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Jesus und die himmlische Welt

2020
978-3-7720-5725-0
A. Francke Verlag 
Jan-A. Bühner

Die Studie unternimmt eine religionsgeschichtlich-historische Einordnung Jesu in die Entwicklung des Judentums der Zeitenwende, die entscheidend von der Lösung des Judentums vom Tempel in Jerusalem beeinflusst ist. Da nach gemeinsamer jüdischer Anschauung im Tempel der Zugang zum Himmel verwaltet wurde, stellte sich die Frage, wie man auch ohne Tempel den Zugang zum Himmel behalten und gestalten kann. Die Untersuchung unterscheidet drei außerchristlich jüdische Traditionslinien: eine vorrabbinisch-pharisäische, eine kult-apokalyptische und eine charismatisch-praktische. Als vierte Rezeptionslinie kommen Jesu Auftreten und die Formulierung seines Anspruches hinzu. Jesus vollbringt Heilungstaten, die herkömmlich in den Bereich der Aufgaben des Tempelkultes fallen, und erntet dafür den Vorwurf, er habe den Beelzebul. Hier zeigt sich, wie Deutungen als hochpriesterliche Erlösungsgestalt die ältesten Überlieferungen von Jesus prägen.

T A N Z TEXTE UND ARBEITEN ZUM NEUTESTAMENTLICHEN ZEITALTER Jan-A. Bühner Jesus und die himmlische Welt Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie Jesus und die himmlische Welt T A N Z TEXTE UND ARBEITEN ZUM NEUTESTAMENTLICHEN ZEITALTER 65 herausgegeben von Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel Jan-A. Bühner Jesus und die himmlische Welt Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de CPI books GmbH, Leck ISSN 0939-5199 ISBN 978-3-7720-8725-7 (Print) ISBN 978-3-7720-5725-0 (ePDF) ISBN 978-3-7720-0118-5 (ePub) Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Gewidmet dem Gedenken an Otto Michel (1903-1993) und Hans Peter Rüger (1933-1990) 11 13 15 A) 17 B) 23 1. 23 2. 28 3. 31 4. 58 C) 83 87 A) 89 B) 97 1. 97 2. 104 Inhalt Vorwort des Verfassers: Hermeneutische Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . Geleitwort von Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ERSTER HAUPTTEIL: Hinführung zum Thema und Aspekte der Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hinführung zum Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aspekte der Forschungsgeschichte: Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eschatologische Zukunft und religiöse Hochstimmung: die konsequente Eschatologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Lösung der Eschatologie von Raum und Zeit . . . . . . . . . . Das Ergebnis der religionsgeschichtlichen Betrachtung: Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ZWEITER HAUPTTEIL: Rezeptionen des Motivs der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die vorrabbinische, pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst und sein Bezug zum Himmel nach MAb 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ‚Simon der Gerechte‘ (um 220 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Antigenos aus Sochos (um 180 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. 105 4. 106 5. 107 6. 109 7. 111 C) 113 I) 114 II) 139 1. 143 2. 176 III) 180 D) 183 I) 185 1. 185 2. 198 3. 202 II) 206 1. 209 2. 215 3. 222 4. 223 5. 228 6. 231 III) 235 E) 241 Jose ben Joezer und Jose ben Jochanan (um 150 v. Chr.) . . . . . Joshua ben Perachia und Nittai aus Arbela (um 110 v. Chr.) . . Judah ben Tabbai und Simeon ben Shetach (um 90 v. Chr.) . . Hillel und Schammai (um 30 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die apokalyptische Rezeptionslinie: der himmlische Hintergrund des Kultes als Ausgangspunkt einer eschatologischen Neuordnung der verklärten Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Kultordnung des Himmels und die eschatologische Verklärung des Zion nach 1Hen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der priesterliche Erlöser als Vollzieher einer kultischen Neuordnung der Schöpfung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Testamente der XII Patriarchen . . . . . . . . . . . . . . . . Der Menschensohn als priesterlicher Interzessor vor dem Thron Gottes nach 1Hen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeptionslinie: der Sohn aus dem Haus des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Beschwörung Gottes im Kreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Choni der Kreiszieher (gest. 65 v. Chr.) . . . . . . . . . . . . . Die Rückbindung an den Kultpropheten Habakuk . . . . Mose als Kreiszieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre . . . . . . Chanina ben Dosa (Mitte 1. Jhdt. n. Chr.) . . . . . . . . . . . . Jischmael ben Elischa (Zeitgenosse von R. Akiba) . . . . R. Meir (Mitte 2. Jhdt. n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eleasar ben Pedat (gest. 279 n. Chr.) . . . . . . . . . . . . . . . Reprojektion auf biblische Figuren: Jakob und Mose . . Nochmals: Choni der Kreiszieher . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die kult-rezeptiven Bewegungen des Judentums und der historische Jesus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Inhalt 247 249 A) 251 1. 251 2. 268 a) 268 b) 271 c) 281 d) 288 e) 290 3. 294 a) 295 b) 322 c) 328 4. 338 B) 355 1. 357 2. 363 3. 369 a) 369 b) 370 c) 375 d) 389 4. 394 DRITTER HAUPTTEIL: Jesus und die himmlische Welt - der kultische Hintergrund der von Jesus ausgehenden Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Beelzebul und Menschensohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Βεελζεβοὺλ ἔχει . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester . . . . . . . . . Die zugrunde liegende Argumentation . . . . . . . . . . . . . Der Menschensohn in der Stephanus-Tradition . . . . . . Der Menschensohn in den Sendschreiben der JohApok Der Menschensohn in Hebr 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Menschensohn im 4. Evangelium . . . . . . . . . . . . . . Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker . . . . . Der Menschensohn als Bevollmächtigter über die himmlisch-eschatologische Kultordnung . . . . . . . . . . . . Der Menschensohn als priesterlicher Interzessor (Lk 12,8f. par.; Mk8,38 par.) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Selbstopfer des Menschensohnes (Mk 10,45) . . . . . Jesus und der Menschensohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die pneumatisch-visionäre Grundlage der Vollmacht Jesu: die Zugehörigkeit des Sohnes zum Haus des Vaters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Forschungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Taufgeschichte als Visionsschilderung . . . . . . . . . . . . . . . . Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der vorlukanischen, paulinischen und johanneischen Rezeption des Stoffes . . . . . . Apg 8,38-40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Röm 1,3f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Röm 8 und Nebentraditionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Taufe, Geist und Sohnschaft in der johanneischen Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verklärung und Sohnschaft: die himmlische δόξα des kultischen Ursprungsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Inhalt 5. 410 6. 417 C) 435 1. 435 2. 440 D) 451 457 459 Der Sohn aus dem himmlischen Haus: die Christologie des Weinberg-Gleichnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesus und die Christologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zur Eschatologie Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nachwort des Verfassers von 2020 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 Inhalt Vorwort des Verfassers: Hermeneutische Voraussetzungen Die vorliegende Arbeit entstand in den Jahren zwischen 1977 und 1983. Sie wurde in Tübingen als Habilitationsschrift eingereicht, durchlief das akademi‐ sche Verfahren jedoch ohne Erfolg. Der Verfasser trat danach in den Dienst der Württembergischen Landeskirche als Pfarrer, Dekan und Generalsekretär (der Deutschen Bibelgesellschaft, ehemals Württembergische Bibelanstalt). Nach fast 40 Jahren wurde der Wunsch an mich herangetragen, die Arbeit zu veröffentlichen. Die Herausgeber der TANZ haben sich diesen Wunsch gern zu eigen gemacht. In diesem Zusammenhang danke ich Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg, der diese liegengebliebene Arbeit mit großer Treue im Auge hielt und nun den Anstoß gab, sie doch noch in das Licht der Fachöffentlichkeit zu stellen. Nachdem eine Digitalisierung das Bearbeiten mit Hilfe moderner Computermethoden ermöglichte, liegt die Arbeit nun in leicht bearbeiteter und korrigierter Form vor. Auf eine Aufarbeitung der Forschungssituation seit 1983 musste ich verzichten, was die Herausgeber akzeptiert haben. So ist diese Arbeit auch ein historisches Dokument, von dem mich mehr als die Hälfte meiner Lebenszeit trennt. Die Arbeit entstand bei Otto Michel, wie zuvor die Dissertation ‚Der Ge‐ sandte und sein Weg‘. Mit dem Tübinger Seminardirektor Hans Peter Rüger, dessen Seminarassistent ich 10 Jahre lang war, verband mich eine besonders vertrauensvolle Beziehung. Von Michel übernahm ich drei hermeneutische Rahmenbedingungen. Zunächst verwies er auf Hugo Odeberg, mit dem ihn ein in der Nachkriegszeit angesiedelter akademischer Austausch verband. Odeberg war für ihn Inspirator einer Beschäftigung mit ‚jüdischer Mystik‘. „Odeberg glaubte an die himmli‐ schen Dinge“. Für Michel stand fest, dass man Jesus nur vom Himmel her verstehen kann. Daraus ergab sich der Titel für die Arbeit. Die zweite hermeneutische Rahmenbedingung, die Michel vorgab, war das ‚Ernstnehmen des Judentums‘. Schnell war auch klar, dass die Kategorie des ‚Himmels‘ am stärksten im Tempelkult verankert war. Er ist die Schnittstelle von ‚oben‘ und ‚unten‘ und ist Ort der Gottesbegegnung. Nun steht aber die nachexilische Zeit für die allmähliche und dann totale Loslösung Israels vom Tempel. Wie konnte eine Opferreligion sich so manifest verwandeln und diese Verwandlung zwei Jahrtausende weiter kraftvoll gestalten? Wie gehören Jesus und die auf ihn zurückgehende Messiasbewegung in diesen Prozess hinein? Es war dann klar, dass Jesus und die von ihm ausgehende Messiasbewegung in Parallelität zu anderen Strömungen des Judentums stand, die ebenfalls den Himmel ohne Opfertempel ‚behalten‘ wollten. Die dritte hermeneutische Rahmenbedingung aus Michels Schule war das ‚Ernstnehmen der Bibel‘. Michel verstand dies nie fundamentalistisch, sondern im Sinne eines Ernstnehmens der Geschichte. Historisch-kritisch hieß für ihn, die Religionsgeschichte und die Rückbindung an die Anthropologie in allen Aspekten durchzuhalten. Das war der tragende Grund für manche radikalen Thesen, die mich beim Wiederlesen zunächst selbst erstaunten. In einer Zeit, in der die christlichen Kirchen fast unentrinnbar an ihrer Selbstsäkularisierung arbeiten, scheint die Beschäftigung mit dem Himmel total aus der Zeit gefallen. Doch stellt man verblüfft fest, dass zentrale Motive unmit‐ telbar in die Moderne transportiert worden sind. Eines der Konzeptalben der modernen Popmusik von der Gruppe ‚Cream‘ trägt den Namen ‚Wheels of fire‘ und stellt so ihre ekstatische Musik in das Licht der Merkaba. Die in Hamburg errichtete ‚Elbphilharmonie‘ folgt in ihrer architektonischen Grundstruktur der des orientalischen Stufentempels, ja auch die kultische Zeltstruktur zeigt sich in der Dachkonstruktion. Die scharfe Aufteilung in ‚unten‘ und ‚oben‘ und die Begegnung der ‚Unteren‘ mit den ‚Oberen‘ nach dem Aufstieg führen zu dem Anspruch, die Begegnung mit den ‚Oberen‘ habe verwandelnde Kraft. Es geht um eine Neuschöpfung unter dem Einfluss ‚himmlischer‘ Musik. In einer durcheinandergeratenen Welt sollte auch das segnende, entsühnende Angebot einer Neuschöpfung vom Himmel her Aufnahme finden. Die Ordnung der Schöpfung im Sinne segensreichen Wetter- und Klimageschehens wird gesucht. Es geht um eine menschliche Ökologie, die Erde und Himmel einander näherbringt. Die religiöse Kategorie ‚Schöpfung‘ mit der ordnenden und hei‐ lenden Rückbindung des irdischen an den himmlischen Teil wird unverzichtbar. Der Mensch steht im Zentrum. Findet er einen Zugang zum Himmel, der ihn verändert und weiterbringt? So hoffe ich, dass die vorliegende Arbeit trotz ihrer Unzeitigkeit Anregungen gibt über das enge Fachgebiet der Evangelien-Exegese hinaus für eine Inspira‐ tion von allen, die an ernstgemeinter Religion Interesse haben. Frau Gisela Kienle fertigte 1982/ 83 das ursprüngliche Typoskript. Für die Mühe und Umsicht, die damit verbunden waren, bin ich ihr bis heute dankbar. Für die Digitalisierung und erste Korrektur des Manuskripts ist Frau Bronwyn Emma Leone und für die diesbezügliche Beratung Herrn Dr. Juan Garcés (Säch‐ sische Landes- und Universitätsbibliothek Dresden) sehr herzlich zu danken. Cuxhaven, Oktober 2020 Jan-A. Bühner 12 Vorwort des Verfassers: Hermeneutische Voraussetzungen Geleitwort von Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg Dr. Jan Bühner ist mir seit meiner Zeit an der Universität Leiden 1971-1974 bekannt. Nach meinem Weggang aus Leiden und ohne mein Zutun erhielt er 1975 für seine Tübinger Dissertation den Preis der Godgeleerd Genotschap der Teylers Stichting in Haarlem. In der Heidelberger Zeit besuchte mich dann regelmäßig Jan Bühners Lehrer Otto Michel, mit dem mich eine große Liebe zum Judentum, besonders zur jüdischen Mystik und zum Erbe Gershom Scholems verband. Auch Hugo Odeberg wurde bei unseren Treffen stets mit Hochachtung erwähnt. Für mich ergaben sich Querverbindungen aus Jan Bühners und Otto Michels Ansätzen aus meinen Interessen im Bereich der Apokalyptik, und zwar gerade deshalb, weil ich das komplexe Miteinander von Kult- und Geschichtsapoka‐ lyptik in der neutestamentlichen Apk erforsche. Wie die Erze in dem Bergwerk meiner Heimat sind sie so eng miteinander vermengt und verschmolzen, dass es schon chemischer (und nicht nur mechanischer) Methoden bedurfte, um sie überhaupt bei der Verhüttung voneinander zu trennen. Jan Bühners Weg in Tübingen habe ich stets mit Anteilnahme verfolgt, und das betrifft auch das Entstehen seiner damals geplanten Habilitationsschrift. Nun, fast 40 Jahre später, sah ich es als ein Gebot der Gerechtigkeit gegenüber Dr. Bühner an, dass seine große und aus meiner Sicht sehr wichtige Arbeit endlich publiziert werden kann. Denn die Thesen Jan Bühners halte ich für extrem stimulierend und auch nach der Zeit, die inzwischen vergangen ist, noch immer für hochaktuell. In dieser Situation greift Bühners Arbeit gerade zum Beispiel die Menschensohn-Frage neu auf. Mit der Stephanus-Vision zu beginnen halte ich für richtig, und ebenso die These, dass sich Jesus und das Bild des Menschensohnes sukzessive angenähert haben. Vor allem freut es mich immer wieder zu sehen, dass Jan Bühner neben der noch stets herrschenden Orientierung an der zeitlichen Schiene die räumliche Dimension betont und neu bewertet. Das Phänomen „Gnosis“ hatte hier lange Zeit die Aggressionen auf sich gezogen und damit eine klare Sicht blockiert. Der Leser sollte beachten, dass die Kategorien der Kultspiritualität und die Orientierung an Tempel und Priestertum nicht konfessionell zu betrachten sind, sondern religionsphänomenologisch, oder sagen wir es verständlicher: auch von der Theologie Martin Luthers her. So hilft dieses Buch, gerade das lutherische Christentum von seiner Wurzel her neu und etwas weniger einseitig zu sehen, als es sonst geschieht. Wenn man das erkannt hat, wird die aktuelle Bedeutung des Buches durchaus noch größer. Alles das und auch eine Würdigung des Beitrags der Ostkirche zu diesen Problemen wäre ein guter Gegenstand der ökumenischen Diskussion, deren Aufblühen ich als eine der Früchte dieses Buches erwarte. Vor allem aber sollte der jüdischen Himmelsmystik Gerechtigkeit wider‐ fahren, ohne die schon ein Großteil der Texte aus Qumran nicht verständlich ist. Und Jesus redet schließlich vom „Himmelreich“. Und: Warum haben wir so lange vom Himmel nicht geredet? Heidelberg, Oktober 2020 Klaus Berger 14 Geleitwort von Prof. Dr. Klaus Berger, Heidelberg ERSTER HAUPTTEIL: Hinführung zum Thema und Aspekte der Forschungsgeschichte 1 Vgl. W. Pannenberg, Heilsgeschehen und Geschichte, KuD (1959), 218-237. 259-288 = ders., Grundfragen systematischer Theologie, 1979 3 , 22-78, hier S. 23f.: „Die Erschlos‐ senheit der Wirklichkeit als Geschichte durch die biblische Offenbarung“. Vgl. auch G. von Rad, Theologie des AT, I 1962 4 , 129. 2 Vgl. M. Welker, Universalität Gottes und Relativität der Welt. Theologische Kosmologie im Dialog mit dem amerikanischen Prozeßdenken nach Whitehead, Neukirchen 1981 (Neuk. Beitr. z. syst. Th. 1), 205 ff. 213. 217. 3 Vgl. O. Hofius, Der Christushymnus Philipper 2,6-11, Tübingen, 1976 (WUNT 17), 1. A) Hinführung zum Thema Das historisch und theologisch notwendige Bemühen um eine sachgemäße Verbindung von Altem und Neuem Testament kann sich auf mehrere Rah‐ mengrößen beziehen, die beide Testamente zusammenbinden. In der neueren Theologie hat man dabei vor allem den geschichtsbezogenen Charakter der biblischen Theologie hervorgehoben. 1 Die Geschichte Gottes mit seinem Volk ist jedoch nicht der einzige ge‐ meinsame Rahmen für die Theologie beider Testamente, vollzieht sich diese Geschichte doch auf einem sie erst ermöglichenden Grund, nämlich der Welt als Schöpfung Gottes. Die biblische Betrachtung der Welt als Schöpfung ist vom ersten Buch des Alten bis zum letzten des Neuen Testaments geprägt durch eine Unterscheidung zweier Räume der Schöpfung, des Himmels und der Erde. Dabei ist unüber‐ sehbar, dass auch der Himmel Teil der Schöpfung ist; 2 ebenso unübersehbar ist die Voraussetzung in beiden Bereichen der biblischen Tradition, dass der himmlische Teil der Schöpfung der Heiligkeit Gottes nähersteht. Die Priester‐ theologie von Gen 1 macht dies durch die betonte Vorordnung des Himmels deutlich, während die Kultapokalyptik der Johannesoffenbarung aus der Schau der himmlischen Prozesse einen Übergang des himmlischen Lebens um den Thron des Lammes herum in die eschatologische Neuschöpfung von Himmel und Erde ableitet. Der himmlische Teil der Schöpfung hat seit Anbeginn, und auch für die Endzeit, eine gesteigerte Lebensqualität. Dieser biblischen Schöpfungslehre entspricht es, wenn das Neue Testament die Lehre von Gott, dem Christus und der Erlösung vor dem Hintergrund einer eschatologischen Neuverbindung der getrennten Schöpfungsräume expliziert. So geschieht es schon auf der frühesten Stufe der nachösterlichen Tradition: Mit Phil 2,5-11 zitiert Paulus einen bekenntnisartigen Hymnus. 3 Er handelt von Jesus Christus, der aus der Würde einer überhimmlischen Gottgleichheit heraus sich für seinen irdischen Gang der göttlichen Gestalt entäußert hat und nach seinem 4 Vgl. Hofius, a. a. O., 20-54. Die exegetische Mühe, die Hofius darauf verwendet, dem Hymnus eine zukünftig-eschatologische Perspektive zu entnehmen, nämlich die Endverherrlichung Jesu, überfordert nach meinem Eindruck die Aussage des Hymnus, der Eschatologie kaum geschichtlich, sondern in seinem Bildmaterial rein räumlich interpretiert. 5 Dass der Himmel Geschöpf Gottes ist und andererseits Gott ‚im‘ Himmel ist, diese beiden biblisch zutreffenden Aussagen stehen nicht im Widerspruch zueinander: der Himmel als der der Heiligkeit Gottes nähere Bereich bedeutet die ‚Einbruchstelle‘ der Transzendenz in die Immanenz: der in der Welt gegenwärtige Gott ist zunächst im Medium des himmlischen Teils der Schöpfung gegenwärtig; diese Aussage muss in einem weiteren Schritt christologisch bestimmt werden. 6 Vgl. A. Schlatter, Die Geschichte des Christus, 1923 2 , 49. gehorsamen Weg an das Kreuz nun als Erhöhter den kosmischen Machtnamen besitzt, der ihn zum eschatologischen Herrn der Schöpfung macht. 4 Bis in die altkirchliche Lehrbildung hinein - und von ihr aus bis in die Theologie der beginnenden Neuzeit - lässt sich unschwer feststellen, dass eine mehr räumliche als zeitlich-geschichtliche Deutung der Schöpfung den Rahmen für die Darstellung des Heilshandelns Gottes an der Welt gegeben hat. Die biblische Erfassung der Wirklichkeit als Geschichte ist nicht nur ein Relikt nomadischer Väter-Religion, sondern bezieht ihren zukunfts- und zielorientierten Charakter aus der Spannung der zweigeteilten Schöpfung, die hinweist auf eine Neuschöp‐ fung, welche diese Spannung aufheben wird. Die vorliegende Untersuchung will die Beobachtung historisch und theolo‐ gisch verständlich machen, dass die Evangelien Jesus aus einer ihm eröffneten Beziehung zur himmlischen Welt verstehen, ja Jesus sich selbst so versteht. Durch Taufe, Verklärung und Passion-Erhöhung ist Jesu irdischer Weg als ein Geschehen gedeutet, welches sich aus dem Himmel heraus vollzieht. Seine Verkündigung und sein vollmächtiges Wunderwirken realisieren die Gegenwart der himmlischen Basileia Gottes. Im Vollzug seines irdisch-geschichtlichen Le‐ bens öffnet sich der der himmlischen Heiligkeit Gottes und der eschatologischen Neuschöpfung nahe Teil der Schöpfung zum irdischen hin. Jesu Gebet eröffnet im Medium kultischer Sprache den Zugang zum Vater ‚im‘ 5 Himmel. Er realisiert geradezu die erlösende Kraft der Gemeinsamkeit zwischen himmlischer und irdischer Gemeinde in der Doxologie des Schöpfers. 6 Trotz breitester biblischer Fundierung ist das Thema ‚Himmel‘ und damit auch der Versuch, die Jesus-Tradition in diesem theologischen Rahmen zur Sprache kommen zu lassen, seit der Aufklärung verdrängt worden. Der Liberalismus der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts hat hierbei entscheidende Weichen gestellt: Er reduzierte die Christologie auf eine Darstel‐ lung des Werkes Jesu im Sinne der Bedeutsamkeit seiner Botschaft. Das Reich Gottes, welches in der Verkündigung Jesu auch eine gegenwärtige, himmlische 18 A) Hinführung zum Thema 7 Vgl. A. Ritschl, Die christliche Lehre von der Rechtfertigung und Versöhnung, 3. Band: Die positive Entwickelung der Lehre, Bonn 1888 3 , § 48, bes. 417-426. Zum rein ethisch-immanent orientierten liberalen Geschichtsbild, dem es „nur noch um die Ermöglichung der Menschlichkeit des irdischen Lebens“ gehe, vgl. W. Pannenberg, Grundzüge der Christologie, Gütersloh: G. Mohn, 1964, 39; das Thema der Überwindung von Sünde, Tod und Teufel wird nach Pannenberg bei Ritschl rein ethisch verstanden: Von Jesus gehe für jeden Einzelnen die Möglichkeit aus, es ebenso mit einem sündlosen Leben zu versuchen. Zum Problem des Geschichtsbildes bei Ritschl, das ethisch-sozial ausgerichtet sei und darin ein überschießendes, spirituelles Element postuliere, vgl. W.R. Barnett, The Dilemma of Ritschl’s Christology, in: JR,59 (1979), 195-212. 8 Vgl. J. Moltmann, Die Zukunft als neues Paradigma der Transzendenz, in: Internationale Dialog Zeitschrift 2 (1969), 2-13, wieder abgedruckt in: ders., Zukunft der Schöpfung. Gesammelte Aufsätze, München 1977, 9-25, hier besonders 21-23; vgl. auch M. Welker, a. a. O., 210. 225. 9 Vgl. M. Machovec, Jesus für Atheisten, Berlin 1972, 108: gerade sich atheistisch gebende Marxisten hätten ein besonderes Verständnis für die Eschatologie Jesu entwickelt. Auf S. 111 schränkt er allerdings ein, dass man zuvor aus der neutestamentlichen Eschatologie die Momente der Illusion über irgendwelche übernatürliche Mächtigkeit des Reiches Gottes streichen müsse. Es bleibt der Anspruch der neutestamentlichen Eschatologie auf ein Wissen um ein letztes Ziel des menschlichen Seins in Existenz und Geschichte. Die Auslegung des Vater-Unsers auf S. 104 beginnt: „‚Vater unser, der du im zukünftigen Zeitalter bist‘ (‚Himmel‘ bedeutet hier zweifellos weder ein räumliches noch irgendein geistiges Reich im Sinn des griechischen Dualismus, sondern es geht gerade um jenes erwartete ‚himmlische Königreich‘, eine Angelegenheit nicht des Raumes, sondern der Zeit) …“ Größe ist, wurde so zu einem höchsten sittlichen Gut, das als zukünftig erreich‐ bare Größe erschien. Jesu Person wurde zum sittlichen Vorbild, ausgedrückt in Kategorien hervorgehobenen, heroischen Menschseins. 7 Die Kategorie der Zeit wurde damit zum tragenden Rahmen des Versuchs, Jesus dem modernen Menschen nahezubringen und das Menschsein entsprechend seinem Vorbild voran zu bringen. Diese liberale Reduktion untersteht deutlich dem aufklärerischen Impetus, den Menschen als verantwortlichen Gestalter der ihm begegnenden Wirklich‐ keit zu sehen, einer Wirklichkeit, die, soll sie nicht irrelevant sein, eben eine irdische und zeitliche ist. Das religiös Bedeutsame muss sich im Rahmen eines Zeitbegriffs verankern lassen, der die Verbindung dieses religiös Bedeutsamen mit dem Jetzt der menschlichen Geschichte ohne Postulat einer Transzendenz offenhält. Es ist nicht verwunderlich, dass sich diese aufklärerische Hermeneutik des Christentums als einer sittlichen Bewegung auch mit einer eschatologischen Deutung verbinden kann. Sie drängt auf das Ziel der Erziehung des neuen Men‐ schen hin. Dabei wird die Zukunft nicht mehr als Paradigma der Transzendenz 8 gesehen, sondern als Paradigma für den Anspruch, dass die Menschheit um ein letztes geschichtliches Ziel weiß. 9 19 A) Hinführung zum Thema 10 Vgl. M. Welker, a. a. O., 209f. 11 Vgl. M. Welker, a. a. O., 225. 12 Methodische Probleme der neutestamentlichen Christologie, Neukirchen 1967 (WMANT 25), 223. Ähnlich E. Jüngel, Tod, 1971, 129; vgl. auch E. Gräßer, Zum Verständnis der Gottesherrschaft, in: ZNW 65 (1974) 22ff. 13 Vgl. K. Barth, KD III/ 2, 1948, 591: „Man muss sich nur frei machen von der Vorstellung, als ob die neutestamentliche Gemeinde gewissermaßen nur Finsternis oder doch Dämmerung hinter sich und allein vor sich das große Licht gehabt, sich also auf einem Marsch befunden hätte, den geduldig fortzusetzen dann allerdings - wenn das große Licht sich immer wieder vor ihr zurückzuziehen schien - eine problematische Sache werden, auf dem man dann allerdings müde und verdrossen werden und auf dem man dann zum Stillstehen, zum Umkehren oder zum Abschwenken auf irgend einen bequemeren Seitenpfad allerdings dringend versucht sein konnte. Man muss sich nur frei machen von der Zwangsvorstellung, als ob das neutestamentliche Zeitbewusstsein nur auf das künftige oder doch mehr auf das künftige als auf das vergangene und gegenwärtige Sein Jesu in der Zeit gerichtet gewesen wäre.“ Auf S. 613 ergänzt Barth: „Der Irrtum dieser Konstruktion beruht hier darauf, dass sie den die Gegenwart der Gemeinde zwischen Ostern und Parusie bewegenden, zugleich treibenden und anziehenden Geist nicht in Rechnung zieht, in dessen Gestalt die Herrschaft Jesu zu keiner Stunde bloß gewesen oder bloß zukünftig, sondern in jeder Stunde so Ereignis ist, dass man sein Kommen zwar immer erwarten, und zwar bald erwarten muss, und nun doch auch immer in Geduld darauf warten kann und darf. Ist das Warten und Eilen der Parusie Jesu entgegen ein echtes neutestamentliches Problem voll kritischer Hier taucht die grundsätzliche Frage auf, ob es letztlich egal ist, von einem räumlichen oder zeitlichen ‚Himmel‘ zu sprechen, wenn nur festgehalten wird, dass es einen raum-zeitlichen Aspekt der Schöpfung gibt, welcher sich dem Zugriff des Menschen entzieht und Paradigma des Einbruchs der Transzendenz ist. 10 Wichtig ist eine doppelte Beobachtung. Einerseits ist die Tendenz erkennbar, die Zukunft als Dimension des Handelns Gottes gegen das räumliche Oben des Himmels, als die der Transzendenz nähere Sphäre, auszuspielen. Die moderne Situation ist dann deutlich mit der Gefahr verbunden, Zukunft als Verlängerung irdischer Geschichte zu verstehen. 11 Andererseits zeigt die Religionsgeschichte, dass das grundlegende, alles andere tragende Angerührtsein des Menschen von der Transzendenz sich in den stärker ‚senkrecht‘ orientierten Phänomenen, wie beispielsweise Ekstase und Gebet, äußert. Neutestamentlich muss man mit H.R. Balz fragen, „… ob sich die urgemeindliche Eschatologie … wirklich nur als ein Zeitproblem verstehen lässt …“ 12 Karl Barth hat mit Entschiedenheit gegen eine drohende Verengung im Umkreis der ‚konsequenten Eschatologie‘ das Augenmerk darauf gelenkt, dass der pneumatisch-gegenwärtige, himmlische Christus der Ermöglichungsgrund für den Blick in die eschatologische Zukunft ist. 13 Jenseits des Zeitproblems steht also die Antwort der Religionsgeschichte 20 A) Hinführung zum Thema Bedeutsamkeit für die Gegenwart, so ist das von der Sorge wegen ihrer ‚Verzögerung‘, wegen ihres ‚Ausbleibens‘ gerade nicht zu sagen.“ (Hervorhebungen im Original.) 14 M. Dibelius, Jesus, 1960 3 , 120. Vgl. auch R. Otto, Reich Gottes und Menschensohn. Ein religionsgeschichtlicher Versuch, München 1934, 261: „Der schlichte Fromme … weiß von dem ‚Gottesreiche‘ dort oben, von einer seligen Himmelswelt bei Gott. Und wenn er erfährt, dass das ‚Himmelreich komme‘, so weiß er nicht nur, dass die Zeit nahe ist, wo Gottes Königsanspruch erfüllt sein wird, oder dass das Gericht bevorstehe, sondern er weiß auch, dass das Himmelreich herabkommen wird, dass die Welt ‚wunderbar gemacht werden wird‘. Solche Erwartungen sprechen sich konkret aus in den späteren Ideen eines herabfahrenden Jerusalem, aber sie umgeben als notwendige Associationen jede Predigt vom ‚Kommen‘ des Gottesreiches und jedes Gebet darum.“ (Hervorhebungen von mir). Vgl. auch 40f.: Basileia meint den Königsherrschaftsbereich. Es geht um eine „… Sfäre, die zunächst im Himmel ist. Ferner, wenn es heißt, dass das Reich ‚kommt‘, so ist zugleich immer die leise Association dabei, dass es von oben herabkommt.“ (Hervorhebung von Otto.) und auch des biblischen Zeugnisses, dass es eine Verbindung im Pneuma zum himmlischen als dem der Transzendenz näheren Raum gibt. Der Fixpunkt für die urchristliche Eschatologie liegt in der durch das Pneuma gewährten Beziehung der Gemeinde zu ihrem himmlischen Herrn. Daraus ergibt sich die Erwartung, dass auch die Reich-Gottes-Ansage Jesu ihren eigenen Fixpunkt in seinem gegenwärtig-pneumatischen, personhaften Einbezogensein in das Reich Gottes findet. Jesus blickte dann nicht nur auf eine zukünftige Realisierung des Reiches. Mehr noch ist es eine Größe, die aus der himmlischen Verborgenheit in die Wirklichkeit der neuen Schöpfung eintritt. Diese Konsequenz zog M. Dibelius in seinem Jesusbuch: „… eine (scil. Jesu) Verkündung des unbedingten Gotteswillens hat das Kommen des Reiches zur Voraussetzung; die Art, wie er die Menschen vor die Wirklichkeit Gottes stellt, ist begründet in der Aussicht, dass diese himmlische Wirklichkeit demnächst irdische Wirklichkeit werden solle.“ 14 Jesus kennt die Basileia als himmlische Wirklichkeit und weiß darum, dass diese himmlische Wirklichkeit sich anschickt, nach der Erde auszugreifen. Ändert man den etwas vagen Ausdruck der ‚Aussicht‘ bei Dibelius zu dem der pneumatischen Gewissheit, so ergibt sich unausweichlich, dass Jesus mit dieser himmlischen Wirklichkeit einen intensiven Kontakt gehabt haben muss, ja zu ihr gehört hat. Urchristlicher Pneumatismus mit der Vielzahl seiner Phänomene als Haftpunkt urchristlicher Eschatologie verlangt als begründende Analogie ein Jesusverständnis, nach dem er Pneumatiker gewesen ist, der schon als Irdischer der himmlischen Basileia zugehörte. 21 A) Hinführung zum Thema 15 Vgl. A. Schweitzer, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1981 (Nachdruck der 1. Auflage von 1930), IXf.; dem dort geäußerten Anspruch auf eine gewisse, vorläufige Unabhängigkeit historischer Forschung von einer Bevormundung durch die hermeneu‐ tische Frage hat sich angeschlossen W.G. Kümmel, Ein Jahrhundert Erforschung der Eschatologie des Neuen Testaments, in: ThLZ,107 (1982), 93. Für eine hermeneutisch nicht eingeschränkte historische Forschung 15 scheint es also aus mehreren Gründen notwendig zu sein, die Dimension des Himmli‐ schen als Raum der angrenzenden Transzendenz weder aus der neutestament‐ lichen Christologie noch aus dem historisch erkennbaren Bild vom irdischen Jesus zu entlassen: die räumliche Dimension der biblischen Lehre von der in Himmel und Erde getrennten Schöpfung wehrt sich heftiger gegen alle Versuche, das Transzen‐ dente in den irdischen Geschichtsablauf einzubinden, als eine rein zeitliche Eschatologie. Die Rede vom ‚Himmel‘ benötigen wir, um Eschatologie vor dem Versinken in Immanenz zu bewahren. Auf der Folie der räumlichen Kategorie ‚Himmel‘ werden die mit der Re‐ ligionsgeschichte unlösbar verbundenen pneumatischen Phänomene wieder erkennbar und als Zeichen präsentischer Eschatologie deutbar. Neutestamentlich ergibt sich aus diesem in die biblische Schöpfungslehre eingebundenen Rückgriff auf den ‚Himmel‘, dass Jesus als Pneumatiker deutbar wird. Wenn er der Anfänger der Bewegung ist, die die eschatologische Neu‐ schöpfung mit dem gegenwärtigen Pneuma-Besitz verschränkt, dann gehört er bereits als Irdischer auch zur himmlischen Welt. 22 A) Hinführung zum Thema 1 Vgl. R. Bultmann, Geleitwort zum Neuabdruck der 2. Auflage 1964, V; A. Schweitzer, Die Geschichte der Leben-Jesu-Forschung, Tübingen: Mohr (Siebeck), Siebenstern-Taschenbuch Bd 79/ 80, 1966, 254; N. Perrin, Jesus and the Language of Kingdom, London 1976, 66f. 2 Vgl. die 1. Auflage der ‚Predigt Jesu vom Reiche Gottes‘, 1892, 5. B) Aspekte der Forschungsgeschichte: Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 1. Eschatologische Zukunft und religiöse Hochstimmung: die konsequente Eschatologie Der Umbruch in der modernen Jesusforschung wird gewöhnlich mit dem Buch von Johannes Weiss ‚Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes‘, 1. Aufl. 1892, (2. Aufl. 1900) verbunden. 1 Weiss übernimmt die systematisch-theologische Vorentscheidung der liberalen Tradition, wonach Jesus und das Christentum letztlich nur von der Reich-Gottes-Verkündigung her zu verstehen seien. 2 Gegen seine liberalen Väter betont Weiss jedoch, dass das Reich Gottes kein sittliches Gut und keine die geschichtliche Entwicklung der Menschheit betreffende Größe sei, sondern als streng endgeschichtliches, nur zu erhof‐ fendes, aus der Zukunft her kommendes, transzendentes, geschenktes Gut zu verstehen sei. Dieser antiliberale Ansatz, den Weiss vor allem in der 1. Auflage program‐ matisch betonte, bleibt nun aber an zwei Punkten der älteren aufklärerisch-li‐ beralen Tradition verhaftet: Er übernimmt in der Grundlage doch das Programm einer Verortung der christlichen Religion in der menschlichen Geschichte. Transzendierend ergänzt er, dass das Reich Gottes in Jesu Verkündigung zwar der unverfügbaren Zukunft, 3 Transzendenz ist nur über die Kategorie der erhofften Zukunft aussagbar (2. Aufl., 73); das Evangelium und Jesus bleiben in den Aussagemöglichkeiten des Prophetischen als einer bloßen Ankündigung der Zukunft (2. Aufl., 71); die proleptischen Aussagen hängen an nicht-all-täglichen, religiös gesteigerten Ausdrucksformen (2. Aufl., 69 f.); angesichts des Angriffs der Gegner „wallt die siegesgewisse Begeisterung in ihm auf “ (2. Aufl., 90). In allem wird deutlich, dass Weiss die Gegenwart in Beziehung zu Gott und seinem Reich als religiös-gefühlhafte, menschlich-stimmungshafte, letztlich wohl mit dem Geheimnis des Lebens zusammenhängende (2. Aufl. 66 f.), psychologisch individuelle und nicht übertragbare, d. h. als eschatologisch nicht bedeutsame, höchst zeitgebundene Empfindungen ansieht; nur die Zukunft als Zeit der vom Jenseits der Geschichte kommenden, in die Geschichte bruchartig hineingreifenden Erfüllung habe eine eschatologische Bedeutung; damit sei die Gegenwart aber nur negativ verbunden. 4 2. Aufl., 52. 5 2. Aufl., 99. 6 2. Aufl., 96-99. 7 Vgl. 2. Aufl., 176: „Aber wie er doch nur auf einzelnen vorübergehenden Höhepunkten der Stimmung die Herrschaft Gottes bereits angebrochen schaute, im Übrigen aber auf das zukünftige Eingreifen Gottes hoffte, so hat er auch in bezug auf seine Erhöhung zum Messias das letzte entscheidende Wort seinem Vater im Himmel überlassen. Er wird an ihm thun, was er verheißen hat.“ Aber das, was der Vater christologisch zusagt, betrifft bei Jesus doch die Gegenwart. Hier deutet sich an, dass Weiss auch den Gottesbegriff sehr stark an den zukünftigen geschichtlich evidenten Machterweis bindet. jedoch grundsätzlich als eine dem menschlichen Geschichtsempfinden qua Antizipation zuwachsende Größe angehört. 3 Mit dem grundsätzlichen Verbleib auf der Ebene eines linearen Geschichts‐ bildes gemäß aufklärerisch-liberaler Tradition hängt zusammen, dass Weiss Jesus weiterhin in den Bahnen der heroischen Vorbildchristologie sieht. Jesus lebe aus religiösen Stimmungen; er sei - gemäß der liberalen Propheten-An‐ schluss-Theorie - der größte Prophet; 4 Weiss stößt im letzten bei Jesus auf religionspsychologisch zu deutende Phänomene, die in ihrem subjektiven Er‐ lebnischarakter auch die von ihnen abhängigen Momente einer Gewissheit der Nähe des Reiches tragen. Auch Jesu Berufung und seine Gewissheit, dass er den Teufel zeichenhaft überwinden kann, ist religiöse Stimmung. Nur negativ gelte: Wie das Reich Gottes eine rein zukünftige Größe sei, so sei es Jesus verwehrt, seine messianische Würde außerhalb individueller religiöser Stimmungen 5 zwi‐ schen Hoffnung und Glauben festzumachen. Auch die Aussage einer Vollmacht vom Himmel her, mit der Weiss für die hinter dem Tauf- und Verklärungsbericht stehende Wirklichkeit rechnet, 6 bleibe eingefangen in die Spannung zwischen einer bloß subjektiven Gewissheit und dem ontologisch allein dominierenden Element endgeschichtlicher Erfüllung, in der die Transzendenz sich dem Maß‐ stab irdischer Geschichtsevidenz anpassen wird. 7 24 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 8 2. Aufl., 8-17. Die Unterscheidung im 2. Absatz - im Judentum sei das Kommen der Basileia nur ein Hervorkommen einer schon immer bestehenden Herrschaft Gottes, bei Jesus aber sei sie eine nur eschatologische Größe, der nur deshalb eine Gegenwart zukomme, weil das Ende schon unmittelbar bevorstehe - enthält das ganze Problem bei Weiss: da es andererseits heißt, die Basileia sei ein himmlisches Gut (2. Aufl., 73.107), kommt Weiss mit seinem konsequent eschatologischen Ansatz in Schwierigkeiten. Die theologisch fragwürdige Konsequenz dieses Ansatzes klingt 2. Aufl., 91 noch an: die gegenwärtige, voreschatologische Welt sei ganz vom Teufel beherrscht. 9 2. Aufl., 68. 70. 90. 92 f. 158: Mt 11,28 weise auf ein religiöses Gefühl Jesu. Zur grundlegenden hermeneutischen Skepsis vgl. 2. Aufl., 56 f. Schon der Schluss der 1. Aufl. v. 1892, 63-67 zeigt, dass Weiss die exegetische Erkenntnis nicht mit seinem modernen Geschichtsempfinden verbinden kann; die eschatologische Krise wird individuell als Krise des Todes gedeutet, der Anbruch des Reiches mit dem Überschreiten der Todes‐ grenze verbunden. 10 2. Aufl., 154ff. 11 Vgl. zur Darstellung des vermittelnden Charakters von Boussets Position: A. Schweitzer, a. a. O., 257-263; Kümmel, a. a. O., (S. 22 Anm. 15), 291-294. 12 W. Bousset, Was wissen wir von Jesus? Halle a.S. 1904, 65. Weiss nennt exegetische Beobachtungen, die über die Vorentscheidung hin‐ ausweisen, letztlich die irdische Geschichtslinie zum Kriterium theologischer Evidenz zu machen. Das Reich Gottes sei ursprünglich Begriff himmlisch-tran‐ szendenter, kultischer Theokratie. 8 Keine Religion könne auf Dauer ohne Qua‐ lifizierung der Gegenwart auskommen. 9 Jesus und die neutestamentliche Zeit seien im Grund nicht an einem linearen Geschichtsbild orientiert, sondern an einem Himmlisches und Irdisches umfassenden Orientierungsrahmen. 10 Diese ergänzenden Bemerkungen, die das Programm der ‚konsequenten Eschatologie‘ eigentlich in Frage stellen, kann Weiss verständlicherweise nicht positiv auf‐ nehmen. Forschungsgeschichtlich aufgenommen und weitergeführt wurde der escha‐ tologische Ansatz bei W. Bousset. Bousset übernimmt in seinem 1904 erschie‐ nenen Buch zur Jesusfrage die Grunderkenntnis, dass Jesus auf zukünftiges Gericht und zukünftiges Heil verweise und dadurch die Gegenwart seines Auftretens zur Zeit der Scheidung mache. Dabei bleibt dieser, auch bei ihm streng eschatologisch-zukünftig gedachte, Ansatz verbunden mit einem libe‐ ralen, religiös-psychologischen und bei der Aufnahme der entscheidenden Begriffe höchst zeitgebundenen Jesusbild. 11 Die Ankündigung der eschatolo‐ gischen Wende realisiert sich bei Jesus folgendermaßen: „und in allem die starke, königliche Natur, das Bewusstsein, die Dinge zu Ende zu führen und das letzte, entscheidende Wort zu reden, diese Zuversicht der allernächsten Nähe seines himmlischen Vaters, die starke königliche Kraft, mit der er die Seelen der Seinen zwang und das Höchste von ihnen forderte …“ 12 . Es ist auffällig, dass antiliberaler Impetus in der Darstellung des Reiches Gottes und 25 1. Eschatologische Zukunft und religiöse Hochstimmung: die konsequente Eschatologie 13 W. Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen bis Irenäus, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1965 5 , vgl. bes. XIV, 18 f. Die Grundkon‐ zeption Boussets wirkt nach bis F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, S. 11.13. Hahn hält durchgängig die ursprünglich rein zukünftig-eschatologische Verankerung der Menschensohn-Lehre Jesu fest: Jesus verwies auf eine nicht mit ihm identische, zukünf‐ tige Gestalt (41); dieser jesuanische Ansatz zog die Themenkreise vom Erdenwirken des Menschensohnes (46) und vom leidenden/ auferstehenden Menschensohn (52 f.) erst nach sich. Eine ähnliche Grundkonzeption, nach der die Christologie sich von der palästinisch-unkultischen Zukünftigkeit zur hellenistisch-kultischen Präsentifizie‐ rung bewege, führt Hahn auch bei den Themenkreisen Kyrios (95.112.124), Christos (189), Davidsohn (250), Gottessohn (202) durch, vgl. den Rückblick S. 347: „Die älteste Christologie ist in allen Ausprägungen konsequent eschatologisch ausgerichtet.“ Auch L. Goppelt, der sonst außerhalb des durch Bultmann vermittelten Einflusses der Konzeption von Bousset steht, unterscheidet die Größen ‚geschichtlich-hebräisch‘ und ‚kosmisch-hellenistisch‘, vgl. Theologie des Neuen Testaments, Bd. 2, hrsg. v. J. Roloff, 1976, 398. ein betont religionsgeschichtlich-kritischer Ansatz sich mit einem für heutige Betrachtung äußerst unkritischen, zeitgebundenen Jesusbild verbinden können. In ihm scheint Jesus dem Ideal eines monarchischen Souveräns angeglichen. Sollte dies daran liegen, dass die rein zukünftige Fassung des Reiches Gottes keinen echten religionsgeschichtlichen und im tiefsten religiösen Bezugspunkt für die Beschreibung Jesu zulässt und deshalb die angeblich bei Jesus nicht vorhandene Kategorie der religiös gefüllten Gegenwart außerhalb exegetischer und theologischer Kontrolle eingetragen wird? In seinem forschungsgeschichtlich bedeutenden Buch ‚Kyrios Christos‘ zieht Bousset weitere Konsequenzen. Während Jesus und die palästinische Urge‐ meinde für die jeweils kurze Zeitspanne ihrer Geschichte bei der brennenden und rein zukünftigen Naherwartung bleiben konnten, ‚füllt‘ die heidnisch-hel‐ lenistische Gemeinde vor Paulus die himmlische Welt mit dem Kyrios Jesus als ihrem Kultgott. Die palästinische Gemeinde lebte aus der reinen Zukunft des kommenden Menschensohnes, wobei der Himmel nur den bloß vorstellungs‐ mäßig notwendigen Aufbewahrungsraum Jesu, jedoch keine irgendwie die Gegenwart qualifizierende Größe abgab. 13 Boussets Arbeit ist damit über Weiss hinaus in mehreren Punkten interessant: Die gegenwärtige Beziehung zur himmlischen Welt als religiös-soteriologi‐ scher Erfahrung, welche Weiss nur gegen seine Grundthese als irgendwie bei Jesus in gehobener Stimmung vorhanden bezeichnete, wird bei Bousset ganz dem (heidnisch-)kultischen Denken zugeordnet. Damit verschafft er sich die Möglichkeit, Jesus und die Urgemeinde streng eschatologisch zu deuten und sie zu befreien von solchen, die reine Zukünftigkeit der Erwartung auflösenden Motiven, wie Christologie, Wunder Jesu, Weissagungskraft Jesu und soteriolo‐ 26 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 14 Vgl. Kap. II, 33-75. 15 Vgl. unten S. 31ff. gischer Deutung seines Geschickes. 14 Das streng eschatologische und zugleich unchristologische Jesusbild muss offenbar in der historischen Analyse gestützt werden durch präsentische, himmlische, kultische Elemente der urchristlichen Religion. Bousset verweist auf die Verbindung von Kultus, himmlischer Welt und präsentischer Erlösungserfahrung: auf den Gegensatz von Kultus und Eschato‐ logie einerseits und den Gegensatz zwischen einem Bezug zum Himmlischen und eschatologischer Erwartung andererseits. Diese Gegenüberstellung hat sich in der Forschung zunehmend als einseitig erwiesen. 15 Vor allem ist an Bousset die Frage zu stellen, ob ‚Kultus‘, ‚Gegenwart‘ und ‚Himmel‘ vornehmlich heidnische Kategorien sind. Hat nicht auch der Jerusalemer Kult seine eigene Symbolik entwickelt, die ein Himmel und Erde umfassendes Weltbild und eine gegenwärtige Erlösungserfahrung ausdrückt? Stehen die palästinische Gemeinde und Jesus dem kultischen Denken des Tempels nicht historisch näher als den Mysterienkulten? Wir halten fest: Die konsequent-eschatologische Deutung der Jesus-Tradition kann die neu erkannte Bedeutung des transzendenten Charakters der Basileia nur negativ abgrenzen. Eine Pneumatologie, die geeignet wäre, auch für die Gegenwart ( Jesu und der Gemeinde) eine positive Beziehung zum Reich auszusagen, ohne es in die Immanenz hinabzuziehen, fehlt im klassischen Ansatz von Weiss. Die konstatierten Phänomene religiöser Hochstimmung müssen theologisch irrelevant und unkontrolliert bleiben. Die konsequente Eschatologie hat schon bei Weiss die Tendenz, sich auf eine endgeschichtliche Offenbarung zu beziehen, die sich schließlich doch dem Evidenzdruck immanenter geschichtlicher Erfahrung wird beugen müssen. Boussets Weiterentwicklung führt zur Konstruktion eines doppelten Ansatzes: Dadurch wird die konsequent-eschatologische Jesus-Deutung geschützt. Die religionsgeschichtlich unabweisbare Frage nach dem positiven, lebendigen Zentrum der urchristlichen Religion, welches allein sie hat zur geschichtlichen Größe werden lassen, wird beantwortet durch Hinweis auf den Kyrios-Kult der hellenistischen Gemeinde. Dadurch wird aber andererseits die palästinische Jesus-Tradition stark isoliert. 27 1. Eschatologische Zukunft und religiöse Hochstimmung: die konsequente Eschatologie 16 A. Schweitzer, a. a. O., § 21. 17 Vgl. das Geleitwort Bultmanns zum Nachdruck der 2. Aufl. von Weiss, 1964, S. Vf.; vgl. bereits das Jesus-Buch von 1926 (4. Aufl. 1970), in dem Bultmann den antiliberalen An‐ satz der konsequenten Eschatologie durchhält, ja ihn von den liberalen Rückbindungen an ein letztlich immanentes Geschichtsverständnis zu befreien sucht, indem er die eschatologische Zukunft umdeutet als nicht-objektivierbare Größe, die im Geschenk des Glaubens existentiale Wirklichkeit wird. Vgl. auch die Darstellung des Verhältnisses Jesu zum zukünftigen Menschensohn in ders., Theologie des Neuen Testaments, 1965 5 , 30-33. Die Grundposition Boussets nimmt Bultmann auf in ders., Die Erforschung der synoptischen Evangelien, Berlin 1961 4 , 11. 18 G. Bornkamm, Jesus von Nazareth, 10., neubearbeitete und ergänzte Auflage, Stuttgart u. a. 1975. 19 A.a.O., 42. 20 A.a.O., 49. 2. Die Lösung der Eschatologie von Raum und Zeit Die konsequente Eschatologie versuchte, die Transzendenz des Reiches durch eine radikale Futurisierung zu sichern. Die dialektische Theologie, zumal in ihrer auf die Deutung der menschlichen Existenz bezogenen Ausformung, ist von dem theologischen Impetus getragen, die Transzendenz des Reiches nochmals gegen die in der alleinigen Futurisierung liegenden Gefahren zu schützen. Da hierzu die vor-moderne Kategorie des Himmels nicht mehr zur Verfügung stand, wurde eine neue Grenzlinie für den Einbruch der Transzen‐ denz in die Immanenz gefunden: das Individuum in seiner Betroffenheit. Der streng eschatologische Ansatz bei Weiss, Bousset und Schweitzer 16 steht an den Anfängen der dialektischen Theologie und der existentialen Jesus-Interpreta‐ tion bei Bultmann. 17 Um diese Zusammenhänge sichtbar zu machen und damit die Forschungssituation - sofern sie von dieser Seite her bestimmt wird - zu erhellen, gehen wir ein auf das Jesusbuch von G. Bornkamm. 18 Diese häufig abgedruckte Darstellung repräsentierte für eine lange Zeit, wohl wie keine andere, die Perspektiven und Ausdrucksmöglichkeiten der eschatologisch-dia‐ lektisch-existentialen Betrachtung Jesu. Auch Bornkamm setzt ein mit dem klassischen Topos einer Ankündigung der zukünftigen Weltenwende durch Johannes den Täufer und Jesus. Diese Ankündigung geschieht nun aber nicht als Einstimmung in eine brennende Naherwartung, sondern gemäß existentialer Interpretation als Ruf, der kommenden Weltenwende schon jetzt im Dasein Raum zu geben. 19 Wie der Täufer durch die Taufe gleichsam die zukünftige Wende in die Gegenwart hineinhalte, so tut Jesus dies durch sein Wort und die helfende Tat. 20 Die Interpretation Bornkamms hat also - anders als die ältere eschatologische Deutung - den Impetus, die Kategorie der Gegenwart 28 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 21 Dies war schon der Ansatz Bultmanns, vgl. Jesus, a. a. O., 38.42. Bultmann benutzt im Hinblick auf die von ihm angestrebte hermeneutische Begriffsebene nicht mehr die an die Geschichtslinie gebundenen Perspektiven, sondern betont die schlechthinnige Jenseitigkeit des Reiches. 22 A.a.O., 49f. 23 Bei Bultmann, Jesus a. a. O., 38.88f., ist dieser Vorwurf an dem Problem der Interimsethik entfaltet. 24 A.a.O., 51. 25 A.a.O., 52; vgl. E. Käsemann, Anfänge christlicher Theologie, EVuB II, 1970 3 , 99: Jesu Predigt war nicht apokalyptisch geprägt, sondern zielte auf die Verkündigung der Unmittelbarkeit des nahen Gottes. 26 A.a.O., 53. 27 A.a.O., 30f. hervorzuheben. 21 Der Vorwurf Bornkamms an das Judentum, man habe sich zwischen Vergangenheit und Zukunft verloren, 22 trifft auch die Jesus-Deutung der älteren, konsequent-eschatologischen Richtung. 23 Wir bemerken, dass die Gewinnung einer theologisch relevanten Kategorie ‚Gegenwart‘ für die Forschung offensichtlich ein Problem ist: Für Weiss war die Bestimmung der Gegenwart in einem theologisch qualifizierten Sinn ein vom Ansatz her unlösbares Problem, da Jesu Verkündigung und Tun ausschließlich durch Bezug auf die zukünftige Wende als sinnvoll erscheint. Die Antizipa‐ tion des Umbruchs ist gebunden an nicht eigentlich vermittelbare, religiöse Hochstimmungen Jesu. Bousset verwies auf den Kultus der heidenchristlichen Gemeinde als allererste Ermöglichung für die Erfahrung einer theologisch qualifizierten Gegenwart. Nach Bornkamms Darstellung hat sich nur der Täufer eines kultähnlichen religiösen Mittels zur Vergegenwärtigung der Ansage von Gericht und Heil bedient, während Jesus diese Vergegenwärtigung ohne bestimmbare, äußere, traditionelle, ja religiöse Kennzeichen bewirke: Weil er jede Legitimation für sich und seine Botschaft ablehne 24 , wird im Ganzen die Kategorie einer sich nicht weiter ausweisenden oder auch religionsgeschichtlich explizierbaren Unmittelbarkeit für Bornkamm zum Verstehensschlüssel für diese Vergegenwärtigung bei Jesus. „Immer ist die Wirklichkeit Gottes und Autorität seines Willens unmittelbar da und wird so zum Ereignis.“ 25 „Aus dieser Unmittelbarkeit des Ereignisses Gottes ergibt sich die erstaunliche Souveränität Jesu, mit der er … die Situation meistert.“ 26 Schimmert im Souveränitätsbegriff alte liberale Tradition noch durch, so macht Bornkamm diesen und den des Er‐ eignisses fest an einem betont überweltlichen, übergeschichtlichen und deshalb unreligiösen Gottesbergriff. 27 Der überweltliche Gott könne sich innerweltlich nur als Souverän erkennbar machen, der übergeschichtliche nur so, dass er nicht Teilhaber des menschlichen Geschichtsverlaufs werde, sondern in seiner über‐ geschichtlichen Macht je und je Augenblicke zum eschatologischen Ereignis 29 2. Die Lösung der Eschatologie von Raum und Zeit 28 A.a.O., 51. 29 Vgl. jetzt J. Moltmann, Der gekreuzigte Gott. Das Kreuz Christi als Grund und Kritik christlicher Theologie, München 1976 3 ; besonders Kap. VI. werden lasse. Jesus partizipiere an der Souveränität Gottes; zu fragen, wie, das hieße etwas fragen, was die Souveränität der Offenbarung, ihre Überweltlichkeit und Übergeschichtlichkeit, aufheben würde. Deshalb betont Bornkamm: Anders als die Propheten lehne Jesus jede Legitimation für sich und seine Botschaft ab; es gäbe keine Berufungsgeschichte, keinen Prophetenspruch, keinen Rückgriff auf Entrückungen und Gesichte, keine Offenbarung der jenseitigen Welt, keine Einblicke in Gottes wunderbare Ratschläge. 28 Bornkamms Interpretation - und damit die dialektisch-existentiale Jesus-Deutung in ihren Grundzügen - kann man forschungsgeschichtlich also charakterisieren als nochmalige Zuspitzung der eschatologischen Deutung seit Weiss. Gemeinsam ist die antiliberale Frontstellung, wobei Bornkamm den Vorgriff auf die reine Zukunft umdeutet in die Überweltlichkeit und Überge‐ schichtlichkeit Gottes und seiner Offenbarung. Während Weiss und die frühe Phase der Überwindung des Liberalismus also auf der Ebene der Geschichte als Bezugsbasis für Jesu Reich-Gottes-Predigt blieben und damit grundsätzlich auch in geschichtlichen, religionsgeschichtlichen und religiösen Kategorien, lässt Bornkamm, unter einem übergeschichtlichen Begriff des Reiches Gottes als der Nähe Gottes, die immer wieder an die Immanenz gebundenen Kategorien von Raum und Zeit hinter sich: Der nahe Gott ist im eschatologischen Ereignis der existentiellen Entscheidung jenseits von Zeit und Raum nahe. Somit ergibt sich: Die Bedeutung der Gegenwart wird - im Rahmen einer historischen Jesus-Darstellung! - durch die theologische Aussage der Nähe Gottes bestimmt und philosophisch als Ermöglichung von Entscheidung gefasst; sie bleibt aber religionsgeschichtlich ungedeutet. Hermeneutisch fehlt der Versuch, Jesus po‐ sitiv aus seiner Zeit heraus zu verstehen. Hatte der Liberalismus die Kategorie des Raumes aus seinem theologisch relevanten Weltbild entlassen und hatte die konsequent-eschatologische Ex‐ egese versucht, den immanenten Geschichtsprozess mit der Transzendenz des Reiches an einem rein zukünftigen Punkt kollidieren zu sehen, so löst sich die dialektisch-existentiale Interpretation ganz von einem religiösen, u.d.h. in der Anschauung von Raum und Zeit festgemachten, Bezugsfeld. Es entsteht die Gefahr, Jesus nicht wirklich geschichtlich zu verstehen; sie zeigt sich im wohl höchst zeitgebundenen und theologisch einseitigen 29 Bild vom Souverän. 30 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 30 Vgl. A. Deissmann, Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, 2. völlig neu bearbeitete und vermehrte Auflage, Tübingen 1925, S. 91 mit Anm. 1. In der 1. Auflage von 1911 sprach Deissmann auf den S. 78ff. von Ostern als der Geburtsstunde des Jesuskultes, verwendete jedoch den t.t. ‚kultgeschichtliche Methode‘ noch nicht; G.P. Wetter, Altchristliche Liturgien: Das christliche Mysterium. Studien zur Geschichte des Abendmahls (FRLANT; NF 13), Göttingen 1921, l; G. Bertram, Die Bedeutung der kultgeschichtlichen Methode für die neutestamentliche Forschung, in: ThBl, 2 (1923), 25-36; E. Troeltsch, Die Soziallehren der christlichen Kirchen und Gruppen, 2. Neudruck der Ausgabe Tübingen 1922, Aalen 1965, 58; vgl. auch G. Bertram, Neues Testament und historische Methode, Tübingen 1928, 19.20ff. 31 Vgl. F. Jeremias, Das orientalische Heiligtum, in: ΑΓΓΕΛΟΣ, 4 (1932), 56-69; J. Assmann, Zeit und Ewigkeit im Alten Ägypten. Ein Beitrag zur Geschichte der Ewigkeit, Heidelberg 1975 (AHAW.PH; 1975/ 1), 13: „Der Inbegriff des königlichen Handelns sub specie aeternitatis ist das Bauen. Die Bauwerke der Könige wollen die Ewigkeit im Diesseits und den Himmel auf Erden verwirklichen. Der heilige Ort des Gottes, den der König mit Bauwerken schmückt, ist das Lichtland auf Erden, der erlauchte Urhügel des Anbeginns, das Lichtauge des Allherrn, ja: die ‚Ewigkeit‘ (nhh), eine Stätte, von der ein König, die Lehre für Merikare zitierend, sagen konnte: ‚Dort 3. Das Ergebnis der religionsgeschichtlichen Betrachtung: Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes Wer in Hinblick auf ein historisches Verständnis von Handlung und Botschaft Jesu nach einer religionsgeschichtlich verantworteten Aufnahme der räumli‐ chen Kategorie ‚Himmel‘ und der durch sie bestimmten der Gegenwart - ‚das Reich Gottes ist nahe‘ - sucht, muss die Fragestellung der konsequenten Eschatologie und ihrer Nachfolger verlassen. Als forschungsgeschichtliche Alternative verbleibt der Ansatz der älteren religionsgeschichtlichen Forschung, die eine kultgeschichtliche Betrachtung des NT forderte. 30 Schon in unserem ersten Hinweis auf Bousset wurde deutlich, dass kultische Frömmigkeit, mit der Bousset für die hellenistische Gemeinde rechnet, an einem grundsätzlich mehr vertikalen Weltbild ausgerichtet ist. Die Kategorien des ‚Himmlischen‘ und der aus dem Bezug zum Himmlischen qualifizierten ‚Gegenwart‘ gehören zu einer kultischen Weltdeutung. Bousset dachte als religionsgeschichtliche Basis für den Christus-Kult des (hellenistischen) Urchristentums an die am Sterben und Auferstehen chthoni‐ scher Gottheiten orientierten Mysterien. Andererseits partizipiert auch der Kult in Jerusalem an der Grundlage der Kult-Symbolik des Alten Orients. Im Bau des Tempels liegt eine kosmische Symbolik, so dass vom Tempel als dem Mittelpunkt des Kosmos Himmel und Erde als die beiden Sphären kultischen Weltverständnisses ineinandergreifen. Im Tempel ist gleichsam der Himmel auf Erden, 31 hier ist der Zugang zu 31 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes zu sein ist Ewigkeit‘.“ Vgl. ferner S. 15.30.35f.40: „Der dritte Abschnitt schließlich (scil. des auf S. 38f. angeführten Textes, Verf.) ist jener Enklave der Ewigkeit in der Zeit und des Himmels auf Erden gewidmet, als welcher der alte Ägypter den Tempel ansieht … Der Tempel ‚basiert‘ auf der Ewigkeit, und von ihm ausgehend wird die Erde verwaltet und versorgt.“ 32 Zum Bereich des Judentums vgl. J. Jeremias, Golgotha und der heilige Felsen. Eine Untersuchung zur Symbolsprache des Neuen Testaments, in: ΑΓΓΕΛΟΣ, 2 (1926) 74-128; R. Patai, Man and Temple in Jewish Myth and Ritual, London 1947 (2. Aufl. New York 1967); J. Maier, Vom Kultus zur Gnosis. Studien zur Vor- und Frühge‐ schichte der ‚jüdischen Gnosis‘. Bundeslade, Gottesthron und Märkabah, Salzburg 1964, bes. 32f.35ff.101f. 131 ff.; ders., Zum Begriff י ח ד in den Texten von Qumran, in: ZAW 72 (1960) 148-166, bes. 163. 33 H. Lietzmann, Geschichte der Alten Kirche, Bd 2, 2. Aufl., Berlin 1953, 120. Gottes Heiligkeit. 32 Entsprechend schrieb Lietzmann über den urkirchlichen Gottesdienst: „Das Herz des christlichen Lebens ist der Gottesdienst der Ge‐ meinde. Da ist die Stätte, wo die Kräfte der jenseitigen Welt in die Christenheit einströmen und sie zu dem neuen Volk der Gotteskinder machen, das nicht mehr von dieser Welt ist, sondern schon hier in wundersamer Gemeinschaft mit den himmlischen Bürgern des Gottesreiches lebt.“ 33 Es ergeben sich aus dieser nur angedeuteten forschungsgeschichtlichen Konstellation für unsere Fragestellung folgende Grundprobleme: Sind eschatologisch-geschichtliches und kultisch-räumliches Denken unver‐ einbar? Steht das Kultverständnis der neutestamentlichen Gemeinde religionsge‐ schichtlich nur in Nähe zu den Mysterien oder kann man mit traditionsge‐ schichtlichem Nachwirken des Tempelkultes in Jerusalem und seiner Theologie rechnen? Ist forschungsgeschichtlich der Versuch vorgezeichnet, die Jesusfrage von der kultgeschichtlichen Betrachtung her anzugehen? Die kultgeschichtliche Betrachtung ging aus von einer Parallelisierung des urchristlichen Sakramentsgottesdienstes mit den hellenistischen Myste‐ rien-Feiern. Die Mysterienkulte bildeten sich um die Verehrung chthonischer Götter. An deren den Wechsel der Jahreszeiten ausprägendem Vergehen und Wiedererstehen will der Myste Anteil bekommen. Es geht um die Befreiung von kosmischen Kräften und um die Versicherung eines Gott-gemeinschaftlichen Lebens im Jenseits. Ist schon das griechische Denken überhaupt an einem zyklischen Geschichtsbild orientiert, so verdichtet sich dieses in den Mysterien zu einer ausgesprochen individuell-soteriologischen Grenzüberschreitung. Sie ist unabhängig vom äußeren Weltlauf jederzeit möglich, sofern der Kultus 32 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 34 Vgl. G. Haufe, Die Mysterien, in: Umwelt des Urchristentums. I, hrsg. von J. Leipoldt und W. Grundmann, Berlin 1975 4 , S. 102; vgl. G.P. Wetter, Altchristliche Liturgien (I), a. a. O., 185; differenzierter D. Sänger, Antikes Judentum und die Mysterien. Religions‐ geschichtliche Untersuchungen zu Joseph und Aseneth, Tübingen 1980, (WUNT. II/ 5), 18-147. 35 A. Deissmann, Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, Tübingen, 1925 2 , nennt unter dem Stichwort ‚Doppeltes Evangelium‘ S. XI.91.93 Harnack als Urheber; vgl. Harnack, Das Wesen des Christentums, Leipzig 1927, S. IX. 36 So W. Bousset, Kyrios Christos, a. a. O., XIV. 37 A. Deissmann, Paulus. Eine kultur- und religionsgeschichtliche Skizze, Tübingen 1925 2 , 93. mit seinem je eigenen Kairos dazu die Möglichkeit gibt. 34 Das Denken der Mysterienkulte ist uneschatologisch. Der Verweis auf die Mysterienkulte und ihre Bedeutung für die urchristliche Religion untersteht von Haus aus dem von F. Chr. Baur eingeführten Schema des doppelten Ansatzes, in dem sich die individuelle Vater-Frömmigkeit Jesu 35 bzw. die eschatologische Frömmigkeit Jesu 36 und der - auch in Bezug auf die Lehrbildung - geordnete Kult der hellenistischen Gemeinde gegenüberstehen. Die Spannung zwischen Juden- und Heidenchristen ermöglichte die Klarheit einer echten These-Antithese-Bildung. Diese Grundposition des klassischen ‚doppelten Ansatzes‘ wirkt bekanntlich nach bis hin zu Bultmanns Aufriss der Theologie des NT, ja seiner Eliminierung der zukünftig-eschatologischen Passagen im Johannesevangelium. Kommt nach dieser These mit dem an den Mysterien orientierten Christus-Kult etwas Fremdes in das Christentum hinein, das ihm himmlische, uneschatologische, mystische und christologisch-dogmatische Perspektiven erschließt, so ist die kultgeschichtliche Betrachtung in einem anderen Zweig der Forschung gerade auf eine Harmonisierung von Jesus-Evangelium und Kultfrömmigkeit ausgerichtet gewesen. „Unsere heilige Urgeschichte hat in Wirklichkeit darin ihren inneren Fortschritt, dass die durch das Evangelium Jesu entstandene messianische Bewegung mit ihrer völligen praktischen Ein‐ gestelltheit auf das nahe Weltende und die nahe Zukunft des Gottesreiches sich zuletzt als Kult historisch konsolidiert, als Kult Jesu des Herrn; anders ausgedrückt: dass das Evangelium sich umsetzt in Christentum.“ 37 Das Chris‐ tentum bildet sich nach Deissmann als Kult ‚reagierenden Typs‘, insofern der galiläische Fischer Simon durch Offenbarung am Messiasbewusstsein Jesu teilbekomme. Jesus selbst habe keinen neuen Kultus gestiftet, sondern die neue Zeit verkündet; aber durch sein gewaltiges Ich-Bewusstsein habe er gemeinschaftsbildend gewirkt und damit die Entstehung des Felsens ermöglicht, auf dem dann die Gemeinde entstand. Jesu eschatologisches Ich-Bewusstsein 33 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 38 A.a.O., 170. 39 Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930. 40 A.a.O., 38. habe als gemeinschaftsbildendes kultinitiatorische Kraft gehabt, so dass von Anfang an, schon in der apostolischen Urkirche Palästinas, der Bezug auf Jesus den Messias kultisch ausgeprägt sei, wie es sich deutlich im palästinischen Gebetsruf „Maranatha“ zeige. Mit dieser von Deissmann als organische Ent‐ wicklung postulierten Bewegung kontrastiert nun jedoch, dass der Kultus selbst in seinen Denkformen ganz aus hellenistischer Tradition stammen soll: „Das Evangelium Jesu verbindet die Anfänge unserer Religion aufs engste mit seiner Mutterreligion, dem Judentum. Der apostolische Jesuskult wirft dann, eben mit dem Kultischen, wie es ihm eigentümlich war, ein jedenfalls dem amtlichen Judentum wesensfremdes Element in den Schmelztiegel … Durch das Kultische tritt die andere der providentiellen Kräftegruppen der praeparatio evangelica in schöpferische Tätigkeit: die antike Welt der ‚Völker‘.“ 38 Deissmann behält also die grundlegende religionsgeschichtliche Herleitung des Christus-Kultes aus den Mysterien bei und bleibt damit auch bei dem theore‐ tischen Gegensatz von Kultus und Eschatologie stehen. Was nach dem klassischen ‚doppelten Ansatz‘ des Evangeliums sauber auf zwei Gemeinde-Typen und Epochen verteilt wurde, erscheint hier als bereits im palästinischen Christentum verschmolzen. Deissmann baut dabei auf zwei Voraussetzungen: Jesu messiani‐ sches Ich-Bewusstsein wirke gemeinschaftsbildend und dadurch kultinitiatorisch; ferner sei Palästina zur Zeitenwende bereits so stark hellenisiert, dass man auch hier die jenseits des Judentums stehenden, hellenistischen Kultformen gekannt habe. Kultus und Eschatologie bleiben also religionsphänomenologisch in einem Gegensatz, der im NT ausnahmsweise überwunden werde. Auch A. Schweitzer ist um eine Versöhnung der angeblichen Gegensätze Eschatologie und kultische Mystik bemüht. 39 Die Mystik des Apostels Paulus, die er zentral in der Aussage des ‚Seins in Christo‘ findet, gründe in der Eschatologie Jesu und in der der vorpaulinischen Gemeinde. „Die Eschatologie unternimmt ja die Aufhebung der Transzendenz. Sie lässt die natürliche Welt durch die übernatürliche abgelöst werden und dieses Ereignis in dem Sterben und Auferstehen Jesu seinen Anfang nehmen. Ist es da nicht denkbar, dass einer spekulativen, in eschatologischer Erwartung glühenden Betrachtungsweise die beiden Welten für den Augenblick, in dem sich die unmittelbar einsetzende Ab‐ lösung vorbereitet, ineinandergeschoben erscheinen? “ 40 Durch die brennende Naherwartung erscheinen also diese und die zukünftige Welt gleichsam als obere und untere auf einander zugeschoben, so dass die eschatologische Nah‐ erwartung der zukünftigen Welt sich realisiere als mystisches Eindringen 34 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 41 A.a.O., 18. 42 A.a.O., 11-13.21. 43 A.a.O., 85-90. 44 A.a.O., 91. 45 A.a.O., 97f. 46 A.a.O., 369. 47 K.L. Schmidt, Eschatologie und Mystik im Urchristentum, in: ZNW 21 (1922), 277-291. 48 A.a.O., 288f. 49 A.a.O., 290: „Im Urchristentum lag von vornherein das Hinstreben zum synkretistischen Hellenismus.“ in die zukünftige als obere Welt. Die Sakramentsmystik des Paulus sei also eine Zuspitzung der alten Eschatologie Jesu. Dieser Prozess, dass Mystik aus eschatologischer Erwartung entsteht, ist auch für Schweitzer etwas religions‐ geschichtlich Einmaliges. 41 Zwar kommt die Sakramentsmystik des Paulus in auffällige Analogie zur Mystik der hellenistischen Mysterienreligionen, doch hängt für Schweitzer an dieser religionsgeschichtlichen Analogie nicht viel, da Paulus den Symbolismus der Mysterien nicht aufnehme und eben im Gegensatz zu den Mysterien eschatologisch denke. 42 Eine gewisse religionsgeschichtliche Vorläuferschaft für die paulinische Verschmelzung von Eschatologie und Mystik sieht Schweitzer in den Apokalypsen Baruch und Esra, die die prophetische Messias- und die apokalyptische Menschensohnerwartung zur Abfolge zweier Epochen ordneten. 43 Paulus übernehme diese doppelte Eschatologie, die er aber im Sinne einer einmaligen Lehre der doppelten Auferstehung umforme: Auch die Teilhaber am vorübergehenden messianischen Reich seien bereits, sakramental, in der Seinsweise der Auferstehung. 44 Zum Teilhaber an dem messianischen Reich Christi werde man im sakramentsmystischen Zustand des Seins in Jesus, der Lebende und Verstorbene von der übrigen Welt seinsmäßig trenne. 45 „Erlöst sind für ihn die Gläubigen dadurch, dass sie in der Gemeinschaft mit Christo durch ein geheimnisvolles Sterben und Auferstehen mit ihm schon in der natürlichen Weltzeit in den übernatürlichen Zustand eingehen, in dem sie im Reich Gottes sein werden.“ 46 Über Deissmann und Schweitzer hinaus hat K.L. Schmidt den Versuch unternommen, Mystik und Eschatologie einheitlich zu verstehen und diese Verbindung auf Jesus zurückzuführen. Beides gehöre von Anfang an zusammen: Vom Täufer bis zur Joh. Apok. sei die neutestamentliche Gemeinde eschatolo‐ gisch ausgerichtet. 47 Ja, von Jesus bis zur Joh. Apok. sei zugleich eine visionäre und mystische Bezugnahme auf das Himmlische gegeben. 48 Schmidt bleibt in der religionsgeschichtlichen Analyse dennoch dabei stehen, dass grundsätzlich die mystischen Elemente zum hellenistischen Charakter des Urchristentums gehörten. 49 Dass beide Elemente ineinandergriffen, ja dass sogar schon Jesus 35 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 50 G. Bertram, Neues Testament und historische Methode. Bedeutung und Grenzen historischer Aufgaben in der neutestamentlichen Forschung, Tübingen 1928 (SGV 134), 20. 51 A.a.O., 10 f. 20. 52 A.a.O., 38. Ähnlich A. Deissmann, Paulus, a. a. O., 97; E. Lohmeyer, Urchristliche Mystik. Neutestamentliche Studien, Darmstadt 1958 2 , 11 f.; K.L. Schmidt, Theologie und Religion, Wissenschaft und Leben, in: ThBl 1 (1922) 1-4. 53 A.a.O., 33. 54 Vgl. ders., Die Leidensgeschichte Jesu. Eine formgeschichtliche Untersuchung, Göt‐ tingen 1922 (FRLANT N. F. 15), S. 5. Vgl. auch ders., Die Himmelfahrt Jesu vom Kreuz aus und der Glaube an seine Auferstehung, in: Festgabe f. A. Deissmann, Tübingen 1927, 187 ff. Dieser Aufsatz erschließt die Möglichkeit, eine alte Tradition der Entrückung vom Kreuz aus zu entdecken und damit im Anfang der für das Christentum entscheidenden Traditionsbildung eine kultisch-mystische Deutung des Todes Jesu als Zusammenschau von Irdischem und Himmlischem wirksam zu sehen. Vgl. dazu auch H. Schrade, Zur Ikonographie der Himmelfahrt Jesu, in: VBW 1928/ 29, erschienen Leipzig/ Berlin 1930, 66-190. jenseits von Eschatologie, Ethik und Mystik stünde, ist religionsgeschichtlich für Schmidt nicht weiter zu erhellen. G. Bertram ist innerhalb der kultgeschichtlichen Betrachtung des NT unter geschichtsphilosophisch-methodischen Aspekten zu einer Kritik des Histo‐ rismus gekommen: Eschatologische Erwartung und gegenwärtiger Heilsbesitz lägen für die urchristliche Kultgemeinde ineinander. 50 Bertram konfrontiert dieses zugleich eschatologische und mystische Geschichtsempfinden mit un‐ serem landläufigen, rationalistischen Geschichtsverständnis, das in begriffli‐ chen Gegensätzen und in einem diachron-teleologischen Entwicklungsdenken sich bewege. 51 Mit der kultgeschichtlichen Betrachtung ist aber nach Bertram durch den ihr vorgegebenen Gegenstand eine ‚Übernatürliches‘ einschließende Geschichtskonzeption gefordert, da rational-immanenter Historismus den stän‐ digen Bezug zum Himmlischen nicht aufnehmen könne. 52 Bertram scheint diese Verbindung von Eschatologie und Mystik und damit das Zusammenfallen von Aspekten, die normaler historischer Betrachtung auseinanderfallen, letztlich hermeneutisch im lebensphilosophischen Sinne zu verstehen: Es sei in dieser Verbindung enthalten ein Hinweis der Urgemeinde, ja Jesu selbst, auf die Uner‐ gründlichkeit und das Geheimnis des eigentlichen Lebensprozesses. 53 Da wir auf Bertrams kultgeschichtliche Jesusdeutung unten nochmals eingehen werden, halten wir als Eigenart der Bertram’schen Betrachtung fest seinen Hinweis auf die phänomenologisch konstatierbare Eigenart, dass kultische Reflexion der Ge‐ meinde in ihrem transzendenten, mystischen Zug die Immanenz, die diachrone Teleologie und die rationale Verkettung der Ereignisse aufbreche. 54 Diesen Zusammenhang von Eschatologie und Mystik im Kultus bestimmt Bertram 36 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 55 Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, Göttingen 1964 3 , 96-99. 56 Das Problem der Entstehung des Christentums, in: Archiv für Religionswissenschaft XVI (1913), 451. nicht eigentlich religionsgeschichtlich. Er will die Gegenüberstellungen in der ‚normalen‘ Forschung (Bousset, Heitmüller, Bultmann) durch einen der inneren Gesetzmäßigkeit kultischen Denkens abgelauschten Begriff höherer Einheitlichkeit überwinden. Dabei begreift er den urchristlichen Kult nicht als religionsgeschichtlich abgrenzbares Phänomen, sondern als Grund und Ausdruck der psychologischen Einstellung der Gläubigen. Einen Ansatz zur Überwindung des Gegensatzes von eschatologischer und kultischer Frömmigkeit hat nicht zuletzt J. Weiss aufgewiesen. Schon in der 2. Aufl. von „Jesu Predigt vom Reiche Gottes“ nennt er neben der Eschatologie stehende religiöse Grundmotive, die für die Gegenwart Erfüllung vom Himmel her bedeuten. 55 In seiner 1913 veröffentlichten Untersuchung zum Problem der Entstehung des Christentums deutet Weiss auf die Religion der Synagoge hin, welche in Gebeten und Schriftlesungen den Glauben an Gottes gnädige Nähe zum Ausdruck bringe und eine, in gewisser Weise, sogar mit Heil gefüllte Gegenwart für den Frommen erschließe. „Aber, wie gesagt, schon lange vor der Entstehung des Christentums hat dieser eschatologischen Stimmung eine Gegenwartsfrömmigkeit entgegengewirkt, die streng genommen zu ihr in Wi‐ derspruch steht. Denn wer schon im gegenwärtigen Leben die Hilfe und Gnade Gottes erfährt und auf sie vertrauen gelernt hat, der hat damit den metaphysi‐ schen Dualismus und die Spannung auf die Zukunft im Grunde überwunden.“ 56 Weiss leitet diese Beobachtung, die ihm dann auch für das Verständnis der Urgemeinde und Jesu wichtig wird, aus der Synagogenfrömmigkeit ab. Er weist damit auf einen wesentlich anderen kultgeschichtlichen Hintergrund für die Verbindung von Eschatologie und Mystik hin: Hinter der Synagoge wird die Frömmigkeit der Tempelgemeinde sichtbar. Die kultgeschichtliche Betrachtung als ein Fundament der Formgeschichte hat offenbar in ihrer ersten Blütezeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts die innere Dynamik entwickelt, den Gegensatz von Eschatologie und Mystik zu entschärfen und für die Urgemeinde und Jesus sogar als in nuce aufgehoben zu postulieren. Der eschatologische ‚Ausbruch‘ bei den ‚Konsequenten‘, den J. Weiss und A. Schweitzer selbst mit der urchristlichen Kultmystik in Einklang zu bringen suchten, hat im Wesentlichen über Bultmann die folgenden Jahrzehnte neutestamentlicher Forschung in Deutschland bestimmt. Dieser von Bousset und Bultmann gegen den Hauptteil der kultgeschichtlichen und formgeschicht‐ lichen Betrachtung des NT durchgehaltene Gegensatz von Eschatologie und Kultmystik hatte auf seiner Seite die angeblich rein hellenistische Basis des 37 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 57 J. Jeremias, Golgatha, in: ΑΓΓΕΛΟΣ, 2 (1926), 74-128. 58 A.a.O., 74-80. 59 A.a.O., 82. 60 A.a.O., 78 f.-90. urchristlichen Kult- und Sakramentsverständnisses und die Logik des älteren Baur-Harnack’schen Geschichtsverständnisses der dialektischen Entwicklung. Es bleibt aber festzuhalten, dass die genannte kult- und formgeschichtliche Forschung zu einem theologisch, christologisch und historisch wesentlich einheitlicheren Bild des NT tendierte, welches im Urchristentum von Anfang an ‚Mystik‘ als Umgang mit dem Himmlischen neben die eschatologische Erwartung stellte und beide in einem sich gegenseitig verstärkenden und durchdringenden Verhältnis sah. Diese Tendenz zur Überwindung des angeblichen Gegensatzes von Kultus und Eschatologie konnte aber solange nicht zu dem gewünschten Ziel kommen, als es nicht möglich war, für die kultischen Elemente des Urchristentums eine religionsgeschichtliche Basis zu finden, die nicht von vornherein mit dem Problem des ‚doppelten Ansatzes‘ belastet war. In dieser Situation bedeutete es einen großen Fortschritt, die eigene kultische Tradition des palästinischen Judentums und damit auch des palästinischen Urchristentums wahrzunehmen, den Tempelkult Jerusalems. Auch der jüdische Kult enthält eine ausgesprochen räumliche, himmlische Dimension, die das Leben des Kultteilnehmers mit dem im Tempel anwesenden Herrn zu verbinden verspricht. In dieser Geschlossenheit wohl als erster untersuchte J. Jeremias die mit der Kreuzigungsstätte verbundenen und aus der Jerusalemer Tempeltheologie stam‐ menden und teilweise bereits in der Jesustradition wirksamen Kultsymbole. 57 Jeremias wies auf die Tradition, wonach Adam, der Urmensch, vom Tempel aus erschaffen, in ihm auch beerdigt sei und man nunmehr seinen Schädel unter dem Kreuz Jesu begraben denke. 58 Der Kultort bilde in der Tempeltheologie die Mitte der Erde, zugleich ihren höchsten Punkt, der in den Himmel hineinrage, ja zugleich Eingang in das Erdinnere sei: Golgatha als Nachfolgegröße des Zentralheiligtums übernimmt nach Jeremias diese kosmischen Kennzeichen. 59 Auf Golgatha übertragen werde auch die jüdische Tradition, wonach am Brandopferaltar des Tempels die ‚Opferung Isaaks‘ stattgefunden habe, an dem Ort, wo zuvor der Hohepriester Melchisedek amtete. 60 Am heiligen Felsen als der kosmischen Mitte liege danach der Ausgangspunkt der kosmischen und geschichtlichen Entwicklung. Er ist der Punkt, von dem her die creatio continua sich vollziehe und auf den hin die Geschichte ihren eschatologischen 38 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 61 A.a.O., 80ff. 62 A.a.O., 93f.100. 63 A.a.O., 107. 64 A.a.O., 103ff. 65 A.a.O., 91. 66 A.a.O., 92f. 67 A.a.O., 117ff. 68 A.a.O., 120ff. 69 A.a.O., 108ff. Zielpunkt nehme. 61 Es sei klar, dass von diesem einzigartig qualifizierten Ort her Offenbarung geschehe, ja, dass Aufsteigen auf den Stufen des Altars am heiligen Felsen Aufstieg in den Himmel bedeute. Dieser kosmische Punkt sei zugleich himmlischer und irdischer Ort. 62 Insonderheit die Opferung im Tempel sei Offenbarungszeit. 63 Beim Felsen beginne die Wohnung der Himmlischen, beginne der Thron Gottes, unter dem das Paradies liege. 64 Als Offenbarungsort und Stätte der kosmischen Erhaltung sei der heilige Fels der Möglichkeit und Gefahr magischer Einwirkung ausgesetzt, war doch auf ihm der heilige Gottesname eingeschrieben. 65 Nach Jeremias darf betont werden, dass dies in gewissem Sinne statische Weltbild des durch den heiligen Felsen festgemachten Kosmos, an dem Himmel und Erde sich berühren und die Gemeinde mit den Himmlischen zum Gottesdienst zusammenkommt, gerade auch die Dimension der Geschichte aufnimmt, nämlich Protologie und Eschatologie, sowie die auf beide bezogene Offenbarung einer Neuschöpfung, vermittelt. 66 Jeremias sieht in Lk 20,17f. Anklänge an diese Tempelsymbolik: Jesus sei der Schlussstein im himmlischen Heiligtum; 67 nach Joh 7,37-40 sei Jesus Spender des kultischen Lebenswassers, das mit dem Heiligen Geist segnet. Das Laubhüt‐ tenfest mit seinem kosmisch-magischen Wassersegen habe sich in Christus gleichsam zum himmlischen Urbild und zur eschatologischen Vollendung er‐ hoben. 68 Schließlich sei nach Mt 16,16-18 Petrus zum unzerstörbaren Felsen der neuen, ganz im Einklang mit der himmlischen Gemeinde stehenden ἐκκλησία bestimmt, deren Halacha zugleich die der Himmlischen sei. 69 Jeremias deutet so bestimmte Züge der Jesustradition als himmlische und eschatologische Vollendung der Kultsymbolik des Jerusalemer Heiligtums. Das Verdienst dieser Arbeit besteht nicht so sehr im christologischen Teil, sondern im Aufweis der Wirksamkeit der Kultsymbolik des Judentums, ja der Wirksamkeit eines gefestigten, kultischen Weltbildes und damit der im Judentum liegenden Mög‐ lichkeiten einer kultischen und, in gewisser Weise, ‚mystischen‘, ‚ekstatischen‘, ‚magischen‘ Erschließung des himmlischen Hintergrundes, ja der Möglichkeit einer intensiven religiösen Qualifizierung der Gegenwart. 39 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 70 Die Spiritualisierung der Kultusbegriffe Tempel, Priester und Opfer im Neuen Testa‐ ment, in: ΑΓΓΕΛΟΣ, 4 (1932), 70-230. 71 A.a.O., 71. 72 A.a.O., 71f. 73 A.a.O., 72.74f. 74 A.a.O., 73. 75 A.a.O., 88f. 76 Obwohl Wenschkewitz die Prinzipien des do ut des und des ex opere operato durch den Hinweis auf die Stiftung des Kultus durch Gottes Offenbarung einschränkt, ist grundsätzlich die Anwendung dieser Kategorien für das alttestamentlich-jüdische Opferverständnis fraglich; vgl. zur weiteren Diskussion B. Janowski, Sühne als Heils‐ geschehen. Studien zur Sühnethologie der Priesterschrift und zur Wurzel KPR im Alten Orient und im Alten Testament (WMANT; 55). - Neukirchen 1982, bes. 350-362. 77 Vgl. zur Frage einer angeblichen Spiritualisierung der alttestamentlichen Kultreligion durch die Propheten H.J. Hermisson, Sprache und Ritus. Zur Spiritualisierung der Kultbegriffe im Alten Testament, Neukirchen 1965 (WMANT 19) bes. 24-28. 147-153. G. Klinzing, Die Umdeutung des Kultus in der Qumrangemeinde und im Neuen Testament, Göttingen 1971 (StUNT 7), 143-147, untersucht die Frage, ob der Begriff ‚Spiritualisie‐ rung‘ nicht unlöslich mit den Motiven ‚Verinnerlichung‘, ‚Höherwertigkeit‘ verbunden sei, Implikationen, die historisch für die Kult-Umdeutungen im Judentum und Neuen Testament nicht vorausgesetzt werden dürfen. Für die religionsgeschichtliche Neubestimmung der kultischen und ‚mys‐ tischen‘ Phänomene des Urchristentums weniger bedeutsam, jedoch wegen ihrer Geschlossenheit hier zu nennen, ist die 1932 erschienene Arbeit von H. Wenschkewitz über die Spiritualisierung der Kultbegriffe. 70 Wenschkewitz geht von einem weiteren Kultbegriff der gesamten spätantiken Welt aus, für den das 'da ut des' Grundlage des Opferverständnisses sei. 71 Hier liege ein Gegensatz zum ethischen Gottesbegriff, man denke grundsätzlich an eine Wirksamkeit ex opere operato. 72 Im Judentum stünde dieses Opferverständnis im Gegensatz zum sittlich-religiösen Pathos der klassischen Propheten. 73 Mystik könne wohl aus dem Kult herauswachsen, aber durch ihre spiritualisierende, freiere und direktere Gottesbeziehung nähme sie eine gebrochene Stellung zum Kultus. 74 Mystik verinnerliche Religion: Der Gott der Mystik wohne nicht mehr im Tempel, sondern im Herzen. Mit der spiritualisierenden Tendenz der spätantiken Zeit hinge zusammen, dass der Kultus z. Zt. des Neuen Testaments nicht mehr zentrale Institution sei; im Judentum seien ja entsprechend die Essener tempellose Fromme. 75 Diese hier zusammengestellten Einzelanschauungen über die Phänomene, deren Spiritualisierung Wenschkewitz untersucht, ja deren Bedeutung für ihn weitgehend an ihrer Spiritualisierungsfähigkeit hängt, sind, zumindest in der späteren Diskussion, kontrovers 76 und weisen seinen Einsatz in eine bestimmte theologische Programmatik. 77 Beachtlich ist jedoch, dass Wenschkewitz für das 40 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 78 Vgl. Kl. Koch, Ratlos vor der Apokalyptik, Gütersloh 1970, 35-37. 79 A.a.O., 93 ff. 107. 80 J. Neusner, The Formation of Rabbinic Judaism: Yavneh ( Jamnia) from A.D. 70 to 100, in: ANRW 19/ II, Berlin/ N.Y. 1979, 3-42, bes. 18 ff. Vgl. auch unten S. 92f. 81 Wenschkewitz, a. a. O., 95f. 82 A.a.O., 90-92. 83 A.a.O., 99.151.229f. 84 A.a.O., 152. 85 A.a.O., 166f. 86 Ebd. Neue Testament nicht einfach die ‚Propheten-Anschluss-Theorie‘ 78 aufnimmt, sondern den Kultus als Basis von Substitutionsmöglichkeiten ernst nimmt. Schon für die Zeit vor der Tempelzerstörung, erst recht danach, entdeckt Wenschkewitz verschiedene Versuche, das Anliegen des Kultus zu verdichten: Bei den Rabbinen ersetze das Tora-Studium den Kultus und schaffe so Gnade in der Welt, 79 ein Gedanke, den auch Neusner zur Grundlage des Verständnisses der rabbinischen Tradierung der Kultgesetze gemacht hat. 80 Dazu treten Gebet und andere fromme Leistungen an die Stelle des Opfers. Da Wenschkewitz Opfer hauptsächlich als menschliche Leistung versteht, entsteht durch diese Art der Substituierung kein Problem: Menschliche Leistung wird durch menschliche Leistung ersetzt, wenngleich Wenschkewitz andeutet, dass in beiden Gliedern sich Entsprechung zu einer göttlichen Offenbarung zeigen müsse. 81 Diese rabbinische Art der Substituierung sei zu unterscheiden von echter Spi‐ ritualisierung, da die Rabbinen ja auch mit einem wunderbaren Wiederaufbau des Tempels rechneten. 82 Spiritualisierung hebt nach Wenschkewitz auf eine re‐ ligiös höherstehende Ebene, während Substitution das Fundament des Substitu‐ ierten, die Tora, im Grund nicht verlässt. 83 Die Spiritualisierung der Kulttradition zeige sich im Neuen Testament, im Gegensatz zur Zwischenschaltung der Tora bei den Rabbinen und einer stoischen Philosophie bei Philo, darin, dass Jesus aus seiner Gottunmittelbarkeit ordnend und vermittelnd in das Gottesverhältnis des Glaubenden eingreife. Seine Gottunmittelbarkeit trage seine geläuterte, in ethischem und sittlichem Sinne vertiefte Kultusfrömmigkeit. Es geht um eine Frömmigkeit, die Motive des Kultus - Vermittlung von Gnade - aufnehme und so prinzipiell den alten Kultus überwinde. 84 Diese Gottunmittelbarkeit, die ἐξουsία Jesu, sei nicht weiter bestimmbar, äußere sich aber am ursprünglichsten darin, dass Jesus sich und sein Werk in das Licht von Jes 53 stelle. 85 Jesus sei im Lichte von Jes 53 zwar kein Opfertier und sein Tod geschehe nicht rituell, aber der Sühnegedanke in seiner Objektivität verbindet Jesus nach Wenschkewitz mit dem Opferkult im Jerusalemer Tempel. 86 41 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 87 A.a.O., 8. 88 Christian Myth and Ritual. A Historical Study, 1973 2 (1. Aufl. 1933); vgl. ders., Sacrifice and Sacrament, 1962. Zur Bedeutung von James vgl. H. Riesenfeld, Art. ‚Kultgeschicht‐ liche Methode und NT‘ in: RGG 3 , IV, 92f. 89 Christian Myth, 301. 90 Ebd. 91 Christian Myth, 313f. 92 Christian Myth, 316. 93 Ebd. Religionsgeschichtlich bzw. im engeren Sinne historisch untermauert Wenschkewitz diese These nicht. Jesu Beziehung zum Kult bleibt einerseits etwas Singuläres, entspricht aber anderseits dem Trend der Spätantike. Es geht um das Bemühen um Sittlichkeit und um eine von äußerlicher Ritualität befreiten Geistigkeit. 87 Sah Jeremias den Zweck der Rezeption von Motiven der Kulttheologie in dem Anspruch, mit der Opferstätte Jesu nun den Himmel und Erde verbindenden kosmischen Knotenpunkt zu verwalten, stützt sich Wenschkewitz auf den geistesgeschichtlichen Trend der Spätantike, den kultischen Vollzug zu spiritu‐ alisieren. Das Kultverständnis des Neuen Testaments partizipiere daran. Einen nochmals anderen methodischen Einsatz wählt E.O. James. 88 Er arbeitet mit dem orientalischen ‚cult-pattern‘ der nordischen Schule, welches um die Figur des Königs als Mittler zwischen Gottheit und Menschheit kreist und in seinem Tod und Auferstehen rituell-magische Mitbegründung kosmischer Ordnung findet. “Thus, the dead and resurrection drama in its crudest form was a mystery play on the theme ‘Out with famine, in with health and wealth’, in which the king, or his heavenly counterpart, was the principal actor, and the story of creation was re-enacted as part of the ritual struggle.” 89 Da das Judentum den unmittelbaren Hintergrund für das NT abgebe, seien die im nachexilischen Judentum mit der Figur des Königs verbundenen kultisch-kos‐ mischen Traditionen für das Verständnis der neutestamentlichen Christologie heranzuziehen. 90 Nachdem die Hoffnung auf die davidische Lösung sich mit der kultischen Restituierung nach dem Exil als unmöglich erwiesen habe, schaute man auf eine direkte Intervention vom Himmel, die sich in der makkabäischen Zeit in der Figur des Menschensohnes als des Urmenschen, darin alte Königsmythologie aufnehmend, verdichtet habe. 91 Jesus setze mit dem anderen im Judentum nach dem alten cult-pattern entworfenen idealen Königsbild ein, dem deuterojesajanischen Gottesknecht. 92 Er verbinde seine gegenwärtige königlich-kultische Opfer-Erniedrigung mit seiner zukünftigen himmlischen Erhöhung als Menschensohn. 93 Die christliche Heidenmission stoße sofort auf andere Ausläufer des alten hero-pattern und ersetze die älteste 42 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 94 Christian Myth, 321. 95 Auf S. 319 in ‚Christian Myth‘ springt James von Ezechiel zu Paulus, S. 317 von Jesus zur hellenistischen Christenheit. 96 Th. Arvedson, Das Mysterium Christi. Eine Studie zu Mt 11,25.30, Uppsala 1937 (AMNSU; VII). 97 A.a.O., 36 ff. 75f. 98 A.a.O., 36. 99 A.a.O., 107. 100 Psalm 22 und das Neue Testament. Der älteste Bericht vom Tode Jesu und die Entste‐ hung des Herrenmahls, in: ZThK,65 (1968), 1-22. Ebed-Menschensohn-Christologie durch den Kyrios-Begriff. 94 James lenkt damit den Blick der kultgeschichtlichen Betrachtung des NT weg vom Fixpunkt der älteren Forschung in den hellenistischen Mysterien. Wie das palästinische Judenchristentum diese alte Jesustradition kultisch genutzt haben soll, kann man nur spekulativ folgern. 95 Religionsgeschichtlich einen ähnlichen Weg wie James geht Arvedson. 96 Die altorientalische kultische Gattung des Dankopfers (הדות) findet er auch im AT, vor allem jedoch in den hellenistischen Mysterien, die die älteren Vegetations‐ mythen des Ostens aufnähmen und die kultischen Ausdrucksformen des Ostens übernähmen. 97 Die ältere kultisch-räumliche Dialektik von Leben und Tod schlüge in den Mysterien um in eine gnostische von himmlischer und irdischer Existenz. 98 Da die Jesus-Tradition sich in Mt 11,25-30 formgeschichtlich an die Todah-Gattung anlehne, spreche Jesus im ersten Teil zwar scheinbar von seiner Würde analog der eines altorientalischen Königs; da er im Folgenden aber die Umsetzung der königlichen Inthronisation - ein angeblich klassischer Fall für die Darbringung einer Todah - in die Selbstverkündigung eines hellenistischen Mystagogen voraussetze, sei der ganze Zusammenhang Mt 11,25-30 als Liturgie eines hellenistischen Mysteriums der Inthronisation des erlösten und erlö‐ senden Offenbarers zu verstehen. 99 Den Fortschritt zu einer auch traditionsgeschichtlich abgesicherten, nicht nur religionsgeschichtlich konstruierten Einbindung des Neuen Testaments und der Jesustradition in die alttestamentlich-jüdische Kultgeschichte zeigen die Arbeiten von H. Gese. Wegen der starken Berührung mit Thesen von Arvedson fügen wir hier den Hinweis auf Geses grundlegenden Aufsatz über „Ps 22 und das Neue Testament“ 100 ein. Auch Gese rechnet mit einer kultgeschichtlichen Kontinuität zwischen Altem und Neuem Testament, insofern Jesus und der palästinischen Gemeinde Kultbräuche des zweiten Tempels selbstverständlich bekannt waren. Jesus deutete seinen ihm bevorstehenden Tod im Rahmen der Feier einer Todah, eines Dankopfers, und stiftete in diesem Rahmen das Abendmahl. 43 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 101 A.a.O., 20. 102 A.a.O., 13. 103 A.a.O., 17. Wenn Gese das urchristliche Abendmahl kultgeschichtlich an die Todah anbindet und dann methodisch ein ‚kultätiologischer‘ Übergang zum Leben des Irdischen erschlossen wird, so ist von vornherein eine erst hellenistische Entstehung des Abendmahls und eine Deutung im Sinne der Mysterien ausge‐ schlossen. Vom Alten Testament herkommend, bedarf es weder der schwer zu beweisenden ursprünglichen Identität des Herrenmahls mit dem Passa noch der Annahme, dass die vorpaulinische hellenistische Gemeinde das wesentliche, schöpferische Element der neutestamentlichen Traditionsbildung darstelle. Vielmehr musste nach alttestament‐ lichen Maßstäben auf die Erfahrung der Auferstehung hin notwendig die Feier der Todah vollzogen werden, ja, die Verkündigung der Auferstehung kann vollständig, d. h. als Erfahrung der Auferstehung, nur in dem Todah-Mahl vollzogen werden. 101 Die Feier der Auferstehung gemeinsam mit dem Auferstandenen, die Erfah‐ rung ihrer Wirklichkeit, vollzieht sich also nicht im Rahmen einer helle‐ nistischen Kultmystik, sondern ist Kennzeichen alttestamentlich-jüdischen Verständnisses von kultisch vermittelter, himmlisch-irdischer Wirklichkeit. Bestimmte Psalmen, so der von Gese untersuchte 22., enthielten geradezu eine apokalyptische Theologie, die vom Einbruch der βασιλεία τοῦ θεοῦ als Errettung vom Tode wisse. 102 Diese kult-apokalyptische Theologie einer βασιλεία-Frömmigkeit sei getragen vom Bekenntnis zur Teilhabe am Leben aus den Toten, die herrühre aus der Erfahrung des Einbruchs der βασιλεία aus dem Himmel in die vom Christus neu qualifizierte irdische Wirklichkeit der Gemeinde. Die apokalyptische Eschatologie der urchristlichen Kultgemein‐ schaft wurzele letztlich in alttestamentlicher Kultspiritualität, welche Jesus in seinem Tod am Kreuz an die Wirklichkeit eschatologischen Lebens aus den Toten gebunden habe. „Derjenige, der diese βασιλεία in seinem Leben verkündet hat, führt sie in seinem Tod herbei …“ 103 Wir stoßen auf den Versuch, Kultus und Eschatologie, ja Kultus und Apo‐ kalyptik, Erwartung eschatologischen und Erfahrung himmlischen Lebens als Einheit zu sehen. Die Differenzierungen der älteren Forschung zwischen Escha‐ tologie und Kultus und die daraus resultierende Konstruktion eines doppelten Ansatzes werden hier grundsätzlich in Frage gestellt. Ganz deutlich ist auch, dass in dieser von Gese beschriebenen kultischen βασιλεία-Verkündigung und -Erfahrung ein raum-zeitliches Konzept von Es‐ 44 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 104 E. Lohmeyer, Kultus und Evangelium, Göttingen 1942. 105 A.a.O., 12. 106 A.a.O., 13. 107 A.a.O., 12. 108 A.a.O., 14f. 109 A.a.O., 22. 110 Ebd. 111 A.a.O., 16 f., gegen Bousset, Religion des Judentums, 108 ff., bes. 117. 112 A.a.O., 16.21. 113 A.a.O., 21. 114 A.a.O., 19-21. chatologie entsteht: Sie ist himmlische Größe, deren kultische Vermittlung zugleich auf die eschatologische Totenauferstehung verweist. Da nach Gese Jesus das Abendmahl als Erfahrungsrahmen und Vermittlung der Realität seiner Auferstehung gestiftet hat, wird von diesem kultgeschicht‐ lichen Ansatz her ein Zugang zum Zentrum der Jesustradition sichtbar. Die βασιλεία-Verkündigung Jesu bildet gleichsam die Konstante in der Traditions‐ geschichte; Jesus selbst rezipiert die kultisch-apokalyptische βασιλεία-Theo‐ logie der Psalmen und gibt sie seiner Gemeinde in der eschatologisch realisierten Form einer Feier seines Todes und seiner Auferstehung weiter. In seiner auf akademische Vorträge in Schweden zurückgehenden Untersu‐ chung ‚Kultus und Evangelium‘ legt E. Lohmeyer 1942 eine Programmschrift vor, die konsequent auf die Bedeutung der Kulttheologie des 2. Tempels für das Verständnis der Jesustradition hinweist. 104 Lohmeyer geht aus von einem damals in Deutschland nicht häufig anzutreffenden, in der nordischen Schule entwickelten, positiven Kultusbegriff. Kultus gründe auf Offenbarung Gottes 105 , er sei Gnadeninstitution 106 , durch die sich Gott binde, eine Ordnung der Ent‐ sühnung und Neuschaffung 107 ; wie Jeremias weist Lohmeyer dem Kultus eine Kosmos und Geschichte ordnende Funktion zu. In ihm laufen Protologie und Eschatologie zusammen; 108 der Kultus als Tat Gottes am Menschen eröffne eine Spannung zur Lebenserfahrung des Einzelnen und zur Geschichtserfahrung Israels und treibe so die Geschichte in die Perspektive der eschatologischen Verwirklichung einer Befreiung von Sünde, Tod und Teufel. 109 Lohmeyer stößt zu der forschungsgeschichtlich bemerkenswerten These vor, dass aus dem Kultus die Apokalyptik erwachse. 110 Der Kult als Gnadenordnung und Zentrum der Geschichtsvermittlung stehe über dem Gesetz, welches ihm nur zudiene. 111 Das „Spätjudentum“ sei nicht so sehr Religion des Gesetzes als vielmehr Religion des Kultes. 112 Der Kultus erschließe Israel eine gegenwärtige, lebendige Bezie‐ hung zum Vater im Himmel, 113 ja gewähre Gemeinschaft mit der himmlischen Gemeinde. 114 45 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 115 A.a.O., 26f. 116 A.a.O., 28ff. 117 A.a.O., 28f. 118 A.a.O., 72ff.109. 119 A.a.O., 88.93.103f. 120 A.a.O., 33ff.44.49ff.77., bes. 119. 121 G. v. Rad, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Leben‘ in der Kultsprache der Psalmen, in: Festschrift A. Bertholet, hrsg. v. W. Baumgartner u. a., Tübingen 1950, 418-437. 122 A.a.O., 42; mit Hinweis auf Mowinckel, Psalmenstudien VI, 8ff. 123 A.a.O., 426. Lohmeyer bringt zum Ausdruck, dass kultische Heiligkeit und sittliche Vollkommenheit nicht gegeneinander ausgespielt werden dürfen, sondern im Kultus immer auf einander bezogen sind. Es bleibe darin aber eine Spannung, in der der Kultus auf die eschatologische Neuschöpfung weise. 115 Die ältere prophetische Kultkritik habe auch nicht auf sich selbst gestanden, sondern komme aus der eschatologischen Perspektive, in der der Kultus selbst seine Vollendung schaue. 116 Z. Zt. des Neuen Testaments seien alle religiösen Bewe‐ gungen aus dem Kult selbst kommende Beerbungs- und Umsetzungsversuche. 117 Lohmeyer macht vor diesem Hintergrund Ernst mit der alten exegetischen Be‐ obachtung, dass die Aussage von Gottes Königtum eine kultische Tradition sei: Der Reich-Gottes-Begriff in Jesu Verkündigung ziele auf das himmlische Haus Gottes. 118 Die christlichen Sakramente seien eschatologische ‚Aufhebungen‘ der Opfer, insofern sie eschatologisch wirksam von den zuvor kultisch angegan‐ genen Negativ-Größen Sünde, Tod und Teufel befreiten. 119 Lohmeyer kommt vor diesem Hintergrund zu einem stark hochpriesterliche Züge tragenden Jesusbild, 120 wie wir unten entfalten werden. Hier bleibt festzuhalten, dass Lohmeyer eine Programmschrift vorgelegt hat, die er leider selbst nicht mehr hat ausgestalten können. Er weist den Weg für eine konsequente kultgeschichtliche Betrachtung des NT - ja bereits der Jesustradi‐ tion - vor dem Hintergrund der Kulttheologie des Alten Testaments und des Judentums. Lohmeyers These vom Kultus als Grundlage für die Ausbildung spezifischer Traditionen hat durch die spätere Entdeckung der Qumran-Texte eine grundsätzliche Bestätigung erfahren. Noch vor der beginnenden Auswertung der Qumrantexte kam G. von Rad in einer Untersuchung zu ‚Gerechtigkeit und Leben in den Psalmen‘ 121 im Anschluss an Mowinckels kultgeschichtlicher Betrachtung der Psalmen 122 zur Erhebung einer bestimmten Kultspiritualität. Der Kultus in Israel sei einge‐ spannt in ein vertikal ausgerichtetes Weltbild, welches von dem der grund‐ sätzlich geschichtlich denkenden Propheten letztlich unaufhebbar verschieden sei. 123 ‚Leben‘ und ‚Tod‘ treten danach im kultisch erschlossenen Dasein als 46 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 124 A.a.O., 426f. 125 A.a.O., 431. 126 A.a.O., 429ff. 127 A.a.O., 427f. 128 A.a.O., 431f. 129 A.a.O., 435. 130 Vgl. A. Ritschl, Über die Essener, in: ThJb(T), 14 (1885), 315-356, bes. 323ff. gegensätzliche Mächte auf, so dass gleichsam Scheol und Himmel im Griff nach dem Menschen sich gegenüberstehen. 124 Der Kultus spreche in diesem Welt- und Daseinsgefüge Leben zu und dränge Scheol-Kräfte zurück. Teilhabe am Kultus bedeute deshalb, in der Sphäre himmlischen Lebens zu stehen. Zum Kultus gehört also eine von ihm erschlossene Lebensmystik, insofern der Fromme sein Leben unter dem Blick auf die himmlische Herrlichkeit zu führen vermag. 125 Gelte dies nur potentiell von jedem Kultteilnehmer, 126 so jedenfalls in gesteigertem Maße von dem, der ständig im Bereich des Tempels und seiner Symbolik zu Hause sei: „Die Kenntnis der Form kultischer Rede, das Umgehen mit sakralen Überlieferungen, ihre Bearbeitung und ständige Neugestaltung - das war Sache eines Berufes, einer bestimmten Vollmacht, ja auch eines Handwerks …“ 127 Die Lebendigkeit des Kultus, so könnte man sagen, hängt davon ab, dass bestimmte Kreise des Kultpersonals die Kulttheologie, die Ausdrucks- und Erlebnisformen des Kultus ständig neu interpretieren und verdichten. Daraus entsteht eine Spiritualisierung, die aus dem Kultbetrieb selbst erwächst. Der Kultus ist damit nach v. Rad grundsätzlich aus sich selbst und um seines zentralen Anliegens willen, die gnädige Gegenwart Gottes und seiner Heilsgüter erfahrbar zu machen, reformierbar, erneuerungsfähig. V. Rad denkt insonderheit an die Leviten, die, vom täglichen Dienstbetrieb des Opfers etwas entfernt, aus ihrer alten Priestertradition um die vertieften Dimensionen der Kultsymbolik wissen. 128 Sie kennen das Geheimnis der Gottesschau im Kultus, sie wissen, dass die kultisch gewährte Gemeinschaft mit Gott über den Tod hinausreicht; die Hoffnung auf ein Entrücktwerden im Tod gehöre deshalb zur Kultanthropologie dieser levitischen Spiritualen. 129 Der Einfluss der Kulttheologie mit der in ihr ermöglichten räumlich und prä‐ sentisch-eschatologisch ausgerichteten Frömmigkeit auf Bereiche des nachbib‐ lischen Judentums wurde unübersehbar mit der Entdeckung der Qumran-Texte. Schon das 19. Jahrhundert entnahm den Darstellungen bei Josephus und Philo, dass es sich bei den Essenern um priesterliche Kreise handeln müsse. 130 1955 folgerte L. Rost aus der im AT feststellbaren Gruppenbildung, dass die Gemein‐ schaft der am Tempel diensttuenden Priester dem inneren Kreis der Qumran‐ 47 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 131 L. Rost, Gruppenbildungen im AT, in: ThLZ, 80 (1955), 1-8, bes. 7 f.; vgl. J. Becker, Das Heil Gottes, Göttingen 1964, 129f. 132 J. Maier, Zum Begriff דחי in den Texten von Qumran, in: ZAW, 72 (1960), 148-166. 133 A.a.O., 163. 134 A.a.O., 162f. 135 A.a.O., 165. 136 H.-W. Kuhn, Enderwartung und gegenwärtiges Heil. Untersuchungen zu den Gemein‐ deliedern von Qumran, mit einem Anhang über Eschatologie und Gegenwart in der Verkündigung Jesu, Göttingen 1966 (StUNT 4). 137 A.a.O., 184-188 (zusammenfassend). Anders P. von der Osten-Sacken, Gott und Belial, Göttingen 1969, 222-232, der das Motiv der Engelgemeinschaft nicht so sehr aus der Umsetzung priesterlicher Wohntempel-Tradition verstehen will, als vielmehr aus dem der Engelhilfe im Heiligen Krieg, wie in IQM vorausgesetzt. Jedoch setzen IQM XII 1 f. die irdisch-himmlische Gemeinschaft an der heiligen Wohnstatt Gottes als ideologischen Hintergrund des Krieges voraus. Der heilige Krieg ist Explikation des kultischen Gemeindeverständnisses, nicht die Grundlage. 138 A.a.O., 129f. 139 A.a.O., 30 f. Anders Klinzing, a. a. O., 146 f., gegen J. Maier, ZAW 1960, 165. 140 Ebd. gemeinde am ehesten entspreche. 131 Den Einfluss der älteren Kulttheologie und ihre Übertragung auf den דחי von Qumran hat dann neben anderen J. Maier untersucht 132 : Die Qumrangemeinschaft, der דחי, ist der neue Tempel; der kul‐ tische Vollzug in vollkommener ritueller Reinheit ermögliche Gemeinschaft mit der himmlischen Gemeinde der Engel und eine starke Betonung der Gegenwart eschatologischen Heils in der Gemeinde. 133 Religionsgeschichtlich sieht Maier eine Verbindung von kultisch-räumlich-vertikalem Denken mit dem eschatolo‐ gischen Geschichtsbild prophetischer Tradition und der eschatologischen Buß‐ bewegung der Makkabäerzeit. 134 Allerdings führe die Verbindung zu einer Do‐ minanz des räumlich-kosmologischen Denkens, einer Dominanz, die zur Gnosis hinführen könne, wie in der späteren Merkaba-Mystik des Judentums stärker sichtbar würde. 135 Dem kultgeschichtlichen Thema ‚Enderwartung und gegenwärtiges Heil‘ widmete H.-W. Kuhn 1966 eine Monographie. 136 Kuhn geht aus von der kulti‐ schen Gebundenheit vor allem der Gemeindelieder und der in ihnen präsentisch verstandenen Heilsaussagen: ‚Auferstehung‘, ‚Neuschöpfung‘, ‚Engelgemein‐ schaft‘, ‚Himmelsaufstieg‘. 137 Mit Becker 138 konstatiert Kuhn den Einfluss der Kultspiritualisierung in der ‚Mystik‘ bestimmter Psalmen. 139 Vermutlich gehöre ein Teil der levitischen Tempelsängerschaft zu den Gründern des דחי. 140 In folgendem Zitat kommt die Grundfrage zum Ausdruck, mit der Kuhn auf diesem Hintergrund zu tun hat: „Dass man in den atl. Psalmen noch keine direkte Parallele für den Satz, dass der Fromme schon in den Himmel versetzt ist, findet, liegt daran, dass erst in der Apokalyptik der Himmel in die Spekulationen und 48 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 141 A.a.O., 56. 142 A.a.O., 56 Anm. 1. 143 A.a.O., 47.72f.120.148. 144 A.a.O., 182. 145 A.a.O., 152f. 146 A.a.O., 181. 147 Vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus, Tübingen 1973 2 , 378, Anm. 591b: Hengel kommt aufgrund der Verbindung von räumlichen und zeitlichen Kategorien zu einem wesentlich einheitlicheren Erkenntnisbegriff. 148 A.a.O., 152f. Wünsche der Frommen stärker einbezogen wird.“ 141 In der Anm. zu diesem Satz verweist Kuhn auf Ps 73,24f., wo םימש und ץרא für die Zeit nach dem Tod des Frommen, aber auch für die Gegenwart, so auf einander bezogen werden, dass der Bereich des Himmlischen das Irdische in sich aufnimmt. 142 Kuhn hält trotz dieser vorsichtigen Einschränkungen durchgängig und grundlegend an einer Trennung von kultisch-räumlich-präsentischen und apokalyp‐ tisch-zukünftig-geschichtlichen Traditionen fest. 143 Es handle sich bei ‚Kultus‘ und ‚Apokalyptik‘ um zwei Grundpfeiler der theologischen Struktur in der Ge‐ meindefrömmigkeit Qumrans, die nebeneinander und in Spannung zueinander stünden. Für die Apokalyptik sei die Gegenwart heilsleer, insofern sie das Heil ausschließlich aus der Zukunft erwarte; für die Kultfrömmigkeit sei andererseits die Gegenwart eschatologischen Heils das Betonte. 144 Ebenso unterscheidet Kuhn im Offenbarungs- und Wissens-Begriff eine apokalyptische und eine priesterliche Tradition, die eigentlich unvereinbar seien: Während sich in der priesterlichen Tradition aus der Gemeinschaft mit den Himmlischen ein Wissen um gegenwärtig erreichbares himmlisches Heil ergebe, kenne die Apokalyptik gegenwärtige Offenbarung nur als bloßes Wissen um rein zukünftiges Heil, welches gegenwärtige Heilserfahrung keineswegs erschließe. 145 Da Eschato‐ logie nach Kuhn im Judentum sonst unter diesem rein zukünftig ausgerichteten Begriff von Apokalyptik bestimmbar werde, ist es für ihn deutlich, dass die Qumran-Eschatologie gegen alle übrige jüdische Eschatologie stehe. 146 Diese Analyse Kuhns scheint uns schematisch und konstruktiv zu sein. 147 Der Apokalyptik-Begriff unter dem Stichwort der ‚heilsleeren Gegenwart‘ stammt nicht aus einem religionsgeschichtlichen, sondern systematisch geforderten Ansatz, der sich stark an Bultmann anlehnt. Hier wird die Apokalyptik als strenge Gesetzesreligion verstanden, in der das Heil nur aus dem Toragehorsam stamme und die Schau zukünftiger Erlösung eine nur über den Toragehorsam mit der Gegenwart vermittelte Kraft habe. 148 Apokalyptik ist dann eine Form der jüdischen Religion, welche über die Schranken eines starren Gesetzesbe‐ griffs nicht hinausführe - eine auffällig passende Folie für einen Entwurf der 49 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 149 Vgl. unten S. 68f. 150 Vgl. auch H. Gese, oben S. 43f. 151 A.a.O., 183. 152 Die Kategorien ‚gegenwärtig‘ und ‚zukünftig‘ stellt Kuhn, a. a. O., 152 zunächst schlicht einander gegenüber; im Folgenden arbeitet er dann mit der Unterscheidung von ‚bloßer Wissensmitteilung‘ in der Gegenwart und der künftigen Offenbarung als eines eschatologischen Aktes, der in eine neue Situation versetze. Dabei löst doch wohl aber die Bultmann’sche Terminologie des ‚eschatologischen Aktes, der in eine neue Situation versetzt‘ das Zeitproblem existential-theologisch auf, kommt also auf eine Weise zu einer Überwindung des Gegensatzes von Zukunft und Gegenwart, an der apokalyptisches Weltverständnis scheitern muss, das aber wohl auch nicht zur Beschreibung des priesterlichen Ansatzes geeignet ist. 153 A.a.O., 56.184. 154 Vgl. J. Jeremias, Golgatha, a. a. O., 91 ff.; Lohmeyer, Kultus und Evangelium, 14 ff.; F. Jeremias, Das orientalische Heiligtum, a. a. O.; G. Widengren, Aspetti simbolici dei templi e luoghi di culto del vicino oriente antico, in: Numen VII (1960) 1-25. Offenbarung Gottes in Jesus aus souveräner Unmittelbarkeit und jenseits aller Schranken der religionsgeschichtlichen Umwelt. Dass auch Kuhn Jesus in dieser Art versteht, werden wir unten sehen. 149 Demgegenüber ist zu betonen, dass gerade in der bei den Qumranfrommen sich findenden Synthese zwischen ‚Kultus‘ und ‚Apokalyptik‘ ein deutlicher Hinweis liegt, dass beide angeblich unvereinbaren Traditionsreihen offenbar doch aufeinander verwiesen. 150 Wir sind der Meinung, dass dies nur deshalb möglich war, weil beide Traditi‐ onsreihen schon vor der Ausbildung der Qumran-Theologie miteinander in Verbindung standen: Die Apokalyptik setzt den Kultus als Heilsinstitution voraus, und der Kultus hat von Haus aus eine Offenheit zur Erfassung einer der Protologie entsprechenden eschatologischen Perspektive. Apokalyptische Offenbarung führt zu einer Begegnung mit dem Gott, der die Geschichte Israels und des Kosmos in Händen hat; von ihm Offenbarung über die Erhöhung der ‚Heiligen‘ zu erhalten, bedeutet eine schon die Gegenwart bestimmende Heilsaussage. Kuhn scheint für seine Qualifizierung apokalyptischen Offen‐ barens und Wissens Voraussetzungen hebräischen Denkens außer Acht zu lassen, die er anderorts ausdrücklich namhaft macht 151 : Hebräisches Denken kenne eigentlich den modernen, linearen Zeitbegriff nicht, sondern verstehe Gegenwart als Raum der Vergegenwärtigung vergangener und zukünftiger Ereignisse. Dass Kuhn dennoch die apokalyptische Offenbarung mit einem rein linearen Zeitbegriff zu verknüpfen sucht, 152 entspricht dem Versuch, kultisches Denken vom Entwurf einer eschatologischen Dimension zu trennen und die Enthüllung des Himmlischen als eigentlich nicht im Kultus beheimateten Prozess hinzustellen. 153 Dabei scheint uns nach allem, was die Jerusalemer Tempelsymbolik und allgemeiner die altorientalische Kultideologie ausmacht, 154 50 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 155 L. Thompson, Cult and Eschatology in the Apocalypse of John, in: JR 49 (1969), 330-350; vgl. auch E. Schüssler-Fiorenza, Priester für Gott, 1972, 420. 156 Vgl. G. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, 21 f.; vgl. IV,5; XVIII,22: Metatron residiert im himmlischen Allerheiligsten, wo die Fäden der Geschichte vom Anfang bis zum Ende zusammenlaufen. 157 Vgl. D. Flusser, Salvation Present and Future, in: Types of Redemption. Contributions to the Theme of the Study-Conference held at Jerusalem, 14 th to 19 th July 1968, ed. by J. Zwi Werblowsky and C.J. Bleeker, Leiden 1970, 46-61; S.G.F. Brandon, The Significance of Time in Some Ancient Initiatory Rituals, in: Initiation. Contributions to the Theme of the Study-Conference of the International Association for the History of Religions held at Strasburg, September 17 th to 22 nd 1964, ed. by C.J. Bleeker, Leiden 1965, 40-48; ders. The Proleptic Aspect of the Iconography of the Egyptian ‚Judgement of the Dead‘, in: Ex orbe religionum. Studia Geo Widengren …, hrsg. v. C.J. Bleeker u. a., Leiden 1972, 16-25. deutlich zu sein, dass ein Himmel und Erde umfassendes, kultisch geordnetes Weltbild entsteht, in dem das Himmlische Raum Gottes und des Heils ist. Da in der biblischen Traditionsbildung auch das geschichtliche Credo im Rahmen kultischer Begehung, ja der geschichtlich verankerte Bundesschluss kultisch vergegenwärtigt wird und die letztlich den Rahmen bestimmenden Sammelwerke P, DtnGW und ChrGW auf kultischer Grundlage entstehen, scheint eine Gegenüberstellung gegensätzlicher Traditionen geschichtlicher und kultischer Prägung zweifelhaft. Angesichts der genannten Verbindungen, ferner der Verwobenheit von Kultus und Eschatologie in der Johannes-Apo‐ kalypse, 155 in der jüdischen Mystik 156 und religionsgeschichtlich entfernteren Analogiebildungen 157 , stellt sich die Frage, ob nicht zumindest ein Großteil jüdischer Apokalyptik speziell ‚Kultapokalyptik‘ ist, die aus der kultisch er‐ schlossenen Möglichkeit, in das Himmlische vorzustoßen, die Offenbarung über die im Himmel schon vorhandenen eschatologischen Heilsgüter bezieht. Der himmlische Ort, von dem her im Kultus das göttliche Heil irdisch wird, sich inkarniert, ist ja der Ort der Erlösung. Das Himmlische, auf das der Kultus sich bezieht, ist also anscheinend eo ipso Ausdrucksform des eschatologischen Geheimnisses, ja im Himmlischen ist offenbar das eschatologische Geheimnis, welches auf der irdischen Geschichtslinie in der Zukunft liegt, schon präsent. Kuhn scheint uns den Einfluss der Tempelsymbolik auf Teile des nachbibli‐ schen Judentums überzeugend nachgewiesen zu haben, jedoch mit einem zu engen Apokalyptik-Begriff zu arbeiten. Da Kultfrömmigkeit und apokalyptische Offenbarung auch sonst im Judentum und der weiteren Religionsgeschichte zusammenkommen, erscheint die These einer einmaligen Synthese von Haus aus völlig verschiedener Denkformen unwahrscheinlich. Man hat den Eindruck, als wirke auch dort, wo die religions- und tradi‐ tions-geschichtlichen Voraussetzungen für eine Neubestimmung der Größen ‚Kultus‘ und ‚Eschatologie‘ grundsätzlich vorhanden sind, immer noch die ältere 51 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 158 Theokratie und Eschatologie, Neukirchen 1959, 38.58.60f.64f.132f. 159 A.a.O., 140. 160 Art. ‚Apokalyptik III‘, in: TRE III (1978) 202ff. 161 A.a.O., 210, 53ff. 162 A.a.O., 212, 35. 163 A.a.O., 218, 23ff. 164 A.a.O., 226, 25-28. 165 O.H. Steck, Weltgeschehen und Gottesvolk im Buche Daniel, in: Kirche. FS G. Born‐ kamm, Tübingen 1980, 53-78. Trennung in Begriffsreihen, wie jüdisch-apokalyptisch-geschichtlich und hel‐ lenistisch-kultisch-räumlich, nach. Von einem Gegensatz zwischen Theokratie und Eschatologie spricht beispielsweise auch noch O. Plöger: Während die Apokalyptik sich aus der unkultischen Eschatologie der Propheten entwickelt habe, sei die ungeschichtliche Theokratie-Konzeption der Priester in hellenisti‐ sches Denken umgeschlagen. 158 Systematisch-theologisch verbindet Plöger die eschatologische Erwartung mit der Existenz im Glauben, die Theokratie mit der Existenz der Sicherheit. 159 Trotz trefflicher Bemerkungen zur Forschungssituation finden sich auch im TRE-Beitrag von Karlheinz Müller 160 u. E. einseitige Zuspitzungen, die so nicht haltbar sind: Das strapazierte Stichwort der ‚heilsleeren Gegenwart‘ klingt nach wie vor an, wenn es heißt, dass Heil in der Apokalyptik nicht mehr als innerweltlich abgesicherte Erinnerung an Vergangenes, sondern ausschließlich aus der Zukunft erwartet werde; 161 dass die Apokalyptik „das Grundaxiom der wesentlichen Beziehungslosigkeit zwischen Geschichte und Erlösung“ 162 vertrete, dass die Mitte der apokalyptischen Überzeugung auf die These einer „… absoluten Übergangslosigkeit zwischen Historie und der Erlösung“ 163 hinaus‐ laufe; dass die asidäischen Apokalyptiker ein irreparabel gebrochenes Verhältnis zum theokratischen Grundwissen und damit zur alten Tradition geschichtlicher Erwählung haben. 164 Traditionsgeschichtlich sehr viel differenzierter und damit in der historischen Analyse überzeugender ist die Untersuchung von O.H. Steck 165 , der der Abfolge der in der Perserzeit entstandenen aramäischen Danielerzählung (Dan 2-6), über das aramäische Danielbuch der Ptolemäerzeit (+ Dan 2+ und 7+), bis zum makkabäischen Danielbuch (Zufügung von 1 und 8-12; Umarbeitung von 2 und 7) unter dem Aspekt der darin jeweils enthaltenen Geschichtskonzeptionen nachgeht. Die aramäischen Erzählungen sehen Gottes Weltherrschaft in der irdischen Konkretion des persischen Großreiches: „Diese von der Erzählung repräsen‐ tierte Position ist an dem Israel konstituierenden Tempelkult des nachexilischen 52 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 166 A.a.O., 58. 167 Ebd. 168 A.a.O., 59f. 169 A.a.O., 60f. 170 A.a.O., 61. 171 Ebd. 172 A.a.O., 62. 173 A.a.O., 61. 174 Vgl. a. a. O., 62, Anm. 39. Dan 2,44 und 7,18 setzen den Zusammenhangwischen irdischer Gemeinde und ihrem himmlischen Repräsentanten voraus. 175 Vgl. außer Kuhn, a. a. O., 46f.68.72f.: D.E. Aune, The Cultic Setting of Realized Eschato‐ logy in Early Christianity, Leiden 1972 (NT.S; 27), 32f. Jerusalem orientiert …“ 166 . Und das bedeutet nach Steck: „Die Geschichte Israels ist in dieser ganz uneschatologischen, von einem Wiederaufleben der vorexi‐ lischen Jerusalemer Kulttradition geprägten Sicht kein konstitutiver Rahmen theologischer Wahrnehmung, weil sie in der nachexilischen Kultgemeinschaft und ihren Heilsqualifikationen schon zum Ziel gekommen ist.“ 167 Mit der kurzen Blüte der Alexanderzeit und dem Verfall des Großreiches in die Diadochenländer befasst sich das ptolemäische Danielbuch: Nicht ein Großreich repräsentiert irdisch Gottes Himmelsherrschaft, sondern erst am Ende der Tage wird Gottes Himmelsherrschaft sich in einem andersartigen Reich offenbaren. 168 Die kul‐ tische Kategorie der vom Himmel ausgehenden Herrschaft Gottes schlägt angesichts der geschichtlich erfahrenen Zersprengung des Entsprechungsge‐ dankens von ‚oben‘ und ‚unten‘ um in eine rein eschatologische Lösung. 169 „Die Aussagen über das eschatologische Reich werden in Aufnahme der Aussagen der Erzählungen und Hymnen als deren ungeminderte Verwirklichung in der Zukunft formuliert.“ 170 Steck spricht bei dieser Wandlung der kultisch-weisheitlichen Position ins Eschatologische von einem Einfluss „prophetisch geprägter Strömungen der Zeit.“ 171 Dennoch bleibt traditionsgeschichtlich konstitutiv auch in dieser Wand‐ lung das Bild des theokratischen Israel: Es ist das Israel der Kultgemeinde, welches in dem ewigen Reich leben wird. 172 Es ist dies das Reich des Menschens‐ ohnes und der Heiligen des Höchsten. 173 Diese eschatologische Erwartung scheint getragen zu sein durch das Wissen darum, dass die himmlischen Engel jetzt schon um den Thron Gottes herum eine himmlische Gemeinde bilden, zu der dann die Gerechten der Endzeit hinzugenommen werden. 174 Die durch die Qumran-Schriften im Besonderen bekannt gewordene Heilsaussage der Engel‐ gemeinschaft erwüchse dann auch hier aus einer kultischen Grundaussage. 175 Sehr kompliziert werden nach Steck die geschichtlichen und traditionsge‐ schichtlichen Abläufe in der syrischen und frühmakkabäischen Zeit. Die Sis‐ 53 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 176 A.a.O., 65. 177 A.a.O., 66. 178 A.a.O., 67.71f. 179 A.a.O., 70 f., Anm. 75. 180 A.a.O., 71 f., vgl. auch 74, Anm. 93. 181 A.a.O., 72. 182 A.a.O., 75. 183 Steck spricht S. 75 von der ehemals heilspräsenten Klarheit, aus der heraus Gott sich in Rätsel und Geheimnis verborgen hat. Zur Gegenüberstellung einer angeblich theokratischen Heilspräsenz in der Kultgemeinde und einer in der Tendenz als heilsleer empfundenen Gegenwart bei den Apokalyptikern vgl. außer Kuhn, a. a. O. (s. Anm. 151), auch Bornkamm, Jesus von Nazareth, 49 f. In der alttestamentlichen Wissenschaft ist diese Unterscheidung wohl vor allem von O. Plöger, Theokratie und Eschatologie, Neukirchen 1959 vertreten tierung des Tempeldienstes brachte zunächst die eschatologische Ausweitung der kultisch-theokratischen Grundposition in einen entscheidenden Bruch: Die Gegenwart erscheint nur noch als Unheilszeit. Steck meint, dass der Kata‐ stropheneindruck nicht mehr kultisch-theokratisch bewältigt werden konnte. Die Deutung der Vorgänge gehe in Dan 8 zwar auf die Vernichtung des Antiochus und die Wiederaufnahme des Tempeldienstes, 176 jedoch werde die nachexilische Zeit insgesamt als Zorneszeit gesehen, was prophetischer, nicht jedoch kultisch-theokratischer Position entspreche. 177 Die Zorneszeit über Israel korrespondiert dem Frevel im Volk. Diese geschichtstheologische, näherhin deuteronomistische, Konzeption sei dem kultisch-theokratischen Denken von Haus aus fremd. 178 Es entstehe die Blickrichtung auf einen eschatologischen Tempel, von der her Kritik am irdischen Tempel und der makkabäisch-hasmo‐ näischen Tempel-Wiederweihe möglich werde. Steck scheint die Reserve der Daniel-Kreise gegenüber der hasmonäischen Theokratie jedoch nicht so sehr in ihrer himmlisch-eschatologischen Kultidee wurzeln zu sehen, als vielmehr in der deuteronomistischen Konzeption. 179 Die nachexilische Zeit nicht als Zeit eines durch den Tempel bedeuteten Heils, sondern allein als Zeit des Zorns und der Schuld zu sehen, „… dies ist allein die der theokratischen entgegenge‐ setzte Sicht der Strömung deuteronomistischer Prägung …“; 180 dennoch steht letztlich diese „… komplexe Neuverbindung von weisheitlicher, prophetischer und deuteronomistischer Tradition auf kultisch-weisheitlichem Boden …“ 181 Hat sich traditionsgeschichtlich die Entwicklung der Daniel-Überlieferung über Jahrhunderte als Ausgestaltung der theokratischen Grundlage zur eschatologi‐ schen Erwartung des kommenden Reiches vollzogen, so setzt in den wenigen Jahren, die durch die Antiochus-Erfahrung geprägt sind, ein „theologischer Umbruch sondergleichen“ ein. 182 Trotz mancher Bedenken gegen die Konstruktion gerade der letzten theolo‐ gischen Entwicklung im Danielbuch 183 können wir die Grundthese von Steck als 54 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ worden. Zur Kritik vgl. H. Gese, Anfang und Ende der Apokalyptik, dargestellt am Sacharjahrbuch, in: ders., Vom Sinai zum Zion. Alttestamentliche Beiträge zur biblischen Theologie, München 1974, 202-238, bes. 202f.221f. 184 P.D. Hanson, The Dawn of Apocalyptic, Philadelphia 1975. 185 Vgl. a. a. O., 20.221-225. 186 A.a.O., 20.209f.281. 187 A.a.O., 405; vgl. 12.280f. 188 Für eine priesterliche Entstehung der Apokalyptik plädiert auch K. Schubert, Das Zeitalter der Apokalyptik, in: F. Leist (Hrsg.), Seine Rede geschah zu mir, München 1965, 265-285. bestätigende Ergänzung zu der im Anschluss zu erwähnenden Arbeit Hansons aufnehmen: Wesentliche Teile der langen Danielüberlieferung, einschließlich Kap. 7, sind als Wendungen der kultisch-theokratischen Position ins Eschato‐ logische zu verstehen. Diese Wendung meint die Erwartung ungeminderter Verwirklichung des kultisch bedeuteten Heils in der Zukunft. Auch das makka‐ bäische Danielbuch sieht die eschatologische Erlösung gerade in der Weihe des himmlisch-irdischen Zionstempels gipfeln (9,24). Das Heil des eschatologischen Umbruchs bleibt kultisch beschrieben. Hanson sieht in der Apokalyptik geradezu das Produkt einer durch pries‐ terliche Außenseiterkreise umgestalteten Kultfrömmigkeit. Nach Hanson 184 ist in nachexilischer Zeit die Kultreform das zentrale Anliegen aller religiöser Gruppen des palästinischen Judentums. Hanson unterscheidet eine zadokidi‐ sche und eine spätprophetisch-apokalyptische Gruppe, die vor allem an Trito‐ jesaja und Deutero/ Tritosacharja anknüpfe. Die zadokidische Gruppe scheint ihr Restaurationsprogramm eher aus P und Ez bezogen zu haben. Beide Gruppen fallen aber nicht so sehr aus Gründen einer verschiedenen traditionsgeschichtli‐ chen Basis bei ihrer Bestimmung des wahren, gottgefälligen Kultus auseinander, sondern weil sie soziologisch immer mehr auseinanderdriften: Die levitischen 185 Kreise, die vom tatsächlichen Kultbetrieb ausgeschlossen werden, können ein utopisches Bild bewahren und verstärken, während die im alltäglichen Kultbetrieb verschlissenen Priester desillusioniert zu Werke gehen; orientieren sich diese begreiflicherweise an einem mehr konservativen Kultverständnis, so radikalisieren die isolierten Außenseiterkreise nach Sektenmanier ihr Kult‐ verständnis im utopischen, apokalyptischen und mythischen Sinne. 186 Hierbei greifen die Außenseiter auf vorexilische Kulttraditionen zurück, nämlich die Gott-König-Mythologie und die Zionstheologie: “… it was a vision of a righteous and holy community restored to a glorified Zion, in which all would be priests of Yahweh possessing Israel as their inheritance and secure from the threat of enemies …” 187 Diese kultische, zionstheologische Bestimmung der Endzeit ist nach Hanson geradezu die apokalyptische Grundvision. 188 55 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes 189 D.E. Aune, The Cultic Setting of Realized Eschatology in Early Christianitiy, Leiden 1972. 190 A.a.O., 17 mit Bezug auf den Gebetsruf μαρὰν ἀθά. 191 A.a.O., 5.16f. 192 A.a.O., 6f. 193 A.a.O., 14. 194 A.a.O., 37. 195 A.a.O., 7f. 196 A.a.O., 36 f. mit Anm. 1 S. 37. Religionssoziologisch arbeitet die Monographie zum Thema ‚Kultus und Eschatologie‘ von D. Aune. 189 Aune geht davon aus, dass das Urchristentum von Anfang an, schon in der aramäisch sprechenden palästinischen Urgemeinde, 190 für seine Christusverehrung auf kultische Ausdrucksformen gewiesen war. 191 Im Gemeinde-Kult wurde Jesu eschatologische Herrschaft, die Teilhabe an seinem Reich, vorweggenommen. Im Kultus verwirklicht sich eschatologische Heilser‐ wartung proleptisch, ohne die Erwartung einer zukünftigen Realisierung des Heils in toto aufzugeben. 192 Dabei bringt nach Aune - hier liegt für ihn der wich‐ tigste Gedanke - der kultische S.i.L. der Erfahrung eschatologischer Erfüllung einen Rückgriff auf die protologische Perspektive mit sich. Ende und Anfang entsprechen sich im kultischen Denken, so dass die Vorwegnahme des Endes ein kultisch vermitteltes Eingehen in das Paradies bedeutet. 193 Da das Paradiesmotiv, die restitutio principii, Hauptmotiv der präsentischen Eschatologie in der Ge‐ meindefrömmigkeit Qumrans und des Urchristentums sei, in diesem Motiv sich aber alte biblische Kulttradition zeigt, ist es für Aune keine Schwierigkeit, die Verbindung von Kultus und Eschatologie-Protologie schon im AT vorgeformt zu sehen. 194 Allerdings arbeitet Aune nicht im engeren Sinne biblisch-traditionsge‐ schichtlich, sondern allgemein religionsgeschichtlich-phänomenologisch: “On the basis of this Judaeo-Christian conceptualization of the eschaton as the time for the restitutio principii, one might speak more accurately of ‚protology‘ than of eschatology. Actually, eschatology and protology function homologously, with the functionally insignificant difference that in eschatology the ideal conditions of the primal period are located not only at the beginning of time but also at its end.” 195 Dabei kommt es bei Aune sogar zu einer bemerkenswerten Umkehrung: Während Kuhn die Präsentifizierungstendenz der Theologie der Qumrangemeinde von ihrem priesterlichen Selbstverständnis her, und d. h. aus dem Nachwirken bzw. der intensivierten Aufnahme der Jerusalemer Tem‐ pelsymbolik, deutet, sieht Aune in der priesterlichen Tempeltradition nicht den Grund und die historische Ermöglichung eines präsentisch-eschatologischen Heilsverständnisses, sondern nur eine Möglichkeit unter anderen, die Gegen‐ wart der eschatologischen Erlösung auszusagen. Der Grund dafür liege woan‐ ders, 196 nämlich in dem allgemein zu fassenden religionsgeschichtlichen Gesetz, 56 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 197 A.a.O., 37. 198 A.a.O., 221. Heil von der Rückkehr in den Urzustand zu erwarten und diese Rückkehr sich kultisch vermitteln zu lassen. 197 Dieser Ansatz hat zur Folge, dass nach Aune jede religiöse Bewegung, die kultische Realisierung eschatologischen Heils anstrebt, zunächst sich allgemeinen religionssoziologischen Gesetzen unterwirft und erst sekundär auf dieser Grundlage ihre besonderen Traditionen ausformt. “The present study has attempted to examine select phases of early Christianity from the standpoint of the phenomenology of religions generally, and the religions movements in its environment in particular, all the while granting unique elements to the christian movement, elements, which are highlighted by a lack of continuity with the immediate religious and cultural background.” 198 Dieses Ergebnis scheint methodisch präfiguriert: Vor dem Hintergrund zunächst und hauptsächlich allgemein religionsgeschichtlich-phänomenologisch erarbeiteter Gesetze zur Kulteschatologie erscheinen die einzelnen Ausprägungen des allge‐ meinen Gesetzes als jeweils unabhängige Realisierungen eines religionsphäno‐ menologischen Schemas, so dass die eigentliche traditionsgeschichtliche Arbeit nur zu sekundär bedeutsamen Ergebnissen führen kann. Damit hängt wohl zusammen, dass Aune zwar mit dem Problem der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu einsetzt, jedoch mit seiner Methode zur Jesus-Frage nicht vordringen kann. Wir fassen zwischenzeitlich zusammen: Bevor wir uns der letzten der eingangs dieses Abschnitts 3. formulierten drei Fragen zuwenden, können wir jetzt eine Antwort geben auf die beiden ersten; wir stützen uns auf die Tendenz der Forschungsgeschichte des 20. Jahrhunderts. Die starre Trennung in zwei traditionsgeschichtliche Bereiche ‚palästinisch‘ und ‚hellenistisch‘ und ihnen entsprechende Grundaspekte eines jeweiligen Weltbildes, in der man die Kategorie des Räumlichen, Himmlischen, Kulti‐ schen ausschließlich dem Hellenismus zurechnete, hat sich zunehmend als unbrauchbar erwiesen. Die Wiederentdeckung des jüdischen Kultes hat einen traditionsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt für das NT sichtbar werden lassen, durch den eine religiöse Orientierung sowohl in räumlichen als auch in geschichtlich-eschatologischen Kategorien als jüdisch-palästinisch vorgegeben ist. Der Kultus erschließt die himmlische Dimension der Schöpfung und mit ihr die Dimension, aus der die eschatologische Verklärung zur neuen Schöp‐ fung anbricht. Offenbar kennt schon die Kultfrömmigkeit der Psalmen eine Spiritualität, ja eine Erfahrung des Anbruchs der Herrschaft Gottes, die man als proto-apokalyptisch bezeichnen kann. Schweitzers These von der mystischen Zuspitzung der apokalyptischen Naherwartung wird man umgekehrt auf die 57 3. Himmlischer Raum und eschatologische Zeit als Dimension des Kultes Füße zu stellen haben: Die „Mystik“ einer kultischen Erfahrung der Gottesherr‐ schaft trägt eine apokalyptische Erwartung der Verklärung in der neuen Schöp‐ fung. Die mehr motivgeschichtlich und theologisch-konstruktiven Ansätze bei Jeremias und Lohmeyer können nun an den Beobachtungen zur Theologie der Qumranschriften und einer daraus resultierenden neuen Beschäftigung mit der jüdischen Apokalyptik traditionsgeschichtlich ausgezogen werden. Wir stoßen auf eine jüdische Kultfrömmigkeit - die nicht immer identisch sein muss mit einer Zentrierung im Jerusalemer Kult-, welche die Gemeinschaft mit den Bewohnern des himmlischen Teils der traditionell kultisch verwalteten Schöpfung erfahrbar macht und daraus das Ziel der eschatologischen Erlösung ableitet. Es besteht also offenbar kaum noch ein Grund, an dem das Himmlische, Räumliche und Kultische allein der hellenistischen Entwicklungs-Epoche des Urchristentums zuweisenden traditionsgeschichtlichen Schema der älteren Forschung festzuhalten. Dort, wo das Judentum als lebendige Kultreligion ver‐ standen wird, begegnet man einem raum-zeitlichen Weltempfinden, in dem die aus Himmel und Erde bestehende Schöpfung in einer beide Schöpfungsräume umspannenden Geschichte zwischen Schöpfung und Neuschöpfung geschaut wird. 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus Das Jesusbild der „konsequenten Eschatologie“ und die hermeneutische Umset‐ zung dieses Jesusbildes bei Bultmann und seinen Schülern hat die Kategorien des „Himmlischen“ und einer positiv qualifizierten Gegenwart als religiöse theolo‐ gisch negativ gewertet. Sie entsprechen nicht der eschatologischen Krisensitua‐ tion. Damit wird aber auch eine offene religionsgeschichtliche Einarbeitung Jesu in seine Umwelt erschwert. Die von der liberalen religionsgeschichtlichen Betrachtung ausgehende „kultgeschichtliche“ Arbeit konnte zwar ein relativ gefülltes Bild vom religiösen Leben der Gemeinde geben. Es blieb dabei aber die Schwierigkeit, von der Kultreligion der Urchristenheit zu Verkündigung und Gestalt des irdischen Jesus vorzustoßen. 58 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 199 Klassisch für die Verrechnung eines doppelten Ansatzes im Bereich der kultgeschicht‐ lichen Betrachtung ist W. Bousset, Kyrios Christos, 1965 5 ; vgl. Bultmann im Vorwort zur 5. Aufl., V; ferner Wetter, Altchristliche Liturgien, I, 147 f.; Arvedson, Das Mysterium Christi, S. V. Zur Frage der religionsgeschichtlichen Umgestaltung des Herrenmahls von der eschatologischen Passahfeier Jesu zum Mysteriensakrament der hellenistischen Gemeinde vgl. Bultmann, Theologie, 1965, 105 ff.; zur allgemeineren Frage nach dem Verhältnis von Kultus und Eschatologie vgl. Bultmann, a. a. O., 464 f., wo die ursprüng‐ liche Bezogenheit auf die Zukunft gegen den Besitz von Institutionen gestellt wird, die jenseitige Kräfte schon jetzt vermitteln. 200 Vgl. Cultic Setting, a. a. O., 1-8 mit 220-225. Diese Schwierigkeit hat verschiedene Ursachen. Zunächst ist nochmals die Wirksamkeit des ‚doppelten Ansatzes‘ zu nennen, eines Programms, das, aus der älteren liberalen Tradition kommend (Baur, Harnack), in der kultgeschicht‐ lichen Betrachtung von Bousset, Wetter, Arvedson und im Einflussbereich Bultmanns nachwirkt: Mit dem Gemeindekult komme etwas Neues auf, so dass, beispielsweise, aus der eschatologischen Passahfeier Jesu religionsgeschichtlich das Mysterienmahl der hellenistischen Gemeinde wurde. 199 Auch noch in neueren Arbeiten stößt man auf das mehr oder weniger deut‐ lich empfundene Problem des Brückenschlags von der Kultfrömmigkeit zum irdischen Jesus: Aune 200 geht zwar von der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu aus, um das Problem der präsentischen Eschatologie zu beleuchten, kommt aber nach seinem Exkurs über den Gemeindekult als Sitz im Leben für die präsentische Eschatologie in Qumran, im Johannesevangelium, bei Ignatius, in den Oden Salomos und bei Marcion nicht mehr ausdrücklich auf diese Ausgangsfrage zurück. Stehen also die präsentisch-eschatologischen Züge der Reich-Gottes-Verkündigung Jesu schon unter Einfluss eines protokultischen Denkens bei Jesus selbst oder sind in den Evangelien Jesustradition und Kulttradition der Gemeinde so unauflöslich miteinander verquickt, dass eine isolierte Betrachtung Jesu methodisch unmöglich ist? Aunes Schweigen zu diesen Fragen weist zurück auf das latente Problem der kultgeschichtlichen Betrachtung. Auf der anderen Seite könnte man von weiteren Arbeiten aus dem Ein‐ flussbereich der ‚Kultgeschichtler‘ Böchers Monographien nennen, welche die magische Komponente des urchristlichen Kults, vor allem des Taufritus, untersuchen, christologisch den antidämonischen Einsatz der Sakramente aber aus der ἐξουsία des Erhöhten herleiten und damit ebenso die eigentliche 59 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 201 Böchers Untersuchung „Dämonenfurcht und Dämonenabwehr. Ein Beitrag zur Vorge‐ schichte der christlichen Taufe“, 1970, bleibt im Ganzen deskriptiv bei der bloßen Kumulierung des Materials: Es findet sich zwar ein ausführliches Stichwortregister, jedoch kein Überblick gewährendes Inhaltsverzeichnis. Böcher setzt voraus, dass das NT, bei aller Behaftetheit mit zeitgenössischen Vorstellungen, doch gegen sakramentalistische Dämonenabwehr kämpft. „Die Taufe wirkt keineswegs sakramentalistisch … das neue Leben, das sie schenkt, muss sich bewähren im Wandel …“, a. a. O., 317. Hierbei wird wohl doch vorausgesetzt, dass der Mensch als freie Person sich im Handeln bewähren muss, so dass in der Konsequenz menschliches Handeln die Kraft des - nicht sakramentalistisch - verstandenen Sakraments konstituiert. In der Logik biblischen Kultverständnisses und der neutestamentlichen Gnadenlehre zeigt sich die ontologische Transformationskraft des Sakraments aber gerade darin, dass der Mensch tatsächlich neu wird; hier trägt das Sakrament in seiner ganzen Massivität die Ethik. - Die Untersuchung: „Christus Exorcista. Dämonismus und Taufe im Neuen Testament“ bleibt bei der Feststellung, dass Jesus unter den Rahmenbedingungen antiken Dämonismus als Exorzist gewirkt habe. Der historische Jesus habe sich als Kämpfer gegen Satan und seine Diener verstanden; von anderen Exorzisten unterscheide ihn ein eschatologisches Selbstverständnis. Als letzte Größe wird Jesu Vollmacht von seinem Selbstbewusstsein getragen, vgl. a. a. O., 166 f. Zur vollen Entfaltung kommt die antidämonische ἐξουσία Jesu auch erst im Glauben der nachösterlichen Gemeinde, die den Erhöhten seit Kreuz/ Ostern/ Himmelfahrt als Herren über Tod und Teufel ansehe, vgl. a. a. O., 168 ff. Bei all dem steht das NT nach Böcher wie eine einsame Insel im Meer, die von der Umwelt getrennt ist durch „bewußte Reflexion“ (180), „geistige Höhe“ (179), „hohen sittlichen Ernst“ (179) und „einsame pneumatische Höhe“ (Dämonenfurcht und Dämonenabwehr, 13). 202 Das Problem der Entstehung des Urchristentums, in: ARW, XVI (1913), 423-515, hier: 471. 203 A.a.O., 485. 204 A.a.O., 482. Jesus-Frage von der kultgeschichtlichen Betrachtung mehr oder weniger ausklammern. 201 Ferner muss der bei den ‚Kultgeschichtlern‘ häufig anzutreffende Einfluss des älteren liberalen Jesusbildes genannt werden, wonach Jesus unabhängig von Fragen nach Eschatologie und Kultus im Wesentlichen sittliche Persönlichkeit ist. Dieser Einfluss macht sich auch dort noch bemerkbar, wo man sich um ein ‚einheitliches‘ Verständnis der neutestamentlichen Traditionsgeschichte be‐ müht und damit das Programm des ‚doppelten Ansatzes‘ ausdrücklich ablehnt. So sprach der späte J. Weiss, der die Christologie aus dem Messiasbewusstsein Jesu 202 ableiten wollte, in der Qualifizierung dieses Verhältnisses von der Sittlich‐ keit Jesu 203 und der sittlichen Abhängigkeit der Jünger, die religiöse Verehrung mit sich bringe. 204 Deissmann benutzte ein etwas anderes Vokabular: Er sprach vom gewaltigen ‚Ichbewußtsein‘ Jesu, welches gemeinschaftsbildend gewirkt habe. Deissmann setzt dabei ebenso die Kategorie des sittlichen Individuums voraus, wie er reli‐ 60 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 205 Paulus, 1925 2 , 99. 206 A.a.O., 93. 207 A.a.O., 98f. 208 A.a.O., 99. 209 A.a.O., 100. 210 Urchristliche Mystik. Neutestamentliche Studien, 1958 2 , 19f. 211 A.a.O., 20. 212 Die Bedeutung der kultgeschichtlichen Methode für die neutestamentliche Forschung, in: ThBl 2 (1923), 25-36. 213 A.a.O., 31. 214 Ebd. gionsgeschichtlich Jesus an die alttestamentlichen Propheten bindet. 205 Obgleich Deissmann ausdrücklich gegen die Theorie eines ‚doppelten Ansatzes‘ protes‐ tierte, 206 stellte er dennoch einen anderen Bruch heraus, den zwischen Jesus und der palästinischen Gemeinde: „Sie haben den Propheten des Gottesreiches zum Objekt der apostolischen Frömmigkeit gemacht, indem sie das Siegel unter seine messianische Selbstoffenbarung setzen.“ 207 „Jesus selbst hatte keinen neuen Kult gestiftet; er hatte die neue Zeit verkündet.“ 208 Religionsgeschichtlich stehe Jesus auf dem Boden seiner jüdischen Mutterreligion, während der apostolische Jesuskult heidnische Elemente aufnehme. 209 Auch Lohmeyer sprach in den 20-er Jahren im Rahmen seiner Auseinander‐ setzung mit der Theorie einer ‚Kultmystik‘ des Urchristentums unter Verwen‐ dung des liberalen Prophetenbegriffs von Jesu Gebundenheit an den Vatergott; er sei gottgesandter Prophet, 210 der vorwiegend ethisch denke. 211 In seiner Berliner Probevorlesung von 1922 212 hat G. Bertram die Probleme der kultgeschichtlichen Methode bei einer Einbeziehung des irdischen Jesus in die einheitliche Linie dargestellt: Bertram spricht von einer immanenten kultischen Bedeutung der Worte und Handlungen Jesu: „Wie weit hat Jesus bewusst so gehandelt, solche Forderungen an seine Gemeinde gerichtet (Bertram spricht allgemein von den die Evangelien formgeschichtlich prägenden Elementen der Wort- und Tatüberlieferung), dass Handlung und Forderung nicht in sich selbst ihr Ziel, ihren Sinn hatten, dass sie vielmehr zur Darstellung einer hinter ihnen liegenden Idee oder religiösen Wahrheit dienen sollten, also eine immanente kultische Bedeutung hatten? “ 213 Auffällig ist hier, dass Bertram den besonderen kosmischen Zeitaspekt des Kultus nicht religionsgeschichtlich, sondern allgemein idealistisch fasst; ebenso ungeschichtlich ist die Verbindung des Glaubens der Urgemeinde an Jesus als Kultheros mit dem irdischen Jesus über den Eindruck, den Jesu „Persönlichkeit“ ausgestrahlt habe. 214 In und an Jesu Persönlichkeit werde etwas Unbedingtes erlebt. Daraus entstehe letztlich Jesu 61 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 215 A.a.O., 32. 216 A.a.O., 35. 217 A.a.O., 34; vgl. ders., Die Himmelfahrt Jesu vom Kreuz aus und der Glaube an seine Auferstehung, in: Festgabe A. Deissmann, Tübingen 1927, 187-216. „Der Terminus der Erhöhung ist übergeschichtlich, während die Auferstehungslegenden eine Hineinzie‐ hung des Übergeschichtlichen in zeiträumliche Vorstellungen bedeuten.“ (212) Diese bei Bertram zentrale These zeichnet ein platonisierendes Bild des Himmlischen, dessen Gültigkeit religionsgeschichtlich nicht einfach vorausgesetzt werden kann: Nach jüdi‐ schem und neutestamentlichem Verständnis des ‚Himmlischen‘ ist dieses räumlich und zeitlich - als Teil der Schöpfung - bestimmbar. 218 Eschatologie und Mystik im Urchristentum, ZNW 21 (1921) 277-291. 219 A.a.O., 288f. Verehrung als Kultheros. 215 „Jesus selbst sind die Formen dieser Religion fremd. Trotzdem ist er ihr Stifter geworden, weil er in sich die Kraft alttestamentlicher Sittlichkeit mit dem Willen zum stellvertretenden Leiden vereinte. Er hat den Gedanken von Jes 53 in die Tat umgesetzt und damit die Heilsweissagung des Alten Testaments erfüllt.“ 216 Obgleich Bertram sich ausdrücklich vom Historismus und der liberalen Ethisierung des Christentums absetzt, ja ein streng religionsgeschichtliches Verständnis des Urchristentums fordert, welches den A-Historismus des kulti‐ schen Denkens der Zeit des NT ernst zu nehmen habe und ihn nicht unter der Hand in ein unhistorisches, aus der Moderne bezogenes Denken verwandeln dürfe; obgleich sich daraus für Bertram überlegenswerte Perspektiven einer Deutung von Kreuz und Ostern ergeben, 217 ja sein Kampf um einen einheitlichen Ansatz betont werden muss, so bleibt doch bei Bertram ein Jesusbild, das den bekämpften Kategorien des sittlichen Vorbilds, des persönlichen Eindrucks, des prophetischen Gottesbewusstseins und damit den ungeschichtlichen Kate‐ gorien des Liberalismus verpflichtet ist. So weist Bertram auf die notwendige religionsgeschichtliche Arbeit an einem dem Ansatz der einheitlichen kultgeschichtlichen Betrachtung entsprechenden Jesusbild. Bertram nennt auch Zielpunkte, auf die eine solche Betrachtung hinführen müsse: ausgeprägte Christologie bei Jesu selbst, seine Teilhabe an der himmlischen Welt, Einbeziehung der besonderen Zeiterfahrung kultischen Denkens; Bertram vermag diesen Schritt jedoch religionsgeschichtlich nicht zu gehen, sondern bleibt bei der Verwendung platonisierender Begriffe. Etwas weiter führt K.L. Schmidts Beitrag ‚Eschatologie und Mystik‘ 218 , der ebenso um einen einheitlichen Ansatz der kultgeschichtlichen Betrachtung ringt. Religionsgeschichtlich setzt er bei Jesus die Kategorie der Vision als Vorstufe der späteren Kultmystik ein. Die Vision himmlischer Ereignisse löse die eschatologische Spannung und sei Vorstufe der Kult-Mystik. 219 Da Jesus 62 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 220 In: FS H. Gunkel, 2. Teil, Göttingen 1923, 50-134 (Neuabdruck in: ders., Kl. Schriften, 37-130). 221 A.a.O., 120. 222 Schmidt, ebd., zitiert hier P. Levertoff, Die religiöse Denkweise der Chasidim, 1918, 101, Anm. 5, der seinerseits S. A. Horodezky, Vom Gemeinschaftsleben der Chassidim, in: Der Jude. Eine Monatsschrift, 1 (1916/ 17), 599-608.649-661, hier: 606 f. zitiert. zumindest nach einigen Texten der Evangelien Visionär sei, könne man sagen, dass seine Eschatologie eine visionäre Komponente hatte und somit offen war für die im Rahmen des urchristlichen Kultus sich einstellende Beziehung zur himmlischen Welt. Bei Schmidt wird erstmals religionsgeschichtlich die Kategorie der Vision mit dem Kultischen und seinen besonderen, auf das Himm‐ lische bezogenen und die irdische Zeitlinie überholenden Ausdrucksformen verbunden. Noch deutlicher bezog K.L. Schmidt die Jesus-Tradition ein in die kultgeschichtliche Betrachtung der Evangelien in seinem Aufsatz von 1923 über die Stellung der Evangelien in der allgemeinen Literaturgeschichte. 220 Schmidt bezeichnet die Evangelien als Kultlegenden; sie partizipierten an den für diese Gattung wesentlichen Kennzeichen: Die Geschichte des Kultheros sei hier zum Übergeschichtlichen hin verdichtet. Diese Verdichtung bemächtige sich aber nicht sekundär einer davorliegenden, schlichteren und ‚irdischeren‘ Überlieferungsstufe, ja vor dem Kultheros liege nirgends die an sich, historis‐ tisch, positivistisch greifbare irdische Person, sondern schon im Schülerkreis um den irdischen Lehrer herum werde dieser zur mystisch geschauten, legen‐ darischen Gestalt. Schmidt sieht die nächsten Analogien zum Jesusbild der Evangelien im sehr viel späteren jüdischen Chasidismus, wo sich die Chasidim um den Zaddiq scharen und in diesem Gemeindekreis die Geschichtlichkeit erfahren, die in der Überlieferung sich in der vom Heros berichtenden Kultlegende ausdrückt. „Die chassidische Legende ist geradezu gesättigt mit kultischem und auch mythischem Gehalt. In ihm liegt ihre eigentümliche Kraft, wie auch beim Urchristentum die Frage nach seiner Kraft die wesentliche ist. Der Zaddik, der aus der Menge der Chassidim herausragt, ist der besondere Liebling des Himmels; durch ihn schenkt Gott der Welt seine Gnadengaben. Ihn zu lieben und zu hören ist die Pflicht jedes Chassid. Der Zaddik ist also der Mittler zwischen Gott und den Menschen.“ 221 Alles kommt an auf die Verbindung zwischen Zaddik und Gemeinde, wie sie sich kundtut im gemeinsamen Beten. Und wenn auch der Zaddik in einem abgesonderten Raum betet, kann er doch mit seiner Gemeinde verbunden sein. Solche Verbindung geht über die einzelnen Örtlichkeiten hinaus: Es schließt sich ein Ring. In einer jüdischen Schilderung 222 heißt es: ‚An Sabbaten und Feiertagen nehmen die Chassidim 63 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus Abgesehen von einigen Schreibeigentümlichkeiten lässt Levertoff nach ‚das Opfer darbringt‘ folgenden Satz ausfallen: „Auch dies erinnert an die Mahlzeiten der Essäer.“ Dieser Satz weist auf die These von Horodezky, die forschungsgeschichtlich nicht unbedeutend ist, wonach der Tempel und sein Kultus in Jerusalem die begriffliche und religiös-weltanschauliche Grundlage für eine Frömmigkeit abgegeben haben, die ohne Tempel die einst von seinem Kultus vermittelte Teilhabe am Himmel in der chasidischen Gemeinschaft mit dem Saddik fand. 223 A.a.O., 120f. 224 Das Heilige. Über das Irrationale in der Idee des Göttlichen und sein Verhältnis zum Rationalen, München 1963 (Nachdruck der 10. Aufl. von 1936), 185, Seitenüberschrift. 225 Ebd., unten. 226 Schmidt, a. a. O., 121. 227 Vgl. ders., Die Kirche des Urchristentums, in: FS Deissmann, 1927, 258-319, bes. 291ff. die ‚heilige Mahlzeit‘ am Tische des Zaddik ein. Während des Essens herrscht Schweigen. Zuweilen ‚sagt‘ der Zaddik ‚Tora‘; d. h. er erklärt Bibelstellen, die dem Tage entsprechen. Der Zaddik kostet wenig von jedem Gange. Die ‚Scherajim‘ (Reste) werden unter die Gäste verteilt. Den Tisch des Zaddik nennen die Chassidim ‚Altar Gottes‘, das Mahl ‚Opfer Gottes‘. Indem der Zaddik von den Speisen genießt, ist er der Hohepriester, der Gott das Opfer darbringt. Nach dem Mahle versammeln sich die Chassidim und verweilen in Gesprächen über ihren Zaddik. Sie wägen jedes Wort, deuten jeden Wink, jeden Augenaufschlag, den sie bemerkten, und suchen den ganzen geheimnisvollen Inhalt ihrer Beobachtungen zu ergründen. Während dieser Aussprache sitzen alle dicht beieinander; einer spricht, die andern lauschen. Jeder Unterschied zwischen Groß und Klein, Arm und Reich ist ausgelöscht. Das gesprochene Wort ist dabei von Seiten des Zaddik gar nicht das Wesentliche; dieser achtet gar nicht auf die schöne, die absichtsvolle Menschenrede. Vielmehr wird im chassidischen Schrifttum immer wieder verlangt, man solle ‚von allen Gliedern des Zaddiks lernen.‘ Man achte auf den Eindruck, den der Zaddik auf seinen Kreis macht. Er ist eine kultische Persönlichkeit schon zu seinen Lebzeiten. 223 Schmidt verwies dazu auf R. Otto, der vom „numionse(n) Eindruck Jesu auf seine Schüler“ 224 und davon sprach, Jesus sei entsprechend analogen Phänomenen der religiösen Gruppenbildung „… ein Heros bei Lebzeit …“ 225 gewesen. Schmidt fasst zusammen: „Wie der Zaddik seiner Gemeinde, seinen Jüngern, so ist auch Jesus zu seinen Lebzeiten, aber auch als der Erhöhte, der pneumatische, das πνεῦμα seiner Gemeinde, seinen Jüngern gegenwärtig gewesen.“ 226 Konsequenterweise spricht Schmidt von Jesus als dem Kultstifter des Urchris‐ tentums. 227 Diese bestechende These, die die dem Kultus eigene Mittlerschaft zum Himmel auf den irdischen Jesus zurückführen will, hat in der Forschung kaum Anklang gefunden: Sie ist zu strukturalistisch und zu sehr allgemein religionsphänomenologisch gehalten - um den romantischen Beigeschmack 64 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 228 BFChTh 33,4 (Seitenzählung hier nach dem Einzelheft). 229 A.a.O., 8-12.29f. 230 A.a.O., 12. 231 A.a.O., 7f. nicht zu betonen - und arbeitet weder religionsnoch traditionsgeschichtlich. Der Sprung von der formgeschichtlichen Gattungsbestimmung ‚Kultlegende‘ in das dafür vorausgesetzte Milieu der Tradenten bleibt ein Postulat, das durch die Analogisierung mit dem Chasidismus des 18. Jahrhunderts keine ausreichende Basis erhält. Dennoch enthält Schmidts Arbeit Hinweise, wie religions- und traditionsge‐ schichtlich weitergearbeitet werden könnte: Die kultischen Denkformen mit ihren mythischen, über die innerweltliche Geschichte hinausweisenden himm‐ lischen Komponenten sind ja offenbar noch im späten Chasidismus in Analogie zum kultischen Ritual des Jerusalemer Tempels verstanden worden. Dies führt zur Frage nach einer möglichen traditionsgeschichtlichen Rückbindung der chasidischen Kultrezeption an die frühjüdische Zeit. Die Qumran-Texte haben grundsätzlich auf das Recht dieser Fragestellung hingewiesen: Die Ideologie des Kultes ist schon in vor-neutestamentlicher Zeit umgesetzt worden in eine nicht mehr am Tempel hängende, pneumatische Gemeindelehre. Damit entsteht die den Ansatz von Schmidt traditionsgeschichtlich tragende Frage, ob Jesu Eschatologie und seine Beziehung zum Himmel in eine Tradition der Rezeption und Umsetzung des schöpfungsordnenden Anspruchs des Jeru‐ salemer Kultes gehören. In Fortsetzung seiner Untersuchung zum traditionsgeschichtlichen Zusam‐ menhang neutestamentlicher und frühkirchlicher Kultmotive mit der Tempel‐ ideologie des Judentums hat J. Jeremias in seinem Beitrag ‚Jesus als Weltvol‐ lender‘, 1930, diese kultgeschichtlichen Zusammenhänge auf die Frage nach den theologischen Leitmotiven Jesu zugespitzt. 228 Jeremias kontrastiert, ganz im Sinne der ‚Kultgeschichtler‘, den abendländischen Rationalismus und seinen auf Entwicklung bedachten Geschichtsbegriff mit dem zyklischen des Alten Orients und der Bibel: Geschichte beruhe auf dem Wissen um eine Schöpfungsordnung und den zyklischen Versuchen, durch kultische Vermittlung zu ihr zurückzu‐ kommen. 229 Jesu Auftreten stehe so unter dem Anspruch, die eschatologische Rückkehr zum Urstand der reinen, himmlisch-irdisch verbundenen, einen Schöpfung einzuleiten. 230 Jeremias orientiert sich zunächst am Rahmengerüst des triplex munus, wobei er eine Steigerung mit Kulmination im königlichen Amt sieht. 231 Auffällig und interessant ist freilich, dass Jeremias den Anspruch Jesu auf Weltvollendung stark als quasi hochpriesterliches Wirken zeichnet. Er nehme die vielfältigen, 65 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 232 A.a.O., 24ff. 233 A.a.O., 33f. 234 A.a.O., 47-52. 235 A.a.O., 58-60. 236 A.a.O., 79-81. 237 Jürgen Becker, Das Heil Gottes, 1964. kultisch tradierten Kosmos-Symbole auf; er beziehe sein Auftreten auf das Bild vom Mantel des Hohenpriesters mitsamt seiner kosmischen Symbolik, 232 er sei Baumeister des himmlisch-eschatologischen Heiligtums; 233 er beziehe auf sich die Kultmotive, die kosmische Ernährung und Versorgung anzeigen; 234 er dränge, stärker als dies je der Tempel konnte, Sünde, Tod und Teufel zurück; 235 ja sein Vollmachtsanspruch münde in seinem jenseits allen Davidismus liegenden Menschensohn-Amt. Als dieser sei er Herr der himmlischen, eschatologischen Kultordnung. 236 Der Anspruch auf Weltvollendung, die Jesus einleitet, äußert sich nach Jeremias also in einer Übernahme orientalischer und jüdischer Kultsymbolik. Der königliche, auf die ganze Schöpfung zielende Herrschaftsanspruch Jesu ziehe deshalb eine hochpriesterliche Vollmacht auf sich, weil er die kultisch verwaltete und erschlossene Schöpfungsordnung, am Tempel Jerusalems vorbei, in den eschatologischen Urzustand der gereinigten Einheit von Himmel und Erde bringen wolle. Jeremias verzichtet auf ein Auszeichnen kultgeschichtlicher Zusammen‐ hänge, sondern verbleibt stärker auf der motivgeschichtlichen Ebene. Zusam‐ menhänge bestehen vor allem mit dem unten zu referierenden Buch Lohmeyers über ‚Kultus und Evangelium‘. Die bei Jeremias und Lohmeyer - durch eine Betonung der gemeinsamen, Jesus und Urgemeinde, Bibel und Alten Orient verbindenden Motive - mögliche Betrachtung auch der Jesus-Tradition im ein‐ heitlich - kultgeschichtlichen Sinne hat in der weiteren Forschungsgeschichte dennoch immer wieder dem mit der Kultgeschichte in ihrer hellenistischen Anfangsphase verbundenen Ausweichen auf einen doppelten Ansatz Platz machen müssen. Von diesem Trend sind auch spätere Arbeiten geprägt, die die Kultfrömmigkeit der Qumran-Gemeinde in Hinsicht auf das Neue Testament untersuchen. Beckers forschungsgeschichtlich bedeutsame Arbeit zur Soteriologie der Qumrantexte 237 nennt als religionsgeschichtlich mit dem NT und der Jesus-Tra‐ dition vergleichbare Struktur das hebräische Sphärendenken, in dem sich Gottesherrschaft und Satansherrschaft gegenüberstünden und aus dem heraus es dem qumranitischen Kultdenken möglich sei, zu einer Qualifizierung der Ge‐ genwart unter dem himmlischen und eschatologischen Aspekt der Gottesherr‐ 66 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 238 A.a.O., 214. 239 A.a.O., 215. 240 Ebd. 241 Ebd. 242 A.a.O., 214. schaft zu kommen. Diese religionsgeschichtlich in den Grundzügen wohl un‐ umstrittenen Strukturen versucht Becker auch beim irdischen Jesus als wirksam zu erweisen. Er nimmt also, wenn man so will, den Impetus der ‚einheitlichen Linie‘ der Kultgeschichtler auf, kultisch getragenes religiöses Weltempfinden bei Jesus wiederzufinden. Es ist ja überhaupt deutlich, dass mit der Entdeckung der Qumrantexte die Position der ‚einheitlichen‘ kultgeschichtlichen Betrachtung gestärkt wurde, da auch hier sich priesterlich-prophetisches Reform-Charisma einzelner Lehrer mit einem neuen Kultverständnis der Gemeinde verband. Wie sieht nun aber das Jesusbild aus, das Becker auf dieser Grundlage entwirft? „War Michael in M das entscheidende Haupt, das für Gott den Kampf ausfocht, so ist es bei den Synoptikern keine Gestalt aus der damaligen Vorstellung der Himmelswelt, sondern ein konkreter Mensch. Genauer gesagt: Jesus selbst weiß sich als der an Stelle Gottes Kämpfende.“ 238 Jesus habe einen einmaligen Auftrag, eine einzigartige Vollmacht, sein Tun und Reden seien einmalig; seine christologische Vollmacht sei in ihrer Einmaligkeit irgendwie latent vorhanden, noch nicht in das religionsgeschichtlich Vergleichbare hinein expliziert. 239 „Jesus versteht sich als Gottes eschatologisches Wort und als sein entscheidendes letztes Handeln für die Menschen.“ 240 Letztlich ist es ein „unausweisbare(r) Vollmachtsanspruch“ und eine „unmittelbare Autorität“ 241 ; in all dem geschieht das „Sichereignen der Gottesherrschaft hier auf Erden …“ 242 Es ist deutlich, dass Becker hier jeden religionsgeschichtlichen Vergleich abbricht: Ist das Kultdenken der Qumranleute auf himmlische Fürsprecher an‐ gewiesen, so steht im Neuen Testament an deren Stelle ein ‚konkreter Mensch‘; zu dieser ungeschichtlichen, modernen Kategorie des ‚konkreten Menschen‘, der offenbar außerhalb eines himmlische ‚Merkwürdigkeiten‘ implizierenden Weltbildes in schlichter Gottunmittelbarkeit steht, treten dogmatische, die zudem durch eine bestimmte Kerygmatheologie geprägt sind. Brachte bei Weiss und anderen Jesu Sittlichkeit die kultische Verehrung durch die Gemeinde zustande, so ist es hier das unausweisbare Wort Gottes, das seinen Träger zum Urheber des Zur-Herrschaft-Kommens Gottes macht. ‚Konkreter Mensch‘ und ‚unausweisbarer Vollmachtsanspruch‘ hängen am ebenso richtigen wie fatalen hermeneutischen Grundsatz, wonach gilt: ‚individuum est ineffabile‘. Zum Erweis des Rechtes dieses Satzes muss aber unseres Erachtens der religionsge‐ schichtliche Vergleich soweit wie möglich getrieben werden; diesen aber von 67 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 243 Heinz-Wolfgang Kuhn, Enderwartung und gegenwärtiges Heil, 1966. 244 A.a.O., 185f. 245 A.a.O., 204, vgl. 201. 246 A.a.O., 204; Kuhn zitiert Kümmel, Verheißung und Erfüllung. Untersuchungen zur eschatologischen Verkündigung Jesu, 1956 3 , 132. 247 A.a.O., 204; Hervorhebung von Kuhn. 248 Ebd.; Hervorhebung von Kuhn. vornherein abzubrechen, bleibt Folgerung aus einem unbewiesenen Postulat. Becker unterstellt sich einem höchst zeitbedingten dogmatischen Programm, das er gegen seine eigene religionsgeschichtliche Arbeit ausspielt. Immerhin liefert Becker mit seiner Analyse des ‚Sphärendenkens‘, der Wirksamkeit damaliger ‚Vorstellungen‘ von der himmlischen Welt und der Möglichkeit, kultisch an ihr zu partizipieren, einen weiteren Hinweis auf das Selbstverständnis Jesu. Im Rahmen dieses Denkens wird Jesu christologisches Selbstverständnis beschreibbar: Es muss versucht werden, Jesu Verhältnis zur himmlischen Welt, seine Möglichkeit, in dieses Sphärendenken einzugreifen, traditions- und motivgeschichtlich zu bestimmen. Auch H.-W. Kuhn 243 kommt zu einer ähnlichen ‚Verbindung‘ von eschatolo‐ gisch-räumlichem Denken in der Qumrangemeinde und in der Jesustradition. Das Sphärendenken, welches das eschatologische Heil in Qumran und in der Jesustradition aus seiner ausschließlichen Zukunftsbezogenheit löse, stelle grundsätzlich eine gemeinsame religionsgeschichtliche Voraussetzung dar, rea‐ lisiere sich aber in Qumran aufgrund der Tempelsymbolik, 244 bei Jesus jedoch in seinem Anspruch, „dass in seinem Wirken Gottes Herrsein aufgerichtet wird.“ 245 Im Gegensatz zum Tempeldenken der Qumrangemeinde habe Jesus „… die Gegenwart der Gottesherrschaft ‚nur in seiner Person und in seinem Wirken gesehen‘“. 246 Erst die christliche Gemeinde nähere sich in ihrem präsen‐ tisch-eschatologischen Selbstverständnis der Tempelsymbolik. Sie sei von der Qumrangemeinde aber dadurch geschieden - „… etwas völlig anderes …“ 247 dass „sich schon letzte Geschichte im Christusgeschehen ereignet hat …“ 248 Auch bei Kuhn führen philosophische Voraussetzungen (‚Person Jesu‘) und die unvermittelte Rede vom ‚Christusgeschehen als eschatologisches Ereignis‘ dazu, dass letztlich die Urgemeinde und Jesus traditionsgeschichtlich isoliert dastehen. Es kommen wohl in der Tat in den zuletzt genannten Arbeiten von Becker und Kuhn zwei unterschiedliche Ansätze zusammen, einmal die kultgeschichtliche Betrachtung mit ihrer Tendenz zur Christologisierung und Mythisierung der Jesustradition und andererseits die religionsgeschichtlich sich bindungslos gebende Kerygma-Theologie, die nun dazu eingesetzt wird, den von dieser 68 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 249 Vision und Botschaft. Erwägungen zur prophetischen Struktur der Verkündigung Jesu, in: ZThK 74 (1977) 416-448. Vgl. dazu: W.G. Kümmel, TR 43 (1978), 253f. 250 Müller bestimmt dieses 'hebräische Sphärendenken' nicht näher, sondern verweist auf Kuhn, a. a. O., 201 und Becker, a. a. O., 206 f. Mit dem Begriff Sphäre sollen ein räumlicher Aspekt und ein ereignishafter zusammen ausgedrückt werden. „Die Gottesherrschaft ist eine Heilsphäre, die sich im Geschehen ereignet“, Becker, a. a. O., 207. 251 A.a.O., 416f. 252 A.a.O., 447f. 253 A.a.O., 417. 254 Müller nennt Schmidt nicht. 255 A.a.O., 418-421. 256 A.a.O., 421. 257 A.a.O., 422. 258 A.a.O., 419. kultgeschichtlichen Methode nicht gewagten Sprung zur Jesustradition zu vollziehen. Ein weiterer Beitrag zur Frage nach dem historischen Jesus von einem Ansatz aus, der mit der Fragestellung der ‚Kultgeschichtler‘ Berührung hat, stammt von U.B. Müller. 249 Das hebräischem Denken 250 entstammende, sphärenhafte Weltbild, wonach Gottes- und Satansherrschaft nach dem Menschen greifen und die Gegenwart bestimmen wollen, sei bei Jesus zur Ansage des Hereinrei‐ chens der eschatologischen Heilssphäre Gottes in seine irdische Wirksamkeit verdichtet. 251 Müller wendet sich gegen die sonst übliche Kategorie der Unmit‐ telbarkeit und Unableitbarkeit der Vollmacht Jesu, 252 widerspricht hier also u. a. Becker und Kuhn, deren Qumran-Analysen er sich ansonsten angeschlossen hat. 253 Vielmehr sei vor diesem Hintergrund des sphärischen Weltbildes auch die Frage nach Jesu Vollmacht und ihrer Begründung grundsätzlich dem religions‐ geschichtlichen Vergleich offen, der auf die Bedeutung der Kategorie ‚Vision‘ hindeutet. Ähnlich K.L. Schmidt 254 verweist Müller auf Lk 10,18, den Visionsbericht, welcher Jesus Kenntnis himmlischer Zusammenhänge zuweist. Die Vision enthält die Voraussetzungen für seine irdische Mission. 255 Die Vision Lk 10,18 sei dabei noch ganz auf Gott bezogen, was für ihre Ursprünglichkeit spreche: „Gottes Kampf gegen den Satan im Himmel und die irdische Auseinanderset‐ zung Jesu mit den Dämonen entsprechen einander.“ 256 Dabei sei Lk 10,18 von anderen apokalyptischen Visionen unterschieden, da diese ein zukünftiges Ereignis als himmlisch bereits eingetreten verkündigten 257 und damit - so meint es wohl Müller - sich doch rein an der Zukunft und dem apokalyptischen Grundempfinden der heilsleeren Gegenwart festmachten. 258 Für Lk 10,18 und die 69 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 259 A.a.O., 422. 260 A.a.O., 419. Hinter dieser Einschätzung steht das bei Kuhn und Becker ungelöste Problem des Zusammenhangs von Apokalyptik und Kultdenken, vgl. oben S. 48f. 261 A.a.O., 423. 262 A.a.O., 424; Müller zitiert F. Horst, Die Visionsschilderungen der alttestamentlichen Propheten, in: EvTheol 20 (1960), 204. 263 A.a.O., 425. 264 A.a.O., 425f. 265 A.a.O., 426. 266 Ebd. 267 Ebd. βασιλεία-Verkündigung Jesu liege eine gegenwärtig vorgegebene himmlische Veränderung offen, die sich himmlisch und irdisch schon jetzt realisiere. 259 Wenn wir Müller recht verstehen, versucht er zwischen einer apokalypti‐ schen Kategorie der visionären Prolepse, welche in der Zukunft festgemacht ist, und einer solchen zu unterscheiden, die sich nur in Qumran 260 und bei Jesus finde, nämlich der Kategorie der Entsprechung und Korrelation, welche im himmlischen Geschehen des Handelns Gottes gegen Satan festgemacht sei. Daraus ergebe sich ein Gefälle von der Vision, die himmlisches Geschehen enthülle, zur Botschaft des Visionärs, die sein irdisches Auftreten in Korrelation zum Geschauten bringe. Da religionsgeschichtlich nicht die apokalyptischen Visionen als Vergleich heranzuziehen seien - zumal diese kaum noch auf echtem Erleben beruhten 261 -, blieben nur die klassischen biblischen Propheten, bei denen ebenso die prophetische Schau aufdecke, „was in der Sphäre Gottes als Willenswirklichkeit gesetzt ist und sich zum Durchbruch in die Welt rüstet.“ 262 „Es scheint eine Eigenart prophetischer Offenbarungsgewissheit zu sein, dass der Prophet gerade aufgrund seiner Vision zur entscheidenden Grundüberzeu‐ gung gelangen kann, dass nämlich Gott Endgültiges schon in der Gegenwart bewirken will, ja bewirkt hat.“ 263 Die Elemente Vision und Botschaft, ‚Schau des Wissens‘ und Engelsgemeinschaft der Gemeinde, allgemein eine Verbindung von Sehen und Verkündigen, lasse sich für das gesamte nachbiblische Judentum nachweisen; 264 jedoch sieht Müller die hauptsächliche Entsprechung bei den alttestamentlichen Propheten. 265 Der Vergleich der Eschatologie Jesu mit der des Täufers mache zudem deutlich, dass dieser das Ende zwar als nahe erwarte, da die Vorbereitungen dafür im Himmel abgeschlossen sind, während Jesus mit der Vision des Satanssturzes ein himmlisches Ereignis, welches eschatologische Bedeutung habe, als abgeschlossen schaue. 266 Während der Täufer anscheinend noch dem apokalyptischen Empfinden der heilsleeren Gegenwart unterstehe, habe Jesus mit seiner neuen Eschatologie einen ihm eigenen Vorsprung. 267 70 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 268 A.a.O., 426f. 269 A.a.O., 428. 270 A.a.O., 431. 271 A.a.O., 440. 272 A.a.O., 417. 273 Vgl. oben S. 59. Wie schon erwähnt, habe die Vision Lk 10,18 bei allem ursprünglich nicht christologische Bedeutung, da der Schauende in den himmlischen Vorgang nicht hineingenommen werde. Die Vision sei eine Wissensmitteilung, die eine neue Botschaft ermögliche, jedoch nicht Berufungsvision. 268 Die Vision sei im Gegensatz zu der der Apokalyptiker keine Legitimationsform, vielmehr bleibe Jesus wie die klassischen Propheten der auf Glauben hin Redende. 269 Auch die ethische Botschaft Jesu bedeute eine gegen jede Tradition 270 sich richtende Radikalität und hänge an der ihm geschenkten Erkenntnis von der Entmachtung der Satansherrschaft durch Gott. „Die Herrschaft des Satan bestand für Jesus nicht nur in der Macht über die von Dämonen besessenen Kranken, so dass die Durchsetzung der Herrschaft Gottes sich gerade in den Dämonenaustreibungen manifestierte (Lk 11,20). Seine Bedeutung zeigte sich auch in seiner Möglichkeit, zur Sünde zu verführen. Deshalb ist die Bitte Lk 11,4 notwendig. Doch ist die Macht des Satans eine inzwischen angegriffene Macht (Lk 10,18), so dass die Zuversicht des Jüngers berechtigt ist, im Kontakt mit dem Sünder und dem Unreinen der Sünde und Unreinheit als metaphysischer Größe nicht zu erliegen. Von daher wird das Gebot der Feindesliebe zur realen Möglichkeit.“ 271 Die nicht zuletzt in diesem Zitat aufleuchtende Perspektive eines einheit‐ lichen Verständnisses von Jesu Botschaft und Handeln auf dem Fundament visionär vermittelten, himmlischen Wissens, der Versuch, Jesu ἐξουσία religi‐ onsgeschichtlich verständlicher zu machen, lassen es lohnend erscheinen, Mül‐ lers entscheidende Voraussetzungen zu beleuchten, um so seine Fragestellung weiter aufnehmen zu können. Das in Anschluss an Becker und Kuhn bemühte ‚Sphärendenken‘ 272 um‐ schreibt an sich kein spezifisch hebräisches Weltempfinden; dies hat die religionssoziologisch arbeitende Studie von Aune 273 deutlich gemacht. Das Sphären-Denken entsteht überall dort, wo ein Menschenbild akzeptiert ist, nach dem der Mensch ein durch Außenbedrohung angegriffenes, von Mächten umkämpftes Wesen ist. Vornehmlich steht er zwischen den Sphären des ‚Reinen‘ und ‚Unreinen‘, des ‚Profanen‘ und des ‚Heiligen‘, des schädigenden Zaubers und des schützenden, apotropäischen Kultes. Damit scheint gegeben, dass das Sphärendenken immer schon in einem spezifischen, traditionsgeschichtlich besonderen Deuteverbund steht. Dieser ist im Judentum z. Zt. Jesu durch 71 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 274 Vgl. IHen 10,4ff. 275 A.a.O., 425, vgl. 428. die kultische Weltdeutung des Tempels bestimmt: Mit Sünde, Tod und Teufel greifen nach dem Menschen negative, anti-kultische und auf Störung der ursprünglichen Schöpfungsordnung ausgerichtete Kräfte. Der Kult tritt ihnen durch Entsühnung und Symbolisierung der Schöpfungsordnung entgegen. Der Kultus hängt mit der himmlischen Schöpfungshälfte zusammen, 274 so dass auch die Bekämpfung des Satans als kultischer Vorgang zugleich ein himmlischer ist. Der von Müller untersuchte Zusammenhang von himmlischem Satanssturz und irdischem Exorzismus wird also schwerlich durch den Rückgriff auf die prophetische Struktur von Vision und Botschaft hinreichend geklärt. Vielmehr ist bei der Beobachtung einzusetzen, dass der Inhalt der Botschaft Jesu - Gottesherrschaft als Befreiung von Sünde, Tod und Teufel - Thema des Kultus und seiner mehr oder weniger zum Bereich der πρᾶξις gehörenden Derivate ist. Kultus weist aber nie auf eine nur theologische Form der Bindung des Satans, sofern zum Ritus ausführende Menschen gehören. Auch die sich vom Kultus lösende Form der ‚Bindung‘, die exorzistische ἐξουσία des Charismati‐ kers, ist nicht als in rein theologischer Begründung ruhende zu denken. Wie zwischen göttlichem und menschlichem Handeln im Kultus eine unauflösliche Korrelation besteht, so ist das Handeln des charismatischen Exorzisten auf die Bereitschaft des Himmels zur ermöglichenden Mitwirkung angewiesen. Im Tun des Exorzisten wirkt der Finger Gottes, er ist so mit dem Geist verbunden, dass Lästerung seines Geistes Lästerung Gottes ist. Hier müssen also christologisch kräftigere Verbindungen eingesetzt werden als nur die von der Vision zur Botschaft. Der Exorzist ist nicht nur Wortträger, sondern λόγος und πρᾶξις sind aufeinander bezogen. Lk 10,18 ist kaum ein rein theologischer Spruch, da gerade die die Visionen Schauenden in eine unmittelbare Beziehung zum Geschauten gebracht werden. Das rationalistische Modell, dass das, was dem Propheten wichtig ist, seinen Ursprung bei Gott hat, 275 stellt zwar seinerseits eine ungeschützte Eintragung dar, gibt aber dem Empfinden Ausdruck, dass Vision nicht bloß Mitteilung über fremdes Geschehen ist. Müllers Betonung des Entsprechungsgedankens muss also christologisch stärker aufgenommen werden. Besonders fragwürdig ist die Unterscheidung zwischen apokalyptischer Vision, die von der heilsleeren Gegenwart ausgehe und der Vision Jesu, die auf Eschatologisches als in die Gegenwart Hineinragendes schon zurückblicke. Der Rückgriff auf Himmlisches bringt immer eine eigene zeitliche Qualität des Himmlischen mit der irdischen Geschichte zusammen. Schöpfung und 72 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 276 Kultus und Evangelium, 1942,33ff. Eschaton sind zunächst im Himmlischen beginnende Prozesse, solche, in denen das Abrücken der irdischen Geschichte vom himmlischen Gang gleichsam zurückgenommen ist. Zugang zum Himmlischen betont also Zugang zum Geheimnis von Schöpfung und Erlösung. Der Himmel ist aber nicht das Reich der Ideen, sondern auch der Himmel hat seine Geschichte, deren Prae darin besteht, dass hier Anfang und Ende überschaubar sind, weil der Himmel an den Bereich der Transzendenz angrenzt. Der Ausdruck der ‚Willenswirklichkeit‘ für das Prae der himmlischen Prozesse vor ihrer irdischen Realisierung ist zu subjektiv, da es um eine gegliederte Wirklichkeit geht, in der Himmel und Erde in ihrer kosmischen Entsprechung auch geschichtlich aufeinander bezogen sind. Auch Gott ist darin wohl nicht isoliertes Individuum, das einsam seinen Willen durchsetzt, sondern Haupt einer himmlischen Kultgemeinde, zu der die irdische Gemeinde hinzustoßen kann. Die Unterscheidung zwischen ‚Nahe-Be‐ vorstehen‘ ‚Schon Da-Sein‘, ‚heilsleere Gegenwart‘ ‚Anbruch der Erlösung in der Gegenwart‘ dürfte kaum durchzuführen sein. Der Täufer kündet ja auch nicht nur den Zorn als vor der Tür stehend, die Vorbereitungen zum Gericht als himmlisch abgeschlossen an, sondern er hat, als Beerber des Kultbetriebs, den apotropäischen Kultakt der Taufe bereit, der Vergebung der Sünden und Reue bewirkt, also eine Heilsgabe in die Gegenwart stellt. Zu fragen wäre allenfalls, ob es einen begründbaren Unterschied gibt zwi‐ schen der Vision des Exorzisten und der des ‚bloßen‘ Offenbarungsmittlers: Bei diesem läge das Schwergewicht in der legitimierenden Verbindung von Vision und Botschaft, während bei jenem das besondere exorzistische Wissen, oder gar die Gewinnung einer himmlischen Gestalt, mit dem Himmlischen zu tun hätte. Vermutlich ist auch diese Unterscheidung zu eng gefasst: Die ‚theoretische‘ Mystik des Judentums hat neben sich immer die ‚praktische‘ Theurgie gehabt. Jedenfalls ist Müllers alleiniger Rückgriff auf die klassischen Propheten einseitig. Religionsgeschichtlich weist Müller darauf hin, dass Jesu Kontakt zur himm‐ lischen Welt Grundlage zu sein scheint für seine präsentisch-eschatologische Verkündigung und sein antidämonisches Wirken. Im Hinblick auf die bei Müller nur schwach angedeuteten christologischen Konsequenzen ist nochmals auf Lohmeyers Programmschrift „Kultus und Evan‐ gelium“ einzugehen. Wie die βασιλεία-Verkündigung Jesu ganz den kultischen Gedanken der Theokratie in seiner eschatologischen Vollendung sehe, so stehe Jesus als Kämpfer gegen Sünde, Tod und Teufel in der Aufgabe, die im Kultus betont der Priester, zumal der Hohepriester, wahrnehme. 276 Christologisch liege 73 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 277 A.a.O., 36f. 278 A.a.O., 44, vgl. 97. 279 A.a.O., 45. 280 A.a.O., 49ff.54. 281 A.a.O., 88. 282 A.a.O., 108. 283 A.a.O., 97. 284 A.a.O., 82, vgl. 86. 285 A.a.O., 82. die eschatologische Überbietung des kultischen Kampfes gegen Sünde, Tod und Teufel deshalb in Jesu ἐξουσία, weil in ihm der himmlische ‚Menschensohn‘ wirke. 277 „Er ist darum der eschatologische Herr dieses Tempels, ist es als König und Hoherpriester zugleich, wie ihn schon die Vision des Daniel in solcher doppelten Würde zeigt.“ 278 Jesus als himmlischer Menschensohn ist daher nach Lohmeyer eine Art himmlischer Hoherpriester: Im Tun des Menschensohnes auf Erden liege die himmlische Sphäre eingebunden. 279 Der Menschensohn als ‚Heiliger Gottes‘ und eschatologischer Hoherpriester sei Neustifter der eschatologischen Heiligkeit und der eschatologischen Gemeinde Gottes. 280 Als solcher wirke er auch gegen die Dämonen, die mit Krankheit und Sünde be‐ haften. 281 „Er befreit nicht nur von Sünde und Unreinheit, sondern bannt seinem Anspruch nach Krankheit und Not, Bedrückung und Tod, die dem Charakter der Heiligkeit widerstreben, aus dem ihm anvertrauten Volke und Lande.“ 282 In Jesu Wirksamkeit verbinde sich so das irdische Tun des Exorzisten mit dem himmlischen des Menschensohns. Jesu Beziehung zum eschatologischen Menschensohn gebe seinem Wirken eine zweifache Bedeutung: eine geschicht‐ lich-irdische und eine himmlisch-eschatologische. 283 „Um aber den Kultus zu vernichten und zu überwinden, bedarf es eines anderen Standortes und einer anderen als der überkommenen Heiligkeit. Der Ort, auf dem der Vollender steht, der zugleich der Zerstörer ist, liegt außerhalb der Geschichte …“ 284 So sei die Menschensohn-Christologie der Ansatz der Jesustradition, Jesus mit dem Prozess der Himmel und Erde umfassenden eschatologischen Vollendung zu verbinden. Dabei ist bei Lohmeyer nicht ganz klar, wie und ob der irdische Jesus sich auf den himmlischen Menschensohn bezogen habe. Letztlich steht hinter dieser als Thesenreihe klaren Position auch beim späten Lohmeyer noch das liberale Jesusbild des von den Tora-Regeln zur sittlichen Freiheit entbundenen Handelns der Liebe. 285 Beachtenswert und als Anknüpfungspunkt für unsere Arbeit grundlegend bleiben Lohmeyers aus seiner kultgeschichtlichen Betrachtung erwachsene Thesen zur Menschensohn-Christologie und zu Jesu priesterlich-messianischem Wirken. Er wirkt als exorzistischer Kämpfer gegen die dämonischen Kräfte von 74 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 286 Beobachtungen zur messianischen Hohepriestererwartung in den Synoptikern, in: Auf das Wort kommt es an. Gesammelte Aufsätze, zum 70. Geburtstag herausgegeben von Johannes H. Friedrich, Göttingen 1978, 56-106 (= ZThK,53 (1956), 265-311). 287 A.a.O., 66; Hinweis auf K.L. Schmidt, Art. ‚Jesus Christus‘, in: RGG 2 , III, 145. 288 A.a.O., 66ff. 289 A.a.O., 69. 290 A.a.O., 69-71. 291 A.a.O., 71ff. 292 A.a.O., 75ff. 293 A.a.O., 80ff. Sünde, Tod und Teufel. Nach der beginnenden Auswertung der Qumran-Funde hat G. Friedrich 286 den Ansatz Lohmeyers aufgenommen. Allerdings beschränkt Friedrich sich auf eine Untersuchung der Wirksamkeit der Hochpriesterchristo‐ logie des Urchristentums bei den synoptischen Evangelisten, lässt also offen, ob seine Ergebnisse über die redaktionsgeschichtliche Frage hinaus einen Beitrag zur Darstellung des irdischen Jesus geben können. Dennoch weist Friedrich, die Ansätze Lohmeyers verstärkend, auf die entscheidenden Punkte, von denen her die kultgeschichtliche Betrachtung zu einem klareren Bild des irdischen Jesus vorstoßen kann: Grundlegend sind für Friedrich - im ausdrücklichen Anschluss an K.L. Schmidt 287 - die Dämonengeschichten. Jesus sei Exorzist, in Aufnahme der klassischen Priesterfunktion, nämlich der Bekämpfung des dämonischen Einflusses auf den Menschen in Unreinheit, Krankheit und Sünde. 288 Dabei gelte: „Jesus ist für ihn (scil. den Geist des Besessenen) nicht irgendein Zauberer, sondern der eschatologische Bezwinger der dämonischen Mächte, der über die bösen Geister Vollmacht hat.“ 289 Friedrich weist damit indirekt auf die Notwendigkeit, vom kultgeschichtlichen Ansatz her die antidämonische Macht der Priester im Gegenüber zu den von der Institution ‚Kult‘ unabhängigen Formen ‚Magie‘ oder ‚Zauber‘ zu bestimmen. Die alte Sohn-Gottes-Christologie bezieht sich nach Friedrich auf diesen priesterlich-messianischen, antidämo‐ nischen Kontext. 290 Ebenfalls in den Bahnen der älteren kultgeschichtlichen Betrachtung steht Friedrichs Versuch, Jesu Taufe vom Taufverständnis des Ur‐ christentum als Einführung in den Priesterstand zu verstehen. 291 Jesu Taufe sei Weihe zum eschatologischen Hohenpriester; der Geistbesitz sei Salbungsgabe an den eschatologischen Hohenpriester, der so den Dämonen in der Versuchung wirksam widerstehen und das eschatologische Erlassjahr der Befreiung aller ‚Bessessenen‘ ausrufen könne. 292 In Anknüpfung an Lohmeyer deutet Friedrich schließlich den Themenkomplex ‚Jesus und der Tempel‘ als Kampf des eschato‐ logischen Hohenpriesters um den Gottesdienst der Endzeit. Christologisch stehe hier der Priestermessias gegen den Anspruch, davidische Tradition erfüllen zu müssen. 293 Die Menschensohn-Christologie trennt Friedrich deutlicher als 75 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 294 Der Sohn Gottes, in: ZNW, 47 (1956), 113-133. 295 A.a.O., 114-117. 296 J. Jeremias, Abba, Göttingen, 1966, 191-216. 297 A.a.O., 119f. 298 A.a.O., 131; das Zitat weist zurück auf W. Manson, Bist du der da kommen soll? 1952, 131f. 299 A.a.O., 125f. Lohmeyer vom Ansatz der Priestermessianität, obgleich in der Leidenslehre des Johannesevangeliums und des Hebräerbriefes diese Verbindung ausdrücklich gezogen zu sein scheint. Dass die Gestalt des Hohenpriesters in Traditionen des frühen Judentums messianisch geprägt wurde, gibt für W. Grundmann - im Gegenüber zur klas‐ sischen These vom hellenistischen Ursprung - den traditionsgeschichtlichen Anknüpfungspunkt für die Sohn-Christologie der Synoptiker. 294 Grundlage sind vor allem TLevi Kapp. 4 und 18, sowie TJuda Kap. 21. Der Hohepriester ist himmlischer Kultdiener und steht im Gegenüber zu Juda in der Würde des himmlischen Königtums; ihm ist geöffnet der Zugang zur himmlisch-eschato‐ logischen Seinsweise der sündlosen Paradiesexistenz. 295 Ganz deutlich weist Grundmann darauf hin, dass der Zugang zum himmli‐ schen Königtum und die damit verbundene Sohnes-Christologie erst vor dem Hintergrund der Hochpriester-Lehre ihre Bedeutung gewinnt. Allerdings will Grundmann - mit Jeremias 296 - den traditionsgeschichtlichen Zugang zu diesem Komplex in der παῖς-Lehre sehen. 297 Die alte Vater-Sohn-Lehre Jesu reduziert Grundmann mit W. Manson auf einen Ausdruck Jesu „persönlichen, religiösen Bewusstseins“. 298 Die Gottesknecht-Christologie gehe auf den Irdischen zurück. Da auch der Gottesknecht im Judentum als messianischer Hoherpriester ver‐ standen werden konnte, bezeugten die Evangelien „… die Ineinssetzung von Gottessohn und Gottesknecht, und zwar auf der Grundlage des Nenners ‚mes‐ sianischer Hoherpriester‘“. 299 Diese etwas mathematisch errechnete traditionsgeschichtliche Entwicklung - Sohnbewusstsein, Weg als Gottesknecht und Menschensohn, Umsetzung der Gottesknecht-Lehre, unter Einwirkung der Tradition vom messianischen Hohenpriester als Sohn, zur Sohn-Lehre - würde plausibler, wenn der innere Zusammenhang deutlicher aufgewiesen werden könnte. Dies kann nur so geschehen, dass man die Implikationen der Sohn-Lehre bei Jesus ernstnimmt: Mit ihr ist ein Zugang zum Vater umschrieben, ein direktes Treten in seine heilige Nähe. Dies ist aber auch das Grundanliegen der Hochpriestertradition, die diesen als Intimus Gottes zeichnet. So ist zu fragen, ob die Sohn-Lehre nicht von Anfang die Zugangsberechtigung zur heiligen, himmlischen Nähe 76 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 300 R. Campbell Thompson, Semitic Magic. Its Origin and Development, London 1908 (Lazac’s Oriental Religious Studies 3), XIIf. 301 S. Mowinckel, Psalmenstudien, Buch V: Segen und Fluch in Israels Kult und Psalmen‐ dichtung, Kristiania 1924, 14-18, Anm. 1 (Exkurs). 302 Vgl. für den Bereich des frühen Judentums R. Patai, Man and Temple, 1947 (Nachdruck 1967) 8-21, und zum religionsgeschichtlichen Hintergrund im Alten Orient vgl. jetzt B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, Neukirchen 1982, 7-11. 33-47. 303 Vgl. B. Janowski, a. a. O., 309-313. 355ff. 304 Vgl. grundlegend J.G. Frazer, The Golden Bough. A Study in Magic and Religion, I/ 1, London 1926 3 , 420 f. K. Goldammer, Der Schamanismus in der Vorwelt und Umwelt des Christentums. Ein religionsgeschichtliches Zentralphänomen in Beziehung zur biblischen Religion, in: ThLZ 81 (1956) 394 f.; ders., Elemente des Schamanismus im Alten Testament. Beobachtungen zur religionsgeschichtlichen Verknüpfung der altisra‐ elitischen Religion und zur Vorgeschichte des biblischen Prophetismus, in: Studies Geo Widengren, Bd. II, 1972, 267-285; J.P. Brown, The Mediterranean Seer and Shamanism, in: ZAW, 93 (1981), 374-400. 305 Vgl. R. Campell Thompson, a. a. O., XVII ff.; G.P. Wetter, Altchristliche Liturgien I, Göttingen 1921, 169f.181. Gottes meint und an sich schon immer am Modell der Gottesbegegnung des Hohenpriesters orientiert ist. In den Arbeiten von Lohmeyer und Friedrich klingt die Frage nach dem Verhältnis von Kultus und πρᾶξις an. Der Kultus ist die öffentliche Institution, welche die Welt verwaltet; dazu gehört auch der Hintergrundsbereich der Welt, biblisch gesprochen der himmlische Teil der Schöpfung. Seit Thompson 300 und Mowinckel 301 ist es zum Gemeingut der Forschung geworden, das Funktionieren des Kultus vor dem Hintergrund eines ‚magischen‘ Weltbildes zu sehen: Der Kultus regelt das Beziehungsfeld, in dem alles Sein miteinander verbunden ist, im Sinne einer ‚positiven‘ Ordnung. Kultus ist so Ausdruck und Garant einer guten kosmischen und sozialen Ordnung. Der kultisch-rituelle Vollzug bedeutet eine ontologisch wirksame Größe, die negative Schadenskräfte bannt und durch Reaktivierung der Schöpfungsordnung Heil mehrt. 302 Auch die Entsühnung, als eine im Alten Orient grundlegende Funktion des Kultes, beruht auf der von der den Kult schützenden obersten Gottheit geschaffenen Möglichkeit, durch rituellen Vollzug Schadenskräfte, welche Unreinheit und Sünde auf Menschen bringen, zurückzuweisen. 303 Religionsgeschichtlich scheint der Kult als öffentliche Ordnungsinstitution auf einen Schamanismus zurückzugehen, dessen Wirksamkeit man auch im Bereich des Vorderen Orient und in der biblischen Tradition meint nachweisen zu können. 304 Andererseits wird Kultus offenbar ständig begleitet von mehr ‚privateren‘ Formen, die in den vom Kultus verwalteten Bereich eingreifen und sich dem Verdacht der ‚Magie‘ aussetzen. 305 Die auch magisch, d. h. auch außerhalb des Kultus, verwendbare Macht des Kultus liegt in der in ihm 77 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 306 Vgl. Mowinckel, Religion und Kultus, a. a. O., 46f. 307 London 1978; dt. Übersetzung unter dem Titel ‚Jesus der Magier‘ erschien 1981 im Listverlag, München, zit. wird die Originalausgabe. 308 A.a.O., 4, Hervorhebung im Original. gehüteten Tradition über das Geheimnis der Schöpfung, ‚was sie im Innersten zusammenhält‘. Vor allem der heilige Name der Gottheit, die Kenntnis dessen, wie sie die Schöpfung geordnet und Himmlisches und Irdisches aufeinander bezogen hat, bilden das Kultgeheimnis. Der Kultus partizipiert so an der gebietenden Schöpfungsmacht der den Kultus haltenden Gottheit. 306 Wenn Jesus außerhalb des offiziellen jüdischen Kultus auf die Ebene des himmlischen Schöpfungshintergrundes vorstößt - dies tut er als Exorzist, Bekämpfer von Sünde, Tod und Teufel und in dem von Jeremias als Anspruch auf Weltvollendung umrissenen Zusammenhang -, kommt die diesen Anspruch haltende Christologie in das Kraftfeld der Auseinandersetzung von Kultus und Magie zu stehen. Wenn Jesus von den Dämonen der ‚Heilige Gottes‘ genannt wird, so führt dies vor die Frage, ob er eine Hochpriester-ähnliche Gestalt ist, die in einer eschatologischen und von Gott legitimierten Weise am irdischen Kult vorbei sich vom himmlischen Schöpfungshintergrund aus in die irdischen Dinge einmischt; oder ob er Magier ist, der das Kultgeheimnis unlegitimiert missbraucht. Vor diesem Hintergrund ergibt sich mit einer gewissen Notwendigkeit das von M. Smith angeschlagene Thema „Jesus the Magician“. 307 Wie der kultgeschichtlichen Betrachtung in der Linie Deissmann/ Bertram/ K.L. Schmidt/ Lohmeyer geht es Smith um einen einheitlichen Ansatz der neutestamentlichen Traditionsbildung, die in ihren wesentlichen Elementen auf den irdischen Jesus zurückgehe. Dazu gehören nach Smith die das Gemeindeleben in seiner ‚vertikalen‘ Ausrichtung bestimmenden Sakramente Taufe und Abendmahl samt ihrer Grundinterpretation. Ferner die Christologie, in der Jesu sich als himmlisches Wesen sehe. Hintergrund für diesen einheitlichen Ansatz ist Smith Rekurs auf das ‚magische‘ Weltbild, welches in Palästina und allgemein im hellenistischen Raum grundlegend sei und religiös ähnliche Ausdrucksformen suche, so dass für Smith Zauberpapyri und Zaubermystik des Judentums (Sefer Ha-Razim) aus motivgeschichtlichen Gründen nebeneinander stehen. Mit den älteren ‚Kultgeschichtlern‘ verbindet Smith auch der antiliberale Impetus bei der Rekonstruktion einer Christologie schon des irdischen Jesus: „Moreover, the fundamental antithesis, that between ‚the Christ of faith‘ as a mythological figure and ‚the Jesus of history‘ as preacher free of mythological presuppositions, is anachronistic. Where in ancient Palestine would one find a man whose understanding of the world and of himself was not mythological? “ 308 78 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ 309 A.a.O., 129-137; vgl. ders., Clement of Alexandria and A Secret Gospel of Mark, Cambr./ Mass., 1973, 248-251; ders., Jesus’ Attitude towards the Law, in: Papers of the Fourth World Congress of Jewish Studies I, Jerusalem, 1967, Engl. Section, 241ff. 310 A.a.O., 50.114.124f.137-139; ders., Secret Gospel, a. a. O., 237-248. 311 A.a.O., 122f. 312 A.a.O., 123f. 313 A.a.O., 30-36.104. 314 A.a.O., 78.81.114. 315 A.a.O., 35f. Im Rahmen eines mythologischen Weltbildes, das wesentlich auf ein Reich himmlischer Zwischenwesen zugeordnet sei, trete Jesus als Wundertäter auf. Gegen die liberale Forschung gilt nach Smith, dass die Wunder, nicht die Lehre Jesu das Ursprüngliche sind. Die Lehre sei bei Jesus esoterische Belehrung des Magiers, während das gesamte halachische Material sekundär in die Jesustra‐ dition gekommen sei. 309 Jesus sei von Haus unnomistisch; seine Wirksamkeit als Magier gipfele in der sakramental bewirkten Befreiung vom Gesetz. Die Taufe sei bei Jesus geheimer Ritus eines ekstatisch-visionären Eingangs in die himmlische βασιλεία, in der die Tora nicht gelte und von der der Aufsteigende somit befreit werde. 310 Das Abendmahl bewirke magische Vereinigung der Teilnehmer mit dem Kultgott, mit dem der Magier sich identifiziere. 311 Das Johannesevangelium enthalte wahrscheinlich in Sprüchen der Abschiedsreden über ‚Liebe‘ und ‚Einheit‘ esoterische Abendmahlsworte des Kultstifters. 312 Die Vollmacht des Magiers bestehe in dem von ihm kontrollierten Umgang mit der Geisterwelt. Hierin, in der Spannung von Geistbesitz und Besessenheit, liege von Anfang an der Ausgangspunkt für Auseinandersetzungen, die sein Wirken als dämonische Besessenheit eines Magiers oder als theologisch legitime Begabung mit dem Gottesgeist deuten. 313 Grundlage ist für Smith auf alle Fälle die magische Kategorie der Vergottung durch Gewinnung eines göttlichen Geistes als πάρεδρος, wie sie die Tauf- und Versuchungsgeschichte andeuten würden. 314 Aus der frühen christlichen Tradition einer exorzistischen Benutzung des Jesusnamens werde deutlich: „Such use of the name of course depends on the supposition that the person named is a supernatural power. We have here another form of the notion of Jesus presupposed by the exorcism stories - the notion that he is, or is united with, a supernatural being, so that even his name is a power.“ 315 Als solches Wesen, das sich zu den κρείττονα γένη gehörig wisse, sei Jesus θεῖος, υἱὸς θεοῦ, θεός, hebr./ aram. gehöre er zu den ינב םיהלא , sei im Sinne apo‐ kalyptischer Mythologie himmlischer רב אשנ . Wie das geheime Taufsakrament nach Smith magisch eine halluzinatorische Himmelsreise erschließe, so sei Jesus selbst in seinem Geistbesitz/ seiner Besessenheit zum magisch-ekstatischen Um‐ 79 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus 316 A.a.O., 125; Hervorhebung im Original. 317 A.a.O., 139. 318 Vgl. meinen Beitrag: Jesus und die antike Magie. Bemerkungen zu M. Smith, Jesus der Magier, in: EvTh, 43 (1983), 156-175. 319 M. Margalioth (Hrsg.), Sepher ha-razim. A Newly Recovered Book of Magic from the Talmudic Period, Jerusalem 1966. gang mit der himmlischen Welt befähigt; diese historische Tatsache spreche noch aus den Überlieferungen des Joh.ev. (3,13), aus dem Hymnus Phil 2,5-11 und aus 2. Kor 12,2-5. „Jesus appears in the gospels as one who knows the world of spirits. This was the age old claim of the goetes, and shamans were also famous for their ascents into the heavens. It was also the claim of the Jewish magician who put together The Book of Secrets (SHR).“ 316 Die nachösterliche Verehrung des Auferstandenen und Erhöhten bedeute eine Fortsetzung des halluzinatori‐ schen Umgangs der Jünger mit ihrem nun ganz in die Welt des πνεῦμα einge‐ gangenen Meisters, also eine Fortsetzung der spirituellen Übungen, die sie der Irdische gelehrt habe. 317 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit Smith ist hier nicht möglich. 318 Smiths Arbeiten markieren u. a. den extremen Endpunkt einer einheitlich-kult‐ geschichtlichen Betrachtung der Jesus-Tradition und des Neuen Testaments. Die himmlische Dimension, die für das kultische Weltempfinden so charakteristisch ist, erschlösse sich nicht erst der Kultfrömmigkeit der Gemeinde, sondern schon der irdische Jesus verstände sich als himmlisches Wesen, insofern er sich und seinen Jüngern magisch-rituellen Zugang zum Himmel verschaffte. Der Kultgott, der als himmlisches Wesen das Sakrament stifte, sei der irdische Jesus. Damit ist deutlich, dass Smith Jesus radikal hellenisiert, ja paganisiert: Das sakramentale Denken hellenistischer Magie hätte auch Jesus erreicht. Damit wird Jesus ganz von der jüdischen Tradition getrennt, mit Teilen von ihr - so mit der häufiger erwähnten Zauberschrift ‚Buch der Geheimnisse‘ 319 - insofern zu vergleichen, als sich auch hier das heidnisch-magische Denken zeige. Damit ist die einheitlich-kultgeschichtliche Betrachtung von ihrem hellenis‐ tischen Ende her durchgeführt. Diese Lösung ist historisch sehr unwahrschein‐ lich. Denn das Thema ‚Reich Gottes‘ und der Kampf gegen ‚Sünde, Tod und Teufel‘ markieren Bindungen Jesu an die Kulttradition des Judentums. Der Himmel, zu dem die βασιλεία in enger Beziehung steht, ist nicht das heidnische Pantheon, sondern der Bereich der heiligen Nähe des Gottes Israels. Nicht Liberalismus, sondern eine eschatologische Befähigung, dem heiligen Willen Gottes ohne Tora genügen zu können, sind hier Zielpunkte. Man kann den Zugang zum Himmel, sofern man darin einen inneren Kern der Botschaft Jesu sehen will, nicht an der Apokalyptik vorbei religionsgeschichtlich bestimmen. 80 B) Von der ‚konsequenten Eschatologie‘ zur ‚kultgeschichtlichen Betrachtung‘ Die in der übrigen kultgeschichtlichen Forschung angedeutete Richtung, Jesu Vollmacht aus einer eschatologischen und ins Himmlische reichenden Vollen‐ dung des jüdischen Kultes, Jesus als himmlisch-eschatologischen Hohenpriester zu sehen, hat die historische Wahrscheinlichkeit auf ihrer Seite. 81 4. Kultgeschichtliche Betrachtung und die Frage nach dem irdischen Jesus C) Zusammenfassung und Ausblick Jesus als den Erhöhten zu verehren, das war nicht erst eine neue Perspektive der Urgemeinde, sondern diese Betrachtung Jesu geht im Kern zurück auf ihn selbst: So lautet die gemeinsame Grundthese des hier aufgenommenen Teils der kultgeschichtlichen Richtung. Bertram sprach von einer immanenten kultischen Bedeutung, die Jesus seinen Worten und Taten gäbe, indem er ihnen eine übergeschichtliche, kultisch re‐ präsentierbare Bedeutung zumesse. Bertram verstand diese übergeschichtliche Bedeutung in einem idealistischen, platonisierenden Sinn. Historisch-traditi‐ onsgeschichtlich bleibt damit diese von Bertram gespürte immanente kultische Bedeutung des irdischen Jesus unerklärt. K.L. Schmidts Hinweis auf die chasidische Traditionsbildung ist unter phä‐ nomenologischen Gesichtspunkten wertvoll; traditionsgeschichtlich zeigt sie, dass das Bild des zwischen Himmel und Erde mittelnden Hohenpriesters im chasidischen Judentum die Gestalt des schon zu Lebzeiten als über-irdischer Figur verehrten Zaddik prägt. Die kultgeschichtlich angegangene Frage nach dem schon als Irdischer erhöhten, himmlischen Jesus wird seit Schmidt darüber hinaus mit der Bedeutung der Vision(en) für Jesus verbunden. Diese bei Schmidt stark von der systematischen Fragestellung ‚Eschatologie und Mystik‘ aus geforderte Bedeutung des Visionären bei Jesus wird neuer‐ dings von Müller und Smith in den Mittelpunkt ihres Jesus-Bildes gerückt. Traditionsgeschichtlich bindet Müller den Visionär Jesus, der Einblick in die himmlischen Prozesse hat, an die alttestamentliche Prophetie; die von Müller zurückgewiesene christologische Bedeutung der Vision Lk 10,18 wird jedoch von ihrem Inhalt gefordert, weil es um einen Bereich geht, in dem sonst der rechtlich legitimierte Kultus ordnend eingreift. Smith deutet den visionären Jesus einseitig von magischen Praktiken der hellenistischen Zauberpapyri her und unterschiebt dem Heimatmilieu Jesu in Galiläa massiv paganisierende Tendenzen. Angesichts dieser Situation scheint es immer noch verheißungsvoll zu sein, solche christologischen und historischen Ausblendungen durch eine Beleuch‐ tung mit den Fragestellungen und Ergebnissen der älteren Arbeiten von Jere‐ mias und Lohmeyer auszugleichen. Ihnen sind in der Folgezeit G. Friedrich und W. Grundmann gefolgt. Jeremias wies deutlich hin auf die Rezeption der Kultmotive, ja der Kulti‐ deologie der Tempelpriesterschaft in den verschiedenen Gruppen des frühen Judentums. Wenn der Tempel die Schöpfung verwaltet, so stellt Jesu Anspruch auf Vollendung der Welt und Überleitung zur Neuschöpfung ihn in eine Hoch‐ priester-ähnliche Position. Seine Herrschaft über die in der Neuschöpfung vollendete Welt ist begründet in seiner zwischen Himmel und Erde mittelnden Hochpriesterschaft. Sie reißt beide Schöpfungsteile aus ihrer heilsgeschichtlich sekundären Entfremdung heraus. Noch stärker als Jeremias betont Lohmeyer: Jesus tritt auf mit dem An‐ spruch des himmlischen, eschatologischen Hohenpriesters. Als Menschensohn ‚verortet‘ er die Schöpfung eschatologisch. Diese neue ‚Verortung‘ beginnt damit, dass die himmlische Basileia, das himmlische Haus Gottes, durch Jesus zugänglich wird. Jeremias und Lohmeyer messen der überlieferungsgeschichtlichen Echt‐ heits-Prüfung in diesem Zusammenhang keine ausgeführte Beachtung zu. So bleibt die Frage offen, ob in dem auf Jesus zurückgehenden Kern der Menschensohn-Tradition ein Hochpriester-ähnlicher Anspruch zu sehen ist, der im kultgeschichtlichen Sinne auf die eschatologische Neuvereinigung der Schöpfung zielt. Nicht mehr der Tempel, sondern der Menschensohn hat Voll‐ macht, Sünde zu vergeben und gegen die anti-kultischen Negativ-Kräfte, Sünde, Tod und Teufel, anzugehen. Gibt Jesus als Menschensohn der eschatologischen Neuschöpfung ihren zentrierenden Haltepunkt? G. Friedrich und W. Grundmann gehen stärker auf die Hochpriester-Tradition bestimmter jüdischer Kreise ein, in denen man einen messianischen Erlöser erwartet, der hochpriesterliche Züge trägt und als solcher Sohn Gottes heißt. Dabei bedarf insbesondere das komplizierte traditionsgeschichtliche Schema von Grundmann der Überprüfung: Ist die Vater-Sohn-Beziehung Jesu zu Gott nicht von vornherein am Modell hochpriesterlichen Tretens vor die Heiligkeit Gottes orientiert? Damit ergibt sich folgende Aufgabe für diese Untersuchung: Es sind zunächst innerhalb des frühen Judentums Grundlinien der Rezeption des vom Tempel ausgehenden Anspruchs auf Zentrierung der Welt und auf eine heilsame Verbin‐ dung der Schöpfungshälften Himmel und Erde aufzuzeigen. Wenn die genannte Forschungsrichtung etwas Richtiges gesehen hat mit ihrer These, dass Jesus als Visionär, als Menschensohn und Sohn des Vaters, als charismatischer Exorzist, als chasidischer Hoherpriester dem Kult von Jerusalem gegenübertrete, dann muss diese Rezeption des Kultanspruchs durch Jesus traditionsgeschichtlich eingebunden werden in eine oder mehrere der Rezeptionslinien des frühen Judentums. Wir werden dazu im zweiten Hauptteil drei Linien der Rezeption kultischen Zentrierungs- und Mittleranspruchs im frühen Judentum unterscheiden: eine 84 C) Zusammenfassung und Ausblick proto-rabbinische, eine apokalyptische, und eine charismatisch-‚praktische‘. Ein dritter Hauptteil wird die Rezeption des Himmel und Erde umfassenden, zwischen den getrennten Schöpfungsräumen mittelnden Anspruchs des Tem‐ pels durch Jesus darstellen. Dabei wird die Frage nach dem Verhältnis Jesu zu den jüdischen Rezeptionslinien erörtert. Vor diesem Hintergrund soll ferner eine präzisere Bestimmung der Menschensohn- und der Sohn-Lehre Jesu dar‐ gestellt werden, die beide die innere Mitte des Auftretens des irdischen Jesus erschließen. Er hat Zugang zum Himmel, den an die Heiligkeit Gottes stoßenden Grenzbereich der Transzendenz, als Sohn des Vaters; und darauf aufbauend: Er vereint die Schöpfung eschatologisch neu durch seinen Tod, als Menschensohn. 85 C) Zusammenfassung und Ausblick ZWEITER HAUPTTEIL: Rezeptionen des Motivs der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum 1 Vgl. M. Eliade, Das Heilige und das Profane, Hamburg 1957, 40-67; J. Assmann, Zeit und Ewigkeit im alten Ägypten. Ein Beitrag zur Geschichte der Ewigkeit, Heidelberg, 1975, 26-30; F. Stolz, Strukturen und Figuren im Kult von Jerusalem. Studien zur altorientalischen, vor- und frühisraelitischen Religion, Berlin 1976, (BZAW 118), 12-14; Cl. Westermann, Genesis, 1. Teilband, Neukirchen 1974 (BK AT I/ 1), 30ff.128. J. Maier, Tempel und Tempelkult in: J. Maier und J. Schreiner (Hrsg.), Literatur und Religion des Frühjudentums, 1973, 378 f. 383-390. 2 Ps 33.135.136, vgl. Westermann, a. a. O., 30. 3 H. Gese, Zur biblischen Theologie, München 1977, 66f. 4 Das theologische Problem des alttestamentlichen Schöpfungsglaubens, in: Werden und Wesen des Alten Testaments, hrsg. von P. Volz u. a., Berlin 1936 (BZAW 66), 138-147. A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution Religionsgeschichtlich gehören Schöpfungserzählungen in den Bereich kulti‐ scher Daseinssicherung: Wer die Zusammenhänge kennt, die einst die gute Schöpfungsordnung gegenüber dem Chaos oder dem unvordenklichen Nichts abgrenzten, kann auch in der Gegenwart durch Rezitation und Symbolisierung diesen guten Urzustand repräsentieren. Diese Zusammenhänge von Kultus und Mythos gelten von den primitiven Kulturen des ganzen Erdballs bis hin zu den Hochkulturen des Alten Orients. 1 Die Bezeichnung Gottes als des Herrn der Schöpfung aus Himmel und Erde ist eine im Kultus formulierte Aussage des beschreibenden Gotteslobs. 2 Die nachexilische Theokratie geht ganz von der zentralen Bedeutung des Tempels und seines Rituals aus: Entsprechend ist in P das Zentrum der Erwählungsge‐ schichte, die Einrichtung des Stiftshütten-Kultes, gerahmt durch die Lehre von der Schöpfung am Anfang. Andersherum betrachtet, kann man sagen, dass die die biblische Tradition endgültig prägende Fassung durch P die Schöpfung bezieht auf ihren Schnittpunkt im Jerusalemer Kult. 3 Die von G. von Rad scharf formulierte Frage nach der theologischen Bedeu‐ tung der Schöpfungslehre 4 kann, zumindest nicht für die nachexilische Zeit, durch eine Gegenüberstellung des alten, geschichtlich orientierten Jahwe-Glau‐ bens und des kanaanäischen Naturdenkens beantwortet werden. Sowohl die ganze Institution des Wohntempels, samt seiner kosmischen Bedeutung, als auch die Rede von Jahwe als Himmelsgott wird zweifellos ursprünglich kana‐ anäisches Erbe sein; jedoch ist die Vorstellung schon für Jes 6 ganz selbstver‐ ständlich, dass der Gott Israels in einem an den Himmel angrenzenden Bereich 5 Vgl. Soggin, Art. ‚םימש‘, in: THAT, II, 969. 6 Golgatha, a. a. O., 94. 7 R. Patai, Man and Temple, a. a. O., 105-139. 8 J. Maier, Vom Kultus zur Gnosis, 1964, 96.125-128; ders., Das Gefährdungsmotiv bei der Himmelsreise in der jüdischen Apokalyptik und ‚Gnosis‘, in: Kairos 5 (1963), 18-40, bes. 30-33; ders., Tempel und Tempelkult, a. a. O. (vgl. o. Anm. 1 S. 89); vgl. ferner: M. Metzger, Himmlische und irdische Wohnstatt Jahwes, in: UF, 2 (1970), 139-158; K.L. Schmidt, Jerusalem als Urbild und Abbild, in: ErJb, 18 (1950), 207-248. 9 Vgl. Mechilta שדוקב 1 zu Ex 19,1 (Lauterbach II 19): רמא םהל ןבר ןנחוי ןב יאכס וידימלהל לכ ימי יתייה ארוק הז קוספה אלו יהייה עדוי המ אוה םא אל יעדת ךל הפיה םישנב וגו אל םתיצר דבעתשהל םימשל םתאירה םידבעושמ ימוגפל םיוג םייברע אל םתיצר לוקשל ילקש םימש עקב תלוגלוגל ירה םתא םילקוש השמה רשע םילקש תוכלמב םכיביוא אל ןקתלםתיצר תא םיכרדה תאו תובוחרה םילועה תיבל הריחבה ידה םתא ןינקתמ תא תאוןיסגרובה ןינגרובה םילועה אלרכל םיכלמה ןכו אוה רמוא תחת רשא אל תדבע וגו תדבעו תא ןיביוא תחח רשא אל תדבע תא ױ ךהלא הבהאב תדבעו תא ךיביוא האנשב 10 Vgl. R. Patai, Man and Temple, a. a. O., 112 f.; hier findet sich ein Überblick. wohnt und dass dieses sein Wohnen durch den Tempel in die Schöpfung aus Himmel und Erde hineinreicht. Der Himmel ist für das nachexilische Judentum kultisch reine Sphäre, da die in ihm präsente Heiligkeit Gottes dies fordert. 5 J. Jeremias 6 , R. Patai 7 und andere 8 haben dargestellt, dass für den Juden der Tempel Zugangsort zum Himmel ist, ja dass man, wenn man vom Himmel spricht, sich automatisch in einem Bereich bewegt, der kultisch geregelt und bebildert ist: Gott, Himmel und Tempel bilden eine begriffliche und anschaulich assoziierte Einheit. 9 Josephus gibt für die Zeit des Neuen Testaments ein beredtes Beispiel, mit welchen Augen man auf den Tempel sah. Man mag fragen, ob die kosmische Bedeutung, die er, der Priester, der Stiftshütte und ihren Gerätschaften (ant 3,123.180ff.) und der Tempelausrüstung (bell 5,212ff.217f.) 10 zumisst, wirklich populär war; jedoch gilt dies von den seine Darstellung des jüdischen Kriegs prägenden Bemerkungen über den Tempel, auf den sich die Zeloten verließen und der auch für ihn als innerster Kern der drei Größen Volk, Stadt und Tempel Gottes Gegenwart und Eingreifen in die Geschichte darstellt. Bell 4,318.323f. wird geradezu die σωτηρία Israels auf das Leben und die Kultfähigkeit des Hohenpriesters zurückgeführt; sein Tod leitet das Unheil ein. Gott hat seine Diener, die den dem ganzen Weltall zugeordneten Gottesdienst geleitet haben, im Tode hinweggerafft, bevor er das entweihte Heiligtum der Reinigung durch das Feuer preisgab. Die von den Zeloten erwartete Epiphanie Gottes im Tempel gehört zur volkstümlichen Tempelanschauung bereits des 2.Makk (3,24-30). Ist hier Gottes Eingreifen an den Tempelort gebunden, so ist in 3.Makk die Diaspora einbe‐ zogen: Das Geschick der Judenschaft in Ägypten hängt grundsätzlich an der Stellung des Landesherrn Ptolemäus zum Jerusalemer Tempel; als ihm dort der Zutritt zum Allerheiligsten verwehrt wird (1,10ff.), bestraft er die ägyptische 90 A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution 11 J. Maier, Tempel und Tempelkult, a. a. O. (Anm. 342), S. 383; vgl. R. Patai, a. a. O., 172; vgl. Cl. Thoma, Auswirkungen des jüdischen Krieges gegen Rom (66-70/ 73 n. Chr.) auf das rabbinische Judentum, in: BZ, NF 12 (1968), 30-54.186-210, hier: 36-38. 12 Vgl. J. Jeremias, Jerusalem zur Zeit Jesu, Göttingen 1969 3 , 87-97; vgl. auch S. Safrai, Die Wallfahrt im Zeitalter des zweiten Tempels, Neukirchen, 1981, 1-4. 13 Zur biblischen Theologie, 104. 14 Vgl. Anm. 1; A.F. Segal, Heavenly Ascent in Hellenistic Judaism, Early Christianity and their Enviroment, in: ANRW 23/ 2, 1333-1394, hier 1352 rechnet nicht mit einer ähnlichen Zentrierung des hellenistischen Themas der Seelenentrückung durch das spezifisch jüdische Konzept einer himmlischen Kultsphäre um Gott herum. 15 Vgl. R. Patai, a. a. O., 172. Zur Frage nach der geistig-religiösen Bedeutung der Zerstö‐ rung des Tempels, vgl. Cl. Thoma, Auswirkungen des jüdischen Krieges gegen Rom (60-70/ 73 n. Chr.) auf das rabbinische Judentum, in: BZ NF 12 (1968) 30-54. 186-210, bes. 30f.188f.209f. Judenschaft (2,25ff.). Diese wiederum wird gerettet durch priesterliches Gebet (6,1ff.), das Gott zum Eingreifen bewegt: Der Himmel öffnet sich und 2 Engel treten den Feinden entgegen (6,18ff.). Der Priester hat in seinem Gebet Zugang zum himmlischen Heiligtum, so dass das heilige Antlitz Gottes, das man traditionell im Tempel schauen konnte (Gen 35,7; Num 6,25; Ps 30,16; 66,1), nun vom Himmel her epiphan wird. Die Tempelsymbolik „war auf das engste mit den agrarischen Lebensverhält‐ nissen verquickt und von daher tief in der Volksfrömmigkeit verwurzelt, sowie mit den Hoffnungen und Ängsten des menschlichen Alltags verbunden“. 11 Die häufigen Wallfahrten auch der Landbevölkerung zum Tempel bezeugen die Geltung des Anspruchs des Tempels auf Vermittlung des Heils an das Volk. 12 H. Gese spricht von der intensiven inneren Beteiligung, die zum Vollzug des Kultes gerade in der nachexilischen Konzeption von P gehörte: „Es ist anzunehmen, dass von solchem kultischen Denken her der ganze Lebensbereich geprägt wird.“ 13 J. Maier 14 hat diese Beobachtungen zur lebensprägenden und theologisch normierenden Stellung des Tempels im jüdischen Volk dahingehend zugespitzt, dass Zugang zur Nähe Gottes immer an das kultische Bild der Gottesbegegnung des Priesters gebunden bliebe: Die Bebilderung des Himmels als einer Sphäre der gesteigerten Nähe Gottes verlange notwendig, dass jede außerhalb des kulti‐ schen Vollzugs gesuchte Nähe zu Gott sich quasi-kultischen Regeln unterwerfe. Dies gelte von der Berufungsvision des Jesaja bis zur jüdischen Mystik, in der der Hohepriester Idealtyp für die mystisch-ekstatische Gottesbegegnung werde. Nach 70 fiel diese Grundlage der religiösen Ausrichtung des frühen Juden‐ tums auf den himmlischen Vater fort, der sich gnädig an seine Gegenwart im Kulthaus und das Bereitstellen der Kultriten gebunden hat. Durch diesen gravierenden Umbruch 15 entsteht die Frage nach den Bedingungen, unter denen eine ‚Beerbung‘ des Kultes möglich war. 91 A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution 16 Vgl. C. Thoma, a.a.O. 17 Vgl. H. Gese, Zur biblischen Theologie, a. a. O., 77; J. Neusner, The Formation of Rabbinic Judaism, in: ANRW,19/ 2, 23: „… is a cult centred piety, which proposes to replicate the cult at the home, and thus quite literally to turn Israel into ‚a kingdom of priests and a holy nation‘.“ bBer 55a nimmt diese pharisäische Kultrezeption auf: „ ןנחוי ןב אכז und רזעילא ןב סונקרוה lehrten: Solange das Heiligtum bestand, pflegte der Altar für Israel zu sühnen, jetzt aber sühnt der Tisch des Menschen für ihn.“ 18 ANRW, 19/ 2, 18ff.37. 19 A.a.O., 38f. 20 A.a.O., 38. Vgl. dagegen J. Maier, Tempel und Tempelkult, a. a. O., 386: „Die kosmologi‐ sche Symbolik … hat neben der Weisheitsspekulation die Auffassung der Torah als Schöpfungsordnung und Weltgesetz begründet und auf diesem Wege die jüdische Torahfrömmigkeit der folgenden Jahrhunderte maßgeblich bestimmt.“ Hier ist nicht die Weisheit eine vom Tempel unabhängige Urheberin der Stilisierung der Tora zur kosmischen Größe, sondern allenfalls ergänzendes Element, während der Kultus von Haus aus ein kosmisch-ontologisches Wortverständnis kannte. Auch A. Menes, Tempel und Synagoge, ZAW 50 (1932), 268-276, bes. 274 sieht eine den nachexilischen Kult beherrschende Tendenz, das Wortelement ganz stark zu betonen: an die Stelle der Opfer tritt die Opfertora; ähnlich auch H.J. Hermisson, Sprache und Ritus im altisraelitischen Kult, Neukirchen 1965 (WMANT 19), 60 ff. und V. Fritz, Tempel und Zelt. Studien zum Tempelbau in Israel und zu dem Zeltheiligtum der Priesterschrift, Neukirchen 1977 (WMANT 47), 153f.170f. Der relativ nahtlose Übergang in die rabbinische Zeit legt die Vermutung nahe, dass nach 70 die Substitution des Kultes nicht als völlig neue Aufgabe gesehen wurde, an die man mit erst zu entwickelnden Mitteln gehen musste. Die Rabbinen knüpften offenbar an frühere Rezeptionen der Kultfrömmigkeit, der ‚sekundären‘ Aufnahme der Kultideologie und des kultischen Weltbildes an. Dieses komplexe Thema können wir hier allerdings nur streifen. 16 Sicher ist, dass die Rabbinen auf die pharisäische Ausweitung des kultischen Reinheitsideals auf die häusliche Tischgemeinschaft zurückgegriffen haben: Hinter den Rabbinen steht zumindest auch die priesterliche Laienbewegung der Pharisäer, die Ex. 19,6 zur Grundlage ihres Selbstverständnisses gemacht haben. 17 Daneben ist nach Neusner für die rabbinische Beerbung des Kultes in seinem Himmel und Erde verbindenden kosmischen Anspruch die Bestimmung der Tora als einer ontologischen Größe entscheidend. Während die Pharisäer bis Eliezer ben Hyrkanus den Tempelkult abbildeten, ersetzen ihn die Rabbinen durch dieses vorgeblich ältere Tora-Prinzip. 18 Vorgänger für diese Sicht der Tora sind nach Neusner die schriftgelehrten Weisen seit Ben Sira; die Tora wird mit der Weisheit identifiziert und dadurch zur kosmisch-ontologischen Größe. 19 “If study of Torah was central and knowledge of Torah important, then the scribe had authority even in respect to the Temple and the cult.” “Earlier scribism thus contained within itself the potentiality to supersede the cult.” 20 92 A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution 21 Vgl. H. Gese, a. a. O., 68-73; M. Limbeck, Die Ordnung des Heils. Untersuchungen zum Gesetzesverständnis des Frühjudentums, Düsseldorf 1971, 30-32. 22 Vgl. M. Hengel, Judentum und Hellenismus 2 , 145. 23 Vgl. M. Hengel, a. a. O., 146ff. 24 So in der Tendenz Hengel a. a. O., 146ff. 25 Vgl. H. Gese, a. a. O., 69.73.215-217. „Auch in dieser Weisheitstradition sehen wir in Israel einen welttranszendierenden Offenbarungsprozeß sich vollziehen, wobei aber gerade das In-der-Welt-Sein des Menschen zur vollmenschlichen Existenz befreit wird, der keine Unheilsgewalten, nicht Tod noch Teufel, etwas anhaben können … In einer dieses Welt-Sein transzendierenden Gottesgemeinschaft erlangt der Mensch die Freiheit, in Der kosmische Grundzug der Weisheit, ihr umfassender Charakter als kos‐ mische Ordnungswissenschaft, berührt sich mit kultischer Schöpfungslehre. 21 So wird die Weisheitslehre im Judentum von Haus aus in priesterlich-levitischen Kreisen ausgeformt, 22 geht dann aber über in eine auch dem Laien zugängliche und das ganze Volk ansprechende Belehrung. 23 Daraus entsteht die Frage, ob mit der Öffnung der von Haus aus kultisch gebundenen Weisheit in die Laienerziehung hinein auch ein Abrücken vom Kult und seiner Theologie einhergeht, so dass Öffnung der Weisheit zum Volk, Lösung vom Kult und Aufnahme stärker allgemein-orientalischer und hellenistischer Bildungsgüter einen zusammenhängenden Vorgang bilden. 24 Oder muss man annehmen, dass die Kulttheologie mit ihrem Hinweis auf das himmlische Gesetz Grundlage auch der Weisheitserziehung bleibt? M.a.W.: Es geht um die Alternative einer Lösung der Weisheit vom Kult einerseits und anderseits der Selbstausweitung des priesterlichen Grundwissens auf die neueren Spezifizierungen der Kultur und Philosophie. Auch das Buch Kohelet, die anscheinend am deutlichsten profane und hellinisierte Spitze der jüdischen Weisheit, löst sich nicht vom Tempel und seiner Theologie: 4,17-5,6 betonen ganz im Sinne der älteren Kultspiritualität die Vorsicht vor äußerer Opfer-Gewissheit: Stilles Hören ist besser, und das Gelübde Gott gegenüber ist so heilig, dass es lieber unterbleiben soll, als unter Umständen dem Bruch ausgesetzt zu sein; und ganz im Sinne priesterlichen Selbstverständnisses dürfte es sein, wenn betont wird, dass das Wort vor dem Priester wie vor Gott selbst gesprochen ist. Die Warnung vor dem vorschnellen Wort - „denn Gott ist im Himmel, und du bist auf Erden“ (5,1) - entspricht dem traditionellen Ernst der kultischen Situation, in der Himmel und Erde bei aller Unterscheidung doch in besonderer Weise miteinander verschränkt sind. Die Weisheit offenbart über Genesis 1 und 2 hinaus die Halacha, die der geordneten Existenz entspricht, welche der Mensch nicht zuletzt als Kultteil‐ nehmer jeweils als neue Realität erfährt. 25 93 A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution der Welt und nicht von der Welt zu sein. Er kann sich gerade in seinem weltlichen Sein von Gott her verstehen.“ (218) 26 Vgl. H. Gese, Zur biblischen Theologie, a. a. O., 25. 50.73ff. Um Elemente proto-rabbinischer Rezeption des Anspruchs des Tempels auf Zentrierung der Schöpfung und der Geschichte, sowie auf Verbindung von Himmel und Erde zunächst unabhängig von der Frage nach einer Weisheits-On‐ tologie angehen zu können, werden wir in einem ersten Abschnitt das Doku‐ ment näher betrachten, welches ausdrücklich die rabbinische Vorgeschichte thematisiert, die Einheit MAb 1,2-15. Für die Zeit des Neuen Testaments liegen aber bereits zwei weitere Linien einer Rezeption des Kultanspruchs vor, die apokalyptische und die charisma‐ tisch-‚praktische‘: Die apokalyptischen Schriften behandeln überwiegend Themen, die aus dem Bereich kultisch vermittelter Kosmologie stammen: Es geht um die Gestaltung des Himmels, die ordnende Aufgabe der Himmlischen, um die Strukturierung der Geschichte durch die Entdeckung des dem Anfang und dem himmlischen Geheimnis entsprechenden Endes. Wie Israels Geschichte eingebettet ist in die kosmische Schöpfungsordnung, so geht die Vollendung der Heilsgeschichte nur durch eine eschatologische Neustiftung der kosmischen Ordnung vonstatten. 26 Näherhin entsteht aus der Beobachtung der apokalyptischen Ausdrucks- und Offenbarungsformen die Frage, ob man nicht geradezu von einer frühen jüdi‐ schen Kultapokalyptik sprechen muss, die ihre kosmische und endgeschicht‐ liche Perspektive durch den kultisch erschlossenen Zugang zum himmlischen Teil der Schöpfung erhält. Da 1Hen 1-36 zum ältesten, vielleicht gar vor-danie‐ lischen Teil der frühjüdischen Apokalyptik gehört, nehmen wir hier unseren Ausgangspunkt. Aus der Beobachtung der apokalyptischen Verwendung der älteren Kultideologie entsteht die Frage, ob man in diesen Kreisen noch den Kult in Jerusalem als Mittler einer eschatologischen Neu-Verbindung der Schöp‐ fungshälften aus Himmel und Erde ansehen konnte. Deshalb schließen wir eine Untersuchung der in diesem apokalyptischen Milieu einer Rezeption des kultischen Anspruchs entwickelten Gestalt des eschatologischen Erlösers an: Es geht um den himmlisch-eschatologischen Hohenpriester-Herrscher. Neben der apokalyptischen Rezeption des Kultanspruchs steht eine charis‐ matisch-praktische: Die rabbinische Literatur berichtet von Wundermännern, die in Anknüpfung und Überbietung der kultischen Erschließung des Schöp‐ fungsgeheimnisses wirksam werden; neben Männern der vorrabbinischen und frührabbinischen Tradition begegnen hier angeblich biblische Gestalten im Sinne eines kult-prophetischen Charisma. Die mit dem Kult verbundene Mög‐ lichkeit, die himmlische Ebene der Schöpfung als den Gott nahen Bereich 94 A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution zu erschließen, wird hier verwendet als Basis eines direkten, symbolisierten oder ekstatischen, Zugangs zum himmlischen Haus Gottes. Hier liegt eine der wesentlichen Traditionsvorgaben für die Sohn-Tradition Jesu und der Schlüssel für die Erschließung ihres Anspruchs. 95 A) Der Tempel als Schnittpunkt der Schöpfung und das Problem seiner Substitution 1 Zur überlieferungsgeschichtlichen Abgrenzung der Blöcke in M Ab vgl. L. Finkelstein, Introductory Study to Pirke Abot, in: JBL LVII (1938), 13-50, bes. 14-17; zu M.Ab. 1,1-15 vgl. ebd. 17-20. 2 Vgl. U. Rappaport, Art. ‚Simeon the Just‘, in: EJ, 14, 15 66f. B) Die vorrabbinische, pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst und sein Bezug zum Himmel nach MAb 1 Der Kultus verwaltet die Schöpfung durch harmonisierende Verbindung ihres irdischen mit dem himmlischen Teil. Er ist das heilsame Zentrum der Welt. Wir wollen diesen Themenkomplex jedoch nicht nur phänomenologisch untersuchen, sondern historisch. Dies bedeutet nach den Vorbemerkungen des letzten Abschnitts: Wie haben die Gruppen des frühen Judentums kultisches Denken rezipiert und wie ist dabei das Kultthema ‚Mittlung zwischen Himmel und Erde‘ angegangen worden? Es geht also um den Versuch, religions- und traditionsgeschichtliche Bewegungen aufzuzeigen. Für den Bereich der vorrab‐ binischen Tradition, und damit für den Bereich, dem für die religionsgeschicht‐ liche Entwicklung des nachbiblischen Judentums grundlegende Bedeutung zukommt, beginnen wir mit MAb 1,2-15. 1 Wir gehen davon aus, dass die genannten Väter ab MAb 1,2 tatsächlich für das Traditionsbewusstsein eines großen Teils des frühen Rabbinats relevant sind. Formgeschichtlich ist zu beachten, dass nur knappe Kernsprüche überliefert sind, denen aber - dies eine weitere methodische Voraussetzung - signifikanter Charakter zukommt. Diese Kernsprüche müssen korreliert werden mit dem ältesten Kommentar in MAb de Rabbi Nathan und mit Nachrichten aus dem übrigen rabbinischen Schrifttum über die in MAb 1 genannten ‚Väter‘; Maßstab für die Korrelation ist die Konsistenz des Materials in traditionsgeschichtlicher Hinsicht. 1. ‚Simon der Gerechte‘ (um 220 v. Chr.) 2 Die Mischna braucht einen kurzen Anlauf, um aus ‚illo tempore‘ des normativen Anfangs (Mose am Sinai) bis in historisch greifbare Zeiten zu kommen. Diese beginnen im 3. Jahrhundert mit ‚Simon der Gerechte‘. 3 Vgl. J. Neusner, The Formation of Rabbinic Judaism, in: ANRW 19/ 2, 23; L. Finkelstein, Pharisees, I, 74; J. Jeremias, Jerusalem, 1969 3 , 301f. 4 Vgl. bGittin 57b. 5 Vgl. unten S. 67. 6 Vgl. E. Bammel, ΑΡΧΙΕΡΕΥΣ ΠΡΟΦΗΤΕΥΩΝ, in: ThLZ 79 (1954) 351-356. Er ist bezeichnenderweise Hoherpriester, so dass man als Grundlage her‐ vorheben kann, dass die Ahnengalerie der Rabbinen historisch mit einem Hohenpriester beginnt. Da die Pharisäer aufgrund Ex 19,6 das Ideal des Priesterdienstes auf das ganze Volk ausdehnen wollen, 3 also es nicht mehr bestimmten Stammes-Grenzen vorbehalten, ist als Spannungsbogen der vorrabbinischen Epoche das Programm dieser Ausweitung und Rezeption gegeben. Dies wird deutlich, wenn man Simon vergleicht mit Hillels Spruch von der Aaron-Jüngerschaft, der die alte, vormischnische Sammlung in 1,15 abschließt. In ihrer Anschaulichkeit noch deutlicher ist die Anekdote, die in der Baraitha bJoma 71b von den Lehrern Hilles überliefert ist: „Unsere Lehrer lehrten: Es begab sich mit einem Hohenpriester, dass er aus dem Tempel trat und alles Volk hinter ihm herging. Als sie aber Schemaja und Abtalion erblickten, überließen sie ihn sich selbst und gingen hinterher. Schließlich kamen Schemaja und Abtalion, um von dem Hohenpriester Abschied zu nehmen. Er sprach zu ihnen: ‚Mögen die Söhne der Völker (Schemaja und Abtalion galten als Nachkommen Sanheribs, also eines Nichtjuden 4 ) in Frieden kommen! ‘ Da sprachen sie zu ihm: 'Mögen die Söhne der Völker in Frieden kommen, die den Dienst Aarons tun, nicht aber komme in Frieden der Sohn Aarons, der Aarons Dienst nicht tut.‘“ Diese Anekdote trifft sicherlich historisch korrekt die pharisäische Ausein‐ andersetzung mit dem Hochpriestertum der späthasmonäischen Zeit. 5 Das öffentliche Ansehen hat sich danach bis ca. 50 v. Chr. vom Hohenpriester weggewendet hin zum pharisäischen Frommen und dabei nicht nur die Grenze der priesterlichen Herkunftsbindungen, sondern auch die des Israel κατὰ σάρκα übersprungen. Es gibt nunmehr nichtpriesterliche Fromme, die den Aaron-Dienst im eigentlichen Sinne wahrnehmen und die sich deshalb auch seinen Aufgaben und seiner Würde stellen. Ihr Verhältnis zum Kultus ist ein doppeltes: Es geht um den wahren Aaron-Dienst und damit um eine Reform am Kultus einerseits, jedoch andererseits um eine Umgestaltung des Priester‐ dienstes zu einer Laien-Frömmigkeit. Wenn sich die öffentliche Reputation nach dieser Anekdote vom Hohenpriester zum pharisäischen Frommen wendet, so sind damit Erwartung und Anspruch zum Ausdruck gebracht, dass die Kontakte zur himmlischen Welt, die qua Amtsoffenbarung und segnender Vermittlung himmlischer Wundergaben am Hohenpriester hingen, 6 vom Frommen wahr‐ 98 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 7 Zu ‚Simon der Gerechte‘ als Tempelschützer vgl. bJoma 69a; MegTaan 9 mit Sir 50,1f. Zur Verwendung des Gottesnamens im Priestersegen vgl. bJoma 39b und Sirach 50,20. Zu seiner Verherrlichung durch die kultische Gegenwart Gottes vgl. bJoma 69a; MegTaan 9 mit Sir 50,5-11. 8 Vgl. R. Patai, Man and Temple, 1947, 85f.132.155f. 9 Vgl. G. Liedke/ C. Petersen, Art. ‚הרות‘ in: THAT II, Sp. 1035-1038. 10 Vgl. Gen r 1,1-6 zu 1,1; spätbiblisch Prov 8,22ff.; SapSal 7; Sir 24,1-23; ferner: MAb 3, 14. genommen, ja überboten werden. Soweit zum äußeren Spannungsbogen der Einheit. Mit ‚Simon der Gerechte‘ beginnt die historisch greifbare Epoche des Vor-Rabbinats, und zwar mit einer Gestalt des idealen Hohenpriesters. Josephus Ant. XII 43 identifiziert den Simon ὁ καὶ δίκαιος ἐπικληθείς mit dem Onias-Sohn Simon I., der um das Jahr 300 v. Chr. gelebt hat. Gegen diese Identifizierung spricht, dass die rabbinischen Legenden von der Kultherrlichkeit des ‚Simon der Gerechte‘ starke Anklänge an das Lob des Kultreformers und Hohenpriesters Simon II. bei Jesus Sirach 50,1-23 haben. 7 In der rabbinischen Tradition kann mit Simon der Gerechte nur Simon II, der um das Jahr 220 v. Chr. lebte, gemeint sein. Dafür spricht die in MAb 1 vorausgesetzte Chronologie, in der der Simon-Schüler Jose ben Joezer zwei Generationen nach ihm und in der Zeit des Alkimus (um 160 v. Chr.) festgemacht ist. ‚Simon der Gerechte‘ eröffnet die pharisäische Rezeption des Aaron-Dienstes, wenn er neben dem öffentlichen Kult, auf dem die Welt steht, die Tora und die תולימג םידיסח ‚Barmherzigkeit‘ nennt. Religionsgeschichtlich ist unumstritten, dass die Größe, auf der die Welt steht, ursprünglich der öffentliche Kultus ist. 8 Dies dürfte aber auch traditionsgeschichtlich für das nachexilische Judentum gelten, dergestalt, dass die Größen Tora und תולימג םידיסח Aspekte des kultischen Geschehens gesondert betonen: Biblisch-theologisch ist der Traditionsstrom bekannt, nach dem Tora vom Zion ausgeht und vom Priester gegeben wird. 9 Wenn für die Rabbinen die Tora präexistente, kosmische Größe ist, 10 so geht dieses Tora-Verständnis letztlich zurück auf die kosmische Bedeutung des Kultus und der in ihm verwahrten, von Gott übermittelten Urkunde der ursprünglichen Weltordnung. bMeg 31b und bTaan 27b stellen fest: Ursprünglich hatten Himmel und Erde Bestand durch die entsühnende Wirkung des Opfers im Tempel, welche den Zorn Gottes, der auf Vernichtung der Welt drängen könnte, zurückgehalten hat. Dies konnte aber nur geschehen, weil hinter dem Opfervollzug die göttliche Ordnung stand, gemäß der er vollzogen wurde. Da diese schriftlich gegebene Ordnung das erste ist, der Vollzug aber daraus nur abgeleitet, kann ein anderer Umgang mit dieser schriftlichen Kultordnung an die Stelle des tatsächlichen Opfers treten, nämlich 99 1. ‚Simon der Gerechte‘ (um 220 v. Chr.) 11 Vgl. bHag 12b: „R. Eleazar ben Schamma sagte: (die Erde ruht) auf einer Säule, deren Name קידצ ist, denn es heißt: ‚Der קידצ ist der Grundstein der Welt (Prov. 10,25)‘“; vgl. ferner die Deutung von ותדוגא = ‚sein Bund‘ aus Am 9,6 in ARN A8 (S. 18b) und über die kosmische Bedeutung des Gottesfürchtigen bBer 6b. 12 Charakteristische Abweichungen bringt die auf Simeon ben Gamaliel (vermutlich Sohn von Gamaliel II, also um 150 n. Chr.) zurückgeführte Überlieferung MAb 1,18: „Auf drei Dingen steht die Welt: auf Recht, Wahrheit und Frieden.“ Hier sind nicht mehr Größen genannt, die in direkter Weise sich auf die kultischen Grundlagen der kosmischen Ord‐ nung beziehen, sondern hier wird gerade zu unmythologisch auf den םלוע im Sinne von ‚menschlichem Gemeinwesen‘ eingegangen. Wenngleich man mit guten Gründen be‐ haupten kann, dass auch diese drei Größen ןוד , אתמ und םולש traditionell vom Kultus konstituiert und vermittelt wurden (vgl. das begründende Zitat Sach 8,16, das aus dem Zusammenhang der Zionstradition stammt), so ist dieser Zusammenhang doch offenbar in dieser Zeit nach dem Bestand des Tempels nicht mehr bedeutsam. das Tora-Studium. Die Tora bleibt auch in diesem Gedankenverbund kosmische Größe als kultische Größe. Für das Glied תולימג םידיסח spielt im protorabbinischen Pharisäismus, wie im NT, Hos 6,6 eine entscheidende Rolle. Jedoch ist Hos 6,6 nicht im Sinne einer Spiritualisierung und der Betonung freier Sittlichkeit eingeführt, sondern der älteste Kommentar zu MAb. 1,2 in ARN A IV (S. 11a) sieht in der תולימג םידיסח ein der Schöpfung mitgegebenes, göttlich begründetes Prinzip: „Die Welt wurde nicht anders geschaffen als durchדסח , vgl. Ps. 89,2. „Die Schöpfungsordnung, die der Kult bewahrte und darstellte, ruht auf der דסח Gottes, so dass der Mensch als Nachahmer dieser דסח auch ohne den Kult diesem göttlichen Schöpfungs‐ prinzip entsprechen kann. Mehr Beispiele für die göttliche דסח als Ausdruck dafür, dass die Welt auf דסח steht, bringen PRE 12 u. 16. Dies bedeutet, dass die von ‚Simon der Gerechte‘ genannten Größen neben dem Kultus, Tora und Barmherzigkeit, ihre kosmische Bedeutung deshalb haben, weil sie traditionelle Aspekte des Kultus bilden. 11 Wer sich der Tora und der דסח befleißigt, ist der wahre Aaron-Diener und nimmt seine Aufgabe wahr, den göttlichen Hintergrund der Schöpfung zu irdischer Wirklichkeit zu bringen. Einen ähnlichen Zusammenhang benennt auch PsSal 17,18f.: Weil niemand da ist, der Gerechtigkeit und Recht übt, bleibt Regen aus, und deshalb wird die Erde nicht ernährt. Die Gerechtigkeit ist Ausdruck kultischer Ordnung, mit der zusammen sie vertrieben wird und mit deren Restituierung sie zurückkommt, vgl. 17,27. Der Hohepriester ‚Simon der Gerechte‘ gibt nach MAb 1,2 also an, wie sich die kosmische Bedeutung des Kultus, die Welt zu tragen, die Schöpfungsordnung zu bekräftigen und eine Übereinstimmung der irdischen mit der himmlischen Schöpfung darzustellen, durch die in ihm enthaltenen kosmischen Größen ‚Tora‘ und ‚Barmherzigkeit‘ ergänzen und aufnehmen lässt. 12 100 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 13 Vgl. Goldberg, Schekhinah, S. 196. 14 Vgl. M.Joma 5,1; 7,4; jJoma 5,3 (42c, 9f.21f.). Da die kosmische Bedeutung des Kultes sich darin ausdrückt, dass in ihm Nähe der und Zugang zur himmlischen Welt gegeben sind, rücken auch die Aaron-Dienste im Medium von Tora und דסח in diese Himmel und Erde ver‐ bindende Funktion. So ist es bezeichnend, dass mit ‚Simon der Gerechte‘ ein idealer Hoherpriester und zugleich pharisäischer Vor-Rabbine gegeben ist, der in mehrfacher Art die Verbindung zur himmlischen Welt wahrnimmt: Nach b Sota 33a spricht zu ihm aus dem Allerheiligsten die תב לוק und ver‐ kündet, dass סויג טקולג (= Gajus Caligula? ), der Hasser des Tempels, umge‐ kommen ist. Entsprechend ist die Schekina während seiner Hochpriesterschaft im Allerheiligsten gegenwärtig (MegTaan 11). 13 Nach jJoma 5,3 (42c, Z. 25-39) par. bJoma 39b begegnete dem ‚Simon der Gerechte‘ eine himmlische Gestalt: „Vierzig Jahre lang hatte Simon der Gerechte das Hochpriesteramt inne; im letzten sprach er zu ihnen: ‚In diesem Jahr sterbe ich.‘ Sagten sie zu ihm: ‚Woher weißt du das? ‘ Sagte er zu ihnen: ‚Jedes Jahr, in dem ich in das Allerheiligste ging, ging mit mir ein Greis, in weiße Gewänder gekleidet und gehüllt in Weiß, und kam auch wieder mit mir heraus; in diesem Jahr aber ging er mit mir hinein, kam aber nicht mit mir heraus.‘“ Man fragte vor Rabbi Abahu: „Es ist geschrieben: ‚Kein Mensch soll in der Stiftshütte sein, wenn er hineingeht, um zu sühnen im Heiligtum, bis er herauskommt‘ (Lev. 16,17); sogar diese, über die geschrieben steht: ‚ihr Angesicht glich dem Angesicht eines Menschen‘ (Ez 1,10), auch sie gehören nicht in das Stiftszelt. Sagt er zu ihnen: ‚Wer sagt mir, dass das ein Mensch war? Ich sage: es war der Heilige, gepriesen sei er! ‘“ In der babylonischen Fassung heißt es: „An jedem Versöhnungstag gesellte sich ein Greis, weiß gekleidet und weiß verhüllt, zu mir. Er trat mit mir ein und ging mit mir hinaus. Heute aber hat sich zu mir ein Greis gesellt, schwarz gekleidet und schwarz verhüllt [dieser Satz fehlt in der kürzeren Fassung ganz]. Er trat mit mir ein und ging nicht mit mir hinaus.“ Die himmlische Gestalt ist nach der Jeruschalmi-Fassung die Gottheit selbst, also die Schekina, die im Allerheiligsten mit dem Hohenpriester zusammentrifft. Ähnliches ist bBer 7a vom Hohenpriester Jischmael berichtet: Die Gottheit fordert ihn im Allerheiligsten auf, sie zu segnen. Dass die Gegenwart der Hei‐ ligkeit Gottes den Hohenpriester bei seinem Dienst im Allerheiligsten gefährdet, betont die rabbinische Tradition mehrfach. 14 Nach TosJoma 3,5 (Zuckermandel 101 1. ‚Simon der Gerechte‘ (um 220 v. Chr.) 15 A Significant Controversy Between the Sadducees and the Pharisees, in: HUCA, IV (1927), 173-205, hier: 188. 16 Her 84; Som II 189.231. 17 Vgl. Jos. Ant. XII 329-339: hier ist die Begebenheit mit dem Hohenpriester Jaddua, dem Großvater von Simon I., verbunden und von der Zerstörung des Garizim gelöst, welche ja auch erst unter Johannes Hyrkanos stattfand. 186,7f.) fragen die Priester den Hohenpriester, der lange im Allerheiligsten blieb: ‚Was hast du gesehen? ‘ D.h. man rechnete mit Visionen des Hohenpriesters. jJoma 5,3 (42c, 9 f) handelt es sich bei dem besonders lange im Allerheiligsten verweilenden Hohenpriester um ‚Simon der Gerechte‘: Die ihn begleitende Gestalt zeigt die Intimität mit der Gottheit an, die die übliche Angst des Hohenpriesters zurücktreten lässt. J. Z. Lauterbach 15 deutet den Zusammenhang aus der babylonischen Fassung: Weiße Engel deuten an, dass der Hohepriester von einem Fürspracheengel vor die Heiligkeit Gottes geleitet wird; der schwarze Greis bedeutet die Gestalt des den Hohenpriester vor der Gottheit verklagenden Satans. Interessant ist, dass Philo 16 Lev 16,17 die Wendung ‚kein Mensch‘ darauf deutet, dass der Hohepriester sich für seinen ihn mit der Gottheit zusammen‐ führenden Dienst in einen Engel verwandeln muss. Dies führt zu der Überlegung, ob es sich bei dem Greis ursprünglich um den himmlischen Genius des Hohenpriesters handelt, der sich ihm beim Ritus wie ein πάρεδρος beigesellt und ihn zum Eintritt in den himmlisch-irdischen Bereich der Heiligkeit des Allerheiligsten berechtigt. Die Traditionen zeigen auf alle Fälle, dass der Hohepriester, der sein Amt mit den in ihm liegenden Möglichkeiten wahrnimmt, Zugang zum himmlischen Be‐ reich Gottes hat: Die numinose Kraft des Allerheiligsten hebt den Hohenpriester in seinem Amt am Versöhnungstag aus dem irdisch-geschichtlichen Bereich für eine kleine Weile in den himmlischer Heiligkeit hinein. Nach bJoma 39b war es zuletzt unter der Hochpriesterschaft des ‚Simon der Gerechte‘ üblich, den Gottesnamen im Priestersegen auszusprechen. Die Verwendung des Gottesnamens hängt an der Amtsführung des gott‐ gefälligen Hohenpriesters und muss in Zeiten der Gefährdung des Kultus zurückgenommen werden, um den Gottesnamen vor Missbrauch zu schützen. Nach bJoma 69a ist Simon der Gerechte mit Alexander d. Gr. zusammenge‐ troffen. Obgleich diese Legende schwierige chronologische Probleme aufgibt 17 , passt sie motivgeschichtlich in das Bild vom idealen Hohenpriester und seinem Kontakt zur himmlischen Welt: Als Alexander d. Gr. ihm begegnete, fiel er vor Simon nieder und sagte: „Das Abbild seines Bildes erstrahlte vor mir während meines Kriegszuges.“ Der jüdische Hohepriester wird für den heidnischen Feld‐ 102 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 18 Ant XI 331-335. 19 Vgl. bSchab 22b. 20 Vgl. J. Marböck, Henoch - Adam - der Thronwagen. Zur frühjüdischen pseudepigra‐ phischen Tradition bei Ben Sira in: BZ 25 (1981) 103-111; I. Gruenwald, Apocalyptic and Merkavah Mysticism, 1980, 18. herrn geradezu zu einer Erscheinungsweise der Gottheit. Nach Josephus 18 ist der mit den Amtsinsignien, zumal dem Gottesnamen, geschmückte Hohepriester Stellvertreter Gottes und deshalb, als Vermittler zwischen himmlischem und irdischem Geschehen, eine Gestalt, die im Traum erscheinen kann. Sicherlich steht dahinter auch die Überzeugung, dass der Hohepriester in die himmlische Verklärung hineingenommen werden und als solcher in übermenschlicher Gestalt erscheinen kann. Zu den wunderbaren Aspekten der Amtszeit des idealen, gottgefälligen Hohenpriesters gehört daneben, dass der Kultus mit Zeichen göttlicher Offen‐ barung und himmlischen Segens ausgestattet ist. Nach bJoma 39a par jJoma 6,3 (43c, Z. 49-66) fiel während der 40-jährigen Amtszeit des ‚Simon der Gerechte‘ das Los immer auf den rechten Bock; der rote Wollstreifen wurde als Zeichen der tatsächlich hinweggenommenen Sünde immer weiß; die westliche Lampe brannte immerzu, als Zeichen der fortwährenden Gegenwart der Schekina 19 und als Symbol des beständigen göttlichen Lichtes in der Schöpfung; das Altarfeuer brannte von selbst; in den Darbringungen, die für die Speisung der Priester vorgesehen waren, steckte eine solche Segenskraft, „so dass, wenn ein Priester ein olivengroßes Stück erhielt, er es entweder aufaß und satt war oder gar nicht aß und noch zurückließ.“ Man kann vor diesem Hintergrund fragen, ob es Zufall ist, dass Ben Sirach, der in Kap 50 den Hohenpriester Simon (II.) in der ganzen Herrlichkeit seiner kultischen Offenbarungswürde zeigt, zugleich Kenntnis früher Henoch-, Adam- und Merkaba-Traditionen besitzt. 20 Dieses frühe apokalyptische Spezial-Wissen entstammt dem kultischen Bemühen um Erhellung des himmlischen Hinter‐ grundes von Schöpfung und Geschichte. Die himmlische Dimension im Kultus, und besonders in der Amtsperson des Hohenpriesters, hat die rabbinische Tradition mit dem idealen, gottgefälligen Hohenpriester ‚Simon der Gerechte‘ verbunden, der zugleich am Übergang in das historische Licht des vorrabbinischen Lehrbetriebs steht. Er nennt ‚Tora‘ und ‚Barmherzigkeit‘ als aus dem Kult kommende, geradezu kosmische Größen, die den Kultus in seiner kosmischen, die Schöpfung stützenden und Himmel und Erde verbindenden Bedeutung ergänzen, ja einst ersetzen können. Wenn die Rabbinen in ihm den Ausgangspunkt der priesterlich-pharisäischen Kultre‐ zeption sehen, so weisen sie daraufhin, dass hier Offenbarungsmöglichkeiten 103 1. ‚Simon der Gerechte‘ (um 220 v. Chr.) 21 Vgl. Finkelstein, Pharisees, I, 80; II, 762-779. 22 Vgl. Finkelstein ebd.; ders., Eine alte Tradition über den Anfang der Sadduzäer und Boethusäer, in: FS A.A. Neuman 1962, 639-622 (hebr.). 23 Vgl. o. S. 99f. liegen, die vorbildlichen Charakter behalten. Wir werden feststellen, dass die genannten Größen, die in ihrer Zusammenfassung die Möglichkeit des Kultes ausmachen, nämlich Himmel und Erde heilvoll zu verbinden, im Rahmen der pharisäischen, laisierten Kultrezeption neu aufgenommen werden. 2. Antigenos aus Sochos (um 180 v. Chr.) Von Antigenos aus Sohos ist nur der Spruch MAb 1,3 überliefert, der in der Parallele ARN A 5 (13a), bzw. ARN B 10 (13a), deutlich abgewandelt ist. Heißt es in MAb 1,3: „Seid nicht wie Diener, die dem Herrn dienen in der Absicht, Lohn zu erhalten; sondern seid wie Diener, die dem Herrn dienen ohne die Absicht, Lohn zu erhalten; nur die Ehrfurcht vor dem Himmel sei über euch“, so ist in ARN jeweils eine pharisäische Entschärfung angehängt: „damit euer Lohn verdoppelt werde in der Zukunft“ (Rez A); „damit ihr Lohn empfangt in der zukünftigen Welt entsprechend euren Taten in dieser Welt“ (Rez B). Diese pharisäischen Zusätze verbindet die Tradition mit der Legende, wonach die Lehre des Antigonos Ursache für die Abspaltung der priesterlichen Gruppen der Sadduzäer 21 und Boothusäer 22 geworden sei. Entsprechend wird dem Lohngedanken gerade doch wieder ein entscheidendes Recht eingeräumt. Wie kann man aber den Spruch des Antigenos gemäß der in diesem Fall offenbar ursprünglicheren Fassung der Mischna verstehen? Antigenos ist in der Tradentenkette von MAb 1 von Priestern gerahmt, ohne dass wir in seinem Fall wissen, ob er selbst Priester war. Diese Rahmung macht aber wahrscheinlich, dass er zum frühen priesterlichen Proto-Pharisäismus ge‐ hörte. Wenn das Verhältnis des Menschen zu Gott gerade nicht auf dem Lohn‐ gedanken und der Erwartung eines zukünftigen Ausgleichs ruht, so liegt es nahe, auf die priesterliche Basis der durch den Kult vermittelten Schöpfungs‐ ordnung als Rahmen zurückzugreifen. Es ergeben sich dann Entsprechungen zur Tradition von ‚Simon der Gerechte‘ nach ARN: 23 Die Schöpfung gründet in der דסח Gottes und ist als derart qualifizierte dem Menschen vorgegeben. Das Ziel der Frömmigkeit liegt nicht so sehr im Lohn der zukünftigen Welt, sondern im Einstimmen in die Barmherzigkeit und in den Segen der Schöpfungsordnung. Im Spruch des Antigenos liegt so ein eigentümlich präsentischer Zug, ja viel‐ leicht gar ein präsentisch-eschatologischer, der Verbindungen zur Kultspiritu‐ 104 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 24 Vgl. G. v. Rad, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Leben‘ in der Kultsprache der Psalmen, in: FS A. Bertholet 1950, 418-437. Die Ausführungen von Finkelstein, Pharisees I, 153 wonach Antigenos aus Socho dem Prinzip ‚Tugend um der Tugend willen‘ huldigte, wäre von hier aus traditionsgeschichtlich zu ergänzen. 25 Er stammt aus Seredah in Südsamaria, vgl. M.D. Herr, Art. ‚Jose ben Joeser of Zerada‘, in: EJ 16, 853. 26 Er stammt aus Jerusalem, vgl. M Ab 1,5. 27 Vgl. M.D. Herr, a. a. O., 853f. 28 Vgl. Finkelstein, Pharisees, I, 74 f. In ARN A 7 (17b) ist die Hausgenossenschaft Ansatzpunkt der pharisäischen Bewegung. 29 Vgl. bSota 47 a/ b; TosBQ 8,13; bTem 15a. 30 bSota 47a/ b und Tem 15a deuten: ' שיא לכש וב ' ‘ein Mann, in dem alles ist'; bis zu diesem Jochpaar war die gesamte Halacha präsent und man entschied immer einstimmig, wäh‐ rend am Ende des Lebens von Jose ben Joezer der Streit um die Semicha, das Aufstützen der Hände auf das Opfertier, einsetzte, vgl. auch bHag 16a/ b. 31 Vgl. MHag 2,7; MEd 8,4. 32 Vgl. bSab 14b/ 15a. alität der Psalmen hat. 24 Die Ehrfurcht vor dem Himmel ist Ausdruck einer Frömmigkeit, die über das Irdische hinaus auf die himmlische Seite der Schöp‐ fung blickt und darin eine in sich erfüllte Gottesbeziehung findet. Die kultische Vermittlung von Segen und Offenbarung aus der himmlischen an die irdische Welt hängt im priesterlichen Protopharisäismus an einer inten‐ sivierten Gottesbeziehung, die eher Grundlage für das Heil der zukünftigen Welt denn Vorwegnahme des Gerichtes ist. 3. Jose ben Joezer und Jose ben Jochanan (um 150 v. Chr.) Mit Jose ben Joezer 25 und Jose ben Jochanan 26 (um 150 v. Chr.) 27 nennt MAb 1,4f. das erste Lehrerpaar der vorrabbinischen Zeit, welches deutlich die neue sozio‐ logische Grundlage des Pharisäismus herausstellt: das Gelehrtenhaus, in dem sich Weise und Arme einfinden. 28 Beide sind zugleich Priester. Von Jose ben Joezer heißt es MHag 2,7 „Jose ben Joezer war der frömmste unter der Priester‐ schaft.“ Nach M Sota 9,9 waren sie die ‚Fruchttrauben‘, und zwar die letzten, die es in Israel gab. 29 Da לוכשא ‚Fruchttraube‘ in Micha 7,1f. im par. mit דיסח steht, ist gemeint, dass mit ihnen die letzten wirklichen priesterlichen Chassidim in Israel waren. 30 Beide sind mit Fragen der Priesterhalacha und der Bestimmungen von rein-unrein befasst. 31 Für diese priesterlichen Pharisäer ist bezeichnend, dass sie das Land der Völker für unrein erklärt haben; durch den Tempel in seiner Mitte sei nur das Land Israel rein. 32 105 3. Jose ben Joezer und Jose ben Jochanan (um 150 v. Chr.) 33 Vgl. Gen r 65,22. 34 Vgl. Ps 73,23-28; 49,16 und dazu: G. v. Rad, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Leben‘ a. a. O., 434f. Was das Thema der ‚himmlischen Welt‘ betrifft, so verbindet die Legende mit Jose ben Joezer die Erwartung der Entrückung des Gerechten in seiner Todesstunde in den Gan Eden. 33 Jose ben Joezer sah in der eigenen Todes‐ stunde den von den Syrern eingesetzten Hohenpriester Alkimus, ihm, dem Jose, zuvorkommend, in den Garten Eden gelangen, nachdem dieser aus Reue an sich die vier Todesstrafen des biblischen Kriminalrechts vollzogen hatte. An dieser Legende ist interessant, dass der priesterliche Pharisäismus die Entrückung des Gerechten ohne Auferstehungslehre und ohne Bemühung einer Seelenlehre auszudrücken vermag. Auch hier liegt es nahe, Nachklänge älterer, priesterlicher Kultspiritualität und ihrer Entrückungslehre 34 zu sehen: Der priesterlich-pharisäische Chassid weiß, dass er Zugang zu einem Bereich kultischer Reinheit hat, die der Reinheit der Himmlischen und Gerechten im Gan Eden nahekommt. 4. Joshua ben Perachia und Nittai aus Arbela (um 110 v. Chr.) Joshua ben Perachia und Nittai aus Arbela - beide gehören in die späte 2. Hälfte des 2. vorchr. Jh. - bilden nach MAb 1,6f. das nächste Jochpaar. Die ihnen zu‐ geschriebenen Sprüche stehen in einem Verhältnis der Ergänzung und Span‐ nung zueinander; sie beschreiben die Bildung der pharisäischen הרובח und das dementsprechende Verhältnis des Pharisäers zu seinen Mitmenschen. Zur Bildung der הרובח gehört die Sammlung einer Schülergruppe um einen Lehrer einerseits - so Joshua ben Perachia - und die Trennung von üblen Nach‐ barn und Schuldigen andererseits, so Nittai. bSchab 127b kennt die anonym tradierte Sentenz: „Wer seinen Nächsten nach der Seite des Verdienstes beurteilt, über den wird ebenfalls nach der Seite des Verdienstes geurteilt werden“; der Kontext betont den Zusammenhang von jet‐ zigem irdischen Verhalten und einstigem, jenseitigen Ergehen. Demgegenüber hat die auf Joschua ben Perachia zurückgeführte Überlieferung in MAb 1,6f. ihre eigene Zuspitzung, weil sie das Verhalten nicht auf den רבח sondern auf לכ םדא bezieht. Die ergänzende Parallelisierung mit dem Spruch des Nittai - ‚überlass dich nicht dem Zweifel an der Vergeltung‘ - unterstreicht im antisadduzäischen Sinn den eschatologischen Vorbehalt des Pharisäismus. Der Spruch des Joshua ben Perachia bildet in seiner umfassenden Schlichtheit eine Aufnahme des kul‐ tisch getragenen Gottesverhältnisses und der in ihm begründeten תולימג 106 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 35 Die im Namen des Joschua ben Perachia überlieferten Traditionen bSot 47a; bMen 109b sind kaum auf ihn zurückzuführen, da sie anachronistisch sind (Bezug auf Jesus von Nazareth in bSota 47a) oder es sich um Traditionen handelt, die keinen sicheren biographischen Haftpunkt haben (bSota 47a vgl. mit jHag 2,2 77d; zu bMen 109b vgl. ARN A10 (22a), B20 (22a) und jPes 6,1 33a unten). 36 Vgl. M Makk 1,6. 37 Nach der Legende jSanh 6,5 (23b unten) wurde der Sohn des Simeon ben Shetach Opfer des Rechtsrigorismus seines eigenen Vaters. םידיסח. Wie der Tempel für den Priester, so bildet die Chavurah für den Pharisäer die Grundlage seiner reinen und heiligen Lebensform. Die Abgrenzung vom Unreinen und Unheiligen erschöpft sich jedoch hier wie dort nicht im Rückzug, sondern ist mit dem Anspruch verbunden, eine für das ganze Volk segnende und sündentilgende Kraft zu haben. Der רבח ist in der Lage, alle Menschen nach der Seite des Verdienstes zu beurteilen, so wie der Priester den Anspruch hat, Un‐ reinheit und Sünde zu tilgen. Der Pharisäismus übernimmt offenbar zunächst das kultisch-positive Gottes- und Menschenbild und kommt ohne eine allzu‐ starke Betonung der eschatologischen Scheidung und ihrer irdischen Vorweg‐ nahme aus. 35 5. Judah ben Tabbai und Simeon ben Shetach (um 90 v. Chr.) Die in MAb nächstgenannten Judah ben Tabbai und Simeon ben Shetach gehören in die Zeit des Königs und Hohenpriesters Alexander Jannäus (103-76 v. Chr.). Die in MAb 1,8f. aufgeführten Kernsprüche zeigen sie als abwägende Juristen, die sich vor allem im Zeugenrecht und im Umgang mit Beschuldigten durch Unvoreingenommenheit und Sorgfalt auszeichnen. Dazu passt die von Simeon ben Shetach überlieferte Legende bSanh 37b, wonach er einen von einem einzigen Zeugen bei einem Mord Ertappten unter den Schutz des Gebotes des Doppelzeugnisses stellt. Ebenso liegt auf dieser Linie sein Eintreten nach bMakk 5b gegen seinen Jochgenossen, der einen Falschzeugen töten lassen will 36 , wogegen Simeon ben Shetach die mäßigende Halacha betont. 37 Der größere Block der mit Simeon ben Shetach verbundenen Tradition zeigt ihn jedoch als Eiferer, der mit der späteren Halacha, welche die Mischna im mäßigenden Sinne normiert, in Konflikt steht. Die literarisch älteste Berührung dieses Punktes begegnet MSanh 6,5, wo die Tat des Simeon ben Shetach, nämlich 80 Hexen auf einmal hingerichtet zu haben, als nicht der Halacha entsprechend bezeichnet wird. 107 5. Judah ben Tabbai und Simeon ben Shetach (um 90 v. Chr.) 38 Die Tradition verwendet die folgende Terminologie א יי שדח ‚Zauberinnen‘ (durch Ver‐ wendung von Geheimsprüchen) jHag 2,2 (78a); תוינפשכמ םישנ ‚zauberische Frauen‘ bSanh 44b Raschi; אישנ הדובצ ‚Frauen des Götzendienstes‘ jSanh 6,5 (23b unten). 39 In den Parallelen jHag 2,2 (78a) und bSanh 44 bRaschi wird das Vorgehen des Simeon ben Shetach durch einen über den Traum eines Schülers vermittelten himmlischen Auftrag begründet. 40 יאני ךלמה דמוע לע ךילגר ודיעיו ךב אלו ונינפל התא דמוע אלא ינפל ימ רמאש היהו םלוע התא דמוע רמאנש 41 Die übrigen Mitglieder des Gremiums heißen a. a. O. םימכחund םירובח. 42 Vgl. MegTaan 1: Simeon ben Shetach hat nach und nach die Sadduzäer im Synhedrion durch Pharisäer ersetzt. Die Legende von Simeon ben Shetach und den 80 Hexen 38 nennt im ältesten Stoff als Begründung für sein Vorgehen „die Stunde benötigte das“ (jSanh 6,9 23c). 39 Sein Eifer ist nur durch die besondere Situation gerechtfertigt. Nach bSanh 19a lädt er den König und Hohenpriester Alexander Jannäus - aufgrund des Vergehens eines seiner Knechte - als Mitangeklagten vor das Synhedrion und verlangt von ihm die Respektierung der göttlichen Autorität des Gremiums 40 durch Aufstehen. Dies bedeutet, dass der Pharisäer für dieses Gremium, auch gegenüber dem König und in Konkurrenz zum Hohenpriester, das uralte Kultrecht der Repräsentation Gottes beansprucht. Alexander Jannäus verwendete nach einer anderen Legende (bKidd 66a) seinerseits gegen die Pharisäer die alte kultrechtliche Legitimationsform des auf dem Hochpriesterdi‐ adem eingravierten Gottesnamens. Er verweigert das Aufstehen und befragt die übrigen pharisäischen 41 Mitglieder des Gremiums. Als diese einer Entscheidung im Sinne des Simeon ausweichen, lässt dieser - so die Legende - den Himmel durch den Engel Gabriel eingreifen, der die Sanhedristen tötet. In diesem über‐ triebenen Eifer sieht die Gemara eine Bestätigung der mischnischen Halacha, die den König der irdischen Gerichtsbarkeit entzieht. Dieser Eifer des Simeon ben Shetach entspricht der zugespitzten Situation einer verschärften Auseinandersetzung der Pharisäer mit den Hasmonäern unter Alexander Jannäus. Gegenüber dem machtpolitisch verkommenen Hoch‐ priestertum und der sadduzäischen Partei will Simeon ben Shetach die Autorität der Leitung des Gottesvolkes auf das - pharisäisch besetzte 42 - Synhedrion übertragen. Die Autorität der kultrechtlichen Ordnung des Gottesvolkes hängt nach seinem Anspruch nicht mehr am Hohenpriester, der sich des Gottesnamens zu Unrecht bedient, sondern am Synhedrion, das die Gottheit repräsentiert. Bezeichnend ist, dass die Tradition mit dem Wirken des Simeon ben Shetach den Anspruch verbindet, die segnende Kraft, die traditionell vom Kultus ausgeht, wieder hergestellt zu haben: 108 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 43 Vgl. bPes 112b: die Nächte zum Mittwoch und zum Sabbat sind der dämonischen Gefährdung ausgesetzt; man ging in diesen Nächten also sowieso nicht aus dem Haus, so dass der Regen keinerlei unangenehme Nebenwirkung hatte. 44 Vgl. bKidd 66a. 45 Vgl. bTaan 23a und unten S. 186f. 46 Vgl. Finkelstein, Introductory Study to Pirke Abot, in: JBL LVII (1938) 14.17-20. „‚Ich gebe euch Regen zu ihrer Frist‘ (Lev 26,4). ‚Zu ihrer Frist‘: in den Nächten der vierten Tage und in den Nächten der Sabbate. 43 Denn so finden wir es in den Tagen des Simeon ben Shetach, in denen der Regen in den Nächten der vierten Tage und in den Nächten der Sabbate fiel, dass der Weizen wie Nieren, die Gerste wie Olivenkerne, die Linsen wie Golddinare wurden. Man bündelte davon zum Zeichen für zukünftige Geschlechter einiges ein, um ihnen zu weisen, wie viel die Sünde bewirkt. Wie gesagt ist ( Jer 5,25): ‚Eure Verfehlungen haben dies nun verborgen, eure Versündigungen haben euch das Gute verwirkt‘. Und so finden wir es auch aus den Tagen des Herodes: als sie mit dem Bau des Heiligtums sich mühten, fiel der Regen in den Nächten, am Morgen aber wehte ein Wind, die Wolken zerstreuten sich und die Sonne erglänzte. Das Volk zog zu seiner Arbeit aus und wusste, dass es eine Himmelsarbeit in Händen habe.“ (bTaan 23a) Der Tempel gibt Segen; wenn jemandes Wirken mit einer segnenden Kraft für ganz Israel verbunden ist, dann entsteht daraus die Frage, wie und ob dieses seinen Segen hervorbringendes Wirken mit dem Tempel zusammenhängt. Auf diese Frage gibt die Tradition eine deutliche Antwort: Simeon ben Shetach ist Reformer des Synhedrions, dessen eigenständiges Recht er gegen das verderbte Hochpriesteramt und Königtum durchsetzt. Während das üble Handeln des Alexander an den pharisäischen Weisen die Welt zum Veröden bringt, lässt Simeon ben Schetach sie wieder aufleben, indem er die Tora auf ihren Urstand zurückführt. 44 Auch nimmt Schimon ben Shetach die klassische Aufgabe des Kultes wahr, Götzendienst und Zauberei zurückzudrängen. Entsprechend geht er nach der Tradition auch gegen ‚Choni der Kreiszieher‘ vor, 45 der den Got‐ tesnamen in einer der Magie verdächtigen Regenbeschwörung verwendet. In Choni begegnet ein ‚Konkurrent‘, der nicht wie die Pharisäer auf die rechtliche Grundlage des Kultes zurückgreift, sondern die in ihm liegende Macht zur Bestätigung der Schöpfungsordnung charismatisch verwendet. 6. Hillel und Schammai (um 30 v. Chr.) Mit Hillel (und Schammai) endet in MAb 1,15 die vormischnische Sammlung 46 , die in etwa an die vorneutestamentliche Zeit heranführt. Hillel wurde Vorsteher 109 6. Hillel und Schammai (um 30 v. Chr.) 47 Vgl. bJoma 71b und oben S. 98. 48 Vgl. bSchabb 31a; ARN A 15 (31a); N. N. Glatzer, Hillel the Elder: The Emergence of Classical Judaism, Washington 1959, S. 74-78. des Sanhedrin 100 Jahre vor der Zerstörung des Tempels (b Schab 15a), also im Jahre 30 v. Chr. Begann dieser vorrabbinische Traditionsblock mit dem Hohenpriester Simon der Gerechte, so endet er bei Hillel in einem Leitspruch (MAb 1,12), der die pharisäische Gelehrtenbewegung betont in die Tradition des aaronidischen Priestertums stellt. Erinnert sei daneben nochmals an das vor Hillel und Schammai auftretende Lehrerpaar Schemaja und Abtalion, das beanspruchte, in Wahrheit den Dienst Aaarons zu versehen. 47 „Sei von den Jüngern Aarons, den Frieden liebend und nach Frieden strebend; die Menschen liebend und sie der Tora zuführend.“ (MAb 1,12) ARN A 12 (24b) führt dieses Bild vom Priester aaronidischer Art als Frie‐ densmehrer auf Mal 2,6 zurück. Mal 2,5-7 enthalten, neben Sach 3, das nach‐ exilische, biblische Idealbild des Priesters aus dem Bunde Gottes mit Levi. םולש ist hiernach Kennzeichen des Stehens im Priesterbund Levis; םולש ist Segnung dieses Bundes und Kennzeichen des priesterlichen Wandels. Mit dem Jüngertum Aarons verbindet Hillel die Liebe zur תואירב. Gegen die Einschränkung in ANR A auf Israel spricht hier ein Wissen darum, dass Priesterdienst und Kultus sich im Horizont der ganzen Schöpfung vollziehen. Entsprechend trägt der phari‐ säische Aaron-Jünger Verantwortung gegenüber der ganzen Menschheit. In diesem priesterlich-kultischen Urelement, auf das der Kernspruch Hillels ver‐ weist, liegt also die Verpflichtung gegenüber dem Heidentum, die bekannter‐ weise Hillel auch sonst betont. 48 Dass Friedensdienst und Liebe zur Schöpfung sich im Zuführen zur Tora vollziehen, entspricht der Forderung von Mal 2,7. Auch die Kennzeichnung des Levi-Bundes als ein ‚Bund des Lebens‘ (Mal 2,5) klingt in MAb 1,13 nach: „Wer nicht lernt, ist des Todes schuldig“; der pharisäi‐ sche Aaron-Jünger kann nur dann seinem Friedens- und Lebensdienst entspre‐ chen, wenn er Tora gibt, Tora-Gelehrter ist. Der gottgefällige Priester nach Mal 2,5 beugt sich in Ehrfurcht vor dem Gottesnamen; entsprechend warnt Hillel nach MAb 1,13: „wer sich der Krone bedient, ist des Todes schuldig“; ARN A 12 Ende (28b) formt um: „wer sich des geheimen Gottesnamens bedient, hat keinen Anteil an der zukünftigen Welt“. Wenn der Priester, der den Namen Gottes ‚ver‐ waltet‘, zur Ehrfurcht ihm gegenüber gerufen ist, so muss der pharisäische Aaron-Jünger, der als Tora-Gelehrter sich auf das Geheimnis des Namens ver‐ steht, ebenfalls davor gewarnt werden, den Gottesnamen zur Erlangung beson‐ 110 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 49 Vgl. G. Scholem, Die jüdische Mystik, 1957, S. 392: „Das Verbum hischtammesch ‚sich bedienen‘ dient in dieser Literatur auch als terminus technicus für ‚theurgische Prak‐ tiken ausüben‘. Der Ausdruck ‚sich der Krone bedienen‘, der in den ‚Sprüchen der Väter‘ in der Mischna vorkommt, wird schon in der Parallelrezension in den ‚Aboth de Rabbi Nathan‘ richtig in dem Sinne von ‚magischem Gebrauch des Gottesnamens JHWH‘ erklärt …“; vgl. ders., Jewish Gnosticism …, 1960, 54 m. Anm. 36. Statt אגתwird in mys‐ tischen und magischen Texten auch [ארונ] רתכ ‚(furchtbare) Krone‘ gebraucht, vgl. P. Schaefer, Das ‚Große Siegel‘ und die ‚Furchtbare Krone‘, in: FJB 5 (1977) 84-98. Nach 3Hen 1 (Ed. Odeberg, § 1 Ed. Schäfer) legitimiert sich der Hohepriester Jischmael mit dem Zitat MAb 1,12, um der göttlichen Offenbarung und des Zugangs zum 7. Hechal würdig zu sein: In dem Anspruch der Aaron-Jüngerschaft und der Warnung vor dem Missbrauch der Krone liegt der Hinweis auf ein besonderes Priesterwissen, das zum Umgang mit der Gottheit befähigt. Vgl. auch die Verwendung des Gottesnamens bei ‚Choni der Kreiszieher‘ nach bTaan 23a und unten S. 168f., bes. S. 190f. derer ‚mystischer‘ Erkenntnis oder zur Vollbringung von Wundern zu ver‐ wenden. 49 Hillel erinnert daran, dass die besondere Heilsaufgabe des pharisäischen Ge‐ lehrten sich in Erfüllung der Aaron-Jüngerschaft vollzieht. Vermittlung von Frieden und Leben, Liebe zur תואירב, Heranführen an die Tora - das sind die dem alten Ideal des Priesterdienstes entsprechenden Kennzeichen des pharisäischen Lehrers. Damit kommt der pharisäische Aaron-Jünger in eine Stellung zwischen himmlischer und irdischer Welt, die ehemals der Priester als ךאלמ ייה wahrnahm. Bereits Hillel nach MAb 1,13 lehnt eine theurgische Benutzung dieser Stellung ab, deutet damit aber auf eine Möglichkeit (und Gefahr) hin, die im späteren Judentum immer bedeutsamer wurde. 7. Zusammenfassung Die auf eine ältere, in sich geschlossene Sammlung zurückgehende Spruchfolge MAb 1,1-15 umreißt die theologische Entwicklung des palästinischen Judentums chasidisch-pharisäischer Prägung aus rabbinischem Blickwinkel. Abgedeckt wird die Zeitspanne von ca. 200 v. Chr. bis zur Zeitenwende, also die Epoche, die im Besonderen den Hintergrund für Jesus und das Neue Testament bildet. Der hier sichtbar werdende, vorrabbinische Pharisäismus ist geprägt durch die Aufnahme und Umsetzung priesterlicher Aufgaben und Ideale; dazu gehört auch die Erwirkung einer Verbindung von himmlischer und irdischer Welt, welche die Grundlage des vom Kult ausgehenden Segens und der priesterlichen Offenbarung bildete. Die priesterlichen Ideale werden im frühen Pharisäismus zunächst von Pries‐ tern formuliert und hochgehalten; doch schon im priesterlichen Pharisäismus 111 7. Zusammenfassung deutet sich an, dass die kosmische, Himmel und Erde verbindende, Bedeutung des Kultes sich vom Priestertum, welches durch stammesmäßige Herkunft de‐ finiert ist, löst und vom gelehrten Frommen wahrgenommen werden kann. Der Schriftgelehrte ist der wahre Aaron-Jünger, ohne aus priesterlichem Geschlecht stammen zu müssen. Wenn so die Ordensgemeinschaft הרובחan die Stelle der Priesterschaft הנוהכ tritt, so ist es im Besonderen die Figur des Hohenpriesters, die an einem in ihr liegenden Anspruch gemessen wird, der sich in der Gestalt des pharisäischen Chasid neu verwirklicht. Man stößt auf einen Grundzug in der Theologie dieses priesterlichen Phari‐ säismus, der das Gehaltensein der Schöpfung durch die דסח Gottes betont und so in der Barmherzigkeit allen Menschen gegenüber den vorzüglichen Ausdruck seiner Frömmigkeit findet. Offenbar ist dabei weniger die Erwartung des zu‐ künftigen Gerichtes Grundlage, als vielmehr das Wissen in einer jetzt schon mit dem Himmel verbundenen Welt zu leben: Der priesterliche Pharisäer dient dem םולש; er erwirkt gesegnetes Leben für Israel und die Schöpfung; er besitzt mit der Tora eine kultisch-kosmische Größe, die dem Tempel-Ritual überlegen ist; der geheime Gottesname, der bis zur Zeit des ‚Simon der Gerechte‘ im Kultus öffentlich verwendet wurde, wird dem Vollzug im Allerheiligsten vorbehalten und gleichzeitig dem pharisäischen Aaron-Jünger anvertraut. Aus dem Versuch, den Gottesnamen zu schützen, ergibt sich andererseits der Beleg für die Gefahr einer ‚mystischen‘ oder ‚magischen‘ Verwendung bereits in vor-mischnischer Zeit. Neben der Verwendung des ‚Namens‘ deuten sich andere Möglichkeiten des priesterlichen Kontaktes zur himmlischen Welt an, die nun der pharisäische Aaron-Jünger übernimmt: die priesterliche Verklärung, der Empfang der Him‐ melsstime תב לוק , die Hinwendung zur Gestalt der Gottheit und die Entrückung in der Todesstunde. 112 B) Die pharisäische Rezeptionslinie: der wahre Aaron-Dienst nach MAb 1 1 The Dawn of the Apocalyptic 1975, 404f., vgl. o. S. 45f. 2 Vgl. L. Rost, Einleitung in die alttestamentlichen Apokryphen und Pseudepigraphen, ein‐ schließlich der großen Qumranhandschriften, Heidelberg 1971, 103-105; J. T. Milik, The Books of Enoch. Aramaic Fragments of Qumran Cave 4, Oxford 1976, 4-124. Einen Überblick, auch zur Frage der Milik’schen Lösung der Entstehung der Bilderreden, gibt M.-T. Wacker, Weltordnung und Gericht. Studien zu 1Henoch 22, Diss. Kath.-theol., Tübingen 1981, S. 5-12. Als Textgrundlage verwende ich: R. H. Charles, The Book of Enoch …, Nachdr. der Ausg. Oxford, 1912 2 , Jerusalem 1973; M.A. Knibb, The Ethiopic Book of Enoch. A New Edition in the Light of the Aramaic Dead Sea Fragments, Bd 2: Introduction, Translation and Commentary, Oxford, 1978; M. Black, Apocalypsis Henochi Graece … Leiden 1970 (PVTG; III), 19-44; G. Beer, in: Kautzsch, II, Tübingen 1900, 236-310. Zugrunde liegt die Übers. von Beer, die jedoch an den neuen Ausgaben überprüft wurde. C) Die apokalyptische Rezeptionslinie: der himmlische Hintergrund des Kultes als Ausgangspunkt einer eschatologischen Neuordnung der verklärten Schöpfung Die vorrabbinische, pharisäische Tradition war nach MAb 1,2-15 im Zentrum bemüht um die Wahrnehmung der Segenskräfte des Kultes für das Volk Gottes, ja für die ganze Schöpfung. Der Pharisäer versteht sich als der wahre Aaron-Jünger, der Frieden und Barmherzigkeit als die kultischen Segenskräfte für die Schöpfung erwirkt. Das Zentrum dieser vorrabbinischen, pharisäischen Kultrezeption ist nicht eschatologisch ausgerichtet. Es geht um die kultische Bestimmung der alten Schöpfung durch eine neue, priesterlich-pharisäische Frömmigkeit. Neben der priesterlich-pharisäischen Rezeption des Kultanspruchs steht eine Linie priesterlich-apokalyptischer Verdichtung. Hier blickte man nicht so sehr auf eine Laisierung priesterlicher Frömmigkeit, als vielmehr auf das vom Kult erschlossene Geheimnis des himmlischen Teils der Schöpfung, von dem aus man auf eine escha‐ tologische Neuordnung der ganzen Schöpfung wartet. Hanson 1 wies die Anfänge der apokalyptischen Bemühung um eine Enthüllung des himmlischen Schöpfungsteils priesterlichen Außenseiterkreisen zu. Die spätprophetische Zionseschatologie hätten sie durch visionäre Enthüllung der ‚Vorbereitung im Himmel‘ verstärkt. Wir untersuchen diese apokalyptische Rezeption des Kultanspruchs am Bei‐ spiel des 1Hen, weil diese Schrift die genannte Konzeption besonders deutlich zeigt. Zudem umgreift das kontinuierliche traditionsgeschichtliche Wachsen dieses Blocks die für das Neue Testament entscheidende Epoche von ca. 200 v. Chr. bis in die nachneutestamentliche Zeit. 2 3 Vgl. Milik, a. a. O., 91-98, und M.T. Wacker, a. a. O., 6f. 4 Vgl. Charles, a. a. O.; vgl. Milik, a. a. O., 22.25; Wacker, a. a. O., 11. 5 Gemeint ist der Zionsberg, der schon im Alten Testament die Attribute des göttlichen Himmelsberges auf sich zieht, vgl. Ps 48,2f.; 68,15-18. Jes 2,2 gleicht den symbolischen und den geographischen Anspruch des Zionsberges eschatologisch aus: einst wird der Zionsberg alle anderen überragen, vgl. Mi 4,1; Ez 17,22. Vgl. zur Verbindung von Himmelsthron und Zion Ps 2,4-6 und 110,1f., ferner 132,12ff.; 78,68f. 6 Die wohlriechenden Bäume sind Zeichen der Fruchtbarkeit und des Segens, die vom Zionsberg (zu Segensbergen vgl. Gen 49,26; Dtn 33,15; Ps 36,7) ausgehen. Von uner‐ schöpflich fruchtbaren Bäumen, die durch das Zionswasser gesegnet werden, spricht Ez 47,12; vom herrlichen Zedernbaum, der Zweige gewinnt und Früchte bringt auf dem Zionsberg Ez 17,22; vgl. ‚Jesreel‘ = ‚Gott hat gepflanzt‘ als Zionsname in Hos 2,22. Zu den wohlduftenden wunderbaren Goldbäumen im Tempel vgl. Ginzberg, Legends IV,54 und VI, 294. Der ‚besondere‘ ist der Baum des Lebens. Schon in der biblischen Tradition sind alte Kennzeichen des Paradieses zu Zionsattributen geworden, vgl. Jes 51,3; Ez 28,13f.: der Gottesgarten ist auf dem heiligen Gottesberg. 7 Zur mythischen Geographie der Berge vgl. Charles, 40 f. Anm. 6 und 53 Anm. 2; deutlich ist, dass sowohl der Thronberg als auch der Paradiesberg auf den Zion bezogen sind: durch Herabkunft und Verpflanzung wird der Zion verwandelt. Da die vorchristliche Entstehung des die Menschensohn-Gestalt bezeu‐ genden Teils 1Hen 37-71 fraglich ist, 3 werden wir zusätzlich auf die Ausfor‐ mung der kultapokalyptischen Erlösergestalt in der Levi-Tradition eingehen. Hier ist das Bild einer Erlösergestalt vor dem Hintergrund des Rückgriffs auf den himmlischen Haltegrund des Kultes gezeichnet. Die Erlösergestalt in der Levi-Tradition entstammt apokalyptischer Kultrezeption. I) Die Kultordnung des Himmels und die eschatologische Verklärung des Zion nach 1Hen Die Verklärungstradition begegnet im vermutlich ältesten Teil 4 des 1Hen, dem angelologischen Buch (Kapp. 6-36), in zwei parallelen Entwürfen: 24 f. beginnt mit Henochs Schau des inmitten prächtiger, überirdischer Berge stehenden göttlichen Thronberges (24,3). 5 Bei ihm sind wohlriechende Bäume und unter ihnen ein besonderer (24,3f.). 6 Henoch erfährt, dass Gott auf diesem Thronberg sitzen wird, wenn er herabkommt, die Erde mit Gutem heimzusuchen (25,3). Das Gut dieser göttlichen Katabasis besteht in der Übergabe des Lebensbaumes an die Auserwählten (25,3-5). Der Lebensbaum wird an den Zion verpflanzt werden. 7 „Dann werden sie sich überaus freuen und in das Heiligtum eingehen (Knibb: „will be glad in the holy place“), indem sein Duft ihre Gebeine erfüllt. Sie werden ein längeres (eth.: langes) Leben auf Erden führen als das, welches deine Väter geführt haben …“ (25,6). Die apokalyptische Vision und die Deutung des 114 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 8 Vgl. Jes 4,2-6; 24,21-23; Kap. 33 und Tritojesaja. Charles bemerkt zu dieser kultischen Konzeption gesegneten Lebens: „The writer of 1-36 has not risen to the concept of an eternal life of blessedness for the righteous, and so has not advanced a single step beyond the conception found in Is 65.66.“ Die von Charles vorgenommene strenge Un‐ terscheidung von ‚langem‘ und ‚ewigem‘ Leben, sowie die Erwartung eines Fortschritts in der Konzeption wird vermutlich dem Charakter des Textes nicht gerecht. Es geht nicht um das Erreichen einer Vergeistigung, sondern um den Ausdruck einer religiösen Gewissheit: die Zionsverheißung gilt und mit ihr die Verheißung gesegneten, u. zw. aus der Gottesgegenwart gesegneten, Lebens. Am Ende der visionären Erkenntnis über die Gültigkeit der Schöpfungsordnung, in die der Zion zentral gehört, steht entsprechend eine Beracha: 25,7. Zum Zion als Ort des Paradieses vgl. o. Anm. 6, S. 114 und Jeremias, Golgatha, a. a. O., 92 f.; B. Otzen, Some Text-problems in 1QS, StTh 11 (1957), 89-98, hier bes. 96-98. 9 Die Struktur, zukünftige Geschichte aus der vorgängigen, himmlischen Realität er‐ wachsen zu sehen, ist Grundlage jeder Prophetie (prophet. Perfekt, Botenspruchformel). Im Unterschied zur vorexilischen Prophetie betont die nachexilische aber immer stärker das Element der himmlischen Vermittlung, vgl. Gese, Vom Sinai …, a. a. O., 204 f.; ders., Zur biblischen Theologie, 1977, 99f. 10 Vgl. G. von Rad, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Leben‘ in der Kultsprache der Psalmen, in: FS A. Bertholet, Tübingen 1950, 418-437, bes. 426f. Engels enthüllen einen Heilszustand, wie er traditionell von der Zionstheologie beschrieben wird und den vor allem Tritojesaja als eschatologische Wirklichkeit ankündigte: Der Zion ist der Ort, an dem Gott thronen wird und von dem das kultisch vermittelte, gesegnete Leben sowie die Verfluchung der Sünder ausgehen werden. 8 Göttliche Katabasis und Verpflanzung des paradiesischen Lebensbaumes werden die jetzt visionär enthüllte himmlische Perspektive des Zion real werden lassen. Vergleicht man 1Hen 24 f. mit der spätprophetischen Zionseschatologie, so sieht man, dass der Apokalyptiker beim himmlischen Hintergrund der traditionellen Kulttheologie ansetzt. Der Sprung in die Zukunft geschieht mittels eines Rückgriffs auf das himmlische Geheimnis des Zion. Er ist Thronsitz des himmlischen Königs und Ausgangsort gesegneten Lebens. 9 Dieses Hindurch‐ dringen auf das himmlische Geheimnis und der Vorgriff auf die eschatologische Erfüllung implizieren eine Kritik am nachexilischen Kult als einem theologisch missglückten Unternehmen, wie dann deutlich in der Tierapokalypse (89,73) ausgesprochen. Das apokalyptische Kultwissen nimmt offenbar den alten pries‐ terlichen Grundsatz der Priorität des himmlischen Teils der Schöpfung (Gen 1,1) ernst. Deshalb wird der traditionelle Anspruch des Zionskultes, vom göttlichen Herrn und seiner Präsenz aus Leben und Gerechtigkeit zuzusprechen, 10 am himmlischen Hintergrund des Kultes festgemacht. Von ihm her scheint der ir‐ dische Zion als ersatzbedürftig. Am Ende der Zeiten wird er seiner himmlischen Bestimmung entsprechend verklärt. Er bedarf der Katabasis, der Verpflanzung, 115 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 11 Vgl. H. Gese, oben Anm. 9. Wenn man diesem Ansatz folgt, so ergibt sich zwangsläufig ein kultischer, u.zw. zionstheologischer, Grundzug der jüdischen Apokalyptik. Da es kein unkultisches Weltbild als Bezugsrahmen der Heilstraditionen Israels gibt, muss der apokalyptische Rückgriff auf den himmlische Hintergrund von Geschichte und Schöpfung sich kultisch, in Form (Offenbarungsform) und Inhalt (Zionstradition), äußern. 12 Vgl. L. Hartman, Asking for a Meaning. A Study of 1 Enoch 1-5, Lund 1979 (CBNT; 12), 96-120. 13 Vgl. die jeweils abschließenden Berachot in 22 14; 27,5; 36,4; 39,9f. (himmlisches Loben während der Vision); 48,10; 61,12f. 14 Vgl. Ez 5,5; 38,12; Ri 9,37 (vom Garizim); Jes 19,24; Jub 8,12.19 (vgl. die bei Berger, Das Buch der Jubiläen, JSHRZ II/ 3, 1981, S. 284 abgedruckte Karte); bJoma 54b; EpAr 83; Jos b. 3,52. 15 Zu ‚Bäumen mit Zweigen, die aus einem abgehauenen Baume hervortrieben und sprossten‘ vgl. Ez 17,22f.; 47,12; Jes 4.2. Zu den segnenden Zionswassern vgl. EpAr 89-91. Zur segnenden Kraft des Kultes allgemein vgl. Hag 1,9; 2,16.18f.; Sach 1,17; 14,8; ARN A 17,4. 16 Vgl. Jes 27,13; 56,7; 57,13; Joel 2,1; 3,16f.; 4 Esra 13,6.12.35. 17 Vgl. Jer 31,38-40; Ez 48,30-38; Sach 14,10; vgl. zur apokalyptischen Topographie Jeru‐ salems und ihrer Bedeutung M.-T. Wacker, a. a. O., 223-235 und Milik, a. a. O., 36. Es wird das Wissen enthüllt, dass sowohl das Paradies als auch der Aufbewahrungsort der Verdammten am Zion sich befinden bzw. von dort aus zugänglich und in die Schöpfungsordnung ‚richtig‘ gefügt sind. der Verklärung. Gegenwärtig ist zugänglich das visionär vermittelte Wissen darum, dass eine die heilsgeschichtliche Bestimmung des Zion tragende himm‐ lische Wirklichkeit verlässlich gegeben ist. Dieser Prozess des betonten und ausgeformten Rückgriffs auf die himmlische Verankerung und des daraus entstehenden Vorausverweisens auf die eschatologische Erfüllung markiert die eigentlich apokalyptische Umsetzung priesterlichen Wissens. 11 Es ist deshalb dem Inhalt und dem Sitz im Leben 12 dieser Kultapokalyptik angemessen, dass der Apokalyptiker am Ende des visionären Durchgangs einstimmt in den Lobpreis des Herrn der Herrlichkeit: Er hat die Zionsherrlichkeit und den vom Zion ausgehenden Segen als Geheimnis seiner Schöpfung zubereitet. 13 26-36 bringen in einer Art Dublette eine weitere Enthüllung des himmlischen Geheimnisses des Zion. Augenfällige Zionsattribute werden zur Bezeichnung des geschauten Ortes genannt: Mittelpunkt der Erde (26,1) 14 , Ort, von dem Segen und Fruchtbarkeit ausgehen (26,1f.) 15 , heiliger Berg (26,2) 16 . Diese kosmisch-kul‐ tischen Zionsattribute begegnen im Rahmen einer visionären Beschreibung der Jerusalemer Topographie. 17 Der Deuteengel enthüllt, dass das Kidrontal Aufbewahrungsort der Sünder bis zum Gericht ist (27,2). So werden sich in den Tagen des Gerichtes die Gott preisende Gemeinde der Erwählten, die Gerechten, die Erbarmung fanden, und die vom Gotteslob Ausgeschlossenen 116 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 18 Vgl. J. Jeremias, Golgotha, a. a. O., 84-128, bes. 93f.97f.98f. 19 Vgl. Ez 47,1ff.; Ps 87,7; Jes 4,2; 30,23ff. Zum Text: Charles, 54 Anm. 20 Zum konzentrischen Weltbild von 1Hen 1-36 vgl. Milik 25-41. Zu diesem auf den Zion bezogenen Weltbild gehört es, dass alle Räume der Schöpfung auf ihren himmlisch-ir‐ dischen Mittelpunkt, eben den Zion, ausgerichtet sind. 21 Vgl. 1Hen 51,4; 69,11 und dazu unten S. 131ff. 22 Vgl. I. Gruenwald, Apocalyptic, a. a. O., 9 f.; U.T. Wacker, a. a. O., 297-303. gegenüberstehen (27,3). Der Zion ist Ort des Lebens und des Gerichtes, ja Paradies und Scheol sind jetzt schon mit dem Zion geheimnisvoll verbunden. 18 Die folgenden Kapp. 28-36 zeigen die Auswirkungen der eschatologischen und himmlisch-irdischen Segenskraft des verklärten Zion auf die um Jerusalem herum liegenden Wüstengegenden: Sie haben Wasser und Fruchtbarkeit im Überfluss und bringen die edelsten Gewächse hervor (28 f.). 19 Die vom Zion ausgehende Segens- und Lebenskraft steht in Verbindung 20 mit der Fruchtbar‐ keit und dem ewigen Leben im Garten der Gerechtigkeit. Unter den vom Seher geschauten Gewächsen dieses Gartens befindet sich der Baum der Weisheit, von dessen Frucht die Heiligen essen. Als Adam und Eva von diesem Paradiesbaum aßen, mussten sie den Garten verlassen, denn sie erkannten nun ihre Nacktheit und verloren dadurch das engelmäßige Leben ohne Geschlechtlichkeit. Hier klingt ein Thema an, das zur Erwartung der Verklärung des Zion und der erwählten Zionsbürgerschaft gehört: die Rückkehr zur Gemeinschaft mit den Engeln und die Realisierung engelähnlichen Lebens. 21 Bezeichnend ist, dass diese augenscheinlich eschatologisch bedeutsamen Ent‐ hüllungen nahtlos zusammenstehen mit kosmischen Enthüllungen astronomi‐ scher und meteorologischer Geheimnisse (33-36). Offenbar handelt es sich über‐ haupt nur um einen Bereich des weisheitlichen Wissens: apokalyptisches Wissen ist hier Wissen um Schöpfungsgeheimnisse. Das traditionelle kultische Wissen um die Schöpfungsordnung dehnt der Visionär aus auf alle räumlichen Bereiche der Schöpfung, die für Leben und Tod, Segen und Gericht, Verklärung der Kultgemeinde des himmlischen Königs und Verdammung der Sünder ent‐ scheidend sind. Entsprechend steht auch am Ende dieses Durchgangs der ab‐ schließende Segensspruch: „Als ich (es) sah, pries ich (ihn), und zu jeder Zeit preise ich den Herrn der Herrlichkeit, der die großen und herrlichen Wunder(werke) geschaffen hat, um die Größe seines Werkes seinen Engeln und den Seelen der Menschen zu zeigen, damit sie sein Werk und seine ganze Schöp‐ fung preisen, damit sie das Werk seiner Macht sehen und seine ganze Schöpfung preisen und ihn rühmen bis in Ewigkeit.“ (36,4) Damit sind die Grundmotive dieser sakralen Zionsapokalyptik in aller Klarheit summiert: Es geht um die Schöpfungsgeheimnisse, um die geheime Schöpfungsordnung, 22 von denen zu 117 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 23 Vgl. 1 QH III, 19 ff.; IV, 27ff.30ff.; VI,7ff. 24 Der Text ist unsicher. Gemeint sind Engel, die seit Ez in der jüdischen Tradition gedacht sind als wie ‚aus Feuer bestehend‘ und zugleich fähig sind, ihre Gestalt zu verändern, vgl. Ginzberg, Legends 1,16f. 25 Zum Zion als Himmelsberg vgl. Ps 48,3; 68,15-18; 78,69; Jes 2,2; Mi 4,1; Ez 17,22; Sach 14,10; vgl. J. Maier, Vom Kultus zur Gnosis, 1964, 97ff. 26 Vgl. Jeremias, Golgatha, 93 ff.; G. Scholem, Die jüdische Mystik in ihren Hauptströ‐ mungen, Frf. a. M. 1957, 72 f. verweist auf die Frühform der Merkaba-Mystik in 1Hen; das Feuermotiv in 1Hen 17,1.3.5 erinnert an die bei Scholem, a. a. O., 56 f., besprochene Tradition der Gefährdung durch den feurigen Lavastrom; vgl. auch Gruenwald, Apocalyptic, 32-46. wissen Engel und Menschen eint, und die deshalb gemeinsam in das Lob des Schöpfers einstimmen können. Formgeschichtlich ist auffällig, dass die ab‐ schließenden תוכרב mit den Anfängen derתוידוה der Qumran-Gemeinde über‐ einstimmen. Das himmlische Wissen, auf das die תוידוה zurückblicken, 23 ist im 1Hen breit ausgeformt, während die abschließende הכרבder Loblieder ausge‐ staltet ist. Man hat den Eindruck, als verwiesen diese Gattungen aufeinander, so dass der gleiche Grundbestand an apokalyptischem Wissen um die Schöp‐ fungsgeheimnisse vorliegt, jedoch einmal mehr didaktisch und im anderen Fall im Lobpreis der bereits Belehrten und Wissenden vorgetragen wird. Es ergibt sich die Frage, ob für 1Hen nicht der Zion in seiner himmlisch-eschatologischen Qualität Ort des Offenbarungsempfangs ist. Dies scheint der Beginn des Reiseberichtes in Kap 17 anzudeuten. Henoch wird eingangs an einen Ort gebracht, „wo die dort (Befindlichen) 24 wie flammendes Feuer sind, und wenn sie wollen, erscheinen sie wie Menschen.“ Ein loderndes Feuer nennt 18,8f. im Zusammenhang einer Thronvision, so dass Beeinflussung durch Ez 1,4f.13f. wahrscheinlich ist. Auch der Sturmwind zu Beginn der Vision begegnet hier wie dort. Der Berg, der bis in den Himmel reicht, erinnert an den ‚sehr hohen Berg‘, von dem aus Ezechiel das auf ihm liegende himmlische Tempelgebäude sieht (40,2ff.). 25 17,1 und 17,2 hängen dann so zusammen, dass Henoch auf den Zionsberg entrückt wird bzw. auf den als himmlisches Geheimnis hinter dem Zion liegenden himmlisch-irdischen Ort. Auf dem Zion als Verbindungsort von Himmel und Erde liegt der Zugang zur heiligen Thronwelt Gottes; von hier aus erschließen sich die Schöpfungs‐ geheimnisse (17,3-10; 33 f.), sowie die Geheimnisse der Aufbewahrungsorte in Paradies und Unterwelt. 26 Der Zionsberg ist der Punkt, von dem aus sich die Erkenntnis der Schöpfungsgeheimnisse dem Visionär erschließt. Auch 14,8ff. bezeugen dies alte Offenbarungsschema: Der Apokalyptiker empfängt seine Offenbarung vom himmlischen Thron aus. I. Gruenwald sieht hierin eine 118 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 27 Apocalyptic, a. a. O., 32-42. 28 Vgl. Milik, a. a. O., 41; Rost, Einleitung, 104. 29 Der Turm begegnet als ‚Turm Abrahams‘ in Jub 29,16.19; 36,12; 37,14. 6 f.; 38,4ff. Die Abrahamsgeschichte als ganze, besonders durch Moria als Opferungsstätte, ist heils‐ geschichtlich auf den Zion bezogen (2Chr 3,1), ja hat Teil an der himmlisch-eschatolo‐ gischen Bedeutung des Zion. Der Turm (לדגמ) ist biblisch in Mi 4,8 mit dem Zion in seiner eschatologischen Bedeutung als Ort der Restitution Israels identifiziert, vgl. Hultgård, L’eschatologie des Testaments, 1977, 35. 30 Vgl. Hab 2,1. 31 Zur vermutlich vormakkabäischen Entstehung und zu den literarischen Problemen vgl. Rost, a. a. O., 104; Milik, a. a. O., 183, und Wacker, a. a. O., 8. traditionsgeschichtliche Abhängigkeit von der priesterlich-apokalyptischen Merkaba-Lehre Ezechiels. 27 Auch die aus dem 2. vorchristlichen Jahrhundert stammende Tiervision (Kapp. 85-90) 28 geht von diesem kultapokalyptischen Offenbarungsverständnis aus. Die rein gebliebenen, weißen Engel führen den kultisch reinen (85,3) Henoch an dem Punkt der Vision, an dem sich der Umschwung zu Gericht und Erlösung eröffnet, auf einen hohen Ort und zeigen ihm einen Turm hoch über der Erde, von dem aus alle anderen Hügel niedrig sind (87,2). Es handelt sich um den Zion als Himmelsberg, um den himmlisch-irdischen Tempel in der Gestalt des Turmes. 29 Diese Symbolik wird ausdrücklich in der von diesem Berg und Turm aus anhebenden Vision mit dem Tempel in Verbindung gebracht. Zum 1. Tempel heißt es in 89,50: „Jenes Haus aber wurde groß und breit, und ein hoher und großer Turm wurde für jene Schafe gebaut, jenes Haus war niedrig, aber der Turm war ragend und hoch, und der Herr der Schafe stand auf jenem Turm, und man setzte ihm einen vollen Tisch vor.“ 89,73 heißt es vom 2. Tempel: „Da begannen sie wiederum wie zuvor zu bauen und führten jenen Turm auf, und man nannte ihn den hohen Turm; sie begannen wiederum einen Tisch vor den Turm zu stellen, aber alles Brot auf ihm war befleckt und unrein.“ Das eschatologische Haus ersetzt dann diesen nicht mehr seiner Bestimmung entsprechenden Ort. Ein neues Haus wird sichtbar, in das, als der neuen Basis der Verbindung von Himmel und Erde, der Seher nunmehr hinaufgebracht wird. Der himmlisch-irdische Kultort, der einst ganz in eine neue Verbindung von Himmel und Erde verklärt werden wird, ist der Bezugspunkt des Visionärs, seine Warte 30 , von der aus er Offenbarung empfängt und von der aus die eschatologischen Heilsprozesse sich entrollen. Die Zehn-Wochen-Apokalypse (93,3-10, 91,12-17) 31 verweist auf die Zionsverklärung am Ende eines von Anfang an eschatologisch ausgerichteten Geschichtssummariums: Von Henoch über Noah, den Noahbund und Abraham (Pflanze der Gerechtigkeit) berührt dieser Überblick den Sinai-Bund, welcher 119 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 32 Vgl. den äth. Text nach Knibb: „visions of the holy and rithteous“, also Gottesvisionen, so auch Charles; anders Beer: „Gesichte der Heiligen und Gerechten“, der die ‚Gesichte‘ auf die Wunder beim Auszug deutet; möglich ist aber auch, dass Ex 19,11.16ff. nachwirken, vgl. auch 1Hen 89,30. 33 Beer, II 300, denkt an die Stiftshütte, Charles, 230, an die Einnahme des Landes; Milik, 47: “The term ‘enclosure, sheepfold’ … designates ‘the Promised Land’ in En. 93: 6; the same word is used, in a quite different context, in 86: 2 and 89: 34-5.” Das kopt. Fragment, das Milik S. 81f. in einer wörtl. lat. Übers. wiedergibt, hat jedoch σκηνή gelesen. Milik räumt diesem Text Priorität gegenüber dem äth. ein. Es ist denkbar, dass die Erwartung des ganz Israel umfassenden Zion hineinspielt, vgl. Billerbeck III, 849 f.; IV, 921f. 34 Die Übersetzung des aramäischen Textes lautet nach Knibb: “The righteous shall be elected for true witnesses of the eternal plant of righteousness, to whom shall be given sevenfold wisdom and knowledge.” Gruenwald, Apocalyptic, a. a. O., 15 stellt zurecht den Zusammenhang zwischen der apokalyptisch-visionären Erfahrung und dem End‐ zustand der Verklärung heraus; dieser Zusammenhang zeigt sich besonders deutlich beim Topos der Verleihung von Weisheit an den Seher und an die Auferstandenen, vgl. 91,10 und 93,10. 35 ‚Pflanze der Gerechtigkeit‘ und ‚auserwählte Wurzel‘ scheinen Variationen des gleichen Bildes für das wahre Israel zu sein. 36 Zur gesegneten Lebensweise am verklärten Zion gehört das Hausbauen um das Haus Gottes herum, vgl. Hag 1,9 und Jes 65,17-25, bes. V. 21. durch die Elemente ‚Gottesvision‘ 32 ,‘Tora-Gabe‘ und Einrichtung einer ‚Einfrie‐ dung‘ 33 gerahmt ist. Danach nennt der Überblick sofort den salomonischen Tempelbau, bezeichnet als Bau des ‚Hauses der Herrlichkeit und Herrschaft für immer‘ (93,7). Es folgt eine Epoche der Verblendung und des Mangels an Weisheit, aus der nur Elia positiv herausragt; das Haus der Herrschaft wird verbrannt und mit ihm die auserwählte Wurzel (der Gerechtigkeit) zerstreut (93,8). In Zuspitzung des Schemas der Tiersymbolapokalypse (89,73) wird die nachexilische Restauration ganz übersprungen. In die anhaltende Epoche des nachexilischen Abfalls fällt die (gegenwärtige) eschatologische Wende: „Am Ende derselben (der 7. Woche, die durch die verfehlte nachexilische Restauration gekennzeichnet ist) werden die auserwählten Gerechten der ewigen Pflanze der Gerechtigkeit auserwählt werden, um siebenfache Belehrung über seine ganze Schöpfung zu empfangen.“ (93,10) 34 Der Umschwung beginnt also als apokalyptische Belehrung der ewigen Pflanze der Gerechtigkeit, also mit einer Neu-Konstituierung der Abrahamkindschaft und der mit dem Haus der Herr‐ schaft verbundenen Wurzel. 35 Danach hebt die Zeit der Gerechtigkeit an, in der die Ungerechten und Sünder beseitigt werden (91,12). Am Ende der Zeit der Gerechtigkeit werden die Auserwählten Häuser erwerben und „das Haus des großen Königs wird in Herrlichkeit für immer gebaut werden.“ (91,13) 36 Das apokalyptische Wissen als Gabe am Beginn der eschatologischen Zeiten zielt auf die Beseitigung der Ungerechtigkeit und Sünde und wird so selbst zur 120 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 37 Vgl. Jes 60,21; Ob 17; Ex 15,17; Ps 37,11.22.29.34. 38 91,14 spricht von einer Art Selbstevidenz der Zionsherrlichkeit und Zionsgerechtigkeit. Gemeint ist ein Offenbarungs- und Schauungsvorgang, in dem die Reinheit und Sündlosigkeit der Zionsgemeinde sich über die ganze Erde ausbreitet, vgl. Jes 60,3; 62,1ff.; Sach 13,1f.; 14,12ff. Die Traditionen der Völkerwallfahrt zum Zion (vgl. Jes 2,2-4) und die von der Besiegung der Fremdvölker (vgl. Ps 2) verbinden sich. 39 Die 10-Wochen-Apokalyse setzt das Thema der ‚gefallenen Engel‘ voraus, verarbeitet es aber zurückhaltend, vgl. Milik, 52. Zur Neuschöpfung von Himmel und Erde, zur Rückkehr des Endes an den Anfang im Rahmen der Zionstheologie vgl. Jes 60,1f.; 65,17; 66,22. Wie der erste Tempel der Gründung der ersten Schöpfung entspricht, so der neue, verherrlichte Zion der neuen, verherrlichten Schöpfung. 40 Vgl. zum zionstheologischen Hintergrund Jes 30,26. Das Leuchten des Antlitzes, die kultische Gottesschau, ist Grundelement der Zionstradition, vgl. Jes 60,1; 4,5f.; Ez 43,2; Ps 50,2; 43,3; Sach 2,9; 14,7 und den Mosesegen Num 6,24-26. 41 Vgl. o. S. 119ff. 42 86,1ff. entsprechen 6,2ff. Voraussetzung des Tempelbaus und seiner eschatologischen Segnungen für eine in einem sündlosen Land wohnende Bürgerschaft. 37 Von der Erfüllung der im 1. Tempel angedeuteten, im 2. ganz verfehlten himmlischen Bestimmung des Kultes aus vollzieht sich der Ausblick auf das ewige Ende der Heilsgeschichte: Die ganze Menschheit schaut auf die Zionsherrlichkeit, so dass auf der ganzen Erde alle Gottlosigkeit verschwindet (91,14). 38 Dem korrespondiert das Gericht unter den Engeln (91,15), so dass nun im Himmel und auf der Erde die Voraus‐ setzungen gegeben sind für eine neue Schöpfung. 39 Ein neuer Himmel wird mit siebenfacher Intensität des Segens 40 über der Erde stehen (91,16), die in zahllosen Wochen bis in Ewigkeit ohne Sünde und ganz in Güte und Gerechtigkeit sein wird (91,17). Die Verklärung der Schöpfung bis in den Himmel hinein geht von dem zu seiner himmlischen Bestimmung gekommenen Zion aus. Sie setzt ein als Belehrung über die Schöpfungsgeheimnisse. Das siebenfache Wissen der Apokalyptiker entspricht der siebenfachen Erleuchtung der eschatologischen Schöpfung und ist damit der erste Ausdruck des eschatologischen Umschwungs. Formal und inhaltlich gibt sich die apokalyptische Offenbarung des 1Hen auch in diesem Stück als Wissen um die geheime Ordnung der Schöpfung und damit als vom Zion ausgehendes Geheimwissen zu erkennen. Auch die Tiervision (85-90), auf deren Offenbarungsverständnis wir oben be‐ reits hinwiesen, 41 bezieht ihren eschatologischen Zielpunkt für den Geschichts‐ überblick von Adam bis in die Hasmonäerzeit aus der geschauten Verklärung des Zion. Bis zum Fall der Sterne (= Engel) 42 , geschildert in 86,1-3, war die Schöpfung in kultisch reiner Ordnung (85). Der Verunreinigung der Schöpfungsordnung durch die Sterne (86,4-6) steuern vier menschengestaltige, weiße, und d. h. 121 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 43 In der Parallele 10,4f. ist der kultische Charakter der Abwehr der Sünde und der Unordnung ausgedrückt in der Symbolsprache des Großen Versöhnungstages, vgl. dazu Hanson, Rebellion in Heaven, Azazel, and euhemeristic Heroes in 1 Enoch 6-11, in: JBL 96 (1977) 195-233, bes. 222-226. 44 Vgl. Charles, 211, der auf 2Makk 11,6ff. verweist. 45 Gott setzt sich zum Gericht auf den Zion, vgl. Ps 9,12f.; Jer 25,30f.; Amos 1,2; Joel 3,16. reine Engelwesen entgegen (87). Die gefallenen Himmelssöhne werden gefes‐ selt (88) und der verunreinigte Teil der irdischen Schöpfung der Sintflut über‐ geben. Die Heilsgeschichte wird fortgesetzt mit dem weißen (= reinen) Farren Noah und seinen drei weißen Genossen (Vertreter der übrigen Menschheit). Den vier reinen, menschengestaltigen Engeln, welche den himmlischen Teil der Schöpfung zur kultischen Reinheit zurückbringen, 43 entsprechen die vier weißen Farren, welche den kultisch reinen Neubeginn der irdischen Schöpfung bezeichnen. Der Umschwung von der unreinen Zeit der Vermischung in die der Wiederdurchsetzung der Reinheit beginnt irdisch damit, dass Noah in ein Ge‐ heimnis eingeweiht wird (89,1). Auch bei ihm begleitet eine Art apokalyptisches Geheimwissen den heilsgeschichtlichen Umschwung. Der weitere Überblick über die Geschichte entspricht ganz der 10-Wochen-Apokalypse. Seit dem Exil untersteht Israel der Fremdherrschaft und damit auch einem ihr entsprechenden himmlischen Element (Fremdgötter, Strafengel, Dämonen [89,59]). Michael wird beauftragt, darüber zu wachen, dass die fremden Hirten nur entsprechend dem Befehl Gottes mit Israel verfahren (89,61-71). Der nachexilische Neube‐ ginn ändert nichts an dieser Lage, weil die Neugründung des Kultbetriebs in Befleckung stecken bleibt (89,73). Mit 90,6ff. steuert die Schilderung auf die anti-hellenistische Erneuerung zu: Nicht von den blinden Kulterneuerern geht der Umschwung aus, sondern von den ‚weißen‘ Schafen, die wieder an die ‚weiße‘ Linie der Geschichte Israels anknüpfen. Michael tritt im makkabäischen Kampf als Helfer der Bedrängten auf (90,14). Bezeichnenderweise besteht seine Hilfe darin, dass der dem Böckchen (einem Makkabäerführer 44 ) „alles“ zeigte. Darauf beginnt das Gericht über die fremden Herrscher, bzw. ihre himmlischen Entsprechungsfiguren: Die Macht geht zu den Schafen über. Zum Gericht wird der Gottesthron in dem lieblichen Land sichtbar, auf dem Zion. 45 Gott thront, und Michael tritt vor ihn mit den geöffneten Gerichtsbüchern. Auf dem Zion beginnt also eine himmlisch-irdische Gerichtsszene. Wie die Tiere in den Abgrund geworfen wurden, so werden nun Hirten, Sterne und verblendete Schafe von den 7 ersten Weißen, Erzengeln, in den Abgrund geworfen, der rechts neben dem Haus ist (98,26). Hier klingt deutlich die apokalyptische Zionstopographie von 26 f. an. Wie das kosmische Gericht vom Zion ausgeht, so besteht auch die Erlösung in einem Zionsereignis. Das alte Haus wird eingewickelt und zur Seite 122 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 46 Vgl. 1Makk 4,46f. 47 Vgl. Jes 4,2-6; 52,1; 61,5f.; Joel 3,17; weiß ist die ‚Farbe‘ der Reinheit und des kultischen Schutzes, vgl. Lev 16,4; MJoma 3,6f.; 7,4; Tos 4,6. Jos. b 5,236; als ‚Farbe‘ himmlischer Reinheit begegnet weiße Kleidung Ez 9,2f.11; 10,2; Dan 10,5; 12,6f. 48 Vgl. Jes 2,2-4; 25,6-8; 60,3; 62,1f.; Jer 3,17; Mi 4,1-3. 49 Vgl. Jes 30,20.30; 52,8.10f.; 60,5.20; 62,1f.; Ps 4,7; 17,15; 27,4; 34,6; 84,8. 50 Zu den literarkritischen Fragen vgl. Milik, a. a. O., 89-9 8 und M.-T. Wacker, a. a. O., 6f. 51 Vgl. Jes 30,26; 60,1f.; Ez 43,2; Ps 50,1ff. geschafft. 46 Gott selbst bringt ein neues Haus, den eschatologischen Tempel, auf den Zion und wohnt selbst in ihm. In dem durch die Gottesgegenwart eschatologisch verklärten Tempel sind alle zu himmlischer Reinheit gewandelt (90,32). 47 Alle Geschöpfe beten die neue Herrlichkeit am Zion an (90,30) 48 , ja die kultische Gottesschau wird geradezu zur Seinsform der Verklärten (90,35). 49 Damit wird auch das apokalyptische Sehen nochmals in Entsprechung gesetzt zum kultischen Sehen der verklärten Gemeinde. In dieser schon endzeitlichen, auf dem verklärten Zion wohnenden, reinen Priestergemeinde wird der Messias geboren, als weißer Farre (90,37: es handelt sich um einen Rückgriff auf die Urzeit, vgl. 85-89,10), in dessen kultisch reine Gestalt sich alle Geschlechter verwandeln (90,38). Die Geschichte kehrt zurück aus der sündhaften Unordnung an ihren reinen und kultisch geordneten Anfang. Bemerkenswert ist der Hin‐ weis auf die messianische Figur. Es ist wohl kaum ein davidischer Messias, sondern eher eine der kultischen, weißen Linie entstammende, priesterliche Erlöser-Gestalt. Ihre Aufgabe ist auch nicht der kriegerische Kampf gegen die Feinde, sondern er ist Anführer der Verklärung. Die Reinheit seiner Gestalt bewirkt, dass seine Gemeinde an seiner Reinheit teilbekommt. Die Verklärung der Zionsgemeinde ist schließlich auch Hauptmotiv der Bilderreden (37-71). 50 Kap. 38 nennt das Thema der ersten Bilderrede und der dann visionär erschlossenen Antworten: Es geht um das Sichtbarwerden der Gemeinde der Gerechten und um die Bestrafung der Sünder. Der Gerechte erscheint vor den Gerechten, wobei das Licht über ihnen leuchten wird, ja, das leuchtende Antlitz der Gerechten, das durch das Zionslicht 51 geradezu mit himmlischer Qualität scheint, wird die Sünder wegtreiben, weil sie dieses Licht nicht aushalten können. Kap. 39 führt das in 38 Genannte visionär aus: Henoch schaut die Wohnungen der Gerechten und die Lagerstätte der Heiligen. Es handelt sich um die himmlische Gemeinde der verstorbenen Gerechten, die bei den Engeln, den Heiligen, wohnen und mit ihnen eine Gemeinde bilden (39,4-5). Sie sind die Fürsprecher der irdischen Gemeinde und begleiten ihr irdisches Geschick mit Gebeten. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit bilden ihre himmlische Sphäre und sind geradezu Attribute ihrer himmlischen Herrlich‐ 123 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 52 Vgl. Anm. 40. 53 Vgl. die spätere Henoch-Metatron-Tradition. A. Hultgård, L’eschatologie des Testa‐ ments des Douze Patriarches, I: Interpretation des textes, Uppsale 1977, S. 310-319 sieht im Menschensohn der Parabeln einen ‚Priester-Retter‘, also eine messianische Figur, wie sie vor allem in TLevi 18 begegnet: es ist der Sohn aus der Heiligkeit des himmlischen Hauses. 54 Vgl. L. Hartman, a. a. O., 116f. keit (39,5). Was der Kultus der irdischen Gemeinde je und je darbietet, 52 ist in der himmlischen Lagerstatt immerwährende Wirklichkeit. Dem Bild der himmlischen Gemeinde, die am Ende der Tage auf dem verklärten Zion sichtbar werden wird, entspricht das Bild von dem Gerechten. Er wohnt direkt unter den Fittichen des Herrn der Geister, also über der Gemeinde aus Gerechten und Engeln (39,6f.). Das Erstrahlen himmlischen Lichtes, von dem in Kap. 38 in Bezug auf die verklärte Zionsgemeinde die Rede war, wird nun als Auszeichnung der zum himmlischen Gottesdienst versammelten Gemeinde gedeutet (39,7). Strukturell stößt man hier besonders deutlich auf den offenbar grundlegenden Dreischritt apokalyptischen Wissens: Kultmotiv, himmlischer Hintergrund, eschatologische Verklärung. Der himmlische Lobpreis ist die besondere Daseinsform der Engel und Gerechten (39,7). Kap. 38 benennt also den Zustand, an dem auch irdisch der im Kultus stets als Geheimnis gewusste, aber bis jetzt nur im Himmel verwirklichte Glanz der Schekina sichtbar werden wird. Wie der Farre in der Tiersymbolapokalypse, so ist hier der Gerechte, bzw. der Auserwählte der Gerechtigkeit, inklusiver Repräsentant der Gemeinde der Endzeit. Er ist jetzt im Himmel eine Art himmlischer Kultleiter, der über den verstorbenen Gerechten, aber auch über den Engeln steht. 53 Das Geheimnis dieses Auserwählten der Gerechtigkeit wird hier schon für einen Moment gelüftet: Der Seher Henoch hat Verlangen nach der geschauten himmlischen Wohnung der Gerechten und Heiligen; denn er weiß, dass hier der Ort ist, der ihm schon früher vom Herrn der Geister zugewiesen wurde. So mischt er sich ein in den himmlischen Chor und zitiert das den Engeln obliegende Trishagion. Er hat sein Wissen als einer, der jetzt schon Zugang zur himmli‐ schen Gemeinde hat und damit auch in den Bereich des Auserwählten der Gerechtigkeit gehört. Damit enthüllt 39 visionär, was die Einleitungsrede Kap. 37 voraussetzt: Henoch trägt seine Weisheitsrede vor dem Herrn der Geister vor, also im Zusammenhang einer kultischen Gegenwart Gottes. Als kultische Rede ist sie ausdrücklich ein Generationen verbindendes Sprechen. Urvater und Nachkommen sind verbunden, wenn das Wort ergeht, das vor dem Herrn der Geister vorgetragen wird. 54 Diese Generationen verbindende und kosmische Ordnung ausdrückende Rede bedarf aber einer besonderen Legitimation. Wer 124 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 55 Dieses aus apokalyptischer Vision stammende Wissen scheint dem betonten οἴδαμεν des Paulus zu entsprechen; gerade in 2Kor 5,1, aber auch in Röm 2,2; 3,19 wird es sich nicht einfach um christliches Grundwissen handeln, sondern um apokalyptisch bestätigtes und getragenes Wissen. 56 Die Sünder sind von dem Geschick ausgeschlossen, das der Kultspirituale der Psalmen als Entrückung im Tod erfährt, vgl. Ps 49,16; 73,23-28 und dazu grundlegend G. v. Rad, Gerechtigkeit und Leben, a. a. O., 432-435. diese Worte bringt, mit ihnen vom gegenwärtigen Herrn der Geister aus spricht, ist mehr als ein dem gegenwärtigen Geschlecht entsprechender Mensch. Dem Urvater Henoch ist Weisheit und das Los himmlischen Lebens beschieden (37,4). Henoch spricht also schon in Kap. 37 als Himmlischer. Kap. 39 deutet dies als Zugehörigkeit zur himmlischen Gemeinde. Apokalyptisches Wissen ergeht also im 1Hen als kultische Rede und vor dem Hintergrund einer kultisch geordneten und himmlisch gehaltenen Schöpfung. Kap. 40 enthüllt die Rolle der Erzengel: Sie sind Fürsprecher der Menschen und bringen ihr irdisches Geschick in die Liturgie vor Gott ein. Diese Ver‐ mittlung ist unmittelbar bezogen auf das himmlische Gericht, die Verteilung des Reiches und die Zuweisung der himmlischen Wohnungen (Kap. 41). Die Verteilung des Reiches, das Anteilbekommen am Reich, ist in 41,1f. gleichbe‐ deutend mit der Zuweisung einer himmlischen Wohnung bei den Engeln. Das Reich ist ein Reich der Verklärung. Kap. 41 macht in besonderer Weise die Nähe von apokalyptischem Wissen und Verklärungseschatologie deutlich: Die Vereinigung von Himmel und Erde ist Ziel dieser Verklärungseschatologie, ein Vorgang, den der Visionär durch seine Himmelsreise geradezu vorwegnimmt. 45,1 nennt als Thema der zweiten Bilderrede das Schicksal der Sünder. Ihre Sünde besteht im Leugnen dessen, was die apokalyptische Gemeinde ‚weiß‘: Es geht um die Wohnung der Heiligen, also den Zwischenort der verklärten, engelgleichen Gemeinde, und um Gott als den Herrn der Geister. 55 Das Geschick der Sünder besteht entsprechend darin, dass sie von dem ausgeschlossen werden, was sie leugnen: Für sie gibt es keine (intramortale) 56 Himmelfahrt und keine Herabkunft auf die eschatologisch verklärte Erde: „Sie werden nicht in den Himmel hinaufsteigen und auf die Erde nicht gelangen.“ Damit liegt in 1Hen 45,lf. eine lehrmäßige Zusammenfassung (wenn auch im Negativabdruck) der Erlösungslehre, die sich auch in den älteren Schichten des 1Hen abzeichnete: Die Zuversicht der apokalyptischen Gemeinde kommt aus dem Wissen um die Wohnung der Heiligen und das Verbundensein mit dem Herrn der Geister. Dieses kultspirituale Grundwissen kennen wir aus den Psalmen. Es ist die Andeutung einer Entrückung durch den Tod hindurch, die hier konsequent mit der Zionstheologie verbunden ist. Die Entrückung zur himmlischen Gemeinde 125 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 57 Das Paradies ist auf dem Zion verborgen, so dass, wenn der Zion einst in seinem schöpfungsmäßigen Geheimnis offenbar wird, Paradies- und Zionsbewohner sich vereinen werden. 58 Vgl. J. Jeremias, Golgatha, a. a. O., 107. 59 Vgl. Billerbeck, III, 849 f.; IV, 921f. 60 Vgl. Jes 60,1.19. 61 Vgl. Ps 43,3; 50,2; Sach 14,7; Jes 60,1. 62 Vgl. Ps 127,1f.; 128,5; 132,15; Jer 3,16f.; Ez 47,1ff. 63 Vgl. Jes 65,20; Sach 8,4ff. 64 Vgl. von Rad, a. a. O., 418-426, bes. 423. 65 Vgl. Jes 30,26. 66 Vgl. Ez 43,4 als eschatologische Aufnahme der Sinaiszene Ex 40,34. ermöglicht eine intensivierte kultische Verbundenheit mit den Himmlischen, weitergehende Gemeinschaft mit der irdischen Gemeinde und die eschatologi‐ sche Rückkehr auf die verklärte Zionserde. 57 Das Wissen der Kultspiritualen wird vor dem Hintergrund der Zionseschatologie ausgeformt. Die Gewissheit um die Entrückung im Tod erscheint als ein Wissen um Wohnungen der heiligen, entrückten, engelgleichen Gemeinde. Die lehrmäßige, thetische ‚Oberfläche‘ (45,1f.) wird durch 45,3ff. und die Kapp. 46 ff. in zwei Schichten begründet und ausgeführt. 46,3ff. beziehen das Wissen um Wohnung, Himmelfahrt und Verklärung auf den Tag, an dem der Auserwählte auf dem Thron der Herrlichkeit sitzen wird. Die Parallelität des Anfangs in 46,3 und 46,4 legt es nahe, das Gericht als himmlisch-irdische Szene vorzustellen, anhebend gleichsam auf dem in den Himmel ragenden bzw. aus dem Himmel herausragenden Zionsthron. 58 Die Wohnungen der (unter den dann Lebenden? ) Auserwählten werden zahllos sein, d. h. sie werden alle auf dem Zion wohnen und dort Platz haben. 59 Sie werden vereint mit der Gemeinde der himmlischen Auserwählten, indem sie sie sehen und dabei ihr Geist erstarkt. Die Verklärung vollzieht sich im Sehen und als Stärkung des Geistes. 60 V. 3 beschreibt also die anabatischen Seite des Vorgangs der Verklärung, während V. 4 die katabatische Seite ausdrückt: Der Auserwählte wird in der Mitte der verklärten Gemeinde wohnen und der Zionssegen wird als ewiger Segen und himmlisches Licht von einem verwandelten Himmel aus über ihnen sein. 61 In diesem Vorgang wird auch die Erde verklärt und zu einer einzigen Segensquelle. Die Zionsattribute ‚Quelle des Segens‘ 62 , des ‚Lebens‘ 63 , der ‚Gerechtigkeit‘ 64 , des ‚Lichtes‘ 65 und der ‚göttlichen Gegenwart‘ 66 bilden die Grundlage des apokalyptischen Wissens. Der Zionsthronende, der Auserwählte, steht hier in einer kaum noch sichtbaren David-Nachfolge; vielmehr ist er Repräsentant der himmlischen Gerechtigkeit und damit Repräsentant Gottes und der Gemeinde der auserwählten Gerechten. Auf der verklärten Zionserde haben natürlich die 126 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 67 1Hen 45,6; vgl. H. Gese, Vom Sinai zum Zion, a. a. O., 211. 68 Vgl. Joh 3,11-13: das Wissen der Gemeinde um die himmlischen Geheimnisse stamme vom Menschensohn. 69 Wie im kultischen Denken grundsätzlich, so ist auch beim Menschengestaltigen die Gerechtigkeit, als Kennzeichen und Gabe der himmlischen Herrlichkeit, der Recht‐ schaffenheit seines irdischen Lebens vorgeordnet. Es handelt sich um eine Korrelation von Gerechtigkeit und Rechtschaffenheit, wobei der Einstieg in dieses Verhältnis auf der himmlischen Ebene liegt, vgl. 1Hen 46,3. 70 Vgl. Sach. 12,8. 71 1Hen 46,7, vgl. 43,4. 72 1Hen 47,2f. unterscheiden zwischen der gegenwärtigen Epoche der Gemeinschaft mit den Himmlischen durch ihre Fürbitte und der vollendeten der Verklärung. Sünder keinen Platz (45,5); für sie steht das Gericht bevor, das sie von der dann verklärten Erde ausschließen wird, während die Gerechten jetzt schon von Gott gesehen werden und sie - mit Heil gesättigt - jetzt schon vor ihm stehen zum kultischen Dienst. 67 Kapp. 46 ff. vertiefen in verschiedenen Anläufen diese am Zion orientierte Verklärungseschatologie. 46,1 führt die 45,3 angekündigte Gerichtsszene vi‐ sionär aus. Henoch sieht den Betagten und den Auserwählten mit den Attributen der himmlischen Reinheit. Der Betagte hat ein Haupt weiß wie Wolle und ‚der bei ihm‘ ein Antlitz wie das eines Menschen und zugleich anmutig wie das von einem Engel. Der bei Gott Seiende ist das Urbild der zur engelgleichen Heiligkeit verklärten Gemeinde der Gerechten. Als Repräsentant der Gemeinde ist er nach 46,3 Ursprung ihres himmlischen Wissens. 68 Er steht ganz in der himmlischen Gerechtigkeit, und dieser entspricht die irdische Seite seines menschlichen Lebens in Rechtschaffenheit. 69 Er ist bei Gott, um vom Zion aus die fremden Herrscher zurückzuweisen: Sie werden in die Finsternis (= Zionsferne) eingehen und nicht von den Toten auferstehen. 70 V. 7 trägt nach, dass auch die innerjüdischen Opponenten, die die ‚Sterne des Himmels‘, die Glieder der apokalyptischen Gemeinde, 71 richten, aus den Häusern seiner Versammlung und der Gläubigen vertrieben werden, „die da aufbewahrt sind bei dem Herrn der Geister.“ (46,8) Bei der eschatologischen Verklärung der Gemeinde wird sie von Leugnern gereinigt. Die Sünder, mögen sie sich auch zum Gottesvolk rechnen, haben nicht Anteil an der himmlischen Segnung, während für die Gerechten jetzt schon die heiligen Engel vor Gott ihre Gebete darbringen (Kap. 47). ‚Gebet‘ und ‚Blut der Gerechten‘ werden in den Tagen des Endgerichtes vor Gott ihre Wirksamkeit zeigen, in diesen Tagen (des geschichtlichen Weitergangs 72 ) aber sorgen die himmlischen Heiligen dafür, dass Gott ‚Gebet‘ und ‚Blut der Gerechten‘ annimmt. Auch hier ist die Verklärung von Gemeinde, Himmel und 127 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 73 Vgl. Ps 87,7; Ez 47,1f. 74 Vgl. Jes 30,26; Ez 43,2. 75 Vgl. Jes 2,2-4. 76 1Hen 51,4, vgl. Jes 2,2; Ps 114,4.6. 77 Vgl. Ps 125,3. 78 Vgl. Ps 50,1f. Erde eine gegenwärtig verborgene Realität der kultischen Gemeinschaft der leidenden Gemeinde mit den heiligen Engeln. Nach 48,1 haben die himmlischen Gerechten, Heiligen und Auserwählten einen ‚Brunnen der Gerechtigkeit‘ und viele ‚Brunnen der Weisheit‘. An die Zi‐ onstradition erinnern die Wasser, die die Schöpfung erquicken. 73 Die Gerechten, die jetzt schon in den himmlischen, paradiesischen Teil des Zion eingegangen sind, bekommen aus diesen wunderbaren Wassern die himmlischen Gaben, die zum Wohnen im Bereich himmlischer Heiligkeit befähigen: ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Weisheit‘. Das kultisch gesegnete Leben ist für die himmlische Zionsgemeinde Wirklichkeit. Mit Kap. 50 werden die in Kapp. 48 f. angedeuteten Zionsmotive zu einer Umwandlungslehre ausgeformt: „In jenen Tagen wird eine Umwandlung für die Heiligen und Auserwählten stattfinden.“ (50,1) Immerwährendes Tages‐ licht wird über ihnen wohnen, dazu Herrlichkeit und Ehre. 74 Die Herrlichkeit der Zionsgemeinde wird die Sünder in das Unheil ausstoßen, aber diejenigen, die diese Herrlichkeit sehen und Buße tun, werden dadurch gerettet werden. 75 Mit der Verklärung der dann lebenden Gemeinde der Heiligen und Auserwählten einher geht die Rückgabe der Toten aus Erde, Scheol und Hölle (51,1). Der Auserwählte, der auf dem Thron sitzt, wird die Gerechten und Heiligen unter ihnen auswählen; offenbar sind nach 51,2 auch die Heiligen und Gerechten dem Totenreich anheimgegeben und keinesfalls bereits in einen paradiesischen Zwischenzustand eingegangen. Entscheidend für unseren Zusammenhang ist jedoch, dass mit dem Thronen des Auserwählten die Verklärung der Gemeinde einhergeht: Die anderen Berge weichen furchtsam vor dem Zion zurück; 76 „alle werden Engel im Himmel werden. Ihr Antlitz wird vor Freude leuchten, weil in jenen Tagen der Auserwählte sich erhoben hat, die Erde wird sich freuen, die Gerechten werden auf ihr wohnen …“ (51,4f.). Durch die Verklärung und Engelwerdung hört der jetzt bestehende, der Schöpfungsordnung nicht entsprechende Auseinanderfall von Himmel und Erde auf; die auf der Erde wohnenden Verklärten wohnen um den himmlisch-irdischen Zionsberg herum. Die 3. Bilderrede nennt in Kap. 58 die Verklärung der auserwählten Ge‐ rechten als Ziel der eschatologischen Seligkeit. Kultische Segensfülle wird ihnen zukommen: ‚herrliches Los‘ 77 , ‚Licht der Sonne‘ 78 , ‚Licht ewigen Lebens‘ (V. 2 f.). Ihre Lebenstage als Heilige werden kein Ende haben (V. 3). ‚Licht‘, 128 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 79 Zum Text: Beers Ergänzung: ‚sie priesen jenen (den Messias)‘ wird durch den Kontext V. 5 und 8 nahegelegt. In 61,10 (‚die Auserwählten‘) scheint die Übers. Beers schlicht verkehrt zu sein, vgl. Knibb: ‚The Chosen One‘, Charles: ‚The Elect One‘; hier gehört also der Auserwählte zur Schar der himmlischen Anbeter Gottes, vgl. auch Beers Anmerkung, II,271 d. Dass die irdische Gemeinde zu diesem himmlischen Lobpreis dazugehören wird, die Inthronisation des Menschensohnes also mit der Verklärung der Gemeinde zu ihrer himmlisch-irdischen Seinsweise zusammengeht, machen 61,12 (zu der himmlischen Akklamation wird auch aufgerufen ‚jeder Geist des Lichts, der imstande ist, zu preisen …‘) und die parallele Darstellung 62,8ff. deutlich. Die ‚Einheit‘ ist kultisches Motiv: die Versammlung der Gemeinde bedeutet Ausgrenzung vom profanen Bereich. In der Einheit zeigt sich geradezu die Zugehörigkeit zur Himmel und Erde ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Frieden‘ werden sie finden, ja der Himmel steht ihnen offen: Dort werden sie die Geheimnisse der Gerechtigkeit und das Los des Glaubens finden (V. 4 f.). Freilich wird der Himmel nicht wie jetzt ein von der Erde getrennter Raum sein; indem auf der Erde die Finsternis ganz dem Licht weichen muss, so treten Himmel und Erde in eine neue, im ursprünglichen Sinne schöpfungsmäßige Beziehung zueinander. Die in aller Fülle kultisch gesegnete Erde ist der Zielort dieser zionstheologischen Apokalyptik. Nochmals wird deutlich, dass die traditionell kultische Beziehung zur himmlischen Welt, wie sie in besonderer Weise in der Zionstheologie geschichtlich ausgestaltet ist, die apokalyptische Perspektive trägt und allererst ermöglicht. Für diese Art Kulta‐ pokalyptik ist es entsprechend charakteristisch, dass in ihr die Segnungen der himmlisch verklärten Erde mit den Geheimnissen der Schöpfungsordnung zu tun haben. Das kultisch segnende Licht über der verklärten Zionsbürgerschaft ist eine Sonderform des in der Schöpfung waltenden Lichtes der Sterne und Blitze (Kap. 59). Kapp. 61 ff. entfalten dann wieder im Visionsstil die in 58 in der Form des Makarismus vorangestellte, lehrmäßige Zusammenfassung. Zentralmotiv in 61,4a ist die Enthüllung der himmlisch-irdischen Gemeinschaft der dann verklärten Gemeinde: „Die Auserwählten werden anfangen bei den Auserwählten zu wohnen.“ Dazu bringen die Engel die Maße, mit denen die Geheimnisse der Gerechtigkeit und des Glaubens ergründet werden können, „damit sie (die Gerechten) sich für immer und ewig auf den Namen des Herrn der Geister stützen“ (61,3). ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Glaube‘ sind ebenso himmlische Schöpfungsgeheimnisse wie die Tiefe der Erde. Die verklärende Gemeinschaft mit den Auserwählten beginnt nach 61,1-5 mit der Offenbarung dieses himmli‐ schen Wissens und geht hinüber in die Darstellung des himmlischen Gerichtes. Der Auserwählte wird himmlisch inthronisiert, begleitet von einer akklamier‐ enden Anbetung durch die Himmlischen, die einstimmig, in einem Licht, in Weisheit und im Geist des Lebens geschieht. Dieser das Gericht begleitende einstimmige Lobgesang vereint Himmlische und Irdische (61,8-13). 79 Auch das 129 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen umspannenden einen Gemeinde des Lobpreises, vgl. 1QH 11,10-14; 1QS 5,14.20; 9,6; vgl. neutestamentlich Joh 17,20-23: die Einheit der Gemeinde ist Zeugnis für ihre himmlische Segnung; ähnlich Eph 4,1-16. 80 Vgl. Ps 75,5f. Charles, 72 f., deutet die 62,1.3.6.9; 63,1f.12 u. ö. genannten ‚Könige, Mächtige, Hohe und die, die die Erde bewohnen‘ auf die makkabäischen Gegner der Frommen. Deutlich ist, dass die Gestaltung motivisch aus der Zionstradition stammt: der Auserwählte ist 62,2f. geschildert mit den Attributen des Friedefürsten, der vom Zion aus mit Gerechtigkeit und dem Schwert seines Mundes herrscht, vgl. Jes 11,1-10. Die Gegner verhalten sich, wie in der jesajanischen Vorlage von der Völkerwallfahrt verheißen: sie sehen die Herrlichkeit und Gerechtigkeit des Zion und wollen daraufhin den Herrn anbeten. 81 43,4 spricht von den Heiligen, die auf dem Festland wohnen; in 48,1 werden gemeinsame Wohnungen der ‚Gerechten‘, ‚Heiligen‘ und ‚Auserwählten‘ genannt; 48,9 setzt ‚Ge‐ rechte‘ und ‚Heilige‘ als untergeordnete Parallelglieder zu ‚Auserwählte‘; 50,2 spricht von der Umwandlung für die ‚Heiligen‘ und ‚Auserwählten‘; die ‚Gerechten‘ und die ‚Heiligen‘ werden aus der Schar der auferweckten Toten ausgewählt werden (51,2); vgl. ferner: 58,3.5; 62,8; 38,5; 39,4.5; 41,2. Der Engelname ‚Kinder des Himmels‘ (6,2; 14,3; 39,1) wird in 101,1 auf die Gerechten übertragen. Die für die Engel aufgenommene Bezeichnung ‚Sterne‘ (86,1.3) kommt in 46,7 den Gemeindegliedern als den ‚Sternen des Himmels‘ zu, wie auch nach 43,4 eine kultisch-kosmische Beziehung zwischen den Heiligen auf dem Festland und den Sternen besteht. Bild dieser kultischen Gerichtsszene stammt aus der Zionseschatologie: Kap. 62 bringt als Ausführung zur Gerichtsszene die Aufforderung Gottes an die irdischen Könige, auf den Auserwählten zu schauen, wie er auf seinem Thron der Herrlichkeit sitzt. 80 Die irdischen Herrscher müssen geradezu in das Lob Gottes und seines Auserwählten einfallen, aber sie werden von der Erde vertilgt. Nun wird der verklärte Endzustand der Gemeinschaft der irdisch-himmlischen Gemeinde aus Heiligen und Auserwählten einkehren. Die Schekina kommt mitten unter sie, und sie werden gesegnete Lebensgemeinschaft mit dem Men‐ schensohn in Ewigkeit haben (62,14). Die verklärte Gemeinde erhält himmlische Kleider der Herrlichkeit und Reinheit. Die Einwohnung der Schekina in der verklärten Gemeinde, (Opfer-)Mahlgemeinschaft mit dem Menschensohn und Bekleidetwerden mit himmlischer ‚Dienstkleidung‘ bilden den Abschluss der zionstheologischen Verklärungslehre. Die Eschatologie des 1Hen besteht im Zentrum also offenbar in einer apoka‐ lyptischen Ausgestaltung der Verklärungslehre, wie sie in der biblischen Tradi‐ tion an der Zionserwartung hängt. Über die biblische Grundlage hinaus weist die explizite Formulierung einer Engelgestaltigkeit der verklärten Gemeinde und ihres himmlischen Repräsentanten. Schon terminologisch durchbricht 1Hen mitunter die sonst durchgehaltene Trennung von (irdischen) ‚Gerechten und Auserwählten‘ einerseits und (himmlischen) ‚Heiligen‘ andererseits. 81 Damit ist deutlich, dass die normale der Schöpfungsordnung entsprechende Trennung 130 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 82 Vgl. J. Maier, Zum Begriff …, a a.O., 163 f.; H.-W. Kuhn, Enderwartung … a. a. O., 66-72. 83 Vgl. 1Hen 9,3; 12,2; 14,23; 39,5 u.ö.: Engel als ‚Heilige‘; 90,21.22: Engel als ‚Weiße‘. 84 Vgl. o. Anm. 47. 85 Her 84; Somn II 189.231, vgl. biblisch schon Sach 3, 3 ff.; der Hohepriester Josua wird vor den Engel des Herrn gestellt und himmlisch-kultisch neu bekleidet. 86 Vgl. den Midrasch vom Jakobstraum in Bethel: Gen r 68,16 zu Gen 28,12, vgl. J. Jeremias, Golgatha, a. a. O., 100.107. 87 Vgl. Ps 29,1. von Mensch und Engel, himmlischer Gemeinde und irdischer Gemeinde, ja von Himmel und Erde nicht absolut gilt. Das Noahbuch nennt in 69,11 einen Grund: Die Menschen sind im Ursprung nicht anders als die Engel geschaffen worden, damit sie gerecht und rein bleiben; deswegen sollen sich die Gerechten in Engelgestalt zurückwandeln (51,4). Diese angelogische Anthropologie hat kultische Wurzeln. 82 Der Himmel ist der Bereich göttlicher Heiligkeit und Reinheit; deshalb heißen die Engel ‚Heilige‘ und ‚Weiße‘ . 83 Der Himmel ist für 1Hen, und wohl für das ganze antike Judentum, kultisch bebildert. Die irdische Kultgemeinde partizipiert an einem Kultort, der aus der himmlischen Heiligkeit als Sitz der Gegenwart Gottes abstrahlt. Die Teilnehmer am irdischen Kult kommen in Kontakt mit einer überirdischen, himmlischen Heiligkeit; dies ist ein gefährlicher Kontakt, sofern man als Mensch der himmlischen Heiligkeit entsprechen müsste, was man nicht kann. Daraus entsteht die Erwartung einer Verwandlung in himmlisch-engelmäßige Reinheit und Heiligkeit. Der Kontakt zur himmlischen Heiligkeit wird zunächst brisant im Priester‐ dienst. Der Priester muss sich reinhalten und weiße Schutzkleidung anziehen. 84 Für den Hohenpriester ist der Dienst am Versöhnungstag geradezu lebensge‐ fährlich. Andererseits sind Schutzmaßnahmen im Grunde gewährte Anpas‐ sungen an die himmlische Reinheit. Der Priester wird durch göttliche Stiftung für seinen Dienst zugerüstet. Mal. 2,7 weiß darum, dass der Priester im Grunde ךאלמ Gottes ist: Die Lippen des Priesters bewahren Erkenntnis, und von seinem Munde sucht man Weisung. Auch Philo deutet Lev 16,17 als gewährte Anpas‐ sung an die himmlische Heiligkeit. Der Hohepriester muss und darf sich in einen Engel verwandeln. 85 Die rabbinische Überlieferung deutet das Hinaufsteigen der Priester auf den Altarstufen als Aufstieg in den über dem Altar offenen Himmel hinein. 86 Dass im Kultus die Himmlischen und damit das erste und höherwertige Glied der Schöpfung präsent ist, 87 führt also einerseits zum Vorgang der Sonde‐ rung und andererseits zur Eröffnung der Möglichkeit, an der himmlischen Hei‐ ligkeit, Reinheit und Gerechtigkeit teilzubekommen. Die Vollendung dieser zweiten Möglichkeit, nämlich Glied himmlischer Reinheit, Heiligkeit und Ge‐ rechtigkeit zu werden, setzt die Überwindung aller Unreinheit, Unheiligkeit und Ungerechtigkeit voraus. Deswegen ist im 1Hen die Engelwerdung der gerechten 131 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 88 Vgl. Ps 91,11. Zum beschützenden Geist im antiken Volksglauben vgl. Th. Hopfner, Griechisch-Ägyptischer Offenbarungszauber, Bd. I, Leipzig 1921, § 118/ 119; T. Canaan, Dämonenglaube im Lande der Bibel, Leipzig 1929, 3. Gemeinde an die vom Himmel ausgehende Verklärung der irdischen Schöpfung gebunden. Während der Kultus in Jerusalem durch Regression die Heiligkeit schützen musste, weiß die apokalyptische Gemeinde um die Hilfe der Himmli‐ schen, durch welche die himmlische Reinheit und Heiligkeit gleichsam ag‐ gressiv wird und die Schöpfung in Richtung auf die Verklärung hin in Ordnung bringt. Versucht man, von dieser kultischen Grundlage her die Engels- und Verklä‐ rungsmotive zu ordnen, so erkennt man, dass die kultische Gemeinschaft der irdischen Gemeinde und der himmlischen Engelschar das Hauptmotiv zu bilden scheint. In der Thronvision des Noah stehen die Engel und die Gerechten um den Thron Gottes (60,2). Ist in der klassischen Thronvision des Jesaja der himmlische Engelchor anwesend, so ist in 1Hen dieser die Vision einleitende Hintergrund um die Repräsentanten der irdischen Gemeinde erweitert. Entsprechend Ps 29 spricht 1Hen 36 von den großen und herrlichen Wunderwerken der Schöpfung, die die Engel und die Geister der Menschen gemeinsam erkennen und loben. Die Himmel und Erde einende Schöpfungsordnung ist das Ziel der gemeinsamen kultisch-apokalyptischen Erkenntnis und des kultischen Lobpreises der Engel und Menschen umfassenden heiligen Gemeinde. Die kultische Grundlage der Engelgemeinschaft ist auch im Thema der Fürbitte erkennbar: Nach 39,4ff. legen die Heiligen Fürsprache für die Menschen ein. Der Kontext zeigt, dass die heiligen Engel von dem Ort aus Fürsprache halten, an dem auch die Wohnungen der Gerechten sind. Der himmlische Chor der Fürbitter besteht aus Engeln und aus verklärten Gerechten. Der irdischen Gemeinde steht nicht einfach die himmlische gegenüber, sondern beide sind dadurch vereint, dass die himmlische Gemeinde durch die Verstorbenen ver‐ größert wird. In 100,5 wird der Gedanke der fürbittenden Gemeinschaft so ausgedrückt, dass jeder irdische Gerechte und Heilige einen heiligen Engel als Schutzpatron bekommt, der sein Geschick bewahrt. 88 Die kultische Erkenntnis-, Lobpreis- und Fürbittgemeinschaft zwischen irdischer und himmlischer Ge‐ meinde ergibt zwangsläufig die Erwartung einer tatsächlichen Vereinigung an einem gemeinsamen Wohnort. Dieser Wohnort ist im 1Hen das Paradies, in dem die Gerechten und Auserwählten wohnen und in dem der Baum der Weisheit steht (32,2f.; 60,8). Nach 48,1f. schaut Henoch einen Brunnen der Gerechtigkeit an jenem Orte und viele Brunnen der Weisheit; daraus trinken die Glieder der himmlisch-eschatologischen Gemeinde der Gerechten, Heiligen und Auserwählten. Dieser Ort überquellenden, gesegneten Lebens liegt nach 132 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 89 In 98,4f. wird gegen diese ältere und grundlegende Tradition eine Betonung der Verantwortung der Menschen gestellt, vgl. Milik, a. a. O., 53f. 90 Vgl. 7,1 und Kap. 8. 91 Zur Bindung des Asasel vgl. Hanson, Rebellion in Heaven, in: JBL, 96 (1977), 195-233, hier: 222-226. 25,4-6 am verklärten Zion. Es ist die himmlische Segensnahrung, die einst den engelähnlichen Adam im Paradies erquickte. Das Paradies ist Ort der verborgenen Schöpfungsgeheimnisse, an dem Heilige und Gerechte gemeinsam wohnen. Dies wird nach der Erwartung des 1Hen vom Zion aus zu einer Wirklichkeit der neuen Schöpfung. Kultische Gemeinschaft mit den Himmlischen, kultische Anthropologie, die Gemeinschaft der Gerechten im Paradies und schließlich die Verklärung zur Engelgestalt vom eschatologischen Zion aus - dieses apokalyptisch ausgeformte Bild der kultisch aufeinander bezogenen Schöpfungshälften setzt voraus, dass die entscheidenden Prozesse der Sünden- und Heilsgeschichte in Korrelation von himmlischer und irdischer Ebene ablaufen, ja, dass den himmlischen Vor‐ gängen eine Priorität zukommt. 1Hen entfaltet deshalb seit der ältesten Tradi‐ tionsschicht eine Engellehre, die, ohne Gefährdung der Allmacht Gottes, sowohl Sünde als auch Erlösung der Intervention von Engeln zuschreibt. 89 Die gefal‐ lenen bringen die Sünde in die Welt, indem sie die kultische Schöpfungsordnung durch Vermischung der Gattungen durcheinanderbringen. Mit dieser greuel‐ haften Vermischung verbunden ist die Mitteilung verbotenen himmlischen Wissens, das die Menschen magisch verwenden. 90 Erlösung bedeutet von diesem Ansatz her Restituierung der kultischen Schöpfungsordnung vom Himmel aus. Es geht um Vermittlung kultischen Wissens durch die Engel, Enthüllung der himmlisch-kosmischen Bedeutung des Ritus des Versöhnungstages 91 und vor allem auch um die Erwählung des Auserwählten als des Repräsentanten der Gemeinde der Gerechten zu einer Position in und über der himmlischen Engelwelt. Nach 10,16ff. ist Michael Befreier von Sünde, Gottlosigkeit und Unreinheit. Er stellt den kultisch gesegneten, ordentlichen Zustand wieder her. Kapp. 10 f. bilden eine Kurzfassung des Schemas der Erlösung durch kultisch-kosmische Neuordnung, die Segen erwirkt. 69,14ff. fügen aus dem gleichen Stratum des Noah-Buches hinzu, dass die Erlösung aus der Macht der gefallenen Engel durch Verwendung des geoffenbarten, geheimen Gottesnamens geschehen kann. Kul‐ tisches Wissen, apokalyptisch offenbart, kann vollmächtig gegen verderblichen Zauber eingesetzt werden. 12,2 deutet die Entrückung Henochs so, dass er bereits während seines Lebens in ständiger Verbindung mit den Wächtern und den Heiligen stand. 46,1ff. setzen 133 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 92 Vgl. dazu Milik, a. a. O., 55f. auf der himmlischen Ebene an: Der ‚andere bei Gott‘ hat ein Antlitz wie das eines Menschen und zugleich wie das eines Engels. Der ‚andere bei Gott‘ ist zugleich menschlich und engelhaft. Bei ihm liegt jedoch keine Vermischung vor wie bei den ‚Biestern‘, die aus der Verbindung der Engel mit den Menschen hervorgegangen sind. Vielmehr ist er kultisch ganz rein. Wie die Sünde durch Verunreinigung per Vermischung zustande kommt, so die Gerechtigkeit durch ein verklärendes Wunder der Neuschöpfung. Im Noah-Buch, in dem Henoch ganz als entrückter, himmlischer Offenbarer fungiert, wird von Noah gesagt: „Gott hat deinem Namen unter den Heiligen ewige Dauer verliehen … aus deinem Samen wird eine Quelle von zahllosen Gerechten und Heiligen immerdar hervorgehen.“ (65,12) Noahs Name ist bei den himmlischen Heiligen präsent und seine Nachkommenschaft ist eine Schar von Gerechten und Heiligen. Durch den zum Kreis der Himmlischen gehörigen, reinen Urvater weiß sich die Nachkommenschaft als ebenfalls mit dem himmlischen Ursprung der Reinheit und Heiligkeit verbunden. Die von Noah überlieferte Geburtslegende in 106 f. entspricht 46,1ff: Noah wird als Kind mit Attributen engelhafter Reinheit, himmlischen Lichtes und Gotteslobes geboren. 92 Henoch offenbart, dass dieses Wunderkind ‚in Ordnung‘ ist und an ihm die göttliche Macht der Neuschöpfung sichtbar wird, den Menschen zu seiner ursprünglichen, engelähnlichen Gestalt zu bringen (106,15f.). Kultische Reinheit, Wissen als Erleuchtung und himmlisches Gotteslob sind deshalb Kennzeichen der Noah-Söhne. Der engelähnliche Urstand ihres Vaters ist Anbruch einer Neuschöpfung, die auch an ihnen sichtbar wird. Das Engelmotiv gehört also in die Grundschicht der kultischen Apokalyptik der Henochtradition. Es bestimmt, noch über die klassische Priesteranthropo‐ logie von Ps 8,6 hinausgehend, den kultisch mit der himmlischen Ordnung und dem himmlischen Wissen verbundenen Menschen als engelmäßig. Die Henoch-Gemeinde erwartet, über die Begnadigung des leidenden Menschen der Psalmen hinaus, eine Restituierung zu vollkommen gesegnetem Leben, ja für ihre Glieder eine postmortale Existenz. Diese Erhöhung der auserwählten Gerechten zu engelhaftem, verklärten Leben auf einer erneuerten Erde wird vom Zions-Berg ausgehen, an dem sich Himmel und Erde zu einer Neuschöpfung verbinden. Damit ist auch die Rolle des Auserwählten in den Grundzügen klar: Er ist Repräsentant der himmlischen Zions-Gemeinde; an ihm ist die Neuschöp‐ fung der kultischen Heiligkeit und Reinheit real geworden. Wie die gesamte Henoch-Tradition sich am himmlischen Urgrund des Kultes festmacht und 134 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 93 Vgl. zu diesem Stück die Untersuchung von L. Hartman, A King for a Meaning, 1979. 94 Vgl. L. Hartman, a. a. O., 28.73f.; vgl. H.-W. Kuhn, a. a. O., 31-33. 95 Vgl. L. Hartman, a. a. O., 24f. 96 Vgl. 1Hen 41,5ff. von ihm her die eschatologische Verklärung zur Neuschöpfung erwartet, so ist die Engel-Gestaltigkeit nicht an einer irdischen hochpriesterlichen Figur festgemacht, sondern an einem zur himmlischen Welt wunderbar als Engel gehörenden Menschen. Über dem Menschensohn liegt deshalb ein neuer Glanz himmlischer Heiligkeit. Dass die Tradenten der Henoch-Überlieferung ihr apokalyptisches Wissen in Bezug auf eine kultisch orientierte Gemeinde in einer kultisch strukturierten Schöpfung verstanden haben, zeigt die vermutlich redaktionell vorgeschaltete Einleitung Kapp. 1-5; 93 durch sie erscheint die ganze Apokalypse als eine Se‐ gensrede. Die visionäre Begegnung mit Gott und seinen heiligen Engeln ist ver‐ mittelt als eine kultische Anrede. Die Segensrede hat deuteronomische An‐ klänge und steht formgeschichtlich in der Tradition der kultischen Begehung der Bundeserneuerung. 94 Schon Ps 78,2 bezeichnet die Gegenüberstellung der Heilstaten Gottes und des Undankes Israels als לשמ (Ψ 77,2 παραβολή) aus der Vorzeit der Väter. 95 Die Vision des Henoch kommt aus dem Bereich der himm‐ lischen Heiligen und weist voraus auf die Theophanie des großen Heiligen (1,3). Dem entspricht die aus dem Corpus entnommene, bzw. dort entfaltete, Bezeich‐ nung der Gemeinde als ‚auserwählte Gerechte‘ (1,1), die dereinst ganz zu Gott gehören werden (1,8; 5,7). Die Einleitung zu den Bilderreden macht deutlich, dass die Weisheitsrede des Henoch vor dem Herrn der Geister vorgetragen wird. Das apokalyptische Wissen ergeht als kultische Anrede in der Gegenwart Gottes und verbindet Urvater, Nachkommen und die eschatologische Zukunft vor dem himmlischen Hintergrund der Schöpfung. Die sie verbindende Geschichte er‐ scheint als Darstellungsfeld einer stark an räumlichen Kategorien orientierten Betrachtung. Wir stoßen auf ein kultisches Ordnungsdenken, welches auf dem zugewie‐ senen Raum aller Dinge insistiert und von der Erlangung des gehörigen Raumes das Heil erwartet. Schöpfung bedeutet räumliche Einteilung, und die die Zeit he‐ raussetzenden Lichtvorgänge in der himmlischen Welt sind ein Durchschreiten von Räumen. 96 Auch die Entschlafenen gehören zur Schöpfung und finden den ihnen zugewiesenen Ort (Kap. 22). Die Auferstehung bedeutet in diesem kultapokal‐ yptischen Kontext Verwirklichung der Teilnahme des zu seiner schöpfungsmä‐ ßigen Urgestalt zurückkehrenden Menschen an der engelartigen Reinheit der Heiligen. Ähnliche Grundzusammenhänge zeigen auch die dem Pharisäismus 135 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 97 Vgl. L. Rost, Einleitung, a. a. O., 90; A. Hultgård, L’eschatologie des Testaments des Douze Patriarches. I, Uppsala 1977, 303 spricht von Kreisen der Chakamim, die nur teilweise pharisäisch geprägt waren, als Trägern der Überlieferung der PsSal. 98 Vgl. PsSal 2,31 ὁ ἀνίστων ἐμὲ εἰς δόξαν; 2,36 χρηστὸς ὁ Κύριος τοῖς ἐπικαλουμένοις αὐτόν ἐν ὑπομονῆ … παρεστάναι διὰ παντὸς ἐνώπιον αὐτοῦ ἐν ἰσχύι; 3,12 … ἀναστήσονται εἰς ζωὴν αἰώνιον καὶ ἡ ζωὴ αὐτῶν ἐν φωτὶ Κυρίου καὶ οὐκ ἐκλειψει ἔτι. 99 Vgl. Bill., II, 767: „Die Leugnung von Engeln und Geistern seitens der Sadduzäer lässt sich aus jüdischen Quellen nicht belegen, entspricht aber ganz ihrer Diesseitsreligion.“ Ähnlich E. Haenchen, Komm., 567. G. Stählin, Komm., 289: „… sonst nicht bekannt …“. zugerechneten Psalmen Salomos aus der 2. Hälfte des 1. vorchristlichen Jahr‐ hunderts. 97 Im Zentrum steht hier das Bekenntnis zur βασιλεία Gottes und zu Gottes βασιλεύς-Sein. Mit diesem Bekenntnis ist verbunden die Aussage, dass Gott es ist, der ‚mich aufstellt, hinstellt, auferweckt zur δόξα‘(2,31). Gottes Handeln am Frommen bewirkt, dass er aufgestellt wird vor ihm in Kraft und dass das Got‐ teslob in Ewigkeit ergeht im Gegenüber seiner Knechte (2,36f.). Man muss hier an die Auferstehung als Einfügung in den Chor der lobpreisenden Engel denken. Der Fromme, dem Gott das Haus rein erklärt (3,8), weiß, dass er auferstehen wird in unvergänglichem Licht (3,11ff.) 98 . Auch hier schlägt Kultspirualität durch, die aber nicht den Tempelkult, sondern häusliche Reinheit unter dem Licht der himmlischen Herrlichkeit und im Glanze der himmlisch-weißen Reinheit sieht. Charakteristisch pharisäisch sind dann auch die Aufgaben des Messias als Davidssohn: Er wird Jerusalem reinigen (17,22ff.30) und ein heiliges Volk zu‐ sammenbringen (17,26); er ist rein von Sünden, denn Gott hat ihm den Heiligen Geist gegeben (17,36); wenn er in der Volksversammlung des heiligen und reinen Gottesvolkes Recht spricht, so gleicht er einem himmlischen Erzengel und Israel den geheiligten Völkern des Himmels (17,43). Der pharisäische Fromme sieht sich und Israel vor dem Hintergrund des himmlischen Engelreiches Gottes, an dem er jetzt bereits durch seinen heiligen Lebenswandel teilnehmen darf und der ihn unter die Erwartung der Verwandlung in die himmlische δόξα und die ζωὴ αἰώνιος stellt. Auch die Argumentation des Paulus nach Apg 23,8 und die Jesu nach Mk 12, 18-27 stützte sich auf diesen kultapokalyptischen Grundzusammenhang. Zur Kommentierung der Taktik des Paulus in seiner Rede vor dem Synhedrion fügt Lukas in Apg 23,8 ein: "Die Sadduzäer nämlich sagen, dass es keine Auferstehung gebe und auch nicht Engel und Geist, die Pharisäer jedoch bekennen sich zu beidem.“ Die Kommentare weisen darauf hin, dass die Leugnung von Engeln den Sad‐ duzäern nicht gut möglich sei, da der ךאלמ הוהי sehr wohl in der Tora begegne. 99 136 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 100 So Conzelmann, Komm. 129; Roloff, Komm., 328. Die Auseinandersetzung der Pha‐ risäer mit den Sadduzäern hatte einen Schwerpunkt in den Fragen des Vorgehens des Hohenpriesters am Versöhnungstag. Nach pharisäischer Halacha durfte der Hohe‐ priester den Weihrauch erst im Allerheiligsten anzünden, während nach sadduzäischer Halacha er diesen draußen entzündete und dann mit hineinnahm, vgl. bJoma 53a. J.Z. Lauterbach, HUCA IV (1927), 173 ff. sah im Hintergrund die Auseinandersetzung zweier Gottes-Konzeptionen: die Sadduzäer dachten Gott anthropomorphisch und gingen von einer Vorstellung realistischer Gottesgegenwart im Allerheiligsten aus, während die Pharisäer einem höher entwickelten Gottesbild anhingen, das von der Unsichtbarkeit Gottes ausginge; in dieser Auseinandersetzung wiederhole sich der Streit zwischen Propheten und Priestern in vorexilischer Zeit. Die Sadduzäer hätten also aus Angst, vielleicht beim Eintreten doch die thronende Gottheit sehen zu müssen, den schützenden Rauch vorher entzündet. Grünwald, a. a. O., 96 74 bemerkt: „Lauterbach’s Sadducean interpretation of these stories was variuosly challenged.“ Abgesehen vom fragwürdigen Begriffsgerüst widerstreitender Gotteskonzeptionen, passt doch das Bild der Sadduzäer nach dem NT nicht mit primitivem Aberglauben (so Lauterbach) und einem rein anthropomorphen Gottesbegriff zusammen. Auferstehung, Engel und Geist(er)-Lehre liegen doch eher auf der Linie einer drastisch-realistischen Gotteslehre. Aus der Ablehnung dieser Größen spricht nicht schierer Konservativismus, sondern eher aufgeklärte Geisteshaltung. Ferner lassen die rabbinischen Berichte kaum erkennen, dass man sich über die Furcht der Hohenpriester vor dem Gang in das Allerheiligste lustig gemacht hätte. Diese kultische Scheu entspricht vielmehr dem würdigen Vollzug des Rituals. bJoma 53a und 19b beziehen sich auf Lev 16,2: der Rauch ist die Wolke, in der Gott erscheint, der Rauch also das heilige Medium der Theophanie. Wenn die Sadduzäer den Rauch außerhalb des Allerheiligsten anzünden und dies noch - wie bJoma 19b betont - in der Absicht einer technischen Überprüfung des ‚Funktionierens‘ dieses Theophaniemittels tun, so bedeutet dies im Urteil der Pharisäer eine Profanierung eines nur im Allerheiligsten möglichen Vorgangs. Die Pharisäer schützen das Kultgeheimnis, das die Sadduzäer in ihren Augen profanieren. 101 The Pharisees, I, a. a. O., 178f. 102 Finkelstein, ebd., nennt Daniel, 1Henoch, Test XII, Jes 24-27, Sacharja, Hiob, Chronik. 103 Finkelstein, ebd., nennt Jesus Sirach, Joel, Esther. Hat Lukas also die Sadduzäer in überzeichnendem Sinne zu radikalen Skeptikern gemacht? 100 L. Finkelstein 101 verweist darauf, dass die spätbiblischen und intertestamen‐ tarischen Schriften, die von der Auferstehung handeln, auch eine ausgeführte Angelologie kennen; 102 während die Schriften, die über das Thema ‚Auferste‐ hung‘ mehr oder weniger hinweggehen, auch keine ausgeführte Angelologie bezeugen. 103 Nach unseren Bemerkungen zu PsSal und ihrem weiteren kultapokalypti‐ schen Hintergrund steht fest, dass Lukas hinsichtlich der Pharisäer die Zusam‐ menhänge richtig deutet: Die Existenz von Engeln und die Teilhabe an ihrer kultischen Reinheit ist Vorausverweis auf die Auferstehung. 137 I) Die Kultordnung des Himmels und die Verklärung des Zion nach 1Hen 104 Vgl. H. Gese, Vom Sinai …, a. a. O., 204 f.; R. Knierim, Offenbarung im Alten Testament, in: Fs G. v. Rad, 1971, 206-235, bes. 212 ff. und 228 ff. Die Verbindung von Eschatologie und Mystik prägt auch Teile der späteren jüdischen Mystik: „See in Merkavah Shelemah, fol. 38b, where Rabbi ’Akiva is quoted as saying that an after-life is promised to everyone who knows the mystical dimensions of the divinity.“ (I. Gruenwald, Apocalyptic, a. a. O., 110, Anm. 57; Hervorhebung bei Gruenwald.) Man wird an die Wirksamkeit einer besonderen Anthropologie erinnert, deren Kenntnis Lukas auch in Apg 12,15 bezeugt: zum Menschen gehört sein himmlischer Genius, ein Engel, der mit ihm eine doppelgängerische Identität hat. Auch 1Hen 100,5 bezeugt, dass die den Heiligen und Gerechten zugewiesenen heiligen Wächter-Engel sie während der Zeit ihres Todesschlafs beschützen, wohl um ihre von Dämonen und Sündenträgern nicht befleckte Identität zu wahren. Nach Mk 12,25 setzt auch Jesus voraus, dass die Seinsweise der Auferstan‐ denen der der Engel entspricht. Gott ist Gott der Lebendigen (Ex 3,2.6 nach Mk 12,26), also ist die Grundtatsache der Auferstehung in der Tora bezeugt; der schöpfungsmäßige Rahmen aber, in dem sich die Auferstehung vollzieht, ist durch das himmlische Reich der Engel gegeben: Wie sie werden die Auferstan‐ denen sein, rein und sündlos, ohne Befleckung durch Geschlechtsverkehr und Nahrungsaufnahme/ -ausscheidung. Da die Tradition Jesus eine Eschatologie zuweist, die von einem inneren Zusammenhang von Auferstehung und Engelsexistenz ausgeht, entsteht daraus für uns die Frage, ob Jesus nicht an dem kultapokalyptischen Hintergrund dieser Eschatologie partizipiert; diese kennt jedenfalls nicht eine rein zukünftige Transzendenz. 104 Es geht hierin vielmehr um die Enthüllung der verborgenen, himmlischen Schöpfungsdimension, an der die Gerechten und Heiligen jetzt schon Anteil haben. Die visionäre Erkenntnis mündet nicht zuerst in der Bitte um raschen Vollzug, sondern in der Beracha des Herrn der wohlgeordneten Schöpfungsdimensionen (1Hen 22,14). Jesu Naherwartung der βασιλεία sprengt darum jeden Rahmen einer rein zeitlichen Verrechnung, weil sie wie die Kultapokalyptik in der Grundlage getragen ist von der Einsicht in die himm‐ lische Dimension des Schöpfungsgeheimnisses. Die himmlische Dimension der Schöpfung, in der die βασιλεία Gottes um seinen heiligen Thron herum Wirklichkeit ist, reißt Jesus als die die Gegenwart bestimmende Kraft auf. Dies setzt voraus, dass diese himmlische Dimension ihm zugänglich ist, ja er zu ihr gehört. Sein Wirken in Tat und Wort vollzieht sich aus der himmlischen βασιλεία heraus und bezieht den irdischen Ort seiner Gegenwart in sie hinein. Er bringt ihre Reinheit und Sündlosigkeit, ihre lebensschaffenden Segenskräfte 138 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes in den irdischen Teil der Schöpfung hinein und ermöglicht so die verklärende, eschatologische Neuverbindung der geschiedenen Schöpfungsräume. Die Kultapokalyptik des 1Hen (und auch die der Pharisäer nach PsSal und Apg 23,8) hängt an der Vorgabe der Zions-Tradition. Um den möglichen Zu‐ sammenhang Jesu mit der kultapokalyptischen Zuspitzung der Zions-Tradition näher eingrenzen zu können, müssen wir sehen, welche Christologie zu dieser Tradition gehört. Mit welchen Traditionsvorgaben wurde die Erlösergestalt versehen, die das von der Kultapokalyptik als jenseits des irdischen Zion erfahrene Heil aus dem himmlischen Teil der Schöpfung zur irdisch erfahrbaren Realität hinüberführt? II) Der priesterliche Erlöser als Vollzieher einer kultischen Neuordnung der Schöpfung Die bisherigen Abschnitte unserer Untersuchung sind Rezeptionslinien nachge‐ gangen, auf denen die Theologie des nachexilischen Jerusalemer Kultes trans‐ poniert wurde in Formen religiöser Bewegungen, die ihren Schwerpunkt nicht im kultischen Vollzug selbst nahmen, jedoch den mit dem Kult verbundenen Anspruch auf eine Zuordnung und Zentrierung der Schöpfung übernommen haben. Diese Bewegungen bestätigen und setzen voraus, dass für das nachexi‐ lische Judentum der Kultus die himmlische Dimension von Schöpfung und Ge‐ schichte vermittelte. Das Judentum als Kultgemeinschaft versteht sich theolo‐ gisch von dem durch Gott gestifteten Segens-, Lebens- und Erlösungsgeschehen im Kultus her. Mit der Neugestaltung des Tempelkultes in nachexilischer Zeit wird, wie die ‚ontologische‘ Basis der Priesterschrift in Gen 1,1 programmatisch zeigt, die himmlische, transzendente Dimension der Schöpfung an die erste Stelle gerückt. Dazuhin wird die vorexilische Zionslehre eschatologisiert; diese bei Deutero- und Tritojesaja vor allem zu beobachtende Entwicklung bestimmt auch Teile der frühen Apokalyptik, wie wir am Beispiel des 1Hen gesehen haben. Was als Ideal am Kultus haftet, aber eben, weil es von seiner himmlischen Bestimmung ausgeht, den Minderwert des tatsächlichen Kultvollzugs markiert, wird Grundlage der eschatologischen Erfüllung. Das apokalyptische Wissen kommt dabei so zustande, dass der Apokalyptiker visionär zu den Bereichen des himmlischen Kulthintergrundes Zugang hat. Ein Element ist dabei offenbar von motiv-zentrierender Wichtigkeit: das der Neuschöpfung zu einem paradie‐ sischen Urstand der Gemeinschaft von Heiligen und Engeln. Dies setzt einen Heiligungsprozeß voraus, der an Kategorien kultischer Reinheit orientiert ist, weil eben der Priester durch Reinheit und ihm gewährte Heiligkeit Zugang zu 139 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 105 Ez 36,16-38. Der Zusammenhang setzt ein geschichtstheologisches Drei-Schritt-Schema voraus: Abfall von Gott in Form kultischer Unreinheit und Unordnung (‚monatliche Unreinheit‘ V. 16; ‚Blutvergießen‘ und ‚Götzendienst‘) führt zum Exil [I]; um seines heiligen Namens willen, den die Exulanten durch ihre kultisch und sozial ungeregelte Lebensform im Exil entweihten, führt Gott sie aus dem Exil zurück (V. 20-24) [II]; die Rückkehr aus dem Exil zielt auf die kultische Restituierung (a) des Namens (22 f.), (b) des Volkes (24-27) und (c) des Landes (29 ff.) [III]. Obwohl die Wiederweihe des Tempels nicht ausdrücklich genannt ist, sind die Motive doch vom Konzept einer neu gestifteten kultischen Bundesgemeinschaft getragen: der von Gott dem Volk neu gewährten Reinheit - dabei bedeutet die Heiligung seines Namens eine Neuschöpfung und Rückkehr zur Schöpfungsordnung - entspricht, dass das Land sich gleichsam in einen Garten Eden verwandelt (vgl. auch 31,29). Kultische Restituierung ist bezogen auf eine Rückkehr zum Urzustand und auf die Vollendung in einer Neuschöpfung zur eschatologischen Gottesgemeinschaft; vgl. auch Ez 11,16-21. Sach 13,1-6 verbindet die kultische Restituierung mit der Frage nach der prophetischen Ruach, die hier in der verkehrten Gestalt der Unreinheit erscheint, welche abgewaschen werden muss. Ist hier vorausgesetzt, dass der Vertreibung des unreinen prophetischen Geistes ein kultisch-reiner Pneumatismus folgt? Nach Joel 2,18-32 gehört ja zur vom Zion ausgehenden, neuen kultischen ‚Verortung‘ des Landes neben den Segensgaben der Natur auch die Gabe neuer prophetischer Ruach. 106 Vgl. o. S. 134f. 107 Vgl. S. Safrai, Die Wallfahrt, a. a. O., 2; F. Stummer, Gedanken über die Stellung des Hohenpriesters in der alttestamentlichen Gemeinde, in: Episcopus, FS Faulhaber, 1949, 19-48 bes. 40 ff.; K. Koch, Art. ‚Hoherpriester‘, in: BHH, II, 737-740. und Kontakt mit dem im Kult verborgenen Bereich himmlischer Heiligkeit hat. Diese Zusammenhänge bestimmen in der Grundlage bereits Jes 6, jedoch wird erst bei Ezechiel eine Konsequenz auf das ganze priesterliche Volk gezogen, das gereinigt werden muss mit Wasser der Reinheit. Es muss ferner einen neuen Geist erhalten, um neue Lebensgemeinschaft im Bereich der Heiligkeit Gottes zu haben. 105 Diese in der Henochtradition ausgeführte kultapokalypti‐ sche Konzeption des eschatologischen Erlösungsgeschehens verbindet sich - so haben wir andeutungsweise bereits gesehen 106 - mit einer Erlösergestalt, welche Anführer der himmlisch-eschatologischen Engelsgemeinschaft ist. Da hier eine von kultischen Voraussetzungen ausgehende Erlösungslehre vorliegt, darf man erwarten, dass sie im Zentrum nicht auf eine königliche Gestalt, einen davidischen Messias, hinzielt, sondern orientiert ist an einem priesterlichen Mittler der Erlösung. Die nachexilische Neuorganisation des Judentums führte zu einer Zentrie‐ rung der Leitungsfunktionen auf den Hohenpriester. 107 Der Hohepriester wurde Symbolfigur der Theokratie und damit eine Person, die irdische und himmlische Würde in sich vereinte. Die Hochstilisierung der Gestalt des Hohenpriesters, die dann Grundlage wurde für die Erwartung einer Erlösergestalt, die die kultische 140 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 108 Vgl. W. Rudolph, KAT XIII/ 4, 1976, 265-267. 109 Rudolph, a. a. O., 266 übersetzt ךאלמ mit ‚Botschafter‘ etwas später, paraphrasierend, mit ‚Mittler‘. Das auf ךאלמ folgende הוהי תואבצ weist auf eine stärker ‚mythische‘ Bindung und das Bemühen um feierliche Redeweise, so dass ךאלמ doch wohl eher heranreicht an ‚Bote aus der himmlischen Welt‘. 110 Vgl. W. Rudolph, a. a. O., 92-103. 111 Vgl. W. Rudolph, a. a. O., 95: der Satan klagt wegen tatsächlicher Verschuldungen an. Wenn Rudolph allerdings von Lebens- und Amtsführung als zwei getrennten Bereichen spricht, so geht das wohl kaum aus der Gegenüberstellung von ךרד und תרמשמhervor, sondern klingt nach einer modernen Eintragung. Wo die Priester die Reinheitsbestim‐ mungen nicht einhalten, ist die kultische Ordnung verletzt. Zur kultischen Ordnung, der der Hohepriester verpflichtet ist, gehört sein gesamter Lebensvollzug. 112 So die wörtliche Bedeutung. Rudolph, a. a. O., 97 entkonkretisiert und rationalisiert, wenn er meint, diese Verheißung beziehe sich auf die Gewissheit, „… dass er Gehör findet, wenn er die Anliegen der Gemeinde vor ihn bringt (vgl Ps 99 6).“ Der Zutritt zum Allerheiligsten ist schon in vorexilischer Kultsymbolik Zugang zum transzendenten Bereich, vgl. Jes. 6. Zentrierung der Schöpfung eschatologisch verwirklicht, bezeugen Mal 2 und Sach 3. Mal 2, 4-7 108 sprechen vom Bund Gottes mit Levi, an dem sich die Priester zu orientieren hätten. Er empfing aus diesem Bund Leben und Frieden und hütete seinerseits den Namen Gottes, das Kultgeheimnis. Eine Tora der Wahrheit war in seinem Mund; er wandelte mit Gott in Frieden und Geradheit und hielt viele von der Sünde zurück. Dies alles konnte er, weil er ךאלמ 109 Gottes ist. Mal 2,4-7 nennt als kultrechtliche Grundlagen den Bund, die Stellung als ךאלמ und darüber hinaus das Wandeln mit Gott, wobei der letzte Ausdruck nicht zufällig an Gen 5,22 anklingen wird: Der Priester, der sich der Heiligkeit Gottes nahen darf, ist Widerspiegel des Gerechten der Urzeit, der mit Gott wandelte. Levi als idealer Priester ist also Intimus Gottes, der ihn mit Leben und Frieden versieht. Nur so kann er wahre Tora geben und von Sünde zurückhalten. Ebenso einprägsam ist die Szene der Neubekleidung des Hohenpriesters Josua in Sach 3,1-10. 110 Vom Engel des Herrn wird Josua, dem der Satan Vorwürfe machen kann, weil die priesterliche Ordnung gestört ist, 111 in einer himmlischen Szene neu bekleidet. Er bekommt von den himmlischen Dienern einen reinen Kopfbund aufgesetzt als Zeichen der nun von der himmlischen Reinheit und Heiligkeit her neu gestifteten Würde des Hohenpriesters; ebenso ein neues Priesterkleid. Beides ist Ausdruck der damit verbundenen, ihm gewährten Sün‐ denvergebung. Darauf folgt die neue Bundesverheißung an den Hohenpriester: Wenn er in den priesterlichen Wegen der Reinheit bleibt, darf er verwalten (ןיד) das Haus Gottes und erhält Zutritt zu den himmlischen Dienern. 112 141 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 113 Vgl. Rudolph, a. a. O., 99f. 114 Vgl. Rudolph, a. a. O., 101. 115 Vgl. Rudolph, ebd. 116 Vgl. Rudolph, a. a. O., 102. 117 Vgl. Rudolph, ebd. 118 Vgl. Rudolph, a. a. O., 103. 119 Zu vergleichen ist Nu 12,7f.: Mose ist mit dem ganzen (Kult-)Haus betraut und hat direkten Zugang zu Gott, vgl. u. S. 202ff. 3,8-10 ziehen die dem Josua gegebene kultrechtliche Zusage ins Eschatolo‐ gische aus. Wir stoßen wieder auf die charakteristische Folgerung, dass die kultische Einordnung der Schöpfung, sofern Gott selbst dahintersteht, ein Durchstoßen zur eschatologischen Vollendung bedeutet. Die Verse sind im Einzelnen mit Unklarheiten behaftet. V. 8b scheint messi‐ anischer, aus der Davidstradition stammender Nachtrag zu sein. 113 Dass Gott die Sünde an einem Tag wegnehmen will, diese Zusage gilt doch wohl dem Ritus des Versöhnungstages. 114 Der Stein weist in diesem Zusammenhang auf den nach frühjüdischer Tradition im Allerheiligsten sich befindenden ןבא היתש . 115 Auf ihm ist der geheime Gottesname eingraviert, 116 und die sieben Augen sym‐ bolisieren die Allgegenwart Gottes 117 , welche vom kultischen Zentrum der Welt ausgeht. V. 10 bezieht diese kultische Neuzentrierung der Schöpfung unmit‐ telbar auf die eschatologische Verklärung: 118 die zur eschatologischen Zeit ge‐ hörende Segensfülle erscheint als direkte Konsequenz der Zentrierung der Schöpfung durch den von Gott legitimierten und gereinigten Zionskult. Die äl‐ tere Tradition vom Davidspross ist eingebunden in die Verklärungstradition. Der Davidsspross ist nicht eigentlich selbst Heilsmittler, sondern Kennzeichen für die himmlisch-kultisch initiierte Vollendung. Sach 3 nennt damit verschiedene Grundmotive des hochpriesterlichen Ideals: Er ist vom Himmel her in sein Amt eingesetzt; wo die kultische Ordnung nicht stimmt, tritt Satan auf, wie umgekehrt die Rückweisung Satans mit der kultischen Restituierung und der Sündenvergebung zusammenhängt. Vor allem ist die kultrechtliche Stellung des ordnungsgemäß amtierenden Hohenpriesters verbunden mit der Erlaubnis, direkt vor Gott zu treten, also kultisch in den transzendenten, himmlischen Bereich eindringen zu dürfen. 119 Schließlich stellt Sach 3,8 die Frage, wie das Bild des Erlösers aussieht, der die kultisch erschlos‐ sene Heilszeit verwirklicht. Hier in Sach 3,8 begegnen wir anscheinend einer bloßen Hinzufügung der vorexilischen Heilandstradition: Der davidische Spross „übernimmt“ den kultisch herbeigeführten Heilszustand. Daraus entsteht die Frage, ob das Bild des Heilands auf dieser kultapokalyptischen Traditionsbasis nicht notwendig stärker in priesterlichen Motiven ausgestaltet werden musste. 142 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 120 Vgl. J. Becker, Untersuchungen, 1970, 145f.373ff.; ders., JShrZ III/ 1 (1974) 23 ff.; A. Hultgård, L’eschatologie, I, 1977. Die in der Arbeit von 1953 formulierte These einer christlichen Verfasserschaft der vorliegenden Test XII hat M. de Jonge in späteren Arbeiten modifiziert. Sein Augenmerk liegt nach wie vor auf der Bestimmung der ‚redaktionellen‘ Endschicht, vgl. ders., The Interpretation of the Testaments of the Twelve Patriarchs in Recent Years, in: ders. (Hrsg.), Studies in the Testament of the Twelve Patriarchs, 1975, 187-192; zur Auseinandersetzung mit Becker vgl. hier 291-316. 121 Vgl. Hultgård, a. a. O., 15.45. Er sieht in diesem fragmentarisch erhaltenen Stück die wesentliche Quelle, die der Autor der TXII benutzt hat; so auch M. de Jonge, Notes on Testament of Levi II-VII, in: ders., (Hrsg.), Studies 1975, 247 ff., hier 257 unter Hinweis auf D. Haupt, Das Testament des Levi, Diss.masch., Halle/ Wittenberg, 1969. Anders Becker, Untersuchungen, 72-76. 103-105 und ders., in: JShrZ III/ 1, 21-23. 122 Einen Überblick über Veröffentlichungen der Handschriften und über den damaligen Forschungsstand geben J.C. Greenfield/ M.F. Stone, Remarks …, in: RB LXXXVI (1979) 214-230; der Text ist am einfachsten zugänglich im Anh. III der Ausgabe von Charles. 123 In ApocrLevi 64 (nur gr. überl.) wird der Ausdruck ἀρχὴ ἱεροσύνη, in 67 אתונהכ אתבר לכל לארשי (Charles hat hier אתבב statt אתבר; Druckfehler? ) = gr. ἀρχιεροσύνη ἡ μεγάλη (Zusatz im gr. T.: ἀρχὴ βασιλέων ἱεράτευμα nach Ex 19, 6) benutzt. 124 Vgl. auch Jub 30,8 und TLevi 5. In eben diese Richtung tendieren frühjüdische Textschichten, die das Bild eines priesterlichen Erlösers in die Grundlage der kultapokalyptischen Verklä‐ rungstradition einzeichnen. 1. Die Testamente der XII Patriarchen Die TestXII sind jüdisch und christlich rezipiert worden, aber wohl kaum erst in christlicher Tradition entstanden. 120 Die aramäisch erhaltenen Fragmente geben die Möglichkeit, die Tradition vom Hochpriestertum Levi tw. im vorgrie‐ chischen Stadium aufweisen zu können. Deswegen betrachten wir zunächst: a) Das aramäische Apocryphon Levi und seine gr. Parallelen Diese relativ alte 121 Form der in TLevi verarbeiteten Tradition begegnet in aramäischen Fragmenten, die - als mittelalterliche Kopien - aus der Kairoer Geniza stammen, bzw. in Höhle 4 von Qumran gefunden wurden. 122 Folgende für unseren Zusammenhang wichtige Kennzeichen sind hierin mit dem Hochpriesteramt des Levi verbunden: - Das Hochpriestertum 123 des Levi ist in der Patriarchenzeit, ja in der Urzeit begründet. Levi ist nach ApocrL 1-3 Hoherpriester geworden in Verbindung mit der Rache an den Sichemiten (Gen 34). 124 Eine ähnliche Verbindung scheint Sir 50 zu kennen: Der ideale Hohepriester Simon, an dem alle Segenskräfte, die das Amt haben kann, sichtbar wurden, steht in dem Bund Gottes mit dem Eiferer Pinchas (50,24) und wird an Gottes Abscheu den Sichemiten gegenüber erinnert 143 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 125 Vgl. bJoma 69a; MegTaan 9. 126 Zur Bedeutung dieses Namens für die anti-hellenistische Repristinierung priesterlicher Urtraditionen Jerusalems vgl. A. Hultgård, L’eschatologie, a. a. O., 32-35; K. Berger, Das Buch der Jubiläen, JShrZ II/ 3, Gütersloh 1981, 299, Anm. 3. 127 Vgl. Hultgård, a. a. O., 34 f. Hultgård verweist auf die Deutung von Midgal Eder Gen 35,21 in Micha 4,8; hier wird der Migdal Eder identifiziert mit dem Zion. Während in der biblischen Tradition Kulttraditionen der Patriarchenzeit auf den Zion bezogen werden, vgl. auch 2 Chr 3,1, wird in der nachbiblischen Kultidealisierung betont hinter die Tradition des Zion auf die patriarchische Urschicht zurückgegriffen. 128 Nach Ex 25-31,11; 35-40 wird das Zelt mit Zubehör nach der Anweisung Gottes und nach dem himmlischen תינבת(Ex 25,9.40) errichtet; Mal 2,4 spricht vom Bund Gottes mit Levi, der Levi zum ךאלמmacht; Sach 3 behandelt die himmlische Neuinvestitur des Ho‐ henpriesters Josua, die die Heiligkeit des Amtes neu herstellt. 129 Vgl. zu יבר= aram. Entspr. zu hebr. חשמ Greenfield/ Stone, a. a. O., 218; Becker, 142, über‐ setzt hingegen „… und wie geben wir dir das große (Geschenk) immerwährenden Frie‐ dens.“ 130 Nach Greenfield/ Stone, a. a. O., 218 f. ist in der Handschriftןועבש , also ןו statt ןי, zu lesen: „Und diese 7 entfernten sich von mir und ich erwachte aus meinem Schlaf.“ Anders noch Becker, Übersetzung, 142. 131 ApocrLevi 7 (Charles S. 246, Z. 12) הל emendieren Greenfield/ Stone, a. a. O., S. 219 zu יל. (50,26). 125 Ebenfalls in die Patriarchenzeit weist die Bezeichnung des Levi als ןיהכ לאל אימלע (ApocrL 9), mit der er in Kokurrenz gesetzt wird zu Melchisedek nach Gen 14,8. 126 Bethel als ‚Haus Gottes‘ ist Ort seines ersten hochpriesterlichen Wirkens; auch der ‚Turm Abrahams‘ ist väterzeitliches Urbild des Zion. 127 Nach ApocrL 50 geht die ursprüngliche Priesterhalacha auf Abraham zurück, die nach 57 auf eine Urordnung der Noah-Zeit verweist. - Die Installation des Levi geschieht vom Himmel her, und zwar in einer Traumvision. Während der Rückgriff auf die Patriarchenzeit und die Urzeit den Rahmen von P, an dem sich Mal 2 und Sach 3 orientieren, sprengt, ist dieser Rückgriff auf eine Herleitung des Hohenpriestertums aus einer direkten himmlischen Stiftung bereits in P und in Mal/ Sach angelegt. 128 Bereits ApocrL 6 kennt die von TLevi 8,1 bezeugte Doppelheit des Traumes. Grundlegend ist der ApocrL 4 f. abschließende Segensspruch in V. 6: ןעכ יזח ךל ןיכה ךכיבר ןמ אלוכ ךהו אנבהי ךל תובר םלש אמלע „Nun, schau dir an, wie wir dich größer gemacht haben als alle und wie wir dir gegeben haben eine Salbung 129 ewigen Friedens.“ Gabe des םולשgehört schon nach Mal 2,5 zu den Segnungen des Levibundes. Hier sind es im Rahmen der Traumvision 130 Engel (vgl. TLevi 8), die ihn 131 mit diesem Friedensamt ausstatten und ihn dadurch zu einer Würde erheben ‚über 144 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 132 Greenfield/ Stone, a. a. O., 219 lesen den Text folgendermaßen ןידא ידכ הזה בוקעי ] הוה מ [ רשע לכ המ יד הוה הל und übersetzen: „then when Jacob had a vision, he did tithe everything he possessed as he had vowed.“ Anders Becker, JSHRZ 111/ 1, 142. 133 Diese traditionsgeschichtliche Bindung spricht gegen Greenfield/ Stone, a. a. O., 220, die ןיד mit ‚liability‘ übersetzen; doch vgl. Becker, Übersetzung, 143. allen‘. Diese Würde ‚über allen‘ liegt eben in dem himmlischen Hintergrund des Amtes begründet. Eine Traumvision Jakobs in Bethel (vgl. Gen 28,10ff.) bestätigt die Vision des Levi (ApocrL 9) 132 . - Das Priesteramt des Levi steht über jeder sonstigen menschlichen Position. Nach ApocrL 14 heißt es ךניד בר אוה ןמ לכ ארשיב ‘dein Priesterrecht steht über allem Fleisch.‘ Die Formulierung ךניד erinnert an Sach 3,7 ןידת תא יתיב 'du sollst mein Haus verwalten.' 133 Die Formulierung בר ןמ entspricht ApocrL 6 und 18. Die Salbung zum Hohenpriester im Himmel hat ihn der Befleckung allen Flei‐ sches enthoben (6), und auch zukünftig soll die Reinheit seines Fleisches ihn aller Befleckung entheben (18). Es liegt in diesen Ausdrücken jeweils ein Hin‐ weis auf die übermenschliche Amtswürde des Hohenpriesters, die so bereits in Mal 2,7 und Sach 3,7 anklingt. Die Heiligkeit des Levi entspricht dem Heiligtum (ApocrL 17), so dass Levi als heiliger Priester ( ןיהכ שידק ) sich Gott und allen seinen Heiligen nähern darf ( בירק תנא ל ] לא ו [ בירק לכל יהושידק 18 ). Der Kultdiener darf Gott nahen, ja hat Zugang zum himmlischen Bereich. Die dafür notwendige Heiligung entstammt seiner himmlischen Berufung, seiner kultrechtlichen Po‐ sition und seinem Wandel in Reinheit. Kultische Waschungen spielen dabei eine besondere Rolle (ApocrL 19 ff.). So ist Levi ἱερεύς … ἅγιος Κυρίου (48). - Diese Zusammenhänge werden nochmals verdichtet in Aussagen über die Intimität des Levi zu Gott. In der abschließenden Ansprache des Levi an seine Söhne bezeichnet er sich als דידי לא ‚Geliebten, Freund Gottes‘, der als solcher Worte an seine Söhne weitergibt, die Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit be‐ deuten (ApocrL 83-94, vgl. Mal 2,7). Das דידי könnte dem gr. ἠγαπημένος in 57 entsprechen. Handelt es sich hier in 57 um einen synthetischen par.membr.? Dann wäre Levi nicht nur ἅγιος Κυρίου ὑψίστου, sondern auch ἠγαπημένος τῷ πατρί σου, Gott also sein Vater. Obwohl diese Konsequenz in den Rahmen des Hochpriesterideals und des damit gesetzten Bildes himmlischer Reinheit und des direkten Zugangs zu Gott passen würde (vgl. TLevi 4,2), spricht der direkte Kontext dagegen; es muss wohl τῷ πατρί σου auf Jakob bezogen werden. - Andererseits ist aus 59 deutlich, dass Levi und sein Same erste Anwärter eschatologischen Lebens sind: τῷ σπέρματί σου εὐλογήσεται ἐν τῇ γῇ καὶ τὸ σπέρμα σου ἕως πάντων τῶν αἰώνων ἐνεχθήσεται ἐν βιβλίῳ μνημοσύνου ζωῆς. 145 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 134 M. de Jonge, The Testaments of the Twelve Patriarchs. A Study of their Text, Com‐ position and Origin, Assen 1953; ders. (Hrsg.), Studies on the Testaments of the Twelve Patriarchs, Leiden 1975; J. Becker, Unteruchungen zur Entstehungsgeschichte Die Wendung ‚eingeschrieben in das Buch für das Gedächtnis des Lebens‘ erinnert an Mal 3,16 und entspricht CD XX 19. Schon Mal 2,5 verband mit dem Levibund die göttliche Gabe von היח und םולש, also die höchste Stufe mensch‐ lichen Lebens unter der Segnung Gottes. היח und םולש qualifizieren das mensch‐ liche Leben des Priesters in einem nahezu eschatologischen Sinne. Hier liegt also sicherlich eine Vorstufe zum eschatologischen Lebensbegriff, wie er ApocrL 59 mit Levi verbunden ist. Ganz entsprechend deutet Targum Jonathan Sach 3,7: תויחאבו איתימ ךנייחא ןתאו ךל ןילגר ןכלהמ ןיב איפרש ןוילאה „bei der Lebendigmachung der Toten werde ich dich lebendig machen und dir Füße geben, mit denen du zwischen diesen Saraphen laufen kannst.“ Levi und sein Stamm gehören gleichsam ex officio - oder doch dann, wenn sie die Segnungen ihres Amtes nicht durch Unwürde verscherzen - in den Bereich eschatologischen Lebens. Denn das eschatologische Leben ist ja eine Verdichtung des heiligen, engelähn‐ lichen, himmlischen und paradiesischen Lebens, welches der Priester in seinem kultischen Amt bereits während des kultischen Dienstes führt. Das ApocrL enthält die Grundzüge des Bildes vom idealen Hohenpriester, ja man muss feststellen, dass diese ansatzweise bereits in Mal 2 und Sach 3 ent‐ worfen sind: Ausgehend vom Grundgedanken kultischer Gottesbegegnung, bei welcher der Priester - allzumal der Hohepriester am großen Versöhnungstag - in den Bereich himmlischer Heiligkeit vordringt, wird ein Bild entworfen, nach dem der Priester nahezu ein himmlischer Intimus Gottes wird. Wie dem Ho‐ henpriester Josua wird Levi in einer Traumvision, die ihn in den himmlischen Bereich führt, seine Bestimmung zum Priesterdienst enthüllt und seine Einset‐ zung vollzogen. Der ‚vertikalen‘ Zuordnung zum Bereich himmlischer Heilig‐ keit entspricht die ‚horizontale‘, die Levis Priestertum mit der Urordnung der (vor-)patriarchischen Zeit verbindet. In allem ist er Gott nahe, sein דידי; vielleicht gar ist die Heiligkeit des Levibundes Vorgriff auf die Existenz in der Heiligkeit himmlisch-eschatologischen Lebens. Daneben klingen Motive an, die mit dem idealen Hohenpriester die Vermittlung von Weisheit und himmlischer Offen‐ barung verbinden. Auch dies hat Wurzeln in Mal 2,7. b) Die griechischen Testamente der XII Patriarchen Die gr. TestXII führen, mit Schwerpunkt in TL, die Kennzeichen des idealen Hohenpriesters Levi aus. Auf die lange verhandelten, komplizierten überlieferungsgeschichtlichen Probleme der TestXII können wir nur am Rande eingehen. 134 Anstelle einer 146 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes der Testamente der Zwölf Patriarchen, Leiden 1970; D. Haupt Das Testament des Levi. Untersuchungen zu seiner Entstehung und Überlieferungsgeschichte, Diss. theol., masch., Halle/ Wittenberg 1969; Greenfield/ Stone, a.a.O. 135 Vgl. M. de Jonge, Notes on Testament of Levi II-VII, in: ders., (Hrsg.), Studies, a. a. O., 257: “It is difficult to determine the literary genre of ‘Original Levi’.” De Jonge weist dann aber darauf hin, dass das alte, aramäische Material die Obergattung ‚Worte der Visionen‘ in den Mittelpunkt stellt. “It may not be too rash to suppose that the Levi-, Qahatand ’Amram-material belongs to a series of documents giving priestly final exhortations and visions, preserved in the sectarian priestly circles whose literature was hidden at Qumran.” reinen Analyse des Stoffes scheint es verheißungsvoller, das Bild des Levi als des idealen priesterlichen Mittlers in der Einheitlichkeit der damit verbundenen Motive aufzuzeigen. Die überlieferungsgeschichtlichen Ergänzungen fügen of‐ fenbar bis in die christliche Schicht hinein nicht eigentlich heterodoxes Material zusammen, sondern explizieren das mit dem ApocrL in einer relativ frühen Form sichtbar werdende Bild des kultischen Mittlers. In Ergänzung zur überlieferungsgeschichtlichen Analyse erscheint es sinn‐ voll, den Levi-Stoff nach formgeschichtlichen Kriterien zu ordnen. Deutlich ist, dass die Rahmengattung des ‚Testaments‘ bzw. der ‚Totenbett-Verfügung‘ heils‐ geschichtlich ausgerichtet ist und eine Brücke schlägt von der Urzeit, in der die Abkehr vom Bösen und die Hinwendung zu Gott begann, zur eschatologischen Zeit. In ihr wird das Mittleramt des Levi zu einer letzten Steigerung kommen, bzw. durch Gottes Einwohnung abgelöst. In diese rahmende heilsgeschichtliche Perspektive sind hineingestellt Ansätze einer mehr amtsmäßigen, zeitlosen, ja nahezu quasi-ontologischen Beschreibung der Würde des Levi-Dienstes. Dazu tritt als drittes formgeschichtliches Element das der Berufungsvision. Die Berufungsvision ist dabei anscheinend das Fundament 135 für die heilsgeschicht‐ liche und amtsmäßige Explizierung der Bedeutung des Levi-Dienstes, denn in ihr wird die Grundlage dieses Dienstes, die Mittlung zum himmlischen Teil der Schöpfung, aussagbar: Da der himmlische Bereich der der Reinheit und Heiligkeit ist, ist nur von ihm her die Geschichte als Abfall qualifizierbar und nur von ihm her die eschatologische Restituierung als Überwindung des Bösen möglich. Desgleichen ist die Amtsbeschreibung des Levi abhängig von der in der Visionsschicht erschlossenen Einbeziehung des Levi in den Bereich der himmlischen Reinheit. α) Levi als Kultvisionär Die Einzeichnung des Levi-Amtes in die himmlische Welt geht in TestL schwer‐ punktmäßig vom Medium der Vision aus: Der Kontakt zur himmlischen Welt 147 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 136 Vgl. J.T. Milik, Le testament de Lévi en araméen. Fragment de la Grotte de Qumran (Pl. IV), in: RB LXII (1955) 398-406; dt. Übers. als Anh. I/ 2 bei Becker, JSHRZ III/ 1, S. 140f. 137 Übers., a. a. O., 141, Anm. 18a; vgl. auch M. de Jonge, Notes on Testament of Levi II-VII, a. a. O., 256 f.; D. Haupt, a. a. O., 20ff. 138 Vgl. F. Jeremias, Das orientalische Heiligtum, in: ΑΓΓΕΛΟΣ, 4 (1932), 57 f.; Johannes Jeremias, Der Gottesberg, Gütersloh, 1919. 139 Das angelologische Buch des 1Hen geht, in Kap 14 als Zentrum, vom Zutritt zur himmlischen Thronvision aus, um die herum die kosmischen Geheimnisse angelagert sind. Haupt, a. a. O., 27 f. möchte im TL folgendermaßen unterscheiden: „Stehen 2,7-12 und 3,1-4,1 in der durch die hellenistisch-orientalische Umwelt bedingten Tradition, in deren Vollzug der Gerechte oder Auserwählte Zugang zur himmlischen Welt und den göttlichen Geheimnissen erhält, so klingt 5,1ff. an die weit ältere, alttestamentliche Vorstellung der ‚feierlichen Beauftragung durch den inmitten von himmlischen Wesen thronenden Jahwe‘, wie sie 1 Kön 22,19-22; Jes 6 und Ez-3 bezeugen, an.“ (Zitat aus v. Rad, Theol., II, 76) Der Gerechte ist aber in TLevi priesterlicher Anabatiker, und Jes und Ez benutzen die priesterliche Möglichkeit des Zugangs zur himmlischen Welt. Da das alttestamentliche, kultische Weltbild von Haus aus mit kosmischen Theorien verbunden ist, wird man in den kosmischen Darstellungen um die Thronvision herum am besten Vertiefungen sehen, die den Grundzusammenhang der visionären Schau des kultisch bebilderten Kosmos explizieren und grundsätzlich vom gleichen Traditionsgrund ausgehen. 140 Vgl. I. Grünwald, Apocalyptic and Merkava-Mysticism, 72. 141 Vgl. D. Haupt, a. a. O., 34 und T. II, S. XXVI, Anm. 18. vollzieht sich im Rahmen des visionären Traumes als Eingang in den himmli‐ schen Bereich der Nähe Gottes. Das aram. Fragment 4Q213TestLev 136 setzt als ältest-erkennbaren Zusammen‐ hang die Abfolge voraus von ausgeführtem Gebet, Vision, die vom in den Himmel hineinragenden Berg ausgeht, und Eingang in den geöffneten Himmel vor den Thron Gottes. Aus dem Wortlaut in 4Q213TestLev Col II, Z. 18 und TL 5,1 kann man mit Becker 137 folgern, dass TL 5,1 ursprünglich an 2,5 anschloss. Wir stoßen auf einen traditions- und motivgeschichtlich sehr übersichtlichen Urkomplex. Auf dem hohen Kultberg ist der Zugang zum Himmel, weil sich in ihm die himmlische und irdische Dimension des göttlichen Heiligtums verbinden. 138 Dieses kultapokalyptische Urmotiv des visionären Zugangs zum Himmel am in den Himmel hineinragenden Kultberg ist im jetzigen Zusammenhang TestL 2,6-4,6 durch die Firmamenten-Lehre ausgestaltet. Diese Ausgestaltung ist bereits in der frühen Apokalyptik des 1Hen üblich 139 , so dass man den Zusammenhang TL 2,5 + 5,1ff. als archaisierende Vereinfachung bezeichnen muss 140 . Levi bekommt die εὐλογία τῆς ἱερατείας (5,2) aus dem sich unmittelbar über dem irdischen Kultort erschließenden himmlischen Heiligtum zugesprochen. Sein Priestertum ist himmlisch und irdisch zugleich, weil es aus dem himmlischen Heiligtum stammt und mit ihm verbunden ist. Der Priesterdienst des Levi geht aus von einem Punkt himmlisch-irdischer Gleichräumigkeit und Gleichzeitigkeit. 141 Diese 148 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 142 Vgl. I. Grünwald, a. a. O., 69, Anm. 148. 143 Zu ἐγγίζειν vgl. TJuda 21,5; TDan 6,2; TJos 6,5; Jub 31,14 (übers. Berger); vgl. biblisch Ex 16,9; Lev 16,1; Ps 65,5. „Das Wortfeld ist häufig durch kultische Begriffe charakterisiert.“ ( J. Kühlenwein, in: THAT II, 1967, Sp. 676.) 144 Zu ἱστάναι vgl. S. Amsler, in: THAT II, 1976, Sp. 331: „Im Kult steht der Priester vor Gott …“. 145 Λειτουργεῖν/ ός ist TL 3,5 auf den himmlischen Gottesdienst der Engel bezogen; TL 4,2 weist die Näherbestimmung λειτουργὸς τοῦ προσώπου auf die kultische Gottesbegeg‐ nung; vgl. auch Anm. 148. 146 Vgl. 1QSb IV, 256f. Gleichräumigkeit und Gleichzeitigkeit macht den Priesterdienst des Levi zu einem Verwerfungspunkt in der Geschichte der in Himmel und Erde getrennten, alten Schöpfung. Damit rühren wir an den Punkt der heilsgeschichtlichen Explizierung dieses himmlisch-irdischen Mittlungs-Dienstes. Im jetzigen Aufbau der Berufungsvision des Levi zeigen sich die Merkmale der frühen Merkaba-Mystik. 142 Der Visionär durchwandert die himmlischen Bereiche und erhält Auskunft über sie (TL 2,7f.; 3,1-10). Kap. 2 geht vom 3-Himmels-Schema aus, das im 3. Himmel um die ‚große Herrlichkeit‘ weiß, die über jeder Heiligkeit - also allerheiligst - ist und zur unreinen Erde hin durch die Gerichtsengel und die Vergeltungsengel abgeschirmt wird. Ab 3,5 scheint demgegenüber in dem katabatischen Durchgang ein 7-Himmels-Schema vorausgesetzt. Unterhalb des höchsten, allerheiligsten Bereiches findet der Gottesdienst der Engel statt (3,5f.). In diesem katabatischen Durchgang wird der Abstand zwischen den himmlischen Sphären zur Erde dadurch markiert, dass der Blick Gottes die himmlischen Geschöpfe unter seiner Herrlichkeit erschüttern lässt, die Menschen dagegen in ihrer Sünde dafür unempfindlich sind. Die himmlische, heilige Sphäre mit ihrem Gipfel, dem Raum der allerhei‐ ligsten Gottesgegenwart, ist in Kapp. 2 f., im Sinne einer konzentrischen Gliede‐ rung, in verschiedene Stufungen eingeteilt. Dabei sind diese Stufungen nicht im Sinne einer kosmischen Ordnung statisch gegliedert, sondern heilsgeschicht‐ lich bezogen auf die Markierung des irdischen Abfalls, des eschatologischen Gerichtes und der Entsühnung der Gerechten. In diesen Merkaba-artigen Teil sind zwei Engelreden eingefügt, die auf die Einsetzung des Levi in der Vision und auf sein solcherart himmlisch begründetes Amt hinweisen: Nach 2,10-12 wird Levi nahe bei Gott stehen und ihm λειτουργός sein; alle drei Wendungen: ‚nahe sein‘ 143 , ‚stehen vor‘ 144 und ‚λειτουργός-Sein‘ 145 sind Ausdrücke für den kultischen Dienst des Levi. Aus dieser himmlisch-kultischen Nähe zu Gott leitet V. 10b ab, dass Levi die Geheimnisse Gottes den Menschen offenbaren kann. 146 Er ist also Offenbarungsträger, weil er als Kultdiener Zugang 149 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 147 In der jüdischen Kultideologie besteht ein Zusammenhang zwischen wunderbaren Paradiesbäumen, die ‚gülden‘ sind, und Wunderbäumen, welche Salomo in den Tempel pflanzte und die beständig goldene Früchte hervorbrachten, welche den Priestern zum Lebensunterhalt dienten, vgl. bJoma 39b und 2Hen Rez. A 8,4 (Charles). Zur Tradition, wonach das Gold des Tempels aus dem Paradies stammt, vgl. Ginzberg, Legends IV 321. “In this and other accounts of paradise the description of the future Jerusalem and the temple by the prophets is transferred to paradise.” (Ginzberg, Legends V, S. 29, Anm. 77). Der Priester, der sich aus dem Haushalt der Himmlischen ernährt, hat damit Zugang zur Speise der Gerechten im Paradies. 148 Vgl. die Wendung ינדימעה שמשל לכב םוי םויו תא אסכ רובכה 3Hen 7, Ende und 8, Anfang (Ed. Odeberg) / § 10 Ende und § 11 Anfang (Ed. Schäfer); ferner 3Hen 2 (Ed. Schäfer § 3) und 7 (Ed. Schäfer § 10). Bekannt ist der Ausdruck von den יכאלמ תרשה , vgl. auch die ἀρχάγγελοι λειτουργούντες in TL 3,5 und die Parallelisierung in Jub 31,14: „Und dich und seinen Samen bringe er nahe zu sich aus allem, was Fleisch ist, dass er diene in seinem Heiligtum wie die Engel des Angesichts und wie die Heiligen.“ (Übers. Berger, vgl. zur Sache seine Anm. e, S. 477). Ähnlich auch PRE 37 (Ausgabe Warschau, 71; Übers. Friedmann, 284): Jakob weiht den Levi als den Zehnten für Gott. Michael holt Levi hinauf vor den Thron Gottes: ‚dies ist dein Los und der Teil deines Zehnten‘. Darauf segnet Gott den Levi mit seiner Rechten, auf dass die Levi-Söhne seien םיתרשמ וינפל ץראב entsprechend יכאלמכ תרשה םימשב . Auf diese Einsetzung erfolgt die Zuweisung des Lebensunterhaltes der Leviten aus dem Anteil Gottes: ןתנ םהל ינבל יול לכ שדק הלעש , wie es heißt: Dtn 18,1, Szenenabfolge und Vokabular entsprechen TL 2,10a.12. Zur Kombi‐ nation von דמע und תרש als Kennzeichen kultischen, gerade auch des himmlischen Dienens vor Gott vgl. K. Haacker/ P. Schäfer, Nachbiblische Traditionen zum Tod des Mose, in: FS O. Michel, Göttingen 1974, 171f. zur himmlischen Nähe Gottes hat. Dieses besondere, himmlische Wissen des Kultdieners hat heilsgeschichtliche Bedeutung, weil es bezogen ist auf die zu‐ künftige Errettung Israels. Auf diesen Zusammenhang und den umstrittenen V. 11 gehen wir unten ein. V. 12 formuliert die traditionelle kultrechtliche Stellung des Priesters, der seinen Lebensunterhalt vom Anteil der Gottheit bezieht. Da ab 2,9f. betont die visionäre Szene durchgehalten ist, ist wahrscheinlich, dass V. 12, ähnlich Kap. 8, an himmlische Speise und Trank sowie an himmlische Schätze denkt. 147 Die zweite Engelrede (4,2-6), die, wie wir sehen werden, den heilsgeschicht‐ lichen Rahmen voraussetzt, umschreibt die Einsetzung des Levi wie in 2,10 in einer dreigliedrigen Wendung: Levi wird Sohn sein, Knecht und Diener des An‐ gesichts: γενέσθαι αὐτῷ υἱὸν καὶ θεράποντα καὶ λειτουργὸν τοῦ προσώπου. Θεράπων und λειτουργός entsprechen dem Nebeneinander von שמש und תרש in der Merkaba-Apokalyptik als Bezeichnung für den engelhaft-priesterlichen Dienst des Entrückten vor der Gottheit: 148 in dieser Aufgabe ist er Sohn, der Gott nahen darf - so muss man die beiden dreigeteilten Wendungen zur Bestimmung der Amtseinsetzung des Levi parallelisieren. 150 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 149 So G. Friedrich, Beobachtungen, ZThK 53 (1956) 269; und W. Grundmann, Sohn Gottes, ZNW 47 (1956) 113-133, bes. 115. 150 So D. Haupt, a. a. O., 14.19f. 151 Vgl. unten S. 206ff. 152 Zur Analyse vgl. J. Becker, Untersuchungen, 270-280. 153 Die Gabe des ῥαβδός, ‚Szepter‘, an Levi sprengt die klassischen Insignien des Priestertums; dieses Kennzeichen königlicher Macht entspricht der Anlehnung der geistlichen Gaben des Levi an Jes 11. Dahinter stehen Prozesse der Verschmelzung des Bildes von der zweifachen Herrschaft in das von einer einfachen, wobei der priesterliche Herrscher dem weltlichen übergeordnet ist, bzw. dessen Funktionen übernimmt, vgl. zum Ansatz Sach 3,8. 154 An Jes 11 erinnert die Zusammenstellung von σύνεσις, δικαιοσύνη und ἀλήθεια; an Mal 2,6f. ἀλήθεια, ἐπιστρέφειν ἀπὸ τῆς ἀδικίας, πίστις/ תמא. Dass Levi υἱός ist, bezieht sich weder auf eine vorgegebene messianische Prädikation 149 noch auf eine Bezeichnung des Gerechten und Auserwählten in einem allgemeineren Sinne jüdischer Frömmigkeit 150 , sondern auf den techni‐ schen Kontext der kultischen Gottesnähe: Er ist Sohn, weil er Zugang zum Haus Gottes hat. Als himmlisch-irdischer Kultdiener ist Levi ‚Sohn‘. 151 Während die erste Engelrede aus dieser durch den kultisch-visionären Kontext ermöglichten Gottunmittelbarkeit des Levi seine Offenbarungsmittlerschaft ableitete, werden nun die himmlischen Gaben genannt, die Levi an Israel vermittelt: Er gibt vom himmlischen Licht ab, welches zugleich himmlische Erkenntnisfähigkeit bedeutet, und er gibt Segen. 4,5 führt aus, dass Levi selbst als Träger des himmlischen Erkenntnislichtes Verstand und Einsicht hat, wie er ja der Erstling der unter dem himmlischen Segen stehenden neuen Menschheit ist. Im zweiten Berufungstraum Kap. 8 152 wird Levi von 7 Engeln mit den Insi‐ gnien seines priesterlich-königlichen 153 Amtes ausgestattet. Die Szene erinnert an Sach 3, die himmlische Neubekleidung des Hohenpriesters Josua. Auch in diesem biblischen Text kommt zum Ausdruck, dass die Würde dieses Amtes aus seiner himmlischen Verankerung stammt. Das Amt und seine Heiligkeit gründen in einer himmlischen Stiftung. So kann auch eine Erneuerung dieses Amtes nur vom Himmel aus erfolgen. Mit den äußeren Insignien des Amtes verbunden sind die ‚klassischen‘ pneumatischen Gaben nach Jes 11 und Mal 2,5-7: δικαιοσύνη, σύνεσις, ἀλήθεια, πίστις, und προφητεία; bezeichnend ist, dass diese Reihe eingeleitet wird durch die mit der στολή verbundenen ἱερατεία. 154 Die ἱερατεία ist gleichsam die erste alle anderen zusammenfassende pneumatische Gabe; die ἱερατεία ist der Schlüssel zu ihnen. Schaut man auf diese von der ἱερατεία abhängigen pneumatischen Gaben des Levi-Amtes, so erkennt man leicht, dass sie zu den beiden auch sonst mit dem Levi-Amt verbundenen Themen gehören: der Abhaltung des gerechten 151 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 155 TRu 6,8: „Deswegen befehle ich euch, auf Levi zu hören, weil er das Gesetz Gottes kennen wird, und er wird Anweisung geben für die Rechtsprechung (διαστελεῖ εἰς κρίσιν).“ Gemeint ist die κρίσις der Tora, die nach Mal 2,7 vom Munde des Priesters ausgeht. Nach TLevi 8,17 werden aus den Leviten κριταί erwachsen. Nach Hs e V. 18 soll Levi wahres Gericht üben. 156 Vgl. TRu 6,8; TLevi 9,6; 19, 1f. 157 Vgl. 2Hen 22; 3Hen 9 ff. (§§ 12 ff. bei Schäfer). 158 So der in vielen Handschriften längere Text. Eine ähnliche Differenzierung könnte in der Urschicht hinter TSim 2,7 stehen: „Denn der Herr wird erwecken aus Levi einen Hohenpriester und aus Juda einen König, Gott und Mensch; der wird retten alle Völker und das Geschlecht Israels.“ Der christliche Bearbeiter wusste davon, dass mit Levi und Juda zwei Aspekte des messianischen Erlöser-Amtes vorgegeben sind, von denen der eine den Levi mit der Ebene des Himmels (Gott) und der andere Juda mit dem Bereich des Irdischen (Mensch) verband. Der christliche Bearbeiter beachtete die jüdischen Grundlinien des Materials, das er bearbeitete. 159 Van der Woude, Messianische Vorstellungen, 227, sieht hierin eine antihasmonäische Polemik. Gerichtes 155 und, als Ermöglichungsgrund hierfür, der zum Umgang mit der himmlischen Welt gehörenden Kenntnis der Tora. 156 Im zweiten Durchgang, 8,4-10, wird Levi von den Engeln mit den Insignien seines himmlisch-irdischen Amtes versehen. Die spätere Tradition von der Verwandlung des Anabatikers in einen Engel 157 ist hier angedeutet, insofern Levi in leiblicher Gestalthaftigkeit an himmlischer Nahrung und an den himmlischen Heiligungsmitteln partizipiert. Er wird mit heiligem Öl gesalbt, mit reinem Wasser gewaschen, mit allerheiligster Speise aus dem Acker Gottes versehen und mit allerheiligstem Wein aus dem Weinstock Gottes getränkt. β) Das Priesteramt des Levi gehört zum himmlischen Teil der Schöpfung Diese visionäre Grundschicht, die Levi als Pneumatiker und Offenbarer be‐ stimmt, weil er gemäß der vorausgesetzten Kulttheologie als Priester vor das Angesicht Gottes und in den Transzendenz-nahen himmlischen Bereich sich begeben darf, ist in verschiedenen Wendungen der TestXII in vom Berufungs‐ rahmen losgelösten fast statischen Kategorien ausgedrückt. Hierbei ist in erster Linie TJuda 21,1-5 zu nennen: Während Gott dem Juda die βασιλεία gegeben hat, hat er dem Levi die ἱερατεία verliehen. Das Königtum ist aber dem Priestertum untergeordnet, weil es sich auf τὰ ἐπὶ γῆς bezieht, während das Priestertum zu tun hat mit τὰ ἐν οὐρανοῖς. Die ἱερατεία τοῦ θεοῦ überragt die irdische βασιλεία, wie auch der Himmel die Erde überragt. 158 Nur dann, wenn die himmlische, zu Gott gehörende ἱερατεία der Sünde verfällt, verliert sie ihre himmlische Würde und muss sich der irdischen βασιλεία unterordnen. 159 Es ist also die Kategorie der kultischen 152 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes Reinheit, welche das Priestertum mit dem Himmel verbindet und der Erde überhebt, und entsprechend ist diese Höherordnung nur durch Bewahrung dieser himmlischen Reinheit durchzuhalten. 21,5 nennt den Haltegrund für diese Unterscheidung: Levi darf Gott nahen und hat mit ihm Tischgemeinschaft. Dieses Stück ist eingeordnet in einen bestimmten Zusammenhang: Hurerei (13) und Weingenuss erleichtern die Beeinflussbarkeit durch böse Geister (14-16,20) und den Herren des Irrtums (19). Dem wehren [1.] Gott selbst in seiner Barmherzigkeit (19,3), [2.] die Offenbarung durch den Engel des Herrn an die Patriarchen, [3.] die Buße und [4.] vor allem das himmlisch-irdische Leviamt, das Israel gegen die bösen Kräfte Bestand gibt (21,1). Ähnlich unterstreicht TL 14,3 die Zugehörigkeit Levis zur höherwertigen, reinen, himmlischen Stufe der Schöpfung. So wie der Himmel und die zum Himmel gehörenden Lichter reiner sind als die Erde und irdisches Licht, so sind entsprechend die Levi-Söhne die über die Erde erhobenen φωστῆρες Israels. Dieses himmlische ‚Beleuchtungsamt‘ nehmen die Leviten wahr, indem sie Tora von Gott her geben; aber sie machen sich zu Dienern der Finsternis, wenn sie die Tora verfälschen. Auch in diesem Zusammenhang wird also die Gefährdung der priesterlichen Zugehörigkeit zum Himmel und seiner Reinheit klar bestimmt. Unreinheit und Unkenntnis markieren diesen Abfall, durch den sich der priesterliche Segen in Fluch verwandeln würde (14,4-15,4). Juda 25,2 nennt verschiedene Subjekte des Segens, die mit den 12 Patriarchen verbunden sind: Während Levi den Segen von Gott selbst empfängt, erhalten die anderen Söhne in einer Stufenfolge ihren Segen jeweils von einer anderen himmlischen Größe. Diese kosmologisch ausgedrückte Priorität des Levi spricht auch aus TNaph 2: Levi ersteigt die Sonne, Juda den Mond, die anderen Sterne und Tierkreisbilder. Am deutlichsten ist die Einzeichnung des Levi-Amtes in ein kultisch erschlos‐ senes Weltbild in TRu zu sehen: Unreinheit, in Gestalt unerlaubten (1,6), ja jeden (? , vgl. 6,1f.) Geschlechtsverkehrs, kommt zustande durch Einwirkung des Geistes der Verwirrung (3,1), der die im Menschen schöpfungsmäßig angelegten Formen geistig-sinneshaften Weltbezuges (2) zu Ausdrucksformen bösen Geistes verkehrt. Hinter dieser Geistesverkehrung durch und zu sieben bösen Geistern steht Beliar (4,7.11; 6,3): Beliar bewirkt Hurerei, bzw. ist Hurerei Ausdruck der Zugehörigkeit zu Beliar, des Götzendienstes und der Zauberei. Diese Motivschicht ist heilsgeschichtlich eingeordnet in die Engelehen-Episode (5,6f.). Wie entkommt der Mensch diesem Verbund negativer Kräfte? Zunächst durch Buße als Hinwendung zum reinen Wandel, also grundlegend durch Vermeidung verunreinigenden Geschlechtsverkehrs und Beachtung aller 153 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 160 Vgl. 1 QM 1,1f. 161 Vgl. J. Becker, Untersuchungen, 200; M. de Jonge, Christian Influence, in: Studies, 1975, 221. 162 So das Argument seit Grabe, vgl. H.J. de Jonge, Die Patriarchentestamente von Bacon bis Simon, in: M. de Jonge (Hrsg.), Studies, 1975, 33f. 163 1Makk 9,21; vgl. 1Makk 14,41 (ἡγεμῶν καὶ ἀρχιερεὺς εἰς τὸν αἰῶνα) mit TRu 6,12: Levi als βασιλεὺς αἰῶνιος. 164 So J. Becker, Untersuchungen, 200. 165 Vgl. J.Z. Lauterbach, A Significant Controversy …, in: HUCA, IV (1927) 173ff. Vorsicht gegenüber den Frauen (1,6; 2,9ff.; 4). Die Umkehr beruht auf Initiative von ‚oben‘, nämlich der Offenbarung durch Engel an den Urvater (2,1; 3,15; 5,3). Aber die Ermahnung des Urvaters steht nicht auf sich selbst, sondern verweist auf das Amt, die ἀρχή, des Levi, welches mit Kenntnis des Gesetzes Gottes, Anweisung für die Rechtsprechung, Opfer für Israel und Segen verbunden ist (6,8.10f.). Schwierig zu deuten ist TRu 6,12: Danach schließt das Amt des Levi ein Sterben in sichtbaren und unsichtbaren Kriegen ein. Wir erkennen zunächst den Rückgriff auf die Verbindung des Leviamtes mit der himmlischen Welt, sofern wir τὰ ἀόρατα als Hinweis auf die himmlische = unsichtbare Welt verstehen dürfen. TL 4,1 legt es nahe, die Kategorie des ‚Unsichtbaren‘ insofern auf das ‚Himmlische‘ zu beziehen, als es im Ausdrucksbereich der Kriegs-Ideologie unsichtbare Geister gibt, die im Endgericht vergehen werden. Der unsichtbare Krieg ist der gegen die unsichtbaren Geister, der sichtbare der gegen die ir‐ disch-sichtbaren Vertreter der bösen Seite. Diese Kriegslehre ist ja nicht nur aus Qumran bekannt, 160 sondern prägt auch TL 3,1-4: Levi geht gegen die irdische Ungerechtigkeit vor (gegen die Sichemiten) und gegen Satan und seine Scharen, welche die Menschen zur Sünde verführen. Die Aussage, dass Levi in diesem doppelten Kampf stirbt, kann man natürlich als christliche Ergänzung deuten; 161 freilich entsteht dann sofort der Einwand, dass hier ein Vokabular benutzt wird, das in der christlichen Tradition nicht geläufig ist. 162 Umgekehrt wissen wir von den heiligen Kriegen der priesterlichen Makkabäer, zu deren Ideologie die Einbeziehung der himmlischen Hilfe gehört; auch ist Judas Makkabäus im Kampf gegen die Syrer als σώζων τὸν Ἰσραήλ gefallen. 163 Hier stoßen wir auf einen historischen Haftpunkt für die Aussage vom Priesterfürsten, der in einem sichtbaren Kampf fällt, zu dem auch eine unsichtbare Ebene gehört. Es ist also wohl zu einfach, hier pauschal zu sprechen von einem für Men‐ schen leidenden Messias als einer für das Judentum unmöglichen Vorstellung. 164 Das Judentum weiß um die Gefahr des priesterlichen Dienstes, zu dem ein besondere Gefährdung durch Dämonen und Satane gehört. 165 Wenn TRu 6,12b christlicher Einschub ist, so steht er doch in enger traditionsgeschichtlicher 154 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 166 So erst die christliche Bearbeitungsstufe in 7,2; vgl. dazu J. Becker, Untersuchungen, 333 f.; M. de Jonge, Christian Influence, in: ders. (Hrsg.), Studies, a. a. O., 224 f.; vgl. auch TJos 19,11 einerseits - als nur implizit eschatologisches Stück - mit TBenj. 10,5ff., als ausgeformtem eschatologischen Stück andererseits. Beziehung zum Bild des priesterlichen Mittlers, der im Kampf gegen irdische Unreinheit sich dem Bösen entgegenstellt, welches aus dem Bereich des Un‐ sichtbaren kommt und ihn gefährdet. Ähnlich aufgebaut wie TRu ist TSim 5-8. Hurerei führt unter die Herrschaft Beliars. Der Zusammenhang wird ausdrücklich auf eine Henoch-Tradition zurückgeführt (5,4): Levi ist derjenige, der den Krieg des Herrn führt gegen die durch Hurerei mit Beliar Verbundenen, die den Levi bekämpfen (5,4-6). Der Gehorsam gegen Levi und Juda (7,1ff.) wird demgemäß für die Angespro‐ chenen das Heil Gottes aufgehen lassen. Hier ist in noch nicht eschatologisch zugespitztem Sinne 166 Levi Träger des Heilsamtes, welches die ‚reine‘ Linie in der Heilsgeschichte ermöglicht. Ähnlich scheint TNaphth 8,2f. auf die immerwährende Funktion des Levi- und Juda-Amtes abzuheben, nach 8,1 jedenfalls nicht nur auf jene Zeit der eschatologischen Erfüllung zu weisen: Durch Levi und Juda wird Israel das Heil vermittelt und Segen. 8,3 steht in der Tradition der kultischen Einwoh‐ nungslehre, näherhin hier wohl der kultischen Repräsentation der Gottheit durch die Priester. Dabei entspricht die Ausweitung des Blicks auf die Welt der Völker, die hinzugefügt werden sollen, dem traditionellen Anspruch des Zion auf kosmische Bedeutung. 8,3c klingt an die eschatologische Ausgestaltung dieser Heilsbedeutung des Zion für die Welt im Spät-Prophetismus an. Ab 8,4 schlägt der Zusammenhang in ein Licht eschatologischer Verherrlichung um. Auch TGad 8,1 spricht in einem mehr amtsmäßig-zeitlosen Sinn vom Heil des Herrn für Israel, das Gott aus Levi und Juda aufgehen lässt. 8,2 macht dann deutlich, dass dieser Bestimmung des Levi- (und Juda-)Amtes ein idealer Charakter zukommt. Geschichtlich kann das Leviamt seine Heilsfunk‐ tion wegen des Ungehorsams Israels eben nicht wahrnehmen, so dass aus dieser Diskrepanz eine eschatologische Perspektive entsteht. Andersherum gesagt: Das eschatologische Heil ist die endgültige Vollendung des mit dem Levi-Amt verbundenen Segens und Heils. Zu fragen wäre ferner, ob nicht der in TDan 6,1ff. erwähnte Mittlerengel in einer gewissen Parallele zum Levi-Amt steht: Auch er wehrt dem Reich des Feindes, dem Satan und seinen Geistern. Ist er das himmlische Gegenstück zu Levi? 155 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 167 Vgl. das palästinische Targum zu Gen 4,26: ‚Das war die Generation, in deren Tagen sie zu irren begannen und sich Götzen machten, und sie benannten ihre Götzen mit dem Namen des Memra des Herrn‘. Vgl. 3Hen 5, 10 (Odeberg; § 8 Ed. Schäfer). γ) Das Priesteramt des Levi weist auf die eschatologische Kultordnung der Schöpfung Die genannten Motive ‚visionäre Berufung‘ und ‚himmlische Bedeutung des Levi-Amtes‘, beide kultisch geprägt, berühren selbst und werden ergänzt durch ein drittes, welches das Levi-Amt in eine heilsgeschichtliche Dimension ein‐ ordnet. Die visionäre Berufung des Levi ist offenbar schon in der ältesten aramäi‐ schen Traditionsfassung eingebunden in eine Bestimmung der Gegenwart als von Dunkelheit, Gesetzlosigkeit und Ungerechtigkeit beherrscht. Das Pries‐ tertum des Levi bedeutet Abkehr von den bösen Kräften und Hinwendung zur Segensgemeinschaft zwischen Himmel und Erde. Das Amt des Levi ist eingezeichnet in ein kultapokalyptisches Geschichtsbild, dem wir im 1Hen, dort vor allem in den Kapp. 6-12 aus dem alten Wächter-Buch, begegneten: Die Sünde kommt durch Einwirkung der bösen Geister auf die Menschen zustande, und zwar durch anti-kultische Verunreinigung und die Verkehrung des Kultgeheimnisses in Zauber. Diese Tradition geht zurück auf eine bestimmte Auslegung von Gen 4,26. 167 Dieser antikultischen Verwirrung der Schöpfung wird gewehrt durch Eintreten der guten Engel gegen die bösen Geister: Sie binden den Anführer der bösen Geister, Asasel, wobei damit gleichzeitig der Ritus des Jom Kippur als irdische Entsprechung dieses himmlischen Vorgangs gedeutet wird. Heilsgeschichtlich-irdisch beginnt dieser Umschwung also durch die Stiftung eines Kultes, der Reinheit bewahrt und das Kultgeheimnis schützt. Henoch wandelt mit den Heiligen und wird der himmlische Kultdiener Gottes. Aus diesem Themenverbund - (1.) Schöpfungsordnung, in der die Menschen in himmlisch-irdischer Gottesgemeinschaft stehen; (2.) böse Engel führen zu Unreinheit; auch Zauber bewirkt eine anti-kultische Verunordnung der Schöpfung; (3.) gute Engel sowie ein Reinheit und Entsühnung erwirkender Kultus als Hüter der Schöpfungsordnung - entsteht das Grundprogramm einer kultapokalyptischen Erlösungslehre. Die irdische Gestalt, die in diesem ‚Verbund‘ agiert, ist der pneumatisch begabte Priester, der sich mit den Engeln verbindet und die Entsühnung als Befreiung von Sünde, Tod und Teufel betreiben kann. Levi ist ferner der erste Mensch, der der Neuschöpfung entspricht als der pneumatisch neue Mensch, ausgehend vom Zielbild der ezechielischen Kultapokalyptik (Ez 36). Nach dem aram. Fragment in 4Q bittet Levi als Zurüstung zu seinem Amt um Einweisung in den Weg der Wahrheit, darum, dass Bosheit und Ehebruch von 156 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 168 Levi macht seinen Wandel Gott wohlgefällig - dieser Ausdruck überschreitet die Situation der Gebetsvorbereitung. Man erkennt daran, dass Levi sich im Gebet als äußerlich und innerlich gereinigter Mensch vor Gott stellt. Reinigung und neuer Wandel gehören im Bild der Kultapokalyptik vom neuen Menschen zusammen, vgl. Ez 36,25-27. 169 A.a.O., 14. 170 Vgl. 1QS 4,23, wo die präsentisch-eschatologischen Heilsgüter umfassen לכ דובכ םדא ; vgl. dazu B. Otzen, Some Textproblems in 1QS, in: StTh11 (1957), 96-98; P. Osten-Sacken, Gott und Belial, Göttingen, 1969, 180-182. Osten-Sackens Bedenken (181 4 ), Adam- und die sonst in Qumran vorherrschende Tradition von der Beerbung des eschatologischen Zion würden sich schwerlich miteinander in Verbindung bringen lassen, braucht man dann nicht zu teilen, wenn man berücksichtigt, dass das Paradies zur ideologischen Dimension des Zion gehört, vgl. 1Hen 25. Zum Zusammenhang ist auch die bekannte Tradition zu vergleichen, die die Ausstattung des Kultes mit den Schöpfungswerken parallelisiert. Hierbei stößt man auf die Tradition, welche im Rahmen dieser Paralleli‐ sierung die Erschaffung Adams und die Aussonderung Ahrons zum Dienst als Hoher‐ priester in Entsprechung setzt: „Am 6. (Tag) wurde Adam geschaffen, wie es heißt (Gen 1): ‚Und Gott schuf den Adam nach seinem Bild, in der Herrlichkeit seines Schöpfers‘; und vom Heiligtum heißt es: ‚Ein Adam, dass er unter ihnen Hoherpriester sei, der gesalbt werde, um zu dienen und zu verrichten vor Gott.‘“ Tan War, Pekudei 2 (132a unten), vgl. Jalkut Schimoni, 17. ihm weggenommen werden, um Weisheit, Einsicht und Stärke, um Erbarmen vor Gott, dass kein Satan über ihn herrsche. Der Zusatz zu TL 2,3 in Hs e macht noch deutlicher, dass hinter der Erneuerung des Levi in Vorbereitung für seinen kultischen Dienst das Programm einer rituell-pneumatischen Reinigung steht. Levi reinigt sich durch Waschung in reinem Wasser, taucht sich ganz unter in fließendem Wasser; er ordnet seine Wege geradeaus 168 und spricht sein Gebet zu Gott ‚vor den Heiligen‘. Das Gebet nach Hs e nennt über den erhaltenen Teil des aramäischen Textes hinaus die Bitte um die Entfernung des ungerechten Geistes und die Gabe des Heiligen Geistes. Diese pneumatische Erneuerung ist Voraussetzung dafür, dass nicht ein Satan über ihn Gewalt hat. Reinigung, Geistverleihung und damit Befreiung vom Einfluss unreinen Geistes bilden die Voraussetzung zur Neugestaltung des Menschen, der der himmlischen Reinheit entspricht. Es reicht nicht aus, mit Haupt 169 in diesem die visionäre Berufung des Levi vorbereitenden Gebet den Entwurf des Idealbildes eines Frommen zu sehen. Zumindest muss diese Frömmigkeit näher charakterisiert werden: Es geht um eine priesterliche Frömmigkeit, nach der der Gerechte rituell-exorzistisch erneuert werden muss, um so als neuer Mensch der neuen Schöpfung Gottes entsprechen zu können. 170 Die Frömmigkeit des Levi gehört einerseits zur Ausrüstung für sein Amt: Nur als Gereinigter, im inneren Geist und im Wandel, taugt er zum himmlisch-irdischen Kultdiener Gottes (εἶναι σου δοῦλος καὶ 157 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 171 Vgl. TLevi 2,10: er ist Offenbarungsmittler und kündet von der Errettung Israels, vgl. auch TLevi 4,3. 172 Hs e,17f., entwirft geradezu ein klassisches Verständnis von Kultprophetie: der pneuma‐ tisch begabte Priester darf Gott nahen, d. h. in die himmlische Hintergrundsdimension des Kultes eindringen und dabei Gottes Wort empfangen. 173 Vgl. Tlevi 5,2. 174 Ἀυτὸς γνώσεται νόμον θεοῦ: der Priester gibt Tora, vgl. Mal 2,7 und Hs e 18; διαστελεῖ εἰς κρίσιν: er gibt Anweisung für die Rechtsprechung, weil er die Tora kennt; θυσιάσει ὑπὲρ Ἰσραήλ: er vertritt kultrechtlich das Volk vor Gott und wird darum auch von der Seite des Volkes aus zum Mittler. 175 Vgl. Becker, Untersuchungen, 197 ff. und M. de Jonge, Christian Influence, in: Studies, 1975, 221f.234. λατρεῦσαι σου καλῶς, V. 11), der ihm nahen darf (V. 11 und 18). Nur als zum Kultdienst durch pneumatische Erneuerung befähigter Mensch kann er das Wort Gottes hören, ja Teilhaber des göttlichen Wortes werden. Andererseits gilt ebenso: Diese pneumatische Zurüstung für sein Amt macht den Levi nicht einfach zu einem Vorbild nachahmenswerter Frömmigkeit. Die Segenskraft des ihm geöffneten kultischen Mittlungsdienstes 171 tilgt die Gesetzlosigkeit und schafft damit den Einstieg in die Neuschöpfung des Gottesvolkes (13). Der durch pneumatische Neuschöpfung zum himmlisch-irdischen Kultdienst befähigte Levi empfängt aus Gottes Mund Tora und wehrt durch ihre Weitergabe der Ungerechtigkeit in einem wahren Gericht. 172 Das Priesteramt erschließt den Zugang zum himmlisch-reinen Teil der Schöpfung, und der Priester erfährt als erster eine Gottesbegegnung, wie sie in einer von Ungerechtigkeit befreiten Welt durch die Einwohnung Gottes allen zuteilwerden wird. 173 In TLevi 2,3f. ist der Zusammenhang der heilsgeschichtlichen Einordnung des Levi-Amtes komprimiert: Der zu berufende Kultdiener erhält vorab den Geist des Herrn, erkennt darin die Verderbtheit der Menschen und bittet um Errettung für die Menschensöhne, auf die hin dann seine himmlische Amtseinführung bezogen ist. In 5,1ff. entsprechen dem Zugang zum himmlischen Heiligtum der irdische Kampf gegen die Gottlosigkeit (Rache an den Sichemiten), und beides bereitet die eschatologische Einwohnung Gottes vor. Das levitische Priestertum wird zur Nahtstelle, zum Bezugspunkt für die eschatologische Einwohnung Gottes. Auch TRu 6,7f. begrenzen die ἀρχή des Levi, welche in der Unterweisung und im Opferdienst für Israel besteht, 174 auf die Zeit μέχρι τελειώσεως χρόνων; da in der zusätzlichen Bestimmung in 6,8 (ἀρχιερεὺς χριστός) christliche Bearbeitung durchscheint, 175 ist auch hier ursprünglich ein Bezug des Levi-Amtes auf die durch es ermöglichte endzeitliche Theophanie gegeben. Das Mittleramt des Priesters endet dort, wo jede Mittlung unnötig wird. Entsprechend gehört gerade in die Zeit der Entfremdung von Himmel 158 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 176 Messianische Vorstellungen, 1957, 200.206. 177 The Role of Intermediaries …, in: Studies in the Jewish Background, Assen 1969, 44-63. 178 Vgl. zu Ausdruck (Sünde, Exil, Rückkehr) und Sache: Becker, Untersuchungen, 172. 179 Vgl. Jes 40,9f.; 60; Ez 43,1-12; Hag 2; vgl. G. v. Rad, Theol. AT, II, 291ff.303-315. und Erde, dass es eine kultische Vermittlung gibt, in der der Priester vor das Angesicht Gottes in die himmlische Heiligkeit eintreten darf. Durch die heilsgeschichtliche Begrenzung und Verzahnung des Priesterdienstes wird das pneumatische, visionäre Hinüberschreiten des Priesters aus dem einen in den anderen Bereich der getrennten Schöpfung als eschatologisch bedeutsamer Vorgang erkennbar. TLev 4,1ff. spezifizieren den heilsgeschichtlichen Einsatz des Levi-Amtes, insofern hier der dem Levi enthüllte, verderbte Zustand der Menschheit direkt bezogen ist auf das eschatologische Gericht: in ihm findet diese Verderbnis ihr Ende. Levi aber und das von ihm an die himmlische Heiligkeit gebundene Israel sind von dieser Ungerechtigkeit getrennt, so dass, während die Ungerechten dem Gericht entgegengehen, mit dem um das Levi-Amt gescharten Israel eine Insel der himmlisch-eschatologischen Neuschöpfung entsteht. Diese eschatolo‐ gische Neuschöpfung beginnt mit der himmlischen Installierung des Levi. Levi ist - so können wir zwischenzeitlich summieren - insofern ‚Erlöser‘, als er, bzw. sein Amt, die Verbindung zum himmlischen und reinen, heiligen Teil der Schöpfung herstellt, von dem aus die Erlösung sich vollziehen wird. Die eschatologische Heilsmittlerrolle des Levi ist eine Steigerung seines kultischen Mittlungs- und Offenbarungsamtes. Es ist allerdings zu beachten, dass Levi (und Juda) nirgends Messias/ Christus genannt werden. Nicht umsonst sieht sich von der Woude genötigt, diese terminologische Lücke durch Ersatzbegriffe wie ‚Organ‘, ‚Werkzeug‘ Gottes zu füllen; 176 de Jonge spricht von ‚intermediaries‘ 177 . Eine Grundschicht der Eschatologie des TXII geht von der Theophanie Gottes aus: TSeb 9,8 spricht nach Mal 3,20 vom Aufgehen der Sonne der Gerechtigkeit, einer Theophanie Gottes in Jerusalem, die die Verbannung beendet und die Heilszeit einleitet. Kontext ist also ein SER-Stück 178 , das ergänzt ist durch eine erneute Periode des Abfalls und der Vollendung. Die Theophanie Gottes als entscheidendes eschatologisches Heilsgeschehen stammt also aus der spätpro‐ phetischen Tradition von der eschatologischen Einwohnung Gottes im Zion. 179 Eine messianische Ausformung fehlt dabei noch ganz. Auch TAsser 7 liegt V. 2 f. ein SER-Stück zugrunde, welches nun gerahmt ist durch einen Rückgriff auf die Sünde der Urzeit (Sodom) und einen Vorgriff auf die Überwindung der hinter der Sünde stehenden Macht in der Endzeit. Die Errettung aus dem Exil wird 159 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 180 Es ist zu beachten, dass auch die spätprophetische Zion-Theophanie-Erlösungs-Kon‐ zeption teilweise messianisiert wurde. Dies gilt in relativ undeutlicher Weise vom Gottesknecht des DtJes; deutlicher verbindet Hag 2 mit der Erneuerung des Tempels und den sie begleitenden Zeichen kosmisch-politischer Revolution die Verheißung an Serubbabel, an diesem Endkampf Gottes beteiligt zu werden. „(D)ann aber wird der Gesalbte als der Siegelring Jahwes, d. h. als der Vollstrecker der Beschlüsse Jahwes, sein Amt antreten.“ (v. Rad. Theol. AT, II,295). 181 Vgl. Becker, Unters., 276f. gedeutet im Lichte der Heimsuchung der Erde durch den Höchsten als eines eschatologischen Geschehens. Eine messianische Ausformung fehlt auch hier ganz. Ein Vergleich mit verwandten Stücken in Jub (1,17) und äthHen (25,3) zeigt, dass wir hier die typische Tradition der eschatologischen Heilstheophanie auf dem Zion vor uns haben, die ohne messianische Mittlergestalt auskommt. Umso interessanter sind die Stücke, in denen nun dennoch auf diese Zion-Theophanie-Schicht eine zweite gelegt wird, die Levi (und Juda) als menschliche Heilsmittler bezeugt. 180 TL 5,2 heißt es: „Dir habe ich die Segnungen des Priesteramtes gegeben, bis ich komme, um in der Mitte Israels zu wohnen.“ Hier sind Priesteramt und Theophanie gleichsam zwei aneinander stoßende Heilsepochen, insofern die kultische Mittlung, die Verbindung zur von der Erde getrennten himmlischen Welt, dann ein Ende findet, wenn Gott auf dem verklärten Zion sichtbar wird und dergestalt diese Trennung endgültig und in einem umfassenden Sinn einer Neuschöpfung weicht. Entsprechend heißt es TL 8, 11: Der Same Levis wird in drei ἀρχαί aufgeteilt (Hochpriestertum, Priestertum und Levitentum im engeren Sinne) 181 εἰς σημεῖον δόξης Κυρίου ἐπερχομένου: Die kultische Mittlung zwischen Himmel und Erde ist ein Hinweis auf die Herrlichkeit, in der alle Mittlung ihr Ziel und ihre Aufhebung findet, nämlich in der Einwohnung Gottes im verklärten Zion. TSim 6,5: „Gott wird auf der Erde wie ein Mensch erscheinen und selbst Adam retten“. Im Kontext geht es um den eschatologischen Krieg und die Auferste‐ hung. Dadurch entsteht eine sehr lose Verbindung zwischen der Theophanie als Heilshandeln Gottes an Adam und der Beteiligung Levis und Judas am eschatologischen Krieg. Dass Gott sich bei seiner Theophanie der Rettung Adams annimmt, weist auf einen Traditionshintergrund, nach dem der verklärte Zion mit dem Paradies verbunden ist. 3Hen 5 f. macht relativ geschlossen mit dieser Adam-Para‐ dies-Tradition und den darin eingezeichneten heilsgeschichtlichen und messia‐ nischen Perspektiven vertraut. Das Paradies war ein irdischer Ort, der durch die Einwohnung der Schekina mit himmlischen Qualitäten gesegnet war. Nach der Vertreibung sitzen Adam und seine Generation vor dem Paradies, können aber 160 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 182 Vgl. 48 (A), 7 (= § 69 Ed.Schäfer): . אלו רוע אלא גוודזנש ול השמל לכב םוקמ רמאנש השמ ןורהאו וינהכב גוודזנ bezeichnet eine solche enge Verbindung zwischen Gott und Mose, die der kultischen Gottesbegegnung des Priesters entspricht; hinter גוז steht gr. ζευγ. die Segenskraft der Schekina noch in der abgemilderten Form eines Gefeitseins gegen Fliegen, Krankheit und böse Geister erfahren. Als aber das Geschlecht der Sintflut und mit ihm der Missbrauch des Gottesnamens zu Zauber und Götzen‐ verehrung aufkam, da konnte Gott diese Nähe zur verunreinigten Erde nicht mehr dulden und entfernte seine Schekina von der Erde und von den Menschen weg. Damit aber die Verbindung zu den Menschen auf Erden nicht ganz abreißt, wird Henoch mit der Schekina zusammen in den Himmel geholt. Er ist Ge‐ rechter, der gegen die Ungerechtigkeit zeugen muss im Gericht. Als Metatron, רש םינפה , wird er mit allen Gaben himmlischen Lebens ausgestattet, ja geradezu vergöttlicht. Diese Wandlung des Gerechten in einen Himmlischen macht ihn zum Offenbarer und Heilsmittler, der menschliches Leben in Gemeinschaft mit der Schekina und damit eschatologisches Leben realisiert. Diese Deutung der Urzeit ist die Folie für die Darstellung der eschatologischen Erlösung, nämlich einer neuen Einwohnung der Schekina, die das Adam-Geschlecht aus seiner Trennung vom himmlischen Leben erlöst. Kap. 48 (Ed. Odeberg, §§ 68-76 Ed. Schäfer) beschreiben dieses eschatologische Gegenstück: Der rechte Arm Gottes, der die Welt erschaffen und sie erleuchtet hat, ruht seit der Zerstörung des Tempels hinter seinem Rücken. Die kultischen Mittlungsformen, die den rechten Arm Gottes zum Eingreifen bewegen konnten, und denen sich Gott einst ‚verbunden‘ 182 hat, gibt es nicht mehr. Nur noch die Gerechten im Himmel bitten Gott um die Erlösung der Irdischen. Gott wartet daraufhin nicht mehr auf Ge‐ rechtigkeit und Barmherzigkeit unter den Menschen, sondern er greift ein um seiner eigenen Gerechtigkeit und Barmherzigkeit willen. Gerechtigkeit und Barmherzigkeit als Zeichen himmlischen Lebens können von der Erde nicht erwirkt werden, sondern müssen als himmlische Gaben kommen. Mit seinem Arm, in der Kraft seiner Barmherzigkeit und Gerechtigkeit, greift Gott ein. 3Hen 48 mündet dieser Erlösungsprozess in den für die Redaktionszeit dieses Stoffes ‚normalen‘ Messianismus: Der Messias rettet Israel aus den Völkern und bringt sie nach Jerusalem. Dort sammeln sie sich zum eschatologischen Mahl auf dem verklärten Zion, auf den alle Völker schauen werden. So wird Gott König über die ganze Erde. Diese königlich messianische Ausformung der Zionsverklärung verbindet Theophanie-Elemente mit solchen einer messianischen Epiphanie. Ursprünglicher ist 1Hen 25, weil hier die eschatologische Verklärung zur Paradiesherrlichkeit Adams, dem protologischen Stück, parallel läuft. In dieser Konzeption ist der Hintergrund für TSim 6,5-7,3 zu sehen: zwischen die beiden Pole einer ursprünglichen und einer eschatologischen Gottesge‐ 161 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 183 Protologisches und eschatologisches Heil sind geschichtlich durch den Kultus mitein‐ ander verbunden: die Dämonen, welche seit dem Fall der Schöpfung über den Menschen herrschen, weichen vor der Stiftshütte bzw. vor dem Tempel zurück, vgl. Bill. IV/ 1, 521.526f. 184 Vgl. die Ausdruckweise in Phil 2,6f.: ἐν μορφῇ δούλου; σχήματι εὐρεθήσων ὡς ἄνθρωπος. 185 Vgl. zur Bedeutung von Nu 24,17 in T.XII: Van der Woude, Vorstellungen, 207f. 186 Vgl. auch Van der Woude, a. a. O., 205. meinschaft für das Adam-Geschlecht liegt die kultische Mittlungsform des Levidienstes. 183 Am Ende aber wird Gott wie ein Mensch erscheinen und selbst Adam retten. Die Formulierung ὡς ἄνθρωπος spricht nicht unbedingt für christliche Bearbeitung; sie klänge in christlichen Ohren doketisch und wäre schon durch einfache, neutestamentliche Ausdrücke präziser zu fassen gewesen. 184 Ὡς ἄνθρωπος meint wohl aber die ursprünglich anthropomorphe Verleiblichung Gottes, die der ursprünglichen Gottebenbildlichkeit des Menschen entsprach. Gott stellt die Paradiesgemeinschaft wieder her, begibt sich in die Gefahr der ihn vermenschlichenden Menschennähe. Wenn man in der Formulierung dennoch christliche Bearbeitung sehen will, so wird man freilich angesichts dieses traditionsgeschichtlichen Hintergrundes feststellen, dass der Bearbeiter hier jüdische Tradition allenfalls zugespitzt hat, jedoch traditionsimmanent geblieben ist. TJuda 22,2 bezieht das Ende des Exils und der Unheilszeit auf die Parusie des Gottes der Gerechtigkeit. Auch in diesem Fall mag die Formulierung christlich sein und eine ursprüngliche Abfolge durch eine falsch vorangestellte Parusie unterbrechen; dennoch geschieht dies unter Einfluss der grundlegenden Theophanie-Tradition. Im Hinweis auf Israel und Jakob könnte Anspielung auf die 2-Messias-Lehre begegnen 185 , während 22,3 das Königtum Judas herausstellt. Die Bearbeitung stellt messianische und Theophanie-artige Prozesse zusammen, die aber nicht weiter verwoben werden. Ein Überblick über diese Theophanie-Stücke zeigt, dass das Wirken einer Erlösergestalt in ihnen keinen festen traditionellen Platz hat. Es ist Gott, der im eschatologischen Kampf oder in der Beendigung der Unheilzeit durch seine Theophanie Israel das Heil zuwendet. 186 Diese Theophanie hat ihren Platz auf dem Zion. Daraus ergeben sich zwei grundlegende Aspekte, unter denen die Einbringung messianischer Erlösergestalten geschehen kann: die Theophanie wird ‚vernahtet‘ mit vorlaufenden und hinweisenden Formen kultischer Mittlung, weil die eschatologische Erlösung Theophanie auf dem Zion ist. Deshalb wird der Levi-Dienst die Heilsgröße, welche die eschato‐ logische Einwohnung Gottes vorbereitet, zu ihr hinführt, sie vorwegnimmt. 162 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 187 Vgl. H. Lichtenberger, Atonement and Sacrifice in the Qumran community, in: W.S. Green (Hrsg.), Approaches to Ancient Judaism, Vol. II, 1980, 159-171, bes. 165. 188 Vgl. besonders 1Chr 28,11-19. 189 Vgl. Lichtenberger, a. a. O., 166. 190 Vgl. Becker, a. a. O., 226f. 191 A.a.O., 200. Diese Konzeption, nach der das Levi-Amt für eine geschichtliche Zwischen‐ periode, jedoch nicht für die eschatologische Erfüllung, Gültigkeit hat, ist zu vergleichen mit der Tempellehre in Tempelrolle, Kol. 29,8-10: Der ideale 187 Tempel, der gemäß der biblischen Urbild-Abbild-Ontologie entworfen ist, 188 wird gewürdigt von Gott - er lässt seine Herrlichkeit über ihm wohnen. Den‐ noch ist mit der Realisierung dieses Ideals noch nicht die eschatologische Er‐ füllung erreicht, denn es kommt der Tag des Segens, „an dem ich (neu) schaffe mein Heiligtum, um es mir zu bereiten für allezeit entsprechend dem Bund, den ich geschlossen habe mit Jakob in Bethel.“ Die eschatologische Zeit bringt eine andere Verwirklichung der Einwohnung Gottes, die über den vorlaufend pneu‐ matischen Bezug auf das ideale Heiligtum hinausgeht. 189 Die eschatologische Überhöhung bedeutet eine nochmalige Steigerung der kultischen Einwohnung Gottes. Die Verwendung von ארב in Kol. 29,9 bezeugt, dass die eschatologische Neuschöpfung auch an einer kultischen Neuschöpfung hängt. der eschatologische Krieg Gottes gegen die Widersacher, die die Rückkehr zur ursprünglichen Gottesgemeinschaft behindern, ist ein Vorgang, an dem sowohl himmlische als auch irdische Kämpfer beteiligt werden. Levi und Juda sind Kämpfer, die in diesem Prozess von Gott durch Herrschaftsübergabe beteiligt sind. Beide Themenkreise müssen wir nun noch näher in den Blick nehmen. Mit irdischen Gestalten, Levi und Juda, explizit verbunden ist die eschatologische Theophanie in TNaph 8, 3 und Dan 5,10. TNaph 8,3 heißt es im vermuteten Urtext: 190 „Durch ihre Stämme/ Szepter (διὰ τῶν σκήπτρων αὐτῶν) wird Gott (wohnend unter den Menschen) auf Erden erscheinen (ὀρθήσεται), um das Geschlecht Israels zu retten und um Gerechte aus den Völkern herbeizuführen.“ Nahe verwandt ist TL 2,11: Καὶ διὰ σου καὶ τοῦ Ἰούδου ὀρθήσεται Κύριος τοῖς ἀνθρώποις σώζων ἐν ἑαυτοῷ πᾶν γένος ἀνθρώπων. Van der Woude, der diesen Satz für jüdisch hält, überträgt folgendermaßen: „In Levi und Juda findet Gott demnach die Organe zur Herbeiführung der end‐ gültigen Erlösung …“ 191 Der mit ‚Organ für‘ übertragene Sachverhalt ist freilich philologisch auffällig. LXX kennen eine Ausdrucksweise ὀρθήσεται Κύριος διὰ N. N. nicht; sie scheint auf den ersten Blick nicht jüdisch zu sein. Man muss 163 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 192 Vgl. Joh 12,44f.; 6,40; 14,9. 193 Vgl. Becker, a. a. O., 265f. 194 Vgl. bKidd 23a. 195 Vgl. TL 4,3; 14,3f.; 18,3. 196 Vgl. Dtjes: 45; 49; 51,5; vgl. in P: Nu 14,21. hierin einen weiteren Grund sehen, mit Becker eine christliche Ergänzung zu finden, die - unter Einfluss vor allem johanneischer Wendungen 192 - Gottes Theophanie direkt an die Gestalten der Erlöser bindet. 193 Aber dieser Bearbeiter kennt das traditionsgeschichtliche Milieu, in dem er sich bewegt, hervorragend, insofern er diese eschatologische Theophanie ‚vernahtet‘ mit der kultischen Mittlerposition des Levi (2,10). Der Bearbeiter hat die Mittlerposition des Levi, ihren amtlichen Heilscharakter, ins Eschatologische ausgezogen. Das Wissen des Levi aus dem Himmel bezieht sich auf die eschatologische Erlösung Israels, darum gehört dieser Offenbarer mit seinem eschatologischen Wissen zur irdi‐ schen Gestaltwerdung des Heils. Ferner ist in 2,10 umschrieben das Mittleramt des Levi in seiner kultrechtlichen Form. Levi ist דבע, ja auch auf den (Haus-)Sohn-Zusammenhang sind wir gestoßen. Dies sind elementare Bildzu‐ sammenhänge, die auch die kultrechtliche Bevollmächtigung des Priesters durch die Gottheit implizieren und im strenger juristischen Denken auf den חילש/ ἀπόστολος-Begriff hinauslaufen können. 194 Da im Priesterbegriff der Test XII die Maleachi-Tradition eine Rolle spielt, wird man auch Mal 2,7 besonders nennen müssen. Im Priester als ךאלמ und Apostel Gottes ist Gott präsent, und zwar nicht nur im Wort, sondern zugleich strahlt der Diener des Bundes als kultischer Repräsentant Gottes vom Glanz der Schekina ab, weshalb das Levi-Amt ein Lichtamt ist. 195 Dass die eschatologische Heilstheophanie sich auf die Rettung der ganzen Menschheit bezieht, entspricht dem Rückgriff auf die Adam-Paradies-Tradition: So wie im ersten Adam das Heil der Menschheit in der Gestalt direkten Umgangs mit Gott gegeben war, so ist die eschatologische Rückführung zum Urstand auf das Adamsgeschlecht im ganzen gerichtet. Diese universalistische Ausrichtung stammt bezeichnenderweise aus der spätprophe‐ tischen Zionstradition. 196 Die genannten Zusammenhänge erklären, dass der Beginn der Heilsepoche, nämlich die diese eröffnende Theophanie, gerade mit dem Wirken einer hochpriesterlichen Figur verbunden wird. Dass nicht nur Levi, sondern auch Juda die irdische Gestalt der eschato‐ logischen Heilstheophanie trägt, hängt an dem für TXII ganz fest gefügten Zusammenhang der 2-Messias-Lehre. Sie sind Führer im eschatologischen Heiligen Krieg, und dieser ist die wesentliche Form, in der das eschatologische Heil geschichtlich wird. Der Heilige Krieg setzt seinerseits eine Art Repräsen‐ 164 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 197 Vgl. Van der Woude, a. a. O., 55-58. 198 Vgl. Van der Woude, a. a. O., 58-61. tationslehre voraus, insofern es ein Krieg des Herrn ist und die irdischen Kriegsführer unter Mitwirkung und in Einheit mit den himmlischen agieren. Die Aussage von TL 2,11, dass Gott durch Levi und Juda erscheint, setzt also traditionsgeschichtlich den Zusammenhang kultischer Heilsmittlung und Repräsentierung der Gottheit voraus. Diese Linie wird mit der eschatologischen Theophanie, welche die kultische Mittlung ‚aufhebt‘, verbunden. Daneben ist in der Tradition des Heiligen Krieges der irdische Heerführer irdische Entsprechungsfigur zur himmlischen. Dabei spielt Levi auch im Heiligen Krieg die entscheidende Rolle, da er Zugang zur himmlischen Welt hat und deshalb er, bzw. sein himmlisches Gegenstück, die Gegenstreitmacht auf der Ebene des ‚geistlichen‘ Krieges angehen kann. Deshalb wird er durchweg an erster Stelle vor Juda genannt. Das Levi-Juda-Stück Naphth. 8,3, zu dem wir nun das Augenmerk zurück‐ lenken, hängt wie TJ 24,5 (SER-Stück, in dem 24 eschatologische Überhöhung von R ist) an dem Bileamspruch Nu 24,17 M: „Ein Szepter erhebt sich aus Israel“. Wenn es in TJ 24,5 heißt, dass das Szepter ‚aufleuchtet‘, so ist hier die Astralsymbolik von Nu 24,17 aufgenommen. Dass diese Astralsymbolik, an den Worten ἀνατελεῖ und ἀναλάμψει erkennbar, für die Beschreibung des eschatologischen Heils zentral ist, liegt auch an dem Einfluss von Mal 3,20, wie TJ 24,6 zeigt. Das eschatologische Auftreten der beiden Heilsgestalten wird also unter Einfluss der Astralsymbolik zu einer Epiphanie, die, wie die Umdeutung von Mal 3, 20 zeigt, mit der eschatologischen Heilstheophanie zusammenfällt. Die göttliche Sonne der Gerechtigkeit (Mal 3,20, vgl. TSeb 9,8 und TL 8,11) ist das Licht der Epiphanie der beiden Heilsfiguren nach Nu 24,17. Das Licht Gottes umhüllt die eschatologischen Heilsmittler, wird durch sie sichtbar. Zu den die Aussage, dass Gott durch Levi und Juda erscheint, tragenden Fundamenten ‚kultische Heilsmittlung‘, ‚Aktionseinheit im eschatologischen Heiligen Krieg‘ kommt als drittes also das der vereinheitlichenden Phänomeno‐ logie der Astralsymbolik, welche Theophanie und messianische Epiphanie in der Gestalt eines Lichtes sieht. Die Qumran-Texte (vgl. bes. CD 7,18-21) deuten den aufgehenden Stern von Nu 24,17 auf den שרוד הרותה = den messianischen Hohenpriester Elia 197 und das Zepter auf חישמ לכ הדעה = den messianischen König. 198 Auch in TXII scheint Nu 24,17 Grundtext für die 2-Messias-Lehre zu sein, indem man den par. memb. als Bezeichnung zweier Figuren verstand. Dabei ist die zuerst genannte Gestalt, der Stern aus Jakob, der priesterliche Heilsmittler, dem Szepter aus Israel, dem kö‐ 165 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 199 Vgl. Ps 43,3; Mowinckel, Religion und Kultus, 49. niglichen Heilsmittler, übergeordnet. Die Lichtsymbolik hat ja einen traditions‐ geschichtlich engen Bezug zum Kultus 199 , so dass die Übertragung von Licht‐ motiven aus der Theophanie auf die messianische Epiphanie im Bereich der Ausformung einer hochpriesterlichen Erlöserlehre nahelag. Biblisches Urge‐ schehen ist die Verklärung des Mose, der als Kultdiener des ersten Bundes vom Glanz der Schekina widerspiegelte. An den Nahtstellen, an denen die eschatologische Heilstheophanie und das Wirken der Erlöser aus Levi und Juda zusammenstoßen, ist in einigen Texten von εὐλογία und σωτηρία die Rede. Die εὐλογία bzw. das εὐλογεῖν sind Kennzeichen des Levi-Amtes in der Grundschicht, die die Bedeutung des kultischen Mittlungsamtes bespricht: TR 6,10f.: Levi segnet Israel und Juda; aus seinem Mund empfängt man Segen, wenn man sich ihm demütig naht. TL 4,4 ist die εὐλογία geradezu eine himmlische Potenz, die dem Levi und seinem Amt für immer gegeben ist. TL 5,2 wird diese himmlische Potenz des Levi-Amtes als εὐλογίαι τῆς ἱεροσύνης bezeichnet und, wie wir sahen, direkt auf die eschatologische Ein‐ wohnung Gottes bezogen. Die εὐλογία als himmlische Potenz wird bei der Einwohnung Gottes gleichsam von der kultischen Mittlungsinstanz gelöst, insofern die Gegenwart der Schekina die Kraft priesterlicher εὐλογία weit überragt. Während die εὐλογία des Levi-Amtes vom kultischen Anabatiker auf die Erde geholt wird, kommt mit der eschatologischen Einwohnung die himmlische εὐλογία zur unmittelbaren Gegenwart auf die verklärte Erde. Der eschatologische Bezug der kultischen εὐλογία kommt auch in TJ 24,2 (vgl. auch TJos 12,3) zum Ausdruck: Hier ist εὐλογία verbunden mit dem Geist, den der hochpriesterliche ‚Stern aus Jakob‘ bekommen wird. In diesem Stück ist - zunächst unabhängig von der Frage einer christlichen Ergänzung - die himmlische Segenspotenz, die der Priester von Amts wegen empfängt, in das eschatologische Denken hinübergenommen, und zwar nach dem oben genannten kultapokalyptischen Schema der eschatologischen Neuschöpfung qua Heiligung durch den Geist. Der Erstling unter den eschatologisch Neuge‐ schaffenen, der hochpriesterliche Pneumatiker und Erlöser, gibt von diesem Geist ab und macht so alle zu Söhnen in Wahrheit. Die Gemeinschaft mit himmlischer Heiligkeit wird vom kultischen Amtsträger allen übermittelt, die an seiner geistlichen Segenskraft Anteil bekommen. Becker referiert auf S. 319f. die Lösungsversuche zu TJ 24. Misslich ist, dass er von vornherein das Schlagwort ‚messianisch‘ einführt und die Feststellung 166 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 200 Vgl. Mal 2,5 und MAb 1,12. 201 Vgl. Ob 1,17; Jes 46,13. 202 Vgl. Becker, a. a. O., 58. ins Zentrum stellt, es sei „(n)irgends … in einem jüdisch-messianischen Text vom Messias gesagt, er sei ‚niedrig, demütig‘.“ (321 f.) Nun ist aber gerade Mose nach Nu 12,3LXX πραὺς σφόδρα παρὰ πάντας τοὺς ἀνθρώπους τοὺς ὄντας ἐπὶ τῆς γῆς. Diese Kennzeichnung des Mose steht in einem ausgesprochenen Kontext: πραὺς σφόδρα ist der Mose, der über Gottes ganzes Haus gesetzt ist und unmittelbaren Zugang zu ihm hat. Mose als Begründer des Kultdienstes an einem von Gott gestifteten Heiligtum gibt offenbar das Maß ab für die idealen Möglichkeiten des Kultdienstes und der durch ihn vermittelten Gottesoffenba‐ rung. Dazu gehören πραύτης, Gottunmittelbarkeit, Vermittlung von Gnade an das Volk und Hinführung zu den Geboten - Züge, die in TJ 24 über die Kultapokalyptik, beispielsweise Ez 36, hinaus zurückweisen auf Mose. Der Bezug der kultischen εὐλογία auf das eschatologische Leben aus den Toten kommt TJ 25,2 zum Ausdruck, insofern Levi bei der Auferstehung der Toten die εὐλογία, die Kennzeichen dieses Heilsstandes ist, direkt aus dem Munde Gottes empfängt. Kultische εὐλογία, kultisch gesegnetes Leben, ist Mittlung eines Lebens und Teilhabe an einem Leben der himmlischen Welt, eschatologisch gesprochen: eines Lebens aus der Auferstehung der Toten. Dies gilt für den Priester in unmittelbarer, für das Volk in der durch priesterlichen Segen gemittelten Weise. Εὐλογία ist also ein Heilsmerkmal des Priesteramtes, welches auch Kennzei‐ chen des eschatologischen Heils ist. Das eschatologische Leben ist ein Leben aus der Kraft himmlischer Segenspotenz, die einstweilen an das Priesteramt gebunden ist. Auch die σωτηρία, das andere in TXII verwendete Wort für das Heil der es‐ chatologischen Zeit, erinnert an das Amt des Levidienstes, insofern םולש Aus‐ stattung und Gabe des Priesteramtes ist 200 und σωτηρία vom Zion ausgeht. 201 TJ 22,2 ist die σωτηρία in einem SER-Stück Kennzeichen der Rückkehr Israels zum Heil, das - erst in christlicher Bearbeitung? 202 - auf Gottes Parusie und Jakobs Frieden bezogen ist. Eine Mitwirkung Levis ist allenfalls ungefähr impliziert, die des Juda nur lose angehängt. Ähnlich allgemein vom σωτήριον im Sinne einer ‚endgültigen Heilswende‘ - ohne messianische Zuspitzung - spricht TB 10,5. Die Formulierung, wonach Gott sein Heil auf der ganzen Erde offenbaren wird, weist auf den traditions‐ geschichtlichen Hintergrund der vor allen Völkern sichtbaren Verklärung des Zion. 167 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 203 Zum Ineinander von exorzistischer Heilung und Rettung = אתוסא in den jüdisch-baby‐ lonischen Zauberpapyri vgl. Isbell, Corpus of the Aramaic Incantation Bowls, a. a. O., 18, Anm. 1. 204 Vgl. Van der Woude, a. a. O., 185f. Einen festen traditionsgeschichtlichen und bis in die Formulierungen hinein‐ reichenden Zusammenhang zeigen die übrigen Stellen, an denen das Auftreten eschatologischer Gestalten aus Levi und Juda als σωτηρία bezeichnet wird: S 7,1: ἐξ αὐτῷ ἀνατελεῖ ἡμῖν τὸ σωτήριον τοῦ θεοῦ; D 5,10: ἀνατελεῖ ὑμῖν ἐκ τῆς φυλῆς Ἰούδα καὶ τοῦ Λευὶ τὸ σωτήριον Κυρίου; Naph 8,2: διὰ γὰρ αὐτῶν ἀνατελεῖ ἡ σωτηρία τῷ Ἰσραήλ; Gad 8,1: ὅτι ἐξ αὐτῶν ἀνατελεῖ ἡμῖν Κύριος σωτηρίαν τῷ Ἰσραήλ; Jos 19,11: ὅτι ἐξ αὐτῶν ἀνατελεῖ ἡμῖν Κύριος σωτηρίαν τῷ Ἰσραήλ. Dieser feste Zusammenhang stammt aus der exegetischen Tradition, die Nu 24,17 mit Mal 3,20 kombiniert. Diese Verbindung begegnet relativ ausgeführt in TJ 24,1. Es ist möglich, dass über die gemeinsame Astralsymbolik und den ge‐ meinsamen Heilscharakter hinaus diese Verse durch den phonetischen Gleich‐ laut der Anfangswοrte חרז / ךרד auf einander bezogen wurden. Das σωτήριον entspricht אפרמ, LXX ίάσις, Tg אתוסא= σωτήριον 203 in Mal 3,20 . Van der Woude, 209, sieht hinter Mal 3,20 auch das im Umfeld verhandelte Thema der Sendung des Bundes-ךאלמ Elia durchschimmern: Elia als eschatolo‐ gischer Hoherpriester ist der Stern aus Jakob. Dieser kurze Überblick über die beiden Begriffe, mit denen Levi und Juda als Heilsmittler mit der eschatologischen Erlösung verbunden werden, zeigt, dass εὐλογία zu Levis Amt gehört und deshalb, weil die εὐλογία mit dem Leben in seinem himmlischen Ursprung verbindet, auf die eschatologische Vollendung dieses Lebens hinweist. Die σωτηρία hängt fest an der Tradition der eschatolo‐ gischen Heilstheophanie auf dem Zion. Diese Tradition ist durch eine Verbin‐ dung von Mal 3,20 ( אפרמ / אתוסא / σωτήριον) mit Nu 24,17 ‚messianisiert‘. Auch wenn man hinter Mal 3,20 nicht unmittelbar hochpriestermessianische Tradi‐ tionen sehen will, so ist doch deutlich, dass dort, wo man Gottes Theophanie auf dem verklärten Zion erwartete, nur an die Mitwirkung einer irdischen Er‐ lösergestalt gedacht werden konnte, die eben nicht nur irdisch ist, sondern zum Bereich himmlischer Heiligkeit zu vermitteln imstande ist. Dafür kommt nur der Priester infrage, der ja mit dem Besitz von םולש und היח eschatologisches Leben erschließt. Dem Erlöser aus Juda kommt dabei offenbar eine zweite, un‐ tergeordnete Rolle zu, auch in dem Bereich der Führung des Heiligen Krieges, denn Levi hat Zugang zur himmlischen Welt und steht in diesem Kampf den Truppen Beliars unmittelbar gegenüber. 204 168 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 205 Christlicher Nachtrag ist die Israel-kritische Passage V. 9b; auch die textkritisch unsichere Passage V. 9d gehört vermutlich nicht zum Grundbestand. Zur Frage der Bearbeitung(en) in TL 18 orientieren wir uns an der sehr auf Kontinuität zur jüdischen Tradition bedachten Analyse von Hultgård, L’eschatologie, 268-290. 206 Vgl. auch Apocr.L 57, vgl. dazu o. S. 146f. 207 Vgl. Becker, Untersuchungen, 288-290. Dem Amt des Levi kommt also insofern eine soteriologische Dimension zu, als es Bezugspunkt einer kultischen (Neu)verortung der Schöpfung ist. Durch Levi wird eine Segensgemeinschaft zwischen Himmel und Erde geschichtliche Wirklichkeit. Levi rückt geradezu in die Position der ursprünglichen Herrlich‐ keit Adams, insofern er Geistträger ist, dem die Überwindung des Geistes der Sünde und der Unreinheit gewährt wurde. Eschatologischer Bezugspunkt der Erlösung durch die Mittlung des Leviamtes ist die Verklärung des Zion, welche begründet ist durch die eschatologische Theophanie. Das eschatologische Heil wird aussagbar im Rahmen einer kultischen Gestaltung der Schöpfung, zu wel‐ cher die Vereinigung der geschichtlich getrennten Schöpfungsräume gehören: Durch die Einwohnung Gottes und seiner Heiligen einerseits und durch die mit dem eschatologischen Hohenpriester als dem neuen Adam beginnende pneumatische Menschheit andererseits. Trifft diese Deutung der heilsgeschichtlichen Bedeutung des Leviamtes zu, so scheint es letztlich doch möglich, auch Kapp. 17 f. des TL bis auf wenige redaktionelle Zusätze 205 als genuin jüdisch zu deuten. Kap. 17 ordnet die Geschichte nach dem durch Dan 9,24 populär gewordenen Maß der 70 Jahrwochen und den sie gliedernden 7 Jubiläen à 10 Jahrwochen. Das erste Jubiläum kennt einen zum Priestertum Gesalbten, der groß sein wird, καὶ λαλήσει Θεῷ ὡς πατρί. Hiermit ist nach TL 4, 2 Levi gemeint, der vor Gott in seinem kultischen Dienst als Sohn steht. 206 Kap 18,1 schließt an 17,1-9 an und markiert in diesem Zusammenhang die letzte, erneute Heilszuwendung Gottes, 207 die zugleich die Heilsbedeutung des Leviamtes in ihrer ganzen kul‐ tisch-kosmischen Gestaltungskraft sichtbar machen wird. Die eschatologische Wende markiert ein Ende des bisherigen, trotz allen Amtsanspruches, missra‐ tenen Priestertums. Es geht um eine eschatologische Neustiftung, die offenbar jenseits der Kontinuität des Jerusalemer Kultbetriebes steht, in Kontinuität allenfalls steht zur Urgestalt des Priesteramtes bei Levi (und Aaron). Den eschatologischen Hohenpriester wird Gott ‚erwecken‘. In diesem Aus‐ druck liegt eine ähnliche Doppeldeutigkeit wie im ἀνιστάναι in Apg 3,22.26 mit Bezug auf das Auftreten Jesu: Das endzeitliche Auftreten der Heilsgestalt setzt voraus, dass diese nicht einfach aus der geschichtlichen Kontinuität der alten Schöpfung ersteht, sondern zur eschatologischen Neuschöpfung gehört, 169 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 208 Vgl. auch Zus. Hs e (zu 2,3) 18: Levi bittet, zum Teilhaber der Worte Gottes gemacht zu werden, um wahres Gericht üben zu können für alle Zeiten. Zum jüdischen Traditionshintergrund vgl. auch Hultgård, a. a. O.,70f. 209 Vgl. zur Astralsymbolik in der Herausstellung der hochpriesterlichen Herrlichkeit: Sir 50,6f. 210 Gegen Becker, Untersuchungen, 296; mit Haupt, a. a. O., 107 und Hultgård, a. a. O., 271-278. 211 Vgl. Hultgård, a. a. O., 278f. also gehalten ist durch ein pneumatisch-taufsakramentales Auferstehen aus den Toten. Der eschatologische Hohepriester ist Offenbarungsmittler, dem alle Worte des Herrn offenbart werden. Wir stoßen auf eine eschatologische Überhöhung des mit dem Levi-Amt verbundenen Anspruches nach ApocrL 83-95: Er ist Geliebter, Freund Gottes, der als solcher Worte an seine Söhne weitergibt, die Wahrheit, Gerechtigkeit und Weisheit bedeuten. TL 2,10 zeigt, dass durch des Levi Stehen vor dem Thron Gottes er zum Offenbarungsmittler wird. Er bringt Offenbarung, die sich erstreckt auf den Bereich der eschatologischen Erlösung Israels. Verwandt ist ebenfalls TR 6,8: Levi wird Kenntnis des Gesetzes Gottes haben und Anweisung geben εἰς κρίσιν. 208 TL 18,2 ist diese Aufgabe des eschatologischen Hohenpriesters auf die ganze Erde ausgedehnt. Hierzu und zu der in TL 18,3f., verwendeten Astralsymbolik ist neben 14,3 vor allem zu vergleichen 1QSbIV,24-28: Nach dem auf den ליכשמ bezogenen Segensspruch ist das engelgleiche Stehen in der himmlischen Wohnung Grund für die Anteilhabe am Los, am Rat und am Gericht der Himmlischen. Daraus ersteht dem ליכשמ die Würde einer besonderen Heiligkeit unter dem Volk und die Leuchtkraft eines Offenbarers, der den Erdkreis mit Erkenntnis versieht. 209 V.3 insgesamt als christlichen Einschub zu bezeichnen, ist also unter traditi‐ onsgeschichtlichem Gesichtspunkt wohl nicht berechtigt. 210 Dass der eschatologische Hohepriester nach V. 4 εἰρήνη für die ganze Erde gibt, wird zu verstehen sein als universale Ausweitung des priesterlichen םולש-Dienstes nach Mal 2,5f. Da Krieg Kennzeichen der dämonischen Unterjo‐ chung der Schöpfung ist, wird Frieden eines der Hauptkennzeichen der kulti‐ schen Neuordnung der Schöpfung, Kennzeichen ihrer Befreiung von Dämonen. 18,4 weist so auf 18,12 voraus. Die Himmlischen werden sich über den eschatologischen Hohenpriester freuen: Dies hat darin seinen Grund, dass auch sie auf die eschatologische Verei‐ nigung der getrennten Schöpfungsräume warten, in welcher auch für sie erst die Schöpfungsordnung ihr Ziel erreicht. 211 Gehörte es zum Dienst des Levi-Amtes in der Geschichte, die getrennten Schöpfungsräume mehr schlecht als recht aufeinander in segnender Weise zu beziehen, so wird mit dem Amtsantritt des 170 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 212 Untersuchungen, 292-295. 213 Vgl. Hultgård, a. a. O., 279-281. 214 Vgl. TL-9,1f.6-14; Apocr.L. 11-32. Hultgårds Vermutung (280), der Verf. des TL 18 denke an die messianische Sohnschaft nach Ps 2 und 110, bleibt angesichts des Wortlauts in 18,6 unwahrscheinlich. eschatologischen Hohenpriesters die Rückkehr zur paradiesischen Herrlichkeit Adams eingeleitet. 18,6f. bilden den Schwerpunkt in der exegetischen Auseinandersetzung um dieses Kap. Gegen die zuletzt von Becker durchgeführte Auslegung von Mk 1,9-11 par. her 212 spricht, dass Wortwahl und Ausformung der Motive nirgends christlichen Einfluss zeigen: 213 die Öffnung der Himmel als Eröffnung des Zugangs zum himmlischen Tempel entspricht TL 2,5ff.; 5,1: Der Hohepriester amtet vor dem Hintergrund des himmlischen Tempels, der ihm offensteht. Ein Einfluss der Sprache von Mk 1,9f. lässt sich nicht feststellen. Die Bindung der Vision Jesu an die Taufe ist wohl eher so zu deuten, dass Mk 1,9-11 par. die Tradition vom hochpriesterlichen Sohn, der als Gereinigter visionär mit dem himmlischen Tempel in Verbindung steht, voraussetzt. - Dass ἁγίασμα über den eschatologischen Hohenpriester kommt, kann eben‐ falls nicht aus der nt-lichen Tradition abgeleitet sein, entspricht vielmehr dem traditionellen priesterlichen Anspruch auf Heiligung, die der Heiligkeit des himmlisch-irdischen Kultbereiches entspricht. Hinzuweisen ist auf TL 5,1; 8,4f.; T Dan 5,13 und ApocrL 17 f. Biblisch vorgegeben ist die Aufschrift auf dem Diadem des Hohenpriesters שודק הוהיל (Ex 28,36; 39,30). - Dass die φωνὴ πατρική bloße Aufnahme der Tradition von Mk 1,11 par. sein soll, ist durch den Zusatz ‚wie von Abraham zu Isaak‘ sehr unwahrscheinlich. Viel einfacher wäre ein Hinweis auf Ps 2,7 unterzubringen gewesen. Die Be‐ gründung ‚wie von Abraham zu Isaak‘ zeigt vielmehr, dass dem Verfasser von TL 18 ein eigener traditionsgeschichtlicher Zusammenhang vor Augen stand, der durch Mk 1 nicht ausreichend abgedeckt ist: Die הדיקע ist für das TL Urmodell kultischen Geschehens und der heilsgeschichtliche Haftpunkt, vom dem her die Priesterlehre aus dem Munde Isaaks an Levi ergeht. 214 In der הדיקע ist u. a. auch festgelegt, dass die den Kultus regelnde Priesterlehre vom (Ur-)Vater an den Sohn weitergegeben wird. Hinter dem Ur-Vater steht jedoch als letzte väterliche Autorität der Spruch des himmlischen Vaters. Durch dieses Traditionsmerkmal der הדיקע kommt der eschatologische Hohepriester in ein Verhältnis der Sohn‐ schaft zum himmlischen Vater, der ihm die eschatologische Kultordnung und damit die Bestimmungen der eschatologischen Kultverortung der Schöpfung mitteilt. Die ‚väterliche Stimme‘ meint weniger die Qualifizierung des priester‐ 171 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung lichen Dienstes im Sinne des Selbstopfers, sondern vielmehr die eschatologische Überhöhung der Autoritäts- und Offenbarungsstruktur, welche die priesterliche Bewahrung der Schöpfung seit der הדיקע kennzeichnet. - Dass der Geist der Einsicht und der Heiligung ‚im Wasser‘ auf dem escha‐ tologischen Hohenpriester zur Ruhe kommen soll, ist angesichts der Bedeutung von Waschungen und Tauchungen in TL nicht auffällig: Zs Hs e (zu TL 2,3) 1 f. bezeugt die Kenntnis eines Taufritus, der auf die Erlangung reinen Geistes und auf die Befreiung vom Satan hinzielt. Nach ApocrL 19-21.26 gehört die Waschung als Zeichen priesterlicher Reinigung zur Priesterlehre Isaaks. Dem eschatologischen Hohenpriester ist in überbietendem Sinne eine solche Heili‐ gung gewährt, die in der Gestalt der Wasserreinigung zu einer Erschließung unmittelbarer Pneuma-Gemeinschaft mit der Heiligkeit und Herrlichkeit Gottes hinführt. - Das Argument Beckers, TL 18,6f. zeige eine Anlehnung an Mk 1,9-11 in der Abfolge der Motive ‚Himmelsöffnung‘, ‚Geistgabe‘, ‚Himmelsstimme‘, ist fragwürdig. Grundlage für TL 18,6f. ist erkennbar das Berufungsschema, wel‐ ches auch TL 2,3ff. zu Grunde liegt: Levi bekommt als pneumatisch Gereinigter Zutritt zum himmlischen Heiligtum und wird zum Sohn, der vor Gott steht. TL 18,6f. bringen dieses visionäre Schema in einen Zusammenhang mythologscher Objektivität und gehen darin doch entschieden weiter als Mk 1,9-11 par., wo der Zusammenhang noch als Vision Jesu gerahmt bleibt. Wahrscheinlicher ist, dass TL 18,6f. und Mk 1,9-11 von einem ähnlichen, priesterlichen Berufungs‐ verständnis ausgehen, wie er TL 2 ff. zu Tage tritt. Beide Traditionen bemühen sich um eine eschatologische Übersteigerung und Objektivierung dieses ihnen vorgegebenen Zusammenhangs, ohne direkt miteinander verbunden zu sein. Der gemäß 18,2-7 für sein eschatologisches Amt ausgerüstete Hohepriester führt in eine Zeit der Verklärung hinein (8-14). Die hier verwendete mythologi‐ sche Sprache hat keine deutlichen Anhaltspunkte mehr in Mk 1,9-13. Der Rück‐ nahme der diastatischen Trennung der Schöpfungsräume Himmel und Erde in eine neue Harmonie entspricht die Rückkehr der irdischen Geschichte in die Langfristigkeit eschatologischer Heilsordnung und eschatologischen Lebens. Der eschatologische Hohepriester hat keinen Nachfolger. Der universale Cha‐ rakter seines eschatologischen Amtes spricht daraus, dass die Segenskraft seines Amtes die ganze Schöpfung durchströmt. Die μεγαλοσύνη Κυρίου gibt er seinen Söhnen in Wahrheit bis in Ewigkeit; d. h. Israel wird als ein priesterliches Volk im Zentrum, als ein innerer Kreis der eschatologischen Schöpfungsordnung gesehen und hat unmittelbar an der Segenskraft des eschatologischen Hoch‐ priestertums Anteil. Aber auch die Völker werden als ein zweiter, weiterer Kreis Erkenntnis bekommen und erleuchtet werden, so dass die ganze Schöpfung z. Zt. 172 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 215 Vgl. Hultgård, a. a. O., 281f. 216 So Becker, Untersuchungen, 297 f.; vgl. dagegen Hultgård, a. a. O., 301. 217 Dies ist ein Grundzug im Erlösungsverständnis der Kultapokalyptik, Erlösung als vom Himmel und durch himmlische Gestalten vermittelt zu sehen, vgl. 11 QMelch, 1Hen 10, 1QM 13,9f.; 17,6-9; AssMos 10,2; Jub 10,7-14. 218 Vgl. 1Hen 6-11: der durch Engelfall entstandenen Störung der ursprünglichen Schöp‐ fungsordnung (Verunreinigung, Magie und Krieg als anti-kultische Kräfte) wird ent‐ gegengewirkt: Engel binden im Auftrag Gottes die dämonischen Wesen; mit dieser Bindung restituieren sie die Schöpfung kultisch, schaffen Entsühnungsmöglichkeit und erwirken Heil für die Schöpfung. des neuen Hohenpriesters eschatologisch geheiligt, d. h. eschatologisch-kultisch geordnet wird. 215 Zur kultischen Neuordnung der eschatologischen Schöpfung gehört tradi‐ tionell die endgültige Beseitigung der Negativ-Kräfte, gegen die der Kultus geschichtlich immer nur defensiv angehen konnte: Sünde, Gesetzlosigkeit, Beliar und seine bösen Geister werden vernichtet. Es scheint kaum berechtigt zu sein, den Zusammenhang an feststehenden Ka‐ tegorien ‚(irdischer) Messias‘ und ‚Steigerung ins Übermenschliche‘ zu messen, um dann einen messianischen Teil von einem apokalyptisch-mythologischen abzuheben. 216 Der Begriff ‚messianisch‘, wenn man ihn lediglich auf eine irdische Gestalt anwendet, ist für den gesamten Zusammenhang TL 18 untauglich. Das Wirken des eschatologischen Hohenpriesters ist vielmehr unmittelbar ver‐ bunden mit der eschatologischen Verklärung der Schöpfung, d. h. grundsätzlich auch mit dem Aufhören der die alte Schöpfung kennzeichnenden zeitlichen und örtlichen Abgrenzungen. Hintergrund ist eine Verklärungseschatologie, die auch unmessianisch entfaltet werden könnte. Wenn hier dennoch die Gestalt des eschatologischen Priester-Erlösers in den Mittelpunkt rückt, so ist damit gegeben, dass er Teil der mythologischen Verklärungswelt bei der kultischen Neuordnung von Himmel und Erde in der Endzeit ist. Die Steigerung ins Übermenschliche 217 markiert keinen Bruch ab 18,10ff., sondern bestimmt den Zusammenhang ab 18,2. Die ab V. 9 genannten negativen Kräfte dürfen nicht auseinanderdividiert werden, sondern bilden einen charakteristischen Verbund. 218 Da der Zusammenhang ab 18,2 in eine mythologisch-eschatologische Sprache umschlägt, ist es konsequent, wenn ab 10 ff. die Gewährung der eschatologi‐ schen Heilsgüter nicht deutlich entweder dem Hohenpriester oder Gott als handelndem Subjekt zugeschrieben wird. Der ‚Sohn‘ ist Bevollmächtigter des ‚Vaters‘, beide handeln in Einheit miteinander. Auch ist ja auf dem verklärten 173 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 219 Dass die in TL 18,9ff. beschriebene Verklärung am Zion orientiert ist, macht Hultgård, a. a. O., 283 deutlich. 220 Vgl. Erg. Hs e zu TL 5,2 und 1Hen 10,4ff. Zion 219 unmittelbar das Paradies gegenwärtig, so dass der Hohepriester als Herr des himmlisch-irdischen Kultraumes Zugang zum Baum des Lebens hat und verschaffen kann. Auch die Bindung Beliars entspricht seiner Aufgabe, die Sünde und Dämonen bezwingende Kraft des Versöhnungstages 220 zu einer letzten eschatologischen Steigerung zu bringen. Auch entspricht es seiner Stel‐ lung im Mittelpunkt der eschatologischen Schöpfungsordnung, Gemeinschaft mit den Heiligen, Engeln und verstorbenen Gerechten herbeizuführen. Die eschatologische Auszeichnung der heilsgeschichtlichen Bedeutung des Levi-Amtes in Kap. 18 drückt sich also in einer eschatologischen Mythologie aus, die nicht mehr vollgültig mit dem Begriff des ‚Messianischen‘ umschrieben werden kann. Vergleichbar ist am ehesten 11 QMelch: Melchisedek tritt mit dem am Beginn des eschatologischen Erlassjahres stattfindenden eschatologi‐ schen Versöhnungstag seine himmlisch-irdische Herrschaft an. Er bindet die Macht Beliars und führt Israel aus dem Exil der Sünde zum verklärten Zion. Ebenso bedeutet der Amtsantritt des eschatologischen Hohenpriesters einen sofortigen Umschlag in eine die neue Schöpfung umschreibende und eröffnende Verklärungseschatologie. In diesem kultapokalyptischen Aufriss können nur himmlische Engel oder den Himmlischen angenäherte Menschen als Erlöser auftreten, weil die rein menschliche Ebene die überirdischen Hintergründe des Missstandes der Schöpfung nicht erreichen kann. TL 18 setzt offenbar die Einsetzung des eschatologischen Hohenpriesters mit seiner Angelisierung gleich. Sie drückt sich in der Symbolik der Taufe aus, verstanden als Heiligung und pneumatische Neuschöpfung. c) Zusammenfassung In der aramäischen und griechischen Levi-Tradition können wir beobachten, wie sich die apokalyptische Rezeption der Kulttheologie mit der Ausbildung einer idealen Gestalt des Hohenpriesters verbindet. Er soll Mittler sein zwischen den getrennten Schöpfungsräumen und Zeichen sein für die eschatologische Verklärung der Schöpfung. Levi hat visionären Zugang zur himmlischen Heiligkeit, weil er Kultdiener ist, der vor das Angesicht Gottes tritt. Als solcher ist er Sohn. Um hier, in der himmlischen Welt, dienen zu können, muss er pneumatisch erneuert werden, so dass er als himmlischer Kultdiener gleichsam der Erstling der neu zu schaffenden Menschheit ist. Wie die Auferstandenen engelsgleich sein werden, so ist Levi jetzt schon einer, der Zugang zur himmlischen Schöpfungshälfte hat. 174 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 221 Hultgård, L’eschatologie, a. a. O., 322 spricht von levitischen Hakamim. 222 Vgl. Hultgard, L’eschatologie, a. a. O., 288-291. Sein Amt ist deshalb heilsgeschichtlich relevant, weil die Erlösung nur durch eine im Himmel ansetzende Zurückweisung der negativen Kräfte anbrechen kann. Da der Messias aus Juda sehr viel stärker mit der irdisch-geschichtlichen Dimension des Gottesvolkes verbunden ist, überragt ihn der Heilsanspruch des idealen Levi-Amtes bei weitem. Auch TL 17 f. ordnen sich der Gesamtperspektive ein, in der kultisches Geschehen in eschatologisch denkenden Priesterkreisen 221 verstanden wurde. Die heilsgeschichtliche Perspektive, in die das Levi-Amt hineingestellt ist, zielt auf eine kultische Neuordnung der Schöpfung, in der die anti-kultischen Negativ-Kräfte Sünde, Tod und Teufel endgültig überwunden sind. Diese Über‐ windung hat zur Voraussetzung und zur Folge, dass die diastatisch getrennten Schöpfungsräume Himmel und Erde sich neu vereinen. Die dämonisch-teuf‐ lischen Negativkräfte weichen der himmlischen Heiligkeit des Geistes der Neuschöpfung. Will man dieses Erlöserbild - auch in Hinblick auf seine eventuelle Bedeutung für ein Verständnis Jesu - kritisch beleuchten, so stellt sich die Frage, wo diese Konzeption ‚den Erdboden berührt‘. Es sprechen hier offenbar Kreise, die den Kultbetrieb in Jerusalem mit einem idealen Anspruch auf kultische Mittlung messen, vor dem er nur als missglücktes Unternehmen dastehen kann. Dies macht die Rückführung des Kultes, gegen die Struktur von P, auf die Vätertradition, ja auf die Urgeschichte, deutlich. Traditionsgeschichtlich steht man in der Erwartung einer Verklärung, welche die wahre Bedeutung des Zion sichtbar machen wird. Steht im Hintergrund als Tradentenkreis eine stark pneumatisch-eschatologisch geprägte Gemeinde, die die Gestalt des Erlösers funktional auf die eigene Angelisierung bezieht? Die Beantwortung dieser Frage hängt an der Bestimmung des Verhältnisses der Tradenten dieser Levi-Tradition zur Qumran-Gemeinde. Hier hat man die präsentisch-eschatologischen Gaben und die zukünftige Verklärung ganz an die Überhöhung der gegenwärtigen Gemeinde, die den Tempel abbildet, gebunden. Hier scheint deutlich die Gemeinde-Lehre und ihre Eschatologie der Messias-Lehre vorgeordnet; entsprechend gleitet die messianische Zeit hinüber in die übergeschichtliche Epoche, der messianische Erlöser bekommt engelhafte Züge (11 QMelch). So scheint auch das Levi-Amt an keine historische Gestalt gebunden zu sein; 222 vielmehr begegnen wir einer Ideologie vom wahren Hohenpriester, die in eine eschatologisch-mythologische Erwartung umschlägt. 175 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 223 Vgl. zu diesem Typus der Erlösung durch Engeleinwirkung oben Anm. 217f. Es geht weniger um die Eröffnung eines messianischen Reiches als vielmehr um die eschatologisch-kultische Neuordnung der Schöpfung um den verklärten Zion herum. Mit der Geschichte ist diese Verklärung über die erwartete ‚Erwe‐ ckung‘ des Hohenpriesters verbunden. In seiner Amtszeit kommt es zu einer Vereinigung von Himmel und Erde, zu einem Einbezogenwerden der Erde in die himmlische Basileia. 2. Der Menschensohn als priesterlicher Interzessor vor dem Thron Gottes nach 1Hen Wir haben o. S. 139ff. gesehen, dass 1Hen in seinen verschiedenen Traditions‐ schichten von einem kultapokalyptischen Grundansatz ausgeht. Die entschei‐ denden Prozesse der Sünden- und der Erlösungsgeschichte vollziehen sich in Korrelation von himmlischer und irdischer Schöpfungsebene, wobei den himm‐ lischen Prozessen eine Priorität zukommt. 1Hen entfaltet im alten Wächterbuch eine Engellehre, die sowohl die Entstehung der Sünde als auch die Erlösung dem Eingreifen von Engeln zuschreibt. Die gefallenen Engel bringen die Sünde in die Welt, indem sie die kultische Schöpfungsordnung durch Vermischung und Unreinheit durcheinanderbringen; auch teilen sie verbotenes himmlisches Wissen mit, das die Menschen magisch verwenden. Erlösung bedeutet in diesem Ansatz Restituierung der kultischen Schöpfungsordnung vom Himmel her. So nennt 1Hen zunächst Engel, die die Kultordnung und damit den Heilscha‐ rakter der Schöpfung wiederherstellen (1Hen 10 f.). 223 Daneben kennt 1Hen aber auch einen ‚unten‘ beginnenden Umschwung: Noah wird als Wunderkind mit Attributen engelhafter Existenz geboren; er markiert so die priesterliche, reine menschliche Existenzform, die Grundlage sein kann für den Durchbruch einer Rückkehr zur Herrlichkeit Adams, bzw. Vorausverweis ist auf die Seinsweise auf der himmlisch verklärten Erde. Daneben spricht 1Hen vom ‚Auserwählten‘ und ‚Gerechten‘, der die himm‐ lische, engelhafte, verklärte Seinsweise der von ihm repräsentierten Gerechten darstellt. Er wird auch ‚Menschensohn‘ genannt und schließlich mit Henoch identifiziert. Da es nach der Levi-Tradition in besonderer Weise der Priester ist, der in seinem Treten vor die himmlische Heiligkeit Gottes eine eschatologische Neuordnung der Schöpfung einleitet, entsteht die Frage, ob nicht der Menschen‐ sohn von seinem Grundtyp her als priesterlicher Interzessor verstanden werden muss. Er vermittelt heilsam zwischen den getrennten Schöpfungsebenen und führt den Zustand der Verklärung herbei. 176 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes 224 A.a.O., 312f. 225 A.a.O., 313. 226 A.a.O., 314. 227 Ebd. 228 Ebd. 229 Ebd. 230 A.a.O., 315. 231 Ebd. 232 A.a.O., 315-319. 233 A.a.O., 317. 234 Ebd. 235 A.a.O., 316. Hultgård sieht Übereinstimmungen zwischen dem ‚Priestererlöser‘ der Levi-Tradition und dem ‚Menschensohn‘ von 1Hen in den Motiven ‚Licht‘ 224 ‚kosmische Freude‘ 225 , ‚Abhaltung des Gerichts‘ 226 , ‚Offenbarungsmittlerschaft und Intimität zu Gott‘ 227 , ‚Bekämpfung Belials‘ 228 , ‚Essensgemeinschaft‘ 229 und ‚immerwährende Herrschaft‘. 230 „On peut dire, d’une façon générale, que le Fils de l’homme et le prêtre-sau‐ veur représentent le même type de figures messianiques, figures qui réunissent sur elles des traits et des attributs venant de sources différentes. Le prêtre-sau‐ veur assimile ainsi des fonctions royal es et ‚angéliques‘. Quant au Fils de l’homme, il ne fait pas de doute que ce personnage prolonge, pour l’essentiel, les lignes de l’idéologie royale.“ 231 Die Grundlage der Menschensohn-Tradition ist dann das königliche Element, welches Hultgård in den Ausdrücken ‚der Erwählte‘, ‚Herr der Geister‘, ‚Thron‐ beteiligung nach Ps 2 und 110‘, ‚Herrschaft Jahwes über seine Feinde nach Ps 72,9.11‘, ‚Betonung der Gerechtigkeit in der Davidsohn-Tradition‘ finden will. 232 Diese königlichen Züge seien ferner durch die Ebed-Jahwe-Tradition überlagert und so an 1Hen gekommen. Letztlich stehe mit den beiden Gestalten ein im Grunde priesterlicher gegen einen königlich-richtenden Messias. 233 Das Gericht käme in 1Hen nicht aus einer priesterlichen, sondern aus einer göttlichen Sphäre. 234 Auch das himmlische Element, das den Menschensohn prägt, komme aus einer ganz anderen, zunächst religionsgeschichtlich zu bestimmenden Heimat. 235 So schränkt Hultgård seine eingangs zitierte Feststellung, es liege der gleiche Typus von Erlösergestalt vor, stark ein. Zuzugeben ist ohne weiteres, dass der Menschensohn richterliche und herr‐ scherliche Elemente an sich zieht. Dennoch scheint der Grundvorgang der priesterlichen Interzession den Traditionszusammenhang des 1Hen wesentlicher zu bestimmen, als Hultgård 177 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 236 Vgl. I. Gruenwald, Apocalyptic …, a. a. O., 42-45. 237 Vgl. bereits 1Hen 10,4ff. 238 1Hen 38,1-6; 58,5f.; vgl. 50,1. dies zugibt. Die zum späten Teil gehörende Szene 1 in 1Hen 71 fußt deutlich auf der sehr viel älteren von 1Hen 14. Beide Mal wird Henoch gemäß Motiven der frühen Merkaba in den Himmel entrückt und dann nochmals in den Bereich gesteigerter Heiligkeit, der beide Mal als Stätte des himmlischen Kulthauses beschrieben ist. 236 Henoch tritt in beiden Fällen als Interzessor in die kultische Thronsphäre Gottes. Nach 1Hen 12-16 soll er für die gefallenen Engel vor Gott bitten; nach 1Hen 71 geschieht sein Treten vor Gott im Hinblick auf die Bewah‐ rung des Geschicks der Gerechten (71,14-17). Interzession ist priesterliches Amt; in ihrem Vollzug ist entscheidend, dass der Interzessor Zugang zur Gottheit hat. Dies kommt aber dem Priester zu, der vor das Angesicht Gottes treten darf. Deswegen ist in beiden Fällen entscheidend, dass Henoch wie ein Priester-Engel vor Gott tritt. Diese himmlische Kultsphäre ist der Ansatzpunkt, von dem aus die Rolle des Menschensohnes beschreibbar wird: Er gehört zur himmlischen Gemeinde der Gerechten und Engel. Wohin Henoch qua Vision nach Kap. 14 und 71 auf‐ genommen wird, in die Sphäre des himmlischen Allerheiligsten, dort befindet sich der Menschensohn (Kap. 39). Nach 46 hat der Menschensohn das Aussehen wie ein Engel, er partizipiert an ihrer Heiligkeit. Dieses Motiv der Engel-Ge‐ staltigkeit des Menschensohnes passt gut zur priesterlichen Interzession. Die Tradition vom Großen Versöhnungstag wird in 55,4 nochmals 237 aufgenommen: der Auserwählte richtet Asasel. Der Auserwählte vollzieht gleichsam den escha‐ tologischen Entsühnungsritus des Versöhnungstages. In diesem priesterlichen Handeln besteht seine Herrschaftsausübung. Auch die Art des Mitthronens des Auserwählten und die Art seines Richteramtes sind nach 68,1ff. kultisch geprägt: Herrschaft und Gericht vollziehen sich in einem Einstimmen in das Lobpreisen Gottes. Der Auserwählte ist hier Leiter der himmlischen Liturgie. Dort, wo die Eschatologie des 1Hen ‚irdisch‘ wird, bestimmen überwiegend Verklärungsmotive den Zusammenhang: Gott verklärt den auserwählten Ge‐ rechten und seine Gemeinde mit seinem Licht. 238 Das Licht hat aber besondere Bezüge zur kultischen Gegenwart Gottes: Der Priester spricht im Machtwort des Segens der Gemeinde das leuchtende Antlitz Gottes über ihr zu. In der es‐ chatologischen Verklärung wird die kultische Lichtepiphanie Gottes zur letzten himmlisch-irdischen Wirklichkeit. Da der Auserwählte die Auserwählten und Gerechten in diese Lichtverklärung führt, bekommt sein Amt priesterliche Züge. Die himmlisch-kultische Lichtsphäre erfasst den irdischen Teil der Schöpfung, wenn der Auserwählte auf dem Thron der Herrlichkeit zu Gericht sitzt. Das 178 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes königliche Gericht des Auserwählten baut auf und ist Konsequenz aus der Lichtverklärung, die zur irdischen Wirklichkeit wird. Kap 49 zeichnet den Menschensohn mit den Attributen des Davidsprosses nach Jes 11: Doch gerade in dieser stark in das Transzendente weisenden Tradition ist der königliche Herrscher in seiner Herrschaft nur Teil-Aspekt der Verklärung des Zion. Kö‐ nigliche und richtende Handlungen des Menschensohnes sind begleitende Aspekte seiner kultischen Neubestimmung des Verhältnisses von irdischer und himmlischer Gemeinde in einer verklärten Schöpfung. Nach 69,29 hängt die eschatologische Verklärung der Erde in ihrem Bestand daran, dass das Wort des Menschensohnes kräftig sein wird vor dem Herrn der Geister. Er als Interzessor bleibt Haltepunkt für die von ihm repräsentierten und geschützten Gerechten. Sein Herrscheramt und sein Richteramt sind die Außenseite seines Wirkens gegen die bösen irdischen Feinde. Für die Gerechten ist er Mittler zur himmlischen Heiligkeit, der sie von den Sündenkräften befreit und sie liturgisch mit den Heiligen eint. Der Grundvorgang der priesterlichen Interzession des Henoch erschließt das Verständnis für das eigenartige Changieren der Größen ‘Irdisch‘/ ‘himmlisch‘, ‚menschlich‘/ ‘engelartig‘ und ‚Henoch‘/ ‘Menschensohn‘: Interzession ist ein Treten in den Bereich himmlischer Heiligkeit. 1Hen 15,2 weist auf den voraus‐ gesetzten Normalfall hin, dass eigentlich Engel für Menschen eintreten sollten, eben weil sie Zugang zur himmlischen Kultsphäre Gottes haben. Warum knüpft 1Hen nicht an diese Möglichkeit des himmlischen ‚Kultpersonals‘ an, um die Heilsgeschichte durch sie bewahrt zu sehen? 1Hen 10,4ff. setzen voraus, dass bestimmte Erzengel den Kultus des Versöh‐ nungstages himmlisch begleiten; aber es ist doch ein Begleiten eines gerade auch die Erde konkret erfassenden Kultgeschehens. Wirksame Interzession ist für 1Hen offenbar nur möglich, wenn himmlische und irdische Ebene zusammen‐ kommen in einem auch ganz irdischen, menschlichen, geschichtlichen Medium. Deshalb kann wirksame Interzession nicht allein auf die Engel übertragen werden. Vielmehr zeigen 1Hen 14 und 71, dass die wirksame Interzession am kultischen Übergang aus dem Irdischen ins Himmlische hängt. Mit dem Menschensohn begegnet eine irdisch-himmlische, menschlich-en‐ gelhafte Gestalt priesterlicher ‚Dauer-Interzession‘ vor dem Thron und dann auf dem Thron Gottes. Eine menschenartige Gestalt tritt für die Gerechten und Heiligen ein, macht sie so auf der himmlischen Hälfte der Schöpfung präsent; dieses Eintreten geschieht aber nicht mehr im Medium kult-mystischer Ekstase, sondern in einer immerwährenden, himmlischen Seinsform. Durch die letztlich vorgenommene Identifizierung des Menschensohnes mit Henoch ist eine Lösung gefunden, nach der der vorbildliche, urzeitlich-endzeit‐ 179 II) Der priesterliche Erlöser bringt eine kultische Neuordnung der Schöpfung 239 Vgl. K. Berger, Das Buch der Jubiläen, JShrZ II/ 3, Gütersloh, 1981, 218-300. lich qualifizierte Mensch Repräsentant einer gerechten und heiligen Gemeinde ist, die durch ihn in der himmlischen Kultsphäre präsent ist in einer immer‐ währenden, symbolischen Interzession. In ihm hat sie den mitthronenden Erwählten, der den eschatologischen Zustand der Verklärung herbeiführen wird. Das herrscherliche Mitthronen ist Ergebnis der gelungenen, von Gott gnädig akzeptierten priesterlichen Interzession. Der Menschensohn ist ein Priester-König, in dieser Reihenfolge. III) Zusammenfassung Die apokalyptische Rezeptionslinie haben wir am Beispiel des 1Hen und der Levi-Tradition untersucht. Die Qumranschriften, die in die gleiche Rezeptions‐ linie gehören werden, haben wir nicht eigens heranziehen können. Hier scheint der in 1Hen zutage tretende Ansatz priesterlicher Außenseiter-Ideologie aufge‐ nommen und im polemischen Sinne gegen Jerusalem verschärft zu sein. In 1Hen begegnet, zumindest im Wächterbuch, eine vorqumranitische Umsetzung der Kult-Ideologie, die noch nicht im eigentlichen Sinne polemisch gefärbt ist. Auch die Levi-Tradition und die Jubiläen 239 zeigen eine an der Gesamt-Israel-Konzep‐ tion festhaltende, im Zentrum antihellenistische Repristinierung priesterlichen Denkens. Kernstück dieser Rezeption ist die Betonung der Möglichkeit des Kultes, die himmlische und irdische Schöpfungshälfte zu verbinden. Aus dieser Verbindung erwartet man Segen für die Erde und die Ermöglichung einer eschatologischen Vollendung, in der irdische und himmlische Schöpfungshälfte sich im Lichte Gottes neu verbinden. Diese apokalyptische Kultrezeption stellt zwei Grundgedanken in den Mit‐ telpunkt: 1. Hinter dem Kultus auf Erden liegt eine eigentliche, heilige himmlische Kultsphäre; Heil für die Menschen bedeutet Zugehörigkeit zu dieser paradiesi‐ schen Kultsphäre des Himmels. 2. Die endzeitliche Vollendung geschieht nach dem Muster der Zions-Verklä‐ rung: Vom Zion aus wird sich die Erde konzentrisch neu ordnen, denn im Zion wird der himmlische und der irdische Schöpfungsteil zusammenkommen. Der als Levi oder Henoch/ Menschensohn gezeichnete Erlöser fungiert in Bezug auf beide Ebenen. Er ist Mittler zur himmlischen Kultsphäre, weil er zu ihr Zugang hat, u.zw. visionär, bzw. im Zustand postmortaler Entrückung. Ferner 180 C) Kultapokalyptik: die himmlische-eschatologische Dimension des Kultes ist er Mittler zur eschatologischen Verklärung. Hierbei nimmt vor allem der Auserwählte des 1Hen königlich-messianische Züge an, die in das Bild vom himmlischen Interzessor als eines zugleich Mitthronenden eindringen. Hinter der kultapokalyptischen Tradition müssen priesterliche Außensei‐ terkreise stehen, die die mythologische Komponente der Kultideologie betonen. Zentrum ihres Denkens ist die neue kultische ‚Verortung‘ der Schöpfung, in der die Herrlichkeit des jüdischen Kultes gegen alle hellenistischen und zugleich negativ-antischöpferischen Kräfte Sünde, Tod und Teufel sich durchsetzen wird. Diese Erlösung ist nicht in erster Linie durch das kriegerische Auftreten eines königlichen Richters durchzusetzen; vielmehr steht im Zentrum die Erwartung einer idealen Kultfigur, die in interzessorischer Intimität zu Gott im Himmel steht. Seine Macht muss sich nach der Einsicht dieser Kreise ganz auf seine priesterliche Kompetenz stützen. Das Bild des Erlösers erhält vor diesem Hintergrund stark ideologische Züge. Es ist denkbar, dass diese Ideologie neben ihrer Funktion der Gruppenstärkung zugleich eine kritische Aufgabe gegenüber den Hasmonäern zu erfüllen hatte. Ein Vergleich mit der vorrabbinischen-phärisäischen Rezeption des Kultan‐ spruchs zeigt, dass die Pharisäer ihr Erneuerungsprogramm sehr viel weniger auf eine Betonung der mythologischen Elemente der Kultideologie stützen. Bei ihnen steht die laienpriesterliche Halacha im Mittelpunkt, mit der konkret geschichtlich in das bestehende Israel hineingewirkt werden kann. Der Fromme in seinem Wandel drückt Israels Erwählung zum Priestervolk aus. In seiner Frömmigkeit des Erbarmens hält er die irdische und die himmlische Schöp‐ fungshälfte zusammen. Gottes himmlische βασιλεία findet ihren Ausdruck in seinem frommen Wandel. Entsprechend geschieht hier die eschatologische Vollendung nicht im Medium eines Sprungs über die himmlische Heiligkeit der mit den Engeln geeinten Gemeinde der Heiligen in die Verklärung der Endzeit, sondern dadurch, dass der in Israels Erwählungstradition verheißene Davidspross bei seinem geschichtlichen Auftreten, unter Hilfe seiner pneuma‐ tischen Gaben nach Jes 11, die Kultordnung des Priestervolkes wieder herstellt. Die eschatologische Erfüllung ist gleichsam die geschichtliche Verlängerung der pharisäischen Reform. Die himmlische Dimension des Kultes ist verborgen in der Existenz des einzelnen Laienpriesters, hat aber keine gegen die irdische Geschichte absetzbare eigene Qualität. 181 III) Zusammenfassung 1 Vgl. Haggai 1,10f.; Kap. 2; Sach. 8,4f.9-12 und R. Patai, Man and Temple, 1967 2 , passim. 2 Vgl. E. Bammel, ΑΡΧΙΕΡΕΥΣ ΠΡΟΦΗΤΕΥΩΝ, in: ThLZ 79 (1954), 351-356. D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeptionslinie: der Sohn aus dem Haus des Vaters Der Jerusalemer Tempel wurde in frühnachexilischer Zeit als Zentrum ange‐ sehen, von dem wunderbare Kräfte in das Land ausgingen. Auch sah das Volk im Tempelkult den Garanten für das Funktionieren der Natur. 1 Daneben beharrt die Priesterschrift auf einem ausgesprochen charismati‐ schen Urelement des Kultes: Mose wird zum Stifter der Vorform des Tempels, eben des Zeltes, das er nach einem visionär geschauten himmlischen Urbild errichtet. Ja, der Hohepriester gilt in nachexilischer Zeit selbst als eine charis‐ matische, prophetische Gestalt. 2 Die rabbinische Tradition berichtet aus der Zeit seit dem letzten Jahrhundert des 2. Tempels daneben von Wundermännern, welche die Aufgabe des Kultes in freier Weise wahrnehmen. Sie wissen um das Geheimnis des Kultes und können dort, wo die Priesterschaft den Vollzug des Kultes nicht mehr in segnender Weise durchzuführen vermag, durch eine freie Verwendung und Steigerung der Kultsymbole Wundermacht ausüben. R. Patai wies darauf hin, dass uns in diesen Wundermännern eine eigene Re‐ zeptionslinie des jüdischen Kultes entgegentritt. Sie beginnt in der Spätzeit des Tempels, knüpft dabei an ältere kultprophetische Traditionen an und behält nach der Zerstörung des Tempels vor allem im volkstümlichen Bewusstsein eine eigene Bedeutung: “When the Temple was destroyed, the natural order of things, which was in its entirety dependent on it, suffered a catastrophic disturbance. That this did not result in the extermination of Israel, nay, of all mankind, was due to the fact that besides the Temple Israel possessed another asset that made for the maintenance of the cosmic order, and this continued to function after the destruction of the Temple, perhaps even in an encreased measure. This other beneficent influence emanated, according 3 A.a.O.; 172. Patai, ebd., ersetzt dIe traditionsgeschichtliche Frage durch eine strukturalis‐ tisch-religionsgeschichtliche: die Wohlfahrt des Landes ruht auf einer Person, die die spirituelle und politische Führerschaft In sich vereint. Die Wundermänner der spätnachexi‐ lischen Zeit und der vorexilische König seien beide Exponenten des religionsgeschichtlichen Urtyps ‚Magierkönig‘. Es ist sehr die Frage, ob man von dieser Typologie ausgehen kann; eine Gestalt wie ‚Choni der Kreiszieher‘ hat wohl kaum königliche Züge an sich. Traditionsgeschichtlich wird man nur von einer Aufgabe sprechen können, die traditionell der Kultus wahrzunehmen hatte und die von anderen Konzeptionen aufgenommen wird. 4 Vgl. J. Levy, Neuhebräisches Wörterbuch, II I, Nachdruck 1963, S. 197a; Levy vermischt freilich zwei Bedeutungen: ‚Tugendtat‘ und ‚Wundertat‘. 5 Vgl. G. Vermes, Hanina ben Dosa, in: JJSt 23 (1972), 38f. 6 Wir grenzen uns ab von einer vor allem in der neueren amerikanischen Forschung beobachtbaren Tendenz, die Analyse des nachexilischen Judentums Palästinas mit Kategorien und Entwicklungslinien durchzuführen, die zunächst dem allgemeineren, hellenistischen Raum entstammen. Vgl. M. Smith, Jesus the Magician,1978, VII (dt. Ausgabe, 1981, S. 7), der die hellenistisch-ägyptischen Zauberpapyri zur Grundlage der Untersuchung des ‚magischen‘ Jesus-Bildes macht und dieses entsprechend auch im Jesus der Evangelien wiederfindet; ähnlich Green, Palestinian Holy Men, ANRW 19/ 2, 619-622, der vom ‚Greco-Roman background‘ ausgeht und entsprechend die Rabbinen dem dort formulierten philosophischen Bild des Menschenführers zuordnet, wohin‐ gegen die Charismatiker dem hellenistischen Typ des Wundermannes entsprechen sollen; ähnlich D.L. Tiede, Charismatic Figure as Miracle Worker, 291 f.; Neusner, A History, IV, 284f. 3 . to popular belief, from the persons of the so-called ‘whisperers’, ‘pious men’, and ‘men of faith.’” 3 Bei der terminologischen Erfassung dieser kultrezeptiven Wundertradition ist zu beachten, dass diese Männer stets durch ein besonderes Verhältnis gnä‐ digen Angenommenseins durch den Gott Israels gekennzeichnet sind. Sie sind begnadete Charismatiker. Zum anderen stoßen wir auf eine ausgesprochene ‚Verwendung‘ und Übersteigerung kultischer Elemente, die eine Gegenwart Gottes realisieren. Wegen des zuvor genannten charismatischen Grundzuges wäre eine weitere Kennzeichnung als ‚magisch‘ oder ‚theurgisch‘ aus Gründen der damit verbundenen hellenistisch-heidnischen Assoziationen problematisch. Wir ziehen den Ausdruck ‚praktisch‘ vor. Die jüdische Tradition kennt den Ausdruck השצמ = Wunderhandlung 4 und spricht von השנא השעמ = Wunder‐ männern. So heißt es Tos. (Zuckermandel) Sota 15,5: „Als Chanina ben Dosa starb, hörten die Männer der Tat auf.“ 5 Terminologische Anklänge bestehen auch an die spätere תלבק תישעמ , die praktische Kabbalah, in der mystische Erkennt‐ nisse der himmlischen Welt ‚magisch‘ verwendet werden. In einem sekundären, weitergefassten Sinn liegt dann hinter der Kennzeichnung ‚praktisch‘ auch der griechische t.t. πρᾶξις = Wunderhandlung. Wir sprechen deshalb von einer charismatisch-‚praktischen‘ Rezeption des Kultanspruchs. 6 184 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 7 Vgl. Schürer, Geschichte des jüdischen Volkes, I, 1901, 291-294. Patai, Man and Temple, a. a. O., 186 f. versteht die Legende von dem 70 Jahre verborgenen Choni als Hinweis auf einen gleichnamigen Enkel; dies sei der Ὀνίας des Josephus. 8 Josephus verwendet eine bei ihm relativ gebräuchliche Kennzeichnung des Frommen, vgl. b. 4,319 (vom Hohenpriester), b. 5,381 (von ganz Israel), a. 10,215 (von den drei Männern im Feuerofen), aber auch Herodes kann sich - wie durch ein Wunder von einem zusammenstürzenden Haus nicht erschlagen - als von Gott geliebt ansehen. Δίκαιος, das bei Josephus sehr häufig begegnet, bezeichnet eine Grundqualifizierung des Frommen im Verhältnis zum Gesetz und zu den Mitmenschen; Gott kann auf Grund der Gerechtigkeit Fromme anerkennen als θεοφιλής; vgl. die Umschreibung a. 6,294, wo es über Samuel heißt: ἐγένετο δ'ἀνὴρ δίκαιος καὶ χρηστὸς τὴν φύσιν καὶ δὶα τοῦτο μάλιστα φίλος τῷ θεῷ. I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 1. Choni der Kreiszieher (gest. 65 v. Chr.) Josephus (ant. 14,22-24) berichtet über einen Ὀνίας und verbindet ihn mit dem Beginn der besonderen Geschichtsepoche des römischen Eingreifens, an deren Anfang der Bruderkrieg zwischen Aristobul II. und Hyrkan II. nach Alexanders Tod im Jahre 67 v. Chr. stand. 7 Während der Belagerung des in Jerusalem eingeschlossenen und nur noch von den Priestern begleiteten Aristobul durch seinen vom Nabatäer-Fürsten Aretas gestützten Bruder Hyrkan holte man einen gewissen Onias in das Lager der Angreifer. Josephus kennzeichnet Onias als δίκαιος ἀνὴρ καὶ θεοφιλής 8 , erwähnt eine bestimmte und offenbar im Volk weithin bekannte Begebenheit, da Onias zu Gott um Regen während einer Dürreperiode gebetet habe, so dass γενόμενος ἐπήκοος ὁ θεὸς ὗσεν. Klingt in der Formulierung γενόμενος ἐπήκοος schon ein Hinweis auf die Gott erreichende Kraft seines Gebetes an, so beansprucht das Volk nach Josephus nunmehr des Onias Gebetsmacht als Macht zum Fluchen, welche die Eingeschlossenen unentrinnbar behaften müsse. Onias weigert sich, seine Vollmacht zum Fluchen einzusetzen, und bittet stattdessen Gott: „… da die hier bei mir Stehenden dein Volk sind und die Belagerten deine Priester, bitte ich, weder gegen diese jenen zu gehorchen noch gegen jene das auszuführen, was diese erwünschen.“ (a. 14,24). Darauf steinigt man ihn. An Josephus' Bericht sind mehrere Züge bemerkenswert: Onias ist offenbar von Hyrkan und dem Volk als Gegenspieler der eingeschlossenen Priester gedacht. Wie jene auf das Eingreifen des Himmels durch ihre Gebete und den Kultus eine besondere Einwirkmöglichkeit haben, so dieser durch seine charismatische Gebetskraft. Ohne Priester Krieg führen zu müssen - sie sind alle bei dem rechtmäßigen Hasmonäer-Hohenpriester Aristobul geblieben 185 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 9 Vgl. die rabb. Parallele bMen 64b. 10 Flusser, Jesus, 1968, 91, weist auf eine Textveränderung des hebr. Josippon an der grie‐ chischen Vorlage hin; heißt es im gr. Text: ἔκρυψεν ἑαυτὸν διὰ τὸ τὴν στάσιν ὁρᾶν ὶσχυρὰν ἐπιμενοῦσαν, so übersetzt die mittelalterliche Überlieferung: היהו םויב המחלמה ואצמיו תא ינוח אבחנ הנחמג הדוהי . Flusser schließt daraus, dass ‚Josippon‘ das von Josephus im Sinne einer gewissen Ängstlichkeit vor den Wirren missverstandene Verborgen‐ heitsmotiv wieder auf die ursprüngliche Gestalt bringe, die es in der vorjosefinischen, mündlichen Tradition gehabt haben müsse, nach der nämlich der fromme Wundermann als Kennzeichen seiner Gewohnheit verborgen sei. Dann wird auch auffallen, dass die griechische Wendung bei Josephus: ‚ἐπήκοος γενόμενος‘ von Josippon wiedergegeben wird mit ו " היה הנוע דימת ותלפתב „und Adonai antwortete immer auf sein Gebet.“ In diesem Fall dürfte dann eher die hebr. Übertragung sekundär ‚entschärft‘ haben. 11 W.S. Green, Palestinian Holy Men: Charismatic leadership and Rabbinic Tradition, in: ANRW 19/ 2, 1979, 619-647. 12 A. Büchler, Types of Jewish-Palestinian Piety, 1922, 196-264; G.B. Sarfatti, םידוטח אשנאו השאמ םאיבנהו , in: Tarbiz 26 (1956/ 57), 126-153; G. Vermes, Jesus the Jew, 1973, 69-72; D. Flusser, Jesus, 1968, 89 ff.; J. Derenbourg, Essai sur l’histoire …, I, Nachdruck der Ausgabe Paris 1967, 1975, 111-116. 13 A.a.O., 639f. - bedeutet eine Schwächung der Ausgangsposition. Der Charismatiker ist der einzige Mensch, welcher auf Gott einen ähnlichen Einfluss haben kann wie die Priester. Diese Parallelisierung klingt deutlich aus der Antwort des Onias. Entsprechend steht hinter der von Josephus anschließend berichteten Weigerung der Belagerer, am Passahfest für die Eingeschlossenen Opfertiere hineinzulassen, nicht nur die schiere Bosheit, sondern die Furcht, mit dem kultischen Vollzug in den Mauern dort Segensmacht hergestellt und auf die Belagerer Fluch geladen zu haben. 9 Ferner ist bemerkenswert, dass Josephus als Priester dem charismatischen Beter nicht die theologische Legimität abspricht, sie vielmehr an die im Grunde priesterliche Kategorie des ‚ganzen Volkes‘ gebunden sieht. 10 Literarisch ca. 1-2 Jahrhunderte nach Josephus’ Bericht finden sich im rabbinischen Schrifttum Nachrichten über einen Regenmacher ‚Choni der Kreiszieher‘, der hier freilich Zeitgenosse des Simeon ben Shetach ist. Da W.S. Green 11 nach mehreren Vorgängern 12 eine zusammenfassende Unter‐ suchung über Choni vorgelegt hat, werden wir insonderheit auf ihn verweisen und uns mit seinen Ergebnissen auseinandersetzen. W.S. Green weicht in der Frage der historischen Einordnung des Choni ganz auf die redaktionelle Ebene aus. „It is (bei Josephus) not the story of a miracle-worker who performs a miracle, but the story of one who does not. So we cannot assume that Josephus here refers to the Mishnaic account of Honi’s rain-making.“ 13 Aber die einleitende Bemerkung bei Josephus setzt doch die Kenntnis des Regenwunders voraus und deutet mit dem Wortlaut sogar an, 186 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 14 A.a.O., 641. daß Choni bei Gott Erhörung gefunden hat. Natürlich kann sich Josephus nicht auf den Bericht der Mischna stützen, doch kennen er und die Mischna einen Choni, der in der Spätzeit des zweiten Tempels als Regenmacher wirkte. Choni steht auch schon bei Josephus in einer besonderen Beziehung zu Jerusalem, dem Tempel und den Priestern. Dies ist nicht erst die Perspektive der frühen Rabbinen, die ihren eigenen Anspruch auf Kultbeerbung einem zum Rabbinen gemachten Charismatiker unterschoben hätten, 14 sondern der geschichtliche Kontext des vorrabbinischen Kult-Charismatikers. M.Taan. 3,8 heißt es: לע לכ הרצ אלש אבה לע רובצה ןיעירתמ ןהילע ץוח בורמ םימשג השעמ ורמאש ול ינוחל לגעמה ללפתה ודריש םימשג רמא םהל ואצ וסינכהו ירונת םיחספ ליבשב ולש וקומי ללפתה אלו ודרי םימשג המ השע גע הגוע דמעו הכותב רמאו וינפל ונובר לש םלוצ ךינב ומש םהינפ ילע ינאש ןבכ תיב ךינפל עבשנ ינא ךמשב לודגה יניאש זז ןאכמ דע םחרתש לע ךינב ליחתה םימשג ןיפטנמ רמא אל וכ יתלאש אלא ימשג תורוב ןיחיש תורעמו וליחתה דריל ףעזב רמא אל ךכ יתלאש אלא ימשג ןוצר הכרב הבדנו ודרי ןנקיתכ דע ואציש לארשי םילשורימ דחל תיבה ינפמ םימשגה ואב ורמאו ול םשכ תללפתהש םהילע ודריש ךכ ללפתה וכליש ןהל רמא ןהל ואצ וארו םא תיחמנ ןבא םיוטה חלש ול ןועמש ןב חסש אלמלא ינוח התא ינרזוג ךילע יודינ לבא המ השעא ךל התאש אסחתמ ינפל םוקמה השוץו ךל ךנוצר אוהשןבכ אסחתמ לץ ויבא השועו ול ונוצר ךילעו בותכה רמוא חמשי ךיבא ךמאו לגחו ךתדלווי „Bei jedem Notstand - möge soetwas nicht über die Gemeinde kommen! - blasen sie darauf (sc. auf dem Schofar), nur bei zu viel Regen nicht. Dazu folgende Begebenheit: Man sagte zu Choni dem Kreiszieher: Sprich ein Gebet, damit Regen fällt. Darauf er zu ihnen: Geht und bringt die Passah-Öfen in Sicherheit, damit sie nicht aufweichen. Er betete dann, aber Regen fiel nicht. Was tat er? Er zog einen Kreis und stellte sich mitten hinein. Und er sprach vor ihm: Herr der Welt! Deine Kinder haben sich an mich gewandt, weil ich vor dir bin wie ein Haussohn. Ich schwöre bei deinem großen Namen, dass ich nicht von hier weiche, bis dass du Gnade gibst für deine Kinder. Da begann der Regen zu tröp‐ feln. Er darauf: Nicht um so etwas habe ich gebeten, sondern um Regen für Zisternen, Gruben und Höhlen. Da begann der Regen mit Gewalt herunterzu‐ schlagen. Darauf Choni: Nicht um so etwas habe ich gebeten, sondern um Regen des Wohlgefallens, des Segens und der freiwilligen Gabe. Da fiel der Regen wie befohlen, bis Israel hinaufging von Jerusalem bis auf den Berg des Hauses, vor lauter Regen. Kommen sie und sagen sie zu ihm: Wie du gebetet hast, dass Regen fällt, so bete auch, dass er wieder aufhört. Sagt er zu ihnen: Geht und seht, ob der ןבא םיוטה sich aufgelöst hat. Simeon ben Shetach ließ ihm ausrichten: Wenn du nicht Choni wärst, hätte ich die Exkommunikation über dich verhängt; aber 187 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 15 Green, a. a. O., 628 f., konstatiert, derהשעמ sei völlig unverbunden mit der Halacha, um nach einem anderen Redaktionsgrund für die Aufnahme der Geschichte in die Mischna suchen zu können. Da die Begebenheit jedoch die Halacha veranschaulichen soll, dass man bei zu viel Regen nicht bläst, kann man nur feststellen, dass diese Geschichte, die das Schofar-Blasen nicht erwähnt, diesem Kontextanspruch genügt. 16 Die Regenzeit geht von Oktober bis Mai und hat den Schwerpunkt mit 2/ 3 der jährlichen Niederschläge in den Monaten Dezember bis Februar, vgl. J. Katsnelson, Art. ‚Rain‘, in: EJ 13, 1520-1523, hier: 1522f. 17 A.a.O., 245ff. 18 Vgl. R. Patai, The ‚Control of Rain‘ in Ancient Palestine. A Study in Comparative Religion, in: HUCA 14 (1939) 251-286, hier: 258ff. 19 A.a.O., 627f. was kann ich gegen dich tun, der du dich versündigst vor Gott und er dir doch deinen Willen tut, wie ein Sohn, der sich gegen seinen Vater vergeht und er ihm dennoch seinen Willen tut? ! Und über dich sagt die Schrift: ‚Lass deinen Vater und deine Mutter sich freuen, und fröhlich sein, die dich geboren hat‘ (Spr. 23,25).“ Die Mischna bestimmt, dass das Schofar bei jedem öffentlichen Notstand geblasen wird, jedoch nicht bei zu heftigem Regen. Die Begebenheit mit Choni will also im Kontext als Beispiel für den Fall verstanden sein, bei dem man nicht bläst: bei zu viel Regen. 15 Der Termin, welcher in der Mischna anklingt - kurz vor Passah - zeigt die Größe der Regennot: Noch weit nach dem üblichen Höhepunkt der Regenzeit ist man ohne Regen. 16 Büchler hat versucht, die Bemühungen des Choni um Regen einzuordnen in das Ende des Ablaufs öffentlicher Fasten- und Gebetsveranstaltungen: 17 Choni wird gesehen als Fortsetzung und Überbietung der traditionell vom Tempel ausgehenden, 18 gewöhnlichen rituellen Möglichkeiten, Regen zu erwirken. Hinter dem zunächst genannten ‚normalen‘ Gebet des Choni verbirgt sich nach Büchler ein aus der öffentlichen Liturgie stammendes Element. Green hat ein solch historisierendes Verständnis der Mischna-Perikope ab‐ gelehnt; er beschränkt sich auf den redaktionellen Zusammenhang als die in Wirklichkeit primär erhebbare historische Ebene. 19 Danach sei ältestes Überlie‐ ferungsgut in der Mischna der magische Ritus des Choni; dieser ‚magische‘ Choni werde durch die Rahmung pharisäisiert bzw. rabbinisiert. Die Rabbinisie‐ rung eines Charismatikers der Tempelzeit unterstehe dem Anliegen, dem Rabbi Choni, und damit den Rabbinen überhaupt, Fähigkeit zuwachsen zu lassen, die ehemals mit der kosmisch-‚magischen‘ Aufgabe des Tempels zusammenhingen. Greens redaktionsgeschichtlicher Ansatz verschließt sich der Frage, wie die Wundermacht des ‚historischen‘ Choni gedeutet werden muss und ob sie nicht 188 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 20 L. Blau, Das altjüdische Zauberwesen, Budapest 1898, 33. 21 W.S. Green, a. a. O., 634. 22 Ebd. 23 So Green, a. a. O., 639f. 24 Vgl. dazu J. Neusner, The Formation of Rabbinic Judaism …, in: ANRW 19/ 2, 1979, 3-42, hier: 17-21.38; ders., A History … II, 1966, 131-150.168; III, 1968, 104 ff., 115 ff., 118 ff.; IV, 1969, 338-358; 391-402; V, 1970, 180-183. 25 W.S. Green, a. a. O., 619; 622; 635 f. Die Gebetselemente in dem Mischna-Text unter‐ stehen nach Green, a. a. O., 638, der Intention, die ursprünglich magische Schicht zu mildern. 26 Vgl. Mowinckel, Religion und Kultus, 15-19.27-30. Auf S. 116f. schreibt Mowinckel: „Insbesondere gelten die kultischen Lieder, auch im Alten Testament, als inspirierte, ‚mächtige‘, aus ‚außergewöhnlicher Einsicht hervorgegangene‘ Lieder.“ Vgl. ders., Psal‐ ursprünglich bereits in einem Verhältnis freier Rezeption kultischer Motive steht. Choni bleibt so fast ohne Beziehung zum Judentum seiner Zeit. Green erkennt mit L. Blau: „Die Erzählung ist allerdings streng monotheistisch, der Kreis jedoch, den er zog, der Schwur ‚bei dem großen Gottesnamen‘, sowie die Eigenschaft als Regenmacher deuten auf fremde Vorstellungen.“ 20 Wir haben vor uns „… an account of a figure who, as a result of his intimacy with the deity, exercises extraordinary control over the weather. Through the performance of an unusual rite and the utterance of an incantation he can … produce rain …“ 21 Chonis Wundermacht sei Teil der allgemein-antiken Magie, die sich göttlicher Namen und auch des Schutzkreises bediene. 22 Träfe dies zu, so hätte die Mischna aus einem populären Regenmacher, über dessen jüdische Tradition sich kaum etwas ausmachen lässt, einen protorabbinischen Kultbeerber gemacht, ihn damit aber nur a posteriori, von der redaktionellen Perspektive aus, sowohl in Beziehung zum Tempel als auch in Beziehung zum Pharisäismus-Rabbinismus gesetzt. 23 Gegen diese konsequent redaktionsgeschichtliche Betrachtung wird man einwenden müssen, dass jede sinnvolle Redaktion Motive ans Licht bringt, die in der Tradition verborgen sind. M.a.W.: Aus Choni hat man einen protorabbi‐ nischer Kultbeerber wohl nur deshalb machen können, weil der palästinische Charismatiker eben nicht ein hellenistischer Magier war, sondern tatsächlich seine Vollmacht mit der Tempeltradition zu tun hatte. Ferner wird die spätere rabbinische ‚Tora-Magie‘ 24 an diese früheren Formen der ‚praktischen‘ Kultre‐ zeption anknüpfen, so dass die Bestimmung einer frührabbinischen Periode, die sich allein am hellenistischen Ideal des philosophischen Gottesmannes im Gegenüber zum magischen Wundermann orientiert haben solle, schwierig wird. Die Unterscheidung von ‚magischem Ritual‘ und ‚Gebet‘, ‚Frömmigkeit‘ und ‚Wunder‘ mag einem bestimmten hellenistischen Ideal entsprechen, 25 gilt aber in dieser Form weder für die jüdische Kulttheologie des 2. Tempels 26 noch 189 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis menstudien, Buch V: Segen und Fluch in Israels Kult und Psalmendichtung, Kristiania 1924, 14-18, Anm. 1 (Exkurs); Nicolsky, Spuren magischer Formeln in den Psalmen, 1927, 7-9. 27 Vgl. Neusner, A History …, II, 1966, 131-150.168; vgl. o. Anm. 672. Ferner: E.R. Goodenough, Jewish Symbols in the Greco-Roman Period, Vol. II: The Archeological Evidence from the Diaspora, 1953, 156-158f.; S. Lieberman, Texts and Studies, 1974, 169: „However, it can be definitely stated that the rabbies of the first and second centuries were well acquainted with the πρᾶξις of sorcery and magic.“ 28 Vgl. G. Scholem, Jewish Gnosticism …, 1960, 75: „The theurgical element was not a later addition to the texts but a basic component, one which the editors of such books as the Great Hekhaloth, 3Enoch, and the Massekheth Hekhaloth attempted to minimize or to discard entirely.“ 29 So Green, a. a. O., 632 mit Hinweis auf Blau, a. a. O., 33. 30 Vgl. bTaan 25a Ende: Fasten der Gemeinde - kein Regen; intensiviertes Gebet der Gemeinde - kein Regen; R. Hanina bar Hama (um 260) bittet: „O Himmel, bedecke dein Gesicht“ - kein Regen; darauf beschimpft der Rabbi den Himmel: Wie frech ist der Himmel! - darauf kommt Regen. Ähnlich verläuft auch die anschließend bTaan 25b berichtete Episode um R. Levi: Nachdem das von ihm verordnete Fasten keinen Regen bringt, zwingt er den Himmel durch eine provokante Feststellung zum Eingreifen. Darauf kommt Regen, doch R. Levi wird lahm. Patai, Man and Temple, a. a. O., 189 schreibt: „It often happens that the fasting and the prayer is of no avail, and then the pious man, confident in his strength, admonishes and rebukes heaven, or even God himself.“ Vgl. auch bBQ 50a: das Rettungswunder vollzieht sich in drei Schüben, vgl. dazu unten S. 213. für den talmudischen ‚Rabbi-Medizinmann‘ 27 oder für die spätere theoretische und ‚praktische‘ jüdische Mystik. 28 Die These Greens ist vor allem deswegen schwierig durchzuführen, weil sowohl in der von ihm analysierten ältesten Fassung der Mischna das ‚magische‘ Element durch den Haussohn-Anspruch abgedeckt ist, als auch in dem Bericht des Josephus der Regenmacher zugleich ein δίκαιος ἀνὴρ καὶ θεοφιλής heißt. Die Stellung des ersten Gebetes vor dem ausführlicher dargestellten Ritus werden wir also nicht als redaktionelle Umdeutung ursprünglich „fremder Vorstellungen“ 29 zu einem rabbinisch-hellenistischen Bild vom Gottesmann begreifen, sondern als Stadium einer charismatischen Gebetsintensivierung. Die Mehrstufigkeit der Gebetsaktion ist auch für andere Berichte kennzeichnend, in denen es um das Erwirken von Regen geht. 30 Drei charakteristische Elemente konstituieren das Vergehen des Choni: die Beschwörung Gottes bei seinem großen Namen, das Ziehen des Kreises und die Beanspruchung einer besonderen Würde als ‚Haussohn‘. Da wir auf die beiden letztgenannten Elemente ausführlicher eingehen müssen, vorab eine Klärung des ersten Elements ‚Verwendung des Gottesna‐ mens‘: Der Gottesname gehört ursprünglich in den offiziellen Gottesdienst, 190 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 31 Vgl. Dtn 10,8; Sirach 50,20. S. Mowinckel, Religion und Kultus, 46; W. Heitmüller, Im Namen Jesu, Göttingen 1903, 132-176. 32 Vgl. dazu oben S.Ä und Sirach 50,20. 33 Vgl. M Joma 3,8; 4,2; 6,2; Tos Joma 2,2. 34 Vgl. I. Gruenwald, Apocalyptic and Merkavah Mysticism, 53 Anm. 81 Ende: „Now, Hillel, who lived in the days of the Temple, could well have meant that no one who was not authorized should ‚use‘ the Names for whatever purpose. He could have had in mind a priest who abuses the knowledge he gained in the Temple for a variety of theurgic purposes which were not connected with the priestly Benediction. Hillel, however, would have likewise meant people who gained knowledge of these Names and who were liable to use them for profane purposes.“ 35 Vgl. G. Scholem, Der Name Gottes und die Sprachtheorie der Kabbala, in: ErJB, 39 (1973), 243-297, hier: 250. vor allem in den priesterlichen Segen. 31 Nach bJoma 39b reichte die kultisch-öf‐ fentliche Verwendung des ‚Namens‘ bis in die Zeit des Simon der Gerechte, 32 danach wurde er nur noch vom Hohenpriester am großen Versöhnungstag ausgesprochen. 33 bKidd 71a nennt Einzelheiten der ‚Verheimlichung‘ des Gottesnamens. Da‐ nach hat es neben dem Tetragramm, dessen richtige Aussprache nur alle 7 Jahre den Rabbinenschülern anvertraut werden durfte, einen 12- und einen 42-buchstabigen Gottesnamen gegeben. Der 12-buchstabige wurde zunächst in der kultischen Öffentlichkeit gebraucht, dann aber den Frommen unter der Priesterschaft vorbehalten, die ihn im Ritual auch vor den anderen Priestern verheimlichten. Der 42-buchstabige Gottesname wurde nach der Lehre Ravs nur besonders Ausgewählten anvertraut, und seine Kenntnis allein war schon mit besonderen Segens- und Vollmachtsgaben verbunden: „Wer ihn kennt, mit ihm behutsam ist und ihn in Reinheit wahrt, ist droben beliebt und unten begehrt, seine Ehrfurcht ruht auf den Mitmenschen, und er erbt beide Welten, diese Welt und die zukünftige Welt.“ Im zuletzt angeführten Zitat klingt eine ‚Verwendung‘ des Gottesnamens au‐ ßerhalb des Kultes an, die, bei aller Zurückhaltung der Formulierung, an Beein‐ flussung der oberen Welt bzw. deren Zugänglichkeit durch die Macht des Na‐ mens erinnert. In diesen Zusammenhang gehört bereits MAb 1,13: „Wer sich der Krone bedient, gefährdet sein Leben“. Diesen Ausspruch Hillels deutet ARN A 12 (28b) auf die außerkultische Verwendung des םש שרופמה . Hillel warnt also vor der Verwendung des Gottesnamens, wobei das Wortשמתשה auf theurgische Verwendung deutet. 34 Die Aussprache des heiligen Namens gehört in den von der Gottheit gestifteten Kultbetrieb und muss vor fremdem Gebrauch geschützt werden. Andererseits ist einleuchtend, dass die auf Missbrauch reagierende Verheimlichung des Namens seine Attraktivität für allerlei Gebrauch nur stei‐ gert. 35 Hillels Warnung passt auf einen Mann wie Choni, der außerhalb des 191 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 36 Vgl. Scholem, Der Name Gottes, a. a. O., 251-257. 37 Vgl. K. Berger, Das Buch der Jubiläen ( JShrZ II/ 3), 1981, 299f. 38 Jub. 36,7, Übers. nach Berger, a. a. O., 502. 39 Vgl. auch Gebet Manasses 3 (Swete III, s. 825). 40 Vgl. oben S. 133 Kultes Gott mit dem ‚Namen‘ beschwört. Hillels Bedenken berühren sich in der Grundlage mit dem Vorgehen des Simeon ben Shetach: Pharisäische Kultrezep‐ tion, die die Heiligkeit des Kultes durch Betonung levitischer Reinheit schützen will, stellt sich in dieser Zeit gegen eine theurgische Kultrezeption, die das Kult‐ geheimnis ‚praktisch‘ benutzt. Der ‚Name‘ umschreibt nun aber nicht nur die Heiligkeit und Mächtigkeit Gottes, über die der Kenner des ‚Namens‘ Gewalt hätte, sondern der Name ist - entsprechend der kultischen Verwaltung der Schöpfung - speziell mit dem göttlichen Schöpfungsgeheimnis verbunden. 36 So heißt es bereits im Jubiläenbuch (spätestens 100 v. Chr.) 37 : „Und jetzt beschwöre ich (scil. Isaak) euch (scil. Jakob und Esau) mit einem großen Schwur. Denn einen Schwur, der größer ist als dieser, gibt es nicht: Bei dem gelobten und geehrten und großen, herrlichen und wunderbaren und mächtigen und großen Namen, der gemacht hat Himmel und Erde und alles zusammen: Dass ihr solche seid, die ihr ihn fürchtet und verehrt.“ 38 Der Name hält die Schöpfung zusammen. Wer bei diesem Namen jemanden beschwört, stellt den Beschworenen in die Macht des Geheimnisses der Schöpfung. Nach 1Hen 41,5 ist die Schöpfung eben deshalb in ihrer Ordnung, weil die Elemente, Gestirne und Gewalten Gott einen Schwur geleistet haben, natürlich auf seinen Namen. 39 Durch den Eid bei dem Namen Gottes sind nach 1Hen 69,15ff. alle Schöpfungsordnungen zustande gekommen und die Chaoskräfte zum Stillhalten verpflichtet. „In ihm werden die Behälter des Hagels und des Reifs, die Behälter des Nebels und die Behälter des Regens und Taus bewahrt.“ (69,23) Der ‚Name‘ ist der Machtanspruch des Schöpfungsgottes, den die Elemente per Schwur anerkennen. Name und Schwur gehören also in diesem priesterlich-apokalyptischen Schöpfungsdenken zusammen. Man stößt nicht auf eine statische Schöpfungs‐ ordnung mit dem ‚Namen‘ als Prinzip, sondern auf eine in Spannung gehaltene Beziehung des Schöpfers zu den Elementen, die seinem Namen per Schwur gehorchen. Diese offene Schöpfungsordnung ist der Grund dafür, dass auch der Mensch in sie eingreifen kann, ja im Kult in sie, den Eid der Elemente erinnernd und stützend, eingreifen muss. Diesen Zusammenhang setzt 1Hen 69,13f. voraus: Mit dem verborgenen Gottesnamen kann man die Engel, welche die Menschen zu einer a-kultischen Unordnung gebracht haben, zur Räson rufen. 40 192 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 41 S. Lieberman, Texts and Studies, N.Y. 1974, 23. 42 S. Lieberman, a. a. O., 24. 43 Vgl. R. Patai, Man and Temple, a. a. O., Kap. III. 44 Types of Jewish-Palestinian Piety, a. a. O., 216f. Wenn Choni bei dem großen Namen Gottes schwört, so geschieht dies nicht im Rahmen priesterlichen Segens oder kultischer Bestärkung des Schöp‐ fungseides, sondern in einem theurgischen Sinne: Er behaftet Gott bei dem Schöpfungseid, den er selbst durch seinen Namen besiegelt hat; und zu dieser im großen Namen erreichten Schöpfungsvereinbarung gehört eben auch, dass der Regen zu seiner Zeit aus seiner Kammer tritt. Der Ausdruck עבשנ ינא ךמשב לודגה ist, wie die auf das Verhalten des Choni abhebende Fortsetzung („dass ich nicht von hier weiche, bis dass …“), im engeren Sinne ein Selbstbindungseid. Dennoch ist im Effekt eine Beschwörung Gottes gegeben: „… in the story of Honi H-M’aggel: … we have an adjuration although it is expressed in the language of an oath.“ 41 Dabei ist Gott natürlich nicht wie die Engel direkt beschwörbar, vielmehr: „when the righteous man swears, the Holy One blessed be He does not profane his oath, so that it turns out, that he is adjuring …“ 42 . Es hängt also an der Würde des Beschwörenden, wenn Gott sich beschwören lässt. Wenn Gott antwortet, so nicht aufgrund einer automatischen Wirksamkeit des Schwurs, sondern weil Gott die Vollmacht des Schwörenden anerkennt, nämlich seine Würde und Vollmacht als ‚Haussohn‘. Durch die Beschwörung Gottes bei seinem großen Namen beansprucht Choni also, das eigentlich kultisch gehütete Schöpfungsgeheimnis verwenden zu dürfen. Gott als Schöpfer und Ordner der Welt ist ihm mit dem Namen bekannt und unter dem Namen behaftbar, mit dem Gott die Schöpfung eingerichtet hat. Funktional betrachtet, bewirkt die Beschwörung mittels des Gottesnamens das gleiche wie die Rezitierung des Schöpfungsmythus im Kult. 43 Doch damit ist nochmals die entscheidende Traditionsverschiebung genannt: Die Verwaltung der Schöpfung ist eigentlich die dem Kultus gnädigerweise zugewiesene Aufgabe - hier nimmt sie aber ein einzelner Charismatiker wahr. Er ist Rezipient und in seiner charismatischen Vollmacht Überbieter des Kultan‐ spruchs. Das eigentliche Schwergewicht in der Choni-Überlieferung bildet die zu seinem Namen geronnene Geste des Kreisziehens: Durch den Kreis wird die Beschwörung Gottes zu einer transverbalen Realität. Büchler 44 deutete den Kreis des Choni als eine drastische Illustration der Festigkeit seines Vorhabens: auf gar keinen Fall will Choni von seiner Bitte ablassen. Näher liegt die Annahme, mit 193 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 45 Das altjüdische Zauberwesen, 33. 46 Jewish Magic and Superstition, 121. 47 Vgl. E.A. Crawley, Art. ‚Magic Circle‘, in: ERE VIII, 1915, 32 1-324; M. Lurker, Der Kreis als Symbol, 1981, bes. 163-167; E.F. Knuchel, Die Umwandlung in Kult, Magie und im Rechtsbrauch, 1919; Tabbert, Der Kreis im Kult und im Zauber, in: Zeitschrift des Vereins für westfälische Volkskunde, 27 (1929/ 30), 9-29. 48 Vgl. J. Renger, Untersuchungen zum Priestertum in der altbabylonischen Zeit, 2. Teil, in: ZA 59 (1969) 226; vgl. auch Thompson, Semitic Magic, S. XXIII; LVIIIf.; 126 2 ; E.A. Crawley, Art. ‚Magical Circle‘, a. a. O., 322; Tabbert, a. a. O., 23- 27. 49 Vgl. Th. Hopfner, OZ II,§ § 145.373f. „Nun ist aber Seth-Typhon ein höchst bösartiger Gott; daher wollte der Magier ganz sicher gehen und stellt sich in den Zauberkreis mit den Zaubercharakteren, die Seth nicht überschreiten kann. Von der Anwendung eines solchen schützenden Zauberkreises wissen die Zauberpapyri sonst nichts …“ (II, § 145). 50 Vgl. ferner: I. Goldziher, Bespr. von C.F. Seybold, Geschichte von Sul und Schumul, in: ZDMG 57 (1903), 406, Anm. 1 zitiert „Abbate Pascha: Le Fataa (! ) el Mandel en Egypte“ (Bulletin de l’Institut égyptien 1855, 370): „un cercle trace par un magicien ou sorcier, à intérieur duquel il reste pour prier et appeler les esprits, pour leur demander des questions, par lesquelles on déconvre des personnes, des objects, des événements inconnus.“ H.A. Winkler, Siegel und Charaktere in der muhammedanischen Zauberei, 1930, 157 zitiert aus einem Zaubertext: „Der neunte Abschnitt. Du gehst hinaus in die Wüste und ziehst um dich den Kreis und setzest dich in ihn und wirfst vor dich etwas von der Asche außen um den Kreis herum und sprichst den Spruch und schreibst die Amen auf einen Zettel. Hänge ihn an eine Granatrute, dann wird alles, was in der Wüste an wilden und kriechenden Tieren ist, sich bei dir einstellen und dir keinen Schaden tun. Nimm von ihnen, was du willst. Um sie zu entlassen, entferne den Zettel von der Rute. Dies ist seine Schrift … (Zauberzeichen)“. T. Canaan, Dämonenglaube im Lande der Bibel, Leipzig 1929, 27; hierher gehört auch Bin Gorion, Mimekor Jisrael, Nr. 409 = ders., Born Judas, (I), 1959, Nr. 245: der Zauberkreis schützt den Leib des Medium während der Zeit, da seine Seele auf Wanderung geschickt ist; der Kreis verhindert, dass dem seelenlosen Körper durch ein anderes Geistwesen Schaden zugefügt und er von diesem fremden Geist in Besitz genommen wird. Francis Barrett, The Magus, or Celestial Inteligencer, being a complete system of occult philosophy. In three books, (in einem Band), London 1801, bes. Buch II, 88.90f.99-103. Überschrift S. 99: „Of the Blau 45 und Trachtenberg 46 den Kreis im Zusammenhang einer Gott zwingenden Manipulation zu sehen. Religionsgeschichtlich gesehen ist die Typologie des Kreises sehr stark ausgefächert: 47 Der ‚magische Kreis‘ ist zunächst Schutzkreis, den derjenige um sich ziehen muss, der sich in das Reich der Geister einmischt. Schon in altbabylonischen Beschwörungstexten verweist der Priester gegen‐ über den Dämonen, die er herbeizitiert, auf seine ihn schützende Legitimation. Seine Zauberformel ist die eines Gottes, und seine Schutzmittel, unter anderen der Kreis, sind ihm von der Gottheit verliehen worden. Deshalb kann er den beschworenen Dämonen ungefährdet gegenübertreten. 48 Vom Kreis als φυλακτήριον für den Beschwörenden spricht auch PGM VII, 857. 49 Neben dieser religionsgeschichtlich weit verbreiteten Form als Schutz‐ kreis für den Beschwörenden 50 findet die Umkreisung auch als Schutzmaß‐ 194 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters Method of raising EVIL or FAMILIAR SPIRITS by a CIRCLE.“ Überschrift S. 105: „Of the particular composition of the magical circle“. „But as the greatest power is attributed to the circles, (for they are certain fortresses,) we will now clearly explain …“ (105) Das Weihegebet für den Kreis lautet: „In the name of the holy, blessed, and glorious Trinity, proceed we to our work in these mysteries to accomplish that which we desire; we therefore, in the names aforesaid, consecrate this piece of ground for our defence, so that no spirit whatsoever shall be able to break these boundaries, neither be able to cause injury nor detriment to any of us here assembled …“ (106) Vgl. zum Zauberkreis hier auch S. 107.110f.112. Der Zauberer hat priesterliche, reine, weiße Linnengewänder an (S. 109), das Kleid der Erlösung (110), und benutzt den heiligen Gottesnamen, der geschrieben ist dem Ahron auf die Stirn (121). F.G. Browne, A Year amongst the Persians, London 1893, 148 f. berichtet von einer halluzinatorischen Übung im Zauberkreis, die darauf hinausläuft, dass die Geister doch in den Zauberkreis kommen, der Adept jedoch trotz dieser Anfechtung Herr seiner Angst und damit der Geister wird: „At one time of my life I devoted myself to the occult sciences, and made an attempt to obtain control over the jinnis (Taskhir-i-jinn), with what results I will tell you. You must know, in the first place, that the modus operandi is as follows: - The seeker after this power chooses some solitary and dismal spot, such as the Hazár-Déré at Isfahán (the place selected by me). There he must remain for forty days, which period of retirement we call chillé. He spends the greater part of this time in incantations in the Arabic language, which he recites within the area of the mandal, or geometrical figure, which he must describe in a certain way on the ground. Besides this, he must eat very little food, and diminish the amount daily. If he has faithfully observed all these details, on the twenty-first day a lion will appear and will enter the magic circle. The operator must not allow himself to be terrified by this apparition, and, above all, must on no account quit the mandal, else he will lose the results of all his pains. If he resists the lion, other terrible forms will come to him on subsequent days - tigers, dragons, and the like - which he must similarly withstand. If he holds his ground till the fortieth day, he has attained his object, and the jinnis, having been unable to get the mastery over him, will have to become his servants and obey all his behests. Well, I faithfully observed all the necessary conditions, and on the twenty-first day, sure enough, a lion appeared and entered the circle. I was horribly frightened, but all the same I stood my ground, although I came near to fainting with terror. Next day a tiger came, and still I succeeded in resisting the impulse which urged me to flee. But when, on the following day, a most hideous and frightful dragon appeared, I could no longer control my terror, and rushed from the circle, renouncing all further attempts at obtaining the mastery over the jinnis.“ Vgl. Lurker, a. a. O., 163-165. 51 Ch.D. Isbell, Corpus of the Aramaic Incantation Bowls, 1975 (SBL, Diss. Ser. 17), Text 5, Z.6. 52 Vgl. Thompson, Semitic Magic, 1908, LVII: „There was a method of safeguarding the sick man from the onset of fiends by placing him in the middel of an enchanted circle nahme zugunsten des Patienten statt, mit dem sich ein Heiler befasst. So heißt es in einer der jüdisch-babylonischen Zauberschalen: „Das Haus von Pabak, Sohn von Kuphitai, ist gegen die Sünde der bösen Geister geschützt, weil sein Haus versiegelt ist, denn ich habe es umrundet mit einer großen Mauer aus Bronze.“ 51 Auch diese Verwendung zum Schutze des Patienten ist weit verbreitet. 52 195 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis of flour or other crushed materials as a kind of haram through which no spirit could break“; E.A. Crawley, Art. ‚Magical Circle‘, in: ERE 8, 1915, 322; Trachtenberg, a. a. O., 169. 53 J. Scheftelowitz, Alt-palästinischer Bauernglaube …, 1925, 52. 54 Der Eid bei den Semiten …, Straßburg 1914, 152f. 55 A.a.O., 154. 56 R. Frank, Scheich Adi, der große Heilige der Jezidis, Berlin 1911, 86. 57 Vgl. Th. Menzel, Ein Beitrag zur Kenntnis der Jeziden, Bd. 1, Leipzig, 1911, S. CCIX: „Auch folgendes ist seltsam: Wenn du rings um diese Kurden eine Kreislinie beschrie‐ best, so wäre es ganz und gar unwahrscheinlich, dass sie es wagten, sie zu überschreiten. Nur wenn jemand käme und einen Teil dieser Kreislinie zerstörte, dann käme er wohl heraus. Sonst würde ein solcher Kurde nicht herauskommen, selbst wenn er wüsste, dass er in dem Kreise umkommen müsste.“ 58 Vgl. E. Doutté, Magie et Religion dans l’Afrique du nord Algier 1909, 244 f. Zur Umkreisung einer Schlange, die diesen Raum dann nicht mehr verlassen kann, vgl. v. Mülinen, Okkultismus und Derwischtum bei den Fellachen Palästinas, in: Deutsche Revue 33,3 (1908) 47f. Neben der Bezeichnung als Schutzraum wird der Kreis als Ausgrenzung eines Taburaumes verwendet, also zur Qualifizierung des mit ihm bezeichneten Raumes in einem numinosen Sinne. „So ist es bei den alten Indern, Iraniern, Griechen und Römern üblich, Götter, Tempel und Altäre als Zeichen der Verehrung im Gebete zu umwandeln. Man schließt gleichsam die Gottheit ein und will sie nicht mehr fortlassen, als bis sie das Gebet erhört hat …“ 53 J. Pedersen verweist auf den Eidesbrauch arabischer Stämme, bei dem sich der Schwörende zur Bekräftigung seiner Aussage in einen Kreis stellt: „Der Schwörende tritt, gewaschen und rasiert, mit geschnittenen Haaren in den Kreis hinein und beschwört sich frei, wenn er unschuldig ist. Ist er dies nicht, so wagt er es schwerlich zu schwören. Tut er es doch, so ist er eo ipso aus dem Stamme ausgestoßen … Oft begnügt man sich nicht mit dem bloßen Kreis, sondern legt irgendetwas in den Kreis hinein.“ 54 Das wahrscheinlichste dürfte sein, dass man mit diesen Dingen etwas der Menschenwelt und dem Stamme Gehöriges in den übernatürlichen Kreis hineinbringen will. 55 „Es wird da erzählt …, dass Scheich Adi auf den Lalisch-Berg zu gehen pflegte; dort zog er einen Kreis auf der Erde und setzte sich mit seinen Anhängern hinein. Dann hörten sie die Reden, die Abd al-Kadir im Kreise seiner Jünger zu Bagdad hielt.“ 56 Auch der Kreis, den man um einen Menschen 57 - selbst im Analogiezauber um den Repräsentanten eines abwesenden Menschen 58 - zieht, behaftet diesen mit einem Taburaum, aus dem er sich nicht entfernen kann. 196 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 59 Vgl. Lurker, a. a. O., 36-52.125. bes 162 ff. „Der Kreis ist ‚zwischen den Welten‘, d. h. zwischen dieser und der nächsten, in ihm befinde sich ‚der göttliche Bereich.‘“ (164, Zitat aus G.B. Gardner, Ursprung und Wirklichkeit der Hexen, 1965, 21). 60 Vgl. Lurker, a. a. O., 167; Lewy, Chaldean Oracles, 249f. 61 S.o.S. 191ff. Neben der negativen Abgrenzung gegen dämonische Schädigung bei der magischen Operation und der positiven Umgrenzung eines Raumes 59 ist der Kreis bekannt als Symbolisierung kosmischer Ordnung: Beim Regenzauber bringt kreisförmiges Schwingen die Dämonen der Tierkreiszeichen in ihre ‚richtige‘ Ordnung, so dass die Regenzeit eintreten kann. 60 Wie ist das Kreisziehen des Choni vor diesem allgemeinen Hintergrund einzuordnen? Die religionsgeschichtlich gut bezeugte Verwendung als antidä‐ monischen Schutzkreis bei der Beschwörung von Geistern kann man im Text der Mischna kaum unterbringen. Es ist Gott, der Herr der Welt, der von Choni angegangen wird, von schädigenden Geistern ist nichts zu hören. Auch wird man dem Text die Voraussetzung nicht absprechen wollen, dass Gott in der Lage wäre, den Herausforderer etwa mit einem Blitzschlag abzuweisen. Eine Schutzfunktion wird der Kreis des Choni also nur am Rande haben. Auch eine kosmische Ordnungssymbolik prägt kaum den Gestus des Choni. Entscheidend ist vielmehr, dass sein Kreisziehen in unlöslicher Verbindung steht mit dem Treten vor Gott, den ‚Herrn der Welt‘, mit der Nennung des Gottesnamens und der Beanspruchung einer besonderen Vollmacht als Haussohn. Beachtet man, dass die Szene - vielleicht erst redaktionell - und der theologische Hintergrund des Regenwunders an den Tempel gebunden sind, so ist der gemeinsame Hintergrund aller Elemente deutlich: ‚Herr der Welt‘ ist die kultische Doxologie des Schöpfers. Der Gottesname ist der das Geheimnis von Kultus und Schöpfung tragende große Name. 61 Der Haussohn agiert auf dem Tempelberg, überbietet jedoch den offiziellen Kult: Mit seiner Haussohnschaft beansprucht er Verfügung über das Haus Gottes. Hiermit ist nun jedoch keinesfalls der Jerusalemer Tempel als Haus Gottes gemeint, sondern die hinter ihm verborgene Sphäre des Hauses Gottes, des vom Himmel aus verwalteten Kosmos. Choni tritt also in eine deutliche, überbietende Konkurrenz zum Hohenpriester. Er als Haussohn hat direkten Zugang zum Haus Gottes, an dem irdischen Tempel vorbei. Diese Zuordnung der Motive weist eine Deutung des Kreises an die religi‐ onsgeschichtliche Symbolschicht ‚Taburaum‘ im Sinne eines Raumes direkter Gottesbegegnung. Choni als Sohn im Haus begegnet in seinem Kreis Gottes 197 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 62 Vgl. das religionsgeschichtliche Gespür, das aus der Anweisung des Zauberbuches von F. Barret, Magus, a. a. O., 88 spricht: „Therefore when you would consecrate any place or circle, you should take the prayer of Solomon used in the dedication and consecration of the temple …“ Kreisziehen bedeutet Konsekrierung eines Taburaumes und steht in Analogie zur Tempelweihe. 63 Vgl. St.A. Kaufman, The Akkadian Influences in Aramaic, 1974, 72f. 64 J. Jeremias, Kultprophetie und Gerichtsverkündigung in der späten Königszeit Israels, 1970, 104-106. 65 Jeremias, a. a. O., 105 verweist darauf, dass diese, auch militärisch verwendete, Begriff‐ lichkeit bereits im Akkadischen für den Dienst in der organisierten Kultprophetie Anwendung fand. 66 A.a.O., 106. Heiligkeit. Der Kreis könnte also in Entsprechung zum Allerheiligsten im Tempel stehen. 62 Da die kultische Bindung der Bezeichnung ‚Herr der Welt‘ und die Einbettung der Kenntnis des geheimen Gottesnamens in die Schöpfungslehre in der For‐ schung kaum umstritten sein dürften, wenden wir uns zur näheren Begründung der eben ausgesprochenen These einer Untersuchung der jüdischen Tradition des ‚Kreises‘ und der ‚Haussohn-Sohn‘-Lehre zu. 2. Die Rückbindung an den Kultpropheten Habakuk Der älteste Kommentar zur Mischna Taan 3,8 findet sich in bTaan 23a. Hier wird der Text der Mischna wiederholt und mit erklärenden Ergänzungen versehen. Nach den aus der Mischna übernommenen Worten „er zog einen Kreis und stellte sich hinein“ fügt die talmudische Fassung hinzu: „nach der Art, wie Habakuk der Prophet getan hat, wie es heißt: „Ich will mich auf meine ‚Warte‘ stellen und will auf den ‚Wall‘ treten‘ usw.“ (Hab 2,1). Der hebräische Text lautet: לע יתרמשמ הדומעא הבציאו לע רוצמ . Dabei entspricht רוצמ akad. misru „boundary“ 63 und bezeichnet im par.membr. mit תרמשמ einen technischen Vorgang im Bereich der Kultprophetie. Diese These hat Jörg Jeremias durch Hinweis auf neu-assyrische Briefe be‐ gründet. 64 Assyr. massartu und das Verb nasaru (bewachen) bezeichnen danach Ort und Tätigkeit des Vogelschauers oder Sterndeuters. Auch die Mari-Texte berichten nach Jeremias zweimal davon, dass ein Prophet in diesem Sinne ‚Wache‘ hält. 65 Entsprechend gilt für Hab. 2,1, dass תרמשמ und רוצמ den Ort angeben, an dem der Prophet das Orakel Gottes herbeiführt. „Dieser Ort lag hier wie dort im Tempelbezirk.“ 66 bTaan 23a wird das Kreisziehen des Choni also durch Verweis auf eine offenbar noch bekannte kultprophetische ‚Technik‘ der 198 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 67 A. Sperber, The Bible in Aramaic, III, 1962, S. XI zum 'Additional Targum'; der Text steht ebd. auf S. 4 6 2f.: אתולצ ילצד קוקבחל אייבנ דכ ילגתיא היל לע אכרא בהיד איעישרל אוה קוקבח אייבנ רצד םקואתרוצ הוגב ינע ןכו רמא יח םייקו הימש תיל אנא ידע ןמ אתרוצ אדה דע ןייזחיד יהי תי אניד דיתעד יחימל אביתמ חור אשדוקד ןכו רמא היל קוקבח אייבנ לע קסיע אכרא ביהיתיאד איעישרל םאד ןובותי אתירואל בבלב םילש קיבתשי ןוהל ןוהיו לכ ןוהיבוח תיבד לארשי אה אתולשכ .. 68 Zu Taan 23a: דכ שרפמ םוגרתב לש תלפת קוקבח לע יתרמשמ הרמעא ןמיכ תיב םירוסאה השע בשיוVgl. dazu L. Zunz, Die gottesdienstlichen Vorträge der Juden, 1892 (Nachdruck 1966), 82; ferner Raschi zu Hab 2,1 und Jes 21,6. 69 Ausgabe Jerusalem, 1963, 170 f. יו " י הארשאל היתניכש רודמב אלכיה הישדוקד ןופוסי ןמ יהומדק לכ יעישר הערא הליפת אתולצ ילצד קוקבח אייבנ דכ ילגתא י " י היל לע אכרא ביהיתיד איעישרל אוה קוקבח אייבנ רצד אתרוצ םקו הוגב ינע ןכו רמא יח םייקו הימש תיל אנא ידע ןמ אתרוצ אוה ןוזחיירדע יחהי תי אניד יתימלדיתעד אנביתמ אחור אשדוקד ןכו תרמא היל קוקבחל אייבנ קוקבח אייבנ לע קסיע אכרא ביהיתיאד איעישרל םאד ןוכותי אתיירואל בבלב םילש קיבתשי ןוהל ןוהיו לכ ןוהיבוח ובחר ןימדק תיב לארשי אה אתולשכ . 70 Additional Targum (s. o. Anm. 715): אתולצ; Raschi (s. o. Anm. 716): הלפת; ebenso Machsor Vitry (s. o. Anm. 717). 71 רצ אתרוצ ; גע הגוע bei Raschi (s. o. Anm. 716) mit einem Gefängnis verglichen, in das der Prophet sich selbst begibt. 72 יח םייקו : Add. Targum (s. o. Anm. 717) und Machsor Vitry (s. o. Anm. 719). biblischen Zeit legitimiert. Der Talmud versteht Choni in Analogie zum bibli‐ schen Orakeleinholer, der mit dem Kreis in Gottes Nähe vordringen kann. Dem entspricht die jüdische und judenchristliche Tradition, die das Treten des Habakuk in denרוצמ als Treten in einen Kreis versteht. Die jüdische Tradi‐ tion über Habakuk den Kreiszieher verläuft in 2 Linien: die erste scheint auszugehen von einer Sonderform des Propheten-Targums, die von Pseudo-Jonathan abweicht und einst unter dem Titel ‚Targum zum Gebet des Habakuk‘ (zu Hab 3,1) bekannt war. Sperber hat diese Fassung nach Ms Add. 26879 British Museum als ‚additional Targum‘ veröffentlicht 67 : „Das Gebet, welches der Prophet Habakuk betete, als ihm offenbart wurde über die lange Zeit, die den Sündern gewährt wird. Dieser Prophet Habakuk war es, der einen Kreis zog und in seine Mitte trat. Er hob an und sprach folgendermaßen: ‚lebendig und beständig ist dein Name. Ich gehe von diesem Kreis nicht fort, bis dass nicht Gesichte kommen über das für die Toten bereitete Gericht.‘ Da kam der Geist der Heiligkeit und sagte folgendermaßen zu ihm …“ Diese targumische Tradition kennt Raschi 68 ; sie ist ferner in Machsor Vitry 69 erhalten. Kennzeichen dieser Auslegung ist das Fehlen jeglicher Kritik am Ver‐ halten des Habakuk. Was er tut, ist Gebet 70 sprechen. Näherhin gehören zu seinem Gebet die Elemente: ‚Ziehen des Kreises‘ 71 , ‚Anrufung Gottes bei seinem Namen‘ 72 , ‚ich weiche nicht von hier, bis dass …‘, ‚Gottes Antwort durch die חור אשדוקד‘. 199 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 73 Jalkut Schimoni II § גסקת S. 965, Ausgabe Jerusalem, 1952: לע יתרמשמ הדהמעא הבציתאו לע רוצמ והמ רוצמ רצש ול הרוצ רמאו יניא זז ןאכמ דע יננעתש רמאנש הפצאו רמא בקה " ה לכ ימ רבשש ומודרק אבי ילצא ליחתה תווצ דע ה " יתעוש אלו עמשת וגו " המל ינארת ןוא למעו טיבת רמא ול בקה " ה יוה בר תא ורצוי שדח תא ישרח המדא ןב הרות התא אלו םע ץראה התא ךל בותכ לא " ף רחאוחולב ךכ רמאת ינעידוה תא ץקה ןכו אוה רמוא יננעיו ה " רמאיו בותכ ןוזח ראבו תוחולה Jalkut Machiri. Samm‐ lung halachischer und hagadischer Stellen aus Talmud und Midraschim zu den 150 Psalmen, von R. Machir ben Abba Mari, hrsg. von S. Buber, Berdyczwe 1899 (Nachdruck Jerusalem), S. 42 zu Ps. 7: אב קוקבח ךכ השע ול ] תרוצ הדגוע ץראב בשיו ול הכותב [ רמא יניא זז ןאכמ ] דע ןיעידומש יתוא רכש םיקידצה רכשו םיעשר רמאנש [ לע יתרמשמ הדומעא הבציתאו לע רוצמ והמ רוצמ רצש ול הרוצ הפצאו ] תוארל המ רבדי יב [ רמא בקה " ה ינא רוזחמ לע לכ ימ רבשש ומודרק אבי ילצא ליחתה חווצ הנא ה " יתעוש אלו עמשת והנע בקה " ה רמאו ול ןב הרות התא אלו םע ץראה … Midrasch Tehillim, hrsg von S. Buber, zu Ps 7, S. 70f., 17 (זי): אבשכו קוקבח רמא לע יתרמשמ הדומעא הבציתאו לע רוצמ והמ רוצמ רצשדמלמ הרוצ דמעו הכותב רמאו יניא זז ןכימ דע ינעידותש רבד הז רמא ול בקה " ה ינא ריזחמ ךל הבושת לכל ימ רכשש ומודק יליבשב ליחתה חווצ דע הנא ה " יתעוש אלו עמשת המל ינארת ןוא למעו טיבת רמא היל בקה " ה אל םע ץראה התא הלא התא ןב הרות ךל בותכ חולב לא " ף יב " ת רחאו ךכ רמאת ינעידוה ץקה ןכו אוה רמוא בותכ ןוזח ראבו לע תוחולה Desgleichen zu Ps 77, S. 342f.: והז רמאש בותכה לע יתרמשמ הדומעא הבציתאו לע רוצמ המ השע קוקבה איבנה רצ הרוצ דמעו הכותב רמא ינפל בקה " ה ונובר לש םלוע יניא זז ןאכמ דע ינעידותש המכ התא ןתונ ךרא םיפא םיעשרל םלועב הזה . 74 רצ ול הרוצ : Jalkut Schimoni (s. o. Anm. 721), Midr. Tehillim (s. o. Anm. 719); הרוצ הגוע ץראב שיו ול הכותב : Jalkut Machiri (s. o. Anm. 721). 75 Zur rabbinischen Kritik am Bedrängen Gottes vgl. S. Lieberman, Texts and Studies, 1977, 25. die zweite Traditionslinie begegnet in einigen späten Midraschim und Midrasch-Sammlungen; 73 hier stößt man auf eine deutliche Kritik am Verhalten Habakuks. Er wird rabbinischen Normen angepasst. Folgendes Schema kenn‐ zeichnet diese Tradition: ‚Kreisziehen‘ 74 ; ‚ich weiche nicht von hier, bis dass …‘; ‚1. Gottesantwort: tue Buße! ‘; ‚Habakuk fängt heftig an zu schreien (Hab 1,2)‘; ‚2. Gottesantwort: wehe dem, der mit seinem Schöpfer hadert ( Jes 45,9) 75 , du bist doch ןב הרות und gehörst nicht zum םע ץראה , deswegen ergeht an dich die Offenbarung im Medium des Schreibens (Hab 2,2)‘. Diese 2. Traditionslinie kritisiert das Verhalten des Habakuk also als un‐ fromm: Sein Gotteszwang widerspricht der Hoheit des Schöpfers. Habakuk will eine Offenbarung, die allenfalls dem ungebildeten und heidnischer Beeinflus‐ sung offenen םע ץראה entsprechen würde, während er als Prophet nach rabbi‐ nischem Verständnis durch eine Art Verbalinspiration beim Schreiben Offen‐ barung bekommen soll. Vergleicht man beide Stränge, so ist klar, dass die Midrasch-Tradition eine vorgefundene und einst übliche Deutung von Hab 2,1 kritisiert. Dies bestätigten die judenchristlichen Übersetzungen, die die positive Deutung des Kreisziehers 200 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 76 S. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars I. Opera Exegetica Bd. 6: Commentarii in Prophetas minores, 1970 (ChrSL; LXXVI/ A), 595. 77 Vgl. auch Field, Originis Hexaplorum, II, 1004. 78 Ebd. 79 A.a.O., 596; vgl. o. Anm. 698. 80 P.J. Baldensperger, The Immovable East …, London 1913, weist auf S. 95 darauf hin, dass es bis in die Gegenwart (des 19. Jahrhunderts) in Jerusalem Vergleichbares gab: die ekstatischen Visionen des Derwisch vollziehen sich auf den Hügeln Jerusalems von einem ‚observatory‘ aus. 81 Kl. Koch, Die Profeten II, 1980, 88. Habakuk in das 2./ 3. Jahrhundert zurückverfolgen lassen: Nach Hieronymus 76 gibt es folgende Übersetzungen von Hab 2,1: „Symmachus … et stabo velut inclusus … Pro munitione et petra, in cuius locum Symmachus interpretatus est conclusum, in Hebraeo masur, quod Theodotio gyrum, Aquila et Quinta editio circinum transtulerunt." 77 Hieronymus kombiniert in seiner Auslegung die verschiedenen Übersetzungen und sagt zum Kreis: „Et hoc gyro et circino quasi muro sepiar, ne ad me leo rugiens possit irrumpere …“ 78 Hieronymus kennt also die Schutzfunktion des Kreises, der beim Offenbarungsempfang vor den Anschlägen eines ‚reißenden Löwen‘ = des Teufels, religionsgeschichtlich gesprochen: in der Ekstase vor bedrohlichen Halluzinationen bewahrt. 79 Die jüdische und judenchristliche Tradition kennt also den Kreiszieher Habakuk, der zum Empfang seiner Offenbarung sich eines Kreises bedient. Religionsgeschichtlich gesehen, gehört Habakuk in die Kultprophetie Israels und des Alten Orients, die mit bestimmten Orakel- und Offenbarungstechniken umzugehen weiß. 80 „Habakuk ist einer der wenigen Schriftpropheten, den die Buchüberschrift als Nabi einführt. Der Titel weist wahrscheinlich auf einen institutionellen Kultpropheten … Dazu passen ins Buch eingestreute Bemerkungen wie die, dass Habakuk auf eine Warte (im Tempel? ) sich stellt, um nach einem Gesicht auszuspähen, und ihm dort Jahwä antwortet 2,1f., oder dass bei ekstatischem Wortempfang sein ganzer Leib bebt 3,16, ganz zu schweigen vom liturgischen Rahmen, den auch schon der sozialkritische Grundbestand 1,2-11 aufweist.“ 81 Vor diesem Hintergrund kann man feststellen, dass der talmudische Kom‐ mentar des mischnischen Berichtes über Choni ihn in Fortsetzung älterer Kult‐ prophetie sieht: Der Kreis ist Ort der technisch herbeigeführten, ekstatischen Gottesbegegnung. Freilich ist Choni kein Kultprophet mehr; er hat keine Warte mehr im Tempel und ist dem Tempelbetrieb nicht amtlich eingegliedert. Sein Kreis ist ein ihm unabhängig vom Tempel zur Verfügung stehendes Symbol der Realisierung einer Begegnung mit der Heiligkeit Gottes. Und doch bestehen sachliche Rückbindungen an die vorexilischen Kultprophetie: Er greift in das 201 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 82 Vgl. Anh. 1 zu Rez. A, S. 139 und Anh. 2 zu Rez A, S. 156. Gebiet des Kultus ein, es geht ja um die Ernährung der Welt; er verwendet den geheimen Gottesnamen und beansprucht eine Vollmacht über das - zumindest in kultischem Kontext stehende - ‚Haus‘ Gottes. Diese Rückbindung in der frühen Tradition an Habakuks Kreis macht deut‐ lich, dass dies der ursprünglich zum Tempel gehörende Ort ist, an dem der Charismatiker Gott gegenübertreten kann. Diese charismatische Konzeption knüpft nicht mehr an die Linie der katabatischen Einwohnung oder Erschei‐ nungsgegenwart Gottes im Tempel an, sondern betont die geradezu technisch herbeigeführte, anabatische Linie eines Eingangs in den himmlisch-irdischen Taburaum der Heiligkeit Gottes. Dieser durch den Kreis markierte Übergang setzt voraus, dass Choni ekstatisch begabt war. Freilich ist ein solcher Zug in der mischnischen und talmudischen Tradition über ihn nicht betont. Wir werden jedoch sehen, dass die von Choni beanspruchte Sohnes-Würde an eine kult-ekstatische Urschicht anknüpft. 3. Mose als Kreiszieher Auch Mose ist in der rabbinischen Tradition als Kreiszieher bekannt. Bezeich‐ nenderweise hängt diese Tradition mit Nu 12 zusammen, einem Text, der wie die Habakuk-Tradition im ekstatischen Kultprophetentum verwurzelt ist. Nach Nu 12,11f. bittet Aaron den Mose, für seine Schwester Mirjam Fürbitte vor Gott einzulegen. ARN A § 9 (Schechter 41) 82 התואב העש גצ השמ הגוע הנסק דמעו הכותב שקיבו םימחר הילע רמאו יניא זז ינאכמ דע אפרתש םירמ יתוחא רמאנש לא אנ אפר הנ הל התואב העש א " ל בקה " ה השמל ולא ךלמ ףזנ הכ ולא היבא ףזנ הב היה הל םלכתש תעבש םימי ינא ינאש ךלמ יכלמ םיכלמה לע תחא המכ המכו אל ןיד אוה םלכתש העברא רשע םוי אלא ךנעמל לוחמ הל רמאנש רמאיו ה " לא השמ הבו קרי הינפב וגו " שיאהו השמ ונע דואמ לוכי היהש ונע אלו והאנ חבושמ ת " ל שורפיו תא להאה לע ןכשה המ ןכשמ רשע תומא ףא השמ רשע תומא לוכי היהש ונע יכאלמכ תרשה ת " ל לכמ םדאה םדאאמ ורמא אלו יכאלממ תרשה לוכי היהש ונע תורודכ םינושארה ת " ל לע ינפ הסדאה ורודמ ורמא אלו תורודמ םינושארה „Zu der Stunde zog Mose einen kleinen Kreis und stellte sich hinein und erbat Erbarmen für sie; und er sagte: ‚Ich weiche nicht von hier, bis sie geheilt ist, Mirjam, meine Schwester‘, wie geschrieben steht: ‚Gott, heile sie doch! ‘ (Nu 12,13) Zu der Stunde sprach der H. g. s. E. zu Mose: ‚Wenn ein König sie zurechtgewiesen hätte, wenn ihr Vater sie zurechtgewiesen hätte, wäre sie da nicht für 7 Tage beschämt worden? Ich, der ich König von Königen der Könige 202 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 83 Vgl. D. J. Bornstein, Art. ‚Nittai of Arbela‘, in: EJ 12, Jerusalem 1971, 1187. 84 Vgl. V. Fritz, Tempel und Zelt, 1977, 100-109. bin, um wieviel mehr wäre es nicht recht, dass sie beschämt würde 14 Tage? Aber um deinetwillen wird ihr vergeben‘, wie geschrieben steht: ‚Und es sprach Gott zu Mose: Wenn ihr Vater ihr ins Gesicht gespuckt hätte …‘ (Nu 12, 14) ‚Und der Mann Mose war sehr sanftmütig‘ (Nu 12,3); kann es sein, dass er zwar sanftmütig war aber nicht schön und hochbewundert? Sondern der Vers sagt: ‚Und er spannte das Zeltdach über die Wohnung.‘ Wie die Wohnung 10 Ellen - so auch Moses Statur 10 Ellen. Kann es sein, dass er so sanftmütig war wie die Dienstengel? Der Vers sagt: ‚Mehr als alle Menschen‘ - ‚alle Menschen‘ heißt es, nicht ‚alle Dienstengel‘. Kann es sein, dass er sanftmütig war wie die früheren Generationen? Der Vers sagt: ‚auf der Erde‘ - von seinem Geschlecht spricht der Vers, nicht von den früheren Generationen (sc. der Urzeit).“ Der Text geht aus vom Spruch des Nittai aus Arbela 83 nach MAb 1, 7: „‚Halte dich fern von einem bösen Nachbarn …‘ Ein böser Nachbar - das kann der sein, der verleumderisch spricht. Wer aber verleumderisch spricht, auf den kommen Plagen.“ Dafür ist Mirjam das biblische Beispiel. Unter diesem Blickwinkel wird der Midrasch von der Fürsprache des Mose angeführt. Die Interzession des Mose wird in zweifacher Weise umschrieben: Mose tritt mittels des Kreises vor Gott; ferner ist seine Interzession Ausdruck seiner alles Menschliche überragenden Sanftmut (Nur 12,3). Diese Sanftmut schließt nun keineswegs die Größe des Mose aus, die man sonst mit seiner interzessorischen Kraft in Verbindung bringt, nämlich seine Macht, das Zelt einzurichten. Mose war freilich so groß wie das ganze Zelt, jedoch bedeutet dies nicht, dass Mose größer war als die Dienstengel. Man merkt dem Midrasch an, dass er zu dem redaktionellen Vorspann und seiner individualisierenden, ethisierenden Tendenz nicht ganz passt. Denn die Kraft zur Interzession wird im Bibeltext und auch in dem Motiv des Kreisziehens nicht im persönlichen, ethischen Verhalten des Mose festgemacht, sondern in seinem überprophetischen Mittlungsamt. Nu 12 gehört von seinem Ursprung her in den Traditionsbereich eines ekstati‐ schen Prophetentums und eines ihm entsprechenden Mosebildes. Die Stiftshütte ist der kultprophetische Ort des ekstatischen Offenbarungsempfanges. 84 Von diesen Zusammenhängen ging der Midrasch aus, der in dieser ARN-Form noch durchschaut: Wenn Mose mit dem ganzen Haus betraut ist, Gott mit ihm von Mund zu Mund spricht und er ihn schauen darf, so kommt er als Urekstatiker in eine nahezu urmenschlich-übermenschliche Position: er ist so groß wie das Zelt. Sifre Zutra, Horovitz 276,1-3, lautet: 203 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 85 Vgl. S Nu § 103. zur kosmischen Größe des über das Haus Betrauten vgl. 3Hen 9,2 (Odeberg = § 12 Ed. Schäfer). Zum ganzen vgl. P. Schäfer, Rivalität zwischen Engeln und Menschen, 1975, 210f. 86 Vgl. ferner Ex r 21,8: Mose ist רבזג ‚Befehlshaber‘ über das Meer, da er mit dem ganzen Haus (= Kosmos) betraut ist; ähnlich Mekilta, Beschallah 3 (Horovitz/ Rabin 99,6-8); Ex r 37,2: Mose ist ובהוא לש ךלמ Freund des Königs, sein סימוק = comes = ständiger Berater und sein אסופר = Oberrichter, denn: Nu 12,7; Nu r 4,1: Mose ist ןב תיב im kosmischen Haus, par. Midr.Teh. 2,13, Tan Bamidbar 19, Tan Bu, Bamidbar 10; HL r VIII 11,2: Mose ist nach Nu 12,7 für die Verteilung der Tora unter der ganzen Menschheit zuständig; Midr Teh 90,5 (zu 90,1): Mose ist insofern םיהלא als er ןילופורטימ ist und damit im himm‐ lischen Hofstaat eine besondere Stellung hat, Begründung Nu 12,7, par. Jalk.Schim. II § 841. 87 Vgl. Patai, Man and Temple, a. a. O., 113-116. Nach bHag 12a reichte Adam, der Urmensch von der Erde bis zum Himmel, von einem Ende der Erde bis zum anderen. 88 K. Goldammer, Elemente des Schamanismus im Alten Testament, FS G. Widengreen, II, 1972, 267-285, hier 271 f.; vgl. M. Eliade, Schamanismus, 249-255. 89 Vgl. A. Hultkrantz, Spirit Lodge … in: Studies in Shamanism, hrsg. v. C.M. Edsmann, 1967, 32-68, hier: 37 „… practising in a cylindrical tent …“ אל ןכ יתגהנ םע ידבע השמ אלא לכב יתיב ןמאנ אוה לכ המ הלעמבש ו הטמבש וליתילג לכ המ םיבש לכו המ הברחבש ר " א לכב יתיב ןמאנ אוה לע יכאלמ תרשה לעו תיב שדקמה „Nicht so verfahre ich mit meinem Knecht Mose, sondern mit meinem ganzen Haus ist er betraut; alles, was oben ist, und alles, was unten ist, habe ich ihm offenbart, alles, was im Meer ist, und alles, was in der Wüste ist. Andere Auslegung zu: ‚mit meinem ganzen Haus ist er betraut‘ - sogar über die Dienstengel und über den Tempel ist er betraut.“ 85 Das Fragmententargum z.St. liest: תיל רב שנ ידבע השמ לכב ןוטיטמוק … ידיד ןמה אוה „Nicht wie ein Mensch ist mein Knecht Mose: über meinen ganzen Hofstaat ist er gesetzt.“ 86 Im Hintergrund steht vermutlich die Symbolgleichung Tempel = Kosmos = (Ur)mensch. 87 Weitergehende, religionsgeschichtliche Rückbindungen an den Schamanismus und seine Symbolik sind erwogen worden: 88 die Tempeljurte als Urbild der Stiftshütte hätte dieser von Haus aus die kosmische Symbolik mitgegeben und den Herren der Hütte, den Schamanen Mose, mit ekstatischer Vollmacht versehen, die ihn zu einer heilsamen Rückbindung des Menschen an den Himmel befähigt. Der Kreis des Mose könnte zu diesem Hintergrund ge‐ hören: Bildet er die Urstruktur der Hütte, 89 das Grundmodell des Tabu-Raumes, in dem unmittelbarer ekstatischer Zugang zur Gottheit hergestellt werden kann? Der Rückgriff auf das Urmodell schamanischer Interzession bedeutet aber auch eine charismatische Intensivierung: Unabhängig von der Hütte kann Mose in seiner charismatischen Vollmacht zu Gott vordringen. 204 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 90 Vgl. Jes 55,11; Jer 23,29; SapSal 18,14-16; neutestamentlich Hebr 4,12f. 91 Achseriel; daneben kennt die Tradition Michael als den Vermittler des Großen Gottes‐ namens an Mose: der Name ist insbesondere Schutz für den aufsteigenden Mose, der in das himmlische Jerusalem gelangen will, vgl. H.W. Attridge, The Ascension of Moses and the heavenly Jerusalem, in: G.W.E. Nickelsburg (Hrsg.), Studies on the Testament of Moses, 1973, 123. Die rabbinische Tradition hat offenbar ein Gespür für das religionsgeschicht‐ liche Milieu, aus dem der nach Nu 12 gezeichnete Mose verstanden sein will: Seine Vollmacht zur Interzession ist kultekstatisch zu verstehen und auf das Symbol des Kreises zentrierbar. Auch der Midrasch vom Ableben des Mose kennt in der Fassung Dtn r 11,10 den Interzessionskreis des Mose: Als Mose sah, dass über ihn das Dekret zum Nichtbetreten des Landes verhängt war, „da legte er sich ein Fasten auf, zog einen kleinen Kreis und stellte sich hinein und sprach: von hier gehe ich nicht weg, bis dass aufgehoben sein wird jenes Dekret.“ Der zwingende Charakter des Mosegebetes ist in dieser Tradition stark be‐ tont. Gott muss die Gelegenheit abpassen, bei der Mose nicht im Gebet steht. Die Möglichkeit, ein himmlisches Dekret gegen ihn zu erwirken, ist nur dann gegeben, wenn sich nicht der betende Mose in die himmlische Versammlung einmischt. Grundsätzlich haben die Himmlischen und Mose die gleichen ‚Mittel‘, ihren Willen durchzusetzen, vor allem den םש שרופמה . Die Verwendung des ge‐ heimen Gottesnamens qualifiziert das Gebet des Mose in einer Art, die sonst nur dem Wort Gottes zukommt: Es ist wie ein Schwert, das zerreißt und zerstückelt und nicht aufhört, bis es sich durchgesetzt hat. 90 Die Himmelswelt muss gera‐ dezu vor dem Gebetswort des Mose verschlossen werden. Mose kennt den ge‐ heimen Gottesnamen durch Engelvermittlung 91 und ist so Teilhaber an himm‐ lisch-kosmischer Macht. Die Stimme des ‚Mannes‘ Mose verursacht ein himmlisch-kosmisches Getöse. Wir stoßen also auf einen durch kult-apokalyptische Motive gerahmten Zusammenhang. Das irdisch-himmlische Haus ist der Rahmen, aus dem das Wirken des ‚großen Mannes‘ Mose zustande kommt. Die kosmische Ordnung ist kultisch gehalten, kann aber durch ‚praktische‘ Verwendung des Kultgeheim‐ nisses (Gottesname) durcheinandergebracht werden. Deshalb ist der Kreis nicht nur Bestärkung der Selbstbindung, sondern Zutrittsort zur Gemeinschaft mit der himmlischen Versammlung. Wir fassen zusammen: Neben Choni kennt die jüdische Tradition Habakuk und Mose als Kreiszieher. Habakuk und Mose (nach Nu 12) werden gedeutet als ekstatische Kultpropheten. Der Kreis wird ihnen in Kenntnis dieses traditions- und religionsgeschichtlichen Hintergrundes zugewiesen. Er ist der dem Charismatiker verfügbare ‚transzen‐ 205 I) Die Beschwörung Gottes im Kreis 92 A. Büchler, Types of Palestinian-Jewish Piety, a. a. O., 203f. 93 A.a.O., 107. 94 A.a.O., 106f. 95 G. Vermes, Jesus the Jew, 1973, 65. 96 A.a.O., 69. dente‘ Raum, in dem er eine interzessorische Gottesbegegnung erwirkt. Wie im ‚offiziellen‘ Kult der Tempel Ort der Anwesenheit Gottes ist, so ist der Kreis das Symbol des vom Profanen ausgegrenzten Raumes heiliger Gottesnähe. Diese charismatische Konzeption knüpft dabei nicht eigentlich an die Linie katabatischer Einwohnung oder Erscheinung Gottes an, sondern vielmehr an die Möglichkeit zur Interzession qua ekstatischem Aufstieg in die himmlische Dimension der Schöpfung. Der Kreis ist nicht nur Schutzraum, sondern heiliger Raum, der eine direkte Gottesbegegnung ermöglicht. Diese charismatische Intensivierung bedarf eines eigenen Fundamentes, einer eigenen Vollmacht, um nicht in heidnische Magie abzusinken. In der Choni-Tradition wird das Fundament in seiner Sohnes-Stel‐ lung gesehen, die ihm von Gott, dem Schöpfer Himmels und der Erde, gewährt wird. Weil er Sohn ist, darf Choni sich derart in die Nähe Gottes vordrängen. Der näheren Bestimmung des Hintergrundes dieser Sohn-Tradition wenden wir uns im nächsten Abschnitt zu. II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre Büchler sah in Choni einen typischen Chasid, der von seiner Gebetsfrömmigkeit her verstanden sein wolle. Der Haussohn sei wie ein Leibdiener, der des Herrn ganzes Vertrauen besitzt. Er kann ohne Zurückhaltung und Angst vor seinen Herrn treten und seine Bitte anbringen. 92 Der Vergleich Chonis mit einem Haussohn liegt für Büchler damit auf der Ebene des chasidischen Vertrauens in den himmlischen Vater. Gott ist für den pharisäisch-protorabbinischen 93 Chasid der himmlische Vater, an den sich der Sohn ohne Furcht und Zittern, sondern in Vertrauen und Anhänglichkeit wenden darf. 94 Vermes spricht von Choni als einem Vertreter des charismatischen Judentums. Er nimmt den Ansatz von Büchler insofern auf, als er mit ihm hierin eine Linie sieht, die unterschieden sei vom Essenismus und seiner Heilmagie, „… since, in addition to the practice of the angelo-mystical medicine, contemporary Jewish thought reserved a place in the fight against evil for the spontaneous and unscripted activity of the holy man.“ 95 Während man sich dort im Umgang mit höheren Mächten einer magischen Technik bediene, stehe der Chasid in einem „immediate contact with God.“ 96 206 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 97 A.a.O., 74. Grundlegend ist MBer 5,1: „Die früheren Chasidim pflegten eine Stunde zu verweilen und dann zu beten, um zuvor ihr Herz zu ihrem Vater im Himmel zu richten.“ Dieses Vater-Verständnis kennt auch der neuzeitliche jüdische Chassidismus, vgl. Mimekor Jisrael, Nr. 237 (S. 280b ff.); Übersetzung im Born Judas, 1. T., Nr. 324 (S. 750-753): der einfältig Glaubende spricht „mit dem Allmächtigen wie ein Sohn mit seinem Vater.“ 98 A.a.O., 79. 99 A.a.O., 69. 100 A.a.O., 70 u.ö. 101 D. Flusser, Jesus, 1968, 89 102 Ebd. 103 A.a.O., 92. 104 A.a.O., 91. Diese Unmittelbarkeit wurzele in der typisch chasidischen Gebetsfrömmigkeit, in der der Chasid alles auf Gott werfe, von ihm alles erwarte und so eine intime Sohnesgemeinschaft mit Gott finde. 97 Die chasidische Gebetsintimität, nicht eine Vollmacht, trage diese charismatische Sohneslehre. Der Chasid stehe im Grunde außerhalb des Pharisäismus (hier trennt sich Vermes von Büchler), weil er nicht auf die Fragen der Legalität achte, sondern sich auf das eine Motiv der ungeteilten Hingabe konzentriere. Darin und in der Unabhängigkeit von der Institution ähnelt nach Vermes der chasidische Sohn den biblischen Propheten, vor allem Elia. 98 „The representation of Jesus in the Gospels as a man whose supernatural abilities derived, not from secret powers, but from immediate contact with God, proves him to be a genuine charismatic, the true heir of an age-old prophetic religious line.“ 99 Der so verstandene, weder dem Pharisäismus-Protorabbinismus noch dem Essenismus zugehörige, Chasidismus macht ein wenig den Eindruck, als sei hier die andernorts Jesus allein vorbehaltene Propheten-Anschluss-Theorie auf eine ganze Gruppe ausgedehnt worden. Entscheidend ist, dass Vermes die in diesem Umfeld begegnende Sohn-Lehre im Sinne der chasidischen Gebetsintimität, der Gottunmittelbarkeit des Chasid bestimmt. 100 Flusser setzte zur Bestimmung der (Haus-)Sohn-Lehre nicht beim chasidi‐ schen Gebet ein, sondern bei der Wundervollmacht: „Ein Wundertäter ist Gott näher als andere Menschen.“ 101 „Der gottnahe Wundertäter ist wie ein Hausgenosse Gottes, wie sein Sohn.“ 102 Darüber hinaus verbindet Flusser das charismatische Sohn-Verständnis ausdrücklich mit dem „Bewusstsein des cha‐ rismatischen Apokalyptikers, der zu den Mysterien Gottes Zugang hat …“ 103 ; er zeigt ferner auf die charakteristischen Kennzeichen der Verborgenheit und der Armut. 104 Ähnlich verweist Hengel auf „charismatische Wundertäter“ und auf „zu Gott entrückte Mystiker“, die „von Gott als ‚Sohn‘ bezeichnet oder 207 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 105 M. Hengel, Der Sohn Gottes, 1975, 68. 106 A.a.O., 69, Anm. 85. 107 So F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, 1963, 282. Ist eine eigentliche, unbildliche Redeweise in der Christologie wirklich möglich? 108 Zur priesterlichen Gebetsrede gehört auch ein „πάτερ“, vgl. 3Makk 6,3.8. als ‚mein Sohn‘ angeredet“ werden. 105 Zusammenfassend spricht Hengel auch von „charismatisch-mystischen Kreisen des palästinischen Judentums …“ 106 , in denen die Sohn-Lehre eine Rolle gespielt habe. Dieser kurze Überblick zeigt, dass die traditionsgeschichtliche Einordnung der Bezeichnung des Choni, er sei wie ein ‚Haussohn‘ (M Taan 3,8) bzw. wie ein ‚Sohn im Gegenüber zu seinem Vater‘ (b Taan 23a), Schwierigkeiten bereitet. Geht es um vorrabbinischen und voressenischen Chasidismus, um die allgemeinere religionsgeschichtliche Kategorie des ‚heiligen Mannes‘? Bestehen Verbindungen zur klassischen Prophetie, reichen Ausdrücke wie ‚charismatisch‘ oder ‚charismatisch-mystisch‘? Setzt man bei der Beziehung der frühen Chasidim zu ihrem ‚himmlischen Vater‘ ein, so tritt das Motiv einer intensivierten religiösen Devotion in den Vordergrund. Doch führt dieses Motiv kaum zur Erfassung der Vollmacht, aus der heraus Choni sein impertinentes Verhalten Gott gegenüber begründet. Sein Verhalten erinnert, das macht bTaan 23a deutlich, an die ältere Kultprophetie. Auch das Thema ‚Regenbeschaffung‘, die Verwendung des großen Gottesna‐ mens und das Herstellen eines heiligen Raumes durch Kreisziehen wiesen in die Richtung einer charismatischen Überbietung des Kultanspruchs. Da Choni Sohn des Hauses ist und 'Haus' im inhaltlichen Kontext an das Tempel-Haus Gottes erinnert, entsteht die Vermutung, dass auch der Sohnes-Begriff zur charismatischen Kultrezeption gehört. Eine alttestamentliche Basis für die Bezeichnung des Priesters als ‚Sohn‘ im (Kult-)Haus des Vaters klingt in Mal 1,6 an. Natürlich liegt mit dem Satz „Ein Sohn ehrt seinen Vater und ein Knecht fürchtet seinen Herrn“ bildliche Rede vor; 107 doch ist entscheidend, dass dieses Bild vom Sohn, der seinen Vater ehrt, auf das Verhältnis des Priesters zu Gott angewendet wird. 108 Dieses Bild steht auf einer Stufe mit der den Priesterdienst idealisierenden Sprache von Mal 2,5. Betont werden muss, dass die Relationsgrößen Vater-Sohn und Herr-Knecht nicht in sich selbst ruhen, sondern bezogen sind auf die Rahmengröße des Hauses. Im Hintergrund von Mal 1,6 steht das Wissen, dass der Priester zum Haus Gottes Zugang hat und dadurch Sohn und Knecht ist. Die chasidische Beziehung zum ‚Vater im Himmel‘ (MBer 5,1) wird von MAb 1 her verständlich: Hier sprechen ja priesterlich geprägte Chasidim des frühen 208 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 109 Vgl. dazu oben S. 44. 110 Vgl. oben S. 145. 149. 171. 111 Vgl. grundlegend G. Vermes, Hanina ben Dosa, in: JJSt, 23 (1972), 28-50; 24 (1973), 51-64. 112 In der Form von bBer 17b trägt der Ausspruch diesen Zusatz. Der Gottesberg ist der Verbindungsort von Himmel und Erde. 113 bTaan 24b Ende; par. b Ber 17b, b Hul 86a, vgl. G. Vermes, JJSt, 24 (1973), 53. 114 Vgl. G. Vermes, JJSt 23 (1972), 39f. 115 Vgl. G. Vermes, ebd. 116 Vgl. R. Patai, The ‚control of Rain‘ in Ancient Palestine, in: HUCA, 14 (1939), 251-286 und ders., Man and Temple, 1967 2 , 24-53. Pharisäismus; sie stehen in der Tradition der Kultspirituellen. 109 Das priesterliche und kultspirituelle Erbe dieser Chasidim ermöglicht ihnen, ihre Devotion zu sehen als das neue, priesterliche Treten des Sohnes vor den himmlischen Vater. Auch die apokalyptische Rezeption der Priestertradition, vor allem von Mal 2, führte zu dem Anspruch, dass der ideale Hohepriester vor Gott tritt als Sohn. Das gilt ebenso vom nach seinem Bild gezeichneten priesterlichen Erlöser der Endzeit. Hintergrund ist auch hier, so haben wir gesehen, 110 die Zugangsberech‐ tigung zum Haus des Vaters in seiner himmlisch-irdischen Bedeutung. Ebenso geht es in der charismatischen Rezeption um das direkte Treten in das Haus des Vaters, wobei im Zentrum das Element der wunderwirkenden Interzession steht. Es scheint verbunden zu sein mit Anklängen an urtümliche Ekstase-Übungen. Dazu weitere Beispiele: 1. Chanina ben Dosa (Mitte 1. Jhdt. n. Chr.) 111 „R. Jehuda sagte, Rab habe gesagt: Jeden Tag geht eine Himmelsstimme vom Horeb 112 aus und verkündet: ‚Die ganze Welt wird ausschließlich erhalten um meines Sohnes Hanina willen‘.“ 113 Nach bTaan 24b par bJoma 53b lässt Gott aufgrund seines Bittens Regen aufhören und Regen beginnen. 114 Chanina hat Gebetsmacht, mit der allenfalls die des Hohenpriesters am Versöhnungstag verglichen werden kann. 115 Die Sohn-Beziehung des Chanina zu Gott steht also in einem kultischen Kontext: Ernährung der Welt und Regulierung des Regens sind von Haus aus Aufgabe des Kultus 116 und liegen nun in den Händen des ‚Sohnes‘, der mit seinem Gebet näher zu Gott vordringen kann als der Hohepriester am großen Versöhnungstag. Sein Beten besteht dabei nicht einfach in der Äußerung demütiger Frömmig‐ keit, die alles von Gott erwartet, sondern er hat seine eigene, dem liturgischen Vollzug des Hohenpriesters entsprechende, rituelle ‚Manipulation‘. Chanina spürt den Erfolg seines Gebetes, während er noch spricht: entweder wird sein Gebet 209 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 117 Vgl. G. Vermes, JJSt 23 (1972) 29 f., der die redaktionelle Einbindung von der älteren Überlieferung trennt. 118 Vgl. bKidd 23b und Z.W. Falk, Hebrew Laws, 1964, 106 5 . 119 Zauberwesen, a. a. O., 149. 120 JJSt 23 (1972) 30. 121 Vgl. die Legenden um Simon der Gerechte oben S. 97ff.; um den Hohenpriester Rabbi Jischmael unten S. 215ff. 122 Vgl. V. Haas/ H.J. Thiel, Die Beschwörungsrituale der Allaiturah und verwandte Texte. Hurritologische Studien II, 1978, 8; K. Goldammer, Elemente des Schamanismus im AT, 271f. von helfenden Geistern aus seinem Munde vor Gott getragen oder aber es stellt sich diese zu einem wirksamen Gebet gehörende himmlische Hilfe nicht ein. Die älteste Überlieferung findet sich MBer 5,5: „Wer betet und sich irrt, für den ist es ein böses Zeichen; geschieht es dem Vorbeter, so ist es ein böses Zeichen für seine Entsender, denn der Gesandte eines Menschen ist wie dieser selbst. Sie erzählten von Rabbi Chanina ben Dosa, dass er für die Kranken zu beten und dann zu sagen pflegte: ‚Dieser wird leben, dieser wird sterben‘. Man fragte ihn: ‚Woher weißt du das‘? Sagte er zu ihnen: ‚Wenn mein Gebet im Mund geläufig ist, dann weiß ich, dass es angenommen wurde, wenn nicht, so weiß ich, dass es als schadhaft angesehen wurde.‘“ 117 Der kultrechtliche Zusammenhang ist deutlich: Wie der Vorbeter Vertreter der Gemeinde vor Gott ist - damit tritt er in der Synagoge an die Stelle des Priesters, der ebenfalls ש ל י ח Israels war 118 -, so ist der Heilbeter Vertreter des Kranken vor Gott. Doch scheint die Verbindung über die kultische Vertretungslehre nur einen äußeren Zusammenhang zwischen kultischem und außerkultischem Gebet her‐ zustellen, da Chanina nicht auf mögliche Versprecher abhebt. Vielmehr hängt seine Gebetslehre mit dem Erfahrungsbereich des ‚Seelengeleiters‘ zusammen, der merkt, ob seine Einmischung in den Bereich zwischen der Seele des Kranken und der himmlischen Welt angenommen wird. Blau 119 spricht von einer magischen Kraft im Gebet des Chanina. Vermes deutet die Gebetspraxis des Chanina als eine Improvisation, die auf eine Inspiration abhebe. 120 Beide Deutungen schließen sich nicht aus: Das Gebet des Chanina dringt in einen Bereich vor, in dem die Erfah‐ rung des Angenommen- oder Abgewiesenwerdens in dieser Weise erst möglich sind. Auch der Hohepriester weiß um die Ambivalenz der Gottesbegegnung, die ihn schädigen kann bis zum Tod, aber auch zur Segnung der Gottheit und zu den Offenbarungszeichen der erwirkten Sündenvergebung führen kann. 121 Wenn die Gemara bBer 34b Chanina betonen lässt, dass er nicht Prophet und nicht Prophe‐ tensohn ist, so liegt hierin das Wissen um seine charismatische Kraft, die nicht einfach mit der Position des Vorbeters oder des priesterlichen Interzessors ver‐ glichen werden kann. Dieses Wissen könnte sogar zurückweisen in uralte Zu‐ sammenhänge der kultischen Beschwörung und des Schamanismus 122 . 210 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 123 bPes 112b. 124 Vgl. allgemein religionsgeschichtlich: Thompson, Semitc Magic, a. a. O., XII, XVIIIf. XXI; Mowinckel, Religion und Kultus, 36. Pes r 5 (Friedm. 21b): ד ב ר א ח ר ו י ה י ב י ו ם כ ל ו ו ת מ ש ה א " ר י ה ו ד ה ב ן ש ל ו ם ב ש ם ר ב י ל ו י א י ן ר ו ב ע ב א ר ץ ש א י ן ב ו ת ש ע ה ק ב י ן מ ז י ק י ן א מ ר ר ב י י ו ח נ ן כ ש ה ו ק ם ה מ ש כ ן כ ל ו ה מ ז י ק י ן מ ן ה ע ו ל ם ד כ ת י ב ל א ת א ו נ ה א ל י ך ר ע ה ו נ ג ע ל א י ק ר ב ב א ה ל ך כ ש ה ו ק ם ה מ ש כ ן א מ ר ר י ש ל ק י ש מ ה ל י ו ל ס פ ר ת ה ל י ם ד ב ר ת ו ר ה ה ו א י ב ר כ ך ה " ו י ש מ ר ך מ ן ה מ ז י ק י ם א י מ ת י ו י ה י ב י ו ם כ ל ו ת מ ש ה ר " א ו י ה י ב י ו ם ה ק י ם מ ש ה א י ן כ ת ב כ א ן א ל א ב י ו ם כ ל ו ת י ו ם ש כ ל ו ה מ ז י ק י ם מ ן ה ע ו ל ם „Eine andere Auslegung zu: ‚und es war am Tag als Mose vollendete‘ (Nu 7,1). Sagte R. Jehuda Ben Schalom im Namen von R. Lewi: es gibt keinen Raum auf Erden, in dem nicht 9 Kab Dämonen sich aufhalten. Sagt R. Jochanan: als die Zelt‐ wohnung aufgerichtet wurde, verschwanden die Dämonen von der Erde, wie ge‐ schrieben steht: ‚Es wird kein Unheil dir begegnen, keine Plage zu diesem Zelt sich nahen‘ (Ps 91,10) - nämlich als das Zelt aufgerichtet wurde. Sagte Resch Lakisch: warum brauche ich das in den Psalmen lesen, wenn es ein Wort der Tora ist: ‚es segne dich Adonai und behüte dich‘ (Nu 6,24) - vor den Dämonen, nämlich; ‚und es war am Tag als Mose vollendete.‘ Eine andere Auslegung: ‚Und es war am Tag, als Mose aufrichtete‘, so heißt es nicht, sondern: ‚am Tag des Beendens‘, das ist der Tag, als die Dämonen von der Welt weg ein Ende nahmen.“ Vgl. Par. Tan Bu נ ש א fol. 20af. (S. 39f.) und Billerbeck IV/ 1, 526 f.; Ginzberg, Legends III 216; VI 78f.: „an un‐ known Midrash cited in Imre noam on Exod. 38,32 reads: Satan seized the high priest by the throat to prevent him from performing the service in the holy of holies“; V. 38. Nach bJoma 20a hat der Satan am Versöhnungstag kein Recht, Israel anzu‐ klagen. Nach Tg HL 4, 6 flohen alle Schadensgeister vor dem Duft des Räucher‐ werks, vgl. Bill IV/ 1,520. Auch das Sabbatlicht schützt vor Dämonen, vgl. Ehrlich, Kultsymbolik, 80 f. Vom Grundgedanken, dass der Kultus machtvoll gegen die bösen Geister vorgeht, stammt auch der weite Überlieferungszusammenhang, nach dem Salomo, der Tempelbauer, Herr über die Dämonen war. 125 Vgl. R. Meyer, Das Gebet des Nabonid, 1962 24; B. Janowski, Sündenvergebung um Hiobs willen, in: ZNW, 73 (1982), 251- 280, hier: 271f. Chanina kann sich in den Bereich der Geister und Dämonen einmischen. Er kann die Dämonen binden 123 , was ja zur klassischen Aufgabe des Kultes 124 gehörte. Er hat deshalb Vollmacht über die Herrin der Dämonen, weil er im Himmel hoch angesehen ist, sich in Prozesse einmischen kann, die eigentlich zur himmlischen Seite der Schöpfungsordnung gehören. Nach bPes 112b ist Chanina ben Dosa in dreifacher Weise mit Vorgängen der himmlischen Welt befasst: Seine Tora hat eine derart geheime Kraft in sich, dass die Himmli‐ schen sich vor ihm hüten müssen. In Entsprechung dazu ist er unter den Himmlischen ח ש י ב נ א ‚geachtet‘. Am Ende wirkt er unter dem Ausdruck ג ז ר ‚dekretieren (mit einer Wirksamkeit bis in den himmlischen Bereich hinein)‘. Nach Dan 2,27; 5,11 und 4QOrNabZ. 4 gehört dieses ג ז ר ‚dekretieren‘ in den Zusammenhang kultprophetischen Beschwörens. 125 211 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 126 Dass es sich um einen gegliederten Vorgang mit liturgisch-ekstatischem Ablauf handelt, zeigt MBer 5,5 durch die Parallelisierung mit dem offiziellen Gottesdienst. Auch die Zwischenbescheide ‚Heil! ‘ und die Mitteilung vom Erfolg seiner Interzession nach bBK 50a weisen in diese Zusammenhänge. Das Einklemmen des Kopfes zwischen die Knie ist nicht nur Zeichen der Konzentration, sondern weist auf eine sexuelle Komponente magischer Intensivierung der Gebetsworte, vgl. Blau, Zauberwesen, 149, mit Hinweis auf Tos Ber 2, 15. Das ekstatische Prophetentum des Elia nach 1 Kö 18,32 wird als Traditionshintergrund sichtbar. Scholem, Die jüdische Mystik, 1957, 53 verweist auf die noch in der späteren jüdischen Mystik vorgenommene rituelle Vorbereitung zur Schau der Merkaba. Über den Adepten heißt es nach Scherira Gaon (um 1000): „Er müsse eine gewisse Anzahl von Tagen fasten und sein Haupt zwischen seine Knie legen und viele Hymnen und Gesänge flüstern, deren Text überliefert ist.“ „Es ist die Haltung tiefer Selbstversunkenheit und, nach Parallelen aus der Ethnologie zu schließen, eine Körperhaltung, die geeignet ist, prähypnotische Autosuggestion hervorzurufen.“ 127 Vgl. G. Vermes, JJSt 23 (1972), 32. Diese kult-charismatische Gebetspraxis 126 des Chanina vergleicht Jochanan ben Sakkai nach bBer 34b mit der Möglichkeit eines דבע im Gegenüber zu der eines רש : Der Fürst, d. h. der Vertreter der ‚offiziellen‘ Religion, 127 muss sich an die Etikette halten, währen der Leibdiener immer Zugang zum Herrn hat. Es ist eine Stellung des Vertrauens, die freilich vor Frechheit nicht schützt. Dieser Zu‐ gang zu Gott, unabhängig von der offiziellen Etikette, passt vorzüglich zu der Wertung des Gebets des Chanina: es sei wirksamer als das des Hohenpriesters. Dies hängt an dem, was die Himmelsstimme von ‚meinem Sohn‘ Chanina ent‐ hüllt. Er hat Zugang zum himmlischen Haus Gottes. Die ‚praktisch‘-charisma‐ tische Kraft im Gebet des Chanina ben Dosa wird in bBK 50a bis in den Bereich der Nekromantie ausgezogen. Er kann die Gestalt des den Bock opfernden Abraham eingreifen lassen. „Es lehrten die Rabbanan: Es geschah, dass einst die Tochter des ‚Nehunja der Brunnengräber‘ in einen großen Brunnen fiel. Sie kamen und teilten es Rabbi Chanina ben Dosa mit. Nach einer Stunde sagte er zu ihnen: ‚Heil! ‘ Nach der zweiten Stunde sagte er zu ihnen: ‚Heil! ‘ und nach der dritten Stunde sagte er zu ihnen: ‚Sie ist herausgekommen‘. Sie sagten zu ihr: ‚Wer hat dich heraufgebracht? ‘ Sie zu ihnen: ‚Ein männliches Schaf kam zu mir heran und ein Alter, der es führte.‘ Sagten sie zu ihm: ‚Bist du ein Prophet? ‘ Er zu ihnen: ‚Ich bin kein Prophet und kein Prophetensohn, sondern so habe ich gesagt: soll durch ein Werk, mit dem sich ein Gerechter abmüht, sein Kind zu Schaden kommen? ‘“ (Es folgen Aussprüche der Rabbinen, die darauf gehen, dass auch der Fromme gegen Gottes Zorn nicht gefeit ist.) In der Par. bJab 121b ist der Zusammenhang halachisch präziser: Im Falle eines Brunnenfalls kalkuliere man nicht Wunder ein, auch wenn es sich um einen Frommen handelt, da Gott auch gegen Fromme seinen Zorn wendet. Der 212 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 128 Auch das Bild des eschatologischen Priestererlösers nach TLevi 18 ist an der ‚Bindung des Isaak‘ orientiert: die väterliche Stimme aus dem himmlischen Heiligtum hat ihre typologische Entsprechung in der ‚Bindung‘. Die ‚Bindung‘ ist nach Hs e zu 18,2 Grund‐ modell der levitischen Priesterhalacha. Man sucht offenbar nach Möglichkeiten, die Würde des kultischen Vollzuges hinter der geschichtlichen Oberfläche des Jerusalemer Tempelkultes begründet zu sehen. 129 Vgl. G. Vermes, JJSt 23 (1972), 36f. 130 Vgl. Lev 11,29; b Hul 127a. Kontext ist in beiden Fällen wunderkritisch: Wenn Chanina ben Dosa nicht in prophetischer Vollmacht handelt, muss er sein Handeln anders begründen. Die Begründung, dass Gott das Werk eines Frommen nicht zu seinem Schaden geraten lassen wird, weisen die Rabbinen jedoch zurück. Aus der mehrstündigen intensiven ‚Sitzung‘ des Chanina, in der etappen‐ weise die Errettung des Mädchens geradezu erkämpft wird, geht hervor, dass er in den Bereich der Macht, die das Mädchen in den Brunnen hatte fallen lassen, eindringt, um aus diesem Bereich auch die Rettung zustande zu bringen. Seine Interzession weist auf die fortdauernde Kraft der ‚Bindung des Isaak‘ hin. Wie auch immer man den vorausgesetzten halluzinatorischen Hintergrund der Geschichte beurteilen mag, fest scheint zu stehen, dass hier die Macht des Wunderretters abgeleitet wird aus seinem Vermögen, den kultischen Urvollzug der Opferung des Isaak zugunsten des Mädchens wirksam werden zu lassen. Die charismatische Vollmacht besteht im Vermögen, kultisches Urgeschehen in einer ekstatischen Interzession einzusetzen. 128 Zu diesem Rückgriff auf ein ur-kultisches Motiv, das heilsgeschichtlich vor dem Tempel steht, passt auch die Vernachlässigung der pharisäischen Reinheits-Halacha. 129 Davon zeugt vor allem die Geschichte von Chanina und der Schlange. Die Schlange ist nach Gen 3 verbunden mit der Entstehung der Sünde und nach levitischem Reinheitsgesetz zugleich unreines Tier. 130 Chanina, den die Schlange beißt, bzw. der sie zum Biss herausfordert und sie gar herumträgt, wird jedoch nicht unrein, sondern sieht mit der Schlange Sünde und Unreinheit überwunden. Diese Umwertung durchzieht alle Traditionsstränge: Nach MBer 5,1 ist bei den alten Chasidim die Intensität des Gebetes zu ihrem Vater im Himmel derart gewesen, dass weder der mit Gruß vorbeigehende König noch eine um die Ferse gewundene Schlange sie unterbrechen konnten. Das ekstatische Gebet enthebt der Ordnung der alten Schöpfung. In TosBer 3,20 und par. jBer 9a Z. 56-60 wird diese chasidische Gebetsekstase durch einen השעמdes Chanina ben Dosa be‐ leuchtet: Er beachtete die ihn beißende Schlange nicht, worauf sie starb. Darauf sagte man: „Wehe dem Adam, der von der Schlange gebissen wird; noch mehr wehe aber der Schlange, die den R. Chanina ben Dosa gebissen hat.“ Wenn Ha‐ 213 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 131 Vgl. S. Safrai, Teaching of Pietists in Mishnic Literature, JJSt 16 (1965), 15-33, bes. 17, 12, 18, 23ff. 132 Zu dieser Deutung vgl. H. Bornhäuser in MSuk 5,4 (Gießener Mischna II/ 6, 1935, 146) und folgende Anm. 133 Dass der ‚Wundermann‘ wie einst Elia an der Wunderkraft des wahren Kultes partizi‐ piert, wahrer Kult und Charisma sich also gegenseitig stützen, ist wahrscheinlicher als die These einer Spiritualisierung und Ethisierung des kultischen Vollzugs durch die ‚Frommen‘; gegen Patai, Man and Temple, 183ff. nina ben Dosa die Schlange überwunden hat, so hat er einen neuen Adam dar‐ gestellt, über den die Schlange keine Macht mehr hat. In bBer 33a wird die Schlangengeschichte verbunden mit einem weiteren Ausspruch des Chanina ben Dosa: „Es ist nicht die Schlange, die tötet, sondern die Sünde.“ Die mit der himmlischen Heiligkeit verbindende Kraft des Chasid überwindet die Sünde und mit ihr die Schlange. Er steht nicht mehr unter der Unreinheitsmacht der Schlange und der nur auf sie reagierenden Halacha, sondern greift selbst in den Bereich einer neu konstituierten Reinheit ein. 131 MSota 9,15 heißt es, dass mit Chanina ben Dosa die ישנא השעמ ‚ ‚Männer der (Wunder-)Tat‘ aufhörten. Wenig später wird in der gleichen Mischna der Vor‐ gang, dass die ישנא השעמ nicht mehr geachtet wurden, mit der Zerstörung des Tempels verbunden. Darin kommt zum Ausdruck, dass die ישנא השעמ am Tempel hingen, ihre besondere Wunderkraft 132 an ihrem den Kultus begleitenden und ihn verdichtenden Charisma hing. M Suk 5,4 verbindet die ישנא השעמ entspre‐ chend mit dem Wasserschöpfritus des 2. Tempels: „Die Frommen und die Männer der Tat tanzten vor ihnen (in der Prozession) mit Feuerfackeln in ihren Händen und sie sangen vor ihnen Loblieder.“ Hier begleiten die Männer der Tat den Ritus, der für die beginnende Winterzeit die Versorgung mit Regen sicher‐ stellen soll. Da השועה השעמ nach MSanh 7,11 t.t. für ‚Wunderwirken‘ ist, werden als ישנא השעמ diejenigen bezeichnet, die die Wirkkräfte des Kultus charismatisch verstärken. 133 Wenn wir das Material überblicken, das mit Chanina ben Dosa, den die Him‐ melsstimme ‚mein Sohn‘ nennt, verbunden ist, so fällt auf, dass er mit Bereichen zu tun hat, die traditionell kultisch ‚geregelt‘ sind: Um seinetwillen wird die Welt versorgt, er ist gleichsam das ‚Zentrum‘ der Schöpfung; er hat Macht über den Regen; sein Gebet ist mächtiger als das des Hohenpriesters; er bannt böse Geister; er kann die ‚Opferung Isaaks‘ inszenieren, ja beschwören, er überwindet die Schlange und mit ihr die Sündenmacht. Alle diese traditionell kultischen Bereiche sind wahrgenommen im Rahmen einer intensivierten Gebetspraxis, in der er sich Zugang zur jenseitigen Welt verschafft. Als solcher ist er wie ein Leibdiener im Gegenüber zum offiziellen ‚Fürsten‘, vor allem aber auch Sohn. Die Sohn-Tradition steht sicherlich vor dem Hintergrund der chasidischen Be‐ 214 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 134 Vgl. EJ, 9, 83-86. 135 Im Wort ינכרב klingt ein altertümliches Verständnis von ‚Segen‘ an: „Der Kultus mehrt die Segenskraft der Gottheit. Die Gemeinde empfängt nicht nur von Jahwe, sondern sie selbst ‚segnet Jahwe‘.“ (Mowinckel, Religion und Kultus, 64) Dieses Segnen der Gottheit durch den Hohenpriester bedeutet, dass er die göttlichen Eigenschaften wirkmächtig ‚bespricht‘, so dass die segnenden Potenzen gekräftigt, die fluchenden gemindert werden. Gott ist im ‚Segen‘ der Gestaltung durch den Hohenpriester zugänglich, u. zw. aufgrund der von ihm selbst gewährten kultischen Begegnung. ziehung zum ‚Vater im Himmel‘. Jedoch darf diese Korrelation von Vater und Sohn nicht individualisiert werden im Rahmen der Unmittelbarkeit einer frommen Seele zu ihrem Schöpfer. Vater und Sohn stehen vielmehr in dem Be‐ zugsrahmen des Hauses mit seiner kosmischen Bedeutung. Deswegen wird die Welt um des Sohnes willen ernährt. Wie der דבע zum himmlischen Palast gehört, so der Sohn zum himmlischen Haus. Er tritt ein in das himmlische Haus Gottes und ahmt so nach, ja überbietet den Gang des Hohenpriesters in das Allerhei‐ ligste vor das Angesicht Gottes. Wie bei Choni so stößt man auch bei Hanina auf interzessorische Vorgänge, die religionsgeschichtlich weit zurückweisen. Entscheidend ist, dass dieses charismatische Element offenbar im Judentum ursprünglich mit dem Kultus verbunden war, ihn jedoch durch eine intensivierte Gottesbindung ergänzen und seine Aufgaben wirksamer wahrnehmen konnte. In der Perspektive der Späteren konnte Chanina ben Dosa geradezu einen Ersatz für die Funktion des verlorengegangenen Tempels bilden. 2. Jischmael ben Elischa (Zeitgenosse von R. Akiba) 134 Auch bei ihm ist der kultische Kontext der Sohnes-Anrede evident: אינת רמא יבר לאמשי ןב עשילא םעפ תחא יתסנכנ ריטקהל תרטק ינפל יתיארו םינפלו לאירתכא הי ה " תואבצ אוהש בשוי לע אסכ םר אשנו רמאיו יל לעמשי ינב ינכרב יתרמא ול יהי ןוצר ךינפלמ ושבכיש ךימחר תא ךסעכ ולוגיו ךימחר לע ךיתודמ גהנתתו םע ךינב תדמב םימחרה סנכתו םהל םינפל תרושמ ןידה ענענו יל ושארב „Es wird gelehrt: R. Jischmael ben Elischa sagte: ‚Einmal ging ich, Weihrauch zu räuchern im Allerheiligsten, da sah ich den Akteriel Jah, den Herrn der Heerscharen; der saß auf einem hohen und erhabenen Thron und sprach zu mir: ‚Jischmael, mein Sohn, segne mich! ‘ 135 Sagte ich zu ihm: ‚Möge es doch wohlgefällig vor dir sein, dass deine Barmherzigkeit deinen Zorn niederhalte, dass deine Barmherzigkeit deine (anderen) Eigenschaften überwiege und dass du herrschen lassest über deine Kinder mit dem Maß der Barmherzigkeit und von der Strenge des Rechtes ihnen gegenüber absehen möchtest.‘ Und er nickte mir mit seinem Kopf zu.“ (bBer 7a) 215 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 136 Vgl. bKet. 105b: „Einst brachte man R. Jischmael die Erstlingsschur …“; bHul 49a: „Be‐ züglich des Fetts am Labmagen haben die Priester einen erlaubten Brauch eingeführt, nach R. Jischmael, der im Namen seines Vaters lehrte.“ Tos H l. 1,10: R. Jischmael nahm einen Eid „bei den Kleidern, die sein Vater getragen hatte und beim Stirnblech, das er zwischen den Augen trug.“ „… this suggests that his father was a high priest, but since no high priest called Elisha is known during the relevant period, he may have had an ancestor in mind.“ (EJ, 9, 84) 137 Vgl. Scholem, Jewish Gnosticism, 1960, 51-55. „… one of the names of God as He appears on the Throne, and not as the name of an angel.“ (ebd., 52.) Wichtig ist, dass Akteriel das Wort רתכ ‚Krone‘ enthält: die Krone ist in merkaba-mystischen Texten Teil der numinosen Gottheit und ihrer Schöpfungsmacht, vgl. Odeberg, 3. Henoch, 42, Anm. 4; Scholem, a. a. O., 54; P. Schäfer, Das ‚Große Siegel‘ und die ‚Fürchterliche Krone‘, in: FJB 5 (1977), 84-98. Mit ‚Krone‘ und ‚Siegel‘ können Engel beschworen werden, die über die Geheimnisse der Tora verfügen. 138 Vgl. S. 215 Anm. 135: als לאירתכא הי präsentiert sich Gott gestaltbar, beeinflussbar durch kultischen ‚Segen‘ und mystische Theurgie; vgl. bereits MAb 1, 13. 139 Vgl. J. Maier, Vom Kultus zur Gnosis, 1964, 96.125-128; ders., Das Gefährdungsmotiv bei der Himmelsreise, in: Kairos 5 (1963), 18-40; bes. 30-33; Scholem, Jewish Gnosticism, 51 ff.; I. Gruenwald, Apocalyptic and Merkavamysticism, 96 f., ist vorsichtiger: „Naturally it would go too far to say that all Jewish mysticism from the times of the Tannaim onward derived in many essential ways from the cultic life of the Temple.“ (96) Jedoch: „At any rate, if the experiences recorded in the Tannaitic sources and which refer to the Temple life really occurred, Judaism of that period must have been prepared Jischmael ben Elischa kann nicht selbst Hoherpriester gewesen sein, da der Tempel zur Zeit seines Wirkens ein rundes halbes Jahrhundert nicht mehr be‐ stand. Es ist jedoch sicher, dass er aus einer Priesterfamilie stammte. 136 Man kann an diesem Anachronismus ablesen, dass auch für die Generationen nach dem Tempel, vor allem wenn sie aus priesterlichem Geschlecht stammten, der Gang des Hohenpriesters in das Allerheiligste eine faszinierende Bedeutung besaß, war doch hier eine direkte Begegnung mit der Gestalt Gottes, eine geradezu unmittelbare Offenbarungsmöglichkeit gegeben. Das Faszinosum ist in diesem Text deutlich umschrieben: Der Rauch soll ja ein direktes ‚Sehen‘ verhindern und so den Hohenpriester vor der vernichtenden Heiligkeit schützen. Und doch ‚sieht‘ Jischmael im Medium des Rauches, wenn auch nicht die Gottheit ‚selbst‘, so einen der Engel, die das Tetragramm in ihrem Namen führen, also die besondere Nähe Gottes anzeigen. 137 Die Aufforderung, mit wirkmächtigem Kultwort die göttlichen Kräfte zu gestalten, und die abschließende Bestätigung sind Zeichen für die tatsächliche Wirksamkeit der Interzession des Hohenpries‐ ters für das Volk. 138 Der Gang in das Allerheiligste ist zugleich Gang in den Bereich der Heiligkeit Gottes und damit Eindringen in einen Raum, der mit dem himmlischen Teil der Schöpfung verschränkt ist. Er ist auch Vorbild des Zugangs des Charismatikers zur himmlischen Heiligkeit Gottes. 139 Der Eingang in das Allerheiligste ist 216 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters for the mystical experiences of the kind we find in Hekhalot writings in a manner seriously misrepresented by the scepticism of some of the scholars who have discussed the phenomenon.“ (ebd.) 140 Der Diener darf das Hemd nicht berühren, weil er es verunreinigen könnte. Desgleichen wird man die Unreinheit der Nacht nur sicher los, wenn man sich nicht der Hilfe eines bedient, von dem man nicht sicher wissen kann, ob er rein ist. Der Spargeltrunk hat verschiedene medizinische (gut für Herz, Augen und Gedärme), aber auch apotropäi‐ sche Bedeutung, wie aus dem vorangehenden Stück deutlich wird. 141 1QM 9,16 kennt unter den 4 Engeln des Angesichts ‚Sariel‘. 142 Vgl. durchgängig im 3Hen., beispielsweise Ed. Schäfer, § 7-9.10.11ff. symbolischer Grundablauf des charismatischen Eingangs in das himmlische Haus, in dem der heilige König thront. Auf eine direkte Offenbarung an R. Jischmael ben Elischa bezieht sich auch bBer 51a: „Sagt R. Jischmael ben Elischa: ‚Drei Dinge sagte mir Suriel, der Fürst des Angesichts: Du sollst morgens dein Hemd nicht aus der Hand des Dieners nehmen und anziehen; lass dir die Hände nicht von jemandem waschen, der seine Hände noch nicht gewaschen hat; und gebe den Spargelbecher keinem anderen zurück als dem, der ihn dir gegeben hat, weil Taksephit, nach anderen Italginit, verderbende Engel, auf den Menschen warten und sagen: Wann wird ein Mensch eines dieser Dinge begehen und gefasst werden.‘“ Im Kontext werden im Anschluss an die Mischna über den Tischsegen allerlei Unheil abwehrende und Segen mehrende Praktiken besprochen, die der Abwehr unheilbringender Engel dienen: 140 Sie werden abgewehrt durch eine korrekte Halacha, die aber nicht einfach mischnisch ist oder sich aus der tradierten Tora ergibt; vielmehr enthüllt Suriel 141 dem R. Jischmael geheime Verhaltensregeln, die die Reinheit bewahren/ herstellen bzw. unreine Geister abwehren. Wie kommt R. Jischmael an diese geheime Halacha aus dem Munde des Engels des Angesichts? Schon die Einleitung erinnert an den Stil der mystischen Literatur, welcher R. Jischmael als Tradent gilt: „Spricht R. Jischmael ben Elischa: ‚Sprach zu mir X (ein himmlisches Wesen).‘“ 142 Man muss unterscheiden den anabatischen Typ, bei dem der Mystiker aufsteigt zur Himmelswelt und von dort Offenbarung mitbringt, vom katabatischen Typ, in dem ein möglichst hohes Engelwesen zum Abstieg und zur Offenbarung geheimen Wissens genötigt wird. Nach ‚Maaseh Merkava‘ § 12 (Scholem, Jewish Gnosticism, 109) weiß R. Jischmael, wie man den Engel des Angesichts beschwören kann, damit er herabsteige und Geheimnisse der Tora mitteile. bBer 51a kennt also wohl R. Jischmael als den Beschwörer des Engels des Angesichts, von dem er geheime, in besonderer Weise auf die Geister wirkende Halacha erfährt. Vergleicht man dieses Stück mit bBer 7a, so ist deutlich, dass der Typ der Anabase noch stärker dem Vorgang priesterlicher Interzession entspricht; ferner 217 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 143 Vgl. O. Böcher, Dämonenfurcht …, 1970, 204: „… kultische Unreinheit und Gefahr dämonischer Schädigung sind letztlich dasselbe! “ 144 Vgl. Kap. 12 bei Mowinckel, Religion und Kultus. 145 In diesen Zusammenhang gehört auch die häufige Verwendung von Sach 3,2 im antidämonischen Zauber, vgl. K. Thraede, Art. ‚Exorzismus‘, in: RAC VII, 1966, 95 und ferner Isbell, Corpus of the Aramaic Incantation Bowls, 1975, Nr. 8, Z. 12; Nr. 10, Z. 6; Nr. 24, Z. 14; Nr. 35, Z. 2 f.; Nr. 42, Z. 10 f. Zur himmlischen Installierung des Hohenpriesters gehört, dass Satan zurückgewiesen wird. Auf diese Kraft des Hohenpriesters, durch Gottes Beistand Satan nicht zu unterliegen, bezieht sich der Exorzist. 146 Ed. Schäfer, § 3, S. 4, Z. 33-35. ist deutlich, dass die hier noch ganz am kultischen Vollzug hängende Segenskraft in bBer 51a zur Macht des Beschwörers geworden ist, der unabhängig vom kultischen Vollzug, nur durch Kenntnis geheimen Kultwissens, die himmlische Gestalt beschwören kann. Der ‚Sohn‘, der im ‚Haus‘ der Gottheit begegnen darf, wird zu einem das Kultwissen einsetzenden Beschwörer. Wichtig ist, dass der Kampf gegen die verderbenden Engel als Kampf um rituelle Reinheit geführt wird. 143 Dies entspricht der klassischen Aufgabe des Kultes, Sünde und Unreinheit von der Gemeinde fernzuhalten. 144 In der Zeit nach der Existenz des Tempels nimmt diese Aufgabe der ‚Nachfolger‘ der Hohenpriester 145 auf, der in Verwendung alten Kultwissens antidämonische Reinheitshalacha direkt vom Throne Gottes aus sich beschafft oder - im anaba‐ tischen Typus - durch ihm gewährten Zugang in den Bereich der Heiligkeit die Segenskräfte der Gottheit mehrt. Wenn ‚Sohn‘ derjenige ist, der Zugang zum himmlischen Haus hat, so ist zu erwarten, dass in den diesen Zugang ausführenden mystischen Texten R. Ji‐ schmael als ‚Sohn‘ bezeichnet wird. Das Einleitungsstück zum sog. 3. Henoch (Ed. Odeberg Kap. 1, Ed. Schäfer § 1 f.) berichtet vom Aufstieg des R. Jischmael zur Schau des himmlischen Wagens. Am Eingang zum 7. Hekal spricht Jischmael zum H. g. s. E. ein Gebet, in dem er sich auf das Verdienst Aarons beruft, der nach MAb 1,12 Friedensstifter heißt und der die Priesterwürde vom Berge Sinai erhalten hat. 146 Jischmael tritt in der Autorität eines pharisäisch verstandenen Priestertums auf. Ihm wird daraufhin Metatron als Schutz- und Geleitfigur bei‐ gegeben. Er kann nun in den 7. Hekal eintreten, und als die dort anwesenden Engel ihn verschrecken, spricht d. H. g. s. E. zu ihnen: „Meine Diener, meine Serafim, meine Kerubim und meine Ophanim! Bedeckt eure Augen vor Ji‐ schmael, meinem Sohn (ינב), meinem vorzüglichen Freund ( יבוהא), meinem Ge‐ liebten (יביבח), meinem Geehrten (ידובכ), dass er nicht zittere und bebe.“ (Ed. Schäfer § 2, S. 4, Z. 18 f.) Jischmael ist Sohn als Intimus Gottes, der an allen Engeln vorbei direkten Zugang zum heiligen Haus Gottes, dem 7. Hekal, hat. 218 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 147 Wesentliche Hinweise verdanke ich G. Reeg, Tübingen, der eine kritische Edition und einen Kommentar vorbereitet. (Inzwischen erschienen: Die Geschichte von den Zehn Märtyrern. Synoptische Edition mit Übersetzung und Einleitung, Tübingen 1985.) 148 Die Geburtslegende ist im Rahmen des Midrasch von den 10 Märtyrern vermutlich sekundär eingeschoben. Sie will erklären, wieso R. Jischmael Zugang zu den Himmli‐ schen hatte und den ‚Namen‘ benutzen konnte. Er konnte sich eben deswegen unter die Engel mischen, „sein Antlitz glich dem der Engel“ (BhM II 65,10), weil er in reiner, d. i. himmlisch-wunderbarer, Weise gezeugt wurde. Die Legende führt dies durch Hinweis auf 2 Reinheits-Halachot aus: Eheleute sollen vor jedem Geschlechtsverkehr ein Reinigungsbad nehmen (VI 21,4f.), bzw. darf die Frau nach dem Reinigungsbad auf nichts Unreines blicken (VI 21, 15 f.) In den beiden von Jellinek edierten Parallelversionen des - in den vorlie‐ genden Fassungen mittelalterlichen - Midrasch von den 10 Märtyrern (BhM II 64 ff.; VI 19 ff.) wird der in den Himmel aufgestiegene Jischmael aus Engelmund als ‚mein Sohn‘ angeredet. 147 Der Erzählrahmen ist in beiden Fällen durch die Frage bestimmt, ob der Beschluss, 10 Gerechte hinrichten zu lassen, vom Himmel kommt und ob dieser Beschluss durch Verwendung des geheimen Gottesnamens noch umgestoßen werden kann. Durch Verwendung des Gottesnamens bringt der Geist den Jischmael in den Himmel. Als er dort auf Gabriel trifft, spricht dieser zu ihm: „Bist du Jischmael, den dein Schöpfer jeden Tag preist, dass er einen Knecht auf Erden hat, der meinem Antlitz ähnelt? “ (II, 64 u. bis 65,0). In der Parallelversion trifft Jischmael auf Metatron, der zu ihm sagt: „Bist du Jischmael, den dein Schöpfer jeden Tag preist und sagt: ‚Ich habe einen Knecht auf Erden wie dich, sein Glanz ist wie deiner und sein Aussehen wie deines‘? “ (VI, 21, Z. 24-26). Entsprechend ist es einmal Gabriel (II, 65, Z. 24; vgl. II, 65, 32), das andere mal Metatron (VI, 21, 2. Z. v. u.), der den aufgestiegenen Jischmael als ‚mein Sohn‘ anspricht. Diese Anrede ‚mein Sohn‘ aus Engelmund ist in beiden Versionen getragen durch eine priesterlich-chasidische Legende 148 von der durch Engelbeteiligung zustande gekommenen, wunderbaren Zeugung des Jischmael, wobei der auf Metatron angelegte Erzählfaden in Version BhM VI durch die Gabriel-Fassung, die in Fassung BhM II dominiert, angereichert ist. Metatron und Gabriel steigen hinab, doch anscheinend ist nur Gabriel in der Zeugungsnacht anwesend. Das Motiv der Verwandlung des Gabriel in das Aussehen des Mannes der Mutter des Jischmael ist nur in Version BhM II ausgeführt. „Und in dieser Nacht wurde sie schwanger mit R. Jischmael, und es wurde die Schönheit der Gestalt und die Schönheit der Erscheinung gemacht nach dem Bilde Gabriels, und entsprechend verband sich mit ihm Gabriel als er ( Jischmael) zum Himmel aufstieg.“ (BhM II 65, 22-24) 219 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 149 ,גוזדתנWurzel גוז gr. ζευγ. Vgl. 3Hen., Ed. Odeberg 48 A (7) [Ed. Schäfer § 68 S. 34 Z 2 8 ff.]: אלו דוע אלא גוזדזנש ול השמל לכב םוקמ רמאנש השמ ןורהאו וינהכב דועו םא דומעי השמ לאומשו ינפל (Es geht im Kontext um den rechten Arm des Makom, der seit der Tempelzerstörung nicht mehr zugunsten Israels eingreift. Er wird aber in der Endzeit wieder aktiv werden, so wie er bei der ersten Erlösung einst mit Mose verbunden war: ) „Und nicht nur das, sondern er hat sich mit Mose verbunden an jedem Ort, wie es heißt: ‚Mose und Aaron bei seinen Priestern‘ (Ps 99,6); und ferner: ‚Wenn Mose und Aaron sich vor mich stellen‘ ( Jer 15,1); [‚und es half mir mein Arm‘ ( Jes 63,5)].“ Die erste Erlösung bestand in der Verbindung des Armes Gottes mit den priesterlich-interzessorischen Gestalten Mose und Aaron; und auch die angekündigte Erlösung der Endzeit wird vom Arm Gottes ausgehen. Odeberg deutet die Verbindung folgendermaßen: „He joined fellowship with Moses, ‚nizdawweg‘: associated Himself with, revealed Himself face to face to.“ (S. 157) Odeberg sieht also offenbar Aufnahme des Grundtextes von Nu 12,7f. vorliegen. Dass eine kultisch getragene Verbindung Gottes mit der kultisch interzessierenden Gestalt gemeint ist, geht daraus hervor, dass mit dem Ende des Tempels der Arm Gottes sich verborgen hat. Vielleicht liegt in dem Ausdruck לכב םוקמ ein Hinweis auf den theolo‐ gisch qualifzierten םוקמBegriff, der im Kontext eine Rolle spielt: Gott hat sich mit Mose verbunden vor dem Hintergrund des ganzen םוקמ = des Ortes, den er durch seine Ge‐ genwart füllt = des Kosmos. Die ‚Verbindung‘ gehört jedenfalls in den Rahmen der mit dem Kultus gesetzten Möglichkeit der vereinigenden Begegnung mit der Gottheit bzw. der theurgischen Interzession, der sich die Gottheit ‚stellt‘. In ähnlichem Sinne begegnet גוז in 3Hen. Odeberg IV (5) = Ed. Schäfer § 5 S, 4 Z. 55: ינגוויזו בקה " ה םורמב רשל דיגנלו ןיב ייכאלמ „Und der H. g. s. E. verband mich in der Höhe einem Fürsten und einem Führer unter den Dienstengeln.“ Henoch wird durch Verbindung mit einem himmlischen Engel (Metatron) zu seiner kosmischen Würdestellung erhoben. Zur Gewinnung des himm‐ lischen Beisassen = πάρεδρος der hellen. Magie vgl. K. Preisendanz, Art. ‚Paredros‘, in: PRE, 36, 1949, 1428-1453. 150 BhM VI, 22,11. 151 Metatron hat 70 Namen, entsprechend den 70 Völkern der Erde (Ed. Schäfer § 4); sein Name entspricht dem seines Schöpfers (§ 5); er ist höher als die Engel (§ 5); er wird zur Versehung seines kultischen Dienstes im Himmel mit allen Schätzen himmlischer Kraft, Wir stoßen auf zwei verschiedene Ansätze, den Zugang des Jischmael zur himmlischen Welt, die Benutzung des Gottesnamens und seine mystisch-theur‐ gische Macht zu deuten: Nach dem Gabriel-Faden hat sich Gabriel mit Jischmael ‚verbunden‘, ist Jischmael ‚Sohn‘ Gabriels im Sinne einer theurgisch-magischen Beisassenschaft. 149 Nach dem Metatron-Faden ist Metatron eher himmlisches Gegenstück zu Jischmael: Himmlischer und irdischer Knecht entsprechen sich, so wie sich - wie hier ausdrücklich ausgeführt wird - himmlisches und irdisches Heiligtum entsprechen: לכ המ שיש הטמל שי הלעמל . 150 Dies ist wohl auch die Grundlage des Fadens in 3.Hen: R. Jischmaels Eingang in den Himmel und seine himmlische Heiligkeit haben ihren ‚objektiven‘ Ur-Vorgang in der Entrückung Henochs und seiner himmlischen Inthronisierung. Henoch ist es, der bei seiner Installierung als Metatron kosmische Größe erhält und von Gott wie von einem Vater alle Geheimnisse enthüllt bekommt. 151 Metatron ist Hoherpriester am 220 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters Weisheit, zusammenfassend: לכב תודמ תובט ‚mit allen guten Eigenschaften‘, ausgestattet (§ 11); er wird so groß wie die Welt gemacht, ja bekommt 72 Flügel, jeder so groß wie die Welt, Augen so groß wie die Sonne (§ 12); er bekommt einen Thron analog dem des דובכ (§ 13); er hat die Weisheit der Oberen und der Unteren, dieser und der kommenden Welt (§ 13); er kennt alle Geheimnisse der Tora (§ 14); er wird „vor der ganzen himm‐ lischen Familie eingeführt“ (§ 15); vgl. auch § 72 f. Die La באכ ist nur teilweise in den HSS vertreten, vgl. Odeberg, Text S. 68. 152 Vgl. Ed. Schäfer § 10 (= Ed. Od. VII); § 19 (= Ed. Od. XV); vgl. auch Ed. Od. XV (B) 1 (dazu Odeberg S. 40 mit Anm. 1), ferner Nu r 12,15. In unserem Jischmael-Midrasch begegnet der Hinweis auf das himmlische Heiligtum in BhM, II, 66,15f. (Michael als himmlischer HP); BhM, VI, 22.10. himmlischen Heiligtum, kultischer Diener am Thron Gottes. 152 Die Teilhabe an göttlichem Glanz und himmlischer Gestalthaftigkeit ist das kultische Urmotiv, das den irdischen und den himmlischen Hohenpriester in Entsprechung bringt. Der Gabriel-Faden ist weniger auf Anabase als biographisch-legendarisch aus‐ gerichtet. Wir stoßen auf verschiedene Ansätze, die sich nicht ausschließen, aber ihren je eigenen formgeschichtlichen und anschaulichen Rahmen haben: Die Metatron-Entsprechungs-Lehre ist visionär im Sinne der Enthüllung einer ge‐ heimnisvollen Entsprechung der Kultfiguren, die Zugang zur Gestalt der Gott‐ heit haben, während der legendarische Faden stärker katabatisch die biogra‐ phische Ermöglichung der himmlischen Sohnschaft des Hohenpriesters darstellt. Wir begegnen anscheinend einem priesterlichen Chasidismus, in dem die Sohnschaft die Verbindung des Hohenpriesters mit dem himmlischen Kulthaus und die dazu nötige mystisch-theurgische Vollmacht anzeigt: Kenntnis des Gottesnamens, Aufstieg in den Himmel, Aufgenommen-Werden und Hervor‐ gehoben-Werden im Kreis der Himmlischen, Offenbarung geheimen Wissens vom Himmel aus und vollmächtige Interzession vor dem Thron Gottes sind die Grundelemente. Besonders hervorheben kann man die Tendenz, dass im priesterlichen Chasidismus das himmlische Opfer mit dem Tod der Gerechten verbunden wird (BhM II 66,17; VI,22,14f.). Jischmael als irdischer Hoherpriester, der Zugang zum himmlischen Heiligtum hat, steht mit dem himmlischen Hohenpriester Metatron/ Michael in geheimnisvoller Identität. Er ist als Hoher‐ priester zugleich Märtyrer-Opfer, bringt sich also gleichsam selbst als himmli‐ sches Opfer dar. Die hier zusammengestellten Traditionen über R. Jischmael den Hohen‐ priester als ‚Sohn‘ sind literarisch breit gestreut, entfalten sich jedoch mit innerer traditionsgeschichtlicher Konsequenz: Jischmael ist die Leitgestalt eines priesterlichen Pharisäismus, der die in MAb 1 angelegten Linien pharisäischer Kultrezeption in mystischem und theurgischem Sinne auszieht. Wichtig ist das 221 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 153 Vgl. 3Hen., Ed. Odeberg Kap. 5 = Ed. Schäfer § 7: Vor dem durch die götzendienerische Generation des Henoch entstandenen Abfall und dem Rückzug der Schekina lag eine Periode der Gemeinsamkeit zwischen dem himmlischen und irdischen Schöpfungsteil, „so dass jeder, der sich des Glanzes der Schekina bediente - auf dem ruhten keine Fliegen und Mücken, er war nicht krank, hatte keine Schmerzen, und kein Dämon konnte ihm schaden; und nicht nur das: auch die Engel herrschten nicht über ihn.“ 154 Vgl. A. Oppenheimer, Art. ‚Meir‘, in: EJ II, 1240-1242. Ideal priesterlicher Reinheit, das konsequent von der begründenden Analogie zur himmlischen Reinheit und Heiligkeit verstanden wird. Die priesterliche Reinheit gründet sich auf eine besondere Halacha, die Geheimnisse der Tora enthält, welche von Engeln vermittelt sind und antidämonisch wirken. 153 Der Gottesname als Urelement des alten Kultbetriebes wird ‚verwendet‘, um sich Zugang zum himmlischen Bereich per Anabase oder sich die Herabkunft eines Engels per Beschwörung zu verschaffen. Die interzessorische Vollmacht des Hohenpriesters wird zur theurgischen Kraft dessen, der die Gottheit ‚segnet‘. Der Übergang von der frühpharisäischen zur charismatisch - praktischen Kultrezeption ist an der Jischmael-Tradition zu erkennen. Die Anrede ‚mein Sohn‘ aus dem Munde Gottes oder einer ihn repräsen‐ tierenden himmlischen Gestalt ist Teil dieser Kultmystik und Kult-‚praxis‘: Jischmael ist Sohn, weil er als ‚Reiner‘ Zugang zum himmlischen Kultbereich hat und an den dort begründeten Möglichkeiten zur Erschließung des Schöpfungs‐ geheimnisses partizipiert. 3. R. Meir (Mitte 2. Jhdt. n. Chr.) 154 Nach bHag 15b spricht Gott von R. Meir als seinem ‚Sohn‘, der Richtiges über das Geheimnis der Schekina gelehrt hat. „Rabba bar Schila traf Elia und fragte ihn: ‚Was tut jetzt der H. g. s. E.? ‘ Dieser erwiderte: ‚Er trägt Lehren vor aus dem Mund aller Rabbanan, nicht aber aus dem Munde R. Meirs.‘ Jener fragte: ‚Weshalb? ‘ - ‚Weil er (sc. R. Meir) Lehren aus dem Munde Achers gelernt hat.‘ Jener antwortete: ‚Warum denn? ‘ ‚R. Meir fand einen Granatapfel, aß die Frucht und warf die Schale fort.‘ Dieser erwiderte: ‚Jetzt eben (sc. nachdem du für ihn gesprochen hast) spricht er: ‚Mein Sohn Meir sagte: wenn der Mensch gequält wird, so spricht die Schekina wie folgt: ‚Wehe mein Kopf, wehe mein Arm.‘ Wenn sich nun der H. g. s. E. wegen des Blutes der Gottlosen (der Ausspruch des Meir bezog sich auf gerichtlich verurteilte Delinquenten) so sehr grämt, um wieviel mehr tut er dies um des Blutes der Frommen, wenn es vergossen wird.‘“ 222 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 155 Vgl. S. Safrai, Art. ‚Eleazar ben Pedat‘, in: EJ 6, 596f. Der Gesamte Kontext handelt von Elischa ben Abuja (= Acher, der Andere, der Apostat) und seinem Abfall. R. Meir, der sich nicht von seinem Lehrer trennte, steht im Verdacht, ebenfalls abtrünnig zu sein. Gott nimmt deshalb seine Lehre nicht auf. Erst durch die Fürsprache des Rabba bar Schila wird R. Meir in die von Gott präsidierte himmlische Lehrgemeinschaft wieder aufgenommen. Der Zuspruch an Meir ,mein Sohn‘ signalisiert die Wertschätzung durch Gott, und zwar näherhin die Zugehörigkeit zum himmlischen Lehrbetrieb. Da starke Beziehungen zum redaktionellen Kontext bestehen, muss der voraufgehende Bericht von der himmlischen Verdammung des Elischa ben Abuja einbezogen werden: Nach seiner Metatron-Vision und der daraus ge‐ zogenen Konsequenz, es gebe wohl zwei Mächte im Himmel, schaut er die Bestrafung des zu dieser Konsequenz Anlass gebenden Metatron. Er vernimmt die Himmelsstimme, die spricht: ‚Kehret um, ihr abtrünnigen Söhne ( Jer 3,22), außer Acher! ‘ Elischa ben Abuja darauf: ‚Da ich aus jener Welt verdrängt bin, will ich (wenigstens) von dieser genießen.‘ Sohnschaft meint in diesem Kontext also die Zugehörigkeit zur himmlischen Welt. Sohnschaft umschreibt auch hier nicht einfach Intimität mit Gott. Nä‐ herhin ist sie Ausdruck in einem kultmystischen Kontext und im Rahmen des damit gesetzten Weltbildes. Es ist wohl kein Zufall, dass Gott im Falle des Meir nicht Halacha zitiert, sondern das Geheimnis der mitleidenden Schekina enthüllt: Nicht der Di-The‐ ismus des Elischa ben Abuja ist theologisch legitimes Ergebnis der himmlischen Erfahrung, sondern die Erkenntnis der Anteilnahme der Schekina am Leiden des Menschen. 4. Eleasar ben Pedat (gest. 279 n. Chr.) 155 Deutlich auf einen ekstatischen Hintergrund weist die Verwendung des Sohnes-Titels bei Eleasar ben Pedat. bTaan 25a heißt es: „R. Eleasar ben Pedat lebte in großer Not. Einst ließ er sich zur Ader und hatte anschließend nichts zu essen. Da nahm er ein Stück Knoblauch und tat es in den Mund. Da wurde er ohnmächtig und schlief ein. Die Rabbanan besuchten ihn und sahen, wie er weinte und lachte und wie ein Feuerglanz von seiner Stirn ausging. Als er erwachte, fragten sie ihn: ‚Weshalb weintest und lachtest du? ‘ Er erwiderte: ‚Der Heilige g. s. E. saß bei mir, und ich fragte ihn, wie lange noch ich mich auf dieser Welt quälen werde. Er erwiderte mir: Eleazar, mein Sohn, möchtest du lieber, dass ich die ganze Weltschöpfung von neuem beginne 223 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 156 Vgl. I. Gruenwald, Apocalyptic and Merkava-Mysticism, 1980, 100. 157 Vgl. oben S. 216. 158 Vgl. I. Gruenwald, a. a. O., 99. und du dann vielleicht in einer Stunde besserer Versorgung geboren wirst? ‘ Da sprach ich zu ihm: ‚Dieser ganze Aufwand, und dann nur ein ‚vielleicht'? ‘ Dann fragte ich ihn, ob mein vergangenes Leben oder mein zukünftiges der größere Teil ist. Er erwiderte mir, das vergangene sei es. Da sprach ich: ‚wenn das so ist, dann möchte ich nicht.‘ Da sprach er zu mir: ‚Als Belohnung dafür, dass du es abgelehnt hast, will ich dir in der zukünftigen Welt dreizehn Teiche Balsamöl geben, klar wie der Euphrat und Tigris, in denen du dich dem Vergnügen hingeben wirst.‘ Ich sprach zu ihm: ‚Nur das und nichts mehr? ‘ Da erwiderte er: ‚Was soll ich dann deinen Genossen geben? ‘ Da entgegnete ich: ‚Verlange ich etwa von einem, der nichts hat? ‘ Da gab er mir einen Stüber auf die Stirn, indem er sprach: ‚Eleazar, mein Sohn, ich beschieße dich mit Pfeilen.‘“ Eleazar hungert - entgegen der Rahmenbemerkung - nicht nur deshalb, weil er arm ist, sondern im Rahmen einer antevisionalen Askese. Ein Ader‐ lass während des Fastens und Essen von starkem Gewürz können zu einer ekstatischen Trance führen. Das Fasten und Essen von Gewürzen gehört bereits nach 4 Esra 12,50 zur Vorbereitung des Apokalyptikers auf den Offenbarungsempfang. 156 Die ekstatische Trance ermöglicht die Begegnung mit Gott, der sich zu ihm setzt. Die ekstatische Erfahrung, in der die Seele den Körper verlässt, äußert sich nicht notwendig in der Schilderung eines Seelenaufstiegs, sondern kann auch die Herabkunft Gottes ermöglichen. Nach bPes 50a sieht der ekstatisch Ent‐ rückte eine Welt, in der die Oberen unten und die Unteren oben sind. Dass ana‐ batische und katabatische Elemente ineinandergreifen, zeigt auch der eigentlich ‚verkehrte‘ Ausdruck von den ידרוי הבקרמ . Die mystische Literatur des Juden‐ tums schwankt - wie wir schon oben gesehen haben 157 - zwischen zwei litera‐ rischen ‚Aufmachungen‘, der Beschreibung des Himmelsaufstiegs und der Be‐ schreibung der Erscheinung eines himmlischen Wesens auf Erden. 158 Schon der biblische Jakobstraum zeigt, dass Zugang zum Himmel und Herabsteigen der Engel an dem kultischen Verbindungsort von Himmel und Erde einander er‐ gänzen. Die Gegenwart der Schekina bewirkt, dass von ihrem Licht an den Ekstatiker abgegeben wird und so von seinem Kopf ein Lichtglanz ausgeht. Wer die Schekina schaut, erstrahlt von ihrem Glanz. Von Pinchas heißt es Lev r 1,1: „In der Stunde, da die Schekina auf ihm ruhte, leuchtete sein Angesicht wie Feuerfackeln“. Glanz ist Kennzeichen der Engelähnlichkeit und des Geistbesitzes 224 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 159 Vgl. J.-A. Bühner, Der Gesandte …, 1977, 349f. 160 Vgl. MAb 1,2 und oben S. 60f. 161 Vgl. A. Goldberg, Untersuchungen über die Vorstellung der Schekhinah, 1 969, 176-179. 162 Diese Impertinenz erinnert an das Verhalten des Choni; es kommt hier wie dort zum Ausdruck ein besonderes Bewusstsein der Vollmacht, sich der Gottesbegegnung bedienen zu können. Verwandt ist Joh 11,42. der Propheten (Nu r 16,1). 159 Dieses Motiv erinnert natürlich vor allem an das leuchtende Antlitz des Mose (Ex 34,29-35). Hier hängt das leuchtende Antlitz an der kultprophetischen Schicht: In der Begegnungshütte - idealtypisch und als ätiologisches Urgeschehen auch auf dem göttlichen Berg - empfängt Mose vom Glanz der Schekina. Eleasar ben Pedat ist nach bMK 28a Priestersohn gewesen. Kenntnis pries‐ terlicher Tradition, ja eine Beziehung zum frühen priesterlichen Chasidismus, zeigt ein Spruch wie: ‚Das Ausüben von Barmherzigkeit ist mehr als alle Opfer‘ (bSukk 49b). 160 Nach bKet 111a spricht Eleazar der ץרא לארשי eine sündenhem‐ mende Wirkung zu und hält eine Auferstehung außerhalb des Landes nicht für möglich. Hier spricht ältere, priesterliche Eschatologie, die an der Verklärung des Zion orientiert ist. Dazu passt, dass Eleazar ben Pedat stark an der Frage nach dem Ort der Schekina interessiert war. Er ist Hauptzeuge für die Meinung, dass die Schekina bei dem zerstörten Heiligtum geblieben sei. 161 Die Synagoge seines Lehrers Rab in Babylonien ist ein kleiner שדקמ (bMeg 29a) und hat eine vom Tempel abgeleitete Bedeutung. Dass er selbst dann nach Israel ging, ist folgerichtig: Die Gegenwart der Schekina, die mit dem Land Israel verbundene Erwartung der Auferstehung und eben die Möglichkeit zum ekstatischen Um‐ gang mit der Schekina gehören zusammen. Alte priesterliche Tradition von der verborgenen und eschatologisch offenbarten Herrlichkeit des Zion ist also noch im 3. Jahrhundert verbunden mit der Erinnerung an kultische Ekstase und ihre Möglichkeit der Gottesbegegnung. In den Rahmen ekstatischer Rezeption kultischer Motive gehört nicht nur der Hinweis auf das Feuer, das von ihm ausgeht, sondern auch der Inhalt des Gesprächs zwischen Schekina und Ekstatiker. Eleasar beklagt sich über seine Armut; die Schekina stellt ihm die Frage, ob seinetwillen die Schöpfung zerstört und eine neue geschaffen werden solle, in der er dann vielleicht ein besseres Ergehen finden würde. Dieses ‚vielleicht‘ und die dazu erhaltene Auskunft, dass die größere Hälfte des ihm zubemessenen irdischen Lebens hinter ihm liege, veranlassen ihn, auf die Realisierung dieser Möglichkeit zu verzichten. Als Eleasar in seiner Impertinenz 162 auch an dem ihm versprochenen Lohn in der zukünftigen Welt herummäkelt, bricht die Schekina 225 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 163 אתיצוצ ] ארונד [ begegnet im b Talmud vielleicht nochmals bSchab 56b: „Es gibt keinen größeren Bußfertigen als Josia in seinem Zeitalter und einen anderen in unserem Zeit‐ alter. Wer ist es? … R. Joseph sagte: … Ukban b. Nehemiah, das Exiloberhaupt, das ist Nathan אתיצוצד. R. Joseph erzählte: ‚Ich saß bei der Vorlesung und schlummerte ein, da sah ich im Traum, dass einer (ein Engel) seine Hand ausstreckte und ihn aufnahm.‘“ Zu den historischen Fragen um den Exilarchen und Nathan aus Susita vgl. Neusner, A History … II, 96 f.; zum Verhältnis von R. Joseph zum Exilarchen vgl. IV, 103 f. 115. Wenn אתיצוצ = „der Glänzende“ zu übersetzen ist, dann ergibt sich eine Entsprechung zum Schlusssatz: die himmlische Aufnahme bedeutet seine Verklärung. 164 Vgl. bSchab 33b-34a: Mit der himmlischen Feuerkraft, die sich Schimon ben Jochai durch Tora-Studium zugelegt hat, kann er die Schöpfung vernichten. Die Feuerkraft geht vom Auge aus; vgl. auch bHag 14b: Feuer ist Zeichen der Gegenwart der Schekina beim mystisch-praktischen Studium. 165 Vgl. Goldberg, Schekhinah, 273. das Gespräch und die Ekstase ab durch den Ausruf: ‚Eleasar, mein Sohn, ich beschieße dich mit Pfeilen.‘ Der Ausdruck ירג ךב יריג weicht von der Darstellung des eingangs erwähnten Lichtphänomens ( אתיצוצ ארונד ) 163 ab. Raschi deutet das Beschießen mit Pfeilen als Belohnung: Die Pfeile transportieren das göttliche Licht zu ihm und sind so Zeichen seiner Verklärung. Dabei wird man die Ambivalenz des göttlichen Lichtes beachten müssen: Es ist Zeichen der Heiligkeit, die zugleich gefährlich ist. ןינוקיז לש שא ‚Feuerpfeile‘ gehen auch von Mose aus, der durch die Verwen‐ dung des Gottesnamens verklärt ist und so Samael abweisen kann ( Jellinek BhM I 127,27f.). jBer 5,1 (9a) nennt in der Liste der vor heidnischen Herrschern Ver‐ klärten R. Abun, von dessen Nacken Feuerfunken ausgehen, die ihn unan‐ greifbar machen. 164 Nach Dtn r 7,9 gehen Feuerfunken als Zeichen der Heiligkeit von den Stangen der Lade aus. Für unseren Zusammenhang ist zu vermuten, dass demjenigen, dem irdische Nahrung fehlt, die Möglichkeit zugesprochen wird, sich vom Glanz der Schekina zu ernähren und so in der ekstatischen Er‐ fahrung an der Ernährungsweise der himmlischen Gerechten und der Dienst‐ engel zu partizipieren. 165 Der in der Ekstase als Sohn Angeredete dringt ein in den Bereich der Schöpfungsgeheimnisse. Garantierte einst der Tempelkult Bestand und Erneue‐ rung der Schöpfung, so räumt nun die Schekina dem ekstatischen ‚Sohn‘ die (theoretische) Vollmacht ein, auf den Schöpfungsablauf Einfluss zu nehmen. Interessanterweise ist die in der Tradition mit dem Lehrhaus seines Lehrers Rab, dem kleinen Heiligtum, verbundene Lehre kultisch-praktisch orientiert: „‚Kein Mensch kennt seine Ordnung‘ (Hiob 28,13). R. Eleazar erklärte: Die verschiedenen Abschnitte der Tora wurden nicht in ihrer richtigen Ordnung gegeben. Denn wenn sie in ihrer richtigen Ordnung gegeben worden wären, würde jeder, der sie liest, fähig gewesen sein, Tote zu erwecken und Wunder 226 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 166 Vgl. Neusner, A History …, II, 195, mit Anm. 3. 167 Vgl. bPes 68b; dazu Neusner, III, 126. 168 K. Goldammer, Elemente …, in: FS Widengren, II, 1972, 272; vgl. auch J.P. Brown, The Mediterranean Seer and Shamanism, in: ZAW, 93 (1981), 374-400, hier 376ff. 169 A.a.O., 272 1 . 170 Vgl. M. Eliade, Schamanismus, 438f. zu vollbringen. Deshalb ist die richtige Ordnung und der Zusammenhang der Tora verborgen worden; sie kennt nur der H. g. s. E., von dem es heißt: ‚Und wer ist wie ich? Er soll rufen und erklären und es für mich in Ordnung bringen‘ ( Jes. 44,7).“ (MidrTeh Bu, S. 33) Eleasar ben Pedat weiß also um eine ‚praktische‘ Bedeutung der Tora. 166 Tora-Studium erhält die Welt, insofern es die Schöpfungsordnung ‚praktisch‘ realisiert. 167 Wir stoßen also durchgehend auf eine Rezeption der Kulttradition in einem praktisch-charismatischen Sinn, in der die ekstatische Gottesbegegnung ihren eigenen Platz hat. Sie zeigt die Verbundenheit des Charismatikers mit dem himmlischen Schöpfungshintergrund an. Hinter der Rückbindung an die bibli‐ sche Traditionsgeschichte (Mose als Kultcharismatiker) stehen weitergehende Verbindungen zum mediterranen Schamanismus. Zum verklärten Mose be‐ merkt K. Goldammer: „Manches lässt auf schamanistisches Ekstatikertum schließen, so in der religionsgeschichtlich höchst eigenartigen Schilderung Ex 34,29-35 vom Hantieren mit einem Zeugstück (hapax legomenon! ) zur Gesichts‐ verschleierung bei der Ekstase.“ 168 „Diese Stelle fordert zu Vergleichen mit der ‚Feuerkraft‘ auf, die dem schamanischen Seher innewohnt und die als Glanz vom Auge oder Angesicht des Schamanen ausgeht.“ 169 Das Knoblauchessen hat hier religionsgeschichtliche Parallelen, denn um sich ‚brennend‘ zu machen, essen die Schamanen die pikantesten Pflanzen. 170 Im Rahmen des Schamanismus gesprochen, geht Eleazar auf Erkundigung für seine Seele und ihr Geschick. Nur fragen kann man, ob die genannten Zuschauer als zufällig anwesend vorgestellt sind oder ob man vor dem jetzigen Überlieferungszusammenhang an eine regelrechte ‚Sitzung‘ dachte. Von der Konzeption her stoßen wir auf den auch sonst beobachteten Fall, dass die praktische und ekstatische Rezeption der Kulttradition sich auf kultische Urmotive zurückführen lässt, die heilsgeschichtlich vor dem Tempel liegen: Neben Mose und Habakuk als Kreiszeichner und neben der ‚Opferung Isaaks‘ spielt offenbar der ‚leuchtende Mose‘ eine besondere Rolle. Wir halten fest, dass die Sohn-Anrede in einem Kontext der Rezeption kultischer und kultprophetisch-schamanischer Motive steht: Sohn ist Eleazar ben Pedat, insofern er ekstatischen Kontakt zu Gott als dem Herrn der Schöp‐ fungsgeheimnisse hat. 227 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 171 The Ascension of Moses and the Heavenly Jerusalem, in: Nickelsburg (Hrsg.), Studies in the Testament of Moses. Seminar Papers, Cambr./ Mass., 1973, 122-125, genaue Textstelle: 123, Z. 26f. 5. Reprojektion auf biblische Figuren: Jakob und Mose In einer von Jellinek BhM VI, 71-78 edierten und dann von H.W. Attridge übersetzten 171 Fassung des Midrasch vom Ableben des Mose ergeht an den am Kultort träumenden Jakob die Anrede ‚mein Sohn‘ aus dem Munde Gottes. Der Kontext ist kultmystisch geprägt. Mose schaut vor seinem Ableben den Ort, an den er dann wird gehen dürfen. Dabei sieht er Gott den himmlischen Tempel herrichten. Aaron und der Messias b. David gehören in die heilige, himmlische Thron- und Tempelwelt, zu der Mose in seiner Vision erst mittels des ihm von Michael gelehrten Gottesnamens Zutritt erlangt. Als Mose nach der Bedeutung des himmlischen Tempels fragt, wo doch Gott ihm gerade zum Bau eines irdischen Anweisung gegeben hat, gibt ihm der Messias b. David zur Antwort: Schon Jakob sah das Haus, das auf Erden gebaut werden sollte, und sah dazu das himmlische Haus in seiner himmlischen Herrlichkeit und seiner ewigen Bedeutung. Denn während seines Kulttraumes erhielt Jakob die Anrede durch Gott: „Jakob, mein Sohn, zu dieser Zeit stehe ich über dir bis dass deine Söhne vor mir stehen werden, wie es heißt: ‚und siehe, der Herr stand ( בצנ) über ihm‘ (Gen 28,13); und von Israel heißt es: ‚und sie standen (ובציתיו ) unten am Berg‘ (Ex 19,17) und: ‚ihr steht (םיבצתנ) heute‘ (Dtn 9,9).“ So wie Jakob himmlisches und irdisches Jerusalem in ihrem Zusammenhang sah, so soll auch Moses Vision ihm Versicherung des Haltegrundes für den ir‐ dischen Tempel sein. Der Midrasch bildet über בצנ eine Gezera schawa. Inhalt‐ lich soll gesagt sein, dass das Stehen Gottes über Jakob, als Vorgang vom Himmel aus, dem Stehen Israels beim irdischen Bundesschluss am Sinai entspricht: Im kultischen Vollzug des בציתיberühren sich himmlischer Urgrund und irdische Entsprechung. Anscheinend gehört die Sohn-Anrede in diesen kultmystischen Hinter‐ grund. Mit Jakob wird also neben Mose und Habakuk eine weitere Gestalt kultprophetischer und kultekstatischer Prägung aufgenommen, mit der sich jüdische Mystik auf einen kultischen Urzusammenhang der Zeit vor dem Tempel herleitet. Jakob, der in seinem Traum an der Kultstätte in die himm‐ lische Dimension dieses Ortes vordringt, wird von der ihm begegnenden Gottheit mit ‚mein Sohn‘ angeredet. Als Sohn hat er Zugang zum himmlischen Haus Gottes; Gott begrüßt den als Sohn, den er an der Kultstätte zu seiner himmlischen Heiligkeit zutreten lässt. 228 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 172 Vgl. MPG 14, 168f. 173 Vgl. J.Z. Smith, The Prayer of Joseph, in: Memorial Goodenough, 253-294; M. Hengel, Der Sohn Gottes, a. a. O., 76f. 174 Vgl. BhM, I, 120, 30ff. 175 Vgl. BhM, I, 121, 22-26. 176 Vgl. BhM, I, 121, 17ff. Jakob wird in diesem Zusammenhang als ‚mein Sohn‘ angesprochen. Dazu passt die von Origenes bezeugte jüdische Tradition vom ‚Gebet des Joseph‘. 172 Vor dem dort breiter entfalteten kultmystischen Hintergrund erhält Jakob, der zugleich himmlischer Engel ‚Israel‘ ist, eine Fülle himmlischer und kosmischer Prädikate: er ist ἄγγελος θεοῦ, πνεῦμα ἀρχικόν. Sind Abraham und Isaak vor jedem Werk geschaffen, so ist Jakob als der von Gott benannte ‚Mann der Gott sieht‘ (= Israel) πρωτόγονος παντὸς ζώου ζωουμένου ὑπὸ θεοῦ. Als Engel ist sein irdischer Aufenthalt ein Zelten (κατέβην ἐπὶ τὴν γῆν καὶ κατεσκήνωσα ἐν ἀνθρώποις). Er ist ἀρχάγγελος δυνάμεως Κυρίου und ἀρχιχιλιαρχός ἐν υἱοῖς θεοῦ; ἐν προσώπου θεοῦ λειτουργὸς πρῶτος und mit dem Namen Gottes benannt. Der kultmystische Hintergrund und insonderheit die Berührung mit der Henoch-Metatron-Tradition ist ganz deutlich. 173 Ohne die Anrede ‚mein Sohn‘ in diesem kultmystischen Zusammenhang zu sehr mit dem im ‚Gebet des Joseph‘ ausgeführten archangelologischen Gewicht der Stellung Jakob/ Israels über den himmlischen Söhnen Gottes befrachten zu wollen, ist doch Folgendes erkennbar: Die in der Kultoffenbarung wurzelnde Anrede ‚mein Sohn‘ drückt das Grundelement der kultisch-himmlischen Gottesnähe aus. Hiermit beginnt der Einstieg in die volle archangelologische Entfaltung des Amtes als himmli‐ scher erster Kultdiener Gottes. Nach Petirat Moshe, Jellinek BhM, I, 121, Z. 13 f. redet Gott den ihn bedrän‐ genden Mose mit ‚mein Sohn‘ an: „Sofort fing der H. g. s. E. an, ihn zu besänftigen; er sprach zu ihm: ‚Mose, mein Sohn, vieles ist dir in der zukünftigen Welt bereitet …‘“ Der Text gehört in den gleichen Zusammenhang wie der zum Kreismotiv oben zitierte Midrasch Dtn r 11,10: Der mit dem Tod bedrohte Mose dringt mit seinem ‚Gebet‘ gewaltsam in den himmlischen Bereich vor, indem er den geheimen Gottesnamen ‚benutzt‘, den er aus Engelmund gelernt hat, und bringt mit ihm die durch diesen Namen begründete Schöpfungsordnung ins Wanken. 174 Mose ist Sohn, weil er Zugang zum himmlischen Haus hat: Er darf jetzt schon an allem partizipieren - geschweige denn in der zukünftigen Welt 175 -, was Gottes Eigentum ist: seine Herrlichkeit, sein Schmuck, sein Glanz, seine Speise, sein himmlischer Wagen, sein Szepter. 176 Mose wird zum Throngenossen der 229 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 177 Vgl. BhM, I, 129, 11ff. göttlichen Herrlichkeit inmitten der himmlischen Engel werden. 177 Entrückung und himmlische Erhöhung einerseits und charismatisch-‚praktischer‘ Zugang zur himmlischen Welt und ihre wunderbare Repräsentation auf Erden anderer‐ seits entsprechen sich, ausgehend von dem Grundsatz der Abbildung jetzt und der überschwänglichen Realisierung in der zukünftigen Welt. Die Grundlage der Vollmacht des Mose liegt in seinem Zugang, ja seiner Zu‐ gehörigkeit zur himmlischen Welt: Nach Dtn 33,1 ist Mose - so der Midrasch - zugleich שיא und םיהולא. „Als Mose vor Pharao floh, hieß er שיא, als er zum Himmel emporstieg, hieß er םיהולא.“ (BhM I, 115, Z. 7 f.). Entsprechend war, so‐ lange Mose lebte, alles in seiner Vollmacht, die Oberen und die Unteren, was der Midrasch mit Ps 68,19 begründet (BhM I, 117, 26 f.). Nachdem nun die durch den Zugang (= Aufstieg zum Himmel) zur himmlischen Welt entstandene Vollmacht des Mose in seinem Tod ihr Ende findet, wird ihm in der zukünftigen Welt ein neues himmlisches Sein bereitet, welches im Garten Eden beginnt. Wenn auch die Tage des Mose dahinschwinden, so wird doch nicht sein Licht schwinden, denn „… ich werde mit meiner Herrlichkeit dir leuchten …“ (BhM, I, 121, 20 f.). Mose geht intramortal in die himmlische Herrlichkeit ein: „… von den Wagen meiner Merkaba werde ich deine Fahrzeuge machen und von meinem Szepter, auf das der unaussprechliche Gottesname eingegraben ist, mit dem ich die Welt am Anfang erschaffen habe, habe ich dir ein אמגוד ‚Abbild‘ in dieser Welt ge‐ geben. Mein Szepter ist (jedoch nur) eines von 8760 Myriaden von der künftigen Welt.“ (BhM, I, 121 21-25). Die intramortale Verklärung des Mose bedeutet Zu‐ gang zu den Größen, an denen Mose in seinem Leben nur abbildweise partizi‐ pierte; sie sind zugleich Vorausgriff auf die Neuschöpfung der zukünftigen Welt, in der der Gottesname alles erfüllen wird. Hier ist sehr deutlich das Ineinander von ‚oben‘ und ‚unten‘, protologischer Vergangenheit, Gegenwart und escha‐ tologischer Zukunft zu sehen. Teilhabe am himmlischen Geheimnis bedeutet Teilhabe am Geheimnis der ersten Schöpfung und Vorausgriff auf die Herrlich‐ keit der zweiten Schöpfung. Die Grundlage bildet der Zugang zur himmlischen Welt, und von ihr aus erschließen sich der Rückblick auf die Schöpfung und die Handhabung ihres Geheimnisses in der Gegenwart, sowie der Ausblick auf die intramortale, himmlische Herrlichkeit und die eschatologische Vollendung der zweiten Schöpfung. Die Struktur ist ähnlich wie in der Henoch-Metatron-Tradition und der mystischen Apokalyptik des frühen Judentums überhaupt: Es geht um die Teilhabe an der Weisheit der Oberen und der Unteren, dieser Welt und der zu‐ künftigen (vgl. Ed. Schäfer § 13, S. 6, Z. 34 f.). Oberes und Unteres umschreibt die 230 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 178 Vgl. oben S. 167. 179 Ed. Odeberg, Kap. 48 (A), 7; = Ed. Schäfer § 69. 180 J.-A. Bühner, Der Gesandte und sein Weg im 4. Evangelium, Tübingen, 1977, 195-198. Grundspannung dieser apokalyptischen Mystik, in die einbezogen ist diejenige zwischen erster und zweiter Schöpfung. Auch hier ist also der Motiv-Verbund, in dem sich die Sohn-Anrede einstellt, näher bestimmbar: Es geht in der Grundlage um den Zugang zur himmlischen Welt, welcher dem Sohn gewährt wird, um sein Beteiligtwerden an den Kult-Geheimnissen der Schöpfung, die an der himmlischen Seite der Schöpfung ‚befestigt‘ sind und die der Sohn charismatisch-praktisch benutzen darf. Der Sohn, der Zugang zum Haus des Vaters hat, steht unter der Verheißung einer intramortalen Verherrlichung, die ihn zum himmlischen Throngenossen des Vaters und zum Teilhaber der überschwänglichen Herrlichkeit der neuen Schöpfung macht. Als Sohn im Kulthaus Gottes heißt Mose dann auch ןב תיב , 178 Gott ‚verband‘ sich nach 3. Hen 179 mit Mose, weil er (nach Ps. 99,6) Priester war. Sein priester‐ lich-interzessorisches Treten vor Gott ist Grund und Zeichen dafür, dass Gott sich ihm ‚verband‘ und er als Intimus Gottes eine charismatisch-praktische Vollmacht erhält. 6. Nochmals: Choni der Kreiszieher Wir sind von Choni als herausragendem Beispiel des charismatisch-praktischen Eingriffs in das Gebiet des Kultes ausgegangen, haben dabei zunächst das Kreis‐ motiv in den Mittelpunkt gestellt und wollen nun zu der ihm zugeschriebenen Sohn-Tradition zurückkehren, die ebenfalls in den Umkreis charismatischer Kultrezeption gehört, wie die in diesem Abschnitt zuvor erörterten Textzusam‐ menhänge gezeigt haben. Choni ist Ausgang und Ziel dieses Abschnittes, weil in der von ihm han‐ delnden mischnischen und talmudischen Überlieferung die Elemente charisma‐ tisch-praktischer Kultrezeption in besonders deutlicher Weise hervortreten. Ferner ist Choni eine auch traditionsgeschichtlich vorchristliche Gestalt: Der Kern der Regenwunderüberlieferung ist deutlich erkennbar und wird bereits von Josephus vorausgesetzt. Da Choni in einen Bereich eingreift, der von Haus aus durch den amtlichen Kultus geregelt ist, braucht er für seine charismatische Freiheit eine eigene Le‐ gitimation: Sie liegt in der von ihm beanspruchten Würde des ‚Haussohnes vor Gott‘. Wir haben an anderer Stelle ausgeführt, 180 dass der Begriff ןב תיב Teil des jüdischen Vertretungsrechts ist, näherhin der Vollmachtslehre. Haussohn ist der 231 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 181 Vgl. jTaan 3,12 (67a, 18 f.) und bTaan 23a. 182 Vgl. bBer 55a: „R. Jehuda sagte im Namen Rabs: Besales (sc. der Erbauer des Zeltes) hat es verstanden, die Buchstaben zusammenzufügen, mit denen Himmel und Erde erschaffen wurden …“ Generalbevollmächtigte des Hausherrn, der über seinen ganzen Besitz verfügen darf. Diese hohe Position konnte von einem Angestellten, meist aber von einem ‚Hausknecht‘ oder dem leiblichen Sohn des Vaters bekleidet werden. Die Kom‐ mentierung des Simeon ben Shetach zeigt bereits in der mischnischen Fassung 181 der Choni-Überlieferung, dass man Haussohnschaft auch im Sinne des intimen Verhältnisses des leiblichen Sohnes zum Vater verstand. Zu dem mehr juristi‐ schen Aspekt der Haussohnschaft als Beteiligung am Vermögen des Vaters tritt der mehr persönliche eines Zwanges der Liebe, unter dem der Vater sich dem Willen des Sohnes beugt. Beide Aspekte gehören im alltäglichen Leben zu‐ sammen: Aus der Zuneigung des Vaters zum Sohn wird die Vollmacht, die der Sohn bekommt. Wenn man sich nicht nur am Ablauf des alltäglichen Lebens, in dem normaler‐ weise die besondere Intimität von Vater und Sohn der Vollmachts-Gewährung vorausgeht, sondern sich am Text der Mischna orientiert, so ist deutlich, dass Choni mit der Vollmachts-Frage beginnt. Mit der Vollmacht dessen, der wie ein Haussohn ist, bezieht er den kultischen Anspruch, wonach vom Haus Gottes aus die Welt verwaltet wird, charismatisch auf sich. Der Haussohn ist der Bevollmächtigte über das kosmische Dimension besitzende Kulthaus Gottes. Er hat Vollmacht, indem er an Gottes eigener Macht partizipiert. Name, Schwur und Regen sind der göttlichen Sphäre zugehörige Größen, die, traditionell nur dem Kultus erschlossen, nun dem Sohn, der charismatisch Zugang zum Haus hat, offenstehen. Dabei ist der Kreis, so haben wir oben gesehen, Symbol des kultischen Taburaumes einer besonderen Gottesnähe. Choni benutzt den Kreis als Symbol der sonst durch den Kultraum angezeigten Gottesnähe. Der Kreis ist symbolische Verdichtung des heiligen Raumes und der Totalität des kosmischen Hauses. Wer aber das kosmische Haus ‚gestaltet‘, muss den Namen kennen, mit dem die Schöpfung zusammengehalten wird. 182 Haussohn ist also derjenige, der zum Haus Gottes Zugang hat und über die mit dem Haus verbundenen kultisch-kosmischen Größen als Bevollmächtigter Gottes verfügen kann. Kenntnis des Namens, Gestaltung des Kultraumes und Eingriff in einen Gottes Schöpfermacht vorbehaltenen Bereich sind Kennzeichen dieser Haussohnschaft. Das Bild von der Intimität des Sohnes zum Vater ergänzt und expliziert die unter dem Begriff des Haussohnes erschienene Grundschicht. Die Bezeichnung ‚Haussohn‘ wendet die rabbinische Tradition auch auf Mose an, und zwar bezeichnenderweise im Anschluss an Nu 12,7f. 232 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 183 Vgl. oben S. 204 und V. Fritz, Tempel und Zelt, 104f. 184 Vgl. M. Eliade, Schamanismus, 249-275. 185 Vgl. oben S. 204f. 186 Nu r 4,1; vgl. Midr Teh 2,13; Tanchuma, Bammidbar, 19; TanBu, Bammidbar, 10; Pes R 10 (35b); Ex r 43,6. 187 MM IV § 1, Macdonald, 1, S. 84 Z. 15. 188 MM IV § 1, Macdonald, 1, S. 84, Z. 2 v.u. Schon der Bibeltext ordnet die entscheidenden Motive zusammen: Gott offenbart sich dem Mose nicht in Gesichten und Träumen, sondern hat ihn mit seinem ganzen Haus betraut und redet von dieser Grundlage aus zu ihm von Mund zu Mund und in direkter Vision. Wie wir oben gesehen haben 183 , liegt Nu 12,7f. das Bild von Mose als demjenigen zugrunde, in dem sich Ideale eines ekstatischen Kultprophetentums niedergeschlagen haben. Das ‚Haus‘ hat dabei vielleicht schon für den biblischen Text kosmische Bedeutung, zumal wenn man die Stiftshütte religionsgeschichtlich mit der schamanischen Tempeljurte verbindet, die jedenfalls kosmische Bedeutung besaß. 184 Das ‚Haus‘ hat eine Himmel und Erde verbindende Symbolkraft. Die rabbinische Tradition sieht in Nu 12,7 folgerichtig eine kosmische Größe des Mose angelegt. 185 In diesem Zusammenhang ist Mose Haussohn Gottes: לשמ ךלמל היהש ול תונרג הברה ויהו םלס תופונט תואלמו םינרז אלו קרקד ןינימב היהי ול ןרג תחא האר האנהתוא רמא ןבל תיב … ןבו ותיב הז השמ רמאנש … (Nur Israel gefiel Gott unter allen Völkern.) „Maschal: Ein König hatte viele Kornkammern, die alle viel Abfall enthielten und voll mit Roggenstroh waren. Deswegen nahm er sie nicht genau hinsichtlich ihrer (Lager-)Menge. Er hatte jedoch eine bestimmte Kornkammmer, die er als gut erachtete. Er sagte deshalb zu seinem ןב תיב (‚Zähle alle erstgeborenen Männlichen,‘ Nu 3,40) … Und der ןב ותיב , das ist Mose, wie es heißt: … (Nu 12, 7).“ 186 In der samaritanischen Tradition ist Nu 12,7 ebenso auf Mose Haussohnschaft im Sinne seines Beteiligtsein am kosmischen Haus und der darauf gründenden Intimität mit Gott bezogen: ןאה ךה השמ ןמו ימדמ הדמ הנמיאר השמל לע הלדממ „Where is there any like Moses and who can compare with Moses, whom his Lord entrusted over His possession? “ 187 השמל רקיתאד התאיסכב יגס רב התיב התאילגמ ןמיהמו אלא הזחתאו הל אלא ללמו המע םיהולא „(Where is there any one like Moses and who can compare with Moses) who, was glorified in unseen things even more in revealed things, the Son of His House, the faithful one of God, to whom God revealed Himself, with whom God spoke? “ 188 233 II) Der kult-charismatische Hintergrund der Sohn-Lehre 189 MM IV§ 1, Macdonald, 1. S. 85, Z. 10-13. 190 Vgl. MM V § 3, Macdonald, 1. S. 124, Z. 12. Zur samaritanischen Haussohn-Lehre vgl. ders., Theology, 154-157. 191 Vgl. MJoma 5,1; dazu bJoma 53b; bTaan 24b. 192 Die Begegnung mit der Heiligkeit Gottes, welcher der Hohepriester sich bei einem Gang in das Allerheiligste stellt, wird bei der charismatischen Rezeption von der Ebene äußerer Objektivität - wenn man davon überhaupt sprechen kann - auf die eines ekstatischen, halluzinatorischen Erlebnisses verlagert. Das schubweise Vorgehen des Choni scheint für ein ekstatisches Ringen mit der Gottheit charakteristisch zu sein; vgl. zu Chanina ben Dosa: bBQ 50a (oben S. 212). Auch das Vorgehen des Elia nach 1 Könige 18,41-44 weist in diese Richtung. Dass sich halluzinatorisches Ringen mit der Welt der Dämonen schubweise vollzieht, deutet auch die Langfassung der synoptischen Versuchungsgeschichte an. 193 Vgl. die Abwertung des 2. Tempels in essenischen Kreisen (1Hen 90, 9 f.) und im NT (ApG 7,40f.). Maßstab ist die Stiftshütte, die Zugang zur himmlischen Heiligkeit gewährte und darum eine eschatologische Dimension barg. ןאה ךאה השמ ימדמןמו השמל הדבע רבו התיב ןאההלאד ךאה השמ ימדמןמו השמל ללמד םע הרמ םחדכ םע ןאההמחר ךאה השמ ימדמןמו השמל יזחאד הל הרמ ילגב הילבהיו ןאההאריכ ךאה השמ ימדמןמו השמל דבעתאד םש הארמ המש „Where is there a prophet like Moses and who can compare with Moses, the servant of God, the son of the House of God? … who addressed his Lord like friend with friend? … to whom his Lord appeared in a revelation and gave to him His autograph? … whose name was made the name of his Lord? “ 189 Aus dieser Vollmacht und Intimität begründenden Position folgern die Sama‐ ritaner, wie die genannte rabbinische Tradition in Ausführung des Nu 12,7 Vorgegebenen, dass Moses betraut ist mit den Geheimnissen der Schöpfung und mit dem, was sie enthält, der Erde und was sie enthält, der Menge der unsichtbaren und der Grundlage der sichtbaren Dinge. 190 Er bekommt den Namen seines Herrn, da er, mehr noch als die Engel, in seiner kultischen Nähe steht. Blicken wir abschließend auf die Choni-Überlieferung, so stellen wir fest, dass Choni in seiner Funktion an die Stelle des Tempelkultes tritt; er konkurriert geradezu mit dem Hohenpriester, dessen Bitte um Regen bei seinem Gang in das Allerheiligste am großen Versöhnungstag 191 er durch sein charismatisches Vordringen 192 in den Bereich der allerheiligsten Nähe Gottes überbietet. Er schafft Regen und verfügt über das kultische Geheimnis des Gottesnamens. Als Haussohn ist er Generalbevollmächtigter und Intimus Gottes. Diese charismati‐ sche Rezeption bedeutet eine Verdichtung der vorfindlichen Kultsymbolik durch Rückgriff auf Urelemente der vor dem Tempel angesiedelten kultprophetischen Urtradition Israels. Der Kreis intensiviert aktuell die latente Bedeutung des Kulthauses und weist über diese hinaus zurück auf die urtümlichere Struktur des ‚Zeltes‘. 193 Der ‚Haussohn‘-Titel verdichtet in Rückgriff auf die Gestalt des 234 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 194 Zum Priester als ךאלמ vgl. Mal 2,7; bKidd 23b; bJoma 19a; bNed 35b; Hebr. 3,1. 195 Anders Green, Palestinian Holy Men, in: ANRW 19/ 2 (197 9) 627f. 196 Vgl. bSanh 67b: םיפשכ ןישיחכמש אילמפ לש הלעמ , vgl. J. Levy, Wb II, 423a. 197 Vgl. grundlegend Sach 3,7 und Mal 2,5f. Mose den Anspruch kultischer Vertretungslehre; 194 Verwendung des Namens zur Erlangung eines Wunders greift ebenfalls über den Tempel hinaus auf die biblische Vorzeit der ersten Erlösung zurück. Die talmudische Gemara betont diese kultprophetische Anbindung des Choni noch stärker, stellt sie aber keineswegs erst her. 195 Außer auf den oben genannten Vergleich mit Habakuk dem Kreiszieher sei noch auf folgende Interpretamente der talmudischen Fassung hingewiesen: Die Einwürfe der ‚Schüler‘ auf die Zwischenergebnisse der Interzession des Choni betonen, dass er Tod verhindert und Leben mehrt, also in die klassische Aufgabe des Kultus tritt. In die gleiche Richtung weist die Ergänzung, nach der Choni am Ende ein Dankopfer darbringt. Geradezu im Sinne einer idealen Hochpriesterschaft wird Choni gepriesen im abschließenden Lehrspruch der Rabbinen, der sich an Hiob 22,28-30 anlehnt. Er befiehlt ‚unten‘ und Gott stimmt ihm ‚oben‘ zu; d. h. er ist gegen den Anschein keiner der םיפשכ, die der himmlischen Familie widersprechen. 196 Vielmehr mischt er sich zurecht in die himmlischen Angelegenheiten ein, als Haussohn, der - so können wir ergänzen - dem älteren Ideal vom zu den Himmlischen gehörenden Priester-ךאלמ entspricht. 197 Er gibt Licht in das verfinsterte Zeitalter und richtet es durch sein Gebet auf. Die sichtbare Lichterlösung vom Zion aus gewinnt in seiner Wundervollmacht Gestalt. Er hilft dem durch die Sünde nie‐ dergebeugten Zeitalter, geht also gegen die Sündenmacht an, wie es der Erwar‐ tung an den idealen Hohenpriester nach Mal 2,6 entspricht. An Choni zeigt sich eine Grundtendenz der nachexilischen Zeit, den Priester, zumal den Hohenpriester, als ideale Mittlergestalt zu sehen. Er hat Zugang zur himmlischen Welt, sorgt für Segen und bekämpft die Sündenmacht. Diese Ideale der Zeit, die in dem wirklichen Hohenpriester des Jerusalemer Kultes selten genug Ansätze zur Verwirklichung fanden, konnten sich umso eher an einem Mann festmachen, der kultische Vollmacht im Rahmen einer charismatischen Begabung und ohne genealogische Legitimierung wahrnahm. III) Zusammenfassung Wir haben die rabbinische Überlieferung über Männer betrachtet, die von Gott als ‚mein Sohn‘ angeredet werden oder sich als sein ‚Haussohn‘ bezeichnen. 235 III) Zusammenfassung von Teil II 198 So G. Vermes, Jesus the Jew, 79 f.; vgl. D. Flusser, Jesus, 1968, 90. Diese Männer von ‚Choni der Kreiszeichner‘ bis ‚Eleasar ben Pedat‘ umreißen die Zeitspanne vom 1. vorchristlichen bis zum 3. nachchristlichen Jahrhundert. Sie gehören alle nach Palästina. Auch Eleasar ben Pedat lebte überwiegend in Palästina. Eine nähere Eingrenzung auf Galiläa als Ursprungsort eines mit diesen Männern verbundenen Charismatikertums 198 scheint sich nicht nahezulegen. Nur bei Chanina ben Dosa ist die galiläische Herkunft wahrscheinlich, während Jischmael mit Jerusalem und Südpalästina verbunden ist; Meir hat seine ihn prägende Tradition von Elischa ben Abuja empfangen, der wiederum auf Jerusalem zurückweist. Choni der Kreiszieher ist in der Regenwundertradition mit Jerusalem verbunden. Diese Männer sind also eher mit Jerusalem verbunden und stammen teilweise aus Priesterfamilien. Sie lebten in einer Zeit, da der Tempel seine ihm zugemessene ideale Be‐ deutung nicht mehr ausfüllen konnte (Choni und Chanina ben Dosa), bezie‐ hungsweise nach dessen Existenz. Die auch von anderen jüdischen Gruppen angenommene Aufgabe, den Tempel zu ersetzen, bestimmt auch die hier genannten Männer. Sie sind charismatische Kultrezeptoren, die die Verbindung von irdischer und himmlischer Welt im interzessorischen Akt neu realisieren. Dies gilt zunächst für den Topos ‚Ernährung der Welt‘: Sicherte einst der korrekt vollzogene Kultus, vor allem der Versöhnungstag, die Ordnung der Welt, die ordnende Inbezugsetzung von Erde und Himmel, so tritt mit Choni schon im 1. vorchristlichen Jahrhundert ein Charismatiker auf, der den offensichtlich versagenden Kultus überbietet und der Regen in die Welt bringt. Er tritt gleichsam an die Stelle des Hohenpriesters, ja tritt Gott so nahe, wie es in der Idealität der Hohepriester tun durfte. Diese frühen kultergänzenden und erst darin kultkritischen Charismatiker bedienen sich dabei offenbar kultischer Urereignisse und Symbole (Opferung Isaaks und Kreis), ja mit dem Gottesnamen des eigentlichen Kultgeheimnisses. Zu dieser charismatischen Verdichtung des kultischen Kontaktes zur himm‐ lischen Welt gehört auch der Kampf gegen Krankheiten und die sie bedingenden Dämonen. Wie der kultrezeptive Charismatiker sich in seinem Kampf um Regen und Ernährung der Welt in den himmlischen Bereich der Schöpfung einmischt, so greift er in seinem Kampf gegen Krankheit, dämonischer Besessenheit und Macht des Bösen ebenfalls in den vom Himmel her verwirrten und nur vom Himmel her zu ordnenden Bereich der Schöpfung ein. Hinter diesen beiden unterscheidbaren Themen ‚Ernährung der Welt‘ und ‚(kultische) Ordnung der Welt‘ steht die Grundfrage der Zugänglichkeit des 236 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 199 So G. Vermes, a. a. O., 65.69.74. 200 Vgl. auch I. Gruenwald, Apocalyptic and Merkavah Mysticism, 1980, 96f. Herrn der Schöpfung für den Charismatiker. Die Einmischung in die genannten ‚himmlischen‘ Bereiche ist ja - wenn es sich nicht um heidnische Magie handeln soll - nur aufgrund einer besonderen Vollmacht möglich. Sie kann aber nun nicht mehr im Sinne einer amtlichen Berechtigung verstanden werden. Es ist deutlich, dass die genannten Männer nicht einfach von einer ganz anderen Basis als der Kult ausgehen. Besonders ist hier das Moment einer chasidischen Gebetsdevotion zu nennen. 199 Sie ‚benutzen‘ die Kultsymbolik. Sie behält den weltbildprägenden Charakter. Die kultische Gottesbegegnung, zumal des Hohenpriesters am Versöhnungstag, behält Modellcharakter für die Gottes‐ begegnung des Charismatikers. 200 Dies ist evident für die Jismael-Tradition und des mit seinem Namen verbundenen Bereichs jüdischer Mystik. Meir enthüllt einen Zug des Wesens der Schekina, ein Vorgang, der vor dem Hintergrund der Paradies-Tradition und der Schau der himmlischen Geheimnisse der Gottheit verstanden werden kann. Auch das ekstatische Erlebnis des Eleasar ben Pedat steht noch deutlich im Umfeld der Frage nach der Gegenwart der Schekina im Tempel, die der Mystiker auch nach 70 erlebnismäßig im Heiligen Land erfahren kann. Auch Choni nimmt mit dem Symbol des Kreises die kultische Dimension des heiligen Raumes auf, in der die Gottesbegegnung charismatisch intensiviert vollzogen wird. Bei Chanina ben Dosa wird deutlich, dass die unmittelbare Begegnung mit der Gottheit einen wichtigen Impuls bekommen hat aus der Gebetstechnik einer totalen Konzentration, wie sie nach M Ber 5,1 die älteren Chasidim aufbrachten. Sie traten so ihrem Vater im Himmel gegenüber. Man bediente sich verschiedener Techniken, vor allem der Verhüllung, des Gangs an verborgene Orte oder des Einklemmens des Kopfes zwischen den Knien. Dieses ‚Gebet‘, das von keinem äußeren Ablauf sich stören lässt, hat also sicherlich Ansätze zu einem Übergang in Ekstase. Es entsteht auch hier so etwas wie ein heiliger Raum, in den die Gottheit den Versenkten einlässt, ein Abbild des Allerheiligsten, bzw. sogar ein Bereich himmlischer Heiligkeit. Dass dieses Gebet mehr kann als das des Hohenpriesters, liegt hierin begründet. So könnte man in diesen Zusammenhängen den technischen, theurgischen Charakter betonen, unter dem ehemals kultische Symbole ‚verwendet‘ werden. Dies wäre jedoch einseitig. Vielmehr macht die Tradition bei allen diesen Männern deutlich, dass die offizielle Installation des Hohenpriesters in diesen Konkurrenten bzw. Nachfolgern durch ein besseres Legitimationsverfahren abgesichert ist. Ihnen gebührt das Recht, Zugang zum himmlischen Haus Gottes zu haben, Söhne zu sein, denen Gott den Zugang gestattet. Der charismatische 237 III) Zusammenfassung von Teil II ‚Hohepriester‘ findet Aufnahme bei Gott und erhält eine himmlische Vollmacht, die ihn zum Sohn in Bezug auf das Haus Gottes macht. Der in der nachexilischen Hochpriestertradition angelegte Anspruch, dass der Hohepriester qua Amt zur himmlischen Kultdienerschaft Gottes gehört, verdichtet sich in dieser charismatischen Rezeption. Die Sohnschaft gilt im Rahmen des kosmischen Hauses. Es entsteht eine Nähe zum Mosebild von Num 12,7f. ‚Sohn‘ und ‚Haussohn‘ sind in diesen kultrezeptiven Traditionen komple‐ mentäre Begriffe, wie die Choni- und die Mose-Tradition zeigen. Auch der Sohn ist in seinem Verhältnis zum Vater immer an den größeren Rahmen des Vaterhauses gebunden, wie andererseits der Haussohn die Grundlage seiner Vollmacht im Vertrauen des Vaters, ja der Intimität zu ihm, findet. Als Sohn, der Zugang zum himmlischen Vater hat und von ihm als ‚mein Sohn‘ angeredet wird, erscheint der Charismatiker mehr in seinem Verhältnis der verborgenen Intimität zum Vater; als Haussohn ist seine Vollmacht über das (kosmische) Haus betont, in der er an der schöpferischen Macht Gottes Anteil hat. Eine weitere Deutung des Materials erscheint möglich: Die Sohn-Tradition begegnet entweder im ekstatischen Kontext oder in der öffentlichen Proklamation der ‚Bat Kol‘. Die Bat Kol-Schicht scheint insofern ‚sekundär‘ zu sein, als sie die Beziehung von Vater und Sohn eher zu enthüllen als zu begründen scheint. Durch die Bat Kol wird offenbart, was an geheimer Beziehung des Sohnes zum Vater vorgängig besteht. Die Bat-Kol-Schicht bestä‐ tigt und reagiert auf die ekstatische Schicht. Kann man ‚mystisches‘ und ‚praktisches‘ Charismatikertum auseinander‐ halten? Diese abendländisch-modernem Verständnis naheliegende Trennung von Mystik und Magie ist für den Bereich des frühen Judentums bis zum osteu‐ ropäischen Chasidismus des 18. Jahrhunderts so nicht möglich. In den Bereich des von der himmlischen Welt her verwalteten Hintergrundes der sichtbaren Schöpfung kann sich nur der Wissende einmischen: Die theurgische Macht des Choni setzt seine besondere Intimität zum Vater voraus. Andererseits ist die Gebetsdevotion, die bei Chanina ben Dosa betont wird, bezogen auf sein Wun‐ derwirken. Durch mystische Versenkung in das Geheimnis der Gottheit und der Schöpfung erlangtes Wissen ist Voraussetzung für Wundervollmacht; anderer‐ seits ist aber auch die Verwendung überlieferten Geheimwissens Schlüssel für die Erlangung himmlischer Offenbarung. Man wird geradezu sagen können, dass sich die besondere Würdigkeit des Mystikers, der Kontakt zur Gottheit und zur himmlischen Welt hat, in seiner Ermächtigung zum Wunderwirken zeigt. Platte Magie einerseits und rein lehrmäßige Kabbala andererseits mag es auch im Judentum gegeben haben; wie jedoch Scholem deutlich gezeigt hat, 238 D) Die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption: der Sohn aus dem Haus des Vaters 201 Vgl. Jewish Gnosticism, Merkavah Mysticism and Talmudic Tradition, 1960,5ff; ders., Die jüdische Mystik in ihren Hauptströmungen, 1957, 61.84.157-159. laufen in der jüdischen Esoterik seit frühester Zeit beide Aspekte komplementär zusammen. 201 Diese unauflösliche Zusammengehörigkeit beider Elemente zeigt sich in unserem Traditionskreis nicht zuletzt an der Verbindung von Sohn- und Haus‐ sohnschaft, von Intimität und Vollmacht als Aspekten eines charismatischen Gottesverhältnisses. 239 III) Zusammenfassung von Teil II 1 Vgl. Mk 15,38; ML 27,51-53. 2 Vgl. das Q-Logion Mt 23,37-39 par. Luk 13,34-35. E) Die kult-rezeptiven Bewegungen des Judentums und der historische Jesus Die Verwaltung und Erschließung der aus Himmel und Erde bestehenden Schöpfung ist in Israel Aufgabe des Tempel-Kultes gewesen. Der Tempel gilt als das Zentrum der Schöpfung; er ist Schnittpunkt in vertikaler und heilsge‐ schichtlicher Verortungspunkt in horizontaler Hinsicht. Der Himmel gilt als der höherwertige Teil der Schöpfung, in der Terminologie des Kultes als die reine und der Heiligkeit Gottes angenäherte Sphäre. Über die ‚himmlische Welt‘, will man sich nicht auf die Aufzählung von ‚Vorstellungen‘ beschränken, lässt sich also angemessen nur unter kultgeschichtlichem Gesichtspunkt handeln. Der Kultus erschließt, ja zentriert die Schöpfung. Hauptkennzeichen der Zen‐ trierung der Schöpfung durch den Tempel ist die Verbindung von himmlischem und irdischem Schöpfungsraum an dem einen heiligen Ort auf Erden, der durch die Gnade Gottes dazu bestimmt ist. Jesus kannte wie jeder Jude diese Bestimmung des Tempels und des Kultes in Jerusalem. Dass sein Weg ihn im Ziel zu diesem Ort führt, hat nicht erst für die Traditionsdeutung der Gemeinde einen besonderen Sinn. 1 Sie ist für den Irdischen eine ihn bindende Notwendigkeit. 2 Wenn Jesus sich auf den Vater im Himmel bezieht, die Gegenwart des Reiches Gottes vollmächtig darstellt, von sich in Bezug auf den Menschensohn spricht, Sünden vergibt und Exorzismen vornimmt, so greift er grundsätzlich in das Gebiet ein, für welches eigentlich der Tempel zuständig ist. Unsere Untersuchung im zweiten Hauptteil hat an Beispielen - ohne den ge‐ samten Traditionsbereich abdecken zu können - gezeigt, dass das Judentum zur Zeit Jesu längst Bewegungen kannte, die den Anspruch des Jerusalemer Kultus aus- und umdeuteten. Gemeinsam ist diesen kultrezeptiven Bewegungen, dass sie den Anspruch des Kultes auf Zentrierung der Schöpfung, ja eine erlösende Vereinigung der Schöpfungsräume aufnehmen. Die Betonung des jeweils in eigener Umsetzung wahrgenommenen Kultanspruchs führt zunächst nicht primär zu einer Kritik am vorfindlichen Kult in Jerusalem. Es geht vielmehr darum, die vom Tempel erschlossene Beziehung zur himmlischen Welt wirklich wahrzunehmen und in ihrer heilsamen Bedeutung für Israel und die ganze Schöpfung zu realisieren. Auch Jesus kommt nicht von einer expliziten Kult‐ kritik her, sondern versteht sein Wirken als eschatologische Realisierung der vom Kultus umschriebenen Heilsgüter. Wo Sünde, Tod und Teufel weichen, wird die Schöpfung neu. Mit einer hellenistischen Tempelkritik werden wir also nicht als Grundmoment der palästinischen Traditionen rechnen. Die Pharisäer wollten die kultische Reinheit der Priesterschaft auf Gesamt-Is‐ rael ausdehnen, also auch auf die nicht-levitischen Volksstämme. Dahinter steht die Erwartung eschatologischen Heils für Israel, wenn alle um den Zion herum einen neuen konzentrischen Kreis priesterlicher Reinheit legen. Die Betonung von ‚Tora‘ und ‚Werken der Barmherzigkeit‘ sind spezifische Kennzeichen der pharisäischen Priesterreinheit: Die Tora ist die vom Tempel ausgehende Wei‐ sung zu einem reinen Lebenswandel, und die Barmherzigkeit ist Zeichen der Abbildung des kultischen Hinweises auf die der Schöpfung mitgegebene Qua‐ lität des göttlichen Erbarmens. Es geht um den wahren Aaronsdienst, der mit diesem Anspruch in eine unterschwellige Konkurrenz zum Jerusalemer Dienst tritt. Die pharisäische Frömmigkeit bildet die irdische Gestalt der Beziehung des wahren Aarondieners zur himmlischen Welt. So wie der Priester, einem ךאלמähnlich, in seinem Dienst vor Gott treten kann und als Kultdiener Zugang zum himmlischen Teil der Schöpfung hat, so weiß der Pharisäer sich in die Reinheit und Heiligkeit der himmlischen Gemeinde hineingenommen. Die Es‐ chatologie der Pharisäer mündet nach Ps Sal 17 in einer Reinigung des Zion durch den Davidspross und einer anschließenden Verklärung, in der die irdische und die himmlische Gemeinde sich vereinen. Im Grundansatz bleibt die phari‐ säische Kultrezeption ausgleichend und behutsam: Im Zentrum steht die Aus‐ weitung der Reinheitshalacha. Der Tempel behält seine zentrierende und Heil stiftende Funktion. Der himmlischen βασιλεία ordnet sich der Pharisäer jetzt schon ein, ohne dass halachischer Enthusiasmus, wie in Qumran, dafür nötig ist. Immerhin konkretisiert die pharisäische Reinheits-Halacha ihrem Anspruch nach die irdische Gestalt der himmlischen Gottesherrschaft. In der Bindung an die Zionseschatologie bestehen Gemeinsamkeiten mit der apokalyptischen Rezeptionslinie. Auch hier stehen, wie in den Anfängen des Pharisäismus, priesterlich-levitische Kreise hinter der Tradition. Die apokalyp‐ tische Rezeptionslinie des 1Hen greift jedoch systematisch über den irdischen Tempel Jerusalems hinaus. Hieraus spricht das Wissen, dass die himmlische Dimension des Kultes in Zeiten der Hellenisierung sich zu verbergen drohte. Zwar setzt 1Hen ständig voraus, dass es eine Gerechtigkeit gibt, die schon irdisch der himmlischen Dimension der Schöpfung entspricht, doch wird diese nicht eigens halachisch ausgeformt. Vielmehr wird die vom Tempel erschlossene Beziehung zur himmlischen Welt im Medium der apokalyptischen Schau und Belehrung zu einer eigenen Wirklichkeit. Die Apokalyptik des 1Hen geht 242 E) Die kult-rezeptiven Bewegungen des Judentums und der historische Jesus konsequent den Weg zur Eschatologie über die Enthüllung des himmlischen Teils der Schöpfung. Vorausgesetzt wird, dass der himmlische Teil der Schöp‐ fung der eschatologischen Erlösung sehr viel nähersteht als der irdische, ja in ihm die Heilsgüter der Endzeit schon präsent sind. Dieser Grundansatz steht auch hinter der pharisäischen Bewegung, doch sind in der uns erhaltenen pharisäischen Tradition die himmlischen und die eschatologischen Elemente weniger explizit behandelt. Sicherlich meint aber auch jeder Pharisäer, dass die Auferstehung der Toten an der Existenz von Geist und Engeln hängt (ApG 23,8). Die eschatologische Erlösung bedeutet eine Verklärung des Zions. Die Apokalyptik des 1Hen betont, dass die endzeitliche Verklärung des Zion als himmlisches Geheimnis jetzt schon in der Form einer schaubaren Größe über dem Tempel liegt. Einer der ältesten Ansatzpunkte im Buch der Wächter ist die Thronvision. Der Seher hat Zugang zum himmlischen Kultbereich der Heiligkeit Gottes und bekommt von hier aus Einblick in die himmlische und eschatologische Segenskraft des Kultus. Die Schöpfung ist zentriert, heilsam ausgerichtet auf und gehalten durch den himmlischen Kultbereich Gottes. 1Hen bleibt aber nicht bei einer ‚eschatologischen Verlängerung‘ der priesterlichen Kultideologie stehen. Zugang zur himmlischen Thron- und Kultwelt Gottes hat nach 1Hen 14 Henoch, nach den Bearbeitungen in 46 und 71 er als der Menschengestaltige. Henoch ist Interzessor, der vor Gott tritt und als solcher an seiner Herrschaft beteiligt wird. Die himmlische und eschatologische Zentrierung der irdischen Schöpfung auf die heilige Thronwelt Gottes hin wird damit an diese Interzession des Gerechten der Urzeit gebunden. Er ist das Bild des urzeitlichen und des eschatologischen Gerechten. In ihm ist das Geschick aller, die auf seinem Wege wandeln, bewahrt. Damit wird der himmlische Interzessor und Mitherrscher Henoch-Menschensohn zum Zentrierungspunkt der eschatologisch zu verei‐ nigenden Schöpfungsräume des Himmels und der Erde. Die Aufnahme der Kultideologie führt nicht nur zur Angelogisierung der Anthropologie, sondern auch zu einer umgekehrten (ur-)menschlichen Bebilderung der himmlischen Kultwelt Gottes. Die Zentrierung der irdischen Schöpfung, ihre heilsame, ordnende und eschatologische Bindung an das himmlische Heiligkeitszentrum geschieht durch die Interzession und das darauf aufbauende Mitherrschen des über die Engel erhobenen Menschensohnes Henoch. Eine ebenfalls von der priesterlich-levitischen Kultideologie ausgehende Gestaltung des Heilsbringers begegnet in der Levi-Tradition: Er ‚mittelt‘ alle Kultgaben in eschatologischer Vollendung und erreicht eine Überwindung von Sünde, Tod und Teufel. Sein interzessorisches Treten und Dienen vor Gott kommt aus einer Intimität zum Vater, der ihn in sein Haus treten lässt. 243 E) Die kult-rezeptiven Bewegungen des Judentums und der historische Jesus In dieser betonten Vater-Sohn-Beziehung liegen sachliche Entsprechungen zum Zentral-Motiv der charismatisch-praktischen Kultrezeption. Wir stoßen hier nicht auf den Entwurf einer nur sekundär bestimmbaren Trägergruppe, sondern auf historisch greifbare Männer, die ihre charismatische Vollmacht als intensivierende Überbietung des Kultdienstes verstanden haben. Zentrum ist auch hier der Akt des interzessorischen, heilsamen Tretens vor das Angesicht Gottes. Dies geschieht in einer intensivierten Gebetspraxis, mittels der der Charismatiker direkt vor Gott tritt. Diese Verdichtung ist nicht ohne ekstatische Vorgänge denkbar. Freilich zeigt die Choni-Tradition, dass die Darstellung einer solchen charismatisch intensivierten Interzession sich auf die äußere Gestik beschränken konnte. Zentrum ist die Vater-Sohn-Beziehung zwischen Gott und dem Charisma‐ tiker. Er weiß sich als Sohn, der Zugang hat zum Haus des Vaters, uzw. unabhängig vom Kulthaus Jerusalems. Die Sohnes-Würde gründet in der und begründet ihrerseits die charismatisch-intensivierte, tw. ekstatische Gottesbe‐ gegnung. Die Erfahrung des Angenommenseins bei Gott führt zu einem Ho‐ heitsbewusstsein, das für den Vertreter der offiziellen Kulttradition an einen Missbrauch des Gottesnamens erinnern muss. Als Sohn ist der Charismatiker zugleich vor Gottes Angesicht und im irdischen Teil der Schöpfung zu Hause. Aus diesem Grunde ist auch er für eine von der Kultsymbolik ausgehende Sicht der Schöpfung Anlass, in ihm den Verbindungspunkt von Himmel und Erde zu sehen. Auch der Charismatiker tritt das Erbe des hochpriesterlichen Anspruchs an. Damit ist deutlich, dass die Gestalt, die eine heilsame Mittlung zwischen dem himmlischen und dem irdischen Schöpfungsteil zu leisten imstande ist, für wesentliche Bereiche des Judentums sehr viel stärker hochpriesterliche als königliche Züge trägt. Dies hat die kultgeschichtliche Forschung zur Jesus-Frage bereits richtig herausgestellt. Nur ist es nach unserer Untersuchung nicht angemessen, mit einer festen Vorstellung vom ‚messianischen Hohenpriester‘ zu rechnen. Von diesem Ansatzpunkt aus wäre es ja auch schwierig, etwa die Christologie des Hebräerbriefes in die Jesus-Tradition zurückzuverfolgen. Die charismatische Tradition macht aber deutlich, dass es Wundertäter gab, die eine-quasi hochpriesterliche Interzession vor Gottes Angesicht durchführten. Dieser Schicht könnte Jesus sehr viel leichter nahegestanden haben. Dies führt zur Aufgabe einer neuen Untersuchung der Vater-Sohn-Lehre im Munde Jesu. Spricht er so ähnlich wie die Charismatiker von sich als Sohn, der Zugang zum Haus des Vaters hat, und liegt darin ein über den Tempel hinausweisender Anspruch? 244 E) Die kult-rezeptiven Bewegungen des Judentums und der historische Jesus Die Henoch-Tradition zeigt andererseits, dass der menschengestaltige Inter‐ zessor in der Grundlage hochpriesterliche Züge trägt. Die Menschensohn- und die Vater-Sohn-Tradition stehen also offenbar nicht unverbunden neben‐ einander, sondern gehören in einen gemeinsamen Sachzusammenhang. Auch in der Jesustradition sind beide Komplexe verbunden: Als Sohn und Menschen‐ sohn ist Jesus mit der himmlischen Dimension der Schöpfung und mit ihrer eschatologischen Erneuerung verbunden. Der gekreuzigte Erhöhte ist das Zentrierungssymbol der kultischen Erschlie‐ ßung der Schöpfung im Christentum. Jesus als Sohn, der Zugang hat zum Haus des Vaters, und als Menschensohn, der seine Herrschaft durch das Leiden hindurch und in der Gestalt des Leidens am Kreuz antritt - diese beiden zentralen Ersetzungen der jüdischen Tempeltheologie gehen im Kern auf den irdischen Jesus zurück. Dies zu zeigen ist Aufgabe des dritten Hauptteils. 245 E) Die kult-rezeptiven Bewegungen des Judentums und der historische Jesus DRITTER HAUPTTEIL: Jesus und die himmlische Welt - der kultische Hintergrund der von Jesus ausgehenden Christologie Einleitung Den Rückgriff auf den himmlischen Hintergrund der Schöpfung beschreibt das nachexilische Judentum in der Ausformung seiner Kulttheologie: Das kultische Geschehen soll zur Begegnung Israels mit der Heiligkeit Gottes führen, eine Transzendierung aus dem irdischen in den der Heiligkeit Gottes nahen, himmlischen Bereich der Schöpfung hinein erwirken. Der Priester wird in letzter Konsequenz zu einem engelähnlichen Wesen, als welches er Zugang hat zur himmlischen Kultsphäre Gottes. Früher Pharisäismus, apokalyptische Weisheit und bestimmte charismatische Gestalten des spät-nachexilischen Judentums setzten diesen kultischen An‐ spruch um, indem sie betont den Zugriff auf die himmlische Ebene der Heiligkeit Gottes, unabhängig vom eigentlichen kultischen Geschehen, voraussetzen und eigene Transzendierungssymbole entwickeln. Der frühe Pharisäismus kennt eine quasi-priesterliche Laien-Halacha, welche das ganze Leben mit himmli‐ scher Reinheit und Heiligkeit durchdringen will. Die apokalyptische Weisheit betont den ekstatischen, visionären Himmelsaufstieg als Vorwegnahme der Wandlung zu engelmäßiger Seinsweise und als Quelle zur Erlangung von Weisheit. Sie bringt die Gemeinde mit der himmlischen Ordnung der Heiligkeit Gottes zusammen. Sie drängt die Bedrohung durch Sünde, Tod und Teufel zurück. Das Symbol des Menschensohnes steht dabei für die Menschen, die zur Heiligkeit Gottes Zutritt haben. Der Menschensohn ist himmlisch-kultische Gestalt, welche die Transzendierung zur himmlischen Seinsweise markiert. Entsprechend der zugrundeliegenden priester-engelhaften Anthropologie bleibt der ideale Hohepriester, wie im Pharisäismus, die besondere anabatische Gestalt, welche vor der Heiligkeit Gottes Bestand hat und als Sohn in das himmlische Haus Gottes aufgenommen wird. Als Sohn in Gottes himmlischem Haus Aufnahme zu finden, ist schließlich auch der Anspruch des charismatischen Chasid. Intensivierte Versenkung und Verwendung des Kultgeheimnisses tragen eine direkte Gottesbegegnung. Wir werden nun versuchen, Grundmotive von Botschaft und Auftreten Jesu von diesem Kontext her zu beleuchten. Wir gehen davon aus, dass der messianische Anspruch, ja die Ansätze zur Christologie, in alten Jesus-Über‐ lieferungen ihren Ursprung haben. Jesu Botschaft im ganzen bedeutet einen betonten Rückgriff auf den Raum der himmlischen Heiligkeit Gottes. Die βασιλεία τοῦ θεοῦ ist als solche eine βασιλεία τῶν οὐρανῶν. Ihr Nahe-Sein weist auf eine Neuvereinigung der Schöpfungsräume. Jesus versteht seine Botschaft und sein Wirken als Öffnung der himmlischen Schöpfungshälfte zur irdischen hin, so dass die Kräfte von Sünde, Tod und Teufel zurückweichen müssen. Die Gegenwart der βασιλεία und die gegenwärtige Verbundenheit Jesu mit dem Menschensohn sind Aspekte der machtvollen Verschränkung der beiden Schöpfungsräume. Die Gestalt des himmlischen Menschensohnes scheint seiner irdischen Gestalt verbunden. Auch die Bezeichnung Gottes als Vater und die von Jesus aufgenommene Sohnes-Würde sind vor dem gezeichneten Hintergrund Ausdruck und Grund der Neuverbindung von Himmel und Erde. Sie gestalten die βασιλεία Gottes. Als Sohn hat Jesus Zugang zum himmlischen Haus des Vaters, steht er in der besonderen Nähe zur himmlischen Heiligkeit Gottes und kann so die Gestalt des Menschensohnes sich verbinden lassen. Dies alles setzt pneumatische Prozesse voraus, welche die synoptische Tradition auf einem breiteren Fundament andeutet. Die pneumatische Existenz ist - wie für Jesus, so auch für Paulus - Zeichen der Verbundenheit mit, der Zugehörigkeit zum himmlischen Haus (2Kor 5,5). Sowohl als Sohn als auch als Menschensohn nimmt Jesus die Aufgabe der priesterlichen Verbindung von himmlischer Heiligkeit und irdischer Schöpfung wahr: Das Reich Gottes wird im geschilderten Traditionskomplex verständlich als der eschatologisch geeinte Raum von Himmel und Erde. 250 Einleitung 1 Vgl. Pesch, Komm. I, 218 f. Anders Limbeck, Beelzebul - eine ursprüngliche Bezeich‐ nung für Jesus? , in: FS K.H. Schelkle, 1973, S. 41, Anm. 31, der den Fixpunkt für die Überlieferung in der innerjüdischen Diskussion sieht. Die ganze Konstruktion bei Limbeck untersteht apologetischen Zwecken: erst jüdische Exorzisten beriefen sich auf den Jesusnamen, den die ‚offiziellen Juden‘ als Beelzebul disqualifizieren. Die damit verbundene Übersetzung ‚Herr der Wohnungen‘ = ‚Herr der menschlichen Leiber‘ ist schon wegen des unbegründeten Einsatzes des Plurals philologisch wenig wahrscheinlich, auch gegen Pesch, Komm. I, 213. 2 Vgl. Pesch, Komm. I, 216. 3 So Gnilka, Komm. I, 144f. 4 Mk hat die Szene 3,20f. als Vorausverweis auf 3,31ff. verstanden, vgl. Pesch, Komm. I, 210.212f.221f. 5 So mit M. Hengel, Nachfolge und Charisma, 72 f. und R. Pesch, Komm. I, 212. - Eine ganz andere Deutung versucht D.H. Wansbrough, Mark III 21 - Was Jesus out of his mind? , in: NTS 18 (1972) 233-235; vgl. auch D. Wenham, The Meaning of Mark III 21, in: NTS 21 (1975) 295-300. Diese Deutung versteht οἱ πὰρ' αὐτοῦ = die Jünger, die aus A) Beelzebul und Menschensohn 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει Die Überlieferung vom Beelzebul-Vorwurf ist in der synoptischen Tradition breit gestreut (Mk 3,21 par. Q [Mt 12,2 4/ Lk 11,16]; ferner MtS 10,25). Sie kann für den Versuch eines historisch gesicherten Zugangs zur Jesus-Tradition von besonderem Wert sein. Diese polemische Deutung des Anspruchs Jesu könnte gar zur ältesten Tradition gehören, ja wahrscheinlich in die Zeit des irdischen Jesus zurückreichen. 1 Auch der Kontext des Beelzebul-Vorwurfs vereint alte Traditionszüge: Hier begegnet Jesus im Wesentlichen als Exorzist. Seine βασιλεία-Verkündigung ist hier unlöslich mit seinem wundermächtigen Wirken verbunden und gibt ihr eine präsentifizierende und dualisierende Zuspitzung. Das Reich Gottes ist dort eine aus dem Himmel auf die Erde reichende Wirklichkeit, wo das Reich des Satan zurückgewiesen ist. Auch die Überlieferung von der Lästerung des Geistes gibt dem Zusammenhang eine letzte Zuspitzung, die als argumentativ-polemi‐ sche Aussage mit einer konkreten Konfliktsituation im Leben Jesu, ähnlich Mk 3,22ff., verbunden zu sein scheint. 2 Schließlich klingt mit Mk 3,20f. wohl kaum eine redaktionelle Bildung an. 3 Mt und Lk berichten, dass sie - genauso wie Mk 4 - einer Tradition vom Vorgehen der Familie gegen Jesus folgen, die ihnen jedoch zu anstößig war. 5 Auch das Urteil ἐξέστη im Munde seiner Familie weist, dem Haus hinausgehen, um das Volk zu besänftigen; denn sie meinten, er = der Ochlos sei von Sinnen. Diese Deutung widerspricht dem Verständnis des Verses bei Mk und ist auch nicht ohne sprachliche Härten; vgl. auch E. Best Mark III, 20, 21, 31-35, in: NTS 22 (1976) 309-319, der die herkömmliche Deutung redaktionsgeschichtlich bestätigt. 6 Vgl. Pesch, Komm. I, 322; Gnilka, Komm. I, 233. 7 Vgl. H.P. Rüger, Art. ‚Aramäisch II‘, in: TRE, III (1978), 604. 8 Warum nach Gnilka, Komm. I, 149 die vorzuziehende LA Βεελζεβούλ 'Baal des Mistes' bedeuten soll, ist philologisch als Rückgriff auf jüd.-aram. לוביז = ‚Mist‘ nicht deutlich, vgl. Gaston, Beelzebul, in: ThZ, 18 (1962), 251. 9 Vgl. H.P. Rüger, a. a. O.; L. Gaston, a. a. O., 254f.: es liege vor die positive ‚Übersetzung‘ Jesu für den gegen ihn erhobenen Beelzebul-Vorwurf; ebenso MacLaurin, NT 20 (1978), 156. 10 Vgl. H.P. Rüger, a. a. O.; MacLaurin, a. a. O., 157 ff. bietet eine gute Übersicht über das ugaritische Material. 11 Vgl. M. Noth, Könige I, 1968 (BK IX/ 1), 172.182.; L. Gaston, a. a. O., 248-250; MacLaurin, a. a. O., 157. 12 Vgl. 1QS 10,3; 1QM 12,1f.; 1QM 3,34. wie die sicherlich alte 6 Perikope Mk 6,1-6, darauf hin, dass Jesus in seinem Heimat-Milieu primär als Wundertäter auftrat und seine βασιλεία-Predigt in engstem Zusammenhang mit seinem charismatischen Wunderwirken stand. Βεελζεβούλ geht zurück auf aram. לעב לובז = „Herr der (himmlischen) Woh‐ nung“. 7 Die Form Βεελζεβούβ ist textkritisch sekundäre Angleichung an 2 Kö 1,2f.6.16 und auch dort schon sekundäre Umformung. 8 Die Deutung „Herr der Wohnung“ ist durch die griechische Übersetzung οἰκοδεσπότης in Mt 10,25 ge‐ sichert. 9 zbl bedeutet im Ugaritischen „Fürst, Fürstentum“; b’l zbl ist in der Bedeutung ‚Baal, der Fürst‘ als ugaritischer Titel für Baal zu erschließen. 10 In der Bedeutung „Fürstentum = Bereich in dem und von dem aus der Fürst amtet“ ist לובז t.t. der alttestamentlichen Kultsprache geworden und bezeichnet die himmlisch-irdi‐ sche Wohnung Gottes in ihrer kultisch zugänglichen Dimension. 11 Dies setzen auch die Qumran-Texte voraus, die לובז immer mit dem Zusatz שודק bzw. דובכ versehen. 12 Noch die rabbinische Tradition bHag 12b weiß darum, dass לובז ein kultisch qualifizierter, himmlisch-irdischer Raum ist: לובז ובש םילשורי תיבו םוקמה חבזמו יונב. In der Aufzählung der verschiedenen Himmelssphären heißt es demnach vom לובז „ : לובז - auf ihm sind Jerusalem, der Tempel und der Altar errichtet.“ Damit ist der alte Wohn-Tempel-Anspruch ausgedrückt, wonach im Tempel eine Verschränkung von irdischer und himmlischer Welt, ein Hereinreichen des himmlischen in den irdischen Raum besteht. Der Schriftbeweis für diese Aus‐ legung wird vom locus classicus der biblischen Wohn-Tempel-Tradition ge‐ nommen, aus 1 Kö 8,13. 252 A) Beelzebul und Menschensohn 13 Vgl. auch bMen 110a; bSeb 62a. 14 ‚Beelzebul‘, in: ThZ, 18 (1962), 252 f.; vgl. ders., No Stone on Another, 1970, 236. 15 Vgl. Anm. 11; nach Pes. r. 6 (Friedmann 23a) ist םוי לובז Ausdruck für das Fest einer heidnischen Gottheit. 16 Vgl. jAbSar III (43a unten): „Der Baal war der Phallus und er hatte die Gestalt einer Bohne“; Baal blieb im Jüd.-Aram. verbunden mit dem Bereich des göttlichen Regen-Spermas und der Sexualität. Diese raumverschränkende Bedeutung des לובז ist in der Kulttheologie immer begleitet gewesen von dem Wissen, dass der לובז himmlisch-irdischer Kultraum ist, der in den irdischen לובז hineinreicht. Ontologisch und heilsgeschichtlich weist er über den irdischen Tempel hinaus und ist letztlich von ihm nicht ab‐ hängig. Dies bezeugen Jes 63,15 und die genannten Qumran-Stellen. Entspre‐ chend richtet auch die Baraita bHag 12 b den Blick auf das eigentliche, sich im Himmel vollziehende und vom Tempel in Jerusalem unabhängige Kultge‐ schehen: לאכימו רשה לודגה דמוע בירקמו וילע ןברק : „Und Michael, der große Fürst, steht und opfert auf ihm (dem himmlischen Altar)“. 13 Dort, wo man hinter die offizielle Kulttheologie der verschränkten Räume - dazu gehört auch die An‐ gelisierung der Priester - zurückgriff auf das eigentlich himmlische Geschehen, stellte sich offenbar notwendig die Frage nach dem himmlischen Kultdiener, der beständig vor der Gottheit steht und kultisch dient. Der Rückgriff auf das himm‐ lische Kultgeschehen ist vorneutestamentlich vor allem in der Interpretation des Versöhnungstages in 1Hen 10 und 11QMelch gegeben, bestimmt aber im Ganzen die Gemeinde-Lehre von Qumran, begegnet schließlich in der Levi-Ideologie bestimmter priesterlicher Kreise und bei den charismatischen Kultrezipienten, die zeitweilig als ‚Sohn‘ in das himmlische Haus des Vaters treten. Nimmt man diesen Hintergrund ernst, so bekommt die neutestamentliche Beelzebul-Überlieferung Konturen, die L. Gaston 14 teilweise nachgezeichnet hat: לובז ist ein zur jüdischen Kultsprache gehörender Begriff. Dass nach Mk Schriftgelehrte aus Jerusalem ihn verwenden, bekommt daher seinen guten his‐ torischen Sinn. Die Konstatierung Βεελζεβοὺλ ἔχει setzt das Wissen voraus, dass die Kultsprache aus dem Kanaanäischen stammt. 15 Dort, wo die Basis der Jeru‐ salemer Kultstiftung verlassen und unabhängig vom Tempel Jerusalems die die Schöpfung strukturierende Symbolik verwendet wird, wittern die Jerusalemer einen Rückfall ins Kanaanäische. Dieses Rückfalls wird Jesus bezichtigt. 16 Die Überwindung der dämonischen Sündenmacht gehört zum Anspruch des Jerusalemer Kultes. Freie Formen des Exorzismus unterstehen eo ipso dem Verdacht, dass hier das Kultgeheimnis missbraucht wird, der offiziell kultisch geregelte Zusammenhalt des irdischen mit dem himmlischen Teil der Schöpfung in magisch-theurgischem Sinne reguliert wird. Auf diese - vom offiziellen 253 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 17 Vgl. MAb 1,13 par. ARN A 12 Ende (28b) und o. S. 109. 18 Vgl. Marmorstein, A Fragment of the Vision of Ezekiel, in: JQR VIII (1917/ 18) 367-378. Marmorstein hält eine nachtalmudische Entstehung des Grundstocks der ‚Visionen des Ez.‘ für nicht möglich, da die Namen und die Anordnung der verschiedenen Himmel vom talmudischen Text abweichen. „That our fragment neither copied nor altered the talmudic source is fairly obvious … It is not likely that a post-talmudic writer would alter the names and the order of the seven heavens and disagree in such a matter with the talmudic tradition. lt is, therefore, likely that the teachers of the Talmud used the Visions.“ (374, vgl. auch Gruenwald, Apocalyptic, 136) Während die überlieferten Manuskripte durch die Mystik der gaonischen Zeit geprägt sind, kann nach Marmorstein das Original Quelle von bHag 12 gewesen sein.Auch Scholem hält die ‚Vision des Ez.‘ für den ältesten Merkaba-Text, vgl. Gruenwald, Apocalyptic, 134. Nach Gruenwald, ebd., stammt der Text aus dem 4./ 5. Jahrhundert und entstand in Palästina. 19 Text nach der Edition von Gruenwald, in: Temirin 1 (1972) 128-131; vgl. auch Wert‐ heimer BM II, 132 f., und Scholem, Jewish Gnosticism, 46f. Kult aus gesehen - Gefahr weist ja die Choni-Überlieferung überdeutlich hin: Du benutzt das Kultgeheimnis und die Kultsymbolik und zwingst den Oberen deinen Willen auf, um so den himmlischen und irdischen Teil der Schöpfung zwangsweise in eine befruchtende Beziehung zu bringen. Die Jerusalemer wissen also um die Gefahr einer missbräuchlichen Verwen‐ dung ihrer eigenen Kultsymbolik. 17 Zwischen charismatisch-freiem Exorzismus und der anti-dämonischen Funktion des Kultes besteht eine natürliche Konkur‐ renz. Die Zusammenhänge werden noch deutlicher, wenn man sich klarmacht, dass die Zeit Jesu die Gestalt des himmlischen Hohenpriesters kannte, der Fürst im himmlischen לובז ist. Michael und Melchisedek sind jüdische Fürsten des לובז; kanaisiert ausgedrückt, ist ein jeder von ihnen ein לעב לובז . Daraus ergibt sich die Frage: Steht hinter dem kanaisierenden Βεελζεβοὺλ ἔχειν der vom Jersalemer Kultgelehrtentum beargwöhnte Anspruch, an dem offiziellen Kult vorbei auf die Ebene des himmlischen Hauses vorzudringen, in Vollmacht des himmlischen Hohenpriesters zu handeln und in dieser Weise dämonische Sündenkräfte zu binden? Die o. g. Baraitha bHag 12b (im Namen des R. Simeon ben Lakisch, 3. Jahrhdt.) geht zurück auf eine vortalmudische Fassung 18 in den תאיואר לאקזחי 19 ןמ ימש םימש דעו לוובז ךלהמ ] שמה מ [ תוא הנש המו שי וב לובז א " ר " יול םשב ר " אמח רב אבקוע אש " םושמ ר " ןנחוי רשה וניא יודש אלא לובזב הווהו ואולמ וינפלולובזבלש יפלא םיפלא יבורו תובבר ןישמשמח ותוא םהילע א " לאינד הזח תויה דע ןיד תווסרכ גו " רתנ רוניד דיגנ המו ומש סומיק ומש ר קחצי וא " השעמ ומש ר " ייניינע רב ןוסס וא " לובזב ומש ר " ןקזהםוחנת וא " היטטא ומש רזעלא הידודנ מוא " ןורטטימ םשכ הרובגה ןישמשמו םושב מוא " סנלס ומש סק סב 254 A) Beelzebul und Menschensohn 20 Palästinensischer Amoräer, gest. 279, vgl. Jeremias/ Adolph (Billerbeck Bd. VI)., 84. 21 Palästinensischer Amoräer um 300, vgl. Jeremias/ Adolph, a. a. O., 19. 22 Vgl. Gruenwald, Apocalyptic, 140f. 23 S. Liebermann, App. 1 in Gruenwald, Apocalyptic, 235-241 führt ןורטטמ auf gr. μεταθρόνος, als Umformung von älterem σύνθρονος, zurück. Schwierig bleibt bei dieser Deutung, dass statt des zweiten ט ein ת zu erwarten wäre; ebenso spricht die tw. plene Schreibweise nicht für eine Ableitung von μετα. Dennoch gibt diese Deutung sachlich den besten Sinn. 24 Vgl. bSanh 38b; Ex r 32,4. 25 Vgl. Scholem, Jewish Gnosticism, 46ff. 26 Nu r 12,12 (von Metatron); bMen 110a (von Michael), vgl. Scholem, Jewish Gnosticism, 49f. סב סבק ומש םושב רצוי לועה " המו המש הבכרמלש לש לובזב תיולה ש ] המ [ הילע מא " דיוד בכורל ימשב ] ימש םדק [ „Vom Himmel der Himmel bis zum Zebul sind 500 Jahre. Und was befindet sich in dem Zebul? Sagte R. Lewi im Namen des R. Hama bar Ukba, der im Namen von R. Johanan 20 lehrte: Der Fürst wohnt nirgend anders als im Zebul, und vor ihm sind 1000 mal 1000 und 10000 mal 10000, die ihn bedienen; von ihnen sagt Daniel: ‚Ich schaute, bis dass Throne usw …, ein Feuerstrom ging aus …‘ (Dan 7,9.10). Und wie lautet sein Name? Kimos ist sein Name. R. Jitzhak sagte: Maatah ist sein Name. R. Injaini bar Sasson 21 sagte: Bizbul ist sein Name. R. Tanhum der Alte sagte: Atatijah ist sein Name. Eleazar Nadwadajah sagte: Metatron, wie der Name der Kraft. Und die, die sich (theurgisch) des Namens bedienen, sagen: Salnas ist sein Name, Qas Bas Bas Qebas ist sein Name, entsprechend dem Namen des Weltschöpfers. Und wie ist der Name der Merkaba des Zebul? Halwajah ist ihr Name, über sie sagt David: ‚Ihm, der daherfährt im höchsten Himmel, dem ewigen‘ (Ps 68,34).“ Der Zar in diesem Text ist nicht Michael genannt, wohl deshalb, weil dies der bekannte Ausgangsname ist (vgl. bHag 12b; bMen 110a; bSeb 62a), der hier durch die Geheimnamen ergänzt wird. Von diesen Geheimnamen des im himmlischen לובז residierenden Zar sind deutbar: סומיק = סמוק = comes = Minister 22 Gottes; diesem Namen entspricht der des ‚Metatron‘ 23 nach der auf Ex 23,21 zurückge‐ henden Deutung, wonach der Engel Gottes seinen Namen trägt und damit zum vollmächtigen Repräsentanten der Gottheit wird. 24 Bizbul bedeutet natürlich ‚der im Zebul‘. Die anderen Namen sind bisher anscheinend nicht recht deutbar. 25 Ist dieser Zar des Zebul himmlischer Hoherpriester? Dies liegt nach bHag 12b nahe, zumal sowohl Michael als auch der mit diesem identifizierte Metatron andernorts ausdrücklich so genannt werden. 26 Dazu ist natürlich Bedingung, dass in den Zebul nur ein Zebul-gemäßer, d. h. in voller himmlischer Reinheit 255 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 27 Vgl. auch 3Hen 12 f. (Odeb.) = 15 f. Ed. Schäfer. 28 Apocalyptic and Merkavah Mysticism, 1980, 141. 29 Vgl. bTaan 5a: „Ferner sprach R. Nahman zu R. Jizhaq: Es heißt (Hos 1,19): ‘Als Heiliger wohne ich unter euch, ich komme nicht in die Stadt‘; kommt er etwa deswegen nicht in die Stadt, weil er als Heiliger unter ihnen wohnt? ! Dieser erwiderte: Folgendes sagte R. Johanan: Der Heilige, gebenedeit sei er, sprach: ‚ich komme nicht in das obere Jerusalem, so lange ich nicht in das untere Jerusalem gekommen bin.‘“ und Heiligkeit stehender, Fürst gehört. ‚Der im Zebul‘ bezeichnet für jüdische Ohren eine dem Hohenpriester ähnliche Gestalt. Bezeichnend ist auch, dass die theurgischen Benutzer des Gottesnamens sich an den Bereich wenden, der die Schöpfung hält und gestaltet. Wenn der irdische Hohepriester mit dem Tetragramm den Schlüssel zur kultischen Schöpfungsordnung auf seinem Diadem eingraviert bekam, um wieviel mehr mussten die dem himmlischen Hohenpriester zugewiesenen geheimen Gottesnamen schöpfungsordnende Be‐ deutung haben! 27 Die Platzierung in den Zebul, die Identifizierung mit Metatron und die nur diesem himmlischen Bereich zukommende Bedeutung für ‚Benutzer des Namens‘ legen es nahe, dass dieser Zar himmlischer Hoherpriester ist. Gruenwald macht darauf aufmerksam, dass in den תויואר לאקזחי erst im nach dem לבז zweitnächsten Himmel םיקחש das himmlische Jerusalem und der Tempel samt allen Kultgeräten beschrieben sei, beim Zebul also ein himmlischer Ho‐ herpriester deplaziert sei, dieser vielmehr auch in den םיקחש gehöre. 28 Auffällig ist aber, dass im םיקחש nur die Gerätschaften, kein Personal genannt sind. Das himmlische Jerusalem ist geradezu bis zur Erlösung ‚stillgelegt‘, ist abhängig davon, dass auch im irdischen Jerusalem der Kultbetrieb wieder aufgenommen wird. 29 Die den Kultbetrieb in Jerusalem ersetzende, die Schöpfung haltende Aktivität geht nicht vom םיקחש aus, sondern vom לובז, dessen רש das Geschick der Heiligen des Höchsten bewahrt. In der Funktion des Zebul macht sich die kultapokalyptische Tradition bemerkbar, während aus der Schilderung des םיקחש die konservativere Tradition sprechen könnte. Nach der abschließenden Notiz heißt die zum Zebul gehörende Merkaba היולה. Während bei den anderen Himmelssphären die Bezeichnung der Merkaba stets aus dem Schriftzitat zu ermitteln ist, ist in diesem Fall die Ableitung un‐ deutlich. Will man dem vorliegenden Wortlaut einen Sinn abgewinnen, so kann man lesen ‚hallewijah‘, die levitische; denn nach Ps 68,33f. ist das Daherfahren Gottes begleitet vom Gesang der Königreiche der Erde. Singen ist kultische Aufgabe der Leviten. Gehört zur Merkaba des Zebul levitischer Gesang, ja ist das Wissen um die Geheimnisse des Zebul aus alter levitischer Tradition er‐ wachsen? 256 A) Beelzebul und Menschensohn 30 Apocalyptic, a. a. O., 140. 31 Ebd., 141. 32 ThZ, 18 (1962), 248-250. 33 Vgl. C. Colpe, Art. ‚ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου‘, in: ThWNT 8 (1969) 418, 31-36. Besonders bedeutsam ist die Herleitung des Fürst des Zebul und seines himm‐ lischen Hofstaates aus Dan 7,9ff. Gruenwald 30 findet in dem Zar des Zebul den ‚Alten der Tage‘ wieder, weil im Text nur Dan 7,9.10 jeweils kurz anzitiert werden. Hat man in dem ‚Alten der Tage‘ aber je jemand anders als die Gottheit sehen können? Die Szene Dan 7,9-14 bildet eine Einheit und wird durch die nur kurz anzitierten Anfangsverse als ganze in den Blick genommen: Der Men‐ schengestaltige wird an der Herrschaft des Alten beteiligt. Dies ist nun auch der besondere Aspekt, den der gen. Text aus den תאיואר לאקזחי an dem Zar des Zebul hervorhebt: Er ist Minister, Metatron, Bevollmächtigter, der am Namen der Gottheit partizipiert. Dan 7,14 ist der Vorgang geschildert, der hinter der Macht‐ position des Zar des Zebul steht. Gruenwald spricht zurecht von der „close af‐ finity between God and His Sar …“ 31 . Dies bedeutet aber, daß der רש לובזה ver‐ standen wird als eine Gestalt, die aus der Menschensohn-Tradition Daniels stammt. Der Menschensohn ist der Throngenosse Gottes, der im Sebul residiert und im Lichte der Würde eines himmlischen Hohenpriesters gesehen wird. Wenn die Menschensohn-Tradition ein Fixpunkt für die jüdische Kenntnis eines Fürsten des Zebul ist, dessen man sich auch theurgisch bedienen kann, dann ist die Frage gegeben, ob nicht hinter der Konstatierung, Jesus habe den Beelzebul, eine Reaktion auf Jesu Menschensohn-Anspruch steht. Insbesondere ergibt sich die Frage, ob der Menschensohn, von dem Jesus spricht, zum himmlischen Hintergrund des Kultes gehört, den Rückgriff auf die kultisch umschriebene himmlische Ebene der Schöpfung ermöglicht. Der von Gaston 32 erhobene Hintergrund, wonach der Beelzebul-Vorwurf auf Jesu Kritik gegen‐ über dem Zebul in Jerusalem reagiere, müsste also ergänzt werden durch die Bestimmung des postitiven Ansatzes Jesu, der seine Tempelkritik trägt: Handelt er in der Vollmacht des himmlischen Herrn des Zebul, des himmlischen Hohenpriesters, des Menschensohnes in diesem Sinne? Dass der Beelzebul-Vorwurf auf Jesu Selbstbeziehung zum Menschensohn reagiert, erfährt dadurch eine Bestätigung, dass die Menschensohn-Tradition religionsgeschichtlich eng mit dem kanaanäischen Baalismus verbunden ist. Im Menschensohn lebt der auf den Wolken einherfahrende Gewittergott Baal, der im kanaanäischen Pantheon die anti-kultischen Negativ-Kräfte Aschtar, Jam und Mot besiegt hat. 33 Vor allem das Motiv ‚der auf den Wolken Reitende‘ ver‐ 257 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 34 Colpe, a. a. O., 420,5ff.; vgl. auch J.A. Emerton, The Origin of the Son of Man Imagery, in: JThSt 9 (1958) 232: „… it is difficult to dissociate the Son of man from the Baal in the Ugaritic texts.“ 35 Vgl. Colpe, a. a. O., 418, 21-36; 421, 12-14. 36 Vgl. die Tradition um Elischa ben Abuja = ‚Acher‘: bHag 15a. 37 Vgl. Anm. 9-11; vgl. MacLaurin, Beelzebul, in: NT, 20 (1978), 159: „… the NT phrase Beelzebul ἄρχοντι τῶν δαιμονίων refers to Ba’al’s position as ruler of the angelic sons of God …“ bindet den Menschensohn von Dan 7,13 mit dem Baal. 34 Dabei tritt der Men‐ schensohn als Wolkenreiter in Konkurrenz zum wolkenreitenden Jahwe; der in Dan 7 aufgenommene mythologische Hintergrund ist offenbar gerade daran interessiert, dass der Menschensohn (= Baal) den Alten der Tage (= El) in den Hintergrund treten lässt, indem er an seiner Herrschaft beteiligt wird, ja sie faktisch wahrnimmt. 35 Die jüdische Tradition hat diesen aus der kanaanäischen Mythologie stammenden Konkurrenzaspekt der Menschensohn-Tradition nicht vergessen. Er kulminiert in Aussagen über Metatron, der einen Thron wie Gott selbst erhält, der über alle Fürsten der göttlichen תוכלמ gesetzt ist, über alle himmlischen Kinder (3Hen 10, Ed. Odeberg = § 13 Ed. Schäfer), der alle Ge‐ heimnisse erfährt (3Hen 11 = § 14), an der Schöpfungsmacht Gottes beteiligt (3Hen 13 = § 16), ja dem der Ehrenname הוהי ןוטקה (3Hen 12 = § 15) zugesprochen wird. Diese ins Kanaanäische zurückweisende Tradition wurde natürlich be‐ kämpft; dies hat aber die Beschäftigung mit ihr nicht unterdrücken können. 36 Der Vorwurf Βεελζεβοὺλ ἔχει weist Jesu Vollmachtsanspruch aus dem Bereich des von Jerusalem und der offiziellen Tempeltheologie verwalteten Himmels in das kanaanäische Pantheon zurück. Dies geschah, so können wir mit einer gewissen Anfangsbegründung vermuten, weil Jesus mit dem Menschen‐ sohnanspruch aufgetreten ist, der seinerseits der Jerusalemer Tradition kritisch gegenüberstand. Er beanspruchte eine Kultvollmacht vom Himmel her, die die Jerusalemer ihrerseits mit dem Baalismus 37 zusammenbrachten. Die polemische Tradition schöpft also nicht einfach aus dem Nichts, sondern macht sich an Missdeutbarkeiten und Gefahren des Anspruches Jesu fest. Der offizielle Kultus tritt in seinen Vertretern dem charismatischen Exorzisten entgegen, der die dem Reich Gottes widerstrebenden negativen Kräfte dadurch zurückweist, dass er eine Vollmacht aus der Verbindung mit dem himmlischen Haltegrund der irdischen Schöpfung wahrnimmt. Das Βεελζεβοὺλ ἔχει könnte im Sinne von Mk 5,15; 7,25; 9,17; Lk 4,33; 8,27; 13,11; ApG 8,7; 16,16; 19,13; Joh 7,20; 8,45f.52; 10,20 als Konstatierung einer Be‐ sessenheit gedeutet werden. Jesus wäre irgendwie an einen unreinen Geist ge‐ 258 A) Beelzebul und Menschensohn 38 So Hanse, Art. ‚ἔχω‘ in: ThWNT. 2 (1935), 821, 33-822, 1: „Obenan steht unter den auf geführten Stellen Mk 3,22 … Jesus überragt durch seine außerordentlichen Taten die anderen Menschen so sehr, dass für ihn Besessenheit durch den ‚Obersten der Dämonen‘ in Betracht gezogen wird. Wir sehen das dämonische ἔχειν sich ausweiten.“ Nach 821, Z. 21 hat ἔχειν in diesem Zusammenhang die Bedeutung ‚in sich tragen‘ und drückt ein räumliches Verhältnis aus; vgl. auch Limbeck, Satan und das Böse im Neuen Testament, in: Teufelsglaube, H. Haag (Hrsg.), 1974, 301f. raten, 38 der nun in ihm und durch ihn wirkt. Dabei entsteht aber die Frage, ob diese auf dem Niveau volkstümlicher Betrachtung bleibende Deutung dem ge‐ recht wird. Immerhin werden hier Fachleute bemüht, die eine Diagnose nach den Regeln der Kunst abgeben sollen. Der Zebul, ob nun polemisch dem Baal oder innerjüdisch dem himmlischen Hohenpriester zugeordnet, ist kein Bereich, an den man zufällig, krankhaft gerät, sondern ein Bereich, zu dem man den Zugang sucht. So wie der offizielle Kult auf die Segnung der Schöpfung zielt, so sucht der neben den Kult tretende Exorzist zielstrebig Zugang zum Hinter‐ grundbereich der Schöpfung. Es ist also nicht sehr wahrscheinlich, dass in der angerissenen Frontstellung man eine bloße Besessenheit Jesu in Analogie zu anderen krankhaften Phänomenen konstatiert. Näher begründen können wir diese These durch den Nachweis, dass ἔχειν in den griechisch-ägyptischen Zau‐ berpapyri das Ziel einer vom Beschwörenden angestrebten Vereinigung mit einem Geistwesen, die Gewinnung eines πάρεδρος, angibt. Ferner können wir zeigen, dass die in MAb 1,13 und in den תויואר לאקזחי genannten theurgisch-ma‐ gischen Bemühungen sich auf eine Beschwörung des Zebul-Fürsten gerichtet haben und dem Hintergrund von Mk 3,22 sehr nahestehen. PGM I 89 spricht der Beschwörende zu dem vor ihm erscheinenden Gott: ἔξω φίλον σε πάρεδρον „Ich will dich zum befreundeten Beisitzer haben.“ PGM I 190 heißt es über den Effekt der Beschwörung: „Und wie ein Gott wirst du angebetet werden ἔχων τὸν θεὸν φίλον.“ PGM IV 1949-1955: „Ich bitte, Herrscher Helios: erhöre mich, den NN, und gib mir die volle Gewalt über den Geist dieses gewaltsam Gestorbenen, von dessen Leichnam ich (das hier) besitze, auf dass ich ihn bei mir habe als einen Helfer und Anwalt für alle Handlungen, ἱν' ἔχω μετ' ἐμοῦ βοηθὸν καὶ ἔκδικον ἐφ' αἷς ἐὰν χρῄζω πραγματείαις.“ PGM VI 19 f. heißt es in einem σύστασις- Zauber: „damit ich, wenn ich (den Geist) habe, über alles ausforschen kann.“ Das ἔχειν aus Mk 3,22 impliziert vor diesem Hintergrund die Feststellung, dass Jesus sich absichtlich einen Geist verschafft hat, mit dem er exorzistisch wirkt: Er hat sich absichtlich in den Bereich der himmlischen Kultgeheimnisse 259 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 39 FJB, 6 (1978), 107-145. 40 53. bJeb 16b zitiert zur Begründung des Metatron-Namen רענ Ps 37,253 3Hen 4,10 (Ed. Odeberg = § 6 Ed. Schäfer) begründet diesen Namen damit, dass Metatron als Henoch relativ neu zu den Himmlischen gestoßen ist. Nach 3Hen 3 (Ed. Odeberg = § 4 Ed. Schäfer) nennt Gott selbst den Metatron mit dem Namen רענ, was Scholem, Jewish Gnosticism, 49 f., veranlasst, hierin die ursprüngliche Verwendung von רענ= ‚Diener‘ zu sehen; vgl. auch S. Lieberman, App. 1, in: Gruenwald, Apocalyptic, 238 f. Wenn jedoch die religionsgeschichtliche Rückführung auf kanaanäische Mythologie richtig ist, dann ist hierin vorgegeben, dass der ‚Menschensohn‘ im Vergleich zum ‚Alten der Tage‘ der ‚Junge‘ ist. 41 Zu דמע und תרש vgl. Schäfer, a. a. O., 114 Anm. 5. 42 8f. Zur Unterscheidung der Parhedros-Möglichkeiten vgl. K. Preisendanz, Art. ‚Πάρεδρος‘, in: PRE, 18/ 3, 1448. eingemischt, ist dabei aber nicht im לובז des jüdischen Kultus gelandet, sondern an Baal geraten. Die ‚Visionen des Ezechiel‘ belegen, dass der Fürst des Zebul in bestimmten jüdischen Kreisen als der Beschwörung mit dem ‚Namen‘ in besonderer Weise zugänglich angesehen wurde. Wie eine solche Beschwörung des Metatron literarisch realisiert wurde, zeigt ein Abschnitt aus Merkaba Rabba, die ‚Beschwörung des Sar haPanim‘, welchen P. Schäfer neu ediert und übersetzt hat. 39 Man beschwört den Sar haPanim, um von ihm alle kosmischen Geheimnisse geoffenbart zu bekommen (1-9). Der Sar haPanim ist der mächtigste Fürst in der oberen Familie, weil er ‚beständig steht und dient vor dem König der Welt, in Reinheit, Absonderung, (kultischer) Rein‐ heit (הרהט), Schrecken und Furcht vor der Herrlichkeit des Schöpfers, denn die Schekina ist bei ihm an jedem Ort' (10-14). Dieser Zar haPanim ist mit Metatron identisch, der im 3Hen durchgängig den Namen Zar haPanim hat. Wie Metatron heißt er רענ 40 . Der Zar happanim ist oberster Kultdiener vor Gott, worauf alle im Zitat genannten Attribute hinweisen. 41 Dass er mit dem himmlischen Kult‐ geheimnis verbunden ist, zeigt die Warnung, die ihn zum Abstieg zwingende Beschwörung könnte die Welt zerstören. 42 Die Beschwörung zielt auf den Ab‐ stieg des Zar haPanim, auf dass der Beschwörende sich mit ihm verbinde, um sich seiner bedienen zu können (17-19). T.t. für das ‚Sich-Verbinden‘ ist קקז, entsprechend etwa gr. συνιστάναι. Da die Beschwörung in ein Gebiet beson‐ derer kultischer Reinheit und Heiligkeit hineinreicht, muss der Beschwörende sorgfältig Waschungen und Reinigungsmaßnahmen beachten (20-28). Die 2. Stufe der Beschwörung, nun mit 14 Namen, knüpft an die Offenbarung an, die der Zar haPanim zuvor den Propheten und Sehern der biblischen Zeit hat zu‐ kommen lassen. Die Offenbarung Gottes durch die Propheten wird also in Ana‐ logie gesetzt zur Verwendung himmlischen Wissens, welches durch Beschwö‐ rung erlangt wurde. Letztlich drückt sich hierin ein religionsgeschichtliches 260 A) Beelzebul und Menschensohn 43 Identifikationsformeln oder gar reziproke Einheitsaussagen finden sich in jüdischen Be‐ schwörungstexten anscheinend nicht. Die aramäischen Zauberschalen des babylonischen Judentums setzen voraus, dass der Beschwörende mit den Attributen und der Vollmacht von Geistern und göttlichen Wesen ausgestattet ist, vgl. Isbell, Corpus of the Aramaic Incantation Bowls, 1975, Nr. 2: „Again I am coming, I, Pabak the son of Kupitai, in the power of my own self, polished armor of iron on my body, my head of iron, my stature of (pure) fire. I am clothed with the garment of Hermes, Dabya, and Mamlala; and my power comes from the One who created heaven and earth.“ (Z. 1 f.); vgl. Nr. 6, Z. 2-5; Nr. 7, Z. 1-4. Biblische Basis, auf die sich der Beschwörende wiederholt bezieht (Nr. 8, Z. 12; Nr. 10, Z. 6; Nr. 24, Z. 14; Nr. 35, Z. 2-3; Nr. 42, Z. 10-11), ist Sach 3,2, wonach Gott für den Hohenpriester Josua gegen Satan eintritt. Der Beschwörer ‚benutzt‘ das Bibelwort wirkkräftig gegen Satan. Eine Weiterentwicklung der Parhedros-Vorstellung im Judentum findet sich jedoch im Midrasch von den 10 Märtyrern: damit sich R. Jischmael der Hohepriester bei seinen Aufstiegen mit Michael/ Metatron ‚verbinden‘ kann, ist er zum irdischen Abbild des himmlischen Hohenpriesters gemacht: Gott hat einen Knecht auf Erden wie er einen im Himmel hat. Dieses Motiv, wonach sich ‚oben‘ und ‚unten‘ entsprechen, ist dann noch ausgezogen durch eine Geburtslegende, die Michael/ Metatron die Gestalt des Vaters von R. Jischmael annehmen lässt, vgl. oben S. 218. 44 S.E. Johnson, A Commentary on the Gospel according to St. Mark, London 1960 (BNTC), 81. Verständnis des Prophetismus aus, das diesen im Rahmen der Verwendung kul‐ tischer Motive sieht: Auch die Propheten benutzten die durch den Kult gegebene Bindung der irdischen an die himmlische Schöpfungshälfte. Die Namen, die ihr Wissen und Vermögen begründeten, sind nach 100 f. nicht nur die Versiegelung der Geheimnisse und Mysterien, sondern ‚mit ihnen wurden die Grundlagen des Himmels und der Erde gemacht‘ (vgl. auch 153-162). Das Verhältnis des be‐ schworenen Zar haPanim zum Beschwörenden soll so sein wie das eines Men‐ schen, der zu seinem Freund spricht םדאכ אוהש רפסמ וריבחל ) 152 ( . Diese intime Verbindung ist wie in den hellenistisch-ägyptischen Zauberpapyri nicht statisch gedacht, sondern so, dass dieses Verhältnis jeweils in actu vom Beschwörenden dynamisch realisiert werden muss: Der Engel muss den Beschwörungen gehor‐ chen und wird danach wieder entlassen (246-279). Dies weist in die Richtung der kurzzeitigen Paredros-Genossenschaft, die zu unterscheiden ist von der le‐ benslänglichen, bei der der Paredros, der stets bereite Helfer, fortwährend un‐ sichtbar zugegen ist. Mit dieser zweiten Form scheinen die heidnischen Texte über die Möglichkeiten der jüdischen Theurgie hinauszugehen. 43 Wenn wir das ἔχειν von Mk 3,22 vor dem Hintergrund der in späteren jüdischen und heidni‐ schen Texten literarisch belegten Tradition des Habens = ‚Verfügens per Be‐ schwörung über einen Engel/ Dämon‘ einordnen, müssen wir schließen, dass die Jerusalemer Priestergelehrten Jesu Vollmachtsanspruch derart diagnostizieren, dass er über den Βεελζεβούλ als seinen πάρεδρος verfügen kann: „He has Be‐ elzebul, i.e. he controls this demon and is using him“ ist die von Johnson 44 korrekt durchgeführte Übersetzung. 261 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 45 Vgl. Mk 1,23; 5,2. Ἐν hieße dann: ‚in der Gewalt von‘, ‚beherrscht von‘; vgl. zum grammatischen Problem: D. Tabachovitz, Die Septuaginta und das Neue Testament. Stilstudien, Lund 1956, 59-62. 46 Vgl. Limbeck, in: Teufelsglaube, S. 302: „… mit Hilfe …“; vgl. auch W. Elliger, Art. ‚ἐν‘, in: EWNT I, 1093-1096, hier 1095. 47 So Bultmann, GST, 1977, 11. 48 Vgl. MacLaurin, Beelzebul, NT 20 (1978), 159. Neben dem Βεελζεβούλ ἔχει steht bei Mk die in der Q-Fassung allein begegnende Form des Vorwurfs ἔν τῷ ἄρχοντι τῶν δ. ἐκβάλλει τὰ δαιμόνια. Auch dieses ἔν τῷ … lässt sich in Analogie zu Mk 1,23 nach dem Vokabular der populären dämonischen Phänomenologie erklären. 45 Doch weist die u. a. von Blass/ Debrunner/ Rehkopf § 129,1 vorgeschlagene Deutung in eine spezi‐ fizierende Diagnostik: ἐν bezeichne eine „persönliche Tätigkeit“; der ἄρχων τῶν δαιμονίων bzw. Βεελζεβούλ ist dann Werkzeug, Repräsentationsfigur Jesu: Er handelt durch den ἄρχων τῶν δαιμονίων. 46 Diese Deutung zielt auf eine Trennung zwischen Jesus und dem ἄρχων τῶν δαιμονίων bei Betonung der Einheit des Handelns. Sachlich spricht für diese Deutung, dass das Vorgehen gegen die Dämonen einer Autorität auf himmlischer Ebene bedarf, welche dann Beelzebul im Auftrag Jesu, bzw. Jesus ‚durch‘ Beelzebul wahrnähme. Eine weitere, diese Deutelinie noch zuspitzende Überlegung drängt sich je‐ doch auf. Hinter dem ἐν steht ein hebr./ aram. ב. E. Kautzsch, W. Gesenius’ He‐ bräische Grammatik, 1906 28 , S. 396 § 119 i verweist auf das sog. „ ב essentiae der älteren Grammatiker (entsprechend griech. ἐν, latein. in, franz. en), z. B. Ex 6,3: ich erschien dem Abraham … לאב ידש als El schad-daj …“; auch Brockelmann, Grundriss der vergleichenden Grammatik der semitischen Sprachen, II, 1913, S. 368, § 237 l weist diesen Sprachgebrauch dem Arabischen und Gemeinsemi‐ tischen zu; C. Levias, A Grammar of the Aramaic Idioms contained in the Ba‐ bylonian Talmud, 1900, S. 50, § 171 verweist auf bMeg 22a: בר ינהכב ארק ‚Rabh read as a priest‘, ‚in seiner Rolle als Priester‘; für das christlich-palästinische Aramäisch vgl. F. Schulthess, Grammatik des christlich-palästinischen Aramä‐ isch, 1965 (Nachdruck der Ausgabe 1924), S. 85, § 168, 1. Wir können Mk 3,22b vor diesem Hintergrund übersetzen: ‚als Herr der Dämonen treibt er die Dä‐ monen aus‘. Der ganze Satz 3,22 gliedert sich dann nicht in zwei ursprünglich verschiedene Fassungen des Vorwurfs, 47 sondern besteht aus zwei Gliedern, wobei das zweite gut auf das erste aufbaut: ‚er hat (sich durch Beschwörung) den Beelzebul (verschafft) und als Fürst der Dämonen 48 treibt er die Dämonen aus.‘ Jesus wirkt nach der so gefassten Gestalt des Vorwurfs durch die von ihm per Beschwörung gewonnene Gestalt des Zebul-Fürsten auf die Dämonen ein, als ihr Herr - so die Diagnose der Jerusalemer. 262 A) Beelzebul und Menschensohn 49 So Gnilka, Komm. I, 149. 50 So Böcher, Christus Exorcista, 161f. Bevor wir darangehen, den hier in negativer Folie entgegentretenden An‐ spruch Jesu auf seine positiven christologischen Voraussetzungen hin zu un‐ tersuchen, gehen wir vor dem gewonnenen Hintergrund auf Jesu Antwort ein. Jesus beharrt auf der auch von der Jerusalemer Kulttheologie festgehaltenen Möglichkeit, die Schöpfungswelt von der Heiligkeit Gottes aus dualisierend qualifizieren zu können. Dass Jesus sich mit einer - hier spezifisch jüdisch ge‐ fassten 49 - Theorie der homöopathischen Magie auseinandersetzen würde, 50 ist schwer erkennbar. Auch die ‚Söhne‘ der Gegner (Q/ Mt: Pharisäer; Mk hat hier die ursprüngliche Bezeichnung der Gegner bewahrt, vgl. ApG 19,13f.) gehen in einer Vollmacht gegen die Dämonen vor, die mit dem himmlischen Kultge‐ heimnis, dem לובז und seiner Heiligkeit, zu tun hat. Im Hintergrund stehen nicht Auseinandersetzungen um die Theorie der Magie, vielmehr geht es um den Ver‐ such, Jesus mit seiner charismatischen Vollmacht, die am Jerusalemer Tempel und damit, nach dem jüdischen Selbstverständnis, an dem die jüdische Ge‐ schichte und Welt verortenden Zentrum vorbeigeht, in die Welt des Heidentums abzudrängen. Seine Wundervollmacht wird nicht geleugnet, jedoch als heid‐ nisch qualifiziert. Entscheidend ist, dass ein Einzeichnen der Vollmacht Jesu in den heidnischen Baal-Kosmos keine Qualifikation dieser Vollmacht im heilsge‐ schichtlichen und eschatologischen Sinne zuließe. Es geht in dieser Auseinan‐ dersetzung also um die Frage der Zugehörigkeit des Anspruchs Jesu zur Ge‐ schichte und zum Kosmos des Volkes Gottes. Aus diesem inhaltlichen Grunde, nicht nur aus dem Zwang einer formalen Einlassung, weist Jesus auf den jüdi‐ schen Exorzismus hin, der sich auch aus der Beziehung zum himmlischen Hin‐ tergrund des Kultes ableitet. Jesus ist angreifbar für die Jerusalemer, weil er den Verortungs- und Qualifizierungspunkt, von dem aus die jüdische Tradition die Schöpfung erfasst, den Tempel in Jerusalem, offenbar aus einer höheren, mes‐ sianischen Vollmacht heraus in die geschichtliche Ablösbarkeit verweist. Jesus appelliert in den Versen Mk 3,23-27 an die alten Grundsätze, die in jüdischer Theologie, zumal in Priesterkreisen, dann gelten müssen, wenn man bereit ist, den Phänomenverbund des Antidämonischen im Rahmen des Judentums zu deuten: Heiligkeit und Weltlichkeit, Sünde und Kraft der Neuschöpfung, Geist Gottes und Satanseinfluss stehen sich dann gegenüber; eine gewisse dualisie‐ rende Grundschicht gehört zu den Merkmalen der biblisch-jüdischen Tradition. Im Kultgeschehen ist es theologisch eindeutig, dass der Gott Israels mit den von ihm bereitgestellten Sühnemitteln Israel Sühne schafft und die seiner Herrschaft widerstrebenden Sünden- und Satansmächte zurückweist. Wenn dies unklar 263 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 51 Vgl. Mowinckel, Religion und Kultus, 79 f. 118; ders., Das Thronbesteigungsfest Jahwes und der Ursprung der Eschatologie (= Psalmenstudien II), 1922. Zur neueren Diskussion vgl. P. Welten, Königsherrschaft Jahwes und Thronbesteigung, VT 32 (1982) 287-310. 52 Vgl. W.G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung, 1953 2 , 107; ähnlich auch R. Pesch, Komm I, 215: „Nur wer den Starken zu binden vermag, d. h. den Satan als Exorzist überwindet, kann sein Haus ausrauben. Jesus beansprucht für sich diese Kraft, den heiligen Geist.“ Im ‚d.h.‘ stecken die Probleme; die himmlische Entmachtung Satans und die Exorzismen bilden nicht einfach bloß verschiedene Deuteschichten des Wunderbaren, das letztlich in seiner Selbstevidenz für sich spräche, sondern qualifizieren das Geschehen in einer unumkehrbaren Reihenfolge: himmlische Entmachtung ermöglicht irdischen Exorzismus. 53 Zur Deutung auf den irdischen Jesus vgl. U.B. Müller, Vision und Botschaft, in: ZThK, 74 (1977),416-448; zur Frage der historischen Echtheit 419. wäre, wenn auch im Kultus im Namen Baals Sühne geschaffen werden könnte, wäre der Kultus Israels nicht von heidnischer Magie zu unterscheiden. Gott steht gegen Satan - dies Gegenüber zu statuieren, zu qualifizieren und diese Span‐ nung auf eine eschatologische Lösung hin zu beziehen, dies ist Aufgabe der Kulttheologie wie auch die der über sie hinausweisenden charismatischen Be‐ ziehung zur himmlischen Heiligkeit. Jesus argumentiert mit den Bildern der βασιλεία und der οἰκία. Beide sind räumliche Begriffe und bezeichnen die Bereiche der umfassenden und der kleinsten Herrschaft (Makrokosmos/ Mikrokosmos). Darüber hinaus ist ent‐ halten ein Hinweis auf den ‚ontologischen‘ Hintergrund dessen, worum es in der Auseinandersetzung geht: die βασιλεία τ. θ. ist ja von Haus aus eine kultisch erschlossene Größe. Im Kultgeschehen werden die satanischen Sündenkräfte zurückgewiesen, wird die Königsherrschaft Gottes über Volk und Schöpfung neu konstituiert. 51 Im οἰκία-Bild liegt noch deutlicher die Frage nach dem לובז, auf den der Kultus sich gründet und auf den Jesus sich direkt zu beziehen scheint. Die Frage nach der βασιλεία und der οἰκία betreffen sowohl den offiziellen Kultus als auch die ‚praktische‘ Betrachtung der Welt. Beide würden unsinnig, wenn in der βασιλεία Gottes Herrschaftsansprüche Baals wirksam wären, wenn zu dem heiligen ז ב ו ל Unheiligkeit Zugang hätte. Die Aufgabe einer dualisierenden Weltsicht bedeutete den Verzicht, Satanisches und Heiliges scheiden zu können. Da Jesus den Fixpunkt für die priesterliche Dualisierung (Volk, Stadt und Tempel) hinter sich lässt, braucht er eine neue, diese Qualifizierung ermöglichende Basis: Wer ist der, der den Starken überwinden kann? Wer ist der Stärkere? Es wäre nicht ausreichend, die Bindung des Starken nur als theoretische Implikation, als ideologischen Hintergrund der exorzistischen Praxis Jesu zu sehen. 52 Lk 10,18 zeigt, dass Jesus 53 dem Geschehen im Himmel, durch das Satan entmachtet wurde, ein gegenwärtig wirksames und heilsgeschichtliches Prä zumaß, ohne das sein exorzistisches Wirken in der Luft hinge und auf ungedeckte 264 A) Beelzebul und Menschensohn 54 Die Formel ‚Gott in Jesus‘, die Pesch, Komm. I, 215 aus Mt 12,28/ Lk 112,0 herausliest, ist u.A.n. exegetisch und historisch nicht ausreichend abgesichert. Magie hinauslaufen würde. Das Vergehen des Stärkeren gegen den Starken muss sich zunächst - nicht notwendig im zeitlichen Sinne - auf dem himmlischen Hintergrund und Urgrund der irdischen Schöpfungshälfte abspielen. Man muss beachten, dass Mk im Zusammenhang dieses ersten Argumenta‐ tionsgangs noch nicht vom Handeln Gottes 54 oder vom πεῦμα Gottes spricht. Bleibt man im markinischen Kontext, so ist zu erwarten, dass die hinter dem Beelzebul-Vorwurf stehende Beziehung Jesu zu einer ‚positiven‘ Gestalt gemeint ist, in der der Stärkere gegen den starken Satan vorgeht und seine οἰκία zur Plünderung freigibt. Dies kann nach dem, was wir vom jüdischen Kontext her wissen, nur eine Gestalt sein, die in den himmlischen Zebul gehört, nämlich Michael/ Metatron, bzw. der himmlische Hohepriester. Für die Bindung des Starken durch den Stärkeren liefern 1Hen 10 (die Engel als die himmlischen Kultdiener Gottes binden Asasel), 11Q Melch und wohl auch TLevi 18 den Hintergrund. Diese himmlische Kultfigur begegnet wohl auch im ἰσχυρότερος der Ankündigung des Täufers nach Mk 1,7f.: Er wird gegen die Sünde und die sie tragenden Kräfte nicht mehr nur mit auf Geist verweisendem Wasser taufen, sondern mit dem Geist des sündlosen, neugeschaffenen Menschen, welcher zu‐ gleich auf die Feuertaufe der Himmlischen hinweist. Der Täufer hat an eine mit himmlischer Reinheit und Heiligkeit verbundene und verbindende Kultgestalt gedacht. Jesus ist durch den Täufer in der Sichtweise geprägt worden, dass das eigene Wirken in Beziehung steht zur eschatologischen Reinigung Israels, ja der Menschheit, letztlich durch das himmlische Feuer. Dieses Denken in gestufter Analogie und eschatologisch-himmlischer Erfül‐ lung bestimmt nun auch Jesu vollmächtiges Wirken. Jedoch wartet er nicht auf den Stärkeren, sondern sieht sein Wirken in nicht mehr zeitlich zu differenzierender, nämlich dem eschatologischen καιρός entspringender, Analogie zum Heilsge‐ schehen vom Himmel her: Sein Wirken - hier: gegen die Dämonen - ist mit dem des himmlischen Hohenpriesters verbunden, hat dies zur Voraussetzung. Dem zweistufigen Wirken von Satan und seinen Dämonen steht das des himmlischen Hohenpriesters und des eschatologischen Exorzisten gegenüber. Erst nach diesem Durchgang, in dem Jesus sein exorzistisches Wirken nicht dem heidnischen Beelzebul zuweisen lässt, sondern andeutend auf den zur jüdischen Tradition sehr wohl gehörenden himmlischen Hohenprieser als den Stärkeren verweist, geht Jesus nach Mk die Grundfrage an, die allein hindern kann, sein Wirken außerhalb des jüdischen Kult-Kosmos in den Bereich heidnischer Polydämonologie zu 265 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 55 Vgl. Pesch, Komm. I, 216. Eine Rückführung der Tradition von der Lästerung des Geistes auf urchristlichen Missionsbetrieb, bzw. - dies träfe vor allem die Q-Fassung - auf urchristlichen prophetischen Pneumatismus, der sich durch Jesus zu Wort meldete, ist auch nach J.D.G. Dunn, Prophetic ‚I‘-Sayings and the Jesus Tradition: The Importance of Testing prophetic Utterances within Early Christianity, in: NTS 24 (1978), 175-198, hier: 194-196, sehr unwahrscheinlich. Gerade die Q-Fassung wäre in der Gemeinde nicht akzeptiert worden, wenn sie in ihrer ganzen Anstößigkeit nicht durch älteste Jesus-Tradition gedeckt wäre. 56 Vgl. K. Berger, Die Amen-Worte Jesu, 41; und Pesch, Komm. I, 216. 57 Hierin liegt der sachliche Grund für die Fassung des Lästerspruches in Q. Wenngleich diese Q-Fassung gegenüber Mk senkundär sein wird, zeigt sie doch eine gute Kenntnis der Implikationen der alten Tradition. verweisen. In diesem sachlich begründeten 55 Kontext steht die Warnung vor der Sünde wider den Heiligen Geist. Der Geist Gottes, d. h. Gott als der, der sich innerweltlich als der Lebendige zeigt, ist die letzte Instanz, die die Geschichte und die Schöpfung von der himmlischen Heiligkeit her qualifizieren kann. Jesus spricht als Pneumatiker, der Einsicht in die Maßstäbe des Gerichtes hat, 56 ja bevollmächtigt ist, vom zukünftigen Gericht her jetzt schon eine Schei‐ dung vorzunehmen. Steht hinter dem den Starken himmlisch Überwindenden das postitive Gegenstück zum Βεελζεβούλ, so spricht Jesus hier als himmlischer Richter, als Menschensohn. Mit dem Schlusssatz ὅτι ἔλεγον πνεῦμα ἀκάθαρτον ἔχει macht Mk deutlich, wie er die Tradition gegliedert sehen möchte. Die den allgemeinen Befund ‚Besessenheit‘ spezifizierende These der Priestergelehrten wird nicht durch Diskussion des christologischen Geheimnisses Jesu aufgefangen - auch die Beziehung Jesu zum Menschensohn bliebe in diesem polemischen Kontext diffa‐ mierbar 57 -, sondern in die dualisierende Grundstruktur jüdischen Kultdenkens zurückgeführt: unreiner = heidnischer Baalsgeist könnte nicht kranke = unreine Geister austreiben. Deshalb hängt alles daran, Jesu Wirken als Geschehen im reinen Geist Gottes zu deuten. Jesu Beziehung zum Stärkeren baut auf einer Basis der pneumatischen Beziehung zu Gott auf. Diese pneumatische Grundlage trägt die christologische Entfaltung. Ohne diese pneumatische Grundlage bleibt sie nicht vor Missdeutung geschützt. Beide Elemente, Jesus als Träger des Geistes Gottes und die darauf aufbau‐ ende christologische Entfaltung, weisen auf Johannes den Täufer zurück. Dass Jesus Pneumatiker ist, weist die Tradition seinem Getauft-Werden durch den Täufer zu. Dieses Wissen um Jesu Urgrund wird nicht erfunden sein. Vermutlich sah der Täufer sein Wirken im Lichte einer eschatologischen Reinigung des Gottesvolkes durch eine himmlisch-irdische Gestalt. Dass Jesus reinen Geist bekommen hat und seine von ihm beanspruchte himmlische Vollmacht ihn 266 A) Beelzebul und Menschensohn 58 Freilich hat τό πνεῦμα im NT auch eine angelologische Komponente, vgl. O. Betz, Der Paraklet, 1963, 159-164. 59 So E. Käsemann, Lukas II, 14-28, in: EVuB I,244; vgl. hingegen J. Jeremias, Die Sprache des Lukas 1980, S. 201, der den Vers für vorlukanisch hält (artikellose Genitivverbin‐ dung). 60 Vgl. das von Deißmann, Licht vom Osten, 260, veröffentlichte ägyptische Ostrakon: ἐξορκίζω κατὰ τοῦ δακτύλου τοῦ θεοῦ; vgl. auch die Nummern 31.73.77.81 (Petrus). 108.142 (Moses). 143 (Moses). 157.161-163.223.366 in: Ch.R. Morey, The Gold-Glass Collection of the Vatican Library, 1959 (Catalogo dei Museo Sacro, IV). Hier ist jeweils Jesus (Ausnahmen in Klammern) mit einem Zauberstab dargestellt, welcher (am deutlichsten bei den Nummern 31 und 366) wie ein großer Zeigefinger gestaltet ist. Nach Ex 8,19 ist der Zauberstab des Mose ja Gottes Finger. Jesus Christus als Totenerwecker hat in Nr. 31 den Stab in der Art eines künstlichen, riesigen Zeigefingers in der Hand. Theologisch hervorzuheben ist Nr. 366, wo Jesus mit seinem Zauberstab nicht nur den Paralytischen von Mk 2,1-10 sein Bett nehmen heißt und Lazarus auferweckt, sondern zugleich die Sünde Adams und Evas mit seinem Zauberstab angeht (Vollmacht der Sündenvergebung nach Mk 2,1-10). Neutestamentlicher Anknüpfungspunkt für die Darstellung Jesu mit Zauberstab/ -finger ist Lk 11, 20. nicht aus dem Judentum hinausweist, hängt auch an der Vollmacht des Täufers. Hinter diesen Punkt ist Jesus im Gegenüber zu den Jerusalemer Autoritäten nach Mk 11,27ff. nicht zurückgewichen. Die Taufe des Täufers muss mit der apokalyptischen Tradition des Tempels (Ez, Sach) so tief verbunden sein, dass gerade die Priester die Möglichkeit einer eschatologischen Ausweitung der priesterlichen Waschungen nicht ausschließen konnten. Jesus macht deutlich: Sein ihm seit der Johannes-Taufe gegebener Geist ist Zeichen der eschatolo‐ gischen Neuschöpfung. Die Q-Tradition bringt eine direkte Zuspitzung der Argumentation, indem zu dem vorgeworfenen ἐν Βεελζεβούλ als positives Gegenstück ἐν πνεύματι θεοῦ/ ἐν δακτύλῳ θεοῦ gestellt wird. Die Mt-Fassung nimmt den Zielpunkt der Argumentation vorweg: Jesu Exorzismen geschehen ἐν πνεύματι θεοῦ, nicht ἐν Βεελζεβούλ. Mt nimmt eine gewisse Inkongruenz in Kauf, insofern ein Dämon einer Dynamis 58 gegenübersteht. Jedoch ist diese Reduktion, wie wir gesehen haben, notwendig. Das lk ἐν δακτύλῳ θεοῦ bildet das passendere und zugleich ‚schwierigere‘ Gegenstück zu ἐν Βεελζεβούλ. Wir stoßen keinesfalls auf eine altertümelnde Wendung der erbaulichen Sprache des Lk; 59 vielmehr stellt die lk Traditionsfassung sich der Frage, wie Jesus positiv, wenn nicht als Beelzebul, in den umkämpften Bereich eingreifen konnte: ‚verfügt‘ Jesus über den Finger Gottes? In diesem Sinne von ‚benutzen, haben, verfügen‘ ist offenbar in der Alten Kirche der Spruch vom ‚Finger Gottes‘ verstanden worden. 60 Der ‚Finger Gottes‘ ist biblisches Bild für die Gegenwart der Macht Gottes in den Wundern des Mose (Ex 8,19), wobei konkret an den Stab des Mose gedacht wird. Der Stab ist eine Art göttlicher Machtfinger. 267 1. Βεελζεβοὺλ ἔχει 61 Diese Übersetzung ergibt sich aufgrund der Überlegungen o. S. 261. In eine etwas andere Richtung weist die Tradition, nach der Gott mit seinem eigenen Finger die Gesetzestafeln beschrieben hat (Ex 31,18; Dtn 9,10). Hier gehören die Gebotstafeln zum himmlischen Bereich der Schöpfung, der in besonderer Weise durch Gottes eigenhändiges Tun gesegnet ist (vgl. Ps 8,4). Das ἐν δακτύλῳ θεοῦ bei Lk knüpft vermutlich an diesen Komplex an: Jesus treibt als Finger Gottes 61 die Dämonen aus. In ihm ist Gottes direktes Eingreifen aus dem Himmel in die irdische Schöpfungshälfte zu sehen; er ist der Finger Gottes. 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester a) Die zugrunde liegende Argumentation Wir sind mit Bedacht in einen Zusammenhang der Jesusüberlieferung einge‐ stiegen, der mit ziemlicher Sicherheit zur ältesten Grundschicht gehört. In dieser Tradition sind wir Jesus gleichsam ‚von hinten‘ begegnet, indem wir ihn im Spiegel der Reaktion der Priestertheologen betrachtet haben. Hinter dem Beelzebul-Vorwurf haben wir das Bemühen der Jerusalemer Priester-Gelehrten gefunden, den Anspruch Jesu, der hinter seinem charismatischen Wirken und seiner Demonstration der Anwesenheit des Reiches Gottes liegt, in den Bereich kanaanäischer Religion abzuweisen. Jesus ‚benutzt‘ nach dieser jüdischen Polemik das Element ‚himmlischer Hintergrund‘ der offiziellen Kulttheologie und kehrt sie - als Nicht-Priester und außerhalb des Kultes - implizit gegen den Jerusa‐ lemer Tempel. Dass hinter dieser priester-theologischen Polemik nicht bloße Obstruktion steht, sieht man an Überlieferungen, nach denen Jesus dem Tempel kritisch gegenüberstand und in freier Weise in die Domäne des Kultes, den Kampf gegen Sünde, Tod und Teufel, eingriff. Der Tempel war für Jesus nicht der Verortungspunkt der Geschichte des Gottesvolkes, nicht Zentrum der Schöpfung und nicht Verbindungspunkt mit dem himmlischen Bereich der durch Gottes heilige Nähe herausgehobenen Schöpfungshälfte. Jesus stützte sich, (am irdischen Tempel vorbei) auf den himmlischen Zebul, nahm also eine Vollmacht wahr, die sich direkt - ἐκ οὐρανοῦ - aus dem sonst vom Tempel erschlossenen Bereich des himmlischen Hintergrundes der irdischen Schöpfung ableitete. Diese Art kultapokalyptischer und kultpraktischer christologischer Legiti‐ mierung kennen auch jüdische Kreise, vor allem in einem zunächst heterodoxen Judentum, die sich auf den himmlischen Hohenpriester, den Fürsten vor dem 268 A) Beelzebul und Menschensohn 62 Vgl. auch A.F. Segal, Two Powers in Heaven. The Significance of the Rabbinic Reports about Binitarism, Ditheism and Dualism for the History of Early Christianity and Judaism, Diss., Yale University 1975 (University Microfilms 1976), 316-357; vgl. jetzt auch R. Bauckham, Worship of Jesus in Apocalyptic Christianity, in: NTS 27 (1981), 322-341, hier: 327. 63 A.a.O., 329-343.351-357. 64 NTS, 23 (1977), 82-90. 65 The Books of Enoch, 25, vgl. zur älteren Forschung: Charles, The Book of Enoch, 1912 2 , 1f. 66 Vgl. Milik, a. a. O., 22. Angesicht Gottes, Michael, Metatron, Melkisedek, beziehen 62 und von ihm her eine ohne den irdischen Tempel mögliche eschatologisch-kultische Neuordnung der Schöpfung erwarten. Dazu gehören die Überwindung der Kräfte des Bösen, also auch Exorzismen, und die Bildung einer Gemeinde, die jenseits der ge‐ schichtlich beschränkten Möglichkeiten des irdischen Tempels steht. Dass es dabei um die Frage nach dem heiligen Gottesvolk und seine Identität mit Israel geht, zeigt der Versuch, Jesu Vollmacht ins Kanaanäische abzuschieben. Die spätere jüdische Tradition führt den Fürsten des (himmlischen) Zebul - auf der Basis rabbinischer Tora-Ontologie wird ältere kultapokalyptische ‚Praxis‘ legitimiert - auf Dan 7 zurück. Dies gibt den Anlass für die heuristische Vermutung, dass hinter dem Beelzebul-Vorwurf positiv Jesu Menschensohn-An‐ spruch steht. Der Menschensohn-Anspruch Jesu steht im Hintergrund. Dafür sprachen außer der auch von Segal unterstützten Beobachtung, dass der Menschensohn eine der frühen Ausformungen der jüdischen Tradition vom himmlischen, men‐ schenähnlichen Engel ist, der den Namen Gottes trägt 63 , folgende Überlegungen: - Religionsgeschichtlich ist der Menschensohn mit der kanaanäischen My‐ thologie verbunden; darauf nimmt der Vorwurf Bezug, Jesus habe einen Baal des Zebul. - Traditionsgeschichtlich ist zu bedenken, dass Dan 7 in einer engen Bezie‐ hung zu 1Hen 14,8-16,4, besonders zu 14,8-15,1, steht. T.F. Glasson 64 betont die Möglichkeit, in 1Hen 14 die Vorlage für Dan 7 zu sehen. Milik 65 kommt zu dem Ergebnis: „… the dates of our manuscripts of 4Q allow us to establish that from the first half of the second century B.C. onwards the Book of Watchers had essentially the same form as in which it is known through the Greek and Ethiopic versions.“ Von 1Hen 14 sind Teile durch den aramäischen Bestand abgedeckt, u.zw. gerade die auch in Dan 7 zentrale Thronvision (14,18-20) 66 . Diese Dan 7 zumindest sehr nahestehende Traditionsparallele macht deutlich, dass die Thronszene im himmlischen (Tempel-)Haus angesiedelt ist. Dieses ist entsprechend kultischer Architektur gegliedert in zwei konzentrische Bezirke, 269 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 67 Vgl. Bietenhard, Himmlische Welt, 54; Gruenwald, Apocalyptic, 34. Das Haus steht in den beiden anderen merkaba-artigen Visionen des 1Hen (18,8; 25,3) in Parallele zum hohen Berg, der in den Himmel hineinragt und selbst von himmlischer Herrlichkeit ist. Thron und Tempel liegen auf dem hohen, himmlischen, kultisch-kosmischen Berg. 68 Vgl. Gruenwald, a. a. O., 36f. 69 Vgl. C. Colpe, Der Spruch von der Lästerung des Geistes, in: E. Lohse u. a. (Hrsg.), Der Ruf Jesu und die Antwort der Gemeinde. FS J. Jeremias, Göttingen 1970, 63-79, hier: 66-69; J.D.G. Dunn, Prophetic Utterances in Early Christianity, in: NTS, 24 (1978), 192-196, bes. 196. den des Heiligtums und den des Allerheiligsten (14,10ff. und 14,15ff.). 67 Es ist die heilige, kultisch-himmlische Merkaba-Sphäre, in die die Beschreibung der thronenden Gottheit, der ihre Heiligkeit doxologisch schützenden Engel und des Menschengestaltigen gehören. Dieser Menschengestaltige darf über den innersten Kreis der Engel hinaus 68 in eine besondere Nähe zur Heiligkeit der Gottheit gelangen (1Hen 14,24ff.). Er erscheint entweder in der mythischen Gestalt eines entrückten Gerechten (1Hen 14) oder in der ebenso mythischen Gestalt eines himmlischen Wesens (Dan 7). In beiden Fällen gehört diese Gestalt in das Zentrum des himmlischen Heiligtums. Der Menschengestaltige ist eine eschatologisch übersteigerte Form des himmlischen Hohenpriesters, sofern man bedenkt, dass in der Sphäre verdichteter Heiligkeit der Merkaba es nicht eigentlich mehr um kultische Aktivität und Mittlung geht. Zentral ist die Darstellung des Zugangs und die Anteilhabe an einem Bereich, der an die Heiligkeit der göttlichen Transzendenz reicht. Priesterliche Aktivität schimmert darin durch, dass Henoch nach 1Hen 14-16 Fürsprecher für die gefallenen Engel ist. Der Menschengestaltige, der in den Bereich der unmittelbaren Heiligkeit Gottes eintreten darf, wird derart über die Himmlischen erhöht, dass er auch Macht gewinnt über die von den Himmlischen herrührende Störung der kul‐ tisch-kosmischen Schöpfungsordnung. Der Menschengestaltige nach 1Hen 14 und Dan 7 gehört in den Bereich des himmlischen Allerheiligsten, hat Zutritt zu diesem Haus und seiner kultisch-kosmischen Macht. Diese Gestalt wird also mit einem gewissen Recht als לעב לובז bezeichnet. - Die (sekundäre) 69 Q-Fassung des Spruches von der Blasphemie weiß noch: Es geht um eine Lästerung des Menschensohns, die im Rahmen der Auseinan‐ dersetzung um Jesu Anspruch möglich ist. Sein Menschensohn-Anspruch mag in den Vorwurf Βεελζεβούλ ἔχει verkehrbar bleiben, aber nicht der hinter ihm stehende Anspruch, am πνεῦμα Gottes zu hängen. Wir haben die Jesus-Tradition nunmehr daraufhin zu untersuchen, ob der Menschensohn-Anspruch Jesu Bezüge zu diesem Traditionshintergrund erkennen lässt: Geht es um eine am Tempel vorbeigreifende, himmlisch-escha‐ tologische Kultvollmacht? Bevor wir uns dieser Aufgabe zuwenden, blicken 270 A) Beelzebul und Menschensohn 70 Deutlich ist, dass die erzählende Rahmung durch die Rede unterbrochen wird; die Rede selbst ist jedoch nach Meinung einer breiten Forschung vorlukanisch vgl. Chr.H.H. Scobie, The Use of Source Material in the Speeches of Act. III and VII, in: NTS, 25 (1979), 99-421, hier: 400-402; 413f. 71 Stephanus und seine 6 Mitdiakone werden nach 6,3.6 zu einem besonderen Gemein‐ deamt bestellt, welches von der Evangeliumsverkündigung und von der liturgischen Leitung der Gemeinde (6,4f.) gerade unterschieden ist. Nach 6,8; 7,1ff. ist aber Stephanus Wundercharismatiker und dazu Vertreter eines besonderen, ausgeprägten Kerygmas: vgl. O. Cullmann, Der johanneische Kreis, 1975, S. 44; zum traditionellen, vorlukani‐ schen Charakter der Stephanus-Rede vgl. ders., a. a. O., 45 f. und E. Haenchen, Komm., 219ff.55f. 72 Dieser Hinweis in ApG 6,7 ist von besonderer Wichtigkeit für die Konzeption von C.F. Burney, The Aramaic Origin of the Fourth Gospel, 1922, 132ff.: die zum Christentum stoßenden Priester sorgen für eine priesterliche Lehrtradition, welche den Jesusstoff unter dem Aspekt des pneumatischen Zugangs zur himmlischen Welt rezipiert. Ihre Tradition ist vorpaulinisch und vorjohanneisch und geht mit den judenchristlichen Hellenisten in das zweisprachige Antiochien. 73 Komm. I, 416: die Tempel-Thematik passe eigentlich erst in die Zeit nach 70 und liege damit eher auf der Ebene der lk Redaktion. E. Haenchen, a. a. O., 221 bestimmt den Zu‐ sammenhang zu eng, wenn er das Zentrum der Auseinandersetzung in der großen Ge‐ setzesfreiheit der Stephanus-Leute sieht. Gesetz und Tempel sind zusammenhängende Größen, sowohl im Verständnis der angreifenden Juden (6,11.13f.) als auch nach der Erwiderung der Stephanus-Rede. Gesetzesungehorsam geht einher mit Götzendienst (7,38ff.), kultische Verfehlung (von der Hütte zum Tempel, 7,44ff.) mit Widerstand gegen den Heiligen Geist und das Gesetz. Die gleiche Entgegensetzung von Tempel/ Tora und christologischer Vollmacht aus dem himmlischen Haus/ der eschatologischen Heiligkeit bestimmt die Jesus-Tradition. Stephanus übernimmt nicht einen irgendwie (un)begründeten Gesetzesliberalismus Jesu, sondern diese vorgegebene Verbindung von Christologie und neuer Heiligkeit. wir auf die außerhalb der Jesus-Tradition stehenden Zeugnisse über den Men‐ schensohn im NT: Trägt hier der Menschensohn Züge eines himmlischen Hohenpriesters? b) Der Menschensohn in der Stephanus-Tradition Der redaktionelle Vorspann ApG 6,1-7, mit dem der - in sich selbst literarisch uneinheitliche 70 - Stephanus-Zyklus 6,8-7,59 eingeleitet wird, 71 endet mit der Feststellung, dass auch viele Priester dem Glauben gehorsam wurden. Die Erwähnung der Priester enthält einen Hinweis auf das dominierende Thema der Stephanus-Rede. Es geht um die Auseinandersetzung mit anderen griechisch sprechenden Juden und wohl auch der Theologie der ‚Hellenisten‘: Es geht um die Frage nach der Bedeutung des Jerusalemer Tempels. 72 Es scheint nicht sinnvoll, mit Schneider 73 den Punkt ‚Tempelkritik‘ aus der Theologie der Hellenisten und des Stephanus zu streichen. Es sind ja nicht nur 271 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 74 Die Verklärung des Stephanus ist nicht nur Zeichen seiner göttlichen Beglaubigung und Befähigung, die Rede zu halten, wie Haenchen, a. a. O., 225, knapp andeutet; vielmehr gehört die Verklärung inhaltlich mit dem umstrittenen Thema zusammen: sie zeigt an, dass die Wirklichkeit jenseits des Jerusalemer Tempels, nämlich der Bereich himmlischer Heiligkeit und Herrlichkeit, nicht den Engeln oder einer fernen eschatologischen Zukunft vorbehalten ist, sondern eine gegenwärtige Pneuma-Realität ist, die durch den Menschensohn erschlossen wurde. 75 Vgl. Cullmann, Der johanneische Kreis, 45f.: die Kritik am Tempel bilde den wesentli‐ chen Unterschied zwischen christlichen Hellenisten und christlichen Hebräern; hierin liege auch der Grund dafür, dass nur die Hellenisten, nicht aber die Hebräer verfolgt wurden. 76 Vgl. grundlegend M. Hengel, Zwischen Jesus und Paulus, in: ZTh, 72 (1975), 151-206, hier: 193-195. 6,11.13f., die diesen Punkt in das Zentrum stellen, vielmehr durchzieht dieses Thema Rahmung und Rede. In der Rahmung muss außer der Priester-Notiz - Priester gewinnt man nur, wenn man ein die Tempel-Theologie überhöhendes, nicht einfach ein indifferentes Tempel-Konzept hat - auch die Verklärung des Stephanus beachtet werden. Er strahlt die himmlische Herrlichkeit Gottes ab und hat ein leuchtendes Antlitz wie das eines Engels. Diese Notiz ist ohne Rückgriff auf des Mose Dienst im Zeltheiligtum nicht zu verstehen, bei dem er der Herrlichkeit Gottes begegnete und selbst von ihrem Glanz erstrahlte. Wir stoßen hier auf ein kult-ekstatisches Urmotiv, das in Ex 34,29-35 den Gang in die Hütte mit dem Gang auf den Sinai parallelisiert. Das leuchtende Engelantlitz bekommt derjenige, der sich in den Bereich der himmlischen Kultheiligkeit begeben darf. Die Verklärung des Stephanus deutet an, dass er zum Bereich der himmlischen Heiligkeit pneumatisch Zugang hat. 74 Wie wir sehen werden, ist in der Rahmung ferner die abschließende Vision des Stephanus auf den himm‐ lischen Menschensohn gerichtet. Er steht zur Rechten Gottes. Als Stehender nimmt er den himmlischen Kultdienst wahr. In der Rede des Stephanus tragen die Verse 44-50 ein Schwergewicht, weil sie das Tempel-Thema unmittelbar in die Analyse der gegenwärtigen Situation einsetzen. 75 Nach 6,8-15 ist Stephanus Pneumatiker, der sich in Zeichen und Wundern, auch durch eine besondere Weisheit auszeichnet. Es geht nach dieser zweiten Rahmung der Stephanus-Perikope um eine Auseinandersetzung zwischen einem geistgewirkten ‚Enthusiasmus‘ und dem traditionellen Festhalten an Gesetz und Tempel. 76 Stephanus bezieht sich auf eine Vollmacht jenseits der Größen Gesetz und Tempel, die allein bisher zur kultischen Bestimmung Israels legitimiert waren. Das Pneuma verbindet direkt mit der Welt der himmlischen Heiligkeit, der der Engel und des Menschensohnes. Dass die Hinterfragung der traditionellen Ideologie des Terrorismus verdächtigt wird, entspricht einem 272 A) Beelzebul und Menschensohn 77 Vgl. Mk 14,57f. zur Verfälschung der Tempelkritik Jesu im Sinne eines terroristischen Vorhabens. Joh 2,19 bringt die historisch bessere Form, insofern hier die Tempelkritik von innen dargestellt wird: Jesus verweist auf eine neue kultische ‚Verortung‘ der Gemeinde und der Schöpfung, die nicht mehr am Tempel von Jerusalem hängt. 78 Vgl. J. Kilgallen, The Stephen Speech: A Literary and Redactional Study of Act 7,2-53, Rom 1976 (AnBib 67), 107.119. 79 Vgl. O. Cullmann, a. a. O., 46. eingängigen Schema der politischen Polemik. 77 Die Rede des Stephanus will zeigen, dass die Größen der bisherigen kultischen Gestaltung Israels - Land, Volk, Gesetz und Tempel - von Anfang an vorläufige, mit Verkehrungen vermischte, jedenfalls als nahtlose Anknüpfung für einen Übergang in die eschatologische Vollendung ungeeignete Größen waren. 78 Die Heilsgeschichte begann mit der Erscheinung Gottes vor Abraham, als er noch nicht im Land war; als er im Land war, gab Gott ihm daran noch kein Eigentum, sondern verhieß ihm, dass er seinen Nachkommen einst das Land zum Besitz geben werde. Die Einleitung zu dieser 2. Epoche der Heilsgeschichte betont jedoch auch wieder die irdischen Verstrickungen in widerlaufende Umstände. Mose wird in der Weisheit der Ägypter gelehrt und muss, als er sich in die Leitung der Geschicke seines Volkes einmischt, zunächst fliehen. Den von Israel Verworfenen, den sandte Gott als Obersten und Erlöser. Dieser führte sie aus Ägypten und vermittelte zwischen den Engeln (als der himmlischen) und der irdischen Ge‐ meinde. Er empfing Worte des Lebens, die jedoch vom Volk aus Ungehorsamkeit abgewiesen wurden. Wegen dieses Ungehorsams gegenüber dem Gesetz aus der himmlischen Gemeinde gab Gott sie in die Gemeinschaft mit heidnischen Himmelsgötzen des Baalismus. Deswegen ist die heilsgeschichtliche Linie für dieses ungehorsame und kultisch an Götzen gebundene Israel abgebrochen und die Wegführung in das Exil die Konsequenz. Neben dem guten Engel-Gesetz, das als solches aber nie zum Zuge kam, stand als zweiter positiver Ansatz der Heilsgeschichte die Stiftshütte: 79 die Stiftshütte entsprach einem τύπος, welchen Mose geschaut hatte, also einer höheren himmlischen Wirklichkeit, auf die sie nur hinwies. Mit diesem himmlisch gehaltenen Zeltheiligtum ging Israel in das Land, und in dieser bis David anhaltenden Epoche lag eine einzigartige heilsgeschichtliche Erfüllung für Israel. David fand Gnade, ein σκήνωμα zu bauen, also eine kultische Einrichtung, die in ihrer Grundlage noch der σκηνή entsprochen hätte. Salomo jedoch verdarb diese am himmlischen τύπος hängende Möglichkeit einer heilsgeschichtlich gelungenen kultischen Ordnung Israels, indem er ein festes Haus erbaute. Die Terminologie der Stephanusrede in den Vs. 44-48 ist sehr prononciert gewählt: die σκηνή entsprach einem geschauten τύπος; Davids Planung richtete 273 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 80 Dass der Hoherat nicht hätte heraushören können, man solle den Tempel nicht über‐ schätzen, ist angesichts dieses Befundes kaum möglich: gegen Haenchen, a. a. O., 239. 81 Die altorientalische Wohntempel-Lehre wusste wohl um die Wahrung der Transzen‐ denz der Gottheit, vgl. J. Maier, Vom Kultus zur Gnosis, 1964, 99-105. Es scheint, als sei die komplizierte Ontologie einer Verschränkung der Räume in der späteren, hellenistischen Zeit nicht mehr verständlich gewesen, vgl. Maier, a. a. O. 101. 105 f. Der Satz von der Entsprechung zwischen Oberen und Unteren tritt an die Stelle eines mythischen Verständnisses vom einheitlichen Raum. 82 Gegen Haenchen, Komm., 241. 83 Diese Lösung ist wahrscheinlicher als die vorgeschlagene von Scobie, The Use of Source Material in the Speeches of Acts III and VII, in: NTS, 25 (1979), 399-421, bes. 416.417-420, und Scroggs, The Earliest Hellenistic Christianity, 183. Danach gab es als positiven Rahmen der Tempelkritik einen jetzt weggebrochenen christologischen Schluss 'Christus als eschatologischer Prophet'. Er zeige sich in etwa noch in ApG 3,12-26. Freilich sind auch in ApG 3-4,4 Motive zusammengestellt, die ihren redaktio‐ nellen Mittelpunkt aus der Frage nach dem Leben aus dem Tempel, bzw. dem Leben sich noch auf ein σκήνωμα, während es von Salomo heißt: οἰκοδόμησεν αὐτῷ οἶκον. Deutlich entsteht terminologisch ein Gefälle von σκηνή über σκήνωμα zu οἶκος; letzteres noch verstärkt durch das Verbum οἰκοδόμησεν. 80 Die Hütte wies auf eine visionäre, pneumatische, himmlische Wirklichkeit, während der Wohntempel diesen Bezug zur Transzendenz verlor, ja eine Gotteslehre zu postulieren scheint, 81 die Gott nicht transzendent sein lässt. Die Verkehrung der kultischen Einrichtung entspricht dem andauernden Wi‐ derstand gegen das Gesetz, der ständigen Ablehnung des durch die Propheten sprechenden Geistes, ja der Ablehnung des ‚Gerechten‘, dessen Verräter und Mörder sie geworden sind. Die Tempelkritik des Stephanus besteht also im Rückgriff auf eine eigentliche Ebene himmlischer Heiligkeit, die einst hinter der Hütte als visionäre, pneuma‐ tische Größe stand, im Tempelbau aber verwirkt wurde. Diese Argumentation hat mit dem Motiv heidnisch-hellenistischer Aufklärung kaum etwas zu tun, wohl aber mit typisch jüdischer Kultapokalyptik. 82 Pneumatisches Wirken, Verklärung und Schauen auf den himmlischen Menschensohn haben hierin ihr gemeinsames Zentrum. Die Vision des Pneumatikers, der den Menschensohn im geöffneten Himmel zur Rechten Gottes stehen sieht, ist damit nur der Abschluss, der auf die positive, eschatologische Kultordnung des Gottesvolkes hinweist. Der Pneumatismus, der sich am Tempel vorbei auf den Bereich himmlischer Heiligkeit bezieht, hat sein neues Zentrum im himmlischen Menschensohn. Er amtet als himmlischer Hoherpriester vor der Gottheit selbst und repräsentiert sie. Durch ihn hat die Gemeinde der Geistträger visionären Zugang zu und Verbindung mit der himmlischen Kultsphäre Gottes. 83 Die Himmlischen stehen. Die Kultsprache 274 A) Beelzebul und Menschensohn durch den Namen des Christus, beziehen. Kultapokalyptischen Hintergrund verraten hier besonders: 1. die Kreuz-Erhöhungslehre 3,13, wobei der Christus in 3,14 der ἅγιος heißt; 2. er ist Anführer des Lebens, hat also inklusive Züge wie der Menschensohn; 3. die Erlösung kommt vom Angesicht Gottes, also aus dem Bereich himmlischer, nicht irdischer Heiligkeit. Jesus ist im Himmel, um diese himmlische Erlösung bringen zu können. Der Christus ist hier einem himmlischen Hohenpriester sehr ähnlich. 84 Vgl. P. Schäfer, Die Beschwörung der Sar ha-panim in: FJB 6 (1978) 107-145, hier: 114, Anm. 5. Vgl. biblisch 1 Sam 22,19; JohApok 5,6; 7,9.11; 8,2; 11,13; 15,2; 20,12 grundlegend für den Zusammenhang: Dan 7,13 LXX. 85 bHag 12b: Michael ‚steht‘ und amtet so als himmlischer Hoherpriester. 86 Einen Überblick über die exegetischen Möglichkeiten bietet: H.-W. Neudorfer, Der Stepha‐ nuskreis …, Diss. masch. Tübingen, 1982, 199-207.283-287.313f. Vgl. zum Überblick auch: R. Pesch, Die Vision des Stephanus. Apg 7,55-56 im Rahmen der Apostelgeschichte, Stuttgart: KBW o. J. (1966), S. 14-24; ferner: E. Haenchen, a.a.O., 243 Anm. 2 und C. Colpe, Art. ‚ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου‘ in: ThWNT, VIII, 465f: W. Grundmann, Die Apostel zwischen Jerusalem und Antiochia, in: ZNW 39 (1940), 110-137, schreibt auf S. 117f.: „Jesus hat den Ehrenplatz zur Rechten Gottes. Dort sieht ihn Stephanus stehen - er nennt ihn den Menschensohn und nimmt damit den Titel der galiläischen Jesustradition auf. Paulus redet in einer bekenntnismäßigen Formulierung davon; ‚Jesus Christus, gestorben, vielmehr auferweckt, ist zur Rechten Gottes und tritt ein für uns‘ (Rm 8,34). Sie sagen also ein Sein bei Gott aus, das ehrende Erhöhung ist. Damit verbindet sich der Glaube an das priesterliche Eintreten des Erhöhten für die Seinen, wie aus überlieferten Jesusworten hervorgeht (Mt 10,33f. par Lc 22,31.32), wie es, fast bekenntnis‐ mäßig, Paulus formuliert, wie es der vierte Evangelist in seinem hohenpriesterlichen Gebet gestaltet, wie es Stephanus schaut (Act 7,55.56). Die Begründung der Erhöhung mit Ps 110,1 ist zu diesem Glaubensausdruck hinzugetreten. Durch sie wurde das Sein zur Rechten Gottes, das als ein Stehen bei Gott verstanden werden konnte, als das Sitzen zur Rechten Gottes präzisiert. Man muss darauf achten, dass sich damit eine leise Vorstellungsverschiebung vollzog: Lag bei dem Sein zur Rechten Gottes ein nachdrücklicher Ton auf dem priesterlichen Eintreten vor Gott für die Seinen, so wird dieser Ton auf das Mitherrschen des Christus auf dem Thronsitz wird in den Bereich himmlischer Verdichtung des irdischen Kultes projeziert. 84 Entsprechend ‚steht‘ auch der himmlische Hohepriester. 85 Dass Stephanus den Menschensohn Jesus zur Rechten Gottes stehen sieht, will also sagen, dass der den Pneumatismus haltende himmlische Kult sich bereits vollzieht. Jesus als Menschensohn amtet kultisch zur Rechten Gottes und führt die mit ihm pneumatisch Verbundenen am irdischen Tempel vorbei in eine direkte Beziehung zur himmlischen Heiligkeit. Mit dieser Beziehung zur himmlischen Heiligkeit ist der Vorstoß zur Heidenmission und zu einer neuen, nicht mehr an den irdischen Kult gebundenen Halacha gegeben. Die am gründlichsten von Pesch aufgelisteten Lösungsmöglichkeiten für ein Verständnis des ‚Stehens‘ des Menschensohnes müssen daran gemessen werden, ob sie möglichst umfassend den Duktus der ganzen Stephanus-Perikope beleuchten. Dies gilt nur für die bei W. Grundmann angedeutete Möglichkeit, das Stehen beziehe sich auf ein altes Verständnis der Erhöhung als priesterlicher Interzession. 86 275 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester neben Gott verlegt.“ (Hervorhebung von Grundmann). Vgl. auch O. Michel, Der Brief an die Hebräer, 1975 7 , 340 mit Anm. 4. 87 Ebd., 54. 88 Vgl. M. Goulder, Die zwei Wurzeln des christlichen Mythos, in: J. Hick (Hrsg.), Wurde Gott Mensch? Der Mythos vom fleischgewordenen Gott, Gütersloh 1979, 73-96. Goulder unterscheidet nach Vorgabe der älteren Theorie vom doppelten Ansatz einen galilä‐ isch-eschatologischen Mythos und einen samaritanisch-gnostischen; die Hellenisten, und mit ihnen Stephanus, seien der historische Anfang der samaritanisch-gnostischen Linie. C.S. Mann, Stephen’s Samaritan Background, in: J. Munck, The Acts of the Apostles (Anchor Bible), 1967, App. V, 285-300, stellt die Hauptargumente für eine samaritanische Herleitung des Stephanus zusammen; ähnlich M.H. Scharlemann, Stephen, a Singular Saint, 1968, 52-56. Zur Kritik und zum Überblick vgl. R.J. Coggins, The Samaritans and Acts, in: NTS, 28 (1982), 421-434. 89 Vgl. M. Scharlemann, a. a. O., 15 f. und Coggins, a. a. O., 426. 90 Vgl. dazu auch K. Beyschlag, Simon Magus und die christliche Gnosis, Tübingen 1974 (WUNT 16), 42f. 91 Vgl. J. Macdonald, The Theology of the Samaritans, London 1964, S. 48. Pesch 87 , der streng redaktionsgeschichtlich vorgehen will, formuliert: „Auf dem Stehen des Menschensohnes liegt … das Gewicht der Aussage. Das Stehen des Menschensohnes ist Symbol für die Bestätigung der Stephanusrede, die Bestätigung der Anklage, Symbol für den gottgewollten Fortgang des Evan‐ geliums von den Juden (zu den Heiden), Symbol für die damit angezeigte heilsgeschichtliche Wende.“ Der stehende Menschensohn bedeutet nach Pesch den zur Urteilsverkündigung aufgesprungenen Richter. Holt aber diese Exegese wirklich die durch redaktionsgeschichtliche Beobachtungen gemachte Zuspit‐ zung des Motivs ‚Stehen‘ ein? Sie bleibt doch recht äußerlich. Zu Peschs eigener, oben zitierter, Rahmung des Motivs vom Stehen des Menschensohnes passt es besser, dieses Stehen nicht nur formal, sondern auch inhaltlich mit dem verhandelten Thema zu verbinden: Der Menschensohn steht als himmlischer Hoherpriester und beweist den Vollzug einer pneumatischen, himmlischen, jenseits des irdischen Tempels stehenden Kultordnung. Im Rahmen der Diskussion um samaritanische Bindungen des Ste‐ phanus-Kreises 88 hat man auch das Motiv des ‚Stehens‘ als einen Hinweis auf die bei den Samaritanern bekannten ‚Stehenden‘ sehen wollen: sie stehen als Mittler vor Gott. 89 Eine nähere Überprüfung der These 90 ergibt folgende Zusammenhänge: Macdonald, Theology, 377 verwies auf die islamische Lehre, wonach das Stehen vor Gott zum Empfang des Richterspruches in Bezug auf die Auferstandenen besonders betont sei; auch die samaritanische Tradition kenne dies ‚Stehen‘ (ha-ma'mad). Dieser Ausdruck freilich steht so nicht in MM IV, 12, worauf Macdonald, a. a. O. 377, verweist, sondern im Malef aus dem 18. Jahrhundert. 91 276 A) Beelzebul und Menschensohn 92 A.a.O., 16. 93 Ebd. 94 A.a.O., 82. 95 Ebd. 96 Nach Coggins, ebd. 97 ThW, VIII, 465, Z. 22-24. 98 Vgl. T.F. Glasson, The Son of Man Imagery. Enoch XIV and Daniel VII, in: NTS, 23 (1977), 82-90. Auch Mose wird im Rahmen dieser Szene als Stehender vorgestellt. Diese Szene ist innerhalb des samaritanischen Schrifttums allerdings mittelalterlich bis modern. Das nach Macdonald betonte Stehen der Auferstandenen wird bei Scharlemann 92 assoziiert mit der Interzession des Mose, als sei das Stehen des Interzessors eine samaritanische Besonderheit. Coggins 93 spricht gegen Scharlemann, auf den er verweist, von ‚the standing ones‘ als besonderen, samaritanischen Interzessoren. Anders argumentiert M. Goulder: „Simon nannte sich den ‚Stehenden‘ (stans, heston, qa’em), und unmissverständlich enthielt dieser mysteriöse Titel einen Anspruch auf Göttlichkeit. Clemens schreibt von den Nachfolgern Simons, sie wünschten ihr Leben dem Stehenden gleichzutun, den sie verehrten. Hippolyt nennt ihn den, ‚der steht, gestanden ist und stehen wird‘. Die Clementinen sagen, er sei angeredet worden als ‚der Stehende‘, wobei mit diesem Namen gemeint ist: ‚Ich werde nicht aufgelöst, denn mein Leib besteht aus Göttlichkeit und wird immer bleiben.‘“ 94 Goulder verweist darauf, dass nach Ex 34 Gott bei Moses steht. Simon Magus beanspruche also ein Gottesprädikat für sich. Über Goulder hinausgehend verbindet Coggins diese samaritanische Tradition mit dem ‚Stehen‘ des Menschensohnes nach Apg 7,55f. 95 Eine nochmalige Umdeu‐ tung des ‚Stehens‘ - nicht als Hinweis auf das Stehen der Auferweckten bzw. als urspr. Gottesprädikat - liegt bei Isser vor, der vermutet, dass ursprünglich Moses ‚der Stehende‘ war. 96 C. Colpe beschließt seinen Durchgang durch die samaritanische Sondertra‐ dition vom ‚Stehen‘ als Gottesprädikat mit dem Hinweis: „Sollte sich der sama‐ ritanische Ursprung sichern lassen, so müsste der Sinn des göttlichen ‚Stehens‘ noch genauer, als es die genannten Belege anzeigen, ermittelt werden.“ 97 Die dann mit allen Vorbehalten bei Colpe gezogene Vermutung, dass der stehende Menschensohn nahezu die Stelle Gottes einnehmen sollte, ist doch angesichts der dargestellten Szene in Apg 7,55f. unwahrscheinlich. Ein traditionsgeschichtlich viel älteres Verständnis des Stehens des Men‐ schensohnes als das samaritanische belegt der vermutlich vordanielische Text 98 1Hen 14. Im himmlischen Allerheiligsten, das im Stile früher Merkaba-Mystik geschildert ist, sitzt die große Majestät, während Zehntausend mal Zehntausend 277 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 99 Vgl. die koptische Paulus-Apokalypse, in: E.A.W. Budge, Miscellaneous Coptic Texts in the Dialect of Upper Egypt, London 1915, 1078. 100 Vgl. M. de Jonge/ A.S. van der Woude, 11Q Melchizedek and the New Testament, in: NTS, 12 (1965/ 66), 301-326. vor ihr stehen (= Dan 7,10). „Und die Heiligsten der Heiligen, die in seiner Nähe stehen, entfernten sich nicht bei Nacht oder bei Tag, noch gingen sie weg von ihm.“ (14,23) Henoch, der, nachdem er zunächst hingefallen war vor der Majestät des Thronenden, von einem dieser Heiligsten angesprochen wird, darf sich direkt vor dem Thron aufstellen (14,25). Hier ist Stehen Zeichen des Aufgenommenseins in den Kreis der himmlischen Diener und besonders Vorbedingung für den Empfang eines prophetischen Auftrags (Kap. 15). Das Schema der jesajanischen Berufung bestimmt also noch den Zusammenhang. Wenn man an dieses Stehen als Zeichen der Beteiligung an der darstellenden Doxologie der himmlischen Heiligen denkt, so weist ein dauerhaftes Stehen zur Rechten des Thrones darauf, dass dieser gesondert Stehende nochmals aus dem Kreis der himmlischen Kultdiener herausgehoben ist. Die stehenden Heiligen genügen der Heiligkeit der Majestät im Rahmen dieser Merkaba-Ästhetik durch ihre bloße, ununterbrochene, stehende Anwesenheit. Eine himmlische Liturgie braucht nicht beschrieben zu sein, ist vielleicht vorausgesetzt 99 . Das himmlische Dienen beschränkt sich auf das Loben und verdichtet sich zum Urmoment der Doxologie, den Hinweis auf die Heiligkeit Gottes. So ist auch das Stehen des Menschensohnes Konzentrierung auf Darstellung und Teilhabe an der ungemittelten Heiligkeit Gottes, die sein hochpriesterähnliches Treten vor die Gottheit von bestimmten liturgischen und kultischen Aktivitäten löst. Von besonderem Gewicht in unserer Argumentation ist 11QMelch 10 100 : „Über ihn (scil. Melchisedek) heißt es in den Hymnen Davids: ‚als Himmlischer (םיהולא) steht er in der Versammlung Gottes, unter den Himmlischen hält er Gericht.‘“ Hier ist Melchisedek himmlische Figur, die im Auftrag Gottes die für das Böse und die Sünde in der Welt verantwortlichen Engelgestalten zurechtweist. Melchisedek steht dabei. Stehen ist im Psalm 82,1 wie in Jes 3,13 die Haltung des Richters, der den Urteilsspruch verkündet. Der Urteilsspruch ist Teil der Durchführung des eschatologischen Erlassjahres, also eines kultrechtliehen Vorgangs. Entsprechend ist Melchisedek nicht nur himmlischer Richter, der die Gottheit vertritt, sondern vor allem himmlische Kultfigur, die die kultische Ord‐ nung in ihrem Anspruch auf himmlische und eschatologische Verbindlichkeit durchsetzt. Das Stehen ist hier also Ausdruck eines richterlichen Aktes, welchen der Repräsentant der himmlisch-eschatologischen Kultordnung vollzieht: auf diesen weitergehenden Rahmen ist das Stehen des Melchisedek bezogen. 278 A) Beelzebul und Menschensohn 101 D. Flusser, Melchizedek and the Son of Man, in: CNFI, 17 (1966), 23-29. 102 Vgl. Nu r. 10-15.2,12; Midrasch von den 10 Märtyrern, Jellenik, BhM, VI 22, Z. 10-15. Über die von Flusser 101 gezogene Verbindungslinien zwischen dem Melchi‐ sedek aus 11Q und der Menschensohn-Lehre, vor allem des Hebr., hinausgehend, kann man das von beiden ausgesagte Stehen als Zeichen einer Traditionsver‐ wandtschaft ansehen. Beide stehen als Repräsentanten der himmlisch-eschato‐ logischen Kultordnung während ihres Vollzuges. Das richterliche Stehen ist Ausdruck eines umfassenderen kultrechtlichen Amtens im himmlisch-eschato‐ logischen Sinne. Man könnte erwägen, ob der Dienst des Menschensohnes, wie nach späteren jüdischen Traditionen, in besonderer Weise mit einer Märtyrertheologie ver‐ bunden ist, nach der der himmlische Hohepriester die Seelen der Gerechten op‐ fert. 102 Für diese Erwägung spräche, dass Stephanus als Märtyrer auf den himmli‐ schen Hohenpriester schaut, sein Geschick im Tod dadurch in besonderer Weise geborgen ist. Dem ganzen Kontext nach wäre es freilich zu eng, den Vorstoß auf die himmlische Kultebene allein einer Märtyrertheologie zuzuschreiben. Auch wäre die Bestimmung des Dienstes des stehenden Menschensohnes nur im Sinne einer Opferung der Seelen der Gerechten zu eng und christologisch einseitig. Wenn der Stephanus-Zusammenhang auch keine näheren Angaben macht, so kann man doch folgern, dass der stehende Menschensohn Zentrum einer neuen, eschatologisch-pneumatischen Kultordnung der Schöpfung ist. Durch seinen Geist verbindet er die irdische Pneuma-Gemeinde mit der himm‐ lischen Heiligkeit Gottes. Jesus als Menschensohn ermöglicht eine Rückkehr zur und eine eschatologische Vollendung der kultischen Ordnung des heiligen Gottesvolkes, indem er in die himmlische Kultsphäre Gottes eingegangen ist. Durch sein πνεῦμα gehört Stephanus, gehört die πνεῦμα-Gemeinde aus Juden und Heiden, zur himmlischen Herrlichkeit Gottes. In seinem Todesaugenblick bittet Stephanus um Sündenvergebung für die umstehenden Juden. Hierin liegt nicht nur ein Zug traditioneller Märtyrer-Theo‐ logie. Es soll abschließend deutlich werden, dass diese eschatologische kultische Bindung durch den Menschensohn und sein πνεῦμα an die δόξα Gottes zur vollmächtigen Bitte um Sündenvergebung ermächtigt. Der himmlische Men‐ schensohn Jesus steht für eine eschatologische Kultordnung, die nicht vor Ungerechtigkeit und Unheiligkeit, vor Sünde, zurückweicht, sondern sie in sich aufnimmt und überwinden kann. Das im Folgenden zitierte Urteil der Analyse Cullmanns scheint also er‐ gänzungsbedürftig: „Im Unterschied zum Johannesevangelium rechtfertigt die Stephanusrede allerdings nur die negative Seite: die Opposition gegen jede feste 279 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 103 Der johanneische Kreis, 47f. 104 A.a.O., 56f. kultische Lokalisierung. Die positive Ergänzung - Christus anstelle des Tempels - scheint in der Theologie des Stephanus und seines Kreises zu fehlen. Wenn wir uns nur an den Inhalt der Rede halten, so scheint Stephanus in der Tat den Gottesdienst nicht wie das Johannesevangelium an die Person Christi gebunden zu haben.“ 103 Cullmann muss dieser Meinung sein, weil er die mit der Stephanus-Perikope verbundene Menschensohn-Christologie nur unter der Kategorie des Fürspre‐ chers fasst. Jesus stehe als Fürsprecher zur Rechten Gottes. Die Kategorie des Fürsprechers reicht aber nicht aus zur Aufnahme des in der übrigen Perikope - Rahmung und Rede - enthaltenen positiven Ansatzes, nämlich des deutlichen Bezuges auf den Himmel als die eigentliche, heilige Räumlichkeit des Kultes. Hierauf verweisen Verklärung, Geistbesitz, Lehre von der Hütte und Vision des Menschensohnes. Die Funktion des Fürsprechers ist in die des himmlischen Hohenpriesters eingeordnet, nur ein Teil von ihr. Joh 1,51 ist durchaus der Men‐ schensohn-Vision des Stephanus vergleichbar. Der Menschensohn ist der neue kultische Bezugspunkt der Pneuma-Gemeinde, ihr Ermöglichungsgrund und die das Pneuma prägende Gestalt. Joh 1,51 benennt im Rahmen der rückblickenden Gattung Evangelium die Gestaltung des himmlischen Hohenpriesters durch den irdischen Jesus und die Bevollmächtigung des irdischen Jesus zum himmlischen Hohenpriester als ein Verhältnis spannungsvoller Komplementarität. Dies wird anschaulich durch die Engelmittlung. In Stephanus blickt der nachösterliche Pneumatiker auf den himmlischen Jesus-Menschensohn, den himmlischen Hohenpriester. Die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit als Programm des johanneischen Kreises und der Hellenisten bedarf einer christologischen Grundlage, wenn sie nicht einfach Zuspitzung der jüdisch-heterodoxen Sek‐ tierer - Ideologie sein will. Dass sie dies nicht wollte, sondern von Anfang an eine starke christologische Basis beanspruchte, wird am erbitterten Gegensatz der tempeltreuen Juden sichtbar. Gegen bloßen ‚Qumranismus‘ hätte man nicht derart Partei ergriffen. Cullmann formuliert: „Diese Einstimmigkeit zwischen Hellenisten und Johannesevangelium gegenüber der weniger radikalen Opposition des ver‐ wandten heterodoxen Judentums erklärt sich aus ihrem gemeinsamen Glauben an die Gegenwart Gottes in Christus.“ 104 Wenn man diese These versucht traditionsgeschichtlich abzusichern, stößt man auf die Menschensohn-Hoch‐ priester-Christologie: Als solcher ist Jesus an der δόξα Gottes beteiligt, ist er 280 A) Beelzebul und Menschensohn 105 Vgl. Lohmeyer, S. 9: „Das Dankgebet an Gott ist verwandelt in einen Hymnus auf Christus …“; anders Kraft, 31 und Bousset, 184. Doch zeigt die JohApoc deutlich, dass eine Gotteslehre ohne Christologie nicht mehr möglich ist, vgl. im Zentrum 21,22: Gott und das Lamm sind der himmlisch-eschatologische Tempel jenseits des Zion und seiner Theologie; vgl. O. Böcher, Johanneisches in der Apokalypse, in: NTS, 27 (1981), 310-321, hier: 312; R. Bauckham, Worship of Jesus in Apocalyptic Christianity, in: NTS, 27 (1981), 322-341, hier: 331. 106 Kraft, S. 32, unterscheidet stark zwischen der Tradition 4,5, wo im Rahmen einer Be‐ schreibung der kultischen Gerätschaften des himmlischen Heiligtums der siebenarmige Leuchter auf die sieben Geister Gottes nach 2Hen 61,11 und Sach 4,10 gedeutet werde, und 1,4, wo vom Heiligen Geist in seiner siebenfachen Ausfächerung nach Jes 11,2f. die Rede sei. Kraft will sich von der vor allem von Bousset vorgetragenen Exegese abgrenzen, wonach Nachklänge polytheistischer Mythologie vorlägen. Deutlich scheint zu sein, dass die Apok, wie die Jüdische Kultapokalyptik, himmlische Realitäten im Medium der kultischen Vermittlung sieht, gleichsam die kultischen Traditionen in ihrer himmlischen Dimension erleuchtet und im Rückgriff darauf neu deutet. 1,4 ist sicherlich der Heilige Geist gemeint, jedoch in der irdisch-himmlischen Gestalt des den Gemeinden verliehenen Pneuma. Lohmeyer, 30, weist zurecht darauf hin, dass nach der Apok nicht die Gläubigen den Geist ‚haben‘, sondern dass der Geist der Gemeinde zugeordnet ist. 107 Vgl. T. Holtz, Die Christologie der Apokalypse des Johannes, Berlin 1962 (TU 85), 55-61. 108 So könnte der Zusammenhang gedeutet werden, wenn man 4,5 in seinem kultideolo‐ gischen Hintergrund isolieren würde, vgl. Kraft, 32; zur Fragestellung vgl. auch T. Holtz, Gottes im Pneumatiker sichtbare Gestalt, ist er derjenige, der den Namen Gottes hat und seine Gemeinde an die himmlische Heiligkeit Gottes bindet. c) Der Menschensohn in den Sendschreiben der JohApok Die 7 Gemeinden, an die sich die Sendschreiben richten - da sie Repräsentanten der Urchristenheit sind, ist diese insgesamt angeredet - sind Menschensohn-Ge‐ meinden: Der Herr, der sich an seine Gemeinden wendet, ist im Zentrum der Motive Menschensohn. Unsere Aufmerksamkeit gilt den priesterlichen Zügen im Verständnis der Gemeinden und des Menschensohnes. Der im Briefstil gehaltene liturgische Vorspann nennt als Urheber des Segens: ὁ ὦν καὶ ὁ ἦν καί ὁ ἐρχόμενος. Hier ist Gott gemeint, wenngleich zu beachten ist, dass sich nach 1,18 eine deutliche Verschmelzung des theologischen mit dem christologischen Prädikat ergibt. 105 Ferner sind genannt die 7 Geister, die vor dem Thron Gottes sind, 106 und Jesus Christus, der treue Zeuge, der Erstgeborene der Toten und Herr der irdischen Könige. 107 Wie hängen die Glieder der Triade zusammen? Um eine Gemeinde-Ideologie würde es sich handeln, wenn die Pneuma-Ge‐ meinde über ihr Pneuma sich unmittelbar zur himmlischen Thronwelt gehörig wüsste. 108 Diese Zugehörigkeit ist jedoch christologisch begründet, weil es der 281 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester Christologie, a. a. O., 48-52 und Ch. Wolff, Die Gemeinde des Christus in der Apokalypse des Johannes, in: NTS, 27 (1981), 186-197. 109 Ex 19,6 wird in einer von M und LXX abweichenden Form zitiert; M: תוכלמ םינהכ ; LXX βασίλειον ἱεράτευμα; vgl. auch Jes 61,6 םתאו ינהכ הוהי וארקת . 110 Vgl. zur Formulierung in der JohApok auch 5,10; 20,6 und zum Ganzen: E. Schüssler-Fi‐ orenza, Priester für Gott, 1972 (MTA NF, 7) 68-112. 111 Gegen Kraft, 50- 53, der die ἄγγελοι auf Boten der Gemeinde bezieht. Die als Parallele genannten offiziellen Gesandtschaften der Gemeinden, die Ignatius empfängt, heißen nicht ἄγγελοι; ferner ist zu beachten, dass die zunächst singuläre Anrede an die Briefempfänger doch dafür spricht, dass der ἄγγελος nicht nur Bote ist, sondern als Repräsentant der Gemeinde angeredet wird. Damit liegt die Deutung von Lohmeyer, 20, näher: der ἄγγελος ist himmlischer Doppelgänger der Gemeinde. Deswegen fasst die Drohrede gegen die Epheser in 2,5 ins Auge, dass die Bestrafung der (irdischen) Gemeinde in einem Wegführen ihres himmlischen Leuchters aus seinem himmlischen Platz besteht. Vgl. auch A. Satake, Die Gemeindeordnung in der Johannesapokalypse, 1966 (WMANT 21), 150-155. 112 Gegen die These von U.B. Müller, Messias und Menschensohn, 1972, 144 f., wonach streng zwischen einer Messias-/ Menschensohn-Tradition, die in negativer, kritischer Hinsicht den Christus mit der Welt verbinde, und einer Lamm-Christologie zu unter‐ scheiden sei, welche den Christus als den Herrn der Gemeinde verstehe, wird man Einwände erheben müssen. Überall, wo sich diese angeblich getrennten Traditionen in der Apok. doch vermischen, muss Müller sekundäre Bearbeitung annehmen. Dass die Menschensohn-Tradition im Grunde nur eine Sonderform der Tradition vom irdisch-königlichen Messias-Erlöser sei, gilt, zumindest für die JohApok, nicht mehr, ist aber auch darüber hinaus problematisch. 113 Vgl. 1,5. Es liegt ein ähnlicher Gedankengang vor wie in T Juda 21,1-5, vgl. o.S. 152. Levis Herrschaft ist himmlisch, nicht irdisch. Darin liegt die Möglichkeit einer besonderen Vollmacht über alle irdische Herrschaft; vgl. T. Holtz, Christologie, a. a. O., 60. Christus ist, der die Gemeindeglieder gereinigt hat von ihren Sünden und sie gemacht hat zu einem Königreich, näherhin zu Priestern vor Gott und seinem Vater. 109 Die Reinigung durch das Blut des Christus macht zu Gliedern in einem priesterlichen Königtum Gottes. Diese priesterliche βασιλεία bedeutet eine eschatologische Vollendung der Zusage an das Gottesvolk am Sinai nach Ex 19,6. 110 Das priesterliche Königtum ist nun als eschatologische Größe eine zugleich himmlische. Deswegen gehören die πνεύματα der Gemeinden in die himmlische Welt um den heiligen Thron Gottes, und deswegen auch richten sich die Sendschreiben zugleich an die Gemeinden in ihrer Stellung vor dem Thron Gottes. 111 Entsprechend der Zugesellung der Gemeinden zu einem himmlischen priesterlichen Königtum, bekommt auch der Herr der Gemeinden, der ihr diese Stellung verschafft hat, Züge eines priesterlichen Königs: 112 er ist der erste aus der eschatologischen Totenerweckung, der himm‐ lische Begründer des priesterlichen Stehens vor Gott, und er ist als solcher Throngenosse Gottes, der über die irdischen Mächte herrscht. 113 Der Christus ermöglicht priesterlich-pneumatische Gottesgemeinschaft. Dadurch kommt er 282 A) Beelzebul und Menschensohn 114 Dass in 1,7 der Titel ‚Menschensohn‘ fehlt, u.zw. aufgrund einer absichtlichen Auslas‐ sung, kann man angesichts der Zusammengehörigkeit von 1,4-7 nicht behaupten; gegen Holtz, Christologie, a. a. O., 135f. 115 Vgl. Joh 3,14; 8,28; 12,32.34. Dazu grundlegend W. Thüsing, Die Erhöhung und Verherr‐ lichung Jesu im Johannesevangelium, 1960, 33. 116 Lohmeyer, 15, erwägt, ob näherhin der καιρός der Kultstunde gemeint ist. 117 Vgl. Bousset, 194. 118 Kraft, 44, deutet 1,12 auf den Heiligen Geist nach Sach 4,2-6. Der Geist macht jedenfalls die Gemeinden zu Mitgliedern der himmlischen Kultsphäre. 119 Nach Kraft, 44, wirkt Ex 25,40 nach: „Unser Text nimmt Bezug auf die Meinung, Mose habe auf dem Sinai ein Bild des siebenarmigen Leuchters zu sehen bekommen, nach dem das Kultgerät angefertigt werden sollte …“ 120 Vgl. H. Hailey, Revelation, 1979 2 , 109; I. Schüssler-Fiorenza, Priester für Gott, a. a. O., 418. selbst in die Stellung des himmlischen Hohenpriesters, der im Besonderen Sühne für die Seinen erwirkt hat. 1,7 nun macht in einem Mischzitat deutlich, dass diese priesterlich-pneumatische Vollmacht der gekreuzigte Menschensohn wahrnimmt. Der biblische Anknüpfungspunkt, von dem her das Wirken dieses priesterlichen Erlösers gedeutet werden soll, zugleich das erste Schriftzitat der ganzen Joh Apok, liegt in Dan 7,13. Durch die Verbindung mit Sach 12,10ff. wird deutlich: Die Herrschaft des Menschensohnes ist begründet durch und geprägt von seinem Kreuz. 114 Die Aussage des Johannesevangeliums, nach der der Menschennsohn in seinem Tod am Kreuz seine himmlische Macht antritt, 115 hat hier ihre Entsprechung. Die Sendschreiben ergehen also an die Gemeinden im Namen des gekreu‐ zigten Menschensohnes, der Urheber und Herr über die himmlisch-irdische, priesterliche βασιλεία ist. Johannes empfängt seine Vision am Sonntag, d. h. an dem Kulttag der Pneumagemeinde, der dem Tag des Tretens des Ersten, des auferweckten Menschensohnes, vor den Thron Gottes entspricht. 116 Der den Seher Beauftragende wird in 1,13 ausdrücklich als ‚wie ein Menschensohn‘ nach Dan 7,13 identifiziert. Im Rückblick auf Acta 7,55f. ist zu beachten, dass der vom Seher geschaute Menschensohn offenbar inmitten der 7 Leuchter steht. 117 Da das Thronmotiv nicht genannt ist, sich vielmehr, wie wir gleich sehen werden, die priesterlichen Motive häufen, ist wahrscheinlich, dass der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester inmitten seiner himmlisch-irdischen Gemeinde steht, stehend für sie amtet. Die 7 Leuchter entsprechen nach 1,20 und in Ergän‐ zung zu 1,4 den priesterlich reinen Pneuma-Gemeinden auf Erden. 118 Die Licht- und Astralsymbolik wird letztlich antiker Herrscher-Ideologie enstammen, ist aber im Judentum dem priesterlich-apokalyptischen Denken besonders zuge‐ wachsen. 119 Der inmitten der 7 Leuchter stehende Menschensohn ist bekleidet wie der Hohepriester nach Ex 28,4.27, 120 aber vor allem wie der himmlische 283 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 121 Vgl. T. Holtz, Christologie, a. a. O., 116-128. Im bewussten Rückgriff auf Gabriel als einer himmlischen, priesterähnlichen Gestalt könnte ein Abrücken wie vom Zion und seiner Ideologie, so vom himmlischen Fürsten Israels, Michael, liegen, vgl. T. Holtz, 117. Zu beachten ist, dass bereits die Gestalt aus Dan 10 die Tracht eines himmlischen Priesters trägt, vgl. A. Bentzen, Daniel, Tübingen 1952 2 (HAT I/ 19) 78 und dass auch Michael Kultgestalt ist. 122 Den priesterlichen Charakter des Menschensohnes haben herausgestellt: T. Holtz, Christologie, a. a. O., 118-120. Nach Holtz hat Joh. die priesterliche Art des himmli‐ schen Menschensohnes noch betont gegenüber den biblischen Vorlagen. Die richtige Erkenntnis: „… der Christus ist als Hoherpriester ausgestattet …“ wird wieder verdun‐ kelt durch die Hinzufügung S. 119: „Damit begegnen wir einem in Apoc sonst nicht nachweisbaren Zug …“ Diese Bemerkung ist an sich nicht plausibel, da kultische Motive die Apoc durchdringen. S. 120 deutet Holtz an, dass für ihn nach der eigentlichen Traditionslinie der Apoc der jüdische Kult von der christlichen Gemeinde radikal überwunden ist. Richtiger wohl Schüssler-Fiorenza, a. a. O., 401: dort, wo das im Kult Angedeutete Wirklichkeit wird, müssen zugleich die bisherigen Kultbegriffe zurückweichen. Nach B. Weiß, Briefe und Offenbarung Johannis, Leipzig 1904, 482 (diese Angabe von Schüssler-Fiorenza konnte ich nicht bibliographisch nachprüfen) und J. Giblet, De revelatione Christi gloriosi in Apoc I 9-20, in: Collectanea Mechlini‐ ensia, 43 (1958), 495-497, hier: 496 gilt: der erhöhte Christus waltet als himmlischer Hoherpriester jetzt schon im Heiligtum Gottes und ist Pontifex der ewigen Liturgie. W.R.G. Loader, Christ at the Right Hand, in: NTS, 24 (1978), 206: “Hebrews knows a tradition which speaks of the exalted Christ in priestly terms (cf. Rev. 1,13). He is the leader of the heavenly worship and high priest.” B. Lindars, Re-Enter the Apocalyptic Son of Man, NTS, 22 (1976), 52-72, hier 63, spricht bei der Hochpriesterchristologie des Hebr. von „… a special development of the Son of Man christology …“; hinter JohApoc 1,13 sieht er, ebd., den gleichen Hintergrund wie hinter der Lamm-Lehre: es gehe um das Mitthronen des Menschenähnlichen nach Dan 7,13 auf einem Thron ähnlich dem Thron Gottes. Ch. Wolff, Die Gemeinde in der Apokalypse des Johannes, in: NTS, 27 (1981), 189: „Schließlich scheint mir noch eines beachtenswert zu sein: Die Beschreibung des Menschensohnes weist in V. 13, über die Anlehnung an Dan 10,5f. hinausgehend, hohepriesterliche Züge auf (die Gürtung des Gewandes über der Brust und die Bezeichnung des Gewandes als ποδήρης).“ Johannes verstärkt damit priesterliche Züge, die bereits in Dan 10 enthalten sind. Dass er ‚keine theologische Absicht damit verfolgt‘ (Hinweis auf Holtz, Christologie, 19 und Schüssler-Fiorenza, Priester, 228) ist bei solch einer bewussten Bearbeitung kaum anzunehmen. Es liegt m. E. näher, dass Johannes Christus als Hohenpriester inmitten seiner Gemeinde darstellen will. Von ihm her hat die Gemeinde ihr Sein als Herrscher und Priester. Und es scheint gerade in dieser Vision deutlich zu werden, wie Johannes das Herrscher- und Priestersein der Glaubenden versteht, eben als Anteilhabe am hohenpriesterlichen Sein Christi, wobei der Akzent auf der von Gott verliehenen und auf Gott ausgerichteten Herrscherwürde des Hohenpriesters liegt.“ Mann nach Dan 10,6 (Erzengel Gabriel? ) 121 ; die schneeweißen Haare erinnern an den ‚Alten‘ nach Dan 7,9. Das zweischneidige Schwert ist Attribut des messianischen Geistträgers nach Jes 11,4; 49,2.4f. Der Menschensohn ist also gezeichnet als priesterlich-reine, himmlische Gestalt, 122 welche die Gottheit 284 A) Beelzebul und Menschensohn 123 Vgl. T. Holtz, Christologie, a. a. O., 121.124.125f. 124 Selbst wenn 1,20 Glosse ist, so kann man sie doch nicht aus dem Verständnis des Zu‐ sammenhangs entlassen, gegen Kraft, 49.50.52. Für die von Lohmeyer, 20, - vgl. auch Bousset, 201 - vorgeschlagene Deutung auf himmlische Schutzengel/ Doppelgänger spricht, dass ἄγγελος in der Kultapokalyptik der himmlische Entsprechungsbegriff von ןהכ ist. In Mal 1,1; 2,7; 3,1; Hag 1,13 heißt nicht einfach der Prophet ךאלמ/ ἄγγελος, sondern der Prophet in der Hinsicht, dass er an den kultischen Offenbarungsmöglich‐ keiten partizipiert. ךאלמ ist der Sache nach (‚Treten vor die Heiligkeit Gottes‘) pries‐ terlicher Ehrentitel. Der ךאלמ/ ἄγγελος der JohApok ist aber nicht der Priester als Leiter der Gemeinde, welcher vor das Angesicht Gottes treten darf wie die himmlischen Engel, sondern die himmlische Gestalt des gesamtgemeindlichen Priestertums in seiner Be‐ rechtigung durch den Christus, vor den Thron Gottes treten zu dürfen. Vgl. zu einem ähnlichen Zusammenhang Mt 18,10. Vgl. auch H.W. Brownlee, The Priestly Character of the Church in the Apocalypse, in: NTS, 5 (1958/ 59), 224 f.; Gh. Brütsch, Die Offen‐ barung, I 2 , 98-101; H.W. Guenther, Der Nah- und Enderwartungshorizont in der Apo‐ kalypse des heiligen Johannes, Würzburg 1980 (FoBi 41), 150-152, Anm. 240. 125 Vgl. o.S. 114f. 126 Vgl. Kraft, 59. 127 Vgl. Kraft, 66f. 128 Wie der synoptische Bekenner/ Verleugner-Spruch Mk 8,38 par Mt 16, 27, Lk 9,26 zeigt, handelt es sich um eine ursprüngliche Menschensohn-Tradition, die auch in der Q-Fassung Mt 10,33/ Lk 12,9 ursprünglich (= Lk) noch anklingt. repräsentiert (weiße Haare wie der Alte der Tage) und zugleich im Kreise der himmlischen Repräsentanten der Pneuma-Gemeinden priesterlich amtet. 123 Er hat um sich die Leuchter als himmlische Gestalten der Pneuma-Gemeinden und 7 Sterne in Händen, welche die Gemeinde-Engel darstellen. 124 Auch hierin finden wir ein Motiv priesterlich-pneumatischen Gemeinde-Verständnisses: So wie die Priester nach älterer Kulttheologie ἄγγελοι heißen, so gehören die priesterlichen Pneumatiker zur Engelgestaltigkeit der himmlischen Welt. Der Menschensohn ist in den Sendschreiben Urteil sprechender Herr über seine Gemeinden, aber auch Mittler eschatologischer und himmlischer Heils‐ gaben, die traditionell mit dem Zion verbunden sind: als himmlischer Hoher‐ priester vermittelt er Zugang zum Paradiesbaum des Lebens. 125 Da der himmli‐ sche Menschensohn die Züge des Gekreuzigten trägt, ja später das Lamm heißen kann, ist es wahrscheinlich, dass der Lebensbaum im Paradies himmlische Entsprechung zum Kreuz Christi ist. 126 Neben dem paradiesischen Lebensbaum verfügt der Menschensohn über Manna als Nahrung der Himmlischen und über geheime Namen, welche der Pneumatiker als Berechtigung erhält, zur himmlischen Welt hinzuzutreten (2,17). 127 Der Überwinder wird weiße Kleider empfangen, d. h. die reine Kleidung des himmlischen Priesterdienstes. Für ihn wird der Menschensohn 128 eintreten als Fürsprecher vor dem Vater und seinen Engeln (3,5). Kultapokalyptisch ist schließlich auch 3,12f. geprägt: Der in der 285 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 129 „Es ist schwer zu sagen, ob 'ἐπ' αὐτοῦ' auf στῦλος zu beziehen ist … oder ob auf den Gläubigen zu beziehen ist. Dstd. (scil. Düsterdieck) entscheidet sich wohl mit Recht für das Letztere, denkt nach 14,1; 22,4 (7,3; 17,5; 19,12) an eine Aufschrift auf der Stirn und zieht als Parallele die Aufschrift auf der Stirnbinde des Hohenpriesters heran“, Bousset, 229. 130 Dass Gott und der Menschensohn geheime Namen haben, welche himmlisch-eschato‐ logische Kraft bedeuten und verleihen, ist in jüdischer Magie und Mystik geläufig, vgl. die oben angeführten Belege aus der ‚Beschwörung des Sar hapanim‘ und aus den ‚Visionen des Ezechiel‘. Der neue Name Jerusalems entspricht der Erwartung auf die eschatologische Verklärung des Zion nach Jes 62,2, vgl. auch 56,5 und 65,15. 131 Die Throngemeinschaft weist nicht primär oder ausschließlich auf Ps 110,1 zurück, sondern entspricht Dan 7 und der späteren Metatron-Tradition, die ohne Ps 110,1 zur Aussage des Mitthronens kommen: der kultische Mittler vor der Gottheit, der Repräsentant der eschatologischen Gemeinde, bekommt Anteil an der Herrschermacht Gottes und darf sich setzen, um somit die von ihm Repräsentierten an seinem Sitzen und Thronen zu beteiligen. 132 Vgl. T. Holtz, Christologie, a. a. O., 125f.141. Geistgemeinde am Menschensohn Festhaltende wird zum Pfeiler im verklärten Tempel werden, welcher aus dem Himmel in der Endzeit herabkommen wird. Auf die Säule bzw. auf die Stirn des verklärten Überwinders 129 werden drei eschatologische Geheimnamen geschrieben, einer gehört zu Gott, ein zweiter zum neuen Jerusalem und ein dritter zum Menschensohn. 130 Die Mahlgemein‐ schaft ist Vorstufe für die Throngemeinschaft, an der der Herr der Gemeinde als Throngenosse Gottes Anteil gibt (3, 20 f.). Wie in 1,5f. stehen also Motive der königlichen Herrschaft und des priesterlichen Dienstes zusammen: Der himmlische Menschensohn ist König in Bezug auf die Mächte der Erde, er ist Hoherpriester für seine Gemeinde, die als Teilhaber seiner reinen Priesterschaft auch Teilhaber seiner Throngemeinschaft mit dem Vater wird. 131 Die Menschensohn-Christologie bildet also die Grundlage der Theologie, Ek‐ klesiologie und Pneumatologie der Sendschreiben. Er ist Herr einer am jüdi‐ schen Tempel vorbei auf die himmlische Heiligkeit pneumatisch bezogenen Kultgemeinde von Priestern nach Ex 19,6. Er ist ihr Urheber, ihr himmlischer Mittler, Gestalter des Pneuma. Als solcher hat dieser Menschensohn eine Stel‐ lung inne, die man als die des himmlischen Hohenpriesters umschreiben kann. Die Deutung des ‚Menschensohnes‘ als Überhöhung des hochpriesterlichen Amtes wird unterstützt durch Beobachtungen zu den christologischen Prädi‐ kationen in den Einleitungen der Sendschreiben: er ist ὁ ἅγιος (3,7); damit wird auf den Christus ein aus priesterlicher Tradition stammendes Gottesprädikat übertragen. Er partizipiert an der Heiligkeit Gottes. Dieses christologische Prä‐ dikat ist nicht weit entfernt von dem Weihenamen des Hohenpriesters, der auf seinem Stirnkranz die Aufschrift trug שודק הוהיל (Ex 39,30). 132 Während der Ho‐ 286 A) Beelzebul und Menschensohn 133 Vgl. zum Folgenden: W.H. Brownlee, Messianic Motifs of Qumran and New Testament. II, in: NTS, 3 (1956/ 57), 195-210, hier: 201-209. hepriester für die Begegnung mit der Heiligkeit Gottes zugerüstet werden musste, rückt der himmlische Menschensohn in eine Position ontologischen Beteiligtseins an der Heiligkeit Gottes. Diese Zuspitzung darf nicht im Sinne einer einfachen Abgrenzung vom Namen des Hohenpriesters verstanden werden; sie zielt auf eine himmlisch-eschatologische Verdichtung des hoch‐ priesterlichen Anspruchs, mit der himmlischen Heiligkeit Gottes Kontakt zu bekommen, nun: ganz in sie einzugehen. Ferner ist der Name ὁ Ἀμήν zu nennen (3,14). 133 Nach 1QS 10,1-4 verfügt der priesterliche Messias über das mit ge‐ heimer Bedeutung geladene Kultwort ןמא. Brownlee findet in 1QS 10,1-4 eine mystische Interpretation vor Jes 65,16: „wer sich segnen wird, der wird sich segnen in dem Gott des Amen, wer schwören wird auf der Erde, wird bei dem Gott des Amen schwören.“ א steht in der Deutung von 1QS 10,1 für Gott; das מ ist groß für das Allerheiligste: Hier liegt nach 1QSb 4,27f. und 1QH 2,11f. eine Identifizierung des Hohenpriesters mit dem רואמה לודגה von Gen 1,16 vor. Der eschatologische Hohepriester gibt kosmisches Licht, weil er Zugang hat zur himmlischen Lichtkammer. Nach 1QSb 4,27 heißt es vom eschatologischen Ho‐ henpriester: „und er (Gott) soll dich zu einem רזנ, Diadem, für das Allerheiligste machen.“ Dies entspricht der Deutung des נ in 1QS 10,4: Der Buchstabe נ bezieht sich auf das Öffnen der ewigen Gnadengaben. Eschatologisch-himmlisches Licht und die pneumatischen Gnadengaben hängen am eschatologischen Ho‐ henpriester, der über das ןמא Gottes verfügen darf, wenn er in das Allerheiligste des eschatologisch gereinigten Tempels hineingeht. Dass hier Bezüge zu TL XVIII bestehen, ist deutlich. Wenn diese Bezüge bei Brownlee richtig gesehen sind, dann liegt in dem ὁ Ἀμήν in Apok 3,14 ein eschatologischer Name des Hohenpriesters, der eschatologisches Leben gibt, Geheimnisse offenbart und kultisch-kosmisches Licht in die Schöpfung gibt. Der himmlische Menschensohn als ὁ ἅγιος und ὁ Ἀμήν ist also in der Position des eschatologisch-himmlischen Amtsinhabers hochpriesterlich-messianischer Erwartungen des Judentums zu sehen. Er partizipiert an der Heiligkeit Gottes und damit an der gesamten kultisch-kosmischen Macht Gottes. Lohmeyer hat die Frage, woraus diese kleinasiatischen Gemeinden das Recht ableiten, für die gesamte Urchristenheit zu sprechen, dahingehend beantwortet, dass hier eine absichtliche Ablösung, Beerbung der älteren Stellung Jerusalems und seiner Bedeutung für das Urchristentum vorliege. Ephesus stellte den Anspruch auf Erbe der Rechte und Pflichten Jerusalems. „Nur unter dieser 287 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 134 Komm., a. a. O., 43. 135 So bekanntlich Cullmann, Der johanneische Kreis, 57 f. Hat die Siebenzahl der Diakone nach ApG 6 eine besondere traditionsgeschichtliche Beziehung zur Siebenzahl der Gemeinden in der Johannesapokalypse? 136 Vgl. A.J.B. Higgins, Jesus and the Son of Man, 1964, 147: “It may be surmised that the link between the two Christologies is provided by the idea of the Son of man.” Voraussetzung ist vor allem die Adresse der Apc und die Einfügung von Schreiben an die 7 Gemeinden in ein Buch begreiflich, das für die Gesamtheit der urchristlichen Gläubigen bestimmt ist.“ 134 Der Anspruch auf zentrale Bedeutung stammt natürlich, wie Lohmeyer voraussetzt, bereits aus der jüdischen Sicht auf die Zionsstadt. Wenn diese Verlegung des Anspruches auf zentrale Bedeu‐ tung nicht zufälliges Produkt, sondern bewusste Deutung der urchristlichen Geschichte und Tradition ist, wird verständlich, dass der Rückgriff auf die himmlische Dimension des Kultes so betont wird. Zugleich fällt auf, dass die kultkritische Bewegung der judenchristlichen Hellenisten eine ausgesprochene Menschensohn-Christologie mit Zügen einer himmlischen Hochpriesterlehre kannte, sich auf den himmlischen Hohenpriester gegen den irdischen Kultort Jerusalem stützte. Hier liegen also zumindest analoge Prozesse vor, wenn man nicht gar die Vermutung äußern will, dass die Hellenisten mit den Anfängen der Ephesus-Tradition etwas zu tun haben. 135 Jedenfalls ist der Menschensohn in beiden Fällen Urheber und Vollzieher einer neuen kultischen Ordnung, die direkt aus dem Bereich himmlischer Heiligkeit herrührt und anderseits diesen neu bestimmt: Er ist als der Gekreuzigte himmlischer Hoherpriester der christlichen Pneuma-Gemeinde. d) Der Menschensohn in Hebr 2 Der Argumentationsgang in Hebr 2,5-18 zielt auf den Erweis der Teilhabe an dem durch den Christus vermittelten Heil, welches die Glaubenden über die Ordnung der Engelwelt hinaushebt. Christologisch ist der Abschnitt gerahmt durch Hinweise auf die Menschen‐ sohn- und die Hochpriesterlehre; die Hebr 1 und 3 bestimmende Sohn-Lehre klingt in 2,10 nur an und erscheint hier in der Brechung der Aussage über die Sohnschaft der Glaubenden. Dies führt schon vom Aufbau des Hebr. zur Frage, ob nicht auch hier eine besondere Nähe zwischen Menschensohn- und Hochpriesterlehre besteht. 136 Das Menschsein der Glaubenden, so die These von Hebr 2,5-9, wird durch die eschatologische Gestalt des Menschseins Jesu bestimmt. Im Menschensohn-Begriff liegt ein deutlich inklusiver Aspekt: Jesu Menschensohn-Weg durch den Tod zur himmlischen Herrlichkeit und Ehre 288 A) Beelzebul und Menschensohn 137 So O. Michel, Der Brief an die Hebräer, MkekK, 1975 7 , 144. 138 Vgl. S. Nomoto, Die Hohepriester-Typologie im Hebräerbrief, Diss. masch., Hamburg 1965, 31 f.; Higgins, a. a. O., 146 f.; B. Lindars, Re-Enter the Apocalyptic Son of Man, in: NTS, 22 (1976), 52-72, hier: 63. 139 Vgl. o.S. 122. erschließt dem ihm anhangenden Menschen das Heil der zukünftigen Welt. Wenn ἀρχηγός und ἄρχων identisch sind, 137 so fällt auf, dass die Beelzebul-Pe‐ rikope den Anspruch Jesu verkehrt durch den Hinweis auf die Anführerschaft (ἄρχων) im Reich der Dämonen. Auffällig ist auch, dass die Überwindung der kultischen Negativ-Kräfte Sünde, Tod und Teufel in Hebräer 2 gerade dem zugesprochen ist, der als Menschensohn ἀρχηγός ist und hochpriesterlich handelt. Die inklusive Bedeutung des Menschensohn-Anspruchs Jesu klingt auch in der deutenden Umsetzung von Mt 10,25 an. Die ἀρχηγός-Lehre knüpft also an ältere Elemente der Jesus-Tradition an, nach der er als Menschensohn eine himmlisch-eschatologische Kultordnung neu heraufführt. In den Versen 2,11-13 wird der Zusammenhalt ‚des Menschen‘ mit den Menschen durch das Bild des Vorbeters der Gemeinde gedeutet, der die ge‐ schichtliche Situation der ganzen Gemeinde in Gebet und Existenz ausdrückt. Diese Solidarität wird durch V. 13 zum Bild der Kindschaft verdichtet: Die Gemeindeglieder sind die Kinder des Liturgen. Das Amt des kultischen Leiters schließt einerseits seine Stellung als Stellvertreter der Gottheit ein, andererseits die repräsentierende Gemeinschaft mit der Gemeinde. Durch seinen Gang in den Tod zur himmlischen Herrlichkeit hat Jesus alle, die zu ihm gehören, vom Tod und vom hinter dem Tod stehenden Teufel befreit. In diesem Dienst der Befreiung, der die Menschensohn-Schicht zusammenfasst, liegt der Übergang zur Hochpriesterlehre. 138 Die Menschensohn-Lehre und die Hochpriester-Christologie sind also in Hebr 2 eng aufeinander bezogen: Der Weg des Menschensohnes durch Ernied‐ rigung und Erhöhung erschließt ein Verständnis vom Dienst des Erhöhten als des himmlischen Hohenpriesters. Im Menschensohn liegt verborgen die Würde des himmlischen Hohenpriesters. Ein ähnlicher Zusammenhang bestimmt 1Hen: Der über die Engel erhöhte Mensch Henoch wird zum Urheber des Heils für die, die auf seinen Wegen wan‐ deln. Diese Würde kommt dem Henoch zu, weil er priesterlich-interzessorisch mit der himmlischen Heiligkeit Gottes verbindet und daraus die Gewissheit der Teilhabe am eschatologischen Heil entsteht. 139 289 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 140 Vgl. o.S. 155. 141 Vgl. O. Michel, Komm., a. a. O., 166f. 142 Vgl. zum Überblick F.J. Moloney, The Johannine Son of Man, Rom 1976, 23-41. 143 Vgl. besonders H. Odeberg, The Fourth Gospel, 1929 (Nachdruck Amsterdam, 1968) 33-42; J. Jeremias, Die Berufung des Nathanael, in: ΑΓΓΕΛΟΣ, 3 (1928), 2-5. Auch die Priester-Lehre der Levi-Tradition kennt den eschatologischen Priester als Ersten im Bereich des eschatologischen Lebens: Der zur himmlischen Reinheit Zugang erhalten hat, ist Urheber und Mittler einer neuen kultischen Reinheit. 140 In diesen jüdischen, kultapokalyptischen Zusammenhängen fehlt freilich die im Hebr. betonte Erniedrigungslehre, wie natürlich auch die Rückbindung an den geschichtlichen Menschen ( Jesus). Gegen den Grundzug der jüdischen Kultapokalyptik, die Gemeinde priesterlich zu befähigen, betont der Hebr. die Erniedrigung des kultischen Erlösers bis in den Bereich des Todes, des Teufels, ja, der Gottverlassenheit hinein. Gemeinsam ist aber ein Grundzusammenhang von Menschensohn-Lehre und priesterlich-interzessorischer Entsühnung, welche den Zugang zur himmlischen Heiligkeit und Herrlichkeit erschließt. 141 So ist neben der Johannesapokalypse auch im Hebr. eine Rezeption der Menschensohn-Tradition sichtbar, die den Weg des Menschensohnes durch Erniedrigung und Erhöhung mit dem Amten des himmlischen Hohenpriesters verbindet. Diese Rezeption ist umso bemerkenswerter, als sie nicht die direkte Verbindung von der Sohnzur Hochpriester-Lehre sucht, sondern von einer besonderen, traditionsgeschichtlich vorgegebenen Möglichkeit weiß, in dem Menschensohn das Wirken des himmlischen Hohenpriesters zu sehen. e) Der Menschensohn im 4. Evangelium In der betont vorgezogenen Perikope von der Tempelreinigung gibt das Johev. ein wesentliches Thema des Wirkens Jesu an: Es geht um eine neue kultische Be‐ ziehung zu Gottes Heiligkeit, an dem Jerusalemer Tempel vorbei. Dieses Thema bestimmt Jesu Wirken bis hin zum hochpriesterlichen Gebet in Kap. 17. Christo‐ logisch wird dieser Zusammenhang nicht nur in der Vater-/ Sohn-Sendungslehre entfaltet, sondern bestimmt auch die johanneische Menschensohn-Tradition. Grundlegend ist Joh 1,51: 142 die Jünger werden den Himmel geöffnet und die Engel Gottes hinauf- und hinabsteigen sehen auf den Menschensohn. Am Jerusalemer Tempel vorbei wird der Menschensohn zum neuen Verbindungsort der beiden Schöpfungsbereiche. Der Rückgriff auf Gen 28,12 143 entspricht der auch sonst in der jüdischen Kultapokalyptik beobachtbaren Tendenz, das kultische Urgeheimnis der Verbindung von Himmel und Erde heilsgeschichtlich 290 A) Beelzebul und Menschensohn 144 Vgl. o.S. 144. 145 Vgl. Odeberg, a. a. O., 35ff. 146 Vgl. J.-A. Bühner, Der Gesandte und sein Weg, Tübingen 1977, 385-396. 147 Vgl. R. Otto, Reich Gottes und Menschensohn, 1934, 164-181. in der Väter- oder Urzeit begründet zu sehen. 144 Johannes geht darüber noch hinaus: Das kultische Visionsgeschehen in der Väterzeit ist Hinweis auf die eschatologische Konzentrierung der irdischen Einbruchstelle himmlischer Hei‐ ligkeit. Alles, was in der Bethel-Szene Hinweis auf die gesegnete, kultische Verbindung von himmlischem und irdischem Schöpfungsteil ist, erfüllt sich nun im Menschensohn. Joh 1,51 ist mythisch-symbolisch gesprochen, als umfassende ‚Zentrie‐ rungs‘-Aussage; sie entspricht darin Joh 1,14. Nach der grundlegenden Exegese von H. Odeberg, die auf Gen r 68,8 aufbaut, vermitteln die Engel zwischen Jesus und dem himmlischen Menschensohn. Beide stehen in einem Verhältnis von irdischer Erscheinung und himmlischem εἰκόνιον. 145 Der Menschensohn als himmlisch-irdische Gestalt ist Offenbarungsort, Mittler zwischen Himmel und Erde, Verbindungspunkt mit der himmlischen Heiligkeit. Er steht an der Stelle des Tempels, seiner Ausstattung und darin auch an der Stelle des Hohenpriesters. Ist in Joh 1,51 durch das Auf- und Absteigen der Engel beim Menschensohn dieser zu dem einen himmlisch-irdischen Verbindungsraum symbolisiert, so ist in anderen johanneischen Menschensohn-Sprüchen der Menschensohn selbst mit Aufwärts-/ Abwärts-Bewegungen verbunden. 3,13 betont: Nur Jesus hat Kenntnis der ἐπουράνια, weil nur er hinauf- und hinabgestiegen ist. Ob hier an einen Himmelsaufstieg mit metamorphischer Kraft gedacht ist, in dessen Verlauf Jesus zum Menschensohn wurde, ist dem Text nicht mit letzter Sicherheit zu entnehmen, 146 religionsgeschichtlich aber immer noch das Wahrscheinlichste. 147 Entscheidend für unsere Fragestellung ist, dass Kenntnis der ἐπουράνια, also die offenbarende Verbindung zum himm‐ lischen Teil der Schöpfung, hier vom Menschensohn beansprucht wird. Nicht Tempel und priesterliche Prophetie verbinden mit den ἐπουράνια, sondern nur der Menschensohn. Zu beachten ist, dass der Kontext konzentriert das Grundthema der Kulta‐ pokalyptik seit Ezechiel behandelt: Es geht um die Wiedergeburt aus Wasser und Geist. Diese Wiedergeburt verbindet mit dem himmlisch-reinen Teil der Schöpfung, von dem her die eschatologische Erlösung beginnt. Wir stoßen auf die Grundzüge der Theologie des Täufers. Der Widerstreit zum Tempel und seinem Anspruch liegt bereits in diesem täuferischen Grundansatz. Die βασιλεία τοῦ θεοῦ erscheint in diesem täuferischen Rahmen als himmlischer 291 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 148 Vgl. J.-A. Bühner, a. a. O., 408. 149 P. Borgen, Bread from Heaven, 1965. 150 Vgl. bHag 12b; bJoma 75a, Mekilta, Rabin, 51b; Mekilta RSbJ, Hoffmann, 80. 151 Vgl. O. Böcher, Ass Johannes der Täufer kein Brot (Lk VII 33)? , in: NTS, 18 (1972), 90-92. Bereich, in den man geradezu sakramental vordringen kann. Diese Zweistufig‐ keit - von (1.) Eingang und Zugehörigkeit zur himmlischen βασιλεία und (2.) der endgeschichtlichen Enthüllung der neuen, eschatologischen Heiligkeit der Schöpfung vom Himmel aus - prägt die gesamte johanneische Eschatologie. Das Schwergewicht liegt auf dem ersten Vorgang des Eingehens in die himmlische βασιλεία. Dass diese in der Tradition des Täufers als sakramental - ‚theurgi‐ scher‘ Einwirkung offen gesehen wurde, macht auch der dunkle Spruch Mt 11,12 par. Lk 16,16 denkbar. Nach Joh 3,13 verbindet der Menschensohn mit der himmlischen Heiligkeit und offenbart sie: Dies geschieht in Auseinandersetzung mit der Ordnung der alten Schöpfung, welche durch den Tempel gehalten wird. Joh 6,62 spricht vom Aufsteigen des Menschensohnes dorthin, wo er zuvor war. Hier ist die Schematik der Vater/ Sohn-Sendungslehre auf das Menschen‐ sohn-Thema übertragen. 148 Der Menschensohn gibt nach 6,27 das Brot, das bis zum ewigen Leben bleibt. Der Rückgriff auf das Manna der Wüstenzeit ist deutlich und von Borgen ausführlich untersucht. 149 Stärker als Borgen darf man jedoch betonen, dass das Manna wunderbare, himmlische Speise ist, die im Judentum der Zentrierungs- und Verbindungskraft des Tempels zugerechnet wurde. Bereits Ps 78,25 und SapSal 16,20 kennen des Manna als Engelsspeise, verbinden es also mit der Frage einer himmlischen Reinheit. Manna ist die Speise derer, die im Bereich himmlischer Reinheit leben dürfen: die Menschen der Zeit vor der Sintflut, das Israel der Wüstenzeit, die Engel im Himmel, die Gerechten im Paradies und die Teilnehmer an der Verklärung der Endzeit. 150 Wenn also der Menschensohn das Lebensbrot gibt, so steht er in Konkurrenz zu einer Erwartung, die sich auf den Tempel und die von ihm erschlossene himmlische Reinheit und Engelsspeise richtete. Wieder wird im Hintergrund ein Ansatz der Täuferbewegung sichtbar: Die neue Reinheit und Heiligkeit durch Taufe und Geist musste zur Frage nach einer himmlisch-reinen und ohne Verdauung aufzunehmenden Speise der Himmlischen führen. Die Fastenspeise des Täufers aus Honig und Heuschreckenfleisch bedeutet nicht nur Verzicht auf Fleisch und Wein als potentiell dämonisierte Speisen, 151 sondern bedeutet Auswahl von Speisen, die erfahrungsgemäß zu einer stark verminderten Ausscheidung führen, weil ihnen jeder Ballaststoff abgeht. Jesus gibt und ist die Speise, welche Zeichen der Zugehörigkeit zum ewigen Leben ist. Es geht um eine Sakramentsgemeinschaft in Analogie zum priesterlichen Opferverzehr; er als 292 A) Beelzebul und Menschensohn 152 Vgl. Hebr 9,12: durch sein eigenes Blut ist er in das Heiligtum hineingegangen. 153 Vgl. O. Michel, Der Brief an die Hebräer, 1975 7 , 146. 154 Vgl. 3Hen 36,2 (Ed. Odeberg) = § 54 (Ed. Schäfer); vgl. dazu unten Anm. 315. himmlischer Menschensohn gibt Anteil am himmlischen Leben, indem er seine eigene Reinheit und Heiligkeit sakramental darbietet. Er kann dies, weil er als Menschensohn zur himmlischen Kultsphäre Gottes gehört. Das johanneische Petrusbekenntnis fasst christologisch zusammen: Jesus ist der Heilige Gottes, also eine hochpriesterähnliche Gestalt, die Zugang hat zur himmlischen Heiligkeit Gottes hat und zu ihr gehört. Deshalb hat er Worte ewigen Lebens, einen Sakramentslogos, der ewiges Leben bewirkt. Die vertikalen Bewegungen des Menschensohnes, welche 6,62 voraussetzt, sind Kennzeichen, dass sich in ihm die himmlische Heiligkeit zur Erde hin öffnet. Joh 3,14; 8,28 und 12,34 sprechen von der Erhöhung des Menschensohnes: Seine Erhöhung bedeutet die Gewährung ewigen Lebens für die, die auf ihn schauen, ja ist Zielpunkt der Erschließung des ‚Lichtes‘ durch den Menschen‐ sohn. Die Menschensohn-Erhöhungs-Aussagen sind Hinweise auf das Heil, welches der Menschensohn in seinem Tod am Kreuz erwirkt, wobei sein Tod zugleich sein Eingang in die himmlische Herrlichkeit ist. Durch den thematischen Kontext ‚ewiges Leben‘ und ‚Gabe himmlischen Lichtes‘ ist die Redeweise von der Erhöhung des Menschensohnes in eine den Kult überbietende Perspektive gestellt. Noch deutlicher jedoch ist der verschränkende Charakter von Tod und Erhöhung selbst kultisch geprägt. Der kultische Vollzug im Tempel ist ein himmlisch-irdi‐ sches Geschehen, in dem sich irdischer Vorgang und himmlische Wirklichkeit miteinander verbinden. Der Hebräerbrief benutzt dieses Ineinander, um den Tod Jesu am Kreuz als Vollzug seines Eingangs in das himmlische Allerheiligste zu bestimmen. 152 Ähnlich geprägt ist die Redeweise vom ‚Vollendet-Werden‘ Jesu (Lk 13,32) 153 ; Lk 12, 49 f. weisen auf den Hintergrund einer besonderen Tauflehre, die den Tod als Taufe und damit als Übergang in eine höhere Stufe der Heiligkeit ver‐ steht. Die drei mit der Taufe verbundenen Elemente: ‚Wasser‘, ‚Geist‘ und ‚Feuer‘ bilden drei konzentrische Kreise besonderer Heiligkeit, wobei Verschränkungen vom Wasser zum Geist und vom Geist zum Feuer möglich sind. Der Feuerfluss unter dem Thron Gottes nach Dan 7,10 ist in täuferischen Kreisen als Quelle der himmlischen Heiligkeit gedeutet, aus der die Engel ihre Heiligkeit erneuern durch Tauchungen. 154 Der Eingang in die himmlische Heiligkeit ist also nach der täuferischen Umsetzung der Kulttradition nur durch den Tod hindurch erreichbar. Auch dabei ist eine Steigerung der drei Kreise erkennbar: Durch das Wasser wird eine Ertränkung symbolisiert; durch den Geist hat der Pneumatiker Zugang zum 293 2. Der Menschensohn als himmlischer Hoherpriester 155 Vgl. M. Eliade, Schamanismus und archaische Ekstasetechnik, 445ff. 156 Vgl. Joh 8,54; 12,28; 14,13; 15,8; 16,14; 17,1-4. 157 Vgl. W. Thüsing, Die Erhöhung und Verherrlichung Jesu im Johannesevangelium, 1960, 33. ekstatisch realisierten Todeserlebnis, 155 und der Zugang zur Heiligkeit durch das Feuer setzt den durch die vorgehenden Elemente qualifizierten realen Tod voraus. Die Besonderheit Jesu liegt darin, dass er stellvertretend die Feuertaufe auf sich nimmt und ihre Wirkung hinsichtlich himmlischer Heiligkeit sakramental an seine Gemeinde weitergibt. In den Zusammenhang einer kultischen Deutung des Todes Jesu gehört auch die Redeweise von der Verherrlichung. Jesu Tod ist ein doxologisches Geschehen, in dem er die Herrlichkeit Gottes mehrt, ja konstituiert und Gott ihn in diese Herrlichkeit hineinnimmt. Dieses Geschehen kann durch die Vater-Sohn-Lehre entfaltet werden, 156 liegt aber auch in der himmlisch-irdischen Perspektive der Deutung als Verherrlichung des Menschensohnes. Joh 12,31 weist auf den Zusammenhang, wonach der Menschensohn im Kreuz seinen eschatologischen Thron-Sitz findet, 157 von dem aus er den Fürsten dieser Welt entmachtet. Dass hierin ein alter Zusammenhang vorliegt, zeigt Lk 13,32: Jesu Wirken als Exorzist und Heiler geschieht in der Zielrichtung seiner ‚Vollendung‘, seines Vollendet-Werdens in der Todestaufe. Joh 5,27 erscheint wie ein Auszug aus diesem Zusammenhang: Es ist die Vollmacht des Menschensohnes, in der Jesus richten wird, und in der Gegenwart gegen die anti-kultischen Kräfte der Unreinheit, Krankheit, ja des Todes vorgeht. Zusammenfassend können wir feststellen, dass die johanneische Tradition den Menschensohn als eschatologische Vollendung des Tempelkultes sieht, wobei die Linie der täuferischen Überbietung der Möglichkeiten, zu himmlischer Reinheit zu kommen, vor allem durch die kultische Deutung des Todes des Menschensohnes überholt wird. Der Menschensohn ist Mittler himmlischer Heiligkeit, Zentrum der eschatologischen Verbindung der in seinem Tod zu neuer Einheit kommenden Hälften der Schöpfung. Er trägt in allem deutlich hochpriesterliche Züge. 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker Der Durchgang durch die außer-synoptische Menschensohn-Tradition des NT hat gezeigt, dass man dieses alte Element der Jesustradition betont unter dem Aspekt seiner hochpriesterlichen Vollmacht rezipiert hat. Dies Ergebnis berechtigt zur Vermutung, hierin keinen späten Traditionsumbruch zu sehen, sondern das eigentliche Grundelement der älteren Menschensohn-Lehre. Es 294 A) Beelzebul und Menschensohn 158 Vgl. R. Bultmann, Theologie des Neuen Testaments, 1977 7 , 31f. 159 Kultus und Evangelium, a. a. O., 34-36. 160 Vgl. H. Leroy, Art. ‚ἀφίημι‘, in: EWNT, I, 437 f.; B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, Neukirchen 1982, 355-362. 161 Vgl. H. Thyen, Studien zur Sündenvergebung, Göttingen 1970 (FRLANT 96). 162 Vgl. H. Lichtenberger, Atonement and Sacrifice in the Qumran Community, in: W.S. Green (Hrsg.), Approaches to Ancient Judaism, Vol. II, 1980, 159-171. ist üblich geworden, die Menschensohn-Tradition in drei Gruppen einzuteilen: Worte von der gegenwärtigen Vollmacht stehen solchen einer zukünftigen Erwartung des Menschensohnes gegenüber; eine dritte Gruppe sieht den irdi‐ schen Weg des Menschensohnes unter dem Aspekt des Leidens und Dienens. 158 Unsere These lautet: Jesus als Menschensohn ist Bevollmächtigter über die himmlisch-eschatologische Kultordnung; er ist der priesterliche Interzessor für die Seinen vor Gottes Thron und er sieht seinen Weg unter dem Gesichtspunkt des entsühnenden Selbstopfers. a) Der Menschensohn als Bevollmächtigter über die himmlisch-eschatologische Kultordnung Das Markus-Evangelium bringt zwei Menschensohn-Sprüche vor der Ausfor‐ mulierung der Leidenslehre ab Kap. 8. Nach 2,10 und 2,28 hat der Menschensohn Vollmacht Sünden zu vergeben auf Erden und ist Herr über den Sabbat. Schon Lohmeyer sah hierin den Kern des christologischen Anspruchs Jesu, am Tempel vorbei als Vollender der himmlisch-eschatologischen Kultordnung zu handeln. 159 Mk 2,1-12 Sündenvergebung ist in der biblischen Tradition Vorrecht Gottes, welches er vornehmlich durch gnädiges Bereitstellen von sündentilgenden Opferpraktiken wahrnimmt. 160 Jesu Zuspruch der Sündenvergebung unabhängig von Opfer und Kult greift also in einen Bereich ein, der im traditionellen Judentum überwiegend an den Tempel in Jerusalem gebunden ist. Jesus steht mit diesem Anspruch innerhalb des Judentums nicht allein. 161 Auch der Täufer verstand seine Taufe als Mittel und Ausdruck der Sündenver‐ gebung (Mk 1,4). Die Qumrantexte zeigen, dass die priesterliche Taufgemeinde durch den ‚Geist der ewigen Wahrheit‘ (1QS 9,3) ermächtigt ist, in der Gestalt von Gotteslob und vollkommenem Wandel die Schuld der Übertretungen und die Taten der Sünde zu entsühnen. (1QS 9,4f.) 162 295 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 163 Vgl. J.M. Robinson, Die johanneische Entwicklungslinie, in: H. Köster und J.M. Robinson, Entwicklungslinien durch die Welt des frühen Christentums, Tübingen 1971, 226-230. 164 Vgl. R. Bultmann, Die Geschichte der synoptischen Tradition, 12-14; vgl. Gnilka, Mk-Komm. I, 96. 165 Vgl. R. Pesch, Komm. I, 160; L. Gaston, No Stone on another, 1970, 397. 166 Vgl. Pesch, ebd. 167 Pesch, a. a. O., 156. 168 Ebd. 169 A.a.O., 158. Jesus steht mit diesem Anspruch auf Vollmacht zur Sündenvergebung zu‐ nächst in der Tradition des Täufers. Freilich scheint bei ihm die Sündenverge‐ bung nicht an einen Ritus gebunden zu sein; es ist deshalb auch nicht ratsam, in der Überlieferung Mk 2,6-10 eine Reprojizierung gemeindlichen Anspruches auf Sündenvergebung in das Leben Jesu zu sehen. Überlieferungsgeschichtlich ist die Perikope Mk 2,1-12 durch den starken, zunächst formgeschichtlichen Bruch gekennzeichnet, der sich auch in dem Anakoluth V. 10 anzeigt; auffällig ist auch, dass ausgesprochen mechanisch die Technik der Wiederaufnahme benutzt wird. 163 Dies setzt offenbar einen ganz festen Traditionszusammenhang voraus, wahrscheinlich sogar eine schriftliche Quelle. Dann ist es am konsequentesten, mit der älteren Forschung anzu‐ nehmen, dass die Wiederaufnahme λέγει τῷ παραλυτικῷ die genaue Bruchstelle markiert, so dass V. 5b bereits zur Bearbeitung gehört. 164 Man hat aus diesem deutlich zu Tage tretenden überlieferungsgeschichtli‐ chen Wachstum geschlossen, dass in der Bearbeitung die Gemeinde spricht, die das Recht zur Sündenvergebung für sich beanspruche. 165 Hauptargument ist die Wendung ἐπὶ τῆς γῆς, die man als Markierung der Gemeindesituation versteht. Auch der Menschensohn-Titel sei hier dogmatisch und rückblickend-summie‐ rend eingesetzt. 166 Pesch, der sich trotz Annahme einer uneinheitlichen Bildung im ganzen um den Aufweis einer traditionsgeschichtlichen Kontinuität bemüht, verweist ferner darauf, dass das von ihm zur älteren Überlieferungsstufe gerech‐ nete Vergebungswort zu unterscheiden sei von der Vergebungsvollmacht des Menschensohnes. „Der Zuspruch Jesu V. 5b ist in der Wundergeschichte nicht als Vergebungsakt zu interpretieren, sondern im Sinne der Topik als Ermutigung des Hilfesuchenden: Gott vergibt ihm seine Sünden - und deshalb kann und wird Jesus ihn heilen.“ 167 Jedoch: „Im Streitgespräch, und das zeigt eindeutig seinen sekundären Charakter, wird die Vollmacht, Sünden zu vergeben, auch dem Menschensohn zugesprochen, V. 10.“ 168 Der Zuspruch der Sündenvergebung durch Gott sei Kennzeichen des historischen Jesus, wie die Überlieferung von seiner Gemeinschaft mit Sündern zeige. 169 296 A) Beelzebul und Menschensohn 170 Vgl. Gnilka, Komm. I, 99. 171 Vgl. O. Hofius, Art. ‚βλασφημέω‘, in: EWNT, I, 530. 172 So Pesch, Komm. I, 156. 173 Komm., 53. 174 B. Janowski, Sündenvergebung ‚um Hiobs willen‘. Fürbitte und Vergebung in II QtqJob 38,2f. und Hi 42, 9 f. LXX, in: ZNW, 73 (1982), 251-280; Zitat S. 276. Hier sind S. 276-279 die wichtigsten Texte für die Fragestellung zusammengefasst. Beginnen wir mit dem letzten Argument: Diese Unterscheidung ist kaum durchzuführen. Auch der Gebrauch des Passivum divinum - zumal im Präsens - bedeutet ein Eingreifen in den Bereich göttlichen Handelns. Jesus verweist nicht fromm auf Gott und seine nie zu unterschätzende Güte, sondern spricht die göttliche Sündenvergebung zu und verbindet sie mit seinem Heilungswort. 170 Der Vorwurf der Schriftgelehrten βλασφημεῖ zielt gerade darauf: Er mischt sich in den Bereich Gottes ein und profaniert dadurch die Heiligkeit Gottes. 171 Andererseits ist die Vollmacht des Menschensohnes abgeleitete Macht, sodass es gerade nicht zu einer Verdoppelung 172 der Macht der Sündenvergebung kommt. Es geht um eine Übertragung von eigener, göttlicher Macht an den Vertreter. Gott vergibt Sünden in der Gestalt des Wortes und des Handelns des Menschensohnes. Lohmeyer weist darauf hin, dass die historische Forschung sich vom Text Mk 2,7.10 nicht falsche Alternativen vorschreiben lassen dürfe: „Für sich betrachtet, ist der Satz zweifellos richtig, dass Sündenvergebung nur Gott gebührt. Aber es handelt sich hier nicht um die Frage Gottes, sondern um die Frage der Vermitt‐ lung göttlichen Willens. Und jedem Juden ist bekannt, dass etwa der Priester ‚auf Erden Macht hat, Sünden zu vergeben‘, durch Opfer und Weihe. Auf diese praktische Frage aber, wie ‚auf Erden‘ in dem Hier und Jetzt ‚Sündenvergebung‘ einem Einzelnen zuteil werden kann, wäre die Antwort ‚durch Gott allein‘ nur eine Verschiebung, nicht aber eine Lösung.“ 173 Man hat den Eindruck, als sei die Beantwortung der Frage: „Hat man im antiken Judentum einem eschatologischen Heilsbringer die Vollmacht der Sündenvergebung zuerkannt? “ 174 noch immer belastet von der Vorstellung, es könne im historischen Sinne um eine Gestalt gehen, die in eigener Machtvoll‐ kommenheit handle. Dies wird leicht von Kritikern den Vertretern einer Position unterschoben, die Mk 2,7.10 vor dem Hintergrund eines sündenvergebenden Messias im Judentum verstehen wollen. Dabei sollte es klar sein, dass ein jüdi‐ scher Messias, eben schon deshalb, weil er der Salbung bedarf, nie aus eigener 297 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 175 I, 495: „Dagegen ist uns keine Stelle bekannt, in der der Messias kraft eigener Macht‐ vollkommenheit einem Menschen die Vergebung der Sünden zuspricht.“ 176 P. Volz, Die Eschatologie der jüdischen Gemeinde im neutestamentlichen Zeitalter, Nachdruck 1966 3 , 217: „Zunächst ist zu sagen, dass die jüdische Literatur keine Stelle enthält, nach der der jüdische Christus wie in Mt 9,2 dem Menschen die Sünde aus eigener Machtvollkommenheit vergibt, das bleibt überall Gott vorbehalten.“ 177 Vgl. K. Koch, Messias und Sündenvergebung im Jesaja 53 - Targum, in: JStJ 3 (1972), 136 und A. Dupont-Sommer, Exorcismes et Guérisons dans les écrits de Qoumran, in: VT Suppl. 7 (1960), 260 f. Anm. 3; beide bestreiten die Aussage von Billerbeck/ Volz, ohne die schiefe Grundthese als solche zu überwinden. 178 Vgl. B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, Neukirchen 1982, 247. 179 Vgl. o. S. 187ff. 231ff. Machtvollkommenheit handeln kann. Billerbecks unglückliche Formulierung 175 ist leider über Volz 176 in der Forschung häufig ungeprüft übernommen worden. 177 ‚Vollmacht‘ und ‚eigene Machtvollkommenheit‘ mögen sprachlich ineinan‐ dergleiten, besagen jedoch sachlich das Gegenteil. Es geht um die Vollmacht, d. h. um die irdische Konkretisierung und Durchführung der Entsühnung, die Gott mit dem Ziel seiner Sündenvergebung anbietet. Die Entsühnung des Volkes und die dabei zustande kommende Sündenvergebung gehen immer von Gott aus und führen zu ihm zurück. 178 Lohmeyer macht zu Recht darauf aufmerksam, dass es um die Frage nach der irdischen Vollmacht geht, die entweder hinter einer Person oder einer Institution steht und welche das entsühnende Handeln im Lichte göttlicher Sündenvergebung qualifiziert. Es ist unmöglich, aus Mk 2,5.10 eine Gegenposition zu entnehmen, nach der Jesus in eigener Machtvollkommenheit handele. Das Passivum divinum und die Vollmachtsaussage schließen dies aus. Bei der Exegese von Mk 2,5.7.10 kann es nur um die Frage gehen, in welchem Verhältnis dieser Vollmachtsanspruch Jesu, irdisch die göttliche Sündenvergebung zu realisieren, zu anderen am Tempelkult vorbeigehenden Ansprüchen auf durch Gott legitimierte, von ihm aus in seinem Namen vorgenommene Entsühnung sich verhält. Die Frage nach einer ‚eigenen Machtvollkommenheit‘ verstellt den Blick für das biblisch-jüdische Material und für die traditionsgeschichtliche Einordnung des Anspruchs Jesu. Das Verhältnis von Vergebungswort und Vollmacht-Anspruch gehört in den Bereich charismatischer Einmischung in die Rechte Gottes und dabei zugleich des Beteiligt-Werdens an Gottes Macht. Ein gutes Analogie-Beispiel bietet die Choni-Tradition: Er mischt sich in Gottes Schöpfungsmacht ein, er kann dies jedoch nur, weil er auch in dieser der Blasphemie verdächtigten Dreistigkeit bereits in der Vollmacht des Haussohnes handelt. 179 Auch Jesus spricht in V. 5 nicht nur einen frommen Wunsch aus, sondern spricht in charismatischer 298 A) Beelzebul und Menschensohn 180 Vgl. ähnlich Lohmeyer, Kultus und Evangelium, 35. 181 Vgl. auch Joh 5,32f. 182 Vgl. H. Thyen, a. a. O., 145-152. Vollmacht. Diese charismatische Vollmacht legt das Menschensohn-Wort aus, u.zw. in einer der charismatischen Stufe immanenten Weise. Unter dem Aspekt der Sündenvergebung lässt sich also die Überlieferung nicht in ursprünglicher und später gliedern. Das Urteil, in dem unverhüllt von Vollmacht sprechenden Menschen‐ sohn-Wort könne eigentlich nur die vom Erhöhten auf den Irdischen rück‐ blickende Gemeinde sprechen, verkennt, dass dieser unverhüllte Anspruch auch in der alten, polemischen Jesus-Tradition aufgenommen wird, die den Zusammenhang Mk 1-3 abschließt: Jesus wird der Magie mittels ‚Benutzung‘ des Beelzebul bezichtigt und lässt sich in seiner Antwort auf die theologische Größe ein, die die Grundlage jeden expliziten Vollmacht-Anspruchs abgibt: Ist die Heiligkeit Gottes gefährdet oder steht sie gerade hinter seinem Anspruch? Die Wendung ἐπὶ τῆς γῆς setzt als Gegenüber am ehesten ein ἐν τῷ οὐρανῷ voraus. Es geht um ein Verhältnis ‚himmlisch‘-‚irdisch‘. Da der Menschensohn eine dem Himmel verbundene Gestalt ist, wird hier gesagt: Die Vollmacht des Menschensohnes reicht aus dem himmlischen Kultbereich Gottes bis in die irdische Schöpfungshälfte hinein. Das ‚schwerer‘ und ‚leichter‘ hat hier seinen Grund: Auf Erden die Heiligkeit, die aus dem himmlischen Heiligtum Gottes kommt, zu realisieren, ist schwerer als charismatisch-interzessorisch für den Kranken Gottes himmlische Vergebung zu erbitten. 180 In dem Menschensohn-Wort klingt also sehr viel eher eine urtümliche Spannung des Verhältnisses Jesu zum Menschensohn als die Bestimmung der Gemeindesituation an. Bevor wir näher darauf eingehen, sei noch auf Folgendes hingewiesen: Die Vollmacht zur Sündenvergebung war im täuferischen Ju‐ dentum verbreitet als Anspruch. Wenn die Tradition über Johannes den Täufer nicht in die Irre führt, so haben auch weite Teile des pharisäischen und pries‐ terlichen Judentums dem Priestersohn Johannes die Vollmacht zugestanden, das biblische Programm einer Erneuerung des Gottesvolkes durch Besprengung mit reinem Wasser versuchsweise durchzuführen (Mk 1,5; Mt 3,7-1 2). Auch die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten standen unter dem Einfluss einer breiten Volksmeinung, Johannes der Täufer sei ein Prophet gewesen: Jesus hat sich nach Mk 11,27ff. ihnen gegenüber ausgesprochen auf dieses Fundament der Gemeinsamkeit mit dem Täufer zurückgezogen. 181 Die Sündenvergebung in der Gemeinde hing aber an der Fortführung des Taufritus, der, trotz aller christologischer Neudeutung, nach außen hin als Sonderform der bekannten priesterlich-apokalyptischen Waschungen und Taufen erscheinen musste. 182 Da 299 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 183 Vgl. Gnilka, Komm. I, 97. 184 G. Vermes, Jesus the Jew, 1973, 160-186.188-191. 185 Vgl. C. Colpe, Art. ‚ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ‘, in: ThWNT 8, 408-422. 186 R. Leivestad, Exit the Apocalyptic Son of Man, in: NTS, 18 (1971/ 72), 243-267. 187 A.a.O. die Sündenvergebung in der Gemeinde sakramental vermittelt wurde, war sie damit als halbwegs üblich anerkannt. Was die Gemeinde nicht getan hat und was auch Jesus vom Täufer abhebt, liegt nun aber in der Komposition Mk 2,1-12 aus‐ gedrückt: Sündenvergebung spontan und ohne jede Andeutung einer kultischen Darreichung und damit auch eines kultischen Schutzes der Heiligkeit Gottes. Theologisch und christologisch passt diese Szene sehr viel besser in das Leben Jesu als in die Gemeindesituation. Wir sehen dann in Mk 2,1-12 eine überliefe‐ rungsgeschichtliche Komposition, in der der Streitgesprächsteil Elemente des ursprünglichen Anspruchs und der ursprünglichen Christologie Jesu aufnimmt. Dabei ist es am wahrscheinlichsten, dass der Menschensohn-Spruch älter ist als der Streitgesprächs-Einschub: Das Menschensohn-Wort ist Ausgangspunkt des Streitgesprächsteils. 183 Man tradierte die Wundergeschichte, wusste, dass sie ein Eingreifen in das Gottesverhältnis des Kranken voraussetzt, und wusste auch, dass im Rahmen der Menschensohn-Lehre Jesu ein Anspruch auf dieses Eingreifen enthalten war. Exkurs: Kann Jesus von einem himmlischen Menschensohn gesprochen haben? Zwei Grundbeobachtungen und -thesen prägen die Diskussion um den Men‐ schensohn: 1. Das sprachliche Argument, רב שנ sei Umschreibung für ‚Ich‘ in einem her‐ aushebend-verhüllenden Sinn, ist durch G. Vermes 184 stark belegt worden. Dass es eine solche umschreibende Redeweise gegeben hat, kann wohl nicht mehr bezweifelt werden. Anders steht es mit der These, Jesus habe ursprünglich von sich als Menschensohn nur in dieser umschreibenden Kunstform gesprochen. Denn dies ist ja anderseits nicht zu bezweifeln: Dan 7 spricht von einer men‐ schenähnlichen Gestalt in einer anderen, objektiven Weise. Diese mythische Redeweise ist auf alle Fälle vorchristlich. 185 2. Diese Grundvoraussetzung ist nun aber vor allem von Leivestad 186 mehr oder weniger bestritten worden: Dan 7 spreche nicht titular von einer be‐ stimmten Gestalt, sondern deskriptiv-symbolisch. Von Dan 7 gehe entsprechend keine irgendwie messianische Sonderlehre über eine Heilsfigur aus. Leivestad spricht deshalb vom ‚exit of the apocalyptic Son of Man‘. 187 300 A) Beelzebul und Menschensohn 188 Re-Enter the Apocalyptic Son of Man, in: NTS, 22 (1976), 52-72. 189 A.a.O., 56. 190 A.a.O., 57 f., vgl. D. Flusser, Melchisedek and the Son of Man. A preliminary note on a new fragment from Qumran, in: CNFI, 17 (1966), 23-29. 191 A.a.O., 58f. 192 Vgl. Hebr 10,11-14: das herrscherliche Sitzen des Christus ist Ergebnis seines hochpries‐ terlichen Dienens, vgl. O. Michel, Komm. zum Hebr, 340. 193 L. Gaston, No stone on another, 1970, 370-409. B. Lindars 188 hat demgegenüber darauf hingewiesen, dass die Menschen‐ sohn-Tradition nicht auf Texte beschränkt sei, die dieses Wort ausdrücklich benutzen. Vielmehr ginge es um die apokalyptische Grundszene, dass Gott einen Mittler des Heils in seine heilige Thronsphäre aufnimmt, welcher Vorgang heils‐ geschichtlich den Anbruch des Heils für Israel signalisiere. Die außerneutesta‐ mentliche Rezeption der Daniel-Szene habe sich nie auf das Element einer sym‐ bolischen Überhöhung geschichtlicher Prozesse beschränkt, sondern habe die inthronisierte Gestalt immer mit objektiven, angelologischen Zügen gesehen. 189 Lindars verweist auf Michael, der schon in der Rezeption von Dan 7, in Dan 8-12, die Funktion des Menschensohnes als himmlischer Hüter des Geschicks und des Heils Israels wahrnehme. Auch 1QM 17,7 zeige dieses Verständnis von Michael analog zum Menschensohn von Dan 7. Sein Herrschaftsantritt markiere die irdische Erlösung des Bundesvolkes. In 11QMelch nehme Melkisedek die Stelle des Menschensohnes ein, 190 ebenso sei die Henoch-Tradition von 1Hen 14 über 46. 71 bis zum Metatron des 3Hen wesentlich daran ausgerichtet, den Gerechten der Urzeit als himmlischen Interzessor und Mitherrscher Gottes zu beschreiben. 191 Lindars hat darin grundlegend recht, dass Dan 7 und die Melkisedek-, Michael- und Henochtradition den gleichen Grundvorgang beschreiben oder voraussetzen, dass in der himmlischen, heiligen Thronwelt Gottes einer vor Gott tritt und als Interzessor für die irdische Gemeinde an Gottes Schöpfungs- und Heilsmacht beteiligt wird. Auffällig ist, dass die himmlische Erlösergestalt - Melkisedek, Michael, Henoch-Metatron - durchweg hochpriesterliche Züge trägt. Das königliche Element des Mitherrschers baut auf dem priesterlichen als dem Fundament auf: durch sein Erlösungswerk wird nach 11QMelch Melkisedek König. Als priesterlicher Interzessor und Erlöser wird er zum Mitherrscher. 192 Diese Sicht bei Lindars ist gegenüber dem Ansatz bei L. Gaston in seinem ansonsten wichtigen Buch ‚No stone on another‘ 193 vorzuziehen: Seit Daniel sei der Menschensohn Symbol für die Herrschaft des Gottesvolkes, habe aber kein Eigengewicht. Dieses völlig ohne messianische Implikationen auskommende Symbol habe Jesus als Bezeichnung der um ihn sich scharenden Gemeinde 301 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 194 A.a.O., 393ff. 195 A.a.O., 397. 196 A.a.O., 408f. 197 A.a.O., 411. 198 A.a.O., 44.49-54.97. 199 Vgl. Gottesknecht und Davidsohn, 1953 2 (= unveränd. Nachdruck d. 1. Aufl. 1945), S. 47; ähnlich bereits der Mk-Komm. von 1937, S. 54. 200 Messianische Hochpriestererwartung in den Synoptikern, in: ZThK, 53 (1956), 265-311; hier 293. aufgenommen. Die titulare, auf Jesus bezogene Verwendung sei nachösterlich. Ursprünglich meine ‚Menschensohn‘ nicht Jesus, sondern die kollektive Größe der Jüngerschar. 194 Mk 2, 10 ist für Gaston in diesem Sinne Nachklang einer ursprünglichen Verwendung: es gehe um die Vollmacht der Jüngerschar. 195 Gaston versteht entsprechend Jesus völlig unmessianisch. 196 Jesus brauche keine Christologie, da das Reich Gottes und die mit ihm identische Gemeinde = ‚der Menschensohn‘ unmittelbare Prozesse darstellten. Jesus sei Repräsentant der Menschensohn-Gemeinde, ohne dass diese Repräsentation ein christologisches Amt bedeute. Am Ende seiner Ausführungen zeigt Gaston freilich, dass die eigentliche christologische Frage nur ausgeblendet ist. Sie taucht bei ihm in der dogmatischen und historisch nicht ausgewiesenen Kategorie des ‚eschatologi‐ schen Ereignisses‘ wieder auf. 197 An Gaston wäre die Frage zu richten, ob das Menschensohn-Konzept, auch wie er es voraussetzt, nicht grundlegend an einer Verhältnisbestimmung des ‚Einen‘ zu den ‚Vielen‘ orientiert ist. Der ‚Eine‘ ist aber nicht einfach zur symbolischen Ideologie der Gesamtheit zu sublimieren; vielmehr trägt der ‚Eine‘ das Vorrecht, dass Gott zunächst an ihm handelt und von dem Handeln an ihm das Geschick der Gesamtheit bestimmt wird. Dieser Prozess scheint doch unumkehrbar zu sein. Auch Dan 7 betont, dass der Repräsentant der Heiligen des Höchsten, der Menschengestaltige, in einer visionären, himmlischen Wirklichkeit von Gott bevollmächtigt wird. Wenn wir uns dieser radikalen Eliminierung der Tradition vom himmlischen Menschensohn nicht anschließen, entsteht die Frage, in welcher traditionsge‐ schichtlichen Beziehung der Menschensohn zum Anspruch auf Sünden-Weg‐ nahme steht. Lohmeyer, der in ‚Kultus und Evangelium‘ noch den Menschensohn als himmlische Gegenfigur zum Anspruch des irdischen Kultes in Jerusalem verstand, 198 kommt später zu der Überzeugung, dass ‚Menschensohn‘ hier nach‐ trägliche, dogmatische Eintragung sei; ursprünglich sei vom Gottesknecht die Rede, der von der Sünde abwenden wolle. 199 G. Friedrich findet es näherliegend, an den messianischen Hohenpriester zu denken. 200 Dies sind eher Hinweise auf die grundsätzliche Deuterichtung, in der man den ‚Menschensohn‘ verstehen kann, denn Hinweise auf tatsächliche überlieferungsgeschichtliche Prozesse. 302 A) Beelzebul und Menschensohn 201 K. Koch, Messias und Sündenvergebung, a. a. O., 148. 202 A.a.O., 136. 203 Ebd., vgl. auch. 136, Anm. 1. 204 A.a.O., 144. 205 O. Hofius, Kennt der Targum zu Jes 53 einen sündenvergebenden Messias? In: Freundesgabe Professor Peter Stuhlmacher, masch., Tübingen 1982, 215-254. hier 231. 206 A.a.O., 231f. 207 A.a.O., 144. 208 A.a.O., 136, vgl. o.S. 297. Umstritten ist zunächst, wie der Targum zu Jes 53 den Messias mit der Sün‐ denvergebung in Verbindung bringt. Der Targumist verwendet in den Versen 53,4-7. 10-12 das Verbum קבש ‚vergeben‘. Die Verse 4-7 verbinden mit der kul‐ tischen Restituierung Israels (V. 5) die besondere Fähigkeit des Knechtes, des Messias, für die Sünde Israels Fürbitte zu leisten, „und unsere Vergehen werden um seinetwillen vergeben werden“; „und wenn wir uns um seine Worte scharen, werden unsere Sünden uns vergeben werden.“ Als Fürbitter und wahrer Tora-Deuter hält der Messias von der Sünde zurück. K. Koch hat in dieser targumischen Auslegung von Jes 53 den „Gedanke(n) eines durch Wort und Tat sündenvergebenden Messias“ gefunden. 201 „Nach dem Bau des Tempels vermag der Messias durchaus ein lösendes Wort zu sprechen …“ 202 Koch denkt geradezu an die Durchführung eines rite gefeierten Versöhnungstages: „Da zur echten Sündenvergebung nach Meinung der spätisraelitischen Zeit ein funktionsfähiges Heiligtum und ein rite gefeierter Versöhnungstag unerlässlich sind, kann die messianische Sündenvergebung nur durch die Neuerrichtung des Heiligtums zu ihrem endgültigen Ziel kommen.“ 203 „Der Messias übernimmt in weitem Maße priesterliche Aufgaben. Wird hier ein endzeitlicher Versöhnungstag angekündigt? “ 204 Die Sündenvergebung ist nach Koch also Aspekt der eschatolo‐ gisch-kultischen Neuordnung Israels durch den priesterlich geprägten Messias. Dieser These hat O. Hofius widersprochen: „Von einem ‚sündenvergebenden‘ oder ‚lösenden‘ Wort des Messias ist hier keineswegs die Rede.“ 205 „Nicht der Messias ist es, der den zur Tora zurückkehrenden ‚Sündern‘ ihre Sünden vergibt, sondern Jahwe allein.“ 206 Der Messias leite nur zum Gehorsam gegenüber der nun wirklich lehrbaren Tora hin. Koch folgerte hingegen gerade aus der Abfolge der Glieder in TgJes 53,11d-f: „Die Rechtfertigung der messianischen Untertanen macht sie aber nicht vollständig gerecht. Es bleibt die Möglichkeit zum Sündigen, aus der sie sich selbst nicht befreien können, vielmehr der fürbittenden Hilfe des Knechtes auch künftig benötigen.“ 207 Man hat den Eindruck, als ginge es um das Recht der Formulierung von Volz, der sich Koch im Zitat anschließt: „… dem Menschen die Sünde aus eigener Machtvollkommenheit vergibt.“ 208 Wenn dies Kochs eigentliche These 303 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 209 A.a.O., 137. 210 Lohse deutet in seiner Übersetzung auf den Messias; umgekehrt auf Gott bezieht J. Maier in seiner Übersetzung das Verb. Janowski, Sündenvergebung ‚um Hiobs willen‘, ZNW, 73 (1982), 279, schlägt die LA ‚wikuppar‘ vor. 211 Vgl. o.S. 297. 212 Vgl. P. Garnet, Salvation and Atonement in the Qumran Scrolls, Tübingen 1977 (WUNT II/ 3), 97: „In the present passage the coming of the Messiah and the eschatological forgiveness are so closely linked that the latter can be spoken of as the purpose of the former. This passage does not imply that the Messiah will make atonement, but only that his coming is God’s final act in forgiving Israel.“ wäre, wäre der Protest von Hofius notwendig. Koch geht es aber um den Platz der Sündentilgung im Rahmen der eschatologischen Kultordnung. Hinter der messianischen Sündenvergebung steht nach Koch expressis verbis Gottes Handeln: „Das Ereignis der großen Sündenvergebung wird herausgestrichen durch einen Hinweis auf ein eingetretenes göttliches Wohlgefallen. Die ra’awa gehört zu den für den Targum unerlässlichen Wirkungsgrößen (s. V. 10). Sie ist für die (kultische) Sühne nötig.“ 209 Die sachliche Frage dreht sich also offenbar darum, ob das Handeln des Messias im Tg zu Jes 53 verstanden wird als Teil der göttlichen, eschatologischen Restitu‐ ierung der Kultordnung Israels, zu der eschatologisch gesteigerte Möglichkeiten der Entsühnung, Fürbitte und Sündenvergebung gehören; oder ob dieser Rahmen nicht gegeben scheint, so dass dann der Messias mehr Tora-Lehrer und Fürbitter nach dem Bild des Mose ist, wobei diese Aktivitäten deutlich von der eigentlichen Sündenvergebung durch Gott abzuheben sind. Kochs Formulierungen mögen im einzelnen nicht durch seine eigenen Untersuchungen gedeckt sein, werden aber u.A.n. sachlich durch TLevi 18, 1Hen, 11QMelch und PsSal 17 bestätigt, wo jeweils die Läuterung des Volkes, zu der Befreiung von der Sünde gehört, an der von Gott durch den Heilsbringer erwirkten kultischen Restituierung Israels hängt. In diesem Sinne ist TgJes 53 Hinweis auf ein messianisches, priesterliches Wirken, welches auf Überwindung der Sünde zielt. Von einer Entsühnung der endzeitlichen Gemeinde durch den eschatologi‐ schen Heilsbringer ist auch in den Qumran-Schriften häufiger die Rede. Nach CD 14,19 ist das Kommen des Gesalbten Aarons und Israels verbunden mit der Entsühnung der Sünde. Der durch Textverderbnisse unklare Zusammenhang lässt eine Deutung des Verbums רפכיו sowohl auf die messianische Gestalt als auch auf Gott zu. 210 Da es sich um die Gestalt des Gesalbten handelt, kann es sich hier natürlich nicht um eine Sündenvergebung in eigener Autorität han‐ deln, 211 sondern darum, dass Gott das Auftreten des Gesalbten als Sühnung und Vergebung der Sünde herbeiführt. 212 304 A) Beelzebul und Menschensohn 213 Vgl. B. Janowski, Sühne als Heilsgeschehen, a. a. O., 250ff. 214 B. Janowski, a. a. O., 250-252. Für die Deutung dieses Vorgangs ist entscheidend die Zuordnung der beiden Glieder in der sog. חלסנ \ רפכ Formel aus Lev 4 und 5. 213 Im par.membr. heißt es hier wiederholt: ‚Und es erwirkt Sühne für ihn der Priester, und es wird ihm vergeben werden.‘ Diese Formel unterscheidet einerseits zwischen dem Sühne-Handeln des Priesters und der sich im Passivum divinum verhüllenden Sündenvergebung durch Gott. Andererseits stehen eben beide Vorgänge parallel und bilden ein Hendiadyoin: Es geht um zwei Aspekte eines einheitlichen Vor‐ gangs, wobei der eine den irdischen, sichtbaren Vorgang und der andere den darin enthaltenen, bzw. darin bezeichneten, himmlischen benennt. 214 Da CD 14,19 vom Gesalbten, also von dem durch Gott legitimierten endzeitlichen Heil‐ bringer spricht, kann sich die Aussage auf das erste Glied beschränken: Durch den Gesalbten sühnt Gott für ihre Sünde. TLevi 18,9 ist locus classicus für die Rückführung des Motivs der Sünden‐ vergebung auf den messianischen Hohenpriester. Hier wird eine ähnliche Sum‐ maraussage über das Aufhören der Sünde gemacht wie in CD 14,19: „Unter seinem Priestertum wird die Sünde aufhören.“ Die Sündlosigkeit der messiani‐ schen Zeit beginnt mit dem Amtsantritt des hochpriesterlichen Messias. Hierin liegt zunächst die eschatologische Erfüllung des priesterlichen Ideals, wonach der Priester durch seine offenbarende Lehre viele von Sünden zurückhält (Mal 2,6). Dadurch, dass die Sünde aber ganz aufhört, und durch den Vorspann, der deutlich macht, dass sich im messianischen Hohenpriester die Intimität des zum Thron Gottes zugelassenen ךאלמ-Priesters verwirklicht, ist klar, dass durch sein Wirken Gott die Sünde wegnimmt. Der kultische Vorgang der parallel gedachten Entsühnung und Sündenvergebung ist hier in die einheitliche Dimension der eschatologischen Verklärung von Himmel und Erde eingegangen. Gott bringt durch den eschatologischen Hohenpriester eine neue Schöpfung hervor, die durch ein Überwundensein der Sünde(nmacht) gekennzeichnet ist: Sündenver‐ gebung ist nun nicht mehr nötig. Was TLevi 18,9 umschreibt, ist also nicht we‐ niger als Sündenvergebung, sondern mehr: Gott schafft durch ihn einen sünd‐ losen, eschatologischen Zustand. Der Text erlaubt es nicht, das Wirken des eschatologischen Hohenpriesters isoliert von diesem Gesamtzusammenhang, etwa als Sündenvergebung durch den Priestermessias, zu beschreiben; dies je‐ doch nicht, weil hier weniger geschieht, sondern umgekehrt, weil hier Grund‐ sätzlicheres umschrieben wird. 305 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 215 Vgl. M. de Jonge/ A.S. van der Woude, 11QMelch and the New Testament, NTS, 12 (1965/ 66), 301-326; Text und Übersetzung hier 302f. 216 Vgl. P. Garnet, a. a. O., 107f. 217 Vgl. B. Janowski, Sündenvergebung ‚um Hiobs willen‘, ZNW, 73 (1982), 277. 218 L’eschatologie des Testaments des Douze Patriarches, 1977, 17. TLevi 18 ist die hochpriesterliche Gestalt, stärker als in CD 14,19 der Gesalbte aus Aaron und Israel, geprägt durch den mythologischen Rahmen der vom Himmel ausgehenden Verwandlung in die neue Ordnung der Schöpfung. Noch stärker ‚oben‘ setzt 11QMelch 215 an: Am Ende des 10. Erlassjahres, zur Zeit des Versöhnungstages, beginnt die eschatologische Erlösung. Sie bedeutet Rückkehr aus dem Exil (4), den Sieg Melchisedeks und seiner Himmlischen über die englisch-dämonischen Urheber der Sünde um Beliar (13 f.), wodurch Mel‐ chisedek himmlischer König wird (16,24). Da diese umfassende, eschatologische Befreiung von den kultischen Einrichtungen des Erlassjahres und des Versöh‐ nungstages ausgeht, ist nicht verwunderlich, dass das Wirken des Melchisedek in 8 mit dem Verbum רפכ umschrieben wird: „… to make atonement therein for all children (of light)“. Umstritten ist, ob Melchisedek oder der große Versöh‐ nungstag grammatisches Subjekt in Z. 8 ist. 216 Da das ‚Los Melchisedeks‘ als Objekt der Entsühnung am Ende des Satzes begegnet, ist unwahrscheinlich, dass als Subjekt am Anfang des Satzes ebenfalls Melchisedek stand. 217 Sachlich ist zwischen beiden Möglichkeiten jedoch kaum ein Unterschied auszumachen: Die eschatologische Erlösung bedeutet eine Entsühnung der Kinder des Lichtes durch eine letzte, eschatologische Steigerung der kultischen Möglichkeiten, die Gott gestiftet hat. Melchisedek ist Entsühner, insofern er den Versöhnungstag durchführt. Die besondere Bedeutung des Versöhnungstag-Ritus prägt auch die hinter TLevi stehende ältere Levi-Tradition. Hs e zu TL 5,2 wird die Aufgabe Levis umschrieben: καὶ ἐξιλάσκεσθαι σὺ ἐπὶ ταῖς ἀγνοίαις τῆς γῆς. Hierin liegt ein deutlicher Anklang an das ἐξιλάσκεσθαι aus Lev 16,6.10.16.18.20.24.30.32-34. Hultgård, der diese LA für ursprünglich hält, sieht in Lev 16 den wesentlichen Anknüpfungspunkt für die Levi-Tradition: „La promesse de l’Apocryphe de Lévi est un excellent résumé du Thème rituel du Yom hakkippurim.“ 218 Auch hier wird das Ineinander von Entsühnung und Sündenvergebung durch Gott vorausgesetzt sein. Das Buch der Wächter (1Hen 6-36) kennt ebenfalls die Konzeption der Entsühnung, bei der der Ritus des großen Versöhnungstags in die Dimension des himmlischen Hintergrundes projeziert ist: Da die Sünde und das die schöp‐ fungsmäßige Ordnung störende Unheil durch die gefallenen Engel in die Welt kam, wird das Heil nur durch eine Bindung der die Sünde hervorbringenden 306 A) Beelzebul und Menschensohn 219 Ausgabe Knibb, II, 87f. 220 Vgl. P.D. Hanson, Rebellion in Heaven, Azazel, and euhemeristic Heroes in 1 Enoch 6-11, in: JBL, 96 (1977), 195-233, hier bes. 222; anders C.W.E. Nickelsburg, Apocalyptic and Myth in I Enoch 6-11, in: JBL, 96 (1977), 383-405, bes. 401-404: Nicht Lev 16 in der Interpretation von Ps.-J. sei Quelle für 1Hen 6-11, sondern der Targumist lese Lev 16 im Lichte von 1Hen 6-11. Engel möglich. Wie in 11QMelch wird die Symbolik des Versöhnungstages als himmlisch-kosmisches Ereignis gedeutet: “And further the Lord said to Raphael: ‘Bind Azazel by his hands and his feet, and throw him into the darkness. And split open the desert which is in Dudael, and throw him there. And throw on him jagged and sharp stones, and cover him with darkness; and let him stay there for ever, and cover his face, that he may not see light, and that on the great day of judgment he may be hurled into the fire. And restore the earth which the angels have ruined and announce the restoration of the earth, for I shall restore the earth, so that not all the sons of men shall be destroyed through the mystery of everything which the watchers made known and taught to their sons. And the whole earth has been ruined by the teaching of the works of Azazel, and against him write down all sins.’” 219 Raphael ist hier im Auftrag Gottes himmlischer Hoherpriester des großen Versöhnungstages, mit dem die Sündenmacht der gefallenen Engel von der Schöpfung fortgenommen wird. 220 Die genannten Texte zeigen, dass in der priesterlichen Apokalyptik der end‐ zeitliche Heilbringer mit einer an der kultischen Symbolik sich orientierenden Entsühnung verbunden war. Es handelt sich um einen Gesamtzusammenhang, der letztlich von Gott ausgeht. Die Beziehung von himmlischer Sünden-Verge‐ bung Gottes und irdisch-(end)geschichtlicher Entsühnung wird nicht mehr wie in der חלסנ \ רפכ -Formel aufgelöst, sondern wird hineingenommen in eine ge‐ steigerte, eschatologische Einheitlichkeit des Vorgangs. Treffen diese Bemerkungen über den priesterlich-apokalyptischen Heils‐ bringer auch den Menschensohn? Nach Dan 7,13f.18 ist der Menschensohn himmlischer Haltepunkt für das Geschick der Heiligen des Höchsten. Das wahre Gottesvolk, welches er himmlisch repräsentiert und heilsgeschichtlich initiiert, ist qua definitionem das der kultapokalyptischen Erwartung entsprechende, geheiligte Volk, welches in die Nähe der Heiligkeit Gottes treten kann. Der Men‐ schensohn ist also bezogen auf ein der Sünde enthobenes, heiliges Gottesvolk. Die himmlisch-eschatologische Betrachtungsweise, in der der Menschensohn eingeführt wird, lässt eine heilsgeschichtliche Zergliederung nicht zu. Die Vollmacht, die dem Menschensohn gegeben wird, impliziert eine Entsühnung des Volkes, ohne die es nicht zum Volk der Heiligen des Höchsten werden kann. 307 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 221 Komm., I, 101. Dieser Grundgedanke wird in Dan 9,14-24 im Rahmen eines deuterono‐ mistischen Geschichtsüberblicks entfaltet: Daniel deutet das gegenwärtige Unglück, und damit das Ausbleiben der Herrschaftsübergabe an die Heiligen des Höchsten, als Folge der Sünde, die noch auf dem Volk lastet. Es ist noch nicht zur eschatologischen Gestalt der Schar der Heiligen des Höchsten geworden. Dies kann nur geschehen durch die vergebende und entsühnende Gnade Gottes (9,9.16-19). Die eschatologische Wende tritt dann ein, wenn Gott die Schuld als gesühnt ansieht; dies ist kausal-final verbunden mit der Errichtung einer neuen, eschatologischen Kultordnung (9,24). In dieser Deuteschicht, die um die Aufhebung des Greuels der Verwüstung als Durchbruch zur neuen, eschatolo‐ gischen Kultordnung kreist, spielt die irdisch-himmlische Verbindungsfunktion des Tempels eine eigene Rolle. Unter dem Vorgehen gegen den Tempel hat auch der himmlische Fürst des Heeres, der der Herr ist über die himmlische Wohnung des Heiligtums, zu leiden (8,11). Nach 12,1f. ist es Michael, der große Engelfürst, der für sein Volk eintritt, so dass es errettet wird. Der mit der Herrschaftsübergabe an den Menschensohn angedeutete Endzustand wird in dieser späteren Deutung heilsgeschichtlich, kultisch und angelologisch ausgestaltet. Der ‚Menschensohn‘ klingt im kultischen und interzessorischen Handeln des Michael an, ohne dass eine einfache Identifikation erfolgt. Jedenfalls impliziert die Herrschaftsübergabe an den Menschensohn die Konstituierung eines heiligen, und d. h. entsühnten, sündlosen Gottesvolkes. Die von Gnilka erneuerte These: „Nirgendwo in der apokalyptischen Literatur des Judentums, wo die Menschensohngestalt beheimatet ist, wird ihr die Sün‐ denvergebung zugeschrieben …“ 221 beschreibt allenfalls die Sicht einer engen, rein philologischen Betrachtung, die aber sachliche und gattungsgeschichtliche Fragen außer Acht lässt. Sachlich scheitert sie bereits an Dan 7; auch dort, wo die Levi- und Melchisedek-Traditionen in mythologische Objektivität umschlagen, berühren sie sich mit der Menschensohn-Tradition und markieren deren auf die Überwindung der Sünde zielende Aufgaben. Dass der Menschensohn mit der Überwindung der Sünde zu tun hat, zeigt auch ein Blick auf die Traditionsschichten des 1Hen. Auf der Grundschicht von 1Hen 6-11, die die Entstehung der Sünde durch Engelfall erklärt und die Überwindung durch kultische Restituierung, insbeson‐ dere durch eine apokalyptische Deutung des Versöhnungs-Ritus, angeht, baut der Zusammenhang von der Interzession des Henoch 1Hen 12-14 auf. Die Sünde liegt auf den gefallenen Engel, so dass sie keine Beziehung mehr zum Himmel haben. Henoch verfasst eine Bitt- und Flehschrift, damit ihnen Vergebung und 308 A) Beelzebul und Menschensohn 222 Vgl. o.S. 297. Nachsicht zu Teil würde. Henoch liest diese Bittschrift vor, schläft dabei ein und erfährt im Traum, dass das himmlische Strafgericht über die gefallenen Engel unumstößlich beschlossen ist. Innerhalb der merkaba-artigen Vision in Kap 14 teilt Gott dem vor seinem Thron stehenden Henoch mit, warum es keine Gnade für die gefallenen Engel gibt: Der Fall der Engel bedeutet eine derartige Störung der Schöpfungsordnung, dass der Zustand quo ante nicht einfach wiederhergestellt werden kann. Eigentlich sollten die Himmlischen für die Menschen bitten - nun ist es umgekehrt; eigentlich sollten die Himmlischen ewig leben, nun haben sie sich ‚mit Weibern befleckt‘ und ‚ungeordnete Biester‘ zur Existenz gebracht, die als böse Geister ihr Unwesen auf Erden treiben. Die Wächter als Erzeuger der Dämonen werden keinen Frieden haben, aber die endgültige Vernichtung der Dämonen wird erst im Endgericht stattfinden (16,1). Die Interzession des Henoch spielt gleichsam die Möglichkeit durch, zu einer Er‐ lösung von der Sünde durch einfache Rückkehr zur alten Schöpfungsordnung zu kommen. Der Zusammenhang will sagen: So ist die Sünde nicht zu überwinden; vielmehr bedarf es dazu eines neuen Ansatzes auf einer neuen Ebene. Das Wächterbuch entfaltet diesen Umschwung durch Hinweis auf die himmlische Ordnung, die heilvoll bleibt, in der das endzeitliche Gericht vorbereitet und von der aus die endzeitliche Zion-Verklärung sich realisieren wird. 222 Erst die späteren Bilderreden entfalten den Umschwung so, dass die Verklä‐ rung einhergeht mit der Herrschaft eines ‚Auserwählten‘: der Auserwählte thront inmitten der gewandelten Schöpfung, die zu einem ganz neuen Bereich göttlichen Segens wird. „Die, welche Sünde und Missetat begangen haben, sollen sie nicht betreten.“ (45,5). Die neue Schöpfung wird also sündlos sein; dies jedoch nicht dadurch, dass eine Entsühnung stattfindet, sondern so, dass die Sünde eo ipso ausgeschlossen wird. Nach Kap. 46 ist der Menschensohn, der in Anlehnung an die Szene von Dan 7 eingeführt wird, der Vollstrecker der Scheidung zwischen Gerechten und Ungerechten, vgl. 62,2. Kap. 48 beschreibt jenen himmlisch-präsenten, eschatologischen Ort, an dem die sind, die bei den Gerechten, Heiligen und Auserwählten wohnen. Sie trinken aus Brunnen der Gerechtigkeit und Brunnen der Weisheit. Diese himmlische Seinsweise in verliehener Weisheit und Gerechtigkeit ist verbunden mit der Erwähnung des Menschensohnes, der vor der Trennung in Licht und Finsternis vor Gott genannt wurde. Dieser mit dem Uranfang der Schöpfung verbundene Menschensohn bewahrt das Geschick der Gerechten und Heiligen. Für die Völker bedeutet er Erfüllung der Zionshoffnung: Er ist ihr Licht. Die verfolgten Gerechten wissen durch die Offenbarung der Weisheit jetzt schon darum, dass 309 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker die Existenz des Menschensohnes für sie heilvoll ist: Er wird der Richter und Rächer sein. Hier ist vom Menschensohn nicht ausdrücklich gesagt, dass er Sünden vergibt; jedoch ist seine Zugehörigkeit zur heiligen Thronwelt Gottes Zeichen dafür, dass die Gerechten sich aus den himmlischen Brunnen der Gerechtigkeit und Weisheit werden engelähnlich (vgl. 51,4f.) ernähren dürfen. Sie bekommen die Qualität himmlischer Heiligkeit durch die Herrschaft des Menschensohnes gewährt. Eo ipso ist also der Menschensohn mit einer Seinsform jenseits der Sünde verbunden. Das Thema des Wächterbuches, die apokalyptische Deutung des Versöh‐ nungs-Ritus, bestimmt auch die Beschreibung des herrscherlichen Richteramtes des Menschensohnes in 1Hen 54,5-55,4. Der Menschensohn nimmt die richter‐ liche Vollmacht wahr, die Sündendämonen endgültig zu bannen. Auch in Kap. 62 ist die Herrschaft des Menschensohnes mit der Vernichtung der Sünder und aller Ungerechten, umgekehrt mit der Konstituierung der Gemeinde aus Heiligen und Auserwählten verbunden. Die himmlisch-paradiesische Mahlgemeinschaft ist Ziel für das Geschick der Gerechten, während die Sünder ganz weggeschafft werden. Am Ende, vor dem Nachspann der Kapp. 70 f., heißt es in 69,27 summa‐ risch: Der Menschensohn wird in Vollmacht des ihm übergebenen göttlichen Gerichtes die Sünder von der Oberfläche der Erde verschwinden lassen. Darüber führt auch der Henoch-Nachtrag in Kapp. 70 f. nicht hinaus: Der mit dem himmlischen Menschensohn identifizierte Henoch wird mit den himmlischen Gaben des göttlichen Friedens und der göttlichen Gerechtigkeit ausgestattet und so zur Verheißung für die, die auf seinen Wegen der Gerechtigkeit wandeln, dass sie mit ihm Wohnung und Erbteil haben werden. Damit ist deutlich: Die Herrschaft des Menschensohnes bleibt in 1Hen einge‐ bunden in den Fragehorizont der Überwindung der Sünde, welche durch die gefallenen Engel in die Welt gekommen ist; damit ist die apokalyptische Deutung des Versöhnungstages Urmodell eines Durchbruchs zu einer neuen, sündenfreien Schöpfung. Mit dem Menschensohn ist ein Fixpunkt gegeben, der in den Uranfang der Schöpfung und in die eschatologische Neuschöpfung gehört - Bereiche, in denen die Sünde keinen Einfluss hat. Er ist mit himmlischer Gerechtigkeit gesegnet und garantiert so den irdischen Gerechten, dass er ihr Heil bewahrt. Er überwindet die Sünde durch sein Gericht, in dem er die dämonischen Sündenurheber vernichten wird. Das Gericht des Menschensohnes behält den grundlegenden Aspekt der Ver‐ nichtung des Sündenurhebers; das Gericht bleibt in der Perspektive der göttlichen Entsühnung am Versöhnungstag stehen, transponiert diesen aber ins Eschatologi‐ sche. Dem 1Hen entspricht auf alle Fälle eine Aussage, dass der Menschensohn qua Gericht Vollmacht hat, die Sünde zu beseitigen. 310 A) Beelzebul und Menschensohn Die weitere Auswertung des 1Hen stößt an die Schwierigkeit, dass die mythologische Sprache nirgends anthropologisch ausgeformt ist. Dass Henoch mit Gerechtigkeit ausgestattet wird, sie also nicht einfach mitbringt, dass die Gerechten und Heiligen ihre himmlischen Attribute verliehen bekommen, ja, dass der Versöhnungstag-Ritus das Grundmodell der Oberwindung der Sünde angibt, diese Kennzeichen weisen in die gleiche Richtung: Es geht um ein Anteilbekommen an der vom Menschensohn sündlos gemachten neuen Schöp‐ fung. Der erste Eindruck, als spräche in 1Hen eine sektiererische Gemeinde, die den Menschensohn als ideologische Objektivierung ihrer eigenen Gerechtigkeit versteht, muss modifiziert werden. Man weiß offenbar, dass das Wandeln auf dem Weg des Menschensohnes keinen selbstverständlichen Tora-Gehorsam umschreibt, sondern ein Anteilbekommen an seiner Gerechtigkeit bedeutet. Der Menschensohn ist also auch in 1Hen Urheber und Gestalter eines Lebens, das er von der Sünde und den sie tragenden Dämonen befreit hat. In diesem Zusammenhang ist schließlich als deutlichster Beleg für eine Vollmacht zur Sündenvergebung, die eine eschatologische Heilsgestalt wahrnimmt, auf 2Hen 64,4 zu verweisen. Nachdem Henoch von seiner Himmelvision zurückge‐ kommen ist, sein bevorstehendes Hinaufgehen in den höchsten Himmel, in sein ewiges Erbteil, vorausgesagt hat (Kap. 55) und seine Söhne ihn um ein letztes, mit seinem Geschick verbindendes Segensmahl gebeten haben (Kap. 56), spre‐ chen die Ältesten des Volkes nach seiner letzten Mahnrede zu ihm: „Benedeit bist du dem Herrn, dem ewigen König! Und jetzt segne dein Volk und verherr‐ liche uns vor dem Angesicht des Herrn, weil dich der Herr erwählt hat und dich gesetzt hat zu einem, der wegnimmt unsere Sünden.“ (Bonwetsch, 101). In der bei Charles, Apocr., II,467, abgedruckten Fassung A kommt noch deutlicher die Verbindung von Sündenvergebung und himmlischer Verherrlichung und Be‐ vollmächtigung - im Hintergrund steht die Entrückung Henochs - zum Aus‐ druck. Als vor Gott Verherrlichter steht Henoch ja deutlich in der Position des Metatron, ja letztlich in der Rolle des Menschensohnes: „For thou shalt be glo‐ rified before the Lord’s face for all time, since the Lord chose thee, rather than all men on earth, and designated thee writer of all his creation, visible and in‐ visible, and redeemer of the sins of man, and helper of thy household.“ Kahana, Bd. I, 132, übersetzt: ךורב היהת ךונח וניבא ייל ךלמ םלועה התעו הכרב תא ךינב תאו לכ םישנאה ונדבכנו ךינפל םויה יכ תדבכנ ינפל יי םלועל יכ ךב רחב יי לכמ םישנאה לע ץראה ךדימעיו רפוס ויתוירבל תוארנה ןניאשו תוארנ רפכמו תואטח םדא רזועו ינבל ךתיב . Henochs Erhöhung ist hier ganz deutlich verbunden mit seiner ihm von Gott verliehenen Vollmacht, die Menschen zu entsühnen und von ihrer Sünde zu befreien. Henoch als himmlischer Interzessor hat die Vollmacht, Sünden zu vergeben. 311 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 223 S. o.S. 297. 224 Vgl. o.S. 183ff. 225 Vgl. R. Meyer, Das Gebet des Nabonid. Eine in den Qumran-Handschriften wiederent‐ deckte Weisheitserzählung, Berlin 1962. Wir halten fest, dass das priesterlich-apokalyptische Judentum, aber auch die hinter PsSal und TgJes 53 stehenden Kreise, um eine eschatologische, kultische Neuordnung Israels wussten, die Gott durch den Messias oder einen engelartigen, himmlischen Heilsbringer herbeiführt. Dazu gehört in erster Linie die Schaffung eines heiligen Volkes, das entsühnt und sündlos vor Gott stehen kann, weil die eschatologische Kultordnung diese besondere Kraft zur Mittlung der Heiligkeit Gottes hat. Wenn man sachlich unhaltbare Aussagen, wie der Messias vergebe „Sünde aus eigener Machtvollkommenheit“ 223 meidet, kann man umso deutlicher feststellen, dass die Entsühnung und Sündenvergebung Ziel des Handelns Gottes durch den eschatologischen Heilsbringer ist. Der Menschensohn steht seit Dan, deutlich aber auch in 1Hen in einer traditionsge‐ schichtlichen, sachlichen Nähe zur Frage der Entsühnung Israels. Besondere Bedeutung kommt dabei offenbar die Erwartung eines neuen, in Vollmacht durchgeführten Versöhnungstages zu. Wir können uns nun wieder Mk 2,1-12 zuwenden: Mk 2,10 ist nach allem nicht Ausdruck gemeindlicher Dogmatik und künst‐ licher Anreicherung der Menschensohn-Tradition durch das Thema ‚Sünden‐ vergebung‘, sondern traditionsgeschichtlich angemessene Zuspitzung, die die Vollmacht des Menschensohnes auf das göttliche Privileg der Sündenvergebung ausdehnt und diese an das charismatische Wirken Jesu bindet. Diese Einheit von (1.) charismatischem Eingreifen in den himmlischen, göttlichen Bereich der Schöpfung und (2.) einer Vollmacht-Aussage kennzeichnet die charismatische Sohnes-Tradition des Judentums. 224 Im vorliegenden Zusammenhang Mk 2,1-12 begegnet jedoch der ‚Menschensohn‘. Dies ist so zu erklären, dass der Menschen‐ sohn mit dem Vorgang einer Sündenvergebung, die über die Möglichkeiten des bestehenden Tempels hinausgeht, traditionsgeschichtlich verbunden war. Im ‚Menschensohn‘ liegt eine Beziehung zum himmlisch-eschatologischen Hohen‐ priester, wie der Vergleich vor allem mit 11QMelch und der Levi-Tradition zeigt. Das Nebeneinander von (1.) charismatischem Akt der Sündenvergebung im Pas‐ sivum divinum und (2.) dem expliziten Anspruch auf Menschensohn-Vollmacht markiert also nicht zwei Traditionsetappen, sondern zwei Stufen des gleichen Vorgangs: Der Charismatiker enthüllt eine weitere Schicht seines Geheimnisses. Wir haben bisher einen Text ausgespart, der am ehesten an die Probleme des charismatisch sündenvergebenden Jesus heranführt, 4QOrNab. 225 Dieser sehr 312 A) Beelzebul und Menschensohn 226 Vgl. R. Meyer, a. a. O., 105-107. 227 Vgl. den Überblick bei B. Janowski, ZNW,73 (1982), 268-273. 228 Vgl. Janowski, a. a. O., 271f. 229 Vgl. R. Meyer, a. a. O., 24, H.P. Müller, Mantische Weisheit und Apokalyptik, in: VT S., 22 (1972), 268-293, hier 276; Janowski, a. a. O., 272. 230 A.a.O., 38. 231 A.a.O., 277f. 232 Müller, a. a. O., 283f. fragmentarisch erhaltene, vermutlich früh-nachexilische 226 Text berichtet vom babylonischen König Nabonid; dieser litt an einem Geschwür, gegen das seine heidnischen Götter machtlos waren. Erst ein jüdischer Mantiker (רזג) klärt den Hintergrund der Lage des Königs auf, „indem er schrieb, man solle erweisen Ehre und gr(oßen Ruhm) dem Namen des (höchsten) Go(ttes …).“ Im Zusam‐ menhang mit dieser Aufklärung durch den jüdischen Seher ist zuvor davon die Rede, dass dem kranken König seine Sünden vergeben wurden (קבש). Die Bestimmung des näheren Zusammenhangs von Beendigung der Krank‐ heit, Sündenvergebung und Wirken des ג ז ר ist durch den fragmentarischen Zu‐ stand des Textes sehr erschwert. Da die Frage der syntaktischen Zuordnung von ג ז ר und ש ב ק kaum zu beantworten ist, 227 ist es am sinnvollsten, nach der Bedeu‐ tung von ג ז ר zu fragen. Da die jüdischen Belege, die in die Richtung von ‚be‐ schwören‘ zu gehen scheinen, 228 die Form ג ז ר ע ל voraussetzen, ist es sinnvoller, die absolute, substantivische Verwendung mit Dan 2,27; 4,4; 5,7.21 in Verbindung zu bringen. Hier begegnet das Wort in der Bedeutung ‚Wahrsager, Seher, Mantiker, Schicksalsbestimmer.‘ 229 Was hat nun ein Mantiker im Kontext von Krankenheilung und Sündenver‐ gebung zu tun? R. Meyer schreibt: „Danach wird der Erlösungsvorgang dadurch eingeleitet, dass ein jüdischer Seher eingreift, dessen Name - obwohl an dieser Stelle eigentlich fällig - nicht genannt wird. Er erscheint gleichsam als der zweite Schauspieler in der Handlung; als Vertreter der wahren Gotteserkenntnis weiß er Bescheid über die inneren Voraussetzungen, um Urheber und Ursache des nach antikem Denken von himmlischen Mächten verhängten Leidens, und damit verfügt er zugleich über die Mittel der Rettung.“ 230 Der Textteil 8, Z. 1 erwähnt einen Traum des Nabonid. Dies passt vorzüglich zur Verwendung von ג ז ר in Dan, wo diese besonderen Weisen ihre Fähigkeit zur Traumdeutung zeigen müssen. H.P. Müller deutet den ג ז ר deshalb als Schicksals‐ bestimmer, der das Geheime kundtut, was sich in diesem Fall als Deutung eines Traumes vollzieht. 231 Der charismatisch befähigte ג ז ר 232 entnahm dem ihm ver‐ mutlich brieflich mitgeteilten Traum des Nabonid einen göttlichen Hinweis auf die Schicksalswende des Königs. Zu dieser Schicksalsdeutung aufgrund des Traumes gehört die Vermittlung der Erkenntnis, dass dem König vom höchsten 313 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 233 Vgl. P. Grelot, La prière de Nabonide (4QOrNab), in: RQ 9 (1977/ 78), 483-495, hier 494. 234 Vgl. H.-P. Müller, a. a. O., 271 mit Anm. 4, 273, 274 mit Anm. 2; ders., Magisch-mantische Weisheit und die Gestalt Daniels, in: UF, 1 (1969), 79-94, bes. 84 f.; allgemeiner G. van der Leeuw, Phänomenologie der Religion, 956 2 , 429. 235 Vgl. B. Janowski, Sündenvergebung ‚um Hiobs willen‘, a. a. O., 253 und passim. 236 Vgl. H.-P. Müller, VT S., 22 (1972), 290f. 237 Vgl. Müller, ebd., 271f.275, Anm. 1. 238 Vgl. Müller, UF, 1 (1969), 89-94. Gott die Sünde vergeben worden ist. Es reicht also wohl nicht aus, in dem ג ז ר nur den Mahnsprecher an den König zu sehen, der die Aufforderung bringt, sich zur wahren Gotteserkenntnis zu bekehren; 233 vielmehr ist der ג ז ר Mittler des Schick‐ salsumschwungs, der die im Traum nach der irdischen Welt ausgreifende himm‐ lische Realität vollends zur irdischen Wirklichkeit macht, die das Geschick des Königs bestimmt. Die göttliche Wirklichkeit, einschließlich Heilung und Sünden‐ vergebung, deckt der Schicksalsbestimmer dem Nabonid auf und macht sie ihm so - dies entspricht der ‚magischen‘ Komponente dieser archaischen Mantik 234 - zur ihn erfassenden Wirklichkeit. Der Schicksalsbestimmer spricht also weder Sündenvergebung zu, noch ist er Agent des Handelns Gottes an Nabonid; er bleibt vielmehr an das Medium des Traumes gebunden, mit dem er freilich charisma‐ tisch umzugehen weiß. Er ist der Enthüller und damit in einem abgeleiteten Sinne der Realisierer der himmlischen Wirklichkeit, insofern er beide durch den Traum verbundenen Wirklichkeitsebenen ‚richtig‘ aufeinander bezieht. Damit werden wir vor die eigentlichen Fragen von Mk 2,5.10 gestellt: Wenn Jesus charismatisch Gottes Vergebung zuspricht, so liegt darin keine eigene Machtvollkommenheit, sondern das besondere Wissen und die Ermächtigung, so handeln zu dürfen. Deutlich ist, dass Jesu charismatische Vollmacht nach der Evangeliums-Überlieferung nicht technisch abgesichert ist. Auch eine In‐ terzession vor Gott, welche sonst Medium der für andere erlangten, göttlichen Sündenvergebung sein kann, 235 ist nicht erwähnt. An den Hintergrund der Vollmacht Jesu führt nur der Menschensohn-Spruch heran. Auffällig ist aber, dass mit 4QOrNab ein jüdischer Text spätestens des 2. vor‐ christlichen Jahrhunderts sichtbar wird, der Zeuge ist für die anti-hellenistische Repristinierung archaischer, mantischer Praktik. 236 Diese steht von Haus aus re‐ ligionsgeschichtlich in Beziehung zu bestimmten priesterlichen Funktionen. 237 Falls 4QOrNab relativ verwandt mit dem in Mk 2 geschilderten Vorgang ist, dann zeigt sich, dass mit Jesu Charisma sich archaischer Kult- und Priesteranspruch gegen den offiziellen Jerusalemer Kult wendet. Wir sind in der Choni-/ Habakuk- und in der Mose-Tradition auf ähnliche archaisierende, kultprophetische Züge gestoßen. Wie der danielische ‚Menschensohn‘ und Daniel als Held, 238 so bedeuten auch diese mantischen Züge der frühen Apokalyptik einen Rückgriff 314 A) Beelzebul und Menschensohn 239 Vgl. Lev 14,3 und dazu M. Noth, Das dritte Buch Mose. Leviticus, Göttingen 1962 (ATD 6), 89: „Die Frage einer etwa möglichen Therapie zur Heilung der Krankheit fiel dabei ganz aus dem Gesichtskreis des priesterlichen Berufswissens heraus …“, vgl. auch 91. 240 Joseph, die neben Daniel deutlichste biblische Gestalt des Typs ‚magisch-mantischer Weiser‘, ist selbst Träumer, vgl. H.-P. Müller, UF, 1 (1969), 85 f.; VT S., 22 (1972),274f. 283-285. Das Dan.-Buch kennt eine Steigerung: der Deuter fremder Träume empfängt selbst Traumvisionen, die durch unmittelbare himmlische Deutung autorisiert werden. Der himmlische Deuteengel entsteht aus der Suche des magisch-mantischen Weisen nach einem himmlischen Pendant, in dem er sublimiert erscheint. 241 Vgl. Mk 1,35.45; auch 6,46 und 14,32-42 greifen auf diese alte charismatische Gebets‐ schicht zurück. 242 Vgl. Mk 1,10. auf ältere religionsgeschichtliche Zusammenhänge, die der offizielle Kult so nicht bewahren konnte. Das Schweigen der Priesterschaft zur Frage, wer den von Unreinheit und Krankheit Befallenen wieder heilt, 239 weist auf diese durch den Kult belassene Lücke für mantisch-magisches Vorgehen. Können wir diese charismatische Schicht, die aus Mk 2,5 grundsätzlich spricht, näher bestimmen? Der Typ des mantisch-magischen Charismatikers, zu dem der ג ז ר von 4QOrNab gehört, hat über das Medium des Traumes, den er entweder selbst träumt 240 oder der ihm durch den Bittsteller vorgegeben ist, Kontakt zum himmlischen Hinter‐ grund der irdischen Wirklichkeit. Seine Weisheit besteht darin, dass er sich ‚dort‘ auskennt und die himmlischen Prozesse mit der irdischen Wirklichkeit verbinden kann. Chanina ben Dosa bezeugt das Medium des ekstatischen Gebetes, mit dem er die beiden Wirklichkeitsebenen aneinanderbindet. Bei Choni ist der Akt der Gottesbegegnung in direkter, theurgischer Weise hergestellt. Die priesterlich-apo‐ kalyptische Tradition weiß um das Geheimnis des Tretens vor den himmlischen Thron Gottes, aus welchem interzessorische Vollmacht erwächst. In allen Fällen geht es darum, irdische und himmlische Welt, Vordergründiges und Hintergrün‐ diges zusammenzubringen. Immer ist eine heilvolle Vollmacht gemeint, die in einem latenten oder akuten eschatologischen Licht steht. Die Medien von Traum, Gebet und Ekstase, Himmelsreise oder theurgischer Gestik sind in der uns vorliegenden Jesus-Tradition nicht betont. Jesus als Träumender oder als Traumdeuter begegnet nirgends im NT. Auffällig ist allerdings der Rückzug zum Gebet in die einsamen Orte. 241 Das Visionselement begegnet im Zusammenhang der Taufe 242 , vielleicht auch der Verklärung; auch Mt 11,25-27 blickt auf eine himmlische Begebenheit zurück, in die Jesus hineingenommen wurde. Die beständige Beziehung zum Vater im Himmel ( Joh 11, 42) liegt als Geheimnis auch hinter Mk 2,5. Dass Jesus religionsgeschichtlich zum charismatischen Judentum, zum Typ des mantisch-magischen Weisen 315 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 243 Vgl. K. Berger, Jubiläen-Buch ( JShrZ II/ 3), 298. 244 Vgl. H.-P. Müller, VT S., 22 (1972), 290-292. gehört, spricht aus Mk 1,27: Die Lehre Jesu besteht in seiner Vollmacht, Geistern befehlen zu können. Die Weisheit seiner Lehre besteht in einem Wissen und Verfügen über die himmlische Hintergrundebene der irdischen Schöpfung. Dieser charismatische, mantisch-magische Ansatz scheint im nachexilischen Judentum im anti-hellenistischen Sinne zu einer Repristinierung priesterlichen Denkens geführt zu haben. 243 Es handelt sich um eine Art Atavismus, 244 d. h. um eine freie Aufnahme urtümlicher Formen ehemals vor allem kultcharisma‐ tischer und kultekstatischer Fähigkeiten. Diese hatte der ‚offizielle‘, stärker der Hellenisierung offene, Kult abgelegt. Chonis Rückbindung an Habakuk, das Bild von Mose als kultekstatischem Propheten, die Aufnahme mantisch-magischer Fähigkeiten in der frühen Apokalyptik, die Rückbindung des Kultes an die Urzeit in bestimmten Priesterkreisen, die Aufnahme uralter kanaanäischer Mythologien - dies sind Zeichen einer tiefere Wurzeln suchenden Zeit. Die eschatologische Intensivierung der Wirklichkeitsempfindung ist offenbar nur über diesen Rückgriff auf charismatische, mantisch-magische Möglich‐ keiten der Kontaktherstellung mit der himmlischen Welt möglich gewesen. Der Menschensohn ist dabei archaisches Symbol für die Heraufführung einer kultisch-eschatologischen Beziehung von himmlischer und irdischer Welt, in der die Heiligen des Höchsten, die Gerechten und Entsühnten mit Gottes Hei‐ ligkeit direkt zu tun haben dürfen. Diese himmlisch-mythologische Gestalt für die irdische Wirklichkeit eschatologisch-qualifizierend ‚einsetzen‘ zu können, entspricht dem mantisch-magischen Zug der Daniel- und Henoch-Tradition. Auch der Verweis des Täufers auf den Stärkeren, der ja doch irgendwie nach der und durch die Taufe des Täufers erst kommen kann, gehört in diese charisma‐ tische Verdichtung des Verhältnisses von Himmel und Erde. Dies führt zu der Vermutung, dass Jesu charismatische Beziehung zum Himmel durch den Täufer konzentriert wurde auf die Realisierung des Menschensohn-Anspruchs: Jesu besondere charismatische Möglichkeit besteht darin, die himmlische Vollen‐ dungsgestalt mit der irdischen Wirklichkeit zu verbinden. Die Konzentrierung auf den Menschensohn in 2,10 bedeutet dann nicht eine Rückweisung überhaupt von charismatischer Bindung an den himmlischen Schöpfungshintergrund (2,5), sondern die letzte Intensivierung im Bereich der Täufer-Bewegung. Gottes eschatologische Sündenvergebung kommt durch Jesu charismatische Bindung an die himmlische Welt, die zur Aussage der Vollmacht des himmlischen Menschensohnes im irdischen Jesus sich steigert, zur Wirklichkeit. Der Men‐ schensohn ist im priesterlich-apokalyptischen Judentum die Gestalt, welche 316 A) Beelzebul und Menschensohn 245 Vgl. dazu unten S. 338ff. 246 Vgl. E. Lohse, Art. ‚Σάββατον‘ in: ThWNT, VII, 1-35, bes. 8 ff.; ders., Jesu Worte über den Sabbat, in: W. Eltester (Hrsg.), Judentum, Urchristentum, Kirche, FS J. Jeremias, 1964 2 (BZNW 26), 80-89; A.J. Heschel, The Sabbath. Its meaning for modern man, in: ders., The Earth ist the Lord’s and The Sabbath, 1963, 18f.31f. passim. 247 Vgl. E. Lohse, ThWNT, a. a. O., 9f. 248 Weder das David-Beispiel noch V 27 und 28 sind halachisch eindeutig im Sinne einer Aufgabe der Sabbat-Observanz zu verstehen, vgl. Kuhn, Sammlungen, 76 f.; Gnilka Komm. I 123; Pesch, Komm. I, 186. 249 Zu den verschiedenen Rekonstruktionsversuchen vgl. F. Neyrinck, Jesus and the Sabbath, in: Jésus aux origines de la Christologie, 1975, 227-270. 250 Vgl. J. Jeremias, Die Gleichnisse Jesu, 1965 5 , 10; vorsichtiger Pesch; Komm. I, 184: „… darf man nicht durchweg für mk-redaktionell erklären; sie ist auch vormarkinische Reihungsformel für Spruchgut.“ den Anspruch des Kultes auf heilsame Verbindung zwischen dem Himmel und einer entsühnten, sündlosen, gottgefälligen irdischen Welt eschatologisch dynamisiert. Wenn Jesus mit dem Menschensohn also nicht einfach über das Bibelstudium zusammengekommen ist, sondern die Rede vom Menschensohn beim Täufer in seine charismatisch intensivierte, eschatologisch-dynamisierte Weltsicht gehört, dann entsteht die Frage, wie Jesus im Bereich dieses charismatischen Vermögens die Vollmacht des Menschensohnes für sich beanspruchen konnte. 245 Mk 2,28 Der Sabbat gehört zur kultischen Grundordnung des nachexilischen Judentums. Er ist Ausdruck einer Himmel und Erde umspannenden, kosmischen Zeitord‐ nung, an der Israel teilhat. Teilhabe an dieser durch Schöpfungsordnung und Gebot vorgegebenen transzendenten Zeit bedeutet Empfangen einer himmli‐ schen Segensgabe. 246 Dieser Grundzug eines Verständnisses des Sabbat als Heilsgröße prägt die priesterliche Apokalyptik des Judentums (CD 12-14; Jub 2), den Pharisaismus und die Sadduzäer. 247 Exegetisch entscheidend ist die Beobachtung, dass die Überlieferung nicht auf die Frage antwortet: ‚soll man den Sabbat halten oder nicht‘, sondern christologisch orientiert ist und auf die Frage antwortet: ‚wer hat Vollmacht, in die Schöpfungsordnung einzugreifen? ‘ Die Überlieferung ist nicht halachisch, sondern ‚christologisch‘ orientiert. 248 Überlieferungsgeschichtlich haben wir eine uneinheitliche Bildung vor uns: 249 die Einleitung zu V. 27 markiert einen Neueinsatz und trennt zwei parallel laufende Argumentationsgänge. 250 Der erste Durchgang (25 f.) ist hag‐ gadisch-messianisch orientiert, der zweite argumentiert im Rahmen der Schöp‐ 317 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 251 Vgl. J. Roloff, Kerygma und irdischer Jesus, 1970, 58; Pesch, Komm. I, 182; Gnilka, Komm. I, 122. 252 E. Haenchen, Der Weg Jesu, 1968 2 , 121. 253 Komm., 1967 17 , 66. 254 Kultus und Evangelium, 1942, 38: „Jene Freiheit, am Sabbat Ähren zu rupfen, besitzen die Jünger nicht nur aus der Not des Augenblicks heraus, sondern aus der Macht der ‚hochzeitlichen‘ Stunde, durch die sie die Gefährten des Meisters sind. Freilich hat die Frage des Sabbatbruches noch eine andere Seite, die in dem Wort angedeutet ist (Mk 2,27): … Diese Rechtfertigung weist auf die Ordnung hin, die Gott im Weltanfang gab; sie ist darin der Ordnung verwandt, die dem Volke nach einem sehr ähnlichen rabbinischen Wort gegeben worden ist. Aber diese Ordnung aus der Urzeit entspricht auch genau der Endzeit, so dass auch in diesem Wort verwandelt eschatologische Motive wiederkehren. Denn von dem gottgeheiligten Menschen des nahen Endes und von dem gottgeschaffenen Menschen des fernen Anfangs sprechen, ist ohne Zweifel gleichbedeutend.“ 255 Ergänzungsheft, hrsg. von G. Saß, 1967 3 , 9. 256 Vgl. F. Neyrinck, a. a. O., 246-252. fungsordnung und der auf sie bezogenen Vollmacht des Menschensohnes. Dabei ist im Einzelnen der Zusammenhang von 27 und 28 nochmals umstritten. Der haggadische Schriftbeweis ist nicht auf eine präzise halachische Frage zu bringen, vielmehr wird christologisch betont: David, der Typus des Messias, nahm sich eine Freiheit heraus, die Jesus in der gegenwärtigen, eschatologischen Erfüllungszeit umso mehr für sich beansprucht. 251 V. 27 verführt leicht zu einer anthropologischen Auslegung im modernen Sinn: „Jesus aber sieht Gott als den gütigen Vater, der seine Ordnung um der Menschen willen schafft, um dem Menschen zu helfen, und nicht um ihn einzuengen und zu belästigen. Darum ist wirklich der Mensch Herr über den Sabbat: Er darf die Sabbatordnung übertreten, wenn sie sich zu seinem Schaden statt zu seinem Nutzen auswirkt.“ 252 Noch auffälliger schreibt Lohmeyer: Be‐ zugspunkt der Sabbatordnung ist „… der Mensch in seiner Einsamkeit und Freiheit vor Gott.“ 253 Lohmeyer markiert aber selbst die Abkehr von solch moderner Eintragung. Diese Abkehr steht offenbar in Zusammenhang seiner Beschäftigung mit dem Thema Kultus und Evangelium. Hier lehnt er eine ethische und anthropologische Deutung entschieden ab und betont die Frage nach urzeitlicher und endzeitlicher Schöpfungsordnung; 254 entsprechend trägt auch der Nachtrag zum oben zitierten Satz folgende Änderung: Bezugspunkt der Sabbatordnung ist „‚der Mensch‘ in seiner weltanfänglichen Freiheit vor Gott.“ 255 Exegetisch stehen wir vor der Suche nach der Basis für den anthropologisch klingenden Satz 2,27, nach einer Basis, die textgemäß ist und historisch dem Umfeld Jesu entspricht. 256 318 A) Beelzebul und Menschensohn 257 Vgl. syrBar 14,18; 15,7; 21,24; AssMos 1,12; 4 Esr 6,55.59; 8,1.49; 9,13. 258 Vgl. 2 Makk 5,19: „Doch der Herr hat ja die Stätte um des Volkes willen erwählt und nicht das Volk um der Stätte willen.“ Zu Mech Ex 31, 14 par b. Joma 85b vgl. Anm. 262; ferner: T.W. Manson, Mark II 27 f., in: Coniectanea Neotestamentica, XI, in honorem A. Fridrichsen, 1947, 138-146, hier bes. 140-145. 259 Vgl. T.W. Manson, a. a. O., 145: “The general effect of these passages is to strengthen the conviction that Jewish and primitive Christian theology alike have the idea of an elect people for whose sake God’s creative activity, and in particular the institution of the true religion and its rites, is exercised.” 260 Vgl. syrBar 15,7; 21,14f. 261 Vgl. F. Neyrinck, a. a. O., 246-252. 262 Übersetzung nach A. Wünsche, Mechiltha. Ein tannaitischer Midrasch zu Exodus. Erstmalig ins Deutsche übersetzt und erklärt …, Leipzig 1909, 336. 263 II, 5. Das hellenistische Judentum kennt den Satz: ‚Nicht der Mensch ist um der Welt willen geschaffen, sondern die Welt um des Menschen willen.‘ 257 Außer von der ‚Welt‘, begegnet dieser Satz auch noch auf die Größen ‚Tempel‘ und ‚Sabbat‘ bezogen. 258 Die göttlichen Heilsgüter bringt Gott in seine besondere, vorlaufende Beziehung zum Volk mit ein. 259 Es geht nicht um eine an sich offenliegende Erkenntnis von der Freiheit des Menschen der Welt gegenüber, sondern um ein Schöpfungsgeheimnis, das auch eine eschatologische Dimen‐ sion erschließt. 260 Wegen der thematischen Nähe hat man zu Recht immer besonders auf Mech Ex 31,14 hingewiesen: 261 „R. Simeon ben Menasja sagt: ‚… euch ist der Sabbat übergeben, nicht aber seid ihr dem Sabbat übergeben.‘“ Zu wenig beachtet wurde jedoch, dass es zur Begründung zunächst heißt: „Und ihr sollt hüten den Sabbat, denn Heiligkeit ist er euch.“ 262 Billerbeck 263 übersetzt: „denn er ist euch zugute.“ Hierin liegt ein Anstoß, der die Forschung offenbar auf einen verkehrten Weg brachte. Gewiss ist der Midrasch des R. Simeon ben Menasja zunächst an dem Wortlaut orientiert, der das םכל betont. Inhaltlich ist gemeint - und das verdeckt die Übersetzung bei Billerbeck, die Anlass für die anthropologische Deutung sein kann -, dass der Sabbat mit der Heiligkeit Gottes verbindet. Gott hat den Sabbat gegeben, damit Israel an seiner Heiligkeit Anteil haben darf. Von diesem Grundansatz aus wird in der exegetischen Diskussion an der gen. Me‐ chilta-Stelle argumentiert. Es gibt verschiedene Abstufungen in der irdischen Widerspiegelung der Heiligkeit des Himmels: Erfüllung des Beschneidungsge‐ botes verdrängt den Sabbat, weil sie noch stärker als der Sabbat den zu be‐ schneidenden Menschen mit der Heiligkeit Gottes verbindet. Der Opferbetrieb verdrängt den Sabbat, weil er mehr als dieser die irdische Gestalt der Heiligkeit Gottes, die Anwesenheit der Schekina markiert. Darüber steht noch göttliches Recht, welches gegen den mit dem Tod Bestraften die Heiligkeit Gottes schützt 319 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 264 Die beiden christologischen Rahmenstücke Mt 11,25-30 und 12,15-20 benennen für Mt den christologischen Grund, von dem her die beiden Streitgespräche verstanden werden sollen. Die Barmherzigkeit weist zurück auf das ‚sanftmütig und demütig im Herzen‘, sowie voraus auf das Verhalten des παῖς. 265 Vgl. zur erneuerten Begründung der Deutero-Markus-Hypothese: A. Fuchs, Sprachliche Untersuchungen zu Matthäus und Lukas. Ein Beitrag zur Quellenkritik, Rom 1971 (AnBib 49); H. Aichinger, Quellenkritische Untersuchung der Perikope vom Ähren‐ raufen am Sabbat, in: A. Fuchs (Hrsg.), Jesus in der Verkündigung der Kirche, Linz 1976 (SNTU A/ 1), 110-153. 266 Vgl. E. Schweizer, Das Evangelium nach Markus, Göttingen 1967 (NTD 1), 40; Roloffs Deutung: „Weil der Sabbat um des Menschen willen geschaffen ist, darum ist der Menschensohn auch der Herr über den Sabbat …“, Kerygma, 59, entspricht dem ὥστε, ist jedoch sachlich kaum möglich (Hervorhebungen im Original). und so Opfer und Sabbat verdrängt. Es geht also um Stufen der Heiligkeit, in denen Israel mit dem Himmel verbunden ist. R. Simeon ben Menasjas Argument steht also im Rahmen einer Unterscheidung verschiedener Stufen der Nähe zur Heiligkeit: Über der Heiligkeit des Sabbats steht die Heiligkeit des Lebens, das der Schöpfer gegeben und das bei Rettung aus Lebensgefahr gegen die unheilige Kraft des Todes geschützt wird. Auffällig ist, dass auch das Mt-Evangelium mit dieser Hierarchie der Hei‐ ligkeiten argumentiert: Das Opfer bricht den Sabbat; hier ist mehr als das Opfer, nämlich Erbarmen in der Gestalt des sanftmütigen, demütigen Sohnes, dem der Vater alles übergeben hat, und des παῖς 264 . Mt stellt also eine direkte Abfolge von Heiligkeitsbereichen her: Sabbat wird überragt vom Opfer, dieses vom messianischen Erbarmen (David, das Erbarmen des Christus); das messia‐ nische Erbarmen ist Ausdruck der Vollmacht des Menschensohnes, der Gottes Heiligkeit direkt repräsentiert. In diese Kette der Hierarchie der Heiligkeiten schien Mt offenbar der Spruch Mk 2,27 nicht zu passen, wenngleich es nicht ausgeschlossen ist, dass Mt einen anderen als unseren Mk vorfand. 265 Mt als ältester Kommentar zu Mk weist auf die traditionsgeschichtlich angemessene Möglichkeit, sich im Rahmen jüdischer Diskussion zum Thema Sabbat zu äußern: Die Heiligkeit der alten Ordnung, ihr Vermögen, die Heiligkeit Gottes in der Welt anzuzeigen, wird überboten von einer neuen Widerspiegelung der Heiligkeit Gottes in der Welt durch den Menschensohn und durch seine messianische Art zu herrschen. Mt deutet die Mk-Fassung sehr wahrscheinlich richtig: Es geht um die Heiligkeit Gottes, die der bevollmächtige Menschensohn repräsentiert. Zugehörigkeit zum Menschensohn bedeutet, dass die Jünger einer Nähe zur Heiligkeit Gottes teilhaftig werden, die über die Heiligungskraft des Sabbats weit hinausgeht. Mk 2,27 bekommt so von 28 her seinen Sinn: 266 an der Vollmacht des Menschensohnes zeigt sich die eschatologische Zentrierung der Schöpfung; durch ihn sind die Jünger in die eschatologische Schöpfungsordnung 320 A) Beelzebul und Menschensohn 267 Vgl. Pesch, Komm. I, 185. 268 Dieses Verständnis ist durch Dan 7 vorgegeben: der Menschensohn repräsentiert die Heiligen des Höchsten. Die Beziehung von ‚Mensch‘ und ‚Menschensohn‘ lässt sich nicht so auflösen, dass ununterschieden die Gemeinschaft Jesu mit seinen Jüngern ausgesagt würde. 27 und 28 sind nicht equivok. Das hervorgehobene Κύριος-Amt des Menschensohnes konstituiert die Schöpfungswürde des Menschen. Wie der Täufer mit seiner Taufe und seinem Jüngerkreis auf die erneuerte, eschatologische Gestalt des Menschen hinweist, so stehen die Jünger um den Menschensohn als Repräsentanten der eschatologischen Menschengestalt. 269 Vgl. E. Schweizer, Komm., 39. 270 Vgl. H.W. Kuhn, Sammlungen, 1971, 73.76. 271 Vgl. E. Lohmeyer, Komm., 65. des neuen Menschen gestellt, die von ihrer neuen heiligen Mitte aus die vorlaufenden Formen der Widerspiegelung göttlicher Heiligkeit überstrahlt. Nach dem jüdischen Kontext und nach dem Kommentar des Mt können wir also Mk 2,27 nur von 2,28 her deuten, keineswegs umgekehrt. Ebenso verbietet sich eine Isolierung der beiden Aussagehälften 2,27 oder 2,28. Im Hintergrund steht eine Spruchfolge, die ähnlich Ps 8,5 aufgebaut war: 267 Bestimmung des Menschen und des Menschensohnes hängen sprachlich, näm‐ lich im par. mebr., und sachlich, gemäß der Beziehung des Einen zu den Vielen, zusammen. 268 In der aramäischen Grundform kann es nur eine kopulative Ver‐ bindung der Sprüche gegeben haben. 269 Das konkludierende ὥστε und auch das betοnte καί gehören vermutlich zur Redaktion der alten Streitgespräch-Samm‐ lung. 270 Der Mensch ist dem Sabbat und seiner Heiligkeit vorgeordnet, sofern er an der durch den Menschensohn geprägten Menschengestalt teilhat, da der Menschensohn Herr ist über den Sabbat. Dass Fragen der Schöpfungslehre im Hintergrund stehen, ist deutlich. 1Hen 48,2f., 71,15f. zeigen aber, dass die Menschensohn-Tradition in die Geheimnisse der Schöpfungslehre hineinreicht. Die alte Schöpfungsordnung lässt durchaus offen, ob der Mensch nur Teil der Schöpfung ist oder ihr an herausragender Stelle auch gegenübersteht. Auch ob der Mensch dem Sabbat nachgeordnet oder vorgeordnet ist, muss nach Gen 1,26; 2,7 umstritten bleiben. 271 Erst dadurch, dass Gott in seine Heiligkeit den Menschensohn aufnimmt, ja er vor der Schaffung des Lichtes schon bei ihm präsent ist, wird die Zuordnung von Mensch, Welt und Heiligkeit Gottes eindeutig. Die Teilhabe am Menschensohn bedeutet Teilhabe an Gottes Heiligkeit, an den verschiedenen Stufen der die alte Schöpfung haltenden jüdischen Kultordnung vorbei: Der Menschensohn ist die eschatologische, kultische Erschließung der Heiligkeit Gottes für die Schöpfung. Der Menschensohn steht hier als Repräsentant der Heiligkeit Gottes. 321 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 272 Der Einsatz mit Mk 8,38 par. ist durch Bultmann, Theologie des NT, 29 ff. bestimmend geworden. Dass hier älteste Jesus-Tradition begegnet, wird weithin zugestanden, unabhängig von der Frage, wie das Verhältnis Jesu zum zukünftigen Handeln des Menschensohnes zu verstehen sei. Vgl. zu dieser Grundbedeutung W. Marxsen, An‐ fangsprobleme der Christologie, 1960, 52; W.G. Kümmel, Das Verhalten Jesus gegenüber und das Verhalten des Menschensohnes, in: FS A. Vögtle, 1975, 201-224, bes. 210.222-224; R. Pesch, Über die Autorität Jesu, in: FS H. Schürmann, 1978, 25-55, bes. 39-41; G. Haufe, Das Menschensohn-Problem in der gegenwärtigen wissenschaftlichen Diskussion, in: EvTh 26 (1966) 130-141, bes. 140-141; O. Michel, Der Menschensohn, in: ThZ 27 (1971) 81-104, bes. 88 f.; E. Schweitzer, Der Menschensohn, in: ZNW, 50 (1959), 188. 273 Vgl. Schürmann, Lk-Komm., I, 549. 274 A.a.O., 216-219. b) Der Menschensohn als priesterlicher Interzessor (Lk 12,8f. par.; Mk8,38 par.) In der Diskussion um die Frage nach dem Verhältnis Jesu zum Menschensohn, überhaupt nach den Anfängen der Christologie, mehren sich die Stimmen, die der Tradition Mk 8,38 par. und Lk 12,8f. par. eine besondere Bedeutung zu‐ messen. 272 Dies ist für unsere Fragestellung wichtig, weil in dem Bekenner-Ver‐ leugner-Spruch wiederum dem Menschensohn eine himmlisch-kultische Posi‐ tion zugewiesen scheint. In der Mk-Fassung ist freilich der Menschensohn Anführer des eschatologi‐ schen Gerichtes bei seiner Parusie. Er kommt mit seinen Hilfsengeln, um die Leugner seines Anspruchs zu beseitigen. Er ist als Richter zugleich Exekutor der eschatologischen Scheidung, die sich als sichtbarer Akt auf Erden vollziehen wird. 273 Die Q-Fassung Mt 10,32f. par Lk 12,8f. bringt hingegen einen Doppelspruch, bei dem im ersten Glied vom Bekenntnis Jesu/ des Menschensohnes vor dem Vater im Himmel/ den Engeln Gottes die Rede ist. Hier ist ein Bezug zum Gericht weniger deutlich, wie wir meinen: gar nicht, gegeben. W.G. Kümmel 274 hat in der überlieferungsgeschichtlichen Frage wieder der Mk-Fassung den Vorzug gegeben. Der Hinweis auf das ‚ehebrecherische und sündige Geschlecht‘ sei nicht markinisch, der Wortlaut also - das schränkt Kümmel nicht so deutlich ein - zumindest vormarkinisch. Der Hinweis auf die stilistische Rundung des Doppelspruches in Q ist für Kümmel offenbar überlieferungsgeschichtlich nichtssagend. ἐπαισχύνεσθαι sei nicht markinisch und, da in der Q-Fassung mit ἀρνεῖσθαι ebenfalls ein gut Griechisches Wort be‐ gegne, überlieferungsgeschichtlich gegenüber dem semitisierenden ὁμολογεῖν ἐν nicht zurückzusetzen; mit ἐπαισχύνεσθαι bringe Mk sachlich eher einen Hinweis auf älteste Bekenntnissituation, während Q aus der Verfolgung der Gemeinde heraus das Wort verschärfe. Dass Mk im Nachsatz stärker und 322 A) Beelzebul und Menschensohn 275 Es ist auffällig, dass die JohApok, die sich traditionsgeschichtlich gut auskennt, in 3,5 den als Menschensohn eingeführten Sprecher von seinem Vater reden lässt. 276 A.a.O., 26-41. 277 Wesentlich ist für Pesch die Einsetzung einer ursprünglichen ἀμήν-Einleitung und die Umsetzung des Passivum divinum im zweiten Spruch in die Menschensohn-Aussage. Im ganzen umstritten bleibt, ob man im Verleugner-Spruch bei Lk in dieser Weise ergänzen soll, wofür grundsätzlich die Mk-Fassung spricht, oder ob mit Mt das ‚Ich‘ als ursprünglicher anzusehen ist, wie J. Jeremias, Die älteste Schicht der Menschensohnlo‐ gien, in: ZNW, 50 (1967), 159-172, bes. 168-170 und C. Colpe, Art. ‚ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου‘, in: ThWNT, VIII, 444 meinen. Higgins, ‚Menschensohn‘ oder ‚ich‘ in Q: Lk 12,8-9/ Mt 10, 32-33, in: FS A. Vögtle, 1975, 117-123, macht auf den einfachen Grundsatz aufmerksam, dass die reibungsvollere und damit ursprünglichere Lesart die sei, in der das Verhältnis Jesu zum Menschensohn eine spannungsvolle und noch nicht aufgelöste Identität bilde. 278 Vgl. Pesch, Mk-Komm., II, 302. 279 Vgl. die Analyse bei F. Hahn, Die Rede von der Parusie des Menschensohnes Markus 13, in: FS A. Vögtle, 1975, 240-266, bes. 257f. sekundär apokalyptisches Gedankengut eintrage, sei eine Entscheidung des Gefühls; nur die traditionsgeschichtlich verquere Formulierung vom Vater des Menschensohnes müsse sekundär sein. Kümmel macht deutlich, dass überlieferungsgeschichtliche Argumente häufig ins Ungewisse führen. Reicht es aus, nicht der mk Red. zuzuschreibende Formulierungen damit als ursprünglich anzusehen? Die Größe des vormarki‐ nischen Überlieferungsbereiches setzt Kümmel mehr oder weniger mit dem irdischen Jesus gleich. Passen andererseits Verfolgungssituationen noch nicht in das Leben des Irdischen? Worin liegt eigentlich die Logik, ein sachlich schiefes Wort wie das vom „Vater des Menschensohnes“ überlieferungsgeschichtlich in die Spät-Phase rücken zu müssen? 275 Die aufwendige Untersuchung von Pesch 276 kommt zum entgegengesetzten Schluss: Die Lk-Fassung aus Q ist ursprünglich, wenngleich auch sie überlieferungsgeschichtlich noch korrigiert werden muss. 277 Die entscheidende Frage ist, ob - wenn denn die Tradition auf Jesus zurückgeht - er mit seiner Parusie, bzw. mit der des Menschensohnes, gerechnet hat. Deutlich ist, dass Mk 13,26f. in einem schriftgelehrt-apokalypti‐ schen Zusammenhang begegnet, 278 der so nicht auf Jesus zurückgehen kann, da er der Ankündigung, ja Zusage des Anbruchs des Gottesreiches in der Gegenwart widerspricht. 279 Mk 14,62 spricht vom Sitzen des Menschensohnes zur Rechten Gottes und von seinem Kommen auf den Wolken des Himmels. Wenn dieser Satz in dieser Form auf Jesus zurückgeht, so ist das Kommen auf den Wolken als Parusie-Aussage jesuanisch. 14,62b entspricht als wörtliches Schriftzitat aber 323 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 280 Vgl. C. Colpe, a. a. O., 438 f., der die Lk-Fassung entsprechend für älter und jesuanisch ansieht. 281 Vgl. Schürmann, Lk-Komm., I, 549f. 282 So F.H. Borsch, The Son of Man in Myth and History, London, 1967, 363 4 . 283 Mk-Komm., II, 26. 284 Lk.-Komm., I, 549. 285 Ähnlich Pesch, FS Schürmann, 1978, 44: „Das Forum der Engel Gottes (vgl. auch Lk 15,10) ist zwar einerseits das himmlische Gerichtsforum, andererseits aber auch die Gemeinschaft derer, in deren Mitte der Menschensohn Gemeinschaft gewährt.“ Wenn die zweite Satzhälfte das Schwergewicht bekommt, ist diese Auslegung richtig. eher der schriftgelehrten Bearbeitungsstufe wie 13,26. 280 Auch Mk 8,38 scheint von 13,26 her bearbeitet. 281 Deutlich ist, dass Lk 12,8f. einer anderen Eschatologie entstammt, die nicht auf Gericht und Parusie abhebt. Denn der Menschensohn kann sich nicht vor, im Gegenüber zu einem Kreis bekennen, wenn er eigentlich als himmlischer Richter inmitten seiner Engel thronen müsste. Dass der Richter dem himmlischen Gerichtshof gegenübertritt, ist unmöglich. Auch der Hinweis auf gewisse Funk‐ tionsüberschneidungen der Prozessbeteiligten und vor allem des Richters im semitischen Prozesswesen 282 kann das mit ὁμολογεῖν ἐν … ἔμπροσθεν umrissene Bild nicht abdecken. Gnilka 283 spricht deshalb vom „qualifizierte(n) Zeuge(n)“, Schürmann 284 vom Zeugen oder Anwalt im himmlischen Gerichtssaal. Ist aber überhaupt vom Gericht die Rede? Dies scheint aus der Mk-Fassung eingetragen oder als zu selbstverständliche Konnotation aus dem Menschensohn-Namen übernommen. Dabei wird leicht übersehen, dass das Bild vom Menschensohn als Richter nur die Außenper‐ spektive beschreibt, in der der Menschensohn als Zeichen seines Amtsantritts den gottwidrigen Kräften gegenübertritt. Die Verben ὁμολογεῖν und ἀρνεῖσθαι gehen aber nicht vom Fragehorizont des Gerichtes des Menschensohnes gegen die Widersacher aus, sondern grenzen den Kreis derer ein, die zum Menschen‐ sohn gehören und an seinem Weg partizipieren. Auch JohApok 3,5 geht nicht auf das Gericht, sondern auf das postmortale Geschick des Überwinders. Der Menschensohn ist in diesem Horizont nicht Richter, sondern Interzessor, der mit seiner Annahme im Kreis der Himmlischen zugleich die Seinen vor den Thron Gottes bringt. Wer sind aber die Seinen und wem gilt das durch seine Interzession erwirkte Heil? In diesen Fragehorizont gehört der Q-Spruch. 285 Verwandt ist 1Hen 71: Henoch wird in den Bereich des himmlischen Al‐ lerheiligsten entrückt. Sein Geist verwandelt sich, so dass er in den himmli‐ schen Lobpreis einstimmen kann. Die Homologie des Henoch findet vor Gott Wohlgefallen, so dass Gott mit seinen Engeln zu ihm kommt. Er enthüllt in ihm den Menschensohn, der den Frieden der zukünftigen Welt haben soll. 324 A) Beelzebul und Menschensohn 286 Vgl. o.S. 281ff. Seine himmlische Annahme soll bedeuten, dass alle, die auf seinem Wege der Gerechtigkeit wandeln, mit ihm himmlische Wohnung und Erbteil haben werden. Die himmlische Annahme seiner Homologie, seine darauf aufbauende Qualifizierung zum Menschensohn, der himmlischen Frieden hat und gibt, ist ein zugleich die Gerechten inkludierender, ihr Geschick in das himmlische Heil einbindender Vorgang. An dem zuletzt genannten Punkt zeigt die Jesus-Tradition eine Besonderheit, insofern sie nicht von einer - anscheinend - selbstverständlichen Definition des Gerechten ausgeht, sondern durch Berufung und Nachfolge die Zugehörigkeit zum Menschensohn beginnen lässt. Die Vollendung der Gemeinschaft mit dem Men‐ schensohn setzt der Bekenner-Verleugner-Spruch jedoch in einem Vorgang ähn‐ lich dem von 1Hen 71 voraus. Es geht um das Hineingehen des Menschensohnes in das himmlische Kulthaus Gottes, um seine Erhöhung in den engelmäßigen und zugleich ‚überenglischen‘ Bereich der heiligen Nähe Gottes und um die damit verbundene Frage, wen er ‚mit-bringt‘, wer durch seine Annahme im Himmel und seine Erhöhung das Recht erwirbt, sich auch unter die Himmlischen mischen und engelgleich mit ihm wohnen zu dürfen. Es geht also um die inkludierend-soteri‐ ologische Bedeutung des interzessorischen Ganges des Menschensohnes in den himmlischen Kultbereich hinein: Die, die er als zu sich gehörend angibt, haben Anteil an der erlösenden Kraft seiner himmlischen Interzession. Am deutlichsten kommentiert JohApok 3,5 diesen alten Traditionszusam‐ menhang: „Wer überwindet, der wird mit weißen Kleidern angetan werden, und ich werde seinen Namen nicht aus dem Buch des Lebens austilgen und seinen Namen vor meinem Vater und seinen Engeln bekennen.“ Hier ist der Spruch vom Bekennen des Menschensohnes in seine ursprüngliche Bildhaftigkeit rück‐ übersetzt. Drei sich ergänzende Bilder kommen zusammen: Dem Überwinder werden priesterlich-reine, himmlisch-liturgische Gewänder gegeben, wie ja auch der Menschensohn eine Art Leiter der himmlischen Liturgie ist; 286 der Men‐ schensohn sorgt ferner dafür, dass der Überwinder im Buch des Lebens belassen wird, er ist also der Schreiber, der das Leben der Menschen bewahren kann. Der Menschensohn tritt priesterlich-interzessorisch ein für den Überwinder, indem er ihn als zu sich gehörig bezeichnet vor Gott und den Engeln. Es geht um ein durch Interzession zustande gebrachtes Miterhöht-Werden mit dem, der im Himmel über die Engel erhöht wurde. Man wird nicht von drei Akten, die nacheinander stattfinden, sprechen wollen. Es geht vielmehr um drei Enthüllungen, die aussagen, was es bedeutet, am Sieg 325 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 287 Vgl. T. Holtz, Art. ‚νικάω‘, in: EWNT, II, 1150. 288 Ὁμολογεῖν ἐν ist sprachlich ein Semitismus, vgl. O. Hofius, Art. ‚ὁμολογέω κτλ.‘, in: EWNT, II, 1257. Obwohl das Jüdisch-Hebr./ Aram. einen profanen Sprachgebrauch kennt ‚sich zu jemandem bekennen‘, muss doch auffallen, dass ὁμολογεῖν/ הדוה eine „semitische Verbindung von Sünde bekennen und Gott lobpreisen“ bezeichnen (O. Mi‐ chel, Art. ‚ὁμολογέω κτλ.‘, in: THWNT, V, 204, 11). Es stellt sich die Frage, ob das himmlische Nennen der Namen derjenigen, die zum Menschensohn gehören, nicht in den Rahmen der Homologie gehört, die der Menschensohn vor Gott darbringt. Sie um‐ fasst Gotteslob und den Dank dafür, dass die zu ihm Gehörenden mit seiner Erhöhung am himmlischen Heil teilhaben. Doch dies kann nur eine Vermutung bleiben, vgl. jedoch Joh 17,12. 289 Vgl. Pesch, Mk-Komm., II, 64f. des Lammes teilzuhaben: 287 der Menschensohn nimmt die, die sich auf seinem Weg befinden, in die Erhöhung und seine himmlische Seinsweise hinein. Es ist dabei nicht eigentlich an die Szene des eschatologischen Gerichtes gedacht, sondern an die Enthüllung der Zugehörigkeit zum Menschensohn bei seiner Erhöhung. Das ἀρνεῖσθαι aus Lk 1 2,9 bedeutet vor diesem Hintergrund, dass die angefangene Gemeinschaft mit dem Menschensohn nicht zum Ziel führt, sondern abgebrochen ist. Der Verleugner verfällt damit noch nicht expressis verbis dem Gericht, sondern ist vom Heilsweg des Menschensohnes ausgeschlossen. Der interzessorische Gang des Menschensohnes hat für ihn keine Gültigkeit. Charakteristisch für diese Tradition von der durch Interzession und Ho‐ mologie 288 des Menschensohnes erwirkten Teilhabe an der himmlisch-escha‐ tologischen Seinsweise ist in den Sendschreiben und in Lk 12,8f. die Gegen‐ überstellung von irdisch und himmlisch, die die andere von jetzt und einst nicht betont. 289 Es geht um den Zugang zum himmlischen Kultbereich, den der Menschensohn vermittelt. Erst in zweiter Linie ist die eschatologische Enthüllung des Gerichtsprozesses impliziert. Lk 12,8f. par. wird dieser Grundzug einer mehr räumlichen Beziehung von Himmel und Erde durch die starke formale Parallelisierung ‚vor den Menschen‘/ ‚vor den Engeln Gottes‘ betont. Irdisches ‚Bekennen‘/ ‚Verleugnen‘ geht zusammen mit einem himmlischen ‚Bekennen‘/ ‚Verleugnen‘ vor den Engeln. Das Futur in der Apodosis weist nach unserer Deutung auf die Erhöhung des Menschensohnes, auf seinen Interzessionsgang. Unter diesem Aspekt stehen irdische Bewährung vor den Menschen und himmlische Homologie vor den Engeln in einem gespannt-dy‐ namischen Entsprechungsverhältnis. Das Bekennen zum Menschensohn vor den Menschen muss nicht auf herausgehobene, forensische Akte begrenzt sein, sondern bestimmt das Leben des Jüngers insgesamt zu einer Leidensgestalt, die dem Menschensohn entspricht. 326 A) Beelzebul und Menschensohn 290 Vgl. A. Kretzer, Art. ‚ἔμπροσθεν‘, in: EWNT, I, 1089. 291 Vgl. F. Hahn, Die Sendschreiben der Johannesapokalypse, in: FS K.-G. Kuhn, 1971, 357- 394, hier: 381-390, bes. 383.386. 292 Ansätze dazu liegen schon in Ps 49,16 und 73,23. Sie sprechen von einer Entrückung im Tod, die nach G. von Rad, Gerechtigkeit und Leben, in: FS A. Bertholet, 1950, 418-437, hier: 431-435, zur Hoffnung levitischer Kultspiritualer gehört; vgl. R. Otto, Reich Gottes, 1934, 145f.159-162.97-203. 293 Hierin liegt begründet die Frage nach einem zweiten Tod, vgl. JohApok 2,11; 20,6; vgl. dazu Billerbeck, III, 830f. 294 Vgl. die Formulierung bei Otto, Reich Gottes, 1934, 199. 295 Vgl. in Rückgriff auf W. Bousset, Die Himmelsreise der Seele, Sonderausgabe 1960 (zuerst erschienen im Archiv für Religionswissenschaft, 4. Bd., 1901, 136-169.229-273), 5, auch A.F. Segal, Heavenly Ascent in Hellenistic Judaism, Early Christianity and Auch das betont räumliche ἔμπροσθεν gibt dem Zusammenhang eine span‐ nungsvoll-dynamische Verbindung von himmlischem und irdischem Vorgang. Auch Mt 11,26 par. Lk 10,21 markiert das ἔμπροσθεν die Überlagerung von himmlischem und irdischem Geschehen. Das Wohlgefallen vor dem himmli‐ schen Vater ist zugleich eine die νήπιοι durch den Sohn irdisch erreichende Wirklichkeit. 290 Das irdische Leben und Bekennen vor den Menschen steht nun vor einem himmlischen Hintergrund, da die himmlische Interzession des Menschensohnes ihre irdische Auswirkung im überwindenden Bekenntnis zum Menschensohn Jesus findet. Himmlische und irdische Ebene sind dabei nicht platonisch verbunden, so dass die irdische Wirklichkeit durch einen eigentlichen Prozess überlagert würde. Aber auch ist anscheinend nicht einfach eine endgeschichtliche Verbin‐ dung qua Gericht und Auferweckung einziger Berührungspunkt. Die Überwin‐ dersprüche der Johannes-Apokalypse scheinen eine Art Entrückung im Tod zu kennen, in Analogie zur Entrückung des Menschensohnes in seiner Todes‐ stunde. 291 Die Gemeinschaft mit dem Menschensohn durch den Tod hindurch ist eine eigene, ursprüngliche, kultapokalyptische 292 Konzeption, die in 1Hen 71,16 anklingt und neben der Lehre von der allgemeinen Totenauferstehung 1Hen 51 steht. 293 Die johanneische Eschatologie markiert mehr eine konzentrische Konzeption. Die Zugehörigkeit zum Menschensohn enthebt ‚ekstatisch-animis‐ tisch‘ 294 dem Todesgeschick und führt in fortwährende Lebensgemeinschaft, wobei in einer letzten Verwandlung der Weltgestalt auch die Auferstehung für die Menschensohn-Gemeinde am jüngsten Tag hinzukommt. Wenn aber eine besondere Todeslehre der eigentliche Kern dieser stark Himmel und Erde verschränkenden Menschensohn-Tradition ist, dann fragt sich, ob nicht, wie sonst religionsgeschichtlich auch, der Übergang im Tod qualifiziert wird durch das ekstatische Erlebnis, das diese Grenze überschreitet und als heilvolle Möglichkeit eröffnet. 295 Wir werden Jesu, zugegeben merkwür‐ 327 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker their Environment, in: ANRW 23/ 2 (1980), 1333-1394, hier: 1341; vgl. ferner M. Eliade, Schamanismus, 43.52.249.456.466. 296 Vgl. Pesch, Über die Autorität Jesu, a. a. O., 39-41. 297 Die von E. Schweizer, Der Menschensohn, in: ZNW, 50 (1959), 185-209, begründete These, wonach der Menschensohn ursprünglich im Rahmen der Spannung vom Irdischen und dem durch Leiden Erhöhten, nicht aber in die vom Gegenwärtigen, der auf den bei der Parousie erscheinenden Richter verweise, beheimatet sei, wird noch überzeugender, wenn man die alte Tradition des Bekenner/ Verleugner-Spruches ebenfalls auf die Erhöhung, nicht auf die Parusie bezieht. 298 Die Passion des Menschensohnes. Eine Studie zu den Menschensohnworten der vormarkinischen Passionsgeschichte, in: Jesus und der Menschensohn, FS A. Vögtle, 1975, 166-195; ders., Exkurs ‚Die vormarkinische Passionsgeschichte‘, in: ders., Das Markusevangelium, II. Teil, Kommentar zu Kap. 8,27-16,20, 1980 2 , 1-27; vgl. auch zu Mk 10,45 die Übersicht bei K. Kertelge, Der dienende Menschensohn (Mk 10,45), in: FS A. Vögtle, a. a. O., 225-239. 299 Vgl. bereits E. Schweizer, Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern, Zürich 1955 (AThANT 28). diges, Verhältnis zum Menschensohn und seine himmlische Interzession vor den Engeln vor diesem Hintergrund zu befragen haben. Wie in der Menschen‐ sohn-Schicht in Mk 2 stoßen wir anscheinend auch hier auf eine charismatische Grundlage, die den Menschensohn-Anspruch Jesu trägt. Wir halten zunächst fest, dass der Menschensohn in dieser alten vermutlich auf Jesus zurückgehenden 296 Tradition nicht primär der Richter im Endgericht ist, 297 sondern Interzessor, der für die Seinen den Zugang zum himmlischen Heil eröffnet. Auch hier ist der Menschensohn im Grundzug eine priesterliche Gestalt. Er hat Zugang zum himmlischen Kultbereich und gibt als derart kultisch Berechtigter dem Jüngerkreis an diesem Zugang Anteil. c) Das Selbstopfer des Menschensohnes (Mk 10,45) Die Diskussion um die Stoffe der vormarkinischen Passionsgeschichte wurde vor allem durch die Arbeiten von R. Pesch bestimmt. 298 Bevor wir auf die Analyse von Mk 10,45 bei Pesch eingehen, soll kurz eine Eigenart im Gesamtaufriss bei Pesch genannt werden: die Dominanz des sog. Motivs von der passio iusti. Dieses vor allem in Sap.Sal. 2 und 5 entwickelte Schema vom Geschick des durch Leiden in die Erhöhung, durch Gottes Handeln an ihm, gehenden Gerechten habe die Urgemeinde aufgenommen, um Jesu Geschick zu deuten. Man wird die Existenz dieses Deute-Schemas nicht leugnen können. 299 Auf‐ fällig ist jedoch, dass dieses Schema offenbar zum Grundbestand jüdischer Existenzdeutung schlechthin gehört hat und traditionsgeschichtlich kaum spe‐ 328 A) Beelzebul und Menschensohn 300 Vgl. L. Ruppert, Jesus als der leidende Gerechte? Der Weg Jesu im Lichte eines alt- und zwischentestamentlichen Motivs, 1972, 26-28. 301 Vgl. FS A. Vögtle, a. a. O., 191 98 . 302 FS Vögtle, a. a. O., 189f. 303 Ebd.; vgl. auch 176f. 304 FS A. Vögtle, a. a. O., 175. 305 FS A. Vögtle, a. a. O., 183; vgl. auch 190f. 306 FS A. Vögtle, a. a. O., 183, Hervorhebung von Pesch. 307 Komm., II, 359. zifisch einzuordnen ist. 300 Eigenartig ist auch, dass Jesus in der vormarkinischen Passionsgeschichte nirgends ‚der Gerechte‘ heißt. Pesch will diese Schwierigkeit so lösen, dass eben mit der Bezeichnung Jesu als des Menschensohnes er implizit zum Gerechten par excellence geworden sei. 301 Diese Deutung nach dem Schema der passio iusti geht nach Pesch aber im Wesentlichen gerade nicht auf Jesus zurück, sondern ist Interpretament der Gemeinde. Jesus habe mit seiner Verwendung des Menschensohn-Namens diese Deutung nur angestoßen. 302 Mk 9,31a und 14,62 seien jesuanisch. 303 In 14,62 liege eine auf den irdischen Jesus zurückgehende Deutung, die gerade über das passio-iusti-Schema hinausführe: Die Restitution dieses Gerechten sei identisch „… mit der Erhöhung des Menschensohnes zur gerichtsentscheidenden sessio ad dexteram …“ 304 . Auch die nach Pesch auf Jesus zurückgehende Abendmahls‐ überlieferung habe einen Einsatz, der an sich nichts mit der passio iusti zu tun hat, insofern Jesus „… sein Sterben als stellvertretende Sühne für die Vielen …“ deute. 305 Die Abendmahlstradition werde durch die Rahmung in 14,21 zu einer Men‐ schensohn-Überlieferung. Von Haus aus sei das Sühne-Wort aber nicht am Menschensohn, sondern am Sühne-Dienst des Gottesknechtes orientiert. Dabei gilt nach Pesch: „Die Verbindung von Menschensohn und Gottesknecht, über die Brücke der Vorstellung vom Gerechten leicht vollziehbar, ist hier, aber auch nur hier, deutlich gezogen. Jesus ist nicht irgendein leidender Gerechter, sondern der die Sendung des Gottesknechts erfüllende Menschensohn.“ 306 Hier ist also doch bereits die passio-iusti-Thematik Katalysator der Traditionsentwicklung für den Irdischen, der „… sein Geschick als das Geschick des Menschensohnes konzipierte …“; „… so ist eine (nicht ausdrücklich gemachte) Identifizierung mit dem Gottesknecht von Jes 53 naheliegend …“ 307 Jesus sei nicht eigentlich an der passio-iusti-Thematik interessiert - doch verlaufe die Menschensohn-Lehre bei ihm im Wesentlichen bereits in der Bahn dieses Schemas. Dass die Menschensohn-Lehre Jesu, obgleich nicht auf die passio-iusti-The‐ matik bezogen, doch in ihrem Einflussbereich stehe, diese These hängt letztlich daran, dass Pesch den Zusammenhang von Lk 12,5f. her deutet. Dies geschieht 329 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 308 FS A. Vögtle, a. a. O., 194. 309 Auch A. Vögtle in seiner Untersuchung über ‚Todesankündigungen und Todesverständnis Jesu‘ in: K. Kertelge (Hrsg.), Der Tod Jesu. Deutungen im Neuen Testament, 1976, (QD 74), 51-113, scheint in seiner sehr differenzierten Argumentation der Frage besonderes Gewicht beizumessen, ob nicht die früheste Verkündigung nach Ostern die Erlangung des Heils ausschließlich von der Parusie des aus dem Tod zum Messias Erhöhten erwartete und keine soteriologische Deutung seines Todes kannte, 100; doch vgl. die radikale Skepsis S. 62f.: auch Lk 12,8f. sei ein anfechtbarer Beleg. 310 Vgl. Komm., II, 25. 311 Die Bevorzugung der am Gegensatz von jetzt und einst orientierten Sprüche vom zukünf‐ tigen Menschensohn geht bekanntlich zurück auf R. Bultmann, GST, 117.128.135.163. 312 Vgl. die Übersicht bei Pesch, Komm., II, 13: Zu den nicht durch die passio-iusti-Schematik rezipierten Traditionen gehören das Petrusbekenntnis, Verklärung, Rangstreit, Bartimäus, Feigenbaum und Tempelreinigung, Vollmachts- und Steuerfrage, Davidssohn-Frage, Scherflein der Witwe, Vorbereitung zum Passahmahl, Grablegung. Zudem nennt Pesch, FS A. Vögtle, a. a. O., 188 weitere Züge in der Verhörszene, die „aus dem Netz der durch das Theologumenon vom leidenden Gerechten gegebenen“ Züge herausfallen, nämlich das Tempellogion und die Messiasfrage. Die genannten Perikopen zeigen an, dass sie überwiegend christologisch orientiert sind, und zwar im Gegenüber zur durch den Tempel bestimmten kultisch-kosmischen Ordnung des Judentums. so, dass Jesu heilsentscheidende Bedeutung, die er sich zumesse, auf einer prophetischen Grundlage stehe: Er sei der letzte Bote nach dem letzten Boten, so dass er Zeuge und Richter im letzten Gericht sei. 308 Damit ist gegeben, dass Pesch das sogenannte Kontrastschema der passio-iusti-Thematik doch zur Grundlage der Menschensohn-Lehre Jesu macht. Dies hat weiter zur Folge, dass die soteriologische Deutung des Geschicks Jesu trotz Mk 14,22-25 vom Irdischen ferngehalten wird: Der Menschensohn hat soteriologische Bedeutung nur als Zeuge und Richter. 309 Dies ist eine Verengung der soteriologischen Bedeutung der Menschen‐ sohn-Lehre Jesu, die eigentlich nicht im Interesse von Pesch oder in der Kon‐ sequenz seiner Auslegung liegen muss, 310 sondern offenbar aus der älteren Forschung mitgetragen wird. 311 Wenn aber, wie wir in den beiden vorigen Abschnitten versucht haben zu zeigen, Jesus auf den Menschensohn als Bevoll‐ mächtigten Gottes verweist, der das Heil insofern bringt, als er die Menschen in seiner Nachfolge in die Berührung mit Gottes Heiligkeit hineinnimmt, so ist die Bevorzugung des Kontrastschemas via Gerichtsaussage nicht berechtigt. Der Menschensohn ist eine Heilsgestalt, weil er als Zugehöriger zum himmlischen Kulthaus Gottes den Segen der zu ihm gehörenden Gottesnähe an die Seinen mit‐ teilt. Diese soteriologische Grundbedeutung liegt vor der passio-iusti-Thematik und wird von ihr nicht vollwertig aufgenommen; vielmehr beschränkt sich die passio-iusti-Thematik auf eine bestimmte Erzählschicht der vor-markinischen Passionsgeschichte. 312 330 A) Beelzebul und Menschensohn 313 Vgl. H. Patsch, Abendmahl und historischer Jesus, Stuttgart 1972 (Calwer Theol. Mon. A/ 1), 170-180. 314 Vgl. J. Becker, Johannes der Täufer und Jesus von Nazareth, Neukirchen 1972 (Bibl. St. H. 63); F. Neugebauer, Die Davidssohnfrage (Mark XII 35-7 parr.) und der Menschensohn, in: NTS, 21 (1975), 81-108, hier: 101-106; R. Pesch, in: FS A. Vögtle, a. a. O., 194; ders., Komm. I, 84. 315 Zu den Auslegungsmöglichkeiten der Dreierkette Wasser-Geist-Feuer vgl. H. Schür‐ mann, Lk-Komm. I, 173-177; J.D.G. Dunn, Spirit-and-fire Baptism, in: NT, XIV (1972), 81-92. Gegen die Annahme, dass Feuer-Taufe das Gericht bezeichne, spricht, dass Taufe immer einen durch Tod und Gericht hindurchführenden Übergang in neues, geheilig‐ teres Leben bezeichnet. Dass Feuer und Geist = Sturm den Gerichtsvorgang bezeichnen können, ist unbestritten; Feuer-Taufe ist aber letztlich ein Heilsakt, vgl. Dunn, a. a. O., 86. Von den in der Lit. genannten Belegen, in denen Feuer (und Sturm) Element des Gerichts ist, verbindet kein einziger dies mit der Taufe, gegen Schürmann, Komm. I, 175, Anm. 91-93; die Formulierung von P. Wolf, Gericht und Reich Gottes bei Johannes und Jesus, in: P. Fiedler/ D. Zeller (Hrsg.), Gegenwart und kommendes Reich. Schüler‐ gabe A. Vögtle zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1975, 43-49, hier: S. 44 verschleiert diesen Befund: „Seiner Wassertaufe stellt Johannes ein zukünftiges Geschehen gegenüber, das er ganz eindeutig als Gerichtsgeschehen versteht und das er im Bild der Taufe aktuali‐ sierend mit seinem Taufen verbindet.“ Auf eine andere, näherliegende Möglichkeit möchte ich hinweisen: der Feuerstrom von unter dem Thron Gottes her begegnet in der Wir plädieren aus diesen Gründen dafür, Mk 10,45 als Zeugnis der Sühne- Tod-Tradition als jesuanisch anzuerkennen: 313 sie ist ergänzendes Zeugnis für die priesterlich-interzessorische Aufgabe des Menschensohnes, auf die wir in Mk 2,10.28 und Lk 12,8f. gestoßen sind. Auch ist es nicht ausreichend, die Abendmahlsdeutung Jesu letztlich als einen Sonderfall der passio-iusti-Thematik zu sehen, die hier an den leidenden Gerechten des DtJes., den Gottesknecht, als Vorbild und so an die Sühne-Aussage gerate. Vielmehr ist hier der Menschen‐ sohn der himmlische Hohepriester, der durch sein Selbstopfer den neuen Bund begründet, durch den die Seinen Zugang zur himmlischen Heiligkeit Gottes haben. Das Sühne-Leiden des Menschensohnes ist nicht nur Aspekt seiner Gerechtigkeit, sondern es hat eine eigene, die Sendung des Menschensohnes Jesus an sich bestimmende himmlisch-kultische Qualität. Dass der Tod des Menschensohnes als ein kultisches Sühne-Geschehen und nicht nur als ein Kontrastgeschehen des leidenden Gerechten verstanden wurde, u. zw. vom irdischen Jesus verstanden wurde, zeigt die beständige Rückbindung Jesu an den Täufer. Diese widerspricht gerade der späteren Gemeinde-Tradition. Dass der Täufer vom Menschensohn gesprochen hat als einer Gestalt, die die kultapokalyptische Erneuerung Israels als der Stärkere zu Ende führt, ist in der neueren Forschung verschiedentlich erwogen worden. 314 Der Übergang von Wasser zu Geist, den der Täufer mit seiner Taufe anzielte, verdichtet sich im Wirken des Stärkeren zum Übergang von Geist zu Feuer. 315 Auf diese höhere 331 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker Menschensohn-Szene von Dan 7,10, ebenso in der vielleicht noch älteren von 1Hen 14,19. Dieser bzw. diese Flüsse aus Feuer sind später in der jüdischen Mystik wesentli‐ ches ‚Zubehör‘ der Merkaba. Scholem, Jewish Gnosticism, 56 f. hat versucht zu zeigen, dass der רהנ רוניד schon für die Tannaiten geläufig war. Die von ihm angeführte Tradi‐ tion geht auf R. Jehoschua ben Chananja zurück. In seinem Namen wird Gen r 78,1 eine Tradition angeführt, wonach der Feuerstrom unter dem Thron Gottes aus dem Schweiß der Lebewesen besteht, die den Thron tragen; R. Jehoschua ben Chananja vergleicht diesen Feuerstrom ausdrücklich mit dem Jordan, der wie der Feuerstrom bei Tag und Nacht nicht stillsteht. Der Feuerstrom ist Ex r 15,6 der Ort, aus dem die Dienstengel für ihren liturgischen Dienst geschaffen werden und zu dem sie nachher zurückkehren: so sind sie garantiert immer der besonderen, numinosen Qualität der himmlischen Hei‐ ligkeit Gottes angemessen, vgl. bHag 14a. Ex r 15,6 vergleicht diese tägliche Erneuerung der Dienstengel aus dem Feuerstrom mit der kultisch-entsühnenden Erneuerung Is‐ raels: „So auch, wenn die Israeliten durch die Leidenschaft in Sünden verstrickt sind - tun sie dann Buße, so vergibt Gott ihnen jährlich ihre Sünde und gibt ihnen ein neues Herz zur Ehrfurcht vor ihm, wie es heißt Ez 36,26 …“ Sündenvergebung am Versöh‐ nungstag (vgl. das ‚jährlich‘) und die Erneuerung der Himmlischen aus dem Feuerstrom sind analoge Prozesse, die aufeinander verweisen. Hinter der kultischen Erneuerung, zumal wenn sie sich im Lichte des kultapokalyptischen Grundprogramms von Ez 36 versteht, werden Fragen nach der himmlischen Feuertaufe sichtbar. Daneben begegnet die Anschauung, dass sich die Dienstengel im Feuerstrom taufen, um sich so der himm‐ lischen Heiligkeit jeweils wieder konform zu machen, vgl. Hekaloth rabbati (Scholem, Jewish Gnosticism, 57), Seder rabbah, 28-30 (Wertheimer, BM I 33-38), Jellinek, BhM III, 162 oben; ferner: 3Hen (Odeberg) 36,2 mit weiteren Belegen in der Anm. Die priesterliche Apokalyptik der Qumran-Leute suchte nach der Gemeinschaft mit den Engeln, wie überhaupt der kultische Vollzug eine Verbindung mit himmlischer Reinheit und Heiligkeit herstellen will. Dass die Tradition des R. Jehoschua ben Chananja den Feuerstrom mit dem Jordan vergleicht, könnte sehr gut älterer kultapokalyptischer und täuferischer Symbolik entsprechen. Die kultapokalyptische Erneuerung nach Ez 36 weist über den Versöhnungstag hinaus auf die Erneuerung im himmlischen Feuerstrom. Es überrascht danach nicht, in der esoterischen Tradition eine Auslegung von Dan 7,10 zu finden, die von einer Taufe der Seelen der Gerechten im Feuerstrom weiß. Im Sohar, Bd III, fol. 16b unten heißt es vom רהנ רוניד aus Dan 7,10: אוהו רהנ רמתא היב רהנ רוניד דיגנ ןמ יהודק ןוהתמשנ אייקידצד ןילבט ןיכדתמו היב „Und von diesem Fluss heißt es: Ein Feuerstrom ergoss sich und ging von ihm aus - die Seelen der Gerechten tauchen und reinigen sich in ihm.“ Vgl. mit weiteren Belegen Ginzberg, Legends V, 125, Anm. 134. Das Material aus Billerbeck I, 121 f. weist ebenfalls in diese Richtung. Die Auslegung zu Dan 7,10 bei A. Jeffery, Interpreter’s Bible, VI, 1956, S. 458 ist zumindest religionsphänomenologisch angemessen: „In one sense the river marks the boundary of the throne area, so that no one can draw nearer without passing through it. The righteous as they pass through are purified of their remaining dross, but the wicked are consumed in it.“ Die Verbindung von Geist und Feuer kennt Lev r 1,1: „Wenn der Heilige Geist auf Pinchas ruhte, glühte sein Angesicht wie Feuerfackeln.“ Der Geist stellt eine Verbindung mit der himmlischen Heiligkeit Gottes her, so dass der Geistträger feurig wird. Wenn die Unterscheidung von Himmel und Erde, die die Mittlung durch den Geist noch vor‐ 332 A) Beelzebul und Menschensohn aussetzt, aufhört, wird eine durch den Feuerstrom hindurchgegangene Existenzweise ‚wie die Engel‘ möglich. Daraus wird auch deutlich, worin Geist und Feuer noch unterschieden sind: Geistbesitz bezeichnet eine Mittlung zwischen den Schöpfungsräumen, feurige Existenz setzt das neue Einswerden voraus. Wenn der Täufer den Feuer-Täufer als den Stärkeren, den Menschensohn, ankündigt, dann ist dieser Menschensohn Zuführer zum himmlischen Feuerstrom, dessen Taufe Zugang zur himmlischen Liturgie gewährt. 316 Diesen todesähnlichen Umbruch Wirklichkeit werden zu lassen, darauf zielt die Buß‐ forderung des Täufers und sein Hinweis, dass Gott aus Steinen, aus dem Nichts also, sich Söhne erwecken kann; die Taufe markiert ein Durchschreiten durch das Nichts des Todes in die neue Schöpfung. Bereits die Symbolik der Gabe eines neuen Geistes und eines neuen Herzens setzt in Ez 36 ein Durchschreiten eines todesähnlichen Zustandes voraus. Durch Lk 12,49f. und Mk 10,38 ist die Taufe als Todesbild für die Jesus-Tradition bezeugt. Wenn Lk 12,49f. einen ursprünglichen Zusammenhang anzeigen, dann kommt hier zum Ausdruck: die eschatologische Läuterung - in ihr ist die richtende Heiligkeit Gottes ein Aspekt -, die Jesus als feurigen Brand auf die Erde bringt, wird in seiner Todestaufe zur stellvertretend erwirkten Realität. Verwandt ist KoptThEv 82: „Wer mir nahe ist, ist dem Feuer nahe; wer mir fern ist, ist dem Königreich fern.“ Feuer ist hier nicht Gerichtsvernichtung, sondern himmlische, numinose Qualität: Nur durch das Feuer hindurch kommt man in das Königreich, quasi getauft im Feuerstrom, welches Todesschicksal aber Jesus selber stellvertretend auf sich nimmt. Auch POxy 840,41ff. ist ähnlich zu verstehen: Jesus und seine Jünger sind eingetaucht in lebenden und reinen Wassern, die kommen vom (Himmel) (nach Jeremias, Unbekannte Jesusworte, 1963 3 , 51 f.). Zur Diskussion um Lk 12,49f. vgl. A. Vögtle, Todesankündigungen und Todes‐ verständnis Jesu, a. a. O., 80-88; die Deutung auf den Gerichtstod, den Jesus stellvertre‐ tend auf sich nimmt, lehnt Vögtle zurecht ab, da sie der vorausgesetzten Richterfunktion widerspricht. Dass der Richter stellvertretend für die Angeklagten die Strafe auf sich nimmt, wäre in der Tat ein schiefes Bild; wenn es aber um eine eschatologische Läute‐ rung als Entsühnung geht, dann passt der Stellvertretungsgedanke, der im kultischen Denken beheimatet ist, sehr wohl. Jesus geht stellvertretend durch den רהנ רוניד . 317 Apok 5,6-14 sind Wiederaufnahme der Szene von Dan 7,9-14 und weisen zurück auf den Einsatz der Sendschreiben in 1,5f. und 1,12ff. Stufe einer Begegnung mit der Heiligkeit Gottes, durch Geist und Feuer hin‐ durch, hinführen zu können, darin liegt die gesteigerte Bedeutung des Stärkeren. Taufe in allen drei Stufen setzt aber eine sich jeweils steigernde Annäherung an das Todeserlebnis voraus. 316 Es ist deshalb wahrscheinlich, dass der Täufer, wenn er vom Menschensohn sprach, dessen Erwirkung der himmlischen Heiligkeit aufgrund der Feuertaufe mit einer Todeslehre verbunden hat. Der Evangelist Johannes bringt ja ausdrücklich dieses Zeugnis des Täufers, der auf das Lamm weist, welches die Sünde trägt (1,29.36). Das geschlachtete Lamm bleibt auch in der Johannes-Apokalypse die Gestalt des Menschensohnes am Ziel seines irdisch-himmlischen Weges. 317 Der Täufer als Priestersohn kannte aber auch die grundlegende kultische Kategorie der stellvertretenden Lebens-Hingabe im Opfer. In seiner Priestertradition liegt vermutlich auch das Wissen, dass für den 333 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 318 Vgl. die Levi-Tradition, die die Opfergesetze und die Kultbestimmungen auf Isaak zurückführen: Hs e zu TL 18,2, bes. V. 23.50.57; Charles App. III, bes. 22; TLevi 18,6; 9,1-14 319 S. Spiegel hat in ‚The Last Trial‘ 1967, die teilweise frühen Traditionen zusammen‐ gestellt, die die Akedah mit dem Versöhnungstag und der Entsühnung durch den Märtyrer-Tod verbinden; tw. hat man Isaak als quasi, bzw. nahezu tatsächlich, geopfert angesehen. Auch dass die Seelen der Gerechten im himmlischen Heiligtum dargebracht werden, zeigt die Konsequenz und Notwendigkeit des kultischen Satzes von der Auslösung menschlichen durch menschliches Leben. Vgl. weitere Lit. bei A. Segal, Heavenly Ascent, ANRW 23,2, 1370 135 . 320 Mit dem Täufer ist eine ‚Identifizierung‘ mit Elia verbunden; auch Elia stammte aus priesterlichem Geschlecht und wurde als wiederkommender messianischer Hoher‐ priester erwartet, vgl. J. Jeremias, Art. ‚Ηλ(ε)ίας‘, in: ThWNT II 934 f. und Billerbeck, IV, 462-465. Zum himmlischen Hohenpriester Pinchas/ Elia vgl. Hengel, Zeloten, 1976 2 , 170 f. Dass der Täufer mit der feurigen Lichtgestalt des priesterlichen Erlösers gleich‐ gesetzt wurde, zeigen noch Lk 1,15-17.76.79; Joh 1,21; 5,35 und Mk 9,13. Zur feurigen Lichtgestalt vgl. Lev r 1,1; Sirach 48,1; PsPhilo 28,3. Auffällig ist, dass die Identifizierung mit Elia über den Lehrer auch auf den Schüler Jesus gelangt. Jesus wird sowohl mit dem Täufer als auch mit Elia identifiziert, vgl. Mk 6,14f. 8,28. Als dritte Größe in dieser Reihe erscheint in Mk 9,11-13 der Menschensohn. Grundsätzlich ist zu erwarten, dass diese Reihe eine Steigerung markiert, so dass sich auch die priesterlichen Züge steigern, nämlich die Bekämpfung der Sünde und die Hinführung zur Heiligkeit Gottes. Die Typos-Beziehung legt nahe, dass sich das erste und das dritte Glied besonders nahestehen. Bedeutsam ist, dass mit dieser Kette Elia-Johannes d.T. - Jesus auch eine besondere Leidenslehre verbunden ist. Jesu Leiden-Müssen enthüllt sich ihm in der visionären Begegnung mit Mose und Elia, was Lk direkt ausdrückt (9,31), Mk aber in der Abfolge von Verklärung und Jüngergespräch voraussetzt. Jeremias, ThWNT II, 942,5ff. weist auf die vorneutestamentliche, jüdische Tradition vom Martyrium des Elia hin, eine Tradition, die Apok 11 nur aufnimmt. K. Berger hat diese Tradition in ders., Die Auferstehung des Propheten und die Erhöhung des Menschensohnes, Göttingen 1976, 26-52 ausführlich dargestellt. Ist dieses Märtyrer-Leiden auch als stellvertretendes Sühne-Leiden verstanden worden? Wenn ich recht sehe, ist Berger hier sehr viel vorsichtiger als Jeremias, der a. a. O., 943, 14-20 schreibt: „Die Feststellung des Alters der apokalyptischen Tradition vom Martyrium des wiederkehrenden Elias ist biblisch-theo‐ logisch von großer Wichtigkeit. Zeigt sie doch, dass Mk 9,12f. mit Recht behauptet, dass der Gedanke eines leidenden Vorläufers den Zeitgenossen Jesu nicht fremd war. Die Geschichtlichkeit der Leidensweissagungen Jesu und folglich auch der Aussagen über die Sühnkraft seines Todes erhält damit eine wichtige Stütze.“ (Hervorhebungen von Jeremias). Hier ist die gesamte neuere Forschung in ihrer Unterscheidung von Kontrastsündenverfallenen Menschen stellvertretender Sühn-Tod mittels Opfer-Tieren nicht in letzter Wirkmächtigkeit durchgeführt werden kann. Nicht umsonst erhielt in der Epoche um die Zeitenwende in bestimmten priesterlichen Kreisen die Akedah eine neue Bedeutung, 318 die auch den tatsächlichen Tod Isaaks nicht mehr ausschloss. 319 Das Selbstopfer des von Gott geheiligten Menschen, der aus dem himmlischen Kultbereich Gottes stammt, ist als charismatische Zuspitzung im Täuferkreis denkbar. 320 Ohne die kontingente Geschichte allzu 334 A) Beelzebul und Menschensohn und Sühne-Schema vorsichtiger. Immerhin setzt die Vernichtung des Anti-Christen, der das Martyrium des Elia zugerechnet wird, eine Befreiung von den widergöttlichen Kräften, den Menschen zugute, voraus. Das Leiden eines besonderen, himmlischen, mit himmlischer Reinheit und Heiligkeit priesterlich verbundenen Menschen, dessen Tod die Befreiung von den widergöttlichen Kräften erwirkt, passt gut zum kultapokalypti‐ schen Ansatz des Täufers. Nicht nur die Enthüllung des δεῖ ist der Rückbindung Jesu an die Täufertradition zuzuweisen, sondern auch die Qualifizierung dieses Leidens als Hinführung zur und Ermöglichung der Begegnung mit der Heiligkeit Gottes, die nicht mehr von Sünde, Tod und Teufel verstellt ist. 321 Komm. II, 159. 162-164. 322 Vgl. Bühner, Der Gesandte, Tübingen, 1977, 138-147; vgl. auch das Material bei Berger, Auferstehung, a. a. O., 527-529. Die Aussage von Berger, a. a. O., 188, bei der Verwendung von ἦλθον werde „hinter dem Εrscheinenden kein weiteres Subjekt sichtbar …“, wird dem formgeschichtlichen Einsatz von ἦλθον in der Botensprache nicht gerecht. 323 Die älteste Schicht der Menschensohn-Logie, in: ZNW 58, (1967) 159-172, hier: 167. sehr mit implizierter Bedeutung überfrachten zu wollen, kann man also die Vermutung anstellen, dass das sündentilgende Selbstopfer des Menschensohnes, als Möglichkeit der charismatischen Deutung von Jesu irdischem Weg, ihm letztlich von Johannes dem Täufer erschlossen wurde. Nach diesen Bemerkungen zum konzeptionsmäßig an sich nicht notwendig sekundären Charakter der Sühn-Tod-Tradition bei Jesus wenden wir uns Mk 10,45 zu. Pesch hält aus mehreren Gründen diesen Vers für nicht-jesuanisch: Vielmehr sei an die durchaus authentische Nachfolge-Belehrung 10,35-44 ein einheitliches, sekundäres, hellenistisch-judenchristliches Logion als Abschluss der katechetischen Sammlung angehängt worden. 321 Mk 10,45 muss aber keines‐ wegs sekundär sein: - ἦλθεν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου verrät, unvoreingenommen betrachtet, nicht den Rückblick der Gemeinde auf die abgeschlossene Sendung des Menschensohnes. Ἦλθεν ist formgeschichtlich betrachtet Teil der Boten‐ sprache; es enthüllt das Ziel des Auftrags, dem der Bote untersteht. 322 Ἦλθεν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου umschreibt die Sendung Jesu in ihrer eigenen Zielbestim‐ mung, sofern in Jesu Sendung der Menschensohn in noch zu klärender Weise zugegen ist. Diese ἦλθεν/ ἦλθον-Worte könnte man mit Jeremias auf einen rabbinischen Sprachgebrauch profaner Verwendung zurückführen: ‚ich bin dazu da, will, habe vor etc.‘ 323 Noch näher liegt es, an einen prophetisch-charis‐ matischen Sprachgebrauch zu denken, in dem der von Gott in seinen Ratschluss Hineingenommene vom Ziel bzw. der besonderen, himmlischen Qualifizierung seines irdischen Weges spricht. Gerade die Form ἦλθεν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ist aufgrund Mt 11,18f./ Lk 7,33f. als Sprachgebrauch Jesu erkennbar; denn dieser Spruch geht von einer grundlegenden Solidarität zwischen Jesus und dem Täufer aus, die sie vor ihrer jeweiligen Eigenart des Auftretens zusammen‐ 335 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 324 Vgl. H. Schürmann, Lk-Komm. I, 428f. 325 Vgl. H.E. Tödt, Der Menschensohn in der synoptischen Überlieferung, 1959, 109; J. Jeremias, Abba. Studien zur neutestamentlichen Theologie und Zeitgeschichte, 1966, 227; E. Lohse, Märtyrer und Gottesknecht, 1963 2 , 168f. 326 Existenzstellvertretung für die Vielen, in: P. Stuhlmacher, Versöhnung, Gesetz und Gerechtigkeit. Aufsätze zur biblischen Theologie, Göttingen 1981, 27-42, hier: 32f. 327 Weil ich dich liebe. Die Verkündigung Jesu und Deuterojesaja, 1976 (ANTI 1), 231-277. 328 Vgl. R. Pesch, Komm., II 163. 329 Vgl. Komm., II, 362. schließt. 324 Diese grundlegende Solidarität prägt auch das sicherlich alte Wort Jesu in der Vollmachtsfrage Mk 11,30. Beide sind ‚gekommen‘, d. h. stehen in Beziehung zu einem Ratschluss Gottes, der sie trägt. Auch die Einsetzung des Menschensohn-Namens im Gegenüber zum Täufer klingt ursprünglich, zumindest palästinisch. 325 Mk 10,45 klingt also wie ein aus der Täufer-Tradition Jesu stammendes Wort. Pesch setzt voraus, dass Mk 10,45 in besonderer Weise die christlich-helle‐ nistische Rezeption von Jes 53,10-12 LXX widerspiegelt; P. Stuhlmacher macht aber deutlich, dass sehr wohl eine hebräische Urschicht des Wortes zutage tritt und die Berührungen mit LXX doch gering sind. 326 Mit W. Grimm 327 weist er darauf hin, dass deutlichere Beziehungen zu Jes 43,3f. (hebr.) bestehen. Die Wendung δοῦναι τὴν ψυχὴν αὐτοῦ entspricht dem ןתא םדא : ‚ich gebe Men‐ schen(leben)‘; das ἀντί entspricht dem תחת; vor allem ist das λύτρον, das man sachlich schon immer stärker mit רפכ als mit םשא in Verbindung bringen musste, 328 hier in Jes 43,3 als רפכ vorgegeben. Entscheidend ist aber, dass der Menschensohn-Name hier eine sachliche Vorgabe findet: םדא wird für Israel als Lösemittel gegeben. Der Spruch setzt also deutlicher eine hebräische als eine griechische Auslegungslinie voraus. - Wenn, wie Pesch andeutet, die Abendmahlstradition vom irdischen Jesus ausgeht und von ihm schon als Stiftung des in den Tod gehenden Menschen‐ sohnes verstanden wurde, 329 liegt Mk 10,45 ganz auf dieser Linie: Der Menschen‐ sohn gibt sein Leben als Sühnemittel - dieser Satz ist gerade in der Verbindung mit Mk 14,21-26 als jesuanisch erkennbar. Es liegt in Mk 10,45 also ein der Abendmahlsstiftung sachlich paralleler Vorstoß Jesu vor. In seiner charismatisch begründeten Leidenslehre weist er auf den Menschensohn als himmlische, priesterlich-reine Gestalt. Es geht um die entsühnende Auslösung des Gottesvolkes durch stellvertretendes Todesleiden des Menschensohnes. Wenn dieses Menschensohn-Logion zur Leidenslehre Jesu gehört, wie ist dann das λύτρον-Wort zu verstehen? 336 A) Beelzebul und Menschensohn 330 Vgl. H. Gese, Die Sühne, in: ders., Zur biblischen Theologie. Alttestamentliche Vorträge München 1977, 85-106, hier: 87-91. „Der Grundgedanke des nachexilischen Kultes ist, dass Israel zum Heiligen hinzugebracht wird. Der Kult ist zeichenhafte Sühne, denn er ist Weg zum Heiligen, der nur durch unseren Tod hindurchführen kann.“ (99) „Es ist ein Zu-Gott-Kommen durch das Todesgericht hindurch.“ (104) Dieser Charakter der Er‐ möglichung einer neuen Begegnung mit der Heiligkeit Gottes prägt auch den רפכ/ das λύτρον, vgl. Jes. 43,3f; Ex 32,30-35. 331 Vgl. F. Maass, Art. ‚רפכ‘, in: THAT, I, 844. 332 Vgl. bes. Ex 30,16. 333 Vgl. auch K. Kertelge, Art. ‚λύτρον‘, in: EWNT, II, 901f. 334 Zu Recht betont von Grimm, a. a. O., 240f. רפכ ‚kophär‘ meint das Lösegeld, das als Existenz-Stellvertretung eingesetzt wird, um in die Gottesgemeinschaft treten zu könne. 330 רפכ mag wohl ursprüng‐ lich im ius civile 331 beheimatet gewesen sein; jedoch zeigt der Kontext von Ex 30, dass schon für die redaktionelle Endschicht רפכ ‚kophär‘ mit dem kipper-Ritus des Zeltdienstes in Verbindung gebracht wurde. 332 Die bei Jes 43,3f. zu Tage tretende Voraussetzung, dass vollwertiger Ersatz für das eigene Leben nur fremdes Leben sein kann, zeigt deutlich an, dass auch das ‚Lösegeld‘ als kultisches Sühnemittel analog dem Opfer verstanden wurde. 333 Es kommt im kultischen Vollzug entscheidend darauf an, dass Gott das Lösegeld selbst be‐ stimmt, bereitstellt und akzeptiert. 334 Dies ist nun auch der Sinn von Mk 10,45. Es kommt nicht so sehr darauf an, dass der Menschensohn an die Stelle der Völker tritt - dazu ist der Satz doch zu wenig direkte Auslegung von Jes 43,3f.; vielmehr kommt alles darauf an, dass Gott das Leben Jesu als Sühnegeld für das todverfallene Leben der Vielen akzeptiert, um so den Vielen eine neue Begegnung und Gemeinschaft mit der Heiligkeit Gottes zu ermöglichen. Die neue Gottesgemeinschaft, in die Jesus die in seine Nachfolge gerufenen Menschen hineinstellt, verlangt danach, ja setzt voraus, dass die neu mit Gottes Heiligkeit konfrontierten Menschen zuvor entsühnt werden. Gott bestimmt den Tod Jesu, des Menschensohnes, zu dieser eschatologischen Sühneleistung: Er setzt sie fest und akzeptiert sie, garantiert ihre kultrechtliche Gültigkeit für den neuen Bund. Es ist sachlich das gleiche gemeint wie in Mk 14,22-25: Jesus gibt sein Leben stellvertretend für die neue Menschheit, die im neuen Bund mit Gott geeint ist. Durch seine stellvertretende Sühne schafft Gott durch ihn ein neues Bundesvolk, das ihm nunmehr als ent‐ sühntes, sündloses gegenübertreten kann. Der Zusammenhang der Anordnung und Akzeptanz eines λύτρον ist im Alten Testament kultrechtlich geregelt. Die Einsetzung eines Lösegeldes entspringt dem Ratschluss Gottes. Es bedarf also einer besonderen, charismatischen Vollmacht, den Ratschluss Gottes über die Ein‐ setzung und Akzeptanz eines neuen Lösegeldes zu enthüllen. Die charismatische 337 3. Kultische Züge im Menschensohn-Bild der Synoptiker 335 K. Berger, Die Amen-Worte Jesu, 1970, 23. Enthüllung des Ratschlusses Gottes ist außerhalb des offiziellen Kultrechtes die einzige Möglichkeit, eine solche heilsgeschichtlich-eschatologische Neuerung der göttlichen Entsühnungsmaßnahme an seinem Volk, gar erst an der Menschheit, zu legitimieren. Diese charismatische und als solche legitimierende Kraft liegt in der Wendung, die den Satz einleitet: ἦλθεν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου. Das ἦλθεν enthüllt pneumatisch das Ziel des Weges, auf den der Gottesbote ge‐ stellt ist. Im Rahmen der Todeslehre Jesu ist hierzu das δεῖ zu vergleichen, mit dem im Rahmen der ‚Kontrastansagen‘ sich Jesus auf den göttlichen Ratschluss bezieht. „Der apokalyptischen Erkenntnis wird (sc. durch das δεῖ) der Anstrich gegeben, es handele sich um Einsicht in notwendig ablaufende Ereigniszusammenhänge, in deren ‚Plan‘ der Visionär schon vorher Einblick hat.“ 335 Der Menschensohn ist die himmlisch-irdische Kultgestalt, welche in ihrer Vollmacht und Aufgabe durch die charismatische Enthüllung Jesu bestimmt wird. Durch den kultrechtlichen Kontext ist deutlich, dass der Menschensohn am neuen Gottesvolk entsühnend handeln darf, indem sein Leben als Lösegeld von Gott eingesetzt wird. Er ist Mittler einer neuen, eschatologischen Gottesbegegnung für die Vielen. Damit ist sein Handeln am treffendsten als das des eschatologischen Hohenpriesters zu umschreiben. Der eschatologische Hohepriester hat die Aufgabe, durch seinen eigenen, von Gott als Lösegeld eingesetzten Tod das neue Gottesvolk zu entsühnen und ihm eine neue Begegnung mit der Heiligkeit Gottes zu erschließen. Der Ausdruck ἦλθεν ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου ist also nach dieser Analyse die charismatische Vorstufe zu der späteren Ausformung des neuen Kultrechts im Joh.ev., wo der eschatologische Hohepriester im betonten Sinne Gesandter Gottes ist, der im Auftrag Gottes die eschatologische Entsühnung der neuen Menschheit vornimmt. Auch der Übergang in Hebr 2 vom Menschensohn zur Hohenpriester-Lehre hat hier in Mk 10,45 seine Vorstufe. 4. Jesus und der Menschensohn Wir gingen von der Beelzebul-Tradition aus: Sie enthält einen ‚Vorwurf ‘, der gut in das religionsgeschichtliche Milieu des spätnachexilischen Judentums passt. Aus dem Eingriff in das himmlische Haus Gottes, aus dem himmlischen Hintergrund-Zentrum der irdischen Schöpfungshälfte, kann der ‚praktische‘ Charismatiker in die Gestaltung der irdischen Verhältnisse eingreifen, ihre heilvolle Verbindung mit dem Himmel voranbringen. Die „Benutzung“ und der Schutz des für diese charismatische Praxis vorzugsweise verwendeten 338 A) Beelzebul und Menschensohn 336 Der Konzeption von G. Vermes, Jesus the Jew, 1973, 59-79, sei an dieser Stelle nochmals widersprochen: es ist u.A.n. nicht möglich, ein sog. ‚charismatisches Judentum‘ als Über‐ bleibsel eines ‚reinen‘ Prophetismus vorexilischer Zeit gegen die apokalyptische Weisheit und eine damit verbundene ‚Engel-Magie-Medizin‘ auszuspielen. Der 'immediate contact with God' ist von der Benutzung von ‚secret powers‘ nicht zu trennen, gegen S. 64. Choni benutzt den Gottesnamen und wird in der talmudischen Fassung ausdrücklich als kult‐ prophetischer Theurg rezipiert. Auch das chasidische Gebet, das Vermes vor allem bei Chanina ben Dosa entdeckt, geht untrennbar hinüber in eine ekstatisch-animistische ‚Praxis‘ der Seelengeleitung. Die Unterschiede zwischen der apokalyptischen Vision, in der auch charismatisch benutzbare, praktische Weisheit mitgeteilt wird (Jub 10,10-14), einer Notiz des Josephus über den ‚praktischen‘ Weisen Salomon (Ant. 8,44f.), die kurze Andeu‐ tung der Aktivität des ג ז ר in 4 QOrNab oder die Darstellung einer Gebets-‚Sitzung‘ des Chanina ben Dosa, der die Akedah ‚praktiziert‘, beruhen zunächst auf jeweils gattungs‐ mäßigen Besonderheiten der Verwendung und Darstellung der ‚praktischen‘ Weisheit. Sachlich gemeinsam ist u.A.n. der kultische Hintergrund dieser praktischen Weisheit. Die Kategorie der Gott-Unmittelbarkeit im strengen Sinne sollte man zunächst religionsge‐ schichtlich nicht einsetzen und auch in der Deutung der Vollmacht Jesu vermeiden. Denn auch bei Jesu geht es nicht um schlicht spontane Gottunmittelbarkeit, vielmehr ist of‐ fenbar gerade die Menschensohn-Lehre Zeichen seiner apokalyptischen Weisheit, die zu Vollmacht führt. Auch das πεῦμα ist Medium der Gottesbindung Jesu. Eine Gottunmittel‐ barkeit würde schließlich eher zu einer ‚two-powers-in-heaven‘-Struktur, nicht aber zu einer Trinitätslehre führen. Die Konzeption von Vermes führt konsequent zu einer Aus‐ blendung einer apokalyptischen Menschensohn-Lehre Jesu und zu einer sehr geringen Veranschlagung des Einflusses des Täufers auf Jesus. Kultgeheimnisses spielen hierbei eine besondere Rolle (MAb 1,13). Kultapoka‐ lyptik, also das Auszeichnen der kultischen Erschließung und Bebilderung der Schöpfung gerade auch in ihrem himmlisch-eschatologischen Teil, gehört zur ‚Theorie‘ dieser ‚praktischen‘ Weisheit. 336 Der Rückgriff auf und der Zugang zur himmlischen Kultsphäre Gottes ist traditionell Vorrecht des Priesters, zumal des Hohenpriesters. Der Herr des Zebul ist dann eine priesterliche Gestalt, die über den Zebul verfügen darf. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass Jesu Menschensohn-Lehre in der außersynoptischen Tradition des NT durchgängig rezipiert worden ist unter dem Aussage-Zentrum, dass Jesus als Menschensohn zu der himmlischen Kultsphäre der Heiligkeit Gottes gehört und seiner Gemeinde den Zugang zu und die Gemeinschaft mit der himmlischen Kultsphäre der unmittelbaren Gottesbegegnung geschaffen hat. Daraus entsteht für die Gemeinde eine pries‐ terlich-pneumatische Existenz (ApG 6,3; Hebr 2,4; Apoc 1,4; 2,7; 3,1; Joh 3,3.5ff.; 4,23; vgl. 2Kor 5,5), die für die Zukunft die bestätigende Neuvereinigung von himmlischer und irdischer Schöpfungshälfte vom Himmel her erwartet. Ja, diese Vereinigung ist im Menschensohn und der durch ihn erschlossenen Pneuma-Existenz bereits hergestellt. Die Lösung vom übrigen Judentum und seiner verschiedenen Zweige hängt direkt an dieser Neukonstituierung eines 339 4. Jesus und der Menschensohn 337 Richtig herausgestellt bei Pesch, FS Schürmann, a. a. O., 1978, 44 f. Vgl. grundlegend R. Otto, Reich Gottes und Menschensohn, 1934, 159-162; 166-173; 197-203; 248f.263. kultischen Zentrums im Geschick des Menschensohnes Jesus, der verbindenden Zugang zum himmlischen Heiligtum Gottes hat. Diesen Eingang in das himm‐ lische Haus Gottes hat Jesus als Menschensohn eröffnet. Wir haben an drei exemplarischen Textzusammenhängen, die jeweils eine Gruppe aus der bekannten Dreigliederung der Menschensohn-Tradition repräsen‐ tieren und in der Forschung am ehesten als genuin jesuanisch diskutiert werden, gesehen, dass Jesus im Horizont seiner Menschensohn-Lehre offenbar an diesem Vordringen in die himmlische Kultebene orientiert ist. Es geht ihm um den Zugang zur direkten, himmlischen Heiligkeit Gottes. Er hat als Menschensohn Vollmacht über die der Heiligkeit Gottes widersprechenden Kräfte der Sünde (Mk 2,5.10). Sünde, Krankheit/ Tod und Teufelsherrschaft weichen vor ihm zurück. In der traditionellen Hierarchie der gestuften Heiligkeit steht er über der Kultordnung des Sabbats, eben als Menschensohn, der direkt an der Heiligkeit Gottes partizipiert (Mk 2,18). Auch der in der Forschung ganz im Mittelpunkt stehende Bekenner-/ Verleugner-Spruch geht nach unserer traditionsgeschichtlichen Einordnung nicht von der Richterfunktion des Menschensohnes aus, sondern von seinem Mitbringen der zu ihm Gehörenden in den Kreis der himmlischen Heiligen, bzw. von seiner Verweigerung, an seinem Weg Anteil zu geben (Lk 12,8f.par.). Hier klingt das kultapokalyptische, anthropologische Zentralmotiv der ursprünglichen und es‐ chatologischen Engel-Gestalt des Menschen an. 337 Auch die Leidenslehre Jesu hat zum Zentrum ein kultisches Verständnis des Menschensohnes: Durch sein Selbstopfer schafft er eschatologische Reinheit und so die Voraussetzung für die Gemeinde, in das Verhältnis pneumatischer Verbundenheit mit der Heiligkeit Gottes treten zu können (Mk 10,45). Der Menschensohn trägt also im Zentrum Züge des himmlischen, eschatologischen Hohenpriesters, der heilvollen Zugang zur himmlischen Heiligkeit Gottes eröffnet. Dies alles passt gut als Ausgangspunkt zur polemischen, kanaisierenden Ver‐ drehung seines Anspruchs, zur Diagnose: Βεελζεβοὺλ ἔχει. Als Menschensohn kommt Jesus dem Anspruch nahe, Herr des (himmlischen Kult-)Hauses (Gottes) zu sein. Die Menschensohn-Tradition Jesu deckt den im Beelzebul-Vorwurf enthaltenen Anspruch auf einen Eingriff in die himmlische Kultsphäre Gottes ab. Damit eröffnet sich die Möglichkeit, diese zwar polemische, jedoch an Jesu Anspruch offenbar nicht völlig vorbeizielende Tradition daraufhin zu befragen, wie sie Jesu Verhältnis zum Menschensohn deutet. Diese Frage ist umso 340 A) Beelzebul und Menschensohn 338 Vgl. dazu K. Preisendanz, Art. ‚Πάρεδρος‘, in: PRE, 18/ 3 (1949), 1428-1453. 339 Vgl. o.S. 254ff. 340 A.a.O., 1433: die πάρεδροι der Götter sind projezierte πάρεδροι der Magier. wichtiger, als Mk 3,22 die älteste uns erreichbare, explizite Theorie über Jesu Verhältnis zum Menschensohn enthält. Die Deutung der Jerusalemer Autoritäten steht im Zusammenhang mit Jesu Exorzismen, seinem Wunderwirken also gegen die anti-kultischen Nega‐ tivkräfte von Sünde, Tod und Teufel. Mk 2,10 und Joh 5,27 zeigen, dass der Menschensohn-Anspruch im Kontext direkten Wunderwirkens laut wurde; ansonsten aber gehörte er in die mehr esoterische Jünger-Belehrung. Die Jerusalemer greifen also wohl auf ein besonderes Geheimnis Jesu zurück, das sie durch die Enthüllung unwirksam machen wollen. Umgekehrt darf man vermuten, dass Jesus sein Wunderwirken nur als äußersten Kreis der Abstrahlung der Heiligkeit des Menschensohnes verstanden hat. Im Kern steht mehr die esoterische Leidenslehre und der Vorstoß in das himmlische Geheimnis des Menschensohnes. Die Jerusalemer behaupten: Jesus hat sich den Menschensohn = den Beelzebul verschafft, um so als „Herr der Geister“ Dämonen austreiben zu können. Die Jerusalemer deuten Jesu Menschensohn-Anspruch also sehr wahrschein‐ lich von der Theorie einer πάρεδρος-Struktur 338 aus: Er hat sich den Men‐ schensohn als bei ihm verborgen anwesenden Beisitzer ‚verschafft‘, durch den er seinen in die himmlische Schöpfungshälfte eingreifenden Anspruch wahrnimmt. Wir haben oben gesehen, dass auch das spätere mystisch-‚praktische‘ Ju‐ dentum die zunächst ägyptisch-hellenistisch bezeugte ‚Gewinnung eines himm‐ lischen Beisassen‘ kennt und hierbei ausdrücklich den zum Zebul gehörigen Metatron, eine Parallelgestalt des Menschensohnes, bevorzugt. 339 Dies führt zu der Frage, wo diese πάρεδρος-Struktur religions- und traditionsgeschichtlich herkommt. Schon MAb 1,13 warnt davor, sich des Kult-Geheimnisses ‚zu bedienen‘. Bei Choni ist die Beschwörung mit dem Gottesnamen verbunden mit dem An‐ spruch, wie ein Haussohn zu Gott zu sein, also in charismatischer Vollmacht und chasidisch-freundschaftlicher Intimität zu Gott zu stehen. Er ist als Haussohn so etwas wie ein Beisitzer Gottes, der als solcher in Gottes Rechte eingreifen darf. Preisendanz hat darauf hingewiesen, dass sich das πάρεδρος-Verhältnis im Bereich der Götter und das des Magiers zu seinem Paredros entsprechen. 340 Man kann daraus schließen, dass die Gewinnung eines πάρεδρος Umweg ist für die eigene Gewinnung einer Position im unmittelbaren Machtbereich Gottes. Ähnlich zeigt auch die Henoch-Tradition an, dass in einer offenbar sehr alten 341 4. Jesus und der Menschensohn 341 FS H. Schürmann, 1978, 47 f., offenbar gegen Colpe, ThWNT, VIII, 443, 22f. 342 Vgl. Lev r 1,1 und Bühner, Der Gesandte und sein Weg, Tübingen 1977, 349ff. 343 Vgl. Bühner, a. a. O., 413 12 . 344 J. Wellhausen, Skizzen und Vorarbeiten. 3. Heft: Reste arabischen Heidentums, Berlin: Reiner, 1887, 133, T. Canaan, Dämonenglaube, 1929, 3. 345 Vgl. o.S. 218. Schicht (1Hen 14) Henoch durch visionäre Entrückung in die unmittelbare Nähe Gottes gelangt, während seine Identifizierung mit dem Menschensohn, der ‚objektiv‘ Beisitzer Gottes ist, einen Prozess weiterer Verdichtung des Zugangs zur himmlischen Wirklichkeit beschreibt. Die geheimnisvolle Identität Henochs mit dem Menschensohn ist jedoch nicht über das Medium der Beigesellung des Menschensohnes zu Henoch gedeutet. Beigesellung setzt das Empfinden für eine historische Situation in ihrem Abstand von der himmlischen Wirklichkeit voraus, die so in der Henoch-Tradition nicht gegeben ist. Gut ist die Beobachtung von Pesch, dass Jesus und Menschensohn in einem ‚Konkurrenzverhältnis‘ der Inanspruchnahme von Gottunmittelbarkeit stehen. 341 Hier zeigt sich ein Gespür für das grundlegende religionsgeschicht‐ liche Problem der Parallelität und Zusammengehörigkeit von charismatischen und himmlisch objektivierten Prozessen. Zu beachten ist ferner, dass auch das rabbinische Judentum die Theorie einer Propheten-Lehre kennt, nach der der Prophet in seiner Sendung mit himmlischer Numinosität verbunden ist. 342 Die Ebioniten sehen in dem Satz, dass im Propheten ein Engel spricht, als Vorstufe ihrer Engel-Christologie an. 343 Wellhausen wies auf einen vor-arabischen, altertümlichen Kahin-Begriff hin: „Hinter dem Priester steckt immer die Gottheit; nicht er, sondern die Gottheit richtet und bescheidet. Aus dem Kahin dagegen spricht der Ginn, der Genius. Die Kahine haben aufgehört, seit die Ginne sich nicht mehr in die himmlische Ratsversammlung einschleichen können, um zu horchen und dann ihren menschlichen Compagnons zu verraten, was Gott tun wolle. Diese Vorstellung, dass der Ginn die Quelle der Weissagung des Kahin sei, kann nicht erst durch Mohammed künstlich geschaffen sein, sondern muss in vorislamische Zeit hinaufreichen.“ 344 Das ἔχειν von Mk 3,22 weist - man wird vorsichtig formulieren müssen - auf einen weiteren religionsgeschichtlichen Bereich der Erlangung von Offenbarung und Wundervollmacht mittels der Verbindung des Menschen mit einem himmlischen Wesen, das sich ihr je und je oder auch dauerhaft beigesellt. Dabei geht es nicht um eine bloße Verdoppelung des Subjekts, sondern, wie die genannten Momente der Spiegelung und des Einwirkens der Vorstellung vom himmlischen Doppelgänger (vgl. auch Jischmael/ Metatron) 345 zeigen, um 342 A) Beelzebul und Menschensohn 346 Vgl. PGM I 180; IV 216; vgl. auch ‚λῆψις‘ in PGM I 96. 347 Vgl. I. Gruenwald, Neue Abschnitte aus der Hechaloth-Literatur, in: Tarbiz 38 (1969), 354-372; hier: 365, Komm. zu Z. 31. 348 Vgl. zur Auseinandersetzung mit Leivestad: o.S. 300. 349 Vgl. C. Colpe, Art. ‚ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου‘, in: ThWNT, VIII, 422, 7-12; U.B. Müller, Messias und Menschensohn, 1972, 27f.41.44.193-197; Bühner, Der Gesandte, 1977, 405f. die Enthüllung einer neugewonnenen, überirdischen Identität. PGM IV, 216-219 deuten das Verhältnis des Beschwörenden zu seinem πάρεδρος geradezu als mystische Vereinigung: „Vereinigt (empfohlen? ) wurde ich deiner heiligen Gestalt, Stärke empfing ich durch deinen heiligen Namen, teilhaftig wurde ich deines Ausflusses des Guten, Herr …“. Auch das Bild des freundschaftli‐ chen Umgangs miteinander begegnet in PGM I, 76f.171f. Ebenso wird … die ‚Beschwörung des Zar-haPanim‘, Z. 153, als Erreichung eines Verhältnisses des Beschwörenden zu ihm gedeutet, welches dem entspricht, das zwei Freunde im Gespräch vereint. Das ἔχειν steht in den ägyptisch-hellenistischen Zauberpapyri in sachlicher Entsprechung zu συνιστάναι. 346 Diesem συνιστάναι entspricht in der jüdischen ‚praktischen‘ Mystik der Ausdruck קקז als t.t. für die Vereinigung mit einem Engel. Es bezeichnet die Veranlassung der Erscheinung des Engels vor dem Mystiker, um ihm bei dem Merkaba-Aufstieg zu helfen und ihm Geheimnisse zu offenbaren, derer er sich dann auch theurgisch ‚bedienen‘ kann. 347 In der jüdischen Mystik stehen zwei Vorgänge nebeneinander: entweder steigt der Adept in die himmlische Thron- und Kultsphäre hinauf und erfährt dort himmlische, heilvolle Geheimnisse; oder er zwingt einen möglichst hohen Engel aus der heiligen Umgebung Gottes, gar den רש םינפה , zum Herabsteigen, um sich mit ihm zu verbinden. Die Verbindung ist nun wieder Vorbedingung und Medium der Offenbarung himmlischer Geheimnisse, ja mündet auch wieder in der neuen Ermächtigung, in die Himmelswelt aufsteigen zu können. Litera‐ risch und sachlich scheint die Praxis einer Beigesellung sekundär gegenüber dem direkter Himmelsaufstiege des Mystikers zu sein. Die himmlische Ver‐ wandlung in einen der Himmlischen als Ziel des älteren Visionsvorgangs ist hier gleichsam als Schutzmaßnahme an den Anfang des Aufstiegs gerückt, eben in der Gestalt der Vereinigung mit dem Engel. Will man das Menschensohn-Problem grundsätzlich vor diesem durch Mk 3,22 angerissenen Hintergrund angehen, muss sicher sein, dass der Menschen‐ sohn nicht nur Symbol einer eschatologischen Funktion ist, 348 sondern in der vorneutestamentlichen, jüdischen Apokalyptik eine engelähnliche Gestalt meint. 349 Diese Annahme ist aber unausweichlich: Schon in Ez 1,26 und Dan 10,16 ist die Gestalthaftigkeit ‚wie ein Mensch‘ Merkmal eines himmlischen We‐ 343 4. Jesus und der Menschensohn 350 Vgl. Dan 7,22.25.27. 351 1Hen 51,4; vgl. dazu o.S. 128ff. 352 Vgl. Lk 12,8f. 353 Vgl. Joh 1,51. 354 Vgl. dazu Colpe, ThWNT, VIII, 418. 355 Vgl. H.R. Balz, Methodische Probleme, 90-93.102-104. sens. Durch den auf Menschen und Engel angewendeten Begriff der ‚Heiligen‘ ist die kultapokalyptische Grundlage der Anthropologie genannt: Es geht schon in Daniel, 350 ausdrücklich dann in 1Hen, 351 um die Erlangung engelartiger, hei‐ liger und himmlischer Seinsweise. Der Menschensohn ist also, sowohl in seinem visionär-mythischen Umfeld als auch in der anthropologischen Beziehung, eine engelartige Gestalt. Der Menschensohn und die Engel gehören zusammen; die Engel sind auch in der synoptischen 352 und johanneischen 353 Menschen‐ sohn-Sprache der Kreis, in den der Menschensohn gehört. Dass der Menschen‐ sohn eine engelartige Gestalt ist, geht auch aus der religionsgeschichtlichen Vorgeschichte im kanaanäischen Pantheon 354 und seiner Nachgeschichte in der Gestalt des Henoch-Metatron hervor. 355 Jesu Verhältnis zum Menschensohn ist also grundsätzlich, wie Mk 3,22 auch anzeigt, als Beziehung zu einem himmlischen Wesen zu bestimmen. Die in der Überlieferung betont festgehaltene Unterscheidung zwischen Jesus und dem Menschensohn ist Hinweis darauf, dass eine himmlische Gestalt, nicht nur eine funktionale Rolle, in seine eigene Identität eingreift. Man könnte sagen, wenn man Mk 3,22 judaisiert: Jesus hat sich dem Menschensohn verbunden; griechisch gesprochen: Er ist sein πάρεδρος, der geheimnisvoll bei ihm ist. Diese Verbundenheit mit dem Menschensohn bedeutet eine Vereinigung, ohne einfach Identifizierung zu sein. Die in der Überlieferung durchgängig festgehaltene Unterscheidung zwischen Jesus und dem Menschensohn ist als Hinweis auf eine ‚Verbindungs‘-Struktur verständlich. Jesus benutzt nicht die prophetische Offenbarungssprache, in der direkt das ‚Ich‘ Gottes anklingen müsste, sondern steht mit seinem Hinweis auf den Menschensohn im Bereich einer Offenba‐ rungslehre, in der ein Mittelwesen sich zur Verfügung stellt, bzw. in Dienst genommen wird. Ferner ist als Problem-Anstoß aus dem frühen Kommentar Mk 3,22 zu entnehmen, dass Jesu Verhältnis zum Menschensohn nicht als proleptische Struktur gedeutet wird, sondern als irdische Manifestierung einer himmlischen Vollmacht. Jesu Hinweis auf den Menschensohn enthüllt ja eine gegenwärtige Vollmacht auch nach Mk 2,10. Natürlich kann Mk 3,22 eine es‐ chatologische Spannung in Jesu Hinweis auf den Menschensohn unterdrücken; dass man seinen Anspruch aber als gegenwärtiges ‚Haben‘ einer himmlischen Gestalt deuten konnte, widerspricht nicht nur den Sprüchen vom Erdenwirken 344 A) Beelzebul und Menschensohn 356 Vgl. Geschichte der synoptischen Tradition, 1967 7 , 117.128.135. 163; vgl. R. Ruppert, Jesus als der leidende Gerechte? , 1972, 61f. 357 Reich Gottes und Menschensohn. Ein religionsgeschichtlicher Versuch, München, 1933, 179 f.; vgl. auch 176: „… er musste sich wissen als den zum Menschensohne bestimmten, schon jetzt als Funktionär des Menschensohnes wirkenden.“ Vgl. auch 181f.198 („… persönlicher Repräsentant des Menschensohnes“). 358 A.a.O., 179 f.; vgl. Ruppert, a. a. O., 71. 359 Vgl. ThWNT, VIII, 443, 23-27. 360 E. Schweizer, Erniedrigung und Erhöhung bei Jesus und seinen Nachfolgern, Zürich, 1962 2 (AThANT 28). 361 Vgl. Ruppert, a. a. O., 72 f.; H.R. Balz, Methodische Probleme der neutestamentlichen Christologie, Neukirchen, 1967 (WMANT 25), 45f. 362 A.a.O., 71.75; Ruppert, a. a. O., 68, verweist auf Balz’ Kritik an Otto. und vom Leiden nicht, nimmt sie vielmehr in ihrer Grundstruktur auf. Dies gilt nach unserer Deutung auch vom alten Bekenner-Spruch. Die übliche Annahme, der Menschensohn sei eine eschatologische Gestalt in dem Sinne, dass ihr Wirken zukünftig-eschatologisch gedacht werden müsse, ist grundsätzlich zu hinterfragen. Bultmann bezeichnet den Menschensohn aufgrund des Bekenner-/ Ver‐ leugner-Spruchs, bzw. seiner zwischen dem gegenwärtigen Jesus und dem zukünftigen Menschensohn unterscheidenden Struktur, als fremden Zeugen, der für Jesus eintreten werde. 356 Aufgrund einer Analyse der Henochtradition formulierte R. Otto die klassische These, wonach Jesus sich als den zum Menschensohn Bestimmten wusste. Jesus als Menschensohn meint: „… nämlich aufgrund und in Kraft seiner Bestimmung zum Menschensohn“. 357 Dadurch sollen auch die ‚gegenwärtigen‘ und die Leidensaussagen abgedeckt werden. ‚Der Menschensohn muss leiden‘ sei deshalb Breviloquenz für die Aussage: ‚Der zum Menschensohn Bestimmte muss leiden‘. 358 Auch Colpes These einer funktionalen Gleichsetzung 359 erinnert an die proleptische Rechtsstruktur Ottos. Schweitzers Ausrichtung am Schema ‚Erniedrigung und Erhöhung‘ 360 gibt zwar dem richtigen Empfinden Ausdruck, dass Jesu Beziehung zum Menschen‐ sohn nicht primär an der Übernahme einer zukünftigen Funktion orientiert ist, geht aber von einer apokalyptischen Menschensohn-Lehre aus, die in der Ab‐ folge zweier Stadien der Erniedrigung und Erhöhung kaum nachzuweisen ist. 361 Das eigentliche Problem, wie Jesus mit dem Menschensohn zusammenkommt, wird hierbei kaum behandelt. R. Ruppert, der sich Ottos These einer Bestimmung Jesu zum Menschensohn anschließt, möchte stärker betonen, dass Einsetzung zum Menschensohn Wand‐ lung bedeutet und dass deshalb das Todesgeschick als Abbruch der irdischen Kontinuität in die Menschensohn-Lehre unbedingt hineingehört. 362 345 4. Jesus und der Menschensohn 363 FS A. Vögtle, 1975, 194. 364 A.a.O., 195. 365 FS H. Schürmann, 1978, 47f. 366 Ebd., 48.53. 367 Vgl. Balz, a. a. O., 101. 368 Dies zeigt kaum eine Untersuchung so deutlich wie die von R. Otto, die man mit der Herausstellung der Struktur der Prolepse in Jesu Menschensohn-Verhältnis einseitig rezipieren würde, vgl. Reich Gottes, a. a. O., 178 2 : „Es ist ersichtlich, dass hier eine alte mythologische Gestalt, zweifellos mit der Gottheit selber von Anfang an existierend, zu Grunde liegt. Aber ebenso ersichtlich ist, dass diese Gestalt eingedacht wird in die echt jüdischen Ideen von Auserwählung und ewiger Auserwählung, die sich mit der mythischen Idee realen Zuvordagewesen-seins dann reiben, in die letzteren eintauchen und aus ihnen am Schlusse wieder auftauchen. Damit verbindet sich das eigentümliche Zwielicht über dieser Gestalt, das dadurch entsteht, dass der Seher eigentlich rein künftiges schauen soll und will, aber zu gleicher Zeit der himmlische Wanderer ist, der in den Himmelsgegenden und -wohnungen umherzieht und hier realia, nicht nur futura sieht.“ Auch R. Pesch geht zunächst von der zukünftigen Funktion des Menschen‐ sohnes als des eschatologischen Richters aus: „Als der Gerechte, der zum Heils‐ kriterium wird, hat er die Funktion des Menschensohnes übernommen, ist er der Menschensohn, der nach seiner Erhöhung als Richter fungiert.“ 363 Diese durch proleptische Funktionsübernahme und postmortale Erhöhung bestimmte Bezie‐ hung Jesu zum Menschensohn bedeute eine intendierte, verhalten angedeutete Identifizierung mit dem Menschensohn. 364 Wie oben erwähnt, spricht Pesch von einem Konkurrenzverhältnis zwischen Jesus und dem Menschensohn, insofern Jesus sich eine eschatologische Heilsmittler-Autorität zuspreche, die sonst dem Menschensohn zukommt. 365 In ihrer Beanspruchung von Gottunmittelbarkeit stünden Menschensohn und Jesus in Konkurrenz. Diese ‚Konkurrenz‘ werde von Gott durch Jesus aufgehoben. Pesch macht damit deutlich, dass die Men‐ schensohn-Lehre Offenbarung Gottes durch Jesus über den Menschensohn ist, wodurch das Verhältnis Jesu zum Menschensohn zu einer offenbarten und geglaubten Identität gebracht werde. 366 Die Kategorie der proleptischen Funktionsübernahme und die Aussage, dass der Menschensohn im Grunde der zum Menschensohn Bestimmte sei, sind Interpretamente, die weder in der jüdischen Henoch-Apokalyptik 367 noch in der Menschensohn-Tradition Jesu wirklich Anhalt haben. Der Menschensohn ist in der jüdischen Apokalyptik nirgends rein zukünftige Gestalt, sondern er ist in der Kult- und Thronsphäre Gottes präsent. 368 Der Seher schaut den himmlischen Hintergrund der irdischen Schöpfungshälfte, aus welchem die eschatologischen Prozesse hervorkommen. Der Menschensohn ist hierin himmlische Gestalt. Man kann diese himmlische Gestalt in ihrer Funktion nicht vorwegnehmen, sondern 346 A) Beelzebul und Menschensohn 369 Balz, a. a. O., 101, denkt an die Inthronisations- und Adoptions-Formel nach Ps 2,7. Der Gedanke an die himmlische Neugeburt, = Wandlung beim Aufstieg, liegt näher, angesichts des visionären Kontextes. 370 Vgl. auch Otto, Reich Gottes, a. a. O., 177f: Dass der Menschensohn bei der Entrückung und Wandlung Henochs nicht anwesend ist, zeige, dass die Gestaltung, Realisierung des kann mit ihr zunächst nur zusammengeraten wie mit dem angelus interpres, mit Gott selbst oder numinosen Wesen seiner himmlischen Gegenwart. Gerade 1Hen 70 f. trägt die Struktur einer Prolepse oder die Aussage, dass Henoch der zum Menschensohn Bestimmte sei, nicht. Nach 1Hen 70,1 wird Henoch „zu jenem Menschensohn und zu dem Herrn der Geister erhöht“, u. zw. qua Entrückung auf den Wagen des Geistes. Irdischer Henoch und himmlischer Menschensohn kommen über die Entrückung Henochs zusammen. Diese Weg‐ nahme bei Lebzeiten wird in 71,14-16 im Rahmen einer Merkaba-Vision von Henoch enthüllt. Ihm wird auf dem Höhepunkt des Aufstiegs enthüllt, dass er der Menschensohn ist, der zur Gerechtigkeit geboren wird. Er bekommt in der Vision die Himmlische Gerechtigkeit und den Frieden der zukünftigen Welt verliehen und wird so, in der visionären Wirklichkeit, zum himmlisch-es‐ chatologischen Menschensohn, in dem die Gerechten ihr himmlisches Heil bewahrt wissen. Diese himmlisch-visionäre Identifizierung, die Ausstattung mit den Attributen des Menschensohnes, Gerechtigkeit und Frieden, lassen es nicht zu, Henoch unabhängig oder in theoretischer Absehung von diesem Vorgang als zum Menschensohn Bestimmten zu bezeichnen. Wir setzen voraus, dass das ‚Geboren werden‘ in 1Hen 71,14 nicht auf den irdischen Beginn seines Lebens zurückblickt und so nachträglich sein Leben als Vorbereitung und Bestimmung zum Menschensohn erscheinen lässt, sondern dass hier die himmlische Wandlung als (Neu-)Geboren-Werden bestimmt wird. 369 Durch die betonte Verzahnung der Zeitebenen ‚zukünftige Welt‘ - ‚seit der Schöpfung der Welt‘, ‚in Ewigkeit und von Ewigkeit zu Ewigkeit‘ ist deutlich gemacht, dass der Eingang in das himmlische Haus die Zeitlinien neu durchbricht und mit dem Gottesspruch an Henoch ein die Geschichte neu zentrierender καιρός gegeben wird. ‚Prolepse‘ oder ‚Bestimmung zu‘ zerlegen den Vorgang in ein Vorher und Nachher, wofür kein Raum ist. Auch in 1Hen 46 ff. ist der Menschensohn in die Ewigkeit der himmlischen Thronwelt eingeordnet, die seine Auserwählung nicht auf einen Zeitraum vor seinem Machtantritt eingeschränkt sein lässt. Das Losverfahren vor dem Herrn der Geister, durch das er auserwählt wird, ist ein himmlischer καιρός, der ihn ‚in Ewigkeit‘ qualifiziert. Worauf es ankommt, ist dies, dass die himmlische, engelartige, präexistenze Gestalt des Menschen‐ sohnes bestimmt wird durch neue Züge einer Konkretion. 370 Die in 1Hen 46,2 347 4. Jesus und der Menschensohn Menschensohnes ein mit dem Aufstieg des Charismatikers selbst verbundener Prozess sei: Er forme, realisiere geradezu den Menschensohn. 371 FS H. Schürmann, 1978, 48. 372 Vgl. Anm. 1148.1173.1183 und R. Otto, Reich Gottes, 197-203, bes. 199, der die Tod-Er‐ höhungslehre Jesu als Kennzeichen eines ekstatischen Animismus bezeichnet. 373 Vgl. o. S. 229; auch die Deutung von Mt 11,11 durch F. Dibelius, Zwei Worte Jesu, in: ZNW, 11 (1910), 188-192, bes. 171 f., wonach der ‚Kleinere‘ Jesus ist, der auf seine zukünftige Größe blickt, könnte diesen Zusammenhang von Solidarität und Überbietung im Verhältnis Jesu zum Täufer unterstützen. O. Michel, ‚Diese Kleinen‘ - eine Jüngerbezeichnung Jesu, in: ThStKr, 108 (1937/ 38), 401-415 ergänzt diese Deutung gestellte Frage nach der Identität des Menschensohnes richtet sich auf offenba‐ rende, ganzheitliche Konkretionen der Menschensohn-Gestalt bis in die irdische Schöpfungshälfte hinein. Es ist mit der Vision ein geschichtlich-kosmischer Prozess von ‚oben‘ nach ‚unten‘ enthüllt. Es geht nicht um Bestimmung zum Menschensohn, sondern eher umgekehrt um Bestimmung des Menschensohnes zu geschichtlicher Konkretion in der neuen Schöpfung. Der Satz von Pesch: „Die ‚Konkurrenz‘ der Gottunmittelbarkeit Jesu und des Menschensohnes ist von Gott aufgehoben durch Jesus“ 371 geht in die richtige Richtung, insofern die Konkretion der Gottunmittelbarkeit des die Heiligen repräsentierenden Engels ‚Menschensohn‘ ein durch Offenbarung, von ‚oben‘ her initiierter Vorgang ist. Jesu Verhältnis zum Menschensohn und - umgekehrt auch! - das Verhältnis des Menschensohnes zu Jesus beruht auf Offenbarung, auf einem charismati‐ schen Prozess. Offenbarung über die Konkretisierung des Menschensohnes äußert sich in der Gestalt eines bestimmten religionsgeschichtlichen Umfeldes, nämlich der Merkaba-Vision. An die Gottunmittelbarkeit des Menschensohnes kommt im Rahmen der henochitischen Kultapokalyptik der Visionär, der in das himmlische Kulthaus Gottes eindringen darf. Die Konkurrenz zwischen dem Gott nahen Henoch nach 1Hen 14 und dem Menschensohn nach 1Hen 46 ff. wird in 1Hen 71 so gelöst, dass der Menschensohn in dem gewandelten Henoch seine von Anfang an intendierte Gestalt findet. Der Menschensohn steht in einem ‚Verbindungs‘-Prozess. Dieser Verbindungs-Prozess wird durch die Vision vorangebracht. Für das Verständnis der Menschensohn-Lehre Jesu sind damit zwei grund‐ legende Elemente wichtig: die sein Auftreten begleitende, ihm verbundene himmlische Hintergrund-Gestalt und der charismatisch-visionäre Prozess, der diese Verbindung intensiviert. Dabei ist der religionswissenschaftliche Hinweis ernst zu nehmen, dass die visionäre Verbindung die Todesgrenze qualifiziert. 372 Wenn, wie wir der neutestamentlichen Überlieferung entnehmen, Jesu Be‐ ziehung zum Menschensohn von der Lehre des Täufers wesentlich beeinflusst wurde, 373 ist der Hinweis wichtig, dass Jesus sein Verhältnis zum Täufer sowohl 348 A) Beelzebul und Menschensohn S. 413f. durch Hinweis auf den Menschensohn, der der ‚Größere‘ ist. Die rein zukünftige Deutung der βασιλεία, der sich F. Dibelius, a. a. O., 190, anschließt, ist aber gerade in einem Spruch wie Mt 11,11 schwierig. Auch Mt 18,10 geht eher auf eine Differenzierung von irdischer und himmlischer Ebene, die in geheimnisvoller Entsprechung stehen. 374 Reich Gottes, 1934, 144ff. 375 A.a.O., 146; vgl. auch 163f. 376 A.a.O., 146. 377 Vgl. a. a. O., 164.340-342. nach Mk 9,12f. als auch nach der in Mk 1,2 anklingenden Q-Tradition Mt 11,10f. par. Lk 7,27-28, bestimmt hat vor dem Hintergrund des Auftretens und Beteiligtseins von Elia bzw. des Engels nach Ex 23,20; Mal 3,1.24. Der Übergang vom Täufer zu Jesus erscheint auf diesem Hintergrund als Übergang von der prophetisch-engelhaften Offenbarung zur Erschließung der vollgültigen, engel‐ ähnlichen Heiligkeit-Existenz in der Basileia. Die heilsgeschichtlich-himmlische Deutung des Täufers durch Identifizierung mit Elia und dem Bundesengel stellt also Jesu eigenes Auftreten vor einen himmlischen Hintergrund, der zu‐ nächst in der Volksmeinung eine bloße Verlängerung bedeutet. Der eigentliche Durchbruch zur Menschensohn-Lehre geschieht dergestalt, dass dieser himm‐ lische Hintergrund sich zur eschatologischen Verdichtung der Engelgestalt zum Menschensohn steigert, der die Seinsweise für die Basileia erschließt. Der Menschensohn, erschlossen als himmlische, engelähnliche, aber überenglische Gestalt, die mit Jesus ‚verbunden‘ ist - dies ist ein erster Anriss des Menschen‐ sohn-Problems, der in der Linie der Beziehung und der Deutung der Beziehung Jesu zum Täufer liegt. Wahrscheinlich ist für die Menschensohn-Frage auch Ottos an 1Hen 37 ff. gewonnene Beobachtung über das Konzept der schützenden Jenseitswesen zu beachten. 374 Nach 1Hen 39,4ff. befindet sich die Wohnung des ‚Auserwählten‘ über und inmitten der Wohnungen der Gerechten und Heiligen; sie legen für die Menschen auf Erden Fürbitte ein. Otto vergleicht sie mit den iranischen fravashis: „… die empirischen hiesigen Menschen mit Körper und Seele sind ihre irdische Gegenseite, und sie kommen nur zum Dasein, weil und sofern ihre geistigen, vorirdischen Gegenseiten in der geistigen Welt bei Ahura sind.“ 375 Otto weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf die Lehre Jesu nach Mt 18,10 hin. „Diese Engel der Kinder sind zugleich das geistige Gegenstück der Kinder selbst …“ 376 Eine ähnliche Spannung zwischen irdischer Erscheinung und himmlischer Realisierung des Menschen im animistischen Sinne findet Otto auch im Problem des Verhältnisses von Henoch zum Menschensohn, ohne diesen Gedanken freilich auszuführen. 377 Hier ist zunächst an die oben zitierte vorislamische Konzeption zu erinnern, nach der im Gottesboten auf Erden sein himmlisches Gegenstück 349 4. Jesus und der Menschensohn 378 Vgl. o.S. 342. 379 Vgl. o. Anm. 373 S. 348. spricht, der ihn mit der himmlischen Welt als der Quelle der Offenbarung verbindet. Der himmlische Geist ist der Genius des Propheten. 378 Für die Jesus-Tradition ist die Jünger-Lehre von Mt 18,10 besonders wichtig. Dass hier nicht einfach vom Kinde im allgemeinen Sinne, sondern vom demü‐ tigen und irdisch kleinen Jünger die Rede ist, hat O. Michel gezeigt. 379 Es liegt eine ähnliche Unterscheidung wie in Mt 11,25 zugrunde. Himmlische Offenba‐ rung, und das heißt doch auch: Zutritt haben zum Angesicht Gottes, kontrastiert mit der geläufigen, irdischen Weisheit. In dieser Spannung stehen die Jünger aber, sofern sie an der Spannung des Weges Jesu Anteil haben. Hinter dem Ver‐ hältnis der ‚Kleinen‘ zur himmlischen Würde ihrer Engel steht als begründende Ursprungsanalogie das Verhältnis Jesu zu ‚seinem‘ Engel, dem Menschensohn, der direkt zu Gottes heiliger Sphäre gehört. Die anthropologische Spannung zwischen ‚Mensch‘ und ‚Engel‘, um die diese jüdische Kultapokalyptik weiß und die Jesus aufnimmt und durch seine Menschensohn-Lehre und -Nachfolge neu bestimmt, kehrt offenbar auch im Verhältnis Jesu zum Menschensohn wieder: Er ist der besondere, mit himmlisch-eschatologischer Würde versehene Genius Jesu, sein besonderer Engel, seine fravashi. Entscheidend ist aber das zweite Element: Wir sind in allen Bereichen der Menschensohn-Lehre Jesu auf eine starke charismatische Basis gestoßen, die die Menschensohn-Aussage trägt und sie offenbar erst ermöglicht. In Mk 2,5.10. sahen wir, dass die Benutzung des Passivum divinum der Menschensohn-Aus‐ sage vorausgeht. Jesus mischt sich durch die Benutzung des Passivum divinum bei der Vergebungszusage in den Bereich Gottes ein. Wir haben hierin eine Ana‐ logie zum direkten charismatischen Eingreifen des Choni in die Schöpfungs‐ macht Gottes gesehen. Wie bei ihm die Haussohn-Würde diese charismatische Vollmacht trägt und aus ihr erwächst, so ist auch Jesu Menschensohn-Vollmacht Enthüllung und Folge der charismatischen Verwendung des Passivum divinum. In Mk 2,28 ist die Herrschaft des Menschensohnes über die irdische Kultord‐ nung dadurch bedingt, dass der Menschensohn in die himmlischen Schöpfungs‐ geheimnisse hineingenommen ist. Die mythologische Sprache von 1Hen 48,2f. ist in 1Hen 71,15f. als visionäre Erfahrung aufgenommen. Die Klärung der Schöpfungsgeheimnisse, und damit auch die Vollmacht über die Ordnung des Sabbats, impliziert ein charismatisch-visionäres Wissen. Auch der Bekenner-/ Verleugner-Spruch ist charismatisch geprägt: Jesus sagt ein Bekenntnis des Men‐ schensohnes vor den Engeln zu, das als visionäre Wirklichkeit beschreibbar ist und den Hingang Jesu im Tod als für die Jünger heilvolles Geschehen deutet. Die von 350 A) Beelzebul und Menschensohn 380 Vgl. K. Berger, Die Amen-Worte Jesu, Berlin (BZNW 39). 381 Ebd., 23. 382 Vgl. H. Windisch, Jesus und der Geist nach synoptischer Überlieferung, in Sh.J. Case (Hrsg.), Studies in Early Christianity, NY 1928, 209-236. „‚Der Mann mit Vollmacht‘ ist also eine vordogmatische Interpretation Jesu, die den Eindruck seines Auftretens unmittelbar wiedergibt. Nach dem Gespräch über die Vollmacht hat er es selbst auch anerkannt, dass ihm wie dem Täufer eine profetische Vollmacht zuteil geworden sei. Vollmacht setzt einen Berufungsakt voraus, der der prophetischen Sendung entspricht. So sind auch die zahlreichen ἦλθον-Sprüche der Synopse Beweise eines profetisch-pneumatischen Kraftbewußtseins …“ (235). Vgl. dazu R. Otto, Reich Gottes, a. a. O., 326. 383 Vgl. R. Otto. ebd., 199-201. Pesch für die ursprüngliche Q-Fassung ermittelte ἀμήν-Einleitung erhält dann ein besonderes Gewicht: Im ἀμήν bekräftigt der apokalyptische Seher das von ihm in der Vision Geschaute schwurmäßig. 380 Dem mit Tod und Erhöhung verbundenen Bekennen/ Verleugnen des Menschensohnes geht voraus das visionäre Wissen Jesu über den himmlischen Hintergrund des Vollzuges des Menschensohn-Han‐ delns. Charismatisches, visionäres Wissen über das himmlische Geheimnis des Menschensohnes ist Voraussetzung und Ermöglichung der eschatologischen Vollendung. Nicht Jesus ist hiermit der zum Menschensohn Bestimmte, sondern charismatisch realisiert er die himmlische Heilsbedeutung des Menschensohnes. In der mit dem Menschensohn verbundenen Leidenslehre sind wir auf das δεῖ der Ankündigungen und das ἦλθεν in 10,45 als charismatische Zugänge zur Menschensohn-Lehre gestoßen. Das δεῖ greift auf visionäre Erkenntnis zurück, mit der Jesus auf Wissen vom Himmel her über das Geschick des Menschensohnes verweist. 381 Auch im ἦλθεν zeigt sich ein die Menschensohn-Lehre tragendes visionäres Element: Jesus weiß um einen vom himmlischen Ratschluss Gottes ausgehenden Botenweg; 382 dieser Botenweg hat seinen Anfang, typologisch be‐ trachtet, in der visionären Gottesbegegnung. Die Vision als charismatische Grundlage der Menschensohn-Vollmacht deutet auf den Vollzug eines Übergangs, der in Beziehung steht zum Über‐ gang an der Todesgrenze. Henoch wird in der Vision zu einem Himmlischen gewandelt und neu geboren. Die Taufe des Täufers markierte bereits einen Übergang, der visionäre und todesähnliche Transzendierung anzeigte. Da die Menschensohn-Lehre Jesu im Wesentlichen aus der Täufer-Tradition stammt, ist klar, dass in ihr nicht nur das visionäre Element zur Entfaltung kommt, sondern dass ebenso eine Leidenslehre entsteht, welche das Verbundensein Jesu mit dem Menschensohn in eine eschatologische, umfassende Schöpfungs-Ebene hebt. Der Tod des Menschensohnes bedeutet Verherrlichung und Erhöhung. In dieser gedrängten, Himmlisches und Irdisches zusammenschauenden, Fassung bewahrt die johanneische Menschensohn-Lehre wohl die älteste Aussage, 383 die 351 4. Jesus und der Menschensohn 384 Vgl. R. Pesch, FS A. Vögtle, 1975, 171. Pesch spricht von einer theologischen Zeitansage. 385 Vgl. O. Michel, Der Menschensohn, in: ThZ, 27 (1971), 81-104, hier. 92, Anm. 35. 386 R. Otto, a. a. O., 285-327 erwähnt zwar für Paulus und die Urgemeinde die Vision als grundlegendes Zeichen der charismatischen Begabung; er stellt auch fest, dass das urgemeindliche Charisma in unmittelbarer Kontinuität zum Charisma Jesu steht. Ist aber folgende Formulierung bei Otto nicht verkürzt? „… mit dem Bewußtsein, mit dem erweckten Gefühle für das Wirkend-gegenwärtige des Reiches Gottes als dynamis des Transzendenten ist die Atmosfäre gegeben, wo nicht nur Wundererzählungen erfunden und nachträglich angehängt werden, sondern wo charismatisches Erleben und Wirken selber die zureichenden Bedingungen ihres Auftretens haben.“ (288) Bewusstsein und erwecktes Gefühl sind Größen, die selbst noch charismatisch bestimmt werden müssen: Man kommt dann um die Kategorie der Vision nicht herum. neben der ebenfalls alten Tradition steht, die in einer theologischen Zeitansage auf den 3. Tag weist. 384 Freilich ist entscheidend, dass nirgends in der neutesta‐ mentlichen Tradition der Tod und die Auferstehung als Erhöhung ‚zum‘ Men‐ schensohn gedeutet werden, sondern die Beziehung Jesu zum Menschensohn wird immer schon so vorausgesetzt, dass Jesus in seinem Verbundensein mit dem Menschensohn, als Menschensohn, erhöht wird. 385 Diesen Umstand werden wir so zu deuten haben, dass die charismatische, visionäre 386 Verbundenheit Jesu mit dem Menschensohn ganz im Mittelpunkt steht und der Übergang durch den Tod nicht seine Menschensohn-Würde schafft, sondern dieser eine Grundlage gibt für die gewisse Deutung des Todes als Wandlung und Erhöhung. Im Kreuz findet die Herrschaft des Menschensohnes ihre eschatologische Gestalt, ihre himmlisch-irdische Konkretisierung. Der Grund für die Notwendigkeit, das Kreuz Jesu als Verherrlichung des Menschensohnes zu deuten, liegt in der vom irdischen Jesus enthüllten, von Gott offenbarten Verbundenheit mit dem Menschensohn. Die Verklärungsgeschichte des Mk macht deutlich, dass die qualifizierende Verbundenheit Jesu mit himmlischer Gestalthaftigkeit und die daraus entstehende Menschensohn-Lehre Jesu Geschick vorlaufend bestimmen. Auferstehung ist die Konsequenz der Verklärung des Irdischen, nicht umge‐ kehrt. Die charismatische Grundlage der Menschensohn-Lehre Jesu, zugleich seiner ‚Verbundenheit‘ mit dem Menschensohn, liegt nun aber vor allem in einem Element, das wir in einem eigenen Abschnitt der Untersuchung gesondert her‐ ausstellen müssen: der Beziehung des Sohnes zum himmlischen Vater. Sowohl die Taufals auch die Verklärungstradition machen deutlich, dass die charisma‐ tische Grundlage der christologischen Vollmacht Jesu an seiner Sohnes-Würde hängt, bzw. dass seine charismatische Vollmacht sich aus einer Zugehörigkeit als Sohn zum Haus des Vaters vollzieht. Dass hinter der Menschensohn-Lehre 352 A) Beelzebul und Menschensohn 387 Vgl. o. S. 215. eine sie tragende, auf die Sohnes-Tradition verweisende, charismatische Schicht liegt, entnahmen wir auch der Antwort Jesu auf den Beelzebul-Vorwurf. Jesus ist mit dem Menschensohn ‚verbunden‘ und vice versa. Dass Jesus der Menschensohn ‚ist‘, wird außer in Joh 5,27, nirgends direkt gesagt. Diese Aussage ist im Joh.ev. wohl nur deshalb möglich, weil durch 1,51 und 3,13f. die charismatischen Verbindungselemente und die diesen entsprechende Tod-Er‐ höhungs-Lehre mit einzigartiger Kraft herausgestellt sind. Die charismatische ‚Verbindung‘ ist zu einer Identität verdichtet, so dass das ‚ist‘ selbst wieder zu einer im letzten charismatischen Aussage wird. Die in der Polemik anklingende Aussage, Jesus ‚habe‘ eine himmlische Gestalt, als welche er Macht ausübe, ist, abgesehen von der inhaltlichen Kanaisierung, eine Verkürzung. Sie erfasst den eigentlich charismatischen Vorgang nicht, nämlich, dass Jesus zugleich auch den Menschensohn bestimmt, ihn festlegt, ihn konkretisiert. Der himmlische Über-Engel ‚Menschensohn‘ verliert unter Jesu charismatischer Kraft seine der irdischen Schöpfungshälfte entrückte, himmlische Vorläufigkeit, wird vielmehr in der Sendung Jesu zur menschlichen μορφή eschatologisch gestaltet. Im Letzten liegt in dieser charismatischen Wechselseitigkeit ein theologischer Pro‐ zess selbst verborgen. Wie der Priester die Gottheit segnet 387 und damit ihre der Welt zugewandte Gestalt formen darf, so ist der ganze Menschensohn-Prozess eine charismatisch getragene, von Gott herbeigeführte Enthüllung seiner der Welt zugewandten Gestalt. Das Menschensohn-Problem entsteht damit letztlich aus der Frage nach der eschatologischen Gestalt Gottes. Die drei Aussagen: Jesus ‚ist‘ der Menschensohn, Jesus ‚hat‘ den Menschen‐ sohn, Jesus ‚ist der zum Menschensohn Bestimmte‘ greifen also je zu kurz. Erkennen kann man vielmehr eine charismatische Verbindungsschicht, die an der Vision hängt und in die Qualifizierung des Todes-Übergangs ausstrahlt. Die Menschensohn-Lehre Jesu kennt keinen eschatologischen Vorbehalt. Die Wandlung in der charismatisch-visionären Verbindung verläuft zweiseitig: sie bestimmt Jesus und den Throngenossen Gottes. Sie enthüllt so die eschatologi‐ sche Gestalt Gottes, in der er in die Reichsgemeinschaft mit den Glaubenden tritt. 353 4. Jesus und der Menschensohn 1 Vgl. o. S. 128ff. 2 Vgl. Mt 18,10 und o.S. 343. B) Die pneumatisch-visionäre Grundlage der Vollmacht Jesu: die Zugehörigkeit des Sohnes zum Haus des Vaters Der Menschensohn ist im Judentum eine himmlische Gestalt, welche in die unmittelbare Nähe der Heiligkeit Gottes gehört, ja darin Gottes Thron-Genosse ist. Die von dieser Gestalt repräsentierte Gemeinde wird Gemeinschaft der „Heiligen des Höchsten“ genannt. Der Grundzug dieser mit der Heilsgestalt ‚Menschensohn‘ verbundenen Anthropologie weist in eine protologisch-escha‐ tologisch begründete Engelähnlichkeit. 1 Diese besondere, priesterlich-apoka‐ lyptische Anthropologie, wonach der Fromme zu einem Engel wird, ja jetzt schon im Himmel seinen Engel ‚hat‘, 2 schien uns auch das Verhältnis Jesu zu seinem besonderen Engel ‚Menschensohn‘ zu bestimmen. Im NT ist die Menschensohn-Lehre durchgängig unter dem Aspekt der dem Menschensohn gewährten und von ihm erschlossenen Nähe zur Heiligkeit Gottes rezipiert. Er ist eine Art himmlisch-eschatologischer Hoherpriester; sein herr‐ schendes und richterliches Thronen baut auf seiner kultischen Interzession auf. Die neutestamentliche Anschauung vom Menschensohn als einer hochpries‐ terähnlichen, himmlischen Kultgestalt entstammt nicht sekundärer Rejudaisie‐ rung, sondern wurzelt in Grundmotiven der Menschensohn-Lehre Jesu. Auch für ihn ist die Vollmacht des Menschensohnes eine kultische: Er geht gegen die Sünde und ihre Exponenten in Krankheit und Besessenheit vor; durch ihn ist größere Heiligkeit gegenwärtig als durch die vom Jerusalemer Tempel ausge‐ hende Kultordnung. Das Bekenntnis zu Jesus führt zur Anerkenntnis des Men‐ schensohnes, dass der Bekenner zu ihm gehört und durch seine Fürsprache in der himmlischen Heiligkeitssphäre Gottes repräsentiert wird; sein Todesge‐ schick deutet Jesus auch als stellvertretenden Einsatz eines Lösegeldes, welches der Menschensohn in dem himmlisch-irdischen Vorgang seines Todes erbringt. Er schafft die eschatologische Möglichkeit, mit der Heiligkeit Gottes zusam‐ menkommen zu können. Vielleicht ist sogar daran gedacht, dass sein Tod die stellvertretende Übernahme des Getauftwerdens im רהנ רונד bedeutet: Er geht durch diesen kultapokalyptischen Feuerstrom hindurch in die unmittelbare Nähe Gottes und bringt dabei inklusiv die Seinen mit. Diese kultische Grundlage 3 Vgl. o.S. 263ff. 4 Vgl. Bühner, Der Gesandte, Tübingen 1977, 126f.254. der Menschensohn-Lehre Jesu will unsere Untersuchung über die bisherige For‐ schung hinaus betonen. Jesu Verhältnis zum Menschensohn ist, auf der genannten anthropologi‐ schen Grundlage aufbauend, in einen charismatischen Offenbarungs- und Verbindungszusammenhang eingespannt. Auf die charismatische Grundlage wiesen: das passivum divinum, die Beanspruchung himmlischen Wissens und himmlischer Vollmacht. Die charismatische Grundlage steht dabei in einem Verhältnis vorwegnehmender Parallelität zum Übergang in die himmlische Herrlichkeit während der Todesstunde. Der charismatische Transzendierungs‐ prozess bestimmt, qualifiziert den Tod als Übergang, und dieser realisiert den Verbindungsprozess mit dem Menschensohn zum eschatologischen Abschluss. Der Menschensohn findet seine Gestalt, unter der er zum eschatologischen Realsymbol wird, im Gekreuzigten. Der charismatische Prozess, der den ‚Verbindungsweg‘ des Menschensohnes bestimmt, steht nun aber nicht auf sich selbst, sondern fußt auf dem christologi‐ schen Fundament der Vater-Sohn-Lehre Jesu und des zu ihr gehörenden pneu‐ matischen Ansatzes. Die Menschensohn-Lehre, so können wir vorab formu‐ lieren, bedeutet eine soteriologische Ausdifferenzierung der Vater-Sohn-Lehre, setzt sie aber als Grundlage voraus. Auf diesen Zusammenhang wies uns zunächst der Argumentationsgang der alten Beelzebul-Perikope. 3 Jesu Beziehung zum himmlischen Bevollmächtigten über das Kulthaus Gottes mag im jüdisch-theurgischen Sinne deutbar bleiben oder gar, wegen der traditionellen Nähe der Kultterminologie zum Kanaanäi‐ schen, dorthin zurückverwiesen werden; aber Jesus ist kein kultisches Wissen benutzender Magier, sondern seine ‚Stärke‘ ist legitimiert durch das πνεῦμα Gottes. Das πνεῦμα ist aber nach dem Aufriss der synoptischen Jesus-Tradition verbunden mit der Sohnes-Würde Jesu. Diese Verbindung von πνεῦμα und Sohnes-Würde bezeugen Mk 1,8.10.12 (Lk 4,14a): Vision und Audition bei der Taufe enthüllen Jesus als Geistträger und Sohn. Der Heilige Geist, der den Jüngern vor den irdischen Gerichten einsagen wird, ist der Geist ‚eures Vaters‘ (Mt 10,20, vgl. Lk 11,3; Joh 14,26). 4 Die Warnung vor der Lästerung des Heiligen Geistes setzt voraus, dass Jesus in einer besonderen, christologischen Vollmacht steht, durch welche die Heiligkeit Gottes vor Profanierung geschützt ist; hier ist am ehesten an die Sohn-Würde zu denken. 356 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 5 Vgl. R. Otto, Reich Gottes, München 1934, 201f. 6 Vgl. Röm 1,3f.; 5,10.12ff.; Hebr. 1, .5; 2,6ff. Auch die lukanische Vorgeschichte setzt den Zusammenhang von Geistbesitz und Sohnschaft voraus. Nach 1,35 ist das durch den Heiligen Geist geschaffene Kind heilig geboren und darum Sohn Gottes. Der charismatische Geist, der den Täufer erfasst hat (1,15, vgl. 1,32), bestimmt Jesu Dasein von Anfang an, bestimmt ihn zu himmlisch-heiliger Daseinsform und so zum Sohn. Auch das vorpaulinische Traditionsgut in Röm 1,4 verbindet die Sohnes-Würde Jesu mit der Kraft des Heiligen Geistes. Der Zusammenhang von Geistbesitz und Auferstehung aus den Toten in Röm 1,4 zeigt daneben an, dass ‚ekstatischer Animismus‘ und ‚Korporalismus‘ im Rahmen urchristlicher Tauflehre aufeinander bezogen sind. 5 In Lk 10,21 betont die redaktionelle Einleitung, dass der Jubelruf Jesu im Hei‐ ligen Geist gesprochen wurde. Auch ohne diese redaktionelle Kennzeichnung ist deutlich, dass mit ἀποκαλύπτειν und ἐπιγινώσκειν pneumatische Prozesse umschrieben sind. Auf einen alten Taufzusammenhang weist auch Joh 3,34f.: Der Geistträger ist der Sohn, der von oben kommt. Diese Verbindung von Geistbesitz und Sohnschaft ist dann Grundelement urchristlicher Verkündigung geworden, vgl. Joh 4,23; Apg 2,33; Röm 8,14-17.23; Gal 4,6; Eph 2,18ff.; 1 Petr 1,2. Das inklusive Element der Menschensohn-Lehre kommt hier in der Gestalt der Sohnes-Christologie zurück. Der pneumatische Sohn, der Zugang zum himmlischen Haus des Vaters hat, macht die Seinen zu pneumatischen Kindern. Dass die pneumatische Sohn-Lehre die christologische Vollmacht Jesu noch vor der Menschensohn-Lehre trägt, macht der Aufbau der Evangelien, aber auch die Konzeption solcher Lehrschriften des Urchristentums wie Röm und Heb deutlich. 6 1. Zur Forschungsgeschichte Die Frage nach πνεῦμα und Sohnschaft Jesu ist bis heute durch die Ergebnisse des älteren Liberalismus bestimmt. Danach ist die Frage der Sohnschaft Jesu eine Frage nach seinem Bewusstsein: „Die Gotteserkenntnis ist die Sphäre der Gottessohnschaft. Eben in dieser Gotteserkenntnis hat er das heilige Wesen, welches Himmel und Erde regiert, als Vater, als seinen Vater kennen gelernt. Sein Bewusstsein, der Sohn Gottes zu sein, ist darum nichts anderes als die 357 1. Zur Forschungsgeschichte 7 A. von Harnack, Das Wesen des Christentums, Neuauflage, Stuttgart 1950, 77; Hervor‐ hebungen im Original. 8 H. Windisch, Jesus und der Geist nach der synoptischen Überlieferung, in: Sh.J. Case (Hrsg.) Studies in Early Christianity, N.Y./ London, 1928, 209-236, hier: 236. 9 Windisch, a. a. O., 229. 10 A.a.O., 13. 11 A.a.O., 20f. 12 A.a.O., 24. 13 A.a.O., 39. 14 A.a.O., 60. 15 A.a.O., 66. praktische Folge der Erkenntnis Gottes als des Vaters und seines Vaters … Jesus ist überzeugt, Gott so zu kennen, wie keiner vor ihm … In diesem Bewusstsein weiß er sich als der berufene und von Gott eingesetzte Sohn …“ 7 Nach Harnack trägt also die Gotteserkenntnis im Medium des Bewusstseins Jesu seine Gottessohnschaft. Für Windisch ist entsprechend Christologie „… eine durch Speculation und Mythus beeinflußte Interpretation, die ihren ersten Impuls von dem eigenen Bewußtsein Jesu erhielt.“ 8 Das Bewusstsein ist also offenbar eine Größe, die vor mythologischen und spekulativen Explikationen steht. Entsprechend tritt neben die konstatierte Urgröße ‚Bewusstsein‘ die andere des gefühlsmäßigen Erlebnisses: „Wie fest er seinen inneren Besitz mit dem Geiste verbunden gedacht hat, ist nicht mehr genau zu ermitteln; aber dass er überzeugt war, in den großen Momenten seines Lebens die Mitwirkung des Geistes zu erleben, kann als sicher gelten.“ 9 Die bewusstseinsmäßige Wirklichkeit für Jesu Sohn-Verständnis hat man deshalb immer wieder im Gebetsleben Jesu finden wollen. Als Beispiel für die Wiederaufnahme älterer, liberaler Forschung nennen wir J.D.G. Dunn, Jesus and the Spirit, London 1975. Dunn meint, „… that we can see something of the experiental basis of Jesus’ faith in God.“ 10 In kritischen und entscheidungsbedürftigen Lebenssituationen kannte Jesus das intensive Gebet. 11 „The divine reality he experienced in those moments of naked aloneness was God as Father.“ 12 Die Sohnschaft gründet für Dunn in einer existentiellen Überzeugung Jesu, wobei sie nicht so sehr eine Würde bezeichne, sondern „… a responsibility to be fulfilled.“ 13 Die empirische Größe, die alles hält, ist das Selbstbewusstsein (‚self-consciousness‘) Jesu. Wie Jesus in seinem Gebet Gott als Vater erfährt, so spürt er in seinem charismatischen Wirken - gewissermaßen ‚learnig by doing‘ -, dass Gott etwas damit zu tun hat. 14 Die Vollmacht aus dem Geist ist empirisch real als „… inward compulsion which could not be denied …“ 15 358 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 16 A.a.O., 67. 17 A.a.O., 68-88. 18 Vgl. bes. 302. 19 A.a.O., 77. 20 A.a.O., 85. 21 Ebd. 22 A.a.O., 90. 23 Ebd. So sind letztlich Sohnschaft und Geist psychologische Erfahrungstatsachen. 16 Nach den beiden Durchgängen ‚Gotteserfahrung im Medium der Sohnschaft‘ und ‚Gotteserfahrung im Medium des Geistes‘ geht Dunn in einem dritten Schritt der Frage nach, ob Jesus ein Charismatiker war. 17 Diese Kategorie wird aber nicht in einem bestimmten traditionsgeschichtlichen Sinne eingesetzt - die Konzeption von Vermes wird nur am Rande berührt 18 -, sondern in einem allgemeinen religionsphänomenologischen Sinne, von dem direkte Rückschlüsse auf das ‚Be‐ wusstsein‘ Jesu gezogen werden. Der charismatisch verstandene ἐξουσία-Begriff wird übersetzt: „Jesus was conscious of a direct and immediate authority - a transcendent authority which set him above party and (at times) even the law - a charismatic authority whose compulsion had to be obeyed whatever man might say (cf. Gal 1,1.11f.).“ 19 Jesus als Charismatiker stand nach Aussage von Texten wie Lk 10,18 in Taufe, Versuchung und Verklärung durchaus in visionären Prozessen, doch will Dunn diese Vorgänge nicht ekstatisch nennen, da Ekstase auf ‚artificial stimulation‘ beruhe. 20 Man stößt auf Phänomene und Sprüche Jesu, „… which could justly be said to come from an unusually exalted state of mind.“ 21 Dunn will durch den Rückgriff nicht nur auf das Sohnesbewusstsein, sondern auch auf das Geistbewusstsein Jesu gegenüber der älteren liberalen Forschung die eschatologische Dimension in Wort und Tat Jesu aufreißen: „Jesus’ cons‐ ciousness of Spirit is the eschatological dimension to Jesus’ ministry which Liberalism missed.“ 22 „As he found God in prayer as Father, so he found God in mission as power …“ 23 Gegen diese Methode sind Bedenken anzumelden: 1. Die Reduktion auf eine letztlich verbindliche Wirklichkeit im Bewusstsein Jesu und in psychischen Vorgängen bei Gebet und Wunderpraxis verkennt, dass Bewusstsein nur ein kleiner Ausschnitt der umfassenden Wirklichkeit ist, in die ein Charismatiker hineingestellt ist. Geistbewusstsein bedeutet an sich noch keine eschatologische Dimension; vielmehr hängt die eschatologische Dimension an einer Qualifizierung der Welt, wobei theologische, kosmologische und christologische Prozesse zusammenkommen. Die Ansage der nahen Gegen‐ wart der βασιλεία ist nicht Reflexion eines vorgegebenen Geist-Bewusstseins, sondern Offenbarung eines umfassenden, vom himmlischen Ratschluss Gottes 359 1. Zur Forschungsgeschichte 24 M. Smith, Jesus der Magier, München 1981, 15-19. 25 Vgl. J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. Erster Teil: Die Verkündigung Jesu, Gütersloh 1971, §§ 5-7. 26 A.a.O., 62. 27 A.a.O., 59-61; ähnlich schon Dalman, Die Worte Jesu. I, Leipzig 1898, 227f. 28 A.a.O., 64.65f. 29 A.a.O., 67. ausgehenden Weltgeschehens. Diese Einbindung von Bewusstsein in größere kosmisch-geschichtliche Dimensionen ist zumindest für eine historische Ex‐ egese des NT unaufgebbar. 2. Der Einsatz im allgemeinen, menschlichen Bewusstsein hat zur Folge, dass diese moderne Kategorie zu einem unhistorischen Jesusbild führt; dies zeigt sich daran, dass Dunn traditionsgeschichtliche Fragen nicht aufnimmt. 3. Die Trennung von eigentlicher, empirisch feststellbarer ‚Sache‘ und ihrer Einkleidung in einen bildhaften Zusammenhang ist problematisch. Jesus hat nicht primär ein warmes Gefühl im Herzen, von dem er auf den Vater zurück‐ schließt, sondern Bild und Sache sind eine vorsubjektive, historisch gesprochen, himmlische Wirklichkeit. Historisch gesehen, hat M. Smith recht, wenn er Jesus eine mythische Person nennt, die ihren eigenen Weltbezug nicht als Be‐ wusstseinsfrage, sondern als Teilhabe an einer Himmel und Erde umfassenden pneumatischen Ordnung vorfand. 24 Wo wurzeln die Geist-Vollmacht und die Sohn-/ Vater-Beziehung Jesu zu Gott? Jeremias, dessen Ordnung des Stoffes in der Forschung besonderes Gewicht hat, gliedert in Berufung (= Taufe), Übergabe der Offenbarung (Mt 11,27 par.) und die Gottesanrede ‚Abba‘, die Jesus im Gebet verwendet. 25 „Jesus weiß sich bei der Taufe vom Geist ergriffen. Gott nimmt ihn in seinen Dienst, rüstet ihn aus und bevollmächtigt ihn zu seinem Boten und zum Bringer der Heilszeit. Bei seiner Taufe erfuhr Jesus seine Berufung.“ 26 Jesus wird bei dieser Berufung nach einer von Jeremias hypothetisch angenommenen Urfassung nicht als Sohn, sondern als παῖς angeredet. 27 Erst die Übergabe der Offenbarung enthüllt, dass sich Gott Jesus in der Berufung ‚wie ein Vater seinem Sohn‘ (generisch verstanden) offenbart hat. 28 Gott hat ihm bei der Berufung eine Offenbarung seiner selbst geschenkt, „… so völlig, wie nur ein Vater sich seinem Sohn gegenüber erschließen kann“. 29 In der Gebetsanrede ‚Abba‘ entfalte sich dieses neue Gottesverhältnis Jesu zu seiner ganzen Kraft. Hier zeige sich Jesu Reden mit Gott nach der Art, wie ein Kind mit seinem Vater redet. Das neue Gottesverhältnis verdichtet sich also im Medium des auf die Offenbarung zurückblickenden Gebetes Jesu nochmals: „In der Gottesanrede ‚Abba‘ äußert 360 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 30 A.a.O., 73. 31 Vgl. die beiden unterschiedlichen Formulierungen a. a. O., 73, 2. Satz. v. o. mit dem letzten Satz vor § 8. Aus der Offenbarung ‚wie ein Vater‘ entsteht der Satz, daß Gott sich ‚als Vater‘ offenbart. 32 MTaan 3,8; bTaan 23a, vgl. o.S. 187. 33 A.a.O., 73. 34 A.a.O., 65. sich das letzte Geheimnis der Sendung Jesu. Er wusste sich bevollmächtigt, Gottes Offenbarung zu vermitteln, weil Gott sich ihm als Vater zu erkennen gegeben hatte (Mt 11,27 par.).“ 30 Jeremias Aufbau des Stoffes ist nicht ohne Schwierigkeiten: 1. Das Gebet Jesu verweise auf die Offenbarung, diese zurück auf die Taufe. Merkwürdigerweise wird die Vater-Sohn-Struktur nach Jeremias dabei immer undeutlicher: Während der Offenbarungsspruch nur generisch von Vater und Sohn spreche, fehlt die Sohnes-Anrede in der Taufe nach Jeremias noch ganz. Damit weist Jeremias dem Gebetsleben Jesu den eigentlichen Schwerpunkt für die Begründung des Vater-Sohn-Verhältnisses zu. Diese Ordnung im Stoff widerspricht aber der Evangelien-Anordnung, die die volle Sohnes-Tradition ohne generische Einschränkung an den Anfang stellt. 2. Der Übergang vom generischen zum eigentlichen Sprachgebrauch wird bei Jeremias irgendwie vorausgesetzt, aber nicht bestimmt. 31 Wenn man sich wiederum an den Aufriss der Evangelien hält, erkennt man, dass sie keinen generischen Sprachgebrauch betonen, sondern mit der 'eigentlichen' Sohn-Be‐ ziehung Jesu zum Vater beginnen. Choni der Kreiszieher bezeichnete sich vor Gott als ןבכ תיב ‚wie ein Haus‐ sohn‘. 32 Obwohl hier die Partikel כ einen Vergleich andeutet, ist dennoch keine generische Ausdrucksweise gegeben, sondern es ist Gottes Stellung im Kosmos, von seinem Haus ausgehend, gemeint. Das ‚ich bin vor dir wie ein Haussohn‘ umreißt durch die symbolisierte Realität des heiligen Tabu-Raumes eine direkte Wirklichkeit, in der Choni vor Gottes Angesicht tritt. Im Rahmen dieser über‐ bildlichen Realität ist Choni Haussohn, der an Gottes Schöpfungsmacht teilhat. 3. Mit der Vorordnung der gebetsmäßigen Vater-Anrede hängt bei Jeremias die folgende inhaltliche Bestimmung zusammen: „Er hat mit Gott geredet wie ein Kind mit seinem Vater: vertrauensvoll und geborgen und zugleich ehrerbietig und bereit zum Gehorsam.“ 33 Entsprechend beziehe sich das πάντα μοι παρεδόθη ὑπὸ τοῦ πατρός μου auf die Offenbarung selbst: „Mein Vater hat mir die volle Offenbarung übermittelt.“ 34 Diese Aussage wird nochmals gebrochen, da die volle Offenbarung eben die Selbstoffenbarung Gottes als oder wie ein Vater bedeutet. Offenbart sich Gott in der Gestalt eines allgemeinen 361 1. Zur Forschungsgeschichte 35 So schon G. Dalman, a. a. O., 230 f., der aber 231 f. diese Deutung ‚Sohn = Thronerbe‘ von Mt 11,27 fernhält. 36 Vgl. o.S. 203f. 233f. 37 Darauf verweist Jeremias, a. a. O., 66. 38 3Hen 12 (= Ed. Schäfer § 15). Der Kontext dieser Stelle führt dieses Handeln Gottes an Metatron zurück auf die übergroße Liebe, mit der der Heilige ihn liebte, mehr als alle anderen Kinder des Himmels; ähnlich ist der Zusammenhang in 48 C (= Ed. Schäfer § 73). Vater-Prinzips oder als Vater dieses wirklichen Menschen? Exegetisch wichtiger als diese an Jeremias auch zu richtende systematische Frage ist der Hinweis, dass der Sohnes-Begriff bei Jeremias zu eng ist: Sohn-Sein meint ja nicht nur Gehorsam, sondern auch Vollmacht, Anteilhabe an der Macht des Vaters. Als Sohn ist Jesus hineingenommen in das Haus des Vaters und hat entsprechend eine himmlisch-irdische Vollmacht. 35 Traditionsgeschichtlich ist das Prophetenbild, das Jeremias voraussetzt, zu eng: Die merkaba-artigen Zusammenhänge, die hinter der Menschensohn-Tra‐ dition und, in ihrer kultischen Grundschicht, hinter der priesterlichen und cha‐ rismatischen Sohn-Tradition stehen, sprechen nicht nur von Auftrag und Ge‐ horsam, sondern verbinden mit der Sohnesanrede eine himmlisch-kosmische Würdestellung. Dies gilt bereits für das Mosebild von Nu 12: Die einzigartige Offenbarungswürde des Mose hängt daran, dass er Zugang zum Zelt hat und damit über das ganze (kosmische) Haus Gottes betraut ist. 36 Auch die Offenbarer-Würde, die Gott seinem ‚Sohn‘ Metatron zuerkennt, 37 ist ein Teil seiner Würde, nämlich gesetzt zu sein über die ganze himmlische Familie, ja gar zum הוהי ןוטקה gemacht worden zu sein. 38 Der Sohn-Begriff grenzt an die Stellung eines himmlischen Wesirs. Jeremias' Deutung des Stoffes müssen wir also an den genannten Punkten korrigieren. Es ist ratsam, den Einsatz der Sohn-Lehre entsprechend dem Evangelien-Aufbau zu verstehen. Sowohl die Verordnung der παῖς-Christologie als auch die generische Deutung, sowie schließlich die bürgerlich-moderne Bestimmung des Verhält‐ nisses von Sohn und Vater sind zu hinterfragen. Wir wollen im Folgenden zeigen, dass die Vater-Sohn-Beziehung Gottes zu Jesus in einem visionären Ge‐ schehen wurzelt: Jesus ist hineingenommen in das himmlische Haus Gottes, so dass er als Sohn primär Bevollmächtigter in einem himmlisch-eschatologischen Sinne ist. Diese Deutung vollziehen wir nicht in Rekurs auf das Bewusstsein Jesu, sondern durch Aufnahme der traditionsgeschichtlich vorgegebenen, den Weltbezug Jesu prägenden Elemente Sohnschaft, Geistbesitz und himmlische Vollmacht. 362 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 39 Vgl. Pesch, Komm., I, 90 mit Anm. 9. 40 Vgl. F. Lentzen-Deis, Die Taufe Jesu nach den Synoptikern, Frf./ M. 1970 (FTST; 4), 105-110. 41 Vgl. Pesch, Komm., I, 90; verwandt ist 1Hen 71,11: Für die Durchführung der Vision und der Aufnahme in den Bereich himmlischer Heiligkeit ist eine Verwandlung des Geistes notwendig. 42 Vgl. Lentzen-Deis, a. a. O., 106 und Pesch, Komm., I, 92. 43 A.a.O., 195-248 und 249-289. 44 A.a.O., 200-207. 45 A.a.O., 252-257. 2. Die Taufgeschichte als Visionsschilderung Folgende Elemente weisen in der markinischen Taufgeschichte auf eine Vision Jesu: das Verbum εἶδεν in V. 10 bestimmt den Zusammenhang als Vision Jesu; 39 der ‚geöffnete Himmel‘ bezeichnet die Möglichkeit der Kommunikation zwischen den sonst voneinander getrennten Schöpfungsräumen Himmel und Erde: Jesu Vision und das Herabsteigen des Geistes vollziehen sich vor dem geöffneten Himmel; 40 ἀναβαίνειν und καταβαίνειν markieren einen Geschehenszusammenhang aus visionärem Aufstieg und dem herabsteigenden Entgegenkommen des Geistes als himmlischer Gestalt, die sich mit dem Aufsteigenden vereinigt. 41 - Da die Himmelstimme an den Visionär gerichtet ist, spricht in ihr nicht die תב לוק ; entsprechend wird nicht das irdische Auditorium angeredet, vielmehr wendet sich Gott an den vor ihn tretenden Erwählten. 42 Die Audition ist Teil der Vision wie in den Merkaba-Visionen 1Hen 14 und 71. F. Lentzen-Deis hat hinter Mk 1,10f. die Wirksamkeit der targumischen Gattung der Deute-Vision gefunden: Wie in der targumischen Schriftdeutung wird eine vorgegebene Überlieferung (= die Taufnotiz in Mk 1,9) durch Auf‐ riss des sie begleitenden himmlischen Hintergrundes theologisch bestimmt. 43 Diesen Vorgang hat Lentzen-Deis vor allem an der targumischen Deutung der Akedah nachgewiesen. Auf dem Höhepunkt, kurz vor dem Vollzug des Opfers, haben Isaak und Abraham eine Vision, in der die Engel im Himmel das irdische Geschehen als ein Handeln der beiden einzigen Gerechten auf der Welt qualifizieren. 44 Entsprechend wird durch die Deutevision Jesu der Taufvorgang in seiner ihm vom Himmel her zugemessenen Bedeutung enthüllt. Überlieferungsträger müssen dann judenchristliche Lehrer sein, die die ihnen geläufige jüdische Auslegungstraditon zentraler Punkte der Heilsgeschichte für die Deutung der Jesus-Tradition verwenden. 45 In diesem Zusammenhang 363 2. Die Taufgeschichte als Visionsschilderung 46 The Aramaic Origin of the Fourth Gospel, Oxford 1922. 47 A.a.O., 43-48, bes. 46. Zur Diskussion um Apg 6,7 vgl. H. Braun, Qumran und das Neue Testament, I, Tübingen, 1966, 153 f. Die Frage, ob es sich um essenische Priester handelt, ist nicht entscheidend. Der grundlegende Durchbruch zur himmlischen Dimension des Kultes war in Jerusalem in der nicht-sadduzäischen Priesterschaft ebenfalls als wesentlich erkannt; vgl. o.S. 98ff. Die Ansätze der Merkaba-Apokalyptik sind nicht mit dem Essenismus identisch, sondern bestimmen auch den frühen priesterlichen Pharisäismus. 48 A.a.O., 44f. 49 A.a.O., 45. 50 A.a.O., 45f. 51 Vgl. o.S. 156ff. berührt sich Lentzen-Deis mit der älteren Arbeit von C.F. Burney. 46 Auch er stieß bei der Analyse des vor-johanneischen, aramäischen Stoffes auf targumisch geschulte judenchristliche Lehrer, die er mehr oder weniger mit den Priestern aus Apg 6,7, die nach 11,19 in das vorpaulinische Antiochien gehören, verband. 47 Für sie hat Jesus pneumatischen Zugang zur himmlischen Heiligkeit Gottes, am Jerusalemer Tempel vorbei, geschaffen; er ist der ‚letzte‘, neues Leben im Geist schaffende Adam. 48 Hier wird eine Deutung der Taufe tradiert, die sie als Durchbruch versteht zum Menschsein der neuen Schöpfung, die nicht mehr in der σάρξ verbleibt, sondern zum πνεῦμα gelangt. 49 Die Taufe hat eine Grundbedeutung als Heiligung im Sinne einer Zurüstung für die Begegnung mit der Heiligkeit Gottes. Der durch die Taufe in der gesteigerten Form seines Todes hindurchgegangene Christus ist der inklusive Bedeutung besitzende, eschatologische Adam, der zu einem πνεῦμα ζωοποιοῦν wurde. Durch die Taufe haben die Christen an seinem Tauf-Geschick Anteil. Diese judenchristliche, priesterlich-pneumatische Deutung der Taufe Jesu ist, wie Burney nur andeutet, 50 aufgebaut auf einer jüdischen, priesterlichen Apokalyptik, die darum weiß, dass der priesterlich Gereinigte am ehesten in die pneumatische Seinsweise und in den Durchbruch zum Sein wie Adam gelangt. Wir haben oben in der Levi-Tradition die Tendenz nachgewiesen, im idealen Priester Levi den gereinigten Pneumatiker zu sehen, der um seiner priesterlichen Nähe und Sohnschaft zu Gott willen der erste ist, an dem sich das kultapokalyptische Grundprogramm von Ez 36 verwirklicht. 51 Die gleiche priesterliche Erwartung eines Durchbruchs zur pneumatischen Existenz Adams aufgrund einer Geisttaufe spricht aus 1QS IV 20-23. Interessanterweise hat Lentzen-Deis in der targumischen Gattung der Deutevision ebenfalls die kultische Grunddimension des Durchbruchs zur himmlischen Heiligkeit als Rahmenmotiv gefunden. Die Texte, in denen mit der Deutevision gearbeitet wird, behandeln nämlich überwiegend kultisch bedeutsame Ereignisse: Neben 364 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 52 Vgl. Burney, a. a. O., 115 f. und Odeberg, The Fourth Gospel, a. a. O., 33-42. 53 A.a.O., 258. 54 Lentzen-Deis, ebd. 55 Lentzen-Deis, a. a. O., 259. 56 A.a.O., 259-261. 57 A.a.O., 261. 58 A.a.O., 262f. der schon erwähnten Akedah (Gen 22) steht die Deutung von Gen 28, die ihre christlich-targumischen Spuren ja im Johev besonders deutlich hinterlassen hat, 52 und die von Jes 6. Alle diese Vorgänge markieren einen Durchbruch auf die Ebene des „vollkommenen Israeliten“, wie Lentzen-Deis es nennt, 53 und weisen zurück auf die erste Deute-Vision, die im Tg Gen 1,26; 3,22 Adam gewidmet wird: Durch die Deutevision werden „Endvorstellungen an den Anfang projiziert“ 54 . „Der kultische Aspekt, der Bezug zum Heiligtum, ließ sich zwar nicht in der Gattungsgliederung selbst, wohl aber inhaltlich und in vielen Einzelmotiven des Kontextes nachweisen. Die ‚Deutevision‘ hat also zumindest von ihrer Herkunft her eine ‚Affinität‘ zur Deutung kultischer Zusammenhänge.“ 55 Auch diese Bestimmung der Deutevision passt sehr gut zur Vermutung Bur‐ neys, dass der Tauf-Stoff von christlich-jüdischen Priestern rezipiert wurde. Sie verstanden die Taufe Jesu als kultisches Geschehen, als Eingang in den Bereich himmlischer Heiligkeit, an dem die christliche Gemeinde als Taufgemeinde Anteil hat. So habe das kultische Ur-Geschehen der Taufe Jesu in der Mission als Urtext der Tauflehre Verwendung gefunden. Wenn wir mit Burney und Lentzen-Deis in diesen priesterlich-pneumatischen Kreisen des frühen Christentums die Überlieferungfträger der Taufgeschichte zu sehen haben, in ihnen die Gestalter der an die Taufnotiz Mk 1,9 anknüpfenden Deutevision 1,10f. finden, dann ergeben sich Schlüsse über die Bedeutung der Sohnes-Anrede, die über Lentzen-Dies’ Analyse hinausgehen. Lentzen-Deis stellt zunächst zurecht fest, dass die Stimme nicht von der παῖς-Christologie her ver‐ standen werden dürfe; 56 gerade die Verbindung von Sohnes-Anrede und Zitation eines weiteren Textes, der nicht zur Sohn-Tradition gehört, sei für die Deute-Vi‐ sion bezeichnend. Der ursprüngliche Misch-Charakter des Zitates darf also nicht zurückgenommen werden. 57 Bezeichnend ist nach Lentzen-Deis vielmehr, dass die Deute-Titel in den targumischen Visionen auf eine ‚funktionale‘ Gotteben‐ bildlichkeit (Adam-Lehre, das εἰκόνιον des Jakob) und - über die Adam-Lehre - auf eine Beteiligung an der kosmischen Herrschaft Gottes hinweisen. 58 Zu einer eigentlichen Erklärung der Sohnes-Anrede kommt Lentzen-Deis aber nicht. Hier müssen wir nochmals auf die Levi-Tradition zurückgreifen, die ja, ebenfalls aus priesterlichen Traditionen stammend, die Sohnes-Tradition kennt; auch 365 2. Die Taufgeschichte als Visionsschilderung 59 S. o.S. 171. 60 Vgl. Lentzen-Deis, a. a. O., 125. Die Überlieferungen trennen klar zwischen einer visio‐ nären Vermittlung der himmlischen Wirklichkeit und der eschatologischen Realisierung, die jedenfalls nicht im Medium der Vision, sondern in dem einer umfassenden Neuschöp‐ fung Wirklichkeit wird. Ein anderer, im Ergebnis ähnlicher, Umbruch entsteht, wenn die älteren Lehrtraditionen, die Jesu Sohnschaft charismatisch-visionär verstehen, in die ver‐ objektivierende Schicht des Evangelien-Aufrisses eingehen; deshalb sind die visionären Elemente der alten Deutung der Taufe Jesu in der jetzigen Erzählung verobjektivierend gebrochen, wie Lk und Mt noch deutlicher als Mk ausdrücken. 61 Vgl. J. Doeve, Jewish Hermeneutics in the Synoptic Gospels and Acts, Assen 1954, 160. 62 Vgl. die traditionsgeschichtlich wenig differenzierenden, jedoch vom Aufriss beden‐ kenswerten Ausführungen von M. Smith, Secret Gospel, 1973, 237-251. Freilich geht es im merkaba-apokalyptischen Judentum nicht um Liberalismus und heidnische Magie, sondern um Teilhaftigwerden der Heiligkeit Gottes. Die Heiligkeit Gottes, die sich dem Visionär erschließt, durchbricht die bisherigen Grenzen von heilig und profan. Diese Öffnung der Heiligkeit Gottes steht hinter Jesu Halacha, prägt aber beispielsweise auch noch den früh-modernen Sabbatianismus, vgl. Scholem, Die jüdische Mystik, 1957, 333 f.; 341f. 63 Vgl. J. Jeremias, Theologie, I, 1971.; ders., Art. ‚Ἀδάμ‘, in: ThWNT, I, 1933, 141-143; Pesch, Komm., I, 95f. an die charismatische Rezeptionslinie müssen wir hier erinnern. Wir haben oben 59 gezeigt, dass eine christliche Bearbeitung von TLevi 18,6 wegen des nicht eigentlich christlichen Vokabulars und wegen der Vorgaben in der aramäischen Levi-Tradition nicht wahrscheinlich ist; vielmehr weisen TLevi 2-5 den Ansatz der Sohn-Tradition in jüdische Merkaba-Zusammenhänge. Auch 1Hen 14 zeigt als Grundlage der Menschensohn-Lehre einen visionären Vorgang, in dem Henoch vor den himmlischen Thron der Heiligkeit Gottes tritt. TLevi 18,6 ist eine sekundäre Verobjektivierung des visionären Grundvorgangs. 60 Der geöffnete Himmel deutet an, dass der Vorgang der Taufe Jesu dazu führt, dass für ihn der himmlische Thron Gottes sichtbar wird. 61 Durch die Zurüstung mit dem Geist gelingt Jesus, nach der christlich-priesterlichen Deutung der Taufe, ein Aufstieg vor den Thron Gottes. 62 Er ist der priesterliche Heiland, der durch seinen Aufstieg vor die Heiligkeit Gottes ‚Sohn‘ ist. Dadurch beginnt er seine Sendung in der Vollmacht des himmlischen Haussohnes. Das in der Tradition überlieferte Wissen über Jesu Taufe durch den Priester Johannes den Täufer ist in der christlichen Priestertradition gedeutet worden als Einset‐ zung Jesu zum eschatologischen, himmlischen priesterlichen Sohn, der in der Taufwandlung und - in der Deuteschicht explizit gemacht - in der damit verbundenen Vision zum Geistträger wird. Als solcher zeigt sich an ihm der Durchbruch zur Würde des eschatologischen Adam, wie dann die kurze Fassung der Versuchungsgeschichte bei Markus betont. 63 366 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 64 Vgl. Doeve, a. a. O., 160: er deutet die Vision bei der Taufe vor dem Hintergrund von Dan 7. Doch ist Dan 7 ja nur ein Auszug aus dem Merkaba-Zusammenhang, gleichsam die mythisch-verobjektivierte Realisierung, während die Sohn-Anrede auf die geschichtlich-charismatische Bindung an den Visionär zurückweist. Das Sohn-Sein hat hier also seinen prägnanten Sinn, der einen Rekurs auf den παῖς oder eine königlich-messianische Deutungen erübrigt. Sohn ist Jesus als priesterlich-pneumatischer Visionär. Durch den Geist geheiligt, kann er vor die himmlische Heiligkeit Gottes treten, worauf Gott ihn als den ‚Sohn‘ begrüßt. Sachlich besonders nahe liegt 1Hen 71,14f: In der Vision, die ihn bis in das himmlische Allerheiligste führt, wird Henoch angeredet: „Du bist der Mannesohn, der zur Gerechtigkeit geboren wird.“ Man könnte in 1Hen 71 die Deutevision im Zusammenhang mit der am biblischen Text orientierten Entrückungsbemerkung 1Hen 70 sehen. Die Ent‐ rückung des Henoch vollzieht sich nach der Deute-Vision im Rahmen eines Merkaba-Aufstieges, auf dessen Höhepunkt Henoch angesprochen wird als Menschensohn. Im Menschensohn-Sein liegt der heilvolle Durchbruch zur Adams-Existenz von Ur- und Endzeit. Damit stoßen wir wieder auf einen ursprünglichen Zusammenhang von Sohn- und Menschensohn-Lehre. Die Vision, die den Gereinigten in das himm‐ lische Heiligtum hineinführt, ist offenbar Grundlage sowohl für die Sohnals auch für die Menschensohn-Lehre. 64 Im Näheren ist aber zu differenzieren: Der Sohn ist derjenige, der des Tretens vor den heiligen Thron Gottes gewürdigt wird und über die Engel hinaus einer besonderen Nähe zu Gott teilhaftig wird, die zugleich eine Vollmacht im himmlisch-eschatologischen Sinne erschließt. Diese pneumatisch-visionäre Sohnes-Lehre kann, wie Röm 8 zeigt, direkt soteriologisch-eschatologisch entfaltet werden. Ursprünglich geschieht diese soteriologisch-eschatologische Entfaltung aber über die Menschensohn-Lehre. Durch die Verbindung mit dem Menschensohn wird das Heil traditions-, ja heils‐ geschichtlich definiert, welches Jesu Sohnes-Stellung erschließt. Es ist durch den Weg erschlossen, den Jesus in seiner Verbindung mit dem Menschensohn geht. Die Menschensohn-Tradition macht deutlich, dass Jesu Sohnes-Stellung ein Heil impliziert für die, die zu ihm als Menschensohn gehören. Die Henoch-Tradition beschreibt den Aufstieg als eine Wandlung. Der Vi‐ sionär durchläuft eine Wandlung von sarkischer zu einer pneumatisch-engelmä‐ ßigen Existenz, bis zur über-engelmäßigen des Menschensohnes. Dabei ist der Menschensohn so etwas wie eine himmlische Sonderseele des Visionärs, der mit ihr verbunden wird und durch sie am himmlischen Geschehen teilnimmt. Auch die Taufe markiert eine Wandlung, die mit dem Aufsteigen-Können verbunden ist. Die in der Henoch-Tradition angedeutete eschatologische Adam-Existenz 367 2. Die Taufgeschichte als Visionsschilderung 65 A.a.O., 281. ist in der Tauf-/ Versuchungstradition greifbar: Die Wandlung Jesu in der Taufe zum eschatologischen Adam bedeutet im traditionsgeschichtlich vorgegebenen Zusammenhang, dass er mit der Seele, dem εἰκόνιον des eschatologischen Adam, verbunden wird, eben mit dem Menschensohn. Die visionäre Realisierung der Sohnschaft bestimmt den Moment, an dem die himmlische Dimension, die hinter Jesu Weg aufgerissen ist, ihren charisma‐ tischen Inkarnationspunkt findet. Sie ist gleichsam der Einstieg ‚von unten‘, der die Grundlage des über die irdische Existenz hinausweisenden himmlischen Geheimnisses Jesu bildet. Der ‚Menschensohn‘ umschreibt in einem darauf aufbauenden Schritt des Näheren das besondere soteriologische himmlisch-es‐ chatologische Geheimnis dieses charismatischen Sohnes. Es ist zuzugeben, dass die Deute-Vision Mk 1,10f. und die anschließende Szene von der Demonstra‐ tion der zuvor erlangten Wandlung die Zusammenhänge nur andeuten. Der himmlische Hintergrund ist nur motivartig angerissen; die Zusammenhänge sind exoterisch auf die für die Mission bedeutsamen Grundlagen des christologi‐ schen Kerygmas verkürzt (Taufe, Sohnschaft, Geistbesitz). Dennoch kann man, zusammenfassend, folgenden Hintergrund, der die Motive verbindet, erkennen: Die Taufe wird gedeutet als priesterlich-eschatologische Reinigung, die eine Wandlung zu neuer Existenzweise anzeigt. Die Vision markiert das Ziel dieser Wandlung. Es geht um den Zugang zu, die Gemeinschaft mit der himmlischen Heiligkeit Gottes. Darum steht der Himmel offen; Taufe als Wandlung und Vision sind Vorgänge, die auf den Besitz des himmlisch-eschatologischen Geistes der Neuschöpfung verweisen. Die Sohnschaft bedeutet das Stehen-Können direkt vor der Heiligkeit Gottes, ein Vorgang, der sich zunächst animistisch-ekstatisch, in der Vision, vollzieht und den Durchbruch zur eschatologischen Gottessohnschaft des pneumatischen Adam anzeigt. Lentzen-Deis wirft die Frage auf, in welchem Verhältnis die christlich (-priesterliche) Lehrtradition, die die Vision geformt hat, zum historischen Taufereignis stehe. Er stellt die grundsätzlich vermutlich richtige These auf, dass die Taufe Jesu als Ereignis nie ohne Deutung überliefert worden sein wird. „Dieser Sinn gehört zum historischen Augenblick.“ 65 Die These, wonach die Deutung nichts Fremdes hinzufügt, sondern eine Explikation des von Anfang an mit dem Ereignis verbundenen Deute-Geheimnis bildet, kann man durch die traditionsgeschichtliche Konstanz im Milieu der Überlieferungsträger bekräftigen: Von der Qumran-Tradition über die priester‐ liche Levi- und Menschensohn-Tradition, über den apokalyptischen Priester Johannes d.T. bis zu den urgemeindlichen Priestern nach Apg 6,7 führt ein zusammenhängender Traditionsstrom. Mit ihm ist eine gemeinsame kultapo‐ 368 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 66 Vgl. zu 8,14-17: M. Hengel, Zur urchristlichen Geschichtsschreibung, Stuttgart 1979, 69.80. Zum ganzen vgl. E. Haenchen, Die Apostelgeschichte (KEK; III 12 ), 1959, 263-266. 67 Vgl. Joh 1,51; 3,13; 6,62. Auch die jüdische Mystik kennt den Umschlag von Aufstieg in Abstieg, vgl. Scholem, Jüdische Mystik, 50. kalyptische Eschatologie, eine gemeinsame Theologie und Kosmologie, ja schließlich eine gemeinsame priesterliche Christologie verbunden. Jesus als Schüler des Täufers war in diese priesterlich-pneumatische Kultapokalyptik eingeweiht und hat seine eigene ἐξουσία nie von diesem Einsatz des Täufers gelöst. Es ist darum sehr wahrscheinlich, dass Jesus seine Taufe selbst schon in den Kategorien von Aufstieg, Wandlung, Sohnschaft, Geistbesitz und eschatolo‐ gischer Adam-Existenz aus der Verbundenheit mit dem Menschensohn erfahren hat. Es geht um den Durchbruch zur πεῦμα-Existenz des neuen Menschseins. Die Verkündigung des Anbruchs der βασιλεία, ja das Leben aus dieser Wandlung heraus, welche die Grenzen der alten Schöpfung von sich weist, gründet in diesem in der Taufe gewährten Durchbruch. 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der vorlukanischen, paulinischen und johanneischen Rezeption des Stoffes a) Apg 8,38-40 Vorab gehen wir kurz auf die älteste, ausgeführte Tauferzählung der Urge‐ meinde ein, Apg 8,38-40. Trotz lukanischer Eingriffe in den Philippus-Stoff, haben wir mit vorlukanischem Material zu rechnen, das Lukas hinsichtlich der Samaria-Mission ohne die Zwölf und einer Art Heidenmission vor Petrus Schwierigkeiten bereitete. 66 Interessant ist, dass die Tauferzählung mit Philippus in eben das Tradenten‐ milieu zurückweist, in dem wir mit Lentzen-Deis und Burney die Formung der synoptischen Taufgeschichte vermuteten. In folgenden Punkten zeigt sich zwischen beiden Texten ein Zusammenhang: καταβαίνειν und αναβαίνειν sind betont gegenübergestellt; mit dem Aufstieg ist das Eingreifen des Geistes verbunden; der Geist ist nicht glossolalisch verstanden, sondern als δύναμις, die den vom Geist Ergriffenen „treibt“ (Mk 1, 12), ihn zu pneumatisch forcierten Ortswechseln bringt. Mit dem sonst auch im visionären Sinne verwendeten Begriffspaar καταβαίνειν/ αναβαίνειν 67 und dem ebenfalls von der Himmelsreise gebrauchten 369 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 68 Vgl. 2Kor 12,2.4; Apok 12,5; in 1Thess 4,17 ist das objektivierte Gegenstück zum visionären Vorgang gemeint. Hinter Mt 11,12 könnte der Vorwurf stehen, dass man sich in täuferi‐ schen Kreisen theurgisch in die Basileia entrückte. 69 Vgl. G. Stählin, Die Apostelgeschichte (NTD 5 10 ), 1962, 130. 70 Vgl. Lk 1,15.17. Auch die Identifizierung mit Elia setzt voraus, dass er eine von oben, pneumatisch geprägte Existenz führte: er hat das πνεῦμα des Elia (Lk 1,17); Elia ist - so wahrscheinlich die Annahme - sein Engel. 71 Vgl. Mk 11,27-33. 72 Vgl. Stählin; Die Apostelgeschichte (NTD; 5 10 ), 1962,122f.; Haenchen, Komm., 264. ἀρπαχθῆναι 68 deutet diese Tauferzählung an, dass die Taufe zu neuem Umgang mit der himmlischen Welt berechtigt. Dass einmal der Getaufte, das andere Mal der Taufende Geistgetriebener ist, darf nicht als Gegensatz überbetont werden. Es geht um ein Mitgetauft-Werden, bei dem der Täufling durch Vermittlung des Taufenden vom Geist Gottes erhält. Hierin sind Apg 8,38 und Röm 6,3ff. verwandt. 69 Biblische Vorläufer sind Nu 11 und 2 Kö 2: Die Übermittlung des göttlichen Geistes ist zugleich ein Anteilgeben am Geist des charismatischen Lehrers. Auch für die Jesus-Tradition dürfen wir voraussetzen, dass der Geistträger Johannes 70 in den Prozess der pneumati‐ schen Begabung seines Schülers Jesus aktiv eingegriffen hat. Die pneumatische ἐξουσία Jesu geht auf die Taufe durch den Täufer zurück, die selbst, da sie ‚vom Himmel kommt‘ 71 , ein pneumatischer Akt ist. Dieses Element, dass das göttliche πνεῦμα zum Getauften durch die irdische Vermittlung und Gestalt der Taufe durch den Pneumatiker Johannes gelangt, ist in der synoptischen Tauferzählung allerdings minimalisiert. Auf der anderen Seite ist vermutlich die pneumatische Begabung des Eunuchen durch die Philippus-Taufe wie in 8,14ff. von Lukas unterdrückt worden. 72 Die synoptische Taufgeschichte und die Taufnotiz in Apg 8,38ff. führen also trotz dieses eben genannten Unterschiedes auf ein gemeinsames Taufver‐ ständnis: Es ist ein mit dem πνεῦμα verbindender Akt, wobei Abstieg und Aufstieg eine Wandlung symbolisieren, die den Aufstieg als πνεῦμα-Geschehen bestimmt. Dieser Durchbruch zu einem pneumatischen ἀναβαίνειν kann vi‐ sionär entfaltet werden. Die Taufe ist pneumatisch so brisant, dass die δύναμις des Geistes den Geistträger geradezu entführen kann. b) Röm 1,3f. Das vorpaulinische, christologische Bekenntnisstück zeigt entscheidende Par‐ allelen zur vor-synoptischen Tauftradition Mk 1,10f. Beide verstehen die Sohnschaft im priesterlich-messianischen Sinne und gehen auf den gleichen Tradentenkreis zurück, nämlich die targumisch geschulten Priester, die alte, 370 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 73 Diese Rekonstruktion erfolgt gegen Wengst, Christologische Formeln, 1973 2 112-114; H. Schlier; Eine christologische Credo-Formel der römischen Gemeinde. Zu Röm 1,3f., in: ders., Der Geist und die Kirche. Exegetische Aufsätze und Vorträge, IV, hrsg. v. V. Kubina u. K. Lehmann, 1980, 56-69; Wilckens, Komm., 57 f. Gal 4,21ff. ist jedoch der Gegensatz von κατὰ σάρκα - κατὰ πεῦμα wirklich antithetisch gemeint, während Röm 1,3f. eine Steigerung meint. Zum vorpaulinischen Charakter von Röm 1,3f. vgl. Käsemann, Komm., 8-11 und Michel, Komm., 72f. 74 Vgl. Michel, Komm., 73; Käsemann, Komm., 10. 75 Vgl. Röm 8,1 5 ff.; Michel, Komm., 260; Käsemann, Komm., 10f. 76 Vgl. Wengst, a. a. O., 116. 77 Das scheint Käsemann, Komm., 10 f., ebenfalls zu meinen. 78 Man muss erwägen, ob das auch aus Apg 10,42; 17,31 bekannte ὀρίζειν ursprünglich auf ein Wortgeschehen, vielleicht die Rezitierung von Ps 110,1 oder 2,7, zurückweist. Die Bestimmung zum Richter würde dann auf Ps 110,1 zurückweisen, die vorpaulinische Bestimmung zum Sohn Gottes auf Ps 2,7 = Mk 1,11. palästinische Überlieferung in Antiochien in griechischer Sprache bewahrten. Für die Rekonstruktion der vorpaulinischen Formel gilt: σπέρμα Δαυίδ ist unpaulinisch; die Gegenüberstellung κατὰ σάρκα - κατὰ πνεῦμα ist zwar für die Anthropologie des Paulus geläufig, christologisch aber trotz Röm 9,5; 2Kor 5,16 nicht paulinisch. Paulus weiß darum, dass Christus eine geschichtliche Herkunft hat, aber er sagt nirgends, dass diese durch eine Seinsweise κατὰ πνεῦμα über‐ höht wurde; auch ὀρίζειν und πνεῦμα ἁγιοσύνης sind unpaulinische Begriffe. 73 Dies legt nahe, eine nur am Anfang von Paulus veränderte Bekenntnisformel anzunehmen: Ἰησοῦς Χριστός, ὁ γενόμενος ἐκ σπέρματος Δαυὶδ κατὰ σάρκα, ὁ ὁρισθεῖς υἱὸν θεοῦ ἐν δυνὰμει κατὰ πεῦμα ἁγιοσύνης ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν. Folgende Gründe sprechen dafür, den ursprünglichen, vorpaulininschen Haftpunkt der Tradition in der Deutung der Taufe Jesu zu sehen: - Die Verbindung von Geist und Gottessohnschaft hat einen festen Halt in der Tradition von der Taufe Jesu; 74 auch die soteriologische Anwendung, wonach Geistbesitz Sohnschaft bedeutet, weist auf eine feste Verbindung mit der Taufe. 75 - Als Sitz im Leben hat man für die vorpaulinische Formel das Bekenntnis bei der Taufe angenommen; 76 wenn man dies Bekenntnis im Hinblick auf die Taufe zitierte, liegt es nahe, dass das in ihm vom Christus Gesagte ebenfalls mit seiner Taufe verbunden war. 77 κατὰ σάρκα - κατὰ πνεῦμα markieren zwei Schichten, die dem Aufriss von Mk 1,9-11 entsprechen: Durch die Deklaration 78 wird eine hinter dem Sarkischen liegende, himmlisch-pneumatische Dimension aufgerissen. Unter irdischem Aspekt ist Jesus genealogisch David-Nachkomme; damit ist eine latente messianische Anwartschaft gegeben. Aber erst das Geschehen an ihm 371 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 79 Das ἐν δυνάμει könnte man wie in Mk 9,1 auf die machtvolle Sichtbarkeit der Endvollen‐ dung beziehen. Doch kann dies in Röm 1,4 kaum gemeint sein, da die dem Anbruch der βασιλεία entsprechende christologische Aussage auf die Parusie verweisen würde. Ἐν δυμάμει ist vielmehr von dem πεῦμα-Geschehen am Christus abhängig; seine δύναμις ist pneumatisch vermittelt und getragen. „Der Geist der Heiligung ist die Macht, kraft deren Jesus als Gottessohn eingesetzt wurde …“, Käsemann, Komm., 10. 80 Vgl. Ps 51,13: Besitz des Heiligen Geistes ( ר ו ח ה ק ו ד ש ) und Stehen vor dem Angesicht Gottes sind Ausdrücke im par.membr., vgl. 1QS 9,3f.; 4,13f.; 16,12. kraft 79 des Geistes der Heiligung reißt die himmlische Dimension auf und bestimmt ihn zum Gottessohn. Das κατὰ σάρκα - κατὰ πνεῦμα entspricht also genau dem Ablauf von Mk 1,9 und 1,10f. Das κατὰ πνεῦμα ist in der alten Taufgeschichte durch die Deutevision erzählerisch realisiert. Auch die Taufge‐ schichte trennt zwischen irdisch-geschichtlicher Herkunft Jesu aus Nazaret in Galiläa und dem pneumatisch-visionären Geschehen an ihm, durch welches seine Gottessohnschaft enthüllt wird. ἁγιοσύνη bezeichnet eine durch den Geist gewirkte kultische Heiligung. 80 Diese kultisch-priesterliche Terminologie passt sehr gut zu den angenommenen vorpau‐ linischen Tradenten (ursprüngliche Priester); vor allem aber passt die pneumatische Heiligung sehr viel besser zu einer ursprünglichen Deutung der Taufe Jesu, denn zu einer Ostertradition. Das πνεῦμα ist die Taufgabe an Jesus, welche ihm Zutritt zur Heiligkeit Gottes verschafft und so seine Sohnschaft ermöglicht. TL 18,11 spricht davon, dass der Hohepriester der Endzeit den Heiligen in der Verklärung der endzeitlichen Schöpfung vom paradiesischen Lebensbaum zu essen geben wird, „und der Geist der Heiligung wird auf ihnen ruhen.“ Wir stoßen hier auf die inklusive Bedeutung der Heiligung, welche dem endzeitlichen Hohenpriester zuvor gewährt wird. 18,11 weist zurück auf 18,6f., wo die Amtseinführung des eschatologischen Hohenpriesters beschrieben wird. Aus dem himmlischen Tempel erfolgt seine Berufung, die ihn befähigt, zu der voreschatologisch auf den Himmel begrenzten, nun aber in die irdische Wirklichkeit einbrechenden Heiligkeit Gottes Zutritt zu haben. Er bekommt deshalb Anteil an der himmlischen δόξα, dem Geist der Einsicht und des ἁγιασμός. Diese mythologisch-verobjektivierte, eschatologische Amtseinset‐ zung des Hohenpriesters weist zurück auf die Visionsschicht in Kapp. 2-5. Levi als Visionär wird nach 2,3 vom Geist der Einsicht des Herrn überwältigt (πνεῦμα συνέσεως). Nach Hs e ist diese pneumatisch-visionäre Aussonderung des Levi an einen Reinigungsvorgang gebunden. Er reinigt seine Kleider und wäscht sich in fließendem Wasser. Als solcherart Getaufter bittet Levi um den heiligen Geist und eine Reinigung von aller Unreinheit, um so Gott nahe zu sein zu dürfen und Teilhaber seines Wortes sein zu können (Hs e 14 ff.). Keine dieser drei Schichten, die von der Ausstattung mit dem πεῦμα ἅγιον, dem πνεῦμα ἁγισμοῦ 372 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 81 Reich Gottes und Menschensohn, München 1934, 201. 82 A.a.O., 199. 83 Vgl. G. Bertram, Die Himmelfahrt Jesu vom Kreuz aus und der Glaube an seine Auferstehung, in: Festgabe A. Deissmann, Tübingen, 1927, 187-216; Käsemann, Das wandernde Gottesvolk, 140ff. 84 A.a.O., 200f. 85 A.a.O., 201f. 86 A.a.O., 199. und dem πνεῦμα ἁγιωσύνης sprechen, ist primär an der Auferstehung von den Toten orientiert. Vielmehr geht es um die Teilhabe an himmlischer Heiligkeit, die sich als kultische Zurüstung vollzieht. Diese Heiligung und Reinigung durch das göttliche πνεῦμα ermöglicht neue Gottesgemeinschaft und bedeutet eine Neuschöpfung. Der pneumatische Prozess steht seit Ez 36.37 als Neuschöpfung und Lebendigmachung in Verbindung mit der Auferstehung der Toten aus den Gräbern. Die pneumatische Erneuerung in der Taufe weist hin auf die Neuschöpfung und die Auferstehung der Toten. Fixpunkt ist aber die priesterlich verstandene πνεῦμα-Taufe, vgl. auch 1QH 3,19-23; 11,10-14. Dies spricht dafür, dass ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν Interpretament, epexegeti‐ sches Element ist, nämlich der Deklaration zum Sohn Gottes in Macht kraft des Geistes der Heiligung. Ostern ist dann in dieser alten, christologischen Tauftradition die ‚notwendige‘ Folge der Taufe, in ihr schon angelegt. Der zum priesterlich-messianischen Sohn Berufene hat die pneumatische Totenauferste‐ hung seit seiner Taufe hinter sich und ist der Erste, der in das Leben der Aufer‐ stehung der Toten geschritten ist. Für diese Unterordnung des Elementes ‚aus der Auferstehung der Toten‘ unter das ‚gemäß dem Geist der Heiligung‘ spricht auch die in den Kommentaren geäußerte Beobachtung, dass ἐξ ἀναστάσεως νεκρῶν nicht eigentlich als Aussage über die Auferstehung Jesu von den Toten formuliert ist, sondern eschatologisch-symbolisch auf den Bereich verweist, in dem Auferstehung der Toten geschieht. Diese Aussage ist vorpaulinisch nicht Teil des Osterkerygma sondern Teil der Deutung der Taufe Jesu. R. Otto hat darauf verwiesen, dass Paulus wie in 2Kor 5,1ff. so in Röm 1,4 eine nicht-korporalistische Auferstehungs-Lehre vertrete, 81 eine Umwandlungslehre, die er ekstatischem Animismus, nicht aber einem Korporalismus zurechnet. 82 Diese am Geist orientierte ‚Auferstehungs‘-Lehre verbindet Otto (mit Bertram 83 ) mit der ältesten Osterdeutung als Entrückung Jesu vom Kreuz aus. 84 Otto deutet das πεῦμα ἁγιωσύνης auf den Geist, der in den Christus eingeht und in seinem Tod metamorphotisch-verklärend wirkt. 85 Auch wenn Ottos These in ihrer anthropolo‐ gischen Zuspitzung vielleicht den Text überfordert, weist er doch richtig darauf hin, dass es um einen pneumatisch-dynamistischen Vorgang geht - Otto nennt dies ekstatisch-animistisch -, 86 welcher die Auferstehung der Toten bestimmt. Es ist die 373 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 87 Auch Röm 8,11 behält diese Reihenfolge bei: Der Geist, der bei der Taufe verliehen ist, ist Unterpfand der Auferweckung von den Toten. Die von Paulus für die Christen festgehaltene Vorordnung des Empfanges des πεῦμα als lebendig machender Gabe vor die eschatologische Totenerweckung entspricht der vorpaulinischen Christologie nach Röm 1,4. 88 Vgl. Wengst, Formeln, 115; Michel, Komm., 73. 89 So Wengst, ebd. 90 So Wengst, ebd. 91 Gegen Wengst, ebd. 92 Aus dieser inhaltlichen Bestimmung des paulinischen Evangeliums als Botschaft vom priesterlich-messianischen Sohn Gottes entsteht die Möglichkeit, die kultische Schicht im Apostolat-Begriff des Paulus neu zu gewichten: der himmlisch-eschatologische Hohepriester Christus wird repräsentiert durch einen kultisch aus der profanen Welt ausgesonderten Apostel. Die kultische Aussonderung bestimmt den Apostel in Ent‐ sprechung zur Heiligkeit des von ihm repräsentierten Gottessohnes. Apg 13,2 legt nahe, dass, wie es der grundlegenden christologischen Konzeption des durch das πεῦμα geheiligten priesterlich-messianischen Sohnes entspricht, so auch die kultische Grundschicht des Apostel-Begriffs Paulus von Antiochien überkommen ist. 2Kor 5,19f. legt die Durchführung eines Substitutionsverfahrens nahe: Gott war in Christus, d. h. Christus war in seinem Versöhnungsdienst Apostel Gottes; nach seiner Erhöhung, die ihn zum himmlischen Hohenpriester bestimmte, ist der Apostel der zweite Vertreter, der die durch den ersten durchgeführte Versöhnung geschichtlich weiterträgt. alte kultapokalyptische Konzeption seit Ezechiel: Die pneumatische Erneuerung und Lebendigmachung ist die Grundlage der Auferstehung aus den Toten. 87 Da die Gottessohnschaft in Röm 1,4 ganz an dem im zweiten Glied der Formel ausgedrückten Prozess haftet, 88 ist es unmöglich, sie im Grunde doch aus dem ersten Glied, der Davidsohnschaft, herzuleiten. 89 Jesus ist umso weniger der durch die Auferweckung zum eschatologischen König Eingesetzte, als die zu dieser Christologie gehörenden Titel ‚Messias‘ und ‚Davidssohn‘ fehlen, so dass man tatsächlich feststellen muss, dass das erste Glied kein Eigengewicht hat. 90 Die zweite, himmlische Schicht übernimmt nicht ein in der ersten, irdischen gar nicht genanntes christologisches Würdeprädikat - diese Konstruktion ist schon in sich unwahrscheinlich -, 91 sondern zeigt an, dass der himmlische Ratschluss Gottes die mit der Davidsohn-Verheißung unlöslich verbundene Erwartung des eschatologischen Heilsbringers in einem Sohn erfüllt, der durch den Geist der Heiligung Zugang zu seiner himmlisch-eschatologischen Heiligkeit-Sphäre hat. Gottessohn ist Jesus Christus vielmehr nach dieser vorpaulinischen Tradition als himmlischer Hoherpriester. 92 Als Traditionsparallele zur vormarkinischen Taufgeschichte weist Röm 1,3f. durch den Begriff πεῦμα ἁγιωσύνης darauf hin, dass die Taufe als Heiligung im kultischen Sinne verstanden wurde: Der Sohn ist der Geheiligte, der als Sohn zur Heiligkeit Gottes Zugang hat. Dies ist auch nach Röm 1,3f. vor dem Oster‐ geschehen ein dieses bestimmendes und qualifizierendes πεῦμα-Geschehen. 374 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 93 O. Michel. Art. ‚οἰκέω‘, in: ThWNT, 5, 138, 17-20. 94 Vgl. Michel, Komm., 253.256. 95 Vgl. Michel, Komm., 260f. 96 Vgl. Michel, Komm., 262.263f. 97 Vgl. Michel, Komm., 277; Käsemann, Eine urchristliche Taufliturgie, in: ders., EVuB, 1, Göttingen, 1960 2 , 34-51. c) Röm 8 und Nebentraditionen Röm 8 enthält den bei Paulus am deutlichsten ausgeführten Zusammenhang von Taufe, Geistempfang und Sohnschaft. Dieser soteriologische Zusammenhang ist mehrfach christologisch rückgebunden und begründet. Die traditionsge‐ schichtliche Verankerung der Sohn-Christologie im soteriologischen Kontext interessiert uns dabei besonders. Wir werden wiederum auf kultapokalyptische Grundthesen priesterlicher Lehrer stoßen, die vermutlich in das vorpaulinische Antiochien zurückweisen. Dass Paulus Überlieferungsgut aufnimmt, das in die Tauflehre hineingehört, spricht aus folgenden Beobachtungen: das Thema des Übergangs aus dem Bereich der Sünde und des Todes in den des Geistes und des Lebens, der das ganze 8. Kap. prägt, ist zuvor in Kap. 6 durch die Tauflehre fundiert worden. Allerdings fehlten in 6 die hier in 8 dominierenden Stichworte ‚Sohnschaft‘ und ‚Geist‘; - „Die Gleichheit der Formel πεῦμα θεοῦ οἰκεῖ ἐν ὑμῖν in 1 K 3,15 R 8,9.11 lässt darauf schließen, dass sie katechetisches, lehrhaftes Gut der paulinischen Theologie gewesen ist.“ 93 Dieses katechetische Gut bezieht sich auf die Taufe und die zu ihr gehörende Unterweisung; 94 im Zusammenhang 8,14-17 markiert das ἐλάβετε den Punkt, an dem der Geist empfangen wurde, bedeutet also doch wohl eine Rückerinnerung an die Taufe. 95 Das mehrfach eingebrachte σύνgehört ebenfalls zur Tauflehre, vgl. 6,4f.; 2 Tim 2,11; 96 schließlich weist der Zusammenhang 8,28-31 im Vergleich mit Eph 1,3ff. und Kol 1,12ff. in eine gemeinsame Taufliturgie 97 zurück, die im Zentrum das Anteilbekommen der Getauften an der δόξα des Christus beschreibt. Drei christologische Begründungen für das in der Taufe eröffnete Heil werden hinter Röm 8 sichtbar: Christus ist der in die Welt gesandte Sohn (Röm 8,3f.); Christus ist der Sohn als Teilhaber und Mittler der himmlischen δόξα (8,15-17); Christus ist als Sohn die δόξα Gottes und Teilhaber der göttlichen μορφή. Es entsteht so die Frage, ob die Sendungs- und die εἰκών-/ μορφή-Tradition verschiedenen Bereichen zuzuordnen sind. Dies ist jedoch nicht wahrscheinlich: beide Traditionen gehen von der Sohnschaft als himmlischer Stellung bei Gott aus. Der Sohn hat Zugang zur δόξα Gottes und gibt Anteil an seinem 375 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 98 Vgl. o.S. 271ff. 99 Vgl. S. Daniel, Recherches sur le vocabulaire du culte dans la Septante, Paris 1966 (Etudes et Commentaires 61), 301-328: die LXX übersetzt האטח = Sündopfer mit ἁμαρτία, vgl. Lev 4 und 5, passim. 100 Vgl. P. Stuhlmacher, Zur neueren Exegese von Röm 3,24-26, FS W.G. Kümmel, 1975, 323, Anm. 40. 101 Der Wortstamm καταλλαγ. ist jüdisch-hellenistisch durch 2 Makk 1,5; 5,20; 7,33; 8,29 vorgegeben; alle Belege sprechen von Gottes Zuwendung zu neuer Gemeinschaft mit seinem Volk. Besonders markant ist 5,20: Καὶ ὁ καταλειφθεὶς ἐν τῇ τοῠ παντοκράτορος ὀργῇ πάλιν ἐν τῇ τοῦ μεγάλου δεσπότου καταλλαγῇ μετὰ πάσης δόξης ἐπανωρθώθη. Hier entsprechen sich die göttliche ὀργή und die καταλλαγή, die vom großen Herrn ausgeht (Gen. subj.). Versöhnung führt Gott herbei; sie zeigt sich im Medium der Neuweihe des Tempels. Dass nach 1,5 und 8,29 das Volk betet und Gott daraufhin seine Versöhnung gewährt, kann nicht so gedeutet werden, dass „dabei … die Initiative zur Versöhnung mit Gott von seiten des Menschen aus(geht)“; gegen H. Merkel, Art. ‚καταλλάσσω‘ in: EWNT, II, 1981, 645 unten. Vielmehr ist καταλλαγή nach 2 Makk 5,20 expressis verbis Gottes Gnade und Gabe. Paulus verwendet καταλλαγή im Bereich des von Lev 16 ausgehenden Kultdenkens einer Entsühnung als von Gott gewährter, neuer Teilhabe an der Gemeinschaft mit ihm. Aufstieg. Der Sohn als Zugehöriger zum Haus des Vaters ist in das Geheimnis des göttlichen Ratschlusses hineingenommen und damit in seinem irdischen Weg Bote vom Himmel; - Joh 3,13-17 entfalten ebenfalls im Rahmen der Tauflehre (3,3.5) eine Chris‐ tologie, die fortschreitet von der Aussage des Eingangs Jesu in die himmlische Welt zur Aussage der Erhöhung im Kreuz und bei der Aussage seiner Sendung in die Welt endet; sofern 2Kor 5,21 Röm 8,3f. parallel gestaltet ist, ergibt sich aus dem Zusam‐ menhang 2Kor 5,14-21, dass Sendungs-, Sündopfer- und Neuschöpfungstradi‐ tion eng zusammengehören. Die christologischen Begründungen der Taufe weisen zurück in den gleichen Traditionsbereich, nämlich die kultisch denkende, priesterliche Apokalyptik, die wir schon oben 98 mit dem Stephanus-Kreis und dem vorpaulinischen Antiochien verbunden haben: dass Gott seinen Sohn περὶ ἁμαρτίας sandte, bestimmt diese Sendung als Durchführung eines Sündopfers. 99 Durch 2Kor 5,21, wo ἁμαρτία ebenfalls Sündopfer bedeutet, 100 ist auch der ganze καταλλαγή-Zusammenhang in den Kontext der kultischen Versöhnung gerückt. 101 Dadurch ist Röm 5,10 ebenfalls als kultisch-apokalyptische Deutung des Geschicks Jesu vor dem Hintergrund einer Tauflehre zu verstehen. Durch seinen Sühn-Tod sind wir mit Gott ver‐ söhnt, ist unser Verhältnis zu ihm durch den kultisch qualifizierten Tod seines Sohnes entsühnt, haben wir Zugang zu ihm (5,2); um wieviel mehr werden wir, die wir in der Taufe an dieser Entsühnung teilhaben, durch sein Leben gerettet 376 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 102 Vgl. dazu P. Stuhlmacher a. a. O. (Anm. 1338), 315-333; O. Michel, Komm., 251. 103 Vgl. dazu Stuhlmacher, a. a. O., 320.321f.330.332f. 104 Vgl. Michel. Komm., 251: „Die alttestamentliche Ordnung wird durch ein neues kulti‐ sches Geschehen abgelöst.“ 105 Vgl. Bühner, Art. ‚σκῆνος‘, ιn: EWNT, III, 69. 106 Vgl. Apg 7,48. 107 Vgl. P. Schäfer, Die Vorstellung vom Heiligen Geist in der rabbinischen Literatur, München 1972 (StANT 28), 140-143. werden? (Röm 5,10) Der gleiche kultische Grundgedanke, nach dem die Taufe Eröffnung eines neuen Kultverhältnisses ist, das Gott durch Christus gegeben hat, spricht auch aus Röm 8,32; Gal 2,26. Christologisch greifen diese Aussagen auf Röm 3,24f. zurück: Das von Gott im Tod seines Sohnes durchgeführte, eschatologische Sündopfer befreit von der Sünde. 102 Wir stoßen hier aller Wahrscheinlichkeit nach auf eine judenchristliche Überlieferung, näherhin eine priesterliche Apokalyptik, 103 die das Versöhnungsgeschehen vom Jerusalemer Kult gelöst und im einmal geschehenen Opfertod Jesu Christi durchgeführt sieht. 104 Dieses entsühnende, eschatologische Kultgeschehen eröffnet den Zu‐ gang zum himmlischen Leben und zur himmlischen δόξα. Es geht um eine priesterliche Deutung des Todes Jesu - als kultischer Entsühnung -, die zugleich apokalyptisch ist, weil sie in Jesu Tod den eschatologischen Durchbruch zur Gemeinschaft mit der Heiligkeit Gottes findet. Man muss zugeben, dass die lukanische Stephanus-Tradition ganz den pneu‐ matischen Zusammenhalt mit der himmlischen Heiligkeit Gottes betont und in ihrer Tempelkritik offenbar keine soteriologische Deutung des Todes Jesu als Sühnopfer herausgestellt hat. Jedenfalls lässt die bei Lukas bewahrte Tradition davon nichts erkennen. Immerhin kann es sein, dass das oben untersuchte Motiv vom priesterlich-interzessorisch stehenden Menschensohn einen Reflex dieser Tradition enthält. Der Grundansatz einer Gemeinschaft mit der himmlischen Heiligkeit Gottes, am irdischen Tempel vorbei, setzt voraus, dass die Sünde überwunden ist. Diese Überwindung kann im Urchristentum von Anfang an kaum anders denn als Deutung des Todes Jesu ausgesagt worden sein. 2Kor 5,1-10 ist der vermuteten, vorpaulinischen, antiochenischen Priester‐ tradition besonders nahe: Es geht um eine Tempellehre, die christologisch und anthropologisch umgeformt ist. 105 Wie in der Stephanus-Tradition weist sie auf das himmlische Haus, das nicht mit Händen gemacht ist, also auf die himmlische Kultsphäre Gottes. 106 Mit diesem nicht durch den Jerusalemer Tempel, sondern durch den Christus erschlossenen Bereich ist die Gemeinde durch das πνεῦμα verbunden. Die חור שדוקה kommt nicht mehr, wie ein Teil des Judentums an‐ nahm, 107 aus dem irdischen Tempel in seiner Funktion als Einbruchstelle des Himmels, sondern aus dem himmlischen ‚Tempel‘, zu dem der Christus Zugang 377 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 108 Vgl. O. Michel, Komm., 259. erlangt hat. Deswegen ist nach 2Kor 5,5 das πνεῦμα Angeld für die Verwandlung in die Herrlichkeit und Heiligkeit der Existenzweise der himmlischen olκoδoμή. Dieser Zusammenhang von πνεῦμα und himmlischer οἰκοδομή, in die hinein der Pneumatiker verwandelt wird, ist aber nicht ekklesiologisch be‐ gründet, sondern streng christologisch, wie einerseits der Pneuma-Begriff von 2Kor 3,17 und andererseits die Fortsetzung in 2Kor 5,6ff. zeigen: Die himmlische Existenzweise bedeutet ein Eingehen zum Κύριος. Der Leib, der das πνεῦμα erhält und dadurch mit der Heiligkeit Gottes verbunden ist, wird Tempel Gottes und gerät in die anbrechende Anwartschaft der Verwandlung in die Existenz‐ weise verklärter Leiblichkeit im Himmel. Diese neue, eschatologische Kultord‐ nung der Schöpfung ist begründet in dem entsühnenden Tod Jesu; in ihm wird eine neue Schöpfung eröffnet, die in ihm einen neuen kultischen Offenbarungs- und Mittelpunkt hat. Die Getauften gehören als ἐν πνεύματι ὄντες zu dieser durch den Gekreuzigten neu kultisch verbundenen Schöpfung, in der sie Anteil haben an der himmlischen δόξα. - 1 Kor 3,16 und Röm 8,9-11 gehören zu dieser christologisch begründeten, anthropologisch ausgeformten, pneumatischen Tempellehre: Die Verwandlung aus dem Leib der Sünde und des Todes in den pneumatischen der Gerechtig‐ keit und des Lebens beginnt mit der Einwohnung des Geistes Christi in den Getauften, die zu ihm gehören. Das ‚Wohnen in‘ gehört zur Umsetzung der Tempellehre in die christliche Kultapokalyptik. - Auch die Sohn- und Erben-Lehre hat eine kultisch-apokalyptische Grund‐ lage. Dies zeigt zunächst der in Joh 8,35; 14,2; Hebr 3,2ff. zutage tretende Bildhintergrund: Sohnesstellung und Erbschaft vollziehen sich auf dem Hin‐ tergrund des οἶκος, der οἰκία Gottes, die im Himmel ist und in welche die Getauften einst ganz hineingehen werden. Wie in Joh 14 wird hier in Röm 8,12ff. der in 2Kor 5 angelegte Stoff unter dem Begriff der Sohnschaft und des Erbes entfaltet. Das himmlische Haus steht in einem Gegenüber zum irdischen Haus. Während aber - so die Frontstellung der Tradition - in der jüdischen Kultordnung irdisches und himmlisches Haus ihren Bezug aufeinander verloren haben, ist durch Christi Sühnopfer-Tod das himmlische Haus zu einer neuen, pneumatischen Wirklichkeit geworden, die durch die pneumatische Gestalt des Sohnes in die irdische Schöpfungshälfte geradezu hineinreicht. Die Sohnschaft, die im Judentum nach Dtn 14,1 mit der Kultordnung des Jerusalemer Tempels verbunden und als solche nach christlichem Urteil nicht zum Ziel gekommen ist, 108 wird nun durch die Sohnschaft abgelöst, die durch den Zugang zum 378 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 109 Vgl. Michel, ebd. 110 So Käsemann, Komm., 233; anders Michel, Komm., 273, der die Situation des Gemein‐ degebetes nicht vorausgesetzt findet. 111 Vgl. dazu auch D.E. Aune, The Cultic Setting of Realized Eschatology, 1972 (NT Suppl. 27). 112 Käsemann spricht, Komm., 233, beiläufig vom himmlischen Hohenpriester. himmlischen Haus, den der Sohn eröffnet hat, den Mit-Söhnen zur Wirklichkeit wird. Dass es um neue, Zugehörigkeit zur himmlischen δόξα anzeigende, kultische Sohnschaft geht, erweist sich auch daran, dass Gott als Vater eben im Gottes‐ dienst der πνεῦμα-Gemeinde angerufen wird, u.zw., wie ἄγονται und κράζει andeuten, unter ekstatischen Bedingungen. 109 - Auf eine gottesdienstliche, kultische Situation nimmt nach dem apokalypti‐ schen Zwischenstück, welches stark die der pneumatischen Zugehörigkeit zum himmlischen Haus kontrastierende Erfahrung der Unerlöstheit betont (8,19-25), der Abschluss 8,26-27 Bezug: Der Geist kommt der irdischen Gemeinde zu Hilfe und bringt ihr Seufzen vor Gott. Durch dieses Eintreten des Geistes für die Gemeinde vor Gottes Thron bekommt sie den Ehrentitel ‚die Heiligen‘, weil sie durch den Geist selbst vor Gottes Heiligkeit steht. Redet Paulus in 8,26f. noch von einem ekstatischen, glossolalischen Beten? 110 Da hier die irdische Ebene gar nicht betont ist, bleibt diese These unsicher. Es geht um eine Parallelität, um ein Verbundensein von irdischem Gebet und himmlischer Interzession des Geistes vor Gottes Thron. Der Geist nimmt an, repräsentiert und verwandelt darin das Gebet der Gemeinde. Dahinter steht ein älterer Satz jüdischer Kulttheologie, wonach irdischer Kult begleitet ist, verborgen hinein‐ genommen ist in ein himmlisches Geschehen vor dem Thron Gottes. Dieser Grundsatz ist in der von Paulus aufgenommenen, vorpaulinischen Tradition pneumatisch durchgeformt. Irdisches und himmlisches Geschehen sind ganz neu aufeinander bezogen: Gott hat sich als Geist und durch den Christus in eine neue Verbindung von Himmel und Erde hineinbegeben. Es geht offenbar um eine Selbstdifferenzierung Gottes, der zugleich Geist ist und dem Geist, der mit der irdischen Schöpfungshälfte verbindet, gegenübersteht. Der Geist ist in Röm 8,26f. zugleich Stellvertreter Gottes und Repräsentant der Gemeinde. Eine eigentliche christologische Entfaltung braucht Paulus hier nicht, weil mit dem Pneuma das Geheimnis der Gegenwart Christi angesagt ist. Will man diese kultapokalyptische Deutung des christlichen Gottesdienstes als beginnende Erlösung der ‚Heiligen‘ 111 christologisch näher bestimmen, so ist der Rückgriff auf die Hochpriester-Christologie naheliegend: 112 als solcher tritt er für uns vor 379 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 113 Zum ‚Los‘ als eschatologischem Begriff, der den Anteil am Heil meint, vgl. Dan 12,13; 1Hen 37,4; 39,8; 48,7; 58,5. Zum kultischen Hintergrund vgl. besonders das Priesterrecht nach Nu 18,20 und TLevi 2,12: das Los des Priesters bestimmt ihn zur Teilhabe an der himmlischen Herrlichkeit Gottes. Die ‚Heiligen‘ sind seit Dan 7,18 die Gerechten, die engelähnlich zu Gottes Thronwelt Zugang haben. Zu φῶς als kultapokalyptischem Ausdruck vgl. schon Ps 38,10; dann 1QS 1,9; 2,16; 3,3.7.13.19 u. ö. Es handelt sich um Annäherung an die, noch nicht um eine Identifizierung mit den Engeln. 114 Zu den Analysen vgl. E. Schweizer, Der Brief an die Kolosser, EKK, 1976, 50-56; C. Burger, Schöpfung und Erlösung. Studien zum liturgischen Gut im Kolosser- und Epherserbrief, 1975 (WMANT 46), 3-26; J. Gnilka, Der Kolosserbrief, 1980, 51-58. 115 Vgl. E. Schweizer, a. a. O., 61. 116 Vgl. dazu J. Jervell, Imago Dei. Gen. 1,26f. im Spätjudentum, in der Gnosis und in den paulinischen Briefen, Göttingen 1960 (FRLANT 76). Während Jervell bei Gen 1,26 ansetzt, stellt E. Schweizer, Komm., 57 ff., die Weisheit nach Prov 7,25f. in den Mittelpunkt. Nach Jervell, 51, ist die Weisheitslehre nur eine Ausdeutung von Gen 1,26f. Gott (Röm 8,34) und ist zugleich Sohn, der Repräsentant und Bevollmächtigter über das Haus Gottes ist. - Auch der Zusammenhang Röm 8,28-30 greift auf eine kultapokalyptische Tradition des frühen Christentums zurück: Die Zugehörigkeit zur Tauf-Ge‐ meinde bedeutet Teilhabe an der himmlischen εἰκών und der μορφή des Gottes‐ sohnes. Um dies besser zu sehen, sind die Parallelen in Kol 1,11ff. und Eph. 1,3ff. heranzuziehen. Kol 1,11ff. geht es um die Anteilhabe am Erbe der Heiligen im Licht; schon durch diese Bestimmung, die kultapokalyptische Kernbegriffe 113 aufnimmt, ist der Zusammenhang als ein Durchbruch zur Gemeinschaft mit der himmlischen Heiligkeit gedeutet. Teilhabe am himmlischen Licht bedeutet näherhin ein Versetzt-Werden aus dem Bereich der Finsternis in die βασιλεία des Sohnes seiner Liebe (= seines geliebten Sohnes, vgl. Mk 1,11). Dieser schafft Erlösung und vergibt Sünde, schafft also neue Kult-Gemeinschaft, in der die Heiligen vor der Heiligkeit Gottes stehen können. Diese kultisch-christologische Begrün‐ dung des neuen Heils wird in dem hymnischen Stück 1,15-18 114 durch die εἰκών-Lehre entfaltet. Christus ist die εἰκών Gottes, der Erstling der ganzen Schöpfung, durch die und auf die hin alles andere geschaffen wurde. Das δι' αὐτοῦ markiert den Bereich seines protologischen Wirkens, das εἰς αὐτόν den seines eschatologischen: 115 hier ist er Haupt seines Leibes, der Kirche, der Erstling derer aus den Toten. Unbeschadet aller religionsgeschichtlichen Verknüpfungen des Motivs der εἰκών, 116 kann man doch gerade aufgrund des von uns wiederholt als Traditi‐ onshintergrund genannten priesterlich-apokalyptischen Judenchristentums darauf hinweisen, dass am Anfang dieser Tradition priesterliche Lehre über die Geheimnisse der Schöpfung steht. Einsatz ist Gen 1,27: Die εἰκών prägt einerseits 380 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 117 Anders E. Schweizer, Komm., 58. 118 Es geht um die hinter dem Adam liegende εἰκών-Beziehung zu Gott. Sofern der präexistente Christus die εἰκών Gottes ist, ist er inklusiver Adam. Schnackenburg, Komm. (EKK), 51, möchte jede religionsgeschichtliche Begründung zurücktreten lassen. 119 Es geht nicht um ein sittliches Verhalten, sondern um eine kultische Schöpfungson‐ tologie, die dann halachisch entfaltet wird, gegen Schnackenburg, Komm., 52. 120 Die Liebe Gottes in der Erwählung des Sohnes weist in die Kultsprache des Urchris‐ tentums: Liebe Gottes ist Voraussetzung des (kultischen) Zutritts zu ihm, Eph 1,4; durch seine Liebe zu uns lässt er den Christus sterben und befreit uns von der Sünde, so dass wir zu ihm treten können, Röm 5,1f.8f.; in Röm 8,31-39 ist die Liebe Gottes geradezu der Bereich seiner Herrschaft durch den Christus. Die Gott Liebenden sind die Pneumatiker, die von der Liebe Gottes in diese Gestalt verwandelt sind, vgl. P. von der Osten-Sacken, Römer 8 als Beispiel paulinischer Soteriologie, Göttingen 1975 (FRLANT 112), 278 f. Traditionsgeschichtlich am verwandtesten ist Jub 1,23-25: die pneumatische Erneuerung nach Ez 36 f. geht zusammen mit der Erfüllung von 2 Sam 7,14 an der Gemeinde. Es geht um eine eschatologische Gottesgemeinschaft in Liebe, die über das Gottesverhältnis der Engel hinausgeht. Dass Henoch-Metatron in der himmlischen Thronwelt mit einzigartiger Liebe ausgestattet wird, gehört in den gleichen kultapokalyptischen Zusammenhang. Es geht um eine Erhöhung an den Engeln vorbei, aufgrund der übergroßen Liebe Gottes, die sich an den Erwählten Adam, ist aber anderseits als prägende vor ihm da. Das Fragmenten-Targum zu Gen 1,27 übersetzt: Gott schuf den Menschen ןמ ומד והמדק ‚nach dem Bilde von vor ihm‘, d. h. das Bild ist eine eigene himmlische Gestalt, die bei Gott ist. In der εἰκών liegt damit auch die von Gott geschaffene Möglichkeit, die verloren ge‐ gangene Herrlichkeit des Adam zu realisieren. Dies geschieht in Jesus Christus, der die protologische εἰκών vor Adam ist und als solche εἰκών die eschatologi‐ sche Menschengestalt hervorbringt. Hinter der εἰκών-Lehre steht also die Tradition vom ersten und zweiten Adam. 117 Der zweite, eschatologische restituiert und überragt den ersten, weil er nicht nur nach der εἰκών geschaffen ist, sondern diese selbst ist. Die inklusiven Züge der vom εἰκών-Sein des Christus ausgehenden Motive der Tauf-Lehre kommen aus dieser Adam-Typologie. Auch die Menschensohn-Lehre gehört in diesen Zusammenhang: Er ist inklusive Gestalt und hat als Menschengestaltiger zugleich die εἰκών Gottes, welcher seinerseits nach Ez 1,26 ein תומד הארמכ םדא = LXX ὁμοίωμα ὡς εἶδος ἀνθρώπου ἄνοθεν ist. Eph. 1,3ff. benennt ebenfalls das Mit-Erwähltsein mit Christus 118 von vor der Schöpfung an; die Erwählung zielt wiederum auf eine kultisch gelungene Gottesbeziehung. Die Erwählten sollen als Heilige und Untadelige vor ihm sein. 119 Die neue, kultische Gottesgemeinschaft ist christologisch begründet, da der Sohn als der Geliebte zur Sohnschaft und dem Bleiben in der Liebe führt, 120 u.zw. indem er die Erlösung in seinem Blut, die Vergebung der 381 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption bindet, der Zugang zu seinem Thron haben darf, vgl. 3Hen 8,1f.; 12,1f.; 13,1; 48D,9; nach 22B,8 gibt es gar Flüsse aus Liebe, die unter dem Thron Gottes hervorgehen. Übertretungen, erwirkt. Es geht also um eine kultisch erschlossene, eschato‐ logische Gemeinschaft mit der Heiligkeit Gottes. Die protologische Veranke‐ rung der Erwählung zur eschatologischen Kultgemeinschaft ist hier nicht so deutlich ausgeformt wie in Kol 1, klingt aber in Eph 1,9-10 im Stichwort des ἀνακεφαλαιώσασθαι τὰ πάντα und im Rückgriff auf das (kosmische) μυστήριον an. Röm 8,28-30 gehen christologisch aus vom Sohn als Bild Gottes und himmli‐ sche μορφή. Die neue Kultgemeinschaft mit der himmlischen Heiligkeit Gottes, die in Eph 1 und Kol 1 das Rahmenmotiv abgibt, legt sich auch hier im Kontext nahe (vgl. ὑπέρ ἁγίων, 8,27 Ende). Die Bezeichnung ‚Gott Liebende‘ nimmt nach Ausweis von Eph 1,4.5; Kol 1,13 Bezug auf die durch den ‚Geliebten‘ in das eschatologische Gottesverhältnis Gestellten. Das inklusive Element ist hier ganz mittels der Sohn-Christologie ausgedrückt. Verkürzt Paulus hier den älteren, lehrmäßigen Zusammenhang? Die εἰκών-Lehre weist eigentlich zurück in eine Adam-Typologie, d. h. letztlich in eine Menschensohn-Christologie. Entsprechend ist in Hebr 2,6-13 die Sohn-Tra‐ dition in ihrem inklusiven Charakter auf die Menschensohn-Lehre gebaut. Hebr 2,11 nennt den Grund für die inklusive Beziehung: Der Heiligende und die Geheiligten, sie sind alle aus einem. Es geht um die eschatologische Kultgemein‐ schaft, die Gott ermöglicht. Die hinter Joh 3,13-17 und Hebr 2,6-13 sichtbar werdende priesterlich-apo‐ kalyptische Tradition geht wohl ursprünglich von der Menschensohn-Lehre aus: Der bei Gott Stehende hat Anteil an seiner μορφή und ist seine εἰκών. Das inklusive Element ist dann in einem weiteren Schritt didaktisch durch die Sohn-Söhne-Beziehung entfaltet. In 8,31-39 zieht Paulus nochmals die Summe: Wir sind mit Gottes Liebe neu und eschatologisch-endgültig verbunden durch zwei ineinandergreifende kultische Prozesse: (1.) Gott hat seinen Sohn hingegeben für uns, so dass wir auch an allen eschatologischen Gaben mit ihm beteiligt werden (= Röm 5,1f. 8-11); der Sohn, der als Sündopfer gegeben wird, beteiligt die Söhne am Weg des Sohnes (= Röm 8,1-17). Der erste kultische Prozess, der unser Verhältnis zu Gott eschatologisch neu bestimmt, ist also das Kreuz Christi. (2.) Sein Weg an das Kreuz bedeutet aber zugleich Auferweckung und Erhö‐ hung zur Rechten Gottes: In der himmlischen Kultsphäre Gottes tritt der Christus beständig für die Seinen ein und trennt sie so von dem Bereich der sie weiterhin beanspruchenden alten Schöpfung. Die Interzession vor Gott 382 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 121 Vgl. P. von der Osten-Sacken, Römer 8 als Beispiel, a. a. O., 35-52, bes. 37-40. 122 Vgl. G. Bertram, a. a. O. (Anm. 1321). bewirkt die Enthüllung der eschatologischen Bedeutung des Kreuzes: Die im Kreuz geschehene kultisch-kosmische Wende wird als solche Realität durch das beständige Einbringen dieses neuschaffenden Ereignisses vor den Thron Gottes, durch die Interzession des Sohnes. Die eschatologische Bedeutung des Kreuzes wird nach dieser vorpaulinischen Tradition 121 nicht anders aussagbar, denn durch den Aufriss der himmlischen Dimension des Kreuzesgeschehens: Kultischer Opfertod und himmlische Interzession des Hohenpriesters, der als Sohn Zutritt zum Thron Gottes hat, sind die beiden Kosmos und Geschichte eschatologisch in ihrem Bezug zu Gott bestimmenden Vorgänge, noch treffender gesagt: die beiden Dimensionen des einen eschatologischen Kultgeschehens. Paulus schließt sich, hier nochmals deutlich zu sehen, christlicher Kultapoka‐ lyptik an, die Jesu Kreuzestod direkt mit seiner hochpriesterlichen Interzession vor Gott verbindet. 122 Tod, Auferweckung und Erhöhung sind hier nicht nach dem Jerusalemer 3-Tage-Schema aufeinander bezogen, vielmehr - durch das μᾶλλον δέ angedeutet - bedeutet der Tod im Kreuz ein himmlisch durch den Ratschluss Gottes qualifiziertes (Sendungsformel, Einsatz bei Gott) Geschehen, das als irdisches zugleich wiederum ein himmlisches Geschehen ist, insofern der Tod Jesu am Kreuz die Gestalt der kultischen Interzession vor dem Thron Gottes bestimmt. Das Kreuz ist durch die beiden kultischen Geschehnisse zur eschatologischen Gestalt bestimmt, unter der die Gottesgemeinschaft mit den Menschen von Gott vollzogen wird. Überblickt man Röm 8 im Zusammenhang, so stellt man fest, dass Paulus offenbar durchgängig auf eine kultapokalyptische, priesterliche Tauftradition zurückgreift, die die durch Christus geschaffene neue Kultgemeinschaft mit Gott beschreibt. Sie ist im Grundansatz stark präsentisch-eschatologisch ausge‐ richtet, eine Bewegung, die ins Judentum zurückweist und hier von J. Maier mit dem etwas irreführenden Stichwort ‚vom Kultus zur Gnosis‘ benannt wurde. Die juden-christliche Kultapokalyptik führt zu einer scharfen Trennung von den Formen des Judentums, welche durch den alten Kult in Jerusalem und sein Gesetz bestimmt sind. Es geht der kultapokalyptischen Tradition des antiochenischen Kerygma, dem Paulus sich anschließt, um einen durch den Christus eröffneten Durchbruch in die himmlische Herrlichkeit. Christi Sühn‐ opfer entsühnt und eröffnet himmlisch-eschatologische Gottesgemeinschaft. Zeichen dieser Entsühnung ist die Gegenwart des Geistes. Das πνεῦμα wohnt in den Leibern der Getauften, die zugleich Glieder am Leib des Herrn sind, so dass die pneumatischen Leiber den Tempel Jerusalems ‚ersetzen‘. Die durch 383 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 123 Art. ‚βαπτίζω κτλ.‘ in: EWNT I (1980), 459-469. Wir orientieren uns an O. Betz, Die Proselytentaufe der Qumransekte und die Taufe im Neuen Testament, in: RQ 1 (1958/ 59) 213-234. das πνεῦμα getragene Sohnschaft, die die Zugehörigkeit zum himmlischen Haus ansagt, ist zugleich aus der Frontstellung der juden-christlichen Kultapo‐ kalyptik gegen den Jerusalemer Tempel und sein Gesetz zu verstehen. Die pneumatisch-christologische Verbindung der Söhne mit dem himmlischen Haus bildet den Ansatzpunkt für die Erwartung einer Verwandlung in die himmlische Herrlichkeit. Beide Prozesse sind eschatologisch und greifen ineinander. Christologisch ist diese kultapokalyptische Tradition bei Paulus an der Sohn-Tradition orientiert. Gott „sendet als = bestimmt“ diesen Sohn zum Sündopfer; sein Geist, nämlich der Gottes, als der er sich an den gekreuzigten Christus gebunden hat, wohnt in den Getauften und greift so am Jerusalemer Tempel vorbei; mit dem Geist ist zugleich eine Anteilhabe an der Sohnes-Stel‐ lung gegeben, die zur Anwartschaft auf das gemeinsame himmlische Erbe berechtigt. Aber der Geist tritt auch fürbittend für die Gemeinde vor Gottes Thron und stellt so ihre himmlische Gestalt als die der Heiligen dar, die vom Anspruch der Sünde der alten Schöpfung getrennt sind. Diese relativ kompli‐ zierte Pneuma-Sohn-Christologie berührt verschiedene Grundelemente, die für den Ansatz der Sohn-Lehre entscheidend sind: Er gehört zum himmlischen Haus; er eröffnet den Zugang zu ihm und vermittelt mit ihm; der Sohn ist der von Gott beauftragte Begründer und Gestalter des eschatologischen Verhältnisses Gottes zu seiner Schöpfung. In ihm, in seinem Kreuz, ist der eschatologische Fixpunkt gegeben, durch den die Schöpfung neu eschatologisch-kultisch ‚verortet‘ wird. Dieser Sohn ist Gottes Gestalter der eschatologischen Kultordnung, die den Durchbruch zur Neuschöpfung markiert. Die paulinische Sohn-Lehre, wie sie in den genannten Zusammenhängen auftritt, wird man also am ehesten (Röm 8,34) als Hinweis auf den himmlisch-eschatologischen Hohenpriester verstehen müssen, den Hohenpriester, der aus der Nähe zum Vater heraus die Schöpfung neu kultisch einordnet. Exkurs: Die kultgeschichtliche Frage: Sohnschaft, Geistbesitz und Verklärung in der Johannes-Taufe, in der Taufe Jesu und in der urchristlichen Taufe Von W. Bieder ist im entsprechenden Artikel des EWNT 123 eine atomisierende Exegese vorgetragen worden, welche die genannten Tauftraditionen stark voneinander abhebt und nahezu unverbunden neben einander stellt. 384 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 124 A.a.O., 461. 125 Vgl. 1QS 4,20-23; 1QH 3,19ff. 126 A.a.O., 462. 127 Vgl. W. Bieder, a. a. O., 465. 128 A.a.O., 466, übergeht Bieder dieses Problem ganz. 129 A.a.O., 464. Die Taufe des Täufers erscheint Bieder als „… drängende(r) Appell, in der Abkehr von der Sünde und in der Hinkehr zu Gott sich auf das Gerichts- und Reinigungswerk des Messias hin in sittlicher Bewährung einzustellen.“ 124 Die in Ez 36 f. vorgegebene Neuschöpfungs-Ansage, die intensive Aufnahme dieser geradezu meta-ethischen Kategorien in Qumran 125 und die Überlegung, ob ein in der Grundlage priesterlich geprägtes Judentum in der Gestalt eines ‚Appells‘ die Erneuerung von Volk und Schöpfung angehen kann, bleiben dann für Johannes den Täufer unwirksam. Diese restriktive Deutung ist historisch unwahrscheinlich. Auch die Taufe Jesu ist nach Bieder nicht in die durch Ez vorgegebene kultapokalyptische Pneuma- und Neuschöpfungslehre eingebettet. „Die Taufe Jesu ist aber weder als Sinnbild seines Todes und seiner Auferstehung noch als Vorbild der christlichen Taufe zu verstehen. Denn sie ist darin ein einzig‐ artiges Geschehen, dass Jesus den Auftakt seines messianischen Wirkens in der Freiwilligkeit seines Gehorsams vornahm, in der Weihung an den Willen des sich ihm offenbarenden Vaters.“ 126 Auch hier schlägt die Kategorie der sittlichen Entscheidung durch, die jede historische Perspektive („einzigartiges Geschehen“) abschneidet. Dass das Urchristentum offenbar von Anfang an getauft hat, wird dann zu einem eingestandenen historischen Rätsel, 127 die Entstehung der (vor-)pau‐ linischen Tauflehre völlig undeutlich. 128 Dazu passt, dass dem Taufbefehl des Auferstandenen ein zwar theologisch-historisch grundsätzlicher, im einzelnen kultgeschichtlich aber nicht nachweisbarer Wert beigemessen wird. 129 Demgegenüber ist herauszustellen, dass man eine in den Grundmotiven ähnliche Deutung der Taufe beim Täufer, in der Tradition der vorpaulinischen judenchristlichen Hellenisten und bei Paulus entdeckt: Es geht um einen Übergang in den Bereich der Neuschöpfung, in dem die Sünde nicht mehr herrscht und deshalb Gottesgemeinschaft möglich ist. Dieser Übergang ist mit einer Todeslehre verbunden, so dass die Taufe eine pneumatische Überschrei‐ tung der Todesgrenze und der Tod eine pneumatische Verwandlung in neue Pneuma-Leiblichkeit bedeutet. Ergriffenheit vom Geist und Verwandlung in Pneuma-Leiblichkeit im Tod verweisen aufeinander. 385 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 130 Ez 36,24-28. 131 Ez 37. 132 Vgl. O. Betz, a. a. O., 220f.229f. 133 Vgl. G. von Rad, ‚Gerechtigkeit‘ und ‚Leben‘ in der Kultsprache der Psalmen, in: FS A. Bertholet, hrsg. v. W. Baumgartner u. a., Tübingen 1950, 418-437. 134 Vgl. Apg 6,3.5.8.15; 7,55. 135 Apg 7,55, vgl. o.S. 271ff. 136 Vgl. Apg 7,59. 137 Vgl. Apg 8,12.36-40. Diese Parallelität kommt bereits in Ez 36 f. zum Ausdruck: Die pneumatische Neuschöpfung an den Lebenden führt zu einer neuen Gottesgemeinschaft, 130 welche Gott den toten Gliedern des Volkes als leibliche Neuschaffung durch eben diesen Geist gewährt. 131 Beides sind am Geist Gottes orientierte pneumatische Prozesse, die auf die Teilhabe an der kultisch-eschatologischen Verklärung zielen. Sobald diese prophetische Verheißung zu einem kult-apokalyptischen Erneu‐ erungs-Programm wurde, mussten die animistischen Prozesse in der Geistwa‐ schung und der Geist-Auferstehung der Toten ganz nahe zusammenrücken, weil nun nicht mehr im Medium prophetischer Mythologie (Zionsverklärung), sondern im Rahmen geschichtlicher Umsetzung gedacht werden musste: Dazu gehören die Erfahrung fortbestehenden Todes und die Einsetzung des Wis‐ sens, dass Gottesgemeinschaft nicht erst ein zukünftiger, mythischer Verklä‐ rungs-Prozess ist, sondern himmlisch-pneumatische Wirklichkeit, die mit der Todesgrenze zu tun hat. Diese Zuordnung von pneumatischer Erneuerung als Grund für visionäre und kultische Engel-Gemeinschaft und Neuschöpfung des Pneumatikers durch den Herrn der Geister in die Nähe der himmlischen Heiligkeit Gottes hinein ist in der priesterlichen Apokalyptik des 1Hen, der Levi-Tradition und in Qumran vollzogen. 132 Gemeinsamer Hintergrund ist neben Ez die Kultspiritualität des zweiten Tempels. 133 Im Neuen Testament können wir diesen Zusammenhang von pneumatischer Neuschöpfung und anabatischer Todeslehre durchgängig beobachten. Stephanus ist Pneumatiker, während seines Lebens schon von engelähnlicher δόξα; 134 er schaut den Menschensohn als den himmlischen Hohenpriester und Interzessor, 135 zu dem er als Pneumatiker gehört und der im Tod sein πνεῦμα aufnimmt. 136 Sein Tod bedeutet die endgültige Entrückung zu dem Bereich himmlischer Got‐ tesgemeinschaft, an den er bisher durch seine charismatische δύναμις und sein πνεῦμα gebunden ist. Da trotz der lukanischen Bearbeitung deutlich wird, dass dieser judenchristlich-hellenistische Kult-Pneumatismus sich der Taufe bediente, 137 ist es historisch wahrscheinlich, dass Stephanus und sein Kreis getauft haben, ja ein wesentlicher Haftpunkt für die urchristliche Tauflehre sind. Jesus als Menschensohn ist in die himmlische Kultsphäre Gottes hineingegangen, und die 386 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 138 Vgl. O. Betz, a. a. O., 229f. 139 Vgl. Röm 8,14f. 140 Vgl. Röm 8,17. 141 Vgl. 1.Kor 15,42ff.: Die ἀνάστασις νεκρῶν ist ein pneumatischer Prozess nach himmli‐ scher Ordnung und auf himmlische δόξα hin. 142 Vgl. o.S. 363-369. 143 Zur Neuschöpfung als Thema der Predigt des Täufers vgl. Mt 3,9; dazu Betz, a. a. O., 223f. 144 Vgl. 1QS 11,8; 4,23; CD 3,20; zur Anthropologie von 1Hen vgl. o.S. 131ff. Getauften haben an seinem Weg Anteil durch das ihnen in der Taufe verliehene Pneuma. Im Tod gehen sie in die himmlische Heiligkeit ein, durch eine Entrückung des Geistes zu neuer, himmlischer Leiblichkeit. Taufe, christologische Lehre vom himmlischen Hohenpriester und Pneuma-Erfahrung als Beginn der Anteilhabe an der himmlischen δόξα weisen hier aufeinander. Der gleiche Grundzusammenhang bestimmt die paulinische Soteriologie nach Röm 8 und 2Kor 5. 138 Die Sohnschaft der Taufe bedeutet im vorpaulinischen Zusammenhang ein ekstatisches δοξασθῆναι. 139 Paulus korrigiert bekanntlich diesen kultapokalyptischen Enthusiasmus durch eine betonte Kreuzeslehre, ohne doch den Zusammenhang des eschatologischen Kultgeschehens im Kreuz mit der himmlischen δόξα aufzugeben. 140 Die ekstatische Sohnschaft ist Zeichen der Anteilhabe an der himmlischen δόξα des Gottes-Sohnes und damit Hinweis auf die Vollendung der πνεῦμα-Existenz durch ein Überkleidet-Werden mit himmlischer Pneuma-Leiblichkeit, die zum endgültigen Eingehen in den himm‐ lischen Kultbereich des Κύριος führt. 141 Pneumatische Transzendierung der alten Schöpfung und Verwandlung im Tod sind auch für Paulus zwei aufeinander bezogene, in Jesu Weg begründete und in der Taufe vermittelte kultisch-ontologische Prozesse. Dass der Stephanus-Kreis hinter der Rezeption und Gestaltung der Tradition von der Taufe Jesu steht, haben wir oben als begründete Möglichkeit aufgezeigt: Die Taufe bedeutet ein anabatisch-visionäres Geschehen, in dem Jesus als Sohn angeredet wird, der Zugang zur Heiligkeit Gottes hat. 142 Darin ist noch keine To‐ deslehre ausgeformt, jedoch deutlich gemacht, dass ein Übergang in die Sphäre der Heiligkeit Gottes sich vollzieht, der eine pneumatische Wandlung voraus‐ setzt. Der Vorausblick auf die Verklärung Jesu im Tod liegt damit durchaus in der Dimension der Taufe. Der Zugang des Sohnes zum Haus des Vaters, den die Tauftradition als visionäre und pneumatische Wirklichkeit umschreibt, wird in Ostern zur himmlisch-eschatologischen Wirklichkeit. Da diese Deutung der Taufe Jesu zugleich christologisch (der Stärkere, der mit Geist tauft) und anthropologisch (Neuschöpfung in den Bereich, wo die Sünde keine Macht mehr hat) auf den Täufer 143 und die jüdische Kultapokalyptik 144 zurückweist, kann 387 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 145 Vgl. Mk 10,38-40; Lk 12,49f.; Joh 1,29.36; vgl. o.S. 328ff. 146 Zur Menschensohn-Lehre vgl. o.S. 265ff.; zur Sohn-Tradition vgl. Mt 3,9; Betz, a. a. O., 223 f. verweist auf 1QH 9,35. 147 Betz, a. a. O., 232 deutet Jesu Tod als Befreiung vom Fleischesleib, „die dem vollkom‐ menen geistlichen Dasein voraufgehen muss.“ Diese Todesdeutung baut auf der kulta‐ pokalyptischen Anthropologie auf, die Jesus durch den Täufer vorgegeben ist. 148 Betz, a. a. O., 229, scheint zu überspitzen, wenn er in der Taufe Jesu den Eingang in die eschatologische Vollendungsexistenz findet. Auch der getaufte Jesus steht noch vor einer letzten Wandlung. Betz Hinweis auf das Problem der damit verbundenen Engel-Christologie ist ernst zu nehmen. sie nicht nur eine sekundäre Ätiologisierung urchristlicher Tauflehre im Leben Jesu bedeuten. Es ist vielmehr historisch sehr viel wahrscheinlicher, dass wir hier auf einen geschichtlich gewachsenen Traditions-Prozess stoßen, der eine historisch zutreffende Kontinuität beschreibt. Jesu Todesdeutung stand bereits unter der Reinigungs-, Heiligungs- und Neuschöpfungsperspektive des Täufers. 145 Die entscheidenden christologischen Vorgaben, 146 und auch das Ostergeheimnis, 147 weisen auf Jesu Beziehung zum Täufer zurück. Jesus sprach von seiner Todestaufe, was einen Übergang in die himmlische δόξα impliziert. Durch seine Menschensohn-Lehre verband er mit seiner Todes- und Erhöhungserwartung eine inklusive Bedeutung. Dies führt zu der Frage, ob Jesus selbst getauft hat. Hat Johannes 3,22; 4,1 alte, esoterische Tradition bewahrt? Der Zusammenhang in Joh 3 scheint besser begründet als der nach Mt 28. Joh 3 bettet die Tauftätigkeit ein in die Tauflehre Jesu, die christologisch über die Vollmacht des Täufers hinausweist: Jesus ist die Neugeburt ἄνωθεν, zum Menschen, der ἄνωθεν ἐρχόμενος (3,31) und damit die εἰκὼν θεοῦ ist (Ez 1,26), widerfahren. Da diese Frage, ob Jesus getauft hat, nicht mit Sicherheit zu beantworten ist, wird umso wichtiger, dass urchristliche Taufsymbolik augenscheinlich von dem Wissen ausgeht, dass Jesus getauft wurde und was dies für ihn bedeutete (Röm 1,3f.; Eph 1,6f. Kol 1,13: Der geliebte Sohn bringt die Erlösung durch die Stiftung der Taufe). Die Parallelität von pneumatischer Ergriffenheit in der Taufe und Verklärung im Tode, durch den Tod hindurch (Röm 8; 2Kor 5), hat ihren ge‐ schichtlichen Grund darin, dass Jesus selbst in diesem parallelen Doppel-Prozess stand. Seine Taufe bedeutete die Eröffnung seiner visionären, pneumatischen Existenz und sein Tod die endgültige Verklärung zu pneumatischer Leiblich‐ keit. 148 Dann ist es auch wahrscheinlich, dass der pneumatisch-ekstatische Sohnes-Begriff aus Röm 8 in die Tradition der Jesus-Taufe zurückweist (Röm 1,4). Sohn ist der Pneumatiker, der Zugang zum Haus Gottes hat; dadurch kommt er in eine Nähe Gottes, der ihn mit dem Amt des himmlischen Hohenpriesters bekleidet (Menschensohn-Lehre). Diese Tauf-Tradition liegt dem Osterkerygma 388 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 149 Vgl. O. Cullmann, Der johanneische Kreis, 1975. 150 Schnackenburg, Komm. I, 374-377 ordnet: 1. Nikodemusgespräch (3,1-12); 2. ev. Bericht 3,22-30; 3. kerygmatische Rede: a) 3,31-36; b) 3,13-21. Diese Rekonstruktion unterstellt den Bearbeitern ein gewisses Unverständnis für die Tradition und ein mechanisches Vorgehen. Auffällig ist, dass die Rekonstruktion bei Schnackenburg selbst einem theolo‐ gischen, um nicht zu sagen apologetischen, Interesse entspricht: Mit 3,31 als Einsatz des ältesten Redestoffs, der unabhängig von der Täufertradition gewesen sein soll, findet sich ein dogmatisch ‚richtiger‘ Einsatzpunkt in der Präexistenz-Christologie. Wir halten es für sinnvoller, die Bindung der in sich gespannten Menschensohn-Christologie an die Tauflehre als ursprünglich anzunehmen und den Hinweis auf den Einfluss des Täufers bei den Grundfragen der Christologie historisch anzuerkennen. voraus und kommt in der Bestimmung des Sohn-Seins der Mit-Söhne, gleichsam im dritten Glied, wieder zum Vorschein. Wie die vorpaulinische Tradition die Erinnerung an die Taufe Jesu bewahrt hat (Röm 1,3f.), so weiß man auch noch darum, dass vor Auferweckung und Erhöhung Jesu sein Sohn-Sein sich auf der Grundlage einer visionären Beziehung zum himmlischen Haus vollzog. Die Bindung der Tauflehre an die Sohn- und Hochpriesterchristologie (Röm 8 par.) weist damit auf einen alten, durch die Jesus-Tradition vorgegebenen Zusammenhang. Die Verbindung dieser vorpaulinischen, antiochenischen Tauflehre und die zu ihr gehörende Geisttradition samt der sie tragenden Sohn-Hochpriester-Christologie mit der Jesus-Tradition ist am deutlichsten im Johannesevangelium aufzuzeigen. Wir besprechen deshalb abschließend kurz den Zusammenhang von Taufe, Geist und Sohnschaft nach dem 4. Evangelium. d) Taufe, Geist und Sohnschaft in der johanneischen Tradition Wir gehen von der These aus, dass der johanneische Kreis aus der vorpauli‐ nischen, antiochenischen Priestertradition der judenchristlichen Hellenisten schöpft. 149 Die Tauftradition des Johannesevangeliums konzentriert sich auf Kap. 3. Der Stoff zerfällt in zwei Teile: die Taufunterweisung an den Anschluss an den Jesus-Kreis suchenden Nikodemus und den Abschluss des christologischen Zeugnisses des Täufers über Jesus. Beide Stücke sind an der Taufe orientiert und haben als Kristallisationspunkt einen die Taufe begründenden christologischen Lehrzusammenhang. 150 Der erste Teil 3,1-21 ist bis 3,15 durch die Menschen(sohn)-Lehre geprägt: Das ἄνωθεν γεννηθῆναι durch Wasser und Geist geschieht aufgrund des Weges des Menschensohnes, der hinauf- und hinabgestiegen ist, also mit dem Schöpfungs‐ bereich Verbindung herstellt, aus dem das ἄνωθεν γεννηθῆναι sich vollzieht: Die Taufe bedarf einer Stiftung von oben, ja mehr als einer prophetischen Stiftung: 389 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 151 Vgl. zum in die himmlische δόξα verwandelnden pneumatischen Sehen 2Kor 3,18; Röm 8,29; Joh 6,40; 12,45; 14,9. 152 Vgl. O. Betz, RQ 1 (1958/ 59) 220f.229. 153 Joh 3,13 ist in der Forschung stark umkämpft, vgl. Bühner, Der Gesandte, 1977, 374-395, bes. 392f.; P. Borgen, Some Jewish Exegetical Traditions as Background for Son of Man Sayings in John’s Gospel (Jn 3,13-14 and Context), in: BEThL, 44 (1977), 243-258; A. F. Segal, Heavenly Ascent in Hellenistic Judaism, Early Christianity and their Environment, in: ANRW 23/ 2, 1980, 1333-1394, bes. 1374f.; M. Smith, Ascents to the Heavens and the Beginning of Christianity, in: ErJb, 50 (1981), erschienen 1982, 403-429, bes. 424f. Grundlegend ist immer noch H. Odeberg, The Fourth Gospel, Nachdruck der Ausgabe 1929, Amsterdam 1974, 72-99. Bühner, Smith und in gewisser Weise Borgen schließen sich Odeberg an, der die Anabase, den visionären Aufstieg, als den grundlegenden Vorgang, gemäß der Abfolge von 3,13, vorgeordnet sein lässt. eines von ihr repräsentierten Ursprungsgeschehens mit kultisch-kosmischem, ontologischem Charakter, näherhin des inklusiven Weges des Menschensohnes. Der Zusammenhang ist an dem Grundthema der Kultapokalyptik orientiert: Das ἄνωθεν γεννηθῆναι berechtigt zum Sehen der (= Verwandelt-Werden in) 151 = Eingehen in die βασιλεία, zu der man nur als Gewandelter, Engelähnlicher Zutritt hat. Die Taufe aus Wasser und Geist ist der Beginn einer engelähn‐ lichen πνεῦμα-Existenz, die in die Verklärung zur himmlischen Seinsweise in der βασιλεία mündet. 152 Es ist die gleiche, vorjohanneische und vorpaulini‐ sche Grundtradition judenchristlicher Kultapokalyptik, die im Stephanus-Kreis sichtbar wird und die Soteriologie in Röm 8 und 2Kor 3 und 5 bestimmt. Christologisch ist in Johannes 3 zunächst nicht die Verbindung Sohn-Söhne aufgenommen, sondern die Menschen(sohn)-Lehre: An Jesus ist durch Aufstieg, himmlische Verbindung mit dem Menschensohn und Abstieg als solcher eine Neugeburt ἄνωθεν geschehen, ein Eingehen in die βασιλεία (= das Haus des Vaters). 153 Dies hat inklusive Bedeutung und wird in der Taufe weitergegeben. 3,13-15 machen deutlich, dass zwischen Aufstieg/ Abstieg Jesu/ des Menschen‐ sohnes und seiner Erhöhung im Kreuz unterschieden wird. Der visionäre Prozess und die Erhöhung im Kreuz verweisen auf und bedingen einander. Der Durch‐ bruch im Kreuz zu himmlisch-eschatologischer Interzession des Menschensohnes wäre ohne visionäres Fundament spekulativ; die Visionsschicht bliebe ohne Erhöhung im Kreuz auch ohne himmlisch-eschatologische Kraft. 3,13-15 kennen also offenbar auch die Parallelität von visionärem Taufaufstieg als Beginn der Verbindung Jesu mit dem Menschensohn und dem eine neue, eschatologische Dimension begründenden Kultgeschehen im Tod am Kreuz. Der Aufbau des Stü‐ ckes 3,13-15, als älterer Abschluss des Dialogs, bestätigt, dass die antiochenische Tauflehre eine Tradition über Jesu visionären Taufaufstieg kannte, zusammen mit der Deutung des Kreuzes als Eingang in die himmlische δόξα. Der Weg Jesu, seine durch die Taufe erschlossene Verbindung mit dem Menschensohn, 390 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 154 Vgl. zu Überlegungen, die Notiz 3,22 historisch ernst zu nehmen: G.R. Beasley-Murray, Baptism in the New Testament, London 1962, 67-71; M. Smith, Secret Gospel, 1973, 202-212. Smiths Argument für die Richtigkeit von 3,22 weist auf die präsentisch-eschatologischen Züge in der Botschaft Jesu; diese könnten sich nur auf eine kultisch-rituelle Basis stützen. Die paulinische Tauflehre als Basis einer stark präsentisch-eschaotologischen Soteriologie weise auf Jesus zurück. Dass Jesus mit seinem eigenen Weg, inklusive des bevorstehenden Todes, den Jüngern Heil zugeeignet hat, beweist die Abendmahlstradition. 155 Vgl. Schnackenburg, Komm. I, 451f. 156 Joh 1,20; 3,28 können schwerlich auf die Ablehnung des Täufers, königlicher Messias zu sein, zielen, gegen Grundmann Art. ‚χρίω κτλ.‘ in: ThWNT, 9, 562, Anm. 472. In der Tradition weisen die messianischen Attribute auf Elia, bzw. das himmlische Licht, das zur Kultsphäre Gottes gehört. Die abfallende Reihe Christus, Elia, der Prophet weist am ehesten in eine kultische Erneuerung Israels. Christus meint hier den Messias aus Aaron. Joh 1,49.51 zeigen, dass die königliche Messias-Erwartung zwar rezipiert, jedoch durch den Menschensohn-Zusammenhang in priesterlicher Richtung umgeprägt wird. Das Reich des johanneischen Christus ist nicht von dieser Welt ( Joh 18,36), sondern das des himmlischen Menschensohnes (vgl. Mk 12,35-37), der Zugang zu ihm durch Ermöglichung pneumatischer Neugeburt ἄνωθεν verschafft. Der Täufer lehnt die sein Von-Oben-Kommen und Nach-Oben-Gehen, seine Verherrlichung im Kreuz, bildet die kult-ontologische Begründung für die in der Taufe weitergegebene Kraft zur pneumatischen Verwandlung in die himmlische Seinsweise. Der ursprüngliche Aufriss leitete also aus dem ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς = ὁ υἱὸς τοῦ ἀνθρώπου (3,13) das ἄνωθεν γεννηθῆναι als Konsequenz ab. Die weitere Explikation mit dem Sendungsschema nach 3,16ff. muss ebenfalls sehr alt sein, da Röm 8 den gleichen Aufbau zeigt: Die Sendung des Sohnes eröffnet eine inklusive Teilhabe an seinem Weg in die himmlische δόξα. Man könnte vermuten, dass 1 Kor 15,45f. ursprünglich ist: Das ἐγένετο konnte sowohl, vor dem Hintergrund der Tauftradition, als Aussage einer visionären Verbindung mit dem Menschen(sohn) als auch als präexistentia, im Sinne der Sendungstradition, entfaltet werden. Das vielleicht als Paralleltradition zu 3,13ff. entstandene Stück 3,31-36 ist nun als Abschluss des Täufer-Zeugnisses verstanden. Dieser Zusammenhang muss ernst genommen werden: Das christologische Geheimnis Jesu weist auf den Täufer zurück (Mk 1,7f.; 11,30). Der Zusammenhang geht aus - nach der Bemerkung, dass Jesus taufte 154 - von einer ζήτησις ἐκ τῶν μαθητῶν Ἰωάννου μετὰ Ἰουδαίου περὶ καθαρισμοῦ. Es geht um die Reinheitsfrage, 155 in der Jesus im Zusammenhang seiner eigenen Tauftätigkeit von der Tauflehre des Täufer-Kreises abweicht. Jesus hat größeren Erfolg in quantitativer und qualitativer Hinsicht: Er eröffnet die messianische Reinigung, die zum Eingehen in die βασιλεία berechtigt. Die χριστός-Tradition wird in diesem Zusammenhang am ehesten hochpriesterlich-messianische Bedeutung haben. 156 Nicht der Täufer mit seiner Taufe schafft eine priester‐ 391 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption messianische Würde den Priestern und Leviten Jerusalems gegenüber für sich ab. Jesus beansprucht, messianischer Hoherpriester zu sein. 157 Vgl. Billerbeck, I, 500f. lich-messianische Reinigung des Volkes, verbunden mit einer Überführung zu engelähnlicher Pneuma-Existenz, sondern Jesus; ihm ist eine christologische Vollmacht gewährt, die direkt aus der himmlischen Welt stammt; er ist der Träger des heiligen Geistes Gottes, und deswegen hat seine Taufe eine größere Kraft. Für die Erschließung dieser höheren, priesterlich-messianischen Würde Jesu greift der Text durch das ᾧ συ μεμαρτύρηκας (3,26) und mittels des Bildes vom Freund des Bräutigams, der ja eine rechtliche Funktion hat, 157 auf die Zeugenfunktion des Täufers bei der Taufe Jesu zurück. Nach 1 29 ff. stützt sich das Zeugnis des Täufers auf einen von ihm visionär geschauten Vorgang, der sich an Jesus während der Taufe vollzieht. Das pneuma‐ tische Geschehen an Jesus kann nicht anders denn durch ein selbst pneumatisch begründetes Schauen enthüllt werden. Dieser pneumatische Rahmen hindert, das Geschehen an Jesus als schlicht objektiv zu verstehen. Die Frage, die der Text hier im 1. Kap. nicht stellt, wie Jesus an dem Geschehen beteiligt ist, könnte nicht anders beantwortet werden als in der markinischen Fassung. Diese auf Jesus bezogene, pneumatische Innenperspektive enthüllen 3,31-36: Im Medium des durch die Rahmung vorausgesetzten visionären Zeugnisses des Täufers wird das pneumatische Geschehen am Täufling Jesus, über 1,33f. hinaus, als Visionsgeschehen angedeutet. Der Täufer ist hier Zeuge der Taufvision Jesu. Das pneumatisch-visionäre Zeugnis Jesu wird gestützt durch das visionäre Bezeugen des Täufers: Das Zeugnis Jesu, das sich auf eine schauende Beziehung zum Vater gründet (5,37; vgl. 5,19f.; 8,38), stützt sich auf das begleitende Zeugnis des Täufers. Das ἄνωθεν ἐρχόμενος greift auf den Kernpunkt der Tauflehre zurück, den wir als vorjohanneisch und vorpaulinisch annehmen: Die Taufe ist Beginn eines pneumatischen Durchbruchs zu neuer, der himmlischen Heiligkeit angepassten, engelähnlichen Menschengestalt in der βασιλεία; sie gründet in dem eschato‐ logischen Adam, der in Christus ‚wurde‘ (1 Kor 15,45), der als Sohn, der die μορφή und die εἰκών des Vaters hat (Röm 8,29), gesandt wurde, bzw. von oben herabgestiegen ist als Menschensohn. Anders als Paulus spricht Joh 3,31-36 nicht nur lehrmäßig-objektiv, sondern zunächst im Rahmen der Vision des Täufers, die sich bezieht auf etwas, das der Herabgekommene selbst gesehen hat (3,32). Das Kommen des Menschen vom Himmel ist wie in 3,13 ein Vorgang, der sich zunächst in einem Visionsgeschehen an Jesus realisiert. Was er in seiner Verbindung mit dem Menschensohn geschaut hat, das bezeugt er. Dieses visionäre Zeugnis Jesu, das der Täufer bestätigt, hat zum Inhalt die soteriologische Bedeutung seines Aufstiegs: sein Menschensohn-/ 392 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 158 Vgl. zur Verbindung von Gen 1,26; Ez 1,26: H.R. Balz, Methodische Probleme der neutestamentlichen Christologie, 1967 (WMANT 25), 80-95. Balz greift verschiedene Arbeiten von O. Procksch auf. Vgl. auch S. Kim, The Origin of Paul’s Gospel, Tübingen 1981 (WUNT II/ 4), 2 39-241. 159 Vgl. 2Makk 5,20: der in der urchristlichen Tradition vorausgesetzte Gegensatz von einer Zeit des Zornes und einer Zeit der (kultischen Restitution als) Versöhnung wird apokalyptisch bestimmt; gegen den endzeitlichen Gotteszorn wirkt nur die von Gott kultisch durchge‐ führte endzeitliche Versöhnung. Röm 5,8-10 bilden den gleichen Lehr-Zusammenhang ab: Man entgeht der ὀργή und erlangt die ζωή nur durch die entsühnende Wirkung des Todes des Christus, in dem Gott die kultische Versöhnung durchführt. 160 Vgl. dazu o.S. 363ff. Adam-Sein. Da sich Gott an diesen Menschen als den ‚Menschen von oben‘, nach Ez 1,26, also sich ‚selbst‘ an die Gestalt dieser εἰκών gebunden hat, 158 hängt die Durchsetzung seiner Wahrheit, d. h. seines die Schöpfung qualifizierenden Anspruchs, an der glaubenden Aufnahme des Zeugnisses dessen, der zum Men‐ schen ἄνωθεν gewandelt ist. 3,34-36 bestimmen diese visionäre Herkunft Jesu von oben, von dem ἄνθρωπος ἄνωθεν, also die Lösung des Geheimnisses der Gestalt Gottes, als Sendung aus dem himmlischen Haus des Vaters. Er ist gesandt, aber nicht wie ein Prophet, sondern in der Fülle des Pneuma, geradezu als Pneuma-Gestalt, weil er als ἄνωθεν ἐρχόμενος die Gestalt Gottes hat, der ganz πνεῦμα ist (4,24). In der Vision gründet ein Vater-Sohn-Verhältnis, hat der Sohn Zugang zum Vater, der ihm alles in die Hände gibt, d. h. ihn als Haussohn an seinem Himmel und Erde verwaltenden Hausstand beteiligt (Hebr 3,1-6). Weil der Sohn in diese, Gottes gesamtes Verhältnis zu seiner Schöpfung umfassende, Beziehung zum Vater gestellt ist, in ihm als eschatologischem Throngenossen Gottes der eschatologische Adam ἄνωθεν da ist, hängt am Glauben an ihn das Heil der versöhnten Gottesgemeinschaft. Ohne Realisierung seiner priesterlichen In‐ terzession im Glauben bleibt Gottes Zorn wirksam. 159 Auch hier begegnet ein von der Tradition der Taufe Jesu ausgehender und im Rahmen urchristlicher Tauflehre beheimateter christologischer Aufriss, der die Menschen(sohn)- und Sohn-Lehre in einem visionären Eintritt in den Bereich der himmlischen Herrlichkeit vor Gottes Thron begründet sieht. Die christologische Lehre des johanneischen Jesus und seine soteriologische Verkündigung wurzeln in der Vision: Dort hat er geschaut und gehört, ist mit εἶδος und φωνή Gottes zusammengekommen. Joh 3,(13.)31-36 ist das johanneische Gegenstück zur synoptischen Tauftradition, die von der Vision Jesu weiß. Aufstieg und Abstieg sind hier wie dort die die Taufe Jesu himmlisch qualifizierenden Bewegungen. Joh 3,31-36 ist eine andere Fassung der Deute-Vision. 160 3,31 markiert den Punkt der Rückkehr von der Tauf-Vision, für deren Wahr‐ heit der Täufer bürgt. Christologisch betont der markinische Visionsbericht 393 3. Taufe, πνεῦμα und Sohnschaft in der weiteren neutestamentlichen Rezeption 161 Vgl. Pesch, Komm., I, 95-97. 162 Οὗτος hat gegenüber σύ stärker enthüllenden, hinweisenden, nicht proklamierenden Sinn. Entsprechend ist das den Erwählungszeitpunkt betonende εὐδόκησα aus Mk 1,11 nicht aufgenommen. Das ἀκούετε αὐτοῦ fügt hinzu: als Sohn ist er Offenbarer des eschatologi‐ schen Kultgeheimnisses, das er, in der Leidenslehre über den Menschensohn, enthüllt. stärker die Sohn-Lehre (vgl. auch Joh 1,34), deutet aber mit der Fortsetzung 1,12f. die Kenntnis der Menschensohn-Tradition an. 161 Johannes geht stärker von der die inklusive soteriologische Bedeutung der Taufe tragenden Men‐ schen(sohn)-Tradition aus (3,13-15.31-33) und versteht die Sohnschaft als Legi‐ timationsgrundlage. Angesichts der Entfaltung der gleichen Tradition in Röm 8 muss man Sohn- und Menschensohn-Tradition ganz eng zusammenstellen: Beide wurzeln im gleichen visionären Taufgeschehen. Der Hinaufsteigende darf als Sohn vor den Vater treten und erhält eine die ganze Schöpfung qualifizierende Vollmacht, die er als Menschensohn wahrnimmt. Auch die johanneische Tradition zeigt also in dem alten Taufstück, dass Jesus in seiner Taufvision durch die Liebe des Vaters (3,35, vgl. Mk 1,12; Kol 1,13; Eph 1,6) zu seinem general-bevollmächtigten Sohn eingesetzt wird. Diese Sohnschaft vollzieht sich vor einem durch die Tauflehre vorgegebenen kultapokalyptischen Hintergrund: Sie markiert den Zugang zur Heiligkeit Gottes, zur Neugeburt von oben, den Eingang in die βασιλεία als das Haus Gottes, paulinisch die προσαγωγή, bei Stephanus das verwandelnde Schauen auf den himmlischen Hohenpriester, nach Hebr 10,19 den freien Zugang zum himmlischen Heiligtum. Dieser visionäre Zutritt zum Vater ist traditionsgeschichtlich am ehesten im Zusammenhang einer Deutung Jesu als charismatischer, hochpriester-messiani‐ scher Gestalt zu verstehen. Εr gibt in der Taufe die ihm gewährte Gottesgemein‐ schaft weiter. Auch die johanneische Tradition bezeugt, dass der priesterliche Heilige Gottes zunächst visionär und endgültig in seinem Sühne-Tod Gott als unserem Erlöser entgegentritt. 4. Verklärung und Sohnschaft: die himmlische δόξα des kultischen Ursprungsgeschehens Die markinische Verklärungsgeschichte weist auf die Taufe zurück. Dies ist am deutlichsten an der Himmelsstimme zu erheben. Die Abweichungen zeigen an, dass die Verklärung nicht den Beginn der πνεῦμα-Existenz Jesu bedeutet, sondern diese bestätigt und steigernd realisiert. 162 Zudem markiert das betonte ἀκούετε αὐτοῦ die seiner einzigartigen, himmlischen Pneuma-Existenz, als Sohn, entstammende Offenbarungsautorität, die über Mose und Elia (= den Täufer) hinausweist. 394 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 163 Vgl. o.S. 363ff. 164 Vgl. o.S. 375ff. 165 Vgl. o.S. 389ff. 166 Zum traditionsgeschichtlichen Hintergrund in Kultapokalyptik und kultischer Mystik des Judentums vgl. W. Gerber, Die Metamorphose Jesu. Mark. 9,2f. par., in: ThZ, 23 (1967), 385-395, bes. 391-395. Die Verwandlung erfasst den aufsteigenden Visionär. נ ה פ ך ist der μεταμορφοῦσθαι genau entsprechende hebräische Begriff. Vgl. zur Wandlung in die feurige Gestalt auch die Taufe im נ ה ר ד י נ ו ר . 167 Vgl. K. Weiß, Paulus - Priester der christlichen Kultgemeinde, in: ThLZ, 79 (1954), 355-364, hier: 358. 168 A.a.O., 360-364. Der Rückgriff auf die Taufe hat seinen Sinn auch vor dem Hintergrund urchristlicher Tauflehre: Die Taufe markiert den Beginn der pneumatischen Existenz, die in himmlische, verklärte, engelähnliche und kultisch reine Seins‐ weise mündet. Die Verklärungserzählung hat so eine begründende Funktion für die kultgeschichtliche Einordnung der Taufe im Urchristentum: Es geht um die Überbietung des himmlischen Offenbarungs- und Haltegrundes der alten Kult‐ ordnung (Mose und Elia) durch die himmlische, δόξα und Gottesgemeinschaft gewährende, neue Kultordnung des Menschensohnes. Überlieferungsgeschichtlich weist die Erzählung zurück in das vorpaulini‐ sche, hellenistische Judenchristentum, wie wir vermuten, Antiochiens, welches auch die Taufgeschichte gestaltete 163 und im Hintergrund vor-paulinischer 164 und vor-johanneischer 165 Tauf- und Verklärungslehre steht. Christologisch wird das in der Taufgeschichte angelegte christologische Thema des über den Täufer = Elia hinausweisenden ‚Stärkeren‘ aufgenommen. Der Stärkere ist nicht schon durch sein Sohn-Sein heilsgeschichtlich ausreichend, d. h. kultgeschichtlich und kult-ontologisch die Schöpfung qualifizierend, bestimmt. Erst die durch sein Sohn-Sein erschlossene Menschensohn-Bestimmung realisiert seine inklusive, soteriologisch die alte Kultordnung überbietende Gestalt. Der zentrale Begriff des μεταμορφωθῆναι weist in die hellenistisch-judenchrist‐ liche Verklärungslehre 166 zurück, welche die Taufe vom Himmel her bestimmt. Bevor wir auf den grundlegenden Zusammenhang mit 2Kor 3 und 4 eingehen, ein kurzer Hinweis auf Röm 12,1f., wo der einzig weitere Beleg für μεταμορφοῦσθαι im Neuen Testament begegnet. Der Zusammenhang ist durchgängig durch kultisches Vokabular bestimmt; dies ist für 12,1 durch die Stichworte παραστῆναι, θυσία, ἁγια, θεῶ εὐάρεστος, λατρεία evident. 167 Wie K. Weiss in seinem grundlegenden Aufsatz deutlich gemacht hat, geht es nicht um eine bloße Beschreibung christlichen Lebens, auch nicht um eine Spiritualisierung, sondern um die kultgeschichtliche Qualifizierung der christlichen Existenz als eschatologische Realisierung des alttes‐ tamentlichen Kultgeschehens. 168 Röm 12,1f. weist zurück auf 6,1ff., also auf die Tauf‐ 395 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 169 O. Michel, Röm.-Komm., 370, Anm. 15. 170 Vgl. O. Michel, a. a. O., 371. 171 Vgl. K. Weiß, a. a. O., 358. 172 Vgl. J. Jeremias, Art. ‚Μωυσῆς‘, in: ThWNT, IV, 873, 18 ff.; E. Lohmeyer, Markus-Komm. (KEK II 11 ), 1951, 174. 173 2Kor 3,7.9-11. 174 2Kor 5,10f.18. 175 Διαθήκη ist auch für die älteste Jesus-Tradition unlöslichen mit dem Kultakt des Blutsprengens verbunden, vgl. Mk 14,24. Paulus denkt an das kultgeschichtliche Ursprungsgeschehen im Kreuz Jesu, ohne speziell auf Abendmahls- oder Tauftradition als Repräsentanten dieses Urvorgangs abzuheben. 176 Διακονία kann hier nicht den Liebesdienst am Mitbruder meinen, sondern klingt wie in 2Kor 5,18 apostolisch-amtlich; Josephus verwendet διακονέω gelegentlich im Sinne von ‚priesterlich dienen‘; auch Paulus denkt bei solch amtlicher Verwendung eher an das hebr. דבע. Zu bedenken ist auch, dass das himmlisch-kultische Dienen von dem דובכ Gottes in der jüdischen Mystik betont als שמש bzw. תרש festgehalten wird. Das pries‐ terliche Dienen geht in einen apokalyptischen Zusammenhang über. 177 Vgl. H. Windisch, Der zweite Korintherbrief (KEK 6 9 ), Göttingen 1970 (= Nachdruck der Ausgabe 1924), 109 2 . lehre. „Die urchristliche Gemeinde ist als Taufgemeinschaft in ein neues kultisches Denken hineingestellt.“ 169 Paulus setzt in dem Passivum divinum μεταμορφῶσθε das Handeln Gottes als πνεῦμα an den Getauften voraus. 170 Gott als Geist erneuert in der Taufe. 171 Es geht um ein Wandlungsgeschehen, das einen Beginn, eine Steigerung auf ein eschatologisches Ziel hin und damit präsentisch-eschatologische Dimension besitzt, die paränetisch entfaltet werden kann. Die Metamorphose ist Zeichen der kultgeschichtlich-eschatologischen Bedeutung der Taufe als Handeln des Pneuma-Christus an den Getauften. Für die Exegese der Verklärungsgeschichte ist in der Forschung viel zu wenig der Hintergrund von 2Kor 3 f. herangezogen worden: 172 es geht um die Herrlichkeit, an der der Kultdiener teilhat und die das den Kultus prägende Ursprungsgeschehen aus sich heraussetzt. Auch am Anfang der Kultgeschichte des Alten Bundes stand eine Teilhabe an der göttlichen δόξα. 173 Aber diese göttliche δόξα des Ursprungsgeschehens des Kultus am Sinai ist schon in den Tagen des Mose verblasst und hat in der Geschichte der alten Kultgemeinde keine Wirkung mehr gehabt. Dies wird nun deutlich, wo die göttliche δόξα sich bleibend an das Ursprungs-Geschehen des christlichen Kultes und seine beständige Repräsentation in ihm gebunden hat. Die neue Kultordnung gibt bleibend wirksam ihre verwandelnde Kraft an alle ab, die zu ihr gehören. 174 Der Begriff διαθήκη weist auf Ex 24,8 LXX; Jer 31,33 (vgl. Ez 36,22-28) zurück und meint das kultgeschichtliche Ursprungsgeschehen. 175 Die διακονία ist hier der Kultdienst, 176 der διάκονος priesterlicher Vertreter des ihm vorgesetzten hochpriesterlichen μεσίτης. 177 396 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 178 Vgl. Windisch, Komm., 127. 179 Den vorpaulinischen, judenchristlichen Charakter der Tradition untersucht S. Schulz, Die Decke des Moses. Untersuchungen zu einer vorpaulinischen Überlieferung in II Cor 3,7-18, in: ZNW 49 (1958) 1-30. 180 Paulus denkt bei der Schriftvorlesung an den Synagogengottesdienst. Die Synagoge ist der für Paulus dominierende kultgeschichtliche Endpunkt des Alten Bundes. Kennt Paulus die Tora-Ontologie der jüdischen Schriftgelehrten seiner Zeit? Vgl. dazu Neusner, ANRW 19/ 2 (1979) 3-42. Paulus sieht den von der Schrift her vollzogenen Gottesdienst aber grundsätzlich als einen kultisch verankerten, den Tempeldienst widerspiegelnden, von ihm her legitimierten Vorgang, denn aus dieser Rückbindung entsteht ja der Anspruch der Schrift auf Mittlung von Gerechtigkeit und Leben. Denn wenn die kultisch erwirkte Erlösung in Christus die Gerechtigkeit Gottes ohne Zutun des Gesetzes, an ihm vorbei, hervorbringt, dann handelt es sich offenbar um einen ineinander geschobenen Gegensatz, den man zerlegen muss: Es stehen sich gegenüber der Opfertod am Kreuz und das Kultgeschehen am Tempel. Der Sühnopfertod Jesu wird zur geschichtlich-kosmischen Größe im Evangelium als seiner Real-Repräsentanz. Das Gesetz ist die Gestalt, nach der der Jerusalemer Kult sich vollzieht und wiederum repräsentiert wird. Dem Evangelium entspricht der Glaube, dem Gesetz die Werke. Der Gegensatz zum Tempel-Kult ist bei Paulus in Gal 4 ausformuliert, muss aber auch sonst als Grundlage des Gesetzesbegriffs eingetragen werden. Kann es sein, dass Paulus den älteren Zusammenhang von τόπος und νόμος, den die antiochenische Tradition kennt und der dann in den Hebräerbrief hin‐ übergeht, aus einer Ehrfurcht gegenüber der Sonderstellung der Jerusalemer Gemeinde auf die Auseinandersetzung mit dem νόμος konzentriert? Paulus beginnt, vor dem Hintergrund angedeuteter Auseinandersetzungen (3,1), im Rahmen einer apostolischen ‚Berufslehre‘, hat aber, wie 3,18 zeigt, uns alle, d. h. die getaufte christliche Gemeinde vor Augen. 178 Die grundle‐ genden Definitionssätze in 3,17 qualifizieren den gesamten Kultzusammenhang des Urchristentums als πνεῦμα-Geschehen. Der Kyrios des christlichen Gottes‐ dienstes 179 ist πνεῦμα, und das Kennzeichen der Gemeinschaft mit dem πνεῦμα ist die Teilhabe an himmlischer δόξα. Offenbarung - und das heißt im Grunde: gelungene kultische Beziehung zwischen diesem Gott und seinem Volk Israel, ja zwischen Gott und der Schöpfung - zeigt sich nur dort, wo Gott als πνεῦμα und δόξα gegenwärtig verwandelnd wirksam ist. Nun ist offenbar geworden, dass die Mose-Offenbarung diese, in ihrem Ursprungsgeschehen von Gott gewährte, Teilhabe an himmlischer δόξα nicht hat weitergeben können. Dies deshalb, so Paulus, weil das Ursprungsgeschehen des Alten Bundes in Gestalt einer in Stein gehauenen Schrift Wirklichkeit wurde, 180 wohingegen die Grundlage des Kultgeschehens im Neuen Bund zu einem fortwirkenden πνεῦμα-Prozess führt. Die pneumatische Kraft des Evangeliums zeigt sich darin, dass es Pneu‐ matiker schafft und so in die neue Schöpfung überleitet. Die pneumatische Metamorphose bedeutet eine steigernde Teilhabe an himmlischer δόξα (2Kor 3,18), deren Zielpunkt 2Kor 5 markiert. Es geht letztlich um die Verwandlung in die Gestalt und Gemeinschaft des Christus-Leibes jenseits der Welt des Todes, 397 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 181 K. Weiß, a. a. O., 358. 182 Vgl. S. Kim, The Origin of Paul’s Gospel, Tübingen 1981 (WUNT II/ 4), Kap. VI, bes. 223-239. 183 Vgl. H. Windisch, Komm. 112; S. Schulz, a. a. O., 13-20. Die scharfe Trennung zwischen der vorpaulinischen hellenistisch-judenchristlichen Tradition und der Bearbeitung durch Paulus stützt sich bei Schulz vor allem auf 2Kor 3,13c. Wenn die vorpaulinische Tradition „… das Theologumenon der Verherrlichung und ewigen Gültigkeit der mosaischen Thora auch und gerade in der christlichen Gemeinde …“ (29) betont, fällt auf, dass die Verklärungserzählung die Kreuzes-Christologie in den Mittelpunkt stellt. Die Tradition begegnet also auch außerhalb paulinischer Rezeption mit einem kräftigen christologischen Schwergewicht in der Kreuzeslehre. Das kann auf paulinischen Ein‐ fluss weisen, doch ist dies wegen des Alters der Menschensohn-Leidens-Lehre nicht wahrscheinlich. 184 Vgl. o.S. 363ff. um das eschatologische, kultische Stehen vor Gott. „Die dazu erforderliche Beschaffenheit, die Heiligkeit im kultischen Sinne, ist durch den Geist bewirkt. Der Geist vermag das, denn als die Vergegenwärtigung Gottes in der Gemeinde hat er ja den höchsten Grad von Heiligkeit, die Heiligkeit Gottes selbst. Damit ist also das kennzeichnendste Merkmal der christlichen Gemeinde, das Phänomen des Geistes, kultisch ausgewertet. Durch den Geist, der heilig ist, ist es auch die Gemeinde; damit ist sie kultfähig.“ 181 Wo ruht dieser Pneuma-Prozess geschichtlich auf ? Man kann, dem Einstieg des Paulus in 2Kor 3,4-6 folgend, auf die Da‐ maskus-Vision verweisen; in ihr schaute Paulus den Christus als himmlische Lichtgestalt, eine im Kern auf die εἰκών - und Menschen(sohn)-Christologie bezogene Vision. 182 Dieser Rekurs auf die eigene Christus-Erfahrung des Paulus reicht aber nicht aus, da sie selbst bereits traditionsgeschichtlich bestimmt ist und nicht ohne Einfluss urchristlicher Lehre rezipiert und memoriert werden konnte. Auch spricht Paulus betont objektiv und geradezu kultrechtlich von den zwei διαθῆκαι. Paulus verweist in 2Kor 4,4+6 auf eine εἰκών-Christologie, die an die Verklärung des Mose angeschlossen ist. Paulus steht damit in einer helle‐ nistisch-judenchristlichen Auslegungs-Tradition, die das Urgeschehen des alten Kultes vor dem Hintergrund einer Verbindung von Gen 1,26; Nu 12,8; Ez 1,26 neu deutet. 183 Auf diesen Tradenten-Kreis wies auch die Taufgeschichte. 184 Abermals werden besondere Beziehungen zu Apg 6.7 deutlich: Hinter der jetzigen Kult‐ ordnung Israels steht ein himmlischer, visionär vermittelter τύπος-Vorgang, der die Urgeschichte des Alten Bundes in Gestalt der mosaischen Hütte noch prägte, kultgeschichtlich aber durch den Tempelbau verlorenging. Erst durch die Christusgeschichte ist das himmlische Kultgeheimnis, die wirkliche Verbindung mit der Heiligkeit Gottes, zu neuer, eschatologischer, Geschichte und Schöpfung prägender Realität geworden. Er ist der himmlische Hohepriester, mit dem wir 398 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 185 Vgl. R.H. Stein, Is the Transfiguration (Mark 9,2-8) a misplaced Resurrection-Account? , in: JBL, 95 (1976), 79-96. 186 Pesch spricht entgegen der üblichen Analyse, die - meist ausgehend von der Oster-Hy‐ pothese - in 9,8 (ohne die Worte ‚außer Jesus allein‘) den richtigen, himmlischen Abschluss der Szene sieht, von einer einheitlichen Bildung 9,2-13, die aus Offenbarungs- und Gesprächsszene besteht, Komm. II, 70. Die Kontrollfrage hat zu lauten: sind Teile als für sich überlieferungsfähig erkennbar? 9,9f. können nie selbständig gewesen sein; auch 9,11-13 müssen in einen weiteren Lehrzusammenhang gehört haben, der Jesu Weg und Geschick bespricht. Da die Stichwort-Verbindung: Elia ( Johannes der Täufer), Menschensohn 9,11-13 eng an die Verklärung bindet, ist es am besten, einen alten Zusammenhang anzunehmen. Die Orientierung an der Sinai-Szene spricht dafür, dass von Anfang an Aufstieg und Abstieg miteinander verbunden waren, vgl. Joh 3,13. Die antiochenischen Judenchristen kannten vielleicht die kommentierende Schichtung der Tradition, wie sie aus Mk 1,9 + 1,10f. + 1,12f. spricht. Vielleicht kann man auch an das schriftgelehrte Ergänzungsverfahren in Mk 2,1-12 erinnern. Die Überlieferung ist geschichtet, aber nicht dekomponierbar. pneumatisch verbunden sind. Die Tradition betont deshalb, dass Stephanus der erste Verklärte ist, der in die Pneuma-Gestalt des himmlischen Menschensohnes hineingenommen wird. Apg 7,55f. verbinden die δόξα mit dem himmlischen Menschensohn, ein Hintergrund, der durch die εἰκών-Lehre in 2Kor 3,18; 4,4; 1Kor 15,49 ebenfalls für Paulus bestimmend ist. Die vorpaulinische, antiochenische Tradition kannte die These: Die δόξα des Mose wurde durch die δόξα des Menschensohnes überboten, insofern die δόξα des Menschensohnes durch das πνεῦμα zu einer kultischen Vergegenwärtigung des hinter dem kultischen Vollzug der Evange‐ liums-Verkündigung stehenden pneumatischen Ursprungsgeschehens führt, während die Kultgemeinde des Alten Bundes ihr Ursprungsgeschehen, aus der himmlischen δόξα am Sinai, nicht bewahren konnte. Den δόξα-Charakter des kultischen Ursprungsgeschehens der christlichen Taufgemeinde führt die targumische Tradition Antiochiens auf den irdischen Jesus zurück. Die Verklärungsgeschichte zeigt, dass die Frage nach der Teilhabe des Menschensohnes an der δόξα Gottes und damit seine Kraft, sie weiterzu‐ geben, nicht nur im Rahmen einer Ostertradition überliefert wurde, sondern an ein Geheimnis des Irdischen anknüpfte. Man kann diese Rückbindung der himmlischen δόξα an den Irdischen kaum als sekundäre Historisierung der Ostertradition 185 ansehen: die Menschensohn-Tradition, der man - als Zielpunkt der Sohn-Anrede - den Zusammenhang Mk 9,2-13 186 zurechnen muss, hat feste Ansätze beim Irdischen; die Ostertradition wird, nach dem ursprünglichen Mk-Schluss, nur in verhüllter Gestalt weitergegeben. Sie weist auf ein Geheimnis, das als solches 399 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 187 Dass auch mit Mose Tod in jüdischen Traditionen ein Entrückungsgeheimnis ver‐ bunden wurde, dass der Aussage, er sei gestorben, die andere, er sei entrückt, gegen‐ nicht beschrieben oder historisierend erzählt werden kann. Die Verklärung ist nicht Ersatz für die Ostergeschichte, sondern eine eigene Vorstufe in der Enthüllung und Realisierung der Jesus gewährten himmlischen δόξα. Taufe, Verklärung und Ostern bedeuten eine Steigerung des Eingehens in die himmli‐ sche δόξα; es sind Stufen eines sich steigernden Verklärungsprozesses. Nach den beiden ersten ist die durch sie als theologisch, christolologisch, soteriologisch notwendig bedeutete Vollendung im dritten Schritt nur noch angedeutet und so ihr transzendenter Charakter geschützt. der Rückgriff auf Mose und Elia bedeutet die Übernahme eines ‚christolo‐ gischen‘, kultgeschichtlichen und erzähltechnischen Zusammenhangs, in dem das begründete δόξα-Geschehen, die Gewährung der Teilhabe an der göttlichen Herrlichkeit, an die irdische Gestalt gebunden wird, das Verbleiben im Tod aber nur angedeutet, bzw. als vollendende Entrückung beschrieben wird. Die Verklärungsgeschichte ist also Teil eines eigenständigen, erzählmäßiglehrhaften Hinweises auf das Ostergeheimnis. Sie betont den entscheidenden Satz, dass der christologische Grund, von dem die ganze Verklärungs-Soteriologie ausgeht, auf den Irdischen zurückweist. Die δόξα, die das Evangelium als prägende Größe des christlichen Kultes weitergibt, wurzelt in dem δόξα-Geschehen an Jesus. Wie der Alte Bund, so wurzelt der Neue in einer begründenden, stiftenden δόξα-Erfahrung des anabatischen Visionärs. Mose als anabatischer Visionär hat die δόξα Gottes geschaut (Ex 33 f.). Die Begegnung mit der Herrlichkeit Gottes haftet dabei einmal mehr am Zelt (33,11; 33,12-23; Nu 12,8: ἐν εἴδει καὶ οὐ δι' αἰνίγματος καὶ τὴν δόξαν κυριοῦ εἶδεν) und zum anderen am Sinai-Aufstieg. Diese verschiedenen Vorgänge, die auch auf starke literarische Umbrüche verweisen, sind von den Gestaltern der Endtradition ineinandergeschoben worden. Auch Elia ist in einem ekstatischen Akt, am Gottesberg der kultischen Ursprungsgeschichte, mit der Gestalt Gottes zusammengekommen (1Kö 19). Kann man annehmen, dass schon die biblischen Tradenten um eine auf kultprophetische Kreise zurück‐ verweisende Verbindung von ekstatischer Gottesbegegnung am Zelt-Kultort mit dem Sinai-Aufstieg, als dessen Repräsentierung bzw. als dessen vor-objektive ekstatische Grundlage, wussten? Offenbar sind Mose und Elia nach dem in 2Kor 3 sichtbar werdenden Stoff in Mk 9,4 deshalb genannt, weil sie die beiden Gestalten des Alten Bundes sind, an denen sich die δόξα-Kraft seines kultgeschichtlichen Urgeschehens auf dem Gottesberg gezeigt hat. Bei beiden auch war die Begegnung mit der δόξα/ Gestalt Gottes Hinweis auf ihr Todes-Geheimnis. 187 Nach Siph Dt § 357; bSota 13b 400 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters überstand, zeigen K. Haacker/ P. Schäfer, Nachbiblische Traditionen vom Tod des Mose, in: Josephus-Studien, FS O. Michel, Göttingen 1974, 147-174, hier: 155.170-174. 188 Vgl. Haacker/ Schäfer, a. a. O., 170-173. 189 Einzelne Motive, die auf die typologische Beziehung zum Sinai-Aufstieg weisen, sind: Bergaufstieg, Mitnahme von drei ausgewählten, mit Namen genannten Begleitern, das Ergehen der Stimme am 7. Tag; die Wolke als Theophanie-Zeichen; Abstieg. Nützel, Die Verklärungserzählung im Markusevangelium, 1973, 161 f., deutet die Anspielung auf die Sinai-Szene mk.-red. Das ist angesichts 2Kor 3 sehr unwahrscheinlich; vielmehr liegt hierin von Anfang an der Ansatzpunkt der Tradition. Die bei Nützel, a. a. O., 165, präsentierte Urfassung ist ein nicht überlieferungsfähiger Torso. Zur Bedeutung der Sinai-Tradition in Qumran und im NT vgl. O. Betz, Sinai-Tradition in Qumran and in the NT, in: RQ 6 (1967) 89. wurde Mose in seiner Todesstunde entrückt und steht nun oben und dient im himmlischen Heiligtum kultisch vor Gott. 188 Dieser himmlisch-kultische Hinter‐ grund prägt auch die Verklärungsszene, denn sie ist deutlich am Sinai-Aufstieg orientiert. 189 Die weißen Kleider des gewandelten Jesus zeigen an, dass er in den Zustand kultischer Reinheit im himmlischen Sinne eingegangen ist. Das συλλαλοῦντες bedeutet, dass der Ausgangspunkt der δόξα für Jesus, Mose und Elia der gleiche ist. Dies hat eminent theologische Bedeutung: Die himmlische δόξα lag genauso auf dem kultischen Urgeschehen des Alten Bundes; der Neue hat keine andere theologische Basis als der Alte. Das Sinai-Geschehen wird nicht diffamiert, sondern es wird geradezu eine im kultgeschichtlichen Urgeschehen verwurzelte, unüberholbare Einheit zwischen Judentum und Christentum auf‐ gewiesen und festgehalten. Dies entspricht Apg 7,44; 2Kor 3,7-11 und wohl auch Joh 5,37: Israel hat kultgeschichtlich die Stimme und die Gestalt Gottes nicht bewahren können; Mose aber als Herr über die σκηνὴ τῆς μαρτυρίας hat über Jesus geschrieben (Dtn 18,15) und unterstützt so seine μαρτυρία. Theologisch weist die Verklärungsgeschichte also deutlich in die antiocheni‐ sche Kultapokalyptik. Der himmlische δόξα-Christus ist die Vollendung des himmlischen Kultgeheimnisses des Sinai-Bundes. Das rätselhafte Hüttenbauen wird verständlich, wenn man auf Ex 33 f. ohne literarkritische Operation zurückgreift. Die enge Verbindung von Gottesschau vom Zelt aus und auf dem Berg ‚realisiert‘ die Verklärungsgeschichte typolo‐ gisch, indem sie auf dem Berg die Hütten als das kultgeschichtliche Kennzeichen der ekstatischen Kraft des Alten Bundes erwähnt. Der nicht realisierte Vorschlag des Petrus, drei Hütten zu bauen, hat hier den Zweck, implizit eine bloße Rückkehr zur δόξα-Struktur des kultischen Urgeschehens des Alten Bundes zurückzuweisen. Kultgeschichtlich gesprochen, will die Tradition sagen: Ableh‐ nung des Tempels und seiner Tora bedeutet nicht Rückkehr zur Stiftshütte, sondern diese Abkehrung vollzieht sich vor dem Hintergrund einer neuen 401 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 190 Vgl. Anm. 185 S. 399. 191 Vgl. o.S. 329ff. Die Unterscheidung zwischen Leben-Jesu-Tradition und Kerygma-Tra‐ dition, wobei die erste vom Irdischen handelt, die zweite vom gekreuzigten und auferweckten Christus, darf angesichts solcher Stoffe wie Mk 9,1-13; 2Kor 3 nicht zu streng gezogen werden. 192 Vgl. zum chronologischen Rahmen, der für die Entstehung solch komplexer christolo‐ gischer Stoffe bleibt, M. Hengel, Christologie und neutestamentliche Chronologie, in: FS Cullmann, 1972, 43-67, bes. 58. Offenbarung der himmlischen δόξα. Dies sagt die Himmelsstimme, die den Sohn als Bevollmächtigten herausstellt, der die irdische Einbruchstelle der himmlischen δόξα endgültig offenbart. Sohn ist der über Mose (nach Nu 12,6-8; Dtn 18,15) hinausweisende Anteilhaber an der himmlischen δόξα. Für die weitere Exegese ist entscheidend, dass man den Stoff nicht mit 9,8 abbricht, sondern das Abstiegsgespräch mit einbezieht. Zu den genannten 190 überlieferungsgeschichtlichen Gründen, die gegen eine Aufteilung der dann nicht mehr überlieferungsfähigen Blöcke sprechen, kommt die inhaltlich-tradi‐ tionsgeschichtliche Überlegung, dass im Urchristentum der Eingang Jesu in die δόξα nie ohne Hinweis auf die Ostertradition bestanden hat; diese richtige Einsicht liegt ja auch der ansonsten verkehrten Bestimmung der Verklärungs‐ erzählung als Ostergeschichte zu Grunde. Der kultgeschichtliche Haftpunkt der Verklärungslehre, nämlich das unter der Evangeliumskraft durch Taufe (und Abendmahl) Mitgenommen-Werden auf dem Weg Jesu, das Gleichgestaltet-Werden, die Anteilhabe an seiner himmlischen Interzession, die Anteilhabe am Neuen Bund, weist auf eine christologische Basis, die an Tod und Auferstehung Jesu orientiert ist. Eine Verklärungsszene, die zudem noch am kultgeschichtlichen Ursprungsgeschehen des Alten Bundes typologisch orientiert ist, muss auf eine Konstituierung der eschatologischen δόξα im zentralen Kultgeschehen, von dem aus sich die christliche Gemeinde versteht, Kreuz und Auferstehung, zielen. Dieser Reflexions-Horizont ist für die älteste, urchristliche Überlieferungsstufe vor‐ auszusetzen. 191 Jesu Verherrlichung, sein Eingang in die himmlische δόξα, und damit sein Teilgeben an dieser δόξα, geschieht durch die Gestalt seines Todesleidens hindurch. Die εἰκών-Lehre, die auch bei Paulus Bestandteil der ἄνθρωπος-/ Menschensohn-Lehre ist, enthält eine inklusive Grundbedeutung, die in der priesterlichen Interzession, im Mitbringen der Seinen und damit in der Voraussetzung himmlischer Reinigung und Heiligung durch Jesu stellver‐ tretenden Sühnetod besteht. Der alte, 192 vorpaulinische Christushymnus in Phil 2,5-11 zeigt, dass die Aussage der Teilhabe des Christus Jesus an der μορφή Gottes hineingehört in die Darstellung seiner Erniedrigung in einen menschlichen Weg des Gehorsams 402 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 193 Dass Phil 2,6-11 von einer Tradition ausgehe, die den irdischen Jesus als anabatischen Visionär bezeuge, behauptet M. Smith, u. a. in seiner Veröffentlichung: Ascent to the Heavens and the Beginning of Christianity, in: ErJb, 50 (1981), erschienen 1982, 403-429, hier: 422 f. Smiths Argument, Paulus zitiere Jesus-Tradition, weil neben Christus der Jesus-Name als Anschluss erhalten sei, ist nicht ausreichend. Auch 2Kor 8,9 spricht von Jesus Christus, nicht vom irdischen Jesus. Smith hat freilich recht mit der traditi‐ onsgeschichtlichen These, dass die Frage nach der göttlichen μορφή auf die Vision weist und die Frage nach der Teilhabe an der μορφή in der Wandlung während der Vision wurzelt. Zu beachten ist die von L. Abramoswki, Drei christologische Untersuchungen, 1981 (BZNW 45), 1-17 entwickelte These, ἁρπαγμός bedeute ‚Entrücktsein‘ (S. 10). Sie entsteht durch Rückgriff auf Orac.Chald. 3, wo ἁρπάζειν im Sinne von ‚entrücken im göttlichen Bereich‘ (nicht: in den göttlichen Bereich) verwendet wird. Da, wenn ich recht sehe, der sprachliche Übergang von ἁρπάζειν zu ἁρπαγμός dabei auch vorausgesetzt werden muss, bleibt die Frage, ob dann nicht doch die sonstige neutes‐ tamentliche Verwendung von ἁρπάζειν/ ἁρπάζεσθαι = ‚sich entrücken, bzw. entrückt werden‘ als Anknüpfungspunkt näherliegt, vgl. Apg 8,39; 2Kor 12,2.4. In die Überlegung einzubeziehen ist auch Mt 11,12/ Lk 16.16. Die ‚Gewalt‘ an der βασιλεία geschieht in der Gestalt, dass man sich in Täuferkreisen in sie entrückt durch theurgische Praxis; hierfür spricht entschieden der Ansatzpunkt, auf den O. Betz, RQ, 6 (1967), 99, hingewiesen hat. Die Priester und das Volk dürfen nicht die Grenze durchbrechen, die den Sinai als Ort der Präsenz Gottes vom Profanen trennt; nur Mose und die Ältesten dürfen auf den Berg (Ex 24,19 LXX). Das Reich Gottes ist der heilige, obere Bereich, in den der theurgische Mystiker eindringen will. ‚Nicht hielt er Entrücktsein für das Gott-gleich-Sein‘ zeigt dann an, dass die Wandlung in Taufvision und Verklärung nicht der Zielpunkt seines Weges war, sondern dass sein Weg ihn wieder in die Entleerung von göttlicher δόξα und in den irdischen Gehorsam führte. Ich halte es für schwierig, chaldäische Sondersprache für die vorpaulinische Tradition anzunehmen; jüdische Apokalyptik und Mystik kennen wohl auch theurgische Elemente in der Taufbewegung. Jedenfalls öffnet die Untersuchung von L. Abramowski eine sehr viel weiter führende Deutung, die von der nie befriedigenden Übersetzung ‚hielt es nicht für einen Raub‘ wegkommt. 194 Vgl. Pesch, Komm., II, 497f. bis zum Tod; erst dieser Weg konstituiert die δόξα des Präexistenten in escha‐ tologischer Gültigkeit. Auch Hebr 2 weiß um einen Weg des Menschensohnes, in dessen Verlauf sich seine himmlische Hoheit eschatologisch und soteriologisch erst konstitu‐ iert. Verglichen mit dieser, wohl kaum noch eine anabatische Jesus-Tradition veraussetzenden, 193 christologischen Verklärungslehre, erscheint die archaische Gestalt von Mk 9,2-13 umso deutlicher. Die Verklärungschristologie begegnet hier in Gestalt eines typologisch arbeitenden Midrasch von der anabatisch begründeten Erlangung himmlischer δόξα, die an die δόξα des Ursprungs des Alten Bundes anknüpft, sie aber durch die Enthüllung des Sohnes über seinen Weg, in das Leiden und die Auferstehung von den Toten, auf ihr eschatologisches Ziel weist. Die kurze Notiz, dass beim ekstatisch-pneumatischen 194 Todesschrei Jesu der Tempelvorhang zerriss, nimmt den durch die Verklärungserzählung 403 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 195 Zur Unterscheidung von äußerem und innerem Vorhang vgl. Bill., I, 1043-1046. 196 Vgl. O. Hofius, Art. ‚καταπέτασμα‘, in: EWNT, II, 657. 197 E. Käsemann, Das wandernde Gottesvolk, 1957 2 (FRLANT 55), 146 f. Nach Käsemann ist der Ansatzpunkt der gnostische Gedanke des Gebannt-Seins in die Materie, welche die Leiblichkeit repräsentiert. 198 Vgl. J. Maier, Das Gefährdungsmotiv bei der Himmelsreise in der jüdischen Apokalyptik und ‚Gnosis‘, in: Kairos, 5 (1963), 18-40, bes. 20-22; W. Gerber, Die Metamorphose Jesu, in: ThZ, 23 (1967), 385-395, bes. 391-395; der Hohepriester am gr. Versöhnungstag wandelt sich in eine himmlische Gestalt, vgl. Philo zu Lev 16,17: Her 84; Som II 189. 231) und o.S. 100ff. 199 Vgl. 1QS 4,20-23; 1QH 9,35; dazu O. Betz, Taufe in der Qumransekte, in: RQ 1 (1958/ 59) 220f.224.229. „Die Proselytentaufe der Gegenwart wird von der Proselytentaufe der Endzeit übertroffen: die erstere ist Zeichen der Sinnesänderung, die zum neuen Wandel führt, mit der letzteren wird auch der Leib gewandelt und eine höhere Daseinsform angedeuteten Zusammenhang wieder auf: Sein Todesleiden ist der Weg, der in die himmlische δόξα führt und unübersehbar enthüllt, dass der Tempel 195 profaniert ist, weil die Gegenwart Gottes sich an den im Kreuz Entrückten gebunden hat. Die älteste neutestamentliche Deutung liegt in Hebr 10,19f. vor. Jesus schreitet durch den Vorhang in das himmlische Allerheiligste. Auch nach der Deutung des Hebr (vgl. 7,11ff.) ist der Jerusalemer Kultbetrieb durch dieses einmalige, eschatologische Eintreten in das himmlische Haus seiner Bedeutung enthoben. Der Vorhang trennt das innere Kultgeheimnis, die Schekina, vor der Profanierung. Wenn er zerreisst, wird auch der innere Bereich menschlichen Blicken frei, also profan. 196 Die polemische Bedeutung ist die Gegenseite der soteriologischen Deutung des Kreuzesgeschehens. Hebr 10,19f. identifiziert den Vorhang mit dem Fleisch Christi: Das Fleisch trennt von Gottes Heiligkeit, muss also zuvor abgelegt werden. Es muss ein Durchschreiten aus dem Bereich des Fleisches heraus erfolgen. Käsemann sah hier in der Unterscheidung von σῶμα und σάρξ die gnostische Terminologie aufgenommen. 197 Aber das Ablegen des Fleisches entspricht ältesten kultapoka‐ lyptischen Bestimmungen: Man kann als Fleischgeborener nicht mit der Heilig‐ keit Gottes zusammenkommen, sondern muss eine Wandlung zu pneumatischer Leiblichkeit durchlaufen. 198 Die Dimension der himmlischen Heiligkeit und der Heilscharakter der Teilhabe an ihr sind nicht gnostisch, sondern zunächst judenchristlich-kultisch und, darauf aufbauend, eschatologisch bestimmt. Das Problem von σάρξ und πνεῦμα, das Ablegen des Fleisches und der Übergang in den Bereich des πνεῦμα, kennt aber auch die synoptische Jesus-Tra‐ dition, wie Tauf- und Verklärungserzählung deutlich zeigen. Dieser Übergang zu pneumatischer Leiblichkeit ist symbolisch in der Taufe enthalten und vorneu‐ testamentlich. 199 Das NT setzt christologisch ein. Das Sohn-Sein als Eintreten in 404 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters erreicht … Das Lichtgewand ist der neue himmlische Leib, der dem der Engel gleicht, in deren Kreis man aufgenommen wird …“ (220 f.). 200 Vgl. Pesch, Komm., II, 497. 201 Vgl. zur Ablehnung dieser Auslegung Gnilka, II, 323, einschl. Anm. 88f. 202 So Pesch, Komm., II, 499. die Heiligkeit Gottes setzt eine Wandlung voraus, eine Reinigung und Heiligung durch den Geist Gottes. Mk 15,37 ist wahrscheinlich vor diesem christologischen Hintergrund formuliert: Das πνεῦμα löst sich mit einem ekstatischen Schrei von dem sterbenden Jesus. 200 Das Zeichen am Vorhang bedeutet, dass der ganz pneumatisch gewordene Gekreuzigte zugleich mit seinem Tod in die himmli‐ sche Kultsphäre Gottes hineingelangt. Mit dem Gerechten wird die Schekina entrückt. Es geht nicht im gnostischen Sinne um himmlische Seelensubstanz, die sich von Jesus löst, 201 sondern um das πνεῦμα Gottes als Kraft eschatologi‐ scher Neuschöpfung zu himmlischer, reiner, heiliger Leiblichkeit. Es geht um eine pneumatische ἀνάστασις ἐκ νεκρῶν. Die πνεῦμα-Lehre ist christologisch erschlossener Zielpunkt, nicht anthropologischer Ausgangspunkt. Die Angst vor einer antijudajstischen Überinterpretation des den Tod Jesu deutenden Begleitzeichens 202 ist nicht angebracht: Die theologische Kraft des Judentums hängt schon zu neutestamentlicher Zeit nicht mehr ausschließlich am Tempel. Mk 15,38 und die übrige neutestamentliche Linie der Abwertung des Jerusalemer Tempels steht in einer vor-neutestamentlichen, innerjüdischen Auseinandersetzung. Es geht um die Vollendung der δόξα des kultgeschicht‐ lichen Ursprungsgeschehens des Alten Bundes. Während andere Gruppen priesterlichekklesiologisch eine Ausweitung der Heiligkeit anstreben, um so die δόξα des kultischen Ursprungsgeschehens zu bewahren, führt das NT im Gefolge Jesu eine christologische Zentrierung durch. Vor dem Hintergrund von Jub 1,22-28 kann man in Christologie und Soterio‐ logie der urchristlichen Verklärungslehre die spezifischen traditionsgeschicht‐ lichen Besonderheiten erkennen: Es geht in Jub. um eine neue, die Stiftung vom Sinai vollendende Kultordnung. Pneumatische Neuschöpfung und Ermögli‐ chung priesterlicher Reinheit für alle sind dieser kultischen Bundesstiftung mit‐ gegeben. Die pneumatische Neuschaffung führt zu neuem Gesetzesgehorsam. Unter diesem neuen Gottesverhältnis werden die Erneuerten Kinder Gottes, die Gemeinschaft mit Engeln und Geistern haben. Diese Kultordnung vollzieht sich im Vorausblick auf die eschatologische Einwohnung Gottes im Zion; dann wird die Gotteskindschaft aller Kinder Jakobs für alle erkennbar werden. Die Sohnschaft, von der Taufe und Verklärung Jesu sprechen, sind nicht Bestandteil einer priesterlichen Gruppenideologie, sondern zunächst streng christologisch auf den ‚Einen‘ beschränkt; er geht einen Weg in die Heiligkeit 405 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 203 So M. Smith, Jesus the Magician, 1978, 122. Die Trennung von theologischer Deu‐ tung und historischem Kern, die Smith rationalistisch durchführt, ist hermeneutisch fragwürdig, da das theologische Interpretament zur Konstruktion und Rezeption der Wirklichkeit gehört. 204 So Baltensweiler, Die Verklärung Jesu. Historisches Ereignis und synoptischer Bericht, 1959 (AThANT 33), 46-51: Jesus macht am 6. Tag, vor dem Höhepunkt des Laubhütten‐ festes am 7. Tag, eine Art Ausflug auf den Berg, um es mit den erwählten Jüngern esoterisch zu feiern. 205 Vgl. auch die Abwägungen bei Nützel, a. a. O., 181-187. Gottes, welcher seinen Tod einschließt. Die Aufnahme der δόξα des Alten Bundes geschieht nicht in einer Verklärung des Zion, sondern in einer in die Neuschöpfung weisenden pneumatischen Entschränkung des Bundes, der hinter den Sinaiauf den Abrahamsbund zurückweist. Der Sühn-Tod des Menschensohnes für die Vielen eröffnet eschatologische Gottesgemeinschaft. Während levitische Halacha zur gruppenmäßigen Absonderung führen muss, erlaubt die Zentrierung der kultischen Gottesgemeinschaft im hochpriesterli‐ chen Sohn und Menschensohn eine neue Öffnung zur irdischen Schöpfung hin. Die Verklärungsgeschichte weist darauf hin, dass die δόξα, die am kultge‐ schichtlichen Anfang des Alten Bundes steht, sich eine neue, eschatologische Gestalt gewählt hat, die am Tempel vorbeigeht. Die Gestalt Gottes, mit der Jesus als Sohn zunächst visionär zusammenkommt, bindet sich an ihn, und zwar eschatologisch endgültig an dem Punkt, an dem er aus seinem Leiden heraus verherrlicht wird. Er ist der Sohn Gottes, der Anteil an der Herrlichkeit des Vaters hat, als der Gekreuzigte. Historisch wird man die Verklärungserzählung sehr differenziert beurteilen müssen. Sie weist weder zurück auf eine Seance Jesu mit seinen Jüngern, 203 noch auf eine Bergbesteigung anlässlich eines Ausflugs am 6. Tag des Laubhütten‐ festes 204 - zu deutlich ist die Erzählung geprägt von theologischer, christologi‐ scher, kultgeschichtlicher Lehrbildung der judenchristlich-hellenistischen Tra‐ dition, die hinter 2Kor 3 sichtbar wird. Man muss Mk 9,2-13 als christologische Lehrerzählung beurteilen, die auf die Sinai-Szene typologisch-midraschartig zurückgreift. Entscheidender als die kaum noch zu beantwortende Frage, ob ein Ereignis im Leben Jesu durchschimmert, 205 ist die Beantwortung der anderen, ob die in Mk 9,2-13 sichtbar werdende Lehrtradition Ansätze beim irdischen Jesus hat. Hierfür spricht einiges: die Menschensohn-Lehre weist auf den irdischen Jesu zurück. Gerade die Zielrichtung der christologischen Frage auf den Weg des Menschensohnes kann 406 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 206 Vgl. o.S. 329ff. 207 Gnilka, Komm., II, 40 verweist auf den Wechsel von ἀποδοκιμασθῆναι zu ἐξουδενηθῆναι: da Mk in 12,10 ebenfalls ἀποδοκιμάζειν verwende, sei 9,12 vormarki‐ nisch. Auch wenn die Formulierung der Aussage zum nicht auf Jesus zurück gehenden Stratum der passio-iusti-Thematik der vormarkinischen Passionsgeschichte gehört, ist doch zu beachten, dass das Thema der Metamorphose und 9,9 der Hinweis auf das Auferstehen aus den Toten anzeigen, dass von Anfang an Jesu Eingang in die himmlische δόξα mit einer Lösung des Todesproblems verbunden gewesen ist. 208 Vgl. Mk 11,27-33; zum ‚Stärkeren‘ = der ‚Menschensohn‘ vgl. Pesch, Komm., I, 84 f.; vgl. ferner Mk 1,14 ( Jesus als Substitut des Täufers); Mt 11,7ff.; Mk 6,14f., 8,28. 209 Vgl. Anm. 199 S. 404. 210 Vgl. o. Anm. 315 S. 331f. 211 Auf die Inthronisierung des messianischen Königs deuten: Gnilka, Komm.II, 36; E. Schweizer, Art. ‚υἱός κτλ.‘, in: ThWNT, VIII, 371 ff. (Warum spricht ein apokalyptischer Hintergrund eo ipso für eine König-Messianität? ); G. Friedrich, Beobachtungen zur messianischen Hochpriestererwartung in den Synoptikern, in: Auf das Wort kommt es an. Ges. Aufs. zum 70. Geb., hrsg. v. J.H. Friedrich, Göttingen 1978, 56-106, hier: 99 f. sieht eine doppelte Reihe, die der Text durchgeht: Mose = Prophet, Elia = Hoherpriester, Jesus= messianischer König. Diese erste Reihe werde dann nochmals durch eine zweite Deuteschicht überlagert: Jesus ist messianischer König in Gestalt des Menschensohnes = des Gottesknechtes. Da der Menschensohn nach unserer Analyse eine priesterliche Gestalt ist (vgl. dazu oben S. 139ff. 268ff. und Balz, Methodische Probleme, 94), ist eine Steigerung der Priester-Würde bis zur Ermächtigung zum priesterlichen Selbstopfer gemeint. Hahn, Hoheitstitel, 310 f., deutet den Gottessohn-Titel hellenistisch als Anzeichen der ‚Vergottung‘; aber das μεταμορφοῦσθαι ist nicht hellenistisch zu deuten, sondern im Sinne des נ ה פ ך der jüdischen Kult-Apokalyptik. 212 Vgl. J. Blank, Die Sendung des Sohnes. Zur christologischen Bedeutung des Gleichnisses von den bösen Winzern Mk 12,1-12, in: Neues Testament und Kirche, FS R. Schnacken‐ burg, 1974, 11-41, hier: 35f. man Jesus nicht absprechen, 206 zumal die Leidensankündigung in 9,12 nicht ex eventu formuliert ist; 207 der Rückgriff auf die Autorität, ja ihn selbst prägende Gestalt des Täufers vor dem Hintergrund der Elia-Tradition, ist breit bezeugt und widerspricht späteren Gruppen-Rivalitäten. 208 Zu diesem positiven Rückgriff auf den Täufer passt auch, dass der Zusammenhang in der Menschensohn-Sprache mündet; traditionsgeschichtlich ist zu erwägen, ob die mit der Taufe verbundene Verklärungslehre nicht Ansätze beim Täufer hat und deshalb für Jesus voraus‐ gesetzt werden kann. Neuschöpfung und Verklärung sind kultapokalyptische Traditionen des Judentums. 209 Wenn der Täufer von Geist- und Feuertaufe ge‐ sprochen hat, dann meint er die stufenförmige Transformierung zu himmlischer Reinheit als Bedingung der Teilhabe an himmlischer Heiligkeit und δόξα. 210 Wer ist in Mk 9,8 der ‚geliebte Sohn‘? Hinweise auf einen königlichen Messias nach 2 Sam 7,14; Ps 2,7 211 müssen zurücktreten. 212 Sohn ist der pneumatisch Gewandelte, der in die besondere Nähe der Heiligkeit Gottes 407 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 213 Meeks These, Mose sei Prophet-King und dazu auf dem Sinai inthronisiert, verwendet im Wesentlichen einen hellenistischen Königsbegriff. Im Hintergrund unserer Tradition steht ein erkennbarer exegetischer Zusammenhang, der von Ex 24,33f., Nu 12,6-8 und 1 Kö 19 ausgeht. Dieser Hintergrund ist auf den kultischen Ursprungsort des Alten Bundes ausgerichtet. Hebr 3,1-6 hat den ursprünglichen Begründungszusammenhang dieses christologischen Einsatzes bewahrt: es geht um eine höhere δόξα des Sohnes, der als Generalbevollmächtigter an der Gestaltung des Hauses durch den Vater teilnimmt, gegenüber dem Diener. Die kultische Kosmologie, die wohl schon in Nu 12,7 liegt, wird ausgezogen: Haus (= Tempel) = Gemeinde = All, vgl. dazu Michel. Komm., 176-179. 214 Vgl. dazu o.S. 204f. 228f. 215 Vgl. W. Gerber, a. a. O., 390-395; Bühner, Art. ‚λευκός‘, in: EWNT, II, 864-867, bes. 865f. 216 Vgl. J. Blank, Die Sendung des Sohnes, a. a. O., 35f. 217 Vgl. O. Michel, Röm.-Komm., 280f. 218 Vgl. Blank, a. a. O., 39f. 219 Vgl. o.S. 143. 213. gelangen darf. Als solcher ist er Mittler des Ursprungsgeschehens der eschato‐ logischen Kultgemeinschaft mit Gott. Der Rückgriff auf die Sinai-Szene macht überdies einen königlich-messianischen Einsatz schwer. 213 Man könnte an den eschatologischen Propheten denken. Doch auch der ‚Prophet wie Mose‘ ist im hier aufgenommenen Traditionshintergrund als neuer Kultstifter gesehen. Die δόξα des Mose hängt an seinem Aufstieg auf den Sinai, bzw. an seiner ‚Hütten‘-Vollmacht. Beide mal geht es um einen anabatischen, visionären, kult-ekstatischen Zutritt zur Heiligkeit Gottes. Dieser Traditionshintergrund weist auf ein kultisches, priesterliches Sohn-Verständnis. 214 Da nun auch die Verwandlung Jesu kultapokalyptisch beschrieben wird, 215 spricht alles dafür, in Jesus den hochpriesterlichen Sohn zu sehen, der vor Gott tritt. Hierfür spricht auch folgende Beobachtung: Die Anrede οὗτός ἐστιν ὁ υἱός μου ὁ ἀγαπητός weist nicht so sehr auf eine Kombination von Ps 2,7 und Jes 42,1 zurück, hat vielmehr, oder zumindest auch, Anklang an die stehende Verbindung υἱὸς ἀγαπητός, die aus der Akedah kommt: 216 Gen 22,2 LXX: λάβε τὸν υἱόν σου τὸν ἀγαπητόν, ὁν ἠγάπησας; Gen 22,16 LXX: οὐκ ἐφείσω τοῦ υἱοῦ σου τοῦ ἀγαπητοῦ. Paulus formuliert in Röm 8,32 vor diesem Hintergrund: τοῦ ἰδίου υἱοῦ οὐκ ἐφείσατο. Auch Joh 3,16, τὸν υἱὸν τὸν μονογενῆ ἔδωκεν, setzt die Tradition einer Deutung des Opfertodes Jesu vor dem Hintergrund der Akedah voraus. 217 Hier kommt ein judenchristliches Sohnesverständnis zum Ausdruck, das vor dem Hintergrund einer kultischen Opfersprache steht. 218 Dass schon priesterliche Kreise des Judentums, zunächst wohl in polemi‐ scher Überhöhung des Jerusalemer Kultrechts, hinter den Sinai auf die Väter‐ geschichte, und hierin speziell auf die Akedah, zurückgriffen, haben wir oben herausgestellt. 219 Der Rückgriff auf die Akedah ist auch in der judenchristlichen Deutung des Opfertodes Jesu polemisch gegen Jerusalem als Kultort gewendet, 408 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 220 Vgl. o.S. 363ff. 221 Vgl. o.S. 293. 327 mit Anm. 295. wie Gal 4,21-31 zeigen: Der Sinaibund weist auf das jetzige, irdische Jeru‐ salem; aber die Rückbindung an die Akedah und ihr eschatologischer Vollzug erschließen eine Zugehörigkeit zum himmlischen Jerusalem. Zugehörigkeit zum himmlischen Jerusalem heißt Erlangung pneumatischer Sohnschaft. Der Durchbruch zur himmlischen und zur pneumatischen Seinsweise sind ein Kultgeheimnis; das eschatologische Kultgeheimnis vollzieht sich am Tempel Jerusalems vorbei, ist vielmehr verbunden mit dem kultischen Urgeschehen der Akedah und der in ihm angelegten, in Christus zur Wirklichkeit kommenden, pneumatischen, himmlischen Sohnes-Existenz. Jesus ist also Sohn einmal als das eschatologische Opfer nach der Art des ‚geliebten Sohnes‘ Isaak. Aber die Akedah zeigt nun, dass der Sohn als Opfer zugleich in den himmlischen, pneumatischen Hintergrund des Kultvollzugs hineingenommen ist. Dies betonen die targumischen Deute-Visionen. 220 TL 18,6 zeigt - unabhängig von der Frage, ob der Text jüdisch oder christlich gestaltet ist -, dass die Sohnschaft des geopferten, geliebten Sohnes zugleich eine himmlische Vollmacht meint, weil der Hohepriester als Sohn mit der himmlischen Heiligkeit verbunden ist. Hochpriesterliche Sohnschaft und die eschatologische Entsühnung durch das Opfer des ‚geliebten Sohnes‘ gehen ineinander über. Die Überhöhung und Ablösung der δόξα des Alten Bundes vollzieht sich in der Verklärungsgeschichte, wenn wir den Hinweis auf den ‚geliebten Sohn‘ richtig deuten, im Rückgriff auf das Kultgeschehen der Vätergeschichte und auf seine himmlisch-pneumatische Dimension. Die Anrede ‚geliebter Sohn‘ weist also stark in eine judenchristliche Rezeption der Akedah als dem typo‐ logischen Vorbild des Kultgeschehens der Endzeit, das mit himmlischer δόξα und pneumatischer Kraft versehen ist. Sohn ist Jesus nicht nur als himmlischer Hoherpriester, sondern auch als eschatologisches Sühnopfer. Die priesterliche Reinigung durch den Heiligen Geist, welche die Taufe anzeigte und dort mit dem Zutritt des Sohnes zur Heiligkeit des Vaters verband, wird hier christologisch aufgenommen und verdichtet. Der priesterliche Sohn hat Anteil an der Gestalt Gottes, an seiner Herrlichkeit, insofern er den Zutritt zum Heiligen in seinem Tod vollendet und für die Seinen erschließt, da der Tod das Opfer des ‚geliebten Sohnes‘ ist. Die Wandlung in die Pneuma-Existenz vollzieht sich endgültig in Tod und Auferstehung, wird aber in Taufe und Verklärung als visionäres Geheimnis Jesu enthüllt. Auf die Verbindung von Vision und Tod sind wir oben schon eingegangen. 221 Die Fassung des Geheimhaltungs-Gebotes und seine 409 4. Verklärung und Sohnschaft: die δόξα des himmlischen Ursprungs 222 Joh 20,17 meint einen ähnlichen Vorgang: der pneumatische Zwischenzustand vor der endgültigen Verwandlung in πεῦμα darf durch profanisierende Berührung nicht in seinem Fortschritt zur Vollendung unterbrochen werden. Das Unverständnis der Jünger Mk 9,10 bezieht sich nicht auf das Lehrstück der Auferstehung von den Toten, sondern darauf, dass Jesus, dem doch jetzt schon die himmlische δόξα offensteht, in betonter Weise durch den Tod muss. 223 A. Jülicher, Die Gleichnisreden Jesu. 2 Teile in 1 Bd. (Unveränderter fotomechanischer Nachdruck der Ausgabe Tübingen 1910), Darmstadt 1963, 385-406. 224 Das Gleichnis der bösen Weingärtner (Mark 12,1-12), in: ZsyTh, 8 (1941), 242-259 (wieder abgedruckt in: ders., Urchristliche Mystik, Darmstadt 1958 2 , 161-181, zitiert nach diesem Erscheinungsort; hier: 162). Lohmeyer betont den Gedanken der ethischen Verantwortungslosigkeit des Hausherrn. Weitere Vertreter der Allegorie-These nennt M. Hengel, Das Gleichnis von den Weingärtnern Mc 12,1-12 im Lichte der Zenonpapyri und der rabbinischen Gleichnisse, in: ZNW, 59 (1968), 1-39, hier: 2 f. und Anm. 9-13. 225 Vgl. M. Hengel, a. a. O., 9-15; J.D.M. Derrett, Law in the New Testament, London 1970, 286-312. Pesch, Komm., II, 214, rechnet mit einem realistischen Bildhintergrund; dennoch ziele das Gleichnis von Anfang an auf ein allegorisches Verständnis; ähnlich Gnilka, Komm., II, 143f. Begrenzung auf die Zeit bis zu seiner Auferstehung von den Toten drückt ebenfalls diesen Zusammenhang aus: Die Wandlung in die himmlische δόξα könnte von ihrem Abschluss durch Enthüllung profaniert werden und dadurch nicht zum Ziel gelangen. 222 Aus diesem priesterlich-visionären Sohnes-Verständnis ergibt sich ein guter Anschluss der Menschensohn-Tradition: Der Menschensohn ist der inklusive Interzessor, der in seinem Leidens- und Erhöhungsweg die soteriologische Dimension der Beziehung des priesterlichen Sohnes zu seinem himmlischen Vater realisiert. Die Verklärungslehre, die ihren Anfang beim irdischen Jesus zu nehmen scheint, ist zugleich Todes-Lehre und als solche hochpriesterlich verstanden. Sohn- und Menschensohn-Christologie gehören in ihren Rahmen; der priester‐ liche Sohn, der vor die himmlische Heiligkeit Gottes tritt, erwirkt das Heil der eschatologischen Gottesgemeinschaft in seinem Menschensohn-Weg. 5. Der Sohn aus dem himmlischen Haus: die Christologie des Weinberg-Gleichnisses Jülichers 223 allegorische Deutung des Gleichnisses, der sich u. a. Lohmeyer 224 anschloss, ist heute keineswegs mehr unangefochten. Wir stoßen auf eine Pa‐ rabel, deren Bildhälfte einen besonderen, aber kulturgeschichtlich in sich stim‐ migen Vorgang beschreibt. 225 Die besondere Stellung des Sohnes rührt in der Bildhälfte daher, dass er Generalbevollmächtigter des Hausherrn ist. Der Grund‐ 410 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 226 Vgl. J.-A. Bühner, Der Gesandte und sein Weg, Tübingen 1977, 191-199. 227 G. Dalman, Die Worte Jesu. Mit Berücksichtigung des nachkanonischen jüdischen Schrifttums und der aramäischen Sprache, Leipzig 1898, 230f. 228 A.a.O., 231. 229 Vgl. später ders., Der Sohn Gottes, Tübingen 1975, wo Hengel auf S. 67-89 auch jüdische, sowohl palästinische als auch jüdisch-hellenistische, Vorformen der Sohn-Christologie nennt. 230 ZNW, 59 (1968), 35. 231 A.a.O., 35 f.; vgl. R. Pesch, Komm., II, 221f. 232 Hengel, a. a. O., 38. 233 A.a.O., 39. Hengel greift auf Formulierungen von E. Fuchs zurück. satz ‚der Gesandte eines Menschen ist wie dieser selbst‘ wurde im Vermögens‐ recht nur dann wirksam, wenn der חילש eine Vollmacht, d. h. eine tatsächliche Abtretung des Rechtsanspruchs des חלשמ an ihn, vorweisen konnte. Dies war nötig, um vor Ort als Besitzer des Weinberges auftreten und vor Gericht wirksam werden zu können. Diese Abtretung eigener Rechte an den Vertreter setzte Ver‐ trauen voraus, so dass der geeignete Generalbevollmächtigte der Sohn des Hausherrn war, der ja auch Erbe sein wird. 226 Bereits Dalman schrieb über dieses eigentümliche Sohnesverhältnis: „Die Stellung des einzigen Sohnes ist dabei ähnlich wie in Ps 2 aufgefasst als eine Rechtsstellung, welche Anspruch auf das gesamte Familiengut verleiht.“ 227 Da Dalman direkt aus der Bildhälfte auf die Sachhälfte schließt und dabei Jesu eigenes Sohnesverhältnis beschrieben findet, überträgt er: „Bei dem Sohne Gottes kann es sich dann nur um Weltherrschaft handeln, und zwar eine solche, wie sie nicht ein jüdischer Imperator, sondern wie sie Gott ausübt.“ 228 Bei der Übertragung der christologischen Vorgabe im Bildteil in die Sachhälfte ist die Forschung unter dem Gesichtspunkt, dass in einem Gleichnis nur ein tertium comparationis gefunden werden darf, sehr viel vorsichtiger geworden. M. Hengels eindrückliche Exegese des Bildteils endet bezeichnenderweise bei der christologischen Auswertung des Gleichnisses in einer deutlichen Zurück‐ haltung. Da der christologische Titel ‚Sohn Gottes‘, so damals noch 229 Hengels Verweis auf die gängige Meinung, hellenistisch gedeutet werden müsse, 230 kann Jesus, auf den das Gleichnis zurückgeht, 231 nur implizit sich mit dem Sohn identifizieren. Der ‚Sohn als Bevollmächtigter des Besitzers‘ bleibe in der Konsequenz der Bildseite, habe aber nicht explizit einen christologischen Anspruch. 232 Jesu eigene Sohnes-Stellung gründe im Anspruch und Wagnis, an Gottes Stelle zu handeln, 233 nicht aber, so offenbar Hengels Meinung, in einem Rechtsakt. Für die Bestimmung der christologischen Aussage des Gleichnisses ist die von O.H. Steck durchgeführte These bedeutsam geworden, im Hintergrund 411 5. Der Sohn aus dem himmlischen Haus: die Christologie im Weinberg-Gleichnis 234 O.H. Steck, Israel und das gewaltsame Geschick der Propheten, Neukirchen 1967, 269-273. 235 Den Ansatz von Steck haben aufgenommen: J. Blank, Die Sendung des Sohnes. Zur christologischen Bedeutung des Gleichnisses von den bösen Winzern Mk 12,1-12, in: FS R. Schnackenburg 1974, 11-41, hier: 15-18; Pesch, Komm., II, 221; Gnilka, Komm., II, 143f. 236 A.a.O., 17, Hervorhebung von Blank. 237 A.a.O., 30. der Sachhälfte stünde die deuteronomistische Konzeption der jeweils am Un‐ gehorsam Israels scheiternden Prophetensendungen. 234 Die Abfolge: Sendung, Ablehnung, ja Tötung, und Gericht weist eindeutig in diesen Traditionshinter‐ grund. 235 Das in sich kulturgeschichtlich stimmige Gleichnis ist demnach von Anfang an mit der Sachhälfte verschränkt, steht in einem (un)heilsgeschichtli‐ chen Bezugsrahmen, in dem Jesus sein eigenes, ihm bevorstehendes Todesende als Kulminationspunkt der gescheiterten Sendungen von Gottes Propheten im Auge hat. Da ‚Sendung‘ auch in der Sachhälfte in diesem alttestamentlichen, jüdischen Traditionszusammenhang wurzelt, ist eine hellenistische Deutung nicht nötig: Die Sendung des Sohnes knüpft an die Sendung der Propheten an. J. Blank folgert aus dieser an sich richtigen Deutung der Sachhälfte: „Es geht also nicht um ‚Sendung‘ in einem mythischen Sinn ‚vom Himmel‘ her, sondern um ein ‚(un-)heilsgeschichtliches‘ Verständnis der Sendung. Das ‚mythische‘ Sendungsmotiv mit dem Präexistenzgedanken darf somit auf gar keinen Fall mit dem ‚heilsgeschichtlich-prophetischen‘ Sendungsmotiv verquickt oder in einen Topf geworfen werden. Es handelt sich hier um zwei traditionsgeschicht‐ lich verschiedene Denkmodelle und höchstwahrscheinlich ist die ‚mythische‘ Sendung später und sekundär.“ 236 Auch diese Unterscheidung wird teilweise - was die traditionsgeschichtliche Besonderheit des Präexistenz-Gedankens angeht - richtig sein. Doch ist die Frage zu stellen, ob man ‚vom Himmel her‘ und ‚mythisch‘ als grundlegende Kategorien vom alttestamentlich-jüdischen, palästinischen Überlieferungszweig fernhalten darf. Wenn man dies tut und Jesus als einen prophetischen, in einer irdischen Sendung stehenden Boten - wenngleich auch als den letzten vor dem Gericht - bezeichnet, wird die Deutung des ‚Sohnes‘ im Gegenüber zu den ‚Knechten‘ schwierig; denn der Sohn ist ja nicht nur der letzte Bote, sondern auch ein höher qualifizierter. Für die Deutung des ‚Sohnes‘ greift Blank bezeichnenderweise, über den Rahmen des Gleichnisses hinaus, auf eine „existentiell gelebte Gottessohnschaft“ Jesu zu‐ rück, die sich vor allem in der Gebetsanrede äußere. Die Versuchungsgeschichte aus Q verweise auf diese Gottessohnschaft, die vom Gehorsams-Gedanken ausgehe; Mt 10,25f. (ohne 27) zeige ebenfalls „… eine ‚existentielle‘ Sohnschaft im dialogischen Verhältnis zum ‚Vater‘.“ 237 Erst mit 10,27 spreche die Gemeinde 412 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 238 A.a.O., 31. 239 Komm., II, 218. 240 Ebd. 241 Ebd. 242 A.a.O., 221. 243 Vgl. die Formulierung bei Pesch, Komm., II, 221: Jesus ‚weiß sich‘, ‚versteht sich‘ als eschatologischer Prophet. in objektiver Ausdrucksweise vom Sohn. Blank stößt auf einen „Übergang vom ‚existentiellen‘ Sohn-Verhalten Jesu zur christologischen Sohn-Formel.“ 238 Diesen Übergang setze auch das Gleichnis Mk 12,1-11 voraus. Sohn sei hier in der Sprache der palästinischen Urgemeinde der eschatologische Prophet; mit dieser christologischen Konzeption blicke aber die Gemeinde auf das ‚existentielle‘ Sohnes-Verhalten Jesu zurück. Noch einen Schritt weiter geht R. Pesch, der Mk 12,1-9 auf den irdischen Jesus zurückführt. Für Jesus sei der υἱὸς ἀγαπητός Apposition, Prädikat des letzten Boten, des eschatologischen Propheten. 239 „Erst in urchristlicher Rezeption der Parabel … wird υἱὸς ἀγαπητός im Rahmen der Sohn-Gottes-Christologie mit direktem christologischen Gehalt aufgefüllt. In der Parabel ist in der Bildwirklichkeit der ‚einzige Sohn‘ als der Erbe eingeführt, in der Sachhälfte der eschatologische Prophet als besonderer Vollmachtsträger bezeichnet.“ 240 ‚Mein Sohn‘ und ‚geliebter Sohn‘ seien „Prophetenprädikat“. 241 Dies gehe auf Jesus zurück, „… der sich in der Situation des endzeitlichen Abfalls Israels als der eschatologische Prophet gesandt weiß und sich allein als ‚Erbe‘, d. h. als Träger der Erwählung und Verheißung, als Künder und Bringer der Gottesherrschaft versteht.“ 242 Diese Konzeption bei Pesch muss an mehreren Punkten korrigiert werden: dass ‚mein Sohn‘ Prophetenprädikat ist, bleibt traditionsgeschichtlich nicht bewiesene Behauptung; es bedeutet eine Eintragung in den Text, wenn plötzlich der „Künder und Bringer des Gottesreiches“ als Abschluss der Reihe der Bußpropheten eingeführt wird; wie kann Jesus Träger der Erwählung und Verheißung sein, ohne dass der christologische Tragegrund dafür benannt wird? Der Rückgriff auf Jesu Bewusstsein 243 ist traditionsgeschichtlich unbefriedigend. Die Schwierigkeiten dieser Deutung entstehen dadurch, dass die Überbietung der prophetischen Sendungskategorie, auf die der Text zielt, nicht recht deutlich gemacht werden kann. Denn dazu müsste man die besondere Rechtsstellung des Sohnes im Haus des Vaters ernstnehmen, stünde dann aber in einem Verständnis von Sendung, das von Anfang an mythisch-objektiv, himmlisch geprägt ist. Diese Konsequenz ist aber historisch unausweichlich, weil auch die 413 5. Der Sohn aus dem himmlischen Haus: die Christologie im Weinberg-Gleichnis 244 Vgl. Bühner, Der Gesandte, a. a. O., 341-373. 245 Vgl. K. Berger, Die Auferstehung des Propheten und die Erhöhung des Menschensohnes, Göttingen 1976, 26-29 mit Anm. S. 260-275. Die Sendung der prophetischen Gottesboten geschieht in Entsprechung und Konsequenz zur eschatologischen Durchsetzung einer himmlischen Kultordnung; ursprünglich geht es nach Apok 11,1f. um den Ausschluss der Heiden vom eschatologischen Heil. In der jesuanischen und christlichen Rezep‐ tion des Stoffes geht es um die Teilhabe der Gereinigten aus Juden und Heiden (= die Menschensohn-Gemeinde) an der himmlisch-eschatologischen Gottesgemeinschaft. Ausgangspunkt und Zielpunkt der Sendung der Zeugen ist in Apok 11 der himmlische Tempel. Die beiden Zeugen, die traditionell dem priesterlichen und königlichen Messias nach Sach 4 nahestehen, sind hier betont priesterliche Gestalten geworden: sie sind Leuchter, die vor Gott stehen. Der archaische Botenbegriff, von dem K. Berger, a. a. O., 29, spricht, besteht in der priesterlich-angelologischen Mythisierung des Prophetenbegriffs. 246 Vgl. Mk 1,2; zur Kombination Mal 3,1; Ex 23,20 vgl. Billerbeck, I, 597; K. Stendahl, The School of St. Matthew and its use of the Old Testament, Uppsala 1954 (ASNU XX), 49-53. Die wunderbare Geburt, in deren Zusammenhang Lk 1,17.76 die Elia-Tradition in Anwendung auf den Täufer bezeugt, ist Zeichen dafür, dass hinter der prophetischen Sendung ein angelologisches Geheimnis als Ausdruck priesterlich-reiner Herkunft vom Himmel steht. 247 Vgl. Pesch, Komm., I, 333-335. 248 Pesch, Komm., I, 335f. traditionsgeschichtliche Bindung der Sachhälfte in apokalyptisch-himmlische Hintergründe der prophetischen Sendung weist. Die prophetische Sendungs‐ tradition, in der Jesus steht, ist angelogisiert gewesen: die Angelogisierung des Prophetenbegriffs lag im Judentum nahe, da der Prophet bei seiner Berufung in den Bereich der Nähe Gottes geführt wird und aus dem Himmel heraus seine Sendung antritt; reinigende Wandlung oder auch der Satz, dass ein Engel im Propheten ist, sind die Konsequenz; 244 - JohApok 11 zeigt, dass das prophetische Auftreten der beiden dtn. Pro‐ pheten-Zeugen als Vorgang vom himmlischen Tempel aus verstanden werden konnte; 245 dass auch der eschatologische Bote als ךאלמ und ἄγγελος verstanden werden konnte, zeigt die Verbindung von Mal 3,1 (Bundesengel) mit 3,23 (Elia) und das Einwirken von Ex 23,20 in diese Tradition, die das NT voraussetzt; 246 entscheidend ist die große historische Wahrscheinlichkeit, dass mit Jo‐ hannes dem Täufer und dem irdischen Jesus von Anfang an eine angelologische Komponente ihrer Selbst- und Fremddeutung verbunden war. Die Gleichset‐ zung Täufer = Elia = Bundesengel, an die Jesus angegliedert wurde, 247 steht in alten Traditionen und entspricht nicht der späteren Lehrbildung; 248 die auf Jesus zurückweisende Menschensohn-Tradition enthält ein starkes angelologisches Element. Wahrscheinlich ist der Ausdruck von R. Otto, der 414 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 249 R. Otto, Reich Gottes und Menschensohn, München 1934, 340-342. 250 Vgl. M. Hengel, ZNW 59 (1968) 37-39, in Anschluss an die These von C.H. Dodd, The Parables of the Kingdom, London 1965 2 , 101. R. Pesch, Komm., II, 223 ähnlich. Menschensohn sei der Engel Jesu, 249 hier zutreffend. Man kann die ursprüngliche Sachebene, in der das Gleichnis Jesu uns entgegentritt, nicht von der Basis eines irdischen, geschichtlichen, unmythischen Botenbegriffs aus verstehen. Auch die Knechte sind Boten vom Himmel, u.zw. kommen sie aus dem himmlischen Tempel. Dieser angelologische Hintergrund im Botenbegriff (des unmittelbaren tra‐ ditionsgeschichtlichen Umfeldes) Jesu legt es nahe, den ‚objektiven‘ Charakter der Bildhälfte neu ernst zu nehmen: Die Boten kommen aus dem Haus des Herrn, der Sohn übertrifft sie, weil er Erbe und Haussohn ist, der als solcher den Anspruch und die Macht des Vaters vertritt. Als eschatologischer Bote kommt Jesus aus dem Haus des Vaters. So wie δοῦλος in Anwendung auf die Propheten den Bildcharakter transzendiert, weil das Diener-Sein auf einem ‚objektiven‘ Vorgang der Erwählung und Berufung gründet, so ist die Zugehö‐ rigkeit des Sohnes zum Hausstand des Vaters nicht einfach Bild für eine in Wirklichkeit irdisch verlaufende Sendung, die allenfalls im Bewusstsein Jesu himmlisch überhöht ist, sondern es sind eigentlich gemeinte Vorgänge: Jesus ist der aus dem himmlischen Haus des Vaters kommende Bote und Erbe der himmlisch-irdischen Güter, die vom Vater-Haus aus verwaltet werden. Wie kommt Jesus aber in das himmlische Haus des Vaters? Die Tradition vom Sohn und Erben ist in Röm 8,12-17.29f. unter dem Gesichtspunkt einer pneumatischen Teilhabe an der himmlischen δόξα rezipiert worden. Die Bezeichnung υἱὸς ἀγαπητός stellt den Anschluss an die Tauf- und Verklärungs-Tradition her: Geliebter Sohn ist Jesus, weil er pneumatisch-vi‐ sionär Zugang zum Haus Gottes, dem himmlischen Tempel, gefunden hat; der Vater nimmt ihn in der Vision in sein Haus auf. Wenn der Perikopen-Ablauf in Mk 11 f. alt ist, ja ursprüngliche Zusam‐ menhänge aus dem Leben des Irdischen widerspiegelt, 250 setzt Mk 12,1-9 das christologische Geheimnis voraus, das die ‚Vollmachtsfrage‘ mit Johannes d.T. verbindet: In der Taufe gründet die Sohnschaft Jesu, seine Zugehörigkeit zum himmlischen Haus des Vaters. Die Einsetzung zum Sohn ist ein kultapokalypti‐ scher Rechtsakt. Mk 12,9 verschränkt Bild- und Sachhälfte des Gleichnisses. Welche Christo‐ logie spricht aus diesem Vers? Dass Gott anderen den Weinberg gibt, impliziert eine christologisch-soteriologische Aussage, denn der Weinberg gehört zum Haushalt des Vaters und zum Erbe des Sohnes. Der Tod des Sohnes, der im Bild beschrieben, in der Sache aber nicht ausdrücklich gedeutet wird, hat zur 415 5. Der Sohn aus dem himmlischen Haus: die Christologie im Weinberg-Gleichnis 251 Komm., II, 144. 252 Vgl. Pesch, Komm. II, 221; Gnilka, Komm. II, 144. 253 A.a.O. (Anm. 1462), 165-170. Folge, dass der Hausherr, der Vater, eingreift und den Weinberg ‚anderen‘ übergibt. V. 9 setzt voraus, dass Israels Stellung vor Gott durch die Ablehnung des Sohnes gefährdet ist und andere an seine Stelle treten. Gnilka betont: die „… Idee, dass der Sohn der Erbe der Erwählung und Verheißungen Israels ist und durch ihn die Christen aus Heiden und Juden zu Erben werden, ist in der hellenistisch-judenchristlichen Gemeinde vorgeprägt. Dort ist das allego‐ risierende Gerichtsgleichnis zu beheimaten.“ 251 Man wird hier differenzieren müssen: An sich ist der Stoff des Gleichnisses weder im Bildnoch im Sachteil hellenistisch geprägt. Dennoch zeigt der Kreis der sogenannten Hellenisten in Jerusalem/ Antiochien ein besonderes Interesse an der These, dass Jesus an Tempel und Tora vorbei mit der himmlischen Heiligkeit und δόξα verbindet. Dieser soteriologische Zusammenhang der durch Jesus eröffneten, in der Taufe vermittelten Pneuma-Existenz, die auf die himmlische Verklärung verweist, konnte offenbar im Rahmen der Sohn-Lehre expliziert werden, äußert sich aber auch in inklusiven Motiven der ἄνθρωπος-Lehre. Beide Themenkreise fanden wir in den aus dem gleichen Tradenten-Kreis stammenden Stücken ‚Taufe‘ und ‚Verklärung‘: Die Sohnes-Stellung wird durch die Menschensohn-Lehre soteriologisch expliziert; der Menschensohn rüstet die Seinen für die Begegnung mit der Heiligkeit Gottes zu. Der Übergang des Heils an die anderen als Folge des Todes des Sohnes könnte vor dem Hintergrund der Menschensohn-Lehre verstanden werden. Das Gericht am ungehorsamen Israel bedeutet, dass die ‚Anderen‘ am Heil Anteil bekommen; dieser Ausdruck erinnert an den in seiner Offenheit ähnlichen der ‚Vielen‘, die mit dem Menschensohn verbunden sind (Mk 10,45; Mt 8,11). Es fällt auf, dass die Auslegungen bei der Übertragung des ‚Erbes‘ bzw. des Weinstocks aus der Bildin die Sachhälfte zu Abstrakt-Bildungen neigen. 252 Sollte nicht doch Lohmeyer recht haben, der beim Weinberg an den Kultus denkt? 253 Die Verbindung mit dem Himmel, welche der Tempel ausdrückte als Gottes Stiftung, durch die er gleichsam von seiner himmlischen Wohnstatt aus irdisch-gegenwärtig repräsentiert wurde, ist nun abgerissen. Die eschatologi‐ sche, heilvolle Verbindung mit Gottes Heiligkeit stiftet Gott im Menschensohn, am irdischen Tempel vorbeigreifend. Diese Deutung wird durch den Kontext ge‐ stützt, in dem der Tempel zur Stätte der Auseinandersetzung, die Hohenpriester 416 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 254 So die These von J. Jeremias, Golgotha, in: ΑΓΓΕΛΟΣ, 2 (1926), 108; ähnlich Lohmeyer Mystik, a. a. O. (Anm. 1462), 166; Gnilka, Komm., II, 148: „Dabei liegt das Bild vom himmli‐ schen Heiligtum zugrunde, in dem Christus herrscht.“ Auf den Bau der Gemeinde deutet auch Pesch, Komm., II, 222. Gegen die Deutung „Schlussstein“ und für die Bestimmung des ר א ש פ נ ה als „Grundstein an der äußersten (vordersten) Ecke“ hat sich im Anschluss an nä‐ here Untersuchungen H. Krämer, Art. ‚γωνία κτλ.‘, in: EWNT, I, 645-648, hier: 647 ausge‐ sprochen. Die Deutung im Sinne des Kontrastschemas ‚von Menschen verworfen‘ - ‚von Gott erwählt‘ ist dann zu eng, wenn, wie es bei Krämer den Anschein hat, ekklesiologische Implikationen ausgeschlossen werden sollen. Vgl. ferner 1QH 6,24ff.; 1QS 8,7ff. die dominierenden Gegner werden und mit 12,10-12 das kultische Motiv des Schlusssteins auf Jesus und die neue Heilsgemeinde bezogen wird. 254 Die Vorsicht, mit der wir Mk 12,9 exegesieren müssen, zeigt aber auch, dass hier nicht die judenchristlich-hellenistische Priester-Apokalyptik Antiochiens ihre Lehrthesen vorträgt und sie nur dürftig historisiert. Die christologisch und soteriologisch zurückhaltende Art, die Tatsache, dass palästinisches Milieu durchscheint und der keineswegs rein allegorische Aufbau weisen eher auf die jesuanische Vorstufe der judenchristlich-hellenistischen Konzeption, als auf eine Reprojezierung. Entscheidend ist: Jesus ist nach dieser Tradition Sohn, der aus dem himm‐ lischen Haus des Vaters kommt. Diese kultapokalyptische, charismatisch-vi‐ sionäre Sohnschaft Jesu dient der eschatologischen Intensivierung des prophe‐ tischen Botenbegriffs. Die Sendung aus dem Haus setzt eine Wandlung in himmlische δόξα voraus, ein Beteiligt-Werden des Sohnes am Haus als dem himmlischen Verwaltungszentrum der Schöpfung. Deshalb greift das Gleichnis Jesu auf die Tauf-/ Verklärungstradition zurück und deutet sie, ähnlich Joh 3,31-36, als Gesandt-Werden von Gott her. Die eschatologische Bedeutung seiner Sendung drückt Jesus nicht so sehr im Rahmen einer Zeitansage aus; vielmehr hängt der eschatologische Charakter seiner Sendung an seiner himmlischen Herkunft, näherhin in seiner Einsetzung zum Haussohn und Menschensohn. 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. Für die Frage einer Rückbindung der Christologie - hier der Q-Gruppe - an den irdischen Jesus kommt der Spruchgruppe Mt 11,25-27 par. für den Bereich der Sohn-Tradition eine ähnlich grundlegende Bedeutung zu, wie dem Bekenner-/ Verleugner-Spruch im Rahmen der Menschensohn-Christologie. Die 417 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 255 A. Polag, Fragmenta Q. Textheft zur Logienquelle, Neukirchen 1979, 46-49. 256 E. Norden, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt 1956 (Nachdruck der Ausgabe Berlin 1913), 277-308. 257 Vgl. D. Lührmann, Die Redaktion der Logienquelle, Neukirchen 1969 (WMANT 33), 67; R. Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 171 f.; P. Hoffmann, Studien zur Theologie der Logienquelle, Münster 1972 (NTA N. F. 8), 107, samt Anm. 23-24; eine Übersicht über die Analysemöglichkeiten bietet B.M.F. van Iersel, ‚Der Sohn‘ in den synoptischen Jesusworten, 1961 (NT S.; 3), 147-149. Der These, Mt 11,25-30 sei eine zusammenhängende Überlieferungsgröße, schließen sich in der Literatur an: U. Wilckens, Art. ‚σοφία κτλ.‘, in: ThWNT, VII, 518, 10-15; O. Michel, Art. ‚ὁμολογέω‘, in: ThWNT, V, 215, 13-15. 258 Vgl. schon G. Dalman, Worte Jesu, 232; A. Schlatter, Der Evangelist Μatthäus, 384; R. Otto, Reich Gottes, 345; zu 11,27 vgl. vor allem J. Jeremias, Neutestamentliche Theologie. I, 1971, 63-67; J. Schniewind, Das Evangelium nach Matthäus, Göttingen 1950 (NTD 2), 149-153; P. Hoffmann, Studien, 107-131; van Iersel, ‚Der Sohn‘, 157-160; F. Hahn, Christologische Hoheitstitel, 321-326. 259 Geschichte der synoptischen Tradition, 172; vgl. P. Hoffmann, Studien, 107, samt Anm. 24. 260 Doch vgl. van Iersel, ‚Der Sohn‘, 151-157; A. Polag, Die Christologie der Logienquelle, Neukirchen 1977 (WMANT 45), 161 f. (sehr vorsichtig formuliert); Jeremias, Theologie, 63-67 (67: Sendungsbewusstsein Jesu). 261 Vgl. J. Blank, Die Sendung des Sohnes, in: Neues Testament und Kirche. FS R. Schna‐ ckenburg, 1974, 11-41, hier: 28-32; P. Hoffmann, Studien, 109.111. 262 A.a.O., 108. Möglichkeiten zur Rekonstruktion der Q-Fassung sind bei A. Polag aufgeschlüs‐ selt. 255 Zwei Grundtendenzen bestimmen die Forschung: - E. Nordens 256 orientalisch-gnostische Deutung von Mt 11,25-30 vor dem Hintergrund von Sir 51 ist heute nicht mehr dominierend: Mt 11,25-30 bilden keine Einheit, 28-30 sind als MtS sekundäre Anfügung. 257 Für 11,25-27 ist der semitische Charakter heute stärker betont: Erkennen, Offenbaren, Vater-Sohn-Verhältnis und die Unterscheidung von Weisen und Unmündigen versucht man aus der jüdisch-alttestamentlichen Tradition zu deuten; 258 - Schon Bultmann hielt es für möglich, dass in Mt 11,25f. ein ursprüngliches Jesuswort sichtbar wird. 259 Diese Rückführung ist für 27 schwieriger, 260 da zwischen 25 f. und 27 ein Stilbruch sichtbar wird: Auf den Lobpreis des Vaters folgt eine Lehraussage über den Sohn. 261 Methodisch ist es bedenklich, von einem theologischen Denkhorizont der Q-Gruppe auszugehen, diesen durch die Stichworte Naherwartung und Identifikation Jesu mit dem kommenden Menschensohn zu charakterisieren und dann Mt 11,25-27 vor diesem Hintergrund zu deuten. P. Hoffmann, 262 der 418 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 263 Vgl. A. Vögtle, Das christologische und ekklesiologische Anliegen von Mt 28,18-20, in: Studia Evangelica 2 (TU 87), 1964, 269.283; D. Lührmann, Redaktion, 65 f.; A. Polag, Christologie 161 f.; vorsichtig J. Blank, Die Sendung des Sohnes, a. a. O., 29: eine Nähe zum Menschensohn sei nicht ausgeschlossen; von einer Nähe von absolutem ὁ υἱός zum Menschensohn und von einer Verwendung nur in eschatologischem Zusammenhang spricht E. Schweizer, Art. ‚ὁ υἱός κτλ.‘, in: ThWNT, VIII, 372-376. 264 Man erkennt in Q einen Zusammenhang von Aussendungsrede (Mt 10,1-12), Drohwort (Mt 11,21-23) und Jubelruf (Mt 11,25-27), vgl. A. Polag, Fragmenta Q, 44.48; D. Lühr‐ mann, Redaktion, 60-63; P. Hoffmann, Studien, 108. 265 In Mt 9,38 par. Lk 10,2 ist das zusammenschließende Gebet der Einsatz für die von Gott ausgehende Sendung (vgl. Apg 13,2f.); Mt 11,25 und 9,38 stehen in Beziehung zueinander; Lk 10,8f. nennt Krankenheilung und Basileia-Verkündigung als den Inhalt der Sendung der Jünger. Dies ist nach Mt 11,2-11 par. Lk 7,18-28 auch das wesentliche Merkmal des Auftretens Jesu; innerhalb des Sendungszusammenhangs von Q greift Lk 10,13 ausdrücklich auf die δυνάμεις Jesu zurück: sein pneumatisches Wirken geht über in das der Boten, vgl. auch Anm. 270. 266 Vgl. J. Jeremias, Paarweise Sendung im Neuen Testament, in: ders., Abba, 1966, 132-139. 267 Vgl. dazu J.-A. Bühner, Der Gesandte, Tübingen 1977, 250-256, bes. 254ff. 268 Der Botenbegriff ist christologisch gebunden, die Botschaft der Boten aber nicht explizit christologisch ausgeformt. Das, was die Boten tun, hängt an der Legitimität des ersten Gesandten, Jesus, vgl. P. Hoffmann, Studien, 307f. 269 Nach A. Polag, Christologie, 97, wird in diesen und ähnlichen Worten „… die Situation der Ablehnung der Sendung Jesu durch das Volk vorausgesetzt.“ Vgl. auch P. Hoffmann, Studien, 257. so vorgeht, unterschiebt damit dem Text zwei Aussagen, die er deutlich so nicht trägt. 263 Gesicherter ist der Einstieg über die Beobachtung, dass die Spruchgruppe in Q eng zusammengehört mit der Aussendungsrede. 264 Beide Teile, Aussendung und Dankgebet, sehen Jesus und seine Jünger in einem gleichen Verhältnis einer abgestuften Parallelität: Gott offenbart den Jüngern ein Geheimnis, für das Jesus dankt und das - ob nun 11,27 ursprünglich dazugehört oder nicht - ihn und die νήπιοι gegenüber dem Vater zusammenschließt. Jesus dankt für die den Jüngern geschenkte Offenbarung, steht gleichsam als Vorbeter in ihrer Mitte. Diese zwar abgestufte, aber inklusive Parallelität entspricht der Aussendungs-Tradition: Die Boten vervielfältigen Predigt und Wunderwirken Jesu; 265 sie sind durch Jesus zu zweit, als eschatologische Zeugen 266 ausgesandt (Lk 10,1.3); sie setzten die Sendung Jesu gleichsam als seine Substituten fort (Lk 10,16) 267 . Damit setzt Q einen Botenbegriff voraus, der ganz stark christologisch gebunden ist 268 und zugleich die Stellung der Boten und Jesu - auch dem gemeinsamen Herrn der Ernte gegenüber - parallelisiert. Man kann fragen, ob Mt 10,19f. par. Lk 12,11 ursprünglich in den Aussen‐ dungs-Zusammenhang gehören; 269 deutlich liegt Q-Tradition vor. Auch hier begegnen wir einem Jünger-Begriff, nach dem diese analog zu Mt 10,1 par. 419 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 270 Hier liegt zwar Mt-Stoff vor, doch zeigen die Gemeinsamkeiten θεραπεύειν νόσον und das betonte πᾶσαν/ πάντα, dass auch mit einer Q-Fassung zu rechnen ist; das θεραπεύειν begegnet wieder in Lk 10,9 par. Mt 10,7f (Q). Mk 6,6b-13 ist nach J. Schmid, Matthäus und Lukas, 1930, (BSt 23/ 2-4) 260-268 ein Exzerpt aus Lk 10,1-16; vgl. auch Schürmann, Tradionsgeschichtliche Untersuchungen, 1968, 137. Der Botenbegriff von Mk 6,7 ruht damit nicht nur sachlich, sondern auch überlieferungsgeschichtlich auf der Q-Tradition auf, bzw. entspricht deren ältester Gestalt. Zur Sache vgl. Schürmann, Komm., I, 500. 271 Vgl. Anm. 270. 272 Vgl. O. Michel, ‚Diese Kleinen‘ - eine Jüngerbezeichnung Jesu in: ThStKr, 108 (1937/ 38), 401-415, hier: 404; vgl. auch S. Légasse, Art. ‚νήπιος‘, in: EWNT, II, 1142 f., hier 1143. 273 F. Dibelius, Zwei Worte Jesu, in: ZNW, 11 (1910), 188-192, hier: 191, stellte die These auf, der ‚Kleine‘ sei Jesus und es sei zu verstehen: der Kleine - im Reich Gottes wird er größer sein. Die Eingrenzung auf Jesus wäre dann in anderen Zusammenhängen auf die Jünger ausgedehnt. Mt 11,11 rechnet mit dem Gegesatz ἐν γεννητοῖς γυναικῶν - ἐν τῇ βασιλείᾳ τῶν οὐρανῶν. Dies ist der Gegensatz, den sonst die Lehre von der Neugeburt ἄνωθεν umschreibt. Eingang in die βασιλεία setzt Teilhabe an der engelähnlichen δόξα-Existenz voraus. Es geht um eine Steigerung der Taufwirkung in das Pneumatische, also eine Steigerung, die in der Täufertradition einen festen Lk 9,1 Pneumatiker 270 sind. Mt betont, dass die Jünger in ihrer Sendung auch dem Vater, der sie schützt, unterstehen, also im Verhältnis zum Vater Jesus parallelisiert sind. Diese Rückbindung an die Aussendungstradition legt nahe, dass das eigentlich offenbarte Geheimnis, das ταῦτα, christologisch gebunden ist: Es geht um die Vollmacht des ersten Gesandten Jesus, deren theologische Begründung Gott den Jüngern offenbart hat. Die Jünger werden als νήπιοι bezeichnet. Weist auch diese Bezeichnung in die Aussendungstradition zurück? Diese Bestimmung ist sachlich zu verbinden mit dem Jüngernamen μικροί/ μικρότεροι. In Entsprechung zu dem auch durch Mk 6,7 par. (← Q? ) 271 aufgenommenen jüdischen Botenrecht parallelisieren Mt 10,40 par. Lk 10,16 Boten und Sendenden, wobei beide ausdrücklich auch das christologische Glied einbeziehen: Jesus ist der erste Gesandte. Wer einen seiner Boten, u.zw. einen der ‚Kleinen‘, d. h. einen Pneumatiker, 272 aufnimmt - so die Ergänzung im MtS - der findet seinen eschatologischen Lohn. Mt 11,11 par. Lk 7,28 bezeugen, dass es für die Q-Überlieferung möglich war, den zu Jesus gehörenden Jünger in seiner besonderen eschatologischen Situation als μικρότερος zu bezeichnen: Den Weibgeborenen, zu denen noch Johannes d.T. gehört, stehen die zur βασιλεία Gehörigen gegenüber, die nicht mehr nur weibgeboren, sondern neugeboren, zu engelähnlicher Herrlichkeit gekommen sind. ‚Klein‘ und ‚Groß‘ bezeichnen hier den Gegensatz von irdischer und himmlischer Existenz, markieren den sich realisierenden Umbruch der Zeit zum Eschaton. Da man den Gedanken sonst auf eine Abstufung in der βασιλεία beziehen müsste, ist der ‚Kleinste‘ Würdebezeichnung des Jüngers, der zur βασιλεία gehört, 273 nach irdischen Maßstäben aber dafür nicht qualifiziert 420 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters Ansatzpunkt hat. Die βασιλεία ist hier nicht endzeitlicher Zustand der körperlichen Anteilhabe qua Auferstehung der Toten, sondern die himmlische Pneuma-Welt um den Thron Gottes herum. Der Spruch will sagen: diesen Zugang hat der Täufer noch nicht erreicht. Zur Abstufung in der βασιλεία vgl. Mt 18,10: es gibt besondere Engel, die immer direkt vor Gott stehen. Über ihre Schutzengel und himmlischen Doppelgänger haben die Jünger (in unterschiedlichem Maße) an der δόξα der βασιλεία Anteil. Diese Zusammenhänge werden in der Auslegung vielleicht zu wenig erwogen, vgl. A. Polag, Christologie, 158-160; Schürmann, Komm., I, 418f. 274 Dies muss eine Vermutung bleiben. Immerhin betont die Tradition, dass Jesus im Gegensatz zu anderen laisierenden Priestertraditionen (Pharisäer, Täufer) nicht fastete und auch nicht die levitischen Reinigungsregeln auf sich nahm; nur Num 18,8.18f. wird in Lk 10,7 aufgenommen. 275 Vgl. J.M. Robinson, Die Hodajot-Formel in Gebet und Hymnus des Frühchristentums, in: Apophoreta, FS E. Haenchen, 1964 (BZNW 30) 194-235, hier: 226-228. zu sein scheint, weil er nicht fastet und levitische Reinigungsregeln nicht beachtet. 274 Mt nimmt in 18,6 einen Mk-Stoff auf, der von ‚einem dieser Kleinen, die an mich glauben‘ handelt: Wer einen Kleinen zum Abfall bringt, verscherzt den Zugang zur ζωή. Mt 18,10 bringt eine engelanthropologische Bestimmung dieses Jünger-Begriffs μικρός. Er erinnert an den Botenbegriff von Apok 11,4. Wenngleich in diese Traditionen von den ‚Kleinen‘ vermutlich Auseinander‐ setzungen in den Gemeinden hineingreifen, wird doch ein ursprünglicher Zug Jesu sichtbar. Das nicht-gelehrte, einfache Volk bildet seinen Jüngerkreis und hat ohne geistlichen Reichtum und fromme Übung an seinem himmlischen Geheimnis teil. Auch über das Stichwort νήπιοι ist Mt 11,25f. also mit der Aussendungstradition verbunden: Dass die νήπιοι die (christologische) Offen‐ barung vom Vater enthüllt bekommen, entspricht der Aussendung, die sie in die eschatologische Armut weist. Mt 11,25-27 steht in relativ enger Beziehung zu Apok 11,17-18. Beides sind Hymnen, an deren Anfang die Hodajot-Formel steht. 275 Beide Hymnen schließen die Mission der eschatologischen Boten ab und enthüllen die himmlische, eschatologische Konsequenz der Sendung der eschatologischen Propheten. Die Sendung der Boten bedeutet die Konstituierung, Realisierung der βασιλεία Gottes und des Christus: Mt 11,27a entspricht Apok 11,15. Apok 11 zeigt, dass die irdische Geschichte sich vor einem himmlischen Hintergrund voll‐ zieht, der kultisch geprägt ist: Die beiden Zeugen-Propheten stammen aus einer kultischen, engelähnlichen Zugehörigkeit zur himmlischen Kultsphäre Gottes (11,4), wohin sie nach dem Ende ihrer irdischen Mission zurückkehren (11,11-13). In die himmlische Verkündigung des Herrschaftsantrittes Gottes und seines Christus stimmen responsorisch die 24 Ältesten vor Gott ein, die die irdische Gemeinde aus Knechten, Propheten, Heiligen, Gottesfürchtigen, 421 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 276 Vgl. H. Kraft, Die Offenbarung des Johannes, Tübingen 1974 (HNT 16a), 162: die Auferstehung von den Toten geht einher mit der Rückkehr der Lade. 277 Die Formgeschichte des Evangeliums, 1971, 282. 278 So P. Hoffmann, Studien, 108f. 279 Der ‚erste‘ Segensspruch des AT, der das Gottesprädikat ‚Schöpfer des Himmels und der Erde‘ bezeugt, begegnet in Gen 14,19. Dieses aus der frühen Königszeit stammende Stück hat ausgesprochen kultischen Klang. Das Gottesprädikat ‚Schöpfer Himmels und der Erde‘, ursprünglich aus kanaaäischer Mythologie stammend, ist besonders im Jerusa‐ lemer Kult gebraucht worden, vgl. C. Westermann, Genesis. 2. Teilband. Genesis 12-36, Neukirchen 1981 (BK AT I/ 2), 239-243. Diese kultische Bindung des ‚beschreibenden‘ Gotteslobs (vgl. dazu C. Westermann, Theologie des AT, Göttingen 1978, 143-147) hat sich im nachexilischen Judentum durchgehalten; vgl. zu dem in seiner Problematik Gen 14 ähnlichen Buch Judith (13,18 „gesegnet seist du vom höchsten Gott … Gelobt sei der Herr, der Schöpfer Himmels und der Erde“): Westermann, Gen II, 226.245; Eissfeldt, Einleitung, 795. Auch 2Chr 2,11; Jub 22,6; 25,11f.; Gen Apocr. 20,12f. bezeugen das kultische Milieu dieser theologischen Formel. Weitere Belege aus jüdischer und frühchristlicher Liturgie bei J.M. Robinson, Hodajot-Formel, a. a. O., 227 62 . 280 Zum Verhältnis von Synagoge und Tempel vgl. jetzt J.J. Petuchowski, Zur Geschichte der jüdischen Liturgie, in: H. Henrix (Hrsg.), Jüdische Liturgie. Geschichte - Struktur - Wesen, 1979 (QD 86), 13-32, hier: 17-20. 281 Zur ältesten Fassung des palästinischen 18-Gebet vgl. S. Schechter, Genizah Specimen, in: JQR, 10 (1898), 654-659. Schöpfungsaussage und der Preis des Königtums Gottes sind hier ganz fest verwurzelt; vgl. auch J. Heinemann, Prayer in the Talmud, 1977, 26-29.32f. Kleinen und Großen repräsentieren. Zum Abschluss der ganzen Szene öffnet sich der Tempel Gottes im Himmel und die Bundeslade wird sichtbar. Die kosmische Geschichtsmächtigkeit des himmlischen Kultgeheimnisses aus dem Alten Bund wird wieder sichtbar. 276 Dieser Durchbruch zum himmlischen Geheimnis bestimmt in der Grund‐ struktur auch Mt 11,25-27: Jesus steht in einem zu enthüllenden Verhältnis zum himmlischen Vater. An diesem himmlischen Geheimnis haben die νήπιοι teil. Vielleicht ist sogar die priesterlich-angelologische Qualifizierung der ‚Kleinen‘ nach Mt 18,10 hier einzusetzen. Dass es um kult-apokalyptische Offenbarung geht, zeigt die Gebetsform. Man kann sie, wenn man die traditionsgeschichtliche Verbindung mit Apok 11 nicht für deutlich genug hält, nach Entdeckung der Qumran-Hymnen kaum noch mit Dibelius 277 als sekundär ansehen. 278 Vielmehr ist die liturgische Form ernst zu nehmen - es geht um Dank für eine Offenbarung, die sich in einem kult-apokalyptischen Rahmen vollzieht: die Anrede an Gott, „Herr des Himmels und der Erde“, entstammt traditions‐ geschichtlich alttestamentlicher Schöpfungslehre und gehört zur Grundaussage des Tempel-Kultes; 279 da hier der Ausgangspunkt der liturgischen Durchdringung des jüdischen Alltagslebens liegt, 280 ist natürlich, dass die meisten jüdischen Gebete diesen Grundsatz des alten beschreibenden Gotteslobes aufnehmen. 281 Die 422 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 282 Vgl. o.S. 114ff. 283 Vgl. G. Jeremias, Der Lehrer der Gerechtigkeit, Göttingen 1963 (StUNT 2), Kap. 6. 284 Vgl. dazu G. Dautzenberg, Urchristliche Prophetie, 207-214; zu den Belegen für visionäres und prophetisches Sehen vgl. 204-206. Die Vorsicht von Dautzenberg, 69.206f., einen visionär-ekstatischen Prophetenbegriff für Qumran wirklich ernst zu nehmen, wird m.A.n. den 1QH-Stellen nicht gerecht. Auch aus 1QM 10,10-16 ist die Sinai- Beziehung nicht zu elimieren: die Gottesbeziehung vom Sinai, die Sehen und Hören einschloss (vgl. Joh 5,37f), wird im Kultus der pneumamatischen Gemeinde überbietend wiederholt. eschatologische, kosmische Herrschaft Gottes wird in der jüdischen Apokalyptik ganz überwiegend mit der Verklärung des Zion verbunden. 282 Die christliche Apokalyptik sieht den Durchbruch der βασιλεία sich dergestalt realisieren, dass es zu einem sich steigernden Einbezogen-Werden der Heiligen in die himmlische Kultsphäre im himmlischen Tempel kommt. Königsherrschaft Gottes realisiert sich in einem kultisch-apokalyptischen Rahmen. Wenn Jesus sich in diesem liturgisch geformten Dankgebet an den Herrn des Himmels und der Erde wendet, so ist der Inhalt des Danks, die Offenbarung an die νήπιοι, in das Licht der sich realisierenden βασιλέια gestellt. Die sich realisierende βασιλεία drängt in der Offenbarung des himmlischen Geheimnisses voran, nämlich in der Bindung irdischer ἐξουσία und δύναμις ihrer Boten an die himmlische Weit. das ἀποκαλύπτειν, welches Mt 11,25-27 zusammenhält, weist in ein vi‐ sionär getragenes Offenbarungsverständnis zurück. Besonders nahe liegt Dan 2,19.22.28.30.47. Auf das im Traumgesicht offenbarte Geheimnis hin spricht Daniel eine Beracha: „Der Name Gottes sei gepriesen von Ewigkeit zu Ewigkeit! Denn Weisheit und Macht, sie sind sein! Er ist’s, der wechseln lässt Zeiten und Stunden; er setzt Könige ab und setzt Könige ein. Er gibt den Weisen die Weisheit und den Verständigen den Verstand. Er ist’s, der das Tiefste und Geheimste enthüllt; er weiß, was in der Finsternis ist, und das Licht wohnt bei ihm. Ich danke dir, Gott meiner Väter, und lobpreise dich, dass du mir Weisheit und Kraft gegeben hast und mich nun hast wissen lassen, was wir von dir erbeten haben …“ (2,20-23). In den Hodajot von Qumran dankt der Beter, in einem gewissen Grundstock ist es der Lehrer der Gerechtigkeit, 283 dafür, dass Gott ihn zum Offenbarer wunderbarer Geheimnisse gemacht hat (1 QH 2,13ff.), dass er ihn hinausgehoben hat in den Himmel und mit den Engel vereinigte (3,19ff.), dass seine Seele bis in das himmlische Jerusalem hinaufgehoben wurde (6,24ff.). Das Dankgebet schaut hier also auf eine Offenbarung zurück, die den Offenbarungsträger mit der himmlischen Welt verbunden hat. Auch in 1QS 11,4-9 ist die Anteilhabe am himmlischen Heil verbunden mit der Schau auf das, was ewig ist und mit einer Einsicht, die Menschen verborgen ist. 1QM 10,10f. weist dem wahren Israel, der pneumatischen Gemeinde der Endzeit, visionäres Schauen zu. 284 423 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 285 Vgl. Dautzenberg, a. a. O., 218-220; P. Hoffmann, Studien, 112. 286 Zu den םיאתפ als Selbstbezeichnung der Qumrangemeinde (1QpHab 12,4; 1QH 2,9; 1QHf 15,4; QSa 1,19; CD 13,6; 15,15 u. ö.) vgl. G. Jeremias, Lehrer, 59f. 287 A. Kretzer, Art. ‚ἔμπροσθεν‘, in: EWNT, I, 1089, betont zu Recht die lokale Grundbe‐ deutung, die eine „gespannt-dynamische Sicht“ ergibt. 288 So P. Hoffmann, Studien, 1972, 113. 289 Ebd. 290 Vgl. dazu auch W. Grimm, Der Dank für die empfangene Offenbarung bei Jesus und Josephus, in: Das Institutum Judaicum der Universität Tübingen 1971-72 (Typoskript, mech. vervielf.), 69-78. Der Begriff ἀποκατλύπτειν weist auf ein visionär erlangtes, geheimes himm‐ lisches Wissen. 285 Diese apokalyptische Offenbarung bedeutet einen kritischen Prozess an denen, die sich ihr nicht anschließen. Dabei kann es auch außerhalb Mt 11,25f. zu dem Lobpreis kommen, dass Gott mit seiner neuen, himmlischen Offenbarung sich den Einfältigen zugewendet hat. 286 Einfalt ist ein Zeichen der Heilsgemeinde, die Gott selbst belehrt. Die Offenbarung, für die Jesus dankt, geschah also höchstwahrscheinlich in einer Vision. Jesus verweist auf die ἐξουσία, die sich ἔμπροσθέν σου vollzog: Es geht um ein Geschehen vor dem Thron Gottes, auf das Jesus zurückblickt. 287 Diese Spannung zwischen himmlischem Ratschluss vor Gott, himmlischer ἐξουσία einerseits und der irdischen Situation Jesu, der νήπιοι anderseits, lässt sich nicht in eine ausschließende Alternative umbiegen: „Nicht himmlische Ge‐ heimnisse werden nämlich den νήπιοι erschlossen, sondern die Bedeutung des gegenwärtigen Auftretens Jesu.“ 288 Der zweite Teil der Aussage (Bedeutung des gegenwärtigen Auftretens Jesu) hängt an dem ersten (himmlisches Geheimnis): Die Bedeutung Jesu ist ein himmlisches Geheimnis, nämlich das Geheimnis des Sohnes. Eine ‚Aufhebung‘ der Apokalyptik, von der P. Hoffmann spricht, 289 findet jedenfalls nach 11,27 nicht statt. Wenn man von 27 noch absehen will, so ist die traditionsgeschichtliche Einbindung von 25 f. in den ‚Dank für die emp‐ fangene Offenbarung‘, 290 wie ihn vor allem 1 QH bezeugt, so stark, dass man sagen muss: jeder Zeitgenosse Jesu wusste, dass dieser Beter auf himmlisch-vi‐ sionäre Offenbarung zurückblick. Die Formulierung in 11,25 nötigt zu der Frage, ob die Jünger als Visionäre in den Dank einbezogen werden. Nach 1QH 2,14f. ist der Lehrer Heilbringer für die, die auf Wahres schauen הזוח תוחוכנ . Da הזוח in 1 QM 11,8; CD 2,12 t.t. für den mit dem Geist gesalbten Propheten ist, der auf das himmlische Geheimnis schaut und als solcher von den falschen Propheten, die Trug und Irrtum sehen (1QH 4,10.20), unterschieden ist, wird man die Un‐ terweisung des Lehrers als Anteilgabe an visionärem Wissen verstehen müssen. 424 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 291 Vgl. dazu den Gemeinde-Begriff von 1QM 10,10f. und o. Anm. 284. 292 A.a.O., 110: „… ταῦτα könnte dann die Erkenntnis meinen, dass er zu Recht Gottes Vollmacht in Anspruch nimmt.“ Vgl. 130: „Den Sohn zu erkennen heißt, die Stellung und Aufgabe zu erkennen, die der Sohn in den Plänen des Vaters - der Welt grundsätzlich verborgen - einnimmt.“ 293 Vgl. (1.) den inklusiven Zug: die Jünger bzw. die Getauften haben am christologischen Geheimnis Jesu teil; (2.) das Gegenüber zu den jüdischen ‚Weisen‘ ( Jerusalems); (3.) die durch die Formulierung οὐδείς … εἰ μή hervorgehobene Offenbarungs-Exklusivität Jesu. Lehre ist ein Anteilgeben am Wissen des ersten Visionärs und insofern selbst auf Offenbarung beruhend. 291 Die gleiche Inklusion begegnet auch in Mt 11,25f.: Der Vorbeter der Gemeinde dankt für das visionäre Wissen, an dem durch ihn und, aufgrund göttlichen Wohlgefallens, die zu ihm Gehörenden Anteil haben. Dieses parallele und doch dem Ersten nicht seine Ursprungs-Würde nehmende Verhältnis Jesu zu den νήπιοι stammt aus der Botenlehre der Aussendungstradition. Die pneumatische ἐξουσία zu Heilungswundern und Reich-Gottes-Ansage, an der die Boten betei‐ ligt werden, setzt voraus, dass die Boten in das christologische Geheimnis Jesu hineingenommen werden. Reich-Gottes-Verkündigung und Wundermacht im eschatologischen Sinne sind theologisch nur begründbar durch die himmlische ἐξουσία, die der erste Gesandte hinter sich haben muss: Die Vollmacht der Substituten hängt an der des ersten Gesandten (Lk 10,16). Jesus dankt dafür, dass sein himmlisches Geheimnis, seine ἐξουσία, das Reich Gottes vollmächtig zu bringen, auch auf die Jünger übergegangen ist. Das ταῦτα, darin ist Hoffmann im Ergebnis zuzustimmen, 292 meint das christologische Geheimnis Jesu, in das die Jünger durch die Aussendung hin‐ eingenommen sind. Man kann vermuten, dass die Aussendung mit einer geheimen Unterweisung der Jünger verbunden war: Hinweis auf seine himmlische Berufung, Übergabe des Vater-Namens, Hinweis auf die Verbundenheit mit dem Menschensohn, vielleicht Hinweis auf die Vision des Teufelssturzes. Wenn Jesus getauft hat, geschah dies am passendsten in dieser Situation der vollen Einweihung in sein himmlisches Geheimnis. In diese Situation weist deutlicher John 3,11: Die Taufe begründet ein gemeinsames christologisches Zeugnis. Auch der nahe stehende V. 13 kennt ein exklusives christologisches Geheimnis Jesu, an dem nur er Anteil geben kann. Joh 3,11-13 sind in Abfolge und Inhalt Mt 11,27 ähnlich. 293 Mt 11,25f. sind also formal (inklusive Redeweise) und inhaltlich - das ταῦτα kann nur auf ein himmlisches Geheimnis weisen, welches in jedem Stadium urchristlicher Tradition notwendig, zumal im Munde Jesu, christologisch ge‐ bunden war - auf Jesus als den Mittler der Offenbarung bezogen, näherhin 425 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 294 So J. Blank, Die Sendung des Sohnes, a. a. O., 30.31; vgl., ähnlich, A. Polag, Christologie, 161 f. Die Kategorie des ‚Rätselhaften‘ der ‚Person Jesu‘ hat ein gewisses hermeneuti‐ sches Recht, darf aber nicht zu früh eingesetzt werden. Ob sie in der historischen Arbeit überhaupt einen Platz hat, scheint mir zweifelhaft. Der Rückgriff auf ein „… gänzlich kontingentes Widerfahrnis Jesu“, das U. Wilckens, Das Offenbarungsverständnis in der Geschichte des Urchristentums, in: W. Pannenberg (Hrsg.), Offenbarung als Geschichte, Göttingen 1961, 42-90, hier: 54, herausstellt, bleibt fragwürdig: es entspricht nicht der biblischen Tradition, das eigentliche Gottesgeheimnis in die Kontingenz existentieller Erfahrung zu verweisen; vielmehr stellen die Propheten, aber auch Paulus und die JohApok das begründende Ursprungsgeschehen der Gottesbegegnung heraus. Wenn man hierin von der Jesus-Tradition nicht grundlegend anderes erwartet, zeigen Taufe, Verklärung und Mt 11,25ff. einen ähnlichen Ansatz. 295 Vgl. o. S. 361ff. und P. Hoffmann, Studien, 119f. 296 So A. Polag, Christologie, 160 Anm. 491 und 160f. 297 Vgl. J.-A. Bühner, Der Gesandte, 1977, 195-200. auf sein die βασιλεία-Ansage tragendes christologisches Geheimnis. Die bisher offen gelassene Möglichkeit, dass 11,27 ursprünglich selbständig war, bzw. 11,25f. ohne 27 tradiert wurden, wird unwahrscheinlicher. 11,27 scheint für 11,25f. sachlich notwendig. Es scheint uns historisch nicht möglich zu sein, für die These einer ur‐ sprünglichen Selbständigkeit von 11,25f. auf ein besonderes Gottesverhältnis Jesu zurückzugreifen, ohne dies traditionsgeschichtlich zu bestimmen. Kate‐ gorien wie „existentiell-dialogisches Gottessohn-Verhalten“ 294 bilden eine un‐ verhüllte unhistorische Eintragung. Traditionsgeschichtlich weist 11,25f. auf einen ‚objektiven‘, himmlischen Offenbarungsvorgang, der das christologische Geheimnis Jesu trägt. Dass dies je anders bestimmbar war als durch 11,27 angedeutet, ist kaum glaublich. Man tut entsprechend gut daran, auch 11,27 nicht zu ‚entschärfen‘, um einen für unser modernes Empfinden erträglicheren, d. h. verhüllteren christologischen Anspruch Jesu zu erhalten. Drei mit ein‐ ander verbundene exegetische Ergebnisse, die von der generischen Deutung Jeremias ausgehen, sind zurückzuweisen: die generische Deutung selbst, die widersprüchlich bleibt; 295 die Reduktion des πάντα auf ‚alle Offenbarung‘; die Entfernung von ὑπὸ τοῦ πατρός μου aus 27a und entsprechend die Behauptung, der Sohn sei in 27 unbetont. 296 Die Aussage ‚alles ist mir von meinem Vater übergeben‘ greift kultur- und rechtsgeschichtlich zurück auf den ‚Haussohn‘, der über den ganzen Besitz des Vaters verfügen darf. 297 Im Weingärtner-Gleichnis sind wir ebenfalls auf diesen kulturgeschichtlichen Hintergrund gestoßen: Der Sohn aus dem Haus ist der Erbe. Bei den Rabbinen wird Mose wiederholt mit dem Haussohn verglichen, 426 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 298 Vgl. Ex r 43,6: Womit lässt sich die Übergabe der Thora vergleichen? ךלמל היהש ול תיב וטילשהו לע לכ המ היהש ול Pes r 10 (Friedm. 35b); Nu r 4, 1; Sifre Zutra (Horowitz 276, 1-3); Fragmenten-Targum zu Nu 12,7. 299 Vgl. o.S. 204f. 300 Vgl. o.S. 229f. 301 Vgl. o.S. 230. 302 Editio Odeberg, Kap. VII (= Schäfer § 11). 303 Editio Odeberg, Kap. IX (= Schäfer § 12). 304 Editio Odeberg, Kapp. Xf. (= Schäfer §§ 13 f.). 305 Editio Odeberg, Kap. XII (= Schäfer § 15). 306 Odeberg, Kap. XLVIIIC (= Schäfer § 73). Die LA באכ ist nicht sicher; daneben begegnen הבהאכ und בוהאב. Diese Offenbarung ist Teil der kosmischen Inthronisierung des Me‐ tatron. Man hat den Eindruck, als wirke in dieser Verbindung von ‚Intimität‘ und ‚kos‐ mischer Vollmacht‘ Nu 12,6-8 nach. 307 So auch P. Hoffmann, Studien, 120; J. Schniewind, Mt.-Komm., 151. dem der Hausherr alles übergeben hat. 298 Biblische Wurzel ist Nu 12,6-8: Mose ist mit dem ganzen Haus betraut. Als intimer Freund Gottes, ursprünglich wurde diese Tradition prophetisch-ekstatisch verstanden, ist er beteiligt an Gottes kosmischer Macht. 299 Die Offenbarungsvollmacht des Mose ruht auf seiner umfassenden Vollmacht-Position im Haus Gottes. Aufgrund seiner ‚Intimität‘ zu Gott wird Mose auch als ‚mein Sohn‘ angeredet. 300 Sohn im Haus und somit Intimus Gottes zu sein, ist zentrales Motiv auch in der Überlieferung von Choni: Er ist Haussohn, der deshalb an der himmlischen Macht Gottes partizipiert und deswegen Regen schaffen kann. 301 Seine Haussohnschaft rechtfertigt sogar die Verwendung des geheimen Gottesnamens. Die Verbindung von umfassender, himmlisch-kosmischer Offenbarungsvoll‐ macht kulminiert in der jüdisch-apokalyptischen Tradition in der Gestalt des Henoch-Metatron: Biblische Sätze wie Ex 23,20 und Dan 7,14 werden hier aufgenommen. Henoch wird vor den Thron Gottes entrückt und, bevor er zum obersten Diener am Thron der Herrlichkeit bestimmt wird, öffnet Gott ihm alle himmlischen Offenbarungsgaben. 302 Dann wird er zu kosmischer Größe erhoben, 303 bekommt einen Thron wie die Gottheit selbst, wird nochmals in aller himmlischen Weisheit unterwiesen 304 und schließlich, weil die Liebe Gottes zu ihm die zu allen anderen Kindern des Himmels übersteigt, zum ‚Kleinen Jahwe‘ erhoben. 305 Er ist dem ganzen himmlischen Hausstand vorgesetzt, als solcher steht Gott zu ihm in einem Verhältnis wie ein Vater. 306 Die Offenbarungsvollmacht ist in diesem kultapokalyptischen bzw. kultcha‐ rismatischen Hintergrund, dem wir Mt 11,27 zuordnen, eine Konsequenz der Teilhabe an Gottes kosmischer Macht. 307 Die 1. Zeile von V. 27 beschreibt Jesu Stellung als die des general-bevollmächtigten Haussohnes Gottes. Dieser Rechtsbegriff weist zurück auf die Aussendungsüberlieferung: Der erste Ge‐ 427 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 308 Vgl. Theologie, 64 f., unter Hinweis auf Dodd, Une parabole cachée dans le quatrième Evangile, in: RHPhR, 42 (1962), 107-115 und P. Gaechter, Zur Form von Joh 5,19-30, in: J. Blinzler u. a. (Hrsg.), Neutestamentliche Aufsätze, FS J. Schmid, 1963, 65-68, hier: 67. 309 So P. Hoffmann, a. a. O., 121. 310 So auch J. Blank, Die Sendung des Sohnes, a. a. O., 29. 311 Gegen Bultmann, Geschichte der synoptischen Tradition, 172; vgl. A. Polag, Christo‐ logie, 161 492 . 312 Studien, 121. 313 Ebd. 314 Vgl. P. Hoffmann, Studien, 123-131. sandte (Lk 10,16) ist der Sohn aus dem Haus. Diese Rückbindung passt im Rahmen der Q-Überlieferung eindeutig besser als die aus dem Handwerksleben genommene Deutung von Jeremias. 308 Man darf die Eigenart dieser Sohn-Lehre nicht vorschnell überspringen, indem man 27a auf die Vollmacht des kommenden Menschensohnes bezieht. 309 Freilich sind Verbindungen zu Dan 7,14 gegeben, doch vermeidet Mt 11,27 den Menschensohn-Begriff und setzt stattdessen den Sohn-Begriff, 310 der offenbar die gegenwärtige Gültigkeit der eschatologischen Vollmacht besser aussagen und stärker auf das besondere Gottesverhältnis des Menschen Jesus hinweisen kann als die mythologisch einsetzende Menschensohn-Lehre. Wir haben betont eine Aussage des Irdischen, nicht des Auferstandenen, 311 vor uns. Die Schwie‐ rigkeiten, die Hoffmann sich macht, wenn er einerseits den Menschensohn als kommenden Machtträger bezeichnet, anderseits aber feststellen muss, dass Mt 11,27 auf die Machtübernahme zurückblickt, Q also Jesus als den zum kommenden Menschensohn Erhöhten bekenne, 312 ohne jedoch die Erhöhung als eine eigene christologische Stufe zu bezeichnen, 313 diese Schwierigkeiten enthält der Text nicht, wenn man ihn nicht an einem, zumal zukünftigen, Menschensohn-Begriff festmacht. Vielmehr spricht Jesus hier als Sohn, der Zutritt zum himmlischen Haus des Vaters hat. In der Vision ist er vom Thron Gottes aus als Sohn angesprochen und in die Generalvollmacht des Haussohnes hineingenommen worden. Die Zeilen 2-4 von Mt 11,27 kreisen um das gegenseitige Erkennen von Vater und Sohn. Es geht um eine innere Ge‐ meinschaft, die nach außen hin nur durch den offenbarenden Sohn - aus seiner Vollmacht heraus ist dies wiederum eine Offenbarung, die Gott authorisiert - erschlossen werden kann. Damit schließt sich der Ring durch Rückverweis auf die bevollmächtigende und dadurch Anteil am christologischen Geheimnis des ersten Gesandten gebende Aussendung. Der Erkenntnis-Begriff ist dabei nicht gnostisch, sondern judenchristlich-apokalyptisch bestimmt. Dies ist durch den Zusammenhalt mit 11,25f. gegeben. 314 Die Entfaltung der 1. Zeile in der 2. lautet dann: Keiner weiß um das Geheimnis des Sohnes außer dem Vater, der ihn 428 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 315 So J. Schniewind, Mt.-Komm., 152. 316 P. Hoffmann, Studien, 130. 317 Ebd. 318 Vgl. o.S. 363ff. 319 A.a.O., 131f. erwählt hat. 315 Das Geheimnis Jesu ruht in einem himmlischen Ratschluss, in einem irdisch nicht zugänglichen Geschehen an ihm. Weil aber nun der Vater sich in der Erwählung des Sohnes an ihn bindet, ihm alles übergibt, ihn zu seinem Haussohn macht, hat der Sohn die Offenbarungsvollmacht. Bildlich und zugleich sachlich gesprochen: Der Haussohn hat den Schlüssel zur Tür, die in das Haus des Vaters führt. Verwandt ist Henoch 62,9f.: Die Erwählung des Menschensohnes bedeutet ein himmlisch-eschatologisches Geheimnis, das offenbart werden muss. 1Hen spricht aber mythisch-objektiv, deshalb in der Menschensohn-Sprache. Mt 11,27 spricht der irdische Jesus als Charismatiker in der Sprache visionärer Unmittelbarkeit. „Den Sohn zu erkennen heißt, die Stellung und Aufgabe erkennen, die der Sohn in den Plänen des Vaters - der Welt grundsätzlich verborgen - einnimmt.“ 316 Diese Auslegung von Hoffmann wäre richtig, wenn die Worte ‚in den Plänen‘ nicht wieder eine zukünftige Perspektive ausdrücken würden: Es geht in Mt 11,27 erkennbar nicht um Pläne mit dem Sohn, sondern um Erwählung in einem himmlischen Akt, der eine dynamische Bedeutung hat im Sinne einer sich realisierenden Eschatologie. Entsprechend geht es nicht um das Wissen, dass Jesus der kommende Menschensohn ist, 317 sondern darum, dass er zum himmlischen Haussohn Gottes erwählt wurde. Wenn irgendwo, so ist in dieser Überlieferung betont, dass die eschatologische Bedeutung Jesu in einer himmlischen Erwählung und Einsetzung beruht, die eine eschatologische δύναμις schon jetzt freisetzt. Dass das Geheimnis Jesu in einer himmlischen Erwählung des Irdischen ruht, entspricht der Tauf-Tradition. Die Taufe markiert ursprünglich ein visio‐ näres Geschehen an Jesus, in dem er in das himmlische Kulthaus des Vaters aufgenommen und als Geistträger, der mit der Heiligkeit Gottes verbunden ist, seine Mission antritt. 318 Eine traditionsgeschichtliche Verbindung von Mt 11,27 mit der Taufüberlieferung, liegt m.A.n. näher als die Annahme, es handle sich ursprünglich um Ostertradition, die historisiert wurde. Mt 28,18 ist litera‐ risch (MtS) und sachlich eine sekundäre Tradition. Hoffmann endet in der Konstruktion, dass eine Tradition von der Vollmacht des zur endzeitlichen Offenbarung kommenden Menschensohnes zu Grunde liege (Lk 17,30); 319 die zukünftige Vollmacht als Menschensohn nehme der Auferstandene in der Phase 429 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 320 A.a.O., 133. 321 A.a.O., 136-138. 322 So P. Hoffmann, Studien, 132, im Anschluss an D. Lührmann, Das Offenbarungsver‐ ständnis bei Paulus und in paulinischen Gemeinden, 1965, 98-104. 323 Vgl. o.S. 322ff. der Antezipation der eschatologischen Offenbarung in der Gestalt der Weisheit wahr. 320 Der Sohn von Mt 11,27 sei in Wahrheit die Weisheit. 321 Dadurch wird der im Text tatsächlich genannte Begriff ‚Sohn‘ herausexegesiert und durch zwei ersetzt, die in ihm nicht vorkommen, den des Menschensohnes und den der σοφία. Kann man überhaupt den christologischen Offenbarungsvorgang und seine Implikationen von dem Modell aus verstehen, es ginge um eine eschatologische Offenbarung und ihre Antezipation? 322 Auch wenn Q mit Lk 12,2-9 par Mt 10,26-33 die Kenntnis des Gegensatzes ‚jetzt verhüllt‘ - ‚dann offenbart‘ bezeugt, so ist gerade der christologisch relevante Bekenner-/ Verleugner-Spruch nicht am Gegensatz ‚jetzt‘ - ‚einst‘, sondern an dem der Entsprechung ‚irdisch‘ - ‚himmlisch‘ ausgerichtet. 323 Es hat den Anschein, als sei gerade durch die Christologie ( Jesu) eine Intensivierung der Eschatologie eingetreten, die den reinen Zeitablauf überholt. Mt 11,25-27 liegt ein Gegensatz ‚jetzt‘ - ‚einst‘ nicht nahe. Eher ist diese Überlieferung an einer Entsprechung ausgerichtet: Die himmlische Erwählung, das himmlische Geheimnis, führt irdisch zu einer eschatologischen Dynamik. Wenn auch die Frage, ob Mt 11,27 auf den irdischen Jesus zurückgeht, wegen der Semitismen möglicherweise positiv, aber nicht mit letzter Sicherheit zu be‐ antworten ist, so ist doch anzuerkennen, dass V. 27 die Verse 25 f. deuten will und die christologische Basis nennt, ohne die 25 f. als völlig formale Aussagen in der Luft hingen. Es geht um die himmlische Erwählung, das himmlische Geheimnis hinter Jesu Christologie. Im kult-apokalyptischen Kontext betrachtet, blicken 25-27 auf die Vision zurück, der Jesus in der Taufe teilhaftig wurde und zu deren Zeugen die an seiner ἐχουσία beteiligten Jünger geworden sind. Jesus ist Haussohn aufgrund eines Eingangs in das himmlische Haus Gottes; dabei wurde ihm, in der Vision, alles übergeben. In 25 f. dankt Jesus dafür, dass Gott die Jünger an seinem himmlischen Geheimnis beteiligt hat. Christologisch bekommt die Rückbindung an die Aussendungstradition nochmals ein besonderes Gewicht: Der Botenbegriff, den Lk 10,1.16 (vgl. die Mk-Tradition Mk 6,7) und 11,27a verwenden, kommt aus dem jüdischen Boten‐ recht, hat aber schon in dieser frühen Traditionsstufe kultrechtliche Anklänge: Jesus ist der himmlische Haussohn (11,27), der ἀπόστολος/ חילש (Lk 18,16) Gottes; dies ist er als der himmlische Hohepriester, dem der ἀπόστολος- und 430 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 324 Hebr. 3,1. 325 Vgl. Anm. 270. חילש-Titel zukommt. 324 In sein eschatologisch-priesterliches Wirken nimmt er die Jünger als Substituten hinein, die so an seiner himmlischen Berufung par‐ tizipieren. Sohn ist in dieser Tradition der visionär berufene, himmlisch-escha‐ tologische Hohepriester. Zur Begründung: 1. Die Aussendungstradition kennt einen christologischen Botenbegriff, der die verbindliche Repräsentation Gottes ausdrückt (Lk 10,16). Die Mk-Fassung, die in eine mit Q gemeinsame vorlaufende Tradition verweist, 325 betont mit dem ἐξουσία-Begriff (Mk 3,15) den gleichen Zusammenhang, den Q mit dem pneumatischen δύναμις-Begriff ebenfalls voraussetzt (Lk 10,13). Gott hat von seiner eigenen Macht über die Schöpfung an den Christus, als ersten Boten, und an seine Substituten abgegeben. 2. Dieser Botenbegriff ist mit dem Sohn-Begriff Mt 11,27a verbunden: Der erste Bevollmächtigte ist Sohn. Diese christologische Konzeption kann man nicht auf eine Propheten-Struktur zurückführen, da der Prophet nicht eigentlich Vollmacht hat und nicht Sohn ist. 3. Die Sohnes-Tradition weist zurück in die Bevollmächtigung über das himmlische Haus; die Berufung im himmlischen Haus hat zwar prophetische Wuzeln ( Jes 6), aber die Bevollmächtigung zum Sohn über das himmlische Haus weist in eine kult-ontologische Symbolik nach Nu 12,6-8. Diese geht hinüber in die priesterliche Menschensohn- und (später die) Metatron-Tradition: Die himmlische Vollmacht dieser Gestalten ruht auf einem kultischen Fundament. 4. Die Sendung der Jünger bedeutet das Bringen der Heilsgaben des himmli‐ schen Hauses der Heiligkeit Gottes, nämlich die Gegenwart der βασιλεία und ihrer sichtbaren Zeichen in Heilungen und Umkehr der Herzen. Da hier nicht die Heiligkeit Gottes vom Profanen durch Abgrenzung geschützt wird, sondern sie in die profane Welt hineingetragen wird, ist die Sendung der Jünger mit der Erwartung verbunden, dass das Profanum sie angreift und gefährdet. Die Über‐ bringung ihrer Gabe erfolgt in einem kultischen Machtwort, ähnlich dem pries‐ terlichen Segen, welches aber, entsprechend der besonderen Gefährdung, durch die Möglichkeit geschützt ist, zurückgenommen zu werden. Die Boten bringen jedenfalls keinen prophetischen Appell, sondern die םולש - δύναμις der Heilig‐ keit Gottes als eschatologische Wirklichkeit. 5. Der traditionsgeschichtliche Anschluss dieses Botenbegriffs nur an das Vorbild einer prophetischen Sendung stehen also Schwierigkeiten entgegen. Es ist deshalb wichtig, zu sehen, dass das Judentum einen priesterlichen Botenbe‐ 431 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 326 „Huna ben Joshua (Bab. ca. 350) sagte: die Priester sind ןיחולש der Gottheit, denn wenn man behaupten wollte, sie seinen unsere ןיחולש, dann wäre mit Recht der Einwand zu erheben: gibt es denn einen Fall, in welchem wir selbst nicht handeln können, sie (die ןיחולש) aber für uns handeln können? “ (bKidd 23b). 327 Mal 2,7; Sach 3,7. 328 Das ὅνομα (Joh 17,6.11f.26) ist das Kultgeheimnis der eschatologischen Gottesgemein‐ schaft; es geht im Handeln des Christus an den Seinen um ein ἁγιάζειν, das zur Ge‐ meinschaft mit dem πατὴρ ἅγιος befähigt (15,3; 17,11.17.19); die Reinigung (καθαρός) ist die kultische Vorbedingung (13,10). 329 Vgl. M Joma 1,5: der Hohepriester ist der חילש des Priesterkollegiums; nach altbibli‐ schem Recht ist der Priester Vertreter des Volkes vgl. Z.W. Falk, Hebrew Laws in Biblical Times, 1964, 106 5 . griff kennt, nach dem die Priester ןיחולש Gottes sind, weil sie von Gott geheiligt sind und das heilige, kultische Geschehen wahrnehmen dürfen, das eigentlich Gott selbst obliegt. 326 Älter als der Rechtstitel חילש ist der priesterliche Ehren‐ name ךאלמ: 327 der Priester ist ךאלמ-ähnlicher Bevollmächtigter Gottes, der Zu‐ gang zum himmlischen Haus hat. 6. Stärker als wir dies früher betont haben, muss wohl gesehen werden, dass auch Paulus und Johannes einen priesterlich geprägten Botenbegriff voraussetzen. Die kultischen Konnotationen, die auch die johanneischen Ab‐ schiedsreden mit der Sohn-Sendungs-Christologie verbinden, 328 scheinen dafür zu sprechen. Für die in Q zutage tretende Jesus-Tradition ist auf Hebr 3,1ff. 4,14 hinzu‐ weisen: Auch hier wird eine Tradition rezipiert, die einen christologischen Bo‐ tenbegriff mit dem Hochpriester-Sein und Sohn-Sein Jesu verbindet. Auch dabei werden die Christen ausdrücklich als Anteilhaber an der Apostelstellung des Christus bezeichnet (3,1.14). Besonders wichtig ist die Rückbindung an Mose (Nu 12,6-8). Hier liegt eine genuin biblische Basis für einen neben dem Prophe‐ tischen liegenden kultrechtlichen Botenbegriff, der auf die Hochpriester- und Sohnes-Stellung hinweist. Sohn ist der zum Thron Gottes vorgelassene, himm‐ lische Hohepriester, der als solcher nicht nur Intimus Gottes ist, sondern Be‐ vollmächtigter über sein Haus, sein חילש und ἀπόστολος. Wichtig ist, dass der himmlische Hohepriester nicht nur Bevollmächtigter Gottes ist, sondern darin zugleich Repräsentant der Kultgemeinschaft. Auch dieses, nur aus dem Kult‐ recht des Judentums verständliche, 329 doppelseitige Vertretungsverhältnis, ent‐ spricht Hebr 3,1; 4,14: Wir sind Teilhaber an seiner himmlischen Berufung (3,1.14), haben durch ihn Zugang zum himmlischen Gnaden-Thron Gottes (4,16), wobei Jesus als unser Hoherpriester unser Bekenntnis zu seiner Sohnschaft (4,14) zu einer himmlisch-eschatologischen, kultischen Heilswirklichkeit werden lässt. Dies ist auch der Hintergrund von Mt 11,25ff. (und Joh 3,11ff.): 432 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters Jesus dankt für die den Mit-Boten, Mit-Berufenen gewährte Teilhabe an seinem himmlischen Geheimnis. Diese Zusammenhänge werfen natürlich die Frage auf, ob in der Q-Tradition lehrhafte zusammenhänge der Tauftradition des Urchristentums historisiert werden. Wenn wir an einen urchristlichen Überlieferungskreis denken, so werden wir wieder an die kult-apokalyptische Tradition der judenchristlichen ‚Hellenisten‘ des vorpaulinischen Antiochien erinnert. Dass ihre Tradition aber gute Rückbindung an den irdischen Jesu hat, geht in diesem Fall aus folgenden Beobachtungen hervor: der christologische Ansatz in der Sohn-Christologie geht auf Jesus zurück, zumal er eng mit der sicherlich in der Grundlage jesuanischen Menschen‐ sohn-Christologie zusammenhängt; - 1 Kor 9,13f. führt Paulus den priesterlichen Apostelbegriff ausdrücklich auf den κύριος zurück, also auf eine Tradition, die nach Lk 10,7 als Überliefe‐ rung des Irdischen galt. Die Verkündiger des Evangeliums sollen, gleichsam in Rechtsnachfolge der aaronidischen Priester am Heiligtum (Num 18,8.18f.), von ihrem heiligen Dienst leben. Die Zusammenstellung von ἐργάτης- und ἀποστέλλω-Begriff in Lk 10,7.16 begegnet genauso bei Paulus in 1 Kor 9,1.13. Es gab also schon sehr früh eine alte, auf Jesus zurückweisende Botenlehre, die kultrechtliche Anklänge an den priesterlichen Botenbegriff hatte. Vor diesem Hintergrund bekommen die Einzelzüge in Mt 11,25-27 einen nochmals präzisierbaren Sinn: Jesus spricht hier im Gegenüber zu den Jeru‐ salemer Autoritäten; sie sind die Weisen und Verständigen, die das Gottesge‐ heimnis und die Frage nach der kosmischen Herrschaft Gottes zu ihrer Aufgabe rechnen. Jesus wendet sich an den ‚Herrn des Himmels und der Erde‘, um auf das Gottesprädikat des offiziellen, kultischen Judentums Jerusalemer Prägung zurückzugreifen und diesen Gott des Alten Bundes als den Vater zu zeigen, der sich an ihn und diese νήπιοι in seinem Jüngerkreis gebunden hat. Eine ähnliche Spannung liegt in der Choni-Überlieferung: Auch er wendet sich vor dem Hintergrund offizieller Tempeltheologie an den ‚Herrn der Welt‘ und bezeichnet sich diesem ‚Herrn der Welt‘ gegenüber als ‚wie ein Haussohn‘, der also über den Hausstand des Vaters verfügen darf. Choni verwendet das Geheimnis des Jerusalemer Kultes, den Gottesnamen. Der Gottesname ist Zeichen und Mittel des Eindringens in die Gegenwart Gottes, wobei Offenbarung durch Gott und ein charismatischer Gotteszwang des Theurgen ihren Gegensatz verlieren. Dies führt zu einer letzten Frage: Hat auch Jesus den Gottesnamen gekannt, der Zeichen und Mittel des ihm gewährten, geoffenbarten Zugangs zu Gott ist? Dafür käme dann nur der eigentliche Gottesname der Offenbarung Jesu, das ἀββά/ ὁ πατήρ, in Frage: Seine 433 6. Offenbarung und Vollmacht des Sohnes nach Mt 11,25-27 par. Lk 10,21f. 330 Vgl. Röm 8,14f.; Gal 4,6. noch für die Urchristenheit bestimmende ekstatische Kraft, die die himmlische Freiheit der Kinder Gottes anzeigt, 330 rührt historisch am einfachsten daher, dass Jesus diesen mit seinem christologischen Geheimnis verbundenen Gottesnamen den Jüngern weitergegeben hat, die so an der δύναμις dieses Namens, wie Jesus sie erfahren hat, partizipieren durften. 434 B) Der Grund der Vollmacht Jesu: er gehört zum Haus des Vaters 1 Vgl. W.G. Kümmel, Ein Jahrhundert Erforschung der Eschatologie des Neuen Testa‐ ments, in: ThLZ, 10 7 (1982), 81-96 bes. 87-89, und G. Klein, Art. ‚Eschatologie IV 2‘, in: TRE, X, 1982, 271-274, bes. 273 f.; H.W. Kuhn, Enderwartung und gegenwärtiges Heil, 1966, 189-204. 2 Vgl. o.S. 251ff. 3 Vgl. o.S. 363ff. 4 W.G. Kümmel, Verheißung und Erfüllung, Zürich 1953 2 (AThANT 6), 147. 5 A.a.O., 132. C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt 1. Jesus und die Christologie Jesu Heilswirken und seine Basileia-Zusage bilden eine Eschatologie, die stark präsentifizierende Züge trägt. Diese, in der neueren Forschung wieder stärker betonte, Einsicht 1 hat nicht nur christologische Implikationen, sondern ruht auf einem expliziten christologischen Fundament auf. Schon eine frühe polemische Tradition, so haben wir versucht wahrscheinlich zu machen, 2 deutet Jesu antidämonisches Wirken und damit auch seine Ansage von der Gegenwart der βασιλεία christologisch: ‚er hat den Beelzebul‘ ist pole‐ mische Umformung von Jesu Anspruch, mit dem himmlischen Menschensohn verbunden zu sein. Auch der zweite christologische Ansatz, den wir untersucht haben - die Beziehung Jesu als Sohn zum Vater im Himmel -, ist nach unserer Analyse nicht bildmäßig-generisch zu sublimieren, sondern in dem Anspruch Jesu ernst zu nehmen, dass er Zugang zum Haus des Vaters hat, aus der Vollmacht des Vaterhauses heraus handelt. 3 Dass die präsentifizierende Eschatologie Jesu an die Vollmacht Jesu selbst gebunden ist, hat W.G. Kümmel in seinem Buch ‚Verheißung und Erfüllung‘ deutlich gemacht. Präsentifizierende Züge in Jesu Eschatologie weisen zurück auf „Gottes Handeln in Jesus selber“; 4 „Jesus hat die Gegenwart der Gottesherr‐ schaft vor der für die nahe Zukunft erwarteten Parusie nur in seiner Person und in seinem Wirken gesehen und keine andere Vergegenwärtigung der eschatologischen Vollendung gekannt.“ 5 Damit weist Kümmel der besonderen, auch präsentifizierenden, Eschatologie Jesu einen Platz innerhalb der Christologie Jesu zu: „…der wesentliche Gehalt der Predigt Jesu von der Gottesherrschaft (ist) die Botschaft von der göttlichen 6 A.a.O., 147. Vollmacht des auf Erden erschienenen und am Ende erwarteten Jesus als des Wirkers des göttlichen Gnadenwillens.“ 6 Die Gegenwart der βασιλεία hängt also an der ἐξουσία Jesu. Kümmels Formulierung macht aber deutlich, dass diese ἐξουσία des Irdischen für Kümmel nur aussagbar ist in einem unverhüllten Sprung in die Denkformen des nachösterlichen Kerygmas und in den Bereich des Glaubens an die Auferstehung. An diesem Punkt versucht die vorliegende Untersuchung die historische Erkenntnis weiterzuführen, indem sie herausstellt, dass für Jesus die Reklamation einer eschatologischen Vollmacht grundlegend nur durch eine Bestimmung seines Verhältnisses zu Gott im Himmel aussagbar war. Ostern realisiert (nur) in neuer und endgültiger Weise die Zugehörigkeit Jesu zur himmlischen Heiligkeit Gottes, die zuvor für den Irdischen durch seine Berufung, seine Herkunft „von vor dem Thron Gottes“ aus begründet war. Der Einsatz der Kategorie des Himmels als der der Heiligkeit Gottes nahen Sphäre erweist sich für das Nachzeichnen der christologischen Ansätze bei Jesus selbst, vor dem Hintergrund auch des apokalyptischen Judentums, als notwendig. Seine ἐξουσία und das Wirken des göttlichen Gna‐ denwillens in der Gegenwart seines irdischen Auftretens hängen für Jesus daran, dass er aus der direkten Nähe des himmlischen Vaters kommt. Beide Ansätze der Christologie Jesu, die Menschensohn- und die Sohn-Lehre, kreisen um einen gemeinsamen Punkt. Der Menschensohn ist traditionell, und auch bei Jesus, eine Gestalt, die zur himmlischen, heiligen Thronwelt Gottes gehört; sie ist deshalb eine priesterliche Gestalt, die zur Heiligkeit Gottes gelangt und erst als solche herrschaftliche Macht vom himmlischen Haltepunkt der Schöpfung aus wahrnimmt. Die Herrschaftsaussagen der Menschensohn-Tradi‐ tion bauen auf einem priesterlich-interzessorischen Fundament auf. Wenn Jesus von sich in Verbindung mit dem Menschensohn spricht, dann weist er in die himmlische Thronwelt der Heiligkeit Gottes, mit der er als Menschensohn ver‐ bunden ist. Dieses Verbundensein mit dem Menschensohn steht als einheitliche Grundlage hinter den in der Forschung gewöhnlich differenzierten Gruppen der Menschensohn-Sprüche. Der Menschensohn ist der ‚Engel‘ Jesu, durch den Jesus, als Irdischer, Leidender und Kommender, jetzt schon vor dem Angesicht Gottes im Himmel steht. Dies ist nun aber auch der Anspruch seiner Sohn-Würde: Als Sohn gehört er in das himmlische Haus des Vaters, hat er Zugang vor das Angesicht des Vaters und nimmt an seiner Herrschaft über die Schöpfung teil. Auch als solcher Sohn ist er eine in der Grundlage priesterliche Gestalt, da es hierin um die Begegnung mit der Heiligkeit Gottes geht. 436 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt 7 Vgl. o.S. 93f.97.113f. 8 Vgl. CD 3,8ff.: „Aber Gott in seinen wunderbaren Geheimnissen sühnte ihre Sünde und vergab ihre Missetat und baute für sie ein festes Haus in Israel, wie noch keines gestanden hat seit ehedem bis jetzt. Diejenigen, die sich daran halten, sind für das ewige Leben (bestimmt), und ihnen gehört alle Herrlichkeit Adams, wie Gott es ihnen durch den Propheten Ezechiel bestimmt hat: Die Priester und die Leviten und die Söhne Zadoqs … Die Priester sind die Umkehrenden Israels …“ Dazu vgl. J. Maier, Die Texte vom Toten Meer, Band II: Anmerkungen, 1960, 46 f. Jub. 1,24 wird die Sohnes-Verheißung aus 2Sam 7,14 im Kontext von Ez 36,22ff. auf das kultisch geordnete Israel der Endzeit übertragen. 9 Vgl. S. 145f. 152f. 156f. 10 Vgl. o.S. 265. Zu beachten ist, dass die Tradition vom Davidsohn nach 2Sam 7 eine zuneh‐ mend priesterlich-messianische Deutung erfahren hat. Schon 1Chr 17,14, ändert 2Sam 7,16 so um, dass nicht mehr das Haus Davids, sondern das Haus Gottes im Mittelpunkt steht. Tempelbau und Anteilhabe an der Herrschaft, die vom Haus = Tempel ausgeht, hängen zusammen. Entsprechend verdeutlicht der Targum: הינמיקאו ןמיהמ ימעב תיבב ישדקמ יתוכלמבו דע אמלע יסרובו היתוכלמ רקתמ דע אמלע. Gottesvolk, Tempel und göttliches Königtum sind die Größen, die die Herrschaft des Davididen qualifizieren. Das ןמיהמ nimmt offenbar bewusst auf den priesterlichen Hausbegriff von Nu 12,7b und 1Sam 2,35 Bezug. Nu 12,7b Jeruschalmi I: לכב יתיב לארשי ימע ןמיהמ אוה 1 Sam 2,35 Tg: םיקיאו ימדק ןיהכ ןמיהמ . Beide Texte liegen auf einer priesterlich-messianischen Deute-Linie; Tg 1Chr 17,14 will den Davididen als priesterlichen Herrscher aus der heiligen Kult‐ sphäre Gottes verstehen. Es ist deshalb konsequent, wenn der Sohn-Titel in der Levi-Tradition auf den Priester angewendet wird 7 und die Nathan-Weissagung in Qumran-Traditionen auf die Mitglieder des eschatologischen, pneumatischen Priestervolkes Anwendung findet. 8 Die gleiche priesterlich-pneumatische, auf den (himmlischen) Kultbereich als Fixpunkt der Herrschaft des Christus abhebende Deutung liegt auch hinter Mk 12,35-37. Es geht um einen priesterlich-pneumatischen Durchbruch durch die irdische Genealogie. Beide christologische Aussagebereiche weisen auf Jesu Beziehung zum Täufer zurück: Für die Sohn-Tradition ist dies durch die Tauf-Überlieferung in‐ sofern wahrscheinlich, als die Sohnesstellung des himmlisch-eschatologischen Hohenpriesters vorneutestamentlich bezeugt ist 9 und die Levi-Tradition dem priesterlichen Milieu des Täufers nahesteht. Für die Menschensohn-Tradition ist eine Rückführung auf Jesu Beziehung zum Täufer insofern sehr wahrscheinlich, als der Täufer auf den Stärkeren verwiesen hat, worunter am besten der Menschensohn als himmlisch-eschatologische Priestergestalt zu verstehen ist. 10 437 1. Jesus und die Christologie 11 Lk 1,5: beide Eltern stammen aus priesterlichem Geschlecht; durch 1,6 wird verdeutlicht, dass die Genealogie Grundlage für einen priesterlichen Chassidismus ist. 12 Vgl. dazu o.S. 156f. 13 Vgl. o.S. 156f. Auf den Menschensohn passt auch die angelologische Begleitlinie, die von der christologischen Rückbindung Jesu an den Täufer ausgeht. Der Täufer hat priesterlich gedacht, und es ist historisch am wahrscheinlichsten, dass er einer priesterlichen Christologie den Weg gebahnt hat. Jesus ist als Sohn, dem der Zugang zur Heiligkeit Gottes in der Taufe gewährt wurde, zugleich geheimnisvoll mit dem Menschensohn verbunden: Seine Sohnes-Vollmacht ist durch den Menschensohn soteriologisch und eschatologisch definiert, insofern der Menschensohn für die zu ihm Gehörenden, gleichsam inklusiv, die heilvolle Gemeinschaft mit der Heiligkeit Gottes herstellt, die βασιλεία bringt. Die Jesus-Tradition steht durch diese beiden christologischen Linien, die ihren Ausgangspunkt beim Irdischen nehmen, auf einem Fundament der Er‐ wählung Jesu zum himmlisch-eschatologischen Hohenpriester. Kommen wir historisch noch näher an den irdischen Jesus heran? Jesu Auftreten setzt von Anfang an voraus, dass sein priesterliches Wirken gelöst ist von der aaronidisch-levitischen Kultordnung des Jerusalemer Tempels: Jesus stammt nicht aus priesterlicher Familie, ist nicht durch eine priesterliche Genealogie abgesichert. Dies bedeutet ein Abweichen vom Ansatz des Täufers, von dem die Tradition betont festhält, dass er Priester war. 11 Die älteste neu‐ testamentliche Tradition, die sich diesem Problem stellt, begegnet in Hebr 5,4-8; 7: Der Priester nach der Art Melchisedeks durchbricht die Genealogie der Leviten, weil er nach der Kraft unzerstörbaren Lebens zum Hohenpriester bestellt ist (7,16), und der genealogisch nicht gebundene Melchisedek gerade darin ihm, als dem Sohne Gottes, ähnlich ist (7,3). Wir stoßen hier auf eine eschatologische Priester-Lehre, die die irdische Genealogie von dem Gedanken der Neuschöpfung, die sich an diesem Priester vollziehen muss, 12 durchbricht. Dieses Geheimnis der Neuschöpfung, die allein wirklich Kontakt mit der Heilig‐ keit Gottes ermöglicht, liegt auch hinter der Menschensohn-Lehre Jesu: In seiner Beziehung zum Menschensohn ist Jesus der bloß irdischen Herkunft enthoben. Der eschatologische Hohepriester muss eine Gestalt ‚von oben‘ sein, weil nur so die Heiligkeit Gottes ihm offensteht. Als Menschensohn ist Jesus gleichsam ἀπάτωρ und ἀμήτωρ (Hebr 7,3). Das kultapokalyptische Grundprogramm von Ez 36 führt, sobald es mit der Frage nach dem Handeln Gottes durch eine Mittlergestalt verbunden ist, zur Erwartung eines priesterlichen Erlösers, der die Neuschöpfung erfahren hat und für andere erwirken kann. 13 438 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt 14 Vgl. dazu K. Niederwimmer, Askese und Mysterium, Göttingen 1975 (FRLANT 113), 12-41, bes. 39-41. 15 Vgl. Niederwimmer, a. a. O., 57 26 und O. Betz, Essener und Therapeuten, in: TRE, X, 1982, 386-391, hier: 388f. 16 Vgl. dazu Niederwimmer, a. a. O., 54-58. 17 Vgl. dazu o.S. 134 18 Vgl. dazu o.S. 219f. 19 H.e., II, 23,4-7. Dass der irdische Jesus, wenn er vom Menschensohn gesprochen hat, mit den Fragen eines priesterlichen Chassidismus befasst war, ist mehr als wahrschein‐ lich. Jesu Ehelosigkeit ist nach neutestamentlicher Tradition unbestritten. Seine eschatologisch-enthusiastische Kritik aller positiven Ehe-Bestimmungen, 14 wie sie vor allem aus Mt 5,28.29f.-32 spricht, macht wahrscheinlich, dass seine Ehelosigkeit nicht Zufall ist, sondern eben diesem eschatologischen Enthusi‐ asmus entspricht. Die priesterliche Begegnung mit der Heiligkeit Gottes würde durch Unreinheit des ehelichen Verkehrs unmöglich. Auch der Täufer wird ehelos gelebt haben, wie auch eine priesterlich-angelologische Begründung der Ehelosigkeit für die Essener deutlich ist. 15 Mt 19,10-12 weist in eine alte palästinisch-judenchristliche Rezeption - um das mindeste zu sagen - des anti-sexuellen Rigorismus der priesterlichen Apokalyptik des Judentums, der Jesus zugehört. 16 Auch die betonte Familienfeindlichkeit im Nachfolgeruf Jesu gründet in diesem eschatologischen Enthusiasmus, dass im Reich Gottes, d. h. in der Nähe seiner himmlischen Heiligkeit, eine engelähnliche, a-sexuelle, weil vom Himmel her neu geschaffene Existenz beginnt. Eine Spur der Engel-An‐ thropologie Jesu entdeckt man in Mt 18,10 und Mk 12,25 par. Schließlich nehmen auch die Geburtslegenden dieses aus priesterlichem Chassidismus stammende Motiv auf, wonach der mit der Heiligkeit Gottes mittelnde, ideale himmlisch-es‐ chatologische Hohepriester nicht durch männlichen Samen gezeugt ist. Ein ähnliches Traditionsmilieu begegnet in 1Hen 106 17 und im Midrasch von den 10 Märtyrern. 18 Diese breite priesterlich-chassidische Rezeption in der Christologie Jesu lässt darauf schließen, dass am Anfang, beim irdischen Jesus, ein priesterliches Selbstverständnis gegeben war, das mit innerer Notwendigkeit, wegen seiner Bindung an den Himmel, alle genealogische Verbindung nach hinten abreißt (vgl. auch Mk 12,35-37). In diesem Zusammenhang ist die Notiz des Hegesipp bei Euseb 19 über den Herrenbruder Jakobus von Wichtigkeit; die Familien-Tra‐ dition Jesu führte nicht nur zu einer Herausstellung der Herkunft von David, sondern daneben zu einem betont priesterlichen Selbstverständnis. Hegesipp zeichnet Jakobus als priesterlichen Heiligen, der die unreinen, dämonisch qualifizierbaren Speisen, Wein und Fleisch, mied. Als solcherart priesterlich 439 1. Jesus und die Christologie 20 H.e., II, 23, 13. 21 Vgl. o.S. 236ff. 22 Vgl. W. Bauer, Griechisch-Deutsches Wörterbuch, Berlin 1958 5 , 1694. Geheiligter durfte er sogar das Heiligtum, also den inneren Priesterbereich des Tempels, betreten. Auch trug er das priesterliche Leinen-Gewand. Er war ein dauernder Nasiräer, der im Tempel beständig Fürbitte für das Volk vor Gott einlegte. Das christologische Zeugnis des Jakobus weist ausdrücklich auf den Menschensohn. 20 Der Menschensohn, der zur Rechten der Großen Kraft thront, also zur unmittelbaren Sphäre der Heiligkeit Gottes gehört, überhöht offenbar die Verbindungskraft des Tempels, bzw. begründet sie neu, und schafft ein neues ungenealogisches Priestertum. Jakobus ist nach dieser Tradition jedenfalls Zeuge für eine in der Familie Jesu mögliche, nicht genealogisch gebundene, auf himmlische Heiligkeit zielende, priesterliche Lebensführung. Kann man von einer näheren Beziehung Jesu zu einem galiläischen Cha‐ rismatikertum sprechen? Die galiläische Herkunft dieser Gestalten ist nicht unumstritten, 21 jedoch für die Sippe des Choni wohl gesichert. Jesus verwandt ist jedenfalls das prägende Grundmotiv dieser Charismatiker, in betonter Weise in das Vorrecht des Tempels einzugreifen. Auch die Anwendung der Sohn-Be‐ zeichnung auf einen Charismatiker, außerhalb lehrmäßig-ideologischer Tradi‐ tionsbildung und ohne mythologischen oder eschatologischen Vorbehalt, steht dem irdischen Jesu näher als die priesterliche Messiaslehre. Da die galiläische Lebens-Phase Jesu für uns im Dunkeln liegt, kann man nur ganz vage vermuten, dass Jesus aus seinem galiläischen Milieu heraus mit einer Wunder-Gestalt wie Choni vertraut war und ihren priesterlich-charismatischen Ansatz einer Verbindung mit der Heiligkeit des himmlischen Vaters kannte. Geschieden ist Jesus von dieser Tradition durch seinen eschatologischen Anspruch. 2. Zur Eschatologie Jesu Jesu Wirken und seine Botschaft stehen auf dem priesterlich-christologischen Fundament der Sohn- und Menschensohn-Lehre. Weil Jesus diese himmlisch-es‐ chatologische Priestervollmacht hat, müssen die anti-kultischen Negativ-Kräfte Sünde, Tod und Teufel weichen. Der ‚Heilige Gottes‘ ist stärker als die unreinen, dämonischen Geister. Nach Lk 11,20 par Mt 12,28 hat Jesus seine christologische Vollmacht als ‚Ankommen‘ der βασιλεία bezeichnet. Φθάνειν hat eine räumliche Grundbe‐ deutung. 22 Durch diesen Satz wird noch stärker als durch Mk 1,15; Lk 10,9.11 440 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt 23 H.W. Kuhn, Enderwartung und gegenwärtiges Heil, a. a. O., 191, weist auf den möglichen Einfluss christlicher Missionssprache in Mk 1,15; Lk 10,9.11 par. Mt 10,7 hin. 24 Enderwartung und gegenwärtiges Heil, a. a. O., 181-188; D.E. Aune, The Cultic Setting of Realized Eschatology in Early Christianity, Leiden 1972 (NT S. 28) 29-44. 25 Vgl. a. a. O., 189.190.201f.203; ähnlich Becker, Das Heil Gottes, 1964, 206f. 26 A.a.O., 204. par Mt 10,7, wo ἤγγικεν steht, 23 deutlich, dass Jesu Eschatologie nicht in einem rein zeitlichen Denkrahmen unterzubringen ist. Jesu Wort und sein Wirken, als Exponenten seiner christologischen Vollmacht, sind nicht Antezipation einer zukünftigen Äonen-Wende, sondern gegenwärtige Verwirklichung des Ankommens der βασιλεία aus dem Himmel. Dass auch für das kultapokalyptisch denkende Judentum die Aussage gegen‐ wärtigen Heils sich mit einer Naherwartung verbinden konnte, haben Kuhn und Aune 24 besonders herausgestellt. Der Grundansatz für die Qumranschriften, aber auch für die Henoch-Tradition liegt darin, dass das eschatologische Heil Gemeinschaft mit Gottes Heiligkeit bedeutet, eine Gemeinschaft, von der man jetzt schon als einem himmlischen Geheimnis weiß. Teilhabe am himmlischen Jerusalem, am Kreis der Engel, am himmlischen Paradies der Adamsherrlichkeit ist ein pneumatischer Vorgang, der für die Gegenwart eschatologische Heilsbe‐ deutung hat. Grundsätzlich ist die präsentifizierende Eschatologie im Judentum nur deswegen möglich, weil der pneumatisch zugängliche Raum des Himmels die eschatologischen Heilsgüter, allen voran (kultische) Gottesgemeinschaft, schon enthält. Kuhn und Aune betonen zu Recht die kultische Dimension der präsentifizier‐ enden Eschatologie in Qumran, darin auch die Bedeutung der Tempelsymbolik. Entscheidend ist vor diesem Hintergrund folgende Einsicht: Da man Jesus nicht eine ähnliche Gemeinde-Lehre zuweisen kann wie in Qumran, seine prä‐ sentifizierende Zusage der βασιλεία nicht als Ausdruck eines vorgegebenen Gruppen-Enthusiasmus verstehen kann, bleibt die Frage, wie Jesu Eschatologie begründet ist. Kuhn verweist einerseits auf die Übernahme bestimmter hebräi‐ scher Zeit- und Sphären-Vorstellungen bei Jesus, 25 die anderseits zur Ausfor‐ mulierung von Jesu Anspruch dienen, „… dass in seinem Wirken Gottes Herrsein aufgerichtet wird.“ 26 Das eigentliche Zentrum der Eschatologie Jesu wird dann durch die Übernahme hebräischer ‚Vorstellungen‘ erklärt, während die Deutung der christologischen Basis Jesu in den Begriffen ‚Person‘ und ‚Wirken‘ hängen bleibt. Hier führt die Erkenntnis weiter, dass Jesus durchaus - wie es die For‐ schungsgeschichte nahelegt - in dem Rahmen der kultapokalyptischen Tradi‐ tion des Judentums steht, aber aus ihm nicht allgemeine ‚Vorstellungen‘ über‐ nimmt, sondern geradezu selbst mit himmlisch-priesterlicher ἐξουσία auftritt. 441 2. Zur Eschatologie Jesu 27 Worte Jesu. Nachdruck der Ausgabe 1930 2 , Darmstadt 1965, 77f. 28 So schon J. Weiß, Die Predigt Jesu vom Reiche Gottes, 1900 2 , 1.3f.; vgl. auch O. Betz, Was wissen wir von Jesus, 1965, 28; E. Lohmeyer, Kultus und Evangelium, Göttingen 1942, 28. 29 Vgl. hierzu und zum folgenden M. Smith, Clement of Alexandria and a Secret Gospel of Mark, 1973, 202-204. Das himmlische Geheimnis, das im Judentum mit der Kultgemeinschaft ver‐ bunden ist, ist bei Jesus gebunden an seine himmlisch-priesterliche Erwählung. Durch den Zugang zum Himmel, der Jesus gewährt wird, ist ihm die ἐξουσία gegeben, die himmlische Heiligkeit in die irdische Welt hineinzustellen. Er ist der Heilige Gottes, der Gottes Heiligkeit auf die Erde bringt. Jesu Eschatologie zielt auf die durch ihn beginnende Wiedervereinigung der - auch unter der alten Kultordnung - getrennten Schöpfungsräume. Die seit Dalman 27 akzeptierte ex‐ egetische Erkenntnis, βασιλεία τοῦ θεοῦ entspreche dem hebr. nomen actionis תוכלמ und bezeichne die Königsherrschaft, nicht einen (begrenzten) Bereich, ist in gewisser Weise zu korrigieren, da sie zu einer ungerechtfertigten Abstrahie‐ rung führt. Gottesherrschaft muss an einem Thronort befestigt sein; bestünde sie nur in einem abstrakten Rechtsanspruch, wäre sie in gewisser Weise haltlos. Der Thron Gottes als zentrales Herrschaftssymbol ist im Himmel (Apok 4,2), wie auch die Jesus-Tradition selbstverständlich voraussetzt (Mt 5,23; 23,20). Das Gebet Jesu richtet sich an den Vater im Himmel (Mt 6,1.9). Es ist in der Forschung schon häufiger bemerkt worden, dass βασιλεία τοῦ θεοῦ nicht eigentlich apo‐ kalyptischer Spezial-Begriff, sondern im Grunde stärker an die Gott-Kö‐ nigs-Theologie der Psalmen gebunden ist. 28 In den Psalmen ist deutlich, dass Gottes Königtum nicht nur eine dynamische Aktion bedeutet, sondern von einem himmlischen Bereich ausgeht, von dem aus Gottes Königtum als An‐ spruch die ganze Schöpfung erreicht, vgl. Ps. 103,19: Vom Thron im Himmel geht die Herrschaftsmacht über das All aus. 29 So wundert es nicht, dass die jüdische Tradition durchaus das Wissen festgehalten hat, dass die βασιλεία τοῦ θεοῦ ein himmlischer Ort ist. Sap Sal 10,10 wird die Bethel-Szene gedeutet, also in einen Komplex der frühen mystischen Tradition des Judentums eingegriffen: Die Weisheit zeigte dem Josef βασιλείαν θεοῦ καὶ ἔδωκεν αὐτῷ γνῶσιν ἁγίων. Die Erkenntnis der Heiligen, d. h. engelmäßiges Wissen, rührt von einer Vision der himmlischen βασιλεία. Im grBar 11,1f. heißt es bei einem visionären Himmelsaufstieg: Καὶ εἶπεν μοι ὁ ἄγγελος: οὐ δυνάμεθα εἰσελθεῖν ἕως ἔλθῃ Μιχαὴλ ὁ κλειδοῦχος τῆς βασιλείας τῶν οὐρανῶν. 442 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt 30 Kultus und Evangelium, a. a. O., 42.72ff.109; Das Vater-Unser, 1952 2 , 64ff. 31 S. Aalen, 'Reign' and 'House' in the Kingdom of God in the Gospels, in: NTS, 8 (1961/ 62), 215-240, bes. 223-232. 32 Vgl. bBer 32b: „Seit dem Tag, da das Heiligtum zerstört wurde, legte sich eine eiserne Wand trennend zwischen Israel und seinem Vater im Himmel.“ Der Tempelkult sollte die offene Verbindung zwischen Israel und Gott im Himmel herstellen; der geöffnete Himmel in der Taufe Jesu zeigt in motivischer Verdichtung die christologische Über‐ nahme der Aufgabe des Kultus an, ja ihre eschatologische Erfüllung. 33 Vgl. F. Grant, The Idea of the Kingdom of God in the New Testament, in: R. Pettazzoni (Hrsg.), The Sacral Kingship, Leiden 1958 (Numen SHR; 4), 437 ff., bes. 442. 34 Vgl. Clement of Alexandria, a. a. O., 204-265, bes. 237-251. Traditionen wie Mt 8,11; Lk 13,28; 16,22; 2 Tim 4,18, aber auch Mk 14,25 und Lk 23,43 machen deutlich, dass die βασιλεία auch eine lokale Größe ist, die im Himmel besteht. Hatte Lohmeyer 30 noch mehr oder weniger intuitiv behauptet, die βασιλεία sei im Grunde das Haus Gottes als himmlisch-irdischer Heilsbereich, so hat S. Aalen 31 diese These ausdrücklich erneuert. Die Redeweise vom ‚Eingehen‘ in die βασιλεία und die vom ‚Kommen‘ der βασιλεία sprechen in der Tat für eine lokale Grundbedeutung. Die βασιλεία ist der Bezirk, in dem die Heilsgüter zugänglich sind und erlangt werden können. Das ‚Kommen‘ des Reiches Gottes meint, da Kommen immer mit Gottes Handeln verbunden ist, dass die βασιλεία im Auftrag Gottes auf die Erde gelangt. Mit der βασιλεία kommt die neue Welt, das ewige Leben auf die Erde. Das Kommen der βασιλεία bedeutet eine Wiedervereinigung der Schöp‐ fungsräume. 32 Diese Wiedervereinigung geht so vonstatten, dass Jesus als Sohn aus dem himmlischen Haus die heilige δύναμις des Vaters auf die Erde bringt und alle revoltierenden Kräfte zurückweist, die seit dem Abfall von der schöpfungsmäßigen Ordnung sich zwischen Gott und den irdischen Teil der Schöpfung gestellt haben. 33 Wo der Sohn aus dem himmlischen Haus ist, da ist die Grenze zwischen den Schöpfungsräumen aufgehoben. Dies bedeutet, dass die Gott widerstehenden Kräfte zurückweichen und die Menschen für die Begegnung mit Gottes Heiligkeit gewandelt werden müssen. Diese stärker räumliche Bestimmung der βασιλεία als Bereich, in dem die Trennung zwischen Himmel und Erde aufgehoben ist, lässt zwei grundlegende Deutungen zu, eine ‚anabtische‘ und eine ‚katabatische‘. Für die Deutung der βασιλεία-Verkündigung Jesu in einem anabatischen Sinne ist wiederholt M. Smith 34 eingetreten. Im Zentrum der esoterischen Verkündigung Jesu vom Geheimnis des Reiches Gottes habe ein geheimer Taufritus gestanden, mit dem Jesus die Jünger in die himmlische βασιλεία halluzinatorisch entrückt habe; in der Vision habe man sich engelähnlich gefühlt, und d. h. vor allem von 443 2. Zur Eschatologie Jesu 35 Vgl. Röm 8,17. 36 1 Thess. 1,10; 4,1ff. 37 Vgl. Smith, Clement of Alexandria, a. a. O. 203. der Tora, die für die Himmlischen nicht gilt, als befreit. Konsequenz dieser sakramental-magischen, anabatischen Verbindung von irdischer Existenz und himmlischer Seinsweise wie ein Engel sei ein totaler Liberalismus gewesen. Für die katabatische Deutung tritt praktisch die gesamte übrige Forschung ein: Jesus bringt die Gnade Gottes, die Gottesgemeinschaft auf die Erde und bietet sie im Namen Gottes an. Dieser Grundzug der Verkündigung, ja des ganzen Auftretens Jesu, ist so deutlich, dass man nur dann dem ‚anabatischen‘ Vorgang eine Verankerung beim irdischen Jesus zuweisen kann, wenn man einen ganz starken Bruch zwischen der exoterischen und esoterischen Schicht annimmt. Diese Trennung ist nicht wahrscheinlich, da das Herzstück der angeblich esoterischen Verkündigung Jesu, die Tauflehre, bei Paulus bereits ausgesprochen in der allgemeinen Gemeindebelehrung verwendet wird. Paulus kennt in der Tat ein Mitgehen der Getauften auf dem Weg Jesu und kann sogar von einem Mit-Verherrlicht-Sein sprechen. 35 Doch ist dies bei Paulus durch Christologie und Pneumatologie als Bruch in der irdischen Existenz des Men‐ schen, nicht als vollendeter Übergang, markiert. Der eschatologisch-zukünftige Vorbehalt des Paulus ist kaum zufällig und sekundär, sondern gehört, wie 1Thess zeigt, 36 zur Grundlage seines Kerygmas. Dennoch hat Smith ein gewisses Recht in seinem Insistieren auf der himmli‐ schen, lokalen Grundbedeutung der βασιλεία τοῦ θεοῦ; hier trifft er sich auch mit S. Aalen. 37 Diese himmlische Grundkomponente ist aber damit verbunden, dass der Täufer und Jesus in einen priesterlichen Chassidismus gehören, der die zukünftige, eschatologische Erlösung als eine Vereinigung der getrennten Schöpfungsräume versteht, auf welche hin die Gemeinde, ja die Welt, vorbereitet werden muss. Diese Vereinigung sagt Jesus nun aber nicht nur prophetisch an, sondern er verwirklicht sie in seiner neuschaffenden δύναμις und seinem Heilswirken. Dabei geht es Jesus nicht um eine Angelogisierung der Heils‐ gemeinde durch engelähnliche Halacha oder gar eine sakramental/ magische Wandlung. Vielmehr bringt er als der Sohn aus dem himmlischen Haus und als Menschensohn die himmlische Heiligkeit auf die Erde. Dieser Grundvorgang, die ‚aggressive‘ Öffnung des Himmels zur Erde hin, hat aber zur Voraussetzung, und darin hat M. Smith recht, dass Jesus Zugang zur himmlischen Kultsphäre Gottes hat und als Sohn/ Menschensohn aus dieser himmlischen Heiligkeit heraus handelt. Taufe, Verklärung und Ostern weisen auf den christologischen Grund der Verbindung von Himmel und Erde, wobei nicht zufällig alle drei Traditionen in der Grundlage anabatisch geprägt sind. Die traditionsgeschicht‐ 444 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt 38 Vgl. Lk 10,5f. par.: die εἰρήνη ist die himmlisch-eschatologische Segensgabe, die auf das Ankommen der βασιλεία hinweist. 39 Vgl. die Totenerweckung im Katalog der eschatologischen Heilsgaben, die um Jesus herum sichtbar werden: Lk 7,22 par. Mt 11,5. 40 Vgl. H.W. Kuhn., Enderwartung und gegenwärtiges Heil, a. a. O., 195. 41 Anders Kuhn, a. a. O., 194, im Anschluss an Kümmel, Verheißung und Erfüllung, a. a. O., 105. liche Vorgabe der nachexilischen, jüdischen ‚Christologie‘ wird hierin im NT aufgenommen. Jesus ist der Zugang zum transzendenznahen Himmel gewährt, die heilvolle Verbindung der Schöpfungsräume ihm gelungen: Die βασιλεία als himmlisch-irdischer Bereich ist dort zugegen, wo der Sohn in seiner Vollmacht aus dem über ihm geöffneten Himmel die Güter der himmlischen βασιλεία zur irdischen Wirklichkeit macht. Dies vollzieht sich so, dass vom Himmel aus die Möglichkeit erschlossen wird, die Irdischen der Teilhabe an der Gemeinschaft mit der Heiligkeit Gottes zuzu‐ führen. Die βασιλεία τοῦ θεοῦ ist dort irdische Wirklichkeit, wo von der himm‐ lischen Heiligkeit Jesu םולש-Kraft ausgeht. 38 Der Einbruch himmlischer Heilig‐ keit in die profane, irdische Welt, bedeutet auch für Jesus schon eschatologische Neuschöpfung. 39 Die βασιλεία τοῦ θεοῦ ist der Bereich, wo die himmlische Hei‐ ligkeit Gottes die irdische Schöpfungshälfte in ihre Gemeinschaft einbezieht. Lk 11,20 lässt erkennen: Die βασιλεία ist der Bereich, in dem die Gottes Hei‐ ligkeit widerstrebenden dämonischen Kräfte zurückweichen. Der dämonenfreie Bereich ist da, wo die βασιλεία Gottes als geeinter Raum von Himmel und Erde Kraft gewinnt. Die βασιλεία ist dabei eine zunächst himmlische Wirklichkeit um den Thron Gottes herum; ihre Nähe oder Gegenwart ist Konsequenz ihres Herabkommens auf die Erde, an den Punkten, wo ihr Repräsentant, Jesus, Satan überwindet und unheilige Menschen heiligt. Nach Mt 13,16f. par Lk 10,23f. spricht Jesus den Jüngern einen Makarismus zu, weil sie Augen- und Ohrenzeugen des eschatologischen Heils sind. Exegetisch ist sicher, dass Jesus die Teilhabe an seinem Wirken als Teilhabe am eschatolo‐ gischen Heil herausstellt. Überdeutlich ist auch, dass hier auf eine gegenwärtige Erfahrbarkeit des eschatologischen Heils abgehoben ist: Es geht nicht um Nähe, sondern um Gegenwart des eschatologischen Heils. 40 Die Propheten und Könige wollten sehen und hören; dieser Ausgangssatz ist zunächst ernst zu nehmen, so dass das Hören nicht allein mit Jesu Auftreten zu verbinden ist. 41 Wenn Propheten und Könige sehen und hören wollten, aber nicht konnten, so ist hiermit nicht notwendig das Schauen des Heils Israels ‚in jenen Tagen‘ gemeint (Ps Sa 17,44), sondern das Schauen der Gestalt und das Hören der Stimme Gottes. Es geht um das himmlische Gottesgeheimnis, das in Schau und Hören, 445 2. Zur Eschatologie Jesu in Vision und Audition erschlossen werden soll. Propheten und Könige konnten Gottes himmlisches Geheimnis nicht sehen, aber Jesus macht es sichtbar. Die Q-Tradition, die höchstwahrscheinlich auf Jesus zurückweist, ist Joh 5,37f.; 6,40; 7,28; 12,44-50; 14,9 verwandt. Wo Jesus in seiner christologischen Bindung an himmlische Gestalt und Stimme des Vaters auftritt, ist das himmlische Gottesgeheimnis in die irdische Schöpfungshälfte hineingekommen, die Basileia da. Verwandt ist der Q-Stoff Mt 11,5 par Lk 7,22: Auch hier geht es um ein Sehen und Hören, das auf das eschatologische Heil gerichtet ist und stark präsen‐ tisch-eschatologische Bedeutung hat. Die von Jesaja angekündigten Zeichen des eschatologischen Heils werden in Jesu Nähe Wirklichkeit. Diese Zeichen sind Kennzeichen dafür, dass Heiligkeit des Himmels ihre neuschöpfende Kraft in der irdischen Schöpfungshälte durchsetzt. Mit diesen Zeichen ist die Herrlichkeit Gottes sichtbar (vgl. Jes 35,25f.), so dass das Schauen und Hören die in Lk 10,23f. gemeinte Gottesoffenbarung einschließt. In den eschatologischen Zeichen ist Gott präsent. Eschatologie bedeutet für Jesus Vereinigung der getrennten Schöpfungs‐ räume. Das Ankommen der βασιλεία auf Erden hängt deshalb an seiner ἐξουσία, weil Jesus seine Berufung von vor dem Thron Gottes aus empfangen hat, die δόξα der himmlischen βασιλεία also ihm mitgegeben ist. Die zweite und die dritte Bitte des Vater-Unsers nach matthäischer Zählung deuten die βασιλεία-Konzeption raum-zeitlich: das Kommen der βασιλεία bewirkt - ge‐ schieht in Entsprechung zum - Geschehen des göttlichen Willens ‚wie im Himmel, so auf Erden‘. Die himmlische Ordnung ist analogisierende Kraft für die irdische. Die Vereinigung von himmlischer und irdischer Gemeinde bedeutet das Kommen der βασιλεία. Auch die Q-Fassung setzte ein mit der liturgischen Bitte um die Heiligung des Namens und ließ darauf die Bitte um das Kommen der βασιλεία folgen. Auch hier scheint die Heiligung des Namens Vorbedingung, Zeichen, Konsequenz der Ankunft der βασιλεία zu sein. Da die Heiligung des Namens durch die Liturgie der Engel eine himmlische Realität ist, wird man auch hier in Q das Kommen der βασιλεία als räumliche Vereinigung der beiden Schöpfungshälften verstehen können. Die Nähe, ja die räumliche Gegenwart der βασιλεία, ruht auf der Intensivierung des Kontaktes beider Schöpfungsräume, welche durch Jesu himmlische Berufung und irdische Sendung zustande kommt. Naherwartung ist Ausdruck einer intensivierten, pneumatischen Beziehung zur himmlischen Welt. Die präsentische Eschatologie Jesu ist Kulteschatologie. Dies jedoch nicht in dem primären Sinne, dass Jesus Gründer einer Kultgemeinschaft ist, in der himmlische δόξα erfahren wird. Vielmehr ist Jesu präsentische Eschatologie 446 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt in dem Sinne Kulteschatologie, als ihm Zugang zum Bereich himmlischer Heiligkeit gewährt und er mit einer Vollmacht ausgestattet wurde, die ihn ermächtigte, die himmlische Heiligkeit Gottes, die himmlische βασιλεία in die Wirklichkeit der irdischen Schöpfung zu stellen. Der Himmel ist offen, der Heilige Gottes auf Erden, die himmlische βασιλεία jetzt schon machtvoller Bereich der Neuschöpfung. Ist dieser kultapokalyptische Hintergrund und die Zentrierung auf die chris‐ tologische Vollmacht des himmlisch-eschatologischen Hohenpriesters richtig gesehen, so ergeben sich weitere Besonderheiten Jesu: Grundsätzlich geht Jesus nicht den Weg der Annäherung an die himmlische Heiligkeit durch Übernahme oder Intensivierung priesterlich-engelähnlicher Reinheits-Halacha. Wenn auch Jesu Ehelosigkeit und Mt 5,27ff. in diese Richtung weisen könnten, so ist doch sein Haupteinsatz ein anderer. Die Neuvereinigung der Schöpfungsräume setzt durch eine Öffnung des Himmels ‚von oben‘ ein. Die Verbindung mit der Heiligkeit Gottes vollzieht sich in erster Linie nicht als halachische Angelogi‐ sierung der eschatologischen Gemeinde, sondern als universale Öffnung des Himmels zur Erde hin. Durch Jesu Auftreten in seiner priesterlich-himmlischen ἐξουςία zeigt die Heiligkeit Gottes eine ungekannte ‚Aggressivität‘. Der Heilige grenzt sich nicht mehr ab, sei es in einem kultischen oder in dem von irdischer Profanität geschützten Bereich der himmlischen Schöpfungshälfte, sondern nimmt die irdische Profanität in seine Heiligkeit auf. Der alte kultrechtliche Satz, dass Reines durch Unreines unrein wird und darum durch Absonderung geschützt werden muss, erfährt geradezu eine eschatologische Umkehrung: Das Unreine wird durch Kontakt mit dem Reinen auch rein. Dies ist das Kennzeichen der besonderen, himmlisch-eschatologischen Priester-Vollmacht Jesu, dass die unreinen Geister vor dem Heiligen Gottes zurückweichen, dass die schädigenden Kräfte, vor denen auch der alte Kultus zurückweichen musste, nun ihrerseits vertrieben werden. Der Fixpunkt für diese Umkehrung, diese geradezu enthusiastische Markierung der Neuschöpfung, liegt in Jesu Chris‐ tologie begründet: Er ist als Sohn und Menschensohn der Heiligkeit Gottes verbunden und hat die geradezu kosmische Vollmacht, sie in die irdische Profanität hineinzunehmen. Jesus denkt dabei, in der Bahn des Täufers und älterer Kulttheologie, mehr ontologisch als ethisch: Die am Jerusalemer Kultus hängende (Un-)Ordnung der alten Schöpfung ist durch seine himmlische Er‐ wählung zum Repräsentanten der Heiligkeit Gottes umgeformt. Es geht nicht mehr um Abgrenzung und kaum noch gelingende ‚Hinzufügung zum Heiligen‘, sondern um Öffnung: Die himmlische Heiligkeit ist pneumatische Kraft der Wandlung, die er und seine Boten irdisch ausbreiten. Jesu Rigorismus, wie er aus Teilen der Bergpredigt spricht, und seine Öffnung zu den Sündern, die 447 2. Zur Eschatologie Jesu 42 Askese und Mysterium, 1975, 39-41. 43 Dass das Wirken Jesu in zwei Phasen verlaufen ist, die durch eine ‚galiläische Krise‘ getrennt sind, zeigen Mk (ab 8,27 beginnt die Leidenslehre), noch deutlicher (und darum wohl nicht einfach von Mk abhängig) Joh (6,66ff.) und bereits Q (Lk 13,33), vgl. A. Polag, Christologie der Logienquelle, 1977, 195 f.; F. Mussner, Gab es eine ‚galiläische Krise‘? , in: Orientierung an Jesus, FS J. Schmid, 1973, 238-252; O. Michel, Der Umbruch: Messianität-Menschensohn, in: Tradition und Glaube. FS K.G. Kuhn, Göttingen 1971, 310-316. priesterlich-chasidische Betonung der Ehe-Reinheit und die Gemeinschaft mit Huren (Lk 7,34-50), dies weist auf eine urtümliche Spannung, die nicht analy‐ tisch aufgehoben werden darf. K. Niederwimmer 42 spricht von der Einheit der eschatologischen Motivation, welche jede Positivität als historisch und damit als vom Willen Gottes abweichend decouvriert. Vor Jesu eschatologischer Kritik verlieren die innermoralischen Differenzierungen zwischen ‚normaler‘ Ehe und ‚unnormalem‘ Sexualverhalten ihre trennende Bedeutung. Man muss wohl aber noch einen Schritt weitergehen und betonen, dass Jesus sein Verhalten nicht nur als Ausdruck unvermittelter, eschatologischer Existenz versteht, sondern christologisch deutet. Sein ‚Liberalismus‘ ruht auf seinem eigenen ‚Rigorismus‘, und zwar im folgenden Sinne: Jesus war der Meinung, dass das Entscheidende im Verhältnis Gottes zum Menschen stellvertretend für die Vielen (Mk 10,45) durch‐ geführt werden muss. Gottes Gnade und Heiligkeit sind allem Ungehorsam und aller Profanität überlegen. Dies ist für Jesus aber kein allgemeiner oder auch enthusiastischer Überzeugungssatz, sondern gründet in seiner Stellung vor Gott. Gottes Gnade ist unendlich groß - aber es ist keine billige Gnade, vielmehr wird Gottes Heiligkeit gewahrt durch Jesu himmlisches Geheimnis, ja im Letzten durch seinen Tod am Kreuz. Der stellvertretende Charakter von Jesu Übergang in den Bereich der Heiligkeit Gottes, welcher diese darin der irdischen Welt öffnet, bestimmt seinen christologischen Weg von der Taufe bis an das Kreuz. Weil er die Heiligkeit Gottes schützt und keine billige Gnade verkündet, ist seine Öffnung zur irdischen Schöpfungshälfte bedingungslos, d. h. nur an die Bedingung seines eigenen Übergangs, letztlich an seinen Tod, gebunden. Der Neudurchbruch Jesu, der stark enthusiastische Züge zeigt, scheint be‐ sonders die erste, ‚galiläische‘ Phase des Wirkens Jesu geprägt zu haben. 43 Die zweite, die ihn auf Jerusalem zuführt und immer stärker sein Leiden in den Mittelpunkt rückt, ist aber nicht einfach Reflex auf die erfahrene Ablehnung. Man kann vielmehr annehmen, dass Jesus schon frühzeitig die kultapokalyptische Notwendigkeit seines Todes gesehen hat: Bedeuteten Taufe und Verklärung, die Begegnung mit Gottes Heiligkeit, nicht Übergang in eine Existenzweise jenseits des Todes? Und musste nicht die ihm aufgetragene, priesterliche Vereinigung der getrennten Schöpfungsräume, die Umkehrung 448 C) Zusammenfassung und Schlussfolgerungen: Jesus und die himmlische Welt 44 Vgl. o. Anm. 315 S. 331f. und H. Gese, Zur biblischen Theologie, 1977, 99. 45 H. Gese, a. a. O., 10. der kultischen Ontologie zu einer tödlichen Gefährdung durch die irdische Profanität führen? Und, wichtiger noch, wenn in seiner ἐχουσία aus dem himmlischen Haus die Heiligkeit Gottes kommt, so bedeutet ihre wandelnde Kraft doch, dass reinigendes Gerichtsfeuer alles Irdische, Menschliche, Profane verzehrt. Jesus wusste, dass für die Vereinigung der Schöpfungsräume und die dazu notwendige Neuschöpfung der Menschen eigentlich der Tod des alten Menschengeschlechts notwendig wäre. Die Steigerung der Taufe, von der der Täufer sprach, führt im letzten Glied zu einer Feuertaufe, die den Tod des Menschen impliziert. Der Weg zum Heiligen führt durch den Tod hindurch. 44 „Dieser Sicht voller Gottesgemeinschaft entspricht ebenso entschieden, dass der Mensch nur vor Gott treten kann als der dem Tod Verfallene. Die Begegnung mit dem Heiligen vernichtet das Unheilige. Die Konsequenz des Gedankens der vollen Gottesgemeinschaft ist die Sühne …“ 45 Jesus wusste, dass das Bringen der Basileia eine zunächst vernichtende Neuschöpfung bedeutete. Deswegen hat Jesus seinen Tod als Sühnegeschehen, Ersatzgeld für die Vielen gedeutet, sich vom Vater deuten lassen. Die letzte Stufe, die Feuertaufe, nimmt er in seiner Todestaufe stellvertretend auf sich. Die priesterliche Christologie und Eschato‐ logie Jesu führen zu einer letzten Konsequenz, nämlich dem entsühnenden Tod, in dem der himmlisch-eschatologische Hohepriester durch den Feuerstrom hindurch getauft wird. Damit bekommt das Kreuz Jesu für die Frage der Eschatologie eine un‐ überholbare Bedeutung. Es ist Real-Symbol für die Vereinigung der beiden Schöpfungsräume, insofern von ihm die Heiligkeit Gottes als erneuernde Kraft in die irdische Schöpfungshälfte ausgeht und Jesus, stellvertretend für uns sterbend, die Teilhabe an der eschatologischen Gemeinschaft mit dem Heiligen Gott uns ermöglicht hat. Im Kreuz Jesu ist die Neuschöpfung christologisch abgeschlossen. 449 2. Zur Eschatologie Jesu D) Ergebnis der Untersuchung Die neutestamentliche Exegese hat spätestens seit der ‚konsequenten Eschato‐ logie‘ Mühe, die Elemente des Himmlischen, Gegenwärtig-Eschatologischen und Pneumatischen in der Jesus-Tradition angemessen zu gewichten. Vorherr‐ schend wurde in der Forschung die Konzeption, wonach die ursprüngliche, brennende Naherwartung Jesu und der palästinischen Gemeinde erst unter Einfluss hellenistischen Denkens sich immer mehr in raumhaft empfindende Religiosität umsetzte, in der christologisch nicht mehr auf den zu Gericht und Äonenwende kommenden Menschensohn, sondern auf den himmlischen Kyrios geblickt wurde. Verbunden war mit diesem Kontext die These einer Rückbin‐ dung Jesu an die jüdische Apokalyptik, die angeblich alles von der Zukunft erwartete und ansonsten eine heilsleere Gegenwart beklagte. Diese Konzeption einer ursprünglich konsequenten Eschatologie im zeitlich-zukünftigen Sinne ist der tiefere Grund für die These, Jesus habe mit der urgemeindlichen Christologie kaum etwas zu tun, setzte diese doch ziemlich rasch das Bild vom Erhöhten voraus. Da man die Beziehung zum Himmel mit einer kultischen Erschließung der Welt verband, lag hierin zunächst ein weiteres Hindernis, die kultisch getragene Christologie auf den irdischen Jesus zurückführen zu können. Ein Teil der Forscher, die das NT kultgeschichtlich betrachten wollten, versuchte dennoch, hellenistisches Kultdenken und seine Mystik an die Anfänge der neutestamentlichen Traditionsbildung zurückzuverfolgen, eine These, die nur unter dem Postulat einer starken Hellenisierung Palästinas im Sinne einer Bekanntschaft mit hellenistischen Mysterienreligionen durchzuführen wäre. Ein grundlegender Umschwung begann mit der Übertragung des kultge‐ schichtlichen Ansatzes der nordischen Schule auf das Neue Testament. Einen ersten Höhepunkt erreichte diese, vom Jerusalemer Kult und seiner Theologie ausgehende, Betrachtung in der auf Vorträge in Uppsala zurückgehenden Schrift von E. Lohmeyer, Kultus und Evangelium, 1942. Hier wird der Kult Jerusalems in seinem theologischen Anspruch ernst genommen, Träger der Schöpfungslehre zu sein, den Zugang zum Himmel und die heilvolle Mittlung zwischen den Schöpfungshälften zu erschließen; Jesus tritt an die Stelle des Kultes, indem er der Mittler der himmlisch-eschatologischen Heilsgüter wird. Diese im Grunde richtige und genial einfache These Lohmeyers haben wir versucht traditionsgeschichtlich ein Stück weit aufzuarbeiten. H. Gese hat die Theologie von P, welche die Grundlage der Theologie des nachexilischen Judentums bildet, gedeutet als Durchführung einer Hinzufügung Israels zur Gottesbegegnung, zur himmlischen Heiligkeit Gottes, die eine Neu‐ schöpfung, als Durchgang durch den Tod, und Sühne, als stellvertretendes Todeswiderfahrnis, voraussetzt. Dieses kultisch so bestimmte Judentum ist Himmelsreligion, eine auf Offenbarung gründende Kultgemeinschaft, in der die Hineinnahme Israels in die priesterliche Gemeinschaft vor Gott jenseits des Todes symbolisch realisiert wird. Diese Grundthese zur theologischen Konzeption des vom Tempel bestimmten nachexilischen Judentums haben wir an drei darauf aufbauenden Rezeptionsli‐ nien versucht nachzuzeichnen: die pharisäische, priesterliche Laienbewegung setzt den Anspruch des Kultes auf Herstellung einer heilvollen Bindung an den Himmel halachisch um: Der Laien-Priester lebt in einer beständigen priesterlichen Reinheit vor Gott; die ontologische Bedeutung des Tempel-Kultes unterstützt er durch Übung von Werken der Barmherzigkeit, welche das kultische Gehaltensein der Schöpfung verstärken; die apokalyptische Traditionslinie, der wir anhand des 1Hen und der Levi-Tradition nachgegangen sind, stößt betont in den himmlischen Hinter‐ grund-Bereich des Kultes vor: Man erkennt eine himmlisch-kosmische Ord‐ nung, zu der auch das im Himmel vorbereitete eschatologische Heil gehört. Diese Apokalyptik ist Kultapokalyptik, weil sie das eschatologische Heil vom himmlischen, kultischen Zentrum der Schöpfung aus, also vom himmlischen Tempel aus, erwartet, u.zw. als reale priesterliche Angelogisierung der Ge‐ rechten. Die Vision ist dabei nicht nur bloße Form der Enthüllung des Ge‐ heimnisses, sondern Übermittlung eines heilsamen Wissens, durch das die empfangende Gemeinde in die eschatologisch-himmlische Heilsordnung ein‐ geordnet wird. Christologisch ist entscheidend, dass sowohl in der angelo-an‐ thropologischen Gestalt des Menschensohnes als auch in der Bezeichnung des priesterlichen Interzessors, der als Sohn vor Gottes Heiligkeit tritt, eine kultische Grundlage sichtbar wird. Die Herrschaft dieser messianisierbaren Gestalten zielt auf eine Teilhabe an der Thronwelt Gottes. Kultapokalyptik und ihre Christologie haben enge Beziehungen zur frühen Merkaba-Mystik; die charismatisch-‚praktische‘ Rezeption des Kultes wies auf Männer wie ‚Choni der Kreiszieher‘ und Chanina ben Dosa, die in kultischen Motiven leben, diese aber charismatisch und mystisch ‚verwenden‘. Hier begegnet die priester‐ liche Sohn-Bezeichnung wieder, weil der Charismatiker wie der Hohepriester Zugang zur Heiligkeit Gottes in Anspruch nimmt, Zugang zum himmlischen 452 D) Ergebnis der Untersuchung Haus des Vaters sucht. Die Verwendung des Kultgeheimnisses führt zu einer praktisch-charismatischen Übernahme der Vollmacht des Hohenpriesters. Vor dieser Grundlage, für die wir die Qumran-Texte nur am Rande herange‐ zogen haben, haben wir die christologischen Voraussetzungen der Jesus-Tradi‐ tion untersucht, in der Annahme, dass Jesu Basileia-Ansage, sein Wunderwirken und seine Lehre auf einem expliziten christologischen Fundament aufbauen und dass in Jesu Christologie seine besondere Rezeption des Jerusalemer Kultanspruchs liegt. Jesu Christologie verwendet von Anfang an zwei Sprachformen: die Vater-Sohn- und die Menschensohn-Lehre. Aus beiden Ansätzen spricht der Anspruch Jesu, aus der himmlischen Thronwelt Gottes zu kommen, mit ihr verbunden zu sein und verbinden zu können. Die Gegner haben Jesu Men‐ schensohn-Anspruch mit der Diagnose versehen: Er hat den Beelzebul. Diesen Vorwurf müssen wir deuten: Er hat sich den Fürsten des Zebul verschafft. Diesen Fürsten des Zebul kennt die literarisch spätere jüdische Tradition als himmlischen Hohenpriester. Damit benennt diese alte polemische Tradition den Differenzpunkt zwischen Jesu christologischem Anspruch und der theolo‐ gischen Position der Jerusalemer Autoritäten, die ihm entgegentreten: Hier ist einer, der sich direkt auf die Autorität der himmlischen Thronwelt Gottes bezieht und damit implizit dem irdischen Tempel in Jerusalem seinen theologischen Anspruch streitig macht. Weil Gott seinen Namen im Tempel wohnen lasse, führe nur der Kultus am Tempel zu einer Gottesbegegnung. Eine Untersuchung der Rezeption der Menschensohn-Tradition im Neuen Testament hat dann gezeigt, dass diese christologische Redeweise Jesu fast durchgängig aufgenommen wurde als Bezeichnung seiner himmlischen Hoch‐ priester-Würde. Die beständige Interzession vor dem Thron Gottes, ja dann das hochpriester‐ liche Schreiten in den Bereich der Transzendenz-nahen, himmlischen Kultwelt, sind Kennzeichen des Menschensohnes. Besondere Überlieferungsträger, die die kultische Komponente der Menschensohn-Tradition Jesu aufgenommen haben, sind offenbar die judenchristlichen ‚Hellenisten‘ Jerusalems/ Antiochiens. Wir haben auf dieser Grundlage versucht, Jesu Verbindung mit dem Men‐ schensohn von dem reinen Zeit-Schema - etwa als Vorwegnahme einer zu‐ künftigen Richter-Autorität - zu lösen: Wir schlugen vor die Aufnahme der jüdisch-mystischen Kategorie der ‚Verbindung‘, wie sie am Beelzebul-Thema zu hängen scheint; Jesus ist mit seinem besonderen Engel, dem Menschensohn, verbunden: beider Identität wirkt reziprok. Die Menschensohn-Christologie Jesu ruht aber nicht in sich selbst, sondern greift zurück auf die Sohn-Christologie: Sohn ist Jesus in Bezug auf das Haus des 453 D) Ergebnis der Untersuchung himmlischen Vaters. Taufe und Verklärung bestimmen ihn zum Sohn, der zum Haus des himmlischen Vaters gehört. Diese Sohn-Anrede nennt den Urpunkt der Christologie Jesu, den Eintritt in das Haus des Vaters, während die Menschen‐ sohn-Lehre die besondere, soteriologische Bedeutung der Vollmacht des himm‐ lischen Haussohnes traditionsgeschichtlich definiert: Er ist der Repräsentant der eschatologischen Menschheit, der durch seine himmlisch-priesterliche Mittlung zwischen den Schöpfungshälften die Herrlichkeit Adams wiederherstellt. Beide Ansätze weisen auf eine Rückbindung Jesu an den Täufer. Durch den Täufer ist Jesu Christologie an eine Erlösungs-Konzeption gebunden, die auf die Zurüstung der eschatologischen Gemeinde zur Gemeinschaft mit der Heiligkeit Gottes zielt. Obwohl nicht auszuschließen ist, dass Jesus getauft hat, die Veran‐ schlagung des Gesetzes kultgeschichtlicher Kontinuität dies sogar wahrschein‐ lich macht, ist Jesu Heilshandeln zunächst deutlich nicht sakramental gebunden, sondern von seiner weit über den Täufer hinausgehenden christologischen Vollmacht geprägt. Er bringt die himmlische βασιλεία; wo der Repräsentant des himmlischen Hauses ist, reicht dessen himmlische Räumlichkeit bis in die irdische Wirklichkeit hinein. Traditionsgeschichtlich gehört Jesus also in den Bereich der jüdischen Kult‐ rezeptionen hinein. Jesus ist dabei eindeutig nicht pharisäisch geprägt. Gemein‐ samkeiten bestehen mit den Charismatikern, da bei ihnen sichtbar wird, wie sie eine mythisch klingende Sohn-Bezeichnung in eine religionsgeschichtlich bestimmbare, menschliche Existenz umsetzen. Im weiteren Sinn soteriologische und eschatologische Konsequenzen scheinen mit dieser charismatischen Re‐ zeptionslinie jedoch nicht verbunden gewesen zu sein. Die engsten Beziehungen bestehen zu kultapokalyptischen Kreisen des Ju‐ dentums; dies hängt schon mit Jesu Bindung an den Täufer zusammen. Das mes‐ sianische Idealbild vom Hohenpriester, der Zugang zum Transzendenz-nahen Himmel hat und darin ‚Sohn‘ ist, bestimmt auch Jesu Christologie; auch die Men‐ schensohn-Christologie gehört in diesen Bereich jüdischer Kultapokalyptik: Er ist der mythisch-objektivierte, himmlische Hohepriester, der als Repräsentant der ‚Heiligen‘ an Gottes himmlischer Heiligkeit teilhat und teilgibt. Mit dem Menschensohn hat Jesus auch den kultapokalyptischen Grundsatz einer himm‐ lischen Verortung der eschatologischen Heilsgüter übernommen. Jesus ist von der Kultapokalyptik dadurch getrennt, dass in ihr stark gruppen‐ mäßig gebundene Traditionen wirksam werden: Sowohl in Qumran als auch in den Träger-Kreisen der Henoch- und Levi-Tradition geht es primär um Teilhabe der Gerechten = der Gruppenmitglieder am himmlisch-eschatologischen Heil. Die Heilsgestalten bleiben in mythologischer Rollenbeschreibung und sind dadurch in der vorliegenden Traditionsfassung Exponate der Gruppen-Ideo‐ 454 D) Ergebnis der Untersuchung logie der Trägerkreise, kaum geschichtliche Personen. Nun wäre zu fragen, ob eine von der Trägergruppe ausgehende Ideologiesierung nicht auch im Neuen Testament das Jesus-Bild teilweise erfasst haben könnte; doch wird man auf alle Fälle die primäre Traditions-Bewegung feststellen können, die Jesus als den Christus der Gemeinde gegenüberstellt. Und dieser betonte Einsatz in einer christologischen Würde Jesu, die zunächst nur in seinem eigenen Geheimnis ruht, geht offenbar auf Jesus selbst zurück. Jesus setzt ‚offen‘ ein, geht aus der Wüste in das Land, zieht hier ohne feste Gruppenbildung umher und hat offenbar auch das Problem der Zugehörigkeit der ‚Vielen‘ zum Heil erwogen. Der Jüngerkreis partizipiert dann an seiner Vollmacht, konstituiert sie jedoch nicht. Diese Öffnung ist nur möglich auf dem Grund der stark ausgeprägten Christologie Jesu, durch die er seinen Weg in der Mittlung zwischen himmli‐ schem und irdischem Schöpfungsteil bestimmt sieht. Jesu Christologie ist vor jeder kultischen Stiftung, sei es die Taufe oder das Abendmahl, kultgeschichtlich relevant, weil er in ‚christologischer Person‘ das grundlegende Thema des nachexilischen Kultes im Judentum zu Ende führt: die heilvolle Verbindung von himmlischer und irdischer Schöpfungshälfte, was die Rückkehr zur Urordnung der Schöpfung, ja die Neuschöpfung bedeutet. Auf den Erhöhten schaut nicht erst die nachösterliche Gemeinde, sondern bereits Jesus, weil er der Sohn aus dem Hause Gottes ist und in einer spannungs‐ vollen Einheit mit dem Menschensohn steht. 455 D) Ergebnis der Untersuchung Nachwort des Verfassers von 2020 Mit 40 Jahren Abstand sieht man manches deutlicher und stößt auf weiter‐ führende Fragen. Die vorliegende Untersuchung war exegetisch-analytisch geprägt, immer noch die Hauptaufgabe des Neutestamentlers. Der Blick aufs Große und Ganze fehlte nicht, erkennt nun aber noch schärfere Konturen. Damals fiel auf, dass entscheidende Zusammenhänge mit Johannes dem Täufer bestehen. Jesus hat, anders als seine spätere Gemeinde, nie den Täufer kleinge‐ macht. Von ihm stammten die entscheidenden Impulse. Mehr über den Täufer zu wissen, wäre also ein entscheidender Gewinn für die Erkenntnis über die Anfänge der Jesus-Tradition. Ich entdeckte jetzt, dass im Jahr 2002 das Buch von Jorunn Jacobsen Buckley erschien: „The Mandaeans: Ancient Texts and Modern People“. Auch wenn man Angaben der Mandäer über angebliche Autographen aus der Hand Johannes des Täufers nicht für bare Münze nehmen möchte, so ist doch mehr als wahrscheinlich, dass der Mandäische Baptismus Traditionen be‐ wahrt hat, die nahe an Johannes den Täufer heranführen. Das Buch von Jacobsen Buckley lohnt jedenfalls eine erneute Prüfung des mandäischen Baptismus hinsichtlich seiner jüdischen Ursprüge im Jordan-Land. Ein zentrales Konzept dieses Baptismus ist die ‚Laufa‘. „Laufa (connection) is a central Mandaeaen concept, and it expresses this contact between the worlds. The term carries a practical - and not merely an abstract - significance. At the first creation, the Lightworld beings established the laufa, which is constantly reestablished and reconfirmed by Mandaeans on earth as they perform rituals. Prayers, along with all other rituals, were sent down to earth by the forces of light in order to be conveyed back up by humans. So there is an unceasing give-and-take between the two realms as earthly activity spins the life thread between the human world and ensures the connection to the Light.“ (a. a. O. S. 12) „Priests, of whom there are two main classes, ganzibras (treasurers) and tarmidas (original meaning: ‚disciples‘), essentially hold the position of utras on earth. Similar to the utras, they may move - ritually rather than literally - between the realms. Keeping up the laufa, the priests act as ‚utras-from-below,‘ and because priests are humans, their starting point is of course the earth, not the Lightworld. Preparing themselves for rituals, the priests are able to harness Lightworld energies and thereby in a sense effect their propulsion upward. Suitably, at the end of ceremonials, the priests deconsecrate their insignia and again assume ‚human‘ status.“ (a. a. O. S. 14) Laufa = connection entspricht ziemlich dem von mir damals gewählten Begriff der ‚kultischen Mittlung‘. Sofort fällt auf, dass die im NT bewahrten Johannes-Traditionen nahezu sämtlich Laufa-Texte sind. Das trifft für die Berichte von der Taufe Jesu zu, besonders aber für die Johannes-Stücke des 4. Evangeliums: 1,6-18; 1,19-28; 1,29-34; 1,51; 3, 3-13; 3,14-21; 3,22-30; 3,31-36. Auch die Brot-Rede hat Laufa-Struktur. Damit wären wir nicht einfach wieder bei Bultmanns Benutzung des ‚Gnostischen Mythos‘ zurück, einer ziemlich unhistorischen Abstrakt-Bildung, sondern bei einer religions- und traditions‐ geschichtlich enger zu fassenden Tradition des frühjüdischen Baptismus. Es entsteht daraus die Frage, ob der Menschensohn in der ältesten Schicht nicht Taufengel Jesu ist. Auch die Enthüllung der Sohneswürde könnte eine Taufgabe des Johannes an Jesus gewesen sein. Johannes Beziehung zu Elia dürfte auch in diesem Laufa-Konzept ruhen, das himmlische Identität einem Irdischen vermittelt. Auch das betonte ἀναβαίνειν und καταβαίνειν im 4. Evangelium entspricht dem ‘goin’ down Jordan - we gonna walk the heavenly road‘, wie es in einem Baptisten-Lied so prägnant ausgedrückt ist, vgl. Theophilus Woods in seinem Kalypso-Lied „Goin’ down Jordan“ (https: / / youtu.be/ a4Y5YaIK2IE). Das Konzept des Johannes war ziemlich sicher nicht nur das ‚hinab‘ samt Buße und vorweggenommenem Tod, sondern auch das ‚hinauf ‘ in das neue himmlische Leben. Auch die besondere Todeslehre, die eine Verklärung im Tod erhofft, könnte dem priesterlichen Kultspiritualismus entsprechen, in dem der Täufer aufgewachsen ist. Paulus teilt sie in 2. Kor 5 sehr deutlich. Auch das ‚Seufzen‘ als rituell-liturgische ‚Beschleunigung‘ der Verklärung hat nicht nur bei Paulus, sondern auch im afrikanisch-amerikanischen Baptismus Spuren hinterlassen. Als generelle Frage bleibt, wie die Priestertradition mit dem Baptismus samt Jordan-Bezug zusammengekommen ist. In Ergänzung wäre zu untersuchen, ob die Kultapokalyptik der Henoch-Tradition baptistische Verbindungen hat. Sind die Texte der Himmelsreise liturgisches Begleitmaterial für die auch sonst im Baptismus zu findenden Unternehmungen einer ‚Gemeindereise in die himm‐ lische Welt‘ unter liturgisch-ritueller Anleitung? Auch die Qumran-Tradition eröffnet nach 70 Jahren vermutlich noch neue Einsichten in das Laufa-Konzept dieser Texte und ihrer Gemeinde(n). 458 Nachwort des Verfassers von 2020 Literaturverzeichnis Die Abkürzungen für die Zeitschriften und Serien im Literaturverzeichnis richten sich nach „Theologische Realenzyklopädie“ (TRE): Abkürzungsver‐ zeichnis. - Berlin, New York 1976. Ergänzende Hinweise von 2020: Neuere Ausgaben der Quellen sowie Nachfolgeauflagen der genannten Veröf‐ fentlichungen können am einfachsten über das Internet recherchiert werden, besonders hilfreich die Wikipedia. Die hebräischen Namen und Bezeichnungen sind vereinfacht transkribiert nach dem jeweilig einschlägigen Wikipedia-Ar‐ tikel; lag eine deutsche Fassung nicht vor, wurde der entsprechende englisch‐ sprachige Wikipedia-Artikel als Grundlage genommen. Quellen Bibelausgaben BIBLIA HEBRAICA = Torah, nebi’im we-ketubim / quae antea cooperationibus … ed. R. Kittel. Adjurantibus … cooperatibus ed. K. Elliger et W. 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THEOLOGISCHE REALENZYKLOPÄDIE, hrsg. v. G. Krause und G. Müller. Bde 1 ff. (noch nicht abgeschl.). - Berlin/ N.Y. 1977ff. THEOLOGISCHES WÖRTERBUCH ZUM NEUEN TESTAMENT / begr. von Gerhard Kittel. In Verb. mit … hrsq. von Gerhard Friedrich. - Bd. 1-10/ 2. - Stuttgart (u. a.) 1933-1979. 487 Wörterbücher, Konkordanzen und Grammatiken Texte und Arbeiten zum neutestamentlichen Zeitalter (TANZ) begründet von Klaus Berger, François Vouga, Michael Wolter und Dieter Zeller herausgegeben von Matthias Klinghardt, Günter Röhser, Stefan Schreiber und Manuel Vogel Bisher sind erschienen: Frühere Bände finden Sie unter: https: / / www.narr.de/ theologie-kat/ theologiereihen-kat/ tanz/ ? ___store=narr_starter_de Band 31 Dieter Massa Verstehensbedingungen von Gleichnissen Prozesse und Voraussetzungen der Rezeption aus kognitiver Sicht 1999, 389 Seiten, €[D] 54,- ISBN 978-3-7720-2823-6 Band 32 Hanna Roose Das Zeugnis Jesu Seine Bedeutung für die Christologie, Eschatologie und Prophetie in der Offenbarung des Johannes 1999, 252 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2824-3 Band 33 Gabriele Faßbeck Der Tempel der Christen Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zur Aufnahme des Tempelkonzepts im frühen Christentum 2000, XII, 317 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2825-0 Band 34 Holger Sonntag NOMOΣ ΣΩTHP Zur politischen Theologie des Gesetzes bei Paulus und im antiken Kontext 2000, XII, 376 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2826-7 Band 35 Markus Sasse Der Menschensohn im Evangelium nach Johannes 2001, XIV, 337 Seiten, €[D] 43,- ISBN 978-3-7720-2827-4 Band 36 Michael Labahn/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Zwischen den Reichen: Neues Testament und Römische Herrschaft Vorträge auf der ersten Konferenz der European Association for Biblestudies 2002, VIII, 286 Seiten, €[D] 48,- ISBN 978-3-7720-2828-1 Band 37 Johannes Krug Die Kraft des Schwachen Ein Beitrag zur paulinischen Apostolatstheorie 2001, 350 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2829-8 Band 38 Byung-Mo Kim Die paulinische Kollekte 2002, 220 Seiten, €[D] 44,- ISBN 978-3-7720-2830-4 Band 39 Vincenzo Petracca Gott oder das Geld Die Besitzethik des Lukas 2003, XIV, 410 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2831-1 Band 40 Jürg Buchegger Erneuerung des Menschen Exegetische Studien zu Paulus 2003, XIV, 409 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-2832-8 Band 41 Claudia Losekam Die Sünde der Engel Die Engelfalltradition in frühjüdischen und gnostischen Texten 2010, VI, 407 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8001-2 Band 42 Stefan Alkier/ Jürgen Zangenberg (Hrsg.) Unter Mitarbeit von C. Dronsch und M. Schneider Zeichen aus Text und Stein Studien auf dem Weg zu einer Archäologie des Neuen Testaments 2003, 540 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8007-4 Band 43 Alexander Mittelstaedt Lukas als Historiker Zur Datierung des lukanischen Doppelwerks 2005, 271 Seiten, €[D] 59,- ISBN 978-3-7720-8140-8 Band 44 Anja Cornils Vom Geist Gottes erzählen Analysen zur Apostelgeschichte 2006, VIII, 283 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8156-9 Band 45 Joel White Die Erstlingsgabe im Neuen Testament 2007, 374 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8210-8 Band 46 Jörg Michael Bohnet Die Berichte über die Himmelfahrt Jesu 2015, ca. 430 Seiten, ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8216-0 Band 47 Renate Banschbach Eggen Gleichnis, Allegorie, Metapher Zur Theorie und Praxis der Gleichnisauslegung 2007, XII, 312 Seiten, €[D] 64,- ISBN 978-3-7720-8238-2 Band 48 Frank Holzbrecher Paulus und der historische Jesus Darstellung und Analyse der bisherigen Forschungsgeschichte 2007, X, 200 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8242-9 Band 49 Armin D. Baum Der mündliche Faktor Analogien zur synoptischen Frage aus der antiken Literatur, der Experimentalpsychologie, der Oral poetry-Forschung und dem rabbinischen Traditionswesen 2008, XVIII, 526 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8266-5 Band 50 Christian Kurzewitz Weisheit und Tod Die Ätiologie des Todes in der Sapientia Salomonis 2010, 194 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8349-5 Band 51 Sascha Flüchter Die Anrechnung des Glaubens zur Gerechtigkeit Auf dem Weg zu einer sozialhistorisch orientierten Rezeptionsgeschichte von Gen 15,6 in der neutestamentlichen Literatur 2010, XIV, 385 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8373-0 Band 52 Philipp Kurowski Der menschliche Gott aus Levi und Juda Die Testamente der zwölf Patriarchen als Quelle judenchristlicher Theologie 2010, VI, 195 Seiten, €[D] 49,- ISBN 978-3-7720-8384-6 Band 53 Jochen Wagner Die Anfänge des Amtes in der Kirche Presbyter und Episkopen in der frühchristlichen Literatur 2011, 358 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8411-9 Band 54 Stephan Hagenow Heilige Gemeinde - Sündige Christen Zum Umgang mit postkonversionaler Sünde bei Paulus und in weiteren Texten des Urchristentums 2011, 370 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8419-5 Band 55 Soham Al-Suadi Essen als Christusgläubige Ritualtheoretische Exegese paulinischer Texte 2011, 347 Seiten, €[D] 68,- ISBN 978-3-7720-8421-8 Band 56 Matthias Klinghardt/ Hal Taussig (Hrsg.) Mahl und religiöse Identität im frühen Christentum Meals and Religious Identity in Early Christianity 2012, 372 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8446-1 Band 57 Philipp F. Bartholomä The Johannine Discourses and the Teaching of Jesus in the Synoptics A Contribution to the Discussion Concerning the Authenticity of Jesus’ Words in the Fourth Gospel 2012, XIV, 491 Seiten, €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8457-7 Band 58 Wichard von Heyden Doketismus und Inkarnation Die Entstehung zweier gegensätzlicher Modelle von Christologie 2014, XIV, 567 Seiten, €[D] 88,- ISBN 978-3-7720-8524-6 Band 59 Julian Petkov Altslavische Eschatologie Texte und Studien zur apokalyptischen Literatur in kirchenslavischer Überlieferung 2015, 495 Seiten, ca. €[D] 78,- ISBN 978-3-7720-8531-4 Band 60 Matthias Klinghardt Das älteste Evangelium und die Entstehung der kanonischen Evangelien Band I: Untersuchung | Band II: Rekonstruktion, Übersetzung, Varianten 2015, 2 Bände zus. XVI, 1280 Seiten, €[D] 198,- ISBN 978-3-7720-8549-9 Band 61 Jan Heilmann/ Matthias Klinghardt (Hrsg.) Das Neue Testament und sein Text im 2. Jahrhundert 2018, 322 Seiten, €[D] 118,- ISBN 978-3-7720-8640-3 Band 62 Nathanael Lüke Über die narrative Kohärenz zwischen Apostelgeschichte und Paulusbriefen 2019, 302 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8677-9 Band 63 Alexander Goldmann Über die Textgeschichte des Römerbriefs Neue Perspektiven aus dem paratextuellen Befund 2020, 254 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8709-7 Band 64 Viktor Löwen Der Zwölferkreis Eine exegetische Untersuchung zu den zwölf Jüngern Jesu im Matthäusevangelium 2020, ca. 700 Seiten, €[D] 128,- ISBN 978-3-7720-8724-0 Band 65 Jan-A. Bühner Jesus und die himmlische Welt Das Motiv der kultischen Mittlung zwischen Himmel und Erde im frühen Judentum und in der von Jesus ausgehenden Christologie 2020, 490 Seiten, €[D] 98,- ISBN 978-3-7720-8725-7 ISBN 978-3-7720-8725-7 www.narr.de T A N Z Die Studie unternimmt eine religionsgeschichtlich-historische Einordnung Jesu in die Entwicklung des Judentums der Zeitenwende, die entscheidend von der Lösung des Judentums vom Tempel in Jerusalem beeinflusst ist. Da nach gemeinsamer jüdischer Anschauung im Tempel der Zugang zum Himmel verwaltet wurde, stellte sich die Frage, wie man auch ohne Tempel den Zugang zum Himmel behalten und gestalten kann. Die Untersuchung unterscheidet drei außerchristlich jüdische Traditionslinien: eine vorrabbinisch-pharisäische, eine kult-apokalyptische und eine charismatisch-praktische. Als vierte Rezeptionslinie kommen Jesu Au reten und die Formulierung seines Anspruches hinzu. Jesus vollbringt Heilungstaten, die herkömmlich in den Bereich der Aufgaben des Tempelkultes fallen, und erntet dafür den Vorwurf, er habe den Beelzebul. Hier zeigt sich, wie Deutungen als hochpriesterliche Erlösungsgestalt die ältesten Überlieferungen von Jesus prägen.