ikke være (1857) zeigen, wie der Glaube an eine gerechte Ordnung, der durch Wissenschaft und Industrialisierung unter Verdacht geraten ist, mithilfe der ökonomischen Metapher der Zirkulation gerettet werden soll: Am Beispiel des Verlusts und Wiedergewinns von wertvollen Gegenständen in der Handlung des Romans wird der moderne Verlust des religiösen Glaubens auf die Hoffnung eines Rückgewinns hin perspektiviert. Der ökonomische Diskurs wird somit zur Sprache, in der Fragen des Wertes und der Wertschätzung formuliert werden können. Kierkegaard nennt sich pointiert einen falschen Wechsel, der im Jahr des dänischen Staatsbankrotts in Umlauf gebracht wurde. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann arbeitet in Ihrem Aufsatz heraus, in welch umfassender Weise Kierkegaard von der ökonomischen Denkfigur des Falschgelds metaphorischen Gebrauch macht und wie sein Werk als Widerstand gegen die Überführung des unbedingten Gottvertrauens in ein bürgerlich-rationales Kalkül von Graden der Vertrauenswürdigkeit zu lesen ist. Das Phantasma der reinen (göttlichen) Gabe, die nicht auf eine Gegengabe, nicht mal einen Dank aus ist, erlaubt eine Gegenwelt zur Gegenwart, die Kierkegaard durch die Logik eines Wechsel ohne Deckung charakterisiert sieht. 3. Produktion und Produktivität - Ökonomien der Autorschaft: Thomasine Gyllembourg und Hans Christian Andersen stehen auch im Zentrum der dritte Abteilung. Diesmal werde allerdings Texte in den Blick genommen, die den Produktionsaspekt des ökonomischen Diskurses bearbeiten und für ästhetische Fragestellungen nutzen. Annegret Heitmann stellt an Gyllembourgs Novelle Montanus den Yngre Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair XXII (1837) dar, wie sich im Begriff „Produktion“ Aspekte von Ökonomie, Geschlecht und Kunst kreuzen: Dazu verknüpft Gyllembourg die für sie typische Liebesgeschichte mit dem Kampf um die Erneuerung und damit um die Rentabilität einer Textilfabrik. Zunächst scheint die ökonomische Ebene beider Stränge ausschließlich durch die männlichen Hauptfiguren besetzt; Kapital muss zur Modernisierung der Fabrik und zur Versorgung einer potentiellen Ehegemeinschaft aufgetrieben werden. Doch Gyllembourg zeigt durch eine geschickte Plotführung, wie die weiblichen Figuren letztlich die Möglichkeitsbedingungen für die männlich konnotierte ökonomische Produktivität schaffen. Denn zum einen kann nur durch die weiblich konnotierte Investition von Vertrauen das lange zurückgehaltene ökonomische Kapital rettend zum Zuge kommen; zum anderen legitimieren die weiblichen Figuren als Träger der biologischen Produktivität die ökonomischen Investitionen. Schließlich wird im Begriff der Produktivität auch Ästhetik mit Ökonomie positiv verbunden. Damit unterläuft Gyllembourg den bei Zeitgenossen häufig anzutreffenden Gegensatz von Markt und Kunst. Diesen Gegensatz bearbeitet auch Hans Christian Andersen. Frederike Felchts Aufsatz zeigt an einigen Erzählungen, wie Andersen einmal den Gegensatz von ökonomischem und ontologischem Wert beschwört, in einigen Texten gar von einer Kontamination des Seins durch den nur relationalen Marktwert handelt. An anderen Stellen aber holt er diesen Gegensatz wieder selbstreflexiv ein, wenn er der Literatur sowohl einen ästhetischen wie einen Warencharakter zugesteht, ja ihre Produktion und Produktivität gerade aus der Reibung beider Wertsphären erklärt. 4. Phantom Publikum - Ungedeckte ästhetische Werte: Auch Florian Brandenburgs Beitrag kreist indirekt um Andersens Warenästhetik. Mit Rückgriff auf die durch und durch doppelbödige Andersen-Parodie, die Carsten Hauch in seinen 1845 publizierten Roman Slottet ved Rhinen eller De forskiellige Standpunkter integriert, gelingt es Brandenburg zu zeigen, wie aufmerksam die dänischen Zeitgenossen Andersens auf die neuartige Poetik und schriftstellerische Praxis reagierten, mit der Andersen den Bezug auf die neuen literarischen Marktbedingungen schon in den 1830er und 1840er Jahren produktiv zu machen versucht. Auf den ersten Blick offeriert der Roman Hauchs lediglich eine simple und bösartige Kritik an dem an Markt und Publikum orientiertem und zum Plagiat neigenden Autor Eginhard (der offensichtlich auf Andersen verweist). Brandenburg gelingt es allerdings aufzuzeigen, inwiefern diese Kritik ironisch gebrochen wird, da sie sich letztendlich auch auf die spezifische Schreibweise von Slottet ved Rhinen selbst beziehen lässt. In diesem Sinne nutzt Hauch die vordergründige Andersen-Kritik, um auf subtile Weise auf die zeitgemässe Modernität von dessen raffinierter Pastiche- und Zitatästhetik aufmerksam zu machen. Den Abschluss des Bandes bildet ein Beitrag, in dem Klaus Müller-Wille der Prominenz der ökonomischen Themen in populären Dramen der Spätaufklärung und des frühen 19. Jahrhunderts nachgeht. Literaturhistorisch läuft seine Argumentation zum einen auf die These hinaus, dass diese Komödien schon Strategien des Dramas des Modernen Durchbruchs vorwegnehmen, indem sie auf der Bühne die Wechselkurse des Vertrauens - Zur Einführung XXIII Eigenmächtigkeit ökonomischer Zeichendynamiken inszenieren. Zum anderen versucht er zu zeigen, dass gerade dieser Bezug auf die Eigendynamik der Signifikanten im Populärtheater genutzt wird, um über neue ästhetische Formen und Praktiken zu reflektieren, die den Rahmen der idealistischen Kunsttheorie sprengen. Wie im Beitrag von Florian Brandenburg soll somit gezeigt werden, wie aufmerksam die Autoren auf die neuen Bedingungen des Schreibens im Zeitalter einer sich (auch) ökonomisch legitimierenden Massenkultur einlassen. Klaus Müller-Wille und Joachim Schiedermair XXIV Achermann, Eric: Worte und Werte. Geld und Sprache bei Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Georg Hamann und Adam Müller. Tübingen: 1997 (= Frühe Neuzeit. Studien und Dokumente zur deutschen Literatur und Kultur im europäischen Kontext; 32). Bennich-Björkman, Bo: Författaren i ämbetet. Studier i funktion och organisation av författarämbetet vid svenska hovet och kansliet 1550-1850. Stockholm: 1970. Bennich-Björkman, Bo: „Författarkarriär och litteraturfunktion i det äldre svenska samhället“. In: Litteratursociologi. Texter om litteratur och samhället. Hg. von Lars Furuland und Johan Svedjedal. Lund: 1997, S. 346-354. Bosse, Heinrich: Autorschaft ist Werkherrschaft. Über die Entstehung des Urheberrechts aus dem Geist der Goethezeit. Paderborn: 1981. Bredsdorff, Elias: H.C. Andersen og England. Kopenhagen: 1954. Bracker, Nicole und Stefan Herbrechter (Hg.): Metaphors of Economy. Amsterdam: 2005 (= Critical Studies; 25). Brandt, Frithiof und Else Rammel: Søren Kierkegaard og Pengene. Kopenhagen: 1935. Burman, Carina: Mamsellen och förläggarna. Frederika Bremers förlagskontakter 1828-1865. Uppsala: 1995. 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Foto: Upps la universitets myntkabinett. a B ERIT G LANZ (G REIFSWALD ) Hier in dem stillen, einsamen Lande, wo der Mensch mit der Natur in ewigem Kampfe liegt, wo eine ausgedehnte, besitzlose Handwerkerklasse fehlt, wo die staatliche Freiheit eine so breite Basis erhalten hat, und der fromme, demüthige Sinn des Wolfes noch durch nichts gebrochen wurde, ist man gewiß am entferntesten von jener sozialen Umwälzung. Arm, ja gewiß oft sehr arm sind die Hirten und Fischer, aber wie genügsam und fern von der Herabwürdigung der Armuth. Man findet Menschen in tiefer Lebensnoth, aber keinen Pöbel, weil keine Plätze da sind, wo er sich entwickeln könnte, und ich bin Norwegen durchreist auf mehrere hundert Meilen, aber ich habe keinen Bettler gefunden! Dies ist wohl mit das schönste Lob, was ich der Nation sagen kann, denn es beweist ein moralisches Selbstgefühl, das nur mit einer würdigen und kraftvollen Nationalität verbunden sein kann. 1 Das Zitat entstammt einem Reisebericht des Berliner Schriftstellers Theodor Mügge, der sich in seinem Gesamtwerk besonders häufig mit dem Norden als Reiseziel befasst hat. Er bezieht sich hier auf die starke „soziale Umwälzung“ der Industrialisierung, die in Norwegen den „frommen, demüthigen Sinn des Wolfes“ noch nicht zerstört hat. Der norwegische Norden wird in idealisierter Form als Zustand vorindustrialisierter Lebensrealität geschildert, dem seine Bewunderung und Sehnsucht gilt, deren nahes Ende jedoch auch Mügge schon zu erahnen vermag. Gleichzeitig beschreibt er eine Form würdevollen Mangels, die er abgrenzt von der, von ihm als Herabwürdigung empfundenen, „Armuth“. Diese auf Moral basierende würdevolle Armut ist in seinen Ausführungen an eine kraftvolle nationale Identität gebunden. In diesem kurzen Zitat mischen sich exemplarisch mehrere Diskurse, die sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts überschneiden: Veränderung der ökonomischen Ordnung, naturräumliche Bezüge und die Entwicklung von nationaler Identität. Im Rahmen dieses Aufsatzes soll die Verbindung nordischer Identitätsentwürfe mit dem zunehmend mehr in Fokus geratenden ökonomischen Diskurs an einigen exemplarischen Texten des skandinavischen Idealismus untersucht werden. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts fanden in Skandinavien, sowie im restlichen Europa, erhebliche Systemveränderungen statt. Der Übergang von der Bauerngesellschaft zur industrialisierten Nation des 19. Jahrhunderts war auch in Skandinavien mit ausgeprägten sozialen Problemen verbunden. Die beginnende Industrialisierung führte im gesamten skandinavischen Raum zu einer weitgehenden 1 Theodor Mügge: Skizzen aus dem Norden. Bd. 2. Hannover: 1844, S.50. Berit Glanz 4 Spaltung der Gesellschaft in Arm und Reich und resultierte zeitweilig in einem um sich greifenden Pauperismus. Interessanterweise ist jedoch in einer Reihe zeitgenössischer Texte eine durchaus positive Betrachtung von Armut und Überlebenskampf zu finden. Beispielhaft sei hier ein Auszug aus Carl Jonas Love Almqvists Svenska Fattigdomens Betydelse genannt: Men ett enda likväl - ett visst stort - har svensken enskildt ifrån andra i Europa blifvit ämnad till: det är till fattigdom. Kunde vi endast lära oss den rätt. Vi hafva den, mer eller mindre, alla här; men mången ibland oss bör sig oskickligt åt med den hufvudcharakter i verlden, som Gud gifvit oss. Svensken är fattig. Förstår han detta, så har han vunnit kärnan för sin nationalitet, och är oöfvervinnelig. 2 Zu einem einzigen jedoch - etwas in seiner Art Großem - ist allein der Schwede vor anderen in Europa bestimmt, zur Armut nämlich. Könnten wir nur recht lernen von ihr. Jeder von uns hier ist mehr oder minder arm; aber viele wissen mit der Hauptbestimmung, die uns Gott in der Welt gegeben hat, nichts Rechtes anzufangen. Der Schwede ist arm. Versteht er dies, so hat er den Kern seiner Nationalität gewonnen und ist unüberwindlich. 3 Almqvists Verknüpfung von ökonomischer Armut mit Vorstellungen von nationaler Identität ist exemplarisch für zahlreiche literarischer Texte, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts verfasst wurden. Für eine Analyse dieser Verbindung müssen zunächst einige Bedingungen des ökonomischen Diskurses am Beginn des 19. Jahrhunderts erläutert werden. Die Grundlagen der klassischen Nationalökonomie werden im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts gelegt. Als Begründer der modernen Volkswirtschaftslehre etablieren Adam Smith, Jean-Baptiste Say, Thomas Malthus, David Ricardo und John Stuart Mill die Ökonomie als eine von den Politik- und Staatswissenschaften unabhängige Wissensdisziplin. Adam Smith entwickelt das Modell eines sich selbst regulierenden Marktes, der sich aus Angebot und Nachfrage zusammensetzt und aus dem Eigennutz und dem egoistisch verfolgten Einzelinteresse seine Dynamik gewinnt. Dieses Modell behauptet eine Autonomie ökonomischer Systeme, die sich scheinbar selbst mit unsichtbarer Hand steuern. Der Literaturwissenschaftler Fritz Breithaupt erklärt daher die Balkenwaage, die sich in einem konstant schwankenden Ausgleich befindet, zur Leitmetapher der Nationalökonomie. 4 Die Nationalökonomie ersetzt so vorhergehende physiokratische Modelle eines sich in einem abgeschlossenen Gleichgewicht befindenden, dem Blutkreislauf ähnelnden Wirtschaftskreislaufes, zugunsten eines Modells ständiger Bewegung und 2 Carl Jonas Love Almqvist: „Svenska fattigdomens betydelse“. In: Ders.: Tornrösensbok. Duodesupplagan Bd. VIII-XI. Hg. von Bertil Romberg. Stockholm: 1996 (= Samlade Verk, 8), S. 290. 3 Übersetzung zitiert nach Karl Jonas Love Almquist: „Schwedens Armut und ihre Bedeutung“. In: Ders.: Werke. Übers. von A. Mens. Bd. 2. Leipzig: 1912, S. 323-373, hier S. 341. 4 Fritz Breithaupt: Der Ich-Effekt des Geldes: Zur Geschichte einer Legitimationsfigur. Frankfurt a.M.: 2008, S. 81. Natürliche Armut und reiche Natur 5 Expansion. In seiner Studie mit dem Titel Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen sagt Joseph Vogl dazu: Um 1800 scheint es vor allem jener Systemverbund von Zirkulation und Kompensation, von geschlossenem Kreis und Gleichgewicht zu sein, der nun auseinanderbricht; und immer wieder hat man das Erscheinen von Adam Smiths Wealth of Nations (1776) als Einschnitt in diese Wissensordnung interpretiert, als einen Einschnitt, der die Vorgeschichte der politischen Ökonomie beendet und deren klassische ‚Situationen‘ begründet. 5 Die von den Nationalökonomen behauptete Autonomie des ökonomischen Systems wird jedoch ab 1800 zunehmend als bedrohlich empfunden. Aufgrund zunehmender Sorge vor Bankrott und übermäßiger Expansion, Skepsis gegenüber dem real kaum greifbaren und nachvollziehbaren Status von Papiergeld und Schuldscheinen und starker Zweifel an der Selbstkontrolle des freien Marktes, fordern die Romantiker und romantische Ökonomen, wie z.B. Adam Müller, eine Kontrolle der expansiven und wertfreien Struktur der Ökonomie und des Geldes und berufen sich dabei u.a. auf eine stärkere Kontrollfunktion von Staat oder Kirche. Der europäische Nationalstaat heutiger Prägung ist jedoch zu Beginn des 19. Jahrhunderts gerade erst im Entstehen begriffen. Ein Diskurs, der um die Herausbildung einer jeweils eigenen spezifischen nationalen Identität kreist, beginnt sich auch in Skandinavien herauszubilden. Texte und Äußerungen der skandinavischen Romantik sind also vor dem Hintergrund der weitreichenden Systemumbrüche im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung zu betrachten, vor dem zunehmenden Unbehagen gegenüber einer scheinbar um sich greifenden Allmacht des Marktes, des Konsums und des Geldes und parallel dazu vor dem Versuch eigene nationale Spezifika zu definieren. Das Ausbilden einer positiv besetzten nationalen Identität, in Abgrenzung zu anderen Gruppen und unter homogenisierenden Einflüssen nach innen, erfüllt in Zeiten des Umbruchs ein besonders starkes Bedürfnis: das Bedürfnis einer Absicherung und Vergewisserung der eigenen Lebensrealität in engem Einverständnis mit der umgebenden Gruppe. Im Sinne einer positiven Selbst-Stereotypisierung gewinnt das Individuum so ein positives Selbstwertgefühl und kann in Konsequenz dem Wandel mit gesteigertem Selbstvertrauen begegnen. Wenn der Nationalstaat von den Romantikern als mögliche Kontrollinstanz zum dominierenden System des Geldes angerufen wird, dann können die verschiedenen literarischen und künstlerischen Ausgestaltungen von nationaler Identität, welche die Grundlage der sich neu formierenden Nationalstaaten bilden, auf ihre Verbindung, Widersprüche und Anknüpfungspunkte zum ökonomischen System untersucht werden. Zumindest ist jedoch zu betrachten in welchem Verhältnis die Merkmale und Kennzeichen nationaler Identität, die in den zu untersuchenden Texten ausgearbeitet werden, zu Diskursen des Geldes und der Ökonomie stehen. 5 Joseph Vogl: Kalkül und Leidenschaft. Poetik des ökonomischen Menschen. München: 2002, S. 247. Berit Glanz 6 Die kritische Auseinandersetzung romantischer Schriftsteller mit den Strukturen eines freien Marktes kann in einer Reihe romantischer Texte nachgewiesen werden. Anders Mortensen analysiert beispielsweise in seinem Aufsatz Romantic Critics of Political Economy 6 den häufig auffindbaren Topos sich gegenseitig ausschließender ästhetischer und ökonomischer Werte. Dieser Topos impliziert nach Mortensen, dass ein ästhetisches Wertsystem das Individuum vor dem ökonomischen Wertsystem beschützen oder von ihm befreien kann. Der autonome ästhetische Wert befinde sich im Gegensatz zum materialistischen Wert des Geldes. Mortensen sieht daher Parallelen zwischen romantischen Konzepten autonomer Ästhetik, die sich kritisch gegen die Ökonomie wenden, und dem christlichen Glauben und seiner Warnung vor dem Mammon: Following the roots of this anti-monetarian tradition back through the 19 th century, the historical connection to Christian religion becomes more obvious. The task is almost the same: to be the guard of Man against the threats of society devoted to Mammon. For the Christian as well as for the Romantic artist, greed is to be fought with the support of the authority of another realm, a kingdom not of this world. 7 Bei einer Betrachtung literarischer Texte des skandinavischen Idealismus ist eine auffällige Häufung von Naturbeschreibungen zu verzeichnen, die im Sinne des Topos von sich gegenseitig ausschließenden Wertsystemen verwendet werden. Das heißt, dass bestimmte Konzeptionen von Natur und diesen Konzepten abgeleitete Metaphern zur Begründung einer angeblichen nationalen Unabhängigkeit vom modernen ökonomischen System verwendet werden. Die nordische Natur wird dabei als Quelle und Ursache eines Wertekanons betrachtet, der mit den, dem System der Ökonomie immanenten, Formen von Luxus, Konsum und Bedürfnisbefriedigung nicht vereinbar ist. Die Beschreibungen nordischer Natur folgen dabei einer dualen Argumentationsstrategie, die sich im Einklang befindet mit kulturwissenschaftlichen Überlegungen bezüglich der Strategien nationaler Identitätsfindung, die v.a. auf einer Betonung von Gemeinsamkeiten und Differenzen beruhen. Mit der Suche nach vermeintlichen Gemeinsamkeiten innerhalb einer Gruppe bzw. der Ausblendung von Differenzen, wie auch in der Abgrenzung gegenüber einem externalisierten „Anderen“ wird nationale Identität herausgebildet. Der schwedische Politikwissenschaftler Peter Hallberg schreibt dazu: As analytical concepts, ‚self‘ and ‚other‘ should be understood metaphorically as collective entities and in the context of the making of national identities, where they work 6 Anders Mortensen: „Romantic Critics of Political Economy“. In: Money and Culture. Hg. von Fiona Cox und Hans-Walter Schmidt-Hannisa. Frankfurt a.M.: 2007, S. 87-96. 7 Mortensen: Romantic Critics, S. 90. Natürliche Armut und reiche Natur 7 dialectically to establish a set of similarities and a set of differences that allow for the constitution of an ‚us‘ and a ‚them.‘ 8 Unter dem Aspekt der Differenz werden v.a. die Härte und der Überlebenskampf in der nordischen Natur im Gegensatz zu den Annehmlichkeiten eines Lebens im warmen Klima des Südens betont. Bei der Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten wird besonders die historische Dimension einer generationenübergreifenden Verbindung mit der Natur und dem Boden angeführt. Natur wird dabei als Erinnerungsort konzipiert, in den die Heldentaten der Vorzeit eingeschrieben sind. Gleichzeitig wird das Ideal des Freibauern zum Sehnsuchtsbild erhoben. Die klimatisch begründete Gegenüberstellung anthropologischer Merkmale der Menschen im Norden und im Süden ist keine Erfindung der Romantik, sondern wurde bereits von Aristoteles in der staatsphilosophischen Schrift Politik und von Hippokrates in De aere acquis locis formuliert. In der Neuzeit wird das Klima und die daraus resultierende Prägung des Menschen durch Montesquieus Werk Vom Geist der Gesetze (1748) und darauf aufbauend in den Arbeiten von Johann Gottfried Herder und Georg Wilhelm Friedrich Hegel zu einer entscheidenden analytischen Kategorie in der Betrachtung von Staatsformen und Nationen. 9 Auf literarischer Ebene wird die karge und harte nordische Natur als Bedingung und Grundlage für eine angeblich natürliche Armut bzw. natürliche Abstinenz von allen Ausformungen des Luxus und des Überflusses thematisiert. Der nordische Mensch passt sich, wie in den Theorien Montesquieus beschrieben, den geographischen Gegebenheiten an und entwickelt seine Bedürfnisse und seinen Umgang mit Geld entsprechend. Konsumbedürfnis, Überfluss, und der Wunsch nach Akkumulation von Geld und Reichtum sind grundlegende Elemente des Wirtschaftskreislaufes. Indem die literarischen Texte eine Unabhängigkeit des nordischen Menschen von Konsum behaupten, wird die Nachfrage als Grundbedingung des Marktes außer Kraft gesetzt und ökonomische Gesetze für ungültig erklärt. Die eigentlich negative Charakteristik einer geographisch bedingten Armut wird umgewandelt in das mit Stolz betonte positive Merkmal der Unabhängigkeit von Materialismus und Luxus. Carl Jonas Love Almqvist verfolgt beispielsweise in seinem Essay Svenska Fattigdomens Betydelse genau dieses Argumentationsmuster, indem er eine nationale Unabhängigkeit von materiellem Reichtum behauptet und stattdessen einen Reichtum anderer Art in den Vordergrund stellt. Anders Mortensen schreibt über Almqvists Text: 8 Peter Hallberg: „Mirrors of the Nation: The Construction of National Character and Difference in the Historical Writings of E.G. Geijer“. In: Scandinavian Journal of History 26: 1 (2001), S. 27. 9 Für eine grundlegende Analyse der klimapolitischen Theorie der Aufklärung verweise ich auf Stephan Günzel: „Geographie der Aufklärung. Klimapolitik von Montesquieu zu Kant“. In: Aufklärung und Kritik 2 (2004), S. 66 -91. Berit Glanz 8 Mot den monetära nyttan ställs andliga, estetiska, mänskliga gåvor - vilka på den jämförande analogins vis hänförs till ett annorledes värdesystem, som träder i förgrunden när gängse ekonomiskt värde saknas. Denna retoriska bild formar logiken i Svenska fattigdomens betydelse. Genom att lida brist på det ena slaget av värde, penningens, utvecklas såväl förmågan till oberoende av penningen som en håg för annan rikedom. 10 Dem monetären Nutzen werden geistige, ästhetische und menschliche Gaben gegenübergestellt - welche durch den Vergleich der Analogie auf ein anderes Wertesystem hinweisen, das in den Vordergrund tritt, wenn die üblichen ökonomischen Werte fehlen. Dieses rhetorische Bild formt die Logik in Svenska fattigdomens betydelse. Durch Mangel des einen Wertes, Geld, entwickelt sich so die Fähigkeit zur Unabhängigkeit von Geld als Sinn für einen Reichtum anderer Art. 11 Nicht nur auf politiktheoretischer Ebene ist eine Gegenüberstellung von Nord und Süd zu beachten, sondern auch im Kontext ästhetischer Kategorien, die sich im Konzept der Erhabenheit ausdrücken. In Abgrenzung zur Kategorie des Schönen, als des gleichzeitig Zweckmäßigen und damit im weitesten Sinne Ökonomischen, definiert Edmund Burke in seiner Schrift Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen (1757) die Erhabenheit als affektive Reaktion der Überwältigung und des Schreckens: Alles, was auf irgendeine Weise geeignet ist, die Ideen von Schmerz und Gefahr zu erregen, das heißt alles, was irgendwie schrecklich ist oder mit schrecklichen Objekten in Beziehung steht oder in einer dem Schrecken ähnlichen Weise wirkt, ist eine Quelle des Erhabenen; das heißt, es ist dasjenige, was die stärkste Bewegung hervorbringt, die zu fühlen das Gemüt fähig ist. 12 Erhabene Natur ist, in ihrer unverfälschten und bedrohlich wirkenden Ursprünglichkeit, besonders in den früher als ästhetisch irrelevant geltenden Naturräumen der Alpen und Skandinaviens vorzufinden. Immanuel Kant vollzieht in Absetzung von Edmund Burke eine subjektivistische Wendung in seiner Definition des Erhabenen, indem er die Erhabenheit eben nicht als rein affektive Überwältigung konzipiert, sondern aus der Konfrontation mit dem Verstand des Subjektes entstehen lässt. So schreibt er: daß wir uns […] unrichtig ausdrücken, wenn wir irgendeinen Gegenstand der Natur erhaben nennen, ob wir zwar ganz richtig sehr viele derselben schön nennen können; denn wie kann das mit einem Ausdrucke des Beifalls bezeichnet werden, was an sich als zweckwidrig aufgefaßt wird? Wir können nicht mehr sagen, als daß der Gegenstand zur Darstellung einer Erhabenheit tauglich sei, die im Gemüte angetroffen werden kann; denn das eigentlich Erhabene kann in keiner sinnlichen Form enthalten sein, sondern trifft nur Ideen der Vernunft, welche, obgleich keine ihnen angemessene Darstellung möglich ist, eben durch diese Unangemessenheit, welche sich sinnlich dar- 10 Anders Mortensen: „Att göra ‚penningens genius till sin slaf‘. Om Carl Jonas Love Almqvists romantiska ekonomikritik“. In: Årsbok Vetenskapssocieteten i Lund (2004), S. 53. 11 Übersetzungen aus dem Skandinavischen stammen - soweit nicht anders angegeben - hier und im Folgenden von mir, Berit Glanz. 12 Edmund Burke: Philosophische Untersuchung über den Ursprung unserer Ideen vom Erhabenen und Schönen. Hamburg: 1989, S. 72. Natürliche Armut und reiche Natur 9 stellen läßt, rege gemacht und ins Gemüt gerufen werden. So kann der weite, durch Stürme empörte Ozean nicht erhaben genannt werden. Sein Anblick ist gräßlich; und man muß das Gemüt schon mit mancherlei Ideen angefüllt haben, wenn es durch eine solche Anschauung zu einem Gefühl gestimmt werden soll, welches selbst erhaben ist, indem das Gemüt die Sinnlichkeit zu verlassen und sich mit Ideen, die höhere Zweckmäßigkeit enthalten, zu beschäftigen angereizt wird. 13 Erhabenheitsdarstellungen in der Literatur sind selten so eindeutig voneinander abzugrenzen, wie die unterschiedlichen Entwürfe von Kant und Burke. Bezüglich der Verwendung der Erhabenheit im Kontext einer Ökonomiekritik literarischer Texte wird die erhabene Natur auf der einen Seite als Ursache für das nordische Wertsystem geschildert. Diese eher an Kant anlehnende Begründung überschneidet sich inhaltlich stark mit dem Konzept einer auf Montesquieu aufbauenden geographischen Determinierung der Bewohner. Auf der anderen Seite wird die erhabene Natur im Sinne von Burke als konkretes überwältigendes Abschreckungsmoment für ausländische Einflüsse, hier besonders Formen des internationalen Handels, beschrieben. So greift beispielsweise der isländische Dichter Bjarni Thorarensen, der in Kopenhagen mit den romantischen Ideen in Berührung gekommen war und in Folge als Islands erster romantischer Dichter bezeichnet wird 14 , das Grundthema der erhabenen Natur und ihres Einflusses auf die Bevölkerung immer wieder in seinen Gedichten auf. Thorarensen schildert Natur fast ausschließlich als bedrohliche und dennoch faszinierende, alles andere übertreffende Gewalt. Exemplarisch wird dies deutlich in seinem Abschiedsgedicht für Baldvin Einarsson, 15 wenn Thorarensen eine Zeile verfasst, die sich in den folgenden Jahrzehnten auf Island zu einem geflügelten Wort entwickelt: „Land aus Eis / Unglück / Alles wird zur Waffe“. 16 In dieser kurzen Schilderung einer dominanten, menschliche Siedlungen zerstörenden Natur wird zeitgleich ein gewisser Alltagspragmatismus betont, wenn sich die Einwohner bei ihrem Überlebenskampf nicht wählerisch zeigen. Besonders deutlich kooperieren die klimatisch bedingten Differenzen und die Konzeption von Natur als Verteidigungswall gegen ausländische Einflüsse, die deutlich mit Luxus und Konsum verknüpft werden, in Thorarensens 1818 verfasstem 13 Immanuel Kant: Kritik der Urteilskraft. Hamburg: 2006, S. 107. 14 Für eine ausführliche Analyse der isländischen Romantik, inklusive der terminologischen Frage, ob der Begriff Romantik für die isländischen Dichter überhaupt zutrifft, verweise ich auf Þórir Óskarsson: „From Romanticism to Realism“. In: A History of Icelandic Literature. Hg. von Daisy Neijmann. Lincoln, London: 2006 (= Histories of Scandinavian literature; 5), S. 251-307. 15 Bjarni Thorarensen: „Baldvin Einarsson“. In: Ders.: Ljóðmæli. Bd. 1. Kopenhagen: 1935, S. 160. 16 „Ísalands / óhamingju / verður allt að vopni; / eldur úr iðrum þess,/ ár úr fjöllum / breiðum byggðum eyða“ „Í Land aus Eis / Unglück / Alles wird zur Waffe / Feuer aus dem Innersten / Flüsse aus Bergen / zerstören weite Siedlungen“). Zitiert nach Thorarensen: Baldvin Einarsson. Berit Glanz 10 Gedicht Ísland. 17 Auch in diesem Gedicht vermag Thorarensen in wenigen Zeilen eine Beschreibung Islands zu formulieren, die in der Folgezeit erheblichen Wiederhall bei seinen Landsleuten finden. Bereits in der ersten Strophe wird Island als Vaterland bezeichnet, welches „uns das Leben schenkte“ („sem lífið oss veittir“). Ein Vaterland jedoch, „das seine Kinder nie verwöhnt hat“ („landið sem aldregi skemmdir þín börn“). Þórir Óskarsson schreibt darüber: The rationalization that ‚Iceland has never spoiled its children‘ would resound throughout the fight for independence during the century and was often related to a certain nostalgia, especially when evoking the memory of the heroic feats recounted in the Icelandic sagas. 18 Die geographisch bedingte „Unnahbarkeit“ („fjærstöðu“) Islands, eigentlich eine negative Eigenschaft, wird umgedeutet und als Ursache für den Schutz vor Lastern interpretiert. Island wird als Land der Gegensätze beschrieben, mit eindeutigen Merkmalen erhabener Natur, die in der zweiten Strophe mit den Adjektiven „schön“ („fagurt“) und „schrecklich bzw. erschreckend“ („ógurlegt“) beschrieben wird. Diese bedrohliche Schönheit wird bildlich verdeutlicht, mit dem Feuer, welches von den Gletschern hinweg zu den eigenen Füßen rast. Selbst der Grund und Boden auf dem das Individuum steht, wird so als unsicher und von Naturgewalten bedroht beschrieben. Im Anschluss an die Schilderung erhabener Natur wird in den folgenden Strophen die Auswirkung dieser natürlichen Gegebenheiten auf die Einwohner Islands beschrieben. Die isländische Natur in ihrer Kombination aus Frost und Feuer lehrt ihre Einwohner gleichzeitig Härte und Vitalität und die Berge bieten Herausforderungen an, die eigene Stärke zu beweisen. Der silberblaue Ägir, der Meerriese der nordischen Mythologie, beschützt das Land vor der Feigheit. Thorarensen mischt hier Bilder aus der nordischen Mythologie und dem Alten Testament, indem er Ägir mit einem Cherub in Verbindung bringt: „bægi sem kerúb, með sveipanda sverði / silfurblár Ægir oss kveifarskap frá.“ 19 Im Alten Testament verschließt ein Cherub den Garten Eden nach dem Sündenfall Adam und Evas. Island wird so als paradiesisches Land präsentiert, das durch seine Natur vor den Sünden der Welt verteidigt wird. Interessant ist nun, wie diese Laster in der folgenden vierten Strophe näher definiert werden. Sie werden als materialistische Versuchungen dargestellt, die mit den Handelsschiffen der Ausländer, in diesem Fall Waliser, in das Land gebracht werden. Thorarensen sieht, trotz dieser importierten Schätze, keinen Grund zur Sorge um das Wertsystem der Isländer, da die Natur das Land vor schlechten Einflüssen schützt: Die Ausformungen des Überseehandels können nur in den internationa- 17 Bjarni Thorarensen: „Ísland“. In: Ders.: Ljóðmæli Bd. 1. Kopenhagen: 1935, S. 55-56. Das Gedicht wird im Anschluss an den Aufsatz als Original und in einer Rohübersetzung angeführt. 18 Þórir Óskarsson: From Romanticism to Realism, S. 263 (s. Anm. 12). 19 „ [V]erteidigt uns, wie Cherub, mit schwingendem Schwert, der silberblaue Ägir vor der Feigheit.“ Natürliche Armut und reiche Natur 11 lisierten Handelsplätzen überleben, sobald sie sich von dort entfernen und in das ursprüngliche isländische Wetter wagen, frieren sie zu Tode. Der Luxus und der Überfluss, der mit gemäßigten klimatischen Bedingungen einhergeht und mit Schiffen aus fremden Ländern nach Island kommt, ist die Quelle der Verweichlichung, die in der isländischen Natur außerhalb der Handelsorte keine Existenzberechtigung hat. Neben Ägir beschützt in Thorarensens Gedicht auch der Vulkan Hekla, der immerhin noch am Beginn des 18. Jahrhunderts als Tor zur Hölle gedacht wurde, die Insel vor ausländischen Einflüssen. Die „Laster der Feigheit“ („læpuskaps ódyggðir“) kommen über das Meer und wollen sich hinterhältig an die Bewohner der Insel „anschleichen“ („vilja læðast þér að“). Die Verführungen des Konsums werden von Thorarensen als so gefährlich und hinterhältig beschrieben, dass man vor ihnen auf der Hut sein muss. Doch auch hier beschützt die Natur den Menschen, indem Hekla Feuer spuckt. Fremde Einflüsse und ökonomische Versuchungen werden durch die geographischen Bedingungen, die Bjarni Thorarensen in seinem Gedicht schildert, abgewehrt. Ísland ist bei Weitem nicht das einzige Gedicht in Thorarensens Gesamtwerk, in dem die Selbstreinigungskräfte der erschwerten geographischen Bedingungen thematisiert werden. Diese sind ein Grundthema das sich durch sein gesamtes schriftstellerisches Werk zieht. In seinem Gedicht Veturinn 20 von 1823 etwa beschreibt er den Winter als heroisch auftretenden Wikinger, der die schwachen Kinder in den Todesschlaf wiegt und mit der Mutter Erde neue, starke Kinder zeugt. In der letzten Strophe des Gedichtes Ísland gibt Thorarensen Verhaltenshinweise, sollten Zügellosigkeit und Maßlosigkeit doch einmal Island erreichen. Wenn die isländische Nation es nicht schafft, ihre Kinder vor dem Bösen zu bewahren und in Zeiten der nationalen Misere die Laster gedeihen, dann hilft eine Rückkehr zu den Wurzeln: „aftur í legið þitt forna þá fara“ („begib dich zurück in den Schoß der Vergangenheit“). In einem vertieften Blick auf sein Vaterland kann man zu den wahren Werten zurückfinden: „föðurland áttu, og hníga i sjá“ („ein Vaterland hast du, versenk dich im Blick“). Bjarni Thorarensen beschreibt den isländischen Naturraum somit nicht nur als einen Verteidigungswall gegenüber fremden ökonomischen Bedrohungen, sondern konzipiert ihn auch als eine Art Gedächtnisort, an dem man sich immer wieder der eigentlichen Werte der Urahnen versichern kann. Im Anschluss an Ausführungen über die harten Lebensumstände, welche vor Gier und Materialismus schützen, wird so der eigentliche Reichtum der Heimat betont, der eben nicht in den gewöhnlichen Kategorien ökonomischer Systeme zu bemessen ist. In der Konzeption von isländischer Natur als gemeinsamem Erinnerungsort wird gleichzeitig eine historische Identität zwischen Isländern und ihren Vorfahren hergestellt. 20 Bjarni Thorarensen: „Veturinn“. In: Ders.: Ljóðmæli. Bd. 1. Kopenhagen: 1935, S. 118-121. Berit Glanz 12 Unter dem Aspekt der zeitlosen Gemeinsamkeiten wird, wie am Ende von Thorarensens Gedicht deutlich wurde, oftmals eine genealogische Kontinuität von Tugenden heraufbeschworen, die in deutlichem Gegensatz zu Konsum und internationalem Handel der Gegenwart stehen. Natur wird hierbei in eine enge Verbindung gebracht mit der Genealogie der Nation, indem anhand naturräumlicher Bezüge eine glorreiche, wenn auch entbehrungsvolle und harte Vergangenheit beschworen wird. 21 Der konkret gegenwärtige Naturraum wird so mit Berichten aus der heroischen Vergangenheit semantisiert. Im Zentrum dieser Semantisierungen steht oft das Idealbild des skandinavischen Freibauers. Nicht zufällig gerät in der skandinavischen Nationalromantik daher der Bauer, der in einer symbiotischen Beziehung mit dem von ihm bewirtschafteten Boden steht, in den Fokus von Literatur und Kunst. Dieses neue Interesse beschränkt sich nicht nur auf die Literatur, auch in der Malerei wird die bildliche Darstellung des Volkes und folkloristischer Aspekte zu einem häufigen Motiv, so begründete beispielsweise der norwegische Maler Adolph Tidemand die skandinavische ethnographische Genremalerei und widmete sich dabei besonders der Darstellung norwegischer Bauern. 22 In der literarischen Behandlung des Bauernmotivs wird deutlich, dass sich die Ökonomiekritik nicht auf die Produktivität oder harte Arbeit selbst bezieht, sondern auf die Internationalisierung des Handels mit Konsumgütern, die scheinbare Oberflächlichkeit der neuen Warenwelten und die Expansion als Grundlage der neuen ökonomischen Ordnung. Die Fokussierung auf den Bauern und das Landleben als Fundament der Gesellschaft, ihrer Werte und ihres historischen Bewusstseins ist in enger Anlehnung an eigentlich veraltete physiokratische Wirtschaftsmodelle zu betrachten, die sich in Abgrenzung zum Merkantilismus am Beginn des 18. Jahrhunderts herausgebildet hatten. Dort wird die Landwirtschaft als einzige Quelle der Wertschöpfung bezeichnet. Sverker Sörlin schreibt dazu: Fysiokraterna hyllade bonden som den sanne producenten. Deras chefideolog Francis Quesnay talade om resultatet från jordbruket som ett produit net, en nettoprodukt, som utgjorde grunden för samhällets välstånd. […] Man satte försörjningen främst, och man tolkade samhällsutvecklingen som ett resultat av olika metoder för människorna att försörja sig. Sådana samhällen hade lyckats som såg till att de primära producenterna hade goda förustsättningar. De samhällen som hämnat böndernas företagsamhet hade gått under. Det var med andra ord en form av materialism. Jordens 21 In Bezug auf den ‚Götischen Bund‘ (Götiska förbundet) beschreibt Peter Hallberg diese Strategie folgenderweise: „The strategy for identity making favoured by Geijer and his fellows in the Gothic Society, I argue, involved contemplating both similarities (typically between early 19 th -century Swedes and their ancestors) and differences (between Swedes and foreigners or between Swedishness and non-Swedishness).“ Peter Hallberg: Mirrors of the Nation, S. 27. 22 Einen guten Überblick zu diesem Thema bietet Katrin Knopp: „‚hier ist der starre gewaltige Norden.‘ Skandinavische Landschafts- und Genremalerei im 19. Jahrhundert“. In: Facetten des Nordens. Räume - Konstruktionen - Identitäten. Hg. von Jan Hecker-Stampehl und Hendriette Kliemann-Giesinger. Berlin: 2009, S. 57-92. Natürliche Armut und reiche Natur 13 resurser var det primära, och ett förständigt bruk av dem var en hörnsten i en långsiktigt blomstrande ekonomi. 23 Die Physiokraten huldigten dem Bauern als dem wahren Produzenten. Ihr Chefideologe Francis Quesnay nannte die Ergebnisse der Bodenbearbeitung produit net, ein Nettoprodukt, das die Basis des gesellschaftlichen Wohlstands bildete. […] Die Versorgung wurde als Priorität gesetzt und man deutete die Gesellschaftsentwicklung als ein Resultat der unterschiedlichen Versorgungsmethoden des Menschen. Erfolgreiche Gesellschaften sorgten dafür, dass die Primärproduzenten gute Voraussetzungen hatte. Die Gesellschaften, die das Unternehmertum der Bauern behindert hatten, waren untergegangen. Es war mit anderen Worten eine Form des Materialismus. Die Bodenressourcen waren das Wichtigste und ein verständiger Gebrauch derselben war der Grundpfeiler einer langfristig erfolgreichen Ökonomie. Wie aus dem angeführten Zitat deutlich wird, wendet sich die Physiokratie nicht gegen den Materialismus an sich, stattdessen steht der Bauer als Versorger der Gesellschaft im Zentrum der Wirtschaftsordnung. Der freie Bauer als selbstständige Wirtschaftseinheit, der seinen Wohlstand durch harte körperliche Arbeit in Subsistenzwirtschaft erwirbt, steht in deutlichem Widerspruch zur Arbeitsteilung, welche die Grundlage des modernen ökonomischen Systems bildet. Der in Schweden gegründete ‚Götische Bund‘ (Götiska Förbundet) widmete sich besonders intensiv der idealisierten Darstellung der schwedischen Freibauern. Der Freibauer (Odalbonde) war ein unabhängiger Bauer, dessen Land sich seit Generationen im Familienbesitz befand. Durch eine klar belegbare Erbfolge und eine relative Unabhängigkeit von fremdem Kapital hatte der privilegierte Freibauer ein größeres Stimmrecht auf den Ting-Versammlungen. Die Idealisierung des Freibauern in den Texten des Gotischen Verbundes geht soweit, dass an der realen Existenz eines solchen Bauern gezweifelt werden kann. Sten Dahlstedt schreibt in seiner Analyse von Erik Gustaf Geijers frühen Werken: Vor seinen [E.G. Geijers, Anm. B.G.] Augen trat aus der Geschichte das Bild eines selbstständigen und freien altgermanischen Bauernstamms hervor, das ihm wie ein für den zeitgenössischen Menschen mustergültiges Ideal von Unabhängigkeit, Rechtschaffenheit und persönlicher Reife erschien. Dass sein Bauer faktisch sowohl Besitzer eigenen Bodens als auch recht deutlich von christlichen Leitbildern geprägt war, bedeutete, dass es für diesen Bauern womöglich keine Entsprechungen in historischer Zeit gab; doch dies bekümmerte Geijer eher weniger. 24 Im Rahmen dieser Analyse soll auf zwei exemplarische Gedichte von Erik Gustaf Geijer eingegangen werden, zum einen auf das 1811 verfasste Gedicht Manhem 25 23 Sverker Sörlin: „Bonden som ideal“. In: Bonden i dikt och verklighet. Hg. von Bo Larsson. Stockholm: 1993, S. 25. 24 Sten Dahlstedet: „Über Nördlichkeit und Erhabenheit bei dem jungen Erik Gustaf Geijer“. In: Nördlichkeit - Romantik - Erhabenheit. Apperzeptionen der Nord/ Süd-Differenz (1750- 2000). Hg. von Andreas Fülberth u.a.. Frankfurt a.M.: 2007, S. 172. 25 Im Folgenden wird zitiert nach Erik Gustaf Geijer: „Manhem“. In: Ders.: Dikter. Hg. von Carina Burman und Lars Burman. Lund 1999, S. 5-7. Die deutsche Rohübersetzung für Forschungszwecke baut auf einer Übersetzung von Prof. Dr. Joachim Schiedermair auf. Berit Glanz 14 und zum Anderen auf das ebenfalls 1811 verfasste Gedicht Odalbonden. 26 In beiden Gedichten lässt sich die, mit dem Bild des Freibauern verknüpfte, Ökonomiekritik besonders gut nachweisen. Im Gedicht Odalbonden beschreibt Geijer das Leben der freien Bauern in Schwedens Vorzeit aus der Perspektive eines gealterten Bauern. Auch Manhem hat die freien Bauern zum Thema, deren Existenz wird jedoch in einer sehnsuchtsvollen zeitlich distanten Retrospektive geschildert. In beiden Gedichten wird sowohl der Mut der Bauern betont als auch wiederholt auf ihren unabhängigen Status hingewiesen. Der freie Bauer wird bereits in den ersten Strophen beider Gedichte als Individuum definiert, das sich außerhalb einer hierarchischen Ordnung befindet. In Manhem schreibt Geijer explizit: „Då, ingens slav och ingens herre vorden, / var odalbonde var en man för sig“. 27 Auch in Odalbonden wird in der zweiten Strophe auf die Unabhängigkeit, die mit dem Besitz des eigenen Bodens verknüpft wird, Bezug genommen: Må ho, som vill, gå kring världens rund: vare herre och dräng den det kan! Men jag står helst på min egen grund och är helst min egen man. Mögen die, die es wollen, um die Welt reisen: Ein Herr oder Knecht sein, wer es kann! Doch ich steh am liebsten auf meinem eigenen Boden Und bin am liebsten mein eigener Herr. Eigentum wird somit sowohl in Odalbonden als auch in Manhem nicht grundsätzlich kritisiert, stattdessen wird der Besitz des eigenen Landes als Quelle ökonomischer und gesellschaftlicher Unabhängigkeit markiert. Ähnlich wie Bjarni Thorarensen in seinem Gedicht Ísland thematisiert Geijer in Manhem die künstlichen ausländischen Bedürfnisse, die auf dem Seeweg nach Schweden kommen. Nachfrage nach Luxusgütern und Befriedigung dieser Bedürfnisse durch Handel mit dem Ausland sind Grundbedingungen eines ökonomischen Systems, das dem Bauern der schwedischen Vorzeit völlig fremd sei: „Till honom ej från vitt avlägsna stränder / med skeppen flöto konstiga behov.“ 28 Geijer definiert diese Bedürfnisse nach fremden Waren als künstlich und äußert damit direkte Kritik am Konsum seiner Zeitgenossen. In den nächsten Zeilen des Gedichtes Manhem findet er ein noch drastischeres Bild für den negativen Einfluss der Kaufleute auf die Nation, indem er schreibt, dass diese früher nicht den Saft aus den Ländern des Bauern saugen konnten: „Ej krämarn musten sög utur hans länder“. 29 Der Gewinn der Bauern wurde auch nicht von eitlem Überfluss begraben: „[E]j flärdens yppighet 26 Im Folgenden wird zitiert nach E.G. Geijer: „Odalbonden“. In: Ders.: Dikter. Hg. von Carina Burman und Lars Burman. Lund 1999, S. 12-15. 27 „Damals, niemandes Sklave und niemandes Herr geworden, / War jeder Freibauer ein Mann für sich.“ 28 „Zu ihm flossen nicht von weit abgelegenen Stränden / Mit Schiffen künstliche Bedürfnisse.“ 29 „Nicht der Krämer sog den Saft aus seinen Ländern“. Natürliche Armut und reiche Natur 15 hans vinst begrov“. 30 Diese Zeilen verdeutlichen die Kritik an einem System, das auf einer Nutzbarmachung der Überschüsse beruht. Der Gewinn des Bauern, von dem Geijer spricht, ist offensichtlich nicht anhand ökonomischer Maßstäbe messbar. Im folgenden Abschnitt wird er konkreter definiert, indem Geijer das Verhältnis des Bauern mit der Erde idealisiert. Der Autor betont, dass diese „den Acker mit ihren eigenen Händen pflügten“ 31 und als Schatz eben kein Papiergeld oder Gold sammelten, sondern Nutztiere, für welche die Synekdoche Hufe verwendet wird. Der Bauer hat somit einen direkteren Kontakt mit der Erde bzw. der Natur und lebt, in enger Abhängigkeit von dieser, ein einfacheres Leben, in welchem der konkrete Wert eines Nutztieres zählt. Im Gedicht Odalbonden findet Geijer noch stärkere Sprachbilder, um die enge Verknüpfung des bäuerlichen Daseins mit dem Boden zu betonen, so schreibt er in der zehnten Strophe: Vi reda för landet den närande saft. Vi föda det - brödet är vårt. Av oss har det hälsa, av oss har det kraft, och blöder det - blodet är vårt. Wir bereiten für das Land den nährenden Saft. Wir nähren es - das Brot ist unser. Von uns hat es Gesundheit, von uns hat es Kraft, und blutet es - ist das Blut unseres. Dass sich der Bauer in einer symbiotischen Beziehung mit dem Boden befindet, stellt einen typisch physiokratischen Topos dar, doch die Verknüpfung von Blut und Boden geht weit über eine rein ökonomische Betrachtung hinaus. In Manhem wird die Vergangenheit mehrfach im Kontrast zur Gegenwart beschrieben. Die Kunst der Gegenwart ist beispielsweise der Genuss, während in der Vergangenheit das reine Ertragen des harten Lebens im Vordergrund stand: „Vår konst att njuta är, hans var umbära“. 32 Der Bauer hat gelernt sich selbst genug zu sein: „och själv sig vara nog, var all hans lära“. 33 In beiden Gedichten beschreibt Geijer die intellektuelle Einfachheit des Bauern, die einhergeht mit Ehre, Würde und Mut. 34 Auf diesen elementaren Eigenschaften baut sich die Nation auf, als Nation 30 „Nicht die Üppigkeit des äußerlichen Glanzes begrub seinen Gewinn“. 31 „Men åkern plöjde han med egna händer“. 32 „Unsere Kunst ist es zu genießen, seine war es zu entbehren.“ 33 „Und sich selbst genug zu sein, war seine ganze Lehre.“ 34 Frauke Hillebrecht schreibt dazu: „Im Bild des freien Bauern manifestieren sich das Volk in seiner Originalität und der Anspruch auf politische Mitbestimmung. Den Anspruch versinnbildlicht das entscheidende Kriterium des Bauern: Er arbeitet mit den Händen. Charakteristisch für ihn sind traditionelle Gewohnheiten und deren selbstverständliche Beibehaltung in Bezug auf häusliche Bräuche, Trachten, Denkweisen und den Gebrauch der Sprache. Von dem entfremdeten Gebildeten unterscheidet er sich in erster Linie durch Kraft, Stärke und Gesundheit. Geijer beschreibt den Bauern als Träger der einfachen, menschlichen Wahrheit, der aus der ‚ geschichtslosen‘, der natürlichen, unverbildeten Zeit Eigenschaften in die Gegenwart transportiert und somit als Ausdruck einer gewachsenen, natürlichen und autochthonen Entwicklung vor einem selbstbestimmten politischen Hintergrund erscheint: Berit Glanz 16 männlicher Tugenden: „Av dessa dygder fordom Manhem nämnes / ty det var fosterland för manligt dygd.“ 35 Die Einflüsse, welche eben diese glorreiche Vergangenheit beendet haben, kommen alle aus dem Ausland: deutsche Wissenschaft, gallische Kleidung, indische Kräuter und Gewürze. Geijer kritisiert die Verpflichtungen und Fesseln, die mit dem Handel fremder Waren einhergehen und befürchtet angesichts der vielen neuen Bedürfnisse den Verlust der eigenen Identität: „Vad mer, om tusen skatter till oss välva, / och vi då äga allt och ej oss själva.“ 36 Am Beginn der neunten Strophe beschreibt er seine Zeitgenossen als Sklaven ihrer Konsumbedürfnisse und betont, dass diese ihre Ketten nie selber rasseln hören würden. Das heißt, die Annehmlichkeiten des Luxus täuschten darüber hinweg, wie der Materialismus das Individuum der wichtigsten Freiheit, nämlich der nationalen Unabhängigkeit, beraube: „En slav är den, som usla lustar jaga, / om kedjan aldrig skramlat kring hans fot.“ 37 Als Konsequenz fordert Erik Gustaf Geijer in der vorletzten Strophe eine Rückbesinnung auf die Tugenden und Werte der Vergangenheit und beruft sich dabei, wie Thorarensen in dem zuvor analysierten Gedicht, auf die Natur als Erinnerungsort, in dem das Heldentum der früheren Generationen gespeichert ist: På segerrika marker svensken träder, där berg och skogar tala forntids bragd. Han ropar dig, den sång, som stormen kväder kring kämpars aska, djupt i högen lagd: kan du förgäta dina stora fäder och ibland deras skuggor stå försagd? Steg då med deras ätt och deras seder ock Nordens kraft i gravens sköte neder? Auf siegesreichem Grund der Schwede tritt, Wo Berg und Wälder der Vorzeit Heldentat erzählen. Er ruft dich, der Gesang, vom Sturm gedichtet Über die Asche des Kriegers, tief im Grabhügel: Kannst du deine großen Väter vergessen Und verzagt in deren Schatten stehen? Stieg wohl mit ihrem Geschlecht und ihren Sitten Auch die Kraft des Nordens nieder in den Grabesschoß? In ihm manifestiert sich nach götizistischer Auffassung die ‚ wahre‘ Bildung.“ Frauke Hillebrecht: Skandinavien - Die Heimat der Goten? Der Götizismus als Gerüst eines nordischschwedischen Identitätsbewußtseins. Arbeitspapiere Gemeinschaften; Bd. 7. Humboldt- Universität Berlin: 1997 [www2.huberlin.de/ skan/ gemenskap/ inhalt/ publikationen/ arbeitspapiere/ ahe_07.html; Letzter Zugriff: 10.10.2012]. 35 „Nach diesen Tugenden wurde einst Manhem genannt / Denn es war das Vaterland der männlichen Tugend.“ 36 „Was mehr, wenn tausend Schätze zu uns strömen, / Und wir dann alles besitzen, doch nicht uns selbst“ 37 „Ein Sklave ist der, den elende Lüste jagen, / Selbst wenn die Kette nie um seinen Fuß klirrt.“ Natürliche Armut und reiche Natur 17 Der Boden selbst ist siegreich und die Berge und Wälder sprechen von den Heldentaten der Vorzeit. Sogar der Sturm ruft zur Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit auf. Durch diese semantische Aufladung der schwedischen Natur mit den Heldengeschichten der Urahnen wird ein enger Bezug zur Gegenwart erzeugt, denn wenn das gesamte natürliche Umfeld mit einer heroischen Vergangenheit belebt ist, dann kann sich das Individuum konstant seiner Historie vergewissern und so den ökonomischen Versuchungen der Gegenwart widerstehen. Die Parallelen zwischen dem zuvor analysierten Gedicht von Bjarni Thorarensen und Erik Gustaf Geijers Werk sind offensichtlich: Natur wird auch in dem Gedicht Manhem zu einem Erinnerungsort, der gleichzeitig in einen Gegensatz zum gegenwärtigen ökonomischen Wertesystem gestellt wird. Am Beginn der letzten Strophe von Manhem wird anschließend eine, durch die erhabene Natur bedingte, Prädisposition des nordischen Menschen zum Heldentum behauptet: Die Erde wurde durch den Stempel der Natur „zum starken Wohnsitz der Männlichkeit“ gemacht, „till manlighetens starka boning gjord“. Daher sollen sich die Schweden zurückbesinnen auf ihre ursprünglichen Werte, die Geijer in den nächsten Zeilen als Ehre, Kraft und Glauben definiert. Ein weiteres Beispiel für die Verknüpfung von Natur mit nationaler Identität und einer darauf begründeten Gegenüberstellung von eigenen Werten und ausländischen Kapital- und Handelsströmen ist das Gedicht Vårt Land 38 des Finnlandschweden Johan Ludvig Runeberg, welches den 1848 verfassten Epos Fänrik Ståls Sägner einleitet und als finnischen Nationalhymne verwendet wird. Runeberg beschreibt Finnlands arme und doch gleichzeitig reiche Natur in der zweiten Strophe folgenderweise: Vårt land är fattigt, skall så bli För den, som guld begär, En främling far oss stolt förbi; Men detta landet älska vi, För oss med moar, fjäll och skär Ett guldland dock det är. Dies Land ist arm und mag so sein Für den, der Gold begehrt. Kehrt auch kein stolzer Fremdling ein, Wir sind es, die das Herz ihm weihn, Uns ist mit Wald und Fels und Wert Ein Goldland doch beschert. 39 38 Johan Ludvig Runeberg: „Vårt Land“. In: Ders.: Samlade Arbeten. Band III. Hg. von Ruth Hedvall. Stockholm: 1931, S. 13-15. 39 Die deutsche Übersetzung von „Vårt land“ stammt von Wolrad Eigenbrodt. Zitiert nach Johan Ludvig Runeberg: Fähnrich Stahl. Helsingfors: 1955, S.11-13. Berit Glanz 18 Finnlands Armut ist für Runeberg kein negatives Merkmal des Landes, sondern eine positive Grundbedingung, genauso wie „es sein soll“ („Vårt land är fattigt, skall så bli“), denn eben diese geographisch bedingte Armut beschützt Finnland vor den Einflüssen der gierigen Fremden. Im Gegenzug zu Thorarensens Konzeptionen wilder isländischer Natur, die alle Einflüsse moderner Ökonomie aktiv vertreibt und verhindert, bedarf es dieser aktiven Verteidigung bei Runeberg nicht. Der Fremde, der „Gold begehrt“ („som guld begär“), interessiert sich von vornherein nicht für Finnland, da er den Reichtum des Landes, der sich eben nicht in den herkömmlichen ökonomischen Maßstäben messen lässt, ignoriert und „stolz vorbei fährt“ („En främmling far oss stolt förbi“). Der tatsächliche Reichtum Finnlands setzt sich aus Elementen der finnischen Natur zusammen, aus „moar, fjäll och skär.“ („Heide, Berg und Schären“). Runeberg benutzt den Begriff Gold, den er noch in der zweiten Zeile abwertend mit Gier verknüpft hat, in der letzten Zeile der Strophe als positive Bezeichnung. Gold ist für Runeberg negativ konnotiert, solange die ökonomische Betrachtung des Edelmetalls gewählt wird, als idealistische Metapher für eine Beschreibung von Naturschönheit aus einer Perspektive patriotischer Heimatliebe ist die Bezeichnung Finnlands als Goldland jedoch positiv. Die Maßeinheit des Goldes wandelt sich im Laufe der Strophe von einer Grundlage des ökonomischen Systems zu einem ästhetischen Wertmaßstab. Die ärmliche Natur, die unter Betrachtung ökonomischer Gesichtspunkte keinen großen Wert hat, versetzt den Finnen in die Lage sich von eben diesem Wertsystem zu befreien und stattdessen das Vaterland unter ästhetischen und patriotischen Gesichtspunkten zu bewerten. Im weiteren Verlauf werden Elemente finnischer Naturschönheit wie Flüsse, Bäche, Wälder, Sternennacht und Sommerlicht aneinandergereiht, um den ideellen Wert der Heimat zu betonen. Runeberg verwendet in dem gesamten Gedicht häufig den Begriff Heimatland („fosterland“) als Hinweis auf die mit dem Land eng verbundene nationale Genealogie des finnischen Volkes. Mit der wiederholten lokalisierenden Fokussierung des Wortes „hier“ („här“), die besonders in Strophe vier und sechs auffällig ist, verstärkt der Autor den konkreten räumlichen Bezug für seine Schilderungen aus der finnischen Vergangenheit. Auch hier wird der konkrete Naturraum zum Erinnerungsort der Nation: Här striddes våra fäders strid Med tanke, svärd och plog, Här, här, i klar som mulen tid, Med lycka hård, med lycka blid, Det finska folkets hjärta slog, Här bars, vad det fördrog. Hier ging der Väter Kampf und Streit Mit Schwert und Geist und Pflug. Im Lichte wie in Dunkelheit, In rauher wie in milder Zeit Natürliche Armut und reiche Natur 19 Hier unsres Volkes Herze schlug, Hier trug es, was es trug. Interessanterweise wird der Kampf der Vorfahren mit Gedanken, Schwert und Pflug ausgetragen. Besonders die Benutzung des Pfluges als Waffe ist in diesem Kontext von Bedeutung. Die Identität des finnischen Volkes beruht somit nicht nur auf dem gemeinsamen Kampf gegen einen real manifestierten ausländischen Feind, sondern ebenfalls auf dem gemeinsam immer aufs Neue zu bestehenden Kampf gegen die Natur. Der Pflug wird hier zum Symbol einer produktiven Subsistenzwirtschaft, in der in hartem Kampf mit den gegebenen natürlichen Umständen, dem Boden immer wieder das Nötigste abgetrotzt wird. Die Grundbedürfnisse wurden dem Finnen, der in Runebergs Gedicht beschrieben wird, von seiner Heimat nicht ohne Kampf erfüllt, doch dieser konstante Kampf verstärkte die enge Verbindung des Finnen mit seiner Heimat. Auch Runeberg kritisiert also nicht die harte Arbeit an sich, sondern den Verlust der Subsistenzwirtschaft im modernen ökonomischen System, den er gleichzeitig als Verlust der nationalen Verknüpfung von Volk und Boden betrachtet. In Strophe sieben wird dann erneut an alternative Wertkategorien appelliert, indem der Autor die Frage stellt, was auf der Welt am meisten wert ist: „Vad finns på jorden mera värt / Att hållas dyrt och kärt“. 40 Die Antwort, die Runeberg auf diese Frage findet, ist eindeutig: das Heimatland. Solange der Mensch eine Heimat hat, ist es nur von sekundärer Bedeutung wie das Schicksal ihm mitspielt: „Hur ödet kastar än vår lott, / Ett land, ett fosterland vi fått“. 41 Die Nation selbst ist der höchste Wert, der durch materielle Werte nicht übertroffen werden kann. Besitz in Form von Luxus und Überfluss ist nicht erstrebenswert, da er von diesem wesentlichen Wert ablenkt. Deswegen sehnt sich der von Runeberg entworfene Finne, selbst wenn er in Wohlstand und Reichtum lebt, nach der ursprünglichen Armut seiner Heimat. Der Autor schreibt in Strophe neun: Och fördes vi att bo i glans Bland guldmoln i det blå, Och blev vårt liv en stjärnedans, Där tår ej göts, där suck ej fanns, Till detta arma land ändå Vår längtan skulle stå. Und würd‘ uns Wohnung hoch im Glanz Am lichten Himmelsrand, Und unser Sein ein Sternentanz In träneloser Wonnen Kranz - Wir sehnten doch uns unverwandt Nach diesem armen Land. 40 „Was wäre mehr auf Erden wert, / Dass man es liebt und ehrt? “ 41 „Was auch verhängt des Schicksals Hand. / Uns ward ein Land, ein Vaterland! “ Berit Glanz 20 Selbst in einer Welt aus Goldwolken („guldmoln“), hier bezieht sich Runeberg wieder auf den materiellen Status des Goldes, in der in Anlehnung an die Paradiesvorstellung in Offenbarung 21, 1-7 keine Tränen vergossen werden und es keine Seufzer gibt, wünscht sich das finnische Volk den kollektiven Überlebenskampf der Armut zurück: „Till detta arma land ändå, vår längtan skulle stå“. 42 Die Armut wird somit zu einem natürlichen Urzustand verklärt, an dem man sich orientiert: Vår forntids land, vår framtids land, Var för din fattigdom ej skyggt, Var fritt, var glatt, var tryggt! Der Vorzeit und der Zukunft Land - Sei stolz, ob auch dein Boden karg, Sei frei, sei froh, sei stark! Das Vaterland, welches das Land der Vergangenheit und der Zukunft seines Volkes ist, braucht sich für seine Armut nicht zu schämen. Freiheit, Glück und Sicherheit sind die wirklich wichtigen Kriterien, an denen sich das Vaterland zu messen hat. Die hier analysierte Kritik an einer Ökonomie des Überflusses, durch Präsentation alternativer Wertmodelle und Darstellung von Luxus und Reichtum als nicht erstrebenswert und als für das persönliche Glück nicht notwendig, ist auch in anderen Gedichten Runebergs nachweisbar. In seinem Gedicht Flickan ägde av sin mor ett minne 43 beschreibt er ein junges Mädchen, das ein ererbtes Goldgeschmeide ins Meer wirft, um eine Liebesheirat einzugehen und nicht nur wegen ihres Reichtums geheiratet zu werden. Auch hier ist die Natur indirekt behilflich, den Versuchungen des Reichtums zu entgehen. In dem Gedicht Är så arm du, som man säger? 44 beantwortet der Autor die Frage nach der angeblichen Armut eines Kindes verneinend und begründet den Reichtum des Kindes mit der wunderschönen Natur der Heimat und der liebevollen Umarmung der Mutter. Anhand der analysierten Gedichte konnten die eingangs erarbeiten Strukturen der Ökonomiekritik in Texten des skandinavischen Idealismus deutlich aufgezeigt werden: zum einen die Beschreibung erhabener nordischer Natur und harter klimatischer Bedingungen als Ursache für eine Unabhängigkeit der Menschen vom ökonomischen System und zum anderen die Konzeption von Natur als Erinnerungsort eines ewigen Wertsystems. Die den grundlegenden menschlichen Bedürfnissen feindselig gegenüberstehende Natur des Nordens, welche die Armut der dort leben- 42 „Wir sehnten doch uns unverwandt / Nach diesem armen Land.“ 43 Johan Ludvig Runeberg: „Idyll och Epigramm 26: Flickan ägde av sin mor ett minne“. In: Ders.: Samlade Skrifter. Hg. von Gunnar Castré und Martin Lau. Bd.1. Dikter I-III. Hg. von Sven Rinman. Stockholm: 1933, S. 119-120. 44 Johan Ludvig Runeberg: „Ett litet Öde. Är så arm du som man säger“. In: Ders.: Samlade Arbeten. Bd. 1. Hg. von Ruth Hedvall. Stockholm 1931, S. 181. Natürliche Armut und reiche Natur 21 den Menschen verursacht, ermöglicht eine Besinnung auf übergeordnete Werte, die eben nicht einer ökonomischen Ordnung, sondern einem ästhetischen System oder nationalistisch genealogischen Bezügen auf die Vergangenheit entstammen. Wie das Eingangszitat von Thomas Mügge jedoch ebenfalls zeigt, ist diese Wahrnehmung einer scheinbar natürlichen nordischen Armut, die mit einer hohen Moral einhergeht, nicht ausschließlich auf nordische Autoren beschränkt. Obwohl im Rahmen der Ökonomiekritik dieser Texte Konsum, Überfluss und Abhängigkeit von Geld und Markt kritisiert werden, folgt die Begründung dieser Kritik, in der die Natur als Referent gebraucht wird, doch eindeutig ökonomischen Modellen, indem häufig mit Begriffskategorien von Armut und Reichtum, Bedürfnis, Nachfrage und Angebot argumentiert wird. Die Grundthese, dass die Natur die Bevölkerung prägt und diese dadurch den ökonomischen Versuchungen leichter widerstehen können, folgt paradoxerweise selbst einem Modell der Anpassung, das in seinen Grundzügen klar dem ökonomischen Denken entspricht. So gibt es beispielsweise eine augenfällige Verknüpfung der Arbeiten Darwins, der den Begriff der natürlichen Selektion geprägt hat, mit den Gedankengängen der Nationalökonomen. Darwin verwendet in der Einleitung seines Werkes The Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life den folgenden eindeutigen Bezug zum Nationalökonomen Malthus: In the next chapter the Struggle for Existence amongst all organic beings throughout the world, which inevitably follows from the high geometrical ratio of their increase, will be treated of. This is the doctrine of Malthus, applied to the whole animal and vegetable kingdoms. 45 Es ist besonders interessant, dass die als negativ geschilderten ökonomischen Einflüsse, nie als lokal bedingt aufgezeigt werden, sondern immer mit ‚den Fremden‘ in das Land kommen. Das moderne ökonomische System und damit einhergehende Ausprägungen von Luxus, Überfluss und Konsum werden so als fremd und unnatürlich geschildert. Auffällig ist in diesem Kontext auch die überraschende Abwesenheit von Seefahrt und Handel als nationalem Motiv, stattdessen werden die international operierenden Schifffahrtslinien als Quelle der Handelsströme kritisiert. Obwohl sich im Bezug auf die Vergangenheit auch eine Idealisierung des Wikingers anbieten würde, wird stattdessen der bodenständige Freibauer gewählt. In einer überzeugenden Analyse der gegensätzlichen Entwürfe in Geijers Gedichten Vikingen und Odalbonden schreibt Sten Dahlstedt: Odalbonden handelte von dem freien, selbstbestimmten schwedischen Bauern, der in physiokratischem Geiste von Generation zu Generation Ernährer der Gesellschaft war. Dieser hatte nicht nur einen selbstverständlichen Platz bei Gericht, sondern sein Bild wurde zu einem zeitlosen Urbild im Reich der Ewigkeit. Hieraus ergab sich ein effektvoller Kontrast gegenüber dem Vikingen, welcher als ein konkret geschildertes Menschenschicksal den konfliktbeladenen Charakter des vorchristlichen Nordländers zu 45 Charles Darwin: On the Origin of Species by Means of Natural Selection or the Preservation of Favoured races in the Struggle for Life. London: 1861, S. 4. Berit Glanz 22 repräsentieren hatte, bei dem Kühnheit und Tatkraft in einer naiven, selbstzerstörerischen Unruhe mündeten, die sich - durchaus symbolträchtig - in einem kurzen Todesmoment niederschlug. 46 Im Gegenzug zum Freibauern wird der Wikinger also nicht idealisiert, sondern verkörpert stattdessen das destruktive Moment im Gegenzug zur gesellschaftsbegründenden Konstruktivität des Freibauern. 47 Die Analyse der ausgewählten Lyrikbeispiele zeigt, dass die Glorifizierung des Bauern als Stütze und Grundpfeiler der Nation nicht nur im Rahmen einer romantischen Rückbesinnung auf das einfache Volk zu betrachten ist, sondern dass auch ihre Bezüge zu den ökonomischen Modellen der Physiokraten mit einbezogen werden müssen. Anhand der betrachteten Gedichte ist deutlich geworden, dass die Ökonomiekritik der Texte sich nur auf die neuen Modelle der Nationalökonomie bezieht, auf eine auf Expansion und Überfluss basierende Marktwirtschaft der unsichtbaren Hand. Indem die Gedichte einen Rückbezug auf physiokratische Modelle vornehmen und die Landwirtschaft zur Basis der nationalen Identität machen, wenden sie sich gegen den hohen Abstraktionsgrad des freien Marktes und der liberalen Geldwirtschaft und bevorzugen im Gegenzug greifbare Realitäten wie Bodenbearbeitung und Ackerbau. Inwieweit ein Rückbezug auf Wirtschaftsmodelle, die den Fokus auf die Ebene der konkreten landwirtschaftlichen Produktion legen, eine eindeutige Abgrenzung zu den Theorien der Nationalökonomen ist, die auf der freien Zirkulation der Waren in einem stetig expandierenden Markt beruhen, bedarf weitergehender Untersuchungen anhand eines größeren Textkorpus. 46 Sten Dahlstedet: Über Nördlichkeit und Erhabenheit, S. 171. 47 Für eine ausführliche Analyse des Verhältnisses von Vikingen und Odalbonden, die sich neben der offensichtlichen Gegensätzlichkeit auch den Gemeinsamkeiten der beiden Figuren, wie z.B. dem Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit, widmet, s. Björn Meidal: „Odalmannen och vikingen. Bonden i svensk litteratur“. In: Bonden i dikt och verklighet. Hg. von Bo Larsson. Stockholm: 1993, S. 5-21. Natürliche Armut und reiche Natur 23 Bjarni Thorarensen: Ísland (1818) 48 Þú nafnkunna landið sem lífið oss veittir, landið sem aldregi skemmdir þín börn, hvert þinnar fjærstöðu hingað til neyttir, hún sér þér ódugnaðs framvegis vörn. Undarlegt sambland af frosti og funa, fjöllum og sléttum og hraunum og sjá; fagurt og ógurlegt ertu þá brunar eldur að fótum þín jöklunum frá! Fjör kenni´ oss eldurinn, frostið oss herði, fjöll sýni torsóttum gæðum að ná; bægi sem kerúb, með sveipanda sverði silfurblár Ægir oss kveifarskap frá. Þó vellyst í skipsförmum völskunum meður vafri að landi, eg skaða ei tel; því út fyrir kaupstaði íslenskt í veður ef hún sér vogar, þá frýs hún í hel. Ef læpuskaps ódyggðir eykjum með flæða út yfir haf vilja læðast þér að: með geigvænum logbröndum Heklu þær hræða hratt skalt þú aptur að snáfa af stað. En megnirðu´ ei börn þín frá vondu að vara, og vesöld með ódyggðum þróast þeim hjá, aftur í legið þitt forna þá fara föðurland áttu, og hníga í sjá. 48 Bjarni Thorarensen: „Ísland“. In: Ders.: Ljóðmæli Bd. 1. Kopenhagen: 1935, S. 55-56. Die Rohübersetzung aus dem Isländischen stammt von Berit Glanz. Berit Glanz 24 Bjarni Thorarensen: Ísland (1818) Du weitbekanntes Land, das uns das Leben schenkte, Land, das seine Kinder nie verwöhnte, All deine Unnahbarkeit hat es geschafft, bis jetzt dich zu schützen vor allen Lastern. Sonderbare Mischung aus Frost und Feuer, Bergen und Ebenen und Lava und See; schön und erschreckend bist du, während das Feuer rast von den Gletschern zu deinen Füßen! Das Feuer lehrt uns Vitalität, der Frost lehrt uns Härte, die Berge präsentieren für uns schwer erreichbare Stärken; verteidigt uns, wie Cherub, mit schwingendem Schwert, der silberblaue Ägir vor der Feigheit. Obwohl Schätze in der Ladung walisischer Männer zum Land hin wandern, seh’ ich keinen Schaden; denn wenn sie sich fort von den Handelsplätzen in das Wetter wagen, dann frieren sie zu Tode. Wenn die Sünden der Feigheit mit den Waren fließen über das Meer, und sich anschleichen wollen: mit furchtbaren Feuerbränden verscheucht sie Hekla schnell wirst du wieder fortlaufen. Doch schaffst du es nicht, deine Kinder vor dem Bösen zu bewahren und entwickeln sich die Laster des Elends bei Ihnen, begib dich zurück in den Schoß der Vergangenheit ein Vaterland hast du, versenk dich im Blick. Natürliche Armut und reiche Natur 25 Literaturverzeichnis Almquist, Karl Jonas Love: „Schwedens Armut und ihre Bedeutung“. In: Ders.: Werke. Übers. von A. Mens. Bd. 2. Leipzig: 1912, S. 323-373. Almqvist, Carl Jonas Love: „Svenska fattigdomens betydelse“. In: Ders.: Tornrösensbok. Duodesupplagan Bd. VIII-XI. Hg. von Bertil Romberg. Stockholm: 1996 (= Samlade Verk, 8), S. 277-312. 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Visserligen kan man tänka på sådana storartade projekt av ekonomisk och militär betydelse som byggandet av Göta kanal och Karlsborgs fästning, men faktum är att Karl Johan av sin samtid ibland beskylldes för ekonomiskt lättsinne. 1 Ändå är hans yttrande intressant, och med det som utgångspunkt undersöks här spåren av några samtida politiska och monetära diskurser i Carl Fredrik Dahlgrens Mollbergs epistlar (1820). Det handlar alltså om ett litteraturvetenskapligt bidrag till den forskning om Karl Johan-tidens politiska kultur som har aktualiserats under de senaste åren, inte minst i anslutning till hundraårsminnet av unionsupplösningen år 1905. 2 I den här retoriskt och mediehistoriskt fokuserade forskningen är det vanligt att begreppet ‚politisk kultur‘ kommer till användning som en övergripande benämning på alla de språkliga och visuella former som en viss samtid använder sig av för att beskriva sig själv - och att undersöka denna kultur innebär därmed att lyfta fram de begrepp, bilder och symboler som tas i bruk i olika medier för att forma, upprätthålla och förändra samhälleliga ordningar. 3 Den politiska kulturen under Karl Johan-tiden var mycket dynamisk, vilket främst kan sägas bero på 1809 års regeringsform och den tryckfrihet och föreningsfrihet som följde i dess spår men säkert också på det starka behov Karl XIV 1 En längre genomgång av Karl Johans ekonomiska politik under kronprinstiden, liksom av hans privata ekonomi, ges i Torvald T: son Höjer: Carl XIV Johan. Kronprinstiden. Stockholm: 1943, s. 386-450. 2 För termen politisk kultur, se Nils Ekedahl: „En dynasti blir till“. I: En dynasti blir till. Medier, myter och makt kring Karl XIV Johan och familjen Bernadotte. Red. av Nils Ekedahl. Stockholm: 2010, s. 7-35; här s. 14ff. 3 Ekedahl: En dynasti blir till, s. 16. Här definieras medier retoriskt som „tekniker för att förmedla budskap som [ska] påverka mottagarna och skapa opinion“. Se även Anders Sundin: 1809. Statskuppen och regeringsformens tillkomst som tolkningsprocess. Uppsala: 2006 (= Studia historica Upsaliensia; 227), s. 21-35 för en längre genomgång av begreppet som det används av historikerna. Legitimitet och likviditet 27 Johan själv hade av att på olika sätt och i olika medier hävda den nya dynastins legitimitet. 4 Restaurationstiden gjorde sådana frågor högaktuella, och de behandlades i diskurser som gällde såväl det allmänna förtroendet som statens ekonomi. I det följande undersöks Mollbergs epistlar mot bakgrund av några dominerande drag i denna samtida politiska kultur. Det betyder att den diskursiva funktionen lyfts fram hos några av de bilder och symboler som förekommer i texten, i så måtto att de tillsammans med olika inskrivna symbolhandlingar alla antas behandla frågan om kungamaktens legitimitet i tidigt svenskt 1800-tal. Som bekant var årtiondena runt sekelskiftet 1800 mycket turbulenta i Europa - inte minst i Sverige, där Gustav III mördades av en grupp oppositionella adelsmän och hans son Gustav IV blev avsatt och landsförvisad under kuppartade förhållanden 1809. Den svenska riksdagens val av Jean Baptiste Bernadotte till tronföljare år 1810 var inte heller på något sätt ett självklart beslut - det som i slutänden tycks ha röjt undan tvivlen hos de flesta var den ekonomiska handlingskraft han ställde i utsikt när han via ombud förklarade sig vara villig att låna den svenska staten åtta miljoner francs mot fyra procents ränta, betala samtliga svenska köpmäns fordringar på den franska staten samt lösa in de gods som Napoleon hade beslagtagit i Svenska Pommern. 5 Det var nödvändigt för Jean Baptiste Bernadotte att demonstrera handlingskraft både på det ekonomiska och på det militära planet, då han inte hade någon form av dynastiska anspråk på tronen och var en fullkomlig främling för det svenska folket. Hans rykte som duglig marskalk i Napoleons framgångsrika arméer var utslagsgivande i det försvagade Sverige som ett år tidigare förlorat den finska rikshalvan. Men helt enkel var inte denna förvandling från fransk marskalk till monark på en av de äldsta tronerna i Europa. Som historikerna har visat var upphöjandet av den ursprungligt borgerlige Bernadotte till kungligt stånd och installationen av honom som svensk kronprins också en lång och strängt ritualiserad process. 6 Det betyder emellertid inte att Jean Baptiste Bernadottes sagolika förvandling till kronprins Karl Johan inte skulle ha åtföljts av en livligt förd argumentation på ett mer rationellt plan för beslutet att bereda honom väg till den svenska tronen. I den tidens politiska kultur tycks det performativt bekräftande i de rituellt fastlagda symbolhandlingarna å ena sidan och det logiskt argumenterande i den samtida retoriken å den andra ha varit principiellt likvärdiga försök att forma en ny samhällelig ordning. Detta återspeglas också i Mollbergs epistlar, där föreställningen om kungamaktens legitimitet befästs med hjälp av både rit och retorik. I texten finner man märkligt nog spår av den absolutistiska tidens rituella framföranden i en argumentation som i övrigt förs på borgerligt liberala premisser. 4 I det sammanhanget var han själv mycket medveten om kommunikationens värde. Om hans nära samarbete med publicisten och ämbetsmannen Per Adam Wallmark skriver Cecilia Rosengren: „Kungahuset i pressens sken“. I: Nils Ekedahl (red.): En dynasti blir till, s. 235- 259; här s. 249f. 5 Höjer: Carl XIV Johan. Kronprinstiden, s. 24f. 6 Se Mikael Alm: „Riter och ceremonier kring Karl XIV“. I: Nils Ekedahl (red.): En dynasti blir till, s. 37-77; här s. 39ff. Jonas Asklund 28 Den bild av kungamaktens legitimitet som ges i Dahlgrens text tycks genomgående relatera till det man kan kalla likviditet. Det är ett ord som avser något finansiellt, en form av betalningsberedskap, men som här i den följande diskussionen förstås som något flytande, föränderligt och förbindande. Det tycks som om denna bild av den nya dynastin - och i slutänden också bilden av kungamaktens funktion - bygger på en föreställning om konungen som en förmedlande länk som binder samman olika delar av samhället. Ett slags flöde som i likhet med kärlek, vänskap och tro kan och bör genomströmma en stat. Sådana föreställningar tillhör tidens romantiska allmängods, men den bild som Dahlgren tecknar av kungamakten och dess legitimitet i termer av likviditet kan ändå preciseras något. En intressant kontext i det sammanhanget tycks vara den tyske filosofen och statsvetaren Adam Müllers skrifter, och inte minst då hans teorier om den betydelse såväl monetära som emotionella kretslopp har för statens fortlevnad. När Jean Baptiste Bernadotte valdes till tronföljare efter Karl XIII, den yngre brodern till den år 1792 mördade Gustav III, kan det betraktas som slutpunkten på den djupa legitimitetskris som länge hade präglat den gustavianska epoken. 7 Den landsfördrivne Gustav IV Adolf och hans arvingar hade därefter ingen rätt till den svenska tronen. Allt detta innebar emellertid inte någon total eller definitiv brytning med den föregående epoken, snarare var det så att den nu måste ställas i ett nytt ljus. Under omfamningar adopterades Jean Baptiste av den barnlöse Karl XIII, och förhållandet till honom och de återstående släktingarna till Gustav IV Adolf präglades av en ömsesidig respekt. Som kronprins förmådde Karl Johan också att skapa goda kontakter till de politiker, ämbetsmän och kulturpersonligheter som en gång stått Gustav III nära. Mycket av detta kan säkert tillskrivas hans person och vinnande sätt, men som historikerna har visat var Karl Johans ställning under de första årtiondena i Sverige till stor del resultatet av en skickligt genomförd iscensättning av ätten Bernadotte som en kunglig dynasti. Denna iscensättning omfattade alla delar av samhället - från de politiska och militära ceremonierna över arkitekturen till teatern, bildkonsten och litteraturen. Det hela har beskrivits som att ätten Bernadotte befäste sin ställning som rättmätig svensk kungadynasti genom att låta sig infogas i olika berättelser om Sverige, om dess förflutna och om dess framtidsdrömmar. 8 Som ett exempel på hur de deltog aktivt i skapandet av de myter som spanns runt monarkin kan nämnas hur Karl XIV Johan och kronprins Oscar personligen mötte Carl Michael Bellmans änka och son under festligheterna i samband med att ordens- 7 Se Mikael Alm: Kungsord i elfte timmen. Språk och självbild i det gustavianska enväldets legitimitetskamp 1772-1809. Stockholm: 2002. 8 Ekedahl: En dynasti blir till, s. 17. Så kom också den för tiden ganska unika fyraståndsrepresentationen att särskilt framhävas i det nya ceremonielet vid Karl XIV Johans kröning, på så sätt att makten symboliskt framställdes som delad mellan monarken och folkrepresentanterna. Se Alm: Riter och ceremonier, s. 37-77; här s. 62. Legitimitet och likviditet 29 sällskapet Par Bricole reste en byst av Bellman år 1829. 9 Vid samma tid som det enligt lag var förbjudet för privatpersoner i Sverige att ens äga ett porträtt av den avsatte Gustav IV Adolf bidrog alltså Karl XIV Johan till att skänka kunglig glans åt ett sällskap som vidmakthöll minnet inte bara av Bellman utan indirekt också av Gustav III. Därmed skrevs inte bara ett nytt kapitel i berättelsen om Bellman utan gavs också en ny bild av dennes relation till kungamakten. 10 När vi idag betraktar tidens politiska kultur framstår Karl XIV Johan själv som en tydlig aktör i sammanhanget, men man bör hålla i minnet att utbytet av politiskt laddade begrepp, bilder och symboler var något i högsta grad ömsesidigt. Festligheterna i samband med Bellmans byst till exempel var en symbolhandling med flera betydelser och kan sägas ha fungerat som ett medium för kommunikation mellan monark och medborgare - i båda riktningarna. Med Karl XIV Johan får också det man har kallat en medborgerlig ämbetsmannaoffentlighet en allt mer ökad betydelse i den politiska kulturen. Till skillnad från Gustav III, som gärna representerade makten i den offentlighet som hovet utgjorde, vände sig Karl XIV Johan till betydligt bredare folklager. Han uppfattade sig själv som en ny typ av medborgarmonark som hade nått sin ställning som ett resultat av folkets förtroende, och den bild han ville visa omvärlden var „le spectacle d’un Roi vraiment citoyen“ - bilden av en verkligt medborgerlig kung. 11 Det faktum att han valts till tronföljare av en svensk riksdag med representanter för adel, präster, borgare och bönder var naturligtvis ett argument till hans fördel i en tid då de flesta europeiska monarkier med tiden restaurerades efter Napoleonkrigens maktförskjutningar. I historieforskningen framhävs också vilken viktig politisk resurs - ja, vilket kapital - ett sådant ömsesidigt förtroende mellan makthavare och medborgare hade blivit under just denna tid i Europa. Så har till exempel Ute Frevert intresserat sig för de sätt på vilka förtroende som känsla och hållning kan produceras och användas inom en viss kultur. Hon framhäver i det sammanhanget också det värde som ligger i att skapa, vidmakthålla och demonstrera förtroende inom just sådana kulturer som präglas av öppenhet och kontingens - utmärkande drag också för det tidiga 1800-talets Sverige. 12 Detta var förmodligen också en anledning till varför 9 Med Ekedahl används begreppet myt här som något på samma gång deskriptivt som preskriptivt, som berättelser nämligen „som förklarar världen och samhället, ger mening och mål åt människans tillvaro och föreskriver värderingar och attityder.“ Ekedahl: En dynasti blir till, s. 17. 10 Johan Stenström har undersökt omständigheterna bakom resandet av bysten och betraktar händelsen som ett led i etablerandet av ett kulturellt minne kring Carl Michael Bellman. I anslutning till den franske historikern Pierre Nora framhäver Stenström samtidigt den funktion sådana minnesplatser och monument har, i så måtto att de inte bara formar en gräns mot det gamla utan också skapar en illusion av kontinuitet. Johan Stenström: Bellman levde på 1800-talet. Stockholm: 2009, s.117-124. 11 Citerat efter Ekedahl: En dynasti blir till, s. 11. 12 Ute Frevert: „Vertrauen. Historische Annäherungen an eine Gefühlshaltung“. I: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Red. av Claudia Benthien, Anne Fleig och Ingrid Kasten. Köln, Weimar, Wien 2000 (= Literatur-Kultur-Geschlecht, Kleine Reihe; 16), s. 178- 197. Frevert framhäver i sin studie hur viktigt det är för kulturer som präglas av öppenhet och Jonas Asklund 30 föreningskulturen kunde växa sig så stark i Sverige under denna tid, något som skiljer sig från utvecklingen i de flesta andra länder i restaurationstidens Europa. För Karl XIV Johan framstod dessa föreningar - för Par Bricoles del främst bestående av ämbetsmän och köpmän - inte som farliga oppositionshärdar utan som möjligheter till kontakt och kommunikation i mer eller mindre ritualiserad form, och han var själv medlem i flertal av dem. 13 Att det ömsesidiga förtroendet kan betraktas som en form av gemensamt kapital låter sig också förklaras sociologiskt med att förtroende, pengar och makt är funktionellt likartade sociala mekanismer. I sin klassiska undersökning av förtroende som en form av reduktion av komplexitet framhäver Niklas Luhmann att sociala system som utmärks av en hög grad av förtroende också har fler möjligheter att interagera med omvärlden i så måtto att de kan skjuta viktiga beslut framåt i tiden, samtidigt som de förmår leva med det högre mått av osäkerhet som denna förskjutning i tid medför. 14 I det här sammanhanget är Luhmanns distinktion mellan förtrogenhet respektive förtroende särskilt intressant och det han då också kallar två komplementära medel för att reducera komplexitet. Åtskillnaden kan tyckas skäligen enkel, men den kan ändå ge en sociologisk förklaring till varför så många och direkt obsoleta klichéer ur äldre litteratur och från tidigare epoker som förekommer i Dahlgrens text trots allt används i en modern diskurs. Luhmann betraktar förtrogenheten som något typiskt i framför allt äldre samhällsformationer, vilka använder det historiska tillbakablickandet som ett viktigt medel för en reduktion av komplexitet. 15 Därigenom osynliggörs också världens sociala kontingens - den är som den är därför att den alltid har varit så. Om förtrogenhet och förtroende är komplementära medel, betyder det dock inte att förhållandet mellan dem är konstant, framhäver Luhmann. Ju mer komplex och variabel en social ordning blir, och ju mer den förlorar sin karaktär av självklarhet och känd förtrogenhet, desto mer ökar behovet av förtroende som en form av reglerat umgänge med en oviss framtid. Med Luhmanns begreppspar kan man tämligen väl fånga in den sociala och politiska utvecklingen under sent 1700-tal och tidigt 1800-tal i Sverige men också den legitimitetskris som kontingens av att skapa, vidmakthålla och demonstrera förtroende: „Sofern man Vertrauen […] im Sinne eines sozialen Konstruktivismus als ‚produziertes Gut‘ begreift, das in bestimmten Kontexten thematisiert, rationalisiert, mit Wert und Bedeutung versehen wird, kann eine historische Analyse der Produktions- und Verwendungsmodi von Vertrauen Aufschlüsse geben über die Art und Weise, wie Gesellschaften - oder auch je einzelne Bevölkerungsgruppen oder Institutionen - mit dem Problem der Kontingenz umgehen. […] Nicht erst in unserer heutigen Gesellschaft, sondern schon im 18. und 19. Jahrhundert hat die Vorstellung einer offenen Zukunft für intellektuelle und soziale Unruhe gesorgt. Vertrauen, so die These, wird in diesem Zusammenhang als ein Instrument entdeckt und aktiviert, mit dem man Kontingenz, Nicht-Wissen und Unsicherheit zu bannen hofft.“ Frevert: Vertrauen, s. 193. 13 Per Sandin: „Monarken möter medborgarna“. I: Nils Ekedahl (red.): En dynasti blir till, s. 123-157; här s. 156f. 14 Niklas Luhmann: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität. 4. Auflage Stuttgart: 2009, s. 8. 15 Luhmann: Vertrauen, s. 8 och s. 18-23. Legitimitet och likviditet 31 präglade den gustavianska epokens senare del. Samtidigt kan hans diskussion ge en förklaring till varför Dahlgrens text, som i så hög grad vänder sig till en framväxande urban borgerlighet i ett patriotiskt och romantiskt sammanhang, samtidigt använder sig av klichéer hemmahörande i det maktspråk som formades under 1600-talets absolutism. 16 Denna samtidiga blick framåt och tillbaka, pendlingen mellan förtrogenhetens historia och förtroendets framtid, gör Mollbergs epistlar till ett spännande dokument från en tid som präglades av många brytningar. Om Mollbergs epistlar kan sägas att det är en ganska märklig text, och även om den har vissa likheter med samtidens romantiska sagospel är det svårt att genrebestämma den. 17 De hänvisningar till Bellman och hans diktade värld som görs vid flera tillfällen i texten förklarar kanske den patriotism, den känsla för naturens skönhet och den lätt alkoholiserade livsglädje som utmärker verket, men i övrigt kännetecknas det av en förbluffande hybriditet. 18 Episka, lyriska och dramatiska inslag följer på varandra i de två häftena av Mollbergs epistlar, och där samsas predikokonstens textkommentar med hyllningstalets skålvers, den konstnärliga monologen med hyllningstågets dramatiska och musiska kvalitéer. Lägger man till det faktum att texten också uppvisar en religiös synkretism, där kristna symboler möter antika gudar och allehanda väsen från nordisk folktro, kan man förstå varför Dahlgrens text kom att kritiseras häftigt av hans bröder i prästämbetet. Men Mollbergs epistlar välkomnades av företrädarna för den romantiska strömningen i Sverige, och Dahlgrens text uppmärksammades också positivt av personer i kungens närhet. 19 En bidragande anledning till detta intresse på högre ort var säkert inte textens märkliga hybriditet. Knappast heller den stilistiska blandning av högt 16 Vad som kan uppfattas som en inneboende motsättning i Dahlgrens text mellan gammalt och nytt är kanske snarare tecken på att en ny samhällelig uppfattning om relationen mellan det förgångna och det framtida växer fram under denna tid. Luhman beskriver i detta sammanhang en process där det historiska får en annan betydelse när det gäller möjligheten att skapa ett samhälleligt förtroende: „Vertrautheit und Vertrauen müssen unter diesen Umständen ein neues Verhältnis wechselseitiger Stabilisierung suchen, das nicht mehr in der unmittelbar erlebbaren, traditional bestimmten Nahwelt gründet, also nicht mehr durch eine Grenze zum Unvertrauten und daher Fremden und Feindlichen abgesichert werden kann. Geschichte kann dann nicht mehr als erinnerbare Erfahrung, sondern nur noch als schon entschiedene Struktur sozialer Systeme Vertrauensgrundlage sein, und das Vertrauen muß sich auf diese Systeme selbst beziehen.“ Luhmann: Vertrauen, s. 24. 17 Ett försök att sätta Mollbergs epistlar i relation samtidens estetiska diskussioner görs i Jonas Asklund: Humor i romantisk text. Om Jean Pauls estetik i svensk romantik: C.F. Dahlgrens Mollbergs epistlar (1820), C.J.L. Almqvists Amorina (1822) och C. Livijns Spader Dame (1825). Lund: 2008 (= Critica Litterarum Lundensis; 9), s. 50-146. 18 För en ingående skildring av relationen mellan Mollbergs epistlar, Bellmans texter och kulten kring Bellman, se Stenström: Bellman levde på 1800-talet, s. 354-371. 19 Knut Hjalmar Fredlund: Carl Fredrik Dahlgren. Hans lif och diktning. En litteraturhistorisk studie. Göteborg: 1903, s. 156. Jonas Asklund 32 och lågt eller den känslomässiga dito av allvar och skämt som utmärker Mollbergs epistlar som texthelhet betraktad. Viktigare i sammanhanget var förmodligen de konstanter i texten som kan relateras till frågan om kungamaktens legitimitet - till exempel den rumsliga konstanten. De viktigaste scenerna i texten utspelar sig nämligen ute på Haga, Drottningholm och Djurgården. Det är platser som under 1820talet skulle komma att förknippas med kunglig närvaro, men som i varierande grad också fungerade som det historikerna kallar lieux de mémoire - vissa utvalda minnesplatser i det kulturella minnet av Bellman. 20 I Dahlgrens text erbjuder dessa lokaliteter plats för möten mellan olika personer i texten; i det första kapitlet handlar det om ett förälskat par som möts i extatisk kärlek, i det andra om ett sällskap som samlas runt punschbålen i vänskaplig entusiasm och i det tredje om människa och naturväsen som förenas i en närmast översinnlig tillbedjan av en himmelsk flicka. Det handlar alltså om offentliga platser, lätt igenkännbara för den samtida läsaren, där personer i texten deltar i en så intensiv kommunikation att den gränsar till en ordlös kommunion. Att scenerna för dessa gränsöverskridande känsloyttringar i Mollbergs epistlar - som kärlek, vänskap och tro - också är platser i det samtida Stockholm där kommunikationen mellan konung och folk kunde äga rum en smula utanför hovetikettens ramar är säkert ingen tillfällighet. Den gränsöverskridande kommunikationen framställs därmed också som en önskvärd och möjlig relation mellan kungamakten och folket. En annan betydande konstant är tidsmässig och visar sig i det flera gånger frammanade minnet av Gustav III: s lysande hovliv och den livsglädje som spirade i monarkens närhet, med Bellmans diktning som litterärt exempel på konungens livgivande kraft. På samma gång som denna svunna tid tematiseras, lyfts i Mollbergs epistlar också förhoppningen om en kommande tid fram, symboliserad av kung Karl XIV Johan och kronprins Oscar. Analogin är slående - på samma sätt som en ny dynasti legitimerande förutspås kunna ikläda sig Gustav III: s roll som kulturens mittpunkt och konsternas livgivare, erbjuder Dahlgren sig indirekt att överta Bellmans funktion som patriotisk diktare. 21 Och liksom hos originalet är rojalismen här tämligen fredlig - när till exempel hyllningstalaren ute på Drottningholm dödförklarar den gustavianska epoken inför sina vänner, bara för att i sin skålvers samtidigt välkomna Bernadottedynastin, välkomnas lika mycket kärleksgudinnan Venus som krigsguden Mars i hans tal: 20 Stenström: Bellman levde på 1800-talet, s. 117-128. Om relationen mellan Djurgården och Karl XIV Johan, se Britt-Inger Johansson: „Maktens rum och rummens makt - en ny dynasti flyttar in“. I: Nils Ekedahl (red.): En dynasti blir till, s. 79-121; här s. 108f. 21 Bellmans roll som patriotisk diktare under den rojalistiska propagandakampanjen 1788-1790 har behandlats av Olof Byström, som tillskriver honom en otvivelaktig „roll för opinionsbildningen, ej minst bland huvudstadens borgarskap“. Olof Byström: „Gustaf III och Bellman på Gamla Haga“. I: Bellmansstudier utgivna av Bellmanssällskapet 17 (1976), s.11-27, här s. 20f. Se även Marie-Christine Skuncke: „Körsbär och krigspropaganda. Bellmans Lustspel den 17 Julii 1790“. I: Läskonst, skrivkonst, diktkonst. Aderton betraktelser över dikt och diktande jämte en bibliografi över Thure Stenströms skrifter. Red. av Pär Hellström och Tore Wretö. Stockholm: 1987, s. 281-315. Legitimitet och likviditet 33 Stillheten bådar nu här, / Glädjen har slutat sin fröjd; / Flora väl ännu beklär / Marken, der blomman är röjd; / Men ingen Venus här är, / Hvilken kring dal och kring höjd / Skönaste blommorna bär. Ack, uti grafvarne re’n / Hvila de hjertan, som då / Greto vid stjernornas sken, / Logo mot himmelens blå. / Tystnaden stum och allen / Synes på grifterna gå, / Visa de multnade ben. Bröder! än andas mitt bröst. / Sverige är lyckligt och sällt, / Kring det förflutna är höst, / Kring detta nu har sig ställt / Frihet och kraft till vår tröst. / Derföre på detta fält / Höjom för hjelten vår röst. Lefve vår älskade kung! / Lefve vår OSKAR, vårt hopp! / Broder, tag glaset och sjung, / Sjungen nu alla i tropp! / Lefve CARL JOHAN, vår kung! / Lefve prins OSKAR, vårt hopp! Lefve, ja lefve vår kung! 22 Vid sidan av sådana temporala eller spatiala konstanter i texten kan man också tala om en bildspråklig enhetlighet. De tre första kapitlen i det första häftet är alla strukturerade runt var sitt himlafenomen, det vill säga runt månen, solen och stjärnorna. Just solsymboliken som förekommer i det andra kapitlets hyllningstal är värd att dröja vid när det gäller bilden i Mollbergs epistlar av kungamaktens legitimitet. 23 Det intressanta med hela detta symbolkomplex är att det dels innehåller mycket traditionella och närmast emblematiska bilder, dels sådana som känns både oväntade och nya. Redan i det första kapitlet aktualiseras till exempel den gamla förtrogna bilden av naturen som en Liber Naturae - en bok alltså i vilken solen sägs vara ett „kursivt ord, som ingen kan öfverhoppa, emedan den bränner i ögon och hjerta, och betyder: Jehova; Gud.“ (S.A. III: 94) Också nästa bild av solen implicerar något gudomligt: Dagen är skön, som en jubelfest. Magnetnålen visar rakt på Juni-solen med den ena och på arracks-buteljen med den andra ändan; ofvanpå nålen står guden Kupido, rustad med båge och pil; svänger än nålen omkring, står guden fast och bastant, - och i fluidum hvässt och ilande far pilen, brännande som Juni solens stråle, genom våra bröst. (S.A. III: 105) Här är naturligtvis inte arraksbuteljen det väsentliga, men säkert det faktum att kompassen inom emblematiken används såväl som symbol för de älskandes möjlighet att finna vägen till varandra som för Kristus i betydelsen vägledare. 24 Detta märkliga förhållande förklarar nog också varför den i talet förekommande kompassen inte pekar på den magnetiska nordpolen. Solen som symbol har visserligen fortfarande religiösa konnotationer här, men till dem har sällat sig aspekter som tycks ha mer med alkoholförtäring och förälskelse att göra. Riktigt märklig är emellertid den bild av solen som „en stor, ofantligt stor, skummande punschbål, hvarur 22 Här citerat efter Carl Fredrik Dahlgren: Samlade arbeten. Utgifne efter författarens död. Red. av A.I. Arwidsson, P.O. Bäckström och J.M. Törner. Band III: Dikter i blandad vers och prosa. Stockholm: 1847, s. 91-184; här s. 111f. I fortsättningen ges sidhänvisning direkt i text under förkortningen S.A. 23 Se Asklund: Humor i romantisk text, s. 64-81 för en längre diskussion om detta symbolspråk. 24 Henkel, Arthur och Albrecht Schöne (red.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts. Stuttgart: 1967, s. 1471ff. Jonas Asklund 34 englarne dricka“ (S.A. III: 105) som följer strax därefter eller den om solen såsom en punschbål för planeterna ett stycke längre fram: Hvarföre svänga sig alla våra planeter ikring solen för att derifrån hemta lif, styrka och värma, om ej hennes safter vore lockande. Hvarför är Venus så nära placerad intill henne, om ej derföre, emedan kärleken helst hvilar sig under drufvornas skygd. (S.A. III: 106) De korta exemplen ovan på bildspråket i Mollbergs epistlar tyder på att Dahlgrens prästkolleger säkert ansåg sig ha fog för sin kritik av hans diktning. Men samtidigt bör man hålla i minnet att det ju inte är Dahlgren själv som för ordet i texten, utan en entusiastisk och berusad talare som framför ett hyllningstal med anslutande skålvers i kretsen av sina vänner. 25 I det sammanhanget leker denne också helt självsvåldigt med en rad symboliska betydelser av sol - sol som Gud, som liv, som värme, som kärlek och faktiskt också sol i betydelsen konung. Inom emblematiken var ju denna innebörd etablerad sedan länge, och när talaren deklarerar att kring det förflutna - det vill säga den gustavianska epoken - „är höst“ för att i stället utbringa en skål för den nya kungen är det just de betydelserna som aktualiseras. Karl Johan ges alltså förtroendet att kunna fungera som en centralt placerad livgivare och värmespridare i det kulturella och religiösa livet i Sverige. 26 Som ett sista exempel på en i texten förekommande konstant tjänar de många kulturella praktiker och ritualiserade uppföranden som skildras där. Det första kapitlets kommentar till månskenet har redan berörts, en kommentar som ges i enlighet med föreställningen om en Liber Naturae av ett textjag inför några inskrivna åhörare ute på Haga. Men det gäller också det andra kapitlets utflykt ut till Drottningholm och det hyllningstal som förekommer där på temat sol, liv och värme inför ett festande sällskap. Också andra kulturella praktiker skildras i Mollbergs epistlar - till exempel musicerandet vid fortepianot, punschdrickandet i glada vänners lag eller dansen kring midsommarstången. Det gemensamma för alla dessa praktiker är den möjlighet de erbjuder till samvaro och samverkan mellan olika personer i texten, vilka i slutänden förenas i kyssar, skålar eller böner - och patriotiska leverop. 27 Till allt detta kan man också foga det strängt ritualiserade triumftåg som skildras i det andra häftet av Mollbergs epistlar. I anslutning till flera allegoriska motiv från den klassiska bröllopsdiktningen skildras där hur solguden ger morgonrodnaden Aurora i uppdrag att bereda väg för vårens ankomst till Stockholm. Därmed förbereds också det bröllop som våren ska ingå med Solgudens dotter, månaden Maj. Tillsammans med dem men också med en mängd sagoväsen ur folktron förbereder sedan Stockholms krögare, skomakare och gardister vårens triumfatoriska intåg ute på Djur- 25 Dahlgrens personliga sikter tycks ha legat rätt nära dem som hyllningstalaren framför. Se Fredlund: Carl Fredrik Dahlgren, s. 176. 26 Se Henkel och Schöne (red.): Emblemata, s. 14, för en bild av denna funktion hos monarken. 27 Möjligen indikerar det performativa draget i texten närheten till Bellmans patriotiska diktning, nämligen den tendens „hos Bellman att låta sina divertissement avslutas med en symbolisk handling, genom vilken personerna på scenen visar sitt rojalistiska engagemang.“ Skuncke: Körsbär och krigspropaganda, s. 305. Legitimitet och likviditet 35 gården tillsammans med guden Bacchus. Naturligtvis kan man fråga sig i vad mån detta i Mollbergs epistlar skildrade uppförande kan sägas behandla frågan om kungamaktens legitimitet, men faktum är att detta allegoriska triumftåg gestaltar, iscensätter och utför det som redan tematiserades i en tidigare passage i det första häftet - men där som en under retoriska former uttryckt dröm eller förhoppning om ett framtida Sverige. När det sedan också beskrivs i texten hur kung Karl XIV Johan och kronprins Oscar rider ut på Djurgården för att delta i Stockholmarnas majfirande upphävs slutligen alla ståndsmässiga skillnader i rojalistiskt jubel, och den värme som monarkerna utstrålar sprids vidare bland människorna: Glädjen sig målar så klar i alla ögon och miner, / Liksom vid stormens slut, när solen vågen beskiner. / Se vår konung det är, vår prins, som nådigt oss hugna: / Tungaste hjerteqval vid deras åsyn sig lugna. / Gubben finner sig ung, när han sin konung får skåda, / Knekten eldas till mod och skyr ej död eller våda. / Sjelfva Harpax så mild nu öppnar litet på pungen, / Skänker tiggarn en slant, när han ser den nådiga kungen. (S.A. III: 175) Det är intressant att betrakta Mollbergs epistlar som en text delaktig i samtidens politiska kultur och i det sammanhanget också lyfta fram de olika kommunikationssituationer som skildras i texten. Det är då möjligt att uppfatta dem som exempel på den typ av medier som en gång faktiskt förekom i de samtida framställningarna av monarken. Man skulle alltså kunna ställa Dahlgrens text i relation till den ‚multimediashow‘ som har påtalats angående Karl XIV Johans strävan att legitimisera sin ställning. 28 De sånger, uppföranden, textkommentarer, tablåer, intåg och tal som utgör huvuddelen av Dahlgrens text speglar och kommenterar på flera sätt hela den dynastiska iscensättning av ätten Bernadotte som följde efter valet av Jean Baptiste till svensk tronföljare. Därmed förstärks inte bara denna iscensättning; samtidigt tillförs också något annat och något nytt. 29 De skildringar som förekommer i Dahlgrens text av en rad olika kommunikationssituationer kan alla sättas i samband med den remediering som var typisk för tidens politiska kultur. Begreppet avser den rörelse där ett stoff kan övergå från ett visst medium till ett annat, eller där ett medium återanvänds på så sätt att det görs till stoff 28 Ekedahl: En dynasti blir till, s. 16. 29 På ett liknande sätt kan man uppfatta den mängd klichéer som ofta förekommer i ett nytt och komiskt sammanhang i Mollbergs epistlar. Det faktum att argument, symboler och bilder ur den politiska kommunikationens allmänna repertoar används på detta sätt i texten kan säkert tolkas som en form av diskurskritik från Dahlgrens sida, men frågan är om inte denna återanvändning främst ska ses som ett uttryck för ett gemensamt meningsskapande utifrån en delad symbolisk referensram - ett användande som inte alltid skedde på makthavarnas villkor utan också gav utrymme för andra och alternativa tolkningar. Se Nils Ekedahl: „Kungens skalder och folkets“. I: En dynasti blir till. Medier, myter och makt kring Karl XIV Johan och familjen Bernadotte. Red. av Nils Ekedahl. Stockholm: 2010, s. 189-233; här s. 221-222. Jonas Asklund 36 i ett annat medium - en rörelse som enligt forskarna i hög grad utmärkte iscensättningen av Bernadottedynastin. 30 Det är därför inte förvånande att ett allegoriskt triumftåg av just det slag som skildras i det andra häftet av Mollbergs epistlar en gång faktiskt uppfördes i Stockholm. I samband med kröningsfestligheterna år 1818 skrev Johan David Valerius texten till Balder - ett framförande som kallades ett divertissement av sång och dans och som i allegorisk form skildrar hur Karl XIV Johan fogas in i den långa raden av svenska kungar med hjälp av älvor, nornor och asagudar. 31 Därefter skildras hur den svenska allmogen roar sig med sång och dans och hur Karl XIV Johan och Oscar hyllas av bönder, sjömän och bergsmän. 32 Delar av det andra häftet av Mollbergs epistlar förefaller vara direkt kalkerade på Valerius divertissement, utan att det skulle handla om något plagiat här. Det divertissement som framfördes på kungliga teatern inför hovet bör snarare betraktas som ett medium, vilket hos Dahlgren två år senare blir till stoff i ett nytt medium, det vill säga Mollbergs epistlar. Samtidigt med denna remediering äger också ett skifte i offentlighet rum, då Dahlgrens text riktar sig till en utpräglat borgerlig publik. 33 Det här är inte det enda exemplet på en remediering i Mollbergs epistlar. Man har länge antagit att delar av texten, kanske framför allt de ställen i det första och andra kapitlet som liknar dryckestal, en gång skrevs för ett faktiskt uppförande. 34 Vad som en gång var ett medium i den lilla offentlighet som Dahlgrens närmaste vänner den gången utgjorde har alltså blivit stoff i det medium som Mollbergs epistlar i stort utgör. Överhuvudtaget är det panegyriska tilltalet mycket levande i Karl Johantidens politiska kultur, och skålversen som genre upplevde en verklig boom under denna tid. 35 Men, som historikerna framhäver, var det inte längre fråga om ett tilltal med ensam rätt till uppmärksamhet, utan det handlade numera snarare om en röst bland många. I tidningarna, klubbarna och föreningarna fördes samtal där individer och olika grupper gjorde sig till talesmän för olika samhällsuppfattningar, vilket panegyrikern alltså måste ta hänsyn till. Det är därför frestande att se Dahlgrens remediering av Valerius divertissement som en form av genmäle, som ett annat och 30 Ekedahl: En dynasti blir till, s. 16-17. 31 Skuncke beskriver genren som „ett kortare stycke, med inslag av sång och gärna dans, som spelas vid ett bestämt tillfälle - namnsdag, födelsedag, seger, fredsslut.“ Skuncke: Körsbär och krigspropaganda, s. 290. 32 Divertissementet behandlas av Karin Hallgren i „Kungafamiljen i Stockholms musikliv“. I: Nils Ekedahl (red.): En dynasti blir till, s. 159-187; här s. 182. 33 Det är värt att notera att både Valerius och Dahlgren använder myten om Balder i ett konfirmerande syfte, på så sätt att den nya kungamakten därmed skildras som början på en ny period av fred och blomstring. Hos Dahlgren tillkommer dessutom religiösa konnotationer, när Balder smälter samman med bilden av Dionysos och Kristus, se Asklund: Humor i romantisk text, s. 81-91. För en genomgång av hur grekisk mytologi, föreställningar från asatron och kristendom kommer till användning i den romantiska mytdiskussionen, se Jakob Staberg: „C.J.L. Almqvist och 1810-talets religiösa renässans“. I: Tidskrift för litteraturvetenskap 3-4 (1997), s. 120-139. 34 Se Stenström: Bellman levde på 1800-talet, s. 359-360. 35 Ekedahl: Kungens skalder och folkets, s. 232. Legitimitet och likviditet 37 något avvikande bidrag till tidens diskurs om kungamaktens legitimitet. 36 Förhållandet blir så mycket tydligare om man sedan också jämför med de försök i den panegyriska genren som Valerius gjorde tio år tidigare. Han tillhörde nämligen den skara diktare som fick tillfälle att skriva hyllningsdikter åt både Gustav IV Adolf och Karl XIV Johan. I det här sammanhanget är det särskilt intressant att lyfta fram hans text till det musikstycke som uppfördes i samband med att Sergels staty över Gustav III slutligen restes i Stockholm den 24 januari 1808. I texten uttrycks genom en serie körpartier, recitativ och arior sorgen över Gustav III: s död, tacksamheten över hans gärning och slutligen också glädjen över hans efterlämnade son, den nye konungen. Även där förekommer en utarbetad solsymbolik: Den sällhet GUSTAF spridt, likt Himlens ljus, från thronen, / Ogäldlig blef, som Himlens lån; / Men ibland allt, som GUSTAF skänkt nationen, / Var intet högre än Hans SON. / Född att med samma rätt på samma hjertan råda, / I vådans tid vår Skydds-Gud, vårt försvar, / Han gömdes för vår syn, som Stoden af HANS Far; / Gläds, Stockholm! på en gång du återsåg Dem båda. 37 Strofen räcker för en kort jämförelse mellan de olika bilderna av monarken i Valerius respektive Dahlgrens text. Kungamaktens legitimitet grundas hos den förre på en absolutistisk föreställning i så måtto att kungen antas äga en medfödd och av Gud given rätt att styra över sitt folk. Det ljus och den kärlek han sprider framställs som jämförbart med Guds och tycks sublimt nog inte vara i behov av något slags gensvar från det älskade folket. Makten att råda över människornas hjärtan är absolut. Det är naturligtvis smickrande för Gustav IV Adolf, men samtidigt undviker Valerius smidigt det faktum att Gustav III mot slutet av sitt liv inte var helt okontroversiell som monark. Denna statiska uppfattning av kungamakten återkommer också i den närmast fetischistiska bilden av monarken som en skyddsgud under krigstider. Bilden hos Dahlgren tio år senare är en annan när han genomgående framställer kungamaktens legitimitet funktionellt, till exempel genom att framhäva monarkens betydelse som ledare, organisatör och kommunikatör. De båda texterna ligger visserligen bara tio år från varandra i tiden, men ändå kan de tas som tecken på den avgörande betydelseutveckling som förtroendediskursen genomgick under 1800-talet. Där förtroende tidigare hade uppfattats i rent teologiska termer blev det nu alltmer ett centralt begrepp inom så olika samhällsområden som politik, ekonomi och religion. Denna utveckling kan förtydligas något om man översätter de båda diktarnas bilder av kungamakten till ett språk hämtat från samtidens monetära diskurs - vad betyder till exempel Valerius uttryck i strofen ovan att den sällhet som Gustav III spred blev „ ogäldlig “ ? I ekonomiska termer kan man hävda att Valerius framställer de båda monarkernas värde som något definitivt, som vore de två mynt vilkas värde är oberoende av det system som de cirkulerar i. Det guld som mynten innehåller 36 För exempel på hur författaren till en hyllningsdikt kunde gå i polemik mot tidigare panegyriska dikter, se Ekedahl: Kungens skalder och folkets, s. 207. 37 [Johan David Valerius]: Ord till musiken, uppförd i Deras Kongl. Majestäters höga närvaro På Stora Beurs-Salen den 24 Januari 1808. Stockholm: 1808, [opaginerat; här s. 3]. Jonas Asklund 38 garanterar dem med andra ord ett reellt värde oberoende av konjunkturernas växlingar. I enlighet med den argumentationen måste de båda kungarna betraktas som gåvor till den svenska nationen - och även om den gåva som Valerius kallar Gustav III: s „ sällhet “ inte återgäldades, kvarstår den andra gåvan: Gustav IV Adolf. Oavsett om mottagaren accepterar gåvan eller inte, kan han inte bestrida dess värde, följer logiken. Om man utgår från Dahlgrens text däremot kan man säga att kungamaktens värde där är något relativt och att den liknas vid ett pappersmynt, eller snarare ett kreditpapper. Personligen inte mer värd än någon annan människa, kan Karl XIV Johan som kung komma i åtnjutande av den kredit som är en följd av allmänhetens förtroende. Beroende på hur väl denne monark fungerar inom ramarna för ett visst system kan han alltså stegra sitt värde, samtidigt som systemet därmed också stärks i förhållande till sin omvärld. Likheten med den långvariga diskussionen om den svenska statsskulden och vikten av ett starkt förtroende i omvärlden för den svenska ekonomin är tydlig i sammanhanget. Här möts alltså två av de diskurser, den ena politisk och den andra monetär, som präglade den svenska samtiden. 38 De samband som på detta sätt antyds i Mollbergs epistlar pekar framåt mot det som brukar kallas den romantiska epokens värdediskurs. Om Valerius texter huvudsakligen tycks konfirmera en hävdvunnen, gustaviansk uppfattning om kungamakten rör det sig i Dahlgrens fall snarare om en förhandling om kungamaktens legitimitet i en ny kontext. Man kan alltså betrakta Dahlgrens text som ett skönlitterärt bidrag till den samtida diskurs gällande de politiska institutionernas legitimitetskris - ett statens och samhällets förfrämligande från varandra - som enligt Jakob Staberg utgjorde ett återkommande tema i de romantiska texterna vid denna tid i Sverige. 39 Men till skillnad från kretsen runt Carl Jonas Love Almqvist och den verksamhet som man ägnade sig åt där, en verksamhet som enligt Staberg tenderade till revolt mot eller flykt undan ett samhälle som man uppfattade som präglat av en rå materialism och styrt av en regering som inte „ ägde förmåga att legitimera sin politik i ett oomstritt värde “ , ger Dahlgren en annan bild. 40 Vad som lyfts fram i hans text är ju de förenande banden mellan 38 Dahlgrens gode vän Johan Christoffer Askelöf medverkade i Läsning till utbredande af medborgerliga kunskaper, en tidskrift för nationalekonomiska frågor som utgavs från och med år 1816. I det sammanhanget utreder han i en artikel vilka tre slags värderepresentationer som kan cirkulera i en stat - det präglade myntet, pappersmyntet och kreditpapperet - och visar på fördelarna med den sistnämnda formen för den moderna staten med motiveringen att „det numera öfwerallt är opinionen som ytterst bestämmer alla wärden“ i de europeiska länderna. [Johan Christoffer] Askelöf: „Om Pappersmynt och Credit-papper“. I: Läsning Till Utbredande Af Medborgerliga Kunskaper. [Red. av F.B. von Schwerin, J.C. Askelöf och C. Livijn]. Tredje häftet. Stockholm: 1817, s. 3. För en översikt över denna samtida diskussion, se Klaus Müller-Wille: Schrift, Schreiben und Wissen. Zu einer Theorie des Archivs in den Texten von C.J.L. Almqvist. Tübingen och Basel: 2005 (= Beiträge zur nordischen Philologie; 39), s. 446, fotnot 244. 39 Staberg: C.J.L. Almqvist och 1810-talets religiösa renässans, s. 122. 40 Staberg: C.J.L. Almqvist och 1810-talets religiösa renässans, s. 123. För hur det tidiga 1800talets legitimitetskris behandlades av en författare som Clas Livijn, se Otto Fischer: „Clas Legitimitet och likviditet 39 staten, samhället och den enskilde - och dessa band beskrivs i sociala, religiösa och faktisk också monetära termer. Denna positiva bild hos Dahlgren av ett förenande flöde i samhällskroppen, en likviditet som inte bara är ekonomisk, är värd att framhäva med tanke på de undersökningar av romantikens värdediskurs som har gjorts under de senaste åren. 41 Det tycks nämligen som om Mollbergs epistlar inte bara framställer statsmaktens legitimitet på ett annat sätt än den tidige Almqvist och kretsen runt honom, utan också ger en annorlunda bild av penningen och dess makt. Det intressanta med Dahlgrens text som diskursbidrag betraktad är alltså att den inte tycks problematisera någon form av romantisk konflikt mellan ekonomins värdesystem å ena sidan och diktens autonoma värdesystem å den andra. Den trop som Anders Mortensen i detta sammanhang har funnit så produktiv i Almqvists författarskap, det nämligen som han kallar de ömsesidigt uteslutande värdenas trop, existerar inte i Dahlgrens text. 42 Det levande flöde av kärlek, vänskap och tro som Dahlgren så ofta tematiserar i sin text skiljer honom alltså från många andra diktare i sin samtid, när han samtidigt kopplar samman denna likviditet med statsmaktens legitimitet. Ända sedan Barbara Herrnstein Smith myntade begreppet „the double discourse of value“ för de konkurrerande humanistiska och ekonomiska värdenas diskurs har det i anglosaxisk forskning varit vanligt att beskriva förhållandet mellan konsten och penningen som ett dolt, stundom antagonistiskt men lika ofta symbiotiskt fenomen i 1800-talets litteratur. Men med Mollbergs epistlar föreligger alltså en text, där denna symbios mellan estetik och ekonomi inte döljs utan snarare lyfts upp i en större nationell diskurs. Som Klaus Müller-Wille har visat är nationalekonomen och filosofen Adam Müller värd att lyfta fram i det här sammanhanget. 43 Det gör det också Livijn. Tecken och offentlighet - en förstudie“. I: Tidskrift för litteraturvetenskap 2 (1997), s. 3-17. 41 Se Klaus Müller-Wille: „‚En af världens största gåtor.‘ Zur Reflexion von monetärer und literarischer Repräsentation bei C.J.L. Almqvist“. I: Ästhetik der Skandinavischen Moderne. Bernhard Glienke zum Gedenken. Red. av Annegret Heitmann och Karin Hoff. Frankfurt a. M.: 1998 (= Beiträge zur Skandinavistik; 14), s. 35-61. Se även Anders Mortensen: „Att göra ‚penningens genius till sin slaf‘. Om Carl Jonas Love Almqvists romantiska ekonomikritik“. I: Årsbok 2004. Red. av Vetenskapssocieteten i Lund. Lund 2004, s. 48-76 och densamme: „Diktens värde versus penningens. Om en ekonomikritisk strömning i romantisk och modernistisk diktning“. I: Litteraturens värde - der Wert der Literatur. Red. av Antje Wischmann, Eva Haettner Aurelius och Annegret Heitmann. Stockholm: 2006 (= Konferenser / Kungl. Vitterhets historie och antikvitets akademien; 62), s. 54-70. 42 Mortensen: Diktens värde versus penningens, s. 58. 43 Hos Müller-Wille gäller intresset främst Almqvists text Hvad är penningen? från 1839. I denna teoretiska essä betonar Almqvist emellertid inte som Dahlgren det nationella och stabilt förenande i ekonomin, utan det obestämbara och demoniska hos penningen: „Geld wird nämlich weniger in seiner Funktion als ein Werte repräsentierendes Instrument des Jonas Asklund 40 möjligt att betrakta Dahlgrens text mot bakgrund av den långvariga debatt om den svenska statsskulden och de fallande växelkurserna som fördes under 1800-talets första decennier. 44 Adam Müllers skrifter behandlade såväl statsvetenskapliga, ekonomiska som estetiska frågor. Hans intresse gällde emellertid främst frågor som rörde statens enhet och maktens legitimitet, problemområden som var högaktuella i det Preussen som drabbats så hårt under Napoleonkrigen. För eftervärlden har han länge framstått som en konservativ, Edmund Burke-influerad nationalist med rätt märkliga idéer, men hans betydelse för den romantiska epokens tankevärld var stort. Eftersom han numera är ganska okänd i Sverige, kan en kortare presentation vara på sin plats. Müllers hela världsuppfattning kan ledas tillbaka till den tidiga skriften Die Lehre vom Gegensatz från 1804, där han med utgångspunkt i ett filosofiskt system av tidstypiskt slag försöker betrakta de många motsättningar som utmärker tillvaron såsom delar av en högre enhet. Denna skrift tycks inte nämnvärt ha påverkat filosofins historia, men själva tankefiguren skulle behålla sin aktualitet för Müller i hans senare utläggningar om staters stabilitet, näringslivets dynamik och samhällets uppbyggnad. 45 Müller uppfattar föga överraskande staten som en organisk enhet av olika, sinsemellan konkurrerande delar, men han definierar de olika delarna av samhällsorganismen funktionellt - ingen grupp eller kraft i samhället har ett värde i sig, utan varje del tänks stå i en konfliktfylld relation till de andra delarna. En kraft möts alltid av motkrafter, och resultatet av denna konfliktfyllda samtidighet är en högre samexistens som bara kan garanteras av den samhälleliga organismen som helhet. Müller framförde dessa och liknande tankar i de båda skrifterna Von der Idee des Staates und ihren Verhältnissen zu den poulären Staatstheorien och Elemente der Staatskunst, båda från 1809. Sådana resonemang kan idag tyckas rätt triviala, men de är ändå ett bärande led i den argumentation för en konstitutionell monarki av brittiskt märke som Müller presenterar - en argumentation där såväl 1600-talets absolutism som den franska revolutionens folkvälde tjänar som exempel på andra och avskräckande statsformer. På ett liknande syntetiserande sätt uppfattar Müller också den enskilda människan som en samtidigt social och ekonomisk varelse. I hans kanske mest berömda skrift, Versuche einer neuen Theorie des Geldes från 1816, beskrivs hon som Handelns denn als referenzloses Medium eines effektiven Kommunikationsnetzes angesehen, das die eben an die Vorstellung von Repräsentation gebundenen nationalen Gesellschafts- und Herrschaftsstrukturen unterwandert.“ Müller-Wille: Schrift, Schreiben und Wissen, s. 437f. 44 I detta sammanhang var Karl XIV Johan en verksam om än inte framgångsrik aktör - bland annat försökte han lösa problemet med de fallande växelkurserna under 1810-talet med hjälp av en tämligen prohibitiv finanspolitik. I denna kamp respekterade han inte alltid gränsen mellan rikets ekonomi och de privata finanserna, något som har beskrivits som „en tydlig lust att gentemot statsverket driva en rätt skarp affärspraxis till förmån för den egna kassan.“ Höjer: Karl XIV Johan. Kronprinstiden, s. 421. 45 För en översikt över Müllers estetiska teorier i allmänhet och hans ironikoncept i synnerhet, se Rudolf Franz Künzli: Adam Müller. Ästhetik und Kritik. Ein Versuch zum Problem der Wende der Romantik. Winterthur: 1972. Legitimitet och likviditet 41 en individ som idealistiskt strävar efter en meningsfull relation till tingen och medmänniskorna för att på det sättet kunna uppgå i en större helhet: Der Mensch begehrt Dinge, um seine Unvollkommenheit zu ergänzen, um der Vergänglichkeit abzuhelfen, die er an sich spürt: der roheste Hunger und Durst und die ausgebildetste Begierde nach dem raffiniertesten Lebensgenuß sind nur Offenbarungen jenes Triebes. Er begehrt Personen von entgegengesetztem Geschlecht, um die Einseitigkeit seines Geschlechts zu ergänzen, um die Vorstellung eines vollständigen und dauerhaften Menschen, die er in seiner Seele trägt, zu verwirklichen. 46 När Müller här beskriver människans drift att söka införliva ting och människor i sin existens är det alltså ingen materialistisk önskan att äga och ta i besittning han avser, utan betoningen ligger på begäret att uppgå i ett större sammanhang. I grund och botten är detta en religiös föreställning - inte någon reduktionens mystik men produktionens - som också gör att han kan gå i skarp polemik mot sin tids största ekonomer. Av samma anledning som Müller förkastar 1600-talets absolutism som statsform och den statligt dirigerade merkantilism som utmärkte den tidens ekonomiska politik, riktar han nämligen också kritik mot liberalismen och Adam Smiths ekonomiska teorier. 47 Om den förra statsformen i allt för hög grad betonar enheten på bekostnad av delarna, anser han att den senare i alltför hög grad främjar enskilda grupperingar och samhällskrafter till men för staten som en större organisk enhet. Müller företräder en tidigt socialkonservativ ståndpunkt när han på detta sätt ifrågasätter Smiths teori om en fri och självregulerande marknad där staten endast garanterar de stora spelreglerna och där den inre jämvikten garanteras systemimmanent, som av en osynlig hand. Ett sådant system tenderar att gynna enskilda grupper på bekostnad av andra, menar Müller, som också ställde sig kritisk till delar av den liberala reformprocess som inleddes i Preussen under trycket av napoleonkrigens ekonomiska och militära bördor. I direkt polemik mot Smiths ekonomiska teorier hävdar Müller att rikedom aldrig kan definieras absolut, utan är ett i hög grad relativt fenomen. Rikedom i betydelsen förmögenhet existerar bara i den enskildes relation till sina medmänniskor, och förmögenhet i betydelsen potential kan bara ha en fungerande stat som garant. 48 46 Här citerat efter „Versuche einer neuen Theorie des Geldes mit besonderer Rücksicht auf Großbritannien“. I: Adam Müller: Vom Geiste der Gemeinschaft. Elemente der Staatskunst. Theorie des Geldes. Leipzig: 1931, s. 243. Att all ekonomi bygger på människans relationer till tingen och sina medmänniskor formar också Müllers uppfattning om vad kapital är: „Die Hauptbestimmung des Kapitals ist die, daß es die Beziehungen der Menschen untereinander und zur Natur vervielfältigen und verinnigen soll.“ Citerat efter Müller: Die Elemente der Staatskunst, s. 203. 47 En god överblick över Müllers ekonomiska och statsvetenskapliga teorier ges i Alois Hartmann: Sinn und Wert des Geldes in der Philosophie von Georg Simmel und Adam (von) Müller. Berlin: 2002. 48 „Es ist demnach der Glaube an die bürgerliche Gesellschaft, der alle einzelnen ökonomischen Operationen, wie entlegen in Zeit und Ort sie auch vorgenommen werden, untereinander ausgleicht. Eben deshalb setzt in der wahren Ordnung der Dinge aller Kredit der einzelnen den Kredit der Gesamtheit oder des Gemeinwesens voraus. Läßt dieser nach, so können die einzelnen ihren Kredit nicht aufrecht erhalten; denn alles, was die einzelnen besitzen, hat ja Jonas Asklund 42 Smith har förväxlat privategendomens betydelse för det allmännas bästa med vikten av att ha en stark stat som förmår stimulera samtliga medborgares produktion och konsumtion, menar Müller, som också anser att sparande för att lägga på hög enbart är något direkt skadligt för samhällsekonomin. Ett sådant sparande ökar visserligen den enskildes förmögenhet, men inskränker statens förmåga. Långt viktigare än den enskildes kapitalanhopning är för Müller medborgarnas tilltro till staten - ett förtroende han väljer att kalla nationalkredit och som kan beskrivas som själva tron på det medborgerliga samhället som en levande och växande organism, präglad av säkerhet och tillit i en samverkande enhet med äktenskapet och familjen som innersta kärna. Denna form av nationalkredit är mer av politisk och religiös natur än ekonomisk, kan det tyckas, men så argumenterar också Müller medvetet mot den nyare tidens ‚romerska‘ ekonomiska teorier: Das erhabene Produkt aber, welches aus der innigen Berührung zwischen dem einzelnen und dem Ganzen, zwischen dem Bürger und der Nation hervorgeht, ist ewig, ist lebendig: dieser Geist inniger Wechselwirkung zwischen den Individuen und der Nation verdient allein den in allen ökonomischen Schriften gemißbrauchten Namen Nationalkredit, weil er ein christlicher ist, dem römischen gegenüber, welchen die Schulen lehren. 49 Mot bilden av den franska revolutionens individualistiska anarki (och den därpå åtföljande hyperinflationen) men också mot de socialt förödande (om än ekonomiskt framgångsrika) brittiska manufakturerna framhäver Müller värdet av stabilitet och tillväxt av såväl materiell som ideell natur. Ja, även värdet av en religiös förtröstan, då den yttersta garanten för enheten i Müllers filosofiska system bara är Gud. Något tillspetsat kan begreppet nationalkredit hos Müller alltså sägas vara summan av sådana fenomen som socialt förtroende, ekonomisk tillförsikt, äktenskaplig tilltro och religiös tro. Müllers ekonomiska teorier bärs av ett kristet etos, och i sin argumentation för den enhetlighet i produktivitet som bara staten, samhällsståndet och familjen kan erbjuda den enskilde individen föregriper han på flera sätt 1800-talets kristna reformkonservatism. 50 Och kanske mer än så - hans tankar om att de enskilda staterna inte får resa hinder gentemot varandra utan bör sluta sig samman till en gemensam världsekonomi låter märkligt profetiska. 51 nur Wert durch den bestimmten ökonomischen Zusammenhang mit allem übrigen Besitz, d.h. durch den Glauben, daß der Besitz Gegenstand des allgemeinen Begehrens sein und bleiben […] werde.“ Müller: Die Elemente der Staatskunst, s. 232-233. 49 Müller, Die Elemente der Staatskunst, s. 195. För en översikt över sambandet mellan Müllers statsoch penningfilosofi, se Eric Achermann: Worte und Werte. Geld und Sprache bei Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Georg Hamann und Adam Müller. Tübingen: 1997, s. 257- 315. 50 Hartmann: Sinn und Wert des Geldes, s. 291f. 51 Müller: Versuche einer neuen Theorie des Geldes, s. 259. Att delar av Müllers tankegods låter sig användas i andra, mindre fredliga sammanhang framgår till exempel av att intresset för hans teorier växte under 1930-talet i Tyskland. En negativ hållning intar här Fritz Breithaput som driver tesen att ett „jagtvång“ har banat väg för penningens dominans i allt fler moderna diskurser, på så sätt att sådana fenomen som den enskildes jag eller individualitet låter sig demonstreras, göras plausibla och legitimiseras i termer av egendom, pengar och olika former Legitimitet och likviditet 43 Som villkor för statens enhet och maktens legitimitet ser Müller alltså något som ligger utanför statsmakten själv, sådana sammanbindande länkar som religiös tro, samhälleligt förtroende och familjär kärlek. Detta förhållande understryks också i hans ekonomiska teori, när han skiljer mellan penningens metallvärde och det som egentligen garanterar penningens värde, nämligen nationalkrediten, och därför förespråkar ett införande av papperspengar. 52 Det är också i detta sammanhang som han gör den berömda distinktionen mellan penningen i form av samlat privatkapital, det vill säga allod, och penningen som en del av ett monetärt kretslopp i den stora samhällskroppen, det vill säga feod. I den första bemärkelsen är penningen naturligtvis att betrakta som något negativt för staten och jämvikten, då den ju på intet sätt bidrar till det allmännas bästa, medan penningen som feod däremot cirkulerar fritt och på sätt underlättar villkoren för produktiviteten. 53 Här bör man hålla i minnet att Müller inte har något emot det privata ägandet i sig, utan snarare angriper den enskildes överdrivna strävan att ackumulera kapital. Orsaken är lätt att inse, då penningen såsom feod utgör en sammanbindande länk av samma typ som tro, kärlek och förtroende - pulserande länkar vars yttersta garant alltså är Gud. För nutidens betraktare, som har vant sig vid att uppfatta triaden tronen, altaret och penningpåsen som själva symbolen för en konservativ, för att inte säga reaktionär hållning, kan detta väcka viss förvåning. Men den stabilitet som är så viktig i Müllers organiska statsfilosofi grundar sig på kommunikationen mellan de olika delarna, och betraktad funktionellt är penningen bara ett av flera flöden i det kretslopp som staten utgör: Die individualistischen Staats- und Wirtschaftstheorien, die auf der Idee der Befreiung des einzelnen aufbauen, wollen nur das Allod gelten lassen: die römisch-rechtliche Eigentumsauffassung siegt über den Feudalbegriff des Eigentums. Und dennoch gibt es auch heute noch eine Form des Feod oder Gemeineigentums, nämlich das Geld, eine Form, die die ganze Kraft und Tiefe dieser Art von Eigentum offenbart. Das Geld, wo es erscheint, und wie es erscheint, ob als Wort oder als Metall, ist nur Geld, inwiefern es kein Privateigentum, sondern inwiefern es wie der Staat selbst, Gemeindeeigentum möglichst vieler, ja aller ist. Denn noch einmal: nur im Moment des Umsatzes oder der av ekonomi. Mot den bakgrunden framstår Müllers utläggningar som en flykt från en grundläggande och ny uppfattning om individen in i det totalitära, hävdar Breithaupt: „Im Zentrum von Müllers Feldzug gegen die falsche Idee des Privateigentums steht der Kampf gegen ein Phantom: das Ich. Indem Müller eine falsche Wahrnehmung und Beschreibung von Eigentum und Privat-Eigentum anprangert, hofft er anscheinend zugleich, die Praktiken der individuellen Aneignung zu verändern. Müller nimmt hier und anderswo Wendungen des frühen Schlegels auf (Erweiterung, Bereicherung und Überschuss), um an ihnen diese Begriffsverwirrung aufzuzeigen. Statt Profit gebe es nur ein höheres Maß an Kredit, an Vertrauen, das den Einzelnen an seine Gemeinschaft bindet. Das Individuum existiere in der Nationalökonomie nur aufgrund seiner Vertrauenswürdigkeit und somit seiner Fähigkeit, in Medialität aufzugehen. Umgekehrt besteht Müllers proto-nationalsozialistische Mission darin, den Einzelnen dazu zu bekehren, den Reichtum des Volksganzen zu befördern.“ Fritz Breithaupt: Der Ich-Effekt des Geldes. Zur Geschichte einer Legitimationsfigur. Frankfurt a. M.: 2008, s. 111. 52 Achermann: Worte und Werte, s. 257ff. 53 En omfattande diskussion om Müllers penningteori ges i Hartmann: Sinn und Wert des Geldes, s. 214-289. Se även Achermann: Worte und Werte, s. 265ff. Jonas Asklund 44 Zirkulation sind die Substanzen des Geldes wirklich Geld: und in diesem Moment sind sie Feod. 54 Så långt några grunddrag i Adam Müllers texter i samhällsfilosofi och ekonomisk teori. En kort jämförelse med den bild av samhället och kungamakten som förs fram i Dahlgrens text visar att Mollbergs epistlar bjuder på mer än spridda ekon från Bellmans diktning och mer än en lek med Valerius divertissement till Karl XIV Johans kröningsfestligheter. Också Dahlgren ger ju en bild av samhället som en organisk enhet vilande på kontraster - från det första häftets erotiska gemenskap mellan man och kvinna eller den enskildes entusiasm bland församlade vänner vid punschbålen till den manifestation i det andra häftet som det samlade borgerskapet i Stockholm visar upp till vårens ära ute på Djurgården. Under sagospelets yta kan man därmed skönja spår av en samhällsorganism av samma typ som hos Müller. Det är också lockande att betrakta stabiliteten i denna samhällsorganism hos Dahlgren som resultatet av en sådan nationalkredit som Müller beskriver. Det mellanmänskliga förtroende, den politiska respektive ekonomiska tillförsikt och den religiösa tro som utgör komponenterna i denna nationalkredit finns i överflöd i Dahlgrens text. Det intressanta med Mollbergs epistlar i det här sammanhanget är emellertid den mycket starka koppling som görs mellan nationalkredit och kungamakt, eller mer tillspetsat: mellan likviditet och legitimitet. Det är också här, mot ljuset av Müllers statsfilosofi, som man kan se vilken uppgift det faktiskt är som tilldelas Karl XIV Johan i texten. Budskapet där kan formuleras som att den nye kungen kommer att vinna legitimitet bland medborgarna, förutsatt att han förmår främja och stärka den samhälleliga likviditeten. Denna tanke ges ju också en pregnant bild i det andra häftet - åsynen av den älskade monarken öppnar allas hjärtan och får den rike men snåle att också öppna sin börs och ge tiggaren en slant. Det är inga lågt ställda krav som ställs i texten på den nyblivne kungen, men kravet att Karl XIV Johan ska vara en god kommunikatör är kanske det högst ställda av dem alla. 55 54 Müller: Versuche einer neuen Theorie des Geldes, s. 249. 55 Här, om inte förr, blir det tydligt att Dahlgrens text kan betraktas som ett tämligen progressivt inlägg i tidens diskussioner om kungamakten och dess funktion. Det skiljer visserligen Dahlgren från C.J.L. Almqvist och kretsen runt honom, som alltså tycks ha reagerat på tidens legitimitetskris på andra och mer avvisande sätt, men det gör å andra sidan hans text mer intressant att jämföra med samtida icke-litterära bidrag till denna diskurs. Tidigt nådde Adam Müllers idéer Sverige genom tidskriften Läsning till utbredande af medborgerliga kunskaper som utkom med ett första häfte 1816. I förordet till det häftet argumenterar utgivarna lika fosterländskt som senare Dahlgren, när de säger sig vilja stärka den „inre kraft“ i nationen som grundar sig på det offentliga samtalet, ökade kunskaper om nationens tillstånd och en allmän enighet. Just av den anledningen att Sverige är ett så litet land i Europa krävs „en allmännare kännedom af stats-ekonomiska brister“, hävdar de och ställer retoriskt den styrka som vilar på öppenhet och ansvarstagande i den mindre nationen mot massans kraft i de större europeiska länderna. Här förekommer alltså samma funktionella argument för det medierande och kommunikativa som senare hos Dahlgren i syfte att stärka medborgarnas förtroende för staten och ekonomin. Se [F.B. von Schwerin, J.C. Askelöf och C. Livijn]: Läsning Till Utbredande Af Medborgerliga Kunskaper, s. 2f. Legitimitet och likviditet 45 Om Karl XIV Johan någonsin fick den kärlek och det förtroende han bad om i sitt valspråk som den förste unionskungen får väl anses vara en öppen fråga. Hans försök att framträda som en folkvald och medborgerlig konung har i senare bedömningar kommit att överskuggas av den långa och resultatlösa kamp han senare skulle föra mot liberalismen i Sverige. Den text som har undersökts här - Mollbergs epistlar av Carl Fredrik Dahlgren - ger i alla fall en tydlig och tidig bild av hur denna kärlek en gång tänktes kunna komma honom och hans ätt till del. I den mängd panegyriska inslag som texten innehåller framställs kungamaktens legitimitet genomgående som beroende av den likviditet som den skulle kunna tillföra samhället som helhet. Likt andra emotionella flöden såsom kärlek, vänskap och religiös tro framställs i Dahlgrens text också rojalismen och patriotismen som delar av det samhälleliga kretsloppet. En blick på den tyske statsfilosofen Adam Müllers skrifter visar att denna skönlitterärt gestaltade uppfattning om det stabila och kommunicerande samhället inte är unik i samtiden - hos Müller förekommer till exempel begreppet nationalkredit i ett liknande sammanhang. På ett liknande sätt kan en jämförelse med det som har kallats Karl Johan-tidens politiska kultur visa i vilken grad Mollbergs epistlar deltar i en samtida diskurs gällande kungamaktens legitimitet. Som historikerna har visat kunde olika aktörer inta skilda ståndpunkter i denna förtroendediskurs. Där några förde fram kulturens betydelse och till exempel ansåg att ett raskt försvenskande av ätten Bernadotte skulle stärka befolkningens förtroende för den nya dynastin, pekade andra på de politiska aspekterna av det faktum att svenskarna hade valt Jean Baptiste Bernadotte till sin kung. 56 En delvis annorlunda ståndpunkt, och samtidigt förvånansvärt modern, presenteras alltså i Mollbergs epistlar - det är den väl fungerande monarken som vinner legitimitet. 56 Ekedahl: En dynasti blir till, s. 25f. Jonas Asklund 46 Achermann, Eric: Worte und Werte. Geld und Sprache bei Gottfried Wilhelm Leibniz, Johann Georg Hamann und Adam Müller. Tübingen: 1997. Alm, Mikael: „Riter och ceremonier kring Karl XIV“. I: En dynasti blir till. Medier, myter och makt kring Karl XIV Johan och familjen Bernadotte. Red. av Nils Ekedahl. Stockholm: 2010, s. 37-77. Alm, Mikael: Kungsord i elfte timmen. Språk och självbild i det gustavianska enväldets legitimitetskamp 1772-1809. Stockholm: 2002. 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Freiheit entstehe dort, wo die Bindung an tribale, feudale, ständische oder familiäre Zusammenhänge für die soziale Position weniger wichtig wird, wo, mit anderen Worten, gesellschaftliche Funktionen sich von den Inhabern emanzipiert haben. Das monetäre System leistete dieser Entwicklung Vorschub. Für den Arbeiter etwa markiert die Entlohnung durch Geld den Bruch der lebensweltlichen Verschränkung von Arbeitsplatz und Zugang zu lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung und Behausung: Er empfindet sich nicht mehr als Person untertänig, sondern gibt nur eine genau festgestellte - und zwar auf Grund des Geldäquivalentes so genau festgestellte - Leistung hin, die die Persönlichkeit als solche gerade um so mehr freilässt, je sachlicher, unpersönlicher, technischer sie selbst und der von ihr getragene Betrieb ist. 1 Da nun, wie z. B. Reinhard Rürup 2 gezeigt hat, die Modernisierung der Gesellschaft in direktem Zusammenhang mit der Emanzipation der Juden steht, ist es nachvollziehbar, dass das bekannte Stereotyp, Juden hätten eine besondere Begabung zur monetären Akkumulation, eine willkommene Projektionsfläche für Modernisierungsängste bot. Wer im gesellschaftlichen Modernisierungsprozess verliert, (egal ob es sich um den Verlust von wirtschaftlicher Sicherheit, sozialem Ansehen oder metaphysischer Geborgenheit handelt,) findet in der Figur des Schacherjuden eine Zielscheibe seiner Wut. „Saalænge der er Jøder i Landet, vil vort Rige blive Ruineret“, 3 schreibt ein unbekannter Verfasser 1819 auf einem dänischen Flugblatt als Reaktion auf die verheerenden wirtschaftlichen Folgen des Staatsbankrotts von 1813. Das Schicksal der Juden im modernen Europa ist damit tatsächlich mit der Geschichte des Geldes verschränkt, jedoch nicht, weil irgendeine sympathetische 1 Georg Simmel: Gesamtausgabe. Bd. 6: Philosophie des Geldes. Hg. von David P. Frisby u.a. 2. Aufl. Frankfurt a.M.: 1999, S. 452. 2 Reinhard Rürup: „Emanzipation und Antisemitismus. Historische Verbindungslinien“. In: Antisemitismus. Von der Judenfeindschaft zum Holocaust. Hg. von Herbert A. Strauss und Norbert Kampe. Frankfurt a.M., New York: 1985, S. 88-98. 3 „Solange es Juden im Land gibt, wird unser Reich ruiniert bleiben“. Ein Faksimile des Flugblatts findet man in: Leif Ludwig Albertsen: Engelen Mi. En Bog om den danske jødefejde. Aarhus: 1984, S. 102. Joachim Schiedermair 52 Beziehung zwischen Juden und dem monetären System bestünde, sondern weil sich das bereits bestehende Stereotyp des geldgierigen Juden dem sozialen Ressentiment als Ventil für die Belastungen der Moderne anbot. Diese Rückkoppelungen im Modernisierungsprozess sind seit langem bekannt. 4 Folgt man dem Grundsatz, dass literarische Texte als „Schauplätze der Kulturgeschichte“ aufgefasst werden können, in denen „die konfliktreiche Genese kultureller Deutungsmuster“ zur Sprache kommt, 5 muss man Texte, die sich in der Folge der dänischen antisemitischen Ausschreitungen von 1813, 1819 und 1830 für die Anerkennung der jüdischen Mitbürger aussprechen, zwangsläufig als Reaktion auf das Stereotyp vom Wucherjuden lesen. Dies kann direkt geschehen wie in den Paradebeispielen M.A. Goldschmidts En Jøde (1845) oder Carsten Hauchs Guldmageren (1836) aber auch weniger offensichtlich und vermittelt durch spezifisch literarische Filter, wie in Thomasine Gyllembourgs Novelle Jøden aus dem Jahr 1836. In einem ersten Schritt werde ich versuchen, diese Filter des Stereotyps herauszuarbeiten. Die Novelle ist in diesem Zusammenhang besonders interessant, als sie die Emanzipation der Juden mit einer anderen Art der Zirkulation von Reichtümern in Verbindung bringt, die nicht nach ökonomischen Gesichtspunkten, oder nicht allein nach ökonomischen Gesichtspunkten funktioniert. In meinem zweiten Schritt werde ich deshalb auf Marcel Mauss’ klassischen Essai sur le don (dt.: Die Gabe) aus dem Jahr 1923/ 24 zu sprechen kommen, der in den letzten Jahren (an den z.T. entstellenden Lesarten von Bataille, Serres und Derrida vorbei) in Philosophie und Kulturtheorie neues Interesse gefunden hat. Der Komplex des Gabentauschs bietet das begriffliche Inventar, das die Vorgänge in der Novelle beschreibbar macht. Doch bevor diese beiden Schritte angegangen werden können, muss zunächst die Novelle ausführlich beschrieben werden, denn Thomasine Gyllembourgs handlungsgesättigte Erzählungen entwickeln ihre Logik in der Regel nicht in ausführlichen Gesprächen der Figuren oder in der Kommentierung des Erzählers, sondern anhand der Konstruktion des plots, der Anordnung der Szenen in einer Reihenfolge, durch Spiegelrelationen von Figurenkonstellationen und Handlungssträngen. 4 So z.B. Doerte Bischoff: „Handelnde Juden. Verhandlungen des Jüdischen: zur Performativität eines Stereotyps“. In: Dialog der Disziplinen: Jüdische Studien und Literaturwissenschaft. Hg. von Eva Lezzi und Dorothea M. Salzer. Berlin: 2009, S. 219. 5 Sigrid Weigel: „Zur Differenz von Gabe, Tausch und Konversion. Shakespeares The Merchant of Venice als Schauplatz von Verhandlungen über die Gesetze der Zirkulation“. In: Literatur als Voraussetzung der Kulturgeschichte. Schauplätze von Shakespeare bis Benjamin. Hg. von Sigrid Weigel. München: 2004, S. 64. Der Kaufmann von Kopenhagen 53 Das Eigentümliche der Novelle ist die Verschränkung von zwei erzählerischen Strängen, die zwar in der Auflösung des plots zueinander finden, die aber den gesamten Text hindurch eigentümlich unverbunden nebeneinander liegen. Im ersten Strang kreist die Handlung um den reichen jüdischen Ziehvater des Ich-Erzählers, „den ædle Joseph Branco“ („den edlen Joseph Branco“), wie er eingeführt wird, „der med sand christelig Kjærlighed havde antaget sig mig, sørget for min Opdragelse, og selv barnløs optaget mig i sit Huus og i sit Hjerte som en elsket eneste Søn“ (J, 8). 7 Joseph Branco habe sich des unehelichen und anonym in der Fødselsstiftelsen 8 geborenen Säuglings, dessen Mutter bei der Geburt starb, angenommen, weil gleichzeitig seine Frau Rachel und sein Sohn im Kindsbett starben. Indem er seine Liebe auf ein anderes Objekt der Zuneigung lenkte, konnte er seiner Trauer Herr werden. Er sorgte dafür, dass der Waise bei einer Pfarrersfamilie auf dem Land aufgezogen wurde und holte ihn dann zu sich nach Kopenhagen. Die Umstände der Geburt lassen eine weitere Hauptfigur, Kommandant Erlin, glauben, dass der Erzähler, der übrigens den Namen Frederik Volmer trägt, sein eigener Sohn aus einer vorehelichen Beziehung zu Jeanette Lafleur sei, die tatsächlich in der Fødselsstiftelsen starb; dieses Geheimnis behält er jedoch für sich. Um dem vermeintlich wiedergefundenen Sohn trotzdem seine Zuneigung zeigen zu können, gibt er einen lieben, in den ostindischen Kolonien verstorbenen Jugendfreund als Vater aus. Am Ende der Novelle offenbart Branco jedoch, dass er selbst der leibliche Vater Volmers ist. In Wirklichkeit starb nämlich nur seine Frau, nicht der Sohn. Da er seinem Kind aber die Verachtung ersparen wollte, der Juden in Dänemark ausgesetzt waren, tauschte er seinen Sohn mit einem Totgeborenen der Fødselsstiftelsen aus und gab ihn so als Kind christlicher Eltern aus, das er dann später adoptierte. Dieser Totgeborene war tatsächlich der Sohn des Kommandanten Erlin. An diesen ersten diskursiven Strang der Geschichte sind eine Reihe ‚jüdischer‘ Themen angelagert: Antisemitismus, soziale und biologische Vererbung, die Rolle der Religion und das Verhältnis von Juden und Geld. Dazu gleich mehr. Der zweite Strang der Erzählung bildet die für die Hverdagshistorier übliche Liebesgeschichte. Frederik Volmer, sein bester Freund William Carlsen und ein dritter gleichaltriger Leutnant mit Namen Falk konkurrieren um Nicoline Erlin und Charlotte Erlin, die bezaubernden Töchter des Kommandanten Erlin. Carlsen ist schon 6 Zitiert wird folgende Ausgabe: Thomasine Gyllembourg-Ehrensvärd: „Jøden“. In: Dies.: Samlede Skrifter af Forf. til „En Hverdags-Historie“. Bd. 6. 3. Aufl. Kjøbenhavn: 1884, S. 1-150. Die Seitenangaben werden im fortlaufenden Text direkt hinter dem Zitat mit der Sigle J platziert. Die Übersetzung stammt jeweils von mir. 7 „[D]er sich meiner mit wahrer christlicher Liebe angenommen, für meine Erziehung gesorgt und - selbst kinderlos - mich in sein Haus und in sein Herz wie einen geliebten einzigen Sohn aufgenommen hatte.“ 8 1750 wurde in Kopenhagen eine Institution (Fødselsstiftelsen) gegründet, in der Frauen bei kostenfreier ärztlicher Überwachung anonym gebären konnten. Ihre Anonymität wurde ihnen „til evig tid“ (auf ewige Zeit) garantiert. Vgl. www.landsarkivetkbh.dk/ hvedst/ txt/ kilder/ foedsstift.htm (13.06.2011). Joachim Schiedermair 54 seit langem in Nicoline verliebt, doch seine finanziellen Verhältnisse lassen eine Eheschließung nicht zu. Ohnehin scheint Nicoline sich nicht auf einen Mann festlegen zu wollen. Sie ist eine Meisterin des unverbindlichen Kokettierens und wird von Verehrern umschwärmt, so dass auch Volmer ihr erliegt und sich Hoffnungen auf ihre Gunst macht. Die erotische Konkurrenz stellt die Freundschaft vor eine Zerreißprobe. Die Schwester Charlotte ist zu Beginn der Novelle noch ein Kind, doch von Anfang an fasst sie eine tiefe Zuneigung zu Volmer, die dieser nicht wahrnimmt. Erst als aus dem Mädchen eine schöne Frau geworden ist, erkennt Volmer in ihr die wahre Lebensgefährtin, wodurch Nicoline wieder ganz frei für Carlsen wird. Als dieser in einem Gefecht verwundet wird, lässt sie alles Kokettieren und offenbart, dass sie seine Liebe erwidert. Charlotte ist jedoch mittlerweile mit Falk verlobt; auf ihre Bitten hin entbindet er sie ihres Eheversprechens. An dieser Stelle nun kommt es zur schicksalhaften Verschränkung der Erzählstränge. Denn da Erlin in Volmer seinen Sohn zu erkennen glaubt, steht die Verbindung von Volmer und Charlotte für ihn unter dem Inzestverbot. Dadurch wird er gezwungen, seine Überzeugung, er sei Volmers Vater, zu verraten. Doch als die wahren Verhältnisse an den Tag kommen, kann er in eine Ehe der Kinder einwilligen. Insofern verliert er seinen genetischen Sohn, gewinnt aber einen genealogischen (Schwieger-)Sohn. Diese beiden Stränge, der eine der jüdischen Themen und der andere der erotischen Verstrickungen, liegen eigentümlich unverbunden nebeneinander. Auf den ersten 60 Seiten der 150-seitigen Novelle pendelt der plot zwischen beiden Geschichten hin und her. Auf diesen gemischten Seiten sind alle oben genannten ‚jüdischen‘ Themen angesprochen. Die letzten zehn Seiten sind der Auflösung der wahren verwandtschaftlichen Beziehungen gewidmet. Doch die 80 Seiten dazwischen sind ausschließlich der erotischen Narration vorbehalten. D.h. mehr als die Hälfte hat die Novelle, die den aufmerksamkeitssteuernden Titel Jøden trägt, nichts, aber auch gar nichts mit dem Juden und die an ihn angelagerten Diskurse zu tun. Auch die Lösung der Frage „Wer ist der Vater? “, die beide Fäden des plots miteinander zu verschalten scheint, führt zu keiner diskursiven Einheit, denn die Verbindung bleibt oberflächlicher Natur: Zwar macht Branco durch seine eingestandene Vaterschaft Platz für ein happy end der erotischen Geschichte, doch bleibt sein Judentum für die Lösung marginal. Jeder andere Vater hätte es auch getan. Man muss sich also fragen, ob es eine weitere, eine unterirdische, nicht durch den plot sondern diskursiv motivierte Verbindung gibt. Und sie meine ich in eben dem Moment zu erkennen, da man den Fokus vom Geld auf die Gabe richtet, was ich ganz am Ende meiner Argumentation andeuten werde. Doch zunächst werde ich die literarischen Filter rekonstruieren, mit der Gyllembourg das Stereotyp der sympathetischen Beziehung von Jude und Geld angeht. Der erste Strang des plots muss als Beitrag zur zeitgenössischen Diskussion über die Stellung der Juden gelesen werden, denn die einzelnen Episoden dienen vor allem Der Kaufmann von Kopenhagen 55 der Charakterisierung Brancos. Zwar wird er mit der stereotypen jüdischen Physiogonomie (J, 19) und einem gehörigen Schuß Orientalismus (J, 20) ausgestattet; gleichzeitig wird aber betont, dass er bestrebt sei, „for at aflægge de Egenheder, som udmærke Folk af hans Nation, for Ex. den særegne Udtale“ (J, 19). 9 Die Bemühungen um Assimilation gehen so weit, dass er sich außergewöhnliche Freiheiten „i Henseende til de trykkende jødiske Ceremonier“ (J, 19; s.a. J, 44-50) nimmt. 10 Die physiognomische Festlegung des Juden wird durch Andeutungen zum Aussehen des (genetisch ja ebenfalls) jüdischen Sohns relativiert: Am Anfang erfährt der Leser gleich von der besonders ansprechenden äußeren Erscheinung Volmers mit dunklem Teint, scharfen Gesichtszügen und schwarzen Haaren (J, 14). Am Ende kennt man den Grund dafür: Er ist der Sohn eines jüdischen Vaters. Dass diese Stelle jedoch nicht rassistisch gelesen werden kann, liegt daran, dass sich Volmer (ein Leutnant in der dänischen Marine) am Anfang der Novelle dienstlich in Spanien aufhält und dort für einen Spanier gehalten wird. Hinzu kommt noch, dass bereits auf den ersten Seiten der Verdacht gesät wird, dass eine genetische Verbindung zwischen Volmer und dem dänischen Kommandanten Erlin bestehen könnte, und zwar ebenfalls aufgrund der gemeinsamen dunklen Hautfarbe (J, 18). Die explizite physiognomisch-rassische Festlegung des Juden in der ersten Charakterisierung Brancos wird somit konterkariert, indem dieselben Merkmale auch Spaniern im Generellen und selbst dem einen oder anderen Dänen beigegeben werden. Das Thema des dänischen Antisemitismus wird in der Novelle geschickt über das Verhältnis von Handlungszeitpunkt und Erzählzeitpunkt implementiert. Gyllembourg schreibt die Novelle Jøden 1836 also vor dem Hintergrund der Pogrome 1819/ 20 und 1830, 11 die Handlung spielt aber in den 1790ern und den ersten Jahren des 19. Jahrhunderts, also vor den Unruhen. Mehrere Figuren in der Novelle beschwichtigen Brancos Angst vor antisemitischen Haltungen, indem sie auf den Fortschritt verweisen - „Verden er for oplyst til at foragte en brav Mand, fordi han er Jøde“ (J, 26, außerdem J, 25 und J, 144/ 5) 12 - und beziehen sich damit (ohne dass dies ausgesprochen wird) auf die Reformen zur bürgerlichen Gleichstellung der Juden, an denen der aufgeklärte Absolutist Frederik VI seit 1796 (also zum Handlungszeitraum der Novelle) arbeitet. Macht man sich diese Daten klar, dann argumentiert die Novelle gegen den erwähnten Geschichtsoptimismus einiger Figuren, weil die Autorin und mit ihr die Leser bereits die Zukunft des Antisemitismus kennen, auf die die Figuren erst zugehen. Indem also von einigen Figuren eine humane und liberale Zukunft heraufbeschworen wird, wird indirekt das Wissen der Lesenden um die tatsächlichen Verhältnisse aktiviert. 9 „[D]ie Eigenheiten abzulegen, die Leute seiner Nation kennzeichnen, z. B. die eigentümliche Aussprache“. 10 „[I]m Hinblick auf die drückenden jüdischen Zeremonien“. 11 Zur Jødefejde 1819/ 20 vgl. Albertsen: Engelen Mi. - Zur Krise 1830 vgl. Bent Blüdnikow: „Jødeuroen i København 1830“. In: Jyske Samlinger/ Historie, Ny række XIV (1981-1983), S. 633-650. 12 „Die Welt ist zu aufgeklärt, um einen braven Mann zu verachten, weil er Jude ist.“ Joachim Schiedermair 56 Interessant ist nun, dass diese Zukunft in der Rede des Ich-Erzählers, der die Handlung ja wie die Autorin rückblickend erzählt, mit der finanziellen Lage des Staates in Verbindung gebracht wird. Er schreibt an einer Stelle über den Zeitpunkt der erzählten Ereignisse: „Det var mod Slutningen af Aarene 90. Danmark var endnu i sin glimrende Handelsperiode. Uveirsskyer syntes vel at vise sig i Horizonten, men endnu var Alt dog roligt“ (J, 80). 13 D.h. der Erzähler sorgt dafür, dass das Leserbewusstsein die Pause zwischen dem Ende der Handlung und dem Erzählzeitpunkt 1836 mit zwei Geschehnissen füllt: dem Anwachsen des Antisemitismus und dem gleichzeitigen Ende der prosperierenden Epoche der dänischen Wirtschaft. Was hier wie ein dezent untergebrachtes soziologisches Erklärungsmodell für die zunehmende Judenfeindlichkeit aussieht, kann bei einer alternativen Formulierung aber auch eine antisemitische Wendung nehmen: Der finanzielle Niedergang folge der Judenemanzipation seit 1790 auf den Fuß. Diese Erklärung passt selbstverständlich nicht zu den historischen Fakten, wurde aber seit den Ausschreitungen 1819 zur Volksaufwiegelung eingesetzt. Da der Text den Zusammenhang von abnehmendem Wohlstand und zunehmender Judenemanzipation zwar aufstellt, nicht aber wertet, bleibt er je nach leserseitiger Einstellung in beide Richtungen deutbar. Dieser diskursive Strang wird verstärkt, da an verschiedenen Stellen das Stereotyp vom Wucherjuden angesprochen wird. Als Branco sich nämlich weigert, Leutnant Falk eine Summe für ein Glücksspiel zu leihen, wird er vom zurückgewiesenen Bittsteller beschimpft: „Hvorfor Satan tolererer man Jøder, uden for at laane Penge af dem“ (J, 28)? 14 Hier handelt es sich freilich nur um Figurenrede, also um eine Repräsentation antisemitischer Haltungen. Wer genau liest, wird jedoch merken, dass sich Branco in anderen Zusammenhängen durchaus als Geldverleiher betätigt. Als Kommandant Erlin eines Tages Branco und Volmer besucht, um seine Vermutungen über die Herkunft Volmers zu äußern, wird das Gespräch auf folgende Art eingeführt: Erlin „traadte ind med et usædvanligt Udtryk i sit Ansigt. Der var noget Spændt og Undseeligt i hans Mine og Stemme, saa det faldt mig ind, at han saae ud som En, der vilde laane Penge“ (J, 50 - Kursivierung J.S.). 15 Wie auch immer jemand aussehen mag, der Geld leihen will: Aus der Tatsache, dass Volmer einem Besucher ansieht, dass er Kredit benötigt, muss man schließen, dass dies kein Einzelfall ist, und dass folglich Brancos Geschäfte auch das Kreditwesen umfassen. Diese Stelle ist aber auch in anderer Hinsicht aufschlussreich. Denn da Erlin nicht wegen Geldsorgen, sondern aufgrund seiner erotischen Eskapade in seiner Jugend vorspricht, stellt die Novelle an dieser Stelle eine diskursive Verbindung zwischen unerlaubter Sexu- 13 „Es war gegen Ende der 90er Jahre. Dänemark war noch in seiner glänzenden Handelsperiode. Dunkle Wolken schienen sich wohl am Horizont zu zeigen, doch noch war alles ruhig.“ 14 „Warum zum Teufel toleriert man Juden, außer um Geld von ihnen zu leihen? “ 15 Erlin „trat mit einem ungewöhnlichen Ausdruck in seinem Gesicht ein. Es war etwas Gespanntes und Schamhaftes in seiner Mine und Stimme, so dass ich plötzlich dachte, dass er wie einer aussah, der Geld leihen wolle.“ Der Kaufmann von Kopenhagen 57 alität und Geldverleih her: Wer Kredit braucht, sieht offenbar genauso aus, wie jemand, den die Triebe fehlgeleitet haben. Dasselbe diskursive Dreieck von Jude, Zins und Begehren begegnet auch an anderer Stelle: Bereits nach zehn Seiten kommt die Erzählung erstmals auf das monetäre Thema zu sprechen und im gleichen Atemzug werden die Gedanken auf den reichen Juden gelenkt, der bisher nur einmal erwähnt wurde - so stark scheint die Konnotation von Geld und Jude zu sein. Ich erwähnte bereits, dass William Carlsen die nötigen finanziellen Mittel fehlen, um heiraten zu können: „ingen Mand af den dannede Classe burde tænke paa at gifte sig, med mindre han havde en aarlig Indtægt af idetmindste en fjorten, femten hundrede Rigsdaler“ (J, 12). 16 Sofort kommt Volmer die Idee, sein reicher Ziehvater könnte mit einem festen Kapital aushelfen, das jährlich ausreichend Zinsen abwürfe. (Carlsen lehnt das Angebot verständlicherweise aus Ehrgefühl ab.) Diese unscheinbare Stelle darf nicht unterschätzt werden, scheint in ihr doch gleich am Anfang des Textes eine verhängnisvolle diskursive Verstrickung auf, die eine große Tradition im antisemitischen Diskurs besitzt. Es ist bekannt, dass das Mittelalter den Christen verbot, Zinsen zu nehmen. Als Begründung wird in der wissenschaftlichen Literatur immer wieder angegeben, dass das Geld, das sich im Zins nur durch sich selbst vermehre, Konnotationen sowohl zur Unfruchtbarkeit, zum Inzest, zur Homosexualität und zur Selbstbefriedigung auslöse. 17 Das Stereotyp vom Wucherjuden rückt damit in die diskursive Nähe des Widernatürlichen. Nun wird in Gyllembourgs Novelle zwar an keiner Stelle eine Abweichung vom heterosexuellen Muster thematisiert, doch bringt die gerade genannte Stelle auf diskursivem Weg das Judentum mit der selbsttätigen Vermehrung des Geldes durch Zins und mit einer nicht auf Fruchtbarkeit abgestellten Sexualität in Verbindung: Scheinbar selbst kinderlos bindet Branco durch seine Großzügigkeit, sprich sein Geld, einen Sohn an sich. Und auch das Thema Inzest spielt wie bereits erwähnt eine Rolle in der Novelle, wenn es auch auf den anderen Handlungsstrang verschoben ist. Nun könnte man diese Stellen einfach als Reproduktion von antisemitischen Klischees werten. Doch dies würde bedeuten, die Verfahren von Gyllembourgs literarischem Realismus weniger komplex zu begreifen, als es angemessen ist. Durch die Einbettung in das realistische Szenario der Hverdagshistorier wird das Stereotyp in einem ersten Schritt zwar mit Plausibilität ausgestattet. In einem zweiten Schritt aber wird das scheinbar bestätigte wahre Charakteristikum des Juden als ein wahr geglaubtes entlarvt, indem die einzelnen Elemente zu einer topischen Figur zusam- 16 „[K]ein Mann der gebildeten Klasse sollte daran denken sich zu verheiraten, ohne ein jährliches Einkommen von mindestens vierzehn- oder fünfzehnhundert Reichstalern zu haben.“ 17 Anne von der Heiden: Der Jude als Medium. „Jud Süß“. Zürich, Berlin: 2003, S. 104-107; Christina von Braun: „Schuld, Schulden, Beschuldigungen: Das Medium Geld im christlichjüdischen Verhältnis“. In: „Jud Süß“. Hofjude, literarische Figur, antisemitisches Zerrbild. Hg. von Alexandra Przyrembel und Jörg Schönert. Frankfurt a.M., New York: 2006, S. 311-324. Unendlich differenzierter bei: Marcel Hénaff: Der Preis der Wahrheit. Gabe, Geld und Philosophie. Frankfurt a. M.: 2009, S. 121-153. Joachim Schiedermair 58 mengefügt werden. Als topische Figur aber wird das Stereotyp seines vermeintlichen Realismus entkleidet und als kulturelle Überlieferungsfigur gekennzeichnet - und damit relativiert. Der ‚Realismus‘ der Novelle wird durchsichtig auf seine Textualität. Das gilt es am Text auszuführen: Die prominenteste Quelle, in der das Stereotyp vom Wucherjuden verhandelt wird, ist sicher The Merchant of Venice mit seinem berühmten Handel, in dem der Kaufmann Antonio sich vom Juden Shylock 3000 Dukaten leiht. Die Summe gibt er an seinen Freund Bassanio weiter, damit dieser sich standesgemäß ausrüsten kann, um die schöne Portia zur Frau zu gewinnen. Als Sicherheit für das Darlehen gibt Antonio „im Scherz“ ein Pfund Fleisch aus seinem Körper, das Shylock bei abgelaufener Frist auch einfordert. Tatsächlich kommt keine neuere Lesart des Dramas 18 ohne den Hinweis auf die erwähnte Verbindung von Zins und widernatürlicher Vermehrung des Geldes aus und zwar über den Vergleich zwischen der biologischen Vermehrung von Schafen und Böcken mit dem Anwachsen monetärer Mittel. Shylock sagt an einer Stelle: „I make it [das Geld] breed as fast [wie Schafe und Böcke].“ 19 Aber auch das Motiv des Tauschs von Fleisch gegen Geld passt in die Vermengung von monetärem und sexuellem Diskurs. Die Aufführungsgeschichte zeigt, dass der Charakter des Shylock von Shakespeare so vielschichtig angelegt wurde, dass er die gesamte Bandbreite von rohesten antisemitischen bis ausgesprochen philosemitischen Interpretationen zulässt. 20 Trotzdem avancierte der Name Shylock zum Synonym des Wucherjuden schlechthin, in dem sowohl die Komplexität des Dramas wie die fiktionale Kontextualität der Figur vergessen sind. Wie gesehen ruft Gyllembourg den Topos des Wucherjuden und der Konnotation von Zins und Sexualität auf. Doch mehr als das: Sie aktualisiert auch den narrativen Kontext des Dramas und gibt so der vermeintlichen Wahrheit vom gierigen Juden ihren fiktiven Kontext zurück. In der oben erwähnten Stelle mit der Konstellation eines Freundespaares, bei der dem einen (Carlsen) ein bestimmtes Kapital fehlt, um eine von vielen umworbene Dame (Nicoline) freien zu können, und bei der der andere (Volmer) das nötige Geld bei einem Juden (bei Branco) erbitten möchte, mit der Konstellation eines solchen Freundespaares also wiederholt die Novelle ganz evident die Relation von Bassanio - Portia - Antonio - Shylock. 21 Der Gemeinplatz wird damit wieder erkennbar als das, was er ist - ein textuelles, ein 18 Z.B.: Dietrich Schwanitz: Das Shylock-Syndrom oder Die Dramaturgie der Barbarei. Frankfurt a. M.: 1997, S. 114-127; Weigel: Zur Differenz; Bischoff: Handelnde Juden; Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt a.M.: 1996, S. 129. 19 William Shakespeare: The Merchant of Venice. Hg. von John Russel Brown. London, New York: 1964 (= The Arden Edition of the Works of William Shakespeare), Act I, Sc. 3, S. 27. 20 Anat Feinberg-Jütte: „Siebtes Bild: Shylock“. In: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Hg. von Julius H. Schoeps und Joachim Schlör. München, Zürich: 1995, S. 124-125. 21 Man kann vielleicht anmerken, dass Gyllembourg als Mutter eines Theatermannes und Schwiegermutter der prominentesten Schauspielerin Dänemarks zweifellos mit Shakespeares Drama bekannt war. In der Übersetzung von K.L. Rahbek und A.E. Boye stand es 1828 auf dem Spielplan des Kongelig Teaters. S. Peter Tudvad: Kierkegaards København. Kopenhagen: 2004, S. 264. Der Kaufmann von Kopenhagen 59 kollektives mentales Konstrukt, das seine Plausibilität aus der Häufigkeit seiner Wiederholung bezieht. Branco repräsentiert also einen Topos. Doch es hieße, die Literarizität von Gyllembourgs Texten zu unterschätzen, wenn man in ihnen nur die Wiederholung eines Begriffs oder selbst eines literarischen Musters sieht. Vielmehr scheinen die Episoden, die in den ersten sechzig Seiten Branco gewidmet sind, dem Plan zu folgen, den Topos in verschiedene Kontexte einzubetten, ihn auf verschiedene Vorgaben reagieren zu lassen, um ihn so in Bewegung zu bringen und neu zu verhandeln. Dazu möchte ich einen Blick auf einen bestimmten Ausschnitt des plots richten, in dessen Handlungsabfolge der Jude Branco in immer neuen Situationen mit Fragen von Armut und Reichtum, Geld und Pfandleihen und Glück konfrontiert wird: An einem Herbsttag sitzt Branco mit seinem Ziehsohn Volmer vor einem Ausflugslokal. Die Szene wird damit eingeführt, dass der Jude von seiner Armut als Kind erzählt, als er - ein Vollwaise - bei einem christlichen Krämer lebte, der ihn ausnutzte. Ein nicht weiter beschriebener Wohltäter befreite ihn von seinem Joch (J, 24). Damit wird angedeutet, dass Brancos Wohlstand seinen Ursprung in der Gabe eines anderen hat. Damit ist aber auch gesagt, dass Branco kein skrupelloser Aufsteiger ist, der auf Kosten anderer reich wird. Dann kommt Moses, ein jüdischer Dandy, vorbei, der als direktes Negativbild jüdischer Emanzipation aufgebaut wird. Er protzt mit seinem Reichtum, kleidet sich auffällig, schreit „i den ubehageligste Jødedialect“ („im unangenehmsten Judendialekt“; J, 24) und meint, sich durch sein Geld das Recht zum Snobismus erkauft zu haben: „Skulde en rig Mand ikke maatte nyde sin Rigdom“ (J, 25)? 22 Als Branco aus Furcht vor antisemitischen Ressentiments zur Bescheidenheit im Auftreten mahnt, fällt das schon zitierte Bekenntnis zum Fortschrittsoptimismus. Interessant ist nun die Fortsetzung des Zitats: „Verden er for oplyst til at foragte en brav Mand, fordi han er Jøde. Jeg mener, den har aldrig været barbarisk nok til at nægte Fortjenesten sin Ret“ (J, 26 - Kursivierung J.S.). 23 Im Zusammenhang mit der Diskussion über Reichtum wird der Begriff „Verdienst“ („Fortjenesten“) semantisch eingeschränkt. Er verliert die Konnotation zu „Leistung“ und der dafür aufgebrachten Arbeit und meint nur noch (sich regelmäßig erneuernde) ökonomische Ressourcen. Es geht nicht um das, was man leistet, sondern um das, was man sich leisten kann. Geld ist hier einzig als Teil der ökonomischen Transaktion konzipiert, die zwar ein gesellschaftliches Phänomen ist, doch in seinem Vollzug völlig individuell: Der einzelne ist nicht verpflichtet seine Ware bei einem bestimmten Anbieter zu kaufen und er geht mit dem abgeschlossen Handel keine weiteren Verpflichtungen ein. Weil 22 „Sollte ein reicher Mann seinen Reichtum nicht genießen dürfen? “ 23 „Die Welt ist zu aufgeklärt, um einen braven Mann zu verachten, weil er Jude ist. Ich meine, dass sie nie derart barbarisch war, dass sie dem Verdienst sein Recht verweigert hätte.“ Joachim Schiedermair 60 seinem Wert nach Gleichwertiges ausgetauscht wird, besteht zwischen den Tauschenden über den Austausch hinaus keine Verbindung: Der Austausch von Geld gegen Gut initiiert den sozialen Kontakt, beendet ihn aber auch sofort wieder. Hierin liegt die Unpersönlichkeit des monetären Systems, in der auch das Potential zur Freiheit steckt, das Simmel so eindringlich analysiert hat. Die Abgeschlossenheit des monetären Tauschs ist der Grund, warum Moses meint, dass in der Konsumption des Reichtums keine anderen Rücksichten zu nehmen sind: „Skulde en rig Mand ikke maatte nyde sin Rigdom [...] fordi han ikke hører til Landets almindelige Religion? “ (J, 25). 24 Der/ die Lesende hat die Pointe dieser kurzen Gegenüberstellung von Moses und Branco verstanden: Für das ökonomische Modell der Zirkulation der Reichtümer steht Branco nicht. Wofür aber dann? Nachdem der Dandy weitergezogen ist, wird Branco von Leutnant Falk angesprochen, der sich gerade im Hazzard-Spiel verschuldet hat. Er bittet Branco, ihm das entsprechende Geld zu leihen, für das er seine Taschenuhr als Pfand geben will. Als dieser zunächst ablehnt, fällt der zitierte unschöne Satz, dass man Juden doch nur toleriert, weil man Geld von ihnen leihen kann. Daraufhin schießt Branco dem Leutnant das Geld vor und beteiligt sich selbst am Spiel. Sehr schnell hat der Jude die Bank gesprengt und den gesamten zirkulierenden Spieleinsatz an sich gebracht. Nun wird er von den Mitspielern als Verwalter der Spielbank eingesetzt. Spätestens an dieser Stelle wird deutlich, dass das Glücksspiel als Metapher für den ökonomischen Kreislauf fungiert. Es ist vom „Banquier“ (Bankier) die Rede, von „Gevindst“ (Gewinn) und ob man „paa Credit“ (auf Kredit) spielen könne (J, 30). Diese Metapher scheint alle antijüdischen Ressentiments zu bedienen: Gibt es eine widerlichere Personifikation für das Stereotyp vom geldgierigen Juden als den Bankier, der die Reichtümer der Einzelnen aufsaugt und sie dann mit diesem Kapital zu Schuldnern verknechtet? Doch dann tritt die Wende ein. Geübt in Kartentricks führt Branco das Spiel so, dass am Ende jeder den Betrag zurückgewinnt, den er an den Spieltisch mitbrachte. „Med Latter og Lystighed spredte Selskabet sig omkring i Salen“ (J, 31). 25 Um diesen Bruch mit der ökonomischen Metapher genauer zu analysieren, möchte ich eine etwas längere Passage zitieren. Auf die Schmähung Falks, Juden seien nur als Kreditgeber zu tolerieren, antwortet Branco folgendermaßen: Den Bemærkning, som De der gjorde, Hr. Lieutenant, er fuldkommen riktig. Den Omstændighed, at Jøderne have Penge, som kunne redde saavel Regjeringer som Private af Forlegenheder, er vistnok Grunden til, at de tolereres af de Christne; og dette Guld har i mindre liberale Tider mangen Gang reddet det jødiske Folk fra Vold og Grusomhed. Seer De! derfor er det jo naturligt, at vi maae sætte Priis paa det Metal, der har været os en saadan Talisman. Desuagtet gives der dog ogsaa for os nogle Ærens Love, der ere os endnu vigtigere end Penge[.] (J, 29 - Kursivierung J.S.) 24 „Sollte ein reicher Mann nicht seinen Reichtum genießen dürfen [...], weil er nicht der im Land üblichen Religion angehört? “ 25 „Mit Lachen und Heiterkeit verteilte sich die Gesellschaft im ganzen Saal.“ Der Kaufmann von Kopenhagen 61 Die Bemerkung, die Sie machten, Herr Leutnant, ist völlig richtig. Der Umstand, dass die Juden Geld haben, das sowohl Regierungen wie Privatleute aus Verlegenheiten retten könnte, ist sicher der Grund dafür, dass sie von den Christen toleriert werden; und dieses Gold hat in weniger liberalen Zeiten manches Mal das jüdische Volk vor Gewalt und Grausamkeit gerettet. Sehen Sie! deshalb ist es doch natürlich, dass wir so viel Wert auf das Metall legen, das uns ein solcher Talisman gewesen ist. Außerdem gibt es doch auch für uns einige Gesetze der Ehre, die uns noch wichtiger als Geld sind[.] (Kursivierung J.S.) Branco reflektiert hier die Tatsache, dass der Reichtum in der Geschichte des Judentums „die hauptsächliche Quelle einer relativen Sicherheit“ 26 war, was später der Historiker Léon Poliakov in seiner Geschichte des Antisemitismus 27 eindringlich herausarbeitete. Wichtiger ist aber die Formulierung, mit der das geschieht: „sætte Priis paa det Metal, der har været os en saadan Talisman“. 28 Die Funktion eines Instruments des Überlebens erfüllt das Geld freilich auch als Papierschein oder Wechsel; doch ist es hier in seiner gegenständlichsten Form als Münzgeld, als Metallscheibe, angesprochen. Wie sehr es vergegenständlicht wird, zeigt die Formulierung „sætte Priis paa“ („Wert auf etwas legen“), wie wenn die Münze nicht schon einen allgemeinen Wert hätte, sondern erst durch die affektive Bindung bekäme. Der Ausdruck „Talisman“ fasst diese Semantisierung denn auch zusammen und gibt das Stichwort, den angekündigten kulturanthropologischen Perspektivenwechsel zu vollziehen. Ein Talisman ist in archaischen Gesellschaften ein heiliger, der Zweckhaftigkeit des Alltagsgebrauchs entrückter Gegenstand, der das Zentrum einer Kultur definiert und somit dazu beiträgt, die Identität der Gemeinschaft zu stabilisieren. Nun könnte man einwenden, dass Brancos Metapher vom Geld als Talisman hinke. Denn als heiliges, identitätsstiftendes Objekt müsste es der Zirkulation entzogen sein (es definiert ja das Zentrum, weshalb sein Verlust eine Bedrohung der Identität darstellen würde), wohingegen das Geld ja gerade weggegeben werden muss, soll es das jüdische Überleben sichern. Nun hat Marcel Mauss in seinem bahnbrechenden Essay Die Gabe 29 zumindest für die tribalisch lebenden Gesellschaften des Pazifiks das genaue Gegenteil gezeigt. Gerade „Talismane, Embleme, heilige Matten und Götterbilder, manchmal sogar Traditionen, magische Kulte und Rituale“ (M, 31) werden getauscht, aber auch Geld, bewegliche und unbewegliche Habe, Frauen, Kinder, Tänze. Diese Beobachtung bringt ihn dazu, den Gabentausch vom ökonomischen Tausch abzusetzen - 26 Freddy Raphael: „Sechstes Bild: Der Wucherer“. In: Antisemitismus. Vorurteile und Mythen. Hg. von Julius H. Schoeps und Joachim Schlör. München, Zürich 1995, S. 116. 27 Z. B. Léon Poliakov: Geschichte des Antisemitismus. Bd. 1: Von der Antike bis zu den Kreuzzügen. Worms: 1977, S. 74; Ders.: Geschichte des Antisemitismus. Bd. 2: Das Zeitalter der Verteufelung und des Ghettos. Mit einem Anhang zur Anthropologie der Juden. Worms: 1978, S. 57. 28 „Wert auf das Metall legen, das uns ein solcher Talisman gewesen ist.“ 29 Zitiert wird folgende Ausgabe: Marcel Mauss: Die Gabe. Form und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften. Frankfurt a.M.: 1990. Die Seitenangaben werden im fortlaufenden Text direkt hinter dem Zitat mit der Sigle M platziert. Joachim Schiedermair 62 nicht als dessen Gegensatz (wie dies Derrida 30 in einer für ihn typischen Entstellung seines Argumentationsausgangspunktes tut), sondern als eine andere Ordnung der Güterzirkulation, die gerade nicht wie der ökonomische Tausch durch Unpersönlichkeit und Abgeschlossenheit definiert ist, sondern als unabgeschlossene intertribale, interfamiliare, interpersönliche Verpflichtung wirkt. Unabschließbar ist die Institution der Gabe durch ihre systematische Dreiteilung: Es besteht die Pflicht des Gebens, die Pflicht des Annehmens und schließlich die Pflicht der Erwiderung der Gabe, und zwar idealerweise als gesteigerte Iteration, wodurch die Zirkulation in die nächste Runde geht. Mauss interessiert vor allem der Verpflichtungscharakter. Er erwächst daraus, dass der Gebende mit der Gabe etwas von sich selbst gibt - deshalb eignen sich gerade heilige Objekt, Fetische, Amulette, Talismane als Gaben, in denen sich Identität objektiviert und anschaubar wird. 31 „Eben diese Vermischung von Personen und Dingen ist das Merkmal von Vertrag und Tausch“, schreibt Mauss an einer Stelle (M, 52). Doch da in dem gegebenen Gegenstand die Identität des gebenden Stammes/ der gebenden Familie/ des gebenden Individuums liegt, käme es „einer Kriegserklärung“ (M, 37) gleich, die Gabe abzulehnen. Auch das Unterbleiben einer Erwiderung bedeutet eine Ablehnung des ersten Gebers: Ein Geschenk muss mindestens in einen Dank, eine Einladung in eine Gegeneinladung münden; alles andere wäre eine nachträgliche Missachtung der ersten Gabe und der Person, die sich in der ersten Gabe investiert hat. In gewissem Sinn gehört die Gabe gleichzeitig dem Gebenden wie dem, dem gegeben wird, wodurch Identität selbst zu einem Mischungsverhältnis wird, nicht nur von Person und Dingen, sondern von Eigenem und Fremdem: Die Gabe garantiert gleichzeitig eine relative Sicherheit für den Bestand des Stammes (eine Identität hat der Gebende, als derjenige, der gibt, und als derjenige, der in der Annahme als Gebender anerkannt wird), doch diese Identität wird im Austausch laufend geformt und überformt (der Gebende gibt etwas von sich weg und erhält im Gegenzug etwas Neues). Die Gabenpraktiken pazifischer Gesellschaften würden hier nicht interessieren, wenn Mauss aus ihnen nicht eine allgemeine Sozial- und Kulturtheorie ableiten würde: Denn die mélange von Gegenstand und Gebendem darf nicht als magischer Akt verstanden werden; die Affizierung der Gabe mit dem Gebenden rührt „von den 30 Jacques Derrida: Falschgeld. Zeit geben I. München: 1993. - Derridas Verlesen wird anschaulich in dem hervorragenden, gleichzeitig einführenden wie anspruchsvollen Bändchen von Iris Därmann vorgeführt: Dies.: Theorien der Gabe zur Einführung. Hamburg: 2010, S. 101-133. 31 Deshalb greift die vermeintliche Weiterentwicklung von Mauss bei Godelier nicht, der sich auch Hartmut Böhme anschließt. Letztlich können Godelier und Böhme nicht die Radikalität der mélange bei Mauss denken. Für sie ist Identität nur als unveränderliches Substrat vorstellbar, was sich in der Hypostasierung in unveräußerlichen (heiligen) Objekten äußert. Mauss’ Neuerung besteht aber gerade darin, dass Identität von Anfang an als Austausch gedacht wird. Identität kennt bei Mauss keinen konstanten, unveräußerlichen Kern. - Maurice Godelier: Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte. München: 1999; Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Hamburg: 2006, S. 289-307. Der Kaufmann von Kopenhagen 63 vorgeschriebenen Transaktionen, verbindlichen Riten, kodifizierten Performativen“ 32 her, von den kulturellen Übereinkünften, die Interaktion und Interpassion überhaupt erst erlauben. 33 Das sich so etablierende Gesellschaftsgefüge, die ständige Pazifizierung von Individuen und Gruppen ist freilich instabil. Man engagiert sich im Gabentausch mit der Hoffnung, der jeweils andere gehorche ebenfalls der Verpflichtung, ohne eine Garantie dafür zu haben. Doch es bleibt kein Mittelweg: „entweder volles Vertrauen oder volles Misstrauen. Man legt seine Waffen nieder [...] und verschenkt alles, von gelegentlicher Gastfreundschaft bis zu Töchtern und Gütern“ (M, 180). Nennt Branco im letzten Zitat das Geld einen Talisman, dann öffnet er die Novelle für eine Lektüre unter den eben ausgeführten Prämissen: Als er Falk schließlich doch Geld leiht, weigert er sich, dies als ökonomische Transaktion zwischen Individuen zu verstehen, sondern sieht es als Maßnahme, die die gegenseitige Anerkennung sichern soll: Es geht um „Ærens Love“ („Gesetze der Ehre“). Außerdem handelt er nicht als isoliertes Individuum, sondern als Repräsentant eines Kollektivs. Es geht um - mir fehlt ein besseres Wort - die „intertribale“ Beziehung zwischen Juden und Dänen. Auch das Glücksspiel löst er von der ökonomischen Metapher und macht es zu einem Anschauungsobjekt des Gabeneffekts. Am Ende hat jeder so viel, wie er vorher hatte (wenn auch nicht die identischen Geldscheine), doch mit dem Unterschied, dass das Geld durch die Hände vieler gegangen ist; so wird die Zirkulation des Geldes zur Gabe, zu einem kommunikativen, Sozialität herstellenden Ereignis: „Med Latter og Lystighed spredte Selskabet sig omkring i Salen“ (J, 31). 34 Das allgemeine Gaben-Prinzip wird im direkten Anschluss an das Glücksspiel mit aller Deutlichkeit ausgeführt: Denn Falks Uhr, die die ganze Angelegenheit in Gang brachte, wird zum Ausgangspunkt einer viel weiterführenden Gabenzirkulation, die nun, da die Novelle die Logik der Gabe ja gerade in der Metapher des Glücksspiels ausgeführt hat, nicht mehr vom ökonomischen Tausch abgesetzt werden muss. Als Erinnerung an das Spiel erbittet sich Branco die Uhr von Falk. Als Gegengabe bietet er seine eigene, die die erste im Wert weit übersteigt. Er folgt also dem Grundsatz der Überbietung; doch als Falk sich weigert, „et saa urimeligt Bytte“ („einen so unangemessenen Tausch“) einzugehen, als er sich der Verpflichtung des Nehmens zu entziehen sucht, betont Branco noch einmal, dass der Tausch nicht der ökonomischen Äquivalenz-Logik gehorcht, sondern der Herstellung von Sozialität - „Tag det til Erindring om en gammel Mand, som vil Dem vel“ (J, 31) 35 -, und derzufolge das Ablehnen der Gabe einem Angriff auf den Gebenden gleichkäme: „Jeg haaber, [...] at De ikke vil krænke mig ved at afslaae mit Forslag“ (J, 31). 36 32 Därmann: Theorien der Gabe, S. 168. 33 Deshalb muss man auch nicht wie Derrida von der Unmöglichkeit der reinen Gabe phantasieren. 34 „Mit Lachen und Heiterkeit verteilte sich die Gesellschaft im ganzen Saal.“ 35 „Nehmt sie als Erinnerung an einen alten Mann, der Euch Gutes will.“ 36 „Ich hoffe, [...] dass Ihr mich nicht kränken wollt, indem Ihr meinen Vorschlag ablehnt.“ Joachim Schiedermair 64 Doch damit nicht genug. Denn die Gegengabe Brancos wird an späterer Stelle wiederum überboten und zwar mit der entscheidenden Zeitdifferenz. Als nach ca. neunzig Seiten, und das heißt für die erzählte Zeit: nach mehreren Jahren, Charlotte ihren Verlobten Falk bittet, sie wieder frei zu geben, fordert dieser seinen Rivalen Volmer zum Duell heraus. Als sie eine Uhrzeit vereinbaren wollen, zieht Falk seine/ Brancos Uhr hervor und stutzt: „Hm! den gamle Branco! For Pokker! ... Er det dog ikke, som om dette Uhr prækede Christendom for mig, skjøndt jeg fik det af en Jøde! ‚Til Erindring om en gammel Mand, som vil Dem vel‘“ (J, 123). 37 Das Duell findet nicht statt. Die pazifizierende Wirkung der Gabe durch die zeitliche Zerdehnung des Tauschs und die Verpflichtung zur Überbietung kann wohl nicht anschaulicher vorgeführt werden: Eine Uhr wird gegen eine wertvollere Uhr getauscht, die wiederum sehr viel später gegen eine Verlobte getauscht wird, wodurch im ersten Fall Beleidigungen und Hass zwischen (einem) Juden und (einem) Christen und im zweiten Fall Blutvergießen verhindert werden. Um noch einmal Mauss in anachronistischer Weise zu zitieren: „Man legt seine Waffen nieder [...] und verschenkt alles, von gelegentlicher Gastfreundschaft bis zu Töchtern und Gütern“ (M, 180) bzw. bis zu Verlobten und Uhren. Und auch der Grund der Verpflichtung in der Affizierung von Gegenstand und Person wird deutlich vorgeführt. Im Satz „Til Erindring om en gammel Mand, som vil Dem vel“ 38 wiederholt die Uhr Brancos Worte, der den Satz 90 Seiten vorher geäußert hat. Mit anderen Worten: Mensch und Ding gehen eine mélange ein, die die Bindekraft der Gabe überhaupt erst begründet. In der eben kommentierten Szenenfolge fügt Gyllembourg Stück für Stück die Eckpunkte einer Sozialtheorie der Gabe zusammen: vom Beginn einer Identität durch die Gabe, (Branco wird zu dem, der er ist, durch die Großzügigkeit des Wohltäters), über die Ablehnung einer unverpflichtenden Ökonomie in der Szene mit dem jüdischen Dandy, zur metaphorischen Wende im Glücksspiel vom Geld zur Gabe, bis hin zur explizit als Gabe gekennzeichneten Uhr, in der das Prinzip der Verpflichtung zur überbietenden Erwiderung offensichtlich wird. Hat man erst einmal diesen Konnex erkannt, kann man nicht mehr übersehen, dass das eigentliche Thema der Novelle, oder man sollte besser sagen: der gemeinsame Nenner aller Themen der Novelle die Gabe ist. Immer und überall wird geschenkt. Das erste Mal, als Branco überhaupt genannt wird (nach nur sechs Seiten), ist von Gaben die Rede, die dieser Volmer anlässlich seiner Dienstreise nach Spanien verehrt (J, 8), und in den letzten Worten der Novelle erfahren wir, dass der Text 37 „Hm! der alte Branco! Zum Henker! ... Ist es nicht, als ob diese Uhr mir Christentum predigte, obwohl ich sie von einem Juden bekommen haben! ‚Als Erinnerung an einen alten Mann, der Euch Gutes will‘.“ 38 „Als Erinnerung an einen alten Mann, der Euch Gutes will.“ Der Kaufmann von Kopenhagen 65 selbst eine Gabe des Ich-Erzählers an seine Nachkommen ist. 39 Ihre Epiphanie findet das Gabenthema der Novelle natürlich im Tausch der Kinder, deren mélange bis in das Jenseits ausgreift. In gewissem Sinn gibt Jeanette, die frühere Geliebte des Kommandanten Erlin, ihr totes Kind als Gabe an Rachel: In ihren Armen und in ihrem Grab ruht das Kind. Branco wiederum investiert seinen jüdischen Sohn in eine zweite Gabenzirkulation mit der dänischen Nation als Empfänger, was durch die Taufe aber vor allem durch die Namensgebung kodifiziert wird. „Volmer“ leitet sich von „de gamle danske Konger, de store Valdemarer“ („den alten dänischen Königen, den großen Valdemaren“; J, 55) ab und der Vorname „Frederik“ stammt vom damaligen Kronprinzen und heutigen Regenten des Landes. Als die Zusammenhänge der Geburt aufgeklärt werden, wird Jeanettes Gabe mit einer Gegengabe beantwortet, wenn auch nur imaginär. Branco stellt sich vor, wie seine Rachel im Jenseits „har bragt hende Barnet i sine milde Arme“ (J, 148). 40 Volmer wiederum übergibt sich Erlin: „Tro, at jeg er den Søn, De har søgt. Han og jeg have jo byttet med hinanden: Han er jo begravet i mit Navn, og nu vil jeg leve i hans“ (J, 148). 41 Damit wird der tote Sohn Erlins zur Christusfigur stilisiert, der in Stellvertretung für das jüdische Kind gestorben ist, das sich selbst wiederum als Gabe an den Vater zurückgibt. Dieser Akt wird seinerseits durch einen Frauentausch überboten: Frederik erhält Charlotte von Erlin als Gabe. Der Frauentausch erlaubt nun endlich den Schritt zum zweiten Strang der Novelle. Lévi-Strauss hat im Anschluss an Mauss den Frauentausch (als Konsequenz des Inzestverbots) als die Ur-Gabe herausgearbeitet und zwar mit dem Ziel, Allianzen innerhalb eines Stammes oder zwischen unterschiedlichen Stämmen zu etablieren und d.h. Allianzen zwischen den Männern dieser Stämme. So zitiert er etwa einen Arapesh-Informanten, der eine Hochzeit mit der eigenen Schwester als unsinnig von sich weist, weil er auf diese Weise zwei Schwäger weniger hätte: „Mit wem willst Du denn auf die Jagd oder in den Garten ziehen, und wen willst Du besuchen? “ 42 Vor dieser Folie möchte ich abschließend auf eine Szene aus dem zweiten Strang der Novelle hinweisen. Der zweite Strang handelt zu einem großen Teil von den Leiden, denen die kokette Nicoline ihre Verehrer Volmer und Carlsen aussetzt. Gerade das Kokettieren macht die Praktiken der Gabe anschaulich, weil es sie ins Leere laufen lässt. Nicoline findet ein Geschenk, eine kleine chinesische Schachtel mit unbedeutenden Kleinigkeiten, über die sie sich aufrichtig freut. Doch unter den 39 Alle anderen Momente können hier nicht behandelt werden. Nur eine Anmerkung: Das gesamte Inzest-Motiv könnte ebenfalls von der Gabe her angegangen werden, wie es Lévi- Strauss in seiner großen Studie Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft (1949) gezeigt hat. 40 „[I]hr das Kind in ihre milden Arme gelegt hat“. 41 „Glaubt, dass ich der Sohn bin, den Ihr gesucht habt. Er und ich haben ja miteinander getauscht: Er ist doch in meinem Namen begraben und nun will ich in seinem leben.“ 42 Lévi-Strauss zitiert hier eine seiner Quellen, M. Meads Aufsatz „Sex and Temperament in Three Primitive Societies“ aus dem Jahr 1935. Aus: Claude Lévi-Strauss: Die elementaren Strukturen der Verwandtschaft. Frankfurt a.M.: 1993, S. 647. Joachim Schiedermair 66 Dingen findet sich auch ein Zettel: „Fra En, som intet høiere Ønske kjender, end at kunne opfylde, endogsaa kun et mindste af Deres Ønske“ (J, 78). 43 Damit ist das anonyme Geschenk als Performativ der Brautwerbung erkennbar, deren Regeln eine Erwiderung fordert. Sehr viel mehr: Der Satz kündigt einen unendlichen Gabenstrom an (alle Wünsche sollen erfüllt werden), und die Leser (also Nicoline wie auch wir) wissen, dass eine ebenso umfassende Gabe als Erwiderung erwartet wird. Entsprechend ungehalten reagiert Nicoline als Volmer den Gebenden „bescheiden“ nennt: „[K]alder De Den en beskeden Tilbeder, der siger mig i et heelt Selskabs Nærværelse, at hans høieste Ønske dreier sig om mine ubetydelige Anliggender? Er det beskedent at paalægge en Anden en saa stor Gjæld, som man ikke veed, om denne Anden kan eller vil betale“ (J, 79)? 44 Nicoline hat die Dimension der Machtausübung im Gabentausch erkannt, die gerade darin besteht, dass in ihr das Vertrauen zum Ausdruck kommt, die Gabe werde den anderen zwingen, so zu handeln, wie man will. 45 Marcel Hénaff - einer der Autoren, der Mauss in den letzten Jahren neu ins Gespräch gebracht hat - formuliert es so: „Die Herausforderung der Gabe provoziert und beschwört zugleich. Sie provoziert gerade dadurch, daß sie unerbitterlich bleibt. Sie beschwört das Vertrauen und beruhigt insofern, als sie alles gibt: sich selbst in dem dargebotenen Pfand, in der gegebenen Sache.“ 46 Das Ungeheuerliche an Nicolines Verhalten ist nicht, dass sie das Geschenk ablehnt - dafür hätte es der Gabe angemessene ebenfalls ritualisierte Formen und Formeln gegeben („Ich bin des Geschenkes nicht würdig ...“) -, sondern dass sie den Gabenmechanismus explizit offenlegt und damit markiert, dass die Freiwilligkeit des Handelns illusionär ist: Im letzten Zitat sagt sie mehr oder weniger direkt, dass sie selbst die erwartete Gegengabe ist, die die erste Gabe überbieten soll, mit der Aussicht, einen nicht enden wollenden Gabenstrom anzustoßen, den sie wiederum als Überbietung ihrer eigenen Gabe auffassen soll. Noch an einer zweiten Stelle sperrt sie sich dem Gabenmechanismus. Die Überbietung der Gabe durch eine Frau verlief im Fall von Charlotte erfolgreich. Doch diesem Tausch geht eine Szene voraus, die ganz analog gebaut ist (und die Analogie wird vom Erzähler ausgesprochen). Diesmal geht es um die Konkurrenz zwischen Carlsen und Volmer um Nicoline. Auch hier fordert der eine (Carlsen) den anderen (Volmer) zum Duell. Doch Carlsen gibt die erhoffte Braut frei, weil er überzeugt ist, dass Nicoline Volmer liebt. Auch in diesem Fall entfaltet der Gabenmechanismus seine pazifizierende Wirkung, das Duell wird abgesagt, wenn es sich in diesem Fall auch nur um eine sublimierte Gabe handelt: Carlsen hat ja keine Rechte an Nicoline, 43 „Von einem, der keinen höheren Wunsch kennt, als auch den kleinsten Ihrer Wünsche erfüllen zu können.“ 44 „Nennen Sie denjenigen einen bescheidenen Verehrer, der mir in der Anwesenheit einer ganzen Gesellschaft sagt, dass sein höchster Wunsch sich um meine unbedeutenden Angelegenheiten dreht? Ist es bescheiden, einem anderen eine so große Schuld aufzuladen, von der man nicht weiß, ob dieser Andere sie bezahlen kann oder will? “ 45 Därmann spricht von der „obsessiven Macht über den Empfänger“, durch die dieser zur Erwiderung der Gabe gezwungen wird. Därmann: Theorien der Gabe, S. 109. 46 Hénaff: Der Preis der Wahrheit, S. 210. Der Kaufmann von Kopenhagen 67 weshalb eher das Vertrauen in den Freund die Gabe darstellt. Doch als Nicoline von dem Tausch erfährt, reagiert sie heftig: „Men Lieutenant Carlsen! anseer De mig for en Eiendom, som De har Rett til at forære til denne Deres Ven“ (J, 88)? 47 Erst ihr Kommentar macht die Versöhnungsszene rückblickend als Frauentausch lesbar, genauer: dass der Frauentausch in den Praktiken des 19. Jahrhunderts als allianzbildende Praxis zwischen Männern fungiert. Nicolines Widerstand gegen den Gabenkomplex muss folglich als Emanzipationshandeln verstanden werden. * * * Judenemanzipation und Frauenemanzipation sind somit in der Novelle miteinander verschränkt und zwar auf eine Weise, in der sich auch der ökonomische und der Gabendiskurs kreuzen. Ist für die Figur des Juden die Belebung der Gabenlogik gleichzeitig eine Möglichkeit aus dem Shylock-Stereotyp auszubrechen und Bündnisse des Vertrauens zu knüpfen und d.h. einen Schritt in Richtung Emanzipation zu gehen, ist für die Frau gerade der Gabenkomplex ein Phänomen des Patriarchalen und damit in emanzipatorischer Hinsicht kontraproduktiv. Anders als der Jude hat die Frau nicht ein monetäres Gabenarsenal, das immer neu strategisch zur Allianzbildung eingesetzt werden kann. Handlungsmacht erwächst ihr nur aus ihrem (jungfräulichen) Körper. Ist dieser investiert, hat sie in der täglichen Allianzbildung mit ihrem Gatten „ingen Vaaben [...], uden dem, han selv vil tilstaae hende“ (J, 87), 48 wie es Nicoline unverblümt ausspricht. Der erotische Diskurs steht ihr deshalb dauerhaft nur im Kokettieren offen. Vielleicht strapaziert man den Text, aber man sollte den Gedanken wagen, dass Nicoline den koketten Umgang mit ihren Verehrern nach dem Modell des ökonomischen Tauschs versteht: als einen Austausch von Äquivalenten ohne nähere Affizierung der Güter durch die beteiligten Personen. So lässt sich zumindest der Kommentar verstehen, mit dem sie eingeführt wird: „[O]verdrevne Smigrerier“ („übertriebene Schmeicheleien“) der jungen Herren werden mit „Huldsalighed“ („Holdseligkeit“) von Nicoline beglichen (J, 59). Man könnte demnach im Kokettieren die Hinwendung zu einem ökonomischen Modell auch des Austauschs von erotischen Zeichen sehen, das die Freiheit des Individuums erlaubt, von der Simmel spricht. 47 „Aber Leutnant Carlsen! sehen Sie mich als ein Eigentum an, das Sie einfach ihrem Freund verehren können? “ 48 „[K]eine Waffen [...], außer der, die er selbst ihr zugesteht“. Joachim Schiedermair 68 Albertsen, Leif Ludwig: Engelen Mi. En Bog om den danske jødefejde. Aarhus: 1984. Bischoff, Doerte: „Handelnde Juden. Verhandlungen des Jüdischen: zur Performativität eines Stereotyps“. In: Dialog der Disziplinen: Jüdische Studien und Literaturwissenschaft. Hg. von Eva Lezzi und Dorothea M. Salzer. Berlin: 2009, S. 215-250. Blüdnikow, Bent: „Jødeuroen i København 1830“. In: Jyske Samlinger/ Historie, Ny række XIV (1981-1983), S. 633-650. Böhme, Hartmut: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. 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Umordnung nicht durch die Zuversicht aufgefangen werden, dass die als bedrohlich wahrgenommenen Veränderungen abwendbar sind und die Dinge, zumindest ihrer Tendenz nach, bleiben, wie sie waren, spitzt die Krise sich zu und das, was bislang Geltung und Bedeutung hatte, bricht weg. Auf gesellschaftlicher Ebene kam es im Verlauf des 19. Jahrhunderts zu einer Vielzahl solcher Krisen, in deren Verlauf bis dahin geltende Norm- und Wertvorstellungen ebenso fraglich wurden wie bestimmte Wissensbestände, Traditionen oder Institutionen. Ein Autor, der ziemlich genau in der Mitte des 19. Jahrhunderts eine ganze Reihe dieser Krisen zum Thema eines seiner literarischen Texte gemacht hat, ist Hans Christian Andersen. In seinem 1857 publizierten Roman At være eller ikke være (Sein oder Nichtsein) 1 schildert er über die Lebensläufe verschiedener Figuren die einschneidenden Veränderungen, die sich zwischen ca. 1830 und 1860 in Dänemark vollzogen haben. Sein Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Bereichen Religion, Wissenschaft und Industrialisierung. Politische Veränderungen werden über die Thematisierung der kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Dänemark und Deutschland in den Jahren 1848 bis 1850 in den Text hineingenommen, aber auf der Ebene der Figurenrede nicht eingehend reflektiert. Ähnlich verhält es sich mit dem Bereich Ökonomie. Auch er ist nicht im engeren Sinne Thema, zieht sich aber in Form verschiedener Erzählungen über Verlust und Wiedergewinn bestimmter Wertgegenstände ebenfalls durch den Text. Da in diesen Erzählungen die Frage nach der Geltung bestimmter religiöser oder weltanschaulicher Wertvorstellungen mit der Frage nach dem Wert, den bestimmte Dinge für einzelne Personen haben, literarisch geschickt ineinander verwoben wird, und dabei Ver- und Misstrauen ebenso zentral behandelt werden, wie die Frage, wie Glück und Wohl- 1 Im Folgenden wird zitiert aus: Hans Christian Andersen: „At være eller ikke være“. In: Ders.: Romaner og rejseskildringer. Hg. von Helge Topsøe-Jensen. Bd. 5. Kopenhagen: 1944. Die Zitatbelege erfolgen nach dieser Ausgabe unter der Sigle AV und Seitenangabe im laufenden Text. Übersetzungen ins Deutsche sind von der Verfasserin, S.W., angefertigt. Sophie Wennerscheid 70 stand zwischen Menschen verteilt ist und wer was wann und warum bekommt oder verliert, kann die Frage nach der Zirkulation von Werten und Wertschätzungen, und damit eben die Frage nach den ‚Wechselkursen des Vertrauens‘ als die Kernfrage des Romans betrachtet werden. 2 Andersens Roman ist aber nicht nur deswegen ein hoch interessanter literarischer Text, weil er spannende und für das 19. Jahrhundert entscheidende Fragen behandelt, sondern auch aufgrund seiner ambivalenten literarischen Form. Einerseits orientiert Andersen sich bei der Gestaltung seines Textes an der Form des Bildungsromans und erzählt in einem traditionellen Dreischritt, wie die Hauptfigur Niels Bryde zunächst glücklich in ihrem Kinderglauben lebt, diesen dann aufgrund wissenschaftlich motivierter Umorientierung verliert und schließlich in der Versöhnung von Wissenschaft und Glaube mit Gewinn zurückerhält, was ihm zuvor verlorenging. Andersen hat diesen Prozess in einem Brief an eine Freundin wie folgt skizziert: Som Barn opdrages den Lille i hvad man kalder orthodox Christendom, han er den blindeste Troende, siden kommer han ud paa Livets Sø, Videnskaben river ham hen til Pantheismen - ja Materialismen, - men i Prøvelsens Timer rystes Sinde og nu er det min Opgave at føre ham gjennem Viden til Tro. 3 Als Kind wird der Kleine in dem erzogen, was man orthodoxes Christentum nennt, er glaubt blind, dann kommt er hinaus auf das Meer des Lebens, die Wissenschaft reißt ihn zu Pantheismus - ja, zu Materialismus hin, - aber in der Stunde der Prüfung wird seine Lebensanschauung erschüttert und jetzt ist es meine Aufgabe ihn wieder zum Glauben zurück zu führen. Andererseits aber wird diese dialektisch auf ein Ziel hinführende Struktur durch eine Reihe von zum Teil sehr langen reflektierend-essayistischen Einschüben sowie durch eine Vielzahl von Parallelgeschichten unterbrochen, die zwar alle mit der Haupthandlung verbunden sind, den Handlungsverlauf aber trotzdem immer wieder umlenken und aufschieben. Andersens Zeitgenossen haben den Roman aus diesem Grund als „forvirret og sammenstykket af brogede Klude“ 4 kritisiert. Für einen heutigen Leser macht jedoch gerade diese Art der Zusammengesetztheit den wesentlichen literarischen Reiz des Textes aus. Treffend bezeichnet in diesem Sinne 2 Eine kurze einführende Reflexion zum Thema Ökonomie und Literatur bietet Hans Hertel: „Pengene i litteraturen: forfatternes og bøgernes økonomi, økonomien i bøgerne - fra Balzac til Waterstone, Amazon og BG Bank“. In: Bogens verden 88 (2006: 1), S. 32-41. Eine ergiebige Erörterung zur Verschränkung verschiedener Wertdiskurse leistet Kirsten Wechsel: „Lack of Money and Good Taste: Questions of Value in Heiberg’s Vaudevilles“. In: Johan Ludvig Heiberg. Philosopher, Littérateur, Dramaturge, and Political Thinker. Hg. von Jon Stewart. Kopenhagen: 2008, S. 395-417. 3 Brief vom 21. August 1856 an Jonna Stampe. Hier zitiert nach Helge Topsøe-Jensen: „Inledning“. In: H.C. Andersen: At være eller ikke være, S. XII. 4 „[V]erworren und aus buntgemischten Teilen zusammengesetzt“. Aus einer Kritik, die im Juli 1857 in der Zeitschrift Fædrelandet veröffentlicht wurde. Hier zitiert nach Mogens Brøndsted: „Efterskrift“. In: H.C. Andersen: At være eller ikke være. Hg. von Erik Dal. Kopenhagen: 2001, S. 233-248. Haben oder Nichthaben 71 Heinrich Detering angesichts einer 2003 erschienenen Neuübersetzung ins Deutsche Andersens Text als ein „kleines Monstrum - tollkühn balancierend zwischen Dilettantismus und anarchischer Spielfreude, zwischen Komik und Pathos, Naivität und Scharfsinn und manchmal einer ganz einfachen, frommen Weisheit.“ 5 Dass dieser Balanceakt nicht immer gelingt und der Text an manchen Stellen sein narratives Gleichgewicht verliert, hat meiner Ansicht nach damit zu tun, dass Andersen an der Idee einer göttlich gesicherten, also guten und gerechten Ordnung festzuhalten und das Romangeschehen entsprechend dieser Idee zu gestalten versucht, sich dieser Versuch aber nicht ohne Brüche durchführen lässt. Die stärkste Bruchstelle, so möchte ich zeigen, tut sich da auf, wo die Idee der gerechten Ordnung auf die Frage der Verteilung von Reichtum und Armut, von Haben und Nichthaben stößt. Da diese Verteilung als nicht gerecht im Sinne von nicht gleich verteilt erscheint, stellt sich die kritische Frage, wie sich das Vertrauen in die Validität göttlicher Ordnung aufrecht erhalten lässt, bzw. wie sich die ungleiche Verteilung der Güter mit der Vorstellung einer von Gott gegebenen Ordnung in Übereinstimmung bringen lässt. Ist die Ungleichheit gottgewollt? Ausdruck einer Gott entzogenen Zufälligkeit? Oder ist sie das Ergebnis menschlichen Fehlverhaltens? So perspektiviert lässt sich an dem Roman die Theodizeefrage als eine diskutieren, die im Zuge sich verstärkender Säkularisierungstendenzen zu einer zunehmend gesellschaftspolitischen Frage wird. Über die Figur der Esther wird diese Problematik an einer Stelle im Roman direkt angesprochen, jedoch sofort wieder als Problem negiert. Esther gibt hier nämlich zu, dass die Ordnung im Hier und Jetzt eine ungerechte ist, beharrt aber darauf, dass es eine ausgleichende Gerechtigkeit nach dem Tod gebe. Die sich auftuenden gesellschaftlichen Probleme bleiben aber, einmal angesprochen, trotzdem sichtbar. Esthers religiös motivierte Harmonisierungsbestrebungen können die auffälligen Risse und Verwerfungen im erzählten sozialen Gefüge nicht tilgen und das Vertrauen darauf, dass es sich bei der Ordnung, in der die Figuren der Textdiegese agieren, um eine gerechte Ordnung handelt, wird fragwürdig. Erschüttert, oder zumindest in Frage gestellt, ist damit aber auch die in der Mitte des 19. Jahrhunderts hegemoniale Stellung einer idealistischen Literatur in Dänemark. 6 Idealistisch ist diese Literatur zu nennen, da in ihr davon ausgegangen wird, dass a) die Welt nach Gesetzen einer göttlich gegebenen Vernunft eingerichtet ist und dass es b) die Aufgabe der Literatur ist, die gute Ordnung der Welt, bzw. die hinter dieser Ordnung stehende Idee vom Wahren, Schönen, Guten entsprechend darzustellen. 5 Heinrich Detering: „High Life im zweiten Stock. Frech: Andersens Sein oder nicht Sein“. In: FAZ 256 (04.11.2003). 6 Zur Diskussion um die Epochenbezeichnung ‚Nordischer Idealismus‘ vgl. Stephan Michael Schröder: Literarischer Spuk. Skandinavische Phantastik im Zeitalter des Nordischen Idealismus. Berlin: 1994, S. 23-43. Sophie Wennerscheid 72 Adam Oehlenschläger pointiert in diesem Sinne: „Kunsten er Evighedens Organ, og det er Kunstnerens Pligt middelbart ved sin Virkning at bringe Menneskeheden til at nærme sig Sandhedens og Skiønhedens Rige.“ 7 Dass eine solche idealistische Sicht der Dinge in At være eller ikke være in Frage gestellt, bzw. in der Terminologie des Modernen Durchbruchs formuliert: regelrecht zur Debatte gestellt wird, wird an der oben skizzierten Entwicklung der Haupfigur Niels Bryde deutlich. Denn gerade Brydes Auseinandersetzungen mit den verschiedenen idealismuskritischen und naturwissenschaftlichen Materialismustheorien, die ab den späten 1830er Jahren in Deutschland und in Dänemark diskutiert werden und in Form einzelner Diskursfäden in den Roman eingehen, sind es ja, die seine religiös-idealistische Weltsicht erschüttern und ihn - zumindest temporär - zu der Überzeugung kommen lassen, dass es jenseits der empirisch erkennbaren Welt keine andere Welt mehr gibt und insofern auch das Vertrauen in die göttliche Ordnung unangebracht ist. Andersen, der sich intensiv mit der Materialismusdebatte seiner Zeit auseinandergesetzt hat, formuliert die Problematik in einem Brief vom Dezember 1855 wie folgt: Hvad Ideen til min nye Roman angaaer, da maa jeg sætte Dem lidt ind i de Tidens aandelige Bevægelser, jeg vil have fat paa. De veed, at især i Tyskland, udbreder sig, ved dygtige Lærde, Materialismen, i det man videnskabeligt klarer alt Enkelt! Verden bestaaer af Materie og Kræfter, og alt som disse blandes bliver der en Steen, en Plante, et Dyr eller et Menneske. Hele det kunstige Maskineri forklares paa det Fuldkomneste: men det bliver dog kun Maskineri, og det Hele synes mig da at være en Fortvivlelsens Tilværelse. Mennesket bliver saaledes kun et Led i en heel Skabnings-Art; Udødelighed - Gud selv - forsvinder; det er grueligt! 8 Was die Idee zu meinem neuen Roman betrifft, muss ich Sie ein wenig mit den geistigen Bewegungen der Zeit vertraut machen, mit denen ich mich beschäftigen will. Ihnen ist bekannt, dass sich vor allem in Deutschland, ausgehend von tüchtigen Gelehrten, der Materialismus ausbreitet, demzufolge sich Alles wissenschaftlich erklären lässt! Die Welt besteht aus Materie und aus Kräften, und je nachdem, wie diese gemischt sind, entsteht ein Stein, eine Pflanze, ein Tier oder ein Mensch. Die gesamte merkwürdige Maschinerie wird bis zum Letzten erklärt: aber es bleibt eben doch nur Maschinerie, und das Ganze erscheint mir wie ein Dasein der Verzweiflung. Der Mensch wird zu einem bloßen Glied in der ganzen Schöpfung; Unsterblichkeit - Gott selbst - verschwindet; das ist gräulich! 7 „Die Kunst ist das Organ der Ewigkeit, und es ist die Pflicht des Künstlers, durch seine Wirkung mittelbar dazu beizutragen, dass die Menschheit sich dem Reich der Wahrheit und der Schönheit wieder nähert.“ Adam Oehlenschläger: „Svar paa Hr. Capt. Abrahamsons recension over mine nordiske Digte. En æsthetisk Afhandling (1808)“. In: Oehlenschlägers Digterværker og prosaiske Skrifter, Bd. 25. Kopenhagen: 1854, S. 123. 8 Brief vom 27. Dezember 1855 an Henriette Wulff. Hier zitiert nach Topsøe-Jensen: Inledning, S. X-XI. - Eine ausführliche Untersuchung, inwiefern Andersen sich mit dem Materialismusstreit auseinandergesetzt hat, wird geleistet in: Sophie Wennerscheid: Exzesse des Vitalen. Zur Ambivalenz der Kraft im literarischen Denken der skandinavischen Moderne. Berlin: 2012 (i.V.). Haben oder Nichthaben 73 Für die Frage nach dem Verhältnis von Ökonomie und Vertrauen ist von Bedeutung, dass sich der an Niels Bryde vollziehende Perspektivenwechsel nicht auf den Bereich von Wissenschaft und Glaube beschränkt, sondern seine neu gewonnene materialistische Sicht der Dinge auch eine durchaus gesellschaftliche, bzw. ökonomische Dimension besitzt. Denn so, wie nach dem materialistic turn die Natur nicht mehr länger als göttlich gegebene Natur verstanden werden kann, kann auch die bestehende Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung nicht länger als Ausdruck göttlicher Vernunft betrachtet werden. Stattdessen erweist sie sich mehr und mehr als das Produkt konkreter Wirtschafts- und Machtverhältnisse, die als solche das materielle Leben eines jeden Einzelnen bestimmen. 9 Die unsichtbare Hand Gottes scheint durch die unsichtbare Hand des Marktes ersetzt zu werden. Dass es keineswegs weit hergeholt ist, Andersens At være eller ikke være auf seine politischen und ökonomischen Implikationen hin zu lesen, lässt sich in einem ersten Schritt mit Verweis auf die konkreten historischen Umstände der Entstehungszeit des Romans begründen. Denn das, was im Roman dargestellt wird, bzw. das, was die Figuren in der fiktionalen Textwelt als Folge bestimmter gesellschaftlicher Veränderungen zu spüren bekommen, ereignet sich auch in der empirisch fassbaren Welt des dänischen 19. Jahrhunderts: der Wechsel von einer feudalistisch organisierten hin zu einer liberalistisch-frühkapitalistischen Wirtschaftsordnung. Ein Wechsel, der sich zwar bereits seit dem Ende des 18. Jahrhunderts angekündigt hatte, aber erst Mitte des 19. Jahrhunderts zu seinem tatsächlichen Durchbruch kam. 10 Gerade mit Blick auf das Jahr 1857 kann man eine ganze Reihe von Ereignissen anführen, die in diesem Sinne bedeutsam wurden. So z.B. die Aufhebung des Øresundzolls, die Stiftung von Privatbanken und der Beschluss, mit dem so genannten næringslov die Monopolstellung der Gilden und Zünfte aufzubrechen und jedem zu gestatten, einen handwerklichen Betrieb o.ä. zu errichten. Roar Skovmand erklärt in seiner Geschichte Dänemarks diesbezüglich: „[M]ed næringsloven havde den økonomiske liberalism sejret i Danmark.“ 11 Dass diese Änderungen nicht ohne Auswirkungen auf die Literatur geblieben sind, ja, dass gerade das Jahr 1857 in diesem Kontext als ein literaturhistorischer Wendepunkt betrachtet werden kann, haben in ihrer interessanten, aber im Kontext des ökonomischen Diskurses noch kaum beachteten Studie zur Bedeutung der Aladdin-Figur in der dänischen Literatur Jens Kr. Andersen und Leif Emerek herauszuarbeiten versucht. 12 Ausgangspunkt ihrer Untersuchung ist den beiden Auto- 9 Zum Verhältnis zwischen naturwissenschaftlichem und gesellschaftstheoretischem Materialismus vgl. Kurt Bayertz u.a. (Hg.): Weltanschauung, Philosophie und Naturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Bd. 1: Der Materialismusstreit. Hamburg: 2007. 10 Vgl. Arne Hald (Hg.): Danmark mellem feudalisme og kapitalisme. Aarhus: 1974; sowie Svend Aage Hansen: Økonomisk vækst i Danmark. Bd. 1: 1720-1914. Kopenhagen: 1972. 11 „Mit dem Wirtschaftsgesetz hatte der ökonomische Liberalismus in Dänemark gesiegt.“ Roar Skovmand: Danmarks historie XI. Kopenhagen: 1964, S. 346; zitiert nach Jens Kr. Andersen und Leif Emerek: Aladdin-Noureddin Traditionen i det 19. Århundrede. Kopenhagen: 1972, S. 199. 12 Vgl. Andersen und Emerek: Aladdin-Noureddin Traditionen. Sophie Wennerscheid 74 ren die Frage nach der literarischen Darstellung der Größen ‚Glück‘ und ‚Leistung‘. Anhand zahlreicher Textbeispiele stellen sie dar, dass bis 1857 zentralen Figuren wichtiger dänischer Erzähltexte Glück als ein Geschenk zu Teil wird, das sie im engen Wortsinne nicht verdient haben; d.h. sie haben keine besonderen Leistungen erbracht, die ihr Glück legitimieren würden. Sie sind einfach ausgewählte Glückskinder - so wie der Prototyp Aladdin, dem die Apfelsinen ebenso unerwartet in den Turban fallen, wie er unverhofft in den Besitz des Geistes der Lampe kommt. In Texten nach 1857 wird Andersen und Emerek zufolge Glück hingegen verstärkt den Figuren zu Teil, die bestimmte Leistungen erbracht haben, die sich ihr Glück also erarbeitet haben. Statt dem Glückskind Aladdin wird nun die Figur des sich sein Glück selbst schaffenden Noureddin in den Fokus des Interesses gerückt. Andersen und Emerek führen diese markante Veränderung innerhalb der Literatur auf die zunehmende Umordnung der Gesellschaft nach kapitalistischen Grundsätzen zurück und erklären: Før 1857 er Aladdin-aktanten den eneste [...], der kan opnå lykken. [...] Aladdin-aktantens status som på forhånd udvalgt til lykken svarer i samfundsstrukturen til de (adelige) godsejeres selvskrevne adkomst til rigdom og magt ved en fordeling af goderne, der var metafysisk begrundet, idet den enevældige konge, der havde sin magt fra Gud, opretholdt de fås privilegier. [...] Efter 1857 åbnes den mulighed for Noureddin-aktanten, at han kan [...] opnå lykken. Da han pr. definition er arbejdende, kan han kun opnå den ved økonomisk legitimation. Noureddin-aktantens mulighed for at arbejde sig frem til lykken svarer i samfundsstrukturen til den økonomiske og politiske liberalisme, hvis grundprincip er, at individet selv skaber sine værdier og sin lykke. 13 Vor 1857 ist der Aladdin-Aktant der einzige [...], dem das Glück zu Teil wird. [...] Der Status des Aladdin-Aktanten, als im Vorhinein zum Glück bestimmt, entspricht auf der Ebene der Gesellschaftsstruktur das selbstzugeschriebene Anrecht der (adligen) Gutsbesitzer auf Reichtum und Macht durch eine Güterverteilung, die insofern metaphysisch begründet war, als der absolutistisch herrschende König, der seine Macht von Gott hatte, die Privilegien der Wenigen aufrecht erhielt. [...] Nach 1857 eröffnet sich für den Noureddin-Aktanten die Möglichkeit, dass auch er [...] das Glück erreichen kann. Da er aber per definitionem jemand ist, der arbeitet, kann er es nur als ökonomisch legitimiertes bekommen. Die Möglichkeit des Noureddin-Aktanten sich zum Glück vorzuarbeiten, entspricht auf der Ebene der Gesellschaftsstruktur dem ökonomischen und politischen Liberalismus, dessen Grundprinzip es ist, dass sich das Individuum seine Werte und sein Glück selbst schafft. Fragt man ausgehend von dieser Beobachtung, wie es sich in Bezug auf Andersens Niels Bryde-Figur mit dem Verhältnis von Glück und Arbeit verhält, fällt schnell auf, dass Bryde - wie der gesamte Roman - in einer Position des Dazwischen verharrt. Einerseits fällt Bryde nach dem frühen Tod des Vaters und der Aufnahme als Waise in ein ‚gutes‘ Haus das Glück zu wie Aladdin, andererseits arbeitet er sich aber auch aktiv aus diesen Verhältnissen heraus und sucht, indem er als Student nach Kopenhagen geht und sich dort von den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen 13 Andersen und Emerek: Aladdin-Noereddin Traditionen, S. 200. Haben oder Nichthaben 75 begeistern lässt, seinen eigenen Weg zum Glück. Da sich dieser Weg aber letztlich als nicht zielführend erweist, und Bryde erst dann glücklich wird, als er diesen Weg verlässt und wieder darauf vertraut, dass es eine göttliche und gute Ordnung gibt, scheint sich letztlich doch das Aladdin-Paradigma durchzusetzen. Bezogen auf die meisten anderen Figuren des Romans zeigt sich jedoch, dass sowohl das Aladdin- Prinzip, als auch das Noureddin-Prinzip nicht mehr greift. Denn weder kann sich der Einzelne darauf verlassen, dass er das bekommt, was er ‚verdient‘, noch fällt ihm das Glück einfach zu. Andersens Text nimmt somit in literatur- und geistesgeschichtlicher Perspektive in mehrfacher Hinsicht eine ungemein spannende Position ein. Zwar vollzieht sich in At være eller ikke være kein wirklicher Bruch mit dem idealistischen Paradigma, das Vertrauen in die göttliche Ordnung erweist sich aber gleichwohl als äußerst instabil. Andersens Text kann insofern mit Recht als „en forløber for naturalismen og det moderne gennembruds litteratur“ 14 bezeichnet werden. Was Andersens Text aber gegenüber einem allzu didaktisch ausgerichteten Debattentext auszeichnet, ist seine humoristische Leichtigkeit, die dem Leser und der Leserin einen großen Interpretationsspielraum eröffnet. Spürbar wird dieser humoristische Einschlag gleich zu Anfang des Romans, in dem der Erzähler sich als Erzähler präsentiert, auf dessen Unzuverlässigkeit man sich als Leser verlassen kann. Um eine Erklärung für den plötzlichen Tod von Niels’ Vater zu finden - ihm schlägt eine herabfallende Fensterscheibe ein Loch in den Kopf -, setzt sich der Erzähler die deutlich als solche gekennzeichnete Maske eines Materialisten auf und erklärt: En aandfuld Professor sagde paa en af sine Forelæsninger, idet han klarligt vilde give et Begreb om det menneskelige Legemes kunstmæssige Sammensætning: ,Hjernen er Sædet for Sjælen, det vil sige, den er Principalen; Rygmarven er kund et store Hovedcontoir, hvorfra de af ham givne Ordrer udføres; derfra løbe Nervernes electromagnetiske Traade. Principalen befaler: jeg vil der og der hen! og nu sættes Maskineriet i Bevægelse […].‘ (AV, 15) Ein geistreicher Professor sagte in einer seiner Vorlesungen, in denen er die kunstvolle Zusammensetzung des menschlichen Körpers auf den Begriff bringen wollte: ,Das Gehirn ist der Sitz der Seele, d.h. es ist der Prinzipal; das Rückenmark ist bloß das große Zentralbüro, in dem die von ihm gegebenen Anweisungen ausgeführt werden; von 14 „[E]in Vorläufer für die Literatur des Naturalismus und des modernen Durchbruchs“. Niels Kofoed: „Den religiøse fritænker. Nogle erkendelsesmæssige antinomier i romanen At være eller ikke være (1857)“. In: Andersen & Gud. Teologiske læsninger i H.C. Andersens forfatterskab. Hg. von Carsten Bach-Nielsen und Doris Ottesen. Kopenhagen: 2004, S. 81. Auf Seite 83 pointiert Kofoed: „Momentvis er den [der Roman - S.W.] en glødende kampskrift til fordel for udviklingen, momentvis et gribende defensorat for det bestående.“ (Stellenweise ist er [der Roman - S.W.] eine glühende Streitschrift für den Fortschrift, stellenweise einer ergreifende Verteidigung des Bestehenden.) Sophie Wennerscheid 76 dort gehen die elektromagnetischen Leitungen ab. Der Prinzipal befiehlt: ich will dort und dort hin! und jetzt setzt sich die Maschinerie in Bewegung […].‘ Die entscheidende Frage jedoch, nämlich die, was das Gehirn zu dieser oder jener Anweisung veranlasst, die Frage also, wie Entscheidungen getroffen werden, bleibt im Dunkeln. Ist es Schicksal, „en endnu høiere Ordre“ („eine noch höhere Order“; AV, 16) oder reine Willkür? Der Erzähler gibt keine Antwort, sondern zoomt stattdessen wieder auf die Figur des Vaters und führt weiter aus: „Poul valgte til Venstre og derved - foranledigede en Begivenhed af den største Betydning for ham, hans Søn og for os Alle, som læse disse Blade“ (AV, 16). 15 Von weitreichender Bedeutung ist seine Entscheidung insofern, als links die besagte Fensterscheibe auf ihren ‚Einsatz‘ wartet und kairosartig just in dem Augenblick herabstürzt, als der Vater sich auf der entsprechenden Position befindet. Der Erzähler berichtet scheinbar unberührt weiter: „han styrtede til Jorden, ikke død, men med et Hul, stort nok til at Sjælen kunde flyve ud“ (AV, 16). 16 Die Welt, in der die Figuren des Romans sich bewegen, wird hier als eine präsentiert, in der man besser nicht darauf vertrauen sollte, dass ein liebender Gott einen sicher durchs Leben geleitet. Im Gegenteil scheint jeder Einzelne der Brutalität des Zufalls ohnmächtig ausgesetzt. Die Art, wie der Erzähler die Ereignisse erzählt, macht jedoch deutlich, dass diese materialistisch-nüchterne Sicht der Dinge nicht seine eigene ist, sondern er sie für eine rationalistische Verkürzung des Geheimnisses des Lebens und Sterbens hält. Gleichsam gegen seinen Willen hat er mit dem, was er erzählt aber doch den Gedanken denkbar gemacht, dass der Mensch eine Maschine ist. 17 Trotz des gesäten Zweifels beharrt der Erzähler aber darauf, dass es so etwas wie eine ausgleichende Gerechtigkeit oder eine Wiedergutmachung erfahrenen Unglücks gibt. So erscheint es mehr als göttliche Vorsehung denn als profaner Zufall, dass just zu dem Zeitpunkt, zu dem Niels Waise wird, sich der Pfarrer Japetus Mollerup in Kopenhagen bei Niels’ Patenonkel Herr Svane aufhält und den plötzlich elternlosen Niels mit sich nach Jütland nimmt. Hatte er doch wenige Stunden zuvor von seiner Frau den Auftrag erhalten, ihr ein armes Waisenkind mit nach Hause zu bringen, um das sie sich kümmern könne. 18 Der Verlust des Vaters wird so wenige Stunden nach seinem Tod durch das Geschenk einer neuen Familie ausgeglichen. Die neuen Lebensumstände erlebt Niels als gut und harmonisch; von Trauer oder gar Verzweiflung über den Tod des Vaters weiß der Erzähler kaum Nennenswertes zu berichten. Gleichwohl ist Niels’ Welt keine durchweg heile. Ein tiefer Riss 15 „Poul entschied nach links zu gehen und damit - führte er ein Geschehen herbei, das für ihn, seinen Sohn und für uns alle, die diese Zeilen lesen, von größter Bedeutung war.“ 16 „Er stürzte zu Boden, nicht tot, aber mit einem Loch, groß genug, dass die Seele hinausfliegen konnte.“ 17 Zum Topos ‚Mensch als Maschine‘ vgl. Julien Offray de la Mettrie: Der Mensch eine Maschine. Stuttgart: 2001. 18 Zur privaten Wohlfahrt im frühen 19. Jahrhundert vgl. Karin Lützen: Byen tæmmes. Kernefamilie, sociale reformer og velgørenhed i 1800-tallets København. Kopenhagen: 1998, S. 171-173. Haben oder Nichthaben 77 in der Ordnung gegenseitigen Vertrauens tut sich auf, als Niels eines Tages verdächtigt wird, seiner Pflegemutter Geld und Schmuck entwendet zu haben. Dass das ihm entgegengebrachte Misstrauen sich an dem Verlust eines materiell wertvollen Gegenstands entzündet, indiziert die zentrale im Roman verhandelte Werte-Problematik. Eingeleitet und mit Bedeutung aufgeladen wird die Szene, indem der Erzähler herausstellt, dass es sich bei den fraglichen Wertgegenständen um Gegenstände handelt, die gerade aufgrund ihrer Werthaltigkeit die Gefahr implizieren, verloren zu gehen bzw. ungewollt zu zirkulieren. Im Roman wird diese Gefahr in besonders eindringlicher Weise von der Figur des mittellosen Flickschneiders wahrgenommen. Als er mit Niels das Zimmer betritt, in dem Geld und Schmuck liegen, reagiert er, ohne dass der Leser zu diesem Zeitpunkt weiß weshalb, nahezu panisch. Im Text heißt es: „[S]om han havde seet en Slange gik der et Choc gjennem ham, han greb Niels ved Armen og udbrød: ,Nu har vi seet det! ‘ og ,her maa vi nok ikke være! Kom! ‘“ (AV, 37)! 19 Wenig später wird klargestellt, dass es der Anblick einer Geldbörse sowie eines silbernen Schmuckstücks war, der den Schneider so geängstigt hat. Zu Recht, wie es scheint, denn kurz darauf zeigt sich, dass das Schmuckstück abhanden gekommen ist. Auf den Schneider fällt jedoch kein Verdacht, weil von ihm bekannt ist, dass er von außerordentlicher Rechtschaffenheit ist. Eine Rechtschaffenheit, die so übersteigert ist, dass er immer von der latenten Angst geplagt ist, für einen Dieb gehalten zu werden. Ja, diese Angst ist so groß, dass er von Menschen, die ihn nicht gut kennen, verdächtigt wird, unter „en medfødt Trang til at tage“ („unter einem angeborenen Drang zu stehlen“; AV, 38) zu leiden. Die Hochachtung des besitzlosen Schneiders vor fremdem Eigentum, und damit die Anerkennung, dass er selber ,nichts‘ hat und auch ,nichts‘ ist, verweist auf ihr Gegenteil und macht sichtbar, wie ,krank‘ eine Gesellschaft ist, die den Wert eines Menschen an den Werten misst, die er besitzt bzw. nicht besitzt. Setzt sie doch den Besitzlosen dem Verdacht aus, sich mehr aneignen zu wollen, als ihm ,rechtmäßig‘ zusteht. Was einem Menschen aber rechtmäßig zusteht, das bestimmen die, die über Besitz verfügen, nicht die Besitzlosen. Illustriert wird die verquere Lage des Schneiders mit Verweis auf einen Londoner Buchhändler, der eines Nachts träumt, in seinen Buchhaltungen einen Fehler begangen zu haben und sich daraufhin das Leben nimmt. Die Forderung Geld fehlerfrei zu verwalten, ganz genau Buch über es zu führen und auf keinen Fall in die eigene Tasche zu wirtschaften, schlägt hier ins Pathologische um. Statt dass der Mensch Kontrolle über das Geld hat, hat das Geld Kontrolle über ihn. Interessant ist nun, dass im Hause des Pastors zwar nicht der Schneider verdächtigt wird, Geld und Schmuck genommen zu haben, wohl aber Niels. Und zwar nicht, weil er sich zuvor bereits irgendetwas hätte zu Schulden kommen lassen, sondern schlicht, weil es einen Schuldigen geben muss. Der Schuldige aber kann nur der sein, der von außen, also aus der ,schlechten Welt‘ gekommen ist und dem erst dann 19 „[A]ls ob er eine Schlange gesehen hätte, ging es wie ein Schock durch ihn hindurch, er packte Niels am Arm und stieß hervor: ,Jetzt haben wir es gesehen! ‘ und ,hier dürfen wir nicht sein! Komm! ‘“ Sophie Wennerscheid 78 Vertrauen geschenkt werden kann, wenn er sich schuldig bekannt hat. Die Frau des Pastors weiß um diesen Zusammenhang von Schuldbekenntnis und Subjektwerdung 20 und will gerne das Ihre dazu tun, um Niels zu einem ,guten‘ Menschen zu machen. Im Text heißt es: „[O]g idet hun huskede paa Fordærvelsen i København, alt det Onde der, blev den hende til Vished; hun havde dog sikkert faaet, hvad hun eengang ønskede sig: i Huset en slem Dreng, et Barn med onde Vaner“ (AV, 38- 39). 21 Entsprechend energisch stellt sie Niels zur Rede und fordert ihn auf, seine Untat zu gestehen. Doch dieser kann das an ihn herangetragene Misstrauen nicht ertragen, reißt sich los und rennt wie von Sinnen auf die Heide hinaus. Mit dieser Vertrauenskrise beginnt die bisherige Stabilität des Pfarrhauses zu wanken. Die Dinge geraten ins Ungleichgewicht und das Gefüge des gesamten christlich strukturierten, d.h. auf Vertrauen gegründeten Sozialsystems droht zusammenzubrechen. Dass etwas Neues und bisher Unbekanntes in das Leben Niels Brydes einbricht, macht der Erzähler auch dadurch sichtbar, dass er Niels nun erstmals auf die Person treffen lässt, die im Verlauf der Romanhandlung immer wieder Bedeutung für ihn bekommen wird, und die überdies mit der Frage nach der Geltung bestehender Werteordnungen eng verbunden ist: die so genannte taterske - eine Zigeunerin, die mit ihrem schwer behinderten Sohn auf dem Rücken über die jütländische Heide zieht, um einen ihr verloren gegangenen Wertgegenstand wiederzufinden. Doch das weiß zum Zeitpunkt ihres ersten Auftritts weder Niels noch der Leser. Der Erzähler geht darauf auch zunächst einmal nicht weiter ein. Vielmehr ist ihm daran gelegen, die ins Ungleichgewicht geratene Ordnung wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Und das tut er mit explizitem Verweis auf die unsichtbare Hand Gottes, die alles wieder zum Guten führt. Zumindest der Erzähler ist sich dessen ganz gewiss und erklärt in einer Mischung aus erlebter Rede und allwissendem Erzählerkommentar: „Aldrig vilde han [d.i. Niels - S.W.] vende tilbage til Præstegaarden, det var hans Beslutning, men det var ikke Vorherres“ (AV, 40). 22 Doch obwohl es Gott, so gibt der Erzähler es dem impliziten Leser zu verstehen, über die liebevolle Zuwendung der frommen Pflegeschwester Bodil tatsächlich gelingt, Niels wieder in die Gemeinschaft des Pfarrhauses zu integrieren, heilt der Riss des Misstrauens doch nicht vollständig aus. Zwar lebt Niels nach dem Vorfall glücklich und geliebt im Pfarrhof, doch als sich einige Zeit später herausstellt, dass eine kleine Katze das Schmuckstück in ein Loch im Boden hat verschwinden lassen, schleudert Niels das Tier in blinder Wut gegen einen Kachelofen, woraufhin es schwer verletzt getötet werden muss. 20 Vgl. hierzu Judith Butlers luzide, auf Louis Althusser zurückgehende, Beobachtungen in ihrer Arbeit zur Psyche der Macht: Judith Butler: Das Subjekt der Unterwerfung. Frankfurt a.M.: 2001. 21 „[U]nd als sie an das Verderben in Kopenhagen dachte, an all das Böse dort, wurde es ihr zur Gewissheit, dass sie genau das bekommen hatte, was sie sich einst gewünscht hatte: einen schlimmen Jungen ins Haus, ein Kind mit schlechten Gewohnheiten.“ 22 „Nie würde er in den Pfarrhof zurückkehren; das war sein Beschluss, aber nicht der unseres Herrn.“ Haben oder Nichthaben 79 Nur wenig besser ergeht es letztlich dem Schneider. Der Verlust des Schmuckstücks zehrt an seinen Nerven und als kurz darauf in einem anderen Gutshof ein entwendeter Ring bei ihm gefunden wird, verliert er völlig den Verstand. Die unsichtbare Hand Gottes hat sich seiner offensichtlich nicht erbarmt. Unschuldig gerät er in die Fänge einer Gerichtsbarkeit, die als eine Maschine beschrieben wird, die nicht dem Gesetz des Herzens folgt, sondern nur „sin engang sammensatte Fornuftindretning“ („ihrer einmal zusammengesetzten Vernunftvorrichtung“; AV, 44). Während der Erzähler hier dem Leser wieder einmal einen recht deutlichen Hinweis darauf gibt, wie verderblich es für den Einzelnen ist, wenn er dem mechanisch arbeitenden Gesetz der Vernunft unterworfen wird, berichtet er gleichzeitig davon, wie Niels Bryde sich genau einer solchen schädlichen Anschauung annähert. Als Auslöser für die Krise, in die Niels’ Kinderglaube an die göttliche Ordnung der Welt jetzt gerät, führt der Erzähler dabei die Begegnung mit der Figur des Studenten Solon-Diogenes an, der Niels en passant mitteilt, dass er nicht an Gott glaube. Auf Niels Bryde wirkt diese Mitteilung wie eine Botschaft aus einer anderen Welt. Eine Botschaft, die abstoßend und anziehend zugleich ist, also Gefahr und Verlockung gleichermaßen impliziert. Der Erzähler erklärt: „[L]igesom Klapperslangen ved sit Blik har en lokkende magisk Magt over Fuglen, den kaarer til sit Offer, saaledes fik dette Menneske en uforklarlig Tiltrækning for Niels“ (AV, 70). 23 Doch als sich Niels dann auf die von Solon-Diogenes verkörperte Weltanschauung einlässt und David Strauss’ Das Leben Jesu 24 zu lesen beginnt, fühlt er sich nicht, wie befürchtet, in der Macht des Teufels, sondern erlebt im Gegenteil einen aufklärerischen Moment. Im Text heißt es: „[H]an blev klogere, hans Tanke, syntes han, løftede sig høiere“ (AV, 71). 25 Und noch weiter dehnt Niels Bryde seine bisherigen Grenzen aus, als er kurz darauf mit seinem Bekannten, dem jüdischen Studenten Julius Arons eine Reise durch Deutschland unternimmt und dort sinnliches Vergnügen und unbeschwerte Lebenslust kennenlernt. Wieder zurück in Kopenhagen studiert Niels zwar zunächst einmal weiter Theologie, doch die Dinge haben sich bereits radikal verändert: „[I] hele hans Tankesæt var et Omsving skeet, den nye Tids frie Tænkning og Udtalelse brød idelig ned flere og flere af de Forestillinger og Meninger, han var opvoxet i hjemme paa Heden“ (AV, 78). 26 Zu einer Krise, die über ihn selbst hinaus weist, also gesellschaftliche Kreise zieht, wird Niels’ Veränderung aber erst, als die neuen Einsichten mit den alten Vorstel- 23 „[S]o wie die Klapperschlange mit Hilfe ihres Blicks eine verlockende magische Macht über den Vogel hat, den sie sich zum Opfer erwählt, so übte auch dieser Mensch auf Niels eine unerklärbare Anziehungskraft aus.“ 24 Zum Religionsdiskurs in den 1830er und 1840er Jahren in Dänemark, und hier speziell zur Frage nach der Unsterblichkeit der Seele, vgl. Lasse Horne Kjældgaard: Sjælen efter døden. Guldalderens moderne gennembrud. Kopenhagen: 2007. 25 „[E]r wurde klüger, seine Gedanken, so schien es ihm, erhoben sich in die Höhe“. 26 „[I]n seiner ganzen Art zu denken war es zu einem Umschwung gekommen, das freie Denken und Reden der neuen Zeit zerbrach unaufhörlich die Vorstellungen und Ansichten, mit denen er auf der Heide aufgewachsen war“. Sophie Wennerscheid 80 lungen kollidieren. Das geschieht, als Niels nach zweijähriger Abwesenheit nach Jütland zurückkehrt, um seine Familie zu besuchen. Niels, der nun „Videnskabens Apostel“ („der Apostel der Wissenschaft“; AV, 82) geworden ist, erzählt seinen Angehörigen begeistert davon, was sich in der Welt alles verändert hat. „Dampskibe, Jernbaner, Elektromagnetisme“ („Dampfschiffen, Eisenbahnen, Elekromagnetismus“; AV, 82) haben dem Menschen neue Möglichkeiten der Lebensgestaltung, ja der Welterkenntnis überhaupt erschlossen. Nicht mehr länger an Tod und Auferstehung glaubt Niels deshalb nun, sondern an einen naturwissenschaftlich zu erklärenden „evigt Kredsløb“ („ewigen Kreislauf“; AV, 89) der Stoffe und Kräfte. Niels erklärt Bodil: Chemien beviser os, at de samme Materier findes i alle skabte Ting, og at de i deres Sammensætning yttrer den eller den Kraft, og blive saaledes enten en Steen, en Plante eller et Dyr, der, naar det har naaet sin Bestemmelse her, igjen opløses og giver Stofferne tilbage! (AV, 89) Die Chemie beweist uns, dass es in allen geschaffenen Dingen die gleichen Materien gibt und dass sie je nach Zusammensetzung in der oder der Kraft zum Ausdruck kommen und so zu einem Stein, einer Pflanze oder einem Tier werden, das, wenn es seine Bestimmung hier erreicht hat, sich wieder auflöst und die Stoffe zurückgibt! Niels’ nüchterne Ausführungen darüber, was seiner Ansicht nach Leben und Tod sind, eben nichts weiter als wissenschaftlich erklärbare bio-chemische Kreislaufprozesse, wird von dem Erzähler jedoch auch hier wieder kontrapunktiert. Zum einen dadurch, dass Bodil und ihre Eltern Niels Einsichten brüsk abweisen, zum anderen aber auch dadurch, dass just in dem Augenblick, als Niels Bodils Beharren auf der Existenz der unsterblichen Seele als Aberglauben bezeichnet, sich etwas ereignet, das, so der Erzähler augenzwinkernd, selbst als Widerlegung von Niels’ Rationalismus betrachtet werden könnte. Denn wie bereits in der ersten ,Krisen- Szene‘ betritt nun noch einmal die taterske mit ihrem „Idiotbarn“ („Idiotenkind“; AV, 90) die Bühne des Geschehens und initiiert damit eine Zirkulation der Werte bzw. der Wertgegenstände, die sich, anders als der von Niels beschriebene Kreislauf der Kräfte, rational eben nicht fassen und verstehen lässt. In Gang gesetzt wird diese Zirkulation dadurch, dass die taterske und ihr Sohn mit in das Pfarrhaus kommen, wo sie tags darauf der so genannten „Musikant-Grethe“ („Musikanten-Grethe“; AV, 91) begegnet, die mit ihrem Harmonika-Spiel das behinderte Kind zum Lachen bringt und damit die taterske unbeschreiblich glücklich macht: „,Han leer min Grumsling! ‘ sagde Taterkonen, ,der er en rar Klang in den tjeiko‘ [Gjenstand, ting]“ (AV, 92). 27 Sie stiehlt das Instrument, missbraucht also 27 „,Er lacht, mein Grumsling! ‘ sagte die Zigeunerin, ,da ist ein schöner Klang in dem Tjeiko‘ [Gegenstand, Ding]“. Haben oder Nichthaben 81 das ihr entgegengebrachte Vertrauen, und versteckt es zwischen den verkrüppelten Beinen ihres Sohnes, wo es niemand suchen wird. Die heilende Wirkung der Harmonika kann sich jedoch nicht entfalten, da es eben kein Ding ist, dem als solchem Kraft innewohnt - kein Fetisch also -, sondern ein Instrument, dessen wundersame Kraft sich nur dann entfaltet, wenn man es zu spielen versteht. Doch auch wenn sie den Zauber der Musik nicht zu entfalten versteht, bedeutet es für die taterske einen großen Verlust, als Niels das Instrument einen Tag später entdeckt und es an sich nimmt, um es der todtraurigen Musikanten-Grethe wiederzugeben. Und nicht nur das. Niels nimmt, weil die taterske der Musikanten-Grethe das ,Einzige und Beste‘ genommen hat, zur Strafe nun auch der taterske das Einzige, was sie hat: ihren Sohn. „,Min Grumsling! ‘ skreg Qvinden, strakte Hænderne ud og hylede om at faae sit Barn tilbage“ (AV, 95). 28 Zwar muss sie einige Stunden warten, bis sie ihr Kind zurück bekommt, doch als Bodil es ihr schließlich wiedergibt, scheint zunächst einmal wieder alles dorthin zurückgeführt, wo es hingehört: das Musikinstrument zur Musikerin und das Kind zu seiner Mutter. Doch etwas fehlt noch, das Entscheidende: der magische Stein, den die taterske sucht, weil sie glaubt, dass nur dessen Kraft „kunde hæve Troldmagten der knugede hendes usselige Barn“ („den Zauber heben könnte, der ihr erbärmliches Kind niederdrückte“; AV, 98). Was es mit diesem Stein auf sich hat, erläutert der Erzähler in einem recht ausführlichen Kommentar. Es ist ein Stein, auf dem das Bild des von den Zigeunern als Erlöser verehrten Alako eingraviert ist und dem als solchem wirkende Kräfte zugesprochen werden. Ein Fetisch also. 29 Interessant an dieser Verlustgeschichte ist dabei, dass hier, ganz ähnlich wie in der Geschichte um den Schneider, der Verlust eines Wertgegenstandes mit einer grundlegenden Infragestellung bestehender Ordnungsmuster verbunden wird. Und zwar hier wie dort einer Ordnung, die beansprucht gerecht zu sein, es aber nicht ist. Zumindest dann nicht, wenn die, über die Recht gesprochen werden soll, arm, mittellos und schutzlos sind. Wie der Schneider stehen auch die Eltern der Zigeunerin jenseits wohlgeordneter Verhältnisse. Sie sind Fremde und damit per se verdächtig. Und so kommt es, dass sie, während sie unterwegs sind, um den verloren gegangenen Stein zu suchen, von den Bewohnern Dybdals verdächtigt werden, die Heide in Brand gesetzt zu haben. Der Vater der Zigeunerin, die zu der Zeit erst wenige Stunden alt ist, muss den Volkszorn mit dem Leben bezahlen, die Mutter und ihr Neugeborenes mit einem Jahr Zuchthaus in Viborg. Zwischen der nach vermeintlich vernünftigen Gesetzen ablaufenden institutionalisierten Gerechtigkeit, wie sie den Schneider trifft, und der irrationalen Selbstjustiz der Jütländer wird hier interessanterweise nicht unterschieden. Das eine Konzept von ausgleichender Gerechtigkeit scheint nicht besser zu funktionieren als 28 „,Mein Grumsling! ‘ schrie die Frau, streckte die Hände aus und heulte auf, um ihr Kind zurück zu bekommen“. 29 Zur Geschichte der verschiedenen Funktionen des Fetisch vgl. Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Hamburg: 2006. Sophie Wennerscheid 82 das andere. Ist es ein Mensch, der außerhalb der Gemeinschaft steht und der nicht über Macht, Geld und Wissen verfügt, sich Beistand zu organisieren, dann trifft ihn das Misstrauen der anderen mit verheerender Konsequenz. Um das geschehene Unrecht ansatzweise wieder ausgleichen zu können, wäre es nötig, dass die taterske zumindest den verlorenen Stein wiederfindet. Doch das ist zunächst einmal noch nicht möglich, da der Stein bereits von jemand anderem gefunden wurde. Der Erzähler informiert: [I] Dybdal var Findestedet, og der var den fundet for mange Aar tilbage - endnu iforgaars, da hun tog den stakkels Musikant-Grethes Harmonika, stod hun den nær, som kunde have givet hende, hvad hun søgte […]. Lille Karen […] var jo fra Dybdal […], hun havde som Lille fundet der den mørke Steen med den underlige Indgravning […]. (AV, 102) [In] Dybdal war der Fundort, und dort war er vor vielen Jahren gefunden worden - erst gestern, als sie die Harmonika der armen Musikanten-Grethe genommen hatte, war sie in der Näher derjenigen gewesen, die ihr hätte geben können, was sie suchte […] Die kleine Karen […] kam ja aus Dybdal […], als kleines Mädchen hatte sie dort den dunklen Stein mit der wundersamen Gravur gefunden […]. Lille Karen hat aber nicht nur den Alako-Stein gefunden und an sich genommen; sie war es auch, die, wenngleich nicht in böser Absicht, damals den Ring an sich genommen hatte, der dann bei dem Schneider gefunden wurde. Zweimal ist sie damit Auslöser für den Verlust von Dingen, der als solcher andere ins Unglück stürzt. Der gravierende Unterschied besteht jedoch darin, dass es sich bei dem einen Wertgegenstand, dem Ring, um etwas handelt, dem ein Geldwert entspricht, er also im Rahmen eines bestehenden ökonomischen Systems allgemein als wertvoll zu betrachten ist, während wir es in Bezug auf den anderen Wertgegenstand, den Stein, mit einem Gegenstand zu tun haben, der nur für die taterske von Wert ist. Der narrativen Logik der Romanhandlung entsprechend ist es insofern kein Zufall, dass die Zirkulation des Rings letztlich Unglück impliziert, die Zirkulation des Steins hingegen positiv besetzt ist. Denn das, woran das Herz des Einzelnen hängt wird dieser Logik zufolge als wertvoller und wichtiger erachtet, als das, was primär von materiellem Wert ist. Während deshalb der materiellen Werthaltigkeit eine destruktive Kraft zugeschrieben wird, wird dem ideell-subjektiven Wert eine fast magisch-heilende Wirkung zugesprochen. Und zwar auch dann, wenn - wie bei der taterske zu sehen - diese Wirkung als Effekt eines Aberglaubens verstanden werden könnte. Zum Ausdruck kommt dieser Effekt, als die taterske endlich den so lange gesuchten Stein findet, bzw. in sich erlebt, was sie der Wirkung des Steins zuschreibt. Als ihr Sohn im Sterben liegt, ist sie, da sie den Stein noch immer nicht hat, zunächst verzweifelt. Sie jammert: „,[H]avde jeg den, kunde jeg lægge den ved mit Barns Hjerte, det vilde da ikke denne Gang døe‘“ (AV, 235). 30 Doch als er dann tot ist, erkennt sie plötzlich, dass der Kreislauf des Lebens nicht mit dem Tod zu Ende ist. 30 „,[H]ätte ich ihn, könnte ich ihn auf das Herz meines Kindes legen, dann würde es nicht sterben‘“. Haben oder Nichthaben 83 Sie erinnert sich nämlich daran, wie ihre Mutter einmal „havde taget et Maiskorn ud af en Mumies knyttede Haand, hvor det havde ligget i fire tusinde Aar“ (AV, 236). 31 Dieses Korn hatte die Mutter dann in die Erde gelegt und beschienen von der Sonne „skjød da Spire, satte Blad og Stilk, bar hundrefold“ (AV, 236). 32 Aberglaube? Christliche Auferstehungssymbolik? Oder naturwissenschaftliche Überzeugung? Für Letzteres spricht, dass sich in den Vorlesungen, die der zu seiner Zeit bekannte dänische Physiologe Daniel Fredrik Eschricht, dessen Arbeiten Andersen kannte, in den 1850er Jahren gehalten hatte, ein ganz ähnlicher Gedanke wie der der taterske findet. Bei Eschricht heißt es nämlich, dass der plötzliche Abbruch von Luft, Wärme oder Nahrung zu einem Zustand des Scheintods führen könne. Er erklärt: Denne Tilstand kaldes i Kunstsproget ,latent Liv‘, men mere betegnende er det vulgære Udtryck ,Skindød‘, thi skjøndt alle Livsyttringer ere standsede, […] saa er dens Død dog kun et Skin […]. Exempler paa langvarig Skindød afgive Plantefrø, der i Aarhundreder opbevares med Spireevne […]. 33 Diesen Zustand nennt man in der Fachsprache ,latentes Leben‘, aber bezeichnender ist der gewöhnliche Ausdruck ,Scheintod‘, denn obwohl keine Lebensäußerungen mehr stattfinden, […] so ist der Tod doch nur scheinbar […]. Beispiele eines langandauernden Scheintods liefern Pflanzensamen, deren Keimvermögen über Jahrhunderte hinweg erhalten blieb […]. Das Vertrauen der taterske in die wirkende Macht Alakos wird narrativ sofort legitimiert, indem der taterske nun plötzlich offenbar wird, was sie so lange gesucht hat. In dem Moment, wo sie sich glaubend aufrichtet, fällt ihr Blick auf das Objekt des Begehrens: [D]a zittrede hendes Læber, Øinene bleve større - hun greb, som en Falk, hen om den sorte Steen med Alakos Billed, tog den, stirrede, trykkede den mod sin Mund. ,Alako! ‘ skreg hun høit; ,mit Barn døer ikke! døer ikke! evigt være! ‘ - og hun sank sammen ved Sindets altfor stærke Bevægelse. (AV, 236) [D]a zitterten ihre Lippen, die Augen wurden groß - sie griff, wie ein Falke, nach dem schwarzen Stein mit Alakos Bild, nahm ihn, starrte, drückte ihn an ihren Mund. ,Alako! ‘ schrie sie laut; ,mein Kind stirbt nicht! Stirbt nicht! - ewig sein! ‘ - und überwältigt durch die starke Gemütserregung sank sie nieder. Das Vertrauen, über das die taterske verfügt, und das hier interessanterweise uneingeschränkt gleichgestellt wird mit einem christlichen Auferstehungsglauben, wie er im Roman von der Jüdin (! ) Esther repräsentiert wird, bleibt im Roman jedoch nicht unwidersprochen. Konnte bereits das ,Schicksal‘ des Schneiders als eine Art Einspruch gegen die hier zum Ausdruck kommende starke Harmonisierungs- und 31 „[E]in Maiskorn aus der geschlossenen Faust einer Mumie genommen hatte, wo es viertausend Jahre lang gelegen hatte“. 32 „[K]eimte es, bekam Blätter und Stiel, trug mannigfache Frucht“. 33 Daniel Fredrik Eschricht: Tolv Foredrag over udvalgte Æmner af Læren om Livet. Kopenhagen: 1850, S. 23. Sophie Wennerscheid 84 Wiedergutmachungstendenz des Erzählers herausgestellt werden, wird dieser Einspruch über die Figur des Herrn Svane noch einmal nachhaltiger formuliert. Herr Svane, dem als Patenonkelt von Niels innerhalb der Romanhandlung die wichtige Funktion des Vertrauten zukommt, wird von dem Erzähler als ein kauziger, aber liebenswerter Junggeselle vorgestellt, dem das Leben nicht gut mitgespielt hat. Er lebt in offensichtlich recht ärmlichen Verhältnissen allein in einer kleinen Wohnung und zeichnet sich in seiner Lebenseinstellung durch eine zynisch akzentuierte Abgeklärtheit aus, die jedoch in ausgeprägt melancholische Anfälle umschlagen kann. Zugrunde liegt beiden Haltungen ein Skeptizismus, bzw. ein Misstrauen gegenüber dem ,schönen Schein‘ der Dinge. Zum Ausdruck kommt dieses Misstrauen in einer Reihe gesammelter Lebensweisheiten, die u.a. wie folgt lauten: Tro paa Ingen, ikke engang dig selv! - Har En gjort dig Uret, vogt dig for ham, han vil for sin egen Samvittigheds Skyld opsøge en virkelig Feil hos dig, og ved at blotte den, søge sin Undskyldning! - […] Qvinder og Baand skal Du ikke kjøbe ved Lys; Du kan da ikke stole paa at have seet Farven! (AV, 210) Glaub niemandem, nicht einmal dir selbst! - Hat dir einmal jemand Unrecht getan, nimm dich vor ihm in Acht, er wird, um sein Gewissen zu erleichtern, einen wirklichen Fehler bei dir suchen und, indem er ihn aufzeigt, sich selbst freisprechen! - […] Frauen und schöne Bänder sollst du nicht bei Licht kaufen, du kannst nicht darauf vertrauen, dass du die richtigen Farben gesehen hast! Mit dieser Anschauung steht die Figur Svane stellvertretend für einen Skeptizismus, den Peter Sloterdijk als neubürgerlich bestimmt hat. In seiner Sphären-Trilogie beschreibt er das späte 19. Jahrhundert als „das Zeitalter der strategischen Rationalitätskämpfe und der Entlarvungskritik“. Statt seinem Gegenüber zu vertrauen, regiere die „Skepsis, die überall mit Ausbeutung, Übervorteilung und Betrug, auch unter nahen Partnern, rechnet.“ 34 Ganz so weit ist es in Andersens Romanwelt noch nicht gekommen; Ansätze dazu aber sind, wie Herr Svanes Vorbehalte anzeigen, durchaus erkennbar. Sie resultieren aus der Erfahrung bzw. der Erkenntnis, dass dem, was geschieht weder ein göttlicher Plan zugrunde liegt, dem man sich vertrauensvoll anschließen könnte, noch dass dem Einzelnen das zuteil wird, was er sich durch Leistung, Arbeit oder sonstigen leidenschaftlichen Einsatz ,verdient‘ hat. Zwischen dem, was der Einzelne tut, und dem, was ihm widerfährt, scheint es keinen kausalen Zusammenhang zu geben. Und eben deshalb ist es angebracht, nicht darauf zu vertrauen, dass ,alles gut‘ wird, sondern im Gegenteil immer mit dem Schlimmsten zu rechnen. Auffällig ist jedoch auch hier wieder, wie sehr der Erzähler darum bemüht ist, seine Geschichte so zu erzählen, dass möglichst alles, was einer guten göttlichen Ordnung zu widersprechen scheint, letztlich wieder in diese Ordnung reintegriert wird. Und sind die Dinge nicht willig, dann braucht es Gewalt - oder zumindest den Einsatz des Zufalls. So kommt es, dass Herr Svane, der einmal im Spaß einen Preis für ein missglücktes Genie ausgesetzt hatte, selbst das ,Glückslos‘ zieht. Der Erzähler 34 Peter Sloterdijk: Spähren I: Blasen. Frankfurt a.M.: 1998, S. 248. Haben oder Nichthaben 85 berichtet: „Hr. Svanes Lykke var, at han vandt i Lotteriet“(AV, 212). 35 Und kommentiert, damit auch jeder Leser es versteht: „Saaledes gaaer det til i Virkeligheden“ (AV, 213). 36 Dass sich jedoch ‚in der Wirklichkeit‘ nicht immer und überall alles glücklich auflösen lässt, und es also durchaus angebracht ist, misstrauisch und skeptisch zu sein, zeigt sich an dem traurigen Schicksal von Svanes Freund, dem ,verkannten Genie‘ Maibum. Dieser liegt nämlich, während Herr Svane sich über das große Los freut, verarmt im Krankenhaus und wartet - gemeinsam mit vielen anderen „sygelige, ynkelige Skikkelser“ („kränklichen, kläglichen Gestalten“; AV, 214), die alle schon einmal Besseres im Leben gesehen haben, auf den Tod. Das Ungerechte der Situation nimmt Herr Svane deutlich wahr. Warum, so fragt er sich, „gaaer det mig bedre, jeg som ikke har udrettet mere, end han“ (AV, 215)? 37 Eine wirkliche Antwort auf diese Frage findet er nicht. Das, was ihm widerfahren ist, „sit Livs Lykke“ („das Glück seines Lebens“), kann er nur auf den Begriff der „Naade“ („Gnade“; AV, 216) bringen. Mit diesem Erklärungsansatz fällt er aber hinter die Erkenntnis zurück, die der Text, wenngleich nicht explizit, vermittelt. Die Erkenntnis nämlich, dass es keine unsichtbare Hand Gottes gibt, der man sich anvertrauen kann. Dem aufmerksamen Leser von heute erschließt sich, nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts, diese Erkenntnis weitaus leichter. Niels Kofoed trifft insofern den Kern der Problematik, wenn er schreibt, der Roman „handler om ulige fordeling af livsgoderne, forkrøblede og marginaliserede eksistenser og forspildte evner“ („handelt von der ungleichen Verteilung der Güter, von verkrüppelten und marginalisierten Existenzen und verspielten Fähigkeiten“) und zeuge insofern „om en tilfældig og kaotisk verdensorden ude af balance“ („von einer zufälligen und chaotischen Weltordnung im Ungleichgewicht“). 38 Der Erzähler, und mit ihm Niels Bryde, will aber genau diese Art von Chaos nicht sehen. Wider die Evidenz des Faktischen hält er an seiner alle Missstände auflösenden idealistischen Sicht der Dinge fest. Im letzten Kapitel des Romans, das den programmatischen Titel „Den nye Aladdin“ („Der neue Aladdin“; AV, 236) trägt, löst der Erzähler die ökonomische Frage nach Haben oder Nichthaben endgültig in die theologische Frage nach Sein oder Nichtsein auf und interpretiert alle Widerfahrnisse des Lebens, sei es nun der Tod der Eltern, „Krigens tunge Aar“ („die schweren Jahre des Krieges“) oder das Wüten der Cholera, als etwas, das „Aandens Væxt“ („dem Wachstum des Geistes“; AV, 238) gedient habe. Alle losen Enden werden in das glückliche Ende eines glücklichen Lebens eingeflochten, das in der Gewissheit „evigt ,at være‘“ („ewig ,zu sein‘“; AV, 239) aufgehoben ist. Niels Bryde, der neue und ewig alte Aladdin erklärt: 35 „Herr Svanes Glück war, dass er in der Lotterie gewann“. 36 „So geht es zu in der Wirklichkeit“. 37 „[G]eht es mir besser, mir, der ich doch nicht mehr geleistet habe als er“? 38 Kofoed: Den religiøse fritænker, S. 99. Sophie Wennerscheid 86 Til Virkelighed var blevet, hvad han engang drømte som Barn, at han som Aladdin steg ned i Hulen, hvor tusinde Skatte og skinnende Frugter næsten blændede ham; men han fandt den forunderlige Lampe, og da han kom hjem med den, var det - hans Moders Bibel. (AV, 238) Alles, was er einst als Kind geträumt hatte, war wirklich geworden, dass er als Aladdin in die Höhle hinabgestiegen sei, wo tausend Schätze und glänzende Früchte ihn beinahe blendeten; doch er hatte die wundersame Lampe gefunden, und als er mit ihr nach Hause kam, da war es - die Bibel seiner Mutter. Die Wechselkurse des Vertrauens müssen sich auf Biegen und Brechen als unveränderbar erweisen; nur so können extreme Kursschwankungen und Konjunkturkrisen verhindert werden. Wer darauf vertraut, dem wird gegeben; wer aber nicht vorher schon irgendetwas hat, das er investieren kann, der bekommt auch nichts. Haben oder Nichthaben 87 Andersen, Hans Christian: „At være eller ikke være“. 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Jahrhunderts das Gottvertrauen eine Kernkonnotation. 1 Die spätere Verschiebung des Wortsinnes in Richtung des Vertrauens auf andere Menschen (des personalen Vertrauens) und des Vertrauens auf die Ordnung des Staates (des sozialen Vertrauens) wird der Auflösung der ‚gottgewollten‘ ständischen Ordnung und der Konstitution des bürgerlichen Subjekts zugeschrieben. Diese habe eine neue, nicht nur gefühls-, sondern auch vernunftbasierte Welthaltung zur Folge gehabt. Was Lexikoneinträge jedoch nicht erkennen lassen, ist der Widerstand, der dieser Verschiebung des Wortsinnes und der ihm zugrundeliegenden Weltanschauung entgegengebracht wurde. Der vorliegende Beitrag zeigt am Beispiel der Münzmetaphorik Søren Kierkegaards die Ambivalenzen auf, die diese graduelle Veränderung des Garanten vertrauensbasierter Handlungen im Kontext des Modernisierungsprozesses mit seiner Auflösung vorgegebener Strukturen verursachte. Bei Kierkegaard wird die Tauschgesellschaft mit der Theologie (bzw. Literatur) verglichen, das Geld mit den Wörtern. In beiden Bereichen geht es um ein Plädoyer für Wahrheit im Sinn des Authentischen und finanziell Nutzlosen (d.h. des fürs Weiterkommen im diesseitigen Leben Nutzlosen) und gegen die Lüge im Sinn von Standardisierung und des finanziell Nützlichen für dieses Leben. Die dabei als nötig beschriebene * Die Überarbeitung und Erweiterung der Vortragsfassung fand während meiner Postdoc-Zeit am Institut für Religionsgeschichte der Rumänischen Akademie statt, dem ich ganz herzlich für die Unterstützung danken möchte. Gefördert wurde die Arbeit durch das Projekt Die sozial-humanistischen Wissenschaften im Kontext der globalisierten Entwicklung - Entwicklung und Durchführung des Programms für postdoktorale Studien und Forschungen, Vertrag: POSDRU 89/ 1.5/ S/ 61104, co-finanziert vom Europäischen Sozialfonds durch das Sektorielle Operationelle Programm zur Entwicklung der Humanressourcen 2007-2013. Weiterer Dank gebührt dem Alfried Krupp Wissenschaftskolleg Greifswald, als dessen Junior Fellow ich die Vortragsfassung schrieb. 1 Vgl. Ute Frevert: „Vertrauen. Historische Annäherungen an eine Gefühlshaltung“. In: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Hg. von Claudia Benthien, Anne Fleig und Ingrid Kasten. Köln, Weimar, Wien 2000 (= Literatur-Kultur-Geschlecht, Kleine Reihe; 16), S. 178- 197; Dies. (Hg.): Vertrauen. Historische Annäherungen. Göttingen: 2003, S. 7-66; Zum Vertrauensbegriff in der Philosophie vgl. Tanja Gloyna: „Vertrauen“. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 11. Hg. von Joachim Ritter u.a. Basel 2001, Sp. 186-990. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 89 Falschmünzerei ist, wie im Folgenden gezeigt werden soll, eine Form der Kritik, die sich letztlich nicht nur gegen die falsche Münze richtet, (deren Wert nicht ihrem aufgeprägten Wert entspricht,) sondern gegen das Tauschprinzip überhaupt. Dem Tauschprinzip (also der Standardisierung und dem Nützlichen) steht bei Kierkegaard die einzigartige Gabe gegenüber. In der Theologie wurde im Zuge der Modernisierung die Vertrauensfrage in Kontroversen neu gestellt, die mit neuen Formen der religiösen Rechtfertigung auf die Kritik an der Authentizität biblischer Berichte reagierten. Religions- und Kirchenkritiker wie Spinoza, Toland oder Voltaire provozierten in der Aufklärungszeit eine große Anzahl apologetischer Gegenschriften in ganz Europa. Eine Hauptfrage blieb jedoch in diesem Kontext, ob nicht die Begründer des Christentums (sowie aller anderen Offenbarungsreligionen), also die Augenzeugen, auf deren Berichte alles Weitere baute, Betrüger seien; absichtliche Betrüger, selbstbetrogene Betrüger oder betrogene Betrüger (was sie zwar entlastete, dafür aber Gott belastete). Die Behauptung, dass die Propheten Betrüger seien, war bereits im Buch De tribus impostoribus aufgestellt worden, dessen Herkunft auf das 8./ 9. Jahrhundert zurückgeführt wird. 2 Der Deismus griff sie auf und verwandelte sie in ein Argument dafür, dass alles, was im Christentum über die natürliche Religion hinausgeht oder ihr widerspricht, ein von den Aposteln hinzugefügter Zusatz sei. Die Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes von Hermann Samuel Reimarus, die nach der Veröffentlichung der Wolfenbütteler Fragmente durch Gotthold Ephraim Lessing eine heftige Kontroverse auslöste, betonte dies in Hinblick auf die Auferstehung Jesu. 3 Der Fragmentenstreit, der sich nicht zuletzt um die Frage drehte, ob ein absichtlicher Betrug geschehen sei oder ob die Apostel selbst glaubten, was sie lehrten, hatte Folgen für die Theologie des 19. Jahrhunderts, in der neue Formen der religiösen Rechtfertigung gesucht wurden. 4 Der Verzicht auf die Vermittlung zwischen einer allgemein verbindlichen Rationalität und der Wahrheit des Glaubens führte zu einer Relativierung des biblischen Zeugnisses und einer Betonung des ‚Selbstverständnisses‘, der nicht propositional formulierbaren Gewissheit, des Unterschieds zwischen Innenperspektive (des Gläubigen) und Außenperspektive. Diese Verbindung von Glaubensinhalt und Emotion, die insbesondere für Friedrich Schleiermacher 5 charakteristisch war und 2 Vgl. Friedrich Niewöhner: Veritas sive varietas. Lessings Toleranzparabel und das Buch von den drei Betrügern. Heidelberg: 1988. 3 Hermann Samuel Reimarus: Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes. 2 Bde. Frankfurt a. M.: 1972. 4 Vgl. Friedrich Vollhardt: Reimarus, Lessing und einiger der Folgen. Vortrag gehalten am 17. November 2005 in Wolfenbüttel. Wolfenbüttel: 2006. 5 [Friedrich Schleiermacher]: Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern. Berlin: 1799. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 90 zu Kierkegaards Zeiten auch an der Kopenhagener Theologischen Fakultät dominierte, tendierte dazu, das Gottesvertrauen von seiner vernunftbetonten Komponente zu trennen, doch brachte die zeitgleiche Entwicklung der historisch-kritischen Methode der Bibelexegese die Theorie des Priesterbetrugs zunächst nicht zum Schweigen, sondern nährte sie. David Friedrich Strauß knüpfte an Reimarus an und deutete die biblischen Berichte als Mythologisierungen, die unbewusst, auf natürliche Weise, von Überzeugten, nicht von absichtlichen Betrügern auf historische Ereignisse und das Leben Jesu projiziert worden seien. 6 Seine hegelianische Interpretation der pia fraus der Apostel als zeitgemäße Verkleidung einer philosophischen Wahrheit (der Versöhnung des Menschlichen und Göttlichen als Endziel der historischen Entwicklung) wurde von ihm rückblickend als Kampf gegen die ‚Falschmünzerei‘ anderer Theologen gedeutet. 7 Die Metapher der ‚Falschmünzerei‘ wurde auch sonst in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Zusammenhang der historisch-kritischen Philologie verwendet; 8 die Numismatik als Bestandteil der philologischen Enzyklopädie erforderte eine ähnliche Echtheitsprüfung wie die philologische Textkritik, die die Bibel als ein Buch wie alle anderen (und zwar als eine schlecht erforschte, unzuverlässige Sammlung von Fragmenten) ansah. Eine Verwitterung oder bewusste Fälschung des Überlieferten wurde vorausgesetzt und eine Rückkehr ad fontes gefordert. Da Strauß’ Mythologisierungstheorie die ontologische Grundlage des Christentums in Frage stellte, erweckte sie heftige Debatten. Auch in Dänemark erregte sie Aufsehen; der Theologiestudent Hans Brøchner, der voller Zustimmung einige Schriften von Strauß übersetzt hatte, durfte seine Abschlussprüfung nicht mehr ablegen, 9 und Hans Lassen Martensen distanzierte sich öffentlich von jeglichen Schlussfolgerungen auf straußisch-linkshegelianischer Grundlage. 10 Hans Christian Andersen kritisierte in seinem Roman Kun en Spillemand „die Straußische Verdunstung, welche alles Geschichtliche in Mythen auflöst“ („Den straussiske For- 6 David Friedrich Strauß: Hermann Samuel Reimarus und seine Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes. Leipzig: 1862; Ders.: Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet. 2 Bde. Tübingen: 1835-1836. 7 Vgl. David Friedrich Strauß: Der Christus des Glaubens und der Jesu der Geschichte. Eine Kritik des Schleiermacher’schen Lebens Jesu. Berlin: 1865, S. 64-65: „Dieser mein Beruf […] geht gegen die Falschmünzerei. Wenn ich über den Markt gehe, wenn ich an einer Kasse vorbeikomme, da halte ich die Augen auf. Mit dem falschen Groschen befasse ich mich nicht, da wäre an kein Fertigwerden zu denken; aber wo einer bleierne Thaler, oder gar Rechenpfennige statt Dukaten auflegt, der hat es mit mir zu tun, der wird mich nicht los, bis er überwiesen ist. Beliebt mache ich mich dadurch freilich nicht, Dank verdiene ich mir keinen, als von der Wahrheit, der ich diene. Hat sich denn Der Dank verdient, der einst die Krämer und Wechsler aus dem Heiligtum vertrieb? “ 8 Vgl. Christian Benne: Nietzsche und die historisch-kritische Philologie. Berlin, New York: 2005, S. 103-105. Im literarischen Bereich jedoch gebrauchten auch Schiller, Jean Paul und Kleist den Begriff „Falschmünzer“ bildlich. Vgl. Jacob und Wilhelm Grimm: Deutsches Wörterbuch. Bd. 3. Leipzig: 1862, Sp. 1296. 9 Vgl. Jon Stewart: A History of Hegelianism in Golden Age Denmark. Bd. II. The Martensen Period. 1837-1842. Kopenhagen: 2007, S. 678-688. 10 Hans Lassen Martensen: „Nutidens religiøse Crisis“. In: Intelligensblade I: 3 (1842), S. 53-79. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 91 dunstning, som opløser Alt Historisk i Myther“), 11 und bezeichnete sie als eine Art Freigeisterei; eine Stelle, die Søren Kierkegaard in seiner Rezension des Romans zwar im epischen Kontext unpassend fand, aber inhaltlich nicht abwies. 12 Später sah Kierkegaard im entgegengesetzten Fall des dänischen Theologen Adolph Peter Adler, der als Folge einer nächtlichen Vision, in der ihm Jesus Christus erschienen sei, den Hegelianismus öffentlich ablehnte, eine Parallele zu Strauß . 13 Die Auseinandersetzung mit der Betrugstheorie war also in dänischen Theologenkreisen an der Tagesordnung. Auch ältere Formen der Betrugstheorie wurden studiert; so exzerpierte Søren Kierkegaard 1838 eine Ausgabe des Buches von den drei Betrügern. 14 Dabei schlussfolgerte er, dass der Autor kein Spötter der Religion sei, sondern ein wahrheitssuchender Zweifler. 15 Zweifel als Wahrheitssuche, die durch Verzweiflung das Wahre aufschließt, war im hegelianischen Zusammenhang legitimiert worden; bei Hegel wurden Reflexion und Reflexionskritik nach dem Durchlaufen eines dialektischen Läuterungsprozesses gleichermaßen gerechtfertigt. Bei Kierkegaard sollte der Zweifel als Wahrheitssuche sich jedoch in eine dauerhafte Mobilisierung des Zweifels (in der Form, in der er sich auch gegen den Zweifelnden selbst richtet,) in den Zweifel als unentwegte Prüfung des Glaubens und Wissens verwandeln, die auch die Überprüfung der Falschmünzerei selbst hinterfragte. 16 Die seiner Meinung nach einzig mögliche Beweisform der offenbarten Wahrheit hat Søren Kierkegaard am Ende seines Lebens in der Flugblattreihe Øieblikket (Der Augenblick) beschrieben. Es handelt sich um die Bereitschaft, für seinen Glauben zu leiden. Hans Lassen Martensens Gedächtnisrede auf Bischof Jacob Peter Mynster am Sonntag vor dessen Begräbnis (5. Februar 1854) hatte aufgrund der Erhebung Mynsters unter die echten Wahrheitszeugen des Christentums Kierkegaards Unmut erregt und ab Dezember 1854 zum offenen Angriff auf die Staatskirche geführt. Für Kierkegaard waren die echten Wahrheitszeugen allein die Märtyrer der ersten Christenheit; die Kirche konnte jedoch nicht akzeptieren, dass sie ein abgemildertes 11 Vgl. H.C. Andersen: Kun en Spillemand. Kopenhagen: 1837, S. 119-120. Übersetzung zit. nach H.C. Andersen: „Nur ein Geiger“. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 9. Leipzig: 1847, S. 117. 12 Søren Kierkegaard: „Af en endnu Levedes Papirer“. In: Søren Kierkegaards Skrifter. Hg. von Niels Cappelørn. København 1997ff., hier Bd. 1, S. 48. Zitatbelege nach dieser Ausgabe im Folgenden mit der Sigle SKS, Band- und Seitenangabe. 13 Vgl. George Pattinson: „D.F. Strauss: Kierkegaard and Radical Demythologization“. In: Kierkegaard and his German Contemporaries. Bd. II: Theology. Aldershot 2007 (= Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources; 6), S. 233-258. 14 Die Rede ist von De impostura religionum breve compendium seu liber de tribus impostoribus, nach zwei Manuskripten und mit historisch-literarischer Einleitung. Hg. von Friedrich Wilhelm Genthe. Leipzig: 1833. 15 SKS 18: 373. 16 Vgl. Markus Kleinert: Sich verzehrender Skeptizismus. Läuterungen bei Hegel und Kierkegaard. Berlin, New York: 2005. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 92 Christentum repräsentiere, und identifizierte ihre Verkündigung mit dem Christentum des Neuen Testaments. Im Artikel Var Biskop Mynster et ‚Sandhedsvidne‘ et af ‚de rette Sandhedsvidner‘- er dette Sandhed? (War Bischof Mynster ein ‚Wahrheitszeuge‘, einer von den ‚echten Wahrheitszeugen‘ - ist das Wahrheit? ) aus der Zeitung Fædrelandet (Nr. 295 vom 18. Dezember 1854) betonte Kierkegaard, dass Mynster ein Mann von Charakter und Grundsätzen zu sein schien, „während er in Wahrheit zwar in hohem Maße weltklug war, aber schwach, genusssüchtig und groß nur als Vortragskünstler“ war. „Mein Unglück war, dass ich, von einem verstorbenen Vater mit ,Mynsters Predigt ʻ aufgezogen, auch aus Pietät gegen den verstorbenen Vater diesen falschen Wechsel honorierte anstatt ihn zu protestieren.“ 17 Dass dieses Unglück sich für ihn dann doch zum Guten wendete, verdanke er der Vorsehung. Was zunächst nur Betrug war, änderte sich also zunächst in einen akzeptierten Betrug (aus Respekt für den Vater als Vertrauensgaranten); und schließlich, als der menschliche Vertrauensgarant nicht mehr da war, erhielt der Wechsel durch die Vorsehung (göttliche Garantie) seinen Wert zurück, gerade indem er protestiert wurde; nur scheinbar paradox, denn der neue Wert des falschen Wechsels ist eine Gabe, nicht die Rückzahlung einer Schuld. In Der Augenblick (Nr. 9 vom 24. September 1855) wird der Mangel an Wahrheitsgarantie in einem Text mit dem Titel Præsten ikke blot beviser Christendommens Sandhed, men han modbeviser den med det Samme (Der Pfarrer beweist nicht nur die Wahrheit des Christentums, sondern widerlegt sie auch im gleichen Augenblick) beschreiben; dort wird das Problem als ein allgemein verbreitetes dargestellt. Die ersten Zeugen des Christentums seien bereit gewesen, Leib und Blut für den Glauben zu opfern, was die anderen Menschen sehr beeindruckte und sie davon überzeugte, dass es sich beim Christentum um die Wahrheit handeln müsse. Ganz anders die Pfarrer des 19. Jahrhunderts. Diese machten aus der Aufopferung der ersten Glaubenszeugen einen Broterwerb, also „das Gegenteil dessen, dass man leidet“, 18 und brachten insofern im gleichen Atemzug Beweis und Widerlegung: Ved at see de Herlige, Sandhedsvidnerne, vove Alt for Christendommen, foranlediges man til den Slutning: Christendommen maa være Sandhed; ved at agte paa Præsten foranlediges man til den Slutning: Christendommen er nok ikke Sandheden, men Profiten er Sandheden. […] Præstens Beviis: at bevise Christendommens Sandhed deraf, at han tager Penge for, har Profit af, lever af, med Familie jævnt avancerende lever af - at Andre have lidt, er Selvmodsigelse, er, christeligt, Snyderie. (SKS 13, 385). 17 „medens Sandheden var, at han var i høi Grad verdslig klog, men svag, nydelsessyg og kun stor som Declamator - […] min Ulykke var, at jeg, af en afdød Fader opdragen ved ‚Mynsters Prædiken‘, ogsaa, af Pietet mod den afdøde Fader, honorerede denne falske Vexel i Stedet for at protestere den.“ (SKS 14, 126). Übersetzung vgl. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 34. Abteilung: Der Augenblick. Aufsätze und Schriften des letzten Streits. Düsseldorf: 1958, S. 8. 18 „[L]ige det Modsatte af at lide“ (SKS 13, 385). Übersetzung vgl. Kierkegaard: Der Augenblick, S. 315. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 93 Sieht man die Herrlichen, die Wahrheitszeugen, alles fürs Christentum aufs Spiel setzen, so kommt man zu dem Schluss: Das Christentum muss Wahrheit sein; achtet man auf dem Pfarrer, so kommt man zu dem Schluss: das Christentum ist doch nicht die Wahrheit, sondern der Nutzen ist die Wahrheit. […] Der Beweis des Pfarrers: die Wahrheit des Christentums damit zu beweisen, dass er dafür Geld nimmt, davon Gewinn hat, davon lebt, mit Familie ein glattes Fortkommen hat -, dass andere gelitten haben, ist ein Selbstwiderspruch, ist, christlich, Betrug. 19 Man sollte laut Kierkegaard einem solchen Pfarrer in christlicher Hinsicht das Handwerk legen, wie in bürgerlicher Hinsicht einem Dieb das Handwerk gelegt werde, denn er ließe sich das Leiden der Märtyrer zu Gute kommen und stehle, was den ersten Wahrheitszeugen gehörte (das heißt, was sie verdient, aber aufgrund ihrer Verfolgung nicht bekommen hatten). In antisemitischer Bildlichkeit, die an das Stereotyp des jüdischen Wucherers anknüpft, 20 wird ein solcher Pfarrer von Kierkegaard auch mit einem Juden verglichen, hinter dem „Hep! “ gerufen werde/ gerufen werden müsse. Als Betrüger der einfältigen Masse, die sein profitorientiertes Handeln bzw. seine Transaktionen (Dänisch: „Trafik“) nicht durchschaue, begehe der Pfarrer einen Vertrauensbruch, der anhand einer Metaphorik beschrieben wird, die dem dänischen Staatsbankrott von 1813 entlehnt zu sein scheint: Hvad Under da, at Christendommen slet ikke er til, at det Hele med Christenhed er Galimathias, naar de der ere Christne ere det i Tillid til Præstens Beviis, antage, at Christendommen er Sandhed i Tillid til Præstens Beviis: at Noget er Sandhed, fordi En er villig nok til at have Profit deraf, og maaskee endog, raffinerende, tager den Profit mere, at forsikkre, at han er villig til at lide. I Tillid til dette Beviis at antage Christendommens Sandhed er lige saa meningsløst som at ansee sig selv for en velhavende Mand, fordi man har mange Penge mellem Hænder, som ikke tilhøre En, eller fordi man eier en Deel Seddel-Penge, udstedte af en Bank, som intet Valuta eier. (SKS 13, 386). Was Wunder dann, dass das Christentum überhaupt nicht da ist, dass alles mit der Christenheit Kauderwelsch ist, wenn die, welche Christen sind, das im Vertrauen auf dem Beweis des Pfarrers sind, wenn sie annehmen, das Christentum sei Wahrheit im Vertrauen auf dem Beweis des Pfarrers: dass nämlich etwas Wahrheit ist, weil einer gern bereit ist, Gewinn davon zu haben, und vielleicht sogar, abgefeimt, den Gewinn hinzunimmt, dass er versichert, er sei bereit zu leiden. Die Wahrheit des Christentums im Vertrauen auf diesem Beweis anzunehmen, ist ebenso widersinnig, wie wenn man sich für einen wohlhabenden Mann hielte, weil man viel Geld in den Händen hat, das 19 Übersetzung vgl. Kierkegaard: Der Augenblick, S. 315. 20 Peter Tudvad weist auf den Zusammenhang zwischen Kierkegaards mehrfachem Gebrauch des Judenbildes zur Bezeichnung eines karikierten Christentums und der literarischen Judenverfolgung sowie den Pogromen (Hep-hep-Krawallen) in den Jahren 1813-1819 hin. Den Juden wurde damals auch vorgeworfen, nach dem Staatsbankrott Gold und Silber, das dem Staat gehörte, ins Ausland geschafft zu haben, insofern wurden sie auch zu Sündenböcken des Staatsbankrotts gemacht: Vgl. Ders.: Stadier på antisemitismens vej. Søren Kierkegaard og jøderne. Kopenhagen: 2010. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 94 einem nicht gehört, oder weil man einen Haufen Papiergeld besitzt, ausgestellt von einer Bank, die keine Valuta besitzt. 21 Die Wahrheit wird als Vertrauensfrage dargestellt, und die persönliche Garantie, die dafür gebracht werden muss, zum eigentlichen Problem der Wahrheit und des Glaubens gemacht. Da die Wahrheit einen Wert hat, und aufgrund der langen Überlieferung der christlichen Offenbarung mit einem geerbten Sachwert vergleichbar ist, bietet der monetäre Diskurs in diesem Zusammenhang die Möglichkeit einer komplexen Auseinandersetzung mit der geistigen Falschmünzerei, der Inflation durch Währungsausstellung ohne Deckung, oder dem geistigen Diebstahl. Im Entwurf zum Flugblatt Der Augenblick Nr. 10 wird die zeitgenössische Christenheit eines Verbrechens bezichtigt, das der unberechtigten Aneignung eines Erbes gleichkommt, wo die Verpflichtung, die mit der Übernahme eines Erbes verbunden ist, nicht mit übernommen wird. 22 Während ein Erbe grundsätzlich wenigstens auch aus Gegenständen oder Grundstücken bestehen kann, die nicht verfälscht, sondern nur unrechtmäßig erschlichen werden können, so sieht es mit dem Papiergeld ganz anders aus. Insofern hat der Vergleich der moralischen und metaphysischen Werte mit dem Geld weiterreichende Implikationen als der Aspekt des (rechtmäßigen) Besitztums und des Gewinnes. Weder Papiergeld noch die Münzen oder Gold und Silber hatten ursprünglich einen Wert, der immer und überall gegolten hat. Sie sind alle auf Konventionen und externe Garantien (Vertrauen) angewiesen. Als symbolisch verdichtete Versprechen auf Güter, die in und mit der Münze, dem Geldschein oder dem Goldstück nicht präsent sind, passen sie diese Güter in Ordnungen und Wertgefüge ein und setzen Sein in Sinn um (sind ‚ontosemiologisch‘). 23 Sie machen Ungleichartiges äquivalent und wirken synthetisierend, dienen der Kommunikation unter Leuten, die auf einander angewiesen sind, und schaffen gleichzeitig Distanz zwischen diesen. Doch außerhalb ihres Geltungsbereiches (einer bestimmten Ordnung) sind sie nichts mehr wert. Gold allerdings hat, sobald es vermarktet wird, einen vom Markt vorgegebenen Tauschwert. Deswegen kann Kierkegaard es zu Recht der Münze entgegenstellen, deren aufgeprägter Wert nicht notwendig dem Tauschwert des Metalls entspricht, sondern sich allein auf externe Garantien stützt. Was für die Münze gilt, gilt in noch stärkerem Maß für das Papiergeld, das so gut wie überhaupt keinen Tauschwert mehr besitzt. Die zwischenmenschliche Vereinbarung, die den Tauschwert des Goldes bestimmt, wird jedoch von Kierkegaard nicht weiter reflektiert. Wie viele 21 Übersetzung vgl. Kierkegaard: Der Augenblick, S. 314-315. Im Herausgeberkommentar zu SKS 13 wird an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass nach dem Staatsbankrott (ab 1814 bis 1873) die Geldscheine den Vermerk „paa Valuta, som Banken eier, er denne Rigsbank- Seddel udstedt“ trugen. 22 SKS 13, 400-401. Übersetzung vgl. Kierkegaard: Der Augenblick, S. 325. 23 Vgl. Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl? Die Poesie des Geldes. Frankfurt a. M.: 1996, S. 219-220, sowie Andreas Urs Sommer: Friedrich Nietzsches ‚Der Antichrist‘. Ein philosophisch-historischer Kommentar. Basel: 2000, S. 156-166. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 95 Autoren des 18. und 19. Jahrhunderts kontrastiert er Goldmünzen (Kurantmünzen) mit dem Papiergeld und mit den Scheidemünzen, deren innerer Münz-Metallwert geringer als der aufgeprägte Währungsnominalwert war. 24 Ähnlich setzt er eine ursprüngliche Wahrheit (Offenbarung) voraus, die nicht auf menschliche Konventionen beruht, und die es also wert ist, dass man sein Leben dafür opfert. Das Erbstück, das sich die Pfarrer aneignen, hat einen wirklichen Wert. Die Metaphorik des Erbes und des Betrugs lässt an Lessings Nathan der Weise denken, wo ebenfalls das theologische Problem der Wahrheit am Beispiel des juristischen und ökonomischen Problems des Besitzes erläutert wird, die Frage nach der rechten Religion jedoch als eine der Sache unangemessene Fangfrage dargestellt wird. Kierkegaard besaß Lessings Schriften in 32 Bänden und bezog sich auf Lessings Deutung der Wahrheitssuche nicht nur in seinen Philosophischen Brocken, den Erbaulichen Reden von 1843 und 1844 und der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift (den ausführlichsten Beispielen seiner Auseinandersetzung mit Lessing), sondern auch in vielen anderen Schriften. 25 Allerdings wird der Betrug in der Ringparabel aus Lessings Nathan (Lessings literarische Weiterführung der Kontroverse um Reimarus) zuallererst dem Vater (Gott selbst) und nicht den Söhnen (den Propheten der Offenbarungsreligionen) zugeschrieben, und er geschieht aus Liebe; denn der Vater, der alle drei Söhne gleich liebt, will keinen übervorteilen und lässt den Wunderring fälschen. Erst wenn die Nachfolger die geerbten Ringe nicht im Sinne eines ethischen Leistungswettbewerbes einsetzen (sozusagen die Verpflichtung, die Kierkegaard mit dem Erbe verband, nicht annehmen), sind diese nicht nur Betrogene, sondern zusätzlich auch ‚betrogene Betrüger‘. 26 Die in Lessings Ringparabel dargestellte Methode der Glaubensüberprüfung ist dem marktwirtschaftlichen Konkurrenzverhalten und Vorteilsdenken nachgebildet. Nathan folgt in seinem Handeln der Tauschmoral und dem kapitalistischen Prinzip der Besitz- und Wertsteigerung durch aktuelles Verzichten. 27 Dies steht im Gegen- 24 Als Kreditgeld waren Scheidemünzen nur in begrenzter Höhe gesetzliche Zahlungsmittel (es gab eine Begrenzung des schuldenbefreienden Annahmezwanges). Es galt dabei meist vor 1871 die Vorschrift, dass niemand mehr Scheidemünzen als bis zum Betrag der kleinsten Kurantmünze anzunehmen brauchte. 25 Vgl. hierzu zusammenfassend Curtis L. Thompson: „Gotthold Ephraim Lessing: Appropriating the Testimony of a Theological Naturalist“. In: Kierkegaard and the Renaissance and Modern Traditions. Bd. I: Philosophy. Hg. von Jon Stewart. Aldershot: 2009 (= Kierkegaard Research: Sources, Reception and Resources; 5), S. 77-112. 26 Gotthold Ephraim Lessing: „Nathan der Weise“. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 2. Hg. von Herbert G. Göpfert u.a. München 1971, S. 279. 27 Vgl. Wolf Wucherpfennig: „Nathan, der weise Händler“. In: Akten des VI. Internationalen Germanistenkongresses Basel 1980. Hg. von Heinz Rupp und Hans-Gert Roloff. Bern u.a.: 1980 (= Jahrbuch für Internationale Germanistik Reihe A.; 8: 4), S. 57-64. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 96 satz zur fürstlichen Verschwendung Saladins, doch die Wahrheit selbst entzieht sich diesem ökonomischen Prozess, sie lässt sich nicht dingfest machen: Ich bin Auf Geld gefasst; und er will - Wahrheit. Wahrheit! Und will sie so, - so bar, so blank, - als ob Die Wahrheit Münze wäre! - Ja, wenn noch Uralte Münze, die gewogen ward! - Das ginge noch! Allein so neue Münze, Die nur der Stempel macht, die man aufs Brett Nur zählen darf, das ist sie doch nun nicht! Wie Geld in Sack, so striche man in Kopf Auch Wahrheit ein? Wer ist denn hier der Jude? Ich oder er? - Doch wie? Sollt’ er auch wohl Die Wahrheit nicht in Wahrheit fodern? 28 Diese Reaktion Nathans auf Saladins Frage nach der rechten und wahren Religion deutet auf den Abstraktionsprozess hin, der sowohl der rechnerischen Kopfarbeit des Kaufmanns als auch der Religionsphilosophie zu Grunde liegt. Doch seine Überlegungen lassen eher darauf schließen, dass die eigentliche göttliche Wahrheit keine Münze ist, also kein auf Vereinbarung basierter Wert, der verhandelbar wäre oder ungedeckt sein könnte; kein leicht fassbares Objekt, nichts Evidentes, Unmittelbares („bar und blank“). Es scheint nur so, „als ob die Wahrheit Münze wäre“, 29 aber sollte man den Vergleich akzeptieren, dann höchstens mit der „uralte[n] Münze, die gewogen ward“, dem vormünzlichen Wiegegeld ohne Prägung, dessen Gewicht allgemein erkennbar war, nicht mit der neuen Münze (Scheidemünze), „die nur der Stempel macht“, also nur subjektiv garantiert ist, nicht „erwägt“. Lessing verwendet hier in kritischer Weise einen alten Topos, denn der Vergleich der Wahrheit oder des (wahrheitsvermittelnden) Wortes mit dem Geld geht auf antike Gedächtnistheorien zurück. 30 Er wurde im 5. und 4. Jh. v. Chr. auf die Tätigkeit der Sophisten bezogen; Platon dagegen nannte in Phaidon 69a die Tugend „die einzig rechte Münze“. Auch der Spruch des Horaz „verba valent sicut numi“ wurde 28 Lessing: Nathan der Weise, S. 275. 29 Die Forschung hat Nathans Monolog aufgrund seiner mehrfach unterbrochenen Redeweise in dieser Hinsicht unterschiedlich gedeutet: entweder in dem Sinn, dass Wahrheit durchaus mit der Münze vergleichbar sei, und zwar mit der alten Münze, oder in dem Sinn, dass sie zwar nicht vergleichbar sei, aber wenn man sich überhaupt auf den Vergleich einließe, um mit Saladin zu kommunizieren, dann am ehesten mit der alten Münze: „das ginge noch“. Vgl. insbesondere Peter Demetz: Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise. Vollständiger Text, Dokumentation. Frankfurt a. M., Berlin 1966; Helmut Fuhrmann: „Lessings Nathan der Weise und das Wahrheitsproblem“. In: Lessing Yearbook XV (1983), S. 63-95, und Hans-Jürgen Schlütter: „‚…als ob die Wahrheit Münze wäre‘. Zu Nathan der Weise III,6“. In: Lessing Yearbook X (1978), S. 65-74. Ich schließe mich Fuhrmanns und Schlütters Deutung an, dass der von Nathan gebrauchte Konjunktiv irrealis die Identifikation der Wahrheit mit der Münze ausschließt. 30 Vgl. die mnemonische Metapher des Hirnes als Thesaurus in Ad Herennium III, 28, Cicero, De oratore, I,18 und Quintilian, Institutio oratorica, XI,2,1. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 97 häufig zitiert und abgewandelt. 31 Der Münzvergleich wurde in Sprachtheorien des 18. Jahrhunderts ebenfalls mehrfach verwendet. 32 Dass Münze, Wort und letztlich auch Wahrheit auf Übereinkunft basieren und der Kommunikation dienen, spielte dabei eine genauso wichtige Rolle wie die tradierte Geschichte der Entstehung des Geldes, die vom engen Zusammenhang von Götterkult und Geldwirtschaft ausging. Der Jerusalemer Tempel nutzte als Tempelwährung den tyrischen Schekel (der freilich das Bild eines fremden Gottes, Melkart, trug), das Heiligtum des Apollon in Delphi hütete den athenischen Staatsschatz und übernahm auch Bankfunktionen, um ihn zu vermehren, der Tempel der Juno Moneta in Rom hatte seine eigene Münzprägung, und die umfassende, wenngleich ambivalente Funktion des Gottes Hermes (als Gott der Redekunst, der Kaufleute und der Diebe) deutet ebenfalls auf die Verbindung des Geldes mit der Sprache und dem Göttlichen. Die kultische Funktion des ‚heiligen Geldes‘ (Ersetzung realer Blutopfer durch Tieridole) steht im Zentrum der Theorien über die religiöse Herkunft des Geldes, 33 und man hat auch vermutet, dass magische Gegenstände, die Schutz, Glück und Wohlstand versprachen, die eigentlichen Vorläufer des Geldes sind, 34 auch wenn ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Talisman, den man behalten sollte, und dem Geld, das man ausgeben sollte, besteht. Der Zusammenhang zwischen den Schuldigkeiten gegenüber Gott und den Schulden gegenüber den Gläubigern spielte sowohl im Judentum als auch im Christentum eine wesentliche Rolle, (was nicht zuletzt im Vaterunser sichtbar ist,) und diese Überlagerung des ‚Redens von Gott‘ mit dem ‚Reden vom Geld‘ ist in zahlreichen biblischen Gleichnissen erkennbar (u.a. im Gleichnis vom unbarmherzigen Gläubiger, Mt 18,24; in demjenigen von den anvertrauten Talenten, Mt 25,14-30 und Lk 19,12-27; im Gleichnis von dem Arbeitern im Weinberg, Mt 20,1-6; im Gleichnis vom treuen und untreuen Knecht, Mt 25,45-51; im Gleichnis vom unge- 31 Zur Geschichte dieses Topos und der heute gängigen Ausdrücke, die die Münzmetaphorik fortsetzen („Wortschatz“, „linguistische Anleihen“, „Reichtum der Sprache“, „flüssige Rede“ - wie flüssiges Geld, Rede und Geld als „Vermögen“, „sein Scherflein beitragen“, „aus echtem Schrot und Korn“ u.a.m.) vgl. Harald Weinrich: „Münze und Wort. Untersuchungen an einem Bildfeld“. In: Ders.: Sprache in Texten. Stuttgart: 1976, S. 276-290; Florian Coulmas: Die Wirtschaft mit der Sprache. Eine sprachsoziologische Studie. Frankfurt a. M.: 1992 und Lothar Bornscheuer: „Zur Geltung des ‚Mythos Geld‘ im religiösen, ökonomischen und poetischen Diskurs“. In: Mythos im Text. Zur Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. von Rolf Grimminger und Iris Hermann. Bielefeld: 1998 (= Bielefelder Schriften zu Linguistik und Literaturwissenschaft; 10), S. 55-105. Für das Dänische ließe sich Ähnliches aufzeigen, vgl. u.a. Ausdrücke wie ‚at give en snak for pengene‘; ‚at få klare ord for pengene rene‘ oder das Sprichwort: ‚Hvo der ej har penge i pungen, må have gode ord på tungen.‘ 32 Vgl. Richard T. Gray: „Buying into Signs: Money and Semiosis in Eighteenth-Century German Language Theory“. In: The German Quarterly 69: 1 (Winter 1966), S. 1-14 (der auch auf Lessings Nathan eingeht, aber die Hinterfragung der Analogie durch Nathan nicht wahrnimmt) und Claudia Henn-Schmölders: „Sprache und Geld oder ‚Vom Gespräch‘. Über Adam Müller“. In: Jahrbuch der deutschen Schiller-Gesellschaft 21 (1977), S. 327-351. 33 Vgl. Bernhard Laum: Heiliges Geld. Tübingen: 1924, S. 39; Falk Wagner: Geld oder Gott? Zur Geldbestimmtheit der kulturellen und religiösen Lebenswelt. Stuttgart: 1984, S. 96. 34 Vgl. René Sédillot: Histoire morale et immorale de la monnaie. Paris: 1989. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 98 treuen Verwalter, Lk 16,1-8 und in demjenigen von der verlorenen Drachme, Lk 15,8-10). Einen Höhepunkt erreichte diese Assoziation in den Debatten über den Calvinismus, die die Frage nach der Prädestination und nach Gottes Gnade mit der Frage verbanden, ob man Zins nehmen dürfe, und im gesamten Zusammenhang zwischen Protestantismus und Wirtschaftsordnung, 35 einschließlich der Sozialethik. Denn „wer sich des Armen erbarmt, der leihet dem Herrn; der wird ihm wieder Gutes vergelten“ (Spr 19,17). Lessing spielt auf diese Geschichte der Münzmetapher an. Doch Nathan bezahlt Saladin mit einem „Märchen“ 36 (einer Parabel oder einem Mythos) statt der „baren“ Wahrheit, die ihrerseits von Saladin anstatt des Geldes verlangt worden war, und bietet gleich darauf freiwillig und zum eigenen Vorteil Saladdin das Geld an, auf dessen Zahlung dieser verzichtet hatte. Die traditionelle Konkurrenz der Leitmedien Geld und Literatur (bzw. Mythos, wenn man ihn nur aus erzählerischer Sicht betrachtet,) geht in dieser Szene zumindest zugunsten der Literatur (des Mythos) aus, 37 und die echte Wahrheit, der ursprüngliche Ring, spielt keine Rolle mehr, weil der gute Gebrauch der (womöglich falschen) Ringe, die Orthopraxie, im Vordergrund steht. Denn die alte Wahrheit ist durch ihre Überlieferung zu einer Vertrauensfrage geworden, und diese gilt für alle Offenbarungsreligionen: Denn gründen alle sich nicht auf Geschichte? Geschrieben oder überliefert! - Und Geschichte muss doch wohl allein auf Treu Und Glauben angenommen werden - nicht? 38 Für Lessing haben die Vertrauensfrage und die Frage nach der Überlieferung eine wichtige Funktion für die Herausbildung des religiösen Toleranzgedankens. Sie erlauben Kritik am Bestehenden und gleichzeitig seine Bewahrung, und die Differenzierung zwischen Geist und Buchstabe macht sogar ein Christentum ohne Bibel möglich. Für Kierkegaard dagegen können die Propheten keine „betrogenen Betrüger“ sein, denn Gott ist kein Betrüger, sondern der Einzige, zu dem man Vertrauen haben kann und Vertrauen haben sollte, auch wenn das einem keineswegs 35 Vgl. Max Weber: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. In: Ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie I. Tübingen: 1920, S. 17-206. Webers Thesen über die protestantische Kapitalbildung durch asketischen Sparzwang gelten jedoch inzwischen als weitgehend widerlegt. Vgl. etwa Fernand Braudel: Die Dynamik des Kapitalismus. Stuttgart: 1986, S. 627-630 und Davide Cantoni: The Economic Effects of the Protestant Reformation: Testing the Weber Hypothesis in the German Lands. Job Market Paper. Harvard University, 10. November 2009. www.econ.upf.edu/ docs/ seminars/ cantoni.pdf (Zugriff: März 2011). 36 Lessing: Nathan der Weise, S. 275. 37 Zur Konkurrenz der Leitmedien Geld und Literatur vgl. hierzu Hörisch: Kopf oder Zahl, S. 94. 38 Lessing: Nathan der Weise, S. 278. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 99 das Leben erleichtert. Im Jahre 1847 bemerkt er in einem seiner Notizbücher, dass statt des Predigens über hohe Tugenden wie Glaube, Liebe und Hoffnung von den Pfarrern - gemeint ist wohl Peter Johannes Spang (1796-1846) - besser offen gesagt werden solle: Indlad Dig aldrig med Gud, og frem for [Alt] aldrig i nogen egl. Fortrolighed. Indlad Dig aldrig med Msk. og bild Dig saa ind i Forening med dem at I indlader Eder med Gud, fordi I nævne Guds Navn paa en lige saa intetsigende Maade som det Zirat skrives, hvilket Lægerne skrive over Recepter. (SKS 20, 113, NB 187). Lass dich niemals mit Gott ein, und vor allem niemals in eigentlichem Vertrauen. Lass dich mit den Menschen ein, und im Verein mit ihnen bilde dir dann ein, dass ihr euch mit Gott einlasst, weil ihr Gottes Namen nennt auf eine genauso nichtssagende Art, wie die Schnörkel geschrieben sind, mit denen die Ärzte ihre Rezepte versehen. 39 Nur alle acht Tage an Gott denken und seinen „Bückling“ machen, schütze nämlich vor Anfechtungen und würde auch dem Zustand und dem Bedürfnis der meisten Zuhörer einer Predigt entsprechen. Sich dagegen Tag und Nacht und unabhängig von der Meinung der Menschen so mit Gott einlassen, „dass er dein einziger Vertrauter wird“, sei gefährlich: Tænk Dig, at han så lod Dig i Stikken, naar Du havde forstaaet om ham, at han i Sandhed er den eneste Hjælper og derfor ikke brydt Dig om andre Hjælpere, tænk Dig, han lod Dig i Stikken, tænk Dig - at han ikke var til! Nei, hold Dig til Virkeligheden, gaa ikke for meget i Kirke, gaa hell. Aldrig ene ind til Gud, thi det er farligt, han kunde gjøre for stærkt et Indtryk, og det er hell. Ei juridisk rigtigt, thi i Forhold til Gud maa man bestandig see at have Noget at holde sig til at han ikke ganske gjør En til Intet. Beed aldrig til Gud i Eensomhed, alsdrig som Dit Hjerte vilde tilskynde Dig i grændseløs Tillid, nei lær visse Formularer udenad, hvorom Du med Sikkerhed veed, at Andre har med held benyttet dem. (SKS 20, 113, NB 187). [S]tell dir vor, er ließe dich dann im Stich, wenn du von ihm verstanden hättest, dass er in Wahrheit der einzige Helfer ist, und du dich deshalb um andere Helfer nicht gekümmert hättest; stell dir vor, er ließe dich im Stich, stell dir vor - es gäbe ihn nicht! Nein, halte dich an die Wirklichkeit, geh nicht zu oft in die Kirche, gehe auch niemals allein bei Gott ein, denn das ist gefährlich, es könnte einen zu starken Eindruck machen, und es ist auch von Rechts wegen nicht richtig, denn im Verhältnis zu Gott muss man stets zusehen, dass man etwas hat, woran man sich hält, damit er einen nicht ganz zunichte macht. Bete niemals zu Gott in der Einsamkeit, niemals wie es dir dein Herz eingeben möchte im grenzenlosen Vertrauen, nein, lerne bestimmte Formulare auswendig, von denen du mit Sicherheit weißt, dass andere sie mit Erfolg benutzt haben. 40 Derjenige, der „die Vertraulichkeit des Herrn“ („Herrens Fortrolighed“) par excellence besitzt, ist Hiob - so beschreibt ihn Kierkegaard in den Vier erbaulichen Reden von 1843 in einer womöglich eigenen Übersetzung des Buches Hiob 29,4 (SKS 5, 125). Insofern ist eindeutig, dass das Gottesvertrauen mit menschlich 39 Übersetzung zit. nach Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. [Anhang]: Die Tagebücher. 5 Bde. Hg. von Hayo Gerdes. Düsseldorf: 1962-1974, hier: Bd. II, S. 93. 40 Übersetzung vgl. Kierkegaard, Die Tagebücher. Bd. II, S. 94. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 100 gesehen unerklärlichem irdischem Leid verbunden ist, und es wird entsprechend ambivalent beschrieben. Irdisches Vertrauen macht das Leben „leichter, das heißt geschwätziger und flacher“, alleiniges Vertrauen zu Gott macht das Leben „entsetzlich angestrengt - aber soll es das nicht gerade sein? “ 41 Denn Stehlen würde den Armen auch das Leben leichter machen und ist dennoch nicht recht und nicht erlaubt. Freundschaftliches Vertrauen unter Menschen jedoch könne von den Sachen ablenken, die man tun würde, wenn man nur Gott zum Vertrauten hätte. Bei Kierkegaard stellt sich die Lessingsche Perspektive der Pluralität der Religionen insofern nicht ein, als sein Ziel die Individualisierung aller Glaubensinhalte ist. Die Subjektivisierung lässt sozusagen jeden Gläubigen seine eigene Religion haben, die eine Entwicklung des Potentials des Subjekts bedeutet und das Vergangene im Gegenwärtigen aktualisiert. Wenn die Religion, historisch gesehen, relativ ist, so wird sie, subjektiv gesehen, absolut. 42 Es wäre hier aus religionsgeschichtlicher Sicht allerdings berechtigt zu fragen, inwiefern der historische Charakter einer Religion überhaupt von ihrem Inhalt getrennt werden kann - doch diese Frage stellt sich für Kierkegaard nicht. Dagegen ist der angemessene Umgang mit der Überlieferung nach wie vor eine Frage, die Kierkegaard beschäftigt. Hier ist Misstrauen am Platz, denn eine Tagebuchnotiz mit dem Titel Christliche Revision (Christelig Revision) aus dem Jahr 1854 stellt Folgendes fest: Hvad i Endelighedens Verden Penge er, er aandeligt, Begreberne. Det er i disse alle Omsætningerne skee. Naar det nu saaledes gaaer hen fra Slægt til Slægt, at Enhver overtager Begreberne som han fik dem fra den foregaaende Slægt […]: saa afstedkommes det kun altfor let, at efterhaanden Begreberne forvanskes, blive noget ganske Andet end de oprindeligen vare, komme til at betyde noget ganske Andet, blive som falske Penge - medens dog ganske roligt alle Omsætninger vedblive at gjøres deri. […] Dog til den Forretning: at revidere Begreberne har Ingen Lyst. (SKS 26, 204). Was in der Welt der Endlichkeit das Geld ist, sind geistlich die Begriffe. In diesen werden alle Umsätze vollzogen. Wenn es nun so von Geschlecht zu Geschlecht geht, dass jeder die Begriffe übernimmt, so wie er sie von dem vorhergehenden Geschlecht empfangen hat […], so geschieht es nur allzu leicht, dass die Begriffe nach und nach verwischt werden, etwas ganz anderes werden, als sie ursprünglich waren, etwas ganz anderes zu bedeuten beginnen, ja, dass sie Falschgeld werden - während alle Umsätze doch ganz ungerührt 41 „I jordisk Forstand gjør nemlig megen Fortrolighed Livet lettere: mere piattet og pianket. Men har jeg Lov til at forjadske mit Liv paa den Maade. Ved kun at have Gud til Fortrolig bliver Livet rædsomt anstrenget - men skal jeg ikke netop Det.“ (SKS 20, 114, NB 188); Übersetzung vgl. Kierkegaard, Die Tagebücher. Bd. II, S. 95. 42 Vgl. hierzu auch Jan-Olav Henriksen: The Reconstruction of Religion. Lessing, Kierkegaard, and Nietzsche. Michigan, Cambridge: 2001, S. 72. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 101 weiterhin in ihnen vollzogen werden. […] Doch auf das Geschäft, die Begriffe zu revidieren, hat niemand Lust. 43 Denn die Leute nutzen ihre Zeit, um das Leben zu genießen und für das Erreichen konkreter, endlicher Ziele zu arbeiten, und sie werden durch die Begriffsfälschung nicht in ihrem egoistischen Interesse berührt, wie im Falle des gefälschten Geldes. Betrogen werde nur Gott. Und jeder verstehe, dass die Aufgabe der Revision die Opferung desjenigen, der sie übernehme, bedeute, denn dieser werde von ihr in Beschlag genommen und daran gehindert, sich, wie natürlich wäre, endlichen Zwecken zu widmen und sich mit den Begriffen nur flüchtig abzugeben. Doch weil die Revision immer dringlicher werde, müsse sich die Vorsehung eines Menschen bemächtigen, der dazu zu gebrauchen sei. Ein „christlicher Revisor“ habe die überlieferten religiösen Begriffe auf Falschgeld hin zu überprüfen. Dieser Revisor müsse ganz anders als die „ganze Quatschkompagnie der Pfarrer und Professoren“ („det hele Sludder-Compagnie af Præster og Professorer“) sein, aber kein Apostel, sondern eher der Gegensatz eines Apostels. Denn er bräuchte Intellektualität, die ein Apostel nicht braucht, 44 und sogar eine genaue Kenntnis der Gaunerstücke und Fälschungen, „fast als sei er der durchtriebenste aller Gauner“. Ein solcher Mensch kann auch nicht das Vertrauen genießen, das einem Apostel zukommt, sondern er müsste auf das Strengste kontrolliert werden. Zum Vergleich zieht Kierkegaard den Fall heran, in dem die Londoner Bank bemerken würde, dass falsche Banknoten zirkulierten, und zwar so gut nachgemachte, dass sie unendlich schwer zu erkennen seien. Keiner der Bankleute und Polizisten sei gut genug darin, sie zu erkennen, nur ein bereits verurteilter Verbrecher (Fälscher) könne dies, und jener werde dazu eingesetzt, freilich unter ständiger Aufsicht und unter Androhung des Todes. So auch der christliche Revisor. Doch während der Apostel die Aufgabe habe, die Wahrheit zu verkünden, sei es die Aufgabe des Revisors, die Fälschungen zu erkennen und somit unmöglich zu machen. Der Apostel sei edel, rein und einfältig, wie es einem Werkzeug des Heiligen Geistes geziemt, der Revisor habe ein zweideutiges Wissen; der Apostel arbeite frei, der Revisor unter Zwang. Keiner von ihnen habe ein Verdienst vor Gott, doch sei der Revisor als Sträfling einer, der Buße tue und somit das Negative abtragen müsse. Beide seien schließlich von Gottes Gnade auserwählt, der eine am Anfang, der andere zum Schluss. Während der Apostel von Gott nach Außen geschickt werde, müsse der Revisor zurück zu Gott führen. Weil es nun (ohne Wiederkehr Christi) keine neuen Apostel mehr geben kann, und die Verantwortung auf den Schultern der Menschen 43 Deutsche Übersetzung von Dorothea Glöckner zit. nach Tilman Beyrich: Ist Glauben wiederholbar? Derrida liest Kierkegaard. Berlin, New York: 2001, S. 46. 44 Dieses Thema diskutiert Kierkegaard ausführlicher in seiner Schrift Om Forskjellen mellem et Genie og en Apostel (Über den Unterschied zwischen einem Genie und einem Apostel) von 1845, die - näher am Katholizismus als am Protestantismus - die Wichtigkeit apostolischer Autorität betont. Vgl. Sören Kierkegaard: Einübung im Christentum. Zwei kurze ethischreligiöse Abhandlungen. Das Buch Adler oder Der Begriff des Auserwählten. Hg. von Walter Rest. München: 1977, S. 301-305. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 102 ruht, habe die Menschheit an die Perfektibilität des Christentums geglaubt - und dieses nur verfälscht und zu solcher Gottesferne gebracht, dass schon deswegen allein kein Apostel mehr möglich sei. Die Sünde sei heutzutage hauptsächlich Klugheit, und die Vorsehung begegnete ihr aufgrund der Verfälschung hauptsächlich mit Misstrauen, weswegen auch die Boten des Himmels nicht mehr frohe Boten seien (so wie die Polizei auch nicht mit Freuden empfangen wird) sondern Kenner der Unredlichkeit. Selbst diese würden zweideutig von der Vorsehung behandelt, da sie im Wesentlichen auch der allgemeinen Unredlichkeit angehörten. Neue Apostel zu erwarten, wie die zeitgenössische Christenheit in ihrer Zufriedenheit tue, sei also „die qualifizierteste Unverschämtheit“. Diese Entwertung der Begriffe und der sonstigen religiösen und kulturellen Kriterien durch Falschmünzerei und Geld oder Wechsel ohne Deckung ist ein wichtiges Motiv in Kierkegaards Schriften. 45 Die Geldmetapher charakterisiert im Tagebuch JJ (1842-1846) den gesamten wissenschaftlichen Betrieb, womit sicherlich auch an die Kopenhagener Theologische Fakultät gedacht wird, auf einer allgemeineren Ebene jedoch vermutlich auch auf die philosophische Entwicklung des Idealismus in Richtung einer immer stärkeren Betonung der Vorstellung angespielt wird: Det er gaaet i Videnskabernes Verden som i Handelens. Først skete Omsætningen in natura, siden opfandt man Penge; nu skeer i Videnskaben al Omsætning i Papirspenge, som intet Msk. bryder sig om uden - Professorer. (SKS 18, 149, JJ 18). Es ist in der Welt der Wissenschaften gegangen wie in der des Handels. Zuerst geschah der Umsatz in Naturerzeugnissen (in natura), später erfand man das Geld; jetzt geschieht in der Wissenschaft aller Umsatz in Papiergeld, um das sich kein Mensch kümmert außer den Professoren. 46 Die Inflation hat jedoch nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die modernen Metropolen insgesamt ergriffen, was humoristisch unter Anspielung auf den Warentausch in Naturprodukten (Vieh) und das definitorische Handelsprinzip der Knappheit (Seltenheit) illustriert wird. Für das Landleben gilt laut Kierkegaard, „dass so ungefähr zehn Kühe, fünfzehn Schafe, zwei Schweine und eine Menge Sperlinge auf einen Menschen zukommen - woraus man ersieht, dass ein Mensch etwas zu bedeuten hat“. In der Hauptstadt dagegen „kommen hundert Menschen auf eine Kuh, woraus man ersieht, dass eine Kuh etwas zu bedeuten hat“. Anders gelesen: die vielen Menschen haben keinen Wert. Denn die bittere Pointe folgt 45 Vgl. hierzu auch Beyrich: Ist Glauben wiederholbar? , S. 47, der außer einigen von den in diesem Aufsatz erwähnten Passagen auch entsprechende Stellen aus Furcht und Zittern, der Krankheit zum Tode, der Abschließenden unwissenschaftlichen Nachschrift, der Einübung im Christentum und dem Buch über Adler aufzählt. 46 Übersetzung vgl. Kierkegaard: Die Tagebücher. Bd. I, S. 288. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 103 gleich darauf: „Aber ungeachtet die in der Hauptstadt umlaufende Menschenmenge falsches Geld ist, so scheint sich doch niemand darum zu bekümmern - [rechte] Menschen zu werden […].“ 47 Dafür seien die Menschen intensiv darauf bedacht, sich zu vermehren. Auch die Kunst ist von dieser Wertunterscheidung erfasst; ‚Märchen‘ und Geld funktionieren auch bei Kierkegaard ähnlich und können unterschiedlich viel wert sein. In den Stadien des unmittelbar Erotischen oder das Musikalisch-Erotische (De umiddelbare erotiske Stadier eller det Musikalsk-Erotiske) aus Entweder-Oder (Enten- Eller) spricht A. am Beispiel von Mozarts Oper Don Giovanni von der „heiligen dramatischen Münzsorte: Handlung und Situation“ (SKS 2, 120; „den dramatiske hellige Møntsort: Handling og Situation“), die die innere Zirkulation eines gelungenen Dramas sichere und in der die ursprüngliche Stimmung des Autors, aus der das Stück entsprang, umgesetzt werde. Angespielt wird damit auf den hebräischen „Schekel des Heiligtums“ (oder heiligen Schekel), eine Tempelwährung zum Kauf der Opfertiere, die eigentlich ein Gewichtsmaß war, also auf eine Einheit, die - ähnlich wie die „alte Münze“ in Lessings Nathan - authentischer als Scheidemünzen wirkte. So ist für A., den fiktiven Autor und Ästheten, Mozarts Don Giovanni das höchste aller Werke, gewinnbringend, aber nicht im Sinne der alltäglichen bürgerliche Ökonomie, sondern einer geheiligten. Anders Molières Don Juan, wo der Titelheld von seinen Gläubigern verfolgt wird, was das Komische befördert, aber dem Stoff (der erotischen Unmittelbarkeit) nicht in der gleichen Weise gerecht wird wie Mozarts Oper und das Medium der Musik. Im Gegensatz zur „heiligen Münzsorte“ steht wohl auch die Gattung der Posse, die von Constantin Constantius in der Wiederholung (Gjentagelsen) mit einem verschwenderischen, unterhaltsamen, überraschungsvollen, bewusst nicht profitorientierten (und auch nicht heiligen oder rituellen) Umgang mit dem Geld und dem Gewinn , der vornehm als Unannehmlichkeit betrachtet wird, verglichen wird: dem Lotteriespiel. Es handelt sich um eine Gattung, die keine feste ästhetische Definition erträgt und anders als die hohe Kunst keine einheitliche Stimmung unter den Gebildeten hervorrufen kann: „Eine Posse sehen heißt für den Gebildeten gleichsam Lotterie spielen, nur dass man nicht die Unannehmlichkeit hat, Geld zu gewinnen.“ 48 47 „Livet paa Landet har dog den Behagelighed, at der gaaer 10 Køeer, saa omtrent, 15 Faar, 2 Sviin, en Mængde Spurver paa eet Msk - hvoraf man seer, at et Msk. har noget at betyde. I Hovedstaden gaaer der 100 Msk. paa een Koe, hvoraf man seer at en Koe har Noget at betyde. Men uagtet den i Hovedstaden circulairende Mske-Masse er gale Penge, saa synes dog Ingen at bryde sig om - at blive Menneske, men derimod ere de fleste Msker giftesyge, og de respektive Ægteskaber i travl Virksomhed - for at der kan blive endnu flere Msker.“ (SKS 18, 304); Übersetzung vgl. Kierkegaard: Die Tagebücher. Bd. II, S. 42-43. 48 „At see en Posse er for den Dannede ligesom at spille i Lotteriet, kun har man ikke den Ubehagelighed at vinde Penge.“ (SKS 4, 34). Übersetzung vgl. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 5.-6. Abteilung: Die Wiederholung. Drei erbauliche Reden 1843. Düsseldorf: 1955, S. 33. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 104 Diese Perspektive ist auch in den Vorworten (Forord) des fiktiven Autors Nicolaus Notabene erkennbar, einer Apologie des Vorwortes als Gattung für sich, unabhängig von den mit dem Vorwort versehenen Texten, die dieses nicht mehr brauchen, weil inzwischen ein Buch mit der Sache und ein System (hegelianisch) mit dem Nichts anfange. Wer ein Vorwort schreibt, sei insofern immer froh und sorglos, wie ein „leichtsinniger Taugenichts, ja eine unmoralische Person, denn er geht nicht auf die Börse, um Geld zusammenzuscharren, sondern geht nur durch sie hindurch“, und er besorgt auch keine Geschäfte für das System; „er bezahlt nicht die Staatsschuld ab, ja er wird nicht einmal ihretwegen ernst“. 49 Diese romantische Perspektive wird der philisterhaften ökonomischen entgegengesetzt, wobei mit dem Hinweis auf das freiwillige Engagement für die Abbezahlung der Staatsschulden, die 1836 vierzig Prozent des dänischen Staatsbudgets einforderte, auch die Spenden vieler Theologen aus dem Umfeld Grundtvigs gemeint sind (darunter Kierkegaards Bruder Peter Christian). Ein Autor, der nur Vorworte schreibt, spekuliere auf keinen Ertrag aus seiner Schriftstellerei und beteilige sich nicht an der Akkumulation bestimmter Kenntnisse. Ja, Nicolaus Notabene betont am Schluss des siebten Vorwortes, dass ihn, wie Johann Georg Hamann , dessen Brief an Herder vom 6. Februar 1785 er zitiert, ein „furor uterinus“ gegen den Wissenschafts- und Literaturbetrieb zu den meisten Vorworten getrieben habe: „Anstatt Geld zu nehmen, hätte ich lieber Geld gegeben, und das Widerspiel von andern Schriftstellern getrieben.“ (SKS 4, 507). Da er kein Schriftsteller werden wolle und nicht den Leuten das Geld durch Betrug wegnehmen wolle, wäre er auch bereit, den Lesern das Geld zurückzuzahlen, falls sie in seinem Buch eine Verbindung zum System fänden. Die Darstellung einer Kreativität, die - vielleicht nach dem Vorbild der allegorischen Figur Plutus in Goethes Faust II 50 - ihren Reichtum verschwendet und 49 „ […] altid glad og sorgløs, fornøiet med sig, ret en letsindig Døgenicht, ja en umoralsk Person, thi han gaaer ikke paa Børsen for at skrabe Penge sammen, men gaaer kun derigjennem; […] han render ikke Ærender for Systemet; han afbetaler ikke Statsgjelden, ja han bliver end ikke alvorlig derover.“ (SKS 4, 470). Zum Kontext der bürgerlichen Spendenaktionen zur Abbezahlung der Staatsschulden vgl. den Herausgeberkommentar zu dieser Stelle. 50 Vers 5520-5639 - Goethes Darstellung des Einbruchs der neuzeitlich-kapitalistischen Ökonomie in die mittelalterliche Welt des Kaiserhofes und der mephistophelischen Erfindung der Assignaten ist bekanntlich von John Laws gescheitertem Experiment mit Papiergeld in Frankreich inspiriert. Die neue Ökonomie, die nicht mehr nach dem Metallwert schaut, fordert jedoch auch eine bestimmte Form der Kreativität, und die Assoziation des Plutus mit dem Knaben Lenker (der Poesie als Verschwendung und Selbstverschwendung) im Maskenzug deutet auf die Auseinandersetzung mit dem neuen Verhältnis Geld-Literatur und der inhärenten Illusion hin. Für Goethes Geldmetaphorik ist auch der Aufsatz mit dem Titel Symbolik aus der Allgemeinen Naturlehre II (1791) kennzeichnend: „Verba valent sicut numi. Aber es ist ein Unterschied unter dem Gelde. Es gibt goldene, silberne, kupferne Münzen und auch Papiergeld. In den erstern ist mehr oder weniger Realität, in dem letzten nur Convention. Im gemeinen Leben kommen wir mit der Sprache nothdürftig fort, weil wir nur oberflächliche Vehältnisse bezeichnen. Sobald von tiefern Verhältnissen die Rede ist, tritt Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 105 verjubelt, spielt bereits in der Wechselwirtschaft (Vexel-Driften) aus Entweder-Oder eine wichtige Rolle, wo A. zur Vertreibung der Langeweile dem Staat vorschlägt, statt der Schuldenzahlung und Sparsamkeit lieber eine Anleihe von 15 Millionen zu machen und damit in einer Feier des tausendjährigen Reiches herrlich und in Freuden zu leben (SKS 2, 276-277). Alles sollte gratis sein - Theater, Bordell, Tiergarten, Begräbnis und Leichenrede - und statt den Büchsen, in denen man normalerweise Geld hineinwerfen soll, müssten überall Büchsen und Schalen herumstehen, aus denen man Geld herausnehmen könnte. Die Künste würden entsprechend florieren. Nicht Inflation, sondern Abschaffung des Besitzes wäre die Folge dieser sozialsatirisch-ekstatischen Perspektive des Wohlstandes, was jedoch sogleich ironisch gebrochen wird: Für den Erzähler und Erfinder dieses Vorschlags muss eine Ausnahme von der Besitzlosigkeit gemacht werden, „100 Taler pro Tag, zahlbar in der Londoner Bank“, damit er eine neue Idee bekäme, wenn die Millionen alle wären. Diese besteht dann auch darin, sich des persischen Schachs zu bemächtigen, der, vom Reichtum und Glanz Kopenhagens angelockt, sich dort ansiedeln würde, und ihn an die Türken zu verkaufen, die ihn zu Geld zu machen wüssten. Dann würde Dänemark den Ausschlag im europäischen Gleichgewicht geben. Neben dieser Ironisierung des Selbstbewusstseins des (inzwischen) kleinen dänischen Staates spielen die Kleinheit Dänemarks und seine vom Staatsbankrott immer noch geschwächte Ökonomie aber auch für die Kritik der pseudonymen Autoren am literarischen Betrieb und am Verlagswesen eine Rolle. Sogenannte „Stüberfänger“ („Styverfængere“), Autoren, die nur für Geld schreiben (und sei es für noch so wenig wie die niederländische Scheidemünze Stuiver, die einen geringen Wert besaß), gäbe es in Dänemark kaum, weil das Land klein sei, weswegen auch ein Fremdwort zu ihrer Benennung nötig wäre, meint Frater Taciturnus in den Stadien auf des Lebens Weg (Stadier paa Livets Vej). Und er fügt ironisch hinzu, dass, weil es in Dänemark kaum Leser gäbe und man als Autor nichts verdiene, die Hoffnung bestehe, dass eines Tages die Autoren sogar fürs Schreiben zahlen müssten, und der Beruf dort zu besonderen Ehren kommen könnte, weil ihn sich nicht ein jeder leisten könne (SKS 6, 452). In den Tagebüchern wird das Verhältnis zur Massenliteratur weniger ironisch, dafür aber bitterer und mit einer Parallele zur Situation der Theologie geschildert. Kierkegaard, der bis 1847 seine Bücher auf eigene Kosten drucken lies und sie danach in Kommission gab, betont 1846, dass das Geistige nicht ganz zu einem äußeren finanziellen Verhältnis ausarten und nur als Ware angesehen werden dürfe. Ein Autor sollte darum als sein eigener Verleger auftreten, denn es sei eine Frechheit und unsittlich, dass ein anderer Verleger, der sich ausschließlich vom Buch als Ware ernähre, den Autor als Kaufmann betrachte und Macht über diesen habe, so wie das Publikum durch sein Geld Macht über den Verleger habe. Ähnlich unverschämt wäre es, wenn ein Pfarrgutverwalter sich in das Verhältnis des Pfarrers zur Gemeinde sogleich eine neue Sprache ein: die poetische.“ Zitiert nach Goethes Werke. Weimarer Ausgabe. Weimar: 1896, Bd. 11, S. 167. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 106 einmischte, um ihm entsprechend den Inhalt seiner Predigten zu diktieren, und zwar mit der Empfehlung, der Gemeinde zu schmeicheln, damit möglichst viele zum Gottesdienst kommen und viel spenden. Im Unterschied zu einem solchen schamlosen Verwalter werde der Verleger aber zusätzlich auch noch von den gesamten „Lohndienern der Tagespresse“ unterstützt. Wenn der Dichter dagegen selbst das Geldliche übernehme, dann wäre mehr Scham und nicht soviel Frechheit dabei. „Aber ohne Scham gibt es kein wahres Geistesverhältnis. Wie aber soll die mögliche Scham des Schriftstellers dem Leser zugute kommen, wenn sie durch diese Welt von Frechheit hindurch muss: Geld, Geld, Geld, die Forderung der Zeit, Geld, Geld.“ 51 Bei einer solchen starken Verlagerung des monetären Diskurses auf den Bereich des Literarischen und Theologischen stellt sich die Frage, wie Kierkegaard seine eigene literarische Strategie der Pseudonymität und des Publizierens unter eigenem Namen in diesem Sinn wertete. Das Bild des „christlichen Revisors“ bezieht sich zweifelsohne auf seine eigene Tätigkeit. Nun hat zwar der Revisor eine hermeneutische Aufgabe, indem er zurück zur ursprünglichen Bedeutung der Begriffsmünzen führen soll. Aber er ist kein Apostel und kann keine neuen Goldmünzen im Umlauf bringen. Ein Apostel würde in direkter Kommunikation Neues verkünden, aber Apostel können nie wieder kommen. Der Revisor muss die existierenden Begriffe der Kritik unterziehen, sie gleichzeitig aber auch verwenden, denn er hat nicht die Autorität, neue zu schaffen. Durch seine Benutzung soll er zugleich ihre Unbenutzbarkeit demonstrieren und er muss, um Fälschungen aufzudecken, selbst Falschgeld weiterreichen. 52 In seiner programmatischen Schrift Der Gesichtspunkt für meine Wirksamkeit als Schriftsteller. Eine unmittelbare Mitteilung. Meldung an die Geschichte (Synspunktet for min Forfatter-Virksomhed. En ligefrem Meddelse, Rapport til Historien) von 1859 deutet Kierkegaard seine schriftstellerische Tätigkeit in diesem Sinne. Rückblickend behauptet er, dass der Gesamtgedanke seiner schriftstellerischen Wirksamkeit von Anfang an derjenige gewesen sei, ein Christ zu werden. 53 Er habe mit der ästhe- 51 „Men uden Undseelse intet sandt Aands-Forhold; men hvor skal Forfatterens mulige Undseelse komme Læseren til Gode, naar den skal gaae igjennem dette Medium af Frækhed: Penge, Penge, Penge, Tidens Fordring, Penge, Penge.“ (SKS 18, 302). Übersetzung vgl. Kierkegaard, Die Tagebücher, Bd. II, S. 41. 52 Vgl. hierzu auch Beyrich: Ist Glauben wiederholbar? , S. 46-52 und S. 61-110. Beyrich zieht auch eine Parallele zu Jacques Derridas Interpretation der Erzählung La fausse monnaie (Das falsche Geldstück) von Charles Baudelaire, um auf die Problematik der Gabe hinzuweisen, die gleichzeitig Falschgeld sein kann, und um die Frage nach der Möglichkeit einer nichtkalkulierten Gabe zu stellen. 53 Diese Behauptung wird durch die Forschung, die die Genese seiner ersten Werke untersuchte, relativiert und im Nachhinein als nachträgliches Hineininterpretieren gedeutet. Zur Bedeutung des Ästhetischen (nicht nur als ‚Täuschung‘) bei Kierkegaard vgl. u.a. Poul Erik Tøjner u.a. (Hg.): Kierkegaards æstetik. Kopenhagen: 1995. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 107 tischen Schriftstellerei begonnen, um die Leute da abzuholen, wo sie waren. Das Kapitel I, § 5 trägt insofern den Titel Dass die gesamte ästhetische Schriftstellerei, im Ganzen der Schriftstellerei angesehen, eine Täuschung ist, jedoch in einem eigenen Sinne. Die tiefere Bedeutung der Pseudonymität wäre insofern der Hinweis auf die ästhetische Schriftstellerei als Täuschung. Dog et Bedrag, det er jo noget stygt Noget. Hertil vilde jeg svare: man lade sig ikke bedrage af det Ord „Bedrag“. Man kan bedrage et Menneske for det Sande , man kann, for at erindre om den gamle Sokrates, bedrage et Menneske i det Sande. Ja, egentligen kan man kun ene paa denne Maade bringe et Menneske, der er i en Indbildning, ind i det Sande, ved at bedrage ham. (SKS 16, 35) Aber eine Täuschung, das ist ja ein hässlich Ding. Darauf würde ich antworten: man lasse sich von dem Wort „Täuschung“ nicht täuschen. Man kann einen Menschen täuschen über das Wahre, und man kann, um an den alten Sokrates zu erinnern, einen Menschen hineintäuschen in das Wahre. Ja, eigentlich vermag man einzig und allein auf diese Weise einen Menschen, der in einer Einbildung befangen ist, in das Wahre hineinzubringen, dadurch nämlich dass man ihn täuscht. 54 Man beginne damit, die Einbildung des andern , dass das Christliche das Ästhetische sei, für bare Münze zu nehmen, indem man nicht etwa „ich bin Christ, du bist kein Christ“ sage, sondern „du bist Christ, ich bin kein Christ“. Dazu müsse man aber ein Dialektiker sein und alles „in Reflexion“ verstehen. Das Vorbild des Sokrates weise darauf hin. Denn Sokrates „hat alles in Reflexion verstanden. Und diese Frage hier ist rein dialektisch, es ist die Frage nach dem Gebrauch der Reflexion in der Christenheit“. 55 Der Verweis auf Sokrates lässt aufhorchen, denn Kierkegaard hatte schon in seiner Dissertation Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates (Om Begrebet Ironi med stadigt Hensyn til Sokrates, 1841) darauf hingewiesen, dass Sokrates deswegen kein Geld für seinen Unterricht nahm, weil die Ironie , die er zum ersten Mal in der Geschichte verkörperte, die unendliche absolute Negativität ist, also nichts Substantielles und Positives, wofür Geld zu nehmen wäre. At der nu i Ironikeren, for atter at erindre herom, er en Urgrund, et Valuta, det er udisputeerligt, men den Mønt, han udgiver, har ikke den paalydende Værdi, men er som Papirspenge et Intet, og dog foregaaer hele hans Omsætning med Verden i denne Pengesort. (SKS 1, 112) Dass nun, um wieder daran zu erinnern, im Ironiker ein Urgrund, ein beständiger Wert vorhanden ist, kann nicht bestritten werden, jedoch das Zahlungsmittel, das er ausgibt, hat nicht den inneren Wert, auf den es lautet, sondern ist dem Papiergelde gleich ein Nichts, und gleichwohl benutzt er in seinem ganzen Verkehr mit der Welt diese Münzsorte. 56 54 Kierkegaard: Die Schriften über sich selbst. Düsseldorf: 1964, S. 48. 55 SKS 16, 36; Übersetzung vgl. Kierkegaard: Die Schriften über sich selbst, S. 49. 56 Übersetzung vgl. Sören Kierkegaard: Über den Begriff der Ironie mit ständiger Rücksicht auf Sokrates. (Gesammelte Werke, 31. Abteilung). Düsseldorf, Köln: 1961, S. 52. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 108 Die Sophisten dagegen, die Geld für ihre Lehre nahmen und laut Kierkegaard das mannigfaltige und zusammenhanglose Wissen repräsentieren, das mit dem Aufwachen der Reflexion sich aus der substantiellen Sittlichkeit losreist, waren überall „wie falsches Geld“ („ligesom gale Penge“). 57 Sie repräsentieren insofern einen anderen Grad des ungedeckten Geldes (eine andere Form der Täuschung) als Sokrates, und es ist auch widersinnig, dass sie gutes Geld für ihr falsches Geld fordern. Sie täuschen eben nicht „hinein in das Wahre“. Indem Kierkegaard seine „indirekte Mitteilung“ mit dem Wirken des Maieutikers und Ironikers Sokrates vergleicht, der als Zahlungsmittel nicht seinen (vorhandenen) Wert ausgibt, sondern das „Nichts“ des Papiergeldes, überrascht es nicht, dass Kierkegaard sich in einem Tagebucheintrag aus dem Jahr 1843 als ungedeckten Geldschein definierte, der an und für sich schon einen Wert („etwas Großes“) habe, jedoch aufgrund der Konjunktur nur wenig gelte: 1813 blev jeg født i det gale Pengeaar, da saa mangen anden gal Seddel blev sat i Circulation. Og en saadan Seddel synes min Existents bedst at kunne sammenlignes med. Der er Noget ved mig som var jeg noget Stort, men paa Grund af de gale Conjunkturer gjelder jeg kun lidet. Og en saadan Seddel blev stundom en Families Ulykke. (SKS 18, 203-204) Ich wurde 1813 geboren, in dem verrückten Geldjahr, in dem so viele andere falsche Scheine im Umlauf gesetzt wurden. Und es scheint, mit einem solchen Schein könne mein Dasein am besten verglichen werden. Es ist etwas an mir, als sei ich etwas Großes, aber aufgrund der verrückten Umstände gelte ich nur wenig. Und ein solcher Schein wurde zuweilen das Unglück einer Familie. 58 Auch wenn hier die Schuld eher am Staatsbankrott zu liegen scheint als am eigenen Willen (der eigenen Fälschung), so muss bedacht werden, dass der christliche Revisor als Falschmünzer auch erst auf bereits vorhandene Fälschungen seinerseits mit Fälschung reagiert. Das Bild des Falschmünzers und des bereits gefälschten Geldes, das er abschaffen will, aber zunächst verbreitet, lässt an die spätere Kritik Friedrich Nietzsches am klassischen korrespondenztheoretischen Verständnis von Wahrheit als Übereinstimmung zwischen dem Begriff und dem dadurch beschriebenen Sachverhalt der objektiv-realen Welt denken. 59 In der postum erschienenen Schrift Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne (1872) wird diese folgendermaßen formuliert: 57 SKS 1, 248. Übersetzung vgl. Kierkegaard: Über den Begriff der Ironie, S. 203. 58 Übersetzung vgl Kierkegaard: Die Tagebücher, S. 323. 59 Vgl. hierzu auch Beyrich: Ist Glauben wiederholbar? , S. 47 und 49. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 109 [D]ie Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, dass sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind, Münzen, die ihr Bild verloren haben und nun als Metall, nicht mehr als Münzen in Betracht kommen. 60 Nietzsches Denken ist in der Tradition der historisch-kritischen Philologie verwurzelt, 61 die auch für Kierkegaards Perspektive auf die Wahrheitsfrage entscheidend war. Doch während Kierkegaard in seinem Vergleich zwischen dem Geld und den Begriffen eine ursprüngliche Wahrheit voraussetzt, die verfälscht worden ist, bedeutet für Nietzsche der Ursprung selbst eine Illusion, und die Verfälschung besteht darin, diese vergessen zu haben und sie für die Wahrheit zu halten. Nietzsche benutzt den Begriff ‚Falschmünzer‘ an mehreren Stellen in seinen Schriften, 62 doch prangert er nicht eine Verfälschung des Christentums wie bei Kierkegaard an, sondern die christliche Weltanschauung selbst (die platonisch-christliche Allegorese, für die der Apostel Paulus maßgeblich war). Wenn Nietzsche von einer „Umwertung aller Werte“ spricht, dann ist der Handelnde kein christlicher Revisor wie bei Kierkegaard. Für Nietzsche sind die metaphysischen Werte gefälscht, weil sie auf eine Welt Kredit geben, die gar nicht existiert, wie auch die Priester sehr wohl wissen. Der Apostel Paulus (eine der Lieblingsgestalten Kierkegaards) wird in Nietzsches Schrift Der Antichrist (1888) als „Dysangelist“ (Verkündiger einer schlechten Botschaft) und als einer der Hauptverursacher der Falschmünzerei durch Allegorese dargestellt: „Das Leben, das Beispiel, die Lehre, der Tod, der Sinn und das Recht des ganzen Evangeliums — Nichts war mehr vorhanden, als dieser Falschmünzer aus Hass begriff, was allein er brauchen konnte. Nicht die Realität, nicht die historische Wahrheit! “ 63 Denn er habe den Unsterblichkeitsglauben erfunden. Die „Umwertung aller Werte“ soll stattfinden, indem neue Werte zur Werteinflation führen, dann zu einem neuen Währungssystem, in dem die alten Münzen außer Kraft gesetzt werden. Falschmünzerei ist die Einführung neuer Werte nur, wenn man nur die alten Werte anerkennt, die neuen nicht in Zahlung nimmt und sie für die Verwirrung verantwortlich macht. Die Umprägung soll ein neues Münzbild schaffen, denn sklavische Werte sind gut, aber nur für sklavische Naturen. Gemeinsam für Kierkegaard und Nietzsche bleibt jedoch, neben der Problematisierung der aktuellen Begriffe, auch die Kritik aus dem Inneren des aktuellen Sprach- und Begriffsystems. Um das System der falschen Münzen zu entlarven, wird 60 Friedrich Nietzsche: „Über Wahrheit und Lüge im außermoralischem Sinne“. In: Ders.: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe (KSA). Hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 1: Die Geburt der Tragödie. Unzeitgemäße Betrachtungen I-IV. Nachgelassene Schriften 1870-1873. Berlin, New York: 1980, S. 880-881. 61 Vgl. Benne: Nietzsche und die historisch-kritische Philologie und, zur Verbindung Reimarus- Strauß-Nietzsche, Vollhardt: Reimarus, Lessing und einige der Folgen, S. 14-16. 62 Die betreffenden Stellen werden eingehend von Benne und Sommer analysiert. Vgl. Benne: Nietzsche und die historisch-kritische Philologie, insbesondere S. 35, S. 42 und S. 101-106; und Sommer: Friedrich Nietzsches ‚Der Antichrist‘, S. 154-166. 63 Friedrich Nietzsche: „Der Antichrist“. In: Nietzsche, Friedrich: Sämtliche Werke. Kritische Studienausgabe (KSA). Hg. von Giorgio Colli und Mazzino Montinari. Bd. 6: Der Fall Wagner. Götzen-Dämmerung. Der Antichrist. Ecce homo. Dionysos-Dithyramben. Nietzsche contra Wagner. Berlin, New York: 1988, S. 216. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 110 es in subversiver Weise benutzt und vermehrt. Eine Kritik von außerhalb wäre nicht möglich. Außerdem haben sich womöglich beide in ihrer Metaphorik von einer Anekdote über Diogenes, den Kyniker, inspirieren lassen, die Diogenes Laertios in den Leben und Meinungen berühmter Philosophen erzählt, und die auf die Ambiguität des Wortes (‚Münze‘ oder ‚Wert‘) im Altgriechischen basiert. 64 Diogenes habe das Orakel von Delphi befragt, ob er, wie aufgefordert, das ändern dürfe, und als der Gott ihm die Änderung der staatlichen Ordnung ( ò ) erlaubte, fasste dieser es anders auf, fälschte die Münze ( ), wurde gefasst und musste in die Verbannung gehen. 65 Wenn der „christliche Revisor“ bei Kierkegaard die überlieferten Denkgewohnheiten durch „Falschmünzerei“ überschreiben muss, dann kann er keine absolute Änderung des Bestehenden wollen oder erreichen, keine ganz neue Alternative, sondern nur ein „Korrektiv“, wie er es selber in einer Notizbuchaufzeichnung von 1850 nannte. 66 Als „Korrektiv“ (des Katholizismus) sah er auch den gesamten Protestantismus an. 67 Dieser habe als Korrektiv und nicht als Paradigma seine historische Berechtigung (wie ein Gerüst, das ein altes Gebäude am Auseinanderfallen hindere, aber auch selber ohne das Gebäude nicht stehen könnte). Man dürfe jedoch aus einem Korrektiv nicht undialektischerweise ein Normativ machen, denn in der zweiten Generation bringe es dann schon das Gegenteil dessen hervor, was man in der ersten Generation damit beabsichtigt hatte. Luther sei aber kein Dialektiker gewesen und habe immer nur eine Seite der Sache gesehen, darum auch das Umschlagen der Reform ins Gegenteil (Weltlichkeit und Heidentum). Die sokratische Perspektive des Falschmünzers jedoch sollte dialektisch sein. Gibt es trotzdem einen Ausweg aus der Welt des falschen Geldes und aus der Falschmünzerei? Es wird eindeutig, dass dieser nicht vom Falschmünzer kommen kann, wenn er jenseits des Tausches, der Kalkulation und der Ökonomie sein soll. Er kommt von Gott, und ist die gute und vollendete Gabe, von der Jakob 1,17-22 spricht, eine Bibelpassage, die Kierkegaard „seine erste Liebe“ und gar „seine einzige 64 Vgl. Christoph Jungk: „NOMISMA - Geld und Geltendes“. In: Festschrift, Herbert A. Cahn zum 70. Geburtstag gewidmet. Hg. von Beatrice Schärli und Hans Voegtli. Basel: 1985, S. 55- 77 sowie, zur Rolle dieser Anekdote bei Nietzsche, Sommer: Sommer, Friedrich Nietzsches ‚Der Antichrist‘, S. 155. Kierkegaard verwendete die Leben und Meinungen berühmter Philosophen von Diogenes Laertios durchgehend in seinen Werken, und in den Vier erbaulichen Reden von 1844 bezieht er sich auf das Diogenes-Kapitel, wenngleich nicht auf diese Anekdote. 65 Diogenes Laertius: Leben und Meinungen berühmter Philosophen. Buch I-X. Hg. von Klaus Reich. Hamburg: 1967, Bd. 1, S. 304-305. 66 SKS 24, 74. Vgl. hierzu Beyrich, Ist Glauben wiederholbar? , S. 49-50. 67 SKS 25, 279; Kierkegaard, Die Tagebücher, Bd. 5, S. 171-173. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 111 Liebe“ nannte 68 und der er vier erbauliche Reden und eine Predigt widmete, von zahlreichen anderen Verweisen darauf ganz abgesehen. Sie steht außerhalb der Ökonomie, auch wenn sie nach wie vor im Rahmen der Geldmetaphorik beschrieben werden kann, wie etwa in den Zwei erbaulichen Reden von 1843: ‚Al god og al fuldkommen Gave er ovenfra og kommer ned fra Lysenes Fader, hos hvem der ikke er Forandring eller Skygge af Omskiftelse‘. Disse Ord ere saa fattelige, saa eenfoldige, og dog hvor Mange vare de, der ret forstode dem, ret forstode, at de vare en Skuemønt, der er herligere end alle Verdens Skatte, men ogsaa en Skillemønt, der er brugelig i Livets daglige Forhold. (SKS 4, 47). ‚Alle gute und alle vollkommene Gabe kommt von oben herab, von dem Vater des Lichts, bei welchem ist keine Veränderung, noch Wechsel des Lichts und der Finsternis‘. Diese Worte sind so fasslich, so einfältig, jedoch, wie viele mag es wohl geben, die sie recht verstehen, die recht verstehen, dass sie eine Schaumünze sind, herrlicher denn alle Schätze der Welt, aber auch eine Scheidemünze, die brauchbar ist in den alltäglichen Verhältnissen des Lebens. 69 Die Gabe verwandelt selbst die Münzen (die Worte, die von ihr berichten,) in etwas Positives und Wertvolles, seien sie noch so einfach, wenn man die Bibelworte nicht nur versteht, sondern sie sich auch existenziell aneignet. Schließlich ist die richtige Bibelauslegung selbst eine Gabe Gottes, so wie alles, was der Mensch hat, und in den Erbaulichen Reden über Jakob 1,17-22 wird entsprechend das Erkennen der Gabenstruktur des Seins als höchste Form der Wahrheitserkenntnis dargestellt. Gott selbst ist Wissen, heißt es in den Vier erbaulichen Reden (Fire opbyggelige Taler) von 1843, jedoch „Mitwissen mit der Gabe in jeglichem Augenblick“, denn Gottes „Wissen ist nichts anderes denn sein Geben“, und Gott ist „der Einzige, der da, indem er gibt, schon gegeben hat“ (SKS 4, 136-137). 70 Sein Geben ist ein Überfluss der Fülle, eine ständige Schöpfung. Die Gabe Gottes gibt insofern nichts anderes außer dem Geben selbst, und darum steht sie auch außerhalb der Ökonomie und des Tausches. Freilich ist die Erkenntnis der Gabe nicht einfach; es ist schwer, zu akzeptieren, dass Glück und Unglück gleichermaßen gute und vollkommene Gaben sind, und wie Hiob im Augenblick des Verlustes nicht zu vergessen, dass das verlorene Gut als Gabe zuteil geworden war, damit man auch auf den Verlust mit Dankbarkeit reagiert. Denn zwischen der Liebe zu Gott und der Dankbarkeit besteht ein enger Zusammenhang; und in der Annahme der Liebe Gottes zum Menschen (der Gabe) ist die Liebe des Menschen zu Gott begründet, wie die Rede Alle gute und vollkommene Gabe kommt von oben herab (Al god og al fuldkommen Gave er overfra) aus dem Band Zwei erbauliche Reden (To opbyggelige Taler) von 1843 betont. 68 Søren Kierkegaard: „Aufzeichnung XI 3B 291,4“. In: Søren Kierkegaards Papirer. Hg. von P.A. Heiberg. Bd. XI: 3. Kopenhagen: 1968, S. 438. 69 Übersetzung vgl. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 2. und 3. Abteilung: Entweder-Oder. Zwei erbauliche Reden 16.V.1843. Düsseldorf: 1957, S. 414-415. 70 „Medviden med Gaven i ethvert Øieblik“; „hans Viden er ikke en anden end hans Given“; „den Eneste, der, idet han giver, allerede har givet“; Übersetzung vgl. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 7.-9. Abteilung: Erbauliche Reden 1843/ 44. Düsseldorf: 1957, S. 30. Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 112 Gud kan et Menneske i Sandhed kun elske, naar han elsker ham efter sin Ufuldkommenhed. Hvilken er denne Kjærlighed? det er Angerens, der er skjønnere end al anden Kjærlighed; thi i den elsker Du Gud! trofastere og inderligere, end al anden Kjærlighed; thi i Angeren er det Gud, der elsker Dig. I Angeren modtager Du Alt af Gud. (SKS 4, 53). Und Gott kann ein Mensch in Wahrheit allein lieben, wenn er ihn liebt gemäß seiner Unvollkommenheit. Welches ist diese Liebe? Es ist die der Reue, und sie ist schöner als alle andre Liebe, denn in ihr liebst du Gott; und sie ist treuer und inniger als alle andre Liebe, denn in der Reue ist es Gott, der dich liebt. In der Reue empfängst du alles von Gott. 71 Dies ist eine schmerzhafte Erfahrung für den Erkennenden, weil statt des Strebens nach Selbstbegründung die Verinnerlichung des Schenkens Gottes, das allem anderen vorausgeht, stattfinden muss, und dieses hängt mit der Erkenntnis zusammen, dass man ein Nichts ist, und auch nichts besitzt, eben ein falscher (ungedeckter) Wechsel ist: Dergestalt kann ein Mensch in äußerlicher Hinsicht sogar, wie wir sagen, in umfassender Tätigkeit begriffen sein; er gibt jedem das Seine, entwirft Tag für Tag neue Pläne, seine Wirksamkeit greift immer mehr um sich, aber dazu, seine Rechenschaft aufzustellen, fand er niemals Zeit, das wäre ja ein überflüssiger Aufenthalt. Da zog das Leben vielleicht eine unerwartete Forderung auf ihn, die er nicht bezahlen konnte, und mit Entsetzen entdeckte er, dass er nichts zu eigen hatte. 72 Die hier zitierte Rede mit dem Titel Seine Seele bewahren in Geduld (At bevare sin Sjæl i Talmodighed) aus den Zwei erbaulichen Reden (To opbyggelige Taler) von 1844 handelt von Lukas 21,19. Sie hat ein Pendant in der Rede Seine Seele erwerben in Geduld (At erhverve sin Sjæl i Talmodighed) aus den Vier erbaulichen Reden von 1844. Kierkegaard betont darin, dass das Erkennen nicht der Erwerb ist, aber dass die Erkenntnis, dass die Seele des Menschen ihm nicht gehört, zur Geduld verhilft, die zum Erwerben der eigenen Seele nötig ist. Nur Selbstkämpfe und Anfechtungen führen zu dieser Selbsterkenntnis, doch die Reue ist nicht nur Schmerz, denn sie ist gleichzeitig Liebe. Und selbst wenn die Menschen unterschiedlich begabt sind und unterschiedliche Vermögen haben: im Augenblick des Entschlusses sind alle gleich. Wer dies erkennt, muss danach trachten, gegen die Versuchung zu kämpfen, selber anderen Menschen gegenüber als Geber in Erscheinung treten zu wollen und dabei doch etwas zu nehmen (etwa ihr Wohlwollen, ihre Dankbarkeit oder gar Unterwürfigkeit). Denn es wäre keine Gabe mehr, sondern ein (ungerechter) Tausch, eine falsche Gabe, die wieder den Kreislauf des Ökonomischen öffnet. 71 Übersetzung vgl. Kierkegaard: Zwei Erbauliche Reden 16.V.1843, S. 421-422. 72 „Saaledes kan et Menneske i udvortes Henseende sidde endog, som vi sige, i stor Bedrift; han giver Enhver Sit, udkaster Dag fra Dag nye Planer, hans Virksomhed griber mere og mere om sig, men sit Regnskab fik han aldrig Tid at opgjøre, det var jo en overflødig Sinkelse. Da trak maaskee Livet en uventet Fordring paa ham, som han ikke kunde betale, og med Forfærdelse opdagede han, at han Intet eiede.“ SKS 4: 191; Übersetzung vgl. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 7.-9. Abteilung: Erbauliche Reden 1843/ 44. Übersetzt von Emanuel Hirsch. Düsseldorf: 1957, S. 102-103. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 113 Du, der vil ængste den Trængende i Underkastelse, frygter Du ikke for, at han med et eneste Ord skal tage Glandsen fra al Din Herlighed og gjøre Dit Sølv og Guld til en falsk Mønt, som Ingen vil modtage? (SKS 4, 148). Du, der du den Bedürftigen in die Unterwürfigkeit hineinängstigen willst, fürchtest du nicht, dass er mit einem einzigen Wort von aller deiner Herrlichkeit den Glanz nehme und dein Silber und Gold zu einer falschen Münze mache, die niemand nehmen will? 73 Dies fragt Kierkegaard in der zweiten Rede mit dem Titel Alle gute und vollkommene Gabe kommt von oben herab aus dem Band Vier erbauliche Reden von 1844. Der Dank des Empfangenden als „Münze“ 74 reiche einem solchen Menschen nicht aus, wenn er etwas gibt, sondern er wisse sich anders bezahlt zu machen, was jedoch die Gabe vernichte. Nicht einmal eine vom Leben teuer erkaufte Erfahrung sollte man teuer (zögerlich) als Ermahnung weiterverschenken (mitteilen), denn auch das mache die Gabe zunichte, dem großen Wert, den der (an Erfahrung reiche) Geber ihr zuschreibt, zum Trotz. 75 Der wirkliche Geber muss hinter der Gabe verschwinden, keinen Wucher mit seinem Einsatz treiben, denn dies erniedrige den Empfangenden und stelle sein Seelenheil in Gefahr. Ein solcher Fehler sei auch ohne böse Absicht möglich, und nur das Geben mit dem Hinweis auf Gott, von dem die Gabe in Wahrheit kommt, mache die Gabe zu einer guten und vollkommenen Gabe, die sowohl für den gebenden Menschen als auch für den empfangenen ein Anlass ist, den Dank als Gegengabe an Gott zu richten. Die Rede mit dem Titel Gottes Bedürfen ist des Menschen höchste Vollkommenheit (At trænge til Gud er Menneskets høieste Fuldkommenhed) aus dem Band Vier erbauliche Reden von 1844 betont die Notwendigkeit der Selbsterkenntnis als Einsicht, dass man selber nichts vermag und daher Gottes bedürfe. Eine Einsicht, die (wie das alleinige Vertrauen zu Gott) das Leben schwierig macht, doch nur so kann der Mensch sich wirklich kennen, damit sein Leben kein Trug ist. Und selten geht der Selbstbetrug so weit, dass der Mensch nicht erkennen könne, welche Gaben ihm anvertraut worden sind, und wie er sie in Übereinstimmung mit seinen Lebensumständen zu entwickeln habe, damit er mit sich selbst nicht leichtsinnig umgeht gleich dem glücklich begabten Kinde, das nicht versteht wieviel ihm da doch anvertraut ist, gleich dem leichtsinnigen reichen Jüngling, der nicht weiß, was Gold zu bedeuten hat - und demgemäß ist ja auch das was wir eines Menschen Selbst nennen so gut wie bar Geld; und wer sich selbst kennt, der weiß zum mindesten, auf welche Summe er lautet, und weiß sich selbst in den Handel zu bringen, so dass er den vollen Wert herausbekommt. 76 73 Übersetzung vgl. Sören Kierkegaard: Gesammelte Werke. 13.-14. Abteilung: Vier erbauliche Reden 1844. Drei Reden bei gedachten Gelegenheiten 1845. Düsseldorf: 1964, S. 44. 74 SKS 4, 155. Kierkegaard: Vier erbauliche Reden 1844, S. 52. 75 SKS 4, 151. Kierkegaard: Vier erbauliche Reden 1844, S. 46-47. 76 „[…] omgaaes sig selv letsindigen liig det lykkeligt begavede Barn, der ikke forstaaer, hvor meget der dog er det betroet, liig den letsindige rige Yngling, der ikke veed hvad Guld har at betyde - og saaledes er jo ogsaa det vi kalde et Menneskes Selv ligesom Penges Værd; og Den, der kjender sig selv, han veed indtil det mindste, hvor meget han lyder paa, og veed at Ana-Stanca Tabarasi-Hoffmann 114 Damit ist jedoch nicht das gemeint, was „der Verständige“ („den Forstandige“, bei Kierkegaard zumeist eine negative Figur,) darunter verstehe, nämlich, das Leben zu genießen und „sich selbst im Leben so vorteilhaft wie möglich in Rente anzulegen“ 77 , denn das ist noch keine wahre Selbstkenntnis; der Mensch kenne sich dann nur im Verhältnis zu etwas anderem (der Welt, den Leuten, dem irdischen Leben) und nicht im Verhältnis zu sich selbst. Doch ein Verhältnis zwischen einem zweifelhaften Selbst und etwas Zweifelhaftem bleibt immer in der Schwebe, denn das Zweifelhafte könnte sich ändern oder verschwinden. Das Selbstverhältnis, das sich, indem es sich zu sich verhält, auch zu Gott verhält, sei dagegen das wahre: „Sofern ein Mensch sich nicht dergestalt kennt, dass er weiß, er selber vermöge gar nichts, merkt er eigentlich im tieferen Sinne nicht, dass Gott da ist.“ 78 Darum besteht des Menschen höchste Vollkommenheit darin, Gottes zu bedürfen. Und darum ist die Erkenntnis, dass die Summe, auf die man lautet, Null ist, der Weg, um seinen vollen, reichen Wert als Gabe zu erlangen. Dies ist der Grund, warum bei Kierkegaard der ganze monetäre Wahrheitsdiskurs um falsche Wechsel, ungedeckte Scheine, wertlose, schlecht geprägte Münzen, Inflation und erschlichene Erbschaften nicht in Nihilismus ausartet: selbst wenn man das falsche System nur aus seinem Inneren kritisieren und daher zunächst auch nur fortschreiben kann, ist die schmerzliche Erkenntnis dessen, dass man nichts vermag, der Weg dazu, in der Logik der Gabe alles neu zu bewerten. Ein Pfennig ist genauso viel wert wie das ganze Gold der Welt, wenn er alles ist, was der Mensch hat, und dieser ihn (so wie die Witwe aus Markus 12,43-44 ) aus Barmherzigkeit verschenkt; und das wertlose Geld des Falschmünzers ist voll gedeckt, wenn er Gott alleine vertraut. sætte sig selv om, saa han faaer den hele Værdi ud.“ (SKS 4, 304-305). Übersetzung vgl. Kierkegaard: Vier erbauliche Reden 1844, S. 20. 77 „[A]t faae sig selv saa fordeelagtigt som muligt udsat paa Rente i Livet“. (SKS 4, 305). Kierkegaard: Vier erbauliche Reden 1844, S. 21. 78 „Forsaavidt et Menneske ikke kjender sig selv saaledes, at han veed, at han selv slet Intet formaaer, mærker han egentligen i dybere Forstand ikke, at Gud er til.“ (SKS 4, 312). Übersetzung vgl. Kierkegaard: Vier erbauliche Reden 1844, S. 29. Søren Kierkegaards monetärer Diskurs 115 Andersen, Hans Christian: Kun en Spillemand. Kopenhagen: 1837. Andersen, Hans Christian: „Nur ein Geiger“. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. 9. Leipzig: 1847. Benne, Christian: Nietzsche und die historisch-kritische Philologie. Berlin, New York: 2005. Beyrich, Tilman: Ist Glauben wiederholbar? Derrida liest Kierkegaard. Berlin, New York: 2001. Bornscheuer, Lothar: „Zur Geltung des ‚Mythos Geld‘ im religiösen, ökonomischen und poetischen Diskurs“. In: Mythos im Text. Zur Literatur des 20. Jahrhunderts. Hg. von Rolf Grimminger und Iris Hermann. Bielefeld: 1998 (= Bielefelder Schriften zu Linguistik und Literaturwissenschaft; 10), S. 55-105. 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Reitzel Forlag erschien. A NNEGRET H EITMANN (M ÜNCHEN ) „It is a truth universally acknowledged, that a single man in possession of a good fortune, must be in want of a wife.“ 1 In einem der berühmtesten Eröffnungssätze der Romanliteratur, mit dem Jane Austens Pride and Prejudice beginnt, wird die Eheschließung und Beziehung der Geschlechter nicht an Liebe und Leidenschaft, sondern an profane ökonomische Voraussetzungen geknüpft. Auf diesen Roman und diesen Nexus bezog sich dann ein Aufsatz von Ellen Moers mit dem Titel „Money, the Job and Little Women: Female Realism“, der als ein Kapitel in ihr Buch Literary Women eingegangen ist, das einen der Gründungstexte der gender-bewussten Literaturwissenschaft darstellt. 2 Der feministische Impetus, der Moers’ Textanalysen trägt, wurde bald - das ist bekannt - breit rezipiert und ihre Thesen zum weiblichen Realismus wurden in Skandinavien auf Autorinnen wie Camilla Collett, Fredrika Bremer sowie Thomasine Gyllembourg übertragen, die im Übrigen oft mit Austens Romanwerk in Beziehung gebracht wurde. 3 Ob man allerdings an Moers Überzeugung festhalten kann, dass „Austen’s realism in the matter of money was [...] an essentially female phenomenon“, 4 darf bezweifelt werden. Geschlechterwie Gelddiskurs bedürfen der Differenzierung und der Historisierung, und der Produktionsaspekt kann sich nicht in einem feministisch motivierten biographischen Kurzschluss erschöpfen. Daher soll in meinem Beitrag die Frage nach Produktion und Produktivität sowohl textintern-thematisch als auch poetologisch im Zentrum stehen. Wichtig ist diese Frage schon deshalb, weil sich im Begriff der Produktion die Diskurse von Ökonomie, Geschlecht und Kunst treffen und überschneiden. * Eine englische Version des vorliegenden Aufsatzes wurde publiziert in: Samlaren , vol. 132 (2011), S. 5-21. 1 Jane Austen: „Pride and Prejudice“. In: The Novels of Jane Austen. Hg. v. R.W. Chapman. Bd. 2. London: 1959, S. 3. 2 Ellen Moers: Literary Women. London: 1976. 3 Vgl. z.B. Stig Dalager und Anne-Marie Mai: Danske kvindelige forfattere. Bd. 1. Kopenhagen: 1982, S. 157. 4 Moers: Literary Women, S. 71. Annegret Heitmann 122 Dabei werde ich mich auf Gyllembourgs Erzählung Montanus den Yngre (1837) beziehen, 5 die bereits im Titel einen Bezug auf Ludvig Holbergs Drama Erasmus Montanus (1731) aufruft. Mit diesem intertextuellen Verweis scheint die Autorin eine Programmatik ihres Sohnes Johan Ludvig Heiberg zu befolgen, der in dem Essay Om Vaudevillen (1826) das dänische Theater unter Rückbezug auf seinen Begründer Holberg erneuern wollte. 6 Aus Holbergs bekannten Komödien, von denen sich das dazwischen liegende romantische Kunstverständnis abgewandt hatte, übernimmt Heiberg eine Vereinigung des Lokalen und Alltäglichen mit dem Komisch-Unterhaltsamen. Hinzu kommt die Absicht, durch die künstlerische Form eine Veredelung des Geschmacks zu bewirken, ohne jedoch auf Popularität und einen Publikumsappell verzichten zu wollen. Wie Aufführungszahlen belegen und allgemein bekannt ist, gelingt es ihm auf diese Weise, das Theater im Dänemark des 19. Jahrhunderts für knapp drei Jahrzehnte zu prägen und zur geschmacksbildenden Institution zu machen. Wenn Gyllembourg nun auch den Holberg-Bezug eröffnet, 7 kann es entweder darum gehen, die Popularität des Theaters zu nutzen, um die damals weit weniger anerkannte Prosaform 8 mit Rückgriff auf kanonische Texte zu etablieren, oder aber einen Dialog mit der spezifischen Theatralität der Holberg- Figuren zu führen. In Bezug auf künstlerische Produktionskonzepte stellt sich die Frage, wie sich die anonym auftretende weibliche Literaturschaffende, die ihren vorbildlichen Protagonistinnen stets Bescheidenheit und Zurückhaltung auferlegt, mit dem der Heibergschen Programmatik eingeschriebenen Öffentlichkeitsanspruch umgeht: „thi en Digter uden Tilhørere [...] er ligesom et Lys uden Lysning, en Tone uden Klang.“ 9 Gyllembourgs Geschichten sind in der Regel zwar komplex strukturiert, lassen sich aber auf einen simplen Kern reduzieren. In diesem Fall könnte man sagen, es handelt sich um zwei Paare, zwei Brüder und zwei Freundinnen, die einem doppelten happy end zugeführt werden. Das wichtigste Komplikationsmoment in diesem Handlungsgang wird durch den Titel angedeutet: Die männliche Hauptperson 5 Thomasine Gyllembourg: „Montanus den Yngre“. In: Dies.: Samlede Skrifter af Forf. Til „En Hverdagshistorie“. Bd. 7. Kopenhagen: 1867, S. 1-175. Zitatbelege nach dieser Ausgabe mit Sigle MdY und Seitenangabe künftig im Haupttext. 6 Johan Ludvig Heiberg: „Om Vaudevillen som dramatisk Digtart og om dens Betydning paa den danske Skueplads. En dramaturgisk Undersøgelse“. In: J.L. Heibergs Samlede Skrifter. Prosaiske Skrifter. Bd. 6. Kopenhagen: 1861, S. 1-111. - Zu dem Bezug Heibergs und Gyllembourgs auf Holberg vgl. auch: Johan de Mylius: „Om Holbergs genopstandelse i guldalderlitteraturen“. In: Nordica 26 (2009), S. 61-77. 7 Vgl. Henning Fenger und Frederick Marker: The Heibergs. New York: 1971. Die Autoren schreiben: „Montanus the Younger (Montanus den Yngre) was a direct attempt to adapt Holberg’s classical comedy Erasmus Montanus to novel form and modernize the subject.“ In: Fenger und Marker: The Heibergs, S. 149. 8 Vgl. Fenger und Marker: The Heibergs, S. 142. 9 Heiberg: Om Vaudevillen, S. 5. „Denn ein Dichter ohne Zuhörer [...] ist wie ein Licht, das nicht leuchtet, ein Ton ohne Klang.“ Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 123 Conrad ist eine dem Erasmus Montanus nachempfundene Figur; er hat im Ausland Wissen erworben, überschätzt aber seine Fähigkeiten, so dass sein Erkenntnisweg durch das Sprichwort ‚Hochmut kommt vor dem Fall‘ zusammengefasst werden kann. Wie auch Holbergs Protagonist macht Conrad einen Läuterungsprozess durch, bevor er sein Glück erreicht; die Frage der Veränderung und Entwicklungsfähigkeit steht damit im Zentrum der in der Erzählung zur Debatte gestellten Themen. Während aber gerade dieses Holbergsche Drama als ein Musterbeispiel für die Theatralität seiner Figuren gilt, d.h. dass ihre Identität als kontextbestimmt hervortritt und performativ hervorgebracht wird, 10 so dass Identität als Rolle hervortritt, repräsentiert die Heiberg-Schule einen idealistischen Glauben an Bildungsprinzipien, die Inneres und Äußeres, Sein und Schein zur Deckung bringen wollen. Das ironische Ende von Erasmus Montanus verlangt zur Wiederherstellung der Ordnung und zum Erreichen des happy ends, dass der Protagonist sogar dem zweifellos richtigen Glauben an die Kugelform der Erde abschwören muss. Zum Schluss beugt er sich dem Druck von außen, ein Argument aus der Sphäre des Scheins bestimmt das Sein seiner wohl nur oberflächlich geläuterten Persönlichkeit - eine für das „dannelses“-Ideal Johan Ludvig Heibergs eigentlich unakzeptable Vorstellung. Auch der Entwicklungsgang von Gyllembourgs männlicher Hauptfigur ist in einem Feld zunächst dichotomisch strukturiert erscheinender Ideen situiert: Dem genannten grundlegenden Gegensatz von Sein und Schein entspricht die hier verhandelte Opposition von Materialismus und Idealismus. Damit einher gehen die Oppositionen von Fortschritt gegenüber Tradition, vom Fremden gegenüber der Heimat, Wissenschaft gegenüber Kunst, Verstand gegenüber Gefühl. Die angestrebte Vermittlung dieser Gegensatzstrukturen betrifft nicht nur die Entwicklung Conrads, sondern auch die Versöhnung der Liebenden im Zentrum der Erzählung. Wenn man den Handlungsgang als eine Liebesgeschichte wiedergibt, entspricht das wohl dem dominanten Rezeptionsmodus von Gyllembourgs Text: Bei dem happy end der beiden Paare geht es aber nicht nur um Gefühle und um Glück, sondern auch - wie bei Jane Austen - um die ökonomischen Rahmenbedingungen und Grundlagen, die jeweils mit verhandelt werden. 11 Das zeigt sich schon daran, dass die Thematik der „forandring“ [Veränderung] sowohl auf die Charakterentwicklung als auch auf die ökonomische Ebene bezogen ist: Hier geht es um Reifung und Läuterung, dort um Modernisierung und Fortschritt. Der monetäre Diskurs stellt eine Schnittstelle 10 Dafür kann stellvertretend die Szene herangezogen werden, in der Nille durch einen performativen Akt ‚zu einem Stein gemacht wird‘. Vgl. Ludvig Holberg: „Erasmus Montanus“. In: Værker i tolv bind. Hg. von F.J. Billeskov Jansen. Bd. VI. Kopenhagen: 1970, S. 160. 11 Schon eine frühe feministische Auseinandersetzung mit dem Werk Gyllembourgs trug den vielsagenden Titel Penge og kærlighed. Vgl. Anni Broue Jensen: Penge og kærlighed. Religion og socialitet i Thomasine Gyllembourgs forfatterskab. Kopenhagen: 1983. Annegret Heitmann 124 zwischen der öffentlichen und der privaten Sphäre dar, wobei die letztgenannte durch das Verhältnis der Geschlechter strukturiert ist: Um ein liebendes Paar, um Mann und Frau in der Ehe zusammenzubringen, sind entsprechende ökonomische Voraussetzungen nötig, die zu Gyllembourgs Zeit durch den Verdienst des Mannes, vor allem aber durch das Erbe von Mann und/ oder Frau erbracht werden. Das bedeutet weiterhin, dass auch die Genealogie, Vater- und Nachkommenschaft und Erbberechtigung eine bedeutende Rolle im Szenario der angestrebten happy endings spielen. Diese komplexe Konstellation erfordert Passgenauigkeit von Herzensdingen und Münzenklingeln, die natürlich Ursache für Konflikte sowie Stoff für Romane bieten kann. Konvergenz wie Konfliktpotential lässt sich an der homologen Verwendung der in diesem Zusammenhang wichtigen Begriffe wie „Værdi“, „fortjene“ oder „eje“ (Wert, verdienen, besitzen) ablesen. Es geht nicht nur auf der finanziellen Handlungsebene um „Capital“, „Formue“, „Renter“, „Rigdom“ oder „indskrænkede Kaar“, um „Regnskab“, „Omkostninger“, „Beregninger“, „offentlige Midler“ oder „Vexler“ (MdY, passim; „Kapital“, „Vermögen“, „Zinsen“, „Reichtum“, „eingeschränkte Verhältnisse“, „Abrechnung“, „Kosten“, „Berechnungen“, „öffentliche Mittel“, „Wechsel“), sondern dem Gelddiskurs im 18. und 19. Jahrhundert - das ist bereits oft gezeigt worden 12 - ist eine Zeichenhaftigkeit inhärent, die von anderen Diskursen und der Sprache selbst gespiegelt wird. Im vorliegenden Text verdichtet sich die Homologie im Gebrauch des Wortes „Værdi“ („Wert“), dem die verschiedenen Charaktere unterschiedliche Bedeutungen zumessen: Was für den einen (Conrad) „uden al Værdi“ („ohne jeglichen Wert“) ist, womit er den Geldwert bezeichnet, ist für die andere (Hanne) ihr „dyrebareste Eiendom“ (MdY, 38-39; „kostbarstes Eigentum“), womit sie den ideellen Wert einer Liebesgabe meint. Barbara Herrnstein Smith hat von einem zeittypischen „double discourse of value“ 13 gesprochen: Eine romantische Ökonomiekritik hält dem Utilitarismus reine geistige und ästhetische Werte entgegen. Dieser Antagonismus wird am Ausgangspunkt von Gyllembourgs Erzählung aufgerufen, als Konflikt zwischen zwei Liebenden präsentiert und sodann durch den Verlauf der Narration hinterfragt. Insofern treffen nicht nur in einem Wort der Liebes- und der ökonomische Diskurs aufeinander, sondern auch als repräsentativ begriffene geschlechtstypische Auffassungen. Weiblichkeit wird dabei in idealer Weise von einer Wertschätzung symbolischen Kapitals konstituiert, während die Repräsentation des ökonomischen Kapitals dem männlichen Aktanten vorbehalten bleibt. Der Roman zeigt aber am Beispiel anderer Akteure - vor allem Conrads Bruder Ludvig - dass diese Geschlechtertypologie nicht biologisch determiniert ist. Insgesamt zeichnen sich Gyllembourgs Texte dadurch aus, dass sie zwar eine fest gefügte Geschlechterdichotomie als Ideal entwerfen, sie aber durch Übertretungen vielfältiger Art konturieren, die die soziale und kulturelle Konstruiertheit 12 Vgl. John Guillory: Cultural Capital. The Problem of Literary Canon Formation. Chicago, London: 1993. 13 Barbara Herrnstein Smith: Contingencies of Value. Cambridge (MA), London: 1988, S. 33. Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 125 1 Sozioanalyse von Thomasine Gyllembourgs Montanus den Yngre (Diagramm AH). ihrer Männlichkeits- und Weiblichkeitsentwürfe umso deutlicher hervortreten lassen. Die bisher erfolgten Andeutungen und die eben verwendete Terminologie lassen vermuten, dass sich der Plot der Erzählung in einer Pierre Bourdieu nachempfundenen Sozioanalyse zusammenfassen lässt, 14 was in der folgenden schematischen Darstellung visuell umgesetzt wird: 14 Pierre Bourdieu: „Flaubert. Einführung in die Sozioanalyse“. Übers. von Bernd Schwibs. In: Sprache im technischen Zeitalter 25 (1987), S. 173-189 und 241-254. Ziehtochter Hanne Ohnmacht Position der Moral und Religion Ludvig Valberg Conrad Valberg Francisca Kulman (Edvald) Position des Fortschritts Ohnmacht Pastor Valberg Mad. Valberg Etatsraad Kulman Pastor Valberg ‚ TRANGE KAAR ‘ Etatsraad Kulman ‚ MANGLER CAPITAL ‘ Agent Valberg ‚F ARIKEIER , MANGLER CAPITAL ‘ Miss Lightning ‚ RIGDOM ‘ P OSITION DES FREMDEN K APITALS Kammerjunker Malte ‚ RIGDOM ‘ P OSITION DES ALTEN R EICHTUMS politisch-ökonomische Macht Geheimeraad Hjelm, Baronen ‚capital, offentlige middler, K ALDSRET ‘ Annegret Heitmann 126 Die Personenkonstellation beinhaltet die beiden befreundeten Familien Valberg und Kulman. Die Mitte der Graphik stellt die entscheidende Handlungsebene dar, die sich in der Jugendgeneration abspielt, während oben und unten familiäre Hintergründe bzw. bestimmte Interessensvertreter angesiedelt sind, die einer älteren Generation angehören und als Helfer oder Katalysatoren agieren. Etatsrat Kulman hat eine Tochter Francisca, die mit der Ziehtochter des Pastorenehepaares Valberg eng befreundet ist. Sie liebt den älteren Valberg-Sohn Ludvig, der Theologie studiert hat, während Freundin Hanne den jüngeren Conrad liebt, der gerade von einem fünfjährigen Auslandsaufenthalt zurückkommt und nun die Fabrik seines Onkels und Ziehvaters Agent Valberg übernehmen soll. Störend in diesen Liebesdingen sind neben der Arroganz und Gefühlskälte des nun welterfahrenen Conrad und der Kapitalschwäche des Theologen Ludvig die Interventionen durch Kammerjunker Malte, der zunächst das eine, dann das andere der im Zentrum der Erzählung stehenden Mädchen begehrt, sowie eine nicht vollzogene Liebschaft von Ludvig im Ausland mit einer gewissen Miss Lightning, die aber im Text selber nicht auftritt. Die einfachen Pfeile repräsentieren also Liebesbeziehungen, die gestrichelten vergebliche und die dicken schließlich realisierte. Die dünnen geraden Linien sind biologisch-genealogische Beziehungen, die schrägen durchgezogenen Linien markieren die Relation zu Ziehsöhnen und -töchtern. Diese Figuren sind nun, im Sinne Bourdieus, in einem Machtfeld angesiedelt, in dem soziale und ökonomische Kräfte wirken. „Als habe er den Kräften des Feldes eine Gruppe von Individuen aussetzen wollen“, schreibt Bourdieu über Flauberts Education Sentimentale, „konstruiert er eine Vierergruppe [...] anhand eines Ensembles von Ähnlichkeiten und Unterschieden, die mehr oder minder systematisch verteilt sind.“ 15 Wenn auch selbstverständlich keine Ähnlichkeit des Gesellschaftsbildes in Flauberts und Gyllembourgs Text behauptet werden soll, so stellt doch dieser fiktionale Konstruktionsaspekt eine deutliche Parallele dar. Es gibt, wie Bourdieu sagt, einen „Macht-Pol“ und einen „Gegenpol“, 16 es gibt „Vertreter von Geld und Geschäft“, 17 es gibt „Erben“ und „die Übertragung der Macht von der einen Generation auf die andere, die in der Geschichte der unmittelbaren Familieneinheit immer einen kritischen Moment dar[stellt].“ 18 All diese Beobachtungen aus Bourdieus Sozioanalyse lassen sich auf die Konstruktion des sozialen Raums in Gyllembourgs Erzählung anwenden. Hinzu kommen die „notwendigen Zufälle“, die natürlich auch hier nicht fehlen, um „die Partie [...] beginnen“ zu lassen. 19 Entscheidend für die Konflikte und ihre Lösung sind, wie schon gesagt, die ökonomische Position und die damit verbundene Macht der Aktanten, die durch die K APITÄLCHEN -S CHRIFT markiert ist. Während die Elterngeneration Valberg und Kulman, einschließlich des Fabrikbesitzers auf die Zufuhr von Kapital angewiesen 15 Bourdieu: Flaubert, S. 178. 16 Bourdieu: Flaubert, S. 176. 17 Bourdieu: Flaubert, S. 176. 18 Bourdieu: Flaubert, S. 179. 19 Bourdieu: Flaubert, S. 181. Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 127 sind, vor allem wenn es um die Verheiratung und die Zukunft ihrer Kinder geht, wären der reiche Kammerjunker und die englische Miss zum Einsatz erheblicher Kapitalmengen bereit. Diese ökonomische Macht, die der Fabrik eine Zukunft und Francisca einen Ehemann bescheren würde, steht aber im Konflikt zu der bereits ausgeführten emotionalen Zuneigung unserer Hauptpersonen. Dieser Konflikt wiegt umso schwerer als die ökonomische Macht mit dem sozialen Kapital und dem gesellschaftlichen Status einhergeht. Die schematische Sozioanalyse macht deutlich, dass es nur eine Instanz gibt, die Bewegung erwirken könnte: Das ist Sohn Conrad als Agent des Fortschritts, während alle anderen sich auf überkommene Werte und altes Kapital stützen müssen. Damit nun eine Lösung des Konflikts zwischen ökonomischem Stillstand und sozialer Blockade zustande kommt, muss der zunächst durch Conrads Arroganz verärgerte Geheimrat Hjelm wieder gewonnen werden, der schließlich durch die Bereitstellung öffentlicher Mittel neues Kapital ins Spiel bringt. Entscheidend für die zufriedenstellende Lösung der privaten Konflikte - also die Eheschließung - ist die Intervention der politisch-ökonomischen Macht, repräsentiert durch den Geheimrat und den Baron, der durch seine „Kaldsrettighed“ (MdY, 143), das ist das Recht, die Pfarrstelle in seinem Bezirk zu besetzen, dann zu guter Letzt auch noch dem wackeren Ludvig eine lukrative Pfarrstelle verschafft und dadurch auch seine Eheschließung ermöglicht, ein weiterer „notwendiger Zufall“, wie Bourdieu es genannt hätte. 20 Es geht also um Liebe und Ehe (markiert durch die Pfeile), aber auch um altes und neues Geld (K APITÄLCHEN -S CHRIFT ), um Macht und Ohnmacht (Kursivschrift) sowie die zu aktivierende Instanz des Fortschritts ( Fettschrift ), so dass eine soziologische Lektüre der Erzählung durchaus angebracht ist und die Plot-entscheidende Präsenz des monetären Diskurses zweifelsfrei deutlich wird. Dass auch der Vertrauensdiskurs in diesem Szenario eine Rolle spielt, wird auf der Plot-Ebene zunächst durch das Verhältnis der beiden zentralen Frauenfiguren verdeutlicht, die im Geflecht der Ereignisse eine Entwicklung von Vertrauen über Misstrauen zu neuem Vertrauen durchlaufen und somit eine Vorbildrolle einnehmen, die das Weiblichkeitsideal der Bescheidenheit und Häuslichkeit unterstützt. Vertrauen wird hier in seiner psychologischen, zwischenmenschlichen Dimension inszeniert und vorrangig dem Weiblichen zugeordnet. Die Graphik zeigt auch, dass die Position der Weiblichkeit zwar im Zentrum des Begehrens steht, doch sie ist damit gleichzeitig Spielball der Zufälle mit nur sehr beschränktem eigenem Handlungspotential, für dessen Entfaltung Vertrauen maßgeblich ist. Andererseits erfährt ihre Position eine Bestätigung, während die dargestellte Männlichkeit der Veränderung bedarf. Insofern impliziert der Handlungsgang nicht nur eine Bekräftigung weiblicher, sondern auch eine Kritik bestimmter männlicher Verhaltensnormen und Werte, die durch den Holbergschen Intertext eine wohl ungewollte Steigerung und Problematisierung erfährt. Denn so wie Erasmus Montanus nur eine oberflächliche, theatrale Läuterung durchlebt, kann auch Conrads plötzlicher Sin- 20 Bourdieu: Flaubert, S. 186. Annegret Heitmann 128 neswandel nicht vollends überzeugen: Das Ideal männlicher Identität erscheint durch zu viele Zufälle hervorgebracht. Diese angedeutete soziologische Lesart lässt sich sozialhistorisch und diskursiv untermauern. Der dargestellte ökonomische Konflikt ist im Dänemark der 1830er Jahre hochaktuell. Nach der Niederlage in den Napoleonischen Kriegen und dem Staatsbankrott im Jahre 1814 lag die Wirtschaft des Landes komplett darnieder. Nach einer Blütezeit des Handels im 18. Jahrhundert waren die ersten Dezennien des 19. von einer alle Bereiche umfassenden ökonomischen Krise dominiert, die durch eine falsche Geldpolitik der Regierung angeheizt wurde: Es gab Inflation, eine so große Anzahl von Konkursen der großen Handelshäuser und in den unrentabel geführten Industriezweigen, dass geradezu von einem Zusammenbruch der Wirtschaft und des Handels gesprochen werden kann. 21 Katastrophal wird die Lage durch eine Landwirtschaftskrise und den Einbruch der Kornpreise in den Jahren 1818-28 sowie einen Rückgang des Überseehandels mit den karibischen Inseln, die durch den Dreieckshandel mit Sklaven erheblich zum Wohlstand der großen Unternehmer des 18. Jahrhunderts beigetragen hatten. Ein elementares Problem war die Unterfinanzierung und fehlende technologische Investitionen im industriellen Bereich, so dass Dänemark in den 1830er Jahren ein im europäischen Vergleich unterentwickeltes Industrieland war. 22 Wenn nun Gyllembourg eine Textilfabrik in das Zentrum ihrer Handlung stellt, wählt sie damit den für Kopenhagen und Sjælland, wo die Erzählung spielt, wichtigsten traditionellen Industriezweig, 23 vielleicht abgesehen von der Rüstungsindustrie, über die aus offensichtlichen Gründen nicht viele Daten vorliegen. In den 1830er Jahren, dem Zeithorizont des Textes, war gerade die ehemals starke Textilindustrie von der allgemeinen Krise besonders betroffen, am Ende des Jahrzehnts hatte sich die Anzahl der Fabriken halbiert, die Anzahl der dort beschäftigten Arbeiter lag nur noch bei insgesamt knapp über 100. 24 Man war nicht mehr konkurrenzfähig in einem Wirtschaftszweig, der vor allem in England eine umfassende Mechanisierung und Modernisierung erfahren hatte. Dabei geht es um neue Maschinen zur Textilproduktion, die in der Lage waren gegenüber bisherigen Stoffen sehr viel feinere und glattere Materialien hervorzubringen. Sie waren auf dem Markt stark nachgefragt und wurden aus dem Ausland in großen Mengen eingeführt. Zum zweiten ging es um die Energieerzeugung, die grundlegende Mechanisierung durch 21 Vgl. Jens Vibæk: „Reform og fallit 1784-1836“. In: Danmarkshistorie. Hg. von John Danstrup und Hal Koch, Bd. 10. Kopenhagen: 1964, S. 436-439. 22 Vgl. Vibæk: Reform, S. 451-460. 23 Vgl. Ole Hyldtoft: Københavns industrialisiering 1840-1914. Kopenhagen: 1984, S. 74. 24 Vgl. Hyldtoft: Københavns industrialisering, S. 86. Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 129 Dampfmaschinen, die in Dänemark erst sehr spät, nämlich ab den 1840er Jahren erfolgte. Die erste Dampfmaschine gab es in Dänemark zwar schon kurz vor 1800, aber sie befand sich im militärischen Sperrgebiet auf der Orlogswerft; 1820 gab es ganze vier durch Dampf betriebene Maschinen im gesamten Land, für die Kopenhagener Textilindustrie verzeichnet Ole Hyldtoft die erste Dampfmaschine erst 1847. 25 Wenn diese Zahl stimmt, ist Gyllembourgs Roman geradezu prophetisch. Denn auf der die Ökonomie betreffenden Plotebene geht es genau um diese Neuerungen, die der aus dem Ausland heimgekehrte Conrad in den nicht mehr rentablen Textilbetrieb seines Onkels einführen will. „Jeg kan ikke forklare det jer“, sagt Conrad, „men store, gjennemgribende Forandringer vare nødvendige. Nye Maskiner, som drives ved Dampkraft, nogle faa Mennesker fra Udlandet, som ere vante til at haandtere dem [...] Flere slige Ting [...] har jeg bestilt fra England og noget fra Frankrig“ (MdY, 31). 26 Der Rückstand gegenüber England erklärt sich zum Teil auch daraus, dass bis 1825 die sog. tool acts wirksam waren, die den freien Markt für Maschinen und neue Technologien behindert hatten. 27 Doch nun, in den 1830er Jahren, war eine Innovation, wie sie von Conrad intendiert wird, notwendig, um wieder konkurrenzfähig zu werden: „Et kapitalistisk produktionsapparat baseret på teknologioverførsel fra England måtte derfor blive et offentligt anliggende“, schreibt Dan Chr. Christensen in seiner Studie Det moderne projekt. Teknik og kultur i Danmark. 28 Genauso ein modernes Projekt verfolgt Gyllembourgs Protagonist Conrad Valberg. Doch Conrad ist nicht nur Praktiker, er hat auch eine im Ausland bereits gerühmte Studie, „en Afhandling om de forskjellige Landes Industrie“ (MdY, 8; „eine Abhandlung über die Industrie verschiedener Länder“) verfasst, in der er seine Modernisierungsgedanken niedergelegt hat. Das Vorlesen dieser Abhandlung, die nicht zuletzt einen scharfen Angriff auf die heimischen Verhältnisse beinhaltet, stellt den Anlass für das zwischenzeitliche Zerwürfnis mit seinem Onkel und dem Geheimrat dar. Sie entziehen ihm das Vertrauen, das er antizipiert hatte, als er die Wechsel für die teuren neuen Maschinen im Ausland unterschrieb. Damit gerät Conrad in eine tiefe finanzielle und existentielle Krise, die letztlich seine Läuterung herbeiführt. Der Wechsel semantisiert damit den Umschlagpunkt der Erzählung; durch seinen Charakter als „semiotischer Vermittler“, 29 als Zeichen für Geld und 25 Vgl. Hyldtoft: Københavns industrialisering, S. 80. 26 „Ich kann Euch das nicht erklären, aber große, umfassende Veränderungen waren notwendig. Neue Maschinen, die mit Dampfkraft betrieben werden, einige wenige Menschen aus dem Ausland, die sie bedienen können [...] Mehrere solcher Dinge [...] habe ich aus England und manches auch aus Frankreich bestellt.“ 27 Vgl. Dan Chr. Christensen: Det moderne projekt. Teknik og kultur i Danmark 1750 - (1814) - 1850. Kopenhagen: 1996, S. 267. 28 Christensen: Det moderne projekt, S. 266. „Ein kapitalistischer Produktionsapparat, der auf der Überführung von Technologie aus England basiert war, musste daher ein öffentliches Anliegen sein.“ 29 Vgl. Richard T. Gray: „Buying into signs: money and semiosis in eighteenth-century German language theory“. In: The New Economic Criticism. Hg. von Martha Woodmansee und Marc Osteen. London, New York: 1999, S. 99. Annegret Heitmann 130 Vertrauen gleichermaßen, kann seine Signatur eine fiktive Macht entfalten, die nicht nur über Konkurs oder Gewinn, sondern auch über Glück und Unglück entscheidet. Eine Wechsel-Wirkung, so könnte man es nennen, ergibt sich zwischen den auf Liebe und auf Ökonomie bezogenen narrativen Ebenen, wenn Hanne ihr Vertrauen in Conrad aufrecht erhält, das sich allerdings nicht in finanzieller, sondern in moralischer Unterstützung zeigt und ihn vor dem drohenden Selbstmord bewahrt. Damit erweist sich Vertrauen nicht nur als in dem abstrahierten und substanzlos gewordenen Geldgeschäft als unabdingbar, sondern auch als Qualität weiblicher Liebe, die dem Handeln der Frau auch gesellschaftlich bedeutsame Konsequenzen zubilligt. Der Vertrauensdiskurs ist also auf der Grenze zwischen psychologischem und soziologischem Gebiet angesiedelt, die zunächst erfolgte Individualisierung des Gefühls wird allgemeinem Nutzen zugeführt. Den Lesern der Erzählung wird der Inhalt von Conrads umstrittener Studie nur ansatzweise vermittelt, aus den wenigen Andeutungen geht lediglich das Fortschrittsdenken hervor, das Profit und Wohlstand an Freiheit und Gleichheit aller Arbeitswilligen knüpft und in den Dienst der Nation stellt. Im Vergleich der behandelten Länder wird dem republikanischen Amerika der Vorzug gegenüber England eingeräumt und die dänischen Verhältnisse in Handel, Industrie und Handwerk scharf kritisiert, was den Unmut des Zuhörerkreises und insbesondere des einflussreichen Geheimrats hervorruft. Es ist nicht anzunehmen, dass diese fiktionale Abhandlung eine der damals aktuellen ökonomischen Theorien spiegelt, die bekanntesten dieser Schriften führender Ökonomen David Ricardo oder Thomas Robert Malthus 30 sind sehr viel spezielleren und komplexeren Anliegen gewidmet. Weder eine Außenhandelstheorie noch eine Steuer- oder gar Bevölkerungspolitik werden erwähnt, und auch das grundlegende soziale Problem der durch die Mechanisierung drohenden Arbeitslosigkeit scheint nur am Rande des Problemhorizonts in Gyllembourgs Erzählung auf. 31 Es liegt vielmehr nahe, dass die Passagen, die Conrads Abhandlung in recht allgemeiner Weise referieren, auf den Grundlagentext der klassischen Volkswirtschaftslehre, auf Adam Smiths The Wealth of Nations, anspielen, der zwar schon 1776 verfasst wurde, aber über lange Zeit nachwirkte und in seinen Grundlagen allgemeine Bekanntheit erlangte. So geht es auch bei ihm um die vergleichende Betrachtung verschiedener Volkswirtschaften, es geht um den Nutzen produktiver Arbeit, die nicht zuletzt der Förderung des Gemeinwohls dienen sollte. Er argumentiert, wie sein fiktiver Nachahmer Conrad, für Freiheit im Wettbewerb 30 David Ricardo: On the Principles of Political Economy and Taxation. London: 1817; Thomas Robert Malthus: Principles of Economics. London: 1820. 31 Es wird erwähnt, dass der Vorarbeiter in der Fabrik und Repräsentant des Althergebrachten, Olsen, im nun anbrechenden Maschinenzeitalter keinen Platz mehr in der Firma hat, aber durch den Onkel finanziell abgesichert werden soll. Dem Problem der durch die Maschinen freigesetzten Arbeitskraft wird auf naiv-optimistische Weise begegnet: „[O]m ogsaa Maskinerne gjorde et mindre Antal Folk nødvendigt, saa vilde den forøgede Drift erstatte dette Savn, og især give mange Dagleiere Arbeide“ (MdY, 60; [W]enn auch die Maschinen eine geringere Anzahl an Menschen erforderten, so würde der erhöhte Umsatz diesen Mangel ausgleichen und insbesondere Beschäftigung für viele Tagelöhner bieten). Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 131 und gegen Merkantilismus, darüber hinaus aber auch für Arbeitsteilung, die gesetzliche Fixierung von maximalen Zinsen und gegen Sklaverei und den britische Kolonialismus, was bei Gyllembourg alles keine Rolle spielt. Meist wird er für die Formulierung von der „unsichtbaren Hand“ zitiert, 32 die die Verbindung der individuellen Wohlstands- und Glückssteigerung herstellt und die Förderung des Gemeinwohls, „the wealth of nations“, aus der Produktivität ihrer einzelnen Mitglieder ableitet. Nicht mehr Landbesitz soll die Grundlage volkswirtschaftlichen Reichtums darstellen, sondern die Arbeit. 33 Er erwähnt übrigens auch die auf größerer Freiheit beruhende höhere Produktivität der USA gegenüber England, 34 und er berührt die dominante Stellung Englands in der Textilindustrie, deren Manufakturen, so schreibt er, sehr viel feineres Tuch herstellen könnten als Betriebe auf dem Kontinent und daher mit großem Gewinn für den Export arbeiteten. 35 In dem gesamten ökonomischen Szenario spielen übrigens weder bei Smith - dafür ist er auch kritisiert worden 36 - noch bei Conrad die Frauen eine Rolle. In der Erzählung als Ganzes haben sie allerdings einen sehr wichtigen Part, und zwar nicht nur, weil die beiden Heldinnen Repräsentantinnen der Kraft des Vertrauens sind. Viel wichtiger ist ihre Funktion als Ehefrau und potentielle Mutter. Denn während es auf der wirtschaftlichen und monetären Handlungsebene um die Erhöhung der Produktivität geht, die dann auf das nationale wie das individuelle Glück abstrahlt, bedarf es zur Sicherung und Verstetigung dieser Bemühungen in die Zukunft hinein einer genealogischen Konstanz. Die im Liebes-Plot fokussierten Eheschließungen brauchen also nicht nur eine finanzielle Grundlage, sie stellen vielmehr die elementare Voraussetzung für die langfristige Fortführung des wirtschaftlichen Erfolgs dar. Der Fall des kinderlosen Onkels und die in Gyllembourgs Werk wiederholt auftretende Thematik der Ziehkinder 37 zeigt das Bedürfnis nach Verstetigung von Privatvermögen, die nur über biologische Produktivität erreichbar ist. Die Textilfabrik braucht nicht nur neue Maschinen und mehr Kapital, sondern auch einen Erben, der wiederum einen Erben braucht, damit sich die Investitionen lohnen. An diesem Punkt spielen die Frauen dann doch einen wichtigen Part auch 32 Die vielzitierte Formulierung findet sich wörtlich nur einmal in seinem Werk, im 2. Kapitel des 4. Buches, in dem es um Handelsbeschränkungen geht: „Indem er [jedermann] den einheimischen Gewerbefleiß dem fremden vorzieht, hat er nur seine eigene Sicherheit vor Augen, und indem er diesen Gewerbefleiß so leitet, daß sein Produkt den größten Wert erhalte, beabsichtigt er lediglich seinen eigenen Gewinn und wird in diesen wie in vielen anderen Fällen von einer unsichtbaren Hand geleitet, daß er einen Zweck befördern muß, den er sich in keiner Weise vorgesetzt hatte.“ In: Adam Smith: Wohlstand der Nationen. Übers. von Max Stirner und hg. von Heinrich Schmidt, Köln: 2009, S. 451. 33 Vgl. grundlegend Smith: Wohlstand, S. 35-42 (1. Buch, 5. Kapitel). 34 Vgl. Smith: Wohlstand, S. 76 (1. Buch, 8. Kapitel). 35 Vgl. Smith: Wohlstand, S. 408 (3. Buch, 3. Kapitel). 36 Vgl. Helen Winter und Thomas Rommel: Adam Smith für Anfänger: Der Wohlstand der Nationen - eine Lese-Einführung. München: 2006, S. 143-146; mit Bezug auf James Buchan: The Authentic Adam Smith. New York: 2006. 37 Vgl. dazu: Lise Busk-Jensen: Romantikkens Forfatterinder. Bd 2. Kopenhagen: 2009, S. 865- 866. Annegret Heitmann 132 im ökonomischen Kalkül, was die Erzählung sehr viel deutlicher macht als die Finanztheorie. Neben Adam Smiths ‚unsichtbarer Hand‘ vermittelt zwischen individuellem Glück und gesellschaftlichem Fortschritt in unserem Text eine weitere unsichtbare, weil unerwähnte Kraft, die biologische Produktivität, die auf das weibliche Geschlecht angewiesen ist. Reduziert auf ihren biologischen Beitrag zur Verstetigung wird die Frau bei Gyllembourg jedoch keineswegs, auf der Handlungsebene zeichnet sich die Protagonistin als Trägerin von Vertrauen aus, die den Helden sowie die Fabrik durch Treue und Tatkraft rettet. Damit kommt dem Produktions- und Produktivitätsdiskurs eine Schlüsselstellung in der Erzählung zu. Insofern ist es auch kein Wunder, dass der Text dem Aspekt der Produktivität eine weitere inhaltliche Ebene widmet, die die Thematik selbstreflexiv spiegelt und Rückbezüge auf sein eigenes Produktionsverständnis erlaubt. Auch wenn es sich nicht um eine Künstlerthematik handelt, 38 an der in der Regel Fragen künstlerischer Produktionstheorien verhandelt werden, geben einige Episoden Aufschluss über diese selbst-reflexive Dimension, die zugrunde gelegte „economics of authorship“, wie Woodmansee und Osteen es nennen. 39 Conrads Produktionstheorie, die sich ausschließlich auf das Erreichen ökonomischen Wohlstands bezieht und sich dezidiert kunstfeindlich gibt, wird durch eine Reihe anderer Ansätze problematisiert, zum Teil in Diskussionsszenen, zum Teil implizit durch die Kontrastierung mit anders gearteten Modellen der Produktion. So beginnt die Erzählung mit der Beschreibung des Dachzimmers, das Hanne für die Rückkehr ihres Verlobten aus dem Ausland liebevoll hergerichtet hat: Ein paar neue Möbel, Gardinen, Decken, Bezüge, Tapeten, Bilder und Stickereien hat sie ausgewählt, angefertigt und zusammengestellt, womit sie die für die Konstitution von Weiblichkeit wichtigen Eigenschaften wie Fleiß, Geschick und Geschmack unter Beweis stellt. Außerdem stellt die Einrichtung des Zimmers ein weiteres Beispiel für die Dominanz von symbolischem gegenüber ökonomischem Kapital dar, die dem weiblichen Geschlecht zugeordnet wird, denn Geld stand ihr kaum zur Verfügung. Von ihrem zukünftigen Schwager Ludvig erhält sie denn auch viel Lob für ihre Mühen: „En saadan Skjønhedssands, en saadan Gratie, som her aabenbarer sig, maa visselig regnes til de skjønne Kunster. Det er dette Hele, som er et lille Kunstværk. Dette tilforn saa fattige Kammer, hvor er det nu forvandlet“ (MdY, 17), 40 stellt Ludvig fest. Er entfaltet hier einen Kunstbegriff, dem neben dem handwerklichen und dem Materialaspekt, wobei vor allem die mühevolle Arbeit hervorgehoben wird, 38 Lediglich in der Erzählung Extremerne (1835) wird weibliches Kunstschaffen explizit thematisiert. 39 Woodmansee und Osteen (Hg.): The New Economic Criticism, S. 6. 40 „Ein solcher Schönheitssinn, eine solche Gratie, wie sie sich hier offenbart, muss mit Sicherheit zu den schönen Künsten gezählt werden. Es ist die Ganzheit, die ein kleines Kunstwerk darstellt. Diese vormals so armselige Kammer, wie ist sie jetzt verwandelt.“ Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 133 eine Wirkungsdimension bedeutungsvoll ist. Die Verwandlung des Zimmers soll auch einen verwandelnden Effekt auf den Rezipienten haben: „I Sandhed, kjære Hanne! Du har forstaaet at berede din Ven et sandt Hjem, et Tilflugtssted mod ond Lune, mod Uro og Mismod [...] thi Alt dette har Du med en Kjærligheds Haand beredt for ham, i lang Tid arbeidet med Glæde og Ømhed“ (MdY, 17). 41 In dieser langen, initial platzierten Szene wird also dem alltäglichen weiblichen Wirken Kunstcharakter zugesprochen, der Wert ergibt sich aus der Sorgfalt und Mühe des Produktionsaspekts sowie der erhofften Wirkung. Die allerdings - bleibt aus. Der arrogante Conrad bemerkt die Veränderungen nämlich gar nicht und kritisiert sogar das, was andere positiv als Fleiß bewerten, als unproduktiv: „[d]et er synd,“ sagt er zu seiner Braut, „at du har anvendt saa megen Tid og udmattet dine Øine med at pynte op til mig“ (MdY, 34). 42 Ökonomischer, so meint er, wäre die Herstellung der von Hanne mit der Hand gestickten Decken als fabrikgefertigte Webereien. Während in ihrem Produktionsverständnis also gerade der Arbeitsaufwand den Wert ausmacht, steht bei ihm Produktivität in einem Verhältnis zur Zeit, das Effizienz und Tempo favorisiert. Entscheidend ist aber nicht nur der hier repräsentierte Gegensatz von Materialismus und Idealismus sowie von Fortschritt und Tradition, sondern auch der von Hanne verfehlte Wirkungsaspekt, der laut Ludvigs Räsonnement das handwerkliche Können erst zur Kunst macht. Insofern bleibt Hannes Arbeit letztlich doch unproduktiv. 43 Das spiegelt sich auch in dem umstrittensten Teil ihrer Einrichtung, einem Kupferstich, der Abelard und Heloise darstellt (vgl. MdY, 18). Schon Ludvig zeigt sich verwundert über die Wahl des Bildes, während Hanne nur den oberflächlichen Ausdruck sieht und damit sowohl fehlende Bildung als auch einen sentimentalen Geschmack verrät. Da sie die Geschichte des französischen Liebespaares nicht genau kennt, verschließt sich ihr auch eine Bedeutungsebene des Bildes, die eine Parallele zu ihrem eigenen Hervorbringen darstellt. Abelard und Heloise nämlich sind, durch seine Kastration und beider Klosterleben, Zeichen der zwar tiefen und leidenschaftlichen, aber letztlich unproduktiven Liebe und stehen damit im Gegensatz zu allem, was Gyllembourgs Figuren als auch die Erzählung insgesamt vertreten. Die Produktivität von Kunst und Kultur, so geht aus diesen selbst-reflexiv lesbaren Episoden hervor, ergibt sich aus der Kombination von Absicht, Material, Herstellung und Wirkung. All dies fehlt dem Kupferstich aufgrund von Hannes Ignoranz im vorliegenden Kontext; er war an anderer Stelle bereits aussortiert worden und sie hatte sich lediglich von seiner dekorativen Oberfläche beeindrucken lassen, ohne 41 „Wahrhaftig, liebe Hanne! Du hast es verstanden, deinem Freund ein wahres Heim zu bereiten, eine Zufluchtsstätte vor schlechter Stimmung, vor Unruhe und Missmut [...] denn all dieses hast du mit einer liebenden Hand für ihn bereitet, lange Zeit mit Freude und Zärtlichkeit daran gearbeitet.“ 42 „Es ist bedauerlich, dass du so viel Zeit verwendet und deine Augen angestrengt hast, um [das Zimmer] für mich zu schmücken.“ 43 Auch Busk-Jensen zitiert diese Stelle in ihrem kurzen Referat von Montanus den Yngre, liest sie aber lediglich als Ausdruck des Geschlechter-Gegensatzes und der männlichen Ablehnung weiblicher „intimsfærefærdigheder“. Busk-Jensen: Romantikkens forfatterinder, S. 891. Annegret Heitmann 134 eigenes Zutun, ohne Absicht und mit einer verfehlten Wirkung - Conrad kann das Bild nicht leiden. Wirtschaftliche Produktivität setzt sich aus Produktion und Wirkung zusammen - sie ist das Ziel der ökonomischen Handlungsebene, die eine notwendige Ergänzung durch biologische Produktivität erfordert, um verstetigt zu werden. Kunst und Kultur, die in den Diskussionsszenen des Romans von manchen der Akteure als Gegenteil zu Wirtschaft und Wissenschaft angesehen werden, 44 teilen mit der Ökonomie sowohl den Hervorbringungsals auch den Funktionsaspekt. Für eine solche Meinung tritt immer wieder der vernünftige Ludvig ein, der einer Sprachrohrfigur 45 wohl recht nahe kommt und die Dichotomie von Wirtschaft und Kultur unterläuft. Wie auch die Kunst produktiv werden kann, zeigen zwei Diskussionsszenen der Erzählung, in der kulturelle Zeugnisse das hervorbringen, wozu sie in der Lage sind: Reflexion und Erkenntnis, manchmal Trost und Beruhigung, ein anderes Mal Kritik und Einsicht. Da ist zum einen Ludvigs Predigt, die „saa poetisk, saa dybsindig og dog saa populair“ (MdY, 142; „so poetisch, so tiefsinning und doch so populär“) eine Wirkung auf alle ihre Zuhörer, von den Bauern bis zum Baron, zeitigt. Sie vereinigt die christliche Botschaft mit einem unterhaltsamen Vortrag, so dass die ungebildeten Bauern den Sinn erfassen können ohne den Inhalt zu verstehen, und sie hat den angenehmen Nebeneffekt, dass der Baron ihm daraufhin die zufällige gerade frei gewordene Pfarrstelle auf seinem Gut anbietet. Ein ökonomischer Subtext ist also selbst diesem interesselos vorgetragenen und thematisch unverdächtigen kulturellen Zeugnis inhärent. Zum zweiten ist da eine längere kontroverse Auseinandersetzung über die bekannte Aesopsche Fabel der zwei Krüge, die in der dänischen Übersetzung von Christian Winther als Eisen- und Tontopf firmieren (vgl. MdY, 72-78). Auch in dieser Szene zeigt sich eine produktive Wirkung von Kultur, die im Erkenntnisgewinn und im Austausch der Meinungen besteht. Entscheidend tritt hier aber ein anderer Aspekt in den Vordergrund: die besondere produktive Kraft der indirekten, der camouflierten Aussage. Schon in der Predigt-Szene wurde zwischen der buchstäblichen und der übertragenen Sinnebene unterschieden. In diesem zweiten Fall zieht zwar der Pragmatiker Conrad direkte Aussagen und unverstellte Meinungen vor, doch Ludvig fungiert wieder einmal als Sprachrohr und hebt den Wert der indirekten, poetischen Botschaft hervor. Auch die Szene selbst belegt, dass gerade die metaphorische Doppeldeutigkeit, die in Andeutungen niedergelegte indirekte Mitteilung die Produktivität der Fabel ausmacht. Was dem buchstäblichen Lesen Conrads als „Nonsens“ (MdY, 74) erscheint, kann auf unterschiedliche Weise konkretisiert und produktiv gemacht werden. Insofern hat auch der Sinn der Fabel die Zeiten überdauern können. Wie eine andere Szene zeigt, und zwar der zunächst missverstandene Brief Hannes, ist zur Realisierung von Bedeutungen allerdings eine hermeneutische Kompetenz vonnöten, deren Fehlen zu Verzögerungen in der 44 Vor allem Kammerjunker Malte ist der Vertreter der unproduktiven, rein sentimentalen Kunst. 45 Das meint auch de Mylius: Holbergs genopstandelse, S. 72. Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 135 Handlungsauflösung führt (vgl. MdY, 103). Ein in bestimmter Absicht geschriebener Text versteht sich durchaus nicht von selbst, sondern bedarf der Entschlüsselung, so dass auch hier Textproduktion immer als Wechselverhältnis begriffen wird. Umso wichtiger ist diese Fähigkeit, wenn es sich um künstlerische Texte handelt wie Gyllembourgs eigene, über deren Poetik die eben erwähnten Episoden einigen Aufschluss geben. Genau wie der textuelle Wendepunkt, der ungedeckte Wechsel, den Conrad im Ausland unterschrieben hat, um Handel und Wohlstand in seiner Heimat neu zu beleben, fungieren offenbar auch Kultur, Kunst und Literatur als „semiotic intermediary“, wie Richard T. Gray das abstrakte Papiergeld bezeichnet hat, das in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eingeführt wurde. 46 Auch im Falle des in dieser Erzählung im Mittelpunkt stehenden Wechsels ist sein materieller Träger wertloses Papier, es gewinnt aber die Fiktion eines Wertes durch die Signatur. Der Aspekt der Täuschung ist ihm also eingeschrieben, womit ihm auch Risiko sowie Vertrauen inhärent sind. Eine notwendige Voraussetzung für seine Produktivität ist die Entfaltung dieses Täuschungspotentials, ist das Vertrauen in die Fiktion vom Wert des Wechsels, der vor der Institutionalisierung von Banken entscheidendes Zahlungsmittel bei größeren Geschäftstransaktionen und wichtiger Wachstumsbeschleuniger war. Täuschung und Fiktionalisierung ist nun auch ein allgemeines Merkmal von Literatur, und zwar in ganz besonderem Maße von Gyllembourgs Autorschaft. Es ist hinreichend bekannt, dass sie unter dem Pseudonym „Forfatteren til En Hverdags- Historie“ firmierte, ihre Erzählungen also anonym in der Zeitschrift ihres Sohnes Kjøbenhavns flyvende Post veröffentlichte und ihre Anonymität auch sorgsam hütete. 47 Auf diese Weise erreichten ihre Texte ein hohes Maß an Popularität, sie hatten Erfolg auf dem Buchmarkt und brachten sowohl der Zeitschrift Auflagengewinne als auch ihr finanzielle Erträge ein. 48 Die Marktposition wurde durch das 46 Gray: Money and semiosis, S. 99. 47 Vgl. z.B. Klaus P. Mortensen: Thomasines oprør - en familiehistorisk biografi om køn og kærlighed i forrige århundrede. Kopenhagen: 1986; Busk-Jensen: Romantikkens Forfatterinder, S. 846-849. 48 Vgl. Busk-Jensen: Romantikkens Forfatterinder, S. 846-849. Auch die lebhafte zeitgenössische Rezeption, ein weiterer Erfolgsindikator, wird ausführlich bei Busk-Jensen dokumentiert. Busk-Jensen: Romantikkens Forfatterinder, S. 898-905. Vgl. auch Birgit Mortensen und Marie Louise Sodemann: „Fuldendelsens noveller. Om Thomasine Gyllembourg“. In: Nordisk Kvindelitteraturhistorie. Hg. von Elisabeth Møller Jensen. Bd. 2. Kopenhagen: 1993, S. 241: „Helt fra den første novelle [...] var den økonomiske sidegevinst ved skriverierne af ikke uvæsentlig betydning for den altid vaklende fælles økonomi“ („Von der ersten Erzählung an [...] war das Zusatzeinkommen, das die Schriftstellerei einbrachte, von nicht unwesentlicher Bedeutung für die immer unstabile gemeinsame Ökonomie“) schreiben Birgit Mortensen und Marie Louise Sodemann und belegen ihre Aussage mit Briefen, in denen die Autorin über ihre finanzielle Lage klagt. Annegret Heitmann 136 Geheimnis um die Autorschaft noch gesteigert, gerade die damals viel diskutierte Maskierung der Autorin generierte einen Wirkungsaspekt wie ihn die eben referierten kunsttheoretischen Passagen in Montanus den Yngre fordern. Die ersten Erfolge hatten auch für die Schriftstellerin selber eine hohe Produktivität zur Folge: Obwohl sie bei ihrem Debüt immerhin 53 Jahre alt war, schrieb sie in den folgenden 17 Jahren 29 Erzählungen und Dramen, insgesamt über 3000 Druckseiten, da die meisten sog. Fortællinger Romanlänge haben. Dass über die Themen ihrer Texte hinaus nicht zuletzt die Anonymität ihrer Autorschaft einen Publikumsappell und eine dialogische Wirkung entfalteten, lässt sich an mehreren öffentlich geführten Debatten ablesen, die bereits mehrfach dokumentiert und besprochen worden sind. 49 Thomasine Gyllembourgs Schreibutensilien. Foto: Stuart McIntyre. Mit freundlicher Genehmigung des Bakkehusmuseet, Kopenhagen. Bei der Frage nach der Hervorbringung dieser Wirkung hat die Forschung sich häufig auf gender-spezifische Aspekte konzentriert und dabei vor allem auf die produktionsästhetisch wichtige Tatsache verwiesen, dass Gyllembourg nach eigener Aussage für ihre schriftstellerische Tätigkeit ausschließlich das Kindertintenfass ihres Sohnes Ludvig benutzt hat. Marie-Louise Svane schließt daraus, „hvor fast hendes kreativitet var sammenbundet med opfattelsen af sig selv som mor, men den 49 Vgl. z.B. Mortensen: Thomasines oprør. Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 137 indicerer samtidig, hvordan hun symbolsk ‚låner‘ sønnens seksuelle køn i skabende øjemed. Skriveakten viser sig på én gang som moderlig selvbekræftelse og - i den konkrete figurering af pen og blæk - som en fallisk aktivitet.“ 50 Das entspricht jedenfalls zum Teil der Selbstaussage der Autorin in ihrem sog. ‚literarischen Testament‘, in dem sie sich ebenfalls in erster Linie als Mutter stilisiert, die durch ihre Zeitschriftenbeiträge ihrem Sohn aus einer Notlage geholfen habe. 51 Wenn man sich allerdings dieses Tintenfass einmal genauer ansieht, verliert es seine angeblich kindliche Unschuld (Abb. 2 und 3). Wenngleich man berücksichtigen muss, dass es um 1800, als Thomasines Vater ihrem Sohn dieses Tintenfass schenkte, kein eigentliches Kinderspielzeug in unserem Sinne gab, ist dieses Schreibutensil sicher nicht für Kinder gedacht. Es ist zwar klein und zierlich und die Putte könnte man als niedlich bezeichnen, doch wirkt seine Zartheit eher wie ein Utensil für billet-doux, für das Schreiben heimlicher Liebesbriefe. Das wird durch seine Symbolik unterstrichen; die Putte wird zu einem Amor, wenn man den zeichenhaften Gehalt des Tintengefäßes, der geöffneten Muschel einbezieht, das Symbol der Aphrodite, der Göttin der Liebe, der Erotik und der Produktivität. Sandro Botticelli: Geburt der Venus (Uffizien, Florenz). Aus der Darstellung von Botticelli (Abb. 4) ist sie allgemein bekannt. Schon eine korinthische Terrakotta-Plastik stellt die dem Meer entsprungene Aphrodite in der 50 Marie-Louise Svane: „Muser, mødre og døtre. Prosaens forfatterinder“. In: Dansk litteratur historie. Hg. von Steffen Auring u.a., Bd. 5. Kopenhagen: 1984, S. 462. „[W]ie fest ihre Kreativität mit der Auffassung von sich selbst als Mutter verbunden war, aber es zeigt sich darüber hinaus, wie sie auf symbolische Weise für den Schaffensakt das sexuelle Geschlecht ihres Sohnes ‚ausleiht‘. Der Schreibakt erweist sich gleichzeitig als mütterliche Selbstbestätigung und - in der konkreten Ausformung in Papier und Tinte - als eine phallische Aktivität.“ 51 Vgl. Gyllembourg: Fru Gyllembourgs litterære Testamente, S. 1-5. Annegret Heitmann 138 ihr zugeordneten Muschel dar, die Komposition dieses Werkes von ca. 300 v. Chr. wurde von griechischer und späterer Kunst vielfach nachgeahmt. „Aphrodite stellt im griechischen Panthenon“, so verzeichnet Der Neue Pauly, „die gesamte Ambiguität der Weiblichkeit dar, den verführerischen Charme ebenso wie die Notwendigkeit der Fortpflanzung und ein Potential an Täuschung“; 52 kein Wunder also, dass Gyllembourg dieses Tintenfass favorisierte. Die Aphrodite selbst ist abwesend in dem Tintenfass, sie ist lediglich angedeutet durch die eigenartige Form einer roten Flamme in der Mitte des Gegenstandes, die dann wiederum auf die Passion der Liebe verweist. Die Halterungen für die Federn erlauben, wenn gewünscht, auch noch die Hinzufügung eines phallischen Elements. An die Stelle von meist angenommener Mütterlichkeit und Unschuld tritt somit ein Bild von Erotik und Produktivität, das aber nur angedeutet wird und erahnt werden muss und so mit der Poetik der Maskierung und der Täuschung einhergeht. Da aus diesem Tintenquell die Materialität der Schrift geformt wird, hier also der Ursprung der erfolgs- und marktorientierten, dialogischen Poetik liegt, kann man in dem Utensil gewissermaßen auch die Produktivkraft ihres Schreibens symbolisiert sehen: die Maskierung und die Täuschung. So wie Erotik und weibliche Produktivität das ausgesparte Zentrum des Tintenfasses ausmachen, so bilden sie auch die unausgesprochene Mitte von Gyllembourgs Werk. Diese heimliche Produktivität ist homolog zu der uneingestandenen Marktposition der Autorin zu sehen, sie spricht von der Liebe zu ihrem Sohn, während sie ein einträgliches Geschäft mit ihren Texten macht. Der moralische Impetus ihrer Literatur scheint in keinem Spannungsverhältnis zu ihrem Warencharakter zu stehen, in den die Suche nach einem Publikum, das - Heiberg zufolge - aus dem ‚Ton‘ erst einen ‚Klang‘ macht, zwangsläufig mündet. Während Autoren wie Charles Dickens oder George Eliot ungefähr gleichzeitig mit den parallel entstehenden ökonomischen Theorien von David Ricardo oder Thomas Malthus den Markt als „tragic but inescapable mechanism“ 53 darstellen, dem eine beruhigende, humane Privatsphäre als Korrektiv oder Palliativ entgegengehalten werden muss, lässt sich bei Gyllembourg weibliche, künstlerische und ökonomische Produktivität durchaus verbinden. Das bezieht sich sowohl auf ihre auf Dialogizität angelegte Poetik, deren Wirkungsaspekt sich nicht zuletzt aus Maskierung und Aussparung ergibt, als auch auf die fiktive Welt ihrer Erzählungen, in denen Ökonomie, Liebe und geschlechtliche Produktivität ineinandergreifen und sich gegenseitig fördern und bedingen. Die Passion des kastrierten Abelard stellt genauso wenig ein Ideal dar wie das lediglich Fleiß bezeugende innenarchitektonische Bemühen Hannes. Die Protagonistin muss ihre Liebe in dem kritischen Moment, als der Wechsel zu platzen droht, als Vertrauenspfand zum Einsatz brin- 52 Vinciane Pirenne-Delforge: „Aphrodite“. In: Der neue Pauly. Hg. von Hubert Cancik und Helmuth Schneider. Bd. 1. Stuttgart: 1996, S. 838-843. 53 Elaine Freedgood: „Banishing panic: Harriet Martineau and the popularization of political economy“. In: The New Economic Criticism. Hg. von Martha Woodmansee und Marc Osteen. London, New York: 1999, S. 212. Liebes- und Produktionsdiskurse in Montanus den Yngre 139 gen, um den zukunftsträchtigen Plänen ihres Verlobten wieder Hoffnung zu verschaffen. In diesem Punkt offenbart die Repräsentantin der bescheidenen Häuslichkeit ein Potential an Mut und Handlungsfähigkeit, das zwar nicht die gängigen Weiblichkeitsnormen, wohl aber ihren Objektstatus überschreitet. Wenn die Erzählung es auf diese Weise schließlich schafft „at indrette Alt efter alle Parters Tilfredshed“ (MdY, 174; „alles zur Zufriedenheit aller Partner einzurichten“), sind damit nicht nur die richtigen Ehepartner sowie Liebe und Ökonomie versöhnt, sondern es kommt auch ein Grundvertrauen in die ‚unsichtbare Hand‘ des produktiven Marktes zum Tragen, das in den zielbewussten Verschleierungsstrategien der Autorin eine Parallele hat. Annegret Heitmann 140 Austen, Jane: „Pride and Prejudice“. In: The Novels of Jane Austen. Hg. v. R.W. Chapman. Bd. 2. London : 1959. Bourdieu, Pierre: „Flaubert. Einführung in die Sozioanalyse“. 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Um diese Perspektive zu konturieren, setze ich die literarischen Erkenntnisse der vorgestellten Texte in Beziehung zu geld- und wirtschaftsgeschichtlichen Vorgängen und zu theoretischen Arbeiten über Werte. Die Beantwortung der Fragestellung erfolgt anhand exemplarischer Analysen von Sølvskillingen (1861; Der Silberschilling), Hjertesorg (1852; Herzenskummer) und Lykken kan ligge i en Pind (1869; Das Glück kann in einem Stück Holz liegen). In den ersten beiden Textbeispielen wird ökonomischen Werten misstraut. Neben dem Wert der Waren ist in Hjertesorg auch die Verlässlichkeit literarischer Aussagen fragwürdig. Lykken kan ligge i en Pind führt schließlich zum Thema Literatur als Ware, obwohl der Text und seine hier berücksichtigten Paratexte sich dagegen etwas sträuben. Diesem für schöne Literatur typischen Sträuben steht jedoch eine Publikationsgeschichte gegenüber, die verdeutlicht, dass kaum ein dänischer Autor des 19. Jahrhunderts so um eine angemessene Wertschätzung seiner Arbeit - gemeint ist hier eine in Geld ausgedrückte Wertschätzung - kämpfte wie Hans Christian Andersen. Die wissenschaftliche Diskussion des Wertbegriffes erfolgte zu Beginn des 19. Jahrhunderts hauptsächlich in der ökonomischen Theorie. 1 Themen der wirtschaftswissenschaftlichen Werttheorie lassen sich auch in Andersens Texten identifizieren. Grundlegend für die ökonomischen Ansätze des 19. Jahrhunderts ist die Unterscheidung von Gebrauchswert und Tauschwert, dabei wird vor allem Letzterer als erklärungsbedürftig betrachtet. Wissenschaftliche Abhandlungen begründeten die 1 Anton Hügli u.a.: „Wert“. In: Historisches Wörterbuch der Philosophie. Bd. 12. Hg. von Joachim Ritter u.a. Basel: 2004, Sp. 556-583. Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 143 Genese von Tauschwert zumeist im Begehren der Konsumenten oder in der Arbeit des Produzenten; oft wurden diese beiden Ansätze kombiniert. Dies geschieht auch in Anders Sandøe Ørsteds Betragtninger over Danmarks nuværende pengevæsen von 1815, die in meinem Beitrag als Beispiel für eine dänische Werttheorie des 19. Jahrhunderts dienten. Ørsted stellt zunächst fest, dass Tauschwert aus dem Verhältnis zwischen der wirksamen Begehrlichkeit („virksomme Begjærlighed“) einer Partei, sich ein Ding anzuschaffen, und der Lust („Lyst“) der anderen Partei, dieses gegen andere nützliche, notwendige oder behagliche Dinge umzusetzen, entspringt. 2 Das vorläufig ungestillte Begehren lässt dem Ding Tauschwert zukommen. Hjertesorg wird zeigen, wie sehr diese Begehrlichkeit selbst wiederum ökonomisch erzeugt wird und Dinge erfassen kann, die zunächst weder nützlich, noch notwendig oder behaglich erscheinen. Die Begehrlichkeit ist nach Ørsted nur Bedingung, nicht aber Maßstab des Tauschwertes, der sich mit dem Entstehen marktwirtschaftlicher Konkurrenz verändert. Indem nämlich eine größere Anzahl von Menschen beginnt, das begehrte Produkt herzustellen, fällt zunächst der Preis, um sich schließlich dort einzupendeln, wo er der erforderlichen Arbeit zur Herstellung des Produktes entspricht. 3 Dass Wert letztlich auf investierter Arbeit beruht, ist eine Grundthese vieler Werttheoretiker des 18. und 19. Jahrhunderts und lässt sich auf Adam Smith zurückführen. 4 Karl Marx radikalisierte diese Theorie hinsichtlich der wertbildenden Funktion von Arbeit. 5 Dabei betonte er einerseits den Ausbeutungscharakter der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, dessen Folgen zunehmend auch literarische Aufmerksamkeit auf sich zogen. Andererseits verdeutlichte Marx, wie die Dinge als Waren ihre Herkunft und damit auch die ihrer Produktion zugrunde liegende Ausbeutung vergessen lassen. In der Warenform wird vom unterschiedlichen Charakter der Arbeit und den durch die Arbeit erzeugten gesellschaftlichen Beziehungen abstrahiert. Der Tauschwert scheint in den Dingen selbst und ihrer Beziehung zu anderen Dingen zu liegen. Damit verbindet sich eine Abstraktion vom Gebrauchswert. 6 Diese Abstraktion von der Materialität der Dinge findet sich in Sølvskillingen und Hjertesorg. 2 Vgl. Anders Sandøe Ørsted: Betragtninger over Danmarks nuværende Pengevæsen. Kopenhagen: 1815, S. 11. 3 Vgl. Ørsted: Betragtninger, S. 10-15. 4 Vgl. Adam Smith: An Inquiry into the Causes of the Wealth of Nations. Hg. von R.H. Campbell und A.S. Skinner. Oxford: 1976; Jakob Steinbrenner: „Wertung/ Wert“. In: Ästhetische Grundbegriffe. Bd. 6. Hg. von Karlheinz Barck u.a. Stuttgart, Weimar: 2005, S. 601. In der Dansk Pengehistorie (Dänischen Geldgeschichte) wird dieser Ansatz auch für Ørsteds Text auf Adam Smith zurückgeführt. Vgl. Knud Erik Svendsen u.a.: Dansk pengehistorie. Kopenhagen: 1968, S. 116. 5 Zu Marx’ Diskussion von Adam Smith’ Theorie vgl. Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Hg. vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Bd. 2: Der Zirkulationsprozeß des Kapitals. Berlin: 1963, S. 359-390. 6 Vgl. Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Hg. vom Institut für Marxismus- Leninismus beim ZK der SED. Bd. 1: Der Produktionsprozeß des Kapitals. Berlin: 1962, insbesondere S. 49-98. Frederike Felcht 144 In den 1840er Jahren griff die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Wertbegriff auf den philosophischen Diskurs über. Dabei lassen sich einerseits Versuche beobachten, ökonomischen Wert von Wert zu unterscheiden, welcher der ökonomischen Sphäre enthoben sein soll und beispielsweise in Vernunft oder Religion begründet ist. Solchen nicht-ökonomischen Wertordnungen wurden häufig auch ästhetische Werte zugeordnet. Sie werden im Folgenden als idealistische Wertordnungen bezeichnet. Andererseits suchten Werttheorien wie die des aufkommenden Marxismus nach einem Wertbegriff und einer Begründung von Wert, die alle Bereiche des Lebens umfasst. 7 Nach Marx durchdringt der Tauschwert alle anderen Wertordnungen. Schon 1842 verwendete er den Fetischbegriff, um eine Verbindung von Religion und Ökonomie anzuzeigen. 8 Im Kapital wird der Fetischcharakter der Ware zu einem zentralen Theorem. Die gesamte kapitalistische Gesellschaft sei von Warenfetischismus durchdrungen. Waren sind nach Marx „voll metaphysischer Spitzfindigkeiten und theologischer Mucken“. 9 Die Trennung zwischen den ökonomischen und nicht-ökonomischen Wertordnungen wird als durchlässig erkannt. Die Begründung ästhetischen Wertes wurde in den Wissenschaften rege diskutiert. Seine Abgrenzung von religiösem, ethischem oder ökonomischem Wert erwies sich als besonders schwierig. 10 Dies gilt auch für die Literatur. Literarische Texte gewannen mit Massenproduktion und -konsum einen ausgeprägten Warencharakter; ökonomischer Erfolg und ästhetischer Wert wurden jedoch zugleich in der ästhetischen Theorie und dem literarischen Diskurs der Moderne oft als einander ausschließende Größen betrachtet. 11 Hjertesorg und Lykken kan ligge i en Pind lassen die Friktionen und Kontinuitäten erkennen, die sich aus der Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Wert ergeben. Durch Widersprüche verweisen sie darauf, dass Literatur der Ökonomie nicht entgeht. Sie lenken dabei die Aufmerksamkeit auf das Erzählen selbst und verweisen so auf ihr Produziertsein. Damit werden sie zu einer kritischen Ware. Schöne Literatur ist stets von dem Verdacht umgeben, funktional überflüssig zu sein - ‚bin die Verschwendung, bin die Poesie‘. Das Überflüssige aber ist auch das, was im 7 Vgl. Hügli u.a.: Wert, Sp. 556-564; Steinbrenner: Wertung/ Wert, S. 588-596. 8 Karl Marx und Friedrich Engels: Gesamtausgabe (MEGA). Hg. vom Institut für Marxismus- Leninismus beim ZK der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und vom Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED. Abt. 1. Bd. 1: Karl Marx: Werke - Artikel - Literarische Versuche bis März 1843. Berlin: 1975, S. 236. 9 Marx: Kapital. Bd. 1, S. 85. Zu Marx’ Theorie des Warenfetischismus sowie seiner Entstehungsgeschichte vgl. auch Hartmut Böhme: Fetischismus und Kultur. Eine andere Theorie der Moderne. Hamburg: 2006, S. 285-333. 10 Vgl. Steinbrenner: Wertung/ Wert, S. 594-694. 11 Vgl. Anders Mortensen: „Romantic Critics of Political Economy“. In: Money and Culture. Hg. von Fiona Cox und Hans-Walter Schmidt-Hannisa. Frankfurt a.M. u.a.: 2007, S. 87-94. Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 145 Überfluß lebt und sich deshalb leisten kann, was andere sich versagen müssen. Literatur begreift sich schon früh und verstärkt seit dem 16. Jahrhundert als das Medium, das die Probleme der Deckung nicht hat und diese Probleme gerade deshalb umso besser beobachten kann. Denn Dichtung stellt gar nicht erst den Anspruch, ihre Aussagen seien gedeckt. 12 Sølvskillingen gehört zu den Texten, die diese These von Jochen Hörisch bestätigen. Das von Hörisch so genannte Problem von Kopf oder Zahl, also die Frage nach der Deckung einer Währung, wird auch in Sølvskillingen gestellt. Der Text erschien erstmals 1861, die hier zitierte Version folgt einer Ausgabe der Eventyr og Historier von 1865. Zu Beginn des Märchens freut sich der frisch geprägte Schilling: „Hurra! nu skal jeg ud i den vide Verden! “ (EoH 3, 74). 13 Er geht ein Jahr lang von Hand zu Hand und verlässt schließlich mit einem Reisenden sein Herkunftsland. Auf der Reise wird der Schilling im Geldbeutel zurückgehalten, entkommt jedoch eines Tages unbemerkt. Im Ausland kann er nicht wie gewohnt zirkulieren: „Den er ikke Landets Mynt! den er falsk! duer ikke! “ (EoH 3, 75), 14 heißt es. Die Münze wird nur noch im Dunkeln ausgegeben und oft zurückgewiesen. Und nun beginnt die Geschichte des Schillings, „som den siden fortalte den“ (EoH 3, 75). 15 Die Münze übernimmt hier das Wort, angezeigt wird dies durch die Anführungszeichen, die das Kommende als direkte Rede ausweisen. Das Geld wird damit zum Poeten; allerdings zu einem Poeten, der die Welt meist nicht versteht. Jochen Hörischs These, dass „[n]euzeitliche Literatur [...] im Geld einen feindlichen (und zweifellos erfolgreicheren) Bruder“ 16 entdecke, trifft damit auf den Schilling nicht ganz zu. Der Silberschilling gleicht eher einem naiven kleinen Bruder, der sich durch eine feindliche Welt bewegt. Und so wird er auch an den beiden Stellen dargestellt, die nicht in Anführungszeichen gesetzt sind, in denen der Erzähler noch einmal das Wort übernimmt: zitternd und seufzend ob jeden bevorstehenden Betrugs (vgl. EoH 3, 75-76). 17 Die Zurückweisung als Falschgeld ist für den Schilling unverständlich: „Jeg vidste, jeg var af godt Sølv, god Klang og med ægte Præg. De maatte bestemt tage 12 Jochen Hörisch: Kopf oder Zahl. Die Poesie des Geldes. Frankfurt a.M.: 1998, S. 19f. Hörisch zitiert hier Faust II, Vs. 5573. Vgl. Johann Wolfgang Goethe: Sämtliche Werke nach Epochen seines Schaffens. Münchner Ausgabe. Hg. von Karl Richter in Zusammenarbeit mit Herbert G. Göpfert u.a. Bd. 18.I: Letzte Jahre 1827-1832. Hg. von Gisela Henckmann und Dorothea Hölscher-Lohmeyer. München, Wien: 1997, S. 134. 13 „Hurra! nun will ich in die weite Welt hinaus! “ (wo nicht anders angegeben, stammen die Übersetzungen von mir). Zitatbelege nach folgender Ausgabe mit Sigle EoH sowie Band- und Seitenangabe künftig im Text: Hans Christian Andersen: H.C. Andersens samlede værker. Hg. von Det Danske Sprogog Litteraturselskab. Bd. 2 und 3: Eventyr og Historier II und III. Hg. von Laurids Kristian Fahl u.a. Kopenhagen: 2003. 14 „Das ist keine Münze unseres Landes! sie ist falsch! taugt nicht! “ 15 „[W]ie er sie später erzählte.“ 16 Hörisch: Kopf oder Zahl, S. 21. 17 Vgl. EoH 3, 75-76. Frederike Felcht 146 feil, mig kunne de ikke mene, men mig meente de dog! “(EoH 3, 75). 18 Gutes Silber, guter Klang, echte Prägung - Kopf und Zahl stimmen, aber das weiß im Ausland niemand. Und so seufzt die Münze: „Jeg elendige Skilling! hvad hjelper mig mit Sølv, mit Værd, mit Præg, naar det ikke har Noget at betyde. Man er for Verden, hvad Verden troer om En! “ (EoH 3, 75). 19 Wert beruht einzig und allein auf der Einschätzung anderer, ist entkoppelt von der Materialität der Münze. Diese Einsicht des Schillings ist verknüpft mit dem Verlassen der Landesgrenzen. Deckung wird umso problematischer, je transnationaler der Markt ist, da Vertrauen eher durch Vertrautes hervorgerufen wird. Vorsicht ist jedoch nicht allein hinsichtlich des ökonomischen Werts der Münze geboten. Sie untergräbt auch idealistische Werte. So versucht eine arme Frau, die den Schilling als Tageslohn erhalten hat, ihn trotz schlechten Gewissens einem reichen Bäcker anzudrehen. Dies scheitert, der Betrug wird sogleich entdeckt. Die arme Arbeiterin kann den Schilling nicht als Tauschmittel einsetzen, da diejenigen, die im Umgang mit Geld erfahren sind, ihn nicht entgegennehmen. Das Märchen demonstriert die wachsende Bedeutung des Misstrauens, die mit der Ausbreitung kapitalistischer Beziehungen vor sich geht. Ute Frevert hat für Lexikoneinträge gezeigt, dass unter dem Stichwort Vertrauen im 19. Jahrhundert häufig davor gewarnt wurde, es leichtfertig zu schenken. 20 Ein solches Klima des Misstrauens zeigt sich auch in Sølvskillingen, das dieses zugleich mit der Problematisierung von Wert verbindet. Das Geld ist dabei nicht zufällig ein zentraler Akteur: Gesellschaftliche Beziehungen wurden zunehmend durch Geld vermittelt, das sich jedoch in Wirtschaftskrisen als instabile Größe erwies. 21 Es bleibt die Frage, warum eigentlich der Münze allerorten ein solches Misstrauen entgegengebracht wird. Sind Münzen nicht der Fälschung unverdächtig; druckt man nicht eher Falschgeld, als es zu prägen? Zumal „Skilling“ genannte Münzen nicht sehr wertvoll sind. 22 Das lässt sich auch daran erkennen, dass der Schilling im Märchen der armen Frau als Tageslohn untergeschoben wird. 18 „Ich wusste, ich war von gutem Silber, gutem Klang und echter Prägung. Sie mussten sich bestimmt irren, mich konnten sie nicht meinen, aber mich meinten sie doch! “ 19 „Ich elender Schilling! was hilft mir mein Silber, mein Wert, meine Prägung, wenn es nichts zu bedeuten hat! Man ist für die Welt, was die Welt über einen glaubt! “ 20 Vgl. Ute Frevert: „Vertrauen. Historische Annäherungen an eine Gefühlshaltung“. In: Emotionalität. Zur Geschichte der Gefühle. Hg. von Claudia Benthien u.a. Köln u.a.: 2000, S. 186-187. 21 Werner Plumpe unterscheidet zwischen alten und neuen Krisen. Letztere verortet er im 19. Jahrhundert. Vgl. Werner Plumpe: Wirtschaftskrisen. Geschichte und Gegenwart. München: 2010, S. 42-62. Für Dänemark vgl. Svendsen u.a.: Dansk Pengehistorie, S. 84-115, S. 241-245 und S. 257-263.. 22 „Skilling“ bezeichnete meist allgemein Münzen niedrigeren Wertes oder eine bestimmte Münze, die vor allem 1814-1874 in Umlauf war und 1/ 96 rigsdaler entsprach. Vgl. Das Stichwort „Skilling“ in der Internetversion des Ordbog over der danske Sprog. Historisk Ordbog 1700-1950. Hg. von Det Danske Sprogog Litteraturselskab u.a. Auf: http: / / ordnet.dk/ ods (letzter Besuch: 14. März 2011), Stichwort „Skilling“. Dem Anmerkungsapparat der Eventyr og Historier ist zu entnehmen, dass ein Paar Schuhe etwa 3 rigsdaler kostete, der Schilling war also eine Münze mit sehr niedrigem Wert. Vgl. EoH 3, 407. Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 147 Das Misstrauen in die Münze war dennoch durchaus gerechtfertigt. Münzmanipulationen waren bis in das frühe 19. Jahrhundert verbreitet und wurden auch von Staaten unternommen, die bei finanziellen Schwierigkeiten oft Münzverschlechterungen durch einen sinkenden Feingehalt durchführten. So beschloss Dänemark bei der Geldreform von 1813 einen sinkenden Münzfuß. 23 Aber nicht allein der wechselnde Feingehalt verursachte Schwierigkeiten, den Tauschwert einer unbekannten Münze zu schätzen. Hinzu kam eine komplizierte Münzvielfalt. Münzen überschritten schon im 19. Jahrhundert häufig Ländergrenzen, teilweise auch für den Edelmetallhandel. Damit waren sie involviert in Spekulationsgeschäfte. Seit der Entdeckung der Goldvorkommen in Kalifornien 1848 kam es vermehrt zu Transaktionen im Gold- und Silberhandel zwischen Amerika, Europa und Indien; dadurch waren Münzen Kursschwankungen unterworfen. 24 Als Manipulationsobjekt mit wechselndem Tauschwert warfen auch die Münzen das Problem des Vertrauens in Währungen auf, das im von transnationalen Finanzkrisen geschüttelten 19. Jahrhundert virulent war. 25 Dieses Problem war in besonderem Maße mit grenzüberschreitendem Austausch verbunden, wie dies auch beim Silberschilling der Fall ist. Ein Paratext zu den Eventyr og Historier liefert eine Begründung für das Misstrauen gegenüber unbekannten Münzen, die aus diesem Spannungsfeld von Münzmanipulation und Fremdwährungen hervorgeht. In den Bemerkungen Andersens zu den Samlede Skrifter von 1868 gibt er an, das Märchen sei in Livorno geschrieben worden, nachdem ihm beim Geldwechseln ein falsches Zweifrankenstück gegeben worden war. „[D]et ærgrede mig at være bleven narret, men snart kom Ideen til Eventyr, og jeg havde da i dette min Penge igjen“ (EoH 3, 389). 26 Aus dem Geld wird eine Geschichte, die wiederum Geld bringt. Dass er in dem Märchen sein Geld hat („i dette min Penge“), lässt sich jedoch auch so verstehen, dass das Märchen selbst die Währung ist. Literarische Erzeugnisse changieren in dieser Aussage zwischen idealistischem (Eigen-)Wert und Tauschwert. In Sølvskillingen reagiert die arme Frau, die mit der Münze betrogen wird, ebenfalls mit dem Versuch, aus ihr anderweitig Gewinn zu ziehen. Sie macht einen 23 Zur Geschichte des Falschgelds vgl. Günter Wermusch: Falschgeldaffären. Berlin: 1988. Mit der wachsenden Verbreitung von Papiergeld und bargeldlosem Zahlungsverkehr ging die Bedeutung der Münzverschlechterungen allerdings zurück. Vgl. Michael North: Das Geld und seine Geschichte. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. München: 1994, S. 121-143. Zum Zusammenhang von Kursschwankungen, Silbergeld und Papiergeld sowie zur Vielfalt der Münzen auf dem dänischen Markt vgl. auch Svendsen u.a.: Dansk Pengehistorie, S. 104-125, S. 137-150, S. 159-162. 24 Die zunehmende Transnationalisierung der Edelmetallmärkte und die daraus erwachsenden Risiken national verschiedener Gold-Silber-Relationen waren maßgeblich mitverantwortlich für die spätere Einführung eines internationalen Goldstandards. Vgl. Marcello de Cecco: Money and Empire. The International Gold Standard 1890-1914. Oxford: 1974, S. 42-47; North: Das Geld, S. 143-151. 25 Vgl. Plumpe: Wirtschaftskrisen, S. 42-69. 26 „Es ärgerte mich, genarrt worden zu sein, aber bald kam die Idee zu dem Märchen, und da hatte ich in diesem mein Geld wieder.“ Frederike Felcht 148 Glücksschilling aus ihr. Die Frau schlägt ein Loch in die Münze, damit jeder sieht, dass sie falsch ist (vgl. EoH 3, 76), 27 zieht ein Band dadurch und hängt sie dem Kind einer Nachbarin um den Hals. Die Münze wird Schmuck und Talisman zugleich. Das betrügerische Tauschmittel wird stillgestellt und erhält damit eine neue Position in der Ordnung der Dinge. Der Schilling wird allein durch den Glauben der Frau zum Glücksbringer: „Du er maaskee en Lykkeskilling, ja det vil jeg troe! “ (EoH 3, 76). 28 Dies verdeutlicht, dass der Mechanismus der Wertbildung beim Tauschmittel ‚Geld‘ wie beim Fetisch ‚Glücksschilling‘ derselbe ist: „Man er for Verden, hvad Verden troer om En! “ (EoH 3, 75 - Hervorhebung F.F.). Den Ruhepunkt verlässt die Münze bald wieder, mit ihr wird ein Lottoschein gekauft. Die Problemlosigkeit des Wechsels vom Talisman zum Tauschmittel lässt erkennen, dass die Abgrenzungen zwischen magischer und ökonomischer Wertordnung instabil sind. Dass mit dem Lottoschein ein Produkt erstanden wird, das wie der Talisman auf Glück spekuliert, unterstreicht die Gemeinsamkeiten beider Sphären. Der Kauf gelingt, da die Münze zuvor in ein Säurebad gelegt wird, das sie grün anlaufen lässt. Ob der Lottoschein gewinnt, erfahren wir nicht. Die Münze aber wird immer weiter gereicht, „for at bedrage og altid bedrage“ (EoH 3, 76), 29 ein Zustand, über den sie selbst höchst unglücklich ist, da sie über Unrechtsbewusstsein verfügt. Darin unterscheidet sie sich von den meisten Menschen, denen sie begegnet. Schließlich wird die Münze einem Reisenden untergeschoben, der sie freudig als „en god, ærlig Skilling hjemme fra“ (EoH 3, 77) erkennt. 30 Er schlägt das Geldstück in feines Papier ein und zeigt es bei festlichen Anlässen vor, d.h. wenn er auf Landsleute trifft. Das Tauschmittel wird erneut stillgestellt, diesmal als Andenken. Zuletzt ruft der Schilling aus: Og saa kom jeg hjem! Al min Nød var forbi, min Glæde begyndte, jeg var jo af godt Sølv, jeg havde det ægte Præg, og det var mig slet ikke Fortræd, at man havde slaaet Hul i mig som falsk; det gjør ikke noget, naar man ikke er det! Man skal holde ud; Alt kommer i Tiden til sin Ret! Det er nu min Tro! (EoH 3, 77) Und so kam ich heim! All meine Not war vorbei, meine Freude begann, ich war ja von gutem Silber, ich hatte die echte Prägung, und es schadete mir überhaupt nicht, dass man ein Loch in mich als falsche Münze geschlagen hatte; das macht nichts, wenn man es nicht ist! Man muss aushalten; alles kommt beizeiten zu seinem Recht! Das ist nun mein Glaube! Das Märchen demonstriert, wie stark die Wertschätzung des Geldes an seine Vertrautheit sowie den Glauben an seinen Wert gekoppelt ist. Diese Bindung sondert den sozialen, bei Talisman und Andenken auch den subjektiv beigelegten Wert vom 27 Münzen wurden oft gelocht, um als Talisman zu dienen, gelegentlich wurden als Fälschung erkannte Münzen durch eine offizielle Lochung vom weiteren Umlauf ausgeschlossen. Vgl. Heinz Fengler, u.a.: Numismatik. Berlin: 1988, S. 142. Auf letztere Praxis spielt die Aussage der Witwe wahrscheinlich an. 28 „Du bist vielleicht ein Glücksschilling, ja das will ich glauben! “ 29 „[U]m zu betrügen und immer zu betrügen“. 30 „[E]inen guten, ehrlichen Schilling von zuhause“. Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 149 materiellen Wert, auf den die Münze selbst sich naiverweise zuletzt wieder beruft, obwohl sie angeätzt und durchlöchert ist und damit auch weniger Silber enthält. Deshalb ist es nicht der rechte Wert, den sie zuletzt erlangt, sofern darunter ein in der Materialität selbst begründeter Wert verstanden wird. Es ist lediglich der Wert, den sie selbst sich durch ihren Glauben verleiht und durch den Reisenden bestätigt sieht. Der Erzähler lässt offen, ob die Münze wieder in die Zirkulation eintritt, oder als Andenken einer wiederum neuen Ordnung der Dinge angehört; er schaltet sich nicht mehr ein. Es gibt keine übergeordnete Instanz mehr, die über den Wert des Geldes noch eine gesicherte Aussage trifft. Der 1852 veröffentlichte Text Hjertesorg problematisiert ebenfalls Wertbildungsprozesse. Ein andauerndes Umschlagen von Knappheit in Überfluss und umgekehrt durchzieht den gesamten Text und verhandelt so literarisch eines der Rätsel, das auch die Geldpolitik zu lösen versucht. 31 Im Unterschied zur Geldpolitik interessiert Hjertesorg sich allerdings weniger für den Erhalt von Reichtum als für die Opfer, die dessen Erzeugung erfordert. Die heikle Balance von Knappheit und Überfluss in Wertbildungsprozessen stellt Georg Simmel in der Philosophie des Geldes dar. Einerseits, so Simmel, bedürfe es einer gewissen Distanz zwischen Subjekt und Objekt, damit Dinge für uns Wert haben: Wäre Eisen so mühelos zu erlangen wie Atemluft, hätte es keinen wirtschaftlichen Wert. 32 Diese Distanz beschreibt er auch als aufgeschobenen Genuss, der Begehren erzeugt. Dinge sind wertvoll, weil sie „unserer Begehrung, sie zu erlangen, Hemmnisse entgegen setzten.“ 33 Andererseits müsse eine gewisse Fülle gegeben sein, damit etwas als Wert allgemein anerkannt wird. So werde zwar die Eignung von Edelmetallen als Geldsubstanz auf ihrer Seltenheit gegründet; tatsächlich müsse diese Seltenheit aber oberhalb einer ziemlich erheblichen Häufigkeit einsetzen, damit die Metalle dem praktischen Geldbedürfnis entsprechen können. 34 Hjertesorg erkundet das Verhältnis von Knappheit und Überfluss und zeigt, wie im Kapitalismus Begehren generiert wird: „Det er egentlig en Historie i to Dele, vi her komme med; første Deel kunde gjerne være borte, - men den giver Forkundskaber, og de ere nyttige! “ (EoH 2, 56), 35 heißt es gleich zu Beginn. Ist der erste Teil also überflüssig? Die behauptete Nützlichkeit der Vorkenntnisse wiederum deutet 31 Seit Beginn des Jahrhunderts war Dänemark von Wirtschaftskrisen geplagt, Inflationen und Deflationen wechselten einander ab. Die notwendige Geldmenge und die Deckung von Papiergeld waren deshalb zentrale Themen zeitgenössischer geldpolitischer Diskussionen. Vgl. Svendsen u.a.: Dansk Pengehistorie, S. 84-127, S. 159-170 und S. 257-263. 32 Vgl. Georg Simmel: Gesamtausgabe. Bd. 6: Philosophie des Geldes. Hg. von David P. Frisby u.a.. 2. Aufl. Frankfurt a. M.: 1999, S. 43-44. 33 Simmel: Philosophie des Geldes, S. 35. 34 Simmel: Philosophie des Geldes, S. 44. 35 „Es ist eigentlich eine Geschichte in zwei Teilen, mit der wir hier kommen; der erste Teil könnte gerne wegfallen, - aber er gibt Vorkenntnisse, und die sind nützlich! “ Frederike Felcht 150 über das Gebiet des Ästhetischen, verstanden als interesseloses Wohlgefallen, hinaus. Die Grenze zwischen ökonomisch und nicht-ökonomisch in Hjertesorg ist instabil, wie Svend Erik Larsen treffend bemerkt. 36 Die schöne Literatur behauptet, überflüssig und nützlich zugleich zu sein. Diese paradoxe Position entspricht ihrer Stellung in einer kapitalistischen Ökonomie, in der sie einerseits als idealistischer Wert gilt, andererseits eine Ware ist. Das Erzähler-Wir 37 befindet sich auf einem Herrenhof, wie die Leserin im nächsten Absatz erfährt. Den Hof besucht eine „Madamme“ (eine Bezeichnung, die oft humorvoll bis abwertend verwendet wird) 38 mit Mops und möchte, dass man Aktien auf ihre Gerberei zeichnet: „[H]un havde sin Moppe med og kom for, som hun sagde, at man skulde tage ‚Actier‘ i hendes Garveri“ (EoH 2, 56). 39 Neben dem Einschub „som hun sagde“ schaffen auch die Anführungszeichen um „Actier“ Distanz zwischen der Welt der Wertpapiere und dem Erzähler. Mit der Aktie tritt nach Karl Marx neben das „wirklich angelegte oder anzulegende Kapital“ der „Kapitalwert der Eigentumstitel“. „Die selbständige Bewegung des Werts dieser Eigentumstitel [...] bestätigt den Schein, als bildeten sie wirkliches Kapital neben dem Kapital oder dem Anspruch, worauf sie möglicherweise Titel sind.“ Die Aktien werden selbst zur Ware, ihr Preis wird durch die Gesetze des Aktienmarktes bestimmt und unterscheidet sich vom Nominalwert, d.h. der „eingeschoßnen Summe, die die Aktie ursprünglich repräsentiert“. 40 Aktienmärkte handeln mit fiktivem Kapital. Dieser Fiktionalisierung der Ökonomie stellt Hjertesorg die Ökonomisierung der Fiktion zur Seite. „Sine Papirer havde hun med, og vi raadede hende, at slaae en Convolut om dem og uden paa at skrive Gaardeierens Adresse: ‚Generalkrigskommissær, Ridder, etcetera‘“ (EoH 2, 56). 41 Die Witwe bittet darum, die Anschrift noch einmal langsam zu wiederholen, beginnt zu schreiben und bricht mitten in „Generalkrigs“ ab, wobei sie seufzt: „[J]eg er kun et Fruentimmer! “ (EoH 2, 56). 42 Ihren Mops hat sie derweil auf dem Boden abgesetzt, wo er zu knurren beginnt, „han var jo ogsaa taget med for 36 Vgl. Svend Erik Larsen: Litterær semiologi. Fire essays om fortælle(r)problemet. Odense: 1975, S. 121-122. 37 Thomas Bredsdorff wertet dies als dichterischen oder königlichen Pluralis Majestatis; der Erzähler nimmt eine ambivalente Position zwischen Empathie (bei den folgenden Perspektivwechseln in die Position des Mopses und des Mädchens) und mangelndem Einfühlungsvermögen (Blick von oben) ein. Vgl. Thomas Bredsdorff: Dansk litteratur set fra månen. Om sjælen i digtningen. Kopenhagen: 2006, S. 144-145. 38 Vgl. Det Danske Sprogog Litteraturselskab: Ordbog, Stichwort „Madamme“. 39 „[S]ie hatte ihren Mops dabei und kam, damit man, wie sie sagte, ‚Aktien‘ auf ihre Gerberei zeichnen sollte.“ 40 Karl Marx: Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Hg. vom Institut für Marxismus- Leninismus beim ZK der SED. Bd. 3: Der Gesamtprozeß der kapitalistischen Produktion. Berlin: 1964, S. 484-485. 41 „Ihre Papiere hatte sie dabei, und wir rieten ihr, ein Konvolut darum zu schlagen und darauf die Adresse des Hofbesitzers zu schreiben: ‚Generalkriegskommissar, Ritter, etcetera‘.“ 42 „[I]ch bin nur ein Frauenzimmer! “ Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 151 sin Fornøielse og Sundheds Skyld, og saa skal man ikke sættes paa Gulvet. Braknæse og Fleskeryg var hans Udvortes“ (EoH 2, 56). 43 Die Fähigkeit zu schreiben erlaubt erst ökonomische Handlungsfähigkeit. Schrift und Macht, aber auch Erzählen und Macht, sind eng verbunden in Hjertesorg. 44 Die Distanz des Erzählers zu der Welt der Wertpapiere ist weniger groß, als es scheint. Das Erzähler-Wir besetzt als Gast des Hofherren eine gesellschaftlich höhere Position als die Madame, die keine komplizierten Wörter schreiben kann. In der Figur des abwesenden Hofherrn verbinden sich Reichtum und militärischer Rang, dies ist ein Hinweis auf die Logik der Gewalt, die der Ökonomie in Hjertesorg zugrunde liegt. Die Witwe, der neben ihrem Mann auch Kapital fehlt, erhofft sich Mitleid, zeigt dieses aber selbst nicht gegenüber ihrem Mops. Gnadenlosigkeit durchzieht die in Hjertesorg gezeichnete Gesellschaft. ‚Han bider ikke! ‘ sagde Madammen, ,han har ingen Tænder. Han er ligesom Lem af Familien, trofast og arrig, men dette er han tirret til af mine Børnebørn; de lege Bryllup, og saa vil de have ham til at være Brudepige, og det anstrænger ham, det gamle Skind! ‘ (EoH 2, 56) ,Er beißt nicht! ‘ sagte die Madam, ‚er hat keine Zähne. Er ist wie ein Mitglied der Familie, treu und bissig, aber dazu wird er von meinen Enkeln gereizt; sie spielen Hochzeit, und da wollen sie, dass er Brautjungfer ist, und das strengt ihn an, die alte Haut! ‘ Die ihm zugedachte Rolle ist dem Mops mit gutem Grund unangenehm: Machtpositionen sind konsequent männlich besetzt in Hjertesorg. Der zahnlose Mops verkörpert Ohnmacht und steht auf der symbolischen wie der physischen Ebene am tiefsten. Ohnmacht aber ist in Hjertesorg fatal. Die alte Haut („gamle Skind“), das von der Madame für den Mops verwendete pars pro toto, wird bereits wenige Sätze später wieder aufgenommen, als das Erzähler-Wir bei einem Besuch in der Stadt von seinem Zimmer aus in den Hof der Witwe blickt. Dort stehen alle Materialien für eine Gerberei, darunter auch: „Skind og Huder“ („Häute und Felle“; EoH 2, 56). Bei der geplanten Aktiengesellschaft geht es darum, anderen die Haut abzuziehen, und es könnte auch die treffen, die wie ein Mitglied der Familie sind. Dem Mops wird zwar im weiteren Verlauf nicht die Haut abgezogen, aber auch aus seiner Leiche wird Kapital geschlagen. „‚Moppen døde! ‘ det er anden Deel“ (EoH 2, 56), 45 heißt es nach dem Besuch der Witwe. Ein in der Sekundärliteratur diskutiertes Problem ist die Frage nach der im Anfangssatz angekündigten Zweiteiligkeit des Textes. Denn „det er anden Deel.“ wird beispielsweise von Finn Barlby so gelesen, dass eigentlich nur der Satz „Moppen 43 „[E]r war ja auch um seines Vergnügens und seiner Gesundheit willen mitgenommen worden, und da soll man nicht auf den Boden gesetzt werden. Stumpfnase und Speckrücken waren sein Äußeres.“ 44 Vgl. Finn Barlby: „En hjertelig historie. Om historier & historien & om at være en hund efter historier“. In: Plys. Årbog for Børneog Ungdomslitteratur 21 (2005), S. 107-108; Larsen: Litterær semiologi, S. 112-118. 45 „‚Der Mops starb! ‘ das ist der zweite Teil.“ Frederike Felcht 152 døde! “ der zweite Teil des Textes ist. 46 Dann wäre der Erzähler unzuverlässig, statt zwei Teilen liegen mindestens drei vor. 47 Auf jeden Fall lässt sich festhalten, dass der Tod des Mopses im Zentrum des Textes steht. Produktion und Konsumtion in Hjertesorg beruhen auf dem Tod anderer. Die Enkel der Witwe schmücken das Mopsgrab und ein Junge beschließt, dass es ausgestellt werden soll, „Adgangen maatte betales med en Seleknap, det var Noget enhver Dreng havde, og han ogsaa kunde levere for Smaapigerne; og det Forslag blev eenstemmigt antaget“ (EoH 2, 57). 48 Wieder einmal gilt: kein Mann, kein Geld, und deshalb hat ein einsames Mädchen auch keinen Zutritt. Mit dem Knopf wird ein Geldzeichen eingesetzt, das Überfluss und Knappheit vereint: Der Hosenträgerknopf gehört einem Zusatzsicherungssystem an, das nicht zur Minimalfunktion einer Hose gehört, ist deshalb überflüssig; aber nur die Jungen haben ihn, deshalb knapp. 49 Im Wort „knap“ fällt diese Einheit zusammen: Das Wort weist den homonymen Überschuss zweier Bedeutungen auf, kann mit „Knopf“ und „knapp“ übersetzt werden. Geld und Wort vereinen die gleichen Gegensätze in sich. Die Welt besteht in Hjertesorg aus Aktiengesellschaften und Amusement; langfristige Bindungen werden in der Hochzeit mit Mops parodiert und durch kurzfristige Bindungen ersetzt. Die Knöpfe, die diese Welt zusammenhalten, sind das Geld. Die Kindergesellschaft ist nicht weniger grausam als diejenige der Erwachsenen. Das Mädchen, das keinen Jungen hat, der ihr einen Knopf gibt, muss draußen bleiben und beginnt zu weinen: [H]un alene havde ikke set Moppens Grav. Det var Hjertesorg og stor, som den Voxnes tidt kan være det. Vi saae det ovenfra - og ovenfra seet - denne, som mange af vore og Andres Sorger, - ja saa kunne vi lee af dem! - det er Historien, og den, som ikke forstaaer den, kan tage Actier i Enkens Garveri. (EoH 2, 57) [S]ie allein hatte das Grab des Mopses nicht gesehen. Das war Herzenskummer und groß, wie derjenige der Erwachsenen es oft sein kann. Wir sahen es von oben - und von oben gesehen - dieser, wie viel von unsererm und anderer Leute Kummer, - ja da können wir darüber lachen! - das ist die Geschichte, und die, die sie nicht verstehen, können Aktien auf die Gerberei der Witwe zeichnen. 46 Vgl. Barlby: En hjertelig historie, S. 101. 47 Vgl. Barlby: En hjertelig historie, S. 101. S. 95-102; Larsen: Litterær semiologi, S. 109-113; Erik Svendsen: „Nødvendigt overflødige detaljer. Om påfaldende former hos H. C. Andersen, Peter Høeg og Thomas Boberg“. In: Detaljen - tekstanalysen og dens grænser. Bd. 1. Hg. von Anne Sejten und Erik Svendsen. Frederiksberg 1999, S. 257-260; Peer E. Sørensen: H.C. Andersen og Herskabet. Studier i borgerlig krisebevidsthed. Grenaa: 1973, S. 151-156. 48 „Der Eintritt musste mit einem Hosenträgerknopf bezahlt werden, das war etwas, was jeder Junge hatte und auch für die kleinen Mädchen abliefern konnte; und dieser Vorschlag wurde einstimmig angenommen.“ 49 Vgl. Barlby: En hjertelig historie, S. 105-106. Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 153 Auch das Mädchen weint nur über das entgangene Spektakel, nicht über den Tod des Mopses. 50 Wie bei Simmel beschrieben, wird durch das Hemmnis Wert erzeugt. Durch den Eintritt entsteht das Begehren, das Grab zu betrachten. Jørgen Holmgaards Interpretation liefert wertvolle Hinweise zu konkreten ökonomischen Entwicklungen in Dänemark, die den Entstehungshintergrund von Hjertesorg bilden. So wuchs in den 1840er Jahren die Bedeutung von Aktiengesellschaften, die teils wilde Spekulationen auslösten. Sein Fazit teile ich jedoch nicht. Holmgaard kommt zu dem Schluss, Hjertesorg fordere zu einer Positionierung gegen die neue Geldwirtschaft zugunsten überlieferter geistiger Werte auf, die geistige Vermögen voraussetzten. 51 Der Text macht aber gerade deutlich, dass geistige Vermögen untrennbar mit ökonomischen verbunden sind. Hjertesorg weist immer wieder darauf hin, dass die Perspektive des Erzählers zugleich ein sozioökonomisch bestimmter Blick ist, wie Heinrich Detering und Svend Erik Larsen festhalten. 52 Nur wer von oben blickt, kann überhaupt entscheiden, ob er Aktien kauft oder nicht. Wer unten ist, wird eingeschlossen oder ausgeschlossen, ohne dass er oder sie sich dagegen wehren kann. Da die Ökonomie in Hjertesorg letztlich alles durchdringt, kollabiert die kritische Distanz der Literatur in ihrer wirtschaftlichen Verstrickung. 53 In diesem Verweis auf den eigenen Warencharakter kann man zugleich ein Durchbrechen desselben erkennen. 50 Bredsdorff geht davon aus, dass sie weint, weil die anderen Kinder sie allein zurücklassen, betont aber ebenfalls, dass sie nicht den Tod des Mopses betrauert. Vgl. Bredsdorff: Dansk litteratur, S. 142. 51 Holmgaards Interpretation bezieht sich dabei sehr eng auf die Biographie Andersens. Vgl. Jørgen Holmgaard: „Hjertesorg og andere sorger“. In: Poetik 21 (1974), S. 95-98. Eine ähnliche Interpretation liefert auch Sørensen: H.C. Andersen, S. 155. Zur Aktienmanie in Dänemark vgl. auch Erling Olsen: Danmarks økonomiske historie siden 1750. Kopenhagen: 1962, S. 126. 52 Vgl. Larsen: Litterær semiologi, S. 110; Heinrich Detering: „Nachwort“. In: Hans Christian Andersen: Sämtliche Märchen in zwei Bänden. Übers. von Thyra Dohrenburg. Hg. und mit einem Nachwort, Anmerkungen und einer Zeittafel versehen von Heinrich Detering. Bd. 2. Düsseldorf, Zürich: 2005, S. 723. - Dagegen sehen Holmgaard und Hans Henrik Møller den Erzähler eher in einer den ökonomischen Zusammenhängen enthobenen Position. Vgl. Holmgaard: Hjertesorg, S. 92-93; Hans Henrik Møller: „Mellem afstand og nærhed. H.C. Andersen og det moderne“. In: H.C. Andersen. Modernitet & Modernisme. Essays i anledning af Annelies van Hees’ afsked fra Amsterdams Universitet. Hg. von Aage Jørgensen und Henk van der Liet. Amsterdam 2006, S. 90-91, S. 101-102. 53 Betrachtet man den Schluss des Textes im Lichte der wechselseitigen Durchdringung von Literatur und Ökonomie in Hjertesorg, ließe sich mit Finn Barlby fragen, ob es nicht eher wirtschaftliche Gründe sind, die dagegen sprechen, Aktien von einer Witwe zu kaufen, die sich offenbar nicht gut auskennt im Geschäftsleben. Vgl. Barlby: En hjerterlig historie, S. 107- 108. Frederike Felcht 154 Mit dem letzten Textbeispiel entfernen wir uns vom Kummer und nähern uns dem Glück an. „Nu skal jeg fortælle en Historie om Lykken“ (EoH 3, 251), 54 kündigt der Erzähler zu Beginn von Lykken kan ligge i en Pind an, das erstmals 1869 unter dem Titel Luck may lie in a Pin im amerikanischen Riverside Magazine veröffentlicht wurde und erst elf Monate später auf Dänisch erschien. Solche fremdsprachlichen Erstveröffentlichungen schützten vor Raubübersetzungen, die bis zur Einführung des internationalen Urheberrechtsschutzes vielfach vorkamen. 55 Lykken kan ligge i en Pind verweist auf den Anspruch schöner Literatur, frei von wirtschaftlichen Erwägungen zu sein. Wirtschaftliche Erwägungen haben aber deutliche Spuren in dem Text hinterlassen. „Vi kjende Allesammen Lykken“ (EoH 3, 251), 56 erklärt der Erzähler und führt weiter aus, dass manche Menschen es täglich sehen, manche nur selten, aber jeder bekomme es einmal in seinem Leben zu Gesicht. „Nu behøver jeg ikke at fortælle, for det ved Enhver, at Vor Herre sender det lille Barn og lægger det i en Moders Skjød, -“ (EoH 3, 251). 57 Das könne in einem reichen Schloss, einer wohlhabenden Stube oder auf dem offenen Feld sein, und dazu gebe der liebe Gott jedem Kind eine Glücksgabe mit auf den Weg. Diese sei versteckt, werde aber immer gefunden. Das argumentum ad populum - „det ved Enhver“ („das weiss jeder“) - sollte stets zur Vorsicht ermahnen. So ist es nicht allein der liebe Gott, der die Kinder in den Schoß der Mutter legt. Auch dass wir alle das Glück kennen, gehört zu den verdächtig-unverdächtigen Behauptungen, die es erst noch zu beweisen gilt. Es wird sich herausstellen, dass zumindest nicht „Allesammen“ das Gleiche darunter verstehen. Denn das Glück kann unterschiedlicher Gestalt sein: Den kan være lagt i et Æble; det var den for en lærd Mand, som hed Newton: Æblet drattede, og saa fand han sin Lykke. Kjender Du ikke Historien, saa bed dem om at fortælle den, som kan den; jeg har en anden Historie at fortælle, og det er en Historie om en Pære. (EoH 3, 251) Es kann in einen Apfel gelegt sein; das war es für einen gelehrten Mann, der Newton hieß: Der Apfel fiel herunter, und so fand er sein Glück. Kennst du die Geschichte nicht, so bitte den, der sie kann, sie dir zu erzählen; ich habe eine andere Geschichte zu erzählen, und das ist eine Geschichte von einer Birne. Aus der eingangs angekündigten Geschichte vom Glück ist unversehens eine Geschichte über eine Birne geworden. Das Glück, das vom Himmel kam, fällt nun in einer recht profanen Gestalt zu Boden. 54 „Nun werde ich eine Geschichte vom Glück erzählen.“ 55 Vgl. Elias Bredsdorff: H.C. Andersen og England. Kopenhagen: 1954, S. 141-226; Jean Hersholt (Hg.): Hans Christian Andersen og Horace Scudder. En Brevveksling, Kopenhagen: 1948. 56 „Wir kennen allesamt das Glück“. 57 „Nun brauche ich nicht zu erzählen, denn das weiß jeder, dass Unser Vater das kleine Kind schickt und in den Schoss seiner Mutter legt“. Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 155 Dort unten setzt die Geschichte neu an: „Der var en stakkels Mand, som var født i Armod, groet op i Armod, og paa den havde han gifted sig. [...] ‚Jeg finder aldrig Lykken! ‘ sagde han. Det er en virkelig oplevet Historie, og man kan nævne Landet og Stedet, hvor Manden boede, men det er nu det Samme“ (EoH 3, 251). 58 Land und Ort wird Andersen in seinen Bemærkninger til Eventyr og Historier (1874; Bemerkungen zu den Märchen und Geschichten) nennen, auf diesen Paratext gehe ich noch ein. Zunächst möchte ich festhalten, dass aus dem Glück Geld geworden ist. Der Ausspruch „Jeg finder aldrig Lykken“ impliziert, dass die Abwesenheit von Glück hier die Abwesenheit von Geld ist. Auch dieser Glücklose findet sein Glück, wie es zu Beginn des Märchens angekündigt worden war. Der Mann ist Dreher und dreht überwiegend Regenschirmschäfte. Eines Tages repariert er seinen andauernd defekten eigenen Regenschirm mit einer Spielzeugbirne und diesmal ist der neue Schaft besonders haltbar. Daraufhin werden die neuen Schaftformen bei der nächsten Lieferung mit in die Hauptstadt gesandt und von dort aus gelangen sie nach „Amerika“, wo man die Qualitäten der Birne rasch erkennt: „Naa, der blev Noget at bestille! Pærer i Tusindviis! Træpærer paa alle Paraplyer! “ (EoH 3, 252). 59 Amerika ist hier ein Massenmarkt. Das Glück, das aus der Holzbirne erwächst, führt zu Reichtum. Die Entdeckung ist noch „Luck“, wie die englische Übersetzung treffend festhält, und damit zufällig, nicht verdient oder erarbeitet. Es erinnert an die in der dänischen Literatur einflussreiche Aladdin-Figur Oehlenschlägers, der das Glück ohne eigene Anstrengung zufällt. 60 Was der Dreher jedoch aus diesem Zufall zu machen weiß, entspricht durchaus dem Geist des Kapitalismus: Er dreht und dreht, verdient Schillinge und Taler und bekommt schließlich eine große Werkstatt mit Gesellen und Lehrlingen. Darin gleicht seine Geschichte dem american dream. Arbeitsteilung und massenhafte Reproduktion der Erfindung setzen ein, der Mann eröffnet eine große Werkstatt mit Gesellen und Lehrlingen, ist daraufhin immer guter Laune und sagt: „Lykken kan ligge i en Pind! “ (EoH 3, 252). 61 Nun schaltet sich der Ich-Erzähler wieder ein und bestätigt: Det siger ogsaa jeg, som fortæller Historien. Man har den Talemaade: ‚Tag en hvid Pind i Munden, saa er Du usynlig! ‘ men det maa da være den rigtige Pind, den, som gives os i Lykkegave af Vor Herre. Den fik jeg, og 58 „Es gab einen armen Mann, der war in Armut geboren, in Armut aufgewachsen, und in ihr hatte er geheiratet. [...] ‚Ich finde nie das Glück! ‘ sagte er. Dies ist eine wirklich erlebte Geschichte, und man kann Land und Ort nennen, wo der Mann wohnte, aber das ist nun egal.“ 59 „Na, da gab es etwas zu tun! Birnen zu Tausenden! Holzbirnen für alle Regenschirme! “ 60 Vgl. Jens K. Andersen und Leif Emerek: Aladdin-Noureddin traditionen i det 19. århundrede. Bidrag til en strukturel litteraturhistorie. Kopenhagen: 1975, S. 71-90; Elisabeth Oxfeldt: Nordic Orientalism. Paris and the Cosmopolitan Imagination 1800-1900. Kopenhagen: 2005, S. 21-53. 61 „Das Glück kann in einem Stück Holz liegen! “ Frederike Felcht 156 jeg kan ogsaa ligesom Manden hente klingende Guld, blinkende Guld, det allerbedste, det, der blinker fra Barneøine, det, der klinger fra Barnemund, og fra Fader og Moder med. De læse Historierne, og jeg staaer midt i Stuen hos dem, men usynlig, thi jeg har den hvide Pind i Munden; fornemmer jeg nu, at de ere glæde ved hvad jeg fortæller, ja, saa siger jeg ogsaa: Lykken kan ligge i en Pind! (EoH 3, 252-253) Das sage auch ich, der die Geschichte erzählt. Man hat die Redensart: ‚Nimm ein weißes Stück Holz in den Mund, dann wirst du unsichtbar! ‘ aber es muss das richtige Stück Holz sein, das, welches uns als Glücksgeschenk vom Herrgott gegeben wurde. Das habe ich bekommen, und ich kann auch wie der Mann klingendes Gold, blinkendes Gold holen, das allerbeste, welches von Kinderaugen blinkt, welches aus Kindermund klingt, und aus Vaters und Mutters dazu. Die lesen die Geschichten, und ich stehe mitten in der Stube bei ihnen, aber unsichtbar, weil ich das weiße Stück Holz im Mund habe; vernehme ich dann, dass sie froh sind mit dem, was ich erzähle, ja, dann sage ich auch: Das Glück kann in einem Stück Holz liegen! Wir bekommen eine Geschichte erzählt, in der das Glück eines Mannes in kapitalistischer Betriebsamkeit liegt. Erstaunlicherweise wird das Glück, das er angesichts seiner Frau oder seiner Kinder empfinden könnte, mit keinem Wort gewürdigt. Der Ich-Erzähler, der sich zu Beginn als Erzähler der Geschichte des Mannes zu erkennen gegeben hat, stellt dieser Geschichte nun sein Glück zur Seite, das von den Kinderaugen blinkt. Damit vereint der Text zwei zunächst scheinbar vollkommen unterschiedliche Glücksbegriffe: das Glück des Gelderwerbs mit dem durch das Glück anderer ausgelösten Glücksgefühl. Dieses durch das Glück anderer ausgelöste Glücksgefühl bedarf der Verbreitung eines Textes. Im Märchen ist der Erzähler auf magische Art und Weise anwesend, während der Weg des vorgelesenen Textes in die Stube unbekannt bleibt. Der Weg von Lykken kan ligge i en Pind lässt sich dagegen verfolgen. Ich setze abschließend die Geschichte, die der Text erzählt, mit der Geschichte, die er hat, in Beziehung. Anhand von Paratexten und der Publikationsgeschichte von Lykken kan ligge i en Pind gehe ich der Frage nach, wie die Verbreitung dieses Textes durch seinen Autor befördert wurde. Dabei werde ich Parallelen zwischen den Funktionen des Holzstückes im Märchen und des Geldes im Literaturmarkt herausarbeiten, das Andersen eine unsichtbare Anwesenheit bei seinem Publikum garantiert. In den Bemærkninger gibt Andersen an, dass das Märchen während eines Sommeraufenthaltes in den Schweizer Jurabergen entstanden sei, wo er die Geschichte des Drehers und der überregional erfolgreichen Holzbirne gehört habe. In Lykken kan ligge i en Pind heißt es „Det er en virkelig oplevet Historie“ (EoH 3, 252). 62 Text und Paratext suggerieren dadurch Authentizität und kommen so einem Bedürfnis entgegen, das „selbst nur ein Effekt der Warenökonomie“ 63 ist, wie Klaus Müller- Wille in seinen Überlegungen zu „Hans Christian Andersen und den Dingen“ tref- 62 „Das ist eine wirklich erlebte Geschichte.“ 63 Klaus Müller-Wille: „Hans Christian Andersen und die Dinge“. In: Hans Christian Andersen und die Heterogenität der Moderne. Hg. von Klaus Müller-Wille. Tübingen, Basel 2009, S. 156. Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 157 fend festhält. Die Geschichte, die Andersen seinem Text gibt, ist Teil einer Marketingstrategie. 64 Andersens Tagebucheinträge und der Briefwechsel mit seinem nordamerikanischen Verleger Horace Scudder wiederum lassen den Schluss zu, dass der Text nicht in der Schweiz, sondern in Dänemark mit Hinblick auf eine Veröffentlichung in den USA entstanden ist. 65 Die Annahme, der Text berücksichtige Interessen eines amerikanischen Publikums, stützen auch Elemente des Märchens wie die Thematik des sozialen Aufstiegs, das Nennen Amerikas als einziger Ortsbezeichnung oder die Newtonepisode, die einem englischsprachigen Publikum mit hoher Wahrscheinlichkeit vertraut ist. Amerika tritt in dem Märchen als Massenmarkt auf. Ein solcher war das Land auch für Texte wie Lykken kan ligge i en Pind, die in Zeitschriften veröffentlicht wurden. Die amerikanische Presse war im 19. Jahrhundert einer der größten publizistischen Wachstumsmärkte. 66 Andersens Interesse an diesem Markt begründete sich nicht allein in blinkenden Kinderaugen. Er wollte Geld verdienen. So lässt sich zumindest erklären, warum er erst nach sechs Jahren auf die Fanbriefe seines späteren Verlegers Horace Scudder reagierte, und zwar auf den Brief, in dem Scudder erstmals vorschlug, seine Märchen in den USA gegen ein Honorar zu veröffentlichen. 67 Auch die Tagebucheinträge zu Lykken kan ligge i en Pind sprechen dafür, dass er sich für seinen Lohn sehr interessierte. Hier erwähnt er dreimal, dass Scudder ihm zehn Pfund dafür geschickt hat, dahinter am 12. April 1869 der Zusatz: „godt betalt“. 68 Kinderaugen werden in diesem Zusammenhang nicht genannt. Der Ich-Erzähler scheint auf den ersten Blick die Gegenfigur zu dem Autor- Geschäftsmann zu stellen, den ich gerade präsentiert habe. Aber die Geschichte, die er erzählt, ist auch die Geschichte eines Aufstiegs from rags to riches. Und diese Geschichte steht vor der Geschichte des altruistischen Glücks. Um sich an der Freude der anderen zu erfreuen bleibt der Ich-Erzähler zudem auf ein Medium angewiesen: das Holzstück, das seine unsichtbare Anwesenheit erlaubt. Geldgenerierende Birne und unsichtbarmachendes Stöckchen sind gleichermaßen „Pind“, verwandt in der gemeinsamen Herkunft und im Material. Ihr 64 Mir ist es nicht gelungen, Nachweise der Holzbirnengeschichte zu finden. 65 Vgl. Hersholt: Brevveksling, S. 45; Hans Christian Andersen: Dagbøger 1825-1875. Hg. von Det Danske Sprogog Litteraturselskab unter der Leitung von Kåre Olsen und Helge Topsøe-Jensen. Kopenhagen: 1975, hier: Bd. 8, S. 158 und S. 164 (Einträge vom 28. Dezember 1868 und vom 7. Januar 1969). - Andersen hatte mit Scudder 1868 eine Vereinbarung getroffen, die diesem Exklusivrechte für die Erstveröffentlichung neuer Texte einräumte, wie aus dem Briefwechsel hervorgeht. 66 Zum amerikanischen Zeitschriftenmarkt in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vgl. Frank L. Mott: A History of American Magazines. Bd. 1. Cambridge (MA): 1938, insbesondere S. 3-13; Frank L. Mott: A History of American Magazines. Bd. 2. Cambridge (MA): 1938, insbesondere S. 3-24. - Zu Andersen und Horace Scudder, dem Verleger des Riverside Magazine vgl. auch Hersholt: Brevveksling, S. 7-14. 67 Vgl. Hersholt: Brevveksling, S. 9-12. 68 Andersen: Dagbøger, S. 198 (Eintrag vom 12. April 1869). Vgl. auch die Einträge vom 10. April 1869 und vom 25. April 1869; Andersen: Dagbøger, S. 197 und S. 202. Frederike Felcht 158 Unterschied ist weniger groß, als es auf den ersten Blick scheint. Der Gewinn durch die Birne beruht auf der technischen Reproduktion einer Idee, darin einem publizierten Text durchaus verwandt. Funktional unterscheidet sich das Stöckchen, das unsichtbar macht, kaum von einem Honorar, das bei einer mit Einverständnis des Autors veröffentlichten Übersetzung wie derjenigen von Lykken kan ligge i en Pind gezahlt wird. Beide schaffen eine Verbindung zwischen Autor und Lesern. Das Gold, das von Vater und Mutter klingt, stammt auf dem Literaturmarkt des 19. Jahrhunderts nicht ausschließlich von deren Augen. Selbst ein auf den ersten Blick idealistischen und ökonomischen Wert so stark kontrastierender Text wie Lykken kan ligge i en Pind trägt Spuren der wechselseitigen Durchdringung beider Wertordnungen. In Sølvskillingen finden wir ein tiefes Misstrauen in den Tauschwert. Die Hauptfigur wechselt den Wert und verändert ihre Gestalt. Mit ihrer Wandelbarkeit kontaminiert sie auch ihre Umgebung. Die Menschen lassen sich zu Handlungen hinreißen, die ihre moralischen Grundsätze verletzen. Die Unberechenbarkeit des Wertes hängt mit der grenzüberschreitenden Austauschbewegung zusammen, die die Münze vollzieht, und es könnte sein, dass ein durch landesinterne Zirkulation gesicherter Wert nicht mehr existiert: Die Münze freut sich von Beginn an auf eine Bewegung in die weite Welt hinaus. In Hjertesorg hat sich die Kontamination der Umgebung mit Unbeständigkeit fortgesetzt, hier wird die gesamte vorgestellte Gesellschaft nur von kurzfristigen und unpersönlichen Geldzeichen zusammengehalten. Aktie und Knopf sind zudem vollständig vom Materialwert entkoppelt. Der Konflikt der Wertordnungen und die Übermacht des Ökonomischen werden hier selbstreflexiv in die Literatur verlegt und kritisch gewendet. Literatur verspricht, kritische Distanz zur Wirtschaft zu halten, und ist doch unabweisbar in diese verstrickt. Auch Lykken kan ligge i en Pind zeigt diese Verwobenheit an, indem es den gleichen Erzähler vom ökonomischen wie vom literarischen Glück erzählen lässt. Der idealistische Wert des göttlich geschenkten Glücks wird in Tauschwert konvertiert, wenn es zum profanen Geld wird. Bei diesem Text konnte ein Blick auf Andersens Publikationsstrategien andeuten, in welchen umfassenden literatursoziologischen Zusammenhängen die Aufmerksamkeit der Texte für Wertfragen steht. Ich habe die Texte ausgewählt, weil sie es erlauben, die Darstellung von Wertbildung und die Reibungen zwischen Wertordnungen zu analysieren. Es handelt sich um Texte, die Werten misstrauen und ihre Leser zum Misstrauen auffordern. Die widersprüchlichen Aussagen der Erzähler und die Lenkung der Leseraufmerksamkeit auf diese Widersprüche lassen das Gemachtsein der Texte erkennbar werden. Um den Verweis auf den eigenen Warencharakter endgültig plausibel zu ma- Wert in H.C. Andersens Eventyr og Historier 159 chen, müsste man nun noch Texte wie Tante Tandpine hinzuziehen, die sowohl auf die eigene Materialität als auch auf die Qualen ihrer Produktion verweisen. Frederike Felcht 160 Andersen, Hans Christian: Dagbøger 1825-1875. Hg. von Det Danske Sprogog Litteraturselskab unter der Leitung von Kåre Olsen und Helge Topsøe-Jensen. Kopenhagen: 1976. Andersen, Hans Christian: H.C. Andersens samlede værker. Hg. von Det Danske Sprogog Litteraturselskab. Bd. 2: Eventyr og Historier II. 1852-1862. 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Gemeinsam mit den zu jener Zeit aktuellen Problemen mit der Edelmetalldeckung der Banknoten bildet der Übergang zu modernen Banknoten den historischen Hintergrund der von Almqvist literarisch überformten Diskussion über das Geld. Foto: Upps la universitets myntkabinett. a F LORIAN B RANDENBURG (B ERLIN ) Durch das Schätzen erst giebt es Werth: und ohne Schätzen wäre die Nuss des Daseins hohl. Friedrich Nietzsche: Also sprach Zarathustra Zwei dichotome und zugleich komplementäre Tendenzen scheinen das westliche ökonomische Denken maßgeblich geprägt zu haben: die tiefe Sehnsucht nach einem absoluten und intrinsischen Wert der Dinge und die damit einhergehende omnipräsente Skepsis gegenüber einer auf Konvention beruhenden Repräsentation von Wert, die Vertrauen in den festgelegten und vereinbarten Wert voraussetzt und auf diese Weise bereits der Spekulation und dem Verdacht des Betruges die Tür öffnet. Beide Tendenzen zeigen sich beispielsweise nicht nur im Bereich der Werttheorie, in dem lange die Position einer Arbeitswertgegenüber einer Nutzentheorie bevorzugt wurde, 1 sondern ebenso deutlich im Rahmen metallistischer Konzeptionen von Geld, die bis zum Ende des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus die Geldtheorie dominierten: 2 Im Gegensatz zu nominalistischen Geldtheorien, nach denen der Wert des Geldes rein auf Konvention beruht, versuchen metallistische Theorien den Geldwert durch seinen Materialwert zu bestimmen. Der Wert der Münze entspricht dem Edelmetallwert aus dem sie besteht. Abgesehen davon, dass jene erhoffte Präsenz eines festen Wertes durchaus trügerisch ist, weil u.a. Edelmetallpreise selbst Schwankungen unterliegen und damit letztendlich keine Wertkonstanz sichern können, zeigt sich in der metallistischen Geldtheorie die Sehnsucht nach einer Unmittelbarkeit von Wert. Durch dieses Beispiel mag deutlich werden, dass die Frage des Wertes geradezu in jene Problematik mündet, die im Anschluss an Martin Heidegger und Jacques Derrida ‚abendländische Metaphysik‘ genannt werden könnte: Denn innerhalb der metallistischen Geldtheorie werden gerade jene zentralen Dichotomien von Inner- 1 Vgl. Nadja Gernalzick: Kredit und Kultur. Ökonomie- und Geldbegriff bei Jacques Derrida und in der amerikanischen Literaturtheorie der Postmoderne. Heidelberg: 2000 (= American studies; 80), S. 29-30. 2 Vgl. Gernalzick: Kredit und Kultur, S. 159; siehe auch die beeindruckende und klassische Studie des Nationalökonomen Joseph A. Schumpeter (1883-1950), auf die Gernalzick sich maßgeblich bezieht: Joseph A. Schumpeter: Geschichte der ökonomischen Analyse. Göttingen: 2009 [Erstausgabe posthum 1954], S. 104. Florian Brandenburg 166 lichkeit/ Äußerlichkeit, Präsenz/ Repräsentation und Natürlichkeit/ Künstlichkeit unter Bevorzugung des jeweils ersten Terms konzeptionalisiert. 3 Die Frage nach dem Wert und der angemessenen Wertbemessung übersteigt folglich per se den wirtschaftstheoretischen Rahmen. Einige aktuellere Arbeiten haben darum einerseits auf Nahverhältnisse, Analogien und Parallelentwicklungen zwischen Wirtschaftstheorie und poststrukturalistischer Theoriebildung hingewiesen, 4 und andererseits auf die Konzeptionalisierung wirtschaftstheoretischer Vorstellungen und die Verwendung ökonomischer Metaphern in der Literatur fokussiert. 5 Der Wert dieser Arbeiten kann nicht abgestritten werden. Jedoch scheinen die Ambivalenzen jener abendländischen Metaphysik nicht ausreichend in den Blick geraten zu sein. War die Sehnsucht nach einem intrinsischen und möglichst absoluten Wert nicht begleitet von einem tiefen Unbehagen an jeglicher Form von Wertbildung? War der Glaube an den Wert nicht selbst schon infiziert von einem abgründigen Zweifel an seiner Beständigkeit? War Wert wirklich stets von Unwert bzw. Nicht-Wert zu unterscheiden? Anhand der Lektüre eines Textes des dänischen Schriftstellers Carsten Hauch (1790-1872) aus der Mitte des 19. Jahrhunderts werde ich zeigen, wie die Frage nach wahrem und scheinhaftem Wert der Dinge auf der einen Seite auf Grundlage erzählter wirtschaftlicher Ereignisse und individueller finanzieller Handlungen der Figuren verhandelt wird; dabei bedient sich der Text der wirtschaftsgeschichtlich traditionell wirkmächtigen Unterscheidung zwischen Ökonomik und Chrematistik. Während in dieser Beziehung zwischen wahrem und falschem Wert unterschieden werden kann, konzeptionalisiert der Text auf einer anderen Ebene auf den ersten Blick punktuell erscheinende ökonomische Metaphern, um über Bildung und Bemessung von Wert im literarischen Feld zu reflektieren. In diesem Kontext scheint die Frage nach dem intrinsischen absoluten Wert sich anders darzustellen. Carsten Hauch zählt zu denjenigen dänischen Autoren des 19. Jahrhunderts, zu denen umfassende Studien bisher weiterhin ausstehen. 6 Dieses Forschungsdesiderat 3 Siehe hierzu insbes. Derridas Auseinandersetzung mit grundlegenden Prinzipien und Konzepten eines weit gefassten Begriffes von Ökonomie in Jacques Derrida: Falschgeld. Zeitgeben I. München: 1993. 4 Hier insbesondere: Gernalzick: Kredit und Kultur. 5 Beispielhaft sei hier auf folgenden Sammelband verwiesen: Nicole Bracker und Stefan Herbrechter (Hg.): Metaphors of Economy. Amsterdam: 2005 (= Critical Studies; 25). 6 Abgesehen von den wenigen biographischen und literaturgeschichtlichen Darstellungen sei an dieser Stelle insbesondere hingewiesen auf Poul Houe: „Steamy Dreams - Or Merely Dreams of Steam? Carsten Hauch’s America in His Novel ‚Robert Foulten‘ (1852)“. In: American Studies in Scandinavia 36 (2004), S. 78-89; Alvhild Dvergsdal: „‚Pleiaderne ved Midnat‘ av Carsten Hauch. Om å gjøre et rom ubegripeligt“. In. Årsberetning. Institut for Nordisk Sprog og Litteratur, Aarhus Universitet 1992 (1993), S. 27-35. Über Hauchs Roman Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 167 betrifft auch Hauchs groß angelegten zweibändigen Roman Slottet ved Rhinen von 1845. 7 Obwohl der Roman bei Veröffentlichung den Status eines Skandalons zugesprochen bekam, 8 wird er selbst in literaturgeschichtlichen Darstellungen selten und dann meist nur beiläufig erwähnt. 9 Jørgen Breitensteins Zeitschriftenartikel Carsten Hauchs romaner von 1969, 10 in dem er nach analogen Konstruktionsmustern in den Romanen Hauchs wie nach literarischen Vorbildern fragt, stellt bis heute den einzigen Forschungsansatz dar, der in geringem Maß auch Slottet ved Rhinen in die Betrachtung einbezieht. Auffällig ist vor allem Breitensteins negative Einschätzung des Romans, die explizit - ohne Nennung von Quellen - an vorgängige pejorative Urteile anschließen will: „Slottet ved Rhinen (1845) er undertiden blevet betragtet som Hauchs dårligste roman.“ 11 Weiter die gängige Einschätzung zusammenfassend führt Breitenstein aus: „Man har indvendt imod den, at personerne mangler liv og kun er talerør for bestemte livsopfattelser. I virkeligheden ligger bogens egentlige svaghed dog næppe her.“ 12 Breitenstein betrachtet Slottet ved Rhinen in der Nachfolge Frederik J. Billeskovs als philosophischen Roman, 13 in dessen Zentrum zwei Frauen, jeweils zwei gegensätzliche Weltauffassungen verkörpernd, um die Liebe und geistige Gefolgschaft eines jungen Mannes kämpfen - was zum tragischen Ende beider Frauen führen wird: Die naturverbundene, tiefgründige Franziska v. Waldstädten 14 steht dabei im Widerstreit mit Emilie Prechtl, der Anhängerin eines vulgärhegelianischen Standpunktes. Letzterer gelingt es durch subtile Intrigen, einen tiefen Bruch in das Liebesglück zwischen Franziska und dem jungen Mann namens Arthur Helmuth zu Guldmageren (1836, zweite veränderte Auflage von 1851) vgl. Stefanie von Schnurbein: „Darstellung von Juden in der dänischen Erzählliteratur des poetischen Realismus“. In: Nordisk Judaistik. Scandinavian Jewish Studies 25 (2004), S. 58-78. 7 Carsten Hauch: Slottet ved Rhinen eller De forskiellige Standpunkter. Kopenhagen: 1845. Im vorliegenden Artikel zukünftig aufgeführt mit der Sigle SvR einschließlich Nennung von Band- und Seitenzahl. 8 Siehe unten im vorliegenden Artikel. 9 Vgl. bspw. Frederik Winkel Horn: Den danske Litteraturs Historie. Fra dens Begyndelse til vore Dage. En Haandbog. Bd. 2. Kopenhagen: 1881, S. 263; Peter Hansen: Illustreret dansk Litteraturhistorie. Bd. 2. Kopenhagen: 1886, S. 552; Hans Brix: Danmarks Digtere. Fyrretyve Kapitler af dansk Digtekunsts Historie med Billeder. Kopenhagen: 1925, S. 207; Kai Flor: Dansk Litteratur fra Ludvig Holberg til Kaj Munk. Kopenhagen: 1942, S. 208-209; Gustav Albeck, Oluf Friis und Peter P. Rohde: Dansk litteraturhistorie. Bd. 2. Kopenhagen: 1967, S. 238-239. - Sowie neueren Datums: Sven H. Rossel: A History of Danish Literature. London, Lincoln: 1992 (= A History of Scandinavian Literatures; 1), S. 184. Ebenso: Søren Baggesen: „Carsten Hauch. Forfatterportræt“. Auf: www.adl.dk (23.04.2011). 10 Jørgen Breitenstein: „Carsten Hauchs romaner“. In: Danske studier 64 (1969), S. 20-47. 11 „Slottet ved Rhinen (1845) ist mitunter als Hauchs schlechtester Roman betrachtet worden.“ Breitenstein: Carsten Hauchs romaner, S. 35. 12 Breitenstein: Carsten Hauchs romaner, S. 35. „Man hat gegen ihn eingewandt, dass den Personen Lebendigkeit fehlt und sie lediglich Sprachrohr für bestimmte Lebensauffassungen sind. In Wirklichkeit liegt die eigentliche Schwäche des Buches doch kaum hier.“ 13 Vgl. Breitenstein: Carsten Hauchs romaner, S. 20. 14 Man beachte vor allem die Namenswahl: der für sich selbst sprechende Nachname sowie der Vorname, der auf die Hagiographie über den Hl. Franziskus verweist. Florian Brandenburg 168 reißen und selbst eine Beziehung mit diesem einzugehen. Entsetzt vom charakterlichen und philosophischen Wandel ihres ehemaligen Geliebten verstirbt Franziska v. Waldstädten kurz vor dessen Hochzeit mit Emilie Prechtl. Aber noch bevor die Trauung vollzogen werden kann, erlebt Arthur Helmuth eine Geistererscheinung, besinnt sich auf mysteriöse Weise und löst vor dem unmittelbaren Eingehen der Ehe jegliche Verbindung zu Emilie Prechtl, die schließlich ihren philosophischen Lehrmeister heiratet und nach dessen Selbsttötung alsbald verarmt. Nach Jørgen Breitenstein, der in seinem Versuch einer Interpretation, auf jene drei Figuren fokussiert, deren geschilderte Entwicklung tatsächlich den größten Raum des Erzählens einnimmt, liegt die maßgebliche Schwäche des Romans zum einen in der inkonsequenten und uneindeutigen Handhabung des philosophischen Themas, 15 sowie insbesondere in der mangelnden narrativen Ökonomie des Romans, die zu erzählerischen und künstlerischen Schwächen führe. So erfülle vor allem die Figur des Dichters Eginhard S. innerhalb des Romans keine Funktion; sie sei nur unzureichend mit der Haupthandlung verknüpft und schwäche die Ökonomie des Textes. 16 Gleiches gelte für die Binnenerzählung über das tragische Leben der Clara v. Mandesloh, 17 der verstorbenen Tante Franziska v. Waldstädtens, deren geheimnisvolles Ableben sich im Verlauf des Romans allmählich enthüllt - und zwar, was Breitenstein übersieht, initiiert durch den Dichter Eginhard. Jene narrativen Komplexe, die in Breitensteins Interpretationsansatz der Kritik unterliegen und aus der Betrachtung als funktionslos ausgeschlossen werden, können jedoch Grundlage einer erneuten Lektüre werden. Meine These ist, dass der Roman auf zwei verschiedenen Ebenen die Frage nach der Bemessung von Wert verhandelt: Ich werde zunächst aufzeigen, dass Hauchs Text nicht nur als philosophischer Roman im Sinne Breitensteins aufgefasst werden kann, sondern sich ebenso als Geschichte eines Adelshauses, seines Besitzes und Vermögens über drei Generationen hinweg lesen lässt. Es wird herausgearbeitet werden können, dass der Text in seiner Schilderung der Geschichte jenes Adelshauses auf eine traditionelle dichotome Konzeption ökonomischen Denkens zurückgreift, die innerhalb des Romans eine Unterscheidung von wahrem und falschem Wert erlaubt. Anschließend werde ich anhand der Figur des Dichters Eginhard S. und der Erzählersituation darlegen, inwiefern der Text in Bezug auf die Bemessung literarischen Wertes nicht jener traditionellen Konzeption folgt, sondern darauf verzichtet, Wert von Unwert zu unterscheiden. 15 Siehe dazu unten im vorliegenden Artikel; vgl. auch Breitenstein: Carsten Hauchs romaner, S. 38. 16 S. Breitenstein: Carsten Hauchs romaner, S. 38. 17 S. Breitenstein: Carsten Hauchs romaner, S. 38-39. Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 169 Der Roman erzählt die Geschichte des Adelshauses v. Mandesloh mit seinen beiden untergeordneten Familienzweigen v. Mandesloh und v. Waldstädten (vgl. Abb. 1). Die sich im Roman entfaltende Geschichte wird über Vererbung von Besitz und Finanzvermögen sowie - wie sich zeigen wird - über die Frage des (rechtmäßigen) Erbes entlang der Erblinie strukturiert. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Lebensgeschichte der Clara v. Mandesloh, die sich - erzählt mit Stilmitteln der gothic novel und der Kriminalgeschichte - dem Leser erst allmählich enthüllt. Frau von Herr von Mandesloh Mandesloh Leopold von Gabriele von Clara von Charles Natalie Waldstädten Mandesloh Mandesloh Franziska Wilfried „Creolerinde“ Maurice Constance + 8 x „en kræftig Slægt“ „en Pige“ Clara Figurenkonstellation in Carsten Hauchs Slottet ved Rhinen (Diagramm von FB). In einer unglücklichen, aus dynastischen Gründen geschlossenen Ehe gefangen, verbleibt die naturverbundene und die kulturellen Lebensformen des Adels ablehnende Clara v. Mandesloh kinderlos. Ihr Ehemann Charles möchte sie deshalb überreden ein Kind zu adoptieren. Nur aufgrund von Druck und dem Wunsch, ihrer Schwester eine Liebesehe zu ermöglichen, die der Zustimmung von Charles als Vormund und Familienoberhaupt bedarf, willigt sie ein. Allmählich wird jedoch deutlich, dass es sich bei dem adoptierten Kind namens Constance nicht um einen Waisen handelt, sondern um das leibliche Kind von Charles und seiner Geliebten Natalie, die sich auf perfide und subtile Weise die Freundschaft Claras erschlichen hat. Weder Charles noch Natalie wollen Claras Forderung einer Scheidung akzeptieren: Charles sieht sich aufgrund seines katholischen Glaubens der Möglichkeit beraubt, erneut heiraten zu können und kann eine Scheidung nicht mit seinem Verständnis des Adels vereinen; der geldgierigen und verschwenderisch lebenden Natalie ist eine Scheidung schlichtweg zu teuer. Weil beide aber vor einem Mord zurückschrecken, entschließen sie sich, Clara v. Mandesloh heimlich im Turm des Florian Brandenburg 170 Schlosses einzusperren und ihren Tod vorzutäuschen. Aufgrund der Verstrickung mehrerer Zufälle stirbt Clara Jahre später im Turm den qualvollen Hungertod. Der Betrug und das Verbrechen stellen ein zentrales Ereignis auf der Ebene der Histoire des Textes (im Sinne Gérard Genettes) 18 dar, denn mit diesen wird eine illegitime und weder von Clara noch von der Erzählinstanz gewünschte Erbfolge eingeleitet. Schließlich ist Constance nur aufgrund der betrügerischen Adoption innerhalb der Adelsfamilie erbberechtigt. So war es auch Clara v. Mandelohs eigentlicher Herzenswunsch, dass aufgrund ihrer ungewollten (und in diesem Verständnis von der Erzählinstanz als natürlich markierten bzw. zumindest vorgesehenen) Kinderlosigkeit ihre jüngere Schwester Gabriele den Besitz der Familie erben sollte. Entscheidend für den weiteren Verlauf der Familiengeschichte ist dementsprechend auch nicht die Aufklärung des Verbrechens an Clara v. Mandesloh, sondern der weitere Gang des Erbes durch die Generationen. Überblicksartig und vereinfacht lässt sich der Weg des Erbes in der Familie folgendermaßen skizzieren: 1. Herr v. Mandesloh verheiratet seine Tochter Clara mit deren Cousin Charles, der nach seinem Ableben neues Familienoberhaupt wird (vgl. insbes. SvR II, 155-174). Beide bleiben kinderlos. 2. Durch den Betrug von Charles und Natalie wird nicht, wie von Clara ursprünglich vorgesehen, ihre Schwester Gabriele Erbin des Hauses (SvR II, 175, 181-205), sondern Constance nimmt durch Adoption deren Platz ein. 3. Aus der illegitimen und eigentlich ungültigen Ehe zwischen Natalie und Charles (denn Clara lebt noch bei Eheschließung) gehen acht Kinder hervor, die jedoch alle das dritte Lebensjahr nicht erreichen. Natalie verstirbt bei der Totgeburt ihres letzten Sohnes (SvR II, 208, 229, 232). Damit bleibt die gesundheitlich schwach konstituierte Constance die einzige Nachfahrin des Familienzweiges. 4. Constance geht mit Maurice eine von Natalie arrangierte Ehe ein. Er nimmt dabei den Namen der Familie v. Mandesloh an. Constance bekommt zwei (kränkliche) Kinder, die den Familienzweig fortführen sollen; Constance verstirbt (u.a. SvR I, 100-101, 120, SvR II, 229-230). 5. Maurice erfährt von dem Betrug und dem Verbrechen an Clara v. Mandesloh. Um die Ehre der Familie zu wahren, verschweigt er jedoch die Geschehnisse. Er sieht aber ein, dass eigentlich Gabriele bzw. deren Nachfahren die rechtmäßigen Erben hätten sein müssen. Um eine geringe Entschädigung zu leisten, überträgt er den Geschwistern Franziska und Wilfried v. Waldstädten, Gabrieles Kindern, eine größere Geldsumme, wobei er seine Identität als Geldgeber zu verheimlichen weiß (SvR II, 249-250). 6. Wirtschaftlich durch Spekulation nahe am Ruin und als Revolutionär bezichtigt, wandert Maurice mit seinen Töchtern nach Südamerika aus. Zuvor berichtet er dem preußischen König schriftlich von allen Geschehnissen 18 Vgl. u.a. Gérard Genette: Die Erzählung. München: 1994. Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 171 Clara v. Mandesloh betreffend und bittet darum, Franziska und Wilfried als Besitzer des Schlosses samt zugehöriger Ländereien zu bestimmen, um damit die rechtmäßige Erblinie wiedereinzusetzen. Nach Franziskas Tod bleibt Wilfried (vorerst) letzter Erbe des Hauses v. Mandesloh/ v. Waldstädten (vgl. SvR II, 289-293, 324). 7. Eine Tochter von Maurice verstirbt auf der Reise (SvR II, 290); der baldige Tod der anderen Tochter wird angedeutet (SvR II, 323-324). Damit ist diese Linie der Familie v. Mandesloh ausgestorben; es verbleibt nur die Familie v. Waldstädten. Maurice erwirbt in Südamerika günstig Land, heiratet erneut und begründet ein neues Geschlecht, dessen glückliches Geschick der Erzähler hervorhebt (SvR II, 323-324). Verfolgt man die verschiedenen Schritte der Vererbung von Besitz, so wird ersichtlich, dass der Roman nicht nur die allmähliche Aufklärung des Verbrechens an Clara v. Mandesloh erzählt, sondern die Wiederherstellung einer legitimen Erbfolge inszeniert. Dem Betrug durch die erzwungene Adoption wird die sich allmählich vollziehende Rückkehr zu einem als gerecht perspektivierten Zustand entgegengesetzt. Diese Restitution erfolgt aber nicht so sehr auf der Ebene intendierter Figurenhandlung: Zwar versucht Maurice durch seine anonyme Schenkung sowie sein Bittschreiben, das Schloss Mandesloh an Wilfried und Franziska v. Waldstädten zu übertragen, eine Entschädigung zu leisten, gleichzeitig scheint jedoch etwas Schicksalhaftes in der Handlung zugegen zu sein. Dies betrifft u.a. das letztendliche Aussterben des Familienzweiges der v. Mandeslohs. Mit einem vor allem durch Adam Smith (1723-1790) bekannt gewordenen Ausdruck könnte behauptet werden, dass die Leitung einer unsichtbaren Hand das Erbe in der Abfolge der Generationen den rechtmäßigen Personen zuführt, so dass am Schluss jedem der ihm zustehende Teil zukommt. In dieser Hinsicht ist aber ein weiterer Aspekt von Bedeutung: Jegliches Finanzvermögen scheidet im Laufe dieser Wiederherstellung von Gerechtigkeit aus der Erzählung aus. Wilfried und Franziska erben letztendlich nur das Schloss Mandesloh einschließlich der Ländereien und der zum Haus gehörigen Bediensteten. Der gesamte Kapitalbesitz ist innerhalb des Restitutionsprozesses verlorengegangen: Charles und Natalie lebten verschwenderisch auf ständigen Luxus und Vergnügen bedacht (vgl. u.a. SvR II, 170, 173, 209, 230); Maurice, weitaus geringer der Verschwendung zugetan als seine Schwiegermutter, tätigte riskante und unglückliche Finanzgeschäfte, die nicht nur sein eigenes, sondern auch große Teile des Vermögens von Wilfried und Franziska verzehrten (vgl. SvR II, 252-253, 266). Diese Trennung von eigentlichem Besitz und Finanzvermögen, hinter der eine Skepsis gegenüber Geld und Geldgeschäften zu Tage tritt, ist entscheidend. Es verwundert daher nicht, dass Geld in der Schilderung der Geschichte des Familienzweiges der v. Mandeslohs immer wieder in Form von Erpressung, Verschwendung, Finanzgeschäften und Spekulationen von Bedeutung ist, während in der Darstellung der v. Florian Brandenburg 172 Waldstädtens Finanzvermögen höchstens in Form drohender Armut oder als Mittel zur Rettung von Freunden der Familie eine Rolle spielt (vgl. SvR II, 265-266). Dies geht einher mit der kontrastierenden Gegenüberstellung beider Familien(zweige). Die Sympathielenkung der Erzählinstanz fokussiert durchgehend auf die positiven Eigenschaften der Angehörigen des Hauses v. Waldstädten, während der Familienzweig v. Mandesloh der negativen Kontrastierung dient. Dies gilt vor allem für die Schilderung von Charles und Natalie. Charles wird dargestellt als Angehöriger eines alten dynastischen Adelsgeschlechtes, dem an seiner als traditionell markierten Lebensweise gelegen ist, die vor allem gesellschaftliche Verpflichtungen in Form von Festen und Empfängen beinhaltet. Während Clara v. Mandesloh die Konventionen und Verpflichtungen dieses Adels als ermattend und naturfern ablehnt, ist gerade Natalie eine Begeisterte Befürworterin derselben. Bei ihr gesellen sich jedoch - anders als bei Charles - eine ausgesprochene Geldgier und ein umfassendes Luxusbedürfnis hinzu (SvR II, 170, 173, 175, 182, 209). Um beides zu befriedigen schreckt sie selbst vor Erpressung nicht zurück (SvR II, 209). Gesellschaftliche Festivitäten und die Gier nach Luxus und Geld werden bei Natalie als unbegrenzt und maßlos dargestellt; ihr Leben gilt - aus der Perspektive des Erzählers - als ständiges Überschreiten des rechten Maßes, als Exzess. Der Erzähler verweist deutlich darauf, dass Natalie im Kontext jener gesellschaftlichen feierlichen Anlässe Mittel zur Verhinderung und zum Abbruch von Schwangerschaften einnahm, die u.a. in Form von Spätfolgen auch für den frühen Tod ihrer späteren acht Kinder mit Charles verantwortlich seien (SvR II, 208). Hier verweist der Erzähler folglich nicht nur auf die Lebensfeindlichkeit dargestellter adeliger Lebensweise, sondern diese wird konkret an unsittlich bewertetes (Sexual-)Verhalten gebunden. Folge ihres unsittlichen Lebenswandels scheint auch das unglückliche Leben von Natalies Nachfahren zu sein. Die Schilderungen von Constance wie auch die Ausführungen zu ihren beiden Töchtern beschränken sich ausschließlich auf deren schwachen gesundheitlichen Zustand und auf den frühen Tod (SvR I, 101, 120; SvR II, 229, 290, 324). Der lebensfeindliche und unnatürliche Lebenswandel von Natalie scheint sich auf diese Weise im Geschlecht zu rächen. Dass dieses gesundheitliche Erbe von der Mutter bzw. Großmutter herstammt, wird verdeutlicht, indem der Erzähler ausdrücklich auf Maurices glückliches Schicksal in Südamerika verweist, wo jener eine „deilig Creolerinde“ (SvR II, 323; „hübsche Kreolin“) heiratet und so die Grundlage eines neuen Familiengeschlechtes legt. So bemerkt der Erzähler: „Af dette Ægteskab synes en kraftig Slægt at ville fremgaae […]“ (SvR II, 323). 19 Mit der Gründung dieses neuen Familiengeschlechts geht auch eine Maskulinisierung einher; man bedenke, dass Maurice den Namen v. Mandesloh erst durch Heirat annahm, jene neue Familie hingegen durch die Erzählinstanz patrilinear begründet wird. Der Familienzweig der v. Waldstädtens hingegen gerät in der Darstellung zur Essenz einer bürgerlichen Familienidylle: Franziska und Wilfried wachsen aufgrund 19 „Aus dieser Ehe scheint ein kräftiges Geschlecht hervorgehen zu wollen.“ Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 173 des Todes ihrer Eltern bei ihrem Onkel in einem naturnahen und größten Teils lebensfroh geschilderten Umfeld auf, das nicht nur von bürgerlicher Geselligkeit und entsprechenden Bildungsidealen geprägt ist, sondern ebenso von einer bürgerlichen Bescheidenheit, die auf ein maßvolles Miteinander des gesamten Haushaltes, Familie wie Bedienstete einschließend, abzielt. Jedem im Haus der Familie soll der angemessene Teil zukommen, was eine Unterscheidung zwischen Kernfamilie und Personal nicht aufhebt. Ebenso ist die Darstellung des Familienlebens bemüht, die sittliche Lebensweise und die gegenseitige verantwortungsvolle Fürsorge der Familienmitglieder zu betonen, die auch dem bediensteten Personal gegenüber gewährt wird. 20 Während im Familienzweig der v. Mandeslohs insbesondere der (vermeintliche und flüchtig dargestellte) Wert des Geldes geschätzt wird, besteht der wahre Wert auf Seiten der Familie v. Waldstädten in der Fürsorge um das ‚Haus‘, was die Sorge um die Familie, die Angehörigen des Hauses und die Pflege der Ländereien einschließt. Die Sympathielenkung der Erzählinstanz fällt eindeutig zu Gunsten der letzteren Wertbemessung aus. Auch in dieser Hinsicht verdeutlicht die geläuterte Figur des Maurice die in der Konstruktion des Textes bevorzugte Form von Besitz und Weise des Wirtschaftens: Der in Europa verarmte Maurice verdankt seinen Wiederaufstieg - neben einer erneuten Hochzeit - dem Erwerb günstiger Ländereien und dem Bewirtschaften derselben. Hauchs Roman Slottet ved Rhinen bedient sich bei der kontrastierenden Gegenüberstellung beider Familien einer wirkmächtigen Tradition ökonomischen Denkens, die genau jene angeführten Gegensätze implizit zu konzeptionalisieren versteht. In der Nachfolge des Aristoteles kann man dieses Gegensatzpaar mit den Begriffen Ökonomik und Chrematistik belegen. 21 Denn bereits Aristoteles unterscheidet in seiner Nikomachischen Ethik wie auch in der Politik 22 eine befürwortete beschränkte Form des Wirtschaftens und eine entgrenzte Form, die er der Maßlosigkeit bezichtigt. Sein Entwurf der guten Haushaltsführung, die Ökonomik, 23 beruht auf dem Gedanken einer natürlichen Verteilungsgerechtigkeit. Die Natur und die ihr abgerungenen Produkte stellen laut Aristoteles die Grundlage einer Hausgemeinschaft 20 Es ist markant, dass diese Fürsorge im Text fest mit der Kategorie Geschlecht verbunden zu sein scheint: Es ist Franziska, die sich wie bereits ihre Tante Clara in besonderem Maße um die Bediensteten kümmert; ebenso auffällig ist, dass beide Figuren durch ihren Tod aus dem Text ausscheiden. Eine weitere Untersuchung müsste unbedingt stärker auf die Kategorie Geschlecht fokussieren. 21 Im Folgenden beziehe ich mich vor allem auf die Ausführungen von Gernalzick: Kredit und Kultur, S. 29-46, S. 144-161, S. 183-184 und S. 236; Schumpeter: Geschichte, S. 100-106; beachte auch Derrida: Falschgeld, S. 15-17 und S. 202-207. 22 Vgl. Aristoteles: Politik, I, 8-11; sowie Aristoteles: Nikomachische Ethik, V, 5. 23 Dementsprechend sollte zwischen den Begriffen Ökonomik und Ökonomie unterschieden werden: Während Ökonomik das dichotome Gegenkonzept zur Chrematistik bezeichnet, ist der Begriff der Ökonomie weiter gefasst und kann die Dichotomie umfassen; vgl. auch Gernalzick: Kredit und Kultur, S. 149. Florian Brandenburg 174 dar. ‚Haus‘ bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht alleine auf eine familiäre Gemeinschaft, sondern stellt eine komplexe soziale Größe dar, die alle zum Haus zugehörigen Personen samt die von ihnen erwirtschafteten Güter einschließt. Entsprechend der natürlichen Position in der hierarchischen Ordnung dieser Gemeinschaft würde einem Mitglied der seiner Stellung angemessene Anteil zukommen. Wichtig ist folglich, dass sowohl Ordnung als auch Maß der Zuteilung als natürlich angesehen werden. Dies spiegelt sich auch in etymologischen Erörterungen der Begriffe ‚Ökonomie‘/ ‚Ökonomik‘: οἴκος verweist dabei auf das spezifische Sozialgefüge des Hauses und νόμος auf das Gesetz. Mehrfach wurde jedoch darauf hingewiesen, dass das Verb νέμειν - was übersetzt werden kann mit ‚verteilen‘, ‚zuteilen‘, ,ordnen‘ oder ‚verwalten‘ - sich in der Bedeutung des Begriffes niedergeschlagen haben kann, so dass eine ‚Ökonomie‘/ ‚Ökonomik‘ nicht nur als Gesetz des Hauses, sondern auch als Gesetz der Zuteilung begriffen werden kann. 24 Hier zeigt sich, dass moralphilosophische Überlegungen und ökonomische Konzeptionen eng miteinander verbunden sind. Das gute Leben verlangt das natürliche und angemessene Maß. Der Vorstellung einer natürlichen, maßvollen und gerechten Weise des Wirtschaftens setzt Aristoteles eine unnatürliche, künstliche, entgrenzte und exzessive Form entgegen: die sog. Chrematistik. Während die Ökonomik die Hauswirtschaft bezeichnet, handelt es sich bei der Chrematistik um eine geldwirtschaftliche Kaufmannskunst. Sowohl der Tauschhandel und die Kaufmannkunst seien zwar auf die Erfindung des Geldes, das den wahren Wert der Güter nie angemessen repräsentieren könne, angewiesen, die Ökonomik besitze jedoch eine natürliche Grenze und beachte das natürliche Maß, während die Chrematistik dazu diene, Reichtum in unbegrenztem Maße aus sich selbst heraus (bspw. durch Zinswirtschaft) zu generieren. Während der Ökonomik folglich die Bewertungen natürlich, maßvoll und begrenzt zukommen, wird die Chrematistik als künstlich, unnatürlich, scheinhaft und grenzenlos bestimmt. Damit dient die Ökonomik zur Grundlage eines guten und wahren Lebens; die Chrematistik hingegen, so fasst Gernalzick das moralphilosophische Fazit der Aristotelischen Konzeption, „übersteigt […] alle Grenzen des guten Lebens, die des Bedürfnisses, des Nützlichen, des Natürlichen, des Vernünftigen, des Kalkulierbaren“, so auch die Grenze zwischen „Bedürfnis und exzessivem Verlangen“. 25 Für die Geschichte des sog. ‚westlichen‘ ökonomischen Denkens ist die von Aristoteles überlieferte Unterscheidung grundierend. Diese Tradition schlägt sich u.a. in einer merklichen Skepsis gegenüber dem Geld und seiner Wertbildung, einer tiefen Sehnsucht nach einem absoluten und bestenfalls intrinsischen Wert der Dinge und der Hoffnung auf eine beständige, gerechte und natürliche Zuteilung der Güter nieder. 24 Siehe insbes. Derrida: Falschgeld, S. 16; ähnlich: Gernalzick: Kredit und Kultur, S. 184. 25 Gernalzick: Kredit und Kultur, S. 152. Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 175 In einer Aristotelischen Tradition stehen somit nicht nur seit den Kirchenvätern das Kredit- und Zinsverbot für Christen oder die mittelalterliche Vorstellung des Hauses als komplexe und umfassende soziale Größe; bis ins 20. Jahrhundert hinein ist ein Fortwirken dieser Tradition auf das ökonomische Denken festzustellen. 26 Nadja Gernalzick betont u.a. die Wirkmächtigkeit dieser Tradition im Denken von Hegel und Marx sowie die unlösliche Verbindung von Wirtschaftswissenschaften und Moralphilosophie bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hinein. 27 Hauchs Text steht in Bezug auf die Darstellung beider Familienzweige in der Tradition dieses Denkens. Die explizit und implizit in dem Gegensatzpaar Ökonomik und Chrematistik konzeptionalisierten Dichotomien lassen sich in den binären Oppositionen, mit denen die v. Waldstädtens und die v. Mandeslohs kontrastierend gegenübergestellt werden, wiederfinden: Moral vs. Amoral, Innerlichkeit vs. Äußerlichkeit, Natürlichkeit vs. Künstlichkeit, Maß vs. Entgrenzung bzw. Exzess. Das allgemeine wie aber auch insbesondere das ökonomische Handeln einer Figur kann weitestgehend der Opposition Ökonomik/ Chrematistik zugeordnet werden. In seiner impliziten Wertung bleibt der Text der traditionellen Zuschreibung treu und bevorzugt jeweils die Zuordnungen zum Begriff der Ökonomik, während alle Zuschreibungen aus dem Bereich der Chrematistik abgewertet werden. Dies betrifft auch die Aspekte Besitz und Finanzvermögen: Innerhalb des Romans scheint eine eindeutige und konstante Bewertung vorgenommen zu werden, die dem vermeintlichen Wert des Geldes misstrauisch gegenübersteht und die aus ihm erwachsenden Geldgeschäfte als gefahrvoll ablehnt. Realem Besitz wird hingegen ein dauerhafter, konstanter und intrinsischer Wert zugesprochen. Damit vollzieht der Roman die Unterscheidung zwischen Ökonomik und Chrematistik und unterwirft seine eigene Handlung der Bevorzugung des erstgenannten Begriffs: Die sozusagen chrematistisch charakterisierten Figuren des Familienzweigs v. Mandesloh scheiden aus dem Roman ganz ähnlich dem Geldvermögen des Adelshauses aus; am Ende der geschilderten Handlung ist das Konzept der Ökonomik nicht nur das vom Text favorisierte, sondern dieses wird textuell geradezu strukturierend für die Geschichte des Adelshauses: Wenn man Ökonomik im Aristotelischen Sinne als Gesetz der Zuteilung begreift, das einem jeden Angehörigen des Hauses sein von Natur aus gerechtes und zustehendes Maß zukommen lässt, dann wiederfährt genau diese schicksalhafte ‚Ökononemesis‘ dem Adelsgeschlecht, die mit der Restitution des Familienzweiges v. Waldstädten und dem Untergang des Familienzweiges v. Mandesloh endet. 26 Gernalzick: Kredit und Kultur, S. 146-148. 27 Gernalzick: Kredit und Kultur, S. 146-148, zudem S. 113. Florian Brandenburg 176 Eben jene Unterscheidung von wahrem (also innerlichem, beständigem, ursprünglichem, natürlichem) und falschem (folglich äußerlichem, unsicherem, künstlichem, sekundärem) Wert, die die Unterscheidung zwischen Ökonomik und Chrematistik erlaubt und die der Roman sich anmaßt zu treffen, scheint auf einer anderen Ebene des Textes jedoch völlig zu scheitern. Hier bietet sich die Möglichkeit, die zweite Figur, die Breitenstein für das künstlerische Misslingen des Romans verantwortlich macht, in die Überlegung zu integrieren und nach der Funktion des Dichters Eginhard S. zu fragen. Meine These ist, dass über diese Figur die Bedingungen von Produktion und Rezeption von Literatur und deren angemessene künstlerische Bewertung verhandelt werden. Der Text eröffnet mehrere Perspektiven sowohl auf die Einschätzung des literarischen Schaffens Eginhards als auch auf seine Person als Autor. Aussagen werden dabei nicht nur von verschiedenen Figuren sowie der Erzählinstanz getroffen, sondern ebenso wird seine Wahrnehmung durch eine größere literarische Öffentlichkeit wiedergegeben. Von Bedeutung ist dabei der radikale Bruch, der der Bewertung Eginhards widerfährt. Während er zunächst als aufstrebendes Talent gilt, das bereits auf große literarische Erfolge verweisen kann und dem ein sicherer Platz in der Literaturgeschichte zugesichert scheint, werden seine Werke im späteren Textverlauf nur mit Hohn und Spott bedacht. Wie kommt es aber zu dieser Umwertung Eginhards? Wo liegen die Ursachen dafür? Welche Figuren bzw. dargestellten Instanzen des literarischen Systems tragen zu seinem Sturz bei? Es darf nicht übersehen werden, dass die Darstellung Eginhards von Anfang an durchgängig ambivalent angelegt ist: Einerseits erscheint Eginhard u.a. durch seinen herzlichen Umgang mit seiner Umwelt, seine Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit durchaus positiv charakterisiert, so dass er zu den anderen Figuren weitestgehend eine freundschaftliche oder von Fürsorge gekennzeichnete Beziehung unterhält; gleichzeitig fokussieren aber die Erzählinstanz wie auch die Figuren des Romans auf die ausgesprochene Geltungssucht und Eitelkeit des Dichters. So lebt Eginhard zum Beispiel nach eigener Angabe nur, um sich einen ruhmreichen Platz im Gedächtnis kommender Generationen zu erarbeiten (SvR I, 137, 225). Es ist eine Mischung aus krankhaftem Geltungsdrang, Größenwahn und Selbstzweifel, die Eginhard nach seinem literarischen Scheitern in einem Irrenhaus verenden lassen (SvR II, 127-135). Der Keim des Wahnsinns ist jedoch von Beginn des Textes an präsent. Auffällig ist, dass die negative Darstellung insbesondere die literarische Produktionstechnik Eginhards betrifft. Der Dichter ist besessen von der Angst keine neuen oder nur unzureichende literarische Stoffe zu verwerten, weil nach seiner Meinung alle wertvollen Stoffe schon zuvor von Schriftstellern verbraucht worden seien (SvR I, 88-89). Deshalb begibt er sich auf eine ständige Suche nach neuen Stoffen: Schon Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 177 zu Beginn des Romans thematisiert der Erzähler das kennzeichnende Verhalten Eginhards, die Aussagen anderer Personen in seinem Umfeld beständig niederzuschreiben, um Material für neue literarische Produktion zu erschließen (vgl. SvR I, 11-12). Dieses Verhalten skizziert Eginhard den gesamten Textverlauf hindurch und verleitet ihn sogar dazu, schließlich eher spontan und unbedacht ein Gedicht zu plagiieren. Eginhards Vorgehen, Informationen aus seinem direkten Umfeld zu literarischen Stoffen zu verarbeiten, stößt jedoch an seine Grenzen, sobald es die Veröffentlichung höchst privater und intimer Angelegenheiten betrifft. Um diese dennoch literarisch verwerten bzw. sich weitere Stoffe erschließen zu können, etabliert er zusammen mit weiteren Schriftstellern eine Art Handelsbündnis, zu dem er sich offen vor seinen Freunden bekennt: Jeg var saa heldig under mit Ophold i Ems, […] at træffe sammen med et Par Forfattere fra Sydtydskland, og jeg har sluttet et Slags Handel med dem, der kan være mig til stor Fordeel. De have nemlig lovet at meddele mig charakteristiske Bemærkninger over Personer, som de, formedelst Familieog Venskabsforbindelser, ikke tør bruge, jeg derimod skal til Giengield sende dem Beskrivelser over Personer, som jeg kiender, men som jeg ligeledes af en eller anden Grund ikke vover at fremstille. (SvR I, 91) Ich war so glücklich während meines Aufenthaltes in Ems, mit ein paar Schriftstellern aus Süddeutschland zusammenzutreffen und ich habe eine Art Handel mit ihnen geschlossen, der mir von großem Vorteil sein kann. Sie haben nämlich versprochen, mir charakteristische Bemerkungen über Personen mitzuteilen, welche sie, wegen Familien- und Freundschaftsverbindungen, nicht zu gebrauchen wagen, ich dagegen soll ihnen als Entgelt Beschreibungen über Personen senden, die ich kenne, aber welche ich gleichfalls aus dem einen oder anderen Grund nicht wage darzustellen. Diese Vereinbarung zwischen Eginhard und den süddeutschen Schriftstellern etabliert somit eine Art Tauschsystem, in dem literarische Stoffe gehandelt werden. Zwei Beziehungskreise werden dabei verbunden: Aus im Kreis von Freunden und Familie ausgetauschten Intimitäten, die eigentlich nur aufgrund wechselseitigen Vertrauens in Verschwiegenheit und gegenseitiger Loyalität geäußert werden, generieren Eginhard und die mit ihm in Verbindung stehenden Schriftsteller durch Tausch literarische Stoffe, die sie aufgrund jenes genannten Vertrauensverhältnisses nicht selbst verwerten können. Die Beziehung zu Familie und Freunden ist darum durch Vertrauensbruch gekennzeichnet, während auf Basis der Tauschbeziehungen eine Wechselseitigkeit etabliert wird, die ebenso auf Verschwiegenheit und Vertrauen in diese angewiesen ist. Der Erzähler bezeichnet dieses Produktionssystem Eginhards später selbst als „Schwarzhandel“ („Tuskhandel“; SvR II, 120), also als einen nicht zulässigen und verdeckten Markt, und markiert somit dessen illegitimen und abzulehnenden Status. Literarische Produktion gerät zu einer Art Bündnissystem zwischen verschiedenen Schriftstellern, das grundsätzlich die Regeln von Freundschaft und Familie zu verletzen scheint. Florian Brandenburg 178 All diese negativen Charaktereigenschaften als auch die eigentümliche Jagd nach literarischen Stoffen beeinflussen jedoch nicht wirklich die Beurteilung von Eginhards Werken. Selbst sein größter Kritiker, der zynische und zugleich nüchtern denkende Dr. Wagner, dessen Gedicht Eginhard plagiiert, kann dem Dichter trotz aller charakterlichen Schwächen das literarische Talent nicht absprechen (vgl. SvR I, 224, 226, 228); Gleiches gilt für andere Figuren des Romans (vgl. u.a. SvR I, 193, 121). Wenn aber der ambivalente Charakter Eginhards und die bewusst von den Figuren wahrgenommene Grundlage seines literarischen Schaffens nicht die Bewertung seiner Werke berührt, dann stellt sich die Frage, ob der Text Aufschluss darüber gibt, wie literarischer Wert zustande kommen soll. Über Maurice v. Mandesloh findet sich eine Aussage des Erzählers, die zu einer möglichen Antwort beitragen kann. Maurices Einschätzung von Eginhards Person und Schaffen wird mit Rückgriff auf eine ökonomische Metaphorik an das allgemeine Urteil über einen Schriftsteller und seine Werke gebunden: Maurice havde nemlig […] en stor Agtelse for ethvert fremtrædende Talent, ja for enhver Virtuositet, især naar den offentlige Mening eller bekiendte Mænds Dom først havde stemplet dem med sit Præg og derved forvandlet dem til gangbar Mynt, og her skielnede han neppe saa skarpt og sikkert, at han ikke undertiden kunde bedrages af den uægte Tilsætning, hvormed det ædle Metal tidt i slige Tilfælde er giennemtrængt. (SvR II, 3-4) Maurice hatte nämlich eine große Achtung vor jedem herausragenden Talent, ja vor jeder Virtuosität, besonders wenn die öffentliche Meinung oder das Urteil bekannter Männer diese erst mit ihrer Prägung gestempelt hatten und sie dabei zu gangbarer Münze verwandelten, und hier unterschied er kaum so sicher und scharf, dass er nicht manchmal durch den unechten Zusatz, womit das edle Metall häufig in solchen Fällen durchsetzt ist, betrogen werden konnte. Die öffentliche Meinung und das Urteil bekannter Personen scheinen somit auf überindividueller Ebene die Wertung literarischer Produktionen zu bestimmen. Der Rückgriff auf ökonomische Metaphern führt aber hinsichtlich des obigen Zitates in ein Problem: Literarischer Wert wird analog zum Geldwert gedacht, wobei an dieser Stelle ein metallistischer Gelddiskurs aufgerufen wird, der den Wert einer Münze anhand des Edelmetalls bemessen möchte, aus dem sie besteht. Dieses Bild scheint jedoch nicht aufgehen zu können, denn dem metaphorischen Materialwert wird bezogen auf Literatur keine Bedeutung zugesprochen: Es gibt im Text keine Instanz, die diesen festlegen könnte. Die Bestimmung erfolgt erst durch die im Zitat genannte Prägung; erst diese macht aus dem Metall eine gangbare Münze. Der Verweis auf die unechten Zusätze mag für den Materialwert von Bedeutung sein, aber der Wert der Münze wird durch die Prägung vereinbart, sofern diese anerkannt und authentisch ist. Wertbemessung von literarischem Talent findet somit nur durch Bewertung und Festlegung eines vereinbarten Wertes durch die angeführte öffentliche Meinung und durch das Urteil bekannter Persönlichkeiten statt. Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 179 Unbeantwortet bleibt diesbezüglich aber zunächst die Frage, auf welche Weise in der Öffentlichkeit die Bemessung literarischen Wertes erfolgt. Die zitierte Aussage des Erzählers erscheint problematisch, denn es wird sich zeigen, dass gerade nicht jene Öffentlichkeit prägend für den Wert des jeweiligen literarischen Werkes ist, sondern hinter dieser eine andere Instanz des literarischen Systems als wertbestimmend fungiert. Dies verdeutlicht sich im Kontext eines Zerwürfnisses zwischen Eginhard und der Hegelianerin Emilie Prechtl, die nach dem erfolgten Bruch alles daransetzt, Eginhards Ruf als begabten Dichter zu demontieren. Warum und inwiefern sie dazu in der Lage ist, zeigt sich an einer Ausführung des Erzählers: Frøken Emilie stod nemlig i Forbindelse med et temmelig udbredt Parti, hvis Medlemmer vare sammenknyttede ved en stiltiende Pagt, i Følge hvilken de garanterede hverandre en giensidig Indflydelse i Literaturen. Flere af dette Parti førte det store Ord i bekiendte Tidsskrifter, og alle søgte de ved mangeslags Kunster at hæve deres Venner og nedtrykke deres Fiender og overhovdet at udøve et terroristisk Herredømme i Aandens Rige. (SvR II, 123) Fräulein Emilie stand nämlich in Verbindung mit einer ziemlich verbreiteten Partei, deren Mitglieder zusammengeschlossen waren durch einen stillschweigenden Pakt, gemäß dem sie einander einen gegenseitigen Einfluss in der Literatur garantierten. Mehrere von dieser Partei führten das große Wort in bekannten Zeitschriften, und alle versuchten sie durch vielerlei Künste ihre Freunde zu erhöhen und ihre Feinde niederzudrücken und überhaupt eine terroristische Herrschaft im Reich des Geistes auszuüben. Die Grundlage der Literaturkritik bildet folglich ein ähnliches Bündnissystem wie die literarische Produktion mit ihrem Handel von verwertbaren literarischen Stoffen. Gleichzeitig muss das Verhältnis zwischen Literaturproduktion und -kritik jedoch als völlig asymmetrisch bezeichnet werden. Denn der Wert der Literatur entsteht im Hinblick auf die Literaturkritik nicht durch die Qualität der verarbeiteten literarischen Stoffe oder deren Darstellung, sondern einzig und allein durch die persönliche Position und das persönliche Verhältnis eines Schriftstellers zu den führenden Protagonisten der Literaturkritik. Auf welche Weise gelingt es also der Partei Emilies, den Ruf des Dichters Eginhard zu zerstören? In dem Bündnis der Literaturkritik stehen nicht nur oben genannte Zeitschriften, sondern ebenfalls weitere Instanzen des literarischen Systems. Als Eginhard Emilie Prechtl in einer Novelle parodieren und der Öffentlichkeit zur Schau stellen möchte, gelangt diese durch verbündete Buchdrucker vorab an ein Exemplar der Novelle (SvR II, 124). Aus diesem Grund kann Emilies Bündnissystem schon vor Herausgabe von Eginhards neuestem Werk mit Rezensionen aufwarten, die nicht nur die literarische Schwäche der Novelle betonen, sondern insbesondere ironisch auf Eginhards charakterliche Mängel und auf seine Art und Weise der Literaturproduktion abzielen (SvR II, 117-118, 125-126). So wird Eginhard schließlich nicht nur seine Suche nach neuen literarischen Stoffen vorgeworfen, sondern er wird des beständigen Plagiierens bezichtigt, und zwar zu Unrecht, denn Florian Brandenburg 180 der Erzähler hebt mehrfach im Textverlauf hervor, dass sich Eginhard nur ein einziges Mal und ausschließlich der Situation verschuldet zu einem derartigen Plagiat habe verleiten lassen (vgl. SvR I, 228, II, 118, 126). Emilies Bündnis zielt dabei aber nicht allein auf jene neueste Novelle ab, sondern versucht Eginhards gesamtes bisheriges Schaffen einer Neubeurteilung zu unterziehen: Alle hans tidligere Skrifter bleve saaledes recenserede om igien; og man søgte især at vise, at de vare aldeles uden Sammenhold, uden høiere Idee, at de vare blotte Compilationer af hvad han selv havde oplevet […]. (SvR II, 125) Alle seine früheren Schriften wurden auf diese Weise wieder umrezensiert; und man versuchte besonders aufzuweisen, dass diese völlig ohne Zusammenhalt waren, ohne höhere Idee, dass sie bloße Kompilationen von dem waren, was er selbst erlebt hatte. Dieser negativen Einschätzung der Werke Eginhards folgen daraufhin auch die Teile der Literaturkritik, die bisher beständig sein literarisches Schaffen lobten. Aus der Umwertung der Person Eginhards wie auch seiner Werke durch die Literaturkritik resultiert schließlich auch eine veränderte Wahrnehmung durch die literarische Öffentlichkeit: Da alle hans Feil saaledes blottedes og fremstilledes i et forstørrende Speil, og da Journalerne forfulgte ham saa stærkt, at Forfølgelsen næsten lignede en Klapjagt, der gav høi Gienklang til alle Sider: saa forandredes pludselig den offentlige Mening om ham; ingen beundrede ham meer, næsten ingen Stemme hævede sig til hans Ros eller Forsvar, hvad han skrev, blev ikke mere kiøbt, ingen Boghandler vilde meer indlade sig med ham, ja et af hans Stykker, der forhen var modtaget med Bifald, blev nu i en stort By paa det stærkeste udpebet, og han selv undervurderedes i denne Tid ligesaa meget, som han før havde været skattet over Fortieneste. (SvR II, 126) Als alle seine Fehler auf diese Weise in einem verzerrenden Spiegel entblößt und dargestellt wurden, und als die Journale ihn so stark verfolgten, dass die Verfolgung beinah einer Hetzjagd glich, die hohen Widerhall von allen Seiten gab: da veränderte sich plötzlich die öffentliche Meinung über ihn; keiner bewunderte ihn mehr, beinah keine Stimme erhob sich zu seinem Lob oder zur Verteidigung; was er schrieb, wurde nicht mehr gekauft, kein Buchhändler wollte sich mit ihm mehr einlassen; ja eines seiner Stücke, welches zuvor mit Beifall aufgenommen wurde, wurde nun in einer großen Stadt auf das Stärkste ausgepfiffen, und er selbst wurde in dieser Zeit genauso sehr unterbewertet, wie er zuvor über Verdienst geschätzt worden war. Es zeigt sich somit, dass im Roman die Literaturkritik mit ihren verschiedenen Bündnissystemen, welche auch Buchhändler und Drucker einschließen, das literarische Feld vollends beherrscht. Erst die Literaturkritik etabliert ein verbindlich erscheinendes Urteil über ein literarisches Schaffen. Jenes Urteil bemisst den Wert nicht an literarischer Qualität, sondern alleine an der Position eines Schriftstellers zur vorherrschenden Literaturkritik. Literarischer Wert ist in der Darstellung des Romans folglich relativ; er wird festgelegt und vereinbart; literarischer Wert ist somit stets sekundär durch die literarische Öffentlichkeit und die sie beherrschende Literaturkritik bestimmt. Und auch wenn der Erzähler mit seiner eigenen Wertung, dass Eginhard zunächst über Wert und schließlich unter Wert geschätzt wurde, eine Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 181 Sehnsucht nach einem eigentlichen und intrinsischen Wert der Literatur hegt, so gibt es im Text keinen einzigen Hinweis darauf, von wem und wie dieser bemessen werden könnte. Gerade den Ausführungen des Erzählers sollte mit Vorsicht begegnet werden, denn es wird herausgearbeitet werden können, dass die Erzählinstanz zur Figur des Dichters Eginhard unverkennbare Parallelen aufweist. Bedenkt man, dass Eginhard in der Rezeption des Romans stets als bösartige Parodie aufgefasst wurde, so zeichnet sich ein komplexes Verweisungsverhältnis ab, das sowohl die Erzählinstanz, die Figur Eginhard und den Autor Carsten Hauch selbst einschließt, und nicht nur jene Parodie, sondern auch jegliche Hoffnung auf einen ermesslichen literarischen Wert fraglich erscheinen lässt. Die Figur des Dichters Eginhard S. war Anlass, dass der Roman ein Skandalon seiner Zeit wurde, denn das zeitgenössische Publikum sah in der Figur eine bösartige Parodie auf den dänischen Schriftsteller Hans Christian Andersen (1805-1875). Die einzelnen Strategien, die dazu beigetragen haben, die literarische Figur des Dichters Eginhard als Parodie Hans Christian Andersens aufzufassen, können im Rahmen dieses Artikels nur kurz benannt werden; zu ihnen zählen u.a. stilistische Anlehnungen an Andersens eigenen Erzählstil 28 , Parallelen zwischen Eginhards und Andersens bevorzugten literarischen Genres 29 , sowie biographische Anspielungen auf dessen Leben 30 ; ferner scheint auch die Charakterzeichnung Eginhards ihre Wirkung nicht verfehlt zu haben. Textintern deutet zudem allein der Name Eginhard S. auf die Inszenierung eines Skandals hin: Während bei allen andere Figuren des Romans der Nachname genannt wird, bleibt Eginhards vollständiger Name durchgehend verhüllt. 31 Entscheidend ist jedenfalls, dass die zeitgenössische Rezeption Eginhard als bösartige Parodie H.C. Andersens auffasste. Davon zeugen nicht nur verschiedene Briefe zentraler Protagonisten im literarischen Feld der Zeit, 32 sondern insbesondere 28 Verwiesen sei hier insbesondere auf die Erzählungen Eginhards, die vor allem an H.C. Andersens Erzählstil seiner zeitgleich erscheinenden Nye Eventyr (1844-1848) erinnern. Vgl. inbes. die Textpassage SvR I, 24-28; ebenso Eginhards Dialog mit dem Jungen Wilfried: SvR I, 83. 29 Neben den Erzählungen verwertet Eginhard vor allem seine Reisen zu Literatur. 30 Abgesehen von der besonderen Bedeutung der Reisen (vgl. SvR I, 223) sei hier auf die Verleihung zweier Orden durch einen deutschen Kleinfürsten (SvR II, 126-127) sowie auf eine Prophezeiung (SvR I, 137) hingewiesen, aufgrund derer sich Eginhard eine bedeutungsvolle Zukunft verspricht. 31 Man beachte auch eine Aussage des Erzählers gleich zu Beginn des Textes, die als leselenkender Hinweis verstanden werden kann: „det hele Aasyn [also Eginhards, F.B.] undertiden fik Liighed med en Carricatur“ („die ganze Erscheinung [also Eginhards, F.B.] bekam bisweilen Ähnlichkeit mit einer Karikatur“; SvR I, 6). 32 Beispielhaft sei hier verwiesen auf: Adam Oehlenschläger: „Brev fra Adam Øhlenschläger til Marie Konow, f. Øhlenschläger m fl. 3. September 1845. Det Kongelige Biblioteks Florian Brandenburg 182 auch die Rezension des jüdisch-dänischen Schriftstellers Meïr A. Goldschmidt, die 1845 in seiner Zeitschrift Corsaren erschien. 33 Carsten Hauch sah sich schließlich genötigt, selbst zu der Frage des unterstellten Angriffs auf Andersen Stellung zu beziehen. 34 Bis heute findet Hauchs Roman in literaturgeschichtlichen Darstellungen nahezu ausschließlich hinsichtlich der Parodie Andersens Erwähnung. 35 Goldschmidts Besprechung von Slottet ved Rhinen, die die einzige mir bekannte zeitgenössische Rezension des Werkes darstellt, ist mit Hinblick auf die vorliegende Betrachtung von Bedeutung: Goldschmidt kritisiert in dieser gerade im Unterschied zu den oben genannten Reaktionen von Zeitgenossen nicht die vermeintliche Parodie Andersens, sondern beklagt den Zustand der gegenwärtigen Literaturkritik, der erst dazu geführt habe, dass das Publikum einen unzureichenden Zugang zur Literatur aufweise, indem es in Erwartung eines Skandals ausschließlich auf die Frage fixiert sei, welche realen Personen ein Autor bei der Schaffung einer literarischen Figur im Sinn gehabt habe: Vi saae det nys med Hauchs Roman. Publicum undersøger Bogens Personer, om de ikke er Personer af det virkelige Liv. […D]et gjør Skandale et Par Dage, saa er Bogen glemt, en Anden har stillet sig i Gabestokken. 36 Wir sahen dies neulich mit Hauchs Roman. Das Publikum untersucht die Personen des Buches, ob diese nicht Personen des wirklichen Lebens sind. […] Das macht Skandal ein paar Tage, dann ist das Buch vergessen, ein anderes hat sich an den Pranger gestellt. Die zeitgenössische Literaturkritik würde nicht mehr als berechtigte Ordnungsmacht in dem Bereich, den wir heute mit dem Begriff des literarischen Systems belegen, auftreten. So liege ihr die Bewertung und Sicherung literarischer Qualität nicht mehr am Herzen: „Men d’Hrr. Forfattere tage meget feil, om de troe, at de blive bedømte fra et æsthetisk Standpunct (hvilket forresten er en stor Lykke for Håndskriftafdeling, NKS 3694,4“. Auf: www.andersen.sdu.dk/ brevbase/ brev.html? bid= 22971 (23.04.2011). - Ebenso: Bernhard S. Ingemann: „Brev fra Bernhard Severin Ingeman til Christiane von Rosenørn 29. September 1845“. Auf: www.andersen.sdu.dk/ brevbase/ brev.html? bid=20158 (23.04.2011). 33 Meïr A. Goldschmidt: „Slottet ved Rhinen, Roman af Hauch, og De to Tidsaldere, Novelle af Fort. til ‚En Hverdagshistorie‘“. In: Corsaren Nr. 269, Jg. 6 (1845), Sp. 10-14; wird fortgesetzt in: Corsaren Nr. 272, Jg. 6 (1845), Sp. 11-14.. 34 Carsten Hauch: „Nogle Bemærkninger med Hensyn til Digteren H.C. Andersens Poesie“. In: Dansk Ugeskrift. 2. Række. Nr. 197 Jg. 7 (1846) S. 261-276. 35 Vgl. Literaturhinweise in Anm. 9. Ein besonders deutliches Beispiel liefert Brix: „Romanen Slottet ved Rhinen er et ringe og uklart Arbejde og erindres nu kun for dens forbitrede Karikatur af arme H.C. Andersen, mod hvis løjerlige Person Hauch følte en uvilkaarlig og ubeherskelig Uvilje.“ („Der Roman Slottet ved Rhinen ist eine minderwertige und unklare Arbeit, und wird nun nur noch wegen der verbitterten Karikatur des armen H.C. Andersen erinnert, gegen dessen sonderbare Person Hauch eine unwillkürlliche und unbeherrschliche Abneigung verspürte.“) Brix: Danmarks Digtere, 207. 36 Goldschmidt: Slottet ved Rhinen, Sp. 13. Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 183 mange af dem).“ 37 Folge sei, dass die einzelnen Werke und damit die nationale Literatur ihre literarische Qualität einbüßen würden, wobei Goldschmidt seine Anklage der Literaturkritik, die die ihr eigentlich zukommende Aufgabe missachte, in die Metaphorik einer verwildernden, nicht mehr domestizierten Natur kleidet: „Unge Forfattere voxe op som Græs i en Have der ikke bliver luget; de ældre, de bedre Forfattere skyde i Veiret som Asparges, der ikke blive skaarne.“ 38 Anstatt nach ästhetischen Bewertungskriterien würde Literatur nur noch im Rahmen privater Interessen und vor allem nach Maßgabe der kommerziellen Vermarktung beurteilt. Hierbei gehe die Literaturkritik Geschäftsbündnisse mit weiteren Instanzen des literarischen Systems wie „Boghandlere“ und „Bogbindere“ („Buchhändler“ und „Buchbinder“) ein. 39 Dementsprechend herrsche in der zeitgenössischen dänischen Literatur eine „almindelige Anarki“ („allgemeine Anarchie“), weshalb insbesondere gerade schlechte Schriftsteller verlegt würden. 40 Somit erscheint in Hauchs Roman wie in Goldschmidts zugehöriger Rezension die Literaturkritik als Instanz, die maßgeblich dafür verantwortlich ist, was für einen Zugang die Öffentlichkeit zur Literatur findet und wie sie den Wert eines literarischen Werkes einschätzt. In dieser Hinsicht schonen weder Hauch noch Goldschmidt die Literaturkritik: Auch in Hauchs Roman stellt sie zusammen mit Buchhändlern, Buchbindern und Druckern einen geschlossenen Markt von Privat- und Bündnisinteressen dar, die den Wert eines literarischen Textes an der Position seines Autors im literarischen Feld bestimmt. Gleichzeitig jedoch weicht Hauch von Goldschmidts Auffassung in einem wesentlichen Punkt ab: Im Falle Hauchs scheint es keinen eigentlichen, bestimmbaren Wert hinter der literarischen Produktion zu geben; während Goldschmidt fortwährend hofft, durch eine erneuerte Literaturkritik zwischen guter und schlechter und in diesem Sinne wertvoller und wertloser Literatur zu unterscheiden, 41 muss man sich in Hauchs Roman damit abfinden, dass literarischer Wert eine Konvention ist, die im literarischen System erst erzeugt wird; 37 „Aber die Herren Verfasser irren sehr, wenn sie glauben, dass sie von einem ästhetischen Standpunkt beurteilt würden (welches im Übrigen ein großes Glück für viele von ihnen ist).“ Goldschmidt: Slottet ved Rhinen, Sp.13. 38 „Junge Verfasser wachsen herauf wie Gras in einem Garten, der nicht gejätet wird; die älteren, die besseren Schriftsteller schießen in den Himmel wie Spargel, der nicht geschnitten wird.“ Goldschmidt: Slottet ved Rhinen, Sp.12. 39 Goldschmidt: Slottet ved Rhinen, Sp.13. 40 Goldschmidt: Slottet ved Rhinen, Sp.13. 41 Goldschmidts Konzept einer erneuerten Literaturkritik entwirft diese analog zur Polizei im Staate: „Men i enhver velordnet literair Stat bør der vist være en Politi, der værner om de ærlige Folk og engang imellem banker de smaa Unoder ud af dem, optager Løsgængere og sender dem til Ladegaarden, eftersporer store og smaa Rapserier o. desl. og stiller Forbrydere for en Criminalog Politiret, der gjør kort Proces og dømmer for Fode.“ („Aber in jedem wohlgeordneten literarischen Staat sollte es sicher eine Polizei geben, die die ehrlichen Leute verteidigt und dann und wann die kleinen Unarten aus ihnen prügelt, Landstreicher aufnimmt und sie in den Ladeg rd [(Zwangs-)Arbeitsanstalt von Kopenhagen, F.B.] schickt, großen und kleinen Mausereien und dergleichen nachspürt und Verbrecher vor ein Kriminal- und Polizeigericht stellt, das kurzen Prozess macht und aburteilt.“) Goldschmidt: Slottet ved Rhinen, Sp.11 Florian Brandenburg 184 als mögliche Ordnungsmacht wird die Literaturkritik in Slottet ved Rhinen nicht konzipiert. Jenes Urteil, dass der Wert von Literatur künstlich, auf Konvention beruhend und damit sekundär und nicht substantiell durch Begriffe wie Wahrheit und/ oder Schönheit gesichert und damit eben maßlos ist, wird dabei gerade durch die Parodie Andersens auf einer Metaebene radikalisiert vorgeführt. Dazu werden auf subtile Weise fiktionsinterne Analogien zwischen Erzählinstanz und der Figur Eginhards funktionalisiert und in ein Verweisungsspiel zwischen Fiktion und fiktionsexterner Wirklichkeit eingebunden. So können unverkennbare Parallelen zwischen der Figur des Dichters Eginhard und dem Erzähler konstatiert werden, die letztendlich auch das parodierte Subjekt, nämlich H.C. Andersen sowie den Autor Carsten Hauch selbst betreffen und die unterstellte Parodie zumindest doppelbödig erscheinen lassen, was eben auch jene Frage nach dem Wert von Literatur erneut berührt. Um dies zu verdeutlichen, ist es notwendig das Verhältnis der Erzählinstanz zur erzählten Welt näher zu charakterisieren. Mit erneutem Rückgriff auf die Terminologie Gérard Genettes kann die Stimme des Erzählers als extradiegetisch und heterodiegetisch bezeichnet werden; 42 es handelt sich um eine Erzählerinstanz erster Stufe, die in der von ihr erzählten Geschichte selbst nicht explizit vorkommt. Damit ist die Beziehung des Erzählers zur erzählten Welt jedoch nur unzureichend erfasst: Denn aufgrund der erzählimmanenten Logik muss das Erzählen in der gleichen erzählten Welt verortet werden, in der die Geschichte angesiedelt ist. Am Deutlichsten zeichnet sich dies durch die Tendenz des Erzählers ab, sein Wissen über Ereignisse und Handlungen der erzählten Geschichte beständig auf Figuren derselben zurückzuführen und auf diese Weise (im Rahmen der Fiktion) zu authentifizieren. Besonders offensichtlich wird dies im Rahmen der Binnenerzählung über das tragische Leben der Clara v. Mandesloh: Hvad vi vide om hendes Ungdomsliv oplyses bedst ved et Par Breve, som hun selv tilskrev sin Veninde Frau Sarnen. Den sidste Deel af vor Beretning derimod grunder sig deels paa Margrethes Tilstaaelser, deels paa flere Efterretninger, som Maurice har meddeelt. (SvR II, 136) Was wir über ihr Jugendleben wissen, erhellt sich am Besten durch ein paar Briefe, die sie selbst ihrer Freundin Frau Sarnen schrieb. Der letzte Teil unseres Berichts dagegen gründet sich teils auf Margrethes Geständnissen, teils auf mehrere Nachrichten, die Maurice mitgeteilt hat. Für die Darlegung der Lebensgeschichte der Clara v. Mandesloh nutzt der Text folglich einerseits die Herausgeberfiktion, indem der Erzähler Briefe von Figuren der erzählten Geschichte wortgetreu in seinem Erzählen wiedergibt, sowie die Möglichkeit sich auf die Aussagen erzählinterner Figuren zu berufen. Dies betrifft nicht nur die genannte Binnenerzählung, sondern in gewissem Umfang alle Ebenen des Er- 42 Vgl. Genette: Die Erzählung. Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 185 zählens. 43 Die langen Passagen wiedergegebener Briefe erzeugen dabei einen Realitätsbzw. Authentizitätseffekt, so als lägen dem Erzähler diese Dokumente materiell vor und er gebe sie dem Leser originalgetreu wieder. Auf diese materielle Dimension fokussiert beispielsweise die (fiktionsinterne) Wiedergabe einer philosophischen Schrift des Herrn v. Rehfeld (SvR II, 23-28). Nachdem der Erzähler die Zitation dieser Schrift eingeleitet hat, 44 folgt eine mehrseitige Wiedergabe; an diese schließen wörtliche Ausführungen Emilie Prechtls an (SvR II, 28-30), die der Erzähler nur darlegen kann, weil er sie als hinzugefügte Notizen auf der Schrift des Herrn v. Rehfelds entdeckte: „Hermed endte Herr v. Rehfelds foreløbige Beretning, men nedenunder paa samme Blad stod nogle Ord, som Emilie havde tilføiet“ (SvR II, 28). 45 Wichtig bei den hier aufgezählten Strategien sind nicht nur die Effekte von Realität und Authentizität, sondern ebenso der erzeugte Eindruck, dass der Erzähler als Angehöriger der erzählten Welt sich zunächst die geschehenen Ereignisse und Handlungen selbst erschließen musste und nun dem Leser in seinem Erzählen ex post darlegt. Es wirkt geradezu so, als ob der Erzähler erst aufgrund langer Recherchearbeit, Materialerschließung und Nachforschungen in die Lage gelangt sei, seine Geschichte(n) erzählen zu können. Darauf verweisen auch die vielen Unsicherheiten in seinem Erzählen, die sich daran zeigen, dass die Erzählinstanz sich für die Wiedergabe von Texten anderer Figuren beständig rechtfertigt. 46 So lässt sich bezogen auf Eginhard zunächst folgern, dass die Figur des Dichters und der Erzähler der gleichen erzählten Welt angehören. Da beide Figuren sich eine Welt teilen, müssten sie denselben (fiktionalen) Konstitutionsbedingungen von Welt unterworfen sein. Wenn man bedenkt, dass sowohl Eginhard als auch der Erzähler durch ihr Schreiben bzw. Erzählen Texte produzieren, scheint es nicht abwegig anzunehmen, dass beide Schriftsteller auch derselben fiktionsinternen Literaturkritik ausgesetzt sind und somit gleichen Wertungskriterien unterliegen müssten. Dieser Frage nachzugehen erscheint umso dringlicher in Anbetracht einer Fülle von Parallelen, die zwischen Erzählinstanz und Eginhard aufgewiesen werden können: Es ist der Dichter Eginhard der innerhalb der erzählten Geschichte maßgeblich an der Tragödie der Clara v. Mandesloh interessiert ist und die Aufklärung ihrer 43 Vgl. als prägnante Beispiele auch: SvR I, 187-194; II, 23-39, 129-185, 190, 206, 233-37, 244- 245, 324. 44 „Da denne Herr v. Rehfeld ikke var uden Indflydelse paa Emilies senere Skiebne, saa er det neppe af Veien, om ogsaa vi kaste et Blik i disse Papirer.“ („Da dieser Herr v. Rehfeld nicht ohne Einfluss auf Emilies späteres Schicksal war, ist es kaum abwegig, wenn auch wir einen Blick in diese Papiere werfen.“; SvR II, 23) 45 „Hiermit endete Herr v. Rehfelds vorläufiger Bericht, aber unterhalb auf dem gleichen Blatt standen einige Worte, die Emilie hinzugefügt hatte.“ 46 Vgl. bspw. Wendungen wie u.a.: „[…] saa er det neppe af Veien, om ogsaa vi kaste et Blik i disse Papirer.“ („ist es kaum abwegig, wenn auch wir einen Blick in diese Papiere werfen“; SvR II, 23); „vil maaske […] læses med et Slags Interesse.“ („will vielleicht mit einem gewissen Interesse gelesen werden“; SvR I, 187-188); „kunde det maaske ikke være af Veien her at anføre.“ („könnte vielleicht nicht abwegig sein hier anzuführen“; SvR II, 190). Florian Brandenburg 186 Todesumstände initiiert. Dabei legt er geradezu kriminalistischen Eifer an den Tag: Er geht Gerüchten nach, befragt potentielle Zeugen, besucht Orte des Geschehens und bemüht sich nach Möglichkeiten alle Informationen zu sammeln, die zu einer Aufklärung des Schicksals der Clara v. Mandesloh beitragen können. 47 So kommentiert Arthur Helmuth Eginhards Verhalten halbironisch: „Ingen Criminalinqvirent kunde med større Iver søge efter Lys i denne Sag end De […]“ (SvR I, 93). 48 Aber genau in dieser Hinsicht weist der Erzähler nicht weniger kriminalistisches Gespür auf: Auch er greift auf ihm zugängliche Dokumente, Briefe, Äußerungen und Hinweise aller möglichen Personen zurück, um die Lebensgeschichte der Clara v. Mandesloh und deren Ableben zu rekonstruieren. Die so entstehende Binnenerzählung umfasst alleine sechs Kapitel des zweiten Bandes und damit insgesamt 114 Seiten, was etwa ein Sechstel des Gesamttextes ausmacht. 49 Dieses Nachspüren des Erzählers verdeutlicht sich insbesondere in der Binnenerzählung, betrifft aber - wie oben bereits dargelegt - die Darstellung der gesamten erzählten Geschichte, also die Schilderungen aller Protagonisten des Romans. Es darf zudem nicht vergessen werden, warum Eginhard an der Aufklärung von Claras tragischem Ableben gelegen ist: Für ihn ergibt sich eine ideale Möglichkeit, an einen neuen literarischen Stoff zu gelangen. Die Rekonstruktion der Lebensgeschichte ist vergleichbar mit Eginhards beständigem Niederschreiben von in seinem Umfeld getätigten Aussagen, dem ruhelosen Umherreisen und dem Schwarzhandelsbündnis mit süddeutschen Schriftstellern. All dies dient dazu neues und unverbrauchtes Material für literarische Produktionen zu erschließen. Dementsprechend äußert sich Dr. Wagner sarkastisch über Eginhards Nachforschungen: „Der har De jo Elementerne til en Roman, der blive Dem overrakte ligesom paa en Præsenterbakke“ (SvR I, 83). 50 Der Erzähler selbst scheint sich diesbezüglich nicht sonderlich von Eginhard zu unterscheiden. Denn losgelöst von der Darstellung Eginhards wird - wie oben dargelegt - die Geschichte der Clara v. Mandesloh zu einem zentralen Teil seines Berichtes und somit zum Stoff des Erzählers. Auch er rekurriert in seiner Erzählung beständig auf textinterne Wirklichkeit, die er zur Grundlage seines Erzählens macht, welches wiederum den Roman Hauchs konstituiert. Von Bedeutung ist nun, dass nicht nur Figuren des Romans wie Arthur Helmuth und Dr. Wagner das Verhalten Eginhards kritisch betrachten, sondern insbesondere die Literaturkritik Eginhards Produktionsweise von Literatur verurteilt. Die Kritik müsste aber aufgrund der bereits gezeigten Parallelen ebenso gegen die Erzählinstanz hervorgebracht werden. Dies betrifft auch in anderer Weise die Verarbeitung fremder Texte in eigenen literarischen Werken, die Eginhard vorgehalten 47 Vgl. insbes. SvR I, 79-83, 91-93, 110-119, 140-145, 208-211; Sv R II, 59. 48 „Kein Kriminalinquirent könnte mit grösserem Eifer nach Licht in dieser Sache suchen als Sie.“ 49 Kapitel 10 bis einschließlich 15, vgl. SvR II, 136-250. 50 „Da haben Sie ja die Elemente für einen Roman, die ihnen wie auf einem Präsentierteller dargereicht werden.“ Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 187 wird und im Vorwurf des Plagiierens gipfelt. Aber der Erzähler zitiert in seinem Erzählen ebenso mehrfach literarische Produktionen, die nicht von ihm selbst stammen. 51 Hier jedoch werden die Ausführungen des Erzählers in gewissem Grad problematisch; denn während er bezogen auf die Vorwürfe des Plagiierens und der Wertbemessung von Eginhards literarischen Produktionen von einem Urteil Abstand nimmt, so schließt er sich in diesem Fall der Literaturkritik an. So habe der übermäßige Gebrauch fremder Beobachtungen und Aussagen dem künstlerischen Anspruch von Eginhards letzter Novelle geschadet: [S]aa kom der […] en stor Sandhed ind i hans Digt [d.i. jene Novelle, F.B.], uagtet dette dog ikke saaledes var sammensmeltet til et Heelt, at det kunde kaldes et egentligt Kunstværk. (SvR II, 120) So kam da eine große Wahrheit hinein in sein Gedicht [d.i. jene Novelle, F.B.], ungeachtet dass diese doch nicht derart zu einem Ganzen zusammengeschmolzen war, dass man es ein eigentliches Kunstwerk nennen konnte. Wie oben geschildert beruft sich die Erzählinstanz in der Darbietung der Geschichte ebenfalls beständig auf Beobachtungen und Äußerungen anderer Figuren, die sie im Nachhinein erschlossen hat; der Erzähler übersieht somit, dass ihn gleiche Kritik selbst treffen müsste. Auch deshalb kann man sich nicht des Eindrucks erwehren, dass Jørgen Breitenstein in seiner Kritik an Hauchs Roman letztendlich unbewusst und unbemerkt die fiktionale Kritik des Erzählers sowie der textinternen Literaturkritik an Eginhard auf anderer Ebene paraphrasiert: [E]pisoden i Slottet ved Rhinen mangler enhed, fordi den består dels af breve og småoptegnelser fra Claras egen hånd, dels af en sammenhængende beretning af forfatteren [sic! F.B.]. Også dette er en kunstnerisk svaghed. (SvR II, 137) Der Episode in Slottet ved Rhinen fehlt die Einheit, weil sie teilweise aus Briefen und Notizen aus Claras eigener Hand, teils aus dem zusammenhängenden Bericht des Verfassers [sic! F.B.] besteht. Auch dies ist eine künstlerische Schwäche. Diese mangelnde Reflektionsfähigkeit der Erzählinstanz gegenüber dem eigenen Vorgehen zeigt sich auch an einem weiteren Kritikpunkt, den der Erzähler dem Dichter Eginhard S. anlastet. An dessen literarischer Produktionsweise verurteilt er insbesondere den Gebrauch intimer Informationen, die nicht für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Die Erschließung illegitimer literarischer Stoffe gipfelt in dem Bündnis Eginhards mit süddeutschen Schriftstellern, das der Erzähler als „Tuskhandel“ ablehnt. Ebenso beklagt dieser jedoch auch das Vorgehen der Literaturkritik: In der Absicht Eginhards Ruf als Dichter zu demontieren, machen sich die Literaturkritiker private Mitteilungen zu Nutze, die ihnen in die Hände geraten sind und niemals zur Veröffentlichung gedacht waren: „[M]an misbrugte endog til dette 51 Man beachte bspw. SvR I, 49, 124-125, 183; in einem Fall wird durch eine Fußnote angegeben, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Bearbeitung eines Gedichtes aus Des Knaben Wunderhorn handelt; vgl. SvR I, 183. Fraglich bleibt, wer hier spricht: Der Erzähler, eine weitere Erzählinstanz, eine Autorfigur? Florian Brandenburg 188 Øiemed private Meddelelser og Breve, der aldrig havde været bestemte til Trykken“ (SvR II, 125-126). 52 Dabei kann aber nicht abgestritten werden, dass der Erzähler die Geschichte der Clara v. Mandesloh nur rekonstruieren und dem Leser darlegen kann, weil er gleiche Intimitätsverletzung begeht und Informationen aus ihm zugänglichen privaten Dokumenten preisgibt, die ebenfalls nie einer Öffentlichkeit zugänglich sein sollten. Clara v. Mandesloh markiert in ihren Briefen ganz ausdrücklich, dass deren Inhalt nur für die Empfängerin bestimmt sei und nicht weitergegeben werden solle: Disse Blade ere imidlertid skrevne for Dem alene, og den bittre Qval, jeg har lidt, er tillige min dybeste Hemmelighed, med hvilken den nysgierrige Verden intet har at bestille. (SvR II, 137) Diese Seiten sind jedoch nur für Sie alleine geschrieben worden, und die bittre Qual, die ich erlitten habe, ist zugleich mein tiefstes Geheimnis, mit dem die neugierige Welt nichts zu schaffen hat. Als Fazit lässt sich zunächst festhalten: Zwischen dem Dichter Eginhard S. und dem Erzähler lassen sich deutliche Parallelen ausmachen, die insbesondere die Art und Weise ihres literarischen Schreibens bzw. Erzählens betreffen. Im Falle von Eginhard S. geraten diese Charakteristika zu einem deutlichen Kritikpunkt, der ab einem bestimmten Zeitpunkt der Handlung von der fiktionsinternen Literaturkritik massiv vorgebracht wird und zum Niedergang Eginhards führt. Aufgrund der Parallelen müsste aber gleiche Kritik in vollem Umfang auch für den Erzähler gelten. Hier jedoch ist es unumgänglich, sich erneut die spezifische Beschaffenheit der textinternen Literaturkritik zu vergegenwärtigen: Diese wendet sich nicht gegen Eginhard aufgrund seines literarischen Schaffens, sondern einzig und allein weil sich die Position des Dichters zu den anderen Beteiligten im literarischen Feld verändert hat; literarische Qualität oder der Schutz ästhetischer Anforderungen liegen nicht im Interesse der Literaturkritik. Eigentlicher immanenter ästhetischer Wert wird von ihr nicht bemessen. Durch die Parallelen zwischen Eginhard und der Erzählinstanz wird letztere in das Spiel um den fraglichen Wert der Literatur hineingesogen. Der ästhetische Wert der dargebotenen Erzählung(en) kann weder mit Bezug auf Eginhard, noch im Falle des Erzählers bemessen werden. Weil aber der Roman als Parodie auf Hans Christian Andersen aufgefasst wurde, der Text durch diverse Strategien diese Rezeption nahelegt und letztendlich zudem textintern einen literarischen Skandal inszeniert, wird der Autor bzw. die Autorfigur in dieses Verweisungsspiel einbezogen. Denn einige Parallelen berühren nicht nur Eginhard und die Erzählinstanz, sondern betreffen auch die Autorfigur Carsten Hauch. Eginhard wie auch der Erzähler rekurrieren auf textinterne Wirklichkeit, die sie zum Stoff ihrer jeweiligen Erzählung machen. Dieses Verhalten gerät innerhalb der erzählten Welt zu einem Kritikpunkt der explizit Eginhard vorgehalten wird, implizit 52 „Man missbrauchte zu diesem Zweck sogar private Mitteilungen und Briefe, die nie für einen Druck bestimmt worden waren.“ Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 189 aber auch die Erzählinstanz betreffen müsste. Wenn es sich aber im Falle des Dichters Eginhard S. um eine Parodie handelt, so verhält sich der Verfasser Carsten Hauch nicht anders als die von ihm konstruierte Erzählinstanz und die Figur Eginhard: Gerade weil es sich um eine deutlich markierte Parodie Hans Christians Andersens handelt, wird textexterne Wirklichkeit zum Stoff literarischen fiktionalen Erzählens. Die Wirklichkeitsreferenz bleibt dabei - wie die Rezeption des Textes zeigt - deutlich erhalten. Dies bedeutet, dass jene Kritik Eginhard, den Erzähler und auf Metaebene letztendlich auch Hauch selbst treffen müsste. Eginhard veröffentlicht in seinem Streit mit Emilie Prechtl eine Novelle, die eine bösartige Parodie auf diese darstellen soll. In gleichem Sinne wird Hauch vorgeworfen, er parodiere Andersen in Slottet ved Rhinen. Zusätzlich gestaltet Eginhard seinen persönlichen Angriff auf Emilie in der Form eines explizit philosophischen Romans. Der Roman Slottet ved Rhinen wiederum markiert sich durch zwei Paratexte als philosophischer Roman: Nicht nur das Vorwort Hauchs legt eine derartige Lesart nahe, 53 ebenso verweist der Untertitel „eller de forskiellige Standpunkter“ („oder die verschiedenen Standpunkte“) in diese Richtung. Die Rezeption hat den Text auch stets in dieser Weise aufgenommen. 54 Eine weitere Parallele betrifft die textinterne Bewertung von Eginhards philosophischem Roman durch die Literaturkritik. Diese wirft ihm insbesondere vor, dass sein Roman u.a. logische Fehler beinhalte (SvR II, 125). Nun ist aber Hauchs Roman, was die philosophische Diskussion betrifft, selbst nicht frei von Widersprüchen. Jørgen Breitenstein weist bereits daraufhin, dass die philosophische Diskussion im Roman zu Teilen schlichtweg logisch nicht nachvollziehbar sei: Det er uklart, om hun [Emilie, F.B.] efter Hauchs opfattelse skulle være slet, fordi hun var tilhænger af Hegels filosofi. I så fald er fremstillingen på dette punkt absurd, da hendes slethed netop er et brud med den filosofiske holdning. 55 Es ist unklar, ob sie [Emilie, F.B.] nach Hauchs Auffassung schlecht sein soll, weil sie Anhängerin von Hegels Philosophie war. In diesem Fall ist die Darstellung in diesem Punkt absurd, da ihre Schlechtigkeit eben ein Bruch mit der philosophischen Haltung ist. Denn Emilie Prechtl begehrt Arthur Helmuth natürlich nicht, weil sie eine Anhängerin hegelscher Philosophie ist, sondern weil sie sich nicht eingestehen kann, dass ein dunkler Naturgrund, nämlich jenes Begehren, auch in ihr wirksam ist. Damit ist aber fraglich, ob der Roman tatsächlich eine Auseinandersetzung mit Hegels Systemdenken und konkurrierenden bzw. alternativen philosophischen Standpunkten darstellt. 56 Es stellt sich die Frage, ob in dieser Gemeinsamkeit ein unzuverlässiges Erzählen (im Vorwort als Paratext auch durch den Verfasser Hauch selbst) gesehen werden kann. 53 Vgl. SvR I, I-VI. 54 Vgl. Breitenstein: Hauchs romaner, 20. Vgl. auch Literaturhinweise in Anm. 9. 55 Breitenstein: Hauchs romaner, 38. 56 Hauchs Rezeption der Philosophie Friedrich W.J. Schellings (1775-1854) ist bis heute nicht ausreichend nachvollzogen worden. Florian Brandenburg 190 Kritikpunkte der fiktionsinternen Literaturkritik betreffen somit nicht alleine Eginhard und den Erzähler, sondern verweisen ebenso implizit auf den Autor Carsten Hauch, der in mancherlei Hinsicht nicht anders verfährt als beide von ihm geschaffenen Figuren. Einerseits führt der Roman somit eine Literaturkritik vor, die literarischen Wert nicht anhand ästhetischer Qualität bemisst, sondern alleine auf Grundlage der relativen Position eines Schriftstellers zu dem von ihr beherrschten literarischen Feld. Es gibt somit keine fiktionsinterne Instanz, die den intrinsischen ästhetischen Wert von Literatur ermessen könnte. An die Vorstellung eines literarischen Wertes abseits des literarischen Systems bzw. hinter der im literarischen Feld durch Hegemonie und Konvention etablierten Bewertung erteilt der Roman eine Absage. Gerade darum erscheint es abwegig Hauchs Figur des Dichters Eginhard S. als plumpe Karikatur Andersens zu begreifen. Wer dieses Urteil vorschnell fortschreibt, gerät in die Falle einer komplexen Erzählstruktur, die dieses Urteil inszenieren möchte. Nur wer die Parallelen und Verweisungszusammenhänge zwischen Eginhard, Erzähler und Autor verkennt, kann Eginhard als böse Parodie Hans Christian Andersens auffassen. Denn handelte es sich um eine eindeutige Parodie, dann würde Hauch nicht nur Andersen parodieren, sondern ebenso seinen eigenen Erzähler und schließlich sich selbst. Der Romantext führt anhand eines parodistischen Verweisungsspiels vor, dass eigentlicher, intrinsischer ästhetischer Wert sich der Bemessung und Festlegung entzieht - und dies gilt für Hauchs eigenen Text wie für Andersens literarisches Schaffen. Meine Lektüre von Carsten Hauchs Roman Slottet ved Rhinen setzte sich zum Ziel aufzuzeigen, dass innerhalb des Textes ökonomische Figuren in zweierlei Hinsicht konzeptioniert werden: Im Bereich der Geschichte des Adelshauses v. Mandesloh/ v. Waldstädten rekurriert der Text auf die Unterscheidung zwischen Ökonomik und Chrematistik. Gemäß der wirkmächtigen Tradition präferiert der Roman die Prinzipien der Ökonomik und verwirft die Chrematistik und die aus ihr resultierenden Effekte als gefahrvoll, verderblich und lebensfeindlich. Der Rückgriff auf die Dichotomie Ökonomik/ Chrematistik erlaubt somit zwischen wahrem und falschem, innerlichem und äußerem, intrinsischem und konventionellem, eigenem und sekundärem Wert zu unterscheiden. Die Offenlegung des eigentlichen, wahrhaften und beständigen Wertes bildet damit das zentrale Anliegen der Familiengeschichte. Gerade diese Unterscheidung von Wert und Unwert bzw. Nicht-Wert scheitert im Text bezogen auf die Bewertung von Literatur. Literarischer Wert ergibt sich textintern allein aufgrund von Konvention innerhalb des literarischen Systems, das von der dargestellten Literaturkritik beherrscht wird. Grundlage der Wertbemessung ist dabei allein die persönliche Position eines Schriftstellers zur hegemonialen Literaturkritik. Somit bleibt literarischem Wert stets der Makel des Ökononemesis und der maßlose Wert der Literatur 191 Sekundären und Konventionellen angelastet. Die Idee eines immanenten, verlässlichen und beständigen Wertes, der einem literarischen Werk aufgrund seiner ihm eigenen ästhetischen Qualität zukommen könnte, wird im Roman nicht thematisiert. Vielmehr scheint aus dem Text ein bereitwilliges Abfinden mit dieser Konstitutionsbedingung literarischen Wertes hervor, das jede Suche nach einem Wert hinter der Konvention als erfolglos ablehnt. Dies verdeutlicht sich insbesondere in dem komplexen Verweisungsspiel, das nicht nur Parallelen zwischen der Figur Eginhard und der Erzählinstanz funktionalisiert, sondern durch eine überdeterminierte Parodie auch die Autorfigur Carsten Hauch einbindet. Während sich also innerhalb der Geschichte des Adelshauses eine ‚Ökononemesis‘ vollzieht, die wahre und falsche Werte voneinander scheidet, bekennt sich der Text bezogen auf die Literatur gerade zu den Prinzipien, die eigentlich als chrematistisch verurteilt werden müssten: Intrinsischer literarischer Wert bleibt unbestimmbar und in diesem Sinne maßlos. Florian Brandenburg 192 Albeck, Gustav u.a.: Dansk litteraturhistorie. Bd. 2. Kopenhagen: 1967. Bracker, Nicole und Stefan Herbrechter (Hg.): Metaphors of Economy. 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So stellt etwa Heinrich Detering in einem Aufsatz mit dem schönen Titel „Es geschieht“ fest, dass in dem Stück nicht Figuren handeln, sondern komplexe Geld- oder Zeichenströme, die das Leben der eben zu Puppen degradierten Akteure bestimmen: Die zirkulierenden Geld- und Schuldscheine [...] verweisen auf Subjekte - die aber in Wirklichkeit längst schon durch [...] Signifikanten dominiert, funktionalisiert, aufgesogen sind. Was sich im Drama vollzieht, ist eine Zirkulation von Signifikanten, die aufeinander verweisen und keines Signifikats mehr bedürfen. Damit kann für eine semiologisch interessierte Lektüre die explizit problematisierte Zirkulation des Geldes durchsichtig werden auf eine Zirkulation von Zeichen überhaupt, das Geld-als-Macht zum Spezialfall von Zeichen-als-Macht [...]. Das Spiel mit Rollen und Masken erscheint in dieser Perspektive als markantester theatralischer Ausdruck dieses sozioökonomischen Abstraktionsprozesses, die ‚Maskerade‘ als allegorisches Zeichen eines kapitalistischen Welttheaters. 1 Detering führt den Text in dieser Hinsicht auf eine „späte Fortschreibung von Verfahren“ zurück, die schon in Goethes Faust II (1832) Anwendung gefunden hätten. 2 Zwar hat Michael Evans zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass das Stück auf eine ganz konkrete Verschiebung im zeitgenössischen norwegischen Bankwesen Bezug nimmt, welche eben vor allem mit der Etablierung von Banken zu tun hat, die mit einem regelrechten Handel von Investitionskrediten Geld zu verdienen versuchen. 3 Doch diese historische Konkretisierung hilft paradoxerweise eher Deterings Thesen zu bekräftigen als zu unterlaufen. Denn das Kreditwesen ist 1 Heinrich Detering: „‚Es geschieht‘. Nietzsche, Ibsen, Strindberg und das Drama der Abstraktion“. In: Ibsen im europäischen Spannungsfeld zwischen Naturalismus und Symbolismus. Hg. von Maria Deppermann u.a. Frankfurt a.M.: 1998, S. 235-255, hier S. 242-243. 2 Detering: Es geschieht, S. 243. 3 Michael Evans: „Credit and Credibility. The Impact of Modern Banking Institutions on A Doll’s House“. In: Ibsens Studies 8: 1 (2008), S. 29-42. Klaus Müller-Wille 194 in besonderem Ausmaß an eine Zirkulation von Zeichen geknüpft, die sich zusehends von dem realen ökonomischen Geschehen abkoppeln und in einem an das Kreditwesen selbst gebundenen Markt potenzierte Zeichen-Effekte erzeugen, indem ein künstlicher Aufschwung genauso produziert werden kann wie ein Kollaps des Systems. Sowohl Detering wie Evans machen in dieser Hinsicht auch darauf aufmerksam, dass der entsprechende Diskurs von Investitionen, vertrauensbildenden Maßnahmen und Schuldobligationen die Liebesmetaphorik der Akteure dominiert, welche ihrerseits entsprechende Krisen in der Beziehung der Protagonisten nach sich zieht. Im Folgenden möchte ich auf eine Genealogie von Ibsens theatraler Ökonomietheorie aufmerksam machen, die allerdings nicht zu Goethe, sondern zuerst zur skandinavischen Komödie der Spätaufklärung und anschließend zu Frühformen des Populärtheaters führen wird. Dabei möchte ich zunächst die These entwickeln, dass die abstrakte theatrale Poetik, von der Detering spricht und die er mit dem Schlagwort „Es geschieht“ auf den Punkt bringt, schon in Komödien und Boulevardstücken des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts vorweggenommen wird. Schon diese Stücke handeln eher von der Zirkulation von Zeichen, die sich der Aktanten bedienen, als von agierenden Figuren, die Zeichen gebrauchen. Um es gleich vorwegzunehmen: Angesichts der Deutlichkeit der Belege ist diese These keineswegs so originell. Immerhin haben auch schon Leonardo Lisi und Kirsten Wechsel in zwei für diesen Kontext wichtigen Studien über Heibergs Vaudeville-Stücke auf die Modernität des Populärtheaters aufmerksam gemacht, die just in der Reflexion von ökonomischen Prozessen, veränderten Dingbezügen und Begehrensstrukturen sowie einer neuen ökonomischen Metaphorik zum Ausdruck kommt. 4 In diesem Sinne bildet meine These über die abstrakte Poetik des Populärtheaters nur den Ausgangspunkt für zwei weitere Thesen. Zunächst möchte ich dabei der Frage nachgehen, inwiefern die Stücke sich auf eine Präsentation imaginärer Gemeinschaften einlassen, die sich radikal von derjenigen imaginierter Nationen unterscheidet. Es geht um die Inszenierung von Figurenrelationen, die eben den Kontingenzen von ökonomischen Wechselkursen ausgeliefert sind. Möglicherweise geht es sogar um erste Präsentationen der gespenstischen oder hysterischen Form von Gemeinschaftsbildung, die das Populäre selbst als eine über den Markt bestimmte Größe darstellt. Der entsprechende Begriff des Populären, den ich im Folgenden mit Anlehnung an jüngere systemtheoretisch inspirierte Theorien über die Massenkultur spezifi- 4 Lisi, Leonardo: „Heiberg and the Drama of Modernity“; Kirsten Wechsel: „Lack of Money and Good Taste. Questions of Value in Heibergs Vaudevilles“. In: Johan Ludvig Heiberg. Philosopher, Littérateur, Dramaturge, and Political Thinker. Hg. von Jon Stewart. Kopenhagen: 2008, S. 395-417 und S. 421-448. Ende gut, alles gut? 195 zieren möchte, führt schließlich zur dritten These des Artikels, die um das Konzept einer Poetik des Populären kreisen wird. Die Populärdramatik zeichnet sich meiner Ansicht nach über eine strukturelle Ambivalenz aus. Zum einen lassen sich alle der Stücke, auf die ich eingehen möchte, auf den Versuch ein, die unvorhersehbaren Effekte ökonomischer Prozesse in irgendeiner Form erzählbar zu machen und somit zu kontrollieren. Auf der anderen Seite aber lebt der Humor der Stücke selbst von den Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, die durch die Wechselkurse der Ökonomie freigesetzt werden. Schon diese ambivalente Bestimmung der populären Poetik deutet an, dass ich mich mit meinem Begriff des Populären nicht mehr an den entsprechenden Bestimmungen der Birmingham school orientieren werde, bei der das Populäre von vorne herein als Subversion bestehender Marktstrukturen begriffen wird. 5 Dieser Aufsatz wird sich allerdings nicht in den angedeuteten theoretischen Fragestellungen verlieren, sondern kreist im Gegenteil um konkrete Textlektüren. So lehnen sich die folgenden Beobachtungen allein an der Interpretation von vier Komödien an, die den Zeitraum vom ausgehenden 18. Jahrhundert bis in die frühen 1840er Jahre abdecken. Mag die Zusammenstellung der doch recht unterschiedlichen Texte zunächst überraschen, so sind sie doch über das Thema ‚Juden und Judentum‘ verknüpft. In den bürgerlichen Komödien von Claus Fasting und Peter Andreas Heiberg wie in der Posse von Thomas Overskou nehmen jüdische Aktanten eine Schlüsselfunktion ein. Henrik Hertz dagegen zählt zu den ersten namhaften Autoren jüdischer Herkunft in der dänischen Literaturgeschichte. So finden alle der hier behandelten Texte in Mogens Brøndsteds kurzer Geschichte jüdischer Themen in der dänischen Literatur Erwähnung. 6 Auch wenn die Anregung zur Lektüre der Theaterstücke von Brøndsted stammt, soll in diesem Artikel gezeigt werden, dass sie auch über die jüdische Thematik hinaus von Interesse sind. Denn alle Dramen setzen sich auf sehr direkte Art und Weise mit ökonomischen Strukturen auseinander, die sie selbst noch als ‚neu‘ apostrophieren. Dabei machen sie überraschend konzis auf Themen aufmerksam, die uns heute noch beschäftigen. So wird die intransparente Komplexität eines verzwickten Aktienhandels genauso thematisiert wie etwa die kontingenten Effekte einer globalen Wirtschaft. 5 Zum Versuch, das Populäre als eine Konsumpraxis zu verstehen, welche die kapitalistische Gesellschaftsordnung subversiv unterläuft, vgl. stellvertretend Stuart Hall: „Notes on Deconstructing the ‚Popular‘“. In: People’s History and Socialist Theory. Hg. von Raphael Samuel. Boston: 1981, S. 227-240; Ders.: „Kodieren/ Dekodieren“. In: Cultural Studies. Grundlagentexte zur Einführung. Hg. von Roger Bromley u.a.. Lüneburg: 1992, S. 92-110. Zu einer grundlegenden Kritik dieser theoretischen Entwürfe vgl. Urs Stäheli: Spektakuläre Spekulation. Das Populäre der Ökonomie. Frankfurt a.M.: 2007, S. 17-20; Ders.: „Das Populäre zwischen Cultural Studies und Systemtheorie“. In: Politik des Vergnügens. Zur Diskussion der Populärkultur in den Cultural Studies. Hg. von Udo Göttlich und Rainer Winter. Köln: 2002, S. 321-337. 6 Mogens Brøndsted: Ahasverus. Jødiske elementer i dansk litteratur. Odense: 2007. Klaus Müller-Wille 196 Schon mit dem Titel von Claus Fastings Komödie Aktierne eller De Rige (Die Aktien oder Die Reichen), die 1788 in Kopenhagen uraufgeführt und posthum 1797 in Bergen veröffentlicht wurde, wird auf die Relevanz der ökonomischen Thematik verwiesen. 7 Ausgangspunkt der Handlung bildet ein klassischer Komödienkonflikt. 8 Ein uneinsichtiger Vater mit dem sprechenden Namen Gyldenstolt setzt sich gegen die Liebesbeziehung seiner Kinder Ludvig und Augusta zur Wehr (zu den komplexen Figurenrelationen vgl. Abb. 1). Ausschlaggebend für seine Haltung sind allein ökonomische Überlegungen. Weder das Dienstmädchen Lovise, in die Ludvig verliebt ist, noch Annas Wahl - der verarmte Kandidat Fridrik Kronskiold - geben in den Augen des Händlers gute Partien ab. Eine zentrale Stellung in der komplexen Figurenkonstellation des Stückes nimmt der verstorbene Bruder Ferdinand Gyldenstolt ein. Dieser ist aufgrund einer Bürgschaft, die er für seinen Bruder übernommen hat (Pfeil 1), unverschuldet in den Ruin getrieben worden und musste das Land verlassen. 9 Im Verlaufe des Stückes werden die Figuren über seinen Tod auf der Insel Sankt Thomas in der dänischen Kolonie Westindien informiert. Die Tragödie scheint sich in der nächsten Generation zu wiederholen, denn auch Ludvig Gyldenstolt nimmt sich vor, dem Herrschaftsbereich seines Vaters zu entfliehen und sein Glück in den Kolonien zu suchen. Figurenkonstellation in Claus Fastings Aktierne (Diagramm KMW). 7 Claus Fasting: Aktierne eller De Rige. Et Lystspil i fem optog. Bergen: 1797. 8 Auf die lange Komödientradition, in die sich das Stück mit der schablonenartigen Figurenkonstellation (geiziger Vater, junge Liebende, Wiederbegegnung des unglücklichen Liebespaares, der Schurke, der Beamte etc.) einschreibt, macht Lisbeth Stina Nordøy in dem einzigen aktuellen wissenschaftlichen Artikel aufmerksam, der das Drama behandelt. Lisbeth Stina Nordøy: „‚Rikdommens besværligheter‘. En lesning av Claus Fastings komedie Aktierne eller De Rige“. In: Mellom europeisk tradisjon og nasjonal selvbevissthet. Det norsk-klassiske drama 1750-1814. Hg von Rolf Gassland und Hans Erik Aarseth. Oslo: 1999, S. 162-167. 9 Die Pfeile in Abb. 1 und Abb. 2, auf die hier und im Folgenden verwiesen wird, geben die im Text verhandelten ökonomischen Transaktionen wieder. (Kronskiold ♥) Ferdinand Gyldenstolt ( ) ld ♥) F Amalia ) Robert Gyldenstolt Grosserer Kronskiold Kronskiold (♥ Amalia) o Ferdinand Gyldenstolt ( ld ♥) F Amalia AA (St. Thomas) ( ) Gylde Gyldenstolt ( (St. Thomas) Ludvig Augusta sta Fridrik Kronskiold a rid Fr ♥ d Frans Kronskiold dd Kronskiold K (St. Thomas) Lovise Ludv d ee ♥ vig Lovise Ludv ee ♥♥ (St. Thomas) [1] Ende gut, alles gut? 197 Ebenfalls heimgekehrt aus Sankt Thomas ist der Vetter Fridriks, Frans Kronskiold, der sich mit dem Geld, das er im Handel erworben hat, Hoffnung auf die gute Partie Augusta macht, was auch ganz im Interesse ihres Vaters wäre. Überraschende Unterstützung erhalten die Liebenden allerdings von Frans’ Vater, der ebenfalls als Händler tätig ist, allerdings von der Skrupellosigkeit und Geldgier seines Sohnes entsetzt ist. Was die Figuren zu Beginn des Stückes nicht wissen, ist, dass Roberts Bruder auf St. Thomas verheiratet war. Seine Witwe Amalia kehrt verkleidet als Dienstmädchen nach Skandinavien zurück, um die liebe Verwandtschaft auf die Probe zu stellen. Auch sie ahnt nicht, dass sie dabei auf ihre eigene Tochter treffen wird, die schon als Kleinkind nach Dänemark geschickt werden sollte, um eine angemessene Erziehung zu erhalten, die allerdings auf der Reise nach Europa Schiffbruch erlitten hat und die sich nach ihrer Rettung - ohne Wissen um ihre Herkunft - als Dienstmädchen Lovise verdingen muss. Weiterhin wird Amalia im Verlaufe des Stückes ihrer Jugendliebe Kronskiold begegnen, welcher sie als junger Mann auch aus Standesgründen verschmäht hat, diesen Schritt aber sein ganzes Leben lang bereut. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Liebe wird sich am Ende des Stückes durchsetzen, das gleich mit drei Hochzeiten zwischen Amalia und Kronskiold, Lovise und Ludvig sowie Augusta und Fridrik endet. Außerhalb von den beiden Familien Gyldenstolt und Kronskiold stehen zwei Figuren, die ihrerseits in einer deutlichen Kontrastrelation zueinander stehen. Es handelt sich einerseits um einen Justizbeamten mit dem sprechenden Namen Lovson und den in vielerlei Hinsicht außerhalb des Gesetzes stehenden Juden Nathan Levi. [11] Nathan Levi [7] [8] [10] (Kronskiold ♥ )Amalia Ferdinand Robert Kronskiold( ♥ Amalia) [7] [12] [5] [9] [4] Lovisa ♥ Ludvig Augusta ♥ Fridrik Frans [6] [3] [7] Lovson [2] [a] Der Weg der Aktien in Claus Fastings Aktierne (Diagramm KMW). Im Stück handeln allerdings nicht die erwähnten Figuren, sondern - wie dies schon im Titel angekündigt wird - die Aktien selbst. Es geht dabei um Wertpapiere, die Klaus Müller-Wille 198 eng mit dem globalen Kolonialhandel verbunden sind, auf dem im Verlaufe des Stückes immer wieder angespielt wird. Folgt man den im Stück beschriebenen ökonomischen Transaktionen (vgl. Abb. 2), dann setzt die Komödie mit der freudigen Nachricht Fridriks ein, dem es gelungen ist, über Lovson und Losglück auf Kredit ein Aktienpaket zu erwerben, von dem er sich ein reiche Dividende und damit auch die Hand Augustas verspricht (Pfeil 2). Allerdings droht sein Vetter dieses Geschäft zu verderben, in dem er selbst Anspruch auf diese Aktien erhebt, die er im Gegensatz zu seinem Vetter mit realen Aktien eintauschen kann. Das virtuelle Aktienpaket wandert also von Fridrik zu Frans (Pfeil 3). Zum Glück aber kommt Frans’ Vater, der von diesem Plan erfährt, seinem Sohn zuvor. Er erwirbt das Aktienpaket (Pfeil 4) und gibt es aus Nächstenliebe und pädagogischen Gründen an Augusta weiter (Pfeil 5). Leider aber verlangt Lovson die Aktien, die inzwischen ein hundertfaches an Wert gewonnen haben, zurück, da Fridriks Kreditgeber plötzlich seine Sicherheiten einfordert (Pfeil 6). Dieser Kreditgeber aber ist niemand anders als Augustas Vater Gyldenstolt selbst, der nunmehr in den Besitz der Aktien kommt (Pfeil 7). In diesem Augenblick, in dem das Glück der Liebenden endgültig eine tragische Wende zu nehmen droht, betritt Amalia die Szene. Als Dienstbotin verkleidet, berichtet sie Glydenstolt vom Tot seines Bruders und bittet im Namen der Witwe um eine Spende beziehungsweise um eine Rückerstattung der ursprünglichen Schulden des Bruders. Als Gyldenstolt sie daraufhin verhöhnt, gibt sie ihre wahre Identität zu erkennen und erwirkt mit Hilfe rechtsgültiger Papiere eine erste Erstattung der Schuld, die eben in Form des Aktienpaktes an sie gelangt (Pfeil 8). Dieses Aktienpaket gibt sie wieder an Augusta weiter, da sie - in Erinnerung an ihre eigene Jugend - die Liebenden im Kampf gegen den hartherzigen Vater zu unterstützen wünscht (Pfeil 9). In diesem Augenblick droht Gyldenstolt der totale Kollaps, da auch er seine gesamten Aktien-Geschäfte nur über ungedeckte Kredite finanziert. Verzweifelt entschließt er sich, seinen gesamten Hausstand an Levi zu verpfänden, der ihm seinerseits verspricht, für seine Kredite zu bürgen und somit Gyldenstolt wieder ins Geschäft zu bringen (Doppelpfeil 10). Da Gyldenstolt allerdings vergisst, die entsprechenden Gegendokumente von Levi einzufordern, droht der gesamte Familienbesitz inklusive der Aktien an Levi zu fallen. Als sich das Gerücht von Gyldenstolts Konkurs verbreitet und Levis Schuldschein an Wert zu verlieren droht, verkauft er diesen allerdings Hals über Kopf. Hinter dem Gerücht steckt niemand anderes als Lovson, der Levi die Aktien seinerseits gegen einen (ungedeckten) Kredit abkauft und sie wieder an Gyldenstolt zurückgibt (Pfeile 11 und 12). Dieses Geschäft ist sicher nicht ganz legal, doch Lovson rechtfertigt es mit einem Betrug des Betrügers Levi, den er wegen eines weiteren Vergehens verhaftet. Durch die Verhaftung des Juden wird die Harmonie der Familie wieder hergestellt: Der geldgierige Vater ist geläutert und das Stück endet - wie erwähnt - mit den drei Hochzeiten. Wichtig ist weiterhin, dass Lovson Ende gut, alles gut? 199 Fridrik Kronskiold als königlichen Beamten einsetzt, der über eine gesicherte jährliche Rente verfügt (Pfeil a). Damit wird schließlich auch Kronskiold seinem Namen alle Ehre machen. Fastings Aktierne eller De Rige gehört wohl zu den ersten skandinavischen Texten, die so genau auf die Eigendynamik eines Aktienhandels reagieren, der sich allein über Kredite finanziert und entsprechend leicht kollabieren oder boomen kann. 10 Weiterhin führt der Text geradezu mustergültig vor, wie familiäre Strukturen durch ökonomische Relationen ersetzt werden. Im Stück agieren nicht mehr Väter, Söhne, Töchter, Eheleute oder Schwager, sondern allein Schuldner und Geldgeber, die schlussendlich über ein völlig undurchschaubares Netz von ökonomischen Transaktion miteinander in Beziehung treten. Die familiären Relationen werden erst wieder durch die simple Strategie einer demonstrativen Exklusion in Kraft gesetzt, die es erlauben soll, die Differenz zwischen ökonomischen Prozessen und familiären Strukturen wenn nicht wiederherzustellen, so doch imaginär zu regulieren. Über die demonstrative Exklusion des Juden versucht sich die Familie erneut als eine Gemeinschaft zu konstituieren, 11 welche die Ökonomie zur Vertretung ihrer Interessen in Anspruch nimmt und sich vermeintlich nicht von der Ökonomie regulieren und zersetzen lässt. Gleichzeitig fungiert die theatrale Inszenierung dieses Exklusionsprozesses als eine Art vertrauensbildende Maßnahme, die das Fortlaufen der Aktienwirtschaft gewähren soll. Letzteres erscheint nicht sofort evident zu sein, denn immerhin spricht viel dafür, dass das Drama in eine generelle Kritik am Spekulationsfieber mündet. So wird etwa die Relation zwischen Aktienhandel und nicht kalkulierbarem Glückspiel im Stück von Anfang an unterstrichen: „Aktierne ere Guldminer i vore Tider. Kongen har tilladt dem for alle. I Dag skal de trækkes ved et Lotterie.“ 12 Die Tatsache, dass die Figuren ihre Aktien buchstäblich über das Losglück gewinnen, bestimmt auch den weiteren Verlauf der Handlung, bei der sie die Wertpapiere nicht durch geschickte Verkaufsstrategien, sondern aufgrund von undurchschaubaren Koinzidenzen gewinnen oder verlieren. 10 In früheren Interpretationen des Stückes ist auf den historisch-politischen Kontext verwiesen worden, auf den Fasting sich vermutlich bezieht. So macht etwa Harald Beyer auf das Spekualtionsfieber während des nordamerikanischen Freiheitskrieges aufmerksam, das während der nachfolgenden Revolutionskriege in Europa auch in Dänemark grassierte. Vgl. Harald Beyer: Norsk Litteraturhistorie. Oslo: 1970, S. 105. 11 Zur Geschichte und Funktion der Judenrollen im europäischen Theater des 18. und 19. Jahrhunderts vgl. Hans-Peter Bayerdörfer: „Judenrollen und Bühnenjuden. Antisemitismus im Rahmen theaterwissenschaftlicher Fremdheitsforschung“. In: Antisemitismusforschung in den Wissenschaften. Hg. von Werner Bergmann und Monika Körte. Berlin: 2004, S. 315-351; Ders. u.a. (Hg.): Judenrollen. Darstellungsformen im europäischen Theater von der Restauration bis zur Zwischenkriegszeit. Tübingen: 2008. 12 „Aktien sind die Goldminen unserer Zeit. Der König hat sie für uns alle geöffnet. Heute sollen sie an einer Lotterie gezogen werden.“ Fasting: Aktierne, S. 8. Klaus Müller-Wille 200 All dies spricht - wie gesagt - für eine generelle Kritik an Spekulation und Aktienhandel. Auch die Tatsache, dass Kronskiold am Ende des Dramas ausgerechnet als königlicher Beamter eingesetzt wird, lässt die Vermutung zu, dass er in dieser Funktion die Exzesse der Spekulation eindämmen soll. Eine solche Deutung des Endes würde schließlich auch mit der Läuterung von Gyldenstolt übereinstimmen, der im Verlauf des Geschehens lernt, dass Habsucht und reines Gewinnstreben in den sicheren Ruin führen. Allerdings bleibt das Stück in Bezug auf den spielerischen Charakter der Finanzspekulation ambivalent. Wenn diese Form von Ökonomie auf der einen Seite als unmoralisch verdammt wird, so zeigt das Stück auf der anderen Seite, dass sie eine gesellschaftliche Dynamik ermöglicht, welche auch Glücksuchern wie Fridrik die Möglichkeit bietet, über das Los an das große Geld zu kommen. Immerhin wird die Verbindung von Lotterie und Aktienwesen, die vom König selbst eingerichtet wird, von den Figuren im Stück explizit gelobt (Zitat siehe oben). In diesem Sinne ist es auch fragwürdig, dass sich Fridrik als königlicher Justizbeamter gegen das Spiel der Spekulation wenden wird. Kurz und gut: Nicht die Spekulation an sich, sondern die Exzesse einzelner Spekulanten werden im Stück kritisiert. Diese Interpretation deckt sich auf den ersten Blick mit anderen Lektüren, welche nicht das Aktienwesen, sondern den Geiz und die Lieblosigkeit Gyldenstolts als eigentliches Thema des Dramas auszumachen versuchen. 13 Eine solche Reduktion des Stückes auf eine moralische Kritik wird meines Erachtens jedoch weder dem Titel noch der neuartigen Handlungsstruktur des Dramas gerecht. Indem Fasting die Aktien selbst agieren lässt, definiert er die Handlung seines Stückes auf mustergültige Art und Weise über eine Zirkulation von abstrakten Zeichen. Durch diese spezifische Form der Dramaturgie partizipiert das Drama Aktierne am thrill eines Börsenhandels, den Fasting konsequent ästhetisch wiederzugeben versucht. Die Spannung des Stückes lebt mit anderen Worten von der Tatsache, dass niemand weiß, wer sich in welchem Augenblick im Besitz welcher Aktien befindet. Das Drama folgt keiner einfachen Handlungslogik mehr, sondern einer komplexen Folgerichtigkeit der Zeichen, bei der die Kette ineinander verwobener Transaktionen fortlaufend überraschende Resultate zeitigt. Solchermaßen liefert das Stück nichts anderes als eine ästhetische Rechtfertigung von Aktienhandel und Aktienspekulation, was meines Erachtens sogar dazu beiträgt, dass die angedeutete Kritik an den Verfehlungen der einzelnen Akteure unterlaufen wird. Letztendlich unterliegen die Zuschauer, die den rasanten und überraschenden Kurswechsel auf der Bühne genießend verfolgen, gewissermaßen einem ähnlichen Begehren wie der angeblich kritisierte Gyldenstolt. Dessen Handeln ist nämlich keineswegs vom Laster des Geizes geprägt. Er unterliegt vielmehr einer Spielsucht, die in der kopflosen Dynamik eines fortlaufenden Kaufens und Verkaufens ihren 13 So vor allem Nordøy: Riksdomens besværligheter. Ende gut, alles gut? 201 Ausdruck findet: „Deres Fader er rasende begierlig efter Aktierne. Han eyer nogle Hundrede allerede; men han er umættelig. Han selger dem, uden Betækning, til den første, den beste, som afstaaer ham sine.“ 14 Gyldenstolts Handel folgt mit anderen Worten einer Logik der Unterhaltung, die selbst - so ließe sich mit Urs Stähelis Überlegungen zur spektakulären Spekulation schlussfolgern - „hochgradig unterhaltsam“ ist. 15 Die Besonderheit von Fastings subtiler Börsen-Ästhetik lässt sich gut verdeutlichen, wenn man sein Stück mit dem wenige Jahre später publizierten Singspiel Chinafarerne (1792; Die Chinafahrer) von Peter Andreas Heiberg vergleicht. 16 Schon in der Eingangsszene dieses Dramas - die am Zollkontor im Kopenhagener Hafen spielt - wird auf die Veränderungen eingegangen, die durch einen globalen Handel ausgelöst werden, der sich im Wesentlichen über risikoreiche Kredite und den Börsenhandel finanziert. Die beiden jüdischen Finanziers Ascher und Ephraim warten dort auf die Ankunft des Kapitäns Bergstrøm, dem sie Kredit gewährleistet haben, um eine Ostasienreise zu finanzieren. Ihr Warten wird belohnt: Nach seiner Ankunft streichen sie einen unerwartet großen Erlös ein. Der Heimkehrer Bergstrøm dagegen gibt vor, aufgrund der hohen Gewinnausschüttung völlig verarmt aus dem Geschäft hervorgegangen zu sein. Er tut dies allerdings nur, um seine Geliebte Vilhelmine auf die Probe zu stellen. Nicht nur Vilhelmine hält zu ihm, auch der Jude Moses, dem er selbst einmal einen Kredit gewährte, springt für ihn ein. Aufgrund dieser Hilfeleistung, die im krassen Gegensatz zu dem hartherzigen Verhalten von Ascher und Ephraim steht, beschließt Bergstrøm in Zukunft nur noch mit Moses Geschäfte zu machen. Am Ende des Dramas siegt somit der Handel, der auf längerfristiges Vertrauen aufbaut, vor demjenigen der auf kurzfristige Gewinnausschüttung setzt. Der Freundschafts- oder Vertrauenskredit überwindet den spekulierenden Kredithandel. Auch wenn das Stück trotz oder besser gerade wegen seiner spezifischen Form eines antisemitisch grundierten Philosemitismus mit einer ähnlichen Praktik der Exklusion operiert wie Fastings Aktierne (der assimilierte Jude Moses wird inkludiert, um 14 „Euer Vater hat ein rasendes Begehren nach Aktien. Er besitz schon jetzt einige Hundert, aber er ist unersättlich. Er verkauft sie, ohne nachzudenken, an den ersten Besten, der ihm seine preisgibt.“ Fasting: Aktierne, S. 8. 15 „Die durch das selbstreferentielle Spiel der Spekulation erzeugte Kontingenz erweist sich als hochgradig unterhaltsam.“ Stäheli: Spektakuläre Spekulation, S. 42-43. 16 Peter Andreas Heiberg: „Chinafarerne. Syngestykke i to Acter med en Mellem-Act“. In: Ders.: Samlede Skuespil. Bd. 2. Hg. von K[nut] L[yhne] Rahbeck. Kopenhagen: 1806, S. 287- 374. Klaus Müller-Wille 202 Asher und Ephraim noch rigoroser ausschließen zu können), fallen eher die Unterschiede ins Auge. Im Gegensatz zu den Akteuren in Fastings Komödie bleibt Bergstrøm stets Herr des Geschehens. Seine Strategie der Verkleidung erinnert noch an ähnliche Praktiken bei Holberg. Dagegen operieren die Figuren bei Fasting völlig im Dunkeln, da sie überhaupt nicht wissen können, wer zu welchem Zeitpunkt im Besitz welcher Aktien ist. In diesem Sinne nähert sich Fasting in der Tat der abstrakten Ästhetik eines kontingenten Börsengeschehens an (sein Drama Aktierne könnte unter dem Motto ‚Es geschieht‘ laufen), während Heiberg sozusagen einer traditionelleren Theaterästhetik der Verkleidung verpflichtet bleibt. Ein anderes Resultat zeitigt jedoch der Blick auf die groß angelegten satirische Zeitschrift-Prosatext Rigsdalers-Sedlens Hændelser (1787-1793; Die Abenteuer eines Reichstaler-Scheins), in der Heiberg die Rahmenerzählung eines wandernden Geldscheins nutzt, um eine ganze Reihe von gegenwartskritischen Schilderungen in ein fortlaufendes Geschehen zu integrieren. 17 Zwar lässt sich Heiberg auch hier auf den Versuch ein, eine vernünftige Form der Ökonomie von dem wilden Handel einer allein um die Geldzeichen kreisenden Spekulation zu unterscheiden. Deutlichstes Beispiel hierfür sind die langen Auslassungen gegen das staatliche Lotteriewesen, mit denen der Roman einsetzt: Jeg tror, at den Ulykke, Tallotteriet her i Landet har anrettet, er saa stor, at den ikke for vidtløftig kan afhandles. Kunde jeg alene ved dette Blad omvende en eneste Spiller, saa var jeg lykkelig: jeg overlader gjærne Pennen til en, der kan bruge mere Eftertryk, thi min Pen er det sikkerlig ikke forbeholdt at røre vedkommendes Hjærter. Jeg har vel næppe kunnet overbevise dem om, at de Tønder Guld, som Finanserne vid ved utallige Borgeres Ulykke, ere Blodpenge. 18 Ich glaube, dass das Unglück, das die Zahlenlotterie hier im Land angerichtet hat, so groß ist, dass es nicht ausführlich genug behandelt werden kann. Wenn ich mit diesem Blatt nur einen einzigen Spieler bekehren könnte, so wäre ich glücklich: ich überlasse meine Feder gerne an jemanden, der mehr Nachdruck anwenden kann, da es meiner Feder sicherlich nicht vorbehalten ist, die Herzen der Betreffenden zu rühren. Ich habe sie kaum davon überzeugen können, dass die Tonnen Gold, welche die Finanzen mit dem Unglück unzähliger Bürger verdienen, Blutgeld sind. Dagegen zeigt die gesamte Struktur des Romans, in dem ein Geldschein von einer Hand zur anderen wandert und somit eine kontingent anmutende Kette von Handlungsorten und Figuren zusammenführt, inwiefern sich Heiberg in diesem Fall darum bemüht, die Effekte von rein ökonomisch bestimmten Beziehungsgeflechten ästhetisch zu nutzen. 17 Schon 1789 erschien eine erste gesammelte Ausgabe der Rigsdalers-Sedlens Hændelser, der weitere folgen sollten. Peter Andreas Heiberg: „Rigsdalers-Sedlens Hændelser“. In: Ders.: Udvalgte Skrifter. Hg. von Otto Borchsenius und Fr. Winkel Holm. Kopenhagen: 1884. S. 1- 408. 18 Heiberg: Rigsdalers-Sedlens Hændelser. S. 31. Ende gut, alles gut? 203 Die Ambivalenz, die Fastings Stück auszeichnet, verstärkt sich meines Erachtens noch in den Possen und Vaudevilles des dänischen Biedermeier. Als Ausgangspunkt kann hier Thomas Overskous 1828 publizierte Komödie Østergade og Vestergade dienen, die schon im Titel auf den zentralen ökonomischen Konflikt aufmerksam macht, der im Stück verhandelt wird. 19 Die Auseinandersetzungen zwischen den Brüdern Jesper und Mikkel bilden den Konflikt zwischen eisernem Handwerk und einem Großbürgertum ab, das sich über den Handel - vor allem das Geschäft mit Luxuswaren, Seide und Kleidern - definiert. Die Produkte des Handwerkers setzen mit anderen Worten auf den Gebrauchswert der von ihm produzierten Ware, während sich der Händler der Østergade allein an Tauschwerten orientiert, die - mit dem Wechsel der Moden - rasant auf- oder absteigen. Auch in diesem Stück wird direkt auf den globalen Handel Bezug genommen, denn der verstorbene Bruder von Mikkel und Jesper, Diderik hat sein Glück ebenfalls in Westindien versucht. Nach seiner Rückkehr nach Dänemark nimmt er Zacharias, den Sohn seines völlig verarmt verstorbenen Bruders Peer, bei sich auf. Dieser Sohn wird plötzlich zum reichen Erben, da Diderik ihm sein ganzes Vermögen mit der Auflage vermacht, eine seiner Cousinen innert Jahresfrist zu heiraten. Genau aus dieser gesetzten Frist gewinnt das Stück, das am Neujahrsabend spielt, seine Dynamik. Vor allem Zacharias’ Tanten bemühen sich darum, ihn in Tagesfrist mit ihrer jeweiligen Tochter zu verheiraten, wobei sie die meiste Zeit damit verbringen, gegen die jeweilige Nichte zu intrigieren (Abb. 3). Isidora Mikkel - Diderik † - Peer † - Jesper Trine Julie Ane Zacharias Grundlegende Figurenkonstellation in Thomas Overskous Østergade og Vestergade. Die gestrichelten Pfeile bezeichnen Intrigen der jeweiligen Mütter bzw. Tanten (Diagramm KMW). Die Personenkonstellation wird noch komplizierter, da beide Töchter schon über heimliche Verehrer verfügen. Ludwig, der Schwager Mikkels, ist in Jespers Tochter Ane verliebt und der Engländer Faulkland interessiert sich für Mikkels Tochter Julie. Hinter diesem englischen Gentleman, der sich als mittelsloser Zwischenhändler ausgibt, verbirgt sich der Großkaufmann Belton, der aufgrund von umfangreichen Krediten schon lange als eigentlicher Besitzer des Geschäftes von Mikkel fungiert. 19 Thomas Overskou: „Østergade og Vestergade, eller Det er Nytaarsdag i Morgen! Lystspill i 5 Acter“. In: Ders.: Comedier. Bd. 2. Kopenhagen: 1851, S. 1-133. Klaus Müller-Wille 204 Wir sehen also wieder eine auf eine Kleinfamilie begrenzte Personengallerie, deren Relation über ein intransparentes Netz von ökonomischen Abhängigkeiten und Interessen reguliert wird. Zu diesem Personenkreis stößt weiterhin die assimilierte jüdische Familie Golz, der alle negativen Eigenschaften einer am Schein orientierten Ökonomie zugeschrieben werden. Ephraim Golz verkauft sinnlose Galanteriewaren, seine Tochter Esperance wird entsprechend zu einer an den Pariser Trends orientierten Modepuppe - „en affecteret modedukke“ („eine affektierte Modepuppe“) 20 - stilisiert, während sein Sohn den Typus eines oberflächlichen Intellektuellen - „en æsthetisk Corsar“ („ein ästhetischer Corsar“) 21 - verkörpert, der sich ebenfalls nach Modeströmungen und nach einer geistlosen Ästhetik ausrichtet. 22 Durch die Ankunft dieser Familie, die sich in die ohnehin schon komplizierten Liebeshändel einmischt - der Vater erwärmt sich für Ane, Esperanza umschwärmt Faulkland und Joseph verliebt sich in Julie -, mutiert das Stück endgültig zu einer anarchischen Posse, die vor allem von kommunikativen Missverständnissen, doppelten Intrigen und potenzierten Verwechslungen lebt. Die unterschiedlichen Intrigen der gegeneinander agierenden Figuren (vgl. die dicken Pfeilspitzen in Abb. 4) heben sich gegenseitig auf oder führen in der Verkettung zu ungeahnten Effekten. Ludvig - Isidora Mikkel - Diderik † - Peer † - Jesper Trine Faulkland Julie Ane (Belton) Esperance Golz Joseph Golz Zacharias Ephraim Golz Liebesbeziehungen (einfacher Pfeil) und Intrigen (gestrichelte Pfeile) in Thomas Overskous Østergade og Vestergade (Diagramm KMW). Schaut man auf das Ende des Dramas, bei dem selbstverständlich die jüdische Familie der Lächerlichkeit preisgegeben wird, um die glücklichen Verbindungen zwischen Belton und Julie sowie Ane und Zacharias zu unterstreichen, dann folgt 20 Overskou: Østergade, S. 12 [aus Overskous Vorwort zu einer Ausgabe von 1840]. 21 Overskou: Østergade, S. 12. 22 Zu den einschlägigen Vorbildern dieser bösartigen Kritik am assimilierten Judentum vgl. Hans-Peter Bayerdörfer: „‚Lokalformel‘ und ‚Bürgerpatent‘. Ausgrenzung und Zugehörigkeit in der Posse zwischen 1815 und 1860“. In: Theaterverhältnisse im Vormärz. Hg. von Maria Porrmann und Florian Vaßen. Bielefeld: 2002 (= Forum Vormärz; Jahrbuch 2001), S. 139- 174. Ende gut, alles gut? 205 das Stück einem ganz ähnlichen Prinzip wie Fastings Aktierne. Die Exzesse, die eine völlig vom Gebrauchswert entfernte Ökonomie mit sich bringen, die sich in allen Lebensbereichen allein am Prinzip des ökonomischen Gewinns orientiert, werden auf die jüdische Familie projiziert, von der sich das dänische Bürgertum mit Unterstützung des englischen Finanziers in Zukunft distanzieren wird. Mit Hilfe der jüdischen Familie, die sich zu Beginn des Stückes mitnichten von den geldgierigen und oberflächlichen Familien Mikkels und Jespers unterscheidet, wird also schlicht eine Differenz markiert, die notwendig ist, um die weitreichenden Effekte einer allein am Tauschwert orientierten Marktwirtschaft zu regulieren, die sich - im Gegensatz zu Handwerk und Eisenhandel - auf keinen verankernden Referenzpunkt mehr beziehen kann. Wenn das Stück auch auf diese Unterscheidung hinauslaufen mag, so lebt die Komik der irrwitzigen Verwechslungskomödie doch von dem Unvermögen der einzelnen Figuren, die Handlung autonom zu gestalten. Mit Ausnahme von Faukland scheinen sich alle Figuren in einer Welt des Scheins verloren zu haben, die ihnen jedwede Souveränität raubt. Dass auch in diesem Fall eher etwas mit den Figuren ‚geschieht‘, als dass sie selbst agieren, wird insbesondere an den dargestellten Liebesbeziehungen verdeutlicht. So wird mit allem Nachdruck und viel Witz darauf aufmerksam gemacht, dass entgegen den Selbstaussagen der Figuren nicht nur die Emotionen der jüdischen Familie, sondern auch die Gefühle der nichtjüdischen Akteure buchstäblich den Wechselkursen der Ökonomie unterliegen. Meine Lektüre der drei vorgestellten Dramen ist im Wesentlichen durch eine Abhandlung zum Populären der Ökonomie von Urs Stäheli angeregt. 23 In dieser Studie geht Stäheli dem kulturellen Umgang mit der Spekulation als des Teils der Ökonomie nach, der sich nicht auf eine Produktions-, Tausch- oder Arbeitssemantik reduzieren lässt, sondern der auf einem Spiel selbsterzeugender Zeichen beruht. Die Kritik an dieser Form von Ökonomie setzt schon früh im ausgehenden 17. Jahrhundert ein. Stäheli rekurriert insbesondere auf Daniel Defoes entsprechende Versuche, eine „logische aufgebaute, transparente Welt der Notwendigkeit einer Welt der trügerischen und irrationalen Kontingenz gegenüber[zu]stell[en]“. 24 Die Kritik Defoes und anderer richtet sich somit in erster Linie gegen eine spezifische Form der unkontrollierten und unkontrollierbaren Kontingenz, die durch das Aktienwesen kultiviert werde: „Es ist die Referenz- und Grundlosigkeit der Börsenspekulation, welche Defoes Kampf gegen das von ihm als Übel einge- 23 Stäheli: Spektakuläre Spekulation. 24 Stäheli: Spektakuläre Spekulation, S. 55. Klaus Müller-Wille 206 stufte Spekulieren anleitet“. 25 Diese Einstellung gegenüber der Börse, die selbstverständlich noch in den hier besprochenen Dramen von Fasting, Heiberg und Overskou nachlebt, ändere sich langsam in den 1840er Jahren als die Börse zusehends als Symbol populärer Kommunikation begriffen wird, das repräsentativen Formen der Gemeinschaftsbildung wie Wahlen überlegen sei, da alle Kommunikationspartner aktiv am Prozess der Entscheidungsfindung teilnehmen. Auch ökonomische Theorien versuchen spätestens ab Ende des 19. Jahrhunderts die Ökonomizität der Ökonomie nicht mehr in Abgrenzung zu den Spielhöllen der Börse zu definieren, sondern entdecken in der Kontingenz der Börse das eigentliche Wesen der Ökonomie. Die populären Darstellungen des Börsengeschehens in Literatur und Film nun lassen sich nur über eine Differenz definieren, die stets neu verhandelt wird. Zum einen tragen sie massiv an der Konstitution des Imaginären der Ökonomie bei, indem sie das trockene Handelsgeschäft als extrem spannungsgeladenes Geschehen inszenieren, das die gleiche Faszination auszuüben mag wie die Spielhöllen des Kasinos. Zum anderen allerdings versuchen sie stets neu aufzuzeigen, inwieweit genau dieses Imaginäre als Treibkraft der Ökonomie die Grundfesten der Ökonomie selbst bedroht. In diesem Sinne versuchen sie stets neu, das Außen des Börsenpublikums zu definieren, also gleichermaßen die wilden Hasardeure wie die ängstlichen Kleinhändler anzuprangern, welche die Panikreaktionen und die Hysterie des Börsengeschehens hervorrufen. Wichtig dabei ist, dass die Börse Stäheli zufolge zum Symbol der Funktionsweisen des Populären selbst wird, das sich über ähnlich intransparente, selbstrekursive oder hysterische Effekte einer konsumierenden Masse als Mode oder Zeitgeist konstituiert. Dabei weist Stäheli bezeichnenderweise auf Arbeiten von Michael Makropoulos hin, der das Populäre eben nicht nur im negativen, sondern dezidiert auch im positiven Sinne als eine Kontingenzkultur zu beschreiben versucht: Massenkultur, so lautet also die vollständige Hypothese dieser Studie ist eine ‚Kontingenzkultur‘ im Sinne Hans Blumenbergs. Sie ist eine Kultur, die Kontingenz nicht nur und nicht in erster Linie als Unsicherheit problematisiert - wie ein allzu oberflächliches Verständnis von Kontingenz suggerieren könnte -, sondern als Möglichkeitsstoff positiviert und damit als Gewinn menschlicher Freiheit bewertet. Massenkultur ist eine Kultur des ‚Möglichkeitssinns‘ - wie man mit einer fast konzeptuellen Formulierung von Robert Musil sagen kann. Der massenkulturelle ‚Möglichkeitssinn‘ ist allerdings nicht an technische oder ästhetische Kontingenzexperten wie Ingenieure oder Künstler gebunden; er ist auch nicht als privilegierte oder als souveräne Gestaltungskompetenz gleichsam außergesellschaftlich institutionalisiert. Der massenkul- 25 Stäheli: Spektakuläre Spekulation, S. 55-56. Ende gut, alles gut? 207 turelle ‚Möglichkeitssinn‘ ist vielmehr generalisiert, verallgemeinert und gewissermaßen ‚demokratisiert‘. 26 In seinem Versuch, der Geschichte dieser unterhaltsamen Kontingenz nachzugehen, konzentriert sich Stäheli auf populäre Darstellungen des Börsengeschehens im ausgehenden 19. Jahrhundert, um eben gleichermaßen den verborgenen Theorien des Ökonomischen wie den Theorien der populären Massenkultur nachzugehen, die sich aus den entsprechenden Texten und Filmen rekonstruieren lassen. Natürlich ist diese historische Verortung angesichts der Entstehung einer wirklichen Massenkultur wie der entsprechenden Darstellung eines wirklichen Börsengeschehens in Texten und Filmen des ausgehend 19. wie frühen 20. Jahrhunderts klug gewählt. Dennoch meine ich, dass die in diesem Artikel diskutierten dänischen Texte durchaus Züge aufweisen, die an das von Stäheli konsultierte Material erinnern. Zumindest wird die Darstellung abstrakter ökonomischer Prozesse sowie die entsprechende dramaturgische Umsetzung eines entsubjektivierten Geschehens schon in diesen Theaterstücken genutzt, um Kontingenz als Möglichkeitsstoff zu positivieren - und sei es allein, indem aufgezeigt wird, mit welcher Macht die Ökonomie dazu beiträgt, familiäre und gesellschaftliche Strukturen zu unterlaufen. Mehr noch: Spätestens Overskou nutzt die Thematisierung solcher Prozesse auch, um den Ort des Populärtheaters selbst zu bestimmen, das sich eben nicht an einem ästhetischen Kanon orientiert, sondern an dem wechselhaften Modegeschmack eines schon längst an den Galanteriewaren- und Kleiderläden der Østergade geschulten Publikums. Die These, dass das Populärtheater sich darum bemüht, die Kontigenzeffekte einer neuen Form von Ökonomie zu positivieren, lässt sich gut mit den unzähligen Beispielen von Boulevard-Komödien belegen, die um einen sagenhaften Lotteriegewinn kreisen, der sich am Ende als Niete entpuppt. Inwiefern sich diese Stücke tatsächlich mit einer ökonomischen Thematik beschäftigen, lässt sich gut an Henrik Hertz’ Komödie Sparekassen eller Når enden er god, er alting godt (Die Sparkasse oder Ende gut, alles gut) illustrieren, die 1836 in Kopenhagen uraufgeführt und 1841 im Rahmen von Hertz’ Sammlung Lyriske og dramatiske Digte publiziert wurde. 27 Das Stück setzt nämlich mit einem ausführ- 26 Michael Makropoulos: Theorie der Massenkultur. München: 2008, S. 10-11. Zum Konzept der hier angesprochenen Kontingenzkultur vgl. auch Michael Makropoulos: „Modernität als Kontingenzkultur“. In: Kontingenz. Hg. von Gerhardt von Graevenitz und Odo Marquart. München: 1998 (= Poetik und Hermeneutik; 17), S. 55-79. 27 Henrik Hertz: Sparekassen eller Når enden er god, er alting godt. Lystspil i tre akter. Hg. von Arne Olesen. Kopenhagen: 1957. Klaus Müller-Wille 208 lichen Disput der kleinbürgerlichen Kopenhagener Familie Skaarup ein, die darüber diskutiert, wie sie ein überraschendes Erbe von 300 Reichstalern, das ihnen ihr Untermieter Sørensen vermacht hat, ökonomisch gut nutzen können. Mutter Skaarup vertritt die Ökonomie in ihrer ältesten Form und gedenkt den familiären Haushalt (οἶκος) mit einem neuen Leinenschrank zu stärken. Der Vater der Familie zieht eine andere Variante vor. Er möchte das Geld nicht mehr im Haus selbst, sondern mit Hilfe der neuen Institution der Sparkasse aufheben. 28 Grundlage seiner Argumentation ist eine Idee des Sparens, die sich vor allem durch die Sorge vor möglicherweise entstehende Schulden definiert: Skaarup: Jeg for min part lægger eftertryk på testators ord: sparsommeligt. Sørensen har i mine velmagtsdage ofte rådet mig til økonomi og til at sætte nogle af mine penge fast for påkommende tilfælde. Men dengang ville jeg ikke høre ham. Siden, da det gik tilbage for mig, var det for sildigt. Nu derfor, da han har testamenteret os denne sum, mener jeg, at vi skal sætte den fast, og foreslår jeg sparekassen. Der står den sikkert og forrenter sig. Når en del år er gået hen, er det en ganske køn lille summa, hvormed jeg kan afbetale gammel gæld, der trykker mig, og den ny klattegæld, der kommer til, og som til den tid er gammel. 29 Skaarup: Ich für meinen Teil lege großen Wert auf das Wort des Testamentverfassers: sparsam. Sørensen hat mir in meinen glücklichen Tagen häufig dazu geraten, einige meiner Gelder für zukünftige Gelegenheiten beiseite zu legen. Damals wollte ich nicht auf ihn hören. Später, als ich Verluste machte, war es zu spät. Deshalb meine ich nun, da er uns diese Summe vermacht hat, dass wir sie einfrieren sollen, und ich schlage dafür die Sparkasse vor. Dort liegen die Gelder sicher und werfen Zinsen ab. Wenn einige Jahre vergangen sind, haben wir eine recht schöne kleine Summe, womit ich meine alten Schulden abbezahlen kann, die mich drücken, und auch die unbedeutende Schuld, die noch dazu kommen wird, und die zu diesem Zeitpunkt schon alt sein wird. Im Gegensatz zu diesem, auf der simplen Logik von Ein- und Ausgaben rekurrierendem ökonomischen Denken des Vaters, geben sich die übrigen Familienmitglieder moderner und rechtfertigen ihre Vorschläge mit unterschiedlichen Formen von Investitionen, die überraschende Dividenden abwerfen sollen: „Når derimod disse penge anlægges rigtigt eller gøres hensigtsmæssigt frugtbringende, så kan de blive en kilde til velstand.“ 30 - Mit diesen Worten versucht Skaarups Neffe August seinen Vorschlag zu rechtfertigen. Dabei versteht er die Idee einer Zukunftsanlage sehr modern als Investition in Bildung und plädiert entsprechend für die finanzielle 28 Die Sparkassse für Kopenhagen und Umgebung (Sparekassen for Kjøbenhavn og Omegn) wurde 1820 gegründet. Im Kommentar zu Sparekassen wird auf den Wahlspruch dieser Institution aufmerksam gemacht, der deutlich an Skaarups Argumentation erinnert: „[at] gjøre Spaarsommelighed let for dem, der gjerne ville spare, og som frivilligen ville benytte sig af denne Indretning, idet de indsee, at den ene sigte til deres Bedste“ („die Sparsamkeit für die einfach zu machen, die gerne sparen wollen, und die sich freiwillig dieser Einrichtung bedienen, weil sie einsehen, dass sie nur auf ihr Bestes abzielt“). Zitiert nach dem Kommentar in Hertz: Sparekassen, S. 81. 29 Hertz: Sparekassen, S. 8. 30 „Wenn die Gelder dagegen richtig angelegt und zweckmäßig fruchtbringend gemacht werden, dann können sie eine Quelle des Wohlstand werden.“ Hertz: Sparekassen, S. 9. Ende gut, alles gut? 209 Unterstützung einer Schule, bei der er nebenbei als Verwalter Anstellung finden könnte. Die Tochter Jansine argumentiert pragmatischer. Sie plädiert schlicht für eine Investition in den Kleiderschrank der Töchter, welche sich ebenfalls in der Zukunft in Form von glücklichen Ehen bezahlt machen sollte. Eine bei weitem sozialere Lösung schlägt die andere Tochter Antonie vor, die das Geld - ganz uneigennützig - in öffentliche Kulturinstitutionen investieren und der Familie auf diese Weise nebenbei zu einer festen Loge in der Komödie verhelfen möchte. Angesichts der Unterschiedlichkeit dieser finanziellen Projekte fällt es Madame Rust, die als collectrice bei der Klassenlotterie arbeitet, leicht, die zerstrittene Familie von einer noch gewinnträchtigeren Anlage der geerbten Gelder zu überzeugen: Madame Rust: I sparekassen! Hvad glæde har De af dem, når de står der? - Jeg kan nok lide, at folk er økonome; men man skal heller ikke lægge sine penge under lås og lukke. Og hør, ved de hvad, strengt taget er klasselotterier at betragte som en sparekasse. Skaarup: Nej, lille madame, det synes jeg dog ikke. Madame Rust: Ja, hør nu. Når vi engang har nogle penge liggende, som vi ikke ved, hvad vi skal gøre med, og som ellers så let smelter bort under hænderne, hvor kan vi så bedre anbringe dem end ved at tage en seddel og således lade pengene forrente sig? Skaarup: Og så hverken se kapital eller renter igen, når trækningsdagen kommer. Madame Rust: Nej, nej. Vær nu fornuftig og tag mod ræson. Det gælder kun, nær lykken ikke er med Dem. Men når den føjer Dem, så er renterne undertiden også ganske anderledes end i sparekassen. 31 Madame Rust: In die Sparkasse! Was für eine Freude haben sie daran, wenn sie dort liegen? - Ich mag es, wenn die Leute ökonomisch denken, aber man sollte seine Gelder doch nicht hinter Schloss und Riegel setzen. Und hören Sie, wissen Sie was, genau genommen ist die Klassenlotterie doch als eine Art Sparkasse anzusehen. Skaarup: Nein, kleine Madame, das glaube ich nun doch nicht. Madame Rust: Doch, hören Sie. Wenn wir einmal Geld liegen haben, von dem wir nicht wissen, was wir damit anfangen sollen, was können wir besseres damit machen, als ein Los zu erwerben und die Gelder Zinsen abwerfen zu lassen? Skaarup: Um dann am Ziehungstag weder das Kapital noch die Zinsen zu sehen. Madame Rust: Nein, nein. Seien Sie doch vernünftig und nehmen Sie Raison an. Das stimmt doch nur, wenn das Glück nicht auf ihrer Seite ist. Aber wenn es Ihnen folgt, dann sind die Zinsen doch ganz anderer Art als die der Sparkasse. Trotz seiner zaghaften Gegenwehr entschließt sich der Vater am Ende doch, ein Los zu erwerben, wobei das Los eben auch für ein Aktienpaket stehen könnte. Wie beim Aktienhandel trägt zumindest die eigene Investition zunächst zu einer Steigerung des Wertes der Geldanlage bei. In der Tat verstärkt allein die Aussicht auf einen Gewinn den Reichtum der Familie, da sich nun alle Nachbarn regelrecht darum reißen, den Familienmitgliedern die Kredite zu gewährleisten, die sie ihnen vorher verweigert haben. Die Investitionsblase platzt allerdings und die Familie steuert auf einen sicheren Ruin zu, vor dem sie nur durch das Eingreifen eines verstoßenen 31 Hertz: Sparekassen, S. 17-18. Klaus Müller-Wille 210 Pflegesohns gerettet wird, der in Amerika über den Handel überraschend zu viel Geld gekommen ist. Kurz und gut: Das ganze Stück widmet sich den Effekten einer Finanzwirtschaft, die nicht mehr der Logik von Tausch, Produktion und Arbeit folgt, sondern einer viel schwieriger zu kalkulierenden Vertrauenslogik. Doch dies ist nicht der springende Punkt meiner Analyse. Vielmehr scheint mir das Stück im Kontext des Themas ‚Wechselkurse des Vertrauens‘ so spannend zu sein, da es indirekt über die dramentheoretischen Konsequenzen dieser Art von Zeichenökonomie Auskunft gibt. Mit dieser These beziehe ich mich vor allem auf den Untertitel des Stückes Når enden er god, er alting godt (Ende gut, alles gut). Dieses Sprichwort wendet der zentrale Protagonist des Stückes Skaarup wieder und wieder an, um sich in seinem Vertrauen an einen glücklichen Ausgang seiner finanziellen Spekulationen zu bestärken. Trotz des happy-ends seiner Komödie lässt Hertz keinen Zweifel daran, dass er diesen Glauben an eine - wie auch immer geartete - Providenz angesichts der kontingenten Wechselfälle, die das Finanzgeschehen im Stück bestimmen, nicht mehr teilt. Meines Erachtens lässt er das Drama vielmehr bewusst mit einem sarkastischen Kommentar Skaarups enden. Dieser reagiert nämlich entnervt auf die Replik seiner Tochter, welche versucht, der ganzen Geschichte doch noch eine versöhnliche Logik abzugewinnen: Antonie: Men én ting har vi dog vundet ved lotterisedlen. Skaarup: Hvad er det? Antonie: Mutter har fået en ny hat. Skaarup: Ih, hvilken passiar! (Til publikum) Højstærede publikum! Bryd dem ikke om, hvad dem små siger. At min Kone har fået en ny Hat, vilde være en dårlig moral af så mange, besynderlige omskiftelser. Derimod holder jeg mig til mit gamle sprikvort: Når enden er god er alting godt. Men, om denne moral skal gælde i aften, overlade vi som billigt til det højtærede publikums gunstige dom. 32 Antonie: Aber eine Sache haben wir doch durch den Lotterieschein gewonnen. Skaarup: Was ist das? Antonie: Mutter hat einen neuen Hut bekommen. Skaarup: Oh, was für ein Gerede! (An das Publikum) Hochverehrtes Publikum! Kümmern Sie sich nicht darum, was die Kleine sagt. Dass meine Frau einen neuen Hut erhalten hat, wäre eine schlechte Moral von so vielen merkwürdigen Wechselfällen. Dagegen halte ich mich an das alte Sprichwort: Ende gut, alles gut. Aber, ob diese Moral auch heute Abend gilt, das überlasse ich billig dem günstigen Urteil des hochverehrten Publikums. Wenn Hertz’ Stück somit also nicht unbedingt den Glauben an die selbstregulativen Mechanismen des Marktes stärkt, so trägt es doch dazu bei, die entsprechenden Kontingenzeffekte ästhetisch zu nutzen. 32 Hertz: Sparekassen, S. 79. Ende gut, alles gut? 211 Eine solche Interpretation deckt sich mit einer sehr klarsichtigen Analyse der Posse, die ein Zeitgenosse von Hertz 1843 - also zwei Jahre nach Erscheinen von Sparekassen - formuliert hat. Søren Kierkegaard war sich sehr wohl im Klaren darüber, dass man das Populärtheater eben nicht einfach über die Formel „Ende gut, alles gut“ begreifen kann. Ganz im Gegenteil bringt er die unheimliche Seite eines Theaters auf den Punkt, das seine Zuschauer einer radikalen Kontingenzerfahrung aussetzt: Enhver almindeligere æsthetisk Bestemmelse strander paa Possen, og den formaaer ingenlunde at tilveiebringe en Uniformitet i Stemning hos det mere dannede Publikum; thi da Virkningen for en stor Deel beroer paa Selvvirksomhed og Tilskuerens Productivitet, kommer den enkelte Individualitet i en ganske anden Forstand til at gjøre sig gjeldende, og er i sin Nyden emanciperet for alle æsthetiske Forpligtelser til traditionelt at beundre, lee, blive rørt o. s. v. At see en Posse er for den Dannede ligesom at spille i Lotteriet, kun har man ikke den Ubehagelighed at vinde Penge. 33 Jede üblichere ästhetische Bestimmung scheitert an der Posse, und diese vermag bei dem gebildeteren Publikum keineswegs eine Uniformität der Stimmung zuwegebringen; denn da die Wirkung großenteils auf Selbsttätigkeit und der Produktivität des Zuschauers beruht, kann sich die einzelne Individualität in einem ganz anderen Verstande geltend machen und ist in ihrem Genuss jeder ästhetischen Verpflichtung, traditionell zu bewundern, zu lachen, gerührt zu sein und so weiter entbunden. Eine Posse sehen, ist für den Gebildeten dasselbe wie in einer Lotterie zu spielen, nur hat man dabei nicht die Unannehmlichkeit, Geld zu gewinnen. 33 Søren Kierkegaard: „Gjentagelsen“. In: Søren Kierkegaard Skrifter. Bd. 4: Gjentagelsen. Frygt og Bæven. Philosophiske Smuler. Begrebet Angst. Forord. Hg. von Niels Jørgen Cappelørn u.a. Kopenhagen: 1997, S. 7-96, hier S. 34. Klaus Müller-Wille 212 Beyer, Harald: Norsk Litteraturhistorie. Oslo: 1979. Bayerdörfer, Hans Peter: „‚Lokalformel‘ und ‚Bürgerpatent‘. Ausgrenzung und Zugehörigkeit in der Posse zwischen 1815 und 1860“. In: Theaterverhältnisse im Vormärz. Hg. von Maria Porrmann und Florian Vaßen. Bielefeld: 2002 (= Forum Vormärz; Jahrbuch 2001), S. 139-174. Bayerdörfer, Hans-Peter: „Judenrollen und Bühnenjuden. Antisemitismus im Rahmen theaterwissenschaftlicher Fremdheitsforschung“. In: Antisemitismusforschung in den Wissenschaften. Hg. von Werner Bergmann und Monika Körte. Berlin: 2004, S. 315-351. Bayerdörfer, Hans-Peter u.a. (Hg.): Judenrollen. Darstellungsformen im europäischen Theater von der Restauration bis zur Zwischenkriegszeit. Tübingen: 2008. Brøndsted, Mogens: Ahasverus. Jødiske elementer i dansk litteratur. Odense: 2007. Detering, Heinrich: „‚Es geschieht‘. Nietzsche, Ibsen, Strindberg und das Drama der Abstraktion“. 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Björnstjerne Björnson, Henrik Ibsen, August Strindberg auf der deutschen Bühne 1867-1932. 1979, 310 Seiten Band 10 Aldo Keel: Innovation und Restauration. Der Romancier Halldór Laxness seit dem Zweiten Weltkrieg. 1981, 161 Seiten Band 11 Oskar Bandle u.a.: Strindbergs Dramen im Lichte neuerer Methodendiskussionen. Beiträge zum IV. Internationalen Strindberg-Symposion in Zürich 1979. 1981, 289 Seiten Band 12 Jürg Glauser: Isländische Märchensagas. Studien zur Prosaliteratur im spätmittelalterlichen Island. 1983, 357 Seiten Band 13 Radko Kejzlar: Literatur und Neutralität. Zur schwedischen Literatur der Kriegs- und Nachkriegszeit. 1984, 278 Seiten Band 14 Hans Joerg Zumsteg: Olav Duuns Medmenneske-Trilogie. 1984, 304 Seiten Band 15 Festschrift für Oskar Bandle. Zum 60. Geburtstag am 11. Januar 1986. Herausgegeben von Hans-Peter Naumann unter Mitwirkung von Magnus von Platen und Stefan Sonderegger. 1986, 316 Seiten Band 16 Bjørnstjerne Bjørnsons Briefwechsel mit Deutschen. Herausgegeben von Aldo Keel. I. Teil: 1859-1898. 1986, 414 Seiten Band 17 Bjørnstjerne Bjørnsons Briefwechsel mit Deutschen. Herausgegeben von Aldo Keel. II. Teil: 1899-1909. 1987, 330 Seiten Band 18 Andreas Heusler an Wilhelm Ranisch. Briefe aus den Jahren 1890-1940. In Zusammenarbeit mit Oskar Bandle herausgegeben von Klaus Düwel und Heinrich Beck. 1989, 739 Seiten Band 19 Nordische Romantik. Akten der XVII. Studienkonferenz der International Association for Scandinavian Studies 7-12. August 1988 in Zürich und Basel. 1991, 528 Seiten Band 20 Stefanie Würth: Elemente des Erzählens. Die þættir der Flateyjarbók. 1991, 170 Seiten Band 21 Susan Brantly: The Life and Writings of Laura Marholm. 1991, 206 Seiten Band 22 Thomas Seiler: På tross av - Paal Brekkes Lyrik vor dem Hintergrund modernistischer Kunsttheorie. 1993, 193 Seiten Band 23 Karin Naumann: Utopien von Freiheit. Die Schweiz im Spiegel schwedischer Literatur. 1994, 226 Seiten Band 24 Wilhelm Friese: Halldór Laxness. Die Romane. Eine Einführung. 1995, 164 Seiten Band 25 Stephen N. Tranter: Clavis Metrica: Háttatal, Háttalykill and the Irish Metrical Tracts. 1997, 226 Seiten Band 26 Stefanie Würth: Der „Antikenroman“ in der isländischen Literatur des Mittelalters. Eine Untersuchung zur Übersetzung und Rezeption lateinischer Literatur im Norden. 1998, 294 Seiten Band 27 Wolfgang Behschnitt: Die Autorfigur. Autobiographischer Aspekt und Konstruktion des Autors im Werk August Strindbergs. 1997, 325 Seiten Band 28 Hans-Peter Naumann / Silvia Müller (Hrsg.): Hochdeutsch in Skandinavien. Internationales Symposium, Zürich 14.-16. Mai 1998. 2000, 254 Seiten Band 29 Bettina Baur: Melancholie und Karneval. Zur Dramatik Cecilie Løveids. 2002, 234 Seiten Band 30 Uwe Englert: Magus und Rechenmeister. Henrik Ibsens Werk auf den Bühnen des Dritten Reiches. 2001, 368 Seiten Band 31 Oskar Bandle: Schriften zur nordischen Philologie. Sprach-, Literatur- und Kulturgeschichte der skandinavischen Länder. Herausgegeben von Jürg Glauser und Hans-Peter Naumann. 2001, 638 Seiten Band 32 Jürg Glauser / Barbara Sabel (Hrsg.): Skandinavische Literaturen in der frühen Neuzeit. 2002, 350 Seiten Band 33 Susanne Kramarz-Bein: Die Þiðreks saga im Kontext der altnorwegischen Literatur. 2002, 396 Seiten Band 34 Astrid Surmatz: Pippi Långstrump als Paradigma. Die deutsche Rezeption Astrid Lindgrens und ihr internationaler Kontext. 2005, 618 Seiten Band 35 Iris Ridder: Der schwedische Markolf. Studien zu Tradition und Funktion der frühen schwedischen Markolfüberlieferung. 2002, 276 Seiten Band 36 Barbara Sabel: Der kontingente Text. Zur schwedischen Poetik in der Frühen Neuzeit. 2003, 171 Seiten Band 37 Verschränkung der Kulturen. Der Sprach- und Literaturaustausch zwischen Skandinavien und den deutschsprachigen Ländern. Zum 65. Geburtstag von Hans-Peter Naumann herausgegeben von Oskar Bandle, Jürg Glauser und Stefanie Würth. 2004, 582 Seiten Band 38 Silvia Müller: Schwedische Privatprosa 1650-1710. Sprach- und Textmuster von Frauen und Männern im Vergleich. 2005, 370 Seiten Band 39 Klaus Müller-Wille: Schrift, Schreiben und Wissen. Zu einer Theorie des Archivs in Texten von C.J.L. Almqvist. 2005, XII, 510 Seiten Band 40 Jürg Glauser (Hrsg.): Balladen-Stimmen. Vokalität als theoretisches und historisches Phänomen. 2012, 195 Seiten Band 41 Anna Katharina Richter: Transmissionsgeschichten. Untersuchungen zur dänischen und schwedischen Erzählprosa in der frühen Neuzeit. 2009, X, 327 Seiten Band 42 Jürg Glauser / Anna Katharina Richter (Hrsg.): Text - Reihe - Transmission. Unfestigkeit als Phänomen skandinavischer Erzählprosa 1500-1800. 2012, 319 Seiten Band 43 Lena Rohrbach: Der tierische Blick. Mensch-Tier-Relationen in der Sagaliteratur. 2009, XII, 382 Seiten Band 44 Andrea Hesse: Zur Grammatikalisierung der Pseudokoordination im Norwegischen und in den anderen skandinavischen Sprachen. 2009, 254 Seiten Band 45 Jürg Glauser / Susanne Kramarz-Bein (Hrsg.): Rittersagas. Übersetzung, Überlieferung, Transmission. 2013, ca. 270 Seiten Band 46 Klaus Müller-Wille (Hrsg.): Hans Christian Andersen und die Heterogenität der Moderne. 2009, 241 Seiten Band 47 Oskar Bandle: Die Gliederung des Nordgermanischen. Reprint der Erstauflage mit einer Einführung von Kurt Braunmüller. 2011, XXV + 117 Seiten und 23 Karten Band 48 Simone Ochsner Goldschmidt: Wissensspuren. Generierung, Ordnung und Inszenierung von Wissen in Erik Pontoppidans Norges naturlige Historie 1752/ 53. 2012, 296 Seiten Band 49 Frederike Felcht: Grenzüberschreitende Geschichten. H.C. Andersens Texte aus globaler Perspektive. 2013, 312 Seiten Band 50 Thomas Seiler (Hrsg.): Wildgänse und Windmühlen. Aspekte skandinavisch-iber(oamerikan)ischer Kulturbeziehungen. 2013 Band 51 Klaus Müller-Wille/ Joachim Schiedermair (Hrsg.): Wechselkurse des Vertrauens. Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus. 2013, XXVII + 217 Seiten Band 52 Hendrik Lambertus: Von monströsen Helden und heldenhaften Monstern. Zur Darstellung und Funktion des Fremden in den originalen Riddarasögur. 2013, 260 Seiten A. FRANCKE VERLAG TÜBINGEN UND BASEL BEITRÄGE ZUR NORDISCHEN PHILOLOGIE 51 Dass Finanzkrisen tiefe gesellschaftliche Vertrauenskrisen auslösen und ganze Länder in den Ruin treiben können, ist keineswegs erst seit den ökonomischen Turbulenzen der letzten beiden Jahrzehnte bekannt. Schon in früheren Jahrhunderten wurde eingehend über die Gefahr von Staatsverschuldung, Spekulationswesen und globalen Finanzströmen diskutiert. Dagegen mag es überraschen, dass sich ausgerechnet Autoren und Autorinnen, die traditionell Romantik und Biedermeier zugerechnet werden, in ihren Erzählungen und Dramen intensiv mit Fragen von Ökonomie und gesellschaftlichem Vertrauen auseinandergesetzt haben. Der vorliegenden Band versucht dies an Schriften aus dem dänischen und schwedischen Idealismus zu belegen, wobei u.a. Texte von Hans Christian Andersen, Thomasine Gyllembourg und Søren Kierkegaard behandelt werden. Dabei wird auch nachgewiesen, welch nachhaltigen Einfluss dieses Thema auf die Schreibweise der Autorinnen und Autoren ausübte. Immerhin mussten sie in dieser Zeit lernen, sich mit ihren Produkten auf einem zusehends über ökonomische Prozesse regulierten literarischen Markt zu etablieren. Klaus Müller-Wille (geb. 1966) Lehrstuhlinhaber für Nordische Philologie an der Universität Zürich, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Skandinavische Romantik, Skandinavische (Neo)Avantgarden, Theorien zu Schrift und Schreiben, Buchästhetik. Joachim Schiedermair (geb. 1969) Lehrstuhlinhaber für Neuere Skandinavische Literaturen an der Universität Greifswald, Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Bild-Text-Bezüge in der skandinavischen Literatur der Moderne, Skandinavische Romantik, Alteritäts- und Fremdheitskonzepte, Säkularisierung als Narration. Müller-Wille/ Schiedermair (Hrsg.) Wechselkurse des Vertrauens Klaus Müller-Wille / Joachim Schiedermair (Hrsg.) Wechselkurse des Vertrauens Zur Konzeptualisierung von Ökonomie und Vertrauen im nordischen Idealismus (1800-1870) 034713 Nord. Phil. 51 - Müller-Wille_034713 Nord. Phil. 51 - Müller-Wille Umschlag 22.04.13 17: 18 Seite 1