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Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung

2020
978-3-8233-9346-7
Gunter Narr Verlag 
Heike Niesen
Daniela Elsner
Britta Viebrock

Vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Bildungsprozessen und den damit einhergehenden Herausforderungen an die LehrerInnenbildung bietet der Band theoretisch fundierte und praktisch anwendbare Einblicke in digitalisierte Formate der Lehrkräfteausbildung. Aus (fremd-)sprachendidaktischer Perspektive werden vielfältige Konzepte, Methoden und Aufgaben von universitären Lehr-Lernformaten vorgestellt, die im Rahmen von Lehrprojekten, internationalen Kooperationsprojekten wie auch im Kontext der vom BMBF geförderten Qualitätsoffensive Lehrerbildung entwickelt, eingesetzt und erprobt wurden

Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k Giessener Beiträge Giessener Beiträge zur Fremdsprachendidak�k Niesen / Elsner / Viebrock (Hrsg.) Hochschullehre digital gestalten Heike Niesen, Daniela Elsner, Bri�a Viebrock (Hrsg.) Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung Inhalte, Methoden und Aufgaben Vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Bildungsprozessen und den damit einhergehenden Herausforderungen an die LehrerInnenbildung bietet der Band theore�sch fundierte und prak�sch anwendbare Einblicke in digitalisierte Formate der Lehrkrä�eausbildung. Aus (fremd-)sprachendidak�scher Perspek�ve werden vielfäl�ge Konzepte, Methoden und Aufgaben von universitären Lehr-Lernformaten vorgestellt, die im Rahmen von Lehrprojekten, interna�onalen Koopera�onsprojekten wie auch im Kontext der vom BMBF geförderten Qualitätsoffensive Lehrerbildung entwickelt, eingesetzt und erprobt wurden. ISBN 978-3-8233-8346-8 18346_Umschlag.indd 3 18346_Umschlag.indd 3 29.09.2020 08: 44: 00 29.09.2020 08: 44: 00 Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung GIESSENER BEITRÄGE ZUR FREMDSPRACHENDIDAKTIK Herausgegeben von Eva Burwitz-Melzer, Wolfgang Hallet, Jürgen Kurtz, Michael Legutke, Hélène Martinez, Franz-Joseph Meißner und Dietmar Rösler Begründet von Lothar Bredella, Herbert Christ und Hans-Eberhard Piepho Heike Niesen, Daniela Elsner, Britta Viebrock (Hrsg.) Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung Inhalte, Methoden und Aufgaben © 2020 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.narr.de eMail: info@narr.de Satz: pagina GmbH, Tübingen CPI books GmbH, Leck ISSN 0175-7776 ISBN 978-3-8233-8346-8 (Print) ISBN 978-3-8233-9346-7 (ePDF) ISBN 978-3-8233-0240-7 (ePub) www.fsc.org MIX Papier aus verantwortungsvollen Quellen FSC ® C083411 ® Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek. Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar 7 19 37 55 73 97 Inhalt Heike Niesen / Daniela Elsner / Britta Viebrock Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung. Inhalte, Methoden und Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Handlungskompetenzen Claudia Burger / Daniela Elsner Digital English Lab. Digitale fachdidaktische Kompetenzen erwerben durch Kooperatives Forschendes Lernen im Lehramtsstudium Englisch . . . . . . . . Cathrin Sprenger / Carola Surkamp Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor: Zum Einsatz digitaler Medien im Rahmen einer von Studierenden durchgeführten Globalen Simulation im Fach Englisch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rebecca Jakobs / Julia Knopf / Fabienne Korb / Ann-Kristin Müller / Claudia Polzin-Haumann / Philipp Schwender / Eva Wagner Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten . . Carolyn Blume / Torben Schmidt Pädagogischer Doppeldecker - Blended Learning als Methode für die Entwicklung von inklusiven Einstellungen und fachdidaktischem Wissen in der Lehrkräfteausbildung im Fach Englisch als Fremdsprache . . . . . . . . . Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Das Potenzial von Personal Learning Environments in der ersten Phase der Lehrkräftebildung . . . . . . . . . . . . . . . 119 139 167 185 209 231 Digitale Analysekompetenzen Annika Kreft / Britta Viebrock Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen. Ein praxisorientierter Einblick am Beispiel eines interdisziplinären Hochschulseminars im Rahmen des Projekts Level . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heike Niesen / Daniela Elsner Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen angehender Englischlehrkräfte in digitalen Lernumgebungen fördern . . . . . . . . . . . . . . . Digitale Reflexionskompetenzen Georgia Gödecke / Andreas Grünewald Fachspezifische Reflexionsprozesse als Beitrag zum Ausbau des Professionswissens angehender Fremdsprachenlehrkräfte. e-Portfolio als Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten. Ein Lehrprojekt für angehende Spanisch- und FranzösischlehrerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Virtuelle Austausche / Telekollaboration Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi Professional Schools of Education als Akteure des Wandels. Auf ethnische und soziale Vielfalt der Bildungssysteme im digitalen Zeitalter reagieren . Götz Schwab / Nils Drixler Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre.. Interkulturelles Lernen durch virtuellen Austausch im Studium zukünftiger LehrerInnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Inhalt 1 Erziehungsberechtigte aus Hessen über Homeschooling. Vorwort Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung Inhalte, Methoden und Aufgaben Heike Niesen / Daniela Elsner / Britta Viebrock Nicht erst seit der Corona-Krise kann als unbestritten gelten, dass Fragen um die Digitalisierung von Bildungsprozessen in Deutschland in der bildungspoli‐ tischen Diskussion angekommen sind. So sind in den letzten Jahren zahlreiche Beschlüsse gefasst und Maßnahmen ergriffen worden, um die Digitalisierung in Schulen und Hochschulen voranzutreiben. Zu nennen sind hier etwa der viel‐ zitierte „Digitalpakt Schule“ ( BMBF 2019), der nicht nur Gelder zur technischen Ausstattung von Schulen bereithält, sondern auch verdeutlicht, dass Lehrkräfte in den unterschiedlichen Phasen der Lehrkräftebildung für die Digitalisierung an Schulen „nachhaltig qualifiziert“ werden müssen (ebd.: Präambel). Von Seiten der Kultusministerkonferenz finden sich gleich zwei einschlägige Publikati‐ onen, die sich der Digitalisierung sowohl aus primär schulischer als auch aus dezidiert hochschuldidaktischer Perspektive annehmen ( KMK 2017; 2019). Wei‐ terhin sind an dieser Stelle die Strategie „Bildungsoffensive für die digitale Wis‐ sensgesellschaft“ ( BMBF 2016) sowie die 2020 bewilligte, zusätzliche Förderlinie „Digitalisierung in der Lehrerbildung“ im Rahmen der vom BMBF geförderten „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ zu nennen (vgl. van Ackeren et al. 2019). Angesichts dieser Vielzahl an Absichtsbekundungen, Strategiepapieren und monetären Anstrengungen muten folgende, dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel entnommene Zitate 1 im Kontext des coronabedingten digitalisierten Schulunterrichts befremdlich an: Dort heißt es über Lehrkräfte, sie seien „Pa‐ 2 AutorInnen des Spiegel Beitrags: Susmita Arp, Matthias Bartsch, Jürgen Dahlkamp, Manfred Dworschak, Sike Fokken, Jan Friedmann, Armin Himmelrath, Miriam Olb‐ risch, Christopher Piltz, Gerald Traufetter, Swantje Unterberg & Alfred Weinzierl. 3 Das Interview führten Veit Medick und Gerald Traufetter. piermenschen“ (Der Spiegel 2020: 11), 2 die „sich vor Smartphone-Kids blamieren, weil sie es gerade mal schaffen, Aufgaben per Mail zu verschicken - oder mit der Post“ (ebd.: 10). Im selben Heft führt Bundesbildungsministerin Anja Kar‐ liczek im Interview jedoch an: „Wir haben die Lehrerbildung im Digitalpakt verankert. Die neuen Kompetenzen müssen dringend vermittelt werden. In der ehemaligen Schule meiner Kinder gibt es einen Lehrer, der hatte früher ein ei‐ genes IT -Unternehmen, das war super. Aber diese Affinität gibt es natürlich nicht bei jedem Lehrer“ (ebd.: 17). 3 Ob die Führung eines IT -Unternehmens die Entwicklung jener Kompetenzen mit sich bringt, die es braucht, um digitalisierte Lehr-/ Lernprozesse zu konzipieren, durchzuführen und kritisch zu reflektieren, sei einmal dahin gestellt, ebenso wie die im obigen Zitat anzunehmende inhä‐ rente Sicht, die „Affinität“ einzelner Lehrpersonen könne auf dem Weg zu einer systematischen Professionalisierung angehender und praktizierender Lehr‐ kräfte „super“ sein. Es besteht allerdings kein Zweifel daran, dass die im Interview angespro‐ chenen Kompetenzen bereits umfangreich gefasst und definiert wurden. So wartet der Europäische Rahmen für die Digitale Kompetenz Lehrender (Dig‐ Comp-Edu) (Redecker & Punie 2017) mit insgesamt 22 Kompetenzen auf, die sechs übergeordneten Bereichen zugeordnet werden. Die Kompetenzen be‐ ziehen sich hierbei auf Lehrende aller Bildungseinrichtungen, deren Kompe‐ tenzgenese auf einem Entwicklungskontinuum von A1 bis C2 abgebildet ist. Die Kernkompetenzen umfassen im Detail zunächst die Fähigkeit von Lehrenden, „für ihre Lernziele, ihre Lerngruppe und entsprechend ihres Lehrstils geeignete Bildungsressourcen identifizieren, die Fülle an Materialien strukturieren, Ver‐ knüpfungen und digitale Ressourcen zur Unterstützung ihrer Lehre selbst schaffen bzw. anpassen, ergänzen und weiterentwickeln zu können“ (ebd.: 16). Weitere Kompetenzen fokussieren „das Gestalten, Planen und Einsetzen von digitalen Medien in den verschiedenen Lernprozessstufen“ (ebd.: 16), die Fähig‐ keit, „Digitale Informationen zu Lernerverhalten, Leistung und Fortschritt er‐ heben, auswählen, kritisch analysieren und interpretieren [zu können], um Rückschlüsse für den Unterricht zu ziehen“ (ebd.: 17 f.), sowie den Einsatz digi‐ taler Medien zur „Differenzierung und Individualisierung“ von Lernprozessen (ebd.: 18). Schlussendlich sollen Lehrende die „eigene digitale pädagogische Praxis sowie die der Bildungsgemeinschaft individuell und gemeinsam reflek‐ tieren, selbstkritisch beurteilen und aktiv entwickeln“ (ebd.: 15). 8 Heike Niesen / Daniela Elsner / Britta Viebrock In ähnlicher Weise führt die KMK Kompetenzen für Hochschullehrkräfte an, wobei teilweise gar dieselben Operatoren ausfindig gemacht werden können. So heißt es im Strategiepapier zur Bildung in der digitalen Welt im Abschnitt „Anforderungen und Handlungsbedarfe“ ( KMK 2017), Hochschullehrende seien zu befähigen, „aktuelle und zukünftige technologische Entwicklungen hinsicht‐ lich ihrer Einsetzbarkeit im Lehr-Lern-Prozess zu identifizieren, für das ent‐ sprechende Lernsetting nutzbar zu machen und im Anschluss hinsichtlich ihrer Effizienz und Qualität zu reflektieren, zu evaluieren und weiter zu entwickeln (ebd.: 48 f.). Bei genauerer Betrachtung lassen sich nicht nur Ähnlichkeiten in den Kom‐ petenzbeschreibungen, sondern drei übergeordnete Bereiche ausmachen, denen die jeweiligen Ausdifferenzierungen der Kompetenzen zugeordnet werden können (alternativ zu jenen übergeordneten Kategorien, wie sie in den ent‐ sprechenden Publikationen definiert werden): Der Bereich unterrichtsbezo‐ gener, digitaler Handlungskompetenzen, der Bereich digitaler Analysekompe‐ tenzen sowie der Bereich digitaler Reflexionskompetenzen. Die hier herausgestellten Bereiche werden seitens der KMK insbesondere im Kontext der universitären Lehrkräfteausbildung genannt: „In einer digitali‐ sierten Welt ist es von essentieller Bedeutung für ein erfolgreiches Berufsleben sowie gesellschaftliche Teilhabe, im Rahmen eines Studiums digitale Hand‐ lungskompetenzen entwickelt zu haben. […] Im Rahmen ihres Studiums sind die angehenden Lehrerinnen und Lehrer optimal dafür auszubilden, digitale Kompetenz in die Schulbildung zu integrieren“ ( KMK 2019: 6), vor allem, um sie „mit den für die Heranführung von Schülerinnen und Schülern an das Leben in der digitalen Welt erforderlichen Kompetenzen auszustatten (ebd.: 13). In der Lehrerbildung tätige Hochschullehrende werden dezidiert in die Pflicht ge‐ nommen, denn „[h]ochschuldidaktische Angebote sollen Lehrende dabei un‐ terstützen, sich mit dem Umgang mit ihrer potentiell veränderten Rolle und mit deren Ausgestaltung selbstreflexiv auseinanderzusetzen“ (ebd.: 12). Es ist deutlich geworden, dass zahlreiche und umfassende bildungspolitische Bemühungen unternommen wurden und werden, digitalisierte Bildungspro‐ zesse auf universitärer Ebene flächendeckend zu verankern. Gerade deshalb muss an dieser Stelle gefragt werden, warum diese Maßnahmen sich nicht in ausreichendem Maße in konkreten Lehr-/ Lernangeboten in der universitären (Lehrer-)bildung niederschlagen, obwohl es an guten Ideen und Ansätzen hier nicht fehlt ( KMK 2017). Gilch, Beise, Krempkow, Müller, Stratmann & Wanne‐ macher (2019) kommen zu dem Schluss, dass es bereits zahlreiche gute Praxis‐ beispiele zur digitalisierten Lehre gibt, und dass außerdem der digitalisierten Hochschullehre von Universitätsleitungen wie auch von Akteuren der Lehre ein 9 Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung hoher bis sehr hoher Stellenwert beigemessen wird. Andererseits entspreche diesem zugesprochenen Stellenwert jedoch nicht der tatsächliche erreichte Stand an digitalisierter Lehre (ebd: 41 ff.). Vielmehr sei zu beobachten, dass die Digitalisierung von Lehren und Lernen im tertiären Bereich von einzelnen Ak‐ teuren abhänge, mit „Unsicherheiten“ und „Ängsten bei den Lehrenden“ be‐ haftet sei und einem „Flickenteppich“ gleiche (ebd.: 37, 42). Anregungen, wie diesen Umständen zu begegnen sei, wurden bereits gemacht. So findet sich immer wieder die Forderung nach der Veröffentlichung guter Praxisbeispiele aus und für die universitäre Lehre, die zu einer Verbreitung und Vernetzung dieser best practice-Beispiele beitragen sollen (Gilch et al. 2019; KMK 2017; 2019). Der vorliegende Band greift diese Forderung auf und bietet theoretisch fundierte Einblicke in digitalisierte Formate der Lehrkräfteausbildung. Sämt‐ liche Formate wurden bereits in der Praxis erprobt und weisen einen entspre‐ chend hohen „Reifegrad“ ( KMK 2019: 3) auf. Der Band geht jedoch über eine Sammlung guter Praxisbeispiele weit hinaus: Nicht nur aus Sicht der Heraus‐ geberinnen kann die Digitalisierung universitärer Lehre nur dann sinnvoll vo‐ rangetrieben werden, wenn sie, neben aller gebotenen Vernetzung und der Ent‐ wicklung übergreifender Modelle und Konzepte (bspw. DigCompEdu), auf den Säulen fachdidaktischer - und damit disziplinimmanenter - Expertise ruht (vgl. Horz & Schulze-Vorberg 2017). Aus diesem Grund sind sämtliche Beiträge des Bandes, die alle im Rahmen von Lehrprojekten, internationalen Kooperations‐ projekten wie auch im Kontext der vom BMBF geförderten Qualitätsoffensive Lehrerbildung entstanden sind, der universitären (Fremd-)Sprachenlehrerbil‐ dung zuzuordnen, und zwar aus fachspezifischer (vgl. Abendroth-Timmer & Wolter, Blume & Schmidt, Bündgens-Kosten & Kemmerer, Burger & Elsner, Gö‐ decke & Grünewald, Niesen & Elsner, Schwab & Drixler sowie Sprenger & Sur‐ kamp) wie auch fachübergreifender (vgl. z. B. Jakobi, Knopf, Korb, Müller, Polzin-Haumann, Schwender & Wagner, Keßler, Knoblauch & Jakobi sowie Kreft & Viebrock) Perspektive. Der thematische Fokus der beschriebenen Lehr‐ projekte liegt auf dem professionellen Umgang angehender Lehrkräfte mit schülerseitiger sprachlicher und kultureller Heterogenität, insbesondere des‐ halb, da das Thema Diversität und Heterogenität im Kontext inklusiver Schul- und Unterrichtsentwicklung ein weiteres zentrales Querschnittsthema bildet, dem sich die Fremdsprachendidaktik aktuell widmet (vgl. z. B. Burwitz-Melzer, Riemer & Schmelter 2019). Die Gliederung der Beiträge greift die oben vorgenommene Aufteilung in digitale Handlungs-, Analysesowie Reflexionskompetenzen auf. Zudem finden sich zwei Beiträge, die sich dem Format virtueller Austausche bzw. Telekolla‐ borationen widmen. 10 Heike Niesen / Daniela Elsner / Britta Viebrock Die Entwicklung digitaler (Handlungs-)Kompetenzen steht im Mittelpunkt des Beitrags von Claudia Burger und Daniela Elsner, welche die Konzeption, die Grundlagen und die Zielsetzung des Projekts „Digi_Gap - Digitale Lücken in der Lehrkräftebildung schließen“ beschreiben, das als Teil der Qualitätsoffensive Lehrerbildung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ( BMBF ) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gefördert wird. Der Projekttitel ver‐ deutlicht, dass davon auszugehen ist, dass digitale Möglichkeiten in der Unter‐ richtspraxis aufgrund gegebener Infrastrukturbedingungen oder Kompetenzen von Lehrkräften nicht hinreichend genutzt werden und daher insbesondere be‐ reits in der universitären Lehrkräftebildung grundzulegen sind. Die Autorinnen erörtern, wie entsprechende Kompetenzen mithilfe eines auf Kooperation und forschendem Lernen basierenden Ansatzes zu entwickeln sind. Cathrin Sprenger und Carola Surkamp stellen in ihrem Beitrag ein universi‐ täres Lehrkonzept vor, in dem Studierende im Kontext eines Schülerlabors Eng‐ lischunterricht planen, erproben und analysieren. Der fremdsprachendidakti‐ sche Fokus liegt dabei auf der Dimension der Heterogenitätssensibilität sowie auf dem Einsatz von digitalen Medien zur Förderung kommunikativer Kompe‐ tenzen. Die Autorinnen erörtern im Detail ein Lehr-/ Lern-Labor, das dem Ansatz einer Globalen Simulation folgt. Die Entwicklung und Erprobung eines Unter‐ richtsvorschlags wird dabei um den Ansatz des forschenden Lernens und die Entwicklung von Kompetenzen für eine empirische Fremdsprachen- und Leh‐ rerhandlungsforschung ergänzt, auf dessen Basis die teilnehmenden Studier‐ enden eine selbstgewählte Forschungsfrage begleitend untersuchen. Aus der Begleitforschung des Schülerlabors geht hervor, dass dieser Ansatz äußerst an‐ spruchsvoll ist. Von einem Teil der Studierenden wird er eher als Überforderung wahrgenommen, während ein anderer Teil hier eine besondere Lerngelegenheit erkennt. Der Beitrag von Rebecca Jakobs, Julia Knopf, Fabienne Korb, Ann-Kristin Müller, Claudia Polzin-Haumann, Philipp Schwender und Eva Wagner von der Universität des Saarlandes präsentiert Beispiele digitaler Anwendungen, die sich insbesondere zur Förderung von Mehrsprachigkeit bzw. zum Umgang mit sprachlicher Heterogenität im Klassenzimmer eignen. Die AutorInnen erläutern eine auf drei Workshops basierende und durch ein Portfolio begleitete Semi‐ narkonzeption, innerhalb derer Lehramtsstudierende in Kooperation mit bereits praktizierenden Lehrkräften die Möglichkeit haben, verschiedene Anwen‐ dungen und Tools zu erproben und auf unterrichtliche Kontexte anzuwenden. Zielsetzung neben der Entwicklung digitaler Kompetenzen ist vor allem das sprachenvernetzende Lernen innerhalb der romanischen Sprachen. Darüber hi‐ 11 Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung naus kommt es zu einer Vernetzung der verschiedenen Phasen der LehrerIn‐ nenbildung. Ein Handlungs- und Reflexionskompetenz verbindender Ansatz liegt dem Blended Learning-Seminar zum Thema „Teaching in Heterogeneous and Inclu‐ sive Settings“ zugrunde, das in der Englischdidaktik an der Leuphana Universität Lüneburg entwickelt wurde und im Beitrag von Carolyn Blume und Torben Schmidt vorgestellt wird. Der thematische Fokus des Seminars liegt auf Fragen eines heterogenitätssensiblen und inklusiven Englischunterrichts. Weniger als um die Erprobung bestimmter Tools für unterrichtliche Zwecke geht es in diesem Ansatz um die Anreicherung hochschuldidaktischer Lehr-/ Lernsettings um digitale Methoden. Schwerpunktmäßig wird auf Videografien (z. B. mehr‐ perspektivische Unterrichtsvideografien, Eigenvideografien, Kurzvorträge und Experteninterviews) gesetzt, die im Kontext von digitalen Lernpakten in einem flipped classroom-Ansatz zu bearbeiten sind. Videokonferenzsysteme werden dazu eingesetzt, um quasi live der Umsetzung von an der Universität entwi‐ ckelten Konzepten durch eine Lehrkraft im Unterricht beizuwohnen. Die Be‐ gleitforschung zum Seminar zeigt nicht nur überdurchschnittliche hohe Zu‐ stimmungsraten zur Konzeption, sondern auch eine Zunahme in der Reflexionskompetenz sowie eine Stärkung inklusionsbezogener, handlungslei‐ tender Kognitionen. Eine Perspektivverschiebung nehmen Judith Bündgens-Kosten und Alexandra Kemmerer vor. Im Zentrum ihres Beitrags steht nicht eine übergeordnete Semi‐ narkonzeption oder ein kollektives Lernmanagementsystem, sondern vielmehr die Frage, wie sich digitale Lernumgeben aus Sicht der einzelnen NutzerIn ge‐ stalten. Im Vergleich zu Ansätzen, in denen die Entwicklung von Medien-, Handlungs- oder Reflexionskompetenzen im Zentrum stehen, werden in diesem Ansatz vor allem Konzepte wie ownership und Autonomie hervorgehoben. Per‐ sonal Learning Environments kombinieren auf individuelle Weise verschiedene Anwendungen, Tools und Werkzeuge, sodass Lernwerkzeuge, Inhalte und Me‐ thoden in der Kontrolle der NutzerInnen verbleiben. Die Autorinnen zeigen auf, wie im Rahmen der ersten Phase der Lehrerbildung bereits vorhandene persön‐ liche Lernumgebungen in Seminaren der Englischdidaktik genutzt werden können, und geben zahlreiche praktische Beispiele zum Wissens- und Kompe‐ tenzerwerb durch Aktivitäten in sozialen Medien. Annika Kreft und Britta Viebrock widmen sich in ihrem Beitrag der Frage, wie die Arbeit mit videografierten Unterrichtssequenzen zur Entwicklung professi‐ oneller Kompetenzen angehender (Fremd-) Sprachenlehrkräfte genutzt werden kann. Sie beschreiben im Detail einen methodischen Ansatz zur schrittweisen Analyse von Unterrichtsvideografien, die im Rahmen eines interdisziplinären, 12 Heike Niesen / Daniela Elsner / Britta Viebrock auch digitale Lernpakete umfassenden Seminars in der Englisch- und Deutsch‐ didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt mehrfach durchgeführt wurde. Der thematische Fokus lag dabei auf der professionellen Wahrnehmung litera‐ rischer Verstehensprozesse und transkultureller Kompetenzen. Die Autorinnen können mithilfe von Datenauszügen zeigen, wie eine strukturierte methodische Anleitung differenzierte, theoriegeleitete Analyseergebnisse der Studierenden hervorbringt und selbstreflexive Momente ermöglicht. Im Beitrag von Heike Niesen und Daniela Elsner werden drei Lehr-Lernfor‐ mate hinsichtlich ihres Potenzials zur Förderung mehrsprachigkeitssensitiver, professioneller Wahrnehmungs- und Handlungskompetenzen angehender Eng‐ lischlehrkräfte auf den Prüfstand gestellt, insbesondere hinsichtlich der Fähig‐ keit der Studierenden, Unterrichtsvideos theoriebasiert zu analysieren und mehrsprachigkeitssensitive, unterrichtliche Handlungsoptionen theoretisch zu begründen. Untersucht wurden in einem universitären Lehr-/ Lernsetting das traditionelle Format, das Flipped Classroom Format sowie das Enriched Virtual Format, die sich inhaltlich mit mehrsprachiger Sprachenbewusstheit, dem Ein‐ satz mehrsprachiger Texte und Medien sowie interkomprehensionsdidakti‐ schen Ansätzen auseinandersetzten. Zwar zeigte sich keines des drei Formate als überlegen, es konnten jedoch Gestaltungsempfehlungen zur Entwicklung der professionellen Kompetenzen der Studierenden für jedes einzelne Format herausgearbeitet werden ( ESCORT -Prinzip). Fachspezifische Reflexionskompetenzen stellen den Fokus des Beitrags von Georgia Gödecke und Andreas Grünewald dar, die zeigen, wie mithilfe eines fach‐ spezifischen e-Portfolios in der Didaktik der romanischen Sprachen an der Uni‐ versität Bremen Reflexionsprozesse zukünftiger FremdsprachenlehrerInnen systematisch initiiert und angeleitet werden. In ihrer Konzeption beziehen sie sich auf die etablierte und wirkmächtige Figur des ‚reflektierten Praktikers‘ (nach Schön 1983), der in der Lage ist, Praxiserfahrungen und theoretisches, professionelles Wissen sinnvoll aufeinander zu beziehen und zur eigenen Kom‐ petenzentwicklung zu nutzen. Die AutorInnen beschreiben die zugrunde ge‐ legten Prinzipien der Aufgabenkonstruktion. Sie erläutern ihr empirisch entwi‐ ckeltes Modell zur fachspezifischen Reflexionskompetenz und explizieren am Beispiel der Wortschatzarbeit, wie dieses die Vernetzung relevanter Wissens‐ bereiche sichtbar macht. Der Beitrag von Dagmar Abendroth-Timmer und Martin Wolter beschreibt ein Lehrprojekt, das in der Didaktik der romanischen Sprachen an der Universität Siegen konzipiert, durchgeführt und evaluiert wurde. Ziel des Projekts waren die Prüfung von zahlreichen Apps und Anwendungen im Hinblick auf ihren sinnvollen Einsatz im Französisch- und Spanischunterricht sowie - darauf ba‐ 13 Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung sierend - die Entwicklung von Unterrichtsszenarien. Neben den theoretischen Grundlagen, auf denen digitale Lehr- und Lernkontexte basieren, beschreiben die AutorInnen detailliert das Kurskonzept. Darüber hinaus präsentieren sie empirische Daten aus ihrer digiSem-Studie, mithilfe derer sie Effekte des Kurs‐ konzepts im Hinblick auf eine reflexive LehrerInnenbildung untersuchen. Die Ergebnisse zeigen einerseits Veränderungen in der Wahrnehmung der Studier‐ enden bezüglich der Potenziale digitaler Anwendungen und unterstützen an‐ dererseits das Seminarkonzept, das Methoden der praktischen Erprobung digi‐ taler Anwendungen und Reflexionsaufgaben integriert. Jörg-U. Keßler, Christoph Knoblauch und Minke Jakobi stellen in ihrem Beitrag ein Projekt vor, das in Kooperation zwischen der Ambedkar University Delhi und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg durchgeführt wurde. Sie be‐ schreiben die Entwicklung und Durchführung kollaborativer, interkultureller Blended Learning-Szenarien und erörtern, wie diese einen Beitrag zu innova‐ tiver Hochschullehrer- und LehrerInnenbildung leisten. Darüber hinaus doku‐ mentieren sie Ergebnisse der empirischen Begleitforschung des Projekts, die quantitative und qualitative Ansätze in triangulativer Weise vereint. Im Hinblick auf studentische Einstellungen, Lernpräferenzen und die Transformationen von Lernstrategien zeigen sich positive Entwicklungen, welche die AutorInnen auch der internationalen Perspektive zuschreiben, auf der die gesamte Projektkon‐ zeption basierte. Insbesondere der produktive Umgang mit Alteritätserfah‐ rungen lässt sich als zentrales Moment identifizieren. Der Beitrag von Götz Schwab und Nils Drixler betrachtet ebenfalls die Po‐ tenziale von Telekollaborationsprojekten bzw. Virtual Exchange und beschreibt das Extended Telecollaboration Practice ( ETP )-Projekt, das zwischen der Päda‐ gogischen Hochschule Karlsruhe und dem Kibbutz im College of Education in Tel Aviv durchgeführt wurde. Die Autoren heben insbesondere hervor, dass in solchen Settings nicht nur die Authentizität der fremdsprachlichen Kommuni‐ kation erhöht werden kann, sondern darüber hinaus interkulturelle und digitale Kompetenzen erworben werden, die im Rahmen der späteren Berufstätigkeit unmittelbar einsetzbar sind. Neben der theoretischen Modellierung, die dem Projekt zugrunde liegt, und der standortspezifischen kontextuellen Einbettung stellen die Autoren beispielhaft den Ablauf und Inhalt einer Task Sequenz vor und weisen auf zentrale Prinzipien (wie z. B. Produktorientierung) hin, die für eine erfolgreiche Telekollaboration zu beachten sind. 14 Heike Niesen / Daniela Elsner / Britta Viebrock Literatur BMBF (2016). Bildungsstrategie für die digitale Wissensgesellschaft. Strategie des Bundes‐ ministeriums für Bildung und Forschung. Abrufbar unter: https: / / www.bildung-forsch ung.digital / files / Bildungsoffensive_fuer_die_digitale_Wissensgesellschaft.pdf BMBF (2019). Verwaltungsvereinbarung DigitalPakt Schule 2019 bis 2014. Abrufbar unter: https: / / www.digitalpaktschule.de / files / VV_DigitalPaktSchule_Web.pdf Burwitz-Melzer, Eva, Riemer, Claudia & Schmelter, Lars (Hrsg.) (2019). Das Lehren und Lernen von Fremdsprachen im digitalen Wandel. Arbeitspapiere der 39. Frühjahrskonfe‐ renz zur Erforschung des Fremdsprachenunterrichts. Tübingen: Narr. Der Spiegel (2020). Schulversagen. Wie das Virus die Schwächen unseres antiquierten Bil‐ dungssystems offenlegt. Nr. 18. 25. 4. 2020. Gilch, Harald, Beise, Anna Sophie, Krempkow, René, Müller, Marko, Stratmann, Friedrich & Wannemacher, Klaus (2019). Digitalisierung der Hochschulen. Ergebnisse einer Schwerpunktstudie für die Expertenkommission Forschung und Innovation. Studien zum deutschen Innovationssystem Nr. 14. HIS - Institut für Hochschulentwicklung (HIS-HE). Abrufbar unter: https: / / www.e-fi.de / fileadmin / Innovationsstudien_201 9 / StuDIS_14_2019.pdf Horz, Holger & Schulze-Vorberg, Lukas (2017). Digitalisierung in der Hochschullehre. Konrad Adenauer Stiftung: Analysen und Argumente 283. Abrufbar unter: https: / / www .kas.de / de / analysen-und-argumente / detail/ -/ content / digitalisierung-in-der-hochs chullehre1 KMK (2017). Bildung in der digitalen Welt. Strategie der Kultusministerkonferenz. Abrufbar unter: https: / / www.kmk.org / fileadmin / Dateien / pdf / PresseUndAktuelles / 2018 / Di gitalstrategie_2017_mit_Weiterbildung.pdf KMK (2019). Empfehlungen zur Digitalisierung in der Hochschullehre. Beschluss der Kul‐ tusministerkonferenz vom 14. 03. 2019. Abrufbar unter: https: / / www.kmk.org / fileadmi n / Dateien / pdf / PresseUndAktuelles / 2019 / BS_190 314_Empfehlungen_Digitalisier ung_Hochschullehre.pdf Redecker, Christine & Punie, Yves (2017). Europäischer Rahmen für die Digitale Kompetenz Lehrender. DigCompEdu. Abrufbar unter: https: / / ec.europa.eu / jrc / en / digcompedu Schön, Donald (1983). The Reflective Practitioner: How Professionals Think in Action. Basic Books. 15 Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung van Ackeren, Isabell, Aufenanger, Stefan, Eickelmann, Birgit, Friedrich, Steffen, Kammerl Rudolf, Knopf, Julia, Mayrberger, Kerstin, Scheika, Heike, Scheiter, Katharina & Schiefner-Rohs, Mandy (…) (2019). Digitalisierung in der Lehrerbildung Herausfor‐ derungen, Entwicklungsfelder und Förderung von Gesamtkonzepten. DDS - Die Deutsche Schule, 111(1). Abrufbar unter: https: / / www.dds.uni-hannover.de / fileadmi n / schulentwicklungsforschung / DDS_Open_Access / DDS_1_2019_van_Ackeren_e t_al.pdf 16 Heike Niesen / Daniela Elsner / Britta Viebrock Digitale Handlungskompetenzen Digital English Lab Digitale fachdidaktische Kompetenzen erwerben durch Kooperatives Forschendes Lernen im Lehramtsstudium Englisch Claudia Burger / Daniela Elsner Englischlehrkräfte müssen SchülerInnen sprachlich und kulturell auf das Leben in einer mehrsprachigen, plurikulturellen Gesellschaft vorbereiten und ihnen Strategien und Techniken zum lebenslangen Fremdsprachenlernen an die Hand geben. Der Einsatz digitaler Technologien kann diese Aufgaben un‐ terstützen. Darüber hinaus sind digitale Technologien, der sinnvolle Umgang mit ihnen sowie deren Grenzen und Gefahren selbst längst zu einem wich‐ tigen Unterrichtsgegenstand geworden. Auch Fremdsprachenlehrkräfte haben die Aufgabe, junge Menschen auf ein Leben in einer digitalisierten Welt vorzubereiten und mit ihnen die digital tools zu erproben, die sich für die Aneignung einer fremden Sprache und der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen als hilfreich erweisen. Dafür müssen Lehrkräfte imstande sein, Un‐ terricht entsprechend zu gestalten. Die universitäre Lehrkräfteausbildung muss darauf reagieren, dass die Mög‐ lichkeiten des Einsatzes digitaler Technologien in der Unterrichtspraxis bisher nicht ausgeschöpft werden (Drossel, Eickelmann & Lorenz 2018). Gründe hierfür sind u. a. unzureichende digitale Infrastrukturbedingungen (Hochschul-Barometer o.D.) sowie mangelnde Kompetenzen der Lehrkräfte (Schwanenberg, Klein & Walpuski 2018), insbesondere hinsichtlich der di‐ daktischen Einbindung digitaler Medien (Gerick, Schaumburg, Kahnert & Ei‐ ckelmann 2014). An dieser Kompetenzlücke setzt ein Lehr-Lernkonzept an, das im Rahmen eines größeren Projektes mit dem Titel „Digi_Gap - Digitale Lücken in der Lehrkräftebildung schließen“ ab 2020 als Teil der Qualitätsof‐ fensive Lehrerbildung vom Bundesministerium für Bildung und Forschung ( BMBF ) an der Goethe-Universität Frankfurt am Main gefördert wird. Ziel des Lehr-Lernkonzepts ist die Entwicklung digitaler fachbezogener Kompe‐ 1 Der Beitrag orientiert sich an der folgenden Begriffsdefinition, die Studierende des Se‐ minars „Digital Tools in the English Foreign Language Classroom“ an der Goethe-Uni‐ versität Frankfurt (Seminarleitung: Dr. Claudia Burger & Dr. Heike Niesen, Sommerse‐ mester 2019) erarbeitet haben: „Jede Art von digitaler Technologie, die verwendet wird, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen, ist ein digitales Werkzeug. Digitale Werkzeuge sind Geräte wie Computer und Smartphones, jede Software (z. B. Computerprogramme, Apps, Video- und Computerspiele), jede Art digitaler Inhalte (bspw. Bilder, Videos und PowerPoint-Präsentationen), aber auch das Internet selbst und Webseiten, wenn diese Geräte, Software usw. für das Erreichen eines bestimmten Ziels eingesetzt werden.“ 2 Einer aktuellen Übersicht zufolge wird die englische Sprache von 1,1 Milliarden In‐ ternet-NutzerInnen verwendet und bildet damit die am häufigsten gebrauchte Sprache im Netz (Internet World Stats 2019). tenzen von Studierenden des Englischlehramts und erfahrenen Lehrkräften mithilfe des Ansatzes Kooperativen Forschenden Lernens und unter Nutzung digitaler Werkzeuge. Die grundlegenden Ideen des Projekts zum Lehr-Lern‐ konzept und dessen Erforschung sollen in diesem Beitrag präsentiert werden. 1 Einführung SchülerInnen wachsen in einer globalisierten und digitalisierten mehrspra‐ chigen, plurikulturellen Welt auf, auf die sie in den Bildungsinstitutionen, die sie durchlaufen, vorbereitet werden müssen. Das Arbeits- und Privatleben in einem solchen Kontext stellt Anforderungen an die heranwachsende Genera‐ tion, die sich aufgrund des drastischen digitalen Wandels sehr von den Anfor‐ derungen unterscheiden, mit denen einige Lehrkräfte von heute in ihrer Kind‐ heit und Jugend konfrontiert waren. So müssen Lehrkräfte ihren Lernenden eine Kompetenzentwicklung ermöglichen, die sie teils selbst noch durchlaufen müssen. Das bezieht sich in besonderer Weise auf den Umgang mit digitalen Technologien: Generationenübergreifend müssen Menschen lernen, diese im privaten und professionellen Bereich gewinnbringend und verantwortungsvoll nutzen zu können. Für die Ausbildung von Englischlehrkräften hat dies zur Folge, dass sie in der Lage sein müssen, ihren SchülerInnen Strategien und Techniken zum lebens‐ langen Fremdsprachenlernen im Kontext von Digitalisierung an die Hand zu geben. Der Umgang mit digitalen Werkzeugen 1 spielt dabei eine bedeutsame Rolle, da diese neuen Formen die weltweite Kommunikation ermöglichen, wobei Englisch als digital lingua franca eine exponierte Funktion einnimmt. 2 Um in einer globalisierten, digitalisierten Welt kommunikations- und somit handlungsfähig zu sein, müssen SchülerInnen sowohl ihre englischsprachigen als auch ihre digitalen Kompetenzen entwickeln. Damit einher geht die Not‐ 20 Claudia Burger / Daniela Elsner wendigkeit äquivalenter Kompetenzen seitens der Englischlehrkräfte, die da‐ rüber hinaus jedoch auch über die notwendigen didaktischen Kompetenzen in Bezug auf die inhaltliche und methodische Einbindung digitaler Werkzeuge in die Unterrichtspraxis verfügen müssen. Insbesondere in Bezug auf Nutzen, Grenzen, Gefahren und Möglichkeiten müssen digital tools im Fachunterricht unter Anleitung der Lehrperson kritisch reflektiert werden. Die Ausbildung fachbezogener und -übergreifender digitaler Kompetenzen erfordert dazu eine Lernumgebung, in der eine Auswahl verschiedener digitaler Technologien für den Unterricht zugänglich ist. Diese Argumentationslinie ist auch im bildungspolitischen Diskurs abge‐ bildet. So heißt es im Strategiepapier „Bildung in der digitalen Welt“ (Kultus‐ ministerkonferenz [ KMK ] 2017), die zunehmende Digitalisierung aller Lebens‐ bereiche führe zu einem stetigen Wandel des beruflichen und privaten Alltags. Ziel sei es daher, dass möglichst bis 2021 jede Schülerin und jeder Schüler jederzeit, wenn es aus pä‐ dagogischer Sicht im Unterrichtsverlauf sinnvoll ist, eine digitale Lernumgebung und einen Zugang zum Internet nutzen können sollte. Voraussetzungen dafür sind eine funktionierende Infrastruktur […], die Klärung verschiedener rechtlicher Fragen […], die Weiterentwicklung des Unterrichts und vor allem auch eine entsprechende Qua‐ lifikation der Lehrkräfte (KMK 2017: 11). Mit dem Digitalpakt Schule stehen den Schulen nun Ressourcen zur Verfügung, um den o. g. Forderungen nachzukommen und v. a. die entsprechenden digitalen infrastrukturellen Bedingungen zu schaffen. Auch an Hochschulen steht die Frage der Digitalisierung im Zentrum von Organisationsentwicklungsprozessen. Erst kürzlich forderte die Kultusminis‐ terkonferenz ( KMK 2019) die Hochschulen dazu auf, organisatorische, perso‐ nelle und finanzielle Voraussetzungen zur Durchführung der Lehre in der digi‐ talen Welt zu schaffen. Es sollen neue digitale Lern- und Lehrformate sowie Konzepte zur curricularen Integration digitaler Elemente in die Lehre entwickelt werden. Kooperativen Lehrformen wird dabei eine Schlüsselrolle zuge‐ schrieben. Dezidiert bezugnehmend auf die universitäre Lehrkräfteausbildung heißt es, die angehenden Lehrkräfte seien optimal dafür auszubilden, digitale Kompetenz in die Schulbildung zu integrieren. Dabei verweist die KMK auf die zweite Phase der Qualitätsoffensive Lehrerbildung. Die notwendige Transfor‐ mationsleistung solle dabei idealerweise aus den Fachdisziplinen heraus er‐ folgen ( KMK 2019). 21 Digital English Lab 2 Forschungserkenntnisse zu fachübergreifenden und fachbezogenen digitalen Kompetenzen von SchülerInnen und (angehenden) (Englisch-)Lehrkräften Gestützt werden die nachgezeichneten politischen Forderungen durch die em‐ pirische Befundlage. Bspw. kommt die Vergleichsstudie International Computer and Information Literacy Study ( ICILS , Bos et al. 2014) zu dem Ergebnis, dass die Kompetenzen der deutschen SchülerInnen im internationalen Vergleich nur im Mittelfeld liegen. Zudem deckt eine Reihe von Studien eine breite Unzufrieden‐ heit mit der gegebenen schulischen IT -Infrastruktur auf (Bos et al. 2014; Schwa‐ nenberg et al. 2018). Darüber hinaus haben verschiedene Untersuchungen (meist gemäß Selbsteinschätzung) das Nutzungsverhalten, die Einstellungen und die Kompetenzen unterschiedlicher Zielgruppen (SchülerInnen, Lehrkräfte, Schul‐ leitungsvertretungen) hinsichtlich digitaler Technologien bzw. Medien erhoben. So zeigt die ICILS -Studie auf, dass deutsche Lehrkräfte digitale Geräte im in‐ ternationalen Vergleich am seltensten einsetzen - obwohl bisherige Ergebnisse belegten, „dass die schulische Nutzung digitaler Medien den kompetenten Um‐ gang mit neuen Technologien unterstützen kann“ (Eickelmann, Schaumburg, Drossel & Lorenz 2014: 202). Weiter heißt es dezidiert in Bezug auf den Fremd‐ sprachenunterricht, die Nutzung digitaler Geräte sei im internationalen Ver‐ gleich gering (ebd.). In Bezug auf Einstellungen und Kompetenzeinschätzungen stellt sich die wissenschaftliche Ergebnislage als widersprüchlich dar, obwohl nationale sowie internationale Studien die Relevanz von positiven Einstellungen für den Einsatz digitaler Medien im Unterricht verdeutlichen (Gerick et al. 2014). Während manche Studien zu dem Ergebnis kommen, dass sich SchülerInnen sowie Lehr‐ kräfte hinsichtlich des Einsatzes digitaler Medien im Unterricht aufgeschlossen zeigen (Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und Neue Medien [ BITKOM ] 2015, Eickelmann, Gerick & Bos 2014), kommen andere zu dem Schluss, dass Digitalisierung seitens der Lehrkräfte vor allem als eine zu‐ sätzliche Herausforderung wahrgenommen werde und nur wenige das volle didaktisch-pädagogische Potenzial digitaler Technologien ausschöpften (Schmid, Goertz & Behrens 2017; Schwanenberg et al. 2018). Dies sei auf die mangelnden didaktischen Kompetenzen von Lehrkräften zum Einsatz digitaler Medien im Unterricht zurückzuführen (Gerick et al. 2014). Die Vermittlung von Wissen und Fertigkeiten bezüglich des didaktischen Einsatzes digitaler Medien müsse in der Lehrkräftebildung daher mehr Berücksichtigung erfahren, um das Vertrauen in die eigenen (fach-)didaktischen Kompetenzen zu stärken (ebd.). 22 Claudia Burger / Daniela Elsner Auch in Bezug auf Fortbildungsmaßnahmen liegen widersprüchliche Ergeb‐ nisse vor: Während 60 Prozent der befragten Lehrkräfte der BITKOM -Studie angeben, sich zum Thema digitale Medien in Schulen weitergebildet zu haben ( BITKOM 2015), sei der Anteil laut ICILS im internationalen Vergleich gering (Eickelmann, Gerick & Bos 2014). Laut der Studie von Schmid et al. (2017) haben ca. 50 Prozent der Lehrkräfte bereits mehrfach an schulinternen und 37 Prozent an schulexternen Fortbildungen zum Thema teilgenommen. In Studium und Referendariat hätten sie vergleichsweise wenige digitale Kompetenzen er‐ worben; der Kompetenzerwerb habe eigeninitiativ im Selbststudium oder im kollegialen Austausch stattgefunden. Selbstverständlich gilt es zu berücksichtigen, dass es sich bei den zitierten Studien um unterschiedliche Forschungsdesigns handelt, weshalb sie nicht di‐ rekt vergleichbar sind. Dennoch: Wenngleich sich teils Widersprüche auftun, zeichnen wissenschaftliche Befunde und politische Proklamationen insgesamt ein recht einheitliches Bild. Es wird deutschlandweit als erforderlich erachtet, die Entwicklung von digitalen Kompetenzen der Lernenden zu fördern, um in‐ ternational anschlussfähig zu bleiben und die Kinder und Jugendlichen von heute auf ein Leben in der digitalen Welt vorzubereiten. Entsprechend müssen auch Lehrkräfte systematisch institutionell aus- und fortgebildet werden. Dabei stehen einerseits Werthaltungen und Einstellungen und andererseits die Ent‐ wicklung digitaler Kompetenzen im Fokus. Vor diesem Hintergrund ergibt sich die Notwendigkeit, die Lehrkräftebildung phasenübergreifend sowohl inhaltlich als auch konzeptionell und strukturell zu reformieren, letzteres durch entspre‐ chend thematisch ausgerichtete curriculare Verankerungen. In Bezug auf den Fremdsprachenbzw. Englischunterricht im Speziellen lässt sich über die bisher zitierten Quellen hinaus auf weitere Forschungserkennt‐ nisse und theoretisch begründete sowie praktisch erprobte Ideen zum Einsatz digitaler Werkzeuge zurückgreifen. Während es seit Anfang der 1990er Jahre vornehmlich um den Einsatz von Computern im Fremdsprachenunterricht ging (vgl. Elsner 2019), wurden gemäß der voranschreitenden Digitalisierung zuneh‐ mend weitere Technologien erprobt und (teils empirisch) begleitend untersucht. Es sei zum einen auf das Forschungs- und Praxisfeld CALL (computer-assisted language learning) verwiesen (siehe bspw. Buendgens-Kosten & Elsner 2018), in dessen Kontext international bereits viele Einsichten zum Themenkomplex ge‐ neriert werden konnten. Dies bezieht sich seit jüngerer Zeit auch auf MALL (mobile assisted language learning; siehe bspw. Yang 2013). Zu Begrifflichkeiten wie digital language learning oder language learning technologies wurde in jün‐ gerer Vergangenheit international ebenfalls umfänglich publiziert (siehe bspw. Carrier, Damerow & Bailey 2017). 23 Digital English Lab Auch im deutschsprachigen Raum finden sich zahlreiche Beiträge zum The‐ menkomplex. In dem Band Fremdsprachenlernen mit digitalen Medien (Legutke & Rösler 2003) nahmen die Beitragenden kurz nach der Jahrtausendwende u. a. Sprachlernsoftware und instant messaging-Dienste in den Blick. Empirische Ar‐ beiten entstanden seither bspw. zum Einsatz von Laptops (S. Huber 2009), digi‐ talen Bilderbüchern bzw. Bilderbuch-Apps (Kolb 2018) und elektronischen Wör‐ terbüchern (Kassel 2018). Weitere in jüngerer Vergangenheit erprobte und teils beforschte digitale Technologien im unterrichtlichen Fremdsprachenkontext sind verschiedenartige digitale Spiele bzw. virtual und augmented reality-For‐ mate (siehe bspw. Kurtz 2018) sowie Lehr-Lernansätze im Sinne von mobile learning (siehe bspw. Falk 2019). Die Gießener Beiträge zur Fremdsprachenfor‐ schung der Frühjahrskonferenz 2019 (Burwitz-Melzer, Riemer & Schmelter 2019) widmen sich zudem in übergreifender und kritisch einnehmender Per‐ spektive dem Lehren und Lernen von Fremdsprachen im Kontext des digitalen Wandels und zeigen auf, welche Entwicklungsrichtung für den Fremdsprachen‐ unterricht als sinnvoll erachtet wird. Natürlich erhebt diese beispielhafte Aufzählung längst keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dennoch geben auch Schmidt und Würffel (2018: 3) zu be‐ denken, dass von einer „breiten und nachhaltigen Digitalisierung des Fremd‐ sprachenunterrichts“ trotz steigender technologischer Angebote noch nicht die Rede sein könne. Konsens besteht darüber hinaus hinsichtlich der Notwendig‐ keit einer systematischen Untersuchung und empirischen Überprüfung des möglichen Mehrwerts, der dem Einsatz digitaler Werkzeuge im Fremdspra‐ chenunterricht zugesprochen wird (Elsner 2019; Schmidt & Würffel 2018). Dazu soll das hier präsentierte Projekt DigiTeam einen Beitrag leisten. 3 Das Lehr-Lernkonzept Digital English Lab Das Projekt „Digi_Gap - Digitale Lücken in der Lehrkräftebildung schließen“, das im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung von 2020 bis 2023 an der Goethe-Universität Frankfurt vom BMBF gefördert wird, nimmt die hier dar‐ gelegten bildungspolitischen Forderungen und empirischen Erkenntnisse auf, um diverse (digitale) Lehr-Lernformate, -Umgebungen und -Werkzeuge in der Lehrkräftebildung zur Entwicklung fachlicher bzw. fachdidaktischer digitaler Kompetenzen von (angehenden) Lehrkräften zu erproben und begleitend zu be‐ forschen. Im Teilprojekt „DigiTeam: Kooperatives Forschendes Lernen zu digi‐ talen Werkzeugen im Lehramtsstudium“ soll ein hochschulisches Lehr-Lern‐ format konzipiert und in der Fachdidaktik Englisch erprobt werden. Darin sollen Lehramtsstudierende an Schulen Bedarfserhebungen zum Einsatz digitaler 24 Claudia Burger / Daniela Elsner Werkzeuge im Englischunterricht und zum entsprechenden Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte durchführen und daraufhin Unterricht in Kooperation von Stu‐ dierenden und Lehrkräften planen, erproben und analysieren, in dem digitale Werkzeuge zum Fremdsprachenlernen und zur Förderung von (englischspra‐ chigen) digitalen Kompetenzen zum Einsatz kommen. Dieses Lehr-Lernkonzept folgt den Ansätzen des Forschenden Lernens, Pro‐ jektlernens und Kooperativen Lernens (siehe dazu Abschnitt 4). Beforscht wird die Erprobung des Lehr-Lernkonzepts im Sinne des Design-Based Research (Barab 2014). Zum Projektablauf im Überblick sei gesagt, dass Studierenden-Ko‐ horte Nr. 1 in einem ersten Schritt dazu befähigt wird, schulische Bedarfserhe‐ bungen zum Einsatz digitaler Werkzeuge im Fachunterricht durchzuführen. Dabei erwerben die Studierenden v. a. forschungsmethodische Kompetenzen und schließen dabei ‚echte‘ Forschungslücken. Die Erhebungen ermöglichen Einblicke zu der Frage, welche digitalen Werkzeuge tatsächlich im Englischun‐ terricht im Raum Frankfurt eingesetzt werden und welche Fortbildungsbedarfe seitens der Lehrkräfte bestehen. Diese Erkenntnisse und Kooperationsstrukturen mit den Schulen dienen so‐ dann als Basis für die Konzeption von Unterrichtseinheiten, die Studier‐ enden-Kohorte Nr. 2 in einem zweiten Schritt in Zusammenarbeit mit Lehr‐ kräften erstellen. Die Unterrichtseinheiten werden in einem dritten Schritt unter wissenschaftlicher Begleitung erprobt. Schritt zwei und drei finden im Rahmen eines Moduls statt, das sich über zwei Semester erstreckt und in zwei aufeinan‐ derfolgen Zyklen mit Kohorte Nr. 2 und 3 getestet wird. Im Sinne der Ergebnisbzw. Produktorientierung steht am Ende der Projekt‐ laufzeit zum einen ein mehrfach erprobtes und wissenschaftlich ausgewertetes Lehr-Lernkonzept zur Verfügung, das die Lehrkräfteaus- und -fortbildung in einem phasenübergreifenden Seminarformat mit schulischen Praxisanteilen miteinander verzahnt. Weiterhin entsteht eine Reihe von erprobten Unterrichts‐ entwürfen zum Einsatz digitaler Werkzeuge im Englischunterricht. Darüber hi‐ naus stehen die studentisch generierten Forschungsergebnisse zur Verfügung. Alle Ergebnisse und Produkte werden mithilfe digitaler Werkzeuge in Form von Open Educational Ressourcen für die wissenschaftliche und praxisinteressierte (Fach-)Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Die optimierte Version des phasenübergreifenden Lehr-Lernkonzepts soll dauerhaft im universitären Curriculum verankert und gleichzeitig als dauer‐ haftes Angebot im Programm der Goethe-Lehrerakademie, der Lehrkräftefort‐ bildungseinrichtung der Goethe-Universität Frankfurt, aufgenommen werden. Der Kompetenzerwerb von (angehenden) Lehrkräften wird so über das Selbst‐ studium hinaus systematisch und breitenwirksam im Rahmen institutionali‐ 25 Digital English Lab sierter Bildung ermöglicht. Wie dies durch die vorgenommene Auswahl von Lehr-Lernansätzen gewährleistet wird, soll das folgende Kapitel darlegen. 4 Entwicklung fachspezifischer digitaler Kompetenzen durch Projektbezogenes, Kooperatives und Forschendes Lernen im Lehramtsstudium Englisch Das Lehr-Lernkonzept Digital English Lab verbindet die didaktischen Ansätze des Forschenden Lernens, Projektlernens und Kooperativen Lernens. For‐ schendes Lernen wird als Prozess des aktiven wissenschaftlichen Arbeitens ver‐ standen, der auf die selbstständige Gewinnung von neuen Erkenntnissen abzielt, die im jeweiligen Fachkontext bedeutsam sind, und umfasst folgende Elemente: Erkennen von gesellschaftlich relevanten Problemen, Beschäftigung mit theo‐ retischen Konzepten und deren praktischen Implikationen, Aufarbeitung des Forschungsstands, Entwicklung von Forschungsfragen und Hypothesen, theo‐ retische und praktische Auseinandersetzung mit Forschungsmethoden ein‐ schließlich der Auswahl bzw. Begründung geeigneter Forschungsmethoden, Entwicklung des Forschungsdesigns, Untersuchungsdurchführung und öffent‐ lichkeitswirksame Präsentation der Ergebnisse (Elsner 2015; Huber 2014). Wenngleich idealtypisch der gesamte Zyklus durchlaufen werden soll, kann die Verbindung von Forschen und Lernen unterschiedliche Ausprägungen haben. Der Fokus auf einzelne Komponenten ist zulässig und zielführend, solange Hochschullehrende diese Schwerpunktsetzung im Gesamtprojekt kontextuali‐ sieren (Elsner 2015). Bei der Frage, welches Wissen und welche Kompetenzen Studierende im Rahmen des Forschenden Lernens erwerben, wird einerseits auf Schlüsselkom‐ petenzen und andererseits auf Forschungswissen und -kompetenzen verwiesen. In Bezug auf letzteres stellt Elsner (2015) ein elaboriertes Kompetenzstufenmo‐ dell für forschendes Lernen zur Verfügung. Entlang der jeweiligen Aufgaben im Forschungsprozess werden die einzelnen Entwicklungsstufen ausgeführt, die von der Wissensaneignung/ -reproduktion bis hin zur Anwendung und Refle‐ xionsprozessen reichen. Im DigiTeam-Projektkontext wird das Forschende Lernen als Projektlernen ausgerichtet. Auf Überschneidungen dieser und weiterer Ansätze wurde bereits hingewiesen (L. Huber 2009). Das in DigiTeam zugrunde gelegte Verständnis von Projektlernen als Lehr-Lernansatz orientiert sich u. a. an Apel und Knoll (2001) sowie Knoll (2014). Studierende eignen sich Wissen an und entwickeln Kompe‐ tenzen, indem sie Forschungsfragen aus realen Projektkontexten bearbeiten. Als konstitutive Merkmale bzw. Prinzipien des Projektlernens gelten u. a. Lerner-, 26 Claudia Burger / Daniela Elsner Handlungs- und Produktorientierung sowie erfahrungsbasiertes und soziales Lernen (Apel & Knoll 2001), die auch in DigiTeam als Begründung der Wahl des Lehr-Lernansatzes zugrunde gelegt werden. Ziel der möglichst eigenverantwortlichen Lernarbeit gemäß des Projektler‐ nens ist die Erstellung eines Produkts (ebd.). Hinsichtlich der Ergebnisbzw. Produktorientierung sei in Bezug auf DigiTeam angemerkt, dass die Studier‐ enden in einen größeren realen Projektkontext eingebunden werden, in dem es gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu bearbeiten gilt, die die Ergebnis-/ Produktgenerierung unter limitierenden Faktoren erforderlich macht. Die öf‐ fentlichkeitswirksame Präsentation der Ergebnisse und Produkte mithilfe digi‐ taler Werkzeuge wird in DigiTeam daher als essenzieller Bestandteil des Pro‐ zesses verstanden - ein Element des Lehr-Lernprozesses, das auch für das Forschende Lernen konstitutiv ist (Elsner 2015). Da die Lehr-Lernprozesse in DigiTeam stark kooperativ ausgerichtet werden sollen, kommt auch der Ansatz des Kooperativen Lernens zum Tragen, der wie‐ derum starke Überschneidungen mit den zuvor erläuterten Ansätzen aufweist. In der Literatur wird zwischen kooperativem und kollaborativem Lernen un‐ terschieden ( Johnson, Johnson & Smith 2014; Laal & Laal 2012). Die Unterschei‐ dung bezieht sich v. a. auf den Freiheitsgrad der Studierenden bzw. die damit einhergehende Verantwortung für Lernprozess und -ergebnis. Kollaboratives Lernen wird dabei als Überbegriff für Lehr-Lernformen genutzt, bei denen stu‐ dentische Gruppen zusammenarbeiten, um ein Problem zu lösen, eine Aufgabe zu bearbeiten oder ein Produkt zu erschaffen (Laal & Laal 2012). Während kol‐ laboratives Lernen seitens der Lehrperson wenig strukturiert ist ( Johnson et al. 2014) und die Studierenden entsprechend Verantwortung für den ergebnis-/ produktorientierten Lernprozess haben, übernimmt die Lehrperson beim ko‐ operativen Lernen über den ganzen Prozess hinweg volle Kontrolle (Laal & Laal 2012). Hinsichtlich der Bedeutsamkeit solcher Lehr-Lernformen verweist die Literatur auf empirische Studien, welche die Wirksamkeit in Bezug auf ver‐ schiedene Faktoren, bspw. Motivation und individueller Lernerfolg, prokla‐ mieren ( Johnson et al. 2014; Laal & Laal 2012). Zusammenfassend ist die Verbindung der drei kurz skizzierten Lehr-Lernan‐ sätze schlussfolgernd dergestalt, dass die Studierenden in DigiTeam in einem realen Projektkontext agieren, bei dem es sich um ein Forschungsprojekt han‐ delt, das die Lehr-Lernpraxis wissenschaftlich begleitend erprobt und somit un‐ mittelbaren Einfluss auf die universitäre und schulische Lehr-Lernpraxis nimmt. In ständiger Begleitung von Lehrpersonen als learning facilitator (Laal & Laal 2012) werden authentische gesellschaftsrelevante Herausforderungen behan‐ delt, allerdings unter der Prämisse, die Eigenständigkeit und Eigenverantwort‐ 27 Digital English Lab lichkeit der Studierenden zu fördern. Die Studierenden arbeiten auf das Ziel der Ergebnis- und Produktgenerierung hin, um diese in digitaler Form öffentlich präsentieren zu können. Dabei entwickeln die involvierten Lernenden For‐ schungskompetenzen, überfachliche Kompetenzen (u. a. in Bezug auf das Agieren im Team), didaktische Kompetenzen hinsichtlich der Planung, Gestal‐ tung, Analyse und Reflexion von Fachunterricht sowie digitale Kompetenzen. Wie begründet sich im Projekt DigiTeam die Wahl und Zusammenführung der hier skizzierten Ansätze? Zum einen eignen sich diese aus Sicht der Auto‐ rinnen in besonderer Weise für die Entwicklung sogenannter „21st century skills“ (Trilling & Fadel 2009; vgl. Elsner 2017). Vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, technischer und kultureller Entwicklungen wird der Fähigkeit kooperativ zu arbeiten, Wissen zu generieren und Probleme zu lösen seit einigen Jahren eine noch höhere Bedeutung zugeschrieben; ko‐ operatives Arbeiten wird allgemeinhin als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhun‐ derts bezeichnet ( OECD 2018). Zudem sollen Studierende im Kontext Forsch‐ enden Lernens den „Zusammenhang des Projekts, an dem sie mitwirken, […] begreifen“ (L. Huber 2009). Wollen Hochschullehrende diesem Anspruch nach‐ kommen, dann sollten sie Studierenden auch (kritische) Einblicke in die zeitge‐ nössische, stark auf Drittmittel ausgerichtete Wissenschaft- und Forschungs‐ kultur sowie in hochschulpolitische und wissenschaftssystemimmanente Bedingungsgefüge ermöglichen. In diesem gegenwärtigen Forschungskontext werden Projekte vorrangig in Teams und unter zeitlichen und finanziellen Rest‐ riktionen durchgeführt, was es erforderlich macht, stark kooperativ und teils sehr agil, d.h. u.a. zielorientiert, selbstorganisiert, freiwillig engagiert und unter Einbeziehung der Zielgruppe, für die der Projektoutcome gedacht ist (z. B. Ho‐ fert 2018) miteinander zu arbeiten. Bereits im Seminar müssen Studierende daher lernen, den Arbeitsprozess kooperativ anzulegen und zu durchlaufen. Außerdem sollen Studierende und Lehrkräfte darauf vorbereitet werden in Kooperation mit KollegInnen arbeiten zu können, da Lehrkooperationen eine immer höhere Relevanz beigemessen wird (Richter & Pant 2016; Vangrieken, Dochy, Raes & Kyndt 2015). Lehrkooperationen gingen bspw. mit höherer Selbstwirksamkeit und Motivation seitens der Lehrkräfte sowie höherer Leis‐ tungsfähigkeit seitens der Studierenden einher (Vangrieken et al. 2015). Im in‐ ternationalen Vergleich sei die Zusammenarbeit von Lehrkräften in Deutsch‐ land allerdings ausbaufähig (Gerick et al. 2014), weshalb Empfehlungen für Maßnahmen zum Ausbau und zur Förderung von Lehrkooperationen ausge‐ sprochen werden (Richter & Pant 2016). DigiTeam kommt diesen Empfehlungen nach, indem Studierende Erfahrung in der Zusammenarbeit mit Kommiliton- 28 Claudia Burger / Daniela Elsner 3 Im Wintersemester 2018 / 19 im Rahmen des Seminars „Reading and Digital Literacies in the English Foreign Language Classroom“ (Seminarleitung: Dr. Claudia Burger, in Kooperation mit Dr. Polina Shvanyukova, Universität Bergamo) und im Sommerse‐ mester 2019 sowie im Wintersemester 2019 / 20 im Rahmen der Seminare „Digital Tools in the English Foreign Language Classroom“ (Seminarleitung: Dr. Claudia Burger & Dr. Heike Niesen). 4 https: / / www.uni-frankfurt.de / 84 424 360 / Digital_Tools_in_the_EFLC Innen und darüber hinaus mit erfahrenen Lehrkräften im Sinne phasenüber‐ greifender Kooperation und kollegialer Zusammenarbeit sammeln können. 5 Erste Erfahrungen und Ausblick Seit dem Wintersemester 2018 / 19 werden an der Goethe-Universität Frankfurt im Rahmen von Seminaren für Studierende des Englischlehramts bereits erste Erfahrungen mit den skizzierten Lehr-Lernansätzen und Inhalten gesammelt. 3 Im Wintersemester 2018 / 19 interviewten Studierende mithilfe von Skype und WhatsApp andere Studierende des Englischen bzw. Englischlehramts der Uni‐ versitäten Bergamo (Italien), Bremen und Frankfurt am Main zu ihrem Ver‐ ständnis von digital literacies und ihrer Einschätzung deren Relevanz für den Englischunterricht. Theoretische und empirische Hintergründe zum Thema sowie erste Forschungserkenntnisse präsentierten sie im Februar 2019 bei einem Fortbildungstag für Englischlehrkräfte in Hessen „ FLISTT “ (Foreign Language In-Service Teacher Training), der regelmäßig von der Abteilung Didaktik und Sprachlehrforschung Englisch der Goethe-Universität Frankfurt angeboten wird. Sie machten die teilnehmenden Lehrkräfte mit einigen digitalen Werk‐ zeugen wie Padlet vertraut. Darüber hinaus wurden Ergebnisse und Seminar‐ konzept im März 2019 bei der Konferenz der International Association of Tea‐ chers of English as a Foreign Language auf einem Poster präsentiert (siehe auch: https: / / prezi.com / view / 1DlCtV7Uyu DG 3 XP uzDqt/ ). Im Sommersemester 2019 befragten Studierende Englischlehrkräfte im Raum Frankfurt zu ihren Erfahrungen mit digital tools, gegebenen schulischen digi‐ talen Infrastrukturbedingungen, Einstellungen und Fortbildungsbedarfen. Zu diesem Zweck kreierten sie ein Erklärvideo zum Begriffsverständnis von digi‐ talen Werkzeugen. Informationen zum Seminarkonzept, den studentischen Er‐ kenntnisprozessen während des Lehr-Lernprozesses und Ergebnissen der Be‐ fragung stellten Studierende mithilfe von WordPress auf einer Seminarwebseite zusammen. 4 29 Digital English Lab 5 Für eine kritische Auseinandersetzung mit diesem Konzept, siehe bspw. Bennett & Maton (2010). Im Wintersemester 2019 / 20 machten sich die Studierenden auf der Basis bis‐ heriger Recherche- und Befragungsergebnisse mit ausgewählten digitalen Werkzeugen vertraut und entwarfen Unterrichtseinheiten, die sie in micro teaching-Sequenzen in Teams erprobten, analysierten und auswerteten. Auch die Erkenntnisse aus diesem Seminar werden mithilfe digitaler Werkzeuge öf‐ fentlichkeitswirksam zugänglich gemacht. Die Resultate der Interviewbefragung aus dem Wintersemester 2018 / 19 zeigen, dass die Englischstudierenden kein klares Verständnis von digital lite‐ racies haben. Zudem seien in ihrer Schulzeit digitale Technologien nur in ge‐ ringem Maße im Englischunterricht zum Einsatz gekommen. Als Begründung gaben viele an, ihre Lehrkräfte seien nicht ausreichend „digitally literate“ ge‐ wesen. Darüber hinaus erachten die befragten Studierenden die Entwicklung von digitalen Kompetenzen im Englischunterricht mehrheitlich, aber nicht ein‐ stimmig als relevant. Sie geben mehrheitlich an, dass Kinder und Jugendliche heutzutage „digital natives“ (Prensky 2001) 5 seien. Daher sind einige der Mei‐ nung, dass der Englischunterricht die digitalen Kompetenzen von Kindern und Jugendlichen nicht fördern müsse, da sie diese Kompetenzen durch ihr Freizeit‐ verhalten erwerben würden. Einige denken wiederum, Englischunterricht müsse diese Kompetenzen fördern, da insbesondere der kritische Umgang mit digitalen Medien schulisch erlernt werden müsse. Am wichtigsten erachten sie dabei rein technische Kompetenzen sowie die Kompetenz, Informationen im Internet finden und mit diesen kritisch umgehen zu können. Die Relevanz in Bezug auf das Erlernen der Fremdsprache Englisch begründen die Befragten mit Englisch als digital lingua franca. Um online interagieren zu können, seien eng‐ lische Fremdsprachenkompetenzen unerlässlich. Daher biete das Internet au‐ thentische Sprachanlässe, die sich für den Englischunterricht gut nutzbar ma‐ chen ließen. Die Interviews aus dem Sommersemester 2019 zeigen, dass die meisten be‐ fragten Lehrkräfte eine offene Einstellung hinsichtlich des Einsatzes digitaler Werkzeuge im Englischunterricht haben. Deren tatsächlicher Einsatz variiert hingegen sehr stark. So nutzen einige Lehrkräfte keine digitalen Werkzeuge und begründen dies u. a. mit unzureichenden digitalen Infrastrukturbedingungen, die von den meisten Befragten bemängelt wurden. Andere können eine Reihe von digitalen Werkzeugen benennen, die sie regelmäßig nutzen, bspw. Quizlet. Andere geben an, digitale Werkzeuge zu nutzen, benennen dann aber z. B. un‐ spezifisch den Einsatz von Computern oder vergleichsweise veralteten Tech‐ 30 Claudia Burger / Daniela Elsner nologien wie CD -Player. In Bezug auf die Kompetenzeinschätzung zeichnet sich ebenfalls ein diverses Bild ab, da sich einige Lehrkräfte als sehr, einige als mäßig und weitere als unzureichend kompetent bezeichnen. Durchweg sehen sie al‐ lerdings Fortbildungsbedarf. Die befragten Lehrkräfte wünschen sich konkrete Unterstützung hinsichtlich der Frage, welche digital tools sich für welches Thema, welchen Kompetenzbereich und welche Lernziele in welcher Jahr‐ gangsstufe im Englischunterricht eignen und möchten diese mithilfe externer ExpertInnen im eigenen Unterricht und unter Nutzung der gegebenen schuli‐ schen IT -Infrastruktur erproben. Die Erfahrung mit diesen Seminaren zeigt in Bezug auf die studentisch ge‐ nerierten Forschungsergebnisse zum einen, dass diese sich mit den hier zitierten empirischen Studien und bildungspolitisch artikulierten Erfordernissen decken. Zudem wurden durch die Befragungen Bedarfe von (angehenden) Englischlehr‐ kräften im Raum Frankfurt artikuliert, denen das Projekt DigiTeam nach‐ kommen kann. So werden bspw. die Idealvorstellungen der Lehrkräfte zum Fortbildungsformat aufgegriffen, indem sie Unterrichtsideen im eigenen Unter‐ richt und innerhalb der schuleigenen IT -Umgebung erproben und damit pra‐ xisorientiert agieren können. Außerdem wurde in Bezug auf das dem Seminar zugrundeliegende Lehr-Lernkonzept u. a. ersichtlich, dass einsemestrige Semi‐ nare deutlich zu kurz sind, um einen sinnvollen Forschungsabschnitt innerhalb eines Forschungszyklus bearbeiten zu können. Daher soll sich das entspre‐ chende Modul in DigiTeam über zwei Semester erstrecken. Es wurde ebenfalls deutlich, dass die Lehramtsstudierenden Defizite hinsichtlich empirischer For‐ schungskompetenzen im Bereich Englischdidaktik aufweisen; zumindest der Ausbau von Grundlagenkompetenzen in diesem Bereich ist daher angezeigt. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Facetten sowohl der digitalen Kompetenzen als auch der digitalen fachdidaktischen Kompetenzen der Studierenden und Lehrkräfte unterschiedlich ausgeprägt sind. Diesem Umstand wird das zu kon‐ zipierende phasenübergreifende Lehr-Lernkonzept nachkommen müssen. Zu‐ letzt gilt es im Projektkontext zu erarbeiten, welche digitalen Werkzeuge sich dezidiert für den Fremdspracherwerb Englisch eignen, um dadurch den digitalen sowie fremdsprachlichen Kompetenzerwerb zu ermöglichen. Die hier dargelegten ersten Erfahrungen werden in die weitere Konzeptions‐ arbeit im Projekt DigiTeam einfließen, um maßgeschneiderte Lehr-Lerngele‐ genheiten zu schaffen, in denen Studierende und Lehrkräfte kooperativ digital tools im schulischen Kontext erproben, die zur Entwicklung spezifischer Fremd‐ sprachkompetenzen dienlich sind und gleichzeitig die digitalen Kompetenzen der SchülerInnen sowie der (angehenden) Lehrkräfte fördern. Die tools sollen dabei entsprechend der unterrichtlichen Lernziele ausgewählt werden und die 31 Digital English Lab schulischen digitalen Infrastrukturbedingungen berücksichtigen. Der hier vor‐ gestellte Lehr-Lernansatz im Sinne empirisch beforschender Erprobung mit di‐ rekten Praxisimplikationen scheint für diese Zielsetzungen angemessen. Dies bekräftigt sich vor dem Hintergrund aktueller Diskussionen zur Fremdspra‐ chendidaktik unter digitalisierten Bedingungen und deren Beforschung, die in eine entsprechende Richtung weisen (vgl. Burwitz-Melzer, Riemer & Schmelter 2019). Literatur Apel, Hans J. & Knoll, Michael (2001). Aus Projekten lernen: Grundlegung und Anre‐ gungen. München: Oldenbourg. Barab, Sasha (2014). Design-based research: A methodological toolkit for engineering change. In Keith Sawyer (Ed.) The Cambridge handbook of the learning sciences (2. Aufl., S. 151-170). Cambridge: Cambridge University Press. Bennett, Susan J. & Maton, Karl A. (2010). 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Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor: Zum Einsatz digitaler Medien im Rahmen einer von Studierenden durchgeführten Globalen Simulation im Fach Englisch 1 Cathrin Sprenger / Carola Surkamp Der folgende Beitrag stellt ein universitäres Lehrkonzept vor, das Masterstudierenden die Möglichkeit bietet, Englischunterricht nach allgemein- und fachdidaktischen Kategorien in einem Schülerlabor zu gestalten und zu ana‐ lysieren - speziell mit Blick auf einen heterogenitätssensiblen Unterricht sowie den Einsatz von digitalen Medien zur Förderung kommunikativer Kompetenzen. Im Sinne des forschenden Lernens erlangen die angehenden Lehrpersonen darüber hinaus Kompetenzen in der empirisch orientierten Fremdsprachenforschung, insbesondere in der Lehrerhandlungsforschung. Ziel des Seminars ist es, Forschungs- und Reflexionskompetenzen auszu‐ bilden, mit Hilfe derer der eigene Unterricht systematisch evaluiert und an aktuelle individuelle und gesellschaftliche Herausforderungen angepasst werden kann. 1 Einführung Eine wichtige Aufgabe schulischer Bildung besteht heute darin, SchülerInnen auf die Anforderungen einer digitalisierten Welt vorzubereiten. Nicht zuletzt in Ermangelung eines eigenen Schulfachs zur Ausbildung digitaler Kompetenzen muss die Förderung dieser Kompetenzen z. B. in den Bereichen ‚Suchen und 2 Das Seminar gehört zum Teilprojekt „Forschungskompetenzen fördern in Kooperation mit Lehr-Lern-Laboren“ des Schlözer-Programms-Lehrerbildung an der Universität Göttingen, das im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung von Bund und Ländern aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird. Verarbeiten‘, ‚Kommunizieren und Kooperieren‘ oder ‚Produzieren und Präsen‐ tieren‘ (vgl. KMK 2017: 15 ff.) in den Fächern erfolgen. Dies ist aber auch deshalb erforderlich, weil es konkreter Inhalte bedarf, an denen digitale Kompetenzen überhaupt zur Anwendung kommen können (vgl. GFD 2018: 2). Wie die För‐ derung digitaler Kompetenzen also schulisch realisiert werden kann, muss mit einem Fokus auf fachspezifische Ziele geklärt werden, und darauf müssen Stu‐ dierende für ihre jeweiligen Fächer vorbereitet werden. Eine Möglichkeit, Lehramtsstudierende für die Potenziale der Digitalisierung für ihren Fachunterricht zu sensibilisieren, besteht in hochschuldidaktischen Lernformaten, die Theorie und Praxis eng miteinander verzahnen. Dies ist des‐ halb von so großer Bedeutung, weil Studien zeigen, dass das im Studium er‐ worbene Theoriewissen in Praxisphasen kaum eingesetzt wird (vgl. Steffensky & Parchmann 2007: 121). Ein Format, dem die enge Verzahnung von Theorie und Praxis inhärent ist und das im vorliegenden Beitrag vorgestellt wird, ist das Lehren und Lernen im Schülerlabor. Im geisteswissenschaftlichen Schülerlabor YLAB an der Universität Göttingen wird seit einigen Jahren ein Seminar für Englisch im Master of Education durchgeführt, das nach den Leitprinzipien des handlungsorientierten, projektbasierten und forschenden Lernens konzipiert ist und in dessen Rahmen die Studierenden ihr Forschungspraktikum absol‐ vieren. 2 Studierende erproben in einer Globalen Simulation zum Thema ‚Holly‐ wood‘ mit SchülerInnen den Einsatz digitaler Medien zur Förderung kommu‐ nikativer Kompetenzen in der Fremdsprache Englisch. Dabei lernen sie auch die Potenziale digitaler Medien für einen heterogenitätssensiblen Fremdsprachen‐ unterricht kennen. Durch umfassende Reflexionsphasen während des Projekts und die empirische Erforschung der eigenen Praxiserprobung wird u. a. der Ein‐ satz digitaler Medien im Fachunterricht theoriegeleitet konzipiert, an selbst‐ ständig erhobenen Daten analysiert und eingehend reflektiert. 2 Lehr-Lern-Labore in der LehrerInnenbildung Schülerlabore haben bereits eine lange Tradition in den MINT -Fächern und werden in Deutschland inzwischen auch vermehrt für geisteswissenschaftliche Fächer betrieben (vgl. Heß 2018; Rehfeldt, Seibert, Klempin, Lücke, Sambanis & Nordmeier 2018). Ein wesentliches Argument für ihre Einrichtung an Univer‐ sitäten ist ihre Doppelfunktion als Lehr-Lern-Labore: Auf der einen Seite bieten 38 Cathrin Sprenger / Carola Surkamp sie für SchülerInnen einen außerschulischen Lernort, an dem diese mehr oder weniger selbstgesteuert lernen können (vgl. Komorek 2012). Auf der anderen Seite können solche Labore für Lehramtsstudierende ein wichtiger Ausbil‐ dungsort sein, an dem sie mit Unterstützung in Kleingruppen unterrichten und sich so auf ihr künftiges Handeln als Lehrkraft vorbereiten können (vgl. ebd.). Die Voraussetzung hierfür ist eine entsprechende Integration des Schülerlabors in das Seminarangebot der Universität, z. B. im Rahmen eines Lehr- Lern-Labor-Seminars ( LLLS ), in dem Lehramtsstudierende nach einer themati‐ schen, theoretischen und methodischen Vorbereitungsphase mit innovativen Lehr- und Lernansätzen experimentieren, gemeinsam Lernangebote entwi‐ ckeln, diese mit SchülerInnen im Labor erproben und anschließend mit den Lehrkräften und KommilitonInnen mehrperspektivisch reflektieren (vgl. Reh‐ feldt et al. 2018: 97). Die Integration von Lehr-Lern-Laboren in die universitäre Ausbildung von Lehrkräften kann eine Antwort auf den weit verbreiteten Wunsch nach einem größeren Praxisfokus im Studium darstellen - allerdings nicht in Form einer bloßen Steigerung der Quantität, sondern der Qualität von Praxisphasen (vgl. ebd.). So stellen Lehr-Lern-Labore eine Gelegenheit dar, den sog. ‚Praxisschock‘ zu vermeiden, der mit überfordernden Praxisphasen in der Schule in Verbindung gebracht wird und der sich auch in einer Verringerung der Selbstwirksamkeits‐ erwartung von Lehramtsstudierenden äußert (vgl. Dohrmann & Nordmeier 2018). Das Lehr-Lern-Labor kann als universitärer Ort einen geschützten Raum bieten, der aufgrund der hohen Betreuungsrate, der Fokussierung auf ein ge‐ meinsames fachdidaktisches Thema und des Wegfalls des Klassenmanagements komplexitätsreduziert ist und in dem Studierende Gelegenheit zur Erprobung von Fachunterricht haben (vgl. Klempin 2019: 127 f.; Rehfeldt et al. 2020). In verschiedenen Studien wurden positive Effekte des Lernens im Lehr-Lern-Labor auf das Professionswissen, die Reflexionsprozesse und die Selbstwirksamkeits‐ erwartungen von Lehramtsstudierenden festgestellt (vgl. Krofta, Fandrich & Nordmeier 2013; Bartels 2015; Dohrmann & Nordmeier 2018; Klempin 2019). Caruso und Hofmann (2018) argumentieren, dass Lehr-Lern-Labore au‐ ßerdem ein besonders geeigneter Lernort für den Einsatz von digitalen Medien sein können, da dort in der Regel nach den Prinzipien des aufgabenorientierten Lernens in komplexen Szenarien und im Rahmen von Projektarbeit unterrichtet wird. Unter ‚Aufgabe‘ wird dabei im Sinne des task-based language learning ein Lernarrangement verstanden, „das die Lernenden mit realitätsnahen, alltagsbe‐ zogenen Handlungssituationen konfrontiert, innerhalb derer Themen bear‐ beitet, Problemsituationen bewältigt und Ergebnisse erzielt werden sollen“ (Mertens 2017a: 9). Zu den wesentlichen Charakteristika des Ansatzes in Bezug 39 Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor auf den fremdsprachlichen Unterricht zählt ein kommunikatives Vorgehen, bei dem verschiedene Kompetenzen integrativ eingesetzt werden müssen, um ein authentisches, lebensnahes Problem mit ergebnisoffenem Ausgang kooperativ zu lösen und als outcome ein Produkt zu erstellen. Digitale Medien werden dabei nicht um ihrer selbst willen eingesetzt, sondern zur Lösung des Problems und zur Erstellung des Produkts genutzt. Im Vorfeld und im Nachgang eines Tages im Lehr-Lern-Labor kann der Me‐ dieneinsatz zur Bearbeitung von Aufgaben von den Studierenden im Rahmen des universitären Begleitseminars ausführlich reflektiert werden. Des Weiteren ermöglicht die unterrichtspraktische Erprobung im Labor, dass Studierende dank des erfahrungsorientierten Lernzugangs Potenziale digitaler Medien für ihren Fachunterricht kennenlernen und auch mögliche Hemmungen bezüglich ihrer Nutzung überwinden können. Schließlich können Lehramtsstudierende den Einsatz digitaler Medien im Lehr-Lern-Labor mit Blick auf heterogenitätssensiblen Fachunterricht er‐ kunden. Dazu trägt die Projektorientierung der Laborveranstaltung bei, durch die die SchülerInnen arbeitsteilig ein gemeinsames Ziel verfolgen und jede bzw. jeder sich gemäß den eigenen Interessen und dem eigenen Können für das Ge‐ lingen des Projekts einbringt. Auf diese Weise können unterschiedliche Hete‐ rogenitätsdimensionen, wie z. B. die sozio-kulturelle, die körperbezogene, die psychische oder die sprachliche Heterogenität (vgl. Delius & Surkamp 2017), adressiert werden. Es wird also von einem weiten Inklusionsbegriff ausge‐ gangen, der „auf unterschiedliche Formen von Heterogenität und den schu‐ lisch-unterrichtlichen Umgang mit diesen gerichtet ist“ (Bartosch & Köpfer 2018: 168). Durch das eigenverantwortliche Arbeiten der SchülerInnen und die vorrangig moderierende Rolle der Studierenden als Lehrkräfte wird dabei eine „Differenzierung von unten“ (Trautmann 2010: 57) ermöglicht. Studien zu ähn‐ lichen Lehr-Lern-Angeboten an Hochschulen (vgl. Schmude & Wedekind 2016) zeigen, dass solche Ausbildungsorte generell für die Förderung inklusiver Lehr‐ kompetenzen förderlich sind, „da sie in ihrem Grundverständnis Lernenden in‐ dividuelle Lerngelegenheiten bieten und den Zugang zu denselben weitestge‐ hend barrierefrei gestalten“ (ebd.: 10). Mit Barrierefreiheit ist allerdings nicht primär ein ungehinderter räumlicher Zugang gemeint, sondern vielmehr „ein ungehinderter Zugang zu Lerninhalten und deren individueller Erschließung“ (ebd.). Digitale Medien können barrierefreie Lernzugänge gerade auch bei fremd‐ sprachlichen Projekten unterstützen (vgl. Blume & Würffel 2018). So sind Funk‐ tionen wie das computergenerierte Vorlesen von Bildschirmtexten, vergrößerte Schriftarten oder Bildschirmlupen für Lernende mit Beeinträchtigungen hilf‐ 40 Cathrin Sprenger / Carola Surkamp reich (vgl. Caruso & Hofmann 2018). Darüber hinaus können aufgrund der Mul‐ timodalität digitaler Medien verschiedene Kanäle der Sprachrezeption und -pro‐ duktion involviert und bei der Aufgabenbearbeitung je nach Interesse und Fähigkeiten Produkte in unterschiedlichen medialen Formaten erstellt werden (vgl. ebd.: 75). Digitale Medien tragen aber auch zu einer Entgrenzung und damit zu einer weiteren Individualisierung des Lernens bei, indem verschiedene Lern‐ räume im Projekt - das Klassenzimmer und das Schülerlabor sowie private Lernräume zu Hause und unterwegs - durch virtuelle Lernräume ergänzt und verknüpft werden. Mithilfe digitaler Medien kann z. B. das Lernen im Labor im Vorfeld individuell vorbereitet und nach der Präsenzphase an der Universität entsprechend nachbereitet werden. 3 Lehr-Lern-Labor-Seminar Englisch: Thema ‚Hollywood‘ Das YLAB wurde im Jahr 2013 an der Universität Göttingen gegründet. Es wird insbesondere in den Fremdsprachendidaktiken als Lehr-Lern-Labor genutzt, in dem Studierende innovative, handlungsorientierte Lehr-Lern-Arrangements entwerfen, erproben und reflektieren. Dazu gehört auch das Experimentieren mit digitalen bzw. hybriden Arrangements, wobei die Studierenden im Sinne des forschenden Lernens in die Entwicklung, Evaluation und Optimierung der Un‐ terrichtskonzepte aktiv eingebunden sind. Seit dem Sommersemester 2015 wird das englischsprachige Projekt „And the Oscar goes to… - Taking students to Hollywood in a global simulation“ halb‐ jährlich in einem Zeitraum von drei bis vier Wochen durchgeführt. Das Projekt ist eine Zusammenarbeit der Englischen Fachdidaktik, dem YLAB sowie Gymnasien und Gesamtschulen im Göttinger Raum, insbesondere der Georg-Chris‐ toph-Lichtenberg-Gesamtschule. Mittelpunkt des Projekts ist eine Globale Simulation zum Thema ‚Hollywood‘. Unter einer globalen Simulation wird „ein inhaltsbezogenes Unterrichtsbzw. Lernarrangement [verstanden], in dem Lernende über einen längeren Zeitraum hinweg […] einen thematischen Rahmen sprachlich handelnd ausgestalten“ (Mertens 2017b: 304; vgl. auch Surkamp 2008). Ziel von Simulationen im Fremd‐ sprachenunterricht ist es, SchülerInnen einen ganzheitlichen und handlungso‐ rientierten Umgang mit der fremden Sprache zu ermöglichen. Handlungsori‐ entiertes Unterrichten zeichnet sich durch die zentrale Bedeutung aus, die der Selbsttätigkeit der Lernenden zukommt: Lernende sollen sich als handelnde AkteurInnen in kooperativer Zusammenarbeit mit Lerngegenständen und -in‐ halten auseinandersetzen. Im Sinne von Ganzheitlichkeit bezieht handlungso‐ rientiertes Lernen auch affektive, kreative und mehrere Sinne involvierende 41 Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor Erfahrungsebenen ein (vgl. Lütge 2017: 119 f.). Lehramtsstudierende sollen in dem Projekt erfahren, was handlungsorientiertes Arbeiten im Fremdsprachen‐ unterricht bedeutet und wie man diesen Ansatz methodisch in den Unterricht einbauen kann. Der thematische Rahmen im Projekt ist die Verleihung der Academy Awards, der sog. ‚Oscars‘ für Filme. Er schließt an das Thema ‚California / Hollywood‘ an, das in vielen Lehrwerken für den Englischunterricht der 8. Klasse als Un‐ terthema des inhaltlichen Schwerpunkts ‚ USA ‘ behandelt wird. Zunächst un‐ terrichten die Studierenden in Lehr-Teams von drei bis vier Personen je eine achte Klasse in der Schule über einen Zeitraum von sechs Doppelstunden, um die SchülerInnen auf den Projekttag im YLAB - die Simulation der Oscar-Ver‐ leihung - vorzubereiten. Am Projekttag werden die Produkte der SchülerInnen prämiert, die diese während der Vorbereitung des Projekttags in der Schule er‐ stellen. Als Bewertungsgrundlage gelten neben der Qualität der Produkte vor allem individuelle und soziale Bewertungsmaßstäbe, um besondere Fortschritte und herausragendes Engagement der SchülerInnen zu honorieren. Die Wahl der zu erstellenden Produkte ist größtenteils den SchülerInnen überlassen, die sich zu Beginn der Vorbereitungsphase selbstständig für eine Rolle als Fan, Journa‐ listIn oder SchauspielerIn entscheiden. Die Fans schreiben z. B. Fan Fiction, Blogeinträge oder Bewerbungen für ein Meet&Greet mit einem Mitschüler bzw. einer Mitschülerin aus der Gruppe der Stars. Die JournalistInnen arbeiten an Artikeln über Hollywood und die Oscarverleihung und dokumentieren die Ak‐ tivitäten ihrer MitschülerInnen - der Fans und Stars - in Form von Dokumen‐ tationen oder Podcasts. So kann über Superfans berichtet oder ein exklusiver Einblick in den Dreh der am Projekttag vorgestellten Filme gegeben werden. Außerdem üben die JournalistInnen das Führen von Interviews, welches am Projekttag eine ihrer Hauptaufgaben ist. Die SchauspielerInnen und Regisseur- Innen aus der Gruppe der Stars erarbeiten in der Vorbereitungsphase ein Sto‐ ryboard für einen Film und drehen mithilfe ihrer Tablets einen passenden Trailer. Alle Aufgaben fordern und fördern insbesondere die funktional-kom‐ munikativen Kompetenzen der SchülerInnen, wobei der Schwerpunkt auf den produktiven Kompetenzen Sprechen und Schreiben in der Fremdsprache liegt. Methodisch wird die Oscar-Verleihung am Projekttag von Stationenarbeit gerahmt. Die zu bewältigenden Aufgaben orientieren sich an realitätsnahen Sprachhandlungen der drei Personengruppen Stars, Fans und JournalistInnen. Es gibt z. B. einen Press Room, in dem die JournalistInnen ihre Interviews führen, kurze Artikel verfassen und diese auf den live auf einem Smartboard im Ne‐ benraum übertragenen Blog (meist wordpress.com) hochladen; die Meet&Greet-Station, an der sich Fans und Stars treffen, Selfies machen und ihr 42 Cathrin Sprenger / Carola Surkamp Erlebnis schriftlich oder als Video festhalten; und eine Make-up-Station, an der unter anderem ein eigenes Schmink-Tutorial gedreht werden kann. Die Stati‐ onen werden von den Studierenden und den Englischlehrkräften der teilnehm‐ enden Klassen betreut und in englischer Sprache durchgeführt. Alle Lehrkräfte und Studierenden agieren als teacher in role, übernehmen also z. B. die Rolle eines Barkeepers, Make-up-Artists, Casting Agents, Chief of Press, Hosts etc. So fun‐ gieren sie als KommunikationspartnerInnen und animieren aus ihrer Rolle he‐ raus die SchülerInnen zum Kommunizieren auf Englisch (zur Bedeutung des performativen Charakters von Lehr-Lern-Formaten im Schülerlabor für die Lehramtsausbildung vgl. auch Sambanis & Klempin 2018). Zudem stehen den Lernenden an jeder Station Arbeitsblätter mit helpful phrases und Textbausteinen zur Verfügung, die ihnen die Stationenarbeit erleichtern sollen. An jeder Station können so Aufgaben unterschiedlichen Schwierigkeitsgrads absolviert werden, um allen ein Erfolgserlebnis im Umgang mit der Fremdsprache zu ver‐ schaffen. Auch die SchülerInnen agieren während der Vorbereitungsphase und des Projekttags im Lehr-Lern-Labor in Rollen. Im Schutz dieser Rollen probieren sie für sie neue (fremdsprachliche) Handlungen aus, wobei der Fokus auf dem Ge‐ lingen der Kommunikation und weniger auf der Sprachrichtigkeit liegt. Inner‐ halb des fiktiven Rahmens haben die Sprech- und Schreibhandlungen der Lern‐ enden zudem Konsequenzen, wodurch sie an Relevanz gewinnen. So müssen z. B. die JournalistInnen den Inhalt ihrer Artikel gegenüber den Personen recht‐ fertigen, über die sie geschrieben haben. Durch Aufwärmspiele erhalten die SchülerInnen Gelegenheit, sich schrittweise in ihre Rolle hineinzuversetzen. Cooling-down-Phasen am Ende der Schulstunden und des Projekttages beenden die Rollenarbeit. Um in den beschriebenen Rollen agieren und die rollenrelevanten Produkte erstellen zu können, verwenden die Lernenden digitale Medien, sei es zur Re‐ cherche, zum Drehen der Trailer und Fanvideos oder zur Ergebnissicherung im eigens für das Projekt eingerichteten, passwortgeschützten Blog. Die Förderung von digitalen Kompetenzen ist daher eng an die Entwicklung fachspezifischer Kompetenzen geknüpft. Wie in Bezug auf die Sprache gilt auch in Bezug auf die eingesetzten digitalen Medien das Primat des Inhalts (vgl. Schmidt & Strasser 2016: 4). Hard- und Software werden eingesetzt, um die inhaltlichen Ziele der gestellten Aufgaben zu erreichen. Dabei werden fremdsprachliche Kompe‐ tenzen geschult, u. a. das Hör-Seh-Verstehen (durch die Arbeit mit Trailern, Fanvideos und Podcasts), das Leseverstehen (durch die Rezeption von Blogein‐ trägen und Artikeln) sowie das monologische und dialogische Sprechen (beim Drehen des Trailers oder dem Halten einer Dankesrede bei der Oscar-Verleihung 43 Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor 3 Im Vorfeld des Projekts wurden dafür von den SchülerInnen und Erziehungsberech‐ tigten Einverständniserklärungen zur Datenverwendung eingeholt. Alle am For‐ schungsprozess Beteiligten wurden über die Freiwilligkeit der Teilnahme, die Verwen‐ dung und Speicherung von Daten sowie Maßnahmen zu Anonymisierung / Pseudonymisierung aufgeklärt. Zudem wurde erläutert, dass eine Nichteilnahme am Forschungsprozess keinerlei negative Konsequenzen für die Schü‐ lerInnen bedeutet (vgl. Legutke & Schramm 2016). sowie bei der gemeinsamen Verständigung während der Stationenarbeit und bei Interviews). Zusätzlich wird die Sprachproduktion in unterschiedlichen Genres geübt. Dabei erwerben die Lernenden Wissen über Texte, denen sie auch in ihrer Lebenswelt begegnen (z. B. zu Onlineartikeln). Durch die Arbeit mit digitalen Texten und internetfähigen Endgeräten werden darüber hinaus digitale Kompetenzen fachbezogen geschult. Die Schü‐ lerInnen lernen, Quellen aus dem Internet kritisch zu bewerten und zu nutzen sowie multimodale Texte zu rezipieren und zu erstellen. Der Einsatz digitaler Medien zur Bearbeitung der Aufgaben hat eine unterstützende Funktion und erfolgt zielgerichtet. So benötigen die SchülerInnen Tablets, um sich in ihren Rollen als Stars, Fans und JournalistInnen auf den Tag der Globalen Simulation vorzubereiten. Am Projekttag selbst werden Tablets benötigt, um an den Ein‐ zelstationen Aufgaben zu bearbeiten (an der Make-up-Station ein Tutorial drehen, Artikel verfassen und Interviews aufzeichnen etc.) und um eine, insbe‐ sondere von den JournalistInnen getragene, Live-Berichterstattung über die Hollywood-Awards mittels des für alle Teilnehmenden einsehbaren Blogs zu ermöglichen. Die SchülerInnenprodukte werden während der Vorbereitungsphase und der Globalen Simulation von den Lernenden zur Ergebnis‐ sicherung selbst dort hochgeladen. Damit dient der Blog als Aggregator der verschiedenen Produkte der Lernenden. Als digitaler Lernort stellt er darüber hinaus die Verknüpfung der Lernorte Schule und Labor dar. Dies gilt insbeson‐ dere auch für die Vor- und Nachbereitung des Projekts durch die Englischlehr‐ kräfte der 8. Klassen. Der Blog stößt zudem weitere Kommunikationsprozesse an, weil SchülerInnen die Beiträge ihrer MitschülerInnen kommen‐ tieren können. Schließlich fungiert er als Datenquelle, mit Hilfe derer die Stu‐ dierenden in ihren Praktikumsberichten analysieren können, wie die digitalen Medien von den Lernenden für das Sprachenlernen genutzt wurden. 3 In Verbindung mit dem Einsatz digitaler Medien bietet das ganzheitliche Lernarrangement der globalen Simulation viele Differenzierungsmöglichkeiten. Diese reichen von der Wahl und Ausgestaltung der Rollen über das Bearbeiten von Aufgaben und die dafür genutzten Hilfsmittel bis zur Ergebnissicherung und -präsentation. Durch die selbstständige Zuordnung der SchülerInnen zu den 44 Cathrin Sprenger / Carola Surkamp einzelnen Personengruppen wird eine Binnendifferenzierung nach den indivi‐ duellen Stärken und Interessen der Lernenden ermöglicht, da sie diejenigen Aufgaben und Kommunikationsformen wählen können, die ihnen am meisten zusagen. Außerdem besteht fast durchgehend die Möglichkeit, die Sozialform zu wählen, innerhalb derer gearbeitet wird (Einzel-, Partner- oder Gruppenar‐ beit). Dies führt zur Stärkung des Autonomieempfindens und kann so die Mo‐ tivation der Lernenden stärken (Ryan 2017). Lernende mit technischem Know-how unterstützen als ExpertInnen ihre KlassenkameradInnen. Außerdem nutzen die SchülerInnen das Tablet als Hilfsmittel für das selbstgesteuerte Lernen. Im Laufe der Projektdurchgänge hat sich gezeigt, dass sie es z. B. zur Recherche einsetzen, selbst wenn dies von den Lehrkräften nicht gefordert wurde (Sommer 2017). Dies ist ein Zeichen dafür, dass das Lehr-Lern-Arrange‐ ment den SchülerInnen den Freiraum bietet, zusätzlich zu den angebotenen Lern- und Arbeitsstrategien eigene zu entwickeln. Darüber hinaus kann es sinnvoll sein, einzelne Materialien auf Deutsch oder in weiteren Sprachen an‐ zubieten. Gerade im Kontext von Fluchtmigration können so alle SchülerInnen besser in das Projekt eingebunden werden: Ihre Rollen werden angepasst, indem sie z. B. als internationale Pressekorrespondenten oder Stars des internationalen Kinos agieren. 4 Inhalte, Ziele und Aufbau der universitären Veranstaltung zur Globalen Simulation Die Globale Simulation wird von Masterlehramtsstudierenden im Rahmen ihres Forschungspraktikums im Fach Englisch vorbereitet und anschließend im YLAB durchgeführt. Das Forschungspraktikum basiert auf den Säulen ‚Fachdidakti‐ sche Theorie‘, ‚Erprobung der Theorie in der Praxis‘ und ‚Beforschung der ei‐ genen Praxis anhand einer selbst gewählten Forschungsfrage‘ und folgt dem Prinzip des forschenden Lernens. Ziel ist die Professionalisierung der Studier‐ enden durch die Entwicklung eines forschenden Habitus (Fichten 2017), hier mit einem Fokus auf handlungsorientierten Verfahren unter dem Einsatz digitaler Medien. Ein solcher forschender Habitus zeigt sich einerseits „in der Bereit‐ schaft […], Theorien und wissenschaftliche Erkenntnisse für Entscheidungsfin‐ dungen in pädagogischen Kontexten zu reflektieren“ (Reitinger 2014: 182) und andererseits „unmittelbar im forschenden Handeln im professionellen Kontext“ (ebd.). Im Begleitseminar zum Forschungspraktikum erarbeiten die Studierenden die theoretischen und methodischen Grundlagen für die Globale Simulation. An‐ gestrebt wird eine Kompetenzerweiterung im Bereich Unterrichten, wozu auch 45 Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor die kritische „Beurteilung der [eigenen] Lehrleistung und Unterrichtsqualität“ ( KMK 2004: 7) zählt. Der Fokus liegt auf dramapädagogischen Methoden, ins‐ besondere auf solchen, die das Einfühlen in eine Rolle und das spontane Sprach‐ handeln fördern - sowie auf der Arbeit mit digitalen Medien im Englischunter‐ richt. Die Studierenden setzen sich zunächst mit fachdidaktischen Konzepten wie der Handlungs- und Produktionsorientierung auseinander, probieren dra‐ mapädagogische Verfahren selbst aus und reflektieren deren Ziele und mögli‐ chen Einsatz. So erwerben sie ein Methodenrepertoire zu Warm-ups, der Rol‐ lenausgestaltung und dem improvisierenden Sprechen, welches sie für den Einsatz während der Simulation adaptieren können. Die Arbeit mit dem Tablet, mit Apps (z. B. Kahoot oder Quizlet) sowie mit spezieller Software (z. B. iMovie) wird ebenfalls im Seminar erprobt und kritisch diskutiert, wobei der Fokus auf dem Potenzial digitaler Medien zur Förderung kommunikativer Kompetenzen liegt. Außerdem werden Aspekte wie das Copyright und Open-Access-Quellen thematisiert, um die Studierenden bei der Erstellung von Lernmaterialien für ihre Lerngruppen zu unterstützen. Die Einführung in die Arbeit mit digitalen Medien ist aus mehreren Gründen relevant. Zum einen sollen die zukünftigen Englischlehrkräfte eigene technische Fertigkeiten im Umgang mit z. B. dem Tablet (weiter-)entwickeln und Unsicher‐ heiten bezüglich des fachbezogenen Einsatzes digitaler Medien abbauen. So lernen viele von ihnen die Software zur Filmerstellung erst im Seminar kennen. Es wird daher auch thematisiert, auf welche Herausforderungen die Studierenden bei der Arbeit mit digitalen Medien während der Simulation treffen und wie sie diese bewältigen können, z. B. indem sie auf die Expertise der Schüler‐ Innen zurückgreifen. Zum anderen gilt es, den Lehramtsstudierenden den Er‐ werb einer sog. „Filterkompetenz“ (Schmidt & Strasser 2016: 5) zu ermöglichen, so dass sie erkennen „welche Charakteristika eine Applikation aufweisen soll, damit sie im methodisch-didaktischen Kontext sinnvoll eingesetzt werden kann“ (ebd.). Anschließend planen die Studierenden die Vorbereitungsphase für die Glo‐ bale Simulation, welche sie in Teams in der Schule durchführen. Die Teams hospitieren zunächst, um Lerngruppe und Lehrkraft kennenzulernen, und un‐ terrichten dann selbst. Die Dozentin des Begleitseminars besucht die studenti‐ schen Lehr-Teams in ihren Klassen mindestens einmal. Die besuchten Stunden werden von den Studierenden, den Englischlehrkräften der Praktikumsklassen und der Dozentin besprochen und auf Basis fachdidaktischer Theorien reflek‐ tiert. Mit den Fragen, welche die Lehrkräfte an das Projekt richten, werden nicht zuletzt Anregungen für die studentischen Forschungsarbeiten geliefert. Damit wird sichergestellt, dass die Forschungsfragen aus der Praxis heraus entwickelt 46 Cathrin Sprenger / Carola Surkamp werden und zur Generierung lokalen, also innerhalb eines bestimmten schul‐ praktischen Kontextes hervorgebrachten und für diesen Kontext gültigen, Wis‐ sens beitragen (vgl. Posch 2001). Hier wird die Nähe zur Lehrerhandlungsfor‐ schung deutlich, die Forschung aus der Praxis für die Praxis generiert (vgl. Bennit 2016). Der Vorbereitungsphase in der Schule folgt die von den Studierenden vorbe‐ reitete und durchgeführte Globale Simulation. Dafür wird das YLAB gemeinsam von den Lernenden und Studierenden in die Venue des Dolby Theaters in Los Angeles verwandelt. Pro Klasse wird ein Projekttag (ca. 08: 30-12: 30 Uhr) durch‐ geführt, an dem die Academy Award-Verleihung simuliert wird. Entscheidend ist es, sinnvolle, der Realität der Filmbranche möglichst nahe Handlungsfelder für den Simulationstag zu gestalten, Rollen klar zu definieren und die während der Stationenarbeit auszuführenden Aktivitäten im Sinne des aufgabenorien‐ tierten Lernens (vgl. Hallet 2013) zu entwickeln, um den SchülerInnen einen möglichst authentischen Gebrauch der Fremdsprache in verschiedenen kom‐ munikativen Situationen zu ermöglichen (vgl. auch Elis 2017). Prüfungsleistung für die Studierenden ist die Erstellung eines Forschungs‐ berichts. Dafür werden im Begleitseminar Forschungsfragen sowie passende Forschungsdesigns entwickelt. Relevant ist, dass die Forschungsfrage von den Studierenden jeweils selbst erarbeitet wird, sie also persönlich interessiert und somit zur systematischen Analyse ihres eigenen Unterrichts motiviert. Während der Vorbereitungsphase und / oder des Projekttages werden Daten erhoben, im Anschluss ausgewertet und diskutiert. Auch die Wahl der Erhebungs- und Aus‐ wertungsmethode ist den Studierenden überlassen, so dass sie, je nach For‐ schungsfrage, mit quantitativen Zugängen (z. B. Fragebögen) oder qualitativen Zugängen (z. B. Interviewstudien, Beobachtung) arbeiten können. Passung von Forschungsfrage und -methoden sowie die Praktikabilität des Designs werden im Seminar und in Einzelsprechstunden diskutiert. Dass sich viele der eigen‐ ständig gewählten studentischen Forschungsfragen mit den Themen ‚Digitali‐ sierung‘ und ‚Differenzierung‘ im Englischunterricht beschäftigen, zeigt, welche Relevanz diese Themen für Studierende haben. Die folgende Abbildung stellt den Ablauf des Projekts und die Verzahnung der Theorie-, Praxis- und Forschungsphasen noch einmal übersichtlich dar: 47 Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor 1. In das For‐ schungs‐ feld ein‐ steigen 2. mögliche For‐ schungs‐ fragen identifi‐ zieren 3. Informa‐ tionen & theoreti‐ sche Zu‐ gänge er‐ arbeiten 4. Me‐ thoden aus‐ wählen & aneignen 5. For‐ schungs‐ frage präzi‐ sieren 6. For‐ schungs‐ design entwi‐ ckeln 7. For‐ schungs‐ design umsetzen 8. Ergeb‐ nisse auf‐ bereiten & präsen‐ tieren 9. For‐ schungs‐ prozess reflek‐ tieren Abb.1: Seminardesign und Phasen des Forschungsprozesses im forschenden Lernen nach Huber (2013a) (adaptiert nach Sonntag, Rueß, Ebert, Friederici, Schilow & Deicke (2017: 14, Illustrationen von Kathrin Friederici)) 5 Zum Leitprinzip des forschenden Lernens Die Studierenden lernen im Forschungspraktikumsseminar, Englischunterricht nicht nur zu gestalten, sondern auch zu analysieren - speziell mit Blick auf den Einsatz von digitalen Medien zur Förderung kommunikativer Kompetenzen in heterogenen Lerngruppen. Darüber hinaus erlangen sie Kompetenzen in der empirisch orientierten Fremdsprachenforschung, insbesondere in der Lehrer‐ handlungsforschung. Angehende LehrerInnen sollen im Rahmen einer wissen‐ schaftlichen universitären LehrerInnenbildung Forschungsergebnisse ver‐ stehen und einordnen können, um Schule und Unterricht weiterentwickeln zu können (Haberfellner 2016: 11). Zudem sollen sie einen forschenden Habitus entwickeln, der einen analytischen Blick auf den (eigenen) Unterricht ermög‐ licht (Baumgardt 2014: 13). Im Hinblick auf Englischlehrende fordert Schocker-v. Ditfurth (2001: 79) des Weiteren, dass diese als reflektierte PraktikerInnen aus‐ gebildet werden, damit sie in komplexen Lehr-Lern-Situationen kompetent han‐ deln können. 48 Cathrin Sprenger / Carola Surkamp 4 Forschungsmethodische Kompetenzen erwerben die Studierenden des YLAB-Projekts sowohl im Begleitseminar als auch in einer flankierenden Übung „Einführung in For‐ schungsmethoden der Fremdsprachendidaktiken“, in der ExpertInnen aus den Fremd‐ sprachendidaktiken ihre Forschungsprojekte präsentieren und Workshops gestalten, in denen anhand authentischer Forschungsdaten einzelne Erhebungs- und Auswertungs‐ methoden kennengelernt und handelnd ausprobiert werden können. Um die Forschungs- und Reflexionskompetenzen von Studierenden zu för‐ dern, wurde an der Universität Göttingen im Rahmen der ersten Förderphase der Qualitätsoffensive Lehrerbildung das Prinzip des forschenden Lernens (Huber 2013b; Schneider & Wildt 2013) als zentraler Bestandteil verschiedener Lehrentwicklungsmaßnahmen etabliert. Die Studierenden durchlaufen dabei den ganzen Forschungszyklus (Sonntag et al. 2017: 12), suchen sich also eine eigene Fragestellung, entwerfen ein Forschungsdesign, erheben Daten, werten diese aus und diskutieren ihre Ergebnisse in einem Forschungsbericht. 4 Selbstständiges und reflektierendes Arbeiten ist dafür sowohl Voraussetzung als auch Ziel. Dazu gehört, dass die Studierenden (ihre eigenen) Forschungser‐ gebnisse kritisch prüfen - sowohl in Bezug auf fachdidaktische Theorien als auch im Abgleich mit dem Erfahrungswissen der am Projekt beteiligten Lehr‐ kräfte (Bellmann & Weyland 2016: 1 f.). Dadurch sind die gewonnenen Erkennt‐ nisse auch für Dritte interessant (vgl. Huber 2013b: 11), wodurch das eigene Projekt für die Studierenden an Sinnhaftigkeit gewinnt. Dies wird auch dadurch gewährleistet, dass die Studierenden ihr Forschungsprojekt und ihre Ergebnisse im Folgesemester ihren KommilitonInnen vorstellen, so dass ihre Erfahrung für nachfolgende Projekte nutzbar gemacht und an eventuell offengebliebene For‐ schungsfragen angeknüpft werden kann. Das gesamte Projekt wird durch kontinuierliche Reflexionen begleitet. Zu‐ sätzlich zu ihrem Forschungsbericht verfassen die Studierenden ein den For‐ schungsprozess begleitendes Reflexionsportfolio, in dem sie ihre Einstellungen zu und Erfahrungen mit handlungsorientiertem und digitalem Lernen in hete‐ rogenen Kontexten ebenso reflektieren wie ihren Forschungsprozess im Prak‐ tikum. So können die angehenden Lehrkräfte sich ihrer Vorannahmen bewusst‐ werden und Fragen an den eigenen Unterricht entwickeln, denen sie dann empirisch nachgehen. Das Seminardesign erfüllt damit die Forderung, die Leh‐ rerInnenbildung von Beginn an auf die Entwicklung eines forschend-reflektier‐ enden Habitus auszurichten, die Studierenden mit Theorien und Methoden der empirischen Forschung vertraut zu machen und den Berufsfeldbezug der Leh‐ rerInnenbildung zu verbessern (vgl. Wissenschaftsrat 2001). 49 Lehren, Lernen und Forschen im Schülerlabor 6 Erste Ergebnisse der Begleitforschung Im Projekt erfolgt eine Begleitforschung auf zwei unterschiedlichen Ebenen. Mit Blick auf das fremdsprachliche Lernen gehen die Studierenden in ihren For‐ schungsprojekten mit verschiedenen Schwerpunkten der Frage nach, inwiefern die Durchführung einer Globalen Simulation unter Nutzung digitaler Medien die kommunikativen Kompetenzen von Englischlernenden in heterogenen Gruppen fördert. Die Ergebnisse der Forschungsprojekte zeigen, dass die eng‐ lischsprachige Umgebung im YLAB , das Agieren in einer Rolle und der sankt‐ ionsarme Raum als besonders lernförderlich wahrgenommen werden (vgl. z. B. Bengsch 2019). Mit Blick auf die hochschuldidaktischen Ziele des Projekts wird im Rahmen einer Dissertation untersucht, inwiefern Planung, Durchführung und Beforschung einer Globalen Simulation zur Förderung der Reflexions- und Forschungskompetenzen angehender Englischlehrkräfte beitragen (Sprenger, i.V.). Erste Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Studierenden die Praxisfor‐ schung im Lehr-Lern-Labor grundsätzlich als Herausforderung sehen. Dabei werden sowohl das Verhandeln der eigenen Rollen als ForscherIn einerseits und LehrerIn andererseits angesprochen als auch die Schwierigkeit des Zeitmanagements und der Organisation des Forschungsprozesses. Im Umgang mit dieser Herausforderung kristallisieren sich zwei Typen heraus, die jedoch nicht immer scharf voneinander zu trennen sind: Typ A sieht die Praxisforschung als Überforderung und wünscht sich stattdessen ein Praktikum ohne eigene For‐ schungsanteile und damit einen größeren Fokus auf den Kompetenzbereich Un‐ terrichten; Typ B nimmt die Praxisforschung eher als Lerngelegenheit war und thematisiert den Wissenszuwachs im Bereich der Forschungsmethodologie und dem Erwerb von Selbstkompetenzen, z. B. in Bezug auf die Strukturierung von Lehrprozessen. Zudem konnte festgestellt werden, dass das Lehr-Lern-Labor von den Studierenden nicht per se als Forschungsort angesehen wird, wohl aber als ein Ort, der durch die Möglichkeit der Planung und Durchführung von in‐ novativen Lehr-Lern-Arrangements viele Fragen aus der konkreten Praxis he‐ raus aufwirft, denen im Forschungsprojekt nachgegangen werden kann. Literatur Bartels, Jana (2015). 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Konkrete Impulse hierzu liefert das Institut für Sprachen und Mehrsprachigkeit ( ISM ) an der Universität des Saarlandes, unter anderem mit der interdisziplinär ausgerichteten Workshopreihe Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten, über deren kon‐ zeptionelle und inhaltliche Ausrichtung dieser Beitrag einen Überblick gibt. Neben den verfolgten fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Zielen wird aufgezeigt, wie darüber hinaus die phasenübergreifende Vernetzung und der Austausch zwischen Lehramtsstudierenden, ReferendarInnen und bereits praktizierenden Lehrkräften initiiert werden kann. 1 Einleitung Digitalisierung stellt mittlerweile einen festen Bestandteil im bildungspoliti‐ schen Diskurs dar und wirkt sich auf das Lehren und Lernen entlang der le‐ benslangen Bildungskette aus (vgl. Knopf, Ladel & Weinberger 2018; Knopf & Nagel 2020; Scheer & Wachter 2018). Ebenso stark wird die Rolle der sprachli‐ chen Vielfalt in unserem Alltag und in der Schule diskutiert (vgl. Hu 2016; Tracy 2014): Das Klassenzimmer ist ein mehrsprachiger Lernort, an dem verschiedene Kulturen und Sprachen aufeinandertreffen und Sprachenlernen in allen Fächern stattfindet. Der Einbezug digitaler Medien und Technologien in den Unterricht sowie der Umgang mit sprachlicher Vielfalt im Klassenzimmer stellen (ange‐ hende) Lehrkräfte jedoch immer noch vor große Herausforderungen, da die beiden Bereiche noch zu selten in Lehr- und Fortbildungsveranstaltungen kon‐ sequent integriert und vor allem in Einklang gebracht werden. Aktuelle For‐ 1 Das ISM wird von den beiden Professorinnen Claudia Polzin Haumann (Lehrstuhl für Romanische Sprachwissenschaft) und Julia Knopf (Lehrstuhl Fachdidaktik Deutsch Pri‐ marstufe) geleitet und liefert Impulse für den Umgang mit sprachlicher Diversität im schulischen Kontext. Für weitere Informationen siehe ism.uni-saarland.de. schungsergebnisse zeigen bereits, dass digitale Medien und Werkzeuge, z. B. Apps, webbasierte Tools oder Technologien wie Augmented Reality ( AR ), vielseitige Potenziale für das Sprachenlehren und -lernen bieten (vgl. Eckle & Jakobs 2019; Klein 2016; Klos 2018; Knopf 2019; Knopf, Eckle & Mosbach 2019), die systematisch in die Lehrerbildung einfließen können. Das Institut für Sprachen und Mehrsprachigkeit ( ISM ) 1 als Teil des Verbund‐ projektes Sa LU t an der Universität des Saarlandes, das im Rahmen der Quali‐ tätsoffensive Lehrerbildung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert wird, nimmt sich u. a. dieser Thematik an. Tragende Säulen des Insti‐ tuts sind die interdisziplinäre Forschung und die Zusammenarbeit der Spra‐ chendidaktiken. Eine solche Sichtweise auf Sprachen und ihre Vermittlung im schulischen Kontext eröffnet einen holistischen Zugang zum Umgang mit dem komplexen Phänomen der Mehrsprachigkeit, was sich auch in der Konzeption und inhaltlichen Ausrichtung des in diesem Beitrag vorgestellten Proseminars Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten zeigt. Im Folgenden soll zunächst der Aufbau des Proseminars als universitäre Lehrver‐ anstaltung und Fortbildungsangebot für bereits praktizierende Lehrkräfte vor‐ gestellt werden, bevor an konkreten Beispielen die Einbeziehung sprachlicher Heterogenität in den Unterricht unter Einsatz digitaler Medien dargestellt wird. 2 Zur Konzeption des Proseminars Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten Das Proseminar verfolgt die Ziele, fachwissenschaftliche und -didaktische Me‐ thoden und Konzepte aus den Bereichen der Sprachförderung sowie Mehrspra‐ chigkeitsforschung und -didaktik (vgl. dazu Abschnitte 2.2 bis 2.4) zu vermitteln und diese mithilfe digitaler Angebote praxisnah umzusetzen. Gleichzeitig werden die Vernetzung und der Austausch zwischen Lehramtsstudierenden, ReferendarInnen und Lehrenden initiiert und gefördert, was zudem der Ver‐ zahnung der verschiedenen Phasen der Lehrerbildung zu Gute kommt. Letzteres Anliegen wird durch die innovative Konzeption des Proseminars ermöglicht, denn es kann sowohl von Lehramtsstudierenden als Prüfungsleistung in ihr Studium eingebracht als auch von ReferendarInnen und Lehrkräften als Fort‐ bildung anerkannt werden. Während die Studierenden eine Einführungs- und Abschlusssitzung sowie drei Workshops zu den Themen Individuelle Sprachför‐ 56 Jakobs / Knopf / Korb / Müller / Polzin-Haumann / Schwender / Wagner derung in heterogenen Lerngruppen, Sprachen vernetzen im Fremdsprachenunter‐ richt und Sprachförderung digital besuchen, können ReferendarInnen und Lehr‐ kräfte an einem oder an mehreren der Workshops teilnehmen. Das Einbeziehen digitaler Medien als Werkzeuge für die Gestaltung von sprachlichen Lehr-/ Lernprozessen mit einem besonderen Blick auf (sprachlich) heterogene Lern‐ gruppen ist dabei allen Workshops gemein. In diesem Kontext nehmen die Pra‐ xisphasen einen großen Stellenwert ein: Die Teilnehmenden erproben die digi‐ talen Anwendungen und wenden sie auf ihren jeweiligen Lehr-/ Lernkontext an. Die verschiedenen Angebote sollen dabei keinesfalls analoge Medien ersetzen, sondern sie um vielfältige Lernmöglichkeiten erweitern. 2.1 Einführungs- und Abschlusssitzung für Studierende Den konzeptionellen Rahmen des universitären Lehrangebots bildet eine für Studierende verbindliche Einführungs- und Abschlusssitzung. Hier werden u. a. Informationen zum Ablauf, den Anforderungen und der abschließenden Prü‐ fungsleistung kommuniziert. Letztere besteht aus einem Leistungs- und Doku‐ mentationsportfolio (vgl. Häcker 2017), das die Inhalte der einzelnen Workshops aufgreift und vertieft. Dabei wird insbesondere die Selbstreflexionskompetenz der Studierenden geschult. Das in den Workshops vermittelte Wissen wird au‐ ßerdem in Bezug auf digitale Medien und Sprachförderung durch Transferauf‐ gaben auf den jeweiligen Bildungskontext der Teilnehmenden übertragen. Dabei liegt der Fokus gerade auf der Entwicklung eigener Unterrichtsideen und der Generierung von Umsetzungsbeispielen. Jeder Workshop wird von zwei nachbereitenden Aufgaben begleitet: In der ersten Aufgabe werden Inhalte des Workshops aufgegriffen und vertieft, in der zweiten Aufgabe übertragen die Studierenden vermittelte Konzepte auf ihren eigenen Unterrichtskontext. So sollen bspw. im Anschluss an den Workshop Sprachförderung digital drei der vorgestellten digitalen Anwendungen ausgewählt und diese in passende Un‐ terrichtssequenzen eingebunden werden. Komplettiert wird das Portfolio durch die Planung einer Unterrichtsstunde zu einem frei gewählten Thema aus den Studienfächern der Studierenden. Bei der Gestaltung und Umsetzung muss dabei beachtet werden, dass mindestens ein digitales Werkzeug, z. B. eine App, oder eine Technologie, wie Augmented Reality ( AR ), aus den drei Workshops sinnvoll eingesetzt wird. Darüber hinaus wird in der Einführungsveranstaltung eine erste didak‐ tisch-methodische Reflexion über den Einsatz digitaler Medien im Sprachen‐ unterricht angestoßen. Nach dem Sammeln von Erwartungen an das Proseminar lernen die Studierenden in einer Praxisphase die kostenlose, webbasierte Platt‐ form learningapps.org (vgl. Abb. 1) kennen, die kleine Lerneinheiten, sog. Apps, 57 Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten 2 Eine Übersicht der Kriterien findet sich unter: www.apple.com / de / education / docs / L523 172A_EDU_App_Guide_FF_DE.pdf zu verschiedenen Themenfeldern und Unterrichtsfächern bereithält (vgl. auch Abschnitte 2.3 und 2.4). Die Apps basieren dabei auf vorgegebenen Vorlagen, wie Multiple-Choice, Zuordnungsaufgaben, Lückentext, Kreuzworträtsel, Wort‐ gitter, uvm. https: / / learningapps.org/ Abb. 1: Startseite learningapps.org In einem ersten Schritt erkunden und erproben die Studierenden die bereits auf der Plattform vorhandenen Apps. Ausgehend von ihren dabei gesammelten Be‐ obachtungen erarbeiten sie Kriterien für gute digitale Lernangebote. Diese werden anschließend zusammengetragen, mit den von Apple Education 2 vor‐ geschlagenen Kriterien verglichen und kritisch diskutiert. Im Portfolio können sie dann als Ausgangspunkte für die Reflexion über die eigenen Unterrichts‐ materialien herangezogen werden. Wie bereits skizziert, nehmen solche Reflexionsprozesse über das ganze Pro‐ seminar hinweg eine entscheidende Rolle ein. Neben den im Portfolio doku‐ mentierten Selbstreflexionen wird auch die Peergroup als Bezugsrahmen in die Reflexionsarbeit eingebunden. Bei der Vorstellung der konzipierten Unterrichts‐ einheiten in der Abschlusssitzung wird dafür auf das webbasierte Tool tweed‐ 58 Jakobs / Knopf / Korb / Müller / Polzin-Haumann / Schwender / Wagner back.de zurückgegriffen. Dieses ermöglicht es, während einer Präsentation anonym Feedback aus einer Gruppe zu sammeln. Die Studierenden können sich über ihre eigenen Smartphones in eine tweedback-Session einloggen und Kom‐ mentare bspw. zu den Unterrichtsvorstellungen hinterlassen. Durch die ge‐ währte Anonymität und Simultanität können alle Studierenden in die Vorstel‐ lungsrunde aktiv eingebunden und vielfältige Anregungen für die Überarbeitung der vorgestellten Unterrichtsstunden zusammengetragen werden. Zu einem späteren Zeitpunkt können diese erneut eingesehen und für den Reflexionsteil des Portfolios genutzt werden. Damit flankieren die beiden Sitzungen die thematischen Workshops sowohl organisatorisch als auch inhaltlich und bilden den Rahmen für die universitäre Verankerung der Workshopreihe. 2.2 Workshop: Individuelle Sprachförderung in heterogenen Lerngruppen Der Fokus des Workshops Individuelle Sprachförderung in heterogenen Lern‐ gruppen liegt auf der Sensibilisierung der Studierenden und Lehrkräfte für die Chancen und Herausforderungen von Heterogenität im (Sprachen-)Unterricht. Die Potenziale einer vielfältigen Lerngruppe werden bereits bei der TeilnehmerInnenstruktur der Veranstaltung deutlich: Neben Studierenden ver‐ schiedener Fachrichtungen nehmen auch aktive Lehrkräfte unterschiedlicher Schulformen sowie Sprachförderlehrkräfte teil. Aus dieser Zusammensetzung ergibt sich ein produktiver Dialog zwischen angehenden und praktizierenden Lehrpersonen sowie zwischen den Fächern. Dieser Austausch wird durch die zweite Säule des Workshopkonzepts, das Vorstellen und Ausprobieren von di‐ gitalen Lernangeboten, ergänzt. Zu Beginn des Workshops setzen sich die Teilnehmenden zunächst mit ihrem Vorwissen, ihren Erfahrungen und ihren Einstellungen zum Thema (sprach‐ liche) Heterogenität und Sprachenvielfalt auseinander. Hierzu eignet sich die Methode des Kugellagers: Dabei stehen sich die Studierenden und Lehrkräfte in einem Innen- und Außenkreis gegenüber und tauschen sich in kurzen Ge‐ sprächssequenzen von zwei Minuten untereinander aus. Indem der äußere Kreis rotiert, wird der Gesprächspartner gewechselt (vgl. Brüning & Saum 2015a: 76 f.). Im Anschluss daran erfolgt eine gemeinsame Reflexion der Gespräche im Plenum. Vor allem im Dialog zwischen Studierenden und aktiven Lehrkräften wird der Mehrwert des ausbildungsphasen- und fächerübergreifenden Konzepts sichtbar: Forschungs- und wissenschaftsrelevante Fragen der Universität stoßen auf die Praxis des Unterrichtsalltags. Ausgehend davon erarbeiten sich die Teilnehmenden erste grundlegende Be‐ grifflichkeiten und bestimmen verschiedene Facetten von Heterogenität im 59 Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten Klassenraum, z. B. Geschlecht, Alter, individuelle Leistungsdisposition, sozio‐ ökonomischer Hintergrund oder (Herkunfts-)Sprachen (vgl. Bartnitzky, Brü‐ gelmann, Hecker, Heinzel, Schönknecht & Speck-Hamdan 2009: 258 ff.). Um sich in diesem Sinne Möglichkeiten zum Umgang mit sprachlicher Heterogenität (vgl. Rösch 2011: 157 ff.) in der Schule zu nähern, werden grundsätzliche Aspekte zur individuellen Förderung, einem der zehn Kriterien für guten Unterricht nach Meyer (2016: 86 f.), erläutert und diskutiert. Hier wird innerhalb des Workshops insbesondere herausgearbeitet, wie sich diese - zunächst allgemeindidakti‐ schen - Prinzipien auf den Umgang mit sprachlicher Heterogenität übertragen lassen. Der Fokus liegt dabei auf kooperativen Methoden, die sich zur Indivi‐ dualisierung von Lehr-/ Lernsettings anbieten (vgl. Brüning & Saum 2015b: 113 ff.). Um das Methodenrepertoire der Studierenden und Lehrkräfte zu erwei‐ tern und Potenziale kooperativer Arbeitsformen induktiv zu erarbeiten, er‐ proben die Teilnehmenden im Rahmen eines Gruppenpuzzles ausgewählte Me‐ thoden, wie z. B. das Reziproke Lesen, das Partnerpuzzle, das Lerntempoduett und das Placemat-Verfahren (vgl. Brüning & Saum 2015a). Anschließend zeigen sie Vor- und Nachteile sowie Einsatzmöglichkeiten für ihren Fachunterricht und ihre Schulstufe auf. Der zweite theoretische Abschnitt des Workshops beschäf‐ tigt sich mit Möglichkeiten der Einbeziehung sprachlicher Heterogenität im Sprachenunterricht. In diesem Zusammenhang werden den Teilnehmenden Leitlinien für eine gelungene Sprachförderung und das Konzept des sprachsen‐ siblen Fachunterrichts vorgestellt (vgl. Leisen 2013). Im Praxisteil des Workshops werden anschließend zunächst einige digitale Lehr- und Lernsettings als Fördermöglichkeit vorgestellt, bevor die Studier‐ enden und Lehrkräfte diese und weitere digitale Anwendungen selbst erproben, anwenden und reflektieren. Die App Stopmotion Studio erlaubt es den AnwenderInnen, eigene Stopmo‐ tion-Filme zu erstellen und so Szenen selbst zu animieren (vgl. dazu auch Korb, Schwender & Wagner 2020). Dabei werden Fotos von selbstentworfenen Szenen aufgenommen und diese von Foto zu Foto verändert, sodass durch das Stopmo‐ tion-Vefahren ein Trickfilm entsteht. Dieser lässt sich in der App mit Musik und Geräuschen untermalen, die selbst aufgenommen werden können. Außerdem ist es möglich, Figuren sprechen zu lassen. Weitere Funktionen, die eine Indi‐ vidualisierung der Filme ermöglichen, sind z. B. das Erstellen von Vor- und Ab‐ spann, das Hinzufügen von Effekten sowie das Einbetten unterschiedlicher Hintergründe. Die App bietet somit vielfältige Möglichkeiten der handlungs- und produktionsorientierten Auseinandersetzung mit Sprache, Literatur und Sachthemen, die zudem Raum für eine natürliche Differenzierung lässt. So können die SchülerInnen bspw. sprachliche Strukturen von spezifischen Dar‐ 60 Jakobs / Knopf / Korb / Müller / Polzin-Haumann / Schwender / Wagner stellungs- und Textformen, wie Anleitungen oder Rezepte, entdecken und diese in eigenen Beispielen in schriftlicher oder mündlicher Form umsetzen. Dabei ist es der Lehrperson überlassen, welche und wie viele sprachliche Strukturen sie vorgeben möchte, um die SchülerInnen bedarfsgerecht zu unterstützen. So ar‐ beiten manche Kinder bspw. mit vorgefertigten Satzbausteinen, andere wie‐ derum mit Wortvorschlägen, die sie für ihre Filme nutzen können. Im nächsten Beispiel werden analoge und digitale Materialien miteinander verzahnt. Das webbasierte Tool quizstunde.de erlaubt es den SchülerInnen, ein eigenes Quiz zu erstellen. Neben einem eigenen Account, welcher auf der Web‐ seite erstellt werden muss, benötigen die Lernenden ein Tablet oder Smartphone mit Kamera und die von der Plattform zur Verfügung gestellten Muster-Quiz‐ karten. Sie können diese Karten handschriftlich mit einer Frage und mehreren Antwortmöglichkeiten ausfüllen und anschließend auf der Plattform hochladen. Auf quizstunde.de wird dann mit diesen Karten ein Quiz erstellt, das andere MitschülerInnen spielen können. Die Anwendung erlaubt es somit, Lernergeb‐ nisse spielerisch zu überprüfen oder zu wiederholen und dabei die SchülerInnen selbst tätig werden zu lassen. So können z. B. im Kontext des Rechtschreibler‐ nens mehrere Quiz erstellt werden, die auf die (begründete) Auswahl von pas‐ senden Rechtschreibstrategien abzielen und ggf. Impulse zum Überdenken der Antworten geben. Ein weiteres Beispiel zum kompetenzbereichsintegrativen und auch fächer‐ vernetzenden Einsatz von digitalen Medien stellt die Anwendung Cospaces Edu dar. Die webbasierte Plattform dient der Erstellung von Szenen, sog. Spaces. Die erstellten Spaces lassen sich mit der dazugehörigen App mittels Augmented Re‐ ality ( AR ) ansehen und abspielen. Besonders motivierend ist dabei die Möglich‐ keit, am Computer eigene Modelle und Orte mittels vorgefertigter Bausteine zusammenstellen zu können. Beim Erstellen dieser Spaces werden zunächst be‐ liebige Hintergrundsettings, Tageszeiten sowie Figuren, Gegenstände und Fahr‐ zeuge eingefügt. Hierzu kann innerhalb der Anwendung auf ein großes Reper‐ toire zurückgegriffen werden. Anschließend werden einzelne Elemente mit Aktionen versehen: So ist es bspw. möglich, Sprech- und Denkblasen einzu‐ fügen, Textfelder zu generieren oder Figuren winken oder laufen zu lassen. Mit‐ hilfe von „wenn, dann“-Aktionen können die Szenen in verständlicher und ver‐ einfachter Form zusätzlich programmiert werden, sodass die Szenen nicht statisch bleiben, sondern animiert und bewegt werden. Entsprechend liegen mögliche Einsatzgebiete im Nachstellen oder Zusam‐ menfassen von Literatur oder bspw. auch in der unterstützenden Visualisierung innerhalb der Sprachreflexion. So wäre es denkbar, das bekannte Märchen Hänsel und Gretel im Sinne eines handlungs- und produktionsorientierten Um‐ 61 Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten gangs mit Literatur nachstellen zu lassen. Mit den so entstandenen Szenen können die Lernenden das Märchen mündlich nacherzählen oder im Sinne einer Buchvorstellung präsentieren. In diesem Fall bilden die erstellten Spaces sozu‐ sagen ein digitales Erzähltheater. Selbsterstellte Szene Abb. 2: Eine Szene aus Cospaces Edu Ein weiteres Anwendungsbeispiel lässt sich anhand von Abb. 2 erläutern, in der ein Wettrennen zwischen Fahrradfahrer und Reiter animiert wurde. So ließe sich z. B. das Prinzip der Steigerung von Adjektiven anschaulich darstellen. Die SchülerInnen könnten zuerst Vermutungen äußern (z. B. „Ich denke, das Fahrrad ist schneller als das Pferd.“), diese durch das Anschauen der Spaces überprüfen und ggf. revidieren („Das Fahrrad war schnell, aber das Pferd war schneller.“). Durch die einfache Programmierung stehen zudem Möglichkeiten offen, die Szenen gemäß den Vermutungen der Lernenden zu verändern. Ein hypothe‐ sengeleitetes und anschauliches Experimentieren mit Sprache, das kindgerecht und individuell zugleich ist, lässt sich so gestalten. Nach der intensiven Praxisphase, in der die Teilnehmenden möglichst viele der digital-analogen Angebote erprobt haben, folgt eine gemeinsame Reflexion. Bei der Analyse im Plenum ergänzen sich erneut die unterschiedlichen Per‐ spektiven und Hintergründe der Teilnehmenden: Während etwa die Sprachför‐ derlehrkräfte den Fokus ihrer Einschätzung oftmals auf das Potenzial der digi‐ talen Medien zur gezielten Sprachförderung legen, argumentieren die 62 Jakobs / Knopf / Korb / Müller / Polzin-Haumann / Schwender / Wagner 3 Das EuroComRom-Konzept (vgl. Klein & Stegmann 2000) befasst sich mit dem For‐ schungsfeld der Interkomprehension. Dieser Zugang ermöglicht einen lernökonomi‐ schen Spracherwerb, da systematisch das vorhandene Sprachenrepertoire der Lern‐ enden sowie Ähnlichkeiten und Parallelen (vermeintlich) unbekannter Sprachen in den Erschließungs- und Verstehensprozess miteinbezogen werden (vgl. auch Polzin-Hau‐ mann & Reissner 2018). Auch für die germanische und slavische Sprachengruppe liegen mit EuroComGerm und EuroComSlav nahezu äquivalente Konzepte aus dem Eu‐ roCom-Konzept vor. Lehrkräfte häufig stark fachbezogen. Die Studierenden bilden in der Abschluss‐ diskussion einen interessanten Gegenpol. Ihre Argumentation ist ofmals theo‐ riegeleitet und weniger stark durch Praxiserfahrung geprägt. Diese Vielstim‐ migkeit zum Ende des Workshops ist gewollt und hinterlässt bei den Teilnehmenden sowohl das Gefühl, individuell gehört worden zu sein als auch von der Perspektive der Anderen profitiert zu haben. 2.3 Workshop: Sprachen vernetzen im Fremdsprachenunterricht Das primäre Ziel des Workshops Sprachen vernetzen im Fremdsprachenunterricht besteht darin, (angehende) Lehrende für das sprachenvernetzende Lehren und Lernen, insbesondere romanischer Sprachen, mithilfe digitaler Medien zu sen‐ sibilisieren. Dabei wird zunächst zum Nachdenken über die eigenen Sprach‐ kenntnisse, das eigene Sprachenlernen und die Bedeutung von Sprachen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene angeregt. Diese Reflexion bildet den Ausgangspunkt für das Aufzeigen von Möglichkeiten der Integration des (digi‐ talen) sprachenvernetzenden Lehrens und Lernens in den Fremdsprachenun‐ terricht. Beginnend mit den Grundlagen der Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik werden im Workshop die Vorkenntnisse der (angehenden) Lehrenden zum Thema Mehrsprachigkeit in der Schule systematisch erhoben, Mehrspra‐ chigkeit als Bildungsziel skizziert und die Ziele des Mehrsprachenlernens in der Schule diskutiert. Anschließend erfolgt eine Definition und Abgrenzung der Konzepte und Ansätze Language Awareness (vgl. z. B. Gnutzmann 1997; Morkötter 2005), Tertiärsprachendidaktik (vgl. z. B. Hufeisen 2010; Meißner 2010) und Interkomprehension (vgl. z. B. Bär 2009; Doyé 2005; Ollivier & Strasser 2013; Polzin-Haumann & Reissner 2013). Die Verknüpfung von Theorie und Praxis bei der Vermittlung der Inhalte nimmt dabei einen besonderen Stellen‐ wert ein, sodass das Vorwissen, das sprachliche Repertoire sowie die Erfah‐ rungen aus der Schulpraxis der (angehenden) Lehrenden miteinbezogen und darauf aufbauend die Relevanz der theoretischen Inhalte für den Schulkontext sichtbar gemacht werden. Entsprechend handlungsorientiert widmet sich der Theorieteil dem für den Workshop zentralen EuroComRom-Konzept 3 zunächst 63 Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten mithilfe eines rumänischen oder katalanischen Facebook-Posts. Die Teilnehm‐ enden bekommen die Aufgabe, sich den fremdsprachigen Text durch ihre ver‐ fügbaren Sprachenkenntnisse zu erschließen. Im Falle des Rumänischen oder Katalanischen erkennen sie schnell, dass gerade Kenntnisse in weiteren roman‐ ischen Sprachen beim Leseverstehen von großem Nutzen sind. Im Praxisteil folgen Ideen und Impulse für die Gestaltung von sprachenvernetzendem Un‐ terricht mit digitalen Medien. Dabei werden vier Beispiele vorgestellt, erprobt und reflektiert, von denen nachfolgend drei exemplarisch skizziert werden. Eine Möglichkeit der Verknüpfung analoger und digitaler Lernumgebungen bietet die Plattform learningapps.org (vgl. auch Abschnitte 2.1 und 2.3), die auch über Aufgabenpools in weiteren Sprachen (z. B. Französisch, Spanisch, Italie‐ nisch, Polnisch und Englisch) verfügt. Dies ermöglicht den gewinnbringenden Einsatz von learningapps.org in vielfältigen Bereichen des Sprachenunterrichts, da z. B. bereits ein großes Angebot an Apps für die Sprachen Englisch, Franzö‐ sisch und Spanisch vorliegt, auf das im Unterricht zurückgegriffen werden kann. So können bspw. Vokabeln zu einem Thema mittels eines spielerischen Pferde‐ rennens geübt oder neue Zeitformen mit einer Zuordnungs- oder Lückentext‐ aufgabe wiederholt werden. Dabei müssen die Apps allerdings immer im Sinne der Qualitätssicherung vor dem Einsatz gesichtet und aus didaktischer Sicht bewertet werden. Im Workshop erhalten die (angehenden) Lehrenden ein Ar‐ beitsblatt zum Thema „Weihnachten in Europa“. Es wurde mit selbst erstellten Apps angereichert, die per QR -Code aufgerufen werden können. Die Teilnehm‐ enden erfahren hierbei, wie Erarbeitungsphasen digital umgesetzt werden können, während die Ergebnissicherung sowie Anschlussaufgaben auf einem Arbeitsblatt fixiert werden. Für viele der (angehenden) Lehrkräfte stellt dies eine erste Erfahrung mit dem Potenzial der Verknüpfung von digitalen und analogen Medien sowie dem sprachenvernetzenden Lehren und Lernen dar. Einen be‐ sonderen Stellenwert nimmt entsprechend die anschließende gemeinsame Re‐ flexion und Diskussion über die bearbeiteten Aufgaben ein. In einem weiteren Beispiel erfolgt die Erweiterung von Lehr-/ Lernmaterialien mittels Augmented Reality ( AR ) mit dem Ziel, Arbeitsblätter interaktiv zu ge‐ stalten. Dadurch können bspw. Möglichkeiten der Differenzierung und Indivi‐ dualisierung geschaffen werden, die sich wiederum auch positiv auf die Moti‐ vation und die Bereitschaft, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen, auswirken können. Darüber hinaus kann mithilfe eines digitalen Lernangebots, bspw. einer hinterlegten Übung auf learningapps.org, die Erabeitungsphase di‐ gital ausgelagert und die Ergebnissicherung auf dem Arbeitsblatt festgehalten werden. Mit den Apps HP Reveal und Augmelity können auf einem analogen Arbeitsmaterial hinterlegte Marker, z. B. ein Bild, mit digitalen Inhalten, wie 64 Jakobs / Knopf / Korb / Müller / Polzin-Haumann / Schwender / Wagner 4 learningsnacks ist ein kostenloses, webbasiertes Tool zum Erstellen von Aufgaben in Form von interaktiven Dialogen. Die Lerninhalte werden dabei ‚häppchenweise‘ im Chatformat angezeigt und interaktiv von den SchülerInnen bearbeitet. Neben dem Lesen von kurzen Texten oder Anschauen von Videos können auch Mul‐ tiple-Choice-Aufgaben oder Umfragen eingebunden werden. Hervorzuheben ist, dass dabei immer ein positives sowie negatives Feedback von den Lehrenden zur Antwort hinterlegt werden muss, sodass die SchülerInnen mit Tipps zum Lösen der Aufgabe geführt oder mit Lob zum Weitermachen motiviert werden können. Videos oder Bildern, angereichert werden. Wird der Marker mit der App ge‐ scannt, wird eine Grafik eingeblendet, die aus dem Arbeitsblatt zu fliegen scheint. Nach dem Antippen des Triggers öffnet sich der digitale Inhalt. Das im Workshop eingesetzte AR -Arbeitsblatt (vgl. Korb & Schwender 2019: 7) greift die gewonnene Interaktivität angereicherter Lehr-/ Lernmaterialien dahinge‐ hend auf, dass schüler- und interessenoriente Inhalte in der anschließenden Übung präsentiert werden. In einem ersten Schritt kann ausgehend von drei AR -Markern, die die Themen Musik, Videospiele und Serien darstellen, derje‐ nige ausgewählt werden, der das höchste Motivationspotenzial für den / die Be‐ arbeiterIn bietet. Auf diese Weise werden bereits zu Beginn der Erarbeitungs‐ phase unterschiedliche Lernwege eröffnet und Neugier geweckt. Anschließend erscheint eine Aufgabe, die mithilfe von learningsnacks  4 erstellt wurde. Dabei sammeln die (angehenden) Lehrenden erste Erfahrungen mit einem solchen AR -Arbeitsblatt zu den kommunikativen Basisformeln, wie Salut! , Comment ça va? , etc., in den Sprachen Französisch, Spanisch, Portugiesisch und Italienisch, welches auf einen learningsnack mit einem fiktiven mehrsprachigen Chat wei‐ terleitet. Die kommunikativen Basisformeln werden im Chat eingeführt und anschließend auf dem Arbeitsblatt gesammelt sowie im Sinne eines Sprachver‐ gleichs reflektiert (vgl. auch Korb & Schwender 2019). In einem weiteren Beispiel liegt der Fokus nicht wie in den bisherigen Bei‐ spielen primär auf der romanischen Sprachfamilie, sondern auch auf möglichen Herkunftssprachen und typologisch distanten Schriftkulturen. Die App Google Übersetzer bietet hierfür Perspektiven zur Dechiffrierung von Herkunftsspra‐ chen und / oder Sprachen mit anderen Schriftkulturen (wie z. B. Türkisch, Rus‐ sisch und Chinesisch). Bevor die App zum Einsatz kommt, besteht die erste Aufgabe darin, Elemente aus kurzen Texten in den drei genannten Sprachen zu verstehen und Hypothesen über den möglichen Inhalt aufzustellen. Dabei kann gerade im Türkischen auf Basis von Kenntnissen in mindestens einer romanischen Sprache, wie dem Französischen, auf lexikalischer Ebene einiges er‐ schlossen werden, während im Russischen und Chinesischen zunächst nur ein‐ zelne Elemente, wie Zahlen, erkannt werden können. In einem nächsten Schritt wird der Text mit der Google Übersetzer-App gescannt und ins Deutsche über‐ 65 Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten tragen. Nach der Klärung der Textinhalte werden einzelne Elemente aus den Texten nochmals genauer betrachtet und z. B. ein Wort in kyrillischer Schrift dechiffriert oder die Schreibweise des Datums im Chinesischen entschlüsselt. Im Workshop zeigt sich, dass das (Mehr-)Sprachenlernen zahlreiche Anlässe und gewinnbringende Einsatzmöglichkeiten für digitale Medien und Technolo‐ gien bietet. Der folgende Workshop greift diese Potenziale auf und führt die Teilnehmende an die selbstständige Konzeption digitaler Lehr-/ Lernmaterialen heran. 2.4 Workshop: Sprachförderung digital Der Workshop Sprachförderung digital zielt darauf ab, Potenziale und Heraus‐ forderungen des Einsatzes von digitalen Medien im Sprachenunterricht zu er‐ kennen, verschiedene digitale Lernangebote und für den Unterricht nutzbare Medienformate kennenzulernen sowie Angebote für das digitale Sprachen‐ lehren und -lernen zu erproben, zu diskutieren und zu reflektieren. Zu Beginn des Workshops werden die bisherigen Erfahrungen der (angehenden) Lehrenden im Umgang mit digitalen Medien im Unterricht gesammelt. Daran schließt sich das Zusammentragen und Diskutieren der Potenziale und Herausforderungen mithilfe der Think-Pair-Share-Methode an, gefolgt von einer kurzen Wiederholung zu den Themen Sprachförderung und Mehrspra‐ chigkeit gemäß des Interkomprehensionsansatzes, um eine fachwissenschaft‐ liche und -didaktische Rahmung für die folgenden praktischen Beispiele zu geben. Diese lassen sich in vier Kategorien einteilen: Apps, AR -Technologien, webbasierte Tools und weitere Medienformate. In allen Kategorien werden ver‐ schiedene digitale Lernangebote vorgestellt, einige davon auch erprobt und re‐ flektiert. In der ersten Kategorie werden z. B. die Apps Adobe Spark Video und Rory’s Story Cubes vorgestellt. Erstere dient vor allem dem digitalen Storytelling unter Einbezug von Texten, Videos oder Audioaufnahmen. Zweitere enthält in der Basisversion neun Würfel und ermöglicht kreative Erzähl- und Schreibanlässe. Beide Apps bieten zahlreiche Möglichkeiten für den Sprachenunterricht, vor allem für die Förderung der kommunikativen Kompetenz sowie der Schreib‐ kompetenz. Einen praktischen Einblick erhalten die (angehenden) Lehrenden in die App Comic Life 3 (vgl. Abb. 3). Dazu wird eine Bildergeschichte bereitgestellt, die mithilfe der App mit comictypischen Sprech- und Gedankenblasen versehen wird. Da Studierende und Lehrende verschiedener Sprachenfächer und Schultypen an den Comics arbeiten, ergeben sich vielfältige Umsetzungsmöglich‐ keiten und Perspektiven für den Einsatz der App in der Schule. 66 Jakobs / Knopf / Korb / Müller / Polzin-Haumann / Schwender / Wagner Screenshot aus der Comic Life 3 App Abb. 3: Einen Comic erstellen mit Comic Life 3 In Hinblick auf webbasierte Tools wird u. a. Kahoot (www.kahoot.com) vorge‐ stellt, das als App oder auf der Homepage zur Verfügung steht. Dabei spielen die (angehenden) Lehrenden zunächst ein Quiz zum Thema europäische Mehr‐ sprachigkeit, bevor die verschiedenen Quizformate, z. B. Single-Choice-Quiz, vorgestellt und Einsatzmöglichkeiten im Unterricht aufgezeigt werden. So eignet sich Kahoot bspw. für eine schnelle, spielerische Vokabelüberprüfung, als Einstieg in ein Thema, zum Anregen einer Diskussion oder für ein Quiz. Als weitere Möglichkeit zum Erstellen verschiedener digitaler Lernaufgaben wird zunächst kurz learningapps.org vorgestellt (vgl. auch Abschnitt 2.3), bevor die (angehenden) Lehrenden selbst eigene Apps erstellen. Dazu liegen Texte auf Deutsch und in verschiedenen Fremdsprachen (Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch) aus, auf deren Basis Apps erstellt und anschließend erprobt werden. Dadurch wird zum einen das Erstellen einer App auf learningapps.org praktisch erprobt und zum anderen unterschiedliche Appformate vorgestellt und getestet. Abschließend erfolgt eine Reflexion über den Beitrag solcher Apps im eigenen Unterricht. 67 Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten In der Kategorie zu AR -Technologien wird die App Augmelity aufgegriffen, mit der im vorangegangenen Workshop bereits gearbeitet wurde, wobei hier der Fokus auf dem Erstellen von AR -(Lern-)Umgebungen, sog. Auras, liegt. Dazu erhalten die (angehenden) Lehrenden ein Wimmelbild, welches viele Möglich‐ keiten für Kommunikationsanlässe bietet. Hierfür eigenen sich je nach Klas‐ senstufe thematische Wimmelbücher (bspw. in der Stadt, auf dem Spielplatz) oder Wimmelbücher, die Schauplätze verschiedener Städte abbilden (bspw. Das Saarland wimmelt, Stuttgart wimmelt, München wimmelt, etc.). Letztere sind au‐ thentisch und ermöglichen eine höhere Identifikation mit der Kommunikationssituation. Die (angehenden) Lehrenden suchen sich eine Situation aus dem Wimmelbild aus und reichern diese mit einer Audiospur an. Sobald nun die ausgewählte Situation mit der Augmelity-App gescannt wird, ertönt die Auf‐ nahme. Diese kann im Unterricht als kreativer Sprech- oder Schreibanlass ge‐ nutzt werden. In diesem Kontext kann Augmelity bspw. auch dazu dienen, den SchülerInnen die sprachliche Vielfalt der Klasse bewusst zu machen und die „innere Mehrsprachigkeit“ (vgl. Wandruszka 1979) der SchülerInnen zu fördern, denn neben den Mutter- und Fremdsprachen können dabei auch Dialekte oder Nachbarsprachen explizit miteinbezogen werden. Potenzial bietet die Anwen‐ dung auch in Hinblick auf spielerische Wortschatzarbeit, so können bspw. fremdsprachigen Vokabeln die dazugehörigen Bilder zugeordnet werden. Dabei erscheinen nach Abscannen der gefundenen Bildelemente weiterführende In‐ formationen, Aufgaben oder Feedback. Als Alternative zum Vertaggen, also dem Anreichern eines Kommunikati‐ onsanlasses mit AR , kann auch ein Vorlesestift eingesetzt werden (vgl. auch Brodt & Jakobs 2019; Korb, Schwender & Wagner, 2020). Die Vorlesestifte BOOK ii, AnyBookReader und tiptoi CREATE bieten die Möglichkeit, eigene Auf‐ nahmen einzusprechen, indem der Vorlesestift auf einen kleinen Sticker ge‐ halten und dieser mit der Aufnahme besprochen wird. Vorab oder nach dem Besprechen auf eine beliebige Stelle geklebt kann die Audioaufnahme mit dem Vorlesestift wiedergegeben werden. Im Workshop werden exemplarisch Situa‐ tionen aus dem Wimmelbild vertont. 3 Fazit und Ausblick Für das Unterrichten sprachlich heterogener Lerngruppen bieten digitale Me‐ dien vielseitige Potenziale und Möglichkeiten. Um diese zu erkennen und digi‐ tale Lernangebote gewinnbringend im (Sprachen-)Unterricht einzusetzen, müssen sie im Lehramtsstudium wie auch im Schulkontext thematisiert und mit Praxisbezug vermittelt werden. In diesem Sinne werden im Proseminar Sprach‐ 68 Jakobs / Knopf / Korb / Müller / Polzin-Haumann / Schwender / Wagner liche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten sinnvolle und didaktisch fundierte Einsatzmöglichkeiten für digitale Medien im (Spra‐ chen-)Unterricht aufgezeigt, kritisch erprobt und auf verschiedene Lehr-/ Lern‐ kontexte angewendet. Bereits die heterogene Zusammensetzung innerhalb des Proseminars bietet eine Plattform für Diskussions- und Reflexionsphasen, so‐ dass die Vernetzung und der Austausch von Lehramtsstudierenden und bereits praktizierenden Lehrenden verschiedener Schulformen und (Sprachen-)Fächer angestoßen werden. Die Einblicke und Erfahrungen aus dem Schulalltag werden dabei durch neueste Erkenntnisse aus den jeweiligen Fachdidaktiken und -wissenschaften ergänzt, wodurch ein Mehrwert sowohl für die Lehrerausals auch -weiterbildung entsteht. Insgesamt ist mit dem Proseminar Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten ein Beispiel für die enge Verzahnung von Spra‐ chendidaktik und digitalen Medien sowie für den Austausch von (angehenden) Lehrenden verschiedener Schulformen und Phasen der Lehrerbildung gelungen. Literatur Bartnitzky, Horst, Brügelmann, Hans, Hecker, Ulrich, Heinzel, Friederike, Schönknecht, Gudrun & Speck-Hamdan, Angelika (2009). Kursbuch Grundschule. Band 127 / 128. Frankfurt am Main: Grundschulverband. Bär, Marcus (2009). Förderung von Mehrsprachigkeit und Lernkompetenz. Fallstudien zu Interkomprehensionsunterricht mit Schülern der Klassen 8 bis 10. Tübingen: Narr. Brodt, Julia & Jakobs, Rebecca (2019). Bilderbuchangebote mit Augmented Reality. Lite‐ rarisches Lernen durch tiptoi, Leyo! und Co. In Ulf Abraham & Julia Knopf (Hrsg.) BilderBücher. Band 2: Praxis (S. 175-181). 2. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. Brüning, Ludger & Saum, Tobias (2015a). Erfolgreich Unterrichten durch Kooperatives Lernen (1). Strategien zur Schüleraktivierung. Essen: Neue Deutsche Schule Verlag. Brüning, Ludger & Saum, Tobias (2015b). Erfolgreich Unterrichten durch Kooperatives Lernen (2). Neue Strategien zur Schüleraktivierung. Individualisierung - Leistungsbeur‐ teilung - Schulentwicklung. Essen: Neue Deutsche Schule Verlag. Doyé, Peter (2005). Intercomprehension. Guide for the development of language education policies in Europe: from linguistic diversity to plurilingual education. Reference study, Language Policy Division. Strasbourg: Council of Europe. Eckle, Jannick & Jakobs, Rebecca (2019). Wenn Wimmelbücher zum Leben erwachen - Textlose Bilderbücher erweitern mit Augmented Reality. In Ulf Abraham & Julia Knopf (Hrsg.) BilderBücher. Band 2: Praxis (S. 75-81). 2. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren. 69 Sprachliche Vielfalt mit digitalen Medien fördern, nutzen und gestalten Gnutzmann, Claus (1997). 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Pädagogischer Doppeldecker - Blended Learning als Methode für die Entwicklung von inklusiven Einstellungen und fachdidaktischem Wissen in der Lehrkräfteausbildung im Fach Englisch als Fremdsprache 1 Carolyn Blume / Torben Schmidt Der vorliegende Beitrag stellt ein an der Leuphana Universität Lüneburg ent‐ wickeltes, beforschtes und zwischenzeitlich fest in die Lehrkräfteausbildung integriertes englischdidaktisches Blended Learning-Seminar zum Thema „Teaching in Heterogeneous and Inclusive Settings“ vor. Dabei soll nach einer Beschreibung des Entstehungskontexts und der inhaltlichen Ausrichtung des Seminars bezüglich der Methodik gezeigt werden, wie verschiedene digital angereicherte, hochschuldidaktische Lehr-/ Lernmethoden und -settings für die Lehrkräfteausbildung eingesetzt wurden, um die Handlungs- und Refle‐ xionskompetenz der Studierenden in Bezug auf einen heterogenitätssen‐ siblen, inklusiven Englischunterricht zu entwickeln. Gleichzeitig soll ver‐ deutlicht werden, wie die Studierenden diese Methoden für den eigenen Wissens- und Kompetenzerwerb im Seminar nutzten und somit aus Lernen‐ denperspektive reflektierend entdeckten. 1 Einleitung Die Umstellung auf ein inklusives Bildungssystem bringt für die Lehrkräfteaus- und -weiterbildung die dringende Forderung mit sich, den Umgang mit Hete‐ rogenität und Inklusion umfassend in schulpädagogischen, psychologischen und fachdidaktischen Veranstaltungen in die Curricula des Lehramtsstudiums, des Referendariats sowie der Fort- und Weiterbildung zu implementieren. Die Umsetzung von Inklusion ist dabei zu einem berufsethischen und pädago‐ gisch-didaktischen Imperativ geworden. Studien belegen diesbezüglich jedoch, dass sich viele (angehende) Lehrkräfte aller Fächer aufgrund einer geringen Passung zwischen Ausbildungs- und Berufswissen in diesem Bereich noch un‐ genügend vorbereitet fühlen (vgl. Gerlach 2015; Helmke & Schrader 2008; Oel‐ kers 2009). Ein zentrales Ziel der Lehrkräftebildung muss es daher sein, eine evidenzbasierte Aus- und Weiterbildung zu etablieren, die das pädagogischdidaktische Wissen sowie die professionelle Reflexionskompetenz (vgl. Wahl 2013) der Studierenden entwickelt, um das Spannungsfeld zwischen einer indi‐ vidualisierten Förderung der einzelnen Lernenden und einer gleichzeitig kom‐ petenz- und leistungsorientierten Unterrichtsgestaltung aller Lernenden (vgl. Caspari, Grünewald, Hu, Küster, Nold, Vollmer & Zydatiß 2008) langfristig und flexibel zu bewältigen. Genau dies war und ist ein Ziel der 2016 gestarteten, gemeinsam von Bund und Ländern geförderten Qualitätsoffensive Lehrerbil‐ dung. Dieser Beitrag beschreibt eine hochschuldidaktische Lehrveranstaltung aus der Englischdidaktik, die im Rahmen der Qualiätsoffensive Lehrerbildung an der Leuphana Universität Lüneburg entwickelt wurde und die Methoden und Ansätze wie Flipped Classroom, die Arbeit mit Unterrichtsvideos, die Nutzung von Vidoekonferenzen sowie den Einsatz von Microteachings verbindet und je‐ weils methodisch weiterentwickelt. Konzipiert als Blended Learning-Kurs zielte das Seminar darauf ab, einen Beitrag zur Professionalisierung von angehenden Lehrkräften für den heterogenen und inklusiven Englischunterricht zu leisten, indem es evidenzbasierte Methoden zur Entwicklung von Lehrkompetenzen um inklusive handlungsleitende Kognitionen erweitert. Hier liegt der Fokus sowohl auf der Entwicklung von förderlichen Haltungen in Hinblick auf inklusive Lern‐ settings als auch auf der Herausbildung der inklusiven Reflexionskompetenz (vgl. Abendroth-Timmer & Frevel 2013; Blume, Gerlach, Roters & Schmidt 2019; Greiten, Geber, Gruhn & Köninger 2017). Hinsichtlich der didaktischmethodischen Umsetzung des Seminars galten als Grundsätze die fachkulturelle Spezifizierung anhand von Leitlinien des kommunikativen Englischunterrichts sowie jüngste Konzeptionalisierungen zur Inklusion in heterogenen Lernset‐ tings (vgl. Burwitz-Melzer, Königs, Riemer & Schmelter 2017), welche die Teil‐ habe am Englischunterricht und somit an der Wissensgesellschaft ermöglichen (vgl. Köpfer 2014: 158). Hierzu gehören v. a. Maßnahmen zur erfolgreichen Teil‐ nahme aller Lernenden durch vielfältige methodische Zugänge (vgl. Schart 74 Carolyn Blume / Torben Schmidt 2014), multiple Aufbereitungsformate des gemeinsamen Gegenstands (vgl. Höf‐ lich 2015), Berücksichtigung der Lernerautonomie (vgl. Little 2007) sowie dif‐ ferenzierte Materialien (vgl. Timpe-Laughlin & Laughlin 2018). Die unterstüt‐ zende Rolle von digitalen Medien, die sowohl national als auch international die Verwirklichung dieser Leitlinien fördert, wurde zudem berücksichtigt (vgl. Bosse 2012). Diese Grundprinzipien dienten fortan als Grundlage, einerseits für die Vermittlung fremdsprachendidaktischer Inhalte, andererseits im Sinne eines „pädagogischen Doppeldeckers“ (Wahl 2013: 291) auch für die didaktisch-me‐ thodische Aufbereitung der Inhalte (vgl. Abschnitt 3). Darüber hinaus wurden Vermittlungsmethoden verwendet, die in der Lehrkräftebildung für die Ent‐ wicklung der Reflexionskompetenz als Grundlage des professionellen Handelns identifiziert wurden, allen voran Praxisannäherungen und -analysen (vgl. Grossman, Hammerness & McDonald 2009; Reusser & Fraefel 2017), die mit digitaler Unterstützung umgesetzt wurden. Zunächst werden in diesem Beitrag die strukturelle Entstehung und die in‐ haltlichen Grundlagen des Seminars skizziert. Anschließend wird veranschau‐ licht, wie unter Rückgriff auf bewährte Methoden und Ansätze der Lehrkräfte‐ ausbildung insbesondere durch digital unterstützte Formate ein differenziertes, Autonomie stärkendendes und somit inklusives Lehr-/ Lernsetting modelliert wird, das zur Professionalisierung der Studierenden beiträgt. Speziell diese Me‐ thoden in Verbindung mit einem Blended Learning-Ansatz sollen im Zentrum dieses Beitrags stehen. Abschließend werden die Evaluation und die begleitende Beforschung des Seminars hinsichtich Methoden und Ergebnisse zusammenge‐ fasst vorgestellt. 2 Entstehungskontext und inhaltliche Fokussierung Im Rahmen der gemeinsam von Bund und Ländern geförderten Qualitätsoffen‐ sive Lehrerbildung wurde an der Leuphana Universität Lüneburg im Zukunfts‐ zentrum Lehrerbildung das Projekt zur „Theorie-Praxis-Verzahnung“ von 2016-2019 durchgeführt. Ziel war einerseits die Förderung der Verschränkung der Phasen über Ausbildungsinstitutionen hinweg sowie andererseits die Über‐ brückung der oft empfundenen Distanz zwischen der wissenschaftlichen The‐ orie und der schulischen Praxis (vgl. Oelkers 2009). So soll allgemein ein besserer Transfer des „trägen“ Wissens in eine reflektierte Handlungskompetenz ange‐ bahnt werden. Konkret sollen anhand von (in diesem Fall) inklusionsorien‐ tierten Haltungen theoretisch fundierte, problemlösende Diskurse mit prototy‐ pischen Praxis- und Erprobungsgelegenheiten geschaffen werden (vgl. Wahl 2013). Um dies zu erreichen, entwickelte ein multiprofessionelles Team, beste‐ 75 Pädagogischer Doppeldecker hend aus FremdsprachendidaktikerInnen aus der Wissenschaft, zusammen mit Englischlehrkräften aus der Schule, MitarbeiterInnen der Schulbehörde und von Lehrkraftfortbildungsinstituten anhand von Prinzipien konsensorientierter Entscheidungsprozesse (vgl. Straub, Spöhrer & Meimerstorf 2019) das im Fokus dieses Beitrags stehende Seminar für das dritte Semester des Bachelorstudiums im Fach Englisch als Fremdsprache im Studiengang „Lehren und Lernen“. Hier wurden in einem ersten Schritt relevante Themen gemeinschaftlich identifiziert und auf Basis der Passung für die Zielgruppe mit Blick auf deren Vorerfahrungen und -kenntnisse kriteriengeleitet sortiert. Anschließend wurden arbeitsteilig erste Entwürfe konzipiert, die schließlich ko-konstruktiv überarbeitet wurden (vgl. Gräsel, Fußangel & Pröbstel 2006). Diskrepanzen wurden v. a. diskursiv ausgehandelt, wobei Konsens über die erwünschte Verschränkung von theore‐ tischen und praxisorientierten Inhalten herrschte. Bei der Auswahl der Sitzungsthemen und inhaltlichen Konzeption des Semi‐ nars wurde ein Verständnis von Inklusion zugrunde gelegt, das die sonderpä‐ dagogischen Bedarfe einzelner Lernender als eine Ausprägung von vielen vor‐ handenen Heterogenitätsmerkmalen versteht (vgl. Greiten et al. 2017). Demnach gilt es, angehenden Lehrkräften die Einstellungen und die fachdidak‐ tischen Prinzipien zu vermitteln, mittels derer sich ein diversitätssensibler Eng‐ lischunterricht realisieren lässt. Als Grundlage hierfür fungierten im vorlie‐ genden Kontext sowohl für die Entwicklung von förderlichen Einstellungen als auch zur Ausbildung des Wissens bzgl. des Sprachenlernens existierende Prin‐ zipien des kompetenzorientierten Englischunterrichts wie etwa die Aufgaben‐ orientierung (vgl. Doert & Nold 2015), die Berücksichtigungen von Mehrspra‐ chigkeit (vgl. Elsner 2015) und die Förderung von interkulturellen Kompetenzen im Sinne der Toleranz und des Perspektivwechsels (vgl. Küchler & Roters 2014). Dieses Verständnis von Inklusion im Rahmen eines heterogenen Eng‐ lischunterrichts spiegelt sich in der Auswahl der vierzehn Sitzungsthemen wider (vgl. Tab. 1). Woche Thema 1 Introduction: What is meant by inclusive EFL? Dealing with hetero‐ geneity - From learner differences to special educational needs 2 Task-based language learning in inclusive EFL settings 3 A case study of hearing impairment in the inclusive EFL classroom 4 Making use of multi-professional teams in the inclusive EFL class‐ room 76 Carolyn Blume / Torben Schmidt 5 Reading and spelling difficulties (dyslexia) and learning EFL 6 Linguistic diversity in the EFL classroom 7 Understanding subject-specific disruptions in the inclusive EFL class‐ room 8 Gender sensitive EFL instruction 9 Effective methods in inclusive EFL classrooms 10 Using a video conference to practice teaching in inclusive EFL settings 11 Digital tools for inclusive EFL classrooms 12 Small group microteachings 13 Video-based reflection of microteachings 14 Closure Tab. 2: Inhalte des Seminars „Teaching in Heterogeneous & Inclusive English Settings“ Jedes dieser Themen wurde dabei intensiv bezüglich seiner für den inklusiven Englischunterricht relevanten Besonderheiten aus verschiedenen Perspektiven betrachtet. So wurden z. B. in Hinblick auf die Herausforderungen des Umgangs mit Lernenden mit Hörbehinderung der Kompetenzbereich Hörverstehen als fachdidaktisches Element, sowie die Besonderheit der zielsprachlichen Gra‐ phem-Phonem-Korrespondenz als fachwissenschaftliches Element mit praxis‐ nahen Beispiele konkretisiert (vgl. Gerlach 2017) und in Bezug zu einer sonder‐ pädagogischen Betrachtung des Förderschwerpunkts Hören gesetzt. Außerdem wurde als dahinterliegende Botschaft stets die Idee erfahrbar gemacht und an‐ schließend reflektiert, dass die Methoden, die für die Förderung von Lernenden mit konkreten (sonder-)pädagogischen Bedarfen eingesetzt werden, sich in vielen Fällen für alle Lernende als sinnvolle Lernunterstüzung eignen. So kann z. B. die Visualisierung von Unterrichtsabläufen sowohl für Lernende mit Hör‐ beeinträchtigung als auch für alle Lernende als notwendige Unterstützung des Hörverstehens in der Fremdsprache nutzbar gemacht werden (vgl. Schlaak 2014). 3 Das Blended Learning-Konzept Im Rahmen des oben beschriebenen Forschungs- und Entwicklungskontextes wurde ein Blended Learning-Kurs konzipiert, pilotiert und evaluiert. Der Kurs 77 Pädagogischer Doppeldecker wurde dabei so strukturiert, dass sich die Studierenden zunächst vor jeder Prä‐ senzsitzung in einer digitalen Lernumgebung (realisiert mit Hilfe des Learning Management Systems Moodle) anhand von verschiedenen Textsorten (Fachar‐ tikel, Vorlesungsvideos, Websites, Graphiken etc.) zum jeweiligen Sitzungs‐ thema informierten. Dabei bereiteten sie sich durch interaktive Aufgaben und Übungen gezielt vor, um sich in der jeweils darauffolgenden Präsenzsitzung gemeinsam mit der Seminarlehrkraft und den anderen Studierenden vertiefend und diskursiv mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Insgesamt wurde für das Seminar ein didaktisch-methodisches, stark strukturiertes Blended-Lear‐ ning-Design implementiert, das sich trotz der Vielfalt an angebotenen Res‐ sourcen um eine überwiegend lineare Aufbereitung, eine getaktete Abwechs‐ lung zwischen integrierten Onlineand Präsenzphasen und eine Eingrenzung von Interaktionsformaten bemühte (vgl. Neumeier 2005). Dies wurde insbeson‐ dere aufgrund der im Vorfeld abgefragten (vgl. Blume 2020) und in Längs‐ schnittstudien zur schulischen Nutzung von digitalen Medien belegten (vgl. Bos, Lorenz, Endberg, Eickelmann, Kammerl & Welling 2016), zumeist wenig ausge‐ prägten schulischen Erfahrungen der Studierenden mit digital angereicherten Lehr-/ Lernsettings nötig. Der Fokus des nachfolgenden Abschnitts liegt nun auf ausgewählten Aspekten und Formen der Online- und der Präsenzphasen, die aufeinander abgestimmt Facetten der Blended-Learning-Umgebung beispielhaft illustrieren sollen. Dabei soll anhand der Beschreibung von Flipped Class‐ room-Elementen, der Arbeit mit Unterrichtsvideographie und Selbstvideos der Studierenden sowie einer Vorstellung des Einsatzes eines Videokonferenzsys‐ tems gezeigt werden, wie ein solches universitäres Lehr-/ Lernsetting zur För‐ derung einer in heterogenen Lernsettings digital kompetenten, reflektiert han‐ delnden Englischlehrkraft beitragen kann. 3.1 Ein erweiterter Flipped Classroom Ein Flipped Classroom (auch Inverted Classroom genannt) wird als ein Lernar‐ rangement verstanden, in dem die zu vermittelnden Inhalte, z. B. ein Dozieren‐ denvortrag, aus der Präsenzzeit in eine asynchrone, digitale Umgebung ‚ausge‐ lagert‘ werden, damit mehr Zeit und Raum für eine Auseinandersetzung mit den Inhalten in der Präsenzzeit geschaffen wird (vgl. Weidlich & Spannagel 2014). Zusätzlich zu der hiermit verbundenen individuellen Gestaltung des Lernzeit‐ punkts und -ortes ermöglicht die digitale Aufbereitung eines Vortrags eine dar‐ überhinausgehende Stärkung der Autonomie der Lernenden, da die Möglich‐ keiten zum Anhalten des Vortragsvideos, zur Wiederholung und zur Recherche z. B. unbekannter Begriffe leicht realisierbar sind. 78 Carolyn Blume / Torben Schmidt Hier wurde der Versuch unternommen, die Vorzüge des Flipped Classroom bzgl. der Lernendenautonomie unter Einbezug von interaktiven Elementen mit Aspekten der kognitiven Aktivierung, der Differenzierung und der Individua‐ lisierung anzureichern, um die häufig zu beobachtende instruktivistische Ver‐ mittlung von Inhalten in existierenden E-Lectures und Lehrvideos zu vermeiden (vgl. Weidlich & Spannagel 2014). Durch das Anbieten von obligatorischen und fakultativen Videos, Texten und Aktivitäten wurden für jede der für ca. 90 Mi‐ nuten Online-Vorbereitungszeit konzipierten Lerneinheiten Wahlmöglich‐ keiten angeboten, die einerseits einen gemeinsamen thematischen Fokus her‐ stellten, andererseits aber die unterschiedlichen Interessen, Vorwissensstände und Kompetenzen der Lernenden berücksichtigten und letztendlich „dem Lern‐ enden verschiedene Zugangsweisen zum Lerngegenstand ermöglicht[en]“ (Mandl & Kopp 2006: 8). Damit wurde eine Lernumgebung geschaffen, die unter Rückgriff auf die di‐ gitalen Affordanzen des Mediums die Prinzipien des diversitätssensiblen Un‐ terrichts in der Fremdsprachendidaktik der Hochschullehre modelliert: So konnten die Lernenden z. B. selbstständig entscheiden, zu welchen (sonder-)pädagogischen Förderbereichen sie sich informieren wollten und durch digitale Angebote zu diesen Bereichen durch Simulationen oder (auch) durch gefilmte Interviews mit betroffenen SchülerInnen Empathie entwickeln. In diesem Fall wurden z. B. Simulationen zu Lese-Rechtschreib-Schwierigkeiten ( LRS ) und zu Austismus Spektrum Störungen ( ASS ) verlinkt. Zur Metareflexion wurden Be‐ denken bzgl. ebensolcher Simulationen dargeboten, die den kritischen Umgang mit digitalen Anwendungen fordern. Diese fanden v. a. durch die Auseinander‐ setzung mit weiterführenden, verlinkten Texten statt, die konkret Bezug auf die benannten Simulationen nahmen und Kritik wahlweise aus wissenschaftlicher bzw. ethischer Sicht explizierten (vgl. https: / / dyslexiaida.org / online-dyslexia-s imulation-is-compelling-powerful-and-wrong/ ; https: / / www.bbc.com / news / b logs-ouch-27 763 085). Anschließend ergaben sich durch Foren und Befragungen unterschiedlich strukturierte Formate zum Austausch, die eine erste Reflexion anbahnten, um diese in der Präsenzphase aufgreifen und konkret in Hinblick auf den Englischunterricht vertiefen zu können. An anderer Stelle wurden durch Quizfragen (multiple choice, matching, Bild‐ beschreibung, etc.) basale Kenntnisse zur möglichen Auswirkung der Hörbeein‐ trächtigung bzw. der auditiven Verarbeitungsstörung auf den Fremdsprachen‐ erwerb in Vorbereitung auf eine tiefergehende Analyse in der nachfolgenden Präsenzsitzung überprüft. Um auch hier der Autonomie der Lernenden sowie der Individualisierung und Differenzierung Rechnung zu tragen, wurde ein mastery learning Ansatz implementiert, welcher der Selbstregulation und Mo‐ 79 Pädagogischer Doppeldecker tivation dient (vgl. Decker & Mucha 2018). Es wurden z. B. unterschiedliche Texte in unterschiedlichen Sprachen und Komplexitätsgraden zur Wissensan‐ eignung bereitgestellt. Den Studierenden wurde es dabei überlassen, einzelne oder mehrere Texte (nicht) zu lesen und anhand der sofortigen Rückmeldung in Moodle selbstständig zu entscheiden, ob die Ergebnisse dieser formativen Wis‐ sensüberprüfung bereits zufriedenstellend sind oder ob, unter Rückgriff auf die verlinkten Textauszüge, einzelne Fragen wiederholt bearbeitet werden sollten. Um die Gefahren der passiven Lernhaltung zu minimieren (vgl. ebd.) wurden bei der Einbindung von Videoelementen technische und didaktische Maß‐ nahmen ergriffen, um eine lernförderliche Interaktion mit dem Medium und den Inhalten bestmöglich zu fördern. So wurden mithilfe von open-source Anwen‐ dungen (z. B. www.h5p.org) didaktische Interaktionen etwa in Form von Quiz‐ elementen oder Zuordnungsaufgaben in die Filme direkt eingebettet oder zu den Filmen ergänzend angeboten (vgl. Abb. 1). Abb. 1: h5p-Zuordungsaufgabe mit Selbstprüfung zu einem im Kurskontext erstellten Experten-Input zum Thema „Dyslexic learners in the EFL classroom“ von Dr. Anne Mar‐ garet Smith Durch die unterschiedlichen Interaktionsformate konnten sowohl Verständnis‐ fragen als auch in begrenztem Umfang Fragen zur Analyse und zum Wissens‐ transfer formuliert werden. Die technische Ausgestaltung der Anwendung er‐ möglichte es überdies, die Geschwindigkeit der Wiedergabe bedarfsorientiert eigenständig zu bestimmen. Diese Art der Individualisierung ist ein Beispiel 80 Carolyn Blume / Torben Schmidt einer Differenzierungsmaßnahme, die die Arbeit mit den gleichen Materialien auf unterschiedlichen (Hör-)Kompetenzniveaus entstigmatisierend implemen‐ tiert. Allerdings ergeben sich in diesem Ansatz, der zugleich autonomiefördernd und strukturorientiert sein sollte, aufgrund der technischen Möglichkeiten auch didaktische Herausforderungen. Die eher lineare Aufbereitung im Moodle-Kurs sowie die v. a. behavioristischen Aufgabentypen lieferten ein z.T. widersprüch‐ liches Verständnis vom autonomen, differenzierten, konstruktivistischen und kommunikativen Unterricht. Durch den Einsatz von h5p konnten zwar teilof‐ fene Aktivitäten in Form von adaptiven Lösungsmöglichkeiten und erweitertem Feedback integriert werden. Letztendlich bietet das Programm dennoch keine Rückmeldung zu offenen oder gar sozialkonstruktivistischen Aufgaben. So kri‐ tisierte eine Studierende in der Kursevaluation (vgl. Abschnitt 4.1), dass „die Matching- und Identifikationsaufgaben auf Moodle … einen falschen Eindruck von festen Regeln und Grenzen gemacht [haben]“ (Seminarevaluation_Kl_8_g). Diese Aussage verdeutlicht den Widerspruch zwischen dem grundlegenden pädago‐ gischen Konzept und den didaktischen Grenzen der gegebenen digitalen Rah‐ menbedingungen. 3.2 Mehrperspektivische Unterrichtsvideos und Selbstvideos Zusätzlich zu den im Flipped Classroom integrierten videographierten Expert- Inneninterviews und den Kurzvorträgen wurden weitere Formen digitaler vi‐ deographischer Materialen, v. a. Unterrichtsvideos, sowohl in den Onlineals auch - und dies überwiegend - in den Präsenzphasen des Seminars regelmäßig eingesetzt. Dies diente v. a. dazu, den empirisch belegten Beitrag der Arbeit mit Unterrichtsvideos zur Entwicklung der Reflexionskompetenz der Studierenden (vgl. Abendroth-Timmer & Frevel 2013; Krammer & Reusser 2005) mit inhalt‐ lichem Bezug zum Umgang mit Heterogenität und Inklusion im Englischunterricht zu erreichen. Hierbei wurde sowohl mit Fremdals auch mit Selbstvideos gearbeitet, um mehrere Ziele parallel zu verfolgen (vgl. Seidel, Stürmer, Blom‐ berg, Kobarg & Schwindt 2011). So wurden aufbauend auf Studien und Einsatz‐ szenarien zur Unterrichtsvideographie in der (fremdsprachlichen) Lehrkräfte‐ ausbildung einerseits mehrperspektivische Fremdvideos - entwickelt im Kontext der Videoplattform Multiview (multiview.leuphana.de) - eingesetzt, um eine möglichst detaillierte Einsicht in authentischen Unterricht zu ermöglichen, Reflexionsprozesse zu initiieren und Unterrichtsmethoden kennenzulernen, ohne dabei bei den Studierenden einen direkten Handlungsdruck zu erzeugen (vgl. Krammer & Reusser 2005). Andererseits wurden Videos der teilnehmenden Studierenden in komplexitätsreduzierter und geschützter Form in Microteach- 81 Pädagogischer Doppeldecker ing-Situationen innerhalb der Präsenzphasen des Seminars aufgenommen und reflektiv aufgearbeitet (vgl. Kourieos 2016), die die Studierenden bei der simu‐ lierten Durchführung von selbst gewählten Unterrichtssituationen mit Bezug zu bestimmten Förderbedarfen und fremdsprachlichen Kompetenzen der Lern‐ enden zeigten. Hier stand somit das theoriegeleitete, praktische Erproben des Gelernten zusammen mit der Reflexion des eigenen unterrichtlichen Handelns im Fokus. Auf diese beiden Einsatzformen soll nachfolgend detaillierter einge‐ gangen werden. Hinsichtlich der Nutzung mehrperspektivischer Unterrichtsvideos wurde ein Verfahren entwickelt, bei dem mit bis zu 14 Kameras und Mikrophonen au‐ thentischer Unterricht in heterogenen Lerngruppen parallel aufgezeichnet und anschließend so aufbereitet wird, dass die einzelnen Kameraperspektiven für Forschungs- und Lehrzwecke parallel (mit maximal 4 Perspektiven) dargeboten (vgl Abb. 2) und anschließend zu Videovignetten verarbeitet werden können. Abb. 2: Mehrperspektivische Unterrichtsvideos (Lehrkraftkamera kombiniert mit zwei SchülerInnenkameras) Theoriegeleitet wurden hierfür critical incidents mit Themenbezug zur Inklusion identifiziert und didaktisch aufbereitet. Hier wurden critical incidents als Un‐ terrichtssequenzen verstanden, die anlehnend an Tripp (2012), durch eine Problematisierung Aufschluss über grundlegende Verhaltensmuster und -struk‐ turen geben (vgl. Benitt 2015: 54). Als Vignette wird die Didaktisierung der ge‐ 82 Carolyn Blume / Torben Schmidt nannten Videosequenzen durch die relevante kognitive Aktivierung sowie in ihrer Komplexität steigende Reflexionsaufträge verstanden, die in einer soziokonstruktivischen Herangehensweise zur Wissensentwicklung beitragen. Durch dieses Verfahren ergibt sich die Möglichkeit, im Gegensatz zu den in der Lehrkräfteausbildung etablierten Verfahren einer Unterrichtsvideographie, die häufig auf die Lehrkraft oder ausgewählte Lernende fokussieren und somit un‐ terrichtliche Prozesse und Interaktionen aller Lernenden einer Klasse nur sehr eingeschränkt abbilden (vgl. Seidel, Dalehefte & Meyer 2005), Handlungen der Lehrkraft und der Lernenden in ihrer Parallelität und Komplexität besser abzu‐ bilden. So können Wirkungszusammenhänge detaillierter ergründet und indi‐ viduelle Lernprozesse einzelner Lernenden oder Gruppen besser adressiert werden - was inbesondere für die Förderung der Lehrkompetenzen im Umgang mit Heterogenität von hoher Relevanz ist. Im Sinne einer komplexitätsredu‐ zierenden Didaktisierung wurden zunächst im multiprofessionellen Entwick‐ lungsteam des Seminars (vgl. Abschnitt 2) geeignete Szenen und Perspektiven ausgewählt, um sie für die Lehramtsstudierenden als Novizen nutzbar zu ma‐ chen (vgl. Krammer & Reusser 2005; van Es & Sherin 2002). Pre- und post-viewing Aktivitäten zielten konkret darauf ab, die Praxen des inklusiven Englischunter‐ richts in Hinblick auf Themen wie Co-teaching, Mehrsprachigkeit, Unterrichts‐ störungen und task-based language learning darzustellen und zu reflektieren. Die Verschränkung von Online- und Präsenzphase wurde hier so realisiert, dass die Studierenden sich z. B. erst über die Lernplattform mit Formen des Coteachings mithilfe von wissenschaftlichen Texten (vgl. Friend, Cook, Hurley-Chamberlain & Shamberger 2010) und einer Überprüfung im Quiz‐ format (vgl. Abschnitt 3.1) beschäftigten. Dies diente als Grundlage, um die re‐ levanten Merkmale und die Herausforderungen des Co-teaching dann in der Präsenzphase im Hinblick auf den inklusiven Englischunterricht zu konkreti‐ sieren, praxisbezogen zu vertiefen und mit Blick auf die Planung von Unterricht exemplarisch anzuwenden. Nach der Analyse eines Fallbeispiels im Seminar, bei dem zwei mehrperspek‐ tivische Szenen aus einer Klasse mit einem Team von Lehrkräften und einer Schulbegleitung in einer Unterrichtssituation zu sehen sind, führten die Stu‐ dierenden in Partnerarbeit ein Roleplay-Szenario als multiprofessionelles Team, bestehend aus Englischlehrkraft und Förderlehrkraft, durch. Hierzu sollte ein authentischer Unterrichtsverlaufplan so umgearbeitet werden, dass er auf die Arbeit in einer doppelt besetzten Klasse mit Englisch- und Förderlehrkraft aus‐ gerichtet war, in dem insbesondere die Aufgabenteilung und die Zusammenar‐ beit der Lehrkräfte adressiert wurde. Die Diskussion der verschiedenen Lö‐ 83 Pädagogischer Doppeldecker sungsansätze durch die Studierenden und eine Reflexion der Aktivität sowie der Herausforderungen des Co-teaching rundeten die Seminarsitzung ab. Die Erstellung und Durchführung von 15-minütigen Microteachings in Klein‐ gruppen diente primär dazu, das bisher Gelernte praxisnah umzusetzen, um somit die Transformation des ‚trägen Wissens‘ in Handlungswissen zu fördern. In diesem Sinne fungierte das Microteaching als eine approximation of practice, eine Annährung des Lehrens im komplexitätsreduzierten und geschützten Raum (vgl. Grossman et al. 2009; Krammer & Reusser 2005). Die erstellten und den Studierenden unmittelbar zur Verfügung gestellten Videoaufnahmen er‐ möglichten eine Reflexion und Vertiefung, zunächst in der Kleingruppe, später auch mit Theoriebezug zu begründender Vorauswahl einzelner Szenen durch die Gruppe mit dem gesamten Seminar. Die Auswahl erfolgte jeweils selbst durch die Gruppe der Studierenden, die gefilmt wurden, damit die ihnen per‐ sönlich bedeutsamsten Themenkomplexe behandelt werden konnten. Wie Abendroth-Timmer and Frevel (2013) in ihrer Studie zur videogestützten Ana‐ lyse von fremdsprachenunterrichtlichem Handeln erläutern, findet hierdurch eine fachspezifische Reflexion statt, welche die theoretischen Annahmen des Fremdsprachenunterrichts, wie etwa die funktionale Einsprachigkeit und die Hörkompetenz, mit den Herausforderungen bestimmter Praxissituationen dis‐ kursiv aufarbeiten lässt. Vergleichbar mit den Ergebnissen der Studie von Kou‐ rieos (2016) und Abendroth-Timmer (2011) haben die Studierenden hierbei z. B. ihre Sprachverwendung oder ihren Umgang mit sprachlichen Fehlern der Lern‐ enden thematisiert, sich mit der eigenen Körpersprache und den Affordanzen des Raums ("Raum als dritter Pädagoge", vgl. Blömer 2011) auseinandergesetzt und die Qualität und Wirkung der entwickelten Aufgaben und Übungen für heterogene Lerngruppen analysiert. So gab eine Studierende zu Protokoll, dass ihr bewusst wurde, inwiefern sich ihre selbst als sehr gut eingestuften Sprach‐ kompetenzen in der Lehrsituation als teilweise unzureichend herausstellten. Eine weitere Studierende beschrieb, wie sie sich während der Microteachings durchgehend fragte, wie sie sich im Raum positionieren sollte, damit sie für alle „SchülerInnen“ erreichbar sein könnte. Anhand solcher Äußerungen wurde die reflexionsfördernde Funktion der Aufgabe verdeutlicht, auch wenn diesbezüg‐ lich keinen empirischen Daten formal erhoben wurden. Darüberhinaus hoben die Studierenden inbesondere die durch die Digitalisierung ermöglichte schnelle Bereitstellung, Visualisierung, Auswahl und Reflexion von lernförderlichen Momenten als sehr sinnvolle Methode für ihre Professionalisierung hervor. 84 Carolyn Blume / Torben Schmidt 3.3 Ein Videokonferenzsystem als virtuelle Theorie-Praxis-Brücke Ein weiteres Mittel zur Förderung des Wissenstransfers und der Reflexion, die analog zu den Unterrichtsvideos praxisnahe Erfahrungen im komplexitätsre‐ duzierten Raum ermöglichen sollte, war der Einsatz eines Videokonferenzsys‐ tems zur Durchführung einer erweiterten teilnehmenden Beobachtung. Obwohl Videokonferenzsysteme zunehmend Bestandteil der Lehrkräfteaus- und -wei‐ terbildung sind, stellt der an der Leuphana Universität Lüneburg gewählte An‐ satz (vgl. Benitt & Schmidt 2016; Drexhage, Leiss, Schmidt & Ehmke 2016) eine Besonderheit dar. Die Studierenden entwickelten hierfür das Konzept für eine inklusive Englischstunde in einer siebten Klasse in Kooperation mit der Englischlehrkraft vor Ort. Während des Englischunterrichts waren sie dann per Video zugeschaltet und konnten die Umsetzung ihrer Konzepte durch die Lehr‐ kraft beobachten, um abschließend zusammen mit den SchülerInnen, der Lehr‐ kraft und der Seminarleitung im Rahmen einer kritischen Nachbesprechung gemeinsam den Unterrichtsverlauf, das Verhalten der Lehrkraft sowie die Be‐ arbeitungsprozesse der entwickelten Aufgaben und Übungen zu reflektieren (vgl. Abb. 3). Im Rahmen dieses virtuellen Unterrichtsbesuchs hatten die Studierenden die Möglichkeit, sowohl die Kameraperspektive als auch die im Klassenraum plat‐ zierten Mikrophone zu steuern, um so z. B. eine bestimmte Gruppe von Schü‐ lerInnen in den Fokus nehmen zu können. Die Studierenden wählten hierfür einen von mehreren konkreten Beobachtungsaufträgen aus, die allesamt Fragen der gleichberechtigten Teilhabe adressierten (vgl. “Toolkit for ‚Two Heads are Better Than One‘” 2015). Unter anderem konnten sich die Studierenden ent‐ scheiden, auf das Feedback, die SchülerInnenbeteiligung, die multiplen Zu‐ gangsmöglichkeiten oder die Interaktionen der Lehrkraft im Raum konkret zu achten. 85 Pädagogischer Doppeldecker Abb. 3: Die Studierenden beobachten mittels Videokonferenzsystem die unterrichtliche Umsetzung ihres erarbeiteten Unterrichtsverlaufsplans In dem abschließenden Reflexionsgespräch beschrieben zuerst die SchülerInnen der Klasse ihre Eindrücke, bevor die Lehrkraft ihre Wahrnehmung und die im laufenden Unterricht angefallenen Entscheidungsprozesse erläuterte und die Studierenden schließlich ihre Eindrücke schilderten. Die in diesem hochschul‐ didaktischen Ansatz realisierte Annäherung an die Praxis ist im Vergleich zu der Analyse von Fremdvideos des Unterrichts als deutlich intensiver einzu‐ schätzen, da die Studierenden selbst den Unterrichtsverlaufsplan für einen re‐ alen Einsatzkontext in Kooperation mit der Lehrkraft und der Seminarleitung als ExpertInnen planen. Durch die Einbindung von tatsächlichen SchülerInnen entstand eine Praxisnähe, die durch die Microteachings mit KommilitonInnen nur simuliert werden kann. Durch das Videokonferenzverfahren hatten die Stu‐ dierenden folglich die Gelegenheit, eine authentische Unterrichtsstunde zu kon‐ zipieren und ihr beizuwohnen, ohne selbst einem Handlungsdruck ausgesetzt zu sein. Gleichzeitig verbalisierte und modellierte die Lehrkraft zeitnah die durch ihre Wahrnehmungen bestimmten Handlungsentscheidungen an der Basis ihrer reflection-in-action und reflection-on-action (vgl. Roters 2012), die in der Stunde stattgefunden hatte. In Bezug auf die Ausbildung von angehenden Fremdsprachenlehrkräften resümieren Benitt und Schmidt (2016), dass das Vor‐ gehen sowohl der Professionalisierung der Studierenden als auch der der Lehr‐ kraft dient. In einem sogenannten third space, d. h. im hybriden Raum, tauschen sich zukünftige und praktizierende Lehrkräfte gegenstandsbezogen aus. Hier 86 Carolyn Blume / Torben Schmidt wird v. a. die Idee des third space in Anlehnung an das durch Wygotski geprägte Konstrukt der gemeinsamen konstruierten Kultur verwendet, die in zahlreichen bildungswissenschaftlichen Analysen als produktive Möglichkeit der Lehrkraft- und Schulentwicklung identifiziert worden ist (vgl. Ortmann 2009; Wenger 2011). Durch die digital steuerbare Nähe zum Klassenraum entstand im Seminar die Möglichkeit, bei Bedarf das Mikrophon auszuschalten, um den laufenden Unterricht im Seminarraum zu kommentieren, zu hinterfragen und immanent auf critical incidents zu reagieren, ohne den Unterricht selbst zu stören, obwohl hier evtl. psychologisch bedingte Interferenzen der Videokamera zugegebener‐ maßen bisher noch wenig beforscht sind. Die Ergebnisse der Fragebogenstudie von Benitt & Schmidt (ebd.) bestätigen, dass sowohl die Studierenden, die Schü‐ lerInnen, als auch die Lehrkraft das Vorgehen positiv rezipieren. Dadurch, dass die Stunde nicht aufgezeichnet wird, sind v. a. die Hemmungen der teilnehm‐ enden Lehrkraft minimiert, betonen Drexhage et al. (2016), die auch daten‐ schutzrechtliche Vorteile im Vergleich zur traditionellen Videographie be‐ nennen. Dass alle Teilnehmenden von der konkreten Umsetzung einer Kooperation zwischen Universität und Schule trotz allen technischen, struktu‐ rellen und inhaltlichen Herausforderungen ihrer Einschätzung nach profitieren ist eine primäre Gelingensbedingung solcher Vorhaben (vgl. Schocker‐v. Dit‐ furth & Legutke 2002). 4 Evaluierung und Begleitforschung Die nachfolgend vorgestellte mixed-methods-Begleitforschung zum Seminar un‐ tersuchte sowohl die durch die Studierenden wahrgenommene Qualität als auch die Entwicklung der Studierenden hinsichtlich ihrer inklusiven, fachspezifi‐ schen Einstellungen und Reflexionskompetenz. Hierfür wurde die standardi‐ sierte Lehrveranstaltungsevaluation der Leuphana Universität Lüneburg um eine vor und nach dem Seminar durchgeführte fragebogengestützte Untersu‐ chung ergänzt (vgl. Blume et al. 2019). 4.1 Ergebnisse der Lehrveranstaltungsevaluation Die in der Lehrveranstaltungsevaluation erzielte relativ niedrige Rückmelde‐ quote von etwa einem Drittel (n = 15) grenzt zwar die Aussagekraft der Ergeb‐ nisse ein, zeigt dennoch eindeutige Trends (vgl. Tab. 2). So ergab es in acht von elf Bereichen eine überdurchschnittliche Bewertung. Lediglich im Bereich des Arbeitsumfangs gab es eine insgesamt negative Bewertung im Vergleich zu an‐ deren bewerteten Lehrveranstaltungen. Offene Kommentare bestätigen den hier überwiegend positiven Eindruck. Die Studierenden betonten als äußert positiv 87 Pädagogischer Doppeldecker 2 https: / / youtu.be / LXcrJujeHxM die Interaktionen sowohl in den Vorbereitungsphasen online als auch mit den Lehrenden im Seminar selbst, den hohen Grad der Strukturierung sowie die Praxisrelevanz der behandelten Themen und Aktivitäten. Kritik bezog sich v. a. auf die hohen Arbeitsanforderungen, die bei näherer Betrachtung womöglich mit mangelnden digitalen Kompetenzen zusammenwirken. So beschrieben ei‐ nige Studierende z. B., dass es ihre Präferenz gewesen wäre, nur mit hochgela‐ denen Dateien zu arbeiten. Dennoch zeugen die Ergebnisse überwiegend von einer hohen Akzeptanz und einem wahrgenommenen Lernertrag; dieser Ein‐ druck wurde durch die Verleihung des Lehrpreises der Leuphana Universität Lüneburg bestätigt. 2 Bereich Durch‐ schnitt (SA) univ. Durch‐ schnitt, ba‐ sierend auf 54 Lehrver‐ anstaltungen Allgemeiner Lehr- und Lernerfolg 4.2 (1.1) 4.0 Transparenz der Ziele und Struktur 4.2 (1.2) 4.0 Mediation und Anregung 4.4 (1.0) 4.1 Lehr- und Lernsetting 4.6 (1.0) 4.6 Beitrag der Lehrenden 4.5 (1.0) 4.5 Beitrag der Studierenden 4.2 (1.1) 4.1 Materialien 4.4 (0.8) 3.9 Berücksichtigung des Vorwissens 4.3 (1.1) 3.9 Interaktion und Inklusion 4.3 (1.0) 4.2 Arbeitsumfang 4.3 (0.7) 3.3 Praxis und Anwendung 4.2 (0.9) 4.0 Tab. 2: Durchschnittswerte der standardisierten Lehrveranstaltungsevaluation in elf Be‐ reichen im Vergleich zum universitären Durchschnitt, Skala: 1 (stimme gar nicht zu) - 5 (stimme völlig zu) 88 Carolyn Blume / Torben Schmidt 4.2 Ergebnisse der Prä-Post-Fragebogenerhebung Des Weiteren wurde anhand eines standardisierten Fragebogens mit insgesamt 49 geschlossenen und offenen Items die Entwicklung der Studierenden (n = 46) in drei Bereichen analysiert. Mittels modifizierter Instrumente aus der Inklusi‐ onsforschung (vgl. Schwab, Tretter & Gebhardt 2014) und zu Beliefs bzgl. des Fremdsprachenlernens (vgl. Horwitz 1988) konnten quantitative Daten ge‐ wonnen werden. Diese wurden dann mit offenen Fragen zur Lehrendenreflex‐ ionskompetenz trianguliert, die inhaltlich an Fragen zum Lehrendenwissen an‐ gelehnt waren (vgl. Roters, Nold, Haudeck, Keßler & Stancel-Piątak 2011) und die hier mittels einer qualitativen Inhaltsanalyse analysiert wurden (vgl. Flick 2014). Die Ergebnisse, die andernorts ausführlich dargestellt werden (vgl. Blume et al. 2019), legen nahe, dass trotz einer fortwährenden, relativ neutralen ge‐ messenen Einstellung gegenüber dem inklusiven Englischunterricht eine sich steigerende Reflexionskompetenz sowie eine Stärkung von inklusiven hand‐ lungsleitenden Kognitionen der Studierenden im Bereich des Englischunter‐ richts erzielt wurden. So stimmten die Studierenden z. B. am Ende der Interven‐ tion eher zu, dass alle Lernenden unabhängig von ihren Lernvoraussetzungen fremdsprachliche Englischkenntnisse erwerben könnten. Zudem lieferten leit‐ fadengestützte Interviews anhand eines multiperspektiven Videoprompts mit einer randomisiert ausgewählten Stichprobe der Kursteilnehmenden (n = 5) erste Erklärungen für die Stagnation der inklusiven Einstellungen einerseits und die inklusive Entwicklung der Beliefs und der Reflexionskompetenz anderer‐ seits. So kristallisierte es sich heraus, dass die Einstellung bzgl. des inklusiven Englischunterrichts zwar keine ablehnende Haltung darstellte, aber aufgrund von niedriger Selbstwirksamkeit und einer gesteigerten Wahrnehmung der Komplexität neue Bedenken auftauchten (vgl. Forlin & Chambers 2011; Mart‐ schinke & Kopp 2009). Dennoch sind diese Daten anhand der kleinen Gesamt‐ stichprobe ohne Vergleichsgruppe nur ein Indiz dafür, dass der beschriebene Ansatz zu dieser Veränderung maßgeblich beigetragen hat. Ferner ist das wei‐ terhin überwiegend novizenhafte Niveau der Reflexionskompetenz ein Indi‐ kator für die Komplexität der Entwicklung ebenjener. 5 Fazit In diesem Beitrag wurden ausgewählte individualisierende und differenzierende Methoden vorgestellt, die in einem Blended Learning-Seminar zur Steigerung der Reflexionskompetenz und des Handlungswissens von Lehramtsstudier‐ enden in Bezug auf den heterogenen und inklusiven Englischunterricht imple‐ mentiert wurden. Durch die Verzahnung von Elementen der theoretischen Wis‐ 89 Pädagogischer Doppeldecker sensvermittlung mit vielfältigen Reflexionsanlässen in dialogisch strukturierten, eng verzahnten Online- und Präsenzphasen konnte ein Lehr-/ Lernsetting im Sinne eines pädagogischen Doppeldeckers geschaffen werden. In diesem werden die Prinzipien eines mehrfach differenzierten, autonomiestärkenden und kognitiv aktivierenden Fremdsprachenunterrichts für eine he‐ terogene SchülerInnenschaft nicht nur inhaltlich behandelt, sondern als Lern- und Arbeitsmethoden für die Studierenden praktisch erfahrbar gemacht. Als Ergebnis der Begleitforschung hat sich gezeigt, dass dieser Ansatz zur Stärkung der Reflexionskompetenz und der inklusiven Kognitionen der teilnehmenden Studierenden beigetragen hat (vgl. Blume et al. 2019). Dennoch gilt es, dieses als Pilotseminar konzipierte Lehr-/ Lernarrangement sowohl methodisch als auch inhaltlich insbesondere mit Blick auf die Nutzung der digitalen Medien kritisch zu evaluieren. Trotz des Ansatzes, die Studierenden in ihrer Autonomie und ihren individuellen Interessen, Stärken und Bedarfen zu fördern, erwies sich für viele Studierende das selbstständige Arbeiten auf einer Lernpflattform als un‐ gewohnt und relativ herausfordernd. Dies zeigte sich z. B. in der begrenzten Teilnahme an Foren und insgesamt der stark variierenden Zahl der Bearbei‐ tungen von Aufgaben und Zugriffen auf die Plattform sowie den kritischen Rückmeldungen im Rahmen der Lehrveranstaltungsevaluation. Darüber hinaus muss der Einsatz v. a. von behavioristischen Aufgabentypen im e-learning Format kritischer thematisiert werden, da diese stellenweise die zu vermit‐ telnden Grundprinzipien untergruben (vgl. Abschnitt 3.1). Zukünftig gilt es, diese Problematiken, die sich v. a. durch technische Grenzen aber auch durch Einstellungen zu und Erfahrungen mit digitalem Lernen und Arbeiten ergeben, explizit zu thematisieren und somit die kritische Auseinandersetzung auch dies‐ bezüglich zu fördern. Ebenfalls sollte perspektivisch identifiziert werden, wie sich die Reflexions- und Handlungskompetenzen dieser Kohorte in weiteren Semestern und Ausbildungsphasen entwickelt. Anhand mehrdimensionaler Analysen wäre zu überprüfen, inwiefern der hier verfolgte Ansatz die Erfah‐ rungen und Wahrnehmungen, aber auch insbesondere das eigene Unterrichts‐ handeln in den Praxisphasen prägt. Daraus folgend ließe sich qualitativ identi‐ fizieren, inwiefern die hier vorgestellten Methoden zu einer Reflexionskompetenz und der Entwicklung von inklusiven handlungsleitenden Kognitionen beitragen und für weitere Professionalisierungsphasen erfolgver‐ sprechend adaptiert werden könnten. 90 Carolyn Blume / Torben Schmidt Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar (2011). Reflexive Lehrerbildung: Konzepte und Perspek‐ tiven für den Einsatz von Unterrichtssimulation und Videographie in der fremdspra‐ chendidaktischen Ausbildung. Zeitschrift für Fremdsprachenforschung, 22(1), 3-41. Abendroth-Timmer, Dagmar & Frevel, Claudia (2013). 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Lernumgebungen erfolgreich gestalten: Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln (3. Aufl.). Bad Heilbrunn: Klinkhardt. Weidlich, Joshua & Spannagel, Christian (2014). Die Vorbereitungsphase im Flipped Classroom. Vorlesungsvideos versus Aufgaben. In Klaus Rummler (Hrsg.) Medien in der Wissenschaft: Vol. 67. Lernräume gestalten - Bildungskontext vielfältig denken (S. 237-248). Münster: Waxmann. Wenger, Etienne (2011). Communities of practice: A brief introduction. USA: National Science Foundation. Abrufbar unter: http: / / scholarsbank.uoregon.edu / xmlui / bitstre am / 1794 / 11 736 / 1/ A%20brief%20introduction%20to%20CoP.pdf 95 Pädagogischer Doppeldecker #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Das Potenzial von Personal Learning Environments in der ersten Phase der Lehrkräftebildung Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer In diesem Beitrag diskutieren wir das Potenzial von Personal Learning Envi‐ ronments in der ersten Phase der Lehrerbildung. Der Fokus liegt dabei auf Aufgaben und Formaten, die fachliche Inhalte und fachspezifische Medien‐ kompetenzen gemeinsam in den Blick nehmen. 1 Personal Learning Environments in der LehrerInnenbildung Personal Learning Environments ( PLE s), manchmal auch mit Personal Learning Networks ( PLN s) synonym verwendet, sind (digital unterstützte) Kontexte, in denen Inhalte organisiert und geteilt werden, sowie eine Interaktion über diese Inhalte möglich ist (Martindale & Dowdy 2010). Der Begriff ist in Abgrenzung zum VLE , dem Virtual Learning Environment (Lernplattformen wie Moodle oder OLAT , auch als Lernmanagementsystem - LMS - bekannt) entstanden. Bei PLE s wird besondere Aufmerksamkeit auf ownership gelegt, also die Kon‐ trolle der Lernenden über Lerninhalte, Lernwege und Werkzeuge (Lernerauto‐ nomie). Es sind eben keine Lern-Management-Systeme wie Moodle bei denen die lehrende Institution Inhalte, Wege und Werkzeuge (mit-)bestimmt (Sclater 2008). PLE s sind so individuell wie ihre NutzerInnen; sie kombinieren verschie‐ dene Tools und Ressourcen, die auch nach dem Ende eines Kurses oder einer Fortbildung weiter erhalten bleiben: in fact we envisage situations where the PLE is not a single piece of software, but instead the collection of tools used by a user to meet their needs as part of their personal working and learning routine (Wilson, Liber, Johnson, Beauvoir, Sharples & Milligan 2007: 6). 1 Das #Twitterlehrerzimmer (synonym auch #twlz) und - weiter unten - der #edchatDE sind Hashtags, unter denen sich auf Twitter Lehrkräfte und andere interessierte Personen zum Thema Schule austauschen. Diese Hashtags stehen dabei symbolisch auch für andere nicht-formelle Formen des Austausches zu Bildungsfragen in Social Media Kontexten. Für eine Analyse und Kritik des #Twitterlehrerzimmers, siehe Wampfler (2. Juni 2019). Damit überbrücken PLE s gezielt die Kluft zwischen formellem, nicht-formellem und informellem Lernen. In diesem Beitrag möchten wir die Rolle diskutieren, die PLE s in der ersten Phase der LehrerInnenbildung spielen können. Wir beziehen uns dabei auf Er‐ fahrungen mit PLE s im Arbeitsalltag von Lehrkräften, sowie auf formale Vor‐ gaben in Bezug auf die Ziele von Lehrkräftebildung. Im Anschluss stellen wir ein Modell vor, wie Studierende beim Aufbau von PLE s während des Studiums unterstützt werden können. 2 Das #Twitterlehrerzimmer 1 : PLEs im Arbeitsalltag von Lehrkräften Das PLE besteht aus einer Vielzahl von Tools, die eine Person zum Lernen und / oder Arbeiten nutzt. Bei Diskussionen um PLE s wird der Fokus meist auf digitale Tools, insbesondere auf Social Software, gelegt, streng genommen ge‐ hören jedoch auch die Universitätsbibliothek, ein Karteikartensystem, oder ein Textverarbeitungsprogramm zum PLE (vgl. die unterschiedlich weit gefassten Definitionen in Biel 2011: 75 ff.). Lernen wird hier als sozial eingebetteter Prozess gesehen, entweder z. B. in einer sozial-konstruktivistischen Tradition (z. B. Lave & Wenger 2008 [1991]), oder auch in einer konnektivistischen Tradition (Downes 2007). Eine sozial-kon‐ struktivistische Perspektive betont nicht nur, dass andere Personen (Twitter-NutzerInnen, BloggerInnen, etc.) beim Erwerb von Wissen unterstüt‐ zend wirken, sondern auch, dass Wissen und Praktiken zu einem gewissen Grad sozial distribuiert sind. Es geht also nicht alleine darum, dass man z. B. über Twitter eine gute Leseempfehlung erhält, sondern dass man mit und durch das eigene PLE handlungsfähiger ist. In der streng konnektivistischen Sicht wird das Netzwerk selbst zu einer Form von Wissen, und Lernen zur Fähigkeit, solche Netzwerke aufzubauen und zu nutzen. Wie sieht dies nun in der Praxis aus? Soziale Medien erlauben das (individu‐ elle und / oder kollaborative) Erstellen, Speichern, Teilen, Kuratieren und Kom‐ mentieren von Inhalten. Eine Lehrkraft, die eine Unterrichtseinheit plant, könnte in einem Tweet (einer Kurznachricht auf Twitter) von ihrer anstehenden 98 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer Aufgabe berichten, und Unterstützung, Erfahrungsberichte, und Links zu rele‐ vanten Ressourcen von FollowerInnen erhalten. Sie könnte auf Instagram visu‐ elle Anregungen (etwa ansprechend gestaltete Arbeitsblätter, Tafelbilder, Fotos von aufwändig vorbereiteten Klassenzimmern) finden. Sie könnte eigene Er‐ fahrungen in Form eines Blogposts reflektieren und Arbeitsergebnisse in einem OER Repository (einer digitalen Sammlung von Open Educational Resources, also frei verwendbaren Lehrmaterialien) einspeichern. Der / die NutzerIn nutzt jedes Tool zielgerichtet für den Arbeits- und Lernprozess. Die Verwendung von Social Media muss aber nicht immer derart zielgerichtet sein. So bietet Instagramm - nebst der prinzipiell möglichen gezielten Re‐ cherche - auch vielfältige visuelle Anregungen auf Basis abonnierter Profile und bisherigem Nutzungsverhalten auf der Startseite an, die NutzerInnen ohne ge‐ zieltes Suchinteresse rezipieren. Auf Twitter mag es konkrete Ressourcen und Hinweise zu aktuellen For‐ schungsergebnissen im Bereich Corrective Feedback geben, gleichermaßen wichtig ist jedoch auch die Entwicklung eines ‚Gespürs‘ dafür, was aktuell 'in der Luft liegt‘. Clive Thompson (2007: n.p.) spricht in diesem Zusammenhang von einem „social sixth sense“, den man durch die Nutzung von Twitter entwi‐ ckele. Man könnte auch von einem fachlichen sechsten Sinn sprechen: dem en passant erworbenen Wissen darüber, an welchen Themen und Herausforde‐ rungen KollegInnen arbeiten, und welche Werkzeuge dafür genutzt werden. So erfährt man von Ressourcen, bevor man sie benötigt, erlebt didaktische Trends, während sie im Entstehen sind, und baut sich ein Netz von ExpertInnen auf, bevor dieses benötigt wird. Abb. 1: Twitter Screenshot “MrDaviesPhysics” 99 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Abb. 2: Twitter Screenshot „AKemmerer“ Die Rolle, die das PLE für die LehrerInnenausbildung und die LehrerInnenpraxis spielt, ist anekdotisch vielfach belegt (siehe Abb. 1, Abb. 2). Es gibt jedoch relativ wenige Studien zu PLE s in der LehrerInnenbildung als Gesamtkonzept. Häu‐ figer sind Studien zu bestimmten Tools, die Teil eines PLE s darstellen können, etwa zu Blogs (Chretien, Goldman & Faselis 2008; Churchill 2011; Ray & Coulter 2008; Sharma 2010; Yang 2009) oder dem Microblogging-Dienst Twitter (Car‐ penter & Krutka 2014). 3 Mit Instagram zur Medienkompetenz? Das KMK Strategiepaper „Bildung in der Digitalen Welt“ (Kultusministerkon‐ ferenz 2016) stellt eine Liste von Kompetenzen auf, die bei SchülerInnen geför‐ dert werden sollen. Ein Aspekt hierbei - neben anderen - ist die Forderung 100 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer danach, SchülerInnen nicht nur fachliche Inhalte im engsten Sinne, sondern auch fachspezifische und fachübergreifende Methodenkompetenzen zu vermit‐ teln. Die Kompetenzen des KMK Strategiepapiers reflektieren dabei durchaus ein modernes Verständnis von Medienkompetenz. Anders als bei der ICILS Studie (European Commission: Education and Training 2014), die sich auf das Sammeln, Aufbereiten und Präsentieren von Informationen im Kontext ‚klassi‐ scher‘ Medien wie Webseiten und Emails konzentriert, benennt das KMK Stra‐ tegiepapier Kompetenzen, die auch in Social Media Kontexten zum Tragen kommen (Kultusministerkonferenz 2016). Es wird de facto sogar die Kompetenz, mit PLE s umzugehen, formuliert: „Persönliches System von vernetzten digitalen Lernressourcen selbst organisieren können“ (ebd.: 18). Wenn Lehrkräfte SchülerInnen bei der Entwicklung dieser Kompetenzen un‐ terstützen sollen, müssen sie natürlich im Gegenzug diese Kompetenzen selbst besitzen (wobei hier fachliche Unterschiede in der Relevanz der einzelnen As‐ pekte zum Tragen kommen werden). Das KMK Strategiepaper fordert entspre‐ chend: Für die Förderung von Medienkompetenz und fachlicher Kompetenz unter Nutzung digitaler Medien ist es unabdingbar, dass Lehrende in der ersten Ausbildungsphase sowie Ausbildende der zweiten Phase der Lehrerbildung selbst über die dafür not‐ wendigen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten verfügen. Die Sicherung eines hinreichenden Kompetenzniveaus dieser Personengruppen durch die Bereitstellung entsprechender Fortbildungsangebote hat deshalb eine hohe Priorität (Kultusminis‐ terkonferenz 2016: 28). Dass Kompetenzen in der Vermittlung dieser Kompetenzen bestehen müssen, bleibt damit unangetastet: Lehramtsstudierende und (angehende) Lehrkräfte müssen die didaktischen und me‐ thodischen Chancen digitaler Medien für den Lehr- und Lernprozess erkennen und nutzen können. Sichere Beherrschung, zielgerichteter Einsatz und Weiterentwicklung der digitalen Medien erfordern und ermöglichen mehr als bisher eine enge Zusammenarbeit zwi‐ schen den Lehrkräften einer Schule innerhalb der Fachkonferenzen, und darüber hi‐ naus den Austausch mit Kolleginnen und Kollegen anderer Schulen sowie externen Partnern. Die auch in diesem Zusammenhang besonders wichtigen Fähigkeiten und die Bereitschaft zur Kooperation und Kollaboration von Lehrkräften müssen im Stu‐ dium und im Vorbereitungsdienst erworben und ausgebaut werden (Kultusminister‐ konferenz 2016: 25). 101 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Private Nutzung von digitalen Diensten baut Erfahrungswissen auf, das auch in schulischen Kontexten hilfreich ist. Die angehende Sprachlehrkraft, die mit fremdsprachlichen Hörtexten via Audible, Librivox oder Podcasts Erfahrung gesammelt hat, die beim Streaming von Game of Thrones via Netflix, oder von Shopping Haul Vodcasts via YouTube ihren Wortschatz ausgebaut hat und die regelmäßig englischsprachige Nachrichten im Netz liest, wird leicht passende Ressourcen für ihre SchülerInnen finden. Genauso helfen eigene Erfahrungen mit Social Media dabei, die Stärken und Schwächen der verschiedenen Platt‐ formen besser zu verstehen. Wer Erfahrung mit Twitter hat, weiß z. B., dass nach aktuellen Ereignissen unter konkreten Hashtags viele Aussagen zu diesem Er‐ eignis aufgerufen werden können, welche einen Diskussionsanlass für den Un‐ terricht bieten können. Er oder sie weiß aber auch, dass Hashtags für Spam gekapert werden (unter dem Hashtag nach einem schweren Unglück also auch kommerzielle und pornographische Angebote zu finden sind), sowie dass zu fast jedem beliebigen trending topic auch hate speech und kontrafaktische Aussagen zu finden sind. Ihr oder ihm ist bewusst, dass eine vollkommen ungefilterte Hashtag-Suche am ehesten für die Oberstufe geeignet ist und für jüngere Schü‐ lerInnen eine Vorauswahl oder eine speziell vorgefilterte Suchabfrage (die z. B. bestimmte Begriffe ausschließt) besser sein kann, wenn der Fokus nicht auf dem Medium selbst liegen soll. Wer YouTube regelmäßig privat nutzt, weiß auch, dass nicht alles, was kindgerecht aussieht, wirklich kindgerecht ist (z. B. paro‐ distische Darstellungen), und dass YouTube Kommentarbereiche nicht den op‐ timalen Kontext für inhaltsorientierten Diskurs darstellen. Der Einsatz solcher Dienste im Kontext des Studiums, mit dem Ziel fachliches und fachdidaktisches Wissen zu erwerben, kann aber noch einmal eine andere Perspektive auf solche Seiten und Werkzeuge geben. Reflexionen im Sinne einer näheren Betrachtung der Lernerfahrungen sowie ihrer kritischen Abwägung aus verschiedenen Perspektiven ( Jay & Johnson 2002) ermöglichen erste Schlussfolgerungen und Inspirationen für die spätere Lehrpraxis. 4 PLEs in der ersten Phase der LehrerInnenbildung Im Folgenden werden wir darstellen, was zu beachten ist, wenn PLE s in der ersten Phase der LehrerInnenbildung nutzbar gemacht werden sollen. 4.1 Das PLE als fachlicher Lernraum Im Rahmen von PLE s sind bestimmte digitale Kompetenzen - etwa aus den Bereichen „Suchen, Verarbeiten und Aufbewahren“, „Kommunizieren und Ko‐ operieren“ oder „Problemlösen und Handeln“ (Kultusministerkonferenz 2016: 102 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer 16 f.) - sehr gut einübbar. Das Objekt (vgl. object-centered sociality, Engeström 2005) von PLE s sind die Inhalte, die geteilt, kommentiert, diskutiert, reflektiert, kuratiert werden, unabhängig davon ob die kleinste geteilte Einheit die Form von Tweets, Pins oder Posts annimmt. Das bedeutet, dass z. B. anhand eines Diskurses über die Erhöhung des SchülerInnenredeanteils, anhand einer ge‐ teilten Studie zur Leseförderung in der Fremdsprache, anhand eines Instra‐ gram-Photos mit den aktuellen Bibliotheks-Entdeckungen zur Inklusion im Fremdsprachenunterricht gleichzeitig fachliche Inhalte vertieft und digitale Kompetenzen entwickelt werden können. Das Thema von PLE s ist also nicht das PLE als solches, sondern z. B. eine Unterrichtsidee, ein Buch oder ein in‐ haltliches Problem. Dieser Beobachtung widerspricht nicht, das PLE als solches, die eigenen Netzwerke, Tools und deren Verwendungsformen, zum Objekt der Betrachtung und Reflexion zu machen. Eine schriftliche Hausarbeit konzentriert sich auch primär auf eine inhaltliche Frage, dennoch kann die Reflexion der eigenen Schreib- und Recherchetechnik die Lernenden inhaltlich und in Bezug auf Methodenkompetenzen voranbringen. 4.2 Autonomie und ownership In einer Studie zum Einsatz von Blogs in einem mediendidaktischen Proseminar war zu beobachten, dass die Studierenden die von der Kursleitung vorgegebenen Tools (ein Blog) entsprechend den Vorgaben nutzten - aber für die tatsächliche inhaltliche Arbeit und interne Absprachen auf ein anderes Tool - Facebook - zurückgriffen. Dem Dozierenden wurde dies zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt - es war für die Studierenden auch kaum erwähnenswert, und kam erst in einem Gruppeninterview zur Sprache (Bündgens-Kosten & Brombach 2013). Um ownership des PLE s zu unterstützen, müssen den Studierenden breite Wahlmöglichkeiten gelassen werden, welche Tools wie eingesetzt werden. Eine kurzzeitige verpflichtende Nutzung eines Tools mag praktisch sein, wenn z. B. die Kommunikation und Interaktion auf diesem Wege in der Gruppe eingeübt werden soll. Erste Erfahrungen mit Blogs und Twitter, Google Drive und You- Tube lassen sich auf diesem Wege sicherlich sammeln. Die Tatsache jedoch, dass man z. B. über fünf Wochen an je drei Tagen pro Woche auf Tweets des / der Dozierenden geantwortet hat, führt nicht notwendigerweise dazu, dass Twitter ein fester Bestandteil des eigenen PLE s wird. In dem Sinne stellen die Studien, die Social Media zur Erbringung von Leistungen im Studium einsetzen, nicht unbedingt einen Beitrag zum besseren Verständnis der PLE -Förderung dar - zumindest dann, wenn Studierenden wenig Raum für eigene Entscheidungen über Tools und Wege eingeräumt wurde. 103 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? 4.3 Studierende haben unterschiedliche Affinitäten zu verschiedenen digitalen Tools Lehramtsstudierende gelten als nicht besonders medienaffin. Kommer (2006) etwa spricht von einer „latenten Ablehung der neueren Medien“ (z. B. Fernsehen, Computer, Internet) durch Lehramtsstudierende. Blume (2019) zeigt, dass die Mehrheit der Lehramtsstudierenden des Fachs Englisch kaum digitale Spiele spielt, und demonstriert einen Zusammenhang zwischen Erfahrung mit digi‐ talen Spielen und Einstellungen gegenüber game-based language learning. Gleichzeitig darf diese Beobachtung nicht zur Schlussfolgerung verleiten, dass Lehramtsstudierende grundsätzlich Technik ablehnen. Die Studie von Bier‐ mann (2009) zeigt die große Bandbreite an Mediennutzungsmustern und Medi‐ eneinstellungen von Lehramtsstudierenden in Deutschland. Auch innerhalb eines Fachs sind starke Unterschiede zu beobachten - einen differenzierten Blick auf die Mediennutzungsmuster von fünf SprachlehrerInnen in Australien und ihren Umgang mit Technologie zeigt z. B. Tour (2015). Studierende haben ganz unterschiedliche Lebenserfahrungen - und ganz un‐ terschiedliche Mediennutzungsmuster. Selbst wenn ein großer Anteil der Stu‐ dierenden in einem Kurs z. B. Erfahrungen mit Pinterest hat, kann es sein, dass einzelne Studierende diesen Anbieter nicht kennen, oder ganz bewusst (z. B. aus Datenschutzgründen) nicht nutzen. Biel (2011: 71 f.) schließt aus der Heterogenität von LernerInnen, dass, ganz abgesehen von Fragen vorhandener oder fehlender Methodenkompetenzen, nicht alle LernerInnen mit einem PLE arbeiten können oder wollen. Ihrer Aus‐ sage „Die Diversität der Lernenden muss beim ‚selbstorganisierten Lernen‘ mit PLE s verstärkte Beachtung finden“ (Biel 2011: 72, im Original mit Fettdruck) ist zuzustimmen, der impliziten Folgerung, dass PLE s daher nicht für alle Studie‐ rende geeignet seien, jedoch nicht unbedingt. Die Heterogenität von Studierenden in Bezug auf digitale Medien (Erfah‐ rungen, Kompetenzen, Präferenzen) stellt in diesem Zusammenhang eine He‐ rausforderung dar: Studierende, die gar keine oder kaum Erfahrungen mit den sozialen Medien haben, müssen Anregungen erhalten, diese gezielt zu testen und ihre Sinnhaftigkeit im fachlichen / fachdidaktischen Kontext zu prüfen, ohne dass hierbei Zwang ausgeübt wird, oder erfahrenere MediennutzerInnen unterfordert werden. 4.4 Flexibles und individualisiertes Lernen durch PLEs Eine gezielte PLE Förderung kann Studierende dabei unterstützten, die Hand‐ lungsmöglichkeiten von Tools und Services kennenzulernen, aber die Logik von PLE s legt es nahe, Studierende nicht zur Verwendung konkreter Tools anzu‐ 104 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer leiten. Stattdessen bietet es sich an, von vorhandenen, variierenden Nutzungs‐ mustern auszugehen, und verschiedene Angebote für die unterschiedlichen Präferenzen und Erfahrungsräume zu unterbreiten. Wichtig ist dabei, zu be‐ denken, dass PLE s nicht als normierte Wissenseinheiten konzeptionalisiert werden sollten, da die Inhalte stets von der Struktur des Netzwerks abhängen. Folgt man in einem sozialen Netzwerk vielen SonderpädagogInnen oder Prak‐ tikerInnen, die sich intensiv mit Inklusion auseinandersetzen, wird man in diesen Bereichen mehr Inhalte erhalten, als wenn man sich auf Menschen kon‐ zentriert, deren Kerninteresse Storytelling in einer Fremdsprache ist. Durch den Aufbau des PLE s steuert man zu einem gewissen Anteil die zu erwartenden Inhalte - ohne dabei aber vollständig auf serendipity, den positiven Zufall, zu verzichten. Selbst Personen, die identische Tools und Services nutzen, können dadurch vollkommen unterschiedliche Lernerfahrungen in ihrem PLE haben. 4.5 Verknüpfungen zwischen den Phasen der LehrerInnenbildung Es wurde bereits angemerkt, dass ein Kernaspekt von PLE s ist, dass NutzerInnen Netze aus Tools und Services bauen, bei denen sie selbst, und nicht die Institu‐ tion, Kontrolle über die Inhalte ausüben. Dies bedeutet auch, dass mit dem Ende des Studiums das PLE nicht verschwindet. Im Gegenteil: Ein PLE entwickelt sich mit seinen UserInnen mit und passt sich den veränderten Interessenslagen und Herausforderungen in den verschiedenen Phasen der LehrerInnenbildung flexibel an. Neben der Tatsache, dass das PLE über die verschiedenen Phasen der Lehr‐ kräftebildung im biographischen Verlauf hinweg genutzt werden kann, ermög‐ licht es auch die Vernetzung und den Austausch über die Phasen der Lehrerbil‐ dung hinweg, wie dies etwa von der Kultusministerkonferenz gefordert wird: Grundsätzlich müssen in allen Phasen der Lehrerbildung und damit in den jeweiligen Institutionen zeitgemäße Arbeits- und Lernformate (z. B. über entsprechende On‐ line-Plattformen) etabliert und umfassend genutzt werden. Die erweiterten Chancen und Möglichkeiten der Vernetzung, Kommunikation und Kooperation von Lehr‐ amtsstudierenden und angehenden Lehrkräften müssen systematisch gefördert und gefordert werden (Kultusministerkonferenz 2016: 28). Die Besonderheit von PLE s ist, dass hier Studierende tatsächlich gleichberech‐ tigte PartnerInnen im Diskurs sein können. Anders als z. B. in Praktika / Praxis‐ semestern, bei denen sie notwendigerweise nur der ‚Juniorpartner‘ bzw. die ‚Ju‐ niorpartnerin‘ der betreuenden Lehrkraft sein können, haben Lehramtsstudierende in den sozialen Netzwerken vom ersten Tag an die Mög‐ lichkeit zur legitimate peripheral participation (Lave & Wenger 2008 [1991]). 105 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Indem sie aktuelle Studien, die sie im Seminar gelesen haben, für einen Leis‐ tungsnachweis erstellte Unterrichtsmaterialien, gute Fragen oder provokante Statements in die Community einbringen, leisten sie einen Beitrag für die Com‐ munity als solches. Auch durch ein reines Teilen von Inhalten leisten sie einen (kuratierenden) Beitrag. (Zur Rolle der rein passiven Nutzung, dem sogenannten Lurking, und dessen Potenzial für die eigene Wissensentwicklung, siehe Salmon (2000)). 5. Praktische Überlegungen: Von #EdChatDE zum Universitäts-Seminar Aus den oben diskutierten Punkten lassen sich folgende Schlüsse für die opti‐ male Förderung von PLE s in der ersten Phase der LehrerInnenbildung ziehen: • sie belässt den Studierenden die Wahl der Inhalte, Wahl des Lernwegs, Wahl der Werkzeuge; • sie ist an fachdidaktischen Inhalten orientiert (auch auf Fachwissenschaft, sprachliche Fähigkeiten ausdehnbar) und gibt Möglichkeiten zur Refle‐ xion; • sie gibt Gelegenheit, digitale Kompetenzen mit direkter Relevanz für das Studium oder die Schulpraxis (weiter) zu entwickeln; • sie ist individuell und adaptiv; • sie begünstigt die Vernetzung und den Austausch über inhaltliche Inte‐ ressen und aktuelle Trends mit anderen Studierenden, LehrerInnen in Ausbildung und Praxis sowie LehrerbildnerInnen; • sie unterstützt die Verknüpfung und Vernetzung zwischen den Phasen der LehrerInnenbildung. Im Folgenden diskutieren wir drei Modelle, wie Studierende beim Aufbau von PLE s während des Studiums unterstützt werden können: einerseits veranstal‐ tungsübergreifend (als Teil eines Portfolioansatzes), andererseits flexibel in ein‐ zelnen Veranstaltungen. 5.1 Kompetenzen reflektieren und Ressourcen aufzeigen Seit vielen Jahren arbeitet die Fachdidaktik Englisch der Goethe Universität Frankfurt in der Lehre mit einem Lehramtsportfolio, das curricular eingebunden ist, und welches die Studierenden über die Studiendauer hinweg begleitet. Ein Teil dieses Lehramtsportfolios sind Instrumente zur Kompetenzselbsteinschät‐ zung („Can-Do-Statements“). Diese Instrumente liegen sowohl in allgemeiner als auch in auf spezifische Module zugeschnittener Form vor. Neben diesen In‐ 106 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer 2 70 Studierende in Fachdidaktik-Seminaren für Studierende der höheren Semester wurden befragt. Fünf Studierende hatten die formal vorangehenden Fachdidaktikmo‐ dule nicht abgeschlossen, und wurden aus dem Datensatz entfernt. Vier Studierende hatten ausschließlich die demographischen Daten beantwortet und wurden aus dem Datensatz entfernt. strumenten zur Evaluation des eigenen Lernfortschritts und zur Identifikation von Lücken fehlte es jedoch an Werkzeugen zur Unterstützung der individuellen Bedarfsprofile. Im Rahmen des Projekts „The networked professional“ sollte zu‐ nächst festgestellt werden, wie die Studierenden die „Can-Do-Statements“ nutzen, um anschließend hieran angepasst Aufgaben und Materialien anzu‐ bieten, die die Entwicklung individueller PLE s fördern. Eine Erhebung zu Projektbeginn, die sich an fortgeschrittene Studierende der Lehrämter für Haupt- und Realschule, Gymnasium, Förderschule, sowie an Stu‐ dierende der Wirtschaftspädagogik wandte, sollte zeigen, inwiefern Studierende diese Instrumente zur Kompetenzselbsteinschätzung nutzen, und ob hier bereits erste Verbindungen zu den jeweiligen PLE s bestehen. 61 gültige Datensätze wurden ausgewertet. 2 Abb. 3: Die Can-Do-Statements haben mir geholfen, meinen eigenen Kompetenzstand zu reflektieren. (1= vollständige Ablehnung, 7= vollständige Zustimmung) 107 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Abb. 4: Die Can-Do-Statements haben mir geholfen, meinen Lernzuwachs zu erkennen. (1= vollständige Ablehnung, 7= vollständige Zustimmung) Abb. 5: Die Can-Do-Statements haben mir geholfen, Wissenslücken zu identifizieren. (1= vollständige Ablehnung, 7= vollständige Zustimmung) 108 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer Abb. 6: Die Can-Do-Statements haben mir geholfen, Entscheidungen über meinen wei‐ teren Lernprozess zu treffen. (1= vollständige Ablehnung, 7= vollständige Zustimmung) Diese Erhebung bestätigte unsere Annahme, dass die Studierenden gewissen‐ haft mit diesem Reflexionstool arbeiten, und es ihnen hilft, den Kompetenzstand zu reflektieren (Abb. 3), den eigenen Lernzuwachs zu erkennen (Abb. 4) und, zu einem gewissen Grad, Wissenslücken zu identifizieren (Abb. 5), dass es jedoch für die meisten keine Hilfe dabei darstellt, Entscheidungen für den weiteren Lernprozess zu treffen (Abb. 6). Die Can-Do-Statements wirken als Anregung, bestimmte Dinge nachzulesen (39 % Zustimmung), im Internet zu recherchieren (34 % Zustimmung) oder mit anderen Personen zu reden (31 % Zustimmung), aber 16 Personen (26 % Zustim‐ mung) erklärten, durch die Can-Do Statements zu keinerlei weiteren Hand‐ lungen angeregt worden zu sein. Für diesen Kontext relevant ist die Feststellung, dass keine einzige befragte Person angab, dass die Can-Do-Statements sie an‐ geregt hätten, mit anderen Personen im Internet zu diskutieren. Im Rahmen der Umstellung auf ein ePortfolio sind nun die vorhandenen Can-Do-Statements so umgestaltet worden, dass Studierende ermutigt werden, diejenigen Kompetenzen zu identifizieren, die noch ausbaufähig sind, und denen sie eine hohe Priorität für die aktuelle Studienphase zusprechen. Studierenden werden daraufhin für die ausgewählten Kompetenzen Möglichkeiten zur Ver‐ tiefung angeboten, die von klassischen Lernmedien (z. B. Lehrbüchern) über MOOC s (Massive Open Online Courses - Onlinekurse mit sehr großen Teilneh‐ mendenzahlen, z. B. von Coursera.org oder FutureLearn.com) und die relevanten Twitter-Hashtags gehen. 109 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Diese adaptiven Materialien liegen zurzeit als Papier-Prototyp vor, der über QR -Codes digitale Angebote verlinkt, und sollen nach einer Testphase dauerhaft in den Lehrbetrieb integriert werden. 5.2 Rechercheaufgaben individualisieren Ein wichtiges Element fachlicher Enkulturalisation ist das Kennenlernen von fachlichen Normen bezüglich angemessener und unangemessener Quellen und deren Verwendung. Explizite Unterweisung bezieht sich hier oft nur auf den Kontext des wissenschaftlichen Arbeitens. Dabei werden aber Informations‐ quellen, die Wert besitzen, ohne zitierfähig zu sein, leicht tabuisiert. Pinterest und Instagram sind nicht unbedingt wichtige Stationen bei der Recherche für eine Seminararbeit, können aber informell Informationen und Ideen mit Pra‐ xisrelevanz transportieren. Bei Rechercheaufgaben zu praxisorientierten Fragen kann Studierenden die Freiheit gegeben werden, zwischen etablierten (z. B. Buch, Praxiszeitschrift) und nicht-traditionellen (z. B. Instagram, Pinterest) Quellen zu wählen. Durch solche bewusst offen gestalteten Rechercheaufgaben kann der Wert des PLE sichtbar werden, und der Status solcher Informationsquellen kritisch - aber nicht simp‐ lifizierend - diskutiert werden. Auch Studierende, die solche Plattformen nicht nutzen, können aktiv teilnehmen und von der Diskussion profitieren. Eine Rechercheaufgabe zum Thema alternative assessment, die für ein Prose‐ minar im zweiten Studienjahr entwickelt wurde, sah dementsprechend wie folgt aus: Investigate different forms of alternative assessment / alternatives in assessment, es‐ pecially variants of class tests. You can use practice-focused journals, scientific publications, or social media (blogs, podcasts, instagram, twitter, etc.) to investigate this topic. Upload a 500 word summary of key ideas you discovered, and add a short discussion of the sources you used. Entsprechende Aufgaben wurden entwickelt und in zwei verschiedenen Lehr‐ veranstaltungen getestet, ein flexibel einsetzbarer Aufgabenbaukasten ist in Vorbereitung. Das Toolkit-Konzept sollte langfristig über reine Recherche-Aufgaben hi‐ nausgehen. Gerade Kommunikations- und Kuratieraufgaben, die fachlich an‐ gebunden sind, deren Ergebnisse in der Lehrveranstaltung diskutiert werden, und die Studierende über ganz unterschiedliche Wege (digitale und analoge) bearbeiten können, sind vielversprechend. 110 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer 5.3 Social Media Nutzung modellieren Das größte Potenzial von Social Media als Teil des PLE liegt nicht im Tool selbst, sondern in den Verknüpfungen mit anderen an den Themen interessierten Per‐ sonen, die durch das Tool ermöglicht werden. Entsprechend bietet ein Dienst wie Twitter für eine Person, die sich gerade neu angemeldet hat, nicht dieselben Erfahrungen wie für langjährige NutzerInnen, die sich ein auf die eigene Person zugeschnittenes Netzwerk aufgebaut haben. Wie kann diese Erfahrung für Stu‐ dierende sichtbar gemacht werden? Eine Möglichkeit besteht darin, den Studierenden Einblicke in das Dozier‐ enden-eigene PLE zu ermöglichen, etwa indem man als DozentIn offenlegt, wie man bestimmte Ressourcen gefunden hat. Eine der Autorinnen etwa hat in einem Proseminar einen Podcast verwendet, auf den sie über Twitter gestoßen war. In der entsprechenden Powerpointfolie erwähnte sie einerseits den Blog, auf dem der Podcast publiziert worden war, als auch das Twitter-Handle der Bloggerin. Beim Anhören des Podcast im Seminar ergaben sich Fragen, die die Autorin anschließend auf Twitter mit der Bloggerin teilte. Die Antworten der Bloggerin wurden dann in der Folgewoche wieder diskutiert (siehe Abb. 7 ). Abb. 7: Screenshot Follow-up Solche Beispiele leben von der Serendipität sozialer Netzwerke, und sind ent‐ sprechend nur eingeschränkt planbar. Eine andere Vorgehensweise, um die Potenziale von Social Media sichtbar werden zu lassen, demonstrierte Leo Will (Twitter: @LeoWill11) in seinem 111 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? # TEFL discussion Lehrprojekt. Fragen zum Seminarstoff wurden entweder vom Dozenten gesammelt oder von den Studierenden entwickelt. Der Dozent twee‐ tete nun diese Fragen unter Nutzung des eigenen Twitternetzwerks (vgl. Abb. 8), und spielte die Antworten in der Folgewoche als Powerpointfolien und Aus‐ drucke wieder in das Seminar zurück. Die Erwartung hierbei war, dass Studie‐ rende inhaltlich durch das andere Format - kurze, prägnante Beiträge von Ex‐ pertInnen als Ergänzung zu Fachartikeln - inhaltlich profitieren würden, und dass sie andererseits die Erfahrung machen könnten, dass es eine weltweite Community von ExpertInnen gibt, die Fachthemen auf Twitter diskutieren, und dass es möglich ist, nicht nur passiv diesem Diskurs zu folgen. Vielmehr können auch eigene Diskussionen initiiert werden. Die affektive Komponente - Begeis‐ terung für die Fachdidaktik wecken - spielte hier ebenfalls eine Rolle. Abb. 8: Screenshot eines #TEFLdiscussion Tweets Von den Studierenden wurde im Rahmen dieses Lehrprojekts nicht verlangt, selbst einen Twitteraccount anzulegen oder Tweets zu verfassen, es wurde aber am Beispiel von TEFL -Fragen und Antworten sichtbar, wie Twitter-Diskurse aussehen können. Mit einer Reflexion über eigene Erfahrungen mit Fachdis‐ kursen in den sozialen Medien und über den Wert solcher Diskurse für das ei‐ 112 Judith Bündgens-Kosten / Alexandra Kemmerer gene fachliche Lernen, oder mit dem expliziten Modellieren des eigenen Tweet‐ verhaltens könnten fachspezifische Medienkompetenzen noch weiter gefördert werden. Unverzichtbar für ein solches Projekt ist aber immer, dass der Dozent bzw. die Dozentin eine hohe Expertise in der (fachlichen) Twitternutzung hat oder entwickelt, und bereits über sein / ihr Netzwerk eine gewisse Reichweite innerhalb der Fachcommunity besitzt. 6. Fazit LernerInnen verfügen bereits über ein Personal Learning Environment, zumin‐ dest wenn der Begriff im breiteren Sinne verwendet wird. Die erste Phase der LehrerInnenbildung ‚erschafft‘ keine PLE s, sie integriert sie, baut auf sie auf, unterstützt deren Weiterentwicklung und Reflexion. Das Ziel des aktiven Ein‐ satzes von PLE s ist dabei in der Regel zweigeteilt: Genau wie im Studium Fach‐ literatur nicht nur gelesen wird, um eine Idee oder ein bestimmtes Faktum zu lernen, sondern auch, um Fachliteratur als Informationsquelle kennen und kri‐ tisch einordnen zu lernen, so dient die Einbindung von PLE s gleichermaßen dem Ziel, Inhalte zu erarbeiten und fachbezogene Werkzeuge einzuüben. Im Lehramtsstudium kommt hierbei noch die Dimension hinzu, nicht nur den eigenen Methoden-Werkzeugkasten zu erweitern, sondern diese Methoden auch zu reflektieren, um sie ggf. für die fachspezifische und fachübergreifende me‐ diendidaktische Arbeit mit SchülerInnen nutzbar zu machen. Mithilfe des er‐ worbenen fachlichen und erfahrungsbasierten Wissens können Social Media für den künftigen Schuldienst als gezielt einsetzbare Lern- und Arbeitskontexte er‐ schlossen werden. PLE s im formal geprägten Kontext der (Hochschul-)Lehre einzuführen und zu fördern, ist eine Herausforderung: PLE s sind „Personal“ Learning Environ‐ ments, die nicht durch die Institution kontrolliert werden sollen, sondern den Lernenden Freiheiten in der Gestaltung ihres Lernwegs geben. Gleichzeitig ist es aber die Institution, die zur Weiterentwicklung des PLE s anregen möchte - und dazu auch formale Vorgaben (z. B. Voraussetzungen für den Leistungsnach‐ weis) macht. Dabei ist es essenziell, die Heterogenität der Studierenden immer im Blick zu halten, und Nutzungsangebote zu unterbreiten, die allen Studierenden eine Weiterentwicklung ermöglichen - unabhängig von ihrem Vorwissen, bisherigen Erfahrungen und Einstellungen. Dies schafft gute Voraussetzungen, um tat‐ sächlich zu Weiterentwicklungen des eigenen PLE s zu führen, die von den Lernenden akzeptiert werden, und die langfristig, und damit auch phasenüber‐ greifend, genutzt werden. 113 #Twitterlehrerzimmer im Proseminar? Literatur Biel, Carmen (2011). Personal learning environments als Methode zur Förderung des selbst‐ organisierten Lernens: Projektanalysen, Potenziale und Grenzen. E-Learning. Boizen‐ burg: Hülsbusch. Biermann, Ralf (2009). Der mediale Habitus von Lehramtsstudierenden. Wiesbaden: Springer Fachmedien. Blume, Carolyn (2020). Games people (don’t) play: An analysis of pre-service EFL tea‐ chers’ behaviors and beliefs regarding digital game-based language learning. 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Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen Ein praxisorientierter Einblick am Beispiel eines interdisziplinären Hochschulseminars im Rahmen des Projekts Level Annika Kreft / Britta Viebrock Die Arbeit mit Videosequenzen bietet ein großes Potenzial für die Heraus‐ bildung und Entwicklung professioneller Kompetenzen im Bereich der Fach‐ didaktiken. Um jenes Potenzial ausschöpfen zu können, ist die Auswahl eines methodischen Zugangs zur schrittweisen Analyse der Videos essenziell, da Letztere unangeleitet häufig zu Überforderung aufseiten der Studierenden führt (vgl. u. a. Kreft 2018; Elsner, Kreft, Niesen & Viebrock 2020). Im Rahmen dieses Beitrags wird der Einsatz der Vier-Schritt-Analyse am Beispiel eines interdisziplinären Seminars der Fachdidaktiken Englisch und Deutsch erläu‐ tert. 1 Die methodischen Ausführungen beziehen sich dabei maßgeblich auf die Arbeiten von Santagata und Guarino (2011). Darüber hinaus schließen sie Überlegungen von Biaggi, Krammer und Hugener (2013) sowie dem Mento‐ ratsteam Sek I der PH Luzern (2013) ein. Die Analyse der ausgewählten Un‐ terrichtsvideos erfolgte in vier Schritten: (1) der Identifikation des Lernziels und didaktischen Potenzials des literarischen Texts sowie der Aufgabe, (2) der fachdidaktischen Analyse von Lern-, Denk- und Handlungsprozessen der SchülerInnen, (3) der Analyse von Handlungen der LehrerInnen und deren Wirkungen auf das SchülerInnenhandeln sowie (4) dem Entwurf und der Re‐ flexion von fachdidaktischen Handlungsalternativen. Das Seminar wurde mehrfach im Kontext des Projekts Level - Lehrerbildung vernetzt entwickeln an der Goethe-Universität Frankfurt / Main durchgeführt und fokussierte in‐ haltlich die Förderung der professionellen Wahrnehmung von Studierenden im Hinblick auf literarische Verstehensprozesse und transkulturelles Lernen. Exemplarisch werden in diesem Beitrag die Untersuchungsergebnisse der Studierenden der Fachdidaktik Englisch erläutert. Überlegungen zum Einsatz digitaler Lerneinheiten und Unterrichtsvideos in der Lehre runden den Bei‐ trag ab. 1 Einführung Der Einsatz von Unterrichtsvideos in der Lehre erfordert eine transparente und sukzessiv aufgebaute Herangehensweise, damit es bei der Arbeit mit den Videos nicht unmittelbar zur Überforderung auf Studierendenseite kommt. Komplexe und überdies bei der Betrachtung von Unterrichtsvideos schwer erfassbare Kon‐ zepte wie transkulturelles Lernen (vgl. u. a. Blell & Doff 2014) und literarisches Verstehen (vgl. u. a. Spinner 2006) bedürfen in der Unterrichtsbeobachtung einer kleinschrittigen Herangehensweise, um sie für Lehramtsstudierende erfahr- und beobachtbar zu machen. Aus diesem Grund wurde im Rahmen eines über mehrere Semester durchgeführten, interdisziplinären Seminars zum Einsatz von literarischen Texten im Englisch- und im Deutschunterricht zur Anbahnung von transkulturellem Lernen und literarischem Verstehen auf eine Vier-Schritt-Ana‐ lyse (maßgeblich fußend auf Überlegungen von Santagata & Guarino 2011) zu‐ rückgegriffen. Diese erlaubt sowohl auf inhaltlicher als auch auf methodischer Ebene einen adäquaten Zugang zu den behandelten Unterrichtsvideos. Im Rahmen des folgenden Beitrags liegt der Schwerpunkt in Abschnitt 2 auf der Erläuterung der Vier-Schritt-Analyse. Danach wird in Abschnitt 3 der Ein‐ satz des Analyseverfahrens in der Lehre anhand eines durchgeführten Video‐ vignettentests exemplifiziert. Die Beschreibung der einzelnen Komponenten von Letzterem erfolgt in Abschnitt 3.1. Weiterführend werden in Abschnitt 3.2 die entsprechenden Hintergrundinformationen und Transkripte zu den ver‐ wendeten Unterrichtsvideos zur Verfügung gestellt. Abschnitt 4 widmet sich der Auswertung und Diskussion der aus den Videovignettentests der Englischstu‐ dierenden gewonnenen Daten. Abschließend gibt Abschnitt 5 einen zusam‐ menfassenden Überblick zu den Erkenntnissen des vorliegenden Beitrags. 2 Die Vier-Schritt-Analyse Das Analyseverfahren der Unterrichtsvideos vollzieht sich in vier aufeinander‐ folgenden Schritten, welche in Abbildung 1 visualisiert sind (vgl. auch Elsner, Kreft, Niesen & Viebrock 2020). 120 Annika Kreft / Britta Viebrock Abb. 1: Die Vier-Schritt-Analyse (vgl. Santagata & Guarino 2011). Der erste Schritt der Vier-Schritt-Analyse fokussiert das didaktische Potenzial des Gegenstands (in unserem Fall literaturbasierter Unterrichtsstunden handelt es sich um literarische Texte) sowie dessen antizipierte Verstehensschwierig‐ keiten, das damit verbundene Lernziel und die gestellten Aufgabenszenarien. In diesem Zusammenhang wird zunächst die allgemeine Unterrichtssituation des Videos (z. B. Fach, Jahrgangsstufe, Anzahl der SchülerInnen, Thema der Unter‐ richtseinheit) durch einen Informationstext oder ein kurzes Gespräch im Semi‐ narplenum geklärt, bevor die Studierenden individuell didaktische Analysen des jeweiligen literarischen Texts, dessen Einsatz in der Folge in einem Unterrichts‐ video zu sehen ist, erarbeiten sowie entwickelte Aufgabenszenarien und da‐ durch implizierte Erwartungen an die SchülerInnen evaluieren. Erst im An‐ schluss an den ersten Schritt wird das zu untersuchende Unterrichtsvideo von den Studierenden angesehen. Entgegen der Gewohnheit der Studierenden, direkt zu einer Wertung über‐ zugehen, beobachten und analysieren sie im zweiten Schritt zunächst die Lern-, Denk- und Handlungsprozesse der SchülerInnen im gezeigten Unter‐ richtsvideo. Dabei beschreiben und analysieren sie das Sprachhandeln der Schü‐ 121 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen lerInnen und die in den SchülerInnenaussagen zum Ausdruck kommenden li‐ terarischen Verstehensprozesse sowie Einsichten in transkulturelle Zusammenhänge. Das LehrerInnenhandeln, welches aufgrund der subjektiven Beobachtungs‐ gewohnheiten der Studierenden als SchülerInnen und im Praktikum häufig im Fokus steht, wird erst im Rahmen des dritten Schrittes in den Blick genommen und theoretisch eingeordnet. Zudem werden dessen Wirkungen auf die Lern‐ prozesse der SchülerInnen untersucht. Analog zum zweiten Schritt stehen zu‐ nächst die Beobachtung und Beschreibung des LehrerInnenverhaltens in den Unterrichtsvideos im Mittelpunkt. Anschließend erfolgt die theoriebasierte Analyse, hier die fachdidaktische Analyse eben dieses Verhaltens, wobei die Studierenden ihre Kommentare und Einschätzungen stets an konkreten Be‐ obachtungen aus den Unterrichtsvideos prüfen. Der vierte und letzte Schritt richtet ein besonderes Augenmerk auf mög‐ liche Handlungsalternativen, die von den Studierenden aus Sicht der Lehrer- Innen entworfen und begründet werden sollen. Dabei geht es auch hier aus‐ schließlich um fachdidaktische Handlungsalternativen. In diesem Zusammen‐ hang leiten Studierende zudem Implikationen für ihre eigene Kompetenzent‐ wicklung ab. 3 Implementation der Vier-Schritt-Analyse am Beispiel eines Videovignettentests Die Vier-Schritt-Analyse wurde im Rahmen eines interdisziplinären Seminars zum Einsatz von literarischen Texten im Englisch- und Deutschunterricht er‐ probt und weiterentwickelt. Das Seminar, an dem Studierende des Lehramts Englisch und Deutsch teilnehmen konnten, wurde in drei Folgesemestern (WiSe 16 / 17, SoSe 17, WiSe 17 / 18) durchgeführt. Die Aufgaben zur Videoanalyse ins‐ gesamt sowie zur Vier-Schritt-Analyse im Speziellen wurden auf Basis der Rückmeldungen sowie der Ergebnisse der schriftlichen Videoanalysen der Stu‐ dierenden in Anlehnung an den Design-Based Research-Ansatz (vgl. Baum‐ gartner, Bell, Brophy, Hoadley, Hsi, Joseph & Orrill et al. 2003) kontinuierlich adaptiert. 3.1 Videovignettentest Um die professionelle Wahrnehmung von Unterricht durch die Studierenden zu erheben und den Lernfortschritt zu messen, wurden zu Beginn und zum Ende des Seminars (prä / post) Videovignettentests durchgeführt. Da der Fokus der Unterrichtswahrnehmung sich dabei auf fachspezifische Prozesse richtete, 122 Annika Kreft / Britta Viebrock wurde den Studierenden abhängig von ihrem Studienfach entweder ein Video aus dem Englischunterricht (Klasse 8) oder dem Deutschunterricht (Klasse 6) zur Analyse vorgelegt. Der Unterrichtsgegenstand der Englischbzw. Deutsch‐ stunde sowie die Aufgabenstellungen entsprechend der Vier-Schritt-Analyse waren jedoch dieselben. Die Aufgabenstellungen waren in deutscher Sprache verfasst. Den Englischstudierenden blieb jedoch freigestellt, ihre Antworten in deutscher oder in englischer Sprache zu geben. Der Unterrichtsgegenstand war in beiden Unterrichtsvideos das Gedicht Da‐ zwischen (1989) von Alev Tekinay. Es thematisiert die Zerrissenheit von Mi‐ grantInnen zwischen der alten und der neuen Heimat und den Prozess des An‐ kommens, der mit der Veränderung und Erweiterung des eigenen Ichs einhergeht. Sprachlich realisiert sich diese Zerrissenheit in Antithesen und Me‐ taphern, die den LeserInnen dieses Gefühl aufschließen: Zwischen Koffer und Kleiderschrank, der alten und der neuen Heimat, dem Bleiben und der Rückkehr, „dazwischen ist meine Welt“. Die Metaphern eröffnen den LeserInnen dabei Spielräume, um das „Dazwischen“ für sich zu füllen. Zugleich bildet die damit einhergehende Uneindeutigkeit für SchülerInnen (und Studierende) immer auch eine Herausforderung. Diese Herausforderungen sowie Potenziale, die mit dem Unterrichtsgegen‐ stand einhergehen, zu antizipieren, war Ziel der didaktischen Analyse, die im ersten Schritt der Vier-Schritt-Analyse von den Studierenden vor der Ausei‐ nandersetzung mit dem Unterrichtsvideo zu leisten war. Die erste Aufgabe des Videovignettentests lautete wie folgt: Analysieren Sie die Potenziale und Schwierigkeiten des Gedichts „Da‐ zwischen“ von Alev Tekinay für das literarische und transkulturelle Lernen im Literaturunterricht einer 6. bzw. 8. Gymnasialklasse. Leitfragen: (Die Leitfragen dienen lediglich der Orientierung und sollen eine Hilfestellung für Sie sein. Sie müssen nicht alle und schon gar nicht in der Reihenfolge bear‐ beitet werden.) • Welche Potenziale für das literarische und transkulturelle Lernen hat das Gedicht? • Welche Verstehensschwierigkeiten können antizipiert werden? Was ist schwierig an dem Gedicht? • Was ist interessant für Schülerinnen und Schüler an dem Gedicht? • Lernziel: Was sollen die Schülerinnen und Schüler durch die Beschäf‐ tigung mit dem Gedicht erfahren, erkennen, leisten können? 123 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen Im Anschluss wurde den Studierenden das fachspezifische Unterrichtsvideo zweimal vorgespielt. Dabei sollten Sie im Rahmen der zweiten Aufgabe zunächst die Verstehensbemühungen und das Gesprächsverhalten der SchülerInnen be‐ obachten und auf Basis ihres Wissens hinsichtlich literarischer Verstehenspro‐ zesse analysieren. Beobachten und beschreiben Sie genau die Verstehensbemühungen und das Gesprächsverhalten der SchülerInnen. Stellen Sie Hypothesen zu deren möglichen Lern- und Denkprozessen auf und begründen Sie diese. Leitfragen: • Was erfahren/ erkennen die Schülerinnen und Schüler in Bezug auf das Gedicht und sich selbst? Woran machen Sie Ihre Einschätzung fest? • Welche Belege gibt es für gelungene bzw. misslungene Verstehensbe‐ mühungen der Schülerinnen und Schüler? Wie gehen die SchülerInnen mit Verstehensschwierigkeiten um? • Inwieweit spricht das Gedicht die Schülerinnen und Schüler persönlich an? Wie „involviert“ sind sie? Inwiefern wird eine (kritische) (Selbst-) Reflexion angeregt? Erst in der dritten Aufgabe richteten die Studierenden ihr Augenmerk auf die Handlungen der LehrerInnen und deren Wirkungen. Die Studierenden waren dabei angehalten, ihre Beobachtungen theoriegeleitet zu fundieren. Untersuchen Sie die Handlungen der Lehrperson und deren Wirkung auf die Lernprozesse der Schülerinnen und Schüler. Machen Sie Ihre Kommen‐ tare und Einschätzungen immer an konkreten Beobachtungen fest. Be‐ gründen Sie Ihre Hypothesen auf der Grundlage von deutschbzw. englisch‐ didaktischem Wissen über Qualitätsdimensionen von (transkulturellem) Literaturunterricht. Leitfragen: • Welche Hinweise/ Handlungen/ Hilfestellungen der Lehrperson un‐ terstützen die literarästhetische und transkulturelle Bildung der Schü‐ lerinnen und Schüler? Welche nicht? Weshalb? • Welche Hinweise/ Handlungen/ Hilfestellungen der Lehrperson tragen zu einer Erweiterung im schülerInnenseitigen Erkennen und Erfahren des literarischen Textes bei? Welche nicht? Weshalb? 124 Annika Kreft / Britta Viebrock • Aus welchen Gründen hat die Lehrperson so gehandelt? Wo liegen die Vor- und Nachteile der gewählten Vorgehensweise? Darauf aufbauend reflektierten die Studierenden in der vierten Aufgabe unter‐ richtliche Vorgehensweisen und deren Wirkungen. Dies konnten u. a. ein alter‐ nativer Stundenaufbau, alternative Aufgaben oder Gesprächsimpulse sein. Reflektieren Sie, welche alternative Vorgehensweise die Lehrperson hätte wählen können und welche Wirkung dies auf die ästhetische Textbegegnung, das literarische und transkulturelle Lernen hätte. Überlegen Sie auch, mit welchem Impuls oder welcher Aufgabe die Lehrperson das Gespräch/ die Stunde fortsetzen könnte und begründen Sie Ihre Entscheidung. Leitfragen • Welche alternativen Vorgehensweisen könnte die Lehrperson wählen? Inwiefern würden diese die ästhetische Textbegegnung, das literari‐ sche und transkulturelle Lernen der Schülerinnen und Schüler för‐ dern? Weshalb? • Wie könnte die Lehrperson die Stunde fortsetzen (Impuls/ Aufgabe)? Wie würde dies das literarische und transkulturelle Verstehen und Er‐ fahren der SchülerInnen unterstützen? • Welche Folgerungen leiten Sie aus den gewonnenen Erkenntnissen für Ihre eigene Kompetenzentwicklung ab? 3.2 Hintergrundinformationen zu den Unterrichtsvideos 3.2.1 Informationen zum Unterrichtsvideo und Transkript - Englisch Bei dem ausgewählten Unterrichtsvideo im Fach Englisch handelt es sich um den Ausschnitt aus einer Doppelstunde einer achten Gymnasialklasse. Englisch stellt die erste Fremdsprache der SchülerInnen dar. Zur Aktivierung zeigt der Lehrer (L1) ein Bild mit einem dunkelhaarigen jungen Mann, der mit einem Koffer in der Hand an einem Bahnhof steht. Die SchülerInnen spekulieren nun darüber, wo der Mann herkommt und was seine Absicht sein könnte. Im An‐ schluss verknüpft die Lehrperson das Bild mit dem Titel des Gedichts Dazwi‐ schen und erkundigt sich nach deren möglichen Zusammenhang. Diese Aufga‐ benstellung bearbeiten die SchülerInnen zunächst in PartnerInnenarbeit, bevor die Ideen im Plenum gesammelt werden. Schließlich richtet sich der Fokus auf den lyrischen Text. Im Plenum wird das Gedicht zunächst von einer Schülerin 125 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen 2 Der Transkriptionsschlüssel basiert auf Tesch (2019). Folgende Kürzel wurden ver‐ wendet: L(Nummer) = LehrerIn, SuS = SchülerInnen, Sm(Nummer) = Schüler männlich. auf Deutsch vorgelesen. Es folgt die Frage „Can you guess where the man in the poem comes from? “ vonseiten des Lehrers, woraufhin die Lernenden u. a. auf Syrien, die Türkei bzw. ein Land, in welchem Krieg herrscht, verweisen. Die ausgewählte Episode beginnt mit der Aufforderung der Lehrperson an die SchülerInnen, Verse aus dem Gedicht herauszusuchen, die etwas darüber aussagen, ob das lyrische Ich Deutschland mag oder nicht (vgl. Transkript 1 2 ). L1: mhm can you find lines [greift nach dem Arbeitsblatt, auf das das Gedicht gedruckt ist] in which he says something about whether he likes Germany or not. can you look. [legt das Arbeitsblatt wieder auf das Pult] (2) lines in which he says somethingdoes he like Germany or not. (7) have a look. [SuS schauen auf ihr Arbeitsblatt. L1 steht hinter dem Pult. Vereinzelt beginnen SuS, sich zu melden. (14)] L1: Sm2. Sm2: he says that he want to go home in his country but his new country be- (4) how can you say “hält mich fest”? L1: you can you can quote [deutet Anführungszeichen mit beiden Händen an]. du kannst zitieren oyou can just say äh he says äh Sm2: he says aber die neue Heimat hält mich fest. L1: [nickt] mhm. ok. Sm1: ( ) L1: the new home is keeping me here. ok? (2) Sm3. Sm3: he says aber bis Mittag gewöhn ich mich mehr an Deutschland. I think he like Germany [L1 nickt] but he want to go back to his own. L1: mhm. [läuft zur Tafelmitte] and now [unterstreicht das Wort “Dazwischen” an der Tafel] he likes Germany but he wants to 126 Annika Kreft / Britta Viebrock go back. [steht nun rechts neben dem Tafelanschrieb und deutet mit der rechten Hand nach oben] (2) [klopft an die Tafel] can you say somethinow [zeigt zu Sm2] what Sm2 said [deutet auf das Bild an der Tafel] can you say something about dazwischen, in between. [breitet beide Arme aus und führt die Zeigefinger zusammen und auseinander] Sm9. Sm9: he is in between äh in between of his new home and his old home. L1: yes, very good. ähm [beugt sich kurz über das Pult] so (3) ähm so the man also says he doesn’t really know who he is. he is in between! am I the person in my new home [gestikuliert mit beiden Händen und führt diese immer wieder unter der Brust zusammen] (.) in Germany or am I in my old home (.). why do you think people have such feelings? (6) [läuft zur rechten Tafelseite und beginnt zu schreiben] we had war. (2) Sm3. [läuft wieder zum Pult] Sm3: I think ththe people have äh are scared [L1 nickt] because the war but he remember of the good time [L1 nickt] in äh home. [L1 hält den Daumen hoch] L1: yes, very nice. [nickt] ähm so he’s a bit in between the two countries, in between the two homes. [wackelt mit seinen Zeigefingern nach links und nach rechts] Sm9. Sm9: he is at home where his family is [L1 nickt], not where his house stands. Transkript 1: Ausschnitt aus der Englischstunde der achten Klasse. 3.2.2 Informationen zum Unterrichtsvideo - Deutsch Bei dem ausgewählten Unterrichtsvideo aus dem Deutschunterricht handelt es sich um einen Ausschnitt aus einer Deutschstunde einer sechsten Gymnasial‐ klasse. Im Rahmen der Unterrichtseinheit „Was steht denn da? “ wurden ver‐ schiedene Gedichte und Kurzprosatexte (Fabel, Parabel) behandelt und deren Erschließung eingeübt. Dazwischen ist der letzte Text in der Reihe. Dem Unter‐ richtsausschnitt voran geht die Abschlussdiskussion zu einem Kurzprosatext. 127 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen Die Unterrichtsstunde zu Dazwischen beginnt mit der folgenden Aufgabestel‐ lung (schriftlich formuliert): Textprofis - ihr könnt es jetzt alleine wagen! Gehe dabei folgende Schritte: 1. Lies den Text einmal leise. 2. Überlege dir, was „gesagt“ wird. 3. Lies den Text nun als Textdetektiv und umstelle ihn mit deinen Anmer‐ kungen, Gedanken, Verbindungen usw. 4. Betrachte deine Aufzeichnungen und überlege dir, was auf der Seite des „Gemeinten“ zum Ausdruck kommt. In den Stunden zuvor wurden genau diese Schritte der Texterschließung ein‐ geübt. Die SchülerInnen haben 15 Minuten Zeit, sich entlang der Aufgaben mit dem Gedicht zu beschäftigen und auf das anschließende Gespräch über das „Gemeinte“ vorzubereiten. Der Lehrer (L2) eröffnet das Gespräch mit dem Im‐ puls: L2: ich bin gespannt was ihr herausgefunden habt. Ihr dürft jetzt loslegen (.) eure Gedanken zum Gemeinten ähm schildern. wenn ihr noch was zum Gesagten zu sagen habt könnt ihr das natürlich auch. wir machen das jetzt nicht mehr so (.) nach ähm Seiten getrennt. ihr könnt mit allem was ihr so entdeckt habt im Text starten. wer hat denn was im Text entdeckt? Die ersten SchülerInnen-Meldungen gehen in Anlehnung an das Ende von Te‐ kinays Gedicht („dem Kleiderschrank und dem Koffer, und dazwischen ist meine Welt“; 1989) auf die Unentschlossenheit des lyrischen Ichs ein: unentschlossen zwischen Gehen und Bleiben, dem immobilen, bodenständigen Kleiderschrank und dem flexiblen, wurzellosen Koffer (vgl. Tekinay 1989). 4 Auswertung und Diskussion der Analyseergebnisse - Fokus Englischdidaktik Exemplarisch wird im Rahmen der Analyse auf die Ergebnisse der insgesamt 58 Videovignettentests (je 29 Prä- und Post-Tests) der Englischstudierenden de‐ tailliert eingegangen. Vereinzelt werden zudem Verweise auf die Testergebnisse der Deutschstudierenden gemacht und Parallelen aufgezeigt. Die Analyse der Videovignettentests erfolgte mithilfe der qualitativen In‐ haltsanalyse nach Mayring (2015a; 2015b). Sie ermöglicht eine regel- und theo‐ riegeleitete Interpretation der Daten und stellt damit intersubjektive Nachvoll‐ ziehbarkeit sicher (vgl. Mayring 2015a). Im Rahmen der Analyse wurden 128 Annika Kreft / Britta Viebrock induktiv Kategorien aus den Tests abgeleitet. Im Mittelpunkt stand hierbei die Frage, was Lehramtsstudierenden der Fächer Englisch (und Deutsch) am litera‐ rischen Text Dazwischen sowie in den Unterrichtsvideos auffällt und wie sich dies in den einzelnen Schritten der Vier-Schritt-Analyse widerspiegelt. Die in‐ duktiven Kategorien wurden zunächst von den Autorinnen erarbeitet und an‐ schließend mithilfe von triangulativen Ansätzen (Forschertriangulation; Elsner & Viebrock 2015) auf ihre Plausibilität hin geprüft. Bei den Kategorien handelt es sich um „Identifikation und Perspektivenwechsel von SchülerInnen“, „Medi‐ ation als Schwierigkeit“, „Mündlichkeit: Beteiligung und Korrektheit“ sowie „Lenkung durch die Lehrperson - Verhinderung oder Initiierung von Bedeu‐ tungsaushandlung? “, welche im Folgenden genauer erläutert werden. Zunächst sei jedoch übergreifend vorwegzunehmen, dass sich unterschied‐ liche Herangehensweisen der teilnehmenden Studierenden an den Videovig‐ nettentest unabhängig von dem jeweiligen Studienfach herauskristallisierten. Dazu gehören a) Studierende, die von Anfang an wertend interpretieren, anstatt auf möglichst wertfreie Beschreibungen zurückzugreifen, b) Studierende, die in ihren Ausführungen ausschließlich auf beschreibender Ebene bleiben und c) vereinzelt Studierende, die ausgehend von Beschreibungen das Verhalten der AkteurInnen rekonstruieren und vergleichsweise sachlich argumentieren. Es kommt teilweise zur inhaltlichen Vermischung der einzelnen Schritte der Vier-Schritt-Methode, insbesondere bei der Beschreibung und Analyse des Ver‐ haltens der SchülerInnen (Aufgabe 2) und der / m LehrerIn (Aufgabe 3), da deren Interaktionen sich häufig gegenseitig bedingen. In diesen Fällen ist die Argu‐ mentation meist nicht stringent und weist häufiger redundante Passagen auf. Des Weiteren verzichten die teilnehmenden Studierenden in den Prä-Tests überwiegend auf Fachbegriffe, Bezüge zu theoretischen Konzepten und Mo‐ dellen, während sie in den Post-Test auffällig häufig versuchen, jene in den Analysetext einzubinden. In den studentischen Ausführungen der Prä-Tests überwiegt zudem die Fokussierung auf formal-ästhetische Aspekte des literari‐ schen Texts wie beispielweise die Gedichtsform oder rhetorische Mittel, vor deren Hintergrund dann die Unterrichtsvideos interpretiert werden. In den Analysen der Post-Tests werden stärker inhaltliche Textaspekte in den Blick genommen. 4.1 Identifikation und Perspektivenwechsel von SchülerInnen Über die Frage, inwieweit sich die SchülerInnen mit dem lyrischen Ich identifi‐ zieren können, herrschen unter den Englischstudierenden geteilte Meinungen vor. So vertreten einige Studierende die Position, dass die SchülerInnen der achten Klasse die Situation der Zerrissenheit gut kennen, da sie sich in der Pu‐ 129 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen bertät befänden, also einer Phase der Selbstfindung, welche mit Irritation und Spannungsgefühlen einhergehe (vgl. p1, Prä). Manche der befragten Studierenden lehnen eine solche Position hingegen strikt ab, denn ihrer Meinung nach seien Achtklässler noch zu jung für derartige Identitätskrisen, wie sie das lyrische Ich durchlebe. So sieht es beispielsweise p2 (Prä): [In] Klasse 8 sind viele jüngere Schüler und das Gedicht geht hauptsächlich um das Thema Heimweh. Schüler waren nicht oft länger von ihrer „Heimat“ entfernt[,] des‐ wegen könnten sie mit dem lyrischen Ich in dem Gedicht nicht dieselben Gefühle teilen. Das lyrische Ich geht auch durch eine Identitätskrise in der dritten Strophe. Jüngere Schüler haben diese nicht, stellen sich keine Fragen „wer bin ich“ oder „wie wird meine Zukunft aussehen. Auch wenn die Studierenden in den Prä- und Post-Tests überwiegend angeben, dass der literarische Text Identifikationsmöglichkeiten für die SchülerInnen biete, so finden sich auch noch in den Post-Tests vereinzelt strikt ablehnende Haltungen wieder. Skeptisch betrachtet ein Großteil der Befragten den Aspekt der subjektiven Involviertheit (vgl. Winkler 2015) hinsichtlich des Gedichts: „The discussion re‐ volves mainly about the persona’s potential and background situation than about the way he / she feels and deals with the situation at the moment. They are not personally involved with the text but remain on an abstract distant level of reading the text“ (p3, Post). In diesem Zusammenhang bezeichnet p4 (Prä) die SuS „eher [als] außenstehende Beobachter [denn] als involvierte selbst-reflek‐ tierende Kritiker“. Bei der Diskussion von Identifikationsmöglichkeiten und subjektiver Invol‐ viertheit setzen die Studierenden kulturelle Bezüge, die insbesondere in den Prä-Tests häufig Gegenüberstellungen von nationenbasierten Auffassungen von Kultur darstellen und an ein bereits abgelöstes Interkulturalitätskonzept erin‐ nern, welches auf dem Vergleich von Kulturen als Nationen beruht (vgl. hierzu Byram 1997). Dabei finden ausdrucksstarke Formulierungen Anwendung wie beispielsweise „das Gefangensein zwischen zwei Kulturen/ Welten“ (p5, Prä). Es fällt auf, dass in den Post-Tests tentativere Formulierungen verwendet und be‐ wusster zwischen den Konzepten der Interkulturalität und Transkulturalität differenziert wird. Vereinzelt verweisen Studierende darin auf das Model of Interand Trancultural Communicative Competence (I / TCC ; vgl. Blell & Doff 2014) und skizzieren Anschlussmöglichkeiten zwischen den Dimensionen des Modells und dem literarischen Text. Bei Letzterem steht vor allem das Bewusstmachen der Durchlässigkeit von Grenzen oder Grenzauflösungen im Mittelpunkt. 130 Annika Kreft / Britta Viebrock Allerdings werden auch in den Post-Tests Kulturen hauptsächlich mit Nati‐ onen gleichgesetzt. Nur bei dem Verweis auf Identitätsentwürfe kommen Stu‐ dierende in ihren Analysen weg von dichotomisierenden Beschreibungen und hin zu durchlässigeren Auffassungen: „[…] Sm9 provides a contribution that moves away from a cultural understanding of countries and borders and ack‐ nowledges an individual cultural identity which is shaped by the environmental influences rather than specific locations.“ (p4, Post). Ferner verweist p3 (Post) auf den Prozess der Entwicklung einer hybrid identitiy, welcher durch den lite‐ rarischen Text sichtbar werde: „The text is also a starting point for discussion and negotiations of a hybrid identity formation as it includes various aspects of belonging.“ 4.2 Mediation als Schwierigkeit Die Tatsache, dass ein Gedicht in deutscher Sprache im Englischunterricht ein‐ gesetzt wird, ruft in den Prä-Tests kontroverse Meinungen bis Irritation unter den Studierenden hervor: „[The teacher] uses a German poem for an English class which seems rather unsual.“ (p4, Prä). Mediation als fünfte der Fähigkeiten und Fertigkeiten, die es im Englischunterricht zu fördern gilt (vgl. KMK 2012), wird hier nicht hinzugezogen. Stattdessen werden die Übersetzung und Verba‐ lisierung der eigenen Gedanken zum deutschen Gedicht in die Fremdsprache Englisch problematisiert: „Verstehen ist nicht das Problem, jedoch Gedanken in [der] Fremdsprache auszudrücken.“ (p5, Prä). P6 (Prä) formuliert jene Gegen‐ überstellung von Verstehen und Ausdruck noch einmal drastischer: „Verständnis wirkt größer als Ausdrucksmöglichkeiten“. Die Ausführungen der Studierenden erinnern an das Konzept des monolin‐ gualen Habitus (vgl. Gogolin 1994), welches Einsprachigkeit betont. Zweispra‐ chigkeit oder Mehrsprachigkeit im Fremdsprachenunterricht heben einige der Studierenden als Herausforderungen hervor, die häufig mit Problemen assozi‐ iert werden: „Zweisprachigkeit scheint einige Probleme bei der Diskussion zu verursachen, da die Schüler ein deutsches Gedicht auf Englisch besprechen sollen. Dies ist sicherlich auch für Fortgeschrittene schwierig“ (p3, Prä). Auffal‐ lend ist, dass in den Prä-Tests in keiner der Analysen auf mögliche Potenziale von Zweisprachigkeit und Mediation hingewiesen wird. In den Post-Tests spielt die in den Prä-Tests geschilderte Problematik hin‐ sichtlich der Zweisprachigkeit der Unterrichtssituation keine Rolle mehr. Ein Studierender geht hingegen auf die Besonderheiten von Mediation für den Eng‐ lischunterricht ein und grenzt sie ab von einer reinen Übersetzungstätigkeit: „[It is about] keeping students from mere translation which is different from medi‐ ation. […] The main objective […] will therefore be mediation of the meaning 131 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen and formal characteristics and their discussion in the English language“ (p7, Post). 4.3 Mündlichkeit: Beteiligung und Korrektheit Die mündliche Beteiligung im Rahmen des gezeigten Unterrichtsvideos wertet der Großteil der Studierenden in seinen Ausführungen als Indiz für Textver‐ stehen. Melden sich nur wenige SchülerInnen in dem Video, so schließen die Studierenden vor allem in den Prä-Tests überwiegend auf Probleme beim Text‐ verständnis. Es wird damit von sichtbaren Makrostrukturen in den Videos au‐ tomatisch auf kognitive Verstehensprozesse geschlossen. Daher werden im Prä-Test insbesondere solche alternativen Methoden und Aufgabenszenarios vorgeschlagen, welche die mündliche Beteiligung der SchülerInnen verbessern sollen wie beispielsweise vorgeschaltete Austauschphasen in PartnerInnenar‐ beit. In den Post-Tests verweisen Studierende analog zum Prä-Test auf metho‐ dische Alternativen zur Anregung der mündlichen Beteiligung aller Schüler‐ Innen. Allerdings nennen sie hier konkrete Beispiele wie Think-Pair-Share-Verfahren, zum Beispiel in Gestalt der fishbowl-Methode (vgl. Bonnet, Decke-Cornill & Hericks 2010; Mattes 2011), oder Task-Based Lang‐ uage-Szenarien (vgl. Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2005). In den Post-Tests ist zudem eine detailliertere Analyse der Lehrer- Innen-SchülerInnen-Interaktionen auffallend, welche unter Verwendung von einschlägigem Fachvokabular interpretiert und u. a. mit Bezug auf die mündliche Beteiligung der SchülerInnen evaluiert werden. Wenn die Gesprächsform be‐ schrieben wird, so weisen die Studierenden darauf hin, dass es sich um ein fra‐ gend-entwickelndes Unterrichtsgespräch handele und stellen dieses in ihren Ausführungen häufig dem literarischen Gespräch gegenüber (vgl. hierzu u. a. Bräuer 2011; Brüggemann, Frederking, Albrecht, Drewes, Henschel & Gölitz 2015). Entsprechend handele es sich um das Interaktionsschema Initiation - Reply - Evaluation (vgl. Bredel & Pieper 2015), was durch den Lehrer gesteuert sei und zusätzlich seine Redezeit drastisch erhöhe (vgl. p7, Post). Im literarischen Gespräch sehen einige Englischstudierende eine Möglichkeit, einen Großteil der SchülerInnen zu involvieren und zu Wort kommen zu lassen. Darüber hinaus thematisieren die Studierenden im Hinblick auf Mündlichkeit im Englischunterricht den Umgang mit sprachlicher Korrektheit bzw. mit Feh‐ lern in mündlich geäußerten SchülerInnenbeiträgen. In einigen Analysen wird als positiv hervorgehoben, dass in der Unterrichtsinteraktion Sprechflüssigkeit im Vordergrund stehe (fluency before accuracy; vgl. Brookhart 2004) und Ver‐ besserungen lediglich auf implizite Weise wie dem Lehrerecho stattfänden. 132 Annika Kreft / Britta Viebrock 4.4 Lenkung durch die Lehrperson - Verhinderung oder Initiierung von Bedeutungsaushandlung? Sowohl in den Präals auch Post-Tests weisen die Studierenden auf die Lenkung der Unterrichtsinteraktion durch den Lehrer hin. Dabei bilden neutrale bis po‐ sitive Formulierungen, wie die von p8 (Prä), eher eine Ausnahme: „Er leitet den Unterricht anhand von generellen Fragen, sodass sich die Schüler auf das We‐ sentliche konzentrieren können.“ Vielmehr formulieren die Englischstudierenden den Wunsch nach weniger Lenkung und Vorweggreifen von Ideen durch den Lehrer. So merkt p9 (Prä) an: „Er hat versucht, in die richtige Richtung zu lenken. An der Stelle, an der er 'war' an die Tafel geschrieben hat, fand ich das bisschen unpassend und sehr weit gedacht.“ P10 (Prä) geht in ihren Ausführungen noch einen Schritt weiter, indem sie betont, dass sie „das Gespräch sehr gelenkt [finde], der Lehrer stellt explizite Fragen, um auf eine bestimmte Antwort/ Lösung zu kommen. Es findet kein richtiges Gespräch statt“. Die SuS seien durch die Leitfragen in eine bestimmte Richtung „geschubst“ worden (vgl. p1, Post). Die Rolle der SchülerInnen sieht der überwiegende Teil der Studierenden als doing pupil an, also als eine Art routiniertes Abarbeiten der lehrerInnenseitig gestellten Fragen und dem Finden der ‚richtigen‘ Antwort, was auch als ‚Schü‐ lerjob‘ bezeichnet wird (vgl. Breidenstein 2006; Martens & Vanderbeke 2019; Kreft 2020). Hervorgerufen werde dies durch die Lenkung des Lehrers. Das strikte, lehrerInnenzentrierte Interaktionsschema lasse keine tiefgreifenden Be‐ deutungsaushandlungsprozesse zu bzw. unterdrücke diese: „[S]tudents only think about the teacher’s question“ (p11, Post). Darüber hinaus weist p7 in seinem Post-Test ebenfalls auf ein routiniertes Abarbeiten vonseiten der Leh‐ rerInnen hin, was er als doing teacher bezeichnet und was seiner Meinung nach ebenfalls Bedeutungsaushandlung unterdrücke. Interessant ist hier insgesamt, dass sich die Studierenden in ihren Analysen ausschließlich auf die verbalen Interaktionen von LehrerIn und SchülerInnen beziehen. Ein Einbezug bzw. eine Interpretation von räumlichen Positionierungen, Körperhaltungen oder Gesten der AkteurInnen, welche insbesondere durch das Videoformat zugänglich werden und welche Dynamiken und Lenkungsprozesse ebenfalls verdeutlichen können, findet nicht statt. 5 Fazit Die Analyseergebnisse verdeutlichen, dass für Studierende die Wahrnehmung fachdidaktischer Unterrichtsprozesse in den Videos herausfordernd ist. Jene Prozesse sind häufig nicht auf den ersten Blick erfassbar bzw. sichtbar oder 133 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen werden von anderen (allgemeinpädagogischen) Unterrichtsprozessen wie bei‐ spielsweise classroom management, SchülerInnenbeteiligung und Sozialform‐ wechseln überlagert. Umso wichtiger erscheint hier der Rückgriff auf ein digi‐ tales Seminarsetting im blended learning-Format, welches es Studierenden ermöglicht, sich individuell und in ihrem eigenen Tempo (mehrmaliges An‐ schauen; vor- und zurückspulen) mit dem zu untersuchenden Unterrichtvideo im Rahmen von digitalen Lerneinheiten auseinanderzusetzen. Vor diesem Hin‐ tergrund bildet ein kleinschrittiges Videoanalyseverfahren, welches die Stu‐ dierenden gezielt an die unterrichtlichen AkteurInnen heranführt und während des Seminars sowohl in Präsenz als auch digital wiederholt eingeübt wird, die Basis für die Identifikation fachdidaktischer Unterrichtsprozesse. Ohne die strukturellen Vorgaben der Vier-Schritt-Analysen verloren sich die Studier‐ enden häufig in ihren Analysen. Dabei sprangen sie zwischen verschiedenen Aspekten und Ebenen und waren nicht in der Lage, sich persönlich zu distan‐ zieren und zunächst weitgehend wertfrei zu argumentieren. Mithilfe der Vier-Schritt-Analyse können der Lerngegenstand (hier der literarische Text), die schülerInnenseitigen Lernprozesse und Verstehensfortschritte sowie die Qua‐ lität des Gesprächsverhaltens und der gestellten Aufgaben auf LehrerInnenseite von den Studierenden differenziert wahrgenommen und in einem nächsten Schritt theoriebasiert eingeordnet sowie kritisch reflektiert werden. In Einzel‐ fällen führte die Auseinandersetzung mit den digitalen Lerneinheiten sowie die Beschreibung der videografierten Unterrichtsprozesse zu selbstreflexiven Mo‐ menten, wobei Studierende ihre eigenen Analysen inhaltlich und sprachlich evaluierten sowie ihr eigenes Rollenverständnis von einer / m LehrerIn hinter‐ fragten. So merkte bspw. p4 (Post) an, dass es immer leicht sei, eine / n LehrerIn und deren/ dessen Unterricht von ,außen‘ zu kritisieren, weil man viel mehr sehe als die/ der LehrerIn selbst. Man müsse sich daher immer auch in die Lage der Lehrenden und deren Schwierigkeiten versetzen. Abschließend empfiehlt es sich für die Durchführung und Etablierung der digitalen Lehr-/ Lernformate, den Umfang der Lerneinheiten sowie die Länge der darin inkludierten Unterrichtsvideos nach jedem Bearbeitungsdurchgang durch die Studierenden und die Lehrenden zu evaluieren. Die Bearbeitungs‐ dauer der Lerneinheiten in dem vorgestellten interdisziplinären Seminar stellte sich insbesondere in der Anfangsphase häufig als umfangreicher heraus als vorab von den Lehrenden angenommen, da sich die SeminarteilnehmerInnen zunächst an die Bearbeitung von Videoausschnitten gewöhnen mussten. Die Gewährleistung einer Einarbeitungsphase ist essenziell, wenn die Bearbeitung der Lerneinheiten nachhaltige Erträge liefern sollen. 134 Annika Kreft / Britta Viebrock Literatur Baumgartner, Eric, Bell, Philip, Brophy, Sean, Hoadley, Christopher, Hsi, Sherry, Joseph, Diana & Orrill, Chandra (…) (2003). Design-Based Research: An Emerging Paradigm for Educational Inquiry. Educational Researcher, 32, 5-8. 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Zeitschrift für Literalität in Schule und Forschung, 2(2), 155-168. 137 Mit der Vier-Schritt-Analyse Videosequenzen untersuchen Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen angehender Englischlehrkräfte in digitalen Lernumgebungen fördern Heike Niesen / Daniela Elsner Im Zentrum des Beitrags steht die Förderung mehrsprachigkeitssensitiver, professioneller Wahrnehmungs- und Handlungskompetenzen angehender Englischlehrkräfte. Besonderes Augenmerk liegt auf der bei Studierenden anzubahnenden Fähigkeit, sowohl wahrgenommene Unterrichtsszenarien als auch unterrichtliche Handlungsoptionen mit theoretischen Aspekten der ak‐ tuellen Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik zu verknüpfen. Zur Er‐ reichung dieses Ziels werden die Potenziale dreier universitärer Lehr-/ Lern‐ szenarien ausgelotet, die ihrerseits unterschiedliche Grade an Digitalisierung aufweisen (traditionelles Format, Flipped Classroom Format, Enriched Virtual Model Format). Die Eruierung der Potenziale erfolgte anhand inhaltsanalyti‐ scher Auswertungen studentischer Aufgabenbearbeitungen. Fragebogenba‐ sierte Gestaltungsempfehlungen zur Konzipierung der untersuchten Lehr-/ Lernszenarien runden die Betrachtungen ab. 1 Einführung Die Relevanz der Förderung mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Kom‐ petenzen angehender Fremdsprachenlehrkräfte ergibt sich nicht nur aus der sprachlichen Heterogenität der Schülerschaft (Tracy 2014), sondern auch aus der bildungspolitisch anvisierten „Förderung der Mehrsprachigkeit als Reaktion auf die linguistische und kulturelle Vielfalt Europas“ (Europarat 2001: 12). Wird zudem die Mehrsprachigkeit von Lernenden auf unterrichtspraktischer Ebene sowohl als Voraussetzung als auch als Ziel von Unterricht begriffen (Fürstenau 2011), so liegen die damit einhergehenden Anforderungen an angehende und praktizierende (Fremdsprachen-)Lehrkräfte auf der Hand: Sie müssen mit den einschlägigen Modellen und Hypothesen der Mehrsprachigkeitsforschung vertraut sein, ebenso wie mit den daraus resultierenden mehrsprachigkeitsdidak‐ 1 Letztere sind im Projekt LEVEL - „Lehrerbildung vernetzt entwickeln“ der Goethe Universität Frankfurt, sowie in dessen Anschlussprojekt “The Next Level“, beide im Rahmen der Qualitätsoffensive Lehrerbildung vom BMBF gefördert, angesiedelt (LEVEL: FKZ 01JA1519, 2015-2018; The Next Level: FKZ 01JA1819, 2019-2021). tischen Ansätzen. Basierend auf diesem Wissen müssen Lehrkräfte befähigt werden, Unterrichtssituationen wahrzunehmen, die mehrsprachigkeitssensi‐ tives Handeln einfordern. Dieses Handeln ist zum einen darauf auszurichten, dass es die mehrsprachige Kompetenz der Lernenden, verstanden als „kommu‐ nikative Kompetenz, zu der alle Sprachkenntnisse und Spracherfahrungen bei‐ tragen und in der die Sprachen miteinander in Beziehung stehen und inter‐ agieren (Europarat 2001: 17), fördert. Zum anderen darf mehrsprachigkeitssensitives Handeln jedoch auch nicht die Förderung der ziel‐ sprachlichen Kompetenz (hier: Englisch) aus dem Blick verlieren. Es ist schnell ersichtlich, dass diese Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz hohe Anfor‐ derungen an Lehrkräfte stellt. Aus diesem Grund ist eine systematische Profes‐ sionalisierung zur Herausbildung dieser Kompetenzen idealerweise bereits ab der ersten Phase der LehrerInnenbildung anzustreben. An dieser Stelle setzt der vorliegende Beitrag an. Zunächst erfolgt eine Definition mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Kompetenzen. Im Anschluss werden bereits bekannte Maßnahmen zusammen‐ geführt, die der Förderung dieser Kompetenzen dienen. Hierbei finden sowohl aus der Forschungsliteratur bekannte, als auch selbst durchgeführte Maß‐ nahmen, v. a. der Einsatz von Aufgaben zur Analyse von Unterrichtsvideos, Be‐ rücksichtigung. 1 In einem weiteren Schritt wird eine spezifische Herausforde‐ rung bei der Förderung der angestrebten Kompetenzen herausgestellt, die sich im Zuge bereits durchgeführter Untersuchungen universitärer Lehr-/ Lernver‐ anstaltungen herauskristallisiert hat: die Fähigkeit angehender Lehrkräfte, wahrgenommene Unterrichtssituationen mit theoretischen Aspekten der Mehr‐ sprachigkeitsforschung und -didaktik zu verknüpfen, sowie unterrichtsprakti‐ sche Handlungsoptionen theoriebasiert zu erläutern. Auch die wiederholte Op‐ timierung der bisher eingesetzten Maßnahmen, insbesondere der Aufgaben, die zur Verzahnung theoretischer mit praktischen Aspekten aufforderten, führte nicht zu einer Überwindung dieser Herausforderungen. Hieraus entstand die Annahme, dass das weitestgehend analog gestaltete, traditionelle Lehr-/ Lern‐ format, das den Kontext zur Bearbeitung der Aufgaben bildete, die angestrebte Theorie-Praxis Verknüpfung erschwert, vor allem, da es wenig Raum zu kolle‐ gialen Aushandlungsprozessen und einer schrittweisen, vertieften Auseinan‐ dersetzung mit der Thematik bietet. Aus diesem Grund wurde die Lehr-/ Lern‐ veranstaltung zur Förderung mehrsprachigkeitssensitiver professioneller 140 Heike Niesen / Daniela Elsner 2 Ausnahmen bilden das Projekt FALKO-E (Kirchhoff 2017) sowie einschlägige KMK Vorschriften (KMK 2018). Kompetenzen im Sommersemester 2019 in drei Formaten angeboten, die ein jeweils unterschiedliches Maß an Digitalisierung aufwiesen: das der traditio‐ nellen Lehre, das des Flipped Classroom und das des Enriched Virtual Formats (Handke & Schäfer 2012; Christensen, Horn & Staker 2012). Auswertungen stu‐ dentischer Aufgabenbearbeitungen in den Formaten sowie zum Ende des Se‐ minars durchgeführte Befragungen zeigen, dass jedes Format spezifische Po‐ tenziale zur Bearbeitung von Aufgaben aufweist, die eine theoretische Fundierung von Wahrnehmung und Handeln verlangen. Es lassen sich Hinweise bezüglich einer effektiven Konzipierung der Formate identifizieren, die sowohl für weitergehende Untersuchungen, als auch für eine Optimierung der univer‐ sitären LehrerInnenbildung anschlussfähig gemacht werden. 2 Förderung mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Kompetenzen - Erkenntnisse, Erfahrungen und Annahmen 2.1 Mehrsprachigkeitssensitive professionelle Wahrnehmungs- und Handlungskompetenzen Bestehende Modellierungen und Definitionen professioneller Wahrnehmungs- und Handlungskompetenzen von Lehrkräften sind stark bildungswissenschaft‐ lich und (allgemein-)pädagogisch geprägt (z. B. Baumert & Kunter 2006). Fach‐ spezifische Ausdifferenzierungen finden sich meist nur für den mathematisch-naturwissenschaftlichen Bereich (z. B. Sherin & van Es 2009). 2 Eine domänenspezifische Modellierung mehrsprachigkeitssensitiver professio‐ neller Kompetenzen für Fremdsprachenlehrkräfte findet sich nicht. Aus diesem Grund wurden bereits in vorherigen Arbeiten theoretisch abgeleitete, fach- (Fremdsprachenunterricht Englisch) und aspektspezifische (mehrsprachigkeits‐ sensitiv) Arbeitsdefinitionen vorgelegt (Niesen 2018a, 2019). Maßgeblich für die theoretische Ableitung dieser Definitionen waren im Falle der professionellen Wahrnehmungskompetenz das Konzept der „Professional Vision“ nach Goodwin (1994) sowie die Fassung „professionaler Wahrnehmungskompetenz“ (einschließlich der Komponenten „noticing“ und „knowledge-based reasoning“) nach Sherin und Han (2004), Sherin und van Es (2009) sowie Seidel, Stürmer, Blomberg, Kobarg & Schwindt (2011). Die darauf basierende Arbeits‐ definition mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Wahrnehmungskompe‐ tenz sei hier nochmals aufgeführt. Sie meint 141 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen die didaktische Fähigkeit, Unterrichtssituationen […] zu erkennen, die adaptives Lehrer(innen)handeln im Sinne der Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik nahe‐ legen. Diese Situationen sollen sodann daraufhin analysiert und bewertet werden können, inwieweit die jeweilige Lehrperson mehrsprachigkeitssensitiv handelt, um gegebenenfalls Handlungsalternativen zu entwickeln (Niesen 2019: 140). Die Arbeitsdefinition mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Handlungs‐ kompetenz wurde theoretisch abgeleitet von bestehenden Modellierungen pro‐ fessioneller Handlungskompetenz von Lehrkräften. Insbesondere wurde Bezug genommen auf Shulmans „subject matter knowledge for teaching“ und den damit einhergehenden Konzepten der „adaption“ und des „tailoring“ (Shulman 1986: 9, 17), der Wissens- und der Könnensdimension nach Baumert und Kunter (2006) sowie spezifische Wissensdimensionen aus den Arbeiten von Blömeke, Bremerich-Vos, Haudeck, Kaiser, Nold, Schwippert & Willenberg (2011) und Krauss, Lindl, Schilcher, Fricke, Göhring, Hofmann, Kirchhoff & Mulder (2017). Die Arbeitsdefinition meint „die didaktische Fähigkeit, verschiedene Hand‐ lungsoptionen auf die sprachlichen Lernvoraussetzungen der Lernenden hin zu prüfen und lernzielorientiert anzuführen“ (Niesen 2018a: 123). Aus professionstheoretischer Sicht vereint diese Arbeitsdefinition kompe‐ tenzorientierte und strukturtheoretische Ansätze, geht es doch zum einen um die Förderung einer Kompetenz (hier: mehrsprachigkeitssensitiv), die sich nach‐ weislich positiv auf die Lernerfolge von Lernenden auswirken kann (z. B. Göbel & Vieluf 2014), und zum anderen um die Förderung des professionellen Umgangs mit der Antinomie „Person des Schülers versus Anspruch der Lern-Sachen“ (Terhart 2011: 206). Letztere schlägt sich in der bereits angeführten zweifachen Ausrichtung mehrsprachigkeitssensitiven Handelns auf die Berücksichtigung der sprachlichen Heterogenität der Lernenden einerseits und der Förderung zielsprachlicher Kompetenzen andererseits nieder. 2.2 Maßnahmen zur Förderung mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Kompetenzen und Herausforderungen Ein Blick in die Forschungsliteratur um die Förderung lehrerseitiger professio‐ neller Kompetenzen zeigt, dass der Einsatz verschiedenster Arten von Unter‐ richtsvideos hier einen festen Platz hat. Sie werden als „Referenzobjekte“ (Schramm & Bechtel 2019: 4) ebenso eingesetzt wie als „komplexitätsbewah‐ rende[s] Medium“, das eine Vielzahl an „Beobachtungsmöglichkeiten“ (Herrle, Rauin & Engartner 2015: 10) bereithält. Die Potenziale, die der Einsatz von Un‐ terrichtsvideos zur Schulung spezifischerer Kompetenzen, wie die der professi‐ onellen Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz hat, wurden ebenfalls viel‐ 142 Heike Niesen / Daniela Elsner fach herausgestellt (z. B. Sonnleitner, Prock, Rank & Kirchhoff 2018; Viebrock 2018; Wipperfürth 2015). Auf diesen Erkenntnissen basierend wurden videobasierte Lehr-/ Lernsettings für angehende Englischlehrkräfte an der Goethe Universität Frankfurt konzi‐ piert, duchgeführt und evaluiert. Neben dem Einsatz von differenzierten Be‐ obachtungsrastern zur Analyse von Unterrichtsvideos hinsichtlich ihrer Mehr‐ sprachigkeitssensitivität, Role Cards zur Initiierung der Gestaltung von mehrsprachigkeitssensitiven Handlungsoptionen, sowie der Arbeit an Fallvig‐ netten (Niesen 2017, 2018a, 2019) erwies sich der Einsatz von Lern- und Übungs‐ aufgaben (Christ 2006) als zielführend. Bei der Konzeption dieser Aufgaben, die an ein Unterrichtsvideo gebunden waren, wurden die Qualitätskriterien der „Passung“, „Relevanz“, „Effizienz“ und „Verständlichkeit“ (Portmann-Tselikas 2006: 183) berücksichtigt. Mit anderen Worten: Die Aufgaben waren an den je‐ weiligen Wissensständen der Studierenden im Bereich Mehrprachigkeitsensi‐ tivität angepasst, wiesen eine unmittelbare, für die im Video gezeigten unter‐ richtspraktischen Situationen Relevanz auf, wurden hinsichtlich ihrer Ziele transparent gemacht und forderten die stete Verknüpfung theoretischer mit praktischen Aspekten ein, und zwar auf einem Kontinuum von expliziten bis hin zu impliziten Aufforderungen. Ein Beispiel findet sich in Kasten 1. Identify scenes in the video which show that pupils’ linguistic heterogeneity is valued and included in the EFL learning process. What is the theoretical background behind the teacher’s actions these scenes? E.g.: In minute … the teacher says … which shows that he sticks to the “monolingual habitus“ (Gogolin 1994) Kasten 1: Beispiel für eine Aufgabe zur Schulung mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Wahrnehmungskompetenz (Wintersemester 2016 / 2017) Zwar waren zahlreiche Studierende in der Lage, potenziell mehrsprachig‐ keits-relevante Unterrichtsszenen zu identifizieren (“noticing”). Eine Verknüp‐ fung mit theoretischen Aspekten, (im untenstehenden Beispiel fett gedruckt) der Mehrsprachigkeitsforschung und -didaktik (“link to prior know‐ ledge”/ “knowledge-based-reasoning”) blieb jedoch bei einem Großteil der stu‐ dentischen Aufgabenbearbeitungen weitestgehend aus (siehe Beispiel 1): 143 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen Studentische Bearbeitung der Aufgabe, Beispiel 1 p1: Marino talks about Spanish words. The teacher does not notice it. An opportunity to compare languages is missed. The pupils who sit next to Marino might benefit, the others not. Es fanden sich jedoch ebenfalls, wenn auch nicht überwiegend, studentische Aufgabenbearbeitungen, deren Verknüpfung von Theorie und Praxis denen des Erwartungshorizontes in hohem Maße entsprach (siehe Beispiel 2): Studentische Bearbeitung der Aufgabe, Beispiel 2 p2: Marino uses the Spanish terms ‚amigo‘ and ‚escuela‘ during the discussion. The teacher allows for other languages than the „Umgebungssprache“ to construct mea‐ ning and enhance pupils’ semantic networks by addressing their multilingual skills. He accepts pupils’ L1s as supporter languages and redirects the discussion to English. So multilingualism is a goal and a tool here. Die Einhaltung der o.a. Qualitätskriterien bei der Aufgabenentwicklung und die Tatsache, dass einige (wenige) studentische Bearbeitungen dieser Aufgaben durchaus die angestrebten Theorie-Praxis Verknüpfungen enthielten, führten zu der Annahme, dass das weitestgehend analog gestaltete, traditionelle Lehr-/ Lernformat der untersuchten Seminare die Bedarfe der Studierenden (z. B. Zeit zur vertieften Auseinandersetzung mit den Inhalten, Aushandlungen mit peers) bei der Aufgabenbearbeitung nicht ausreichend erfüllt. Alternative Lehr-/ Lern‐ szenarien im Blended Learning Format, verstanden als formal education program in which a student learns at least in part through online learning with some element of student control over time, place, path, and / or pace and at least in part at a supervised brick-and-mortar location away from home (Chris‐ tensen et al. 2012: 7), erscheinen hier sinnvoll, weil sie zu selbstgesteuertem Lernen ebenso anregen wie die dafür notwendige Zeit zur Verfügung stellen. Zu ihnen wird der Flipped Classroom gezählt, in dem Lerninhalte in Vorbereitung auf eine Präsenzsitzung selbständig erschlossen werden. Entsprechende Texte und Materialien werden hierzu digital zur Verfügung gestellt. In einer sich anschließenden Präsenzsit‐ zung kann das erworbene Wissen dann anhand von Anwendungsaufgaben ver‐ tieft werden. Eine Wissensvermittlung zu Beginn einer Sitzung durch Dozie‐ rende wie im traditionellen Lehr-/ Lernformat erfolgt nicht (Arnold, Kilian, Thillosen & Zimmer 2018). 144 Heike Niesen / Daniela Elsner Während sich im Flipped Classroom noch viele Elemente des traditionellen Lehr-/ Lernformates finden lassen, ist dies beim Enriched Virtual Format nur noch in sehr geringem Maße der Fall: The Enriched Virtual model […] allows students to complete the majority of course‐ work online at home or outside of school […]. Unlike the Flipped Classroom, Enriched Virtual programs usually don’t require daily school attendance. […]. The required face-to-face time within this model typically serves two main purposes: 1) enrich students’ learning experiences with group-based work or teacher-led instruction […] and 2) hold students accountable via regular in-person check-ins with their teachers and advisor(s) (Clayton Christensen Institute 2019: n.p.). Die Vorzüge solcher digitalisierter Formate wurden ebenfalls bereits im Zusam‐ menhang mit der Arbeit an Aufgaben herausgestellt, insbesondere hinsichtlich unmittelbaren Feedbacks anhand von „Musterlösungen“ (Arnold et al. 2018: 136). Zur Auslotung des Potenzials der verschiedenen Formate zur Förderung mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Wahnehmungs- und Handlungs‐ kompetenzen angehender Englischlehrkräfte wurden im Sommersemester 2019 sowohl das traditionelle Lehrformat, der Flipped Classroom als auch das Enriched Virtual Format in eine LEVEL -Lehrveranstaltung an der Goethe Universität Frankfurt integriert. Die Wahl ebendieser Formate erfolgte aus dem Anliegen, ein möglichst breites Band von traditionell geprägten bis hin zu hybriden, un‐ terschiedliche Maße an Digitalisierung aufweisende, Lehr-/ Lernszenarien einer Prüfung zu unterziehen. 3 Gestaltung der Formate mit digitalen Elementen 3.1 Traditionelles Lehr-/ Lernformat Die inhaltliche Ausrichtung der im traditionellen Format abgehaltenen Sitzung umfasste die Förderung von „Sprachbewusstheit“ durch kontrastive Sprachar‐ beit im Englischunterricht sprachlich heterogener Lerngruppen (Elsner 2015; Schnuch 2015). Nach einem der transmissiven Wissensvermittlung verplich‐ teten Lehrvortrag durch die Dozentin erhielten die Studierenden Aufgaben zur Schulung ihrer professionellen, mehrsprachigkeitssensitiven Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz (im Folgenden PWK und PHK ). Sämtliche Aufgaben bezogen sich auf ein Unterrichtsvideo, auf das die Studierenden während der Sitzung mit Hilfe einer digitalen Plattform Zugriff hatten. Da darüber hinaus keine digitalen Elemente eingesetzt wurden, kann hier lediglich von einer „An‐ 145 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen reicherung“ (Arnold et al. 2018: 141) der Lehr-Lernumgebung durch digitale Elemente gesprochen werden. Zu dem eingesetzten Unterrichtsvideo erhielten die Studierenden Hinter‐ grundinformationen zu den Sprachprofilen der SchülerInnen, ebenso wie ein Transkript der zu analysierenden Szene. Zunächst waren die Studierenden an‐ gehalten herauszuarbeiten, inwiefern diese Szene mehrsprachigkeitssensitives Handeln der Lehrkraft nahelegt. In tabellarischer Form fertigten sie eine theo‐ riegeleitete Analyse des Transkriptes an. Sie wurden explizit aufgefordert, die relevanten Zeilen im Transkript zu markieren (“noticing”) und in einen direkten Zusammenhang mit der zuvor dargebotenen Theorie zu bringen (“know‐ ledge-based reasoning”). An die Besprechung schloss sich die Bewertung des im Video tatsächlich gezeigten Lehrerhandelns hinsichtlich seiner Mehrsprachig‐ keitssensitivität an. Als Alternative zum im Video gezeigten, monolingual ge‐ prägten Lehrerhandeln wurde eine mehrsprachigkeitssensitive Handlungsop‐ tion präsentiert, welche die Studierenden einer kritischen Prüfung unterzogen, um etwaige Nachteile herauszustellen. Basierend auf ihrem in der Sitzung er‐ worbenen theoretischen Wissen war als Hausaufgabe selbständig eine mehr‐ sprachigkeitssensitive Handlungsoption als Alternative für das im Video ge‐ zeigte Lehrerhandeln zu entwickeln. Die Verknüfung mit theoretischen Aspekten wurde erneut explizit eingefordert. Während diese Aufgabe der För‐ derung der mehrsprachigkeitssensitiven PHK der Studierenden diente, waren sie zur Herausbildung ihrer mehrsprachigkeitssensitiven PWK aufgefordert, die ausgewählte Szene eines weiteren Videos zu analysieren. Das Handeln der Lehrkraft war in diesem, zweiten Video in Teilen von mehrsprachigkeissensi‐ tiven Prinzipien geprägt. Angestrebt wurde an dieser Stelle also das Wiederer‐ kennen mehrsprachigkeitssensitiver Aspekte. Erneut wurde die Verbindung zu theoretischen Aspekten explizit bei der Aufgabenbearbeitung eingefordert und anhand eines vorgegebenen Beispiels illustriert. 3.2 Flipped Classroom Format Den inhaltlichen Schwerpunkt der sich anschließenden, im Flipped Classroom durchgeführten Sitzung bildete der Einsatz mehrsprachiger Texte im mehrspra‐ chigkeitssensitiven Englischunterricht (Bündgens-Kosten & Elsner 2014). In der vorbereitenden Aufgabe waren die Studierenden angehalten, sich in Form eines fiktiven Interviews mit den AutorInnen der theoretischen Texte mit dem Ge‐ genstand auseinanderzusetzen. Ein digital zur Verfügung gestelltes Glossar ein‐ schlägiger Termini wurde als unterstützende Maßnahme zum Textverständis bereitgestellt. Auf die schriftlichen Beantwortungen der Interviewfragen er‐ hielten die Studierenden Rückmeldungen in digitalisierter Form, d. h. neben 146 Heike Niesen / Daniela Elsner 3 Eines der eingesetzten Videos mit dem Titel „Vrais Amis“ ist nicht im Rahmen des Projetes LEVEL, sondern des Projektes „Elodil“ der Universität Montreal entstanden. Weitere Informationen unter: http: / / www.elodil.umontreal.ca / presentation/ . Die di‐ daktische Aufbereitung des Videos erfolgte in Zusammenarbeit mit Dr. Ludovic Ibar‐ rondo des Fachverbundes Sprachen (Romanistik) des Projektes LEVEL der Goethe Uni‐ versität Frankfurt. einer Musterlösung erhielten die Lernenden auf Wunsch individuelles Feedback. Die in der eigentlichen Sitzung bearbeiteten Aufgaben waren erneut videoba‐ siert. Aufgrund der insgesamt im Flipped Classroom Format eingesetzten digi‐ talen Elemente kann selbiges als „teilvirtuell“ (Arnold et al. 2018: 141) bezeichnet werden. Zu Beginn der Sitzung wurden verbleibende Fragen bzgl. der hinführenden Aufgabe besprochen. Die sich anschließenden Aufgaben zur Schulung der pro‐ fessionellen mehrsprachigkeitssensitiven PWK und PHK der Studierenden dienten der Anwendung des erarbeiteten Wissens um den Einsatz mehrspra‐ chiger Texte im sprachlich heterogenen Englischunterricht. Zur Förderung der PWK waren die Studierenden zunächst aufgefordert, die videographierte Un‐ terrichtssequenz einer sprachlich heterogenen Klasse in Phasen zu unterteilen sowie die jeweiligen Lernziele, d. h. die lehrerseitigen Intentionen zu er‐ schließen. In einem weiteren Schritt sollte anhand der Äußerungen der Schü‐ lerInnen eruiert werden, inwieweit das übergeordnete Lernziel (hier: globales und detailliertes Verständnis eines Englischbuchtextes) erreicht wurde. Die Antworten der Studierenden waren jeweils auf konkrete Beobachtungen zu‐ rückzuführen. Das mangelnde Textverständnis der SchülerInnen sowie die strikt monolingual durchgeführte Unterrichtssequenz führte zu einer Aufgabe zur Schulung der mehrsprachigkeitssensitiven PHK der Studierenden, innerhalb derer sie die entsprechende Sequenz mehrsprachigkeitssensitiv planen sollten, und zwar unter Einbezug ihres in der vorbereitenden Aufgabe erworbenen the‐ oretischen Wissens um den Einsatz mehrsprachiger Texte. 3.3 Enriched Virtual Model Format Im Gegensatz zu den vorherigen Formaten wurde die Sitzung im Enriched Virtual Format mit dem inhaltlichen Schwerpunkt „Interkomprehension“ (Meißner 2004) „komplett virtuell“ (Arnold et al. 2018: 141) durchlaufen. Unterrichtsvi‐ deos, 3 theoretische Texte sowie Aufgaben wurden in Form von drei Units bear‐ beitet, die auch vorgeschaltete Informationen zu Bearbeitungs- und Rückmel‐ demodi der Plattform enthielten. Die Reihenfolge der Bearbeitung der in sich thematisch abgeschlossenen Units war frei wählbar, Orientierung bot an dieser Stelle ein Ausblick auf die Inhalte und Anforderungen der Units sowie die ge‐ 147 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen 4 Die Texte wurden Oleschko (2011) entnommen. schätzte Bearbeitungsdauer. Um den Austausch der Studierenden während des Durchlaufs der Units anzuregen, wurde auf das (Diskussions-)Forum der Platt‐ form verwiesen. Die theoretische Auseinandersetzung mit Aspekten der Interkomprehensi‐ onsdidaktik erfolgte u.a anhand eines „pädagogischen Doppeldeckers“ (Geißler 1985), indem die Studierenden aufgefordert waren, Texte in dänischer sowie isländischer Sprache zu entschlüsseln und sich ihrer Dekodierungsstrategien bewusst zu werden. 4 Aufgaben zur Schulung der mehrsprachigkeitssensitiven PWK waren auf das Unterrichtsvideo „Vrais Amis“ ausgerichtet und forderten den Einbezug theoretischer Aspekte der Interkomprehensionsdidaktik explizit ein. Da die im Video gezeigte Unterrichtsstunde die Prinzipien der Interkom‐ prehensionsdidaktik modellhaft abbildete, ging es hierbei zunächst um ein Wie‐ dererkennen theoretischer Konzepte im Verlauf des Unterrichtsgeschehens. In ähnlicher Weise sollten die Studierenden in einer weiteren, in Teilen interkom‐ prehensionsdidaktisch abgehaltenen, videographierten Unterrichtssequenz mehrsprachigkeitssensitive, lehrerseitge Handlungen erkennen (“noticing”), um sie im Anschluss theoretisch zu untermauern (“knowledge-based reaso‐ ning”). 4 Methodische Vorgehensweise Die Wahl der Methoden zur Auslotung des Potenzials der eingesetzten drei For‐ mate zur Förderung mehrsprachigkeitssensitiver PWK und PHK der Studier‐ enden basierte auf Erkenntnissen, die die Bedeutung qualitativer Vorgehens‐ weisen in diesem Zusammenhang verdeutlichen: Die Qualität eines Lernprozesses wird erst durch die aufeinander bezogenen Hand‐ lungen der beteiligten Akteure hergestellt. Nur mit der Evaluation dieser ganzheitli‐ chen Szenarien, die durch vielfältige Zusammenhänge […] geformt sind, wird die Qualität und Verbesserung des E-Learning-Angebots beurteilbar. Daher ist der Eva‐ luation mit qualitativen Methoden der Vorzug zu geben, da diese es erst ermöglichen, die Leistungen, Beurteilungen und Vorschläge aller Beteiligten, zu erfassen, zu beur‐ teilen und auszuwerten (Arnold et al. 2018: 396). Um die Qualität der studentischen Bearbeitungen der eingesetzten Aufgaben beurteilen zu können, wurden diese schriftlich eingereicht, somit als „unter‐ richtsbezogene Produkte“ (Caspari 2016: 193 ff.) erfasst und inhaltsanalytisch 148 Heike Niesen / Daniela Elsner ausgewertet (Kuckartz 2016). Insgesamt standen nach Durchlauf der drei For‐ mate Bearbeitungen zu insgesamt vier Aufgaben zur Verfügung: i. Jeweils eine Aufgabe zur Schulung der mehrsprachigkeitssensitiven PWK und PHK im traditionellen Format ii. Eine Aufgabe zur Schulung der mehrsprachigkeitssensitiven PHK im Flipped Classroom Format iii. Eine Aufgabe zur Schulung der mehrsprachigkeitssensitiven PWK im Enriched Virtual Format Basierend auf Erwartungshorizonten wurde für jede Aufgabe ein Kategorien‐ system zur anschließenden Kodierung entwickelt. Da die Aufgaben zur Förde‐ rung der mehrsprachigkeitssensitiven PWK weitestgehend geschlossene Ant‐ worten generierten (bspw. die zeitliche Bestimmung einer Unterrichtssituation im Zuge des “noticing”), wurden die entsprechenden Kategoriensysteme theo‐ retisch-deduktiv entwickelt, während die Bearbeitungen der Aufgaben zur För‐ derung der mehrsprachigkeitssensitiven PHK induktive Kategorienbildungen einforderten, um den komplexen Ausführungen der Studierenden gerecht zu werden. Ein Auszug aus dem Kategoriensystem zur Kodierung der studenti‐ schen Bearbeitungen der im traditionellen Format eingesetzten Aufgabe zur Schulung der mehrsprachigkeitssensitiven PHK findet sich in Tabelle 1. Ver‐ knüpfungen theoretischer mit unterrichtspraktischen Aspekten sind fett ge‐ halten. Code Kategorie Beschreibung Ankerbei‐ spiel 3 Isolierter Ein‐ bezug der vorge‐ lernten Sprachen der Schülerin M. Die vorgelernten Sprachen der Schülerin (Erstsprachen: Urdu / Hindi, Deutsch) werden isoliert, d. h. auf Wort und / oder Satzebene in den Unterricht einbezogen. “M. writes the sentence ‘I eat food’ in her L1 and underlines the subject, verb and ob‐ ject” 3.1 … zur kontrast‐ iven Spracharbeit Der zielsprachliche Satz wird von M. in eine ihrer vorge‐ lernten Sprachen übersetzt. Möglich ist dies, da sie über ein hohes Niveau an schriftsprachlicher Kompetenz in diesen Sprachen verfügt. Die Aktivierung der Sprachen dient gleichsam dem Spracherhalt (language maintenance). 149 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen Durch die sprachkontrastive Arbeit wird deutlich, dass ein Transfer zwischen Hindi und Englisch (hier: prospektiv) bzgl. der Wortstellung nicht möglich ist. Die kognitive Di‐ mension der Sprachbewuss‐ heit der Schülerin wird adres‐ siert. Tab. 1: Auszug aus dem Kategoriensystem zur Kodierung studentischer Bearbeitungen der Aufgabe “Create your own multilingual-sensitive option“ im traditionellen Format Die in Tabelle 1 dargestellte Beschreibung der Kategorie 3.1 stellt die Maximal‐ anforderungen der zu bearbeitenden Aufgabe dar, insbesondere hinsichtlich der angestrebten Verknüpfung theoretischer mit unterrichtspraktischen Aspekten. Die jeweiligen Kodierregeln legten drei Ebenen fest, inwieweit den Maximal‐ anforderungen entsprochen wurde (Ebene a: in hohem Maße, Ebene b: in mitt‐ lerem Maße, Ebene c: in geringem Maße). Die Verknüpfung theoretischer und praktischer Aspekte bei der Aufgabenbearbeitung stellt das maßgebliche Krite‐ rium dar, anhand dessen die Einordnung in die drei Ebenen erfolgte. Die Kategoriensysteme wurden einer Expertenvaliderung unterzogen und überarbeitet. Im Anschluss an eine entsprechende Schulung wurde eine zufalls‐ basierte Stichprobe (n=6) des Gesamtdatensatzes der vier unter i bis iii gelisteten Aufgabenbearbeitungen von drei Ratern kodiert. Zur Bestimmung der Interco‐ derreliabilität wurde für jede Kodierung Fleiss’ Kappa generiert. Die so berech‐ neten Übereinstimungen erwiesen sich als substantiell für die Kodierungen der Aufgaben unter i und iii (k=0,855; k= 0,710; k=0,795), sowie als moderat für die Kodierungen der Aufgaben unter ii (k=0,59). Um Einsichten darüber zu erlangen, wie die Studierenden das Potenzial der drei Formate hinsichtlich der ange‐ strebten Kompetenzförderung durch Aufgabenbearbeitungen einschätzen, wurde die „Erlebnislogik“ (Reinmann 2005: 133) fragebogenbasiert erfasst. Hier waren die Studierenden auch aufgefordert, sich zu einer möglichen Optimierung der drei Formate zu äußern. Durch die vorgenommene Datentriangulation (qua‐ litative Inhaltsanalyse studentischer Produkte sowie strukturierte Zusammen‐ fassung fragebogenbasierter Angaben) konnten Erkenntnisse gewonnen werden, die zu einer Beantwortung der Frage nach dem Potenzial unterschied‐ lich digitalisierter Formate zur Förderung der mehrsprachigkeitssensitiven PWK und PHK der Studierenden führten, wie die folgenden Abschnitte zeigen. 150 Heike Niesen / Daniela Elsner 5 Ergebnisse 5.1 Auswertung studentischer Aufgabenbearbeitungen Im Folgenden werden zunächst drei Fallbeispiele studentischer Aufgabenbear‐ beitungen aus den unterschiedlichen Formaten vorgestellt (p19, p13, p4). Die Auszüge aus den Texten der Studierenden beinhalten die Kategorien, die jeweils im Kodierungsprozess zugeordnet werden konnten. Zusätzlich sind die Kate‐ gorien separat unter den Texten zu finden. Auszüge aus den fragebogenbasierten Angaben der Studierenden runden die Fallbeispiele ab. Fallbeispiel 1: P19, studentische Bearbeitung der ausführenden Aufgabe im traditionellen Format ( PHK ) The teacher directs students’ attention to the verb endings by highlighting the letter ‚s‘. Next, he gives them the opportunity to translate the sentences into their home languages [4]. This makes language comparison and cross-language transfer on a syntactic level possible [4.1a]. A deeper level of understanding the simple present is more likely to be achieved if students become aware of the structure in their L1 [7a]. Hence, comparison can de‐ velop their language awareness (Schnuch 2015) [6]. [4] Isolierter Einbezug der Sprachen aller SuS zur kontrastiven Spracharbeit [4.1] auf syntaktischer Ebene, [4.2] auf lexikalischer Ebene [6] Verwendung sitzungsspezifischer theoretischer Aspekte* [7] Strategischer Einbezug der vorgelernten Sprachen aller SuS Input durch die Lehrkraft zu Beginn bietet die Gelegenheit, Fragen zu stellen. Anwendungsaufgaben vertiefen das Wissen. Sie erfolgen sofort nach dem theoretischen Input, sind daher ‚noch frisch‘ im Gedächtnis (p19). * Die Kodierregel bzgl. der drei Ebenen erstreckte sich nicht auf diese Kategorie Wie bereits in Fallbeispiel 1 ersichtlich, konnten zahlreiche Kategorien in den studentischen Aufgabenbearbeitungen kodiert werden, und zwar auf der höch‐ sten Ebene der angestrebten Theorie-Praxis Verknüpfung. Dies gilt auch für die Fallbeispiele 2 und 3, was die Annahme bestätigt, dass eine erfolgreiche Aufga‐ benbearbeitung zur Förderung mehrsprachigkeitssensitiver professioneller Kompetenzen der Studierenden in allen drei eingesetzten Formaten möglich ist. 151 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen Fallbeispiel 2: P13, studentische Bearbeitung der Aufgabe im Flipped Class‐ room Format ( PHK ) Students work in dyads with digital multilingual and multimodal language books [5] (Bündgens-Kosten & Elsner 2014). Students with different language backgrounds are grouped up and get tablets. The first task would be to read the story in English and then in a language of their choice (e.g. Turkish or Arabic). The authors call this ‘macro-switch’ [5a] (ebd.). This would help pupils to get a general understanding of the text [1.2a]. [1] Förderung des Textverständnisses, rezeptiv (gist) durch [1.1] den Einsatz bilingualer und ggf. multikodaler Texte, [1.2] durch den Einsatz mehrspra‐ chiger und ggf. multikodaler Texte [5] Verwendung sitzungsspezifischer theoretischer Aspekte Eine gute Methode für mich, die Theorie zu verstehen. Die [vorbereitende Aufgabe] war sehr passend, um mein Wissen in einfachen Worten darzu‐ stellen. Dies hilft mir, mein Wissen innerlich zu strukturieren und zu festigen (p13). Fallbeispiel 3: P4, studentische Bearbeitung der Aufgabe im Enriched Virtual Format ( PWK ) 1: 93: 50: Transfer between languages (proand retroactive) [4]: comparison ‚animals‘-‚animaux‘ [1.2a], pupils act as ‚language detectives‘ [2a] which ac‐ tivates their (meta-)linguistic awareness. [1] Einbezug der vorgelernten Sprachen der SuS [1.1] auf Satzebene, [1.2] auf Wortebene, [1.3] auf strategischer Ebene [2] Rollenwechsel SchülerInnen-Lehrperson [4] Verwendung sitzungsspezifischer theoretischer Aspekte Ich fand gut, dass durch die Verknüpfung mit einem praktischen Beispiel (Video) und anschließendem nochmaligem Input und abschließendes Schauen des Videos die Theorie besser mit der Praxis verknüpft werden konnte (p4). Die studentischen Anmerkungen zu den drei Formaten lassen erkennen, dass im traditionellen Format der von der Lehrperson vermittelte Input zu Beginn der Lerneinheit sowie dessen zeitnahe Umsetzung in Aufgabenbearbeitungen 152 Heike Niesen / Daniela Elsner als gewinnbringend für die Kompetenzförderung eingeschätzt werden (Fallbei‐ spiel 1). Die Lernerfahrungen im Flipped Classroom Format werden aufgrund der Gestaltung der vorbereitenden Aufgabe als positiv eingestuft (Fallbeispiel 2). Schlussendlich werden die flexiblen Bearbeitungsmodi der Aufgaben im Enri‐ ched Virtual Format als lernförderlich aufgefasst. Die Erkenntnisse, die sich aus den fragebogenbasierten Angaben aller teilnehmenden Studierenden (n=20) ab‐ leiten lassen, werden in Abschnitt 5.2 dargelegt. Zunächst soll die Auswertung des Gesamtdatensatzes präsentiert werden, der im Gegensatz zu den obigen Fallbeispielen die Kodierung von Aufgabenbearbeitungen derselben Studier‐ enden über die Formate hinweg zum Gegenstand hat. Insgesamt standen zum Zeitpunkt der Auswertung die Aufgabenbearbeitungen von 16 Studierenden zur Verfügung. Tabelle 2 zeigt die Anzahl der maximal erreichbaren Kategorien im Erwartungshorizont [ EW ] der Aufgaben zu professioneller Handlungskompe‐ tenz ( PHK ) im traditionellen wie im Flipped Classroom Format. Angegeben werden pro StudentIn zunächst die Gesamtzahl der tatsächlich erreichten Ka‐ tegorien in den jeweiligen Aufgabenbearbeitungen, gefolgt von der Anzahl der auf Ebene a erfolgten Bearbeitungen, bspw. 7(3xa). Weiterhin finden sich die Anzahl unterschiedlicher Kategorien, die in den Bearbeitungen identifiziert werden konnten, sowie der Prozentsatz der tatsächlich erreichten Kategorien gemessen am jeweiligen Erwartungshorizont. Wie aus Tabelle 2 ersichtlich, lassen sich keine eindeutigen Tendenzen hin‐ sichtlich eines Qualitätsunterschiedes der Aufgabenbearbeitungen im traditio‐ nellen oder Flipped Classroom Format ausmachen. Insgesamt erreichen insge‐ samt acht Studierende weniger Prozentpunkte im Flipped Classroom Format, wobei bei drei Studierenden ein Abfall von 30 % oder mehr auszumachen ist (p3, p5, p10). Insgesamt sieben Studierende erreichen im Flipped Classroom Format mehr Prozentpunkte als im traditionellen Format, drei davon um 30 % oder mehr (p7, p15, p16). Insgesamt erreichten die Studierenden im traditionellen Format durchschnittlich 48,38 % der Maximalzahl an Kategorien des Erwartungshori‐ zontes, im Flipped Classroom Format sind es durchschnittlich 51,25 %. Studierende Traditionell (PHK) [EW: 10] Flipped (PHK) [EW: 10] p1 7 (3xa); 4 → 70,00 % 5 (4xa); 3 → 50,00 % p2 7 (3xa); 4 → 70,00 % 6 (5xa); 3 → 60,00 % p3 7 (3xa); 4 → 70,00 % 4 (4xa); 1 → 40,00 % p4 6 (1xa); 2 → 60,00 % 8 (2xa); 5 → 80,00 % 153 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen p5 8 (5xa); 5 → 80,00 % 4 (3xa); 2 → 40,00 % p6 6 (5xa); 2 → 60,00 % 7 (5xa); 3 → 70,00 % p7 5 (2xa); 4 → 50,00 % 8 (2xa); 5 → 80,00 % p8 4 (0xa); 3 → 40,00 % 6 (2xa); 3 → 60,00 % p9 3 (2xa); 2 → 30,00 % 5 (3xa); 3 → 50,00 % p10 5 (5xa); 2 → 50,00 % 2 (0xa); 2 → 20,00 % p11 4 (0xa); 3 → 40,00 % 2 (0xa); 2 → 20,00 % p12 8 (5xa); 3 → 80,00 % 6 (5xa); 3 → 60,00 % p13 4 (4xa); 3 → 40,00 % 3 (1xa); 2 → 30,00 % p14 3 (2xa); 2 → 30,00 % 3 (0xa); 2 → 30,00 % p15 2 (0xa); 0 → 20,00 % 9 (1xa); 5 → 90,00 % p16 0 → 0,00 % 4 (1xa); 3 → 40,00 % Tab. 2: Auswertung der studentischen Aufgabenbearbeitungen zur Förderung der mehr‐ sprachigkeitssensitiven PHK im traditionellen und im Flipped Classroom Format Die in Tabelle 3 dargestellte Gegenüberstellung der studentischen Aufgaben‐ bearbeitungen zur Förderung der mehrsprachigkeitssensitiven PWK im tradi‐ tionellen und im Enriched Virtual Format zeigt, dass auch hier keine eindeutige Tendenz bezüglich der Qualität der Aufgabenbearbeitungen der Studierenden auszumachen ist. Bei neun Studierenden ist ein Qualitätsabfall der Bearbei‐ tungen im Enriched Virtual Format zu verzeichnen, wobei dieser bei insgesamt vier Studierenden 30 % oder mehr beträgt (p4, p10, p12, p15). Umgekehrt steigert sich die Qualität der Aufgabenbearbeitungen im Enriched Virtual Format bei insgesamt sieben Studierenden, von denen bei einer Studentin eine Zunahme um 30 % oder mehr festgestellt werden kann (p6). Der durchschnittlich erreichte Prozentsatz der maximal erreichbaren Kategorien in den Erwartungshorizonten betrug im traditionellen Format 56,25 %, im Enriched Virtual Format 51,56 %. Studierende Traditionell (PWK) [EW: 17] Enriched Virtual (PWK) [EW: 12] p1 10 (5xa); 3 → 58,82 % 5 (4xa); 4 → 41,67 % p2 12 (3xa); 4 → 70,59 % 8 (1xa); 4 → 66,67 % 154 Heike Niesen / Daniela Elsner 5 Bei den in Anführungszeichen stehenden Kommentaren handelt es sich um studenti‐ sche Kommentare aus den Fragebögen. p3 3 (2xa); 3 → 17,65 % 4 (2xa); 3 → 33,33 % p4 12 (5xa); 5 → 70,59 % 3 (1xa); 2 → 25,00 % p5 14 (6xa); 4 → 82,35 % 9 (6xa); 4 → 75,00 % p6 7 (4xa); 3 → 41,18 % 12 (6xa); 4 → 100,00 % p7 13 (0xa); 5 → 76,47 % 12 (6xa); 5 → 100,00 % p8 11 (4xa); 4 → 64,71 % 11 (1xa); 3 → 91,67 % p9 8 (4xa); 4 → 47,06 % 5 (1xa); 4 → 41,67 % p10 14 (3xa); 3 → 82,35 % 4 (0xa); 1 → 33,33 % p11 4 (2xa); 1 → 23,53 % 3 (1xa); 3 → 25,00 % p12 16 (4xa); 3 → 94,12 % 5 (1xa); 4 → 41,67 % p13 5 (3xa); 3 → 29,41 % 4 (2xa); 2 → 33,33 % p14 8 (1xa); 4 → 47,06 % 6 (6xa); 3 → 50,00 % p15 12 (1xa); 3 → 70,59 % 4 (1xa); 3 → 33,33 % p16 4 (1xa); 3 → 23,53 % 4 (1xa); 3 → 33,33 % Tab. 3: Auswertung der studentischen Aufgabenbearbeitungen zur Förderung der mehr‐ sprachigkeitssensitiven PWK im traditionellen und im Enriched Virtual Format Da die durchschnittlich erreichte Anzahl an tatsächlich in den Aufgabenbear‐ beitungen der Studierenden identifizierten Kategorien in allen drei durchlau‐ fenen Formaten ca. 50 % beträgt, muss gefragt werden, wie die Konzipierung der Formate optimiert werden kann. An dieser Stelle können die fragebogenba‐ sierten Auskünfte der Studierenden wertvolle Hinweise liefern. 5.2 Zusammenfassung fragebogenbasierter Angaben Zu den Stärken des traditionellen Formates gehört nach Ansicht der befragten Studierenden insbesondere ein qualitativ hochwertiger Input durch die Lehr‐ kraft, in dem „richtige“ 5 Wissensbestände verständlich präsentiert werden. Auch die Möglichkeit, im Anschluss an diesen Input in einen direkten Austausch mit der Lehrperson treten zu können, beispielsweise um Fragen zu klären, wird als 155 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen gewinnbringend eingestuft. Der Wunsch der Studierenden nach „verlässlichen Informationen“ ist zwar nachvollziehbar, zeigt jedoch auch, dass Lernprozesse selbst in einem fortgeschrittenen Stadium des Studiums eingefordert und an‐ geleitet werden müssen. Andererseits zeigt sich erneut die Wichtigkeit der Lehrperson für eine adressatengerechte Aufbereitung und Vermittlung theore‐ tischen Wissens, sowie für die Bereitstellung unmittelbarer Hilfestellungen bei der Verknüpfung dieses Wissens mit unterrichtspraktischen Aspekten im Zuge der Bearbeitung von Aufgaben. Von besonderer Bedeutung im traditionellen Format ist für die Studierenden die Vermeidung zeitintensiver und monotoner „Lehrvorträge“, die möglichst durch eine „breite Aktivierung der Teilnehm‐ enden“ ersetzt werden soll, eine Ansicht, die beileibe nicht neu ist, jedoch von allen befragten Studierenden vertreten wurde. Aus diesem Grund findet sich diese Ansicht unter dem empfohlenen Gestaltungsprinzip “engage“ in Abbil‐ dung 1, in der Gestaltungsempfehlungen für alle drei Formate illustrativ darge‐ stellt sind. Als maßgebliches Gestaltungsprinzip für den Flipped Classroom wird von den Studierenden die von der Lehrperson konzipierte hinführende Aufgabe zum Aufbau theoretischen Wissens gesehen. Um als gewinnbringende Basis für die in der Sitzung selbst zu bearbeitenden Anwendungsaufgaben fungieren zu können, sollten nach Ansicht der Studierenden hinführende Aufgaben, so sie textbasiert sind, von gezielten und eindeutigen Arbeitsanweisungen durch die Lehrperson geprägt sein, beispielsweise durch konkrete Fragen zu ausge‐ wählten Textstellen, um einen „Fokus auf die [für die sich anschließende Sit‐ zung] relevanten Aspekte“ zu legen. Als besonders hilfreich für die Durchdrin‐ gung theoretischer Aspekte werden Hilfestellungen angesehen, die im vorliegenden Fall durch ein terminologisches Glossar sowie digitalisierte, (in‐ dividuelle) Rückmeldungen zu den Beantwortungen der Fragen gegeben wurden. Diese Ansicht findet ihren Niederschlag unter dem Stichwort “support“ in Abbildung 1. 156 Heike Niesen / Daniela Elsner Abb. 1: Gestaltungsempfehlungen für die drei untersuchten Lehr-/ Lernformate nach dem ESCORT-Prinzip Zwar sollte nach Ansicht der Studierenden die Möglichkeit, in sich geschlossene und inhaltlich dennoch zusammenhängende Units im Enriched Virtual Format in flexibler Reihenfolge bearbeiten zu können, beibehalten werden. Als hinder‐ lich zur Bearbeitung von Aufgaben in diesem Format wurde jedoch die man‐ gelnde Interaktion mit der Lehrkraft und mit KommilitonInnen herausgestellt. Diese, von zahlreichen Studierenden vertretene Ansicht gipfelte in Aussagen, die verdeutlichen, dass sich die Studierenden „isoliert“ beim Durchlauf der ein‐ zelnen Units gefühlt haben und dass für eine Optimierung dieses Formates eine Stärkung der Kooperation zwischen Lernenden und Lehrenden unabdingbar sei. An dieser Stelle sei angemerkt, dass es Möglichkeiten des Austausches gab ((Diskussions-)Forum, vgl. Abschnitt 3.3.), selbige offensichtlich aber nicht ge‐ nutzt wurden. Folglich findet sich als Gestaltungsprinzip für das Enriched Virtual Format das Stichwort “cooperate“ in Abbildung 1. 157 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen Neben den hier dargelegten Gestaltungsempfehlungen der drei Formate nach dem ESCORT -Prinzip (Engage-support-cooperate) lassen sich aus den studen‐ tischen Ausführungen in den Fragebögen auch Punkte genuin didaktischer Natur ableiten, die das „was“, also die Gegenstände thematisieren, die in den jeweiligen Formaten behandelt werden sollten. Ein Großteil der Studierenden spricht sich dafür aus, dass Gegenstände, zu denen sie über „wenig Vorwissen“ verfügen, dem traditionellen Format vorbehalten sein sollten, während Gegen‐ stände, zu denen „ein gewisses Vorwissen“ existiert, im Flipped Classroom Format ihren Platz finden sollten. Diese Ansichten sind durchaus nachvoll‐ ziehbar, spiegeln sie doch die von den Studierenden wahrgenommenen Stärken beider Formate, d. h. im traditionellen Format die Präsentation „richtigen Wis‐ sens“, die „Sicherheit gibt“, sowie im Flipped Classroom Format die zwar ange‐ leitete, dennoch eigenständigere Auseinandersetzung mit (theoretischen) Wis‐ sensbeständen. Gleichsam fühlen sich die Studierenden in der Lage, im traditionellen Format „schwierige und komplexe“ Aufgaben zu bearbeiten, wo‐ hingegen sie sich im Flipped Classroom Format für „weniger komplexe Auf‐ gaben“ aussprechen. Gegenstände und entsprechende Aufgaben im Enriched Virtual Format eignen sich aus Sicht der Studierenden insbesondere zu „Test‐ zwecken“ bzw. zur Überprüfung der eigenen „Kompetenz, Aufgaben zu bear‐ beiten“, eine Sichtweise, die hier den technischen Gegebenheiten der Rück‐ meldsungsmodi (richtig / falsch, allgemeine, nicht-individualisierte Musterlösung) geschuldet sein dürfte. 6 Implikationen für die universitäre LehrerInnenbildung und Ausblick Die vorliegende Untersuchung liefert Einblicke in die Potenziale, die verschie‐ dene Lehr-/ Lernformate hinsichtlich der Förderung spezifischer, da mehrspra‐ chigkeitssensitiver professioneller Kompetenzen angehender Englischlehr‐ kräfte aufweisen können. Untersucht wurden das traditionelle Lehr-/ Lernformat (mit einem Fokus auf Wahrnehmungs- und Handlungskompetenz), das Flipped Classroom Format (mit einem Fokus auf Handlungskompetenz) sowie das Enriched Virtual Format (mit einem Fokus auf Wahrnehmungskom‐ petenz). Es zeigte sich, dass sich keine eindeutigen Tendenzen bezüglich der Qualität der studentischen Aufgabenbearbeitugen in den drei Formaten, die insbesondere an den geleisteten Theorie-Praxis Verknüpfungen festgemacht wurde, ausmachen ließen. Allerdings konnten Gestaltungsempfehlungen der Formate herausgestellt werden ( ESCORT -Prinzip). 158 Heike Niesen / Daniela Elsner In zukünftigen Untersuchungen wird der Frage nachzugehen sein, ob sich die hier festgestellten Potenziale auch dann bestätigen, wenn bei den eingesetzten Formaten ein Wechsel hinsichtlich der Inhalte, also der Lerngegenstände (hier: Sprachbewusstheit, Einsatz mehrsprachiger Texte sowie Interkomprehension) vorgenommen wird. In entsprechenden Lehrveranstaltungen werden jedoch nicht nur Inhalte und Reihenfolge der Formate variiert werden. Auch werden jedem Format mindestens drei Sitzungen zugestanden, da nicht ausgeschlossen werden kann, dass Studierende ein gewisses Zeitfenster benötigen, um sich mit den Gegebenheiten und Möglichkeiten auseinanderzusetzen, die jedes Format bietet. Zu den unmittelbaren Implikationen dieser Untersuchung für die universitäre Englischlehrkräfteausbildung zählt die Optimierung weiterer Seminare nach dem ESCORT -Prinzip. Vor allem müssen Möglichkeiten zur kooperativen Ar‐ beit im Enriched Virtual Format ausgebaut werden. Hierzu wurden bereits Vor‐ schläge gemacht (Handke & Schäfer 2012). Allerdings zeigte sich in der vorlie‐ genden Untersuchung, dass digitale Möglichkeiten der gemeinsamen Aufgabenbearbeitung und der Interaktion oft nicht genutzt werden. Diese Nut‐ zung durch die Lehrkraft einzufordern liefe der Idee des Enriched Virtual For‐ mates entgegen. Vielversprechender erscheinen an dieser Stelle Aufgaben, die so konzipiert sind, dass der kommunikative Austausch online ganz im Sinne einer “task-essentialness“ (Loschky & Bley-Vroman 1993; vgl. auch Niesen 2015: 72) zur erfolgreichen Aufgabenbearbeitung beiträgt. Auch eine verstärkte Ko‐ operation zwischen Fach- und Bildungswissenschaften sowie den Fachdidak‐ tiken ist an dieser Stelle unbedingt anzuraten (Niesen 2018b). So können für die LehrerInnenbildung einschlägige Themen wie heterogenitätssensibler Unter‐ richt aus verschiedenen Blickwinkeln aufbereitet und mit Aufgaben versehen werden, die angehenden Lehrkräften die Verknüpfung ihrer in verschiedenen Lehrveranstaltungen entwickelten Kompetenz- und Wissensbestände erleich‐ tern. Arbeitsteilig angelegte Aufgaben, in denen angehende Lehrkräfte einen bestimmten Aspekt wie bspw. Heterogenität zunächst disziplinimmanent be‐ trachten, um ihre Erkenntnisse dann disziplinübergreifend zusammenzuführen, könnten auch in virtuell zu bearbeitenden Aufgaben zu verstärkter Interaktion führen. Eine Kooperation wie die soeben beschriebene wird zurzeit im Rahmen des Projektes “The Next Level“ (vgl. Abschnitt 1) an der Goethe Universität Frank‐ furt durchgeführt, und zwar in Zusammenarbeit mit VertreterInnen der Bil‐ dungswissenschaften sowie der Fachdidaktiken Englisch, Geographie, Mathe‐ matik, Naturwissenschaften und Sport zur Konzipierung einer virtuellen Lerneinheit zum Querschnittsthema „Inklusion“ (Adl-Amini et al. eingereicht). 159 Mehrsprachigkeitssensitive, professionelle Kompetenzen Das Fach Englisch ist mit dem Schwerpunkt Mehrsprachigkeitssensitivität ver‐ treten. Die Auswertung der Erprobung der Lerneinheit wird zeigen, an welchen Stellen Optimierungsbedarf besteht, um diese und ähnlich gestaltete on‐ line-Lerneinheiten dauerhaft für die LehrerInnenbildung phasenübergreifend einsetzen zu können. Literatur Adl-Amini, Katja, Burgwald, Caroline, Haas, Silke, Beck, Melanie, Chihab, Laura, Fetzer, Marei, Lorenzen, Marleen, Niesen, Heike, Sührig, Laura & Hardy, Illonca (eingereicht). Fachdidaktische Perspektiven auf Inklusion. Entwicklung und Evaluation einer digi‐ talen Lerneinheit zu Inklusion als Querschnittsaufgabe. k: ON - Kölner Online Journal für Lehrer*innenbildung. Inklusive Bildung aus fachdidaktischer und fachwissenschaft‐ licher Perspektive. Arnold, Patricia, Kilian, Lars, Thillosen, Anne & Zimmer, Gerhard (2018). Handbuch E-Learning. 5. Auflage. Bielefeld: Bertelsmann. Baumert, Jürgen & Kunter, Mareike (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469-520. 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Ziel ist es, angehende Fremdsprachenlehrkräfte in ihrem Werden zu „reflektierten PraktikerInnen“ (Schön 1983) zu unter‐ stützen. Das im vorliegenden Beitrag vorgestellte e-Portfoliokonzept in der Fremd‐ sprachenlehrkräftebildung möchte vielfältige, systematisch angeleitete Re‐ flexionsprozesse initiieren mit dem Ziel, fachdidaktisches Wissen zu spezifi‐ schen Lerngegenständen und Unterrichtssituationen mit fachwissenschaftlichen und pädagogischen Perspektiven zu verknüpfen. Im Folgenden werden zunächst theoretische Hintergründe dargelegt, die mit der Konstruktion des fachspezifischen e-Portfolios und den beinhalteten Auf‐ gaben verbunden sind. Daher wird zunächst mit Shulman (1986) ein Ansatz zur Topologie des professionellen LehrerInnenwissens herangezogen. So‐ dann werden die spezifischen Prinzipien der Aufgabenkonstruktion und die Einbettung der Aufgaben in das fachspezifische e-Portfoliokonzept vorge‐ stellt, bevor das empirisch entwickelte Modell zur fachspezifischen Reflexi‐ onskompetenz und die im e-Portfolio angelegten Aufgaben und Prozesse zu deren Entwicklung diskutiert werden. Dies wird anhand eines Aufgabenbei‐ spiels abschließend nachvollziehbar expliziert. 1 Professionswissen von angehenden Fremdsprachenlehrkräften In der Lehrkräftebildung wird bislang häufig partikulares anstelle von ver‐ netztem Wissen vermittelt; zentrale Schnittstellen zwischen den beteiligten Disziplinen Fachdidaktik, Fachwissenschaft und Bildungsbzw. Erziehungswis‐ senschaft, ebenso wie zwischen Theorie und Praxis, werden bisher zu wenig aufeinander bezogen. Was aber macht das Professionswissen von Lehrkräften aus? Es besteht weitgehende Übereinstimmung darin, dass Wissen und Können zentrale Komponenten der professionellen Kompetenz von Lehrkräften dar‐ stellen (vgl. Baumert & Kunter 2006). Weitaus weniger Übereinstimmung be‐ steht in Bezug auf die Struktur und Topologie professionellen Wissens und Könnens, die unterschiedlichen Wissenstypen und deren mentalen Repräsen‐ tation sowie die Genese professionellen Wissens und Könnens (vgl. ebd.; Bromme 1995; Neuweg 2005). Der Dissens ist teilweise auf die unterschiedlichen theoretischen Ansätze, teilweise auf einen Mangel an empirischen Untersu‐ chungen zurückzuführen, sodass man sich in vielen Bereichen auf Plausibili‐ tätsargumente verlassen muss. Hinsichtlich der Topologie von Wissensdomänen hat sich ein Vorschlag von Lee Shulman (1986) weitgehend durchgesetzt (vgl. Baumert & Kunter 2006), der zwischen general pedagogical knowledge ( PK ), subject-matter content knowledge ( CK ) und pedagogical content kowledge ( PCK ) differenziert. Unter dem letztge‐ nannten fachdidaktischen Wissen ( PCK ) fasst Shulman das Wissen über spezi‐ fische Vermittlungs- und Darstellungsformen, Kenntnisse über Lernvoraussetzungen der SchülerInnen sowie Wissen über SchülerInnenvorstellungen, auf die im Lernprozess Bezug genommen werden muss. Das Fachwissen ( CK ) umfasst nach Shulman Wissen über die Fachlogik, Wissen über Kriterien, die die Auswahl von geeigneten Inhalten begründen, sowie Wissen über die Pro‐ zesse der Erkenntnisgewinnung innerhalb des Faches. Das pädagogische Wissen ( PK ) ist grundlegend für das Professionswissen von Lehrkräften und bezieht sich auf die Gestaltung von Unterricht oder den Umgang mit Unterrichtsstö‐ rungen usw. Diese Unterscheidung hat sich durchgesetzt und wird in nahezu allen Übersichtsartikeln wieder aufgenommen. 168 Georgia Gödecke / Andreas Grünewald Abb. 1: Topologie des Professionswissens nach Shulman 1986, weiterentwickelt nach Baumert & Kunter 2006 Abbildung 1 fasst noch einmal Shumans Topologie zusammen. Im vorliegenden Beitrag steht das Professionswissen mit seinen drei Wissensbereichen im Fokus (der Bereich innerhalb des gestrichelten Kreises in der Abbildung). Deutlich wird hier auch, dass die Wissensbereiche zwar jeder für sich detailliert ausdif‐ ferenziert werden können (beispielhaft in der Abbildung für PCK ), aber im Mo‐ dell keine Verbindung der Wissensbereiche untereinander besteht. Direkt an Shulman schließt Bromme (vgl. 1992; 1997) an, der von einer An‐ forderungsanalyse der unterrichtlichen Tätigkeit von Lehrkräften ausgehend zu einer theoretisch begründeten Topologie des professionellen Wissens kommt. Bromme verweist über Shulmans Ansatz hinausgehend auf die Bedeutung, die der Fachinhalt für das Denken, Wissen und Handeln von Lehrkräften hat. Weite Bereiche des LehrerInnenhandelns, insbesondere wenn es sich um kommuni‐ katives Handeln im Kontext der Schulklasse oder der Schule handelt, basieren auf praktischem Wissen und Können. Dieses Wissen ist erfahrungsbasiert, in spezifische Kontexte eingebettet und auf konkrete Problemstellungen bezogen. Es manifestiert sich als Können der professionellen Expertin bzw. des professi‐ onellen Experten (vgl. Baumert & Kunter 2006: 483). 169 Fachspezifische Reflexionsprozesse als Beitrag zum Ausbau des Professionswissens Bis heute ist jedoch keineswegs ausreichend geklärt, was unter fachwissen‐ schaftlichem, fachdidaktischem und pädagogischem Wissen von Lehrkräften genau zu verstehen ist, wie sich die einzelnen Wissensformen aufeinander be‐ ziehen, welches Wissensniveau bei Lehrkräften unterschiedlicher Schulstufen vorausgesetzt werden sollte, welche Wissensgegenstände Inhalt der Fremd‐ sprachenlehrkräftebildung sein sollen und in welchem Verhältnis dieses Wissen zum Können steht. Wir gehen davon aus, dass die einzelnen Wissensbereiche nicht nur additiv nebeneinanderstehen, sondern im Laufe der Ausbildung und Berufstätigkeit miteinander verwoben werden, sich aufeinander beziehen, wahrscheinlich ohne dass dem Subjekt bewusst ist, dass es selbst eine Integrationsleistung vollzieht. Auch Neuweg (2014: 583) beschäftigt sich mit der Frage, wie die unterschiedli‐ chen Wissensbestände mental zusammenfinden. Insbesondere die Verknüpfung der unterschiedlichen Wissensbereiche steht im Mittelpunkt unseres e-Portfo‐ lioansatzes. Mit den fachspezifischen Aufgaben als Reflexionsanlass im Praxis‐ semester nutzen wir Reflexion als Mittel zur Vernetzung der Wissensbereiche; diese gilt als Indikator für die Steigerung der Unterrichtsqualität. So wurde in der Coactiv-Studie festgestellt, dass die Unterrichtsqualität steigt, je höher das fachwissenschaftliche und das fachdidaktische Wissen der Lehrkraft sind und je besser diese Wissensbereiche miteinander vernetzt werden (Klusmann, Krauss, Neubrand, Baumert, Kunter & Blum 2011; Brunner, Kunter, Krauss, Baumert, Blum & Neubrand 2006). Die zitierten Ergebnisse sind womöglich nicht ausnahmslos für die Fremdsprachen zu übernehmen. Dennoch ist in An‐ lehnung an die Coactiv-Studie davon auszugehen, dass die Vernetzung der Wis‐ sensbereiche mit hoher Wahrscheinlichkeit auch für das fremdsprachliche Fach zu einem höheren Professionswissen und damit letztlich zu einer gesteigerten Unterrichtsqualität führt. Und genau dazu soll systematische Reflexion anhand der fachspezifischen Aufgaben beitragen. Schädlich (2019: 47) sieht ebenfalls in der Reflexion einen erfolgsversprech‐ enden Ansatz zur Vernetzung der Wissensbereiche. Allerdings verweist sie da‐ rauf, dass sich Reflexion auf eine bestimmte Art von Theorie beziehen soll, nämlich eine solche, die erstens relevant für die Unterrichtspraxis ist und zwei‐ tens als wissenschaftlich abgesichert gilt. Das Problem bestehe darin, dass es kaum Evidenz zur Wirksamkeit bestimmter fremdsprachendidaktischer Me‐ thoden oder Praktiken gebe. Dafür sprechen auch die Ergebnisse der wenigen quantitativen Studien, die es zum Professionswissen universitärer Fremdspra‐ chenlehrerInnenbildung bisher gibt. Sie beziehen sich fast ausschließlich auf das Fach Englisch und belegen, wie schwierig sich die Testerstellung gestaltet ( TEDS - LT , Blömeke, Bremerich-Vos, Haudeck, Kaiser, Nold, Schwippert & Wil‐ 170 Georgia Gödecke / Andreas Grünewald lenberg 2011; PKE -Studie, König, Lammerding, Nold, Rohde, Strauß & Tacht‐ soglou 2016; FALKO -E-Studie, Kirchhoff 2017). Alle drei Untersuchungen ver‐ folgen das Ziel, Professionswissen speziell für den Beruf der Englischlehrkraft zu unterschiedlichen Zeitpunkten im Studium und im Professionalisierungs‐ prozess zu erfassen. Sie orientieren sich konzeptionell an der Coactiv-Studie (Klusmann et al. 2011) sowie an der von Shulman (1986) entwickelten und oben dargestellten Wissenstopologie. Die sich teilweise widersprechenden Ergeb‐ nisse (vgl. Diehr 2018) machen deutlich, dass das fachdidaktische Wissen von Fremdsprachenlehrkräften bisher eher als nicht-kanonisiertes Wissensgebiet zu beschreiben ist. Die fremdsprachlichen Fächer werden daher im Allgemeinen in der Professionsforschung als geringstrukturierte Domäne beschrieben (vgl. Blö‐ meke et al. 2011). Die Vorstellung, es gebe so etwas wie eine stabile, empirieba‐ sierte Wissensbasis, die dann in Handeln transformiert würde, suggeriert, dass es bereits einen konsensuellen Wissensbereich, d. h. einen fest verankerten Be‐ stand gebe, der in die Kompetenzentwicklung eingebracht werden könnte (Schädlich 2019: 47). Das ist nicht der Fall. Zu den wichtigsten Ergebnissen der genannten quantitativen Studien ist die Erkenntnis zu zählen, dass das tatsächlich im Unterricht verfügbare fachdidak‐ tische Handlungsrepertoire von Lehrkräften weitgehend von der Breite und Tiefe ihres konzeptuellen Fachverständnisses abhängt. An Beispielen kritischer Unterrichtsereignisse im Fach Mathematik zeigt sich nach Baumert und Kunter (2006: 493), wie mathematische Verständnisprobleme die fachdidaktischen Er‐ klärungs- und Repräsentationsmöglichkeiten von Lehrpersonen begrenzen und das fachdidaktische Können an unüberwindbare Grenzen stößt. Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so drängt sich der Eindruck auf, dass zumindest im Fach Mathematik das fachliche Verständnis der unterrichteten Sachverhalte eine not‐ wendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für einen verständnisorien‐ tierten Unterricht ist. Fachdidaktisches Wissen scheint sich positiv sowohl auf die Qualität des Unterrichts und der Lerngelegenheiten als auch auf die Lern‐ fortschritte der SchülerInnen auszuwirken (vgl. ebd.). Die Vernetzung der Wis‐ sensbereiche untereinander kann also einen Beitrag zur Steigerung der Unter‐ richtsqualität darstellen. Reflexion kann ein Weg zur Vernetzung von fachdidaktischem und fachwissenschaftlichem Wissen einerseits und fachdi‐ daktischem und pädagogischem Wissen andererseits sein. Die aufgabenbasierte Umsetzung im reflexionsorientierten e-Portfolio der Didaktik der romanischen Sprachen der Universität werden wir im Folgenden darstellen. 171 Fachspezifische Reflexionsprozesse als Beitrag zum Ausbau des Professionswissens 1 Alle 15 Merkmale fachpraktischer e-Portfolioaufgaben, die dem Konzept zugrunde liegen, finden sich bei Gödecke (2020). 2 Das fachspezifische e-Portfoliokonzept und Prinzipien der Aufgabenkonstruktion Die Gestaltung des e-Portfolios orientiert sich an spezifischen Merkmalen fach‐ praktischer e-Portfolioaufgaben, die als Prinzipien der Aufgabenkonstruktion zu verstehen sind und für die nachfolgende Vorstellung des fachspezifischen e-Portfoliokonzepts richtungsweisend sind (vgl. im Folgenden Gödecke 2020). 1 Die Französisch- und Spanischstudierenden legen das an die Praxisphasen geknüpfte e-Portfolio bereits im Bachelor an und führen es im Master weiter. Im Sinne einer Vernetzung der Praxisphasen wird den Studierenden damit die Möglichkeit gegeben, das e-Portfolio studienbegleitend sukzessiv zu erweitern und auf vorherigen Erfahrungen und Ergebnissen aufzubauen (vgl. Merkmal Erweiterung des Wissens- und Erfahrungsstandes). Das e-Portfolio besteht dabei aus einem Pool an Aufgaben, der grundlegende Konzepte der Französischbzw. Spanischdidaktik aufgreift: Aus den fakultativen Themenfeldern (z. B. Fertig‐ keitsbereiche, Leistungsmessung, Interkulturelle Kommunikative Kompetenz, Digitale Medien etc.) wählen die Studierenden diejenigen aus, die ihnen per‐ sönlich relevant erscheinen und dabei helfen können, die in den Praxisphasen aufkommenden Fragen und Probleme aufzugreifen und zu diskutieren. Aspekte wie der Umgang mit Heterogenität, Reflexion des Hospitationsunterrichts sowie die Konzeption und Durchführung eines eigenen Unterrichtsversuchs sind tra‐ gende Elemente Schulpraktischer Studien im Land Bremen und somit auch ob‐ ligatorisch im e-Portfolio zu bearbeiten. Dabei sind die Aufgaben identisch auf‐ gebaut und weisen die Teile „Wissenschaftliche Hinführung“, „Literaturempfehlungen“, „Aufgabenstellung“ und „Bewertungsraster“ aus. Letztere sind jeweils aufgabenspezifisch ausgestaltet und für die Studierenden von Anfang an transparent. Einzelne Aufgaben sind mit Video- oder Audiodaten verknüpft oder auch mit Good-Practice-Beispielen versehen, auf die die Studierenden je nach Bedarf zu‐ rückgreifen können. Darüber hinaus besteht während des gesamten Arbeits‐ prozesses die Möglichkeit, auf der e-Portfolioplattform Rückmeldungen von LernpartnerInnen, MentorInnen sowie Universitätslehrenden einzuholen. Dazu können einzelne Ansichten, die sich als angeordnete Auswahl von Artefakten wie Textelementen oder Audiodateien verstehen, freigeschaltet werden (vgl. Merkmal Lernförderliche, medial gestützte Lernumgebung). Was auf diesem 172 Georgia Gödecke / Andreas Grünewald elektronischen Wege nicht geklärt werden kann, findet in den begleitenden universitären Veranstaltungen genügend Raum, denn die e-Portfolioarbeit wird systematisch mit den fachdidaktischen Lehrveranstaltungen verbunden. Da‐ rüber hinaus werden u. a. auch Verknüpfungen mit praxisbegleitenden erzie‐ hungswissenschaftlichen Lehrveranstaltungen gezogen, in deren Rahmen fach‐ spezifische Unterrichtsdesigns aus unterschiedlichen Perspektiven untersucht werden (vgl. Merkmal Einbezug und Relationierung verschiedener Bereiche des Professionswissens). Solche mehrperspektivischen Austauschprozesse und Be‐ zugspunkte sind notwendig, da sich das erfolgreiche Handeln von Lehrpersonen in konkreten Unterrichtssituationen auf mehrdimensionalem Wissen gründet, das in verschiedene Disziplinen hineinreicht und in integrierter Form greift. Hochschulische Aufgaben müssen sich aus diesem Grunde auf zentrale Dimen‐ sionen von Professionswissen beziehen, die durch die Aufgaben angesprochen oder in der Bearbeitung derselben aufgebaut werden (vgl. Reintjes, Keller, Jünger & Düggeli 2016: 435). Mit Blick auf die e-Portfolioarbeit ist fachspezifische Re‐ flexionskompetenz dabei die zentrale Vermittlungsinstanz. Sie versetzt die Stu‐ dierenden in die Lage, das eigene Handeln unter Bezug auf das Professions‐ wissen (fachwissenschaftliches, fachdidaktisches und pädagogisches Wissen) zu beschreiben, zu analysieren, zu beurteilen und bei Bedarf Handlungsalterna‐ tiven zu entwickeln. Dementsprechend werden die Studierenden dazu angeleitet, ihr Professionswissen für die Planung und Durchführung von Unterricht zu nutzen. Fachspezifische Reflexionsprozesse können ihnen dabei die Gelegenheit bieten, sich das Vorwissen und bis zu einem gewissen Grad die eigenen Über‐ zeugungen und Motive bewusst zu machen und die Wissensbereiche besser miteinander zu vernetzen. Damit orientiert sich die Modellierung fachspezifi‐ scher Reflexionskompetenz zwar in Ansätzen an Bräuer (2016) und Levin & Meyer-Siever (2018), erweitert die vorliegenden Konzepte jedoch um eine (noch) stärkere fachspezifische Perspektive und räumt der Bedeutung des impliziten Wissens einen vergleichsweise größeren Stellenwert ein. Darüber hinaus wird die Modellierung fachspezifischer Reflexionskompetenz mit der Entwicklung eines Reflexionsmodells korreliert (vgl. Gödecke 2020; Abschnitt 3 dieses Bei‐ trags). Wenn sich die Studierenden im Rahmen der e-Portfolioarbeit ihre Unter‐ richtsplanungen sowie ihre gemachten Praxiserfahrungen vergegenwärtigen, so beschränkt sich die Aufforderung zu Reflexion nicht auf ein globales „Re‐ flektieren Sie mal …“, sondern wird anhand von aufgabenspezifischen Reflexi‐ onsimpulsen differenziert unterstützt (vgl. Merkmal Anbahnung fachspezifischer Reflexion). Das Reflexionssetting des e-Portfolios ist gezielt strukturiert und regt zu mehrperspektivischen Bewusstmachungen an. Bevor ein konkretes Aufga‐ 173 Fachspezifische Reflexionsprozesse als Beitrag zum Ausbau des Professionswissens benbeispiel vorgestellt wird, welches die Reflexionskompetenz der Studier‐ enden fördert und als Reflexionsanlass im Praxissemester zur Vernetzung der Wissensbereiche dient, soll zunächst das aufgabenbasierte Reflexionsmodell veranschaulicht werden (vgl. im Folgenden Gödecke 2019; Gödecke 2020). 3 Förderung fachspezifischer Reflexionskompetenz und Vernetzung der Wissensbereiche Das aufgabenbasierte Reflexionsmodell ist anwendbar, wenn Studierende ein fachspezifisches Unterrichtselement planen, in der Praxis umsetzen und sich die Durchführung anschließend vergegenwärtigen. Dieser komplexe Reflexions‐ prozess wird durch das Modell in Teilprozesse untergliedert. Zur Steigerung der Reflexionsqualität und -inhalte werden für jeden Teilprozess adäquate Reflexi‐ onsimpulse angeboten, auf die die Studierenden individuell zurückgreifen können. Abb. 2: Aufgabenbasiertes Reflexionsmodell Die Abbildung des aufgabenbasierten Reflexionsmodells (vgl. Abb. 2) zeigt, dass die Reflexionsimpulse R1 und R2 den gesamten Reflexionsprozess rahmen. Mit Blick auf ihre eigene Lern-/ Lehrbiografie legen die Studierenden in R1 dar, warum sie sich für die jeweilige Schwerpunktaufgabe im Bereich der Unter‐ richtsgestaltung entschieden haben, was sie zu dem Thema bereits wissen und was sie lernen möchten. Diese Kontextualisierung ist notwendig, da jede ange‐ 174 Georgia Gödecke / Andreas Grünewald hende Fremdsprachenlehrkraft - bewusst oder unbewusst - über Annahmen darüber verfügt, was fremdsprachliche Lernprozesse erfolgreich macht (Grü‐ newald 2019). Diese Annahmen bilden den Hintergrund, vor dem neue Infor‐ mationen und Erfahrungen aufgenommen werden, und sollten deshalb nicht vom Reflexionsprozess ausgeschlossen werden. Im Anschluss an die Aufgaben‐ bearbeitung erfolgt R2: Die Studierenden ziehen Rückbezüge zu den in R1 for‐ mulierten Annahmen, Fragen, Bedürfnissen, Wünschen und Zielen. Auch offen gebliebene Fragen oder weiterführende Zielsetzungen für die eigene Professio‐ nalisierung als Fremdsprachenlehrkraft können festgehalten werden. Nach der Durchführung des Unterrichtselements geht es in der 1. Phase (Darstellen und Beschreiben) darum, den Planungsrahmen zu erinnern, der sich sowohl aus individuellen Vorerfahrungen als auch aus Theoriewissen rund um den spezifischen Schwerpunkt der jeweiligen Aufgabe zusammensetzt. An dieser Stelle rekurrieren die Studierenden nicht nur auf den fremdsprachendi‐ daktischen Bezugsrahmen, sondern werden anhand von Leifragen wie Welche weiteren Theorien, Konzepte etc. (aus dem Studium) aus der Erziehungswissen‐ schaft oder der Fachwissenschaft konnten Sie in die Planung mit einbringen? gezielt zur Berücksichtigung interdisziplinärer Perspektiven aufgefordert. Im An‐ schluss daran werden die individuellen Beobachtungen und Eindrücke der Pra‐ xisdurchführung gesammelt und beschrieben. In Phase 2 (Analysieren und Ver‐ gleichen) erörtern die Studierenden, ob bzw. welche Planungsabweichungen sich bei der Umsetzung des Lehr-Lernsettings ergeben haben, bevor in der 3. Phase (In Beziehung setzen) diese subjektive Analyse durch fachbezogenes und krite‐ rienbezogenes Feedback ergänzt wird. In Phase 4 beschäftigen sich die Studier‐ enden mit der Frage, inwieweit sich das entwickelte Unterrichtselement tat‐ sächlich in die Praxis übertragen lässt und welche Fragen an die Theorie noch offen geblieben sind (Beurteilen und Schlussfolgern). In der zukunftsgerichteten Phase 5 (Planen) wird schließlich dazu angeregt, Handlungsalternativen auch durch Rückgriff auf theoretische Konzepte bzw. fachwissenschaftliches Wissen zu entwerfen und zu begründen. Das Modell verdeutlicht, dass fachspezifische Reflexion aus vielen Teilprozessen besteht, die systematisch gefördert werden müssen. Während die Studierenden im Bachelorstudium die ersten beiden Phasen des Modells „trai‐ nieren“ und einen Reflexionsaspekt aus den Phasen 3 bis 5 verstärkt in den Blick nehmen, durchlaufen Studierende im Masterstudium den gesamten Reflexions‐ prozess. Dieses phasenübergreifende Konzept ermöglicht einen sukzessiven Aufbzw. Ausbau fachspezifischer Reflexionskompetenz und verhindert damit ein ermüdendes Abarbeiten der einzelnen Phasen im Sinne eines defensiven Reflektierens (vgl. auch Häcker 2017: 28). 175 Fachspezifische Reflexionsprozesse als Beitrag zum Ausbau des Professionswissens 2 Die nachfolgenden Studierendenlösungen sind während des Praxissemesters 2018 im Land Bremen entstanden und wurden im Rahmen der Dissertation von Gödecke (2020) umfassend untersucht. 3 Die Aufgabe steht unter folgendem Link zur Ansicht zur Verfügung: http: / / www.didro m.uni-bremen.de/ wortschatzaufgabe. Die ausführliche Vorstellung einer e-Portfolioaufgabe und ihres Beitrags zum Aufbau fachspezifischer Reflexionskompetenz findet sich im nachfolgenden Abschnitt und wird durch exemplarische Studierendenlösungen 2 veranschau‐ licht. 4 Aufgabenbeispiel zum Thema Wortschatz Die e-Portfolioaufgabe mit dem Schwerpunkt “Wortschatz“ 3 , welche die Mas‐ terstudierenden während ihres Praxissemesters anwählen können, rückt Wort‐ schatzerwerb und -arbeit im Fremdsprachenunterricht in den Fokus. Dadurch setzen sich die Studierenden mit lexikalischen Lernprozessen auseinander und werden bereits im Studium für unterrichtlich gelenkte Aktivitäten sensibilisiert, die zum schülerseitigen Aus- und Aufbau lexikalischer Kenntnisse und Kom‐ petenzen initiiert werden können (vgl. Küster & Krämer 2016: 46). Die Aufgabe ist so strukturiert, dass zunächst ein knapper Einführungstext die wichtigsten fachdidaktischen Wissensbestände zu diesem Thema zusam‐ menfasst sowie Bezüge zur Fachwissenschaft und Erziehungswissenschaft her‐ stellt. Die Studierenden können dadurch ihre Kenntnisse auffrischen bzw. ver‐ tiefen und diese in die Planung ihres spezifischen Unterrichtselements einfließen lassen. Darüber hinaus erhalten sie weiterführende Literaturemp‐ fehlungen, auf die sie nach Bedarf zurückgreifen können. Auf die thematische Einführung und die Literaturhinweise folgt die konkrete Aufgabe: Hier können die Studierenden zwischen der Entwicklung eines Semantisierungsverfahrens zur Einführung neuen Wortschatzes oder der Entwicklung einer Wortschatz‐ überprüfung wählen. Die folgenden Ausführungen beziehen sich in Anbetracht des begrenzten Umfangs dieses Artikels auf die zuletzt genannte Option. Die Aufgabe, die sich mit Formen von Wortschatzüberprüfungen im Fremd‐ sprachenunterricht auseinandersetzt, ist in Teilaufgaben untergliedert. Zu‐ nächst fordert der rahmende Reflexionsimpuls R1 die Studierenden auf, ihre Entscheidung für diese Aufgabe zu begründen sowie Erwartungen und Ziele zu formulieren (vgl. dazu auch Abschnitt 3). Eine Masterstudentin, die für ihre R1-Ausführungen ein Selfie-Video gewählt hat, äußert sich beispielsweise fol‐ gendermaßen (Auszug des transkribierten Videomaterials): 176 Georgia Gödecke / Andreas Grünewald Ich habe mich für die Wortschatzarbeit entschieden, weil ich in der achten Klasse eine Unterrichtseinheit zu den alimentos und ir a supermercado geplant hatte. Und da musste man natürlich auch neue Vokabeln einführen. Und vor den Ferien war sowieso noch ein Vokabeltest angesetzt, so dass es sich für mich angeboten hat, diese Aufgabe auszuwählen. Und es war auch für mich ein Anreiz, mal was anderes zu machen, da ich jetzt im Praxissemester und auch in den anderen Praktika quasi nur Vokabeltests gesehen hatte, die aus Wortabgleichungen bestanden. […] Und es ist ja auch so, dass ich durch meine zwei Fremdsprachen permanent Wortschatzarbeit und -überprü‐ fungen machen muss, deswegen fand’ ich die Aufgabe ziemlich gut. […] Ich hab’ dann angefangen, mich einzulesen. Da ist mir relativ schnell aufgefallen, dass zwar die Problematik von reinen Wortabgleichungen bzw. von der Paarassoziationsmethode benannt wird, aber dass es relativ wenig konkrete Anregungen dazu gibt, wie man’s denn besser machen könnte. Deswegen hab’ ich jetzt die Hoffnung, dass ich Alterna‐ tiven entwickeln kann, die im besten Fall gut funktionieren und die ich weiterentwi‐ ckeln kann, um dann in der Zukunft darauf zurückzugreifen […] Besonders hervorzuheben ist zunächst, dass es die Studentin versteht, die Auf‐ gabe zum Wortschatz mit den Praxisbedingungen vor Ort an der Schule in Ein‐ klang zu bringen. Dadurch kann sie Theorie und Praxis in ein sinnvolles und produktives Verhältnis zueinander setzen. Ihre Ausführungen verdeutlichen zudem, dass sie an ihre Vorerfahrungen und ihr Vorwissen im Bereich der Wort‐ schatzarbeit anzuknüpfen weiß sowie nachvollziehbar darlegen kann, aus wel‐ chen Gründen die Bearbeitung der Aufgabe auch einen Mehrwert für ihre eigene Professionalisierung als Fremdsprachenlehrkraft hat. Im Anschluss an R1 erfolgt die konkrete Aufgabenstellung, die in unserem Beispiel spezifische Formen der Wortschatzüberprüfung behandelt. Ausgehend von der Hypothese des mentalen Lexikons wird dazu angeregt, Formen der Wortschatzüberprüfung zu entwickeln und auszuprobieren, welche den Spei‐ chermechanismen des mentalen Lexikons entgegenkommen und so eine bessere Behaltensleistung fördern können. Die Aufgabe ist insofern als Reflexionsanlass gut geeignet, als dass die typische Form des Vokabeltests, welche die Studier‐ enden in der schulischen Praxis kennenlernen bzw. aus ihrer eigenen Schulzeit kennen (Wort-Wort-Assoziationen), nur bedingt der angenommenen Speiche‐ rung der Lexik im mentalen Lexikon entspricht. Das fachwissenschaftliche Wissen führt hier also zunächst zu einem neuen Setting, in dem neue oder zu‐ mindest andere Formen der Wortschatzüberprüfung ausprobiert werden können (vgl. Abb. 3). 177 Fachspezifische Reflexionsprozesse als Beitrag zum Ausbau des Professionswissens Abb. 3: Studierendenbeispiel einer alternativen Wortschatzüberprüfung im Rahmen des Praxissemesters 2018 in Bremen (Fach Spanisch) Allerdings ist bei der Erstellung fachdidaktisches Wissen notwendig, etwa Kenntnisse zur Lernerorientierung, zur Individualisierung des Wortschatzes, zum Aufbau des lektionsbezogenen Vokabulars, zur Arbeit mit chunks, zur Leis‐ tungsbewertung usw. In der Aufgabe wird anhand des aufgabenorientierten Reflexionsmodells fachspezifische Reflexion mit dem Ziel angeleitet, die Wis‐ sensbereiche fachwissenschaftliches, fachdidaktisches und pädagogisches Wissen miteinander zu vernetzen. Gleichzeitig werden Theorie und Praxis zu‐ einander in Beziehung gesetzt. Im Rahmen der Reflexion ihrer Unterrichts‐ durchführung schreibt eine Französischstudentin Folgendes: […] Wie bereits dargelegt, erfolgt die Vernetzung des mentalen Lexikons bei den Lernenden individuell und konstruktiv, weswegen die Erkenntnisse aus der Kogniti‐ onswissenschaft eine Individualisierung der Lernprozesse nahelegen (vgl. Kolacki 2006). Wortschatzarbeit sollte sich daher von der traditionellen Vorstellung des Wör‐ terlernens verabschieden und stattdessen verschiedene Sinneskanäle ansprechen und einen individuellen Bezug zu den Lernenden zu ermöglichen. […] Es hat sich jedoch herausgestellt, dass die Bewertung alternativer Wortschatzüberprüfungen eine He‐ rausforderung darstellt. Da es für die SuS der erste individalisierte Vokabeltest war, wäre es anstatt einer Benotung sinnvoller gewesen, Rückmeldungen in Form von 178 Georgia Gödecke / Andreas Grünewald Tipps zu geben, die den SuS bei der Optimierung ihrer Wörternetze hätten helfen können (durch Verbindungen, Symbole …). Zudem hätte deutlich gemacht werden sollen, dass es an vielen Stellen des Tests nicht die eine richtige Lösung gibt. Indivi‐ dualisierte Vokabeltests haben die Funktion, die SuS durch Übungs- und Testvielfalt zu motivieren und Lernstrategien zu integrieren, um die Vernetzung im mentalen Lexikon zu maximieren (Grünewald & Roviró 2009: 30). Ich hätte von daher besser ein alternatives Bewertungssystem für den Vokabeltest wählen sollen, um die Moti‐ vation der SuS zum Vokabellernen zu erhöhen. Vokabeltests sollten generell nicht mit Ziffernnoten bewertet werden, da sie zu kurzen schriftlichen Lernkontrollen oder Übungen zählen (Giese 2013: 32). Dieser Ausschnitt verdeutlicht entscheidende Teilprozesse fachspezifischer Re‐ flexion: Die Studentin tritt aus ihrem subjektiven Rahmen heraus, indem sie Rückbezüge zum gewählten wissenschaftlich-theoretischen Rahmen vornimmt, und richtet ihren Blick nach vorn, um Folgerungen und Handlungsalternativen abzuleiten. Hier entfaltet sich die zentrale Funktion von Reflexion, denn Refle‐ xion wird erst dann relevant, wenn daraus unmittelbare Einsicht über Handeln in künftigen analogen Situationen gewonnen wird (vgl. Fraefel 2017: 65). Der rahmende Reflexionsimpuls R2 rundet die Aufgabenbearbeitung ab, indem die Studierenden Rückbezüge zu den in R1 formulierten Erwartungen, Fragen, Bedürfnissen, Wünschen und Zielen erarbeiten. Der Vergleich des Er‐ worbenen bzw. Gelernten mit den ursprünglichen Zielen verdeutlicht den Lern‐ prozess und hilft, Entwicklungsziele für die weitere Professionalisierung zur Fremdsprachenlehrkraft zu formulieren. Aus Gründen der Transparenz erhalten die Studierenden auch zu dieser Auf‐ gabe ein aufgabenspezifisches Bewertungsraster. Die Bewertungsraster sind in Anlehnung an die gemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwis‐ senschaft und Fachdidaktik ( KMK 2008 i.d.F.v. 2019) formuliert. Hier sind ins‐ besondere Sachrichtigkeit, Fachterminologie, Selbstständigkeit der Leistung und Nachvollziehbarkeit zu nennen. Der gesamte e-Portfolioeinsatz im Bachelor-Kurzpraktikum als auch im Pra‐ xissemester wurde in den vergangenen Semestern umfassend evaluiert. Die Er‐ kenntnisse aus diesen Evaluationsrunden wurden für die stetige Weiterent‐ wicklung des Konzepts genutzt und sind in Gödecke (2020) detailliert beschrieben. 6 Fazit Das e-Portfolio in der Didaktik der romanischen Sprachen der Universität Bremen bietet fachspezifisch ausdifferenzierte reflexionsorientierte Lerngele‐ 179 Fachspezifische Reflexionsprozesse als Beitrag zum Ausbau des Professionswissens genheiten, die es den Studierenden ermöglichen, die Wissensbereiche des Pro‐ fessionswissens sinnvoll und produktiv miteinander zu vernetzen. Dementspre‐ chend sind die e-Portfolioaufgaben einerseits dazu geeignet, das fachdidaktische Wissen in Bereichen wie Differenzierung, Diagnose und Spracherwerb auf- und auszubauen, und andererseits, eine Bewusstmachung der fachwissenschaftli‐ chen und pädagogischen Perspektiven auf Lerngegenstände und Unterrichtssi‐ tuationen zu fördern. Zur systematischen Strukturierung dieser Reflexionspro‐ zesse dient ein aufgabenorientiertes Reflexionsmodell, das in Kombination mit seinen fachspezifischen Frageimpulsen die Studierenden dazu anregt, ihre Re‐ flexionsprozesse sowohl in der Tiefe (Reflexionsqualität) als auch in der Breite (Reflexionsinhalte) auszudifferenzieren. Allerdings ist gerade in Hinblick auf die Reflexionsbreite zu berücksichtigen, dass wir als Lehrende und auch die Studierenden selbst ganz unterschiedliche Perspektiven darauf haben, was Fran‐ zösischbzw. Spanischlehrkräfte aus welchen Disziplinen an Wissen erwerben sollten. Während für Mathematik oder Physik in den jeweiligen Disziplinen ak‐ zeptierte Konzeptionen über die Wissensbereiche des Professionswissens vor‐ liegen, gilt das nicht gleichermaßen für das Professionswissen von Französisch- und Spanischlehrkräften. Es fehlen fundierte Ergebnisse, die über einzelne Befunde und Einsichten hinausgehen. Hoinkes und Weigand (2016) haben erste Versuche unternommen, den Coactiv-Ansatz auf das Fach Spanisch zu über‐ tragen. Der Versuch scheitert im Wesentlichen daran, dass es keine Fachcurri‐ cula gibt, d. h. keine Wissenbestände in den Teildisziplinen, die unumstritten überall gelehrt werden. Hier sehen wir einen enormen Bedarf, in nächster Zu‐ kunft innerhalb und zwischen den Disziplinen Diskussionen zu führen und die Wissensbestände zuverlässig zu beschreiben. Literatur Baumert, Jürgen & Kunter, Mareike (2006). Stichwort: Professionelle Kompetenz von Lehrkräften. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, 9(4), 469-520. 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Im Rahmen eines Seminars erarbei‐ teten und erprobten Lehramtsstudierende im BA der Fächer Französisch und Spanisch selbst erstellte digitale Unterrichtselemente unter fremdsprachen‐ didaktischer Perspektive. In diesem Artikel werden zunächst theoretische Grundlagen digitaler Lehr- und Lernkontexte beschrieben, anschließend das Kurskonzept vorgestellt und abschließend auf Basis des Ansatzes reflexiver LehrerInnenbildung die Effekte des Kurskonzepts mithilfe empirischer Daten aus der digiSem-Studie nachgezeichnet. Diese zeigen Veränderungen der Sichtweisen der Studierenden auf den Seminargegenstand Digitalisierung und bestätigen dabei das Potenzial der systematischen Integration von prak‐ tischen Erprobungen digitaler Anwendungen und gesteuerten Portfolio-/ Re‐ flexionsaufgaben. 1 Theoretische Basis 1.1 Veränderung der Lehre in Schule und Lehramt Im Hinblick auf die Veränderungen des Fremdsprachenunterrichts und der Hochschullehre in den Lehramtsstudiengängen sind - im Kontext der Digitali‐ sierung - zunächst die folgenden zwei Ebenen zu betrachten: 1. technische In‐ novationen und 2. reflektierte flexible didaktische Kompetenz zur Gestaltung von Lernarrangements. Digitale Medien nehmen im Alltag von SchülerInnen und Studierenden einen so großen Raum ein, dass sie in Schule und Hochschul‐ lehre nicht ausgeblendet werden können (vgl. JIM -Studie, Medienpädagogi‐ scher Forschungsverbund Südwest 2018). So heißt es im Vorwort der Strategie der Kultusministerkonferenz: Kompetenzen für ein Leben in der digitalen Welt werden zur zentralen Voraussetzung für soziale Teilhabe, denn sie sind zwingend erforderlich für einen erfolgreichen Bil‐ dungs- und Berufsweg. Das Lernen im Kontext der zunehmenden Digitalisierung und das kritische Reflektieren werden künftig integrale Bestandteile dieses Bildungsauftrages sein (KMK 2016: 1). Die bei SchülerInnen und Studierenden zu fördernde Medienkompetenz zielt nicht einfach auf eine Diversifizierung der Lernumgebungen und Lernangebote ab, sondern es geht darum, SchülerInnen zur gesellschaftlichen Partizipation zu befähigen. Die Anlässe zur Veränderung der Lehre in Schule und Lehramt sind insofern auf einer gesellschaftlichen Ebene und einer bildungspolitischen Ebene angesiedelt. Bundesweit stellt die Strategie der Kultusministerkonferenz (2016) „Bildung in der digitalen Welt” eine wichtige Leitlinie dar. Für die universitäre Lehre schiebt zudem der Qualitätspakt Lehre innovative Maßnahmen an (vgl. ebd.: 40). In Nordrhein-Westfalen beispielsweise sind Schulen mit der Einfüh‐ rung des Referenzrahmens Schulqualität (Ministerium für Schule und Weiter‐ bildung des Landes Nordrhein-Westfalen 2015) und durch den Medienkompe‐ tenzrahmen NRW (Medienberatung NRW 2019) verbindlich aufgefordert, die Lernumgebung mit Medien zu gestalten und medienbezogene Kompetenzen in den einzelnen Fächern zu fördern. Dies stellt Schul(leitung)en und Lehrende vor große strukturelle wie fachliche Herausforderungen. Umfragen zeigen, dass hier ein großer Fortbildungsbedarf von Lehrenden gesehen wird (vgl. IW Consult 2018: 53). Insofern müssen angehende Lehrkräfte dazu befähigt werden, ihren Unter‐ richt immer wieder zu modernisieren, um individuell, barrierefrei und flexibel für die Lernenden und mit ihnen Unterricht zu gestalten. Sie sollten in der Lage sein zu erkennen, welche Bedeutung fachspezifische Inhalte und Kompetenzen für die Anwendung der jeweiligen digitalen Medien spielen und umgekehrt, welchen Einfluss die Digitalisierung auf Lernprozesse im Fremdsprachenunter‐ richt hat. Die universitäre Lehre kann dazu beitragen, indem sie Studierenden ermöglicht, fachspezifische Konzepte zu erproben, auf den Unterricht anzu‐ wenden und zu evaluieren. Es genügt also nicht, eine Anwendungskompetenz im Hinblick auf einzelne Geräte und Software-Angebote aufzubauen. Die Stu‐ dierenden müssen vielmehr medienspezifische Kompetenzen entwickeln. 186 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter Auf europäischer Ebene stellt sich für die Entwicklung dieser Kompetenzen der Europäische Rahmen für die Digitale Kompetenz von Lehrenden (Dig‐ Comp-Edu) (European Commission 2017) als hilfreich dar. Hier werden folgende Oberkategorien aufgeführt: 1. Berufliches Engagement, 2. Digitale Ressourcen, 3. Lehren und Lernen, 4. Evaluation, 5. Lernerorientierung, 6. Förderung der digitalen Kompetenz der Lernenden. Pro Kategorie folgen jeweils mehrere län‐ gere Deskriptoren, von denen nachstehende für das hier beschriebene Projekt als relevant erachtet werden (ebd.: 2): 1.3 Die eigene Praxis hinsichtlich des didaktisch sinnvollen Einsatzes digitaler Medien reflektieren, selbstkritisch beurteilen und aktiv weiterentwickeln. 2.1 Geeignete digitale Lehr- und Lernressourcen identifizieren, auswerten und aus‐ wählen. Lernziele, Kontext, didaktischen Ansatz und die Lerngruppe bei der Auswahl digitaler Ressourcen und Planung ihrer Nutzung berücksichtigen. 3.1 Den Einsatz von digitalen Geräten und Materialien im Unterricht planen und ge‐ stalten, und so die Effektivität von Lehrinterventionen verbessern. Digitale Unter‐ richtsmethoden angemessen einbetten, organisieren und gestalten. Neue Formate und didaktische Methoden für den Unterricht entwickeln und ausprobieren. 5.2 Lernenden ermöglichen, ihr individuelles Lernziel in ihrem jeweils eigenen Lern‐ tempo zu erreichen und individuelle Lernwege zu beschreiten. Die genannten Deskriptoren verdeutlichen die Notwendigkeit, angehende Lehr‐ personen zu einem reflektierten Umgang mit digitalen Lehr- und Lernres‐ sourcen anzuregen und ihnen Gelegenheiten und Räume zum Entwickeln und Erproben von Lehrinnovationen zu bieten, die erst durch die Digitalisierung denkbar geworden sind. 1.2 Digitale Wende im Bildungskontext Im schulischen Fremdsprachenunterricht, auf den die universitäre Lehre in der Fremdsprachendidaktik vorbereitet, ermöglicht die Digitalisierung unter an‐ derem, folgende Ziele zu erreichen: • Motivation über Gamification-Ansätze (z. B. Storytelling, Belohnungs‐ systeme, Avatare etc.) • Individualisierung und Flexibilisierung über Tools mit Feedback-Funk‐ tion (z. B. Lernapps) • Authentizität über die Öffnung des Klassenzimmers in den fremdsprach‐ lichen Raum (z. B. über soziale Medien) • Reflexion der Lernprozesse durch die multimediale Dokumentation (z. B. e-Portfolio) 187 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten Alle Bereiche erfordern unterschiedliche Anwendungen und ermöglichen die Entwicklung anderer fremdsprachlicher Kompetenzen. Insbesondere die Öff‐ nung des Klassenraumes mit dem Ziel der Förderung einer interkulturellen Kommunikationskompetenz (vgl. Praxisbeispiele in Wagner & Heckmann 2012) wird durch digitale Medien vielfältiger umsetzbar. Außerdem erlauben Audio- und Videoaufnahmen, die mit jedem Smartphone möglich sind, den Lernenden, die eigene mündliche Sprachproduktion zu reflektieren und zu ver‐ bessern. Auch in der universitären Lehre gibt es Ansätze und Tools, welche hier vor‐ nehmlich folgenden Bereichen dienen: • Präsentation von Fachinhalten (z. B. interaktive Tafeln) • Bereitstellung von Fachinhalten (z. B. digitale Plattformen) • Reflexion von Lernprozessen (z. B. e-Portfolio) • Betreuung und Beratung (z. B. über soziale Medien) • digitalisiertes barrierefreies Prüfungswesen (z. B. e-Klausuren) Nachfolgend werden einige Modelle und theoretische Konzepte vorgestellt, die bei der Konzeption von digitalen Lernsettings im schulischen und universitären Bereich und bei der inhaltlichen Gestaltung des Lehrprojekts von Bedeutung sind: SAMR -Modell, 4K-Modell des Lernens, MiFd-Modell, TPACK -Modell, Flipped / Inverted Classroom und Gamification. Das SAMR -Modell von Puentedura (2006) stellt den lerntheoretischen Nutzen digitaler Medien im Kontrast zu analogen Medien dar. Es unterscheidet zwischen den vier Stufen substitution/ Ersetzung, augmentation/ Erweiterung, modification/ Änderung und redefinition/ Neubelegung. Demgemäß erfolgt auf einer ersten Stufe der Digitalisierung die Ersetzung des analogen Materials durch ein digitalisiertes, ohne dass sich Form oder Inhalt ändern. Dies ist zum Beispiel der Fall, wenn ein Lehrwerk im PDF -Format zugänglich ist. Eine Er‐ weiterung ist gegeben, wenn durch Anklicken einzelner Stellen im digitali‐ sierten Lehrwerk eine Lösung angezeigt wird. Eine Änderung ist erst erfolgt, wenn beispielsweise alle weiteren Medien unmittelbar aufgerufen werden können und wenn auch Aufgabenformate nur in der digitalen Funktion möglich sind, wie z. B. das Verschieben von Text- und Bildelementen zwecks Zuordnung. Eine wirkliche Neubelegung von Lehrmaterial ist zu attestieren, wenn Aufga‐ benformate nur digital realisierbar sind, da sie verschiedene Medien abrufbar machen oder das Klassenzimmer nach außen virtuell öffnen. Problematisch ist bei diesem Modell, mit dem eine bildhafte Darstellung einhergeht, dass diese eine tiefere und vielleicht bessere Durchdringung des Lernstoffes suggeriert. Dies muss aber nicht zwangsläufig der Fall sein. Ebenso wenig kann bei der 188 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter ersten Stufe davon ausgegangen werden, dass sich Lernprozesse nicht ändern, wenn das Buch durch ein PDF -Format oder der Stift durch die Tastatur ersetzt werden. Gleichwohl liefert das Modell Anhaltspunkte für die Analyse digitaler Anwendungen. Das 4K-Modell betrachtet die Verbindung von Wissen, Fertigkeiten, Cha‐ raktereigenschaften bzw. Charakterbildung der Lernenden und Meta-Lernen bezogen auf veränderte Lernerfordernisse und Lernbedingungen im 21. Jahr‐ hundert (vgl. Fadel, Bialik & Trilling 2017). Die vier Ks stehen für Kommunika‐ tion, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Es wird davon ausge‐ gangen, dass die globalisierte Welt von Unbeständigkeit, Unsicherheit, Komplexität und Mehrdeutigkeit geprägt ist und sich daher schulische Bildung bezogen auf Inhalte und Zugänge verändern muss. Das Modell wird im Diskurs um Digitalisierung oft verkürzt rezipiert, indem nur auf die vier Ks des Center for Curriculum Redesign ( CCR ) abgehoben wird. Während Fadel et al. als Ver‐ treterInnen des Arbeitskreises CCR eine vielschichtige Analyse veränderter Bildungserfordernisse vorlegen, trifft man zum Beispiel in Bildungs-Blogs immer wieder auf einfache grafische Zuordnungen digitaler Anwendungen zu einzelnen Kompetenzbereichen (z. B. Google Docs und Kooperation). An dem Modell wird auch kritisiert, dass ihm ökonomische Interessen unterliegen. In‐ haltlich suggeriert es, dass durch den Einsatz der Anwendung automatisch der jeweilige Kompetenzbereich angeregt oder gefördert würde. Im folgenden Modell werden ebenfalls Apps bestimmten Funktionen zuge‐ ordnet. Im Zentrum des MiFd-Modells (Modell individuelle Förderung digital) (Rodemerk & Hambsch 2018) steht aber die konkrete Unterrichtssituation. Darum herum verteilen sich in Kreisen die Handlungsfelder Klassenorganisa‐ tion, Konstruktive Unterstützung und Kognitive Aktivierung, in deren Zentrum jeweils das SAMR -, das 4K- und das TPACK -Modell stehen. Im TPACK - Modell (vgl. Harris, Mishra & Köhler 2009; Gesellschaft für digitale Bildung 2019) lässt sich das MiFd-Modell in den Bereichen Technological Knowledge ( TK ) und Pedagocial Knowledge ( PK ) bzw. im Überschneidungsbereich TPK verorten. Als nicht fachspezifisches Modell nimmt das MiFd-Modell das inhalt‐ liche Wissen ( CK ) bewusst nicht in den Blick. Die Überschneidungsbereiche des pädagogisch-inhaltlichen Wissens ( PCK ) und des technologisch-inhaltlichen Wissens ( TCK ) sind jedoch aus Sicht der Fachdidaktik von großer Relevanz, da sie die Vermittlung von Wissen und die Vermittlung von Lernstrategien bzw. -techniken umfassen. Die drei Handlungsfelder des MiFd-Modells werden von drei Ringen umgeben, die zunächst Handlungsebenen samt Effektstärken nach Hattie (2017), dann Eigenschaften von Apps und zuletzt Beispiele für Apps be‐ nennen. Dadurch soll vom abstrakten Modell oder Konzept bis zu konkreten 189 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten Apps auf verschiedenen Ebenen gezeigt werden, inwiefern Apps dazu beitragen können, Unterrichtssituationen und Lernen zu individualisieren. Da die Autor- Innen das Modell ständig überarbeiten, besteht auch nicht die Gefahr, dass die Beispiel-Apps veralten. Flipped Classroom und Inverted Classroom sind Konzepte der Digitali‐ sierung der Lehre mit dem gleichzeitigen Ziel der Stärkung der Selbstverant‐ wortung der Lernenden, ihrer Kooperation und der Erhöhung der Lernzeit für die inhaltliche Vertiefung in Präsenzphasen. Das Modell des Flipped Classroom geht auf Baker (2000) zurück und findet im schulischen Unterricht Anwendung. Es kombiniert Online-Lernphasen und Präsenzphasen im Wechsel mit schulbe‐ dingt relativ kurzen Abständen. In der Online-Phase werden den SchülerInnen in der Regel vorab Lernvideos bereitgestellt, über welche die unterrichtlichen Inhalte vermittelt werden. In der Präsenzphase können die SchülerInnen gezielt nachfragen und werden angeleitet, die Inhalte praktisch anzuwenden und so gezielt Kompetenzen zu entwickeln. Für die Hochschullehre spricht Handke (2017) von Inverted Classroom. Der Unterschied besteht in dem größeren zeit‐ lichen Abstand zwischen Online- und Präsenzphasen, was zu komplexeren On‐ line-Phasen führt. Hier werden nun nicht nur Erklärvideos, sondern viele wei‐ tere Materialien (Texte, Bilder, kooperative Aufgaben) bereitgestellt. Zur Sicherstellung einer gelungenen Vorbereitung auf die Präsenzphase schlägt Handke sogenannte Dynamic Choice-Tests vor, eine anspruchsvollere Version des Multiple-Choice-Tests. Kombinierbar mit Onlinewie Präsenzphasen sind Gamification-Ansätze. Stannard & von Blanckenburg (2018) unterscheiden digitale Spiele als Tool/ Hilfsmittel, als Tutor/ Vermittler, als Task/ Aufgabe, als Text und als Methode. Allen Formen gemein ist der Versuch, den Lernenden motivierende Anreize zu geben. Dies beginnt bei einfachen Quizzes, die in spielerischer Form Lernstoff vermitteln oder zur Automatisierung beitragen. Komplexere Formen digitaler Spiele ermöglichen die Aktivierung und Interaktion mehrerer Lernenden in in‐ haltlich interessanten Kontexten und unter Integration verschiedener funkti‐ onal kommunikativer Kompetenzen. Die Bewältigung einzelner Aufgaben er‐ möglicht dann das Fortfahren mit den nächsten Aufgaben. Solchermaßen können komplexe digitale Spiele selbst als kulturelle Texte oder als „ludonarra‐ tive[…] Texte” (ebd.: 11) verstanden werden, die Anlass für Aushandlungspro‐ zesse und kreative Sprachproduktionen bieten. Im Folgenden (siehe 1.3 und 2.1) wird die Relevanz der genannten theoreti‐ schen Grundlagen für die Realisierung und Gestaltung des Lehrprojekts erläu‐ tert. 190 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter 1.3 Erprobung digitaler Medien in der Hochschullehre Der Einsatz digitaler Medien und die Umsetzung der beschriebenen Konzepte in der Hochschullehre ermöglichen es Studierenden, diese im Bildungskontext zu erproben, was nicht gleichbedeutend mit Alltagsanwendungen ist. Ferner sind Anwendungen, die sich für den Fremdsprachenunterricht eignen, nicht deckungsgleich mit Anwendungen für die universitäre Lehre. Aus der LehrerInnenforschung ist bekannt, dass zudem die Übertragung the‐ oretischer Konzepte auf den praktischen Unterricht ein komplexer Prozess ist bzw. dass es sich gar um ganz unterschiedliche professionelle Wissens- und Kompetenzbereiche handelt (siehe die Wissenstypologie nach Shulman 1987: 8). Neuweg (2014: 587) unterscheidet daher zwischen „Ausbildungswissen (‘Wissen 1’)“, „Teilbereiche mentaler Strukturen (‘Wissen 2’)“ und „Facetten des Könnens (‘Wissen 3’)“ als zu unterscheidende Wissensbereiche, die zugleich aber die Handlungsdimension einschließen, deren wechselseitige Ableitung hingegen empirisch kaum nachzuweisen bzw. eindimensional nicht anzu‐ nehmen ist. Auch Schädlich hebt auf diese separaten Bereiche ab und stellt fest, dass „Theoriewissen in Praxissituationen nicht unmittelbar anwendbar ist“ (Schädlich 2015: 259). LehrerInnen sind daher mit dem Ziel der Professionalisierung und gemäß einem Ansatz reflexiver LehrerInnenbildung dazu anzuleiten, diese verschie‐ denen Wissensbereiche einzeln und dann in ihrer wechselseitigen Relevanz zu analysieren. Weiterhin ist es erforderlich, dass sie dabei ihre eigene Positionie‐ rung hierzu, ihre strukturelle Verortung, ihre berufliche Entwicklung sowie ihre Handlungsziele ergründen. Im Modell zur Rahmung berufsbezogener Reflexion in der LehrerInnenbildung von Abendroth-Timmer (2017) und in empirischen Untersuchungen von Abendroth-Timmer & Schneider (2016) zeigt sich, dass es sich hierbei um komplexe Pendelbewegungen zwischen theoretischer Refle‐ xion, Reflexion eigener Lern- und Lehrerfahrungen und Entwicklung neuer Handlungsvorstellungen handelt. Dabei wird mit van Manen (1995) und Johnson (1994) davon ausgegangen, dass auch die eigene leibliche Erprobung neuer beruflicher Handlungsformen relevant ist für die berufliche Entwicklung bzw. Professionalisierung. Auch Korthagen, Hoekstra & Meijer (2014: 92 f.) be‐ tonen, dass es förderlich für die Entwicklung von Lehrenden ist, insbesondere eigene Stärken zu ergründen und darauf aufbauend zukünftige mögliche Hand‐ lungsoptionen zu entwerfen. Das Modell von Abendroth-Timmer (2017) benennt Aspekte, auf die sich Re‐ flexionen beziehen können, die Reflexionen ihrerseits beeinflussen oder deren Veränderung Ziel der Reflexion sein können. Im Einzelnen werden auf einer dem Individuum inhärenten Ebene folgende Aspekte berücksichtigt: Persön‐ 191 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten lichkeit, Haltungen, Erfahrungen, theoretisches Wissen und Kompetenzen, be‐ rufliches Handeln und praktisches Können, berufliches Selbstkonzept und be‐ rufliche Identität, Emotionen, Motivation, Leiblichkeit und projiziertes Handeln. Auf einer dem Individuum externen Ebene sind dies die Aspekte ge‐ sellschaftlicher Rahmen, institutioneller Rahmen und Akteure, frühere Lehr‐ personen, peers, Sprachen und Kulturen, Lernende, Instrumente / Kontexte der Reflexion sowie LehrerInnenausbildende und Forschende. Für die Umsetzung in fremdsprachendidaktischen Seminaren entwirft Gerlach (2018) eine an den Task Based Learning Approach angepasste Struktur einer Reflexionsaufgabe. Diese setzt bei der Diskussion eines unterrichtlichen Prob‐ lems (critical incident) an, das schrittweise über die Behandlung theoretischer Konzepte, die Arbeit mit Videovignetten, der angeleiteten Reflexion über Port‐ folios und eigene unterrichtlichen Erprobungen bearbeitet wird. Hiervon ausgehend wird nachfolgend gezeigt, wie in einem Lehrprojekt Stu‐ dierende bezüglich ihres eigenen Handelns als Lernende und als angehende Lehrende zur Reflexion angeregt wurden. 2 Lehrprojekt Das Lehrprojekt ist in der Didaktik der französischen und spanischen Sprache und Kultur verortet. Es richtete sich an angehende Spanisch- und FranzösischlehrerInnen im BA -Studium. Ziel war es, zur Unterrichtsentwicklung in den Fremdsprachen mit Blick auf die Veränderungen durch die fortschreitende Digitalisierung beizutragen und den angehenden LehrerInnen dabei zu helfen, ihre Kompetenz zur Gestaltung digitalen Fremdsprachenunterrichts weiterzu‐ entwickeln (vgl 1.3). Das Lehrprojekt greift somit die Idee reflektierter Erpro‐ bung digitaler Unterrichtsinhalte in der LehrerInnenbildung (vgl. 1.3) anhand eines Themas auf, das zurzeit für AkteurInnen im Kontext Schule von beson‐ derer Relevanz ist, und orientiert sich an den Kompetenzbereichen des Dig‐ Comp-Edu-Modells (vgl. 1.1). Es bestand aus einem Seminar im Sommerse‐ mester mit einer Theorie- und einer Workshopphase sowie aus einer Praxisphase in der ersten Hälfte des folgenden Schuljahres. Die Seminarsitzungen der Theoriephase zeichneten sich durch die Imple‐ mentation von Inverted-Classroom-Elementen (Handke 2017) und durch eine veränderte Sitzungsstruktur aus: Für jede Sitzung bekamen die Studierenden eine vorbereitende Aufgabe, deren Bearbeitung eine Voraussetzung für die Teil‐ nahme an der Seminarsitzung war. Diese begann in der Regel mit einer kurzen Besprechung der Aufgaben oder einem kleinen Austausch in Partner- oder Gruppenarbeit. Darauf folgten gegebenenfalls ein vertiefender Input und eine 192 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter Anwendungsaufgabe. Die Nachbereitung fand in Form von Reflexionsaufgaben statt (vgl. Gerlach 2018). Leitsätze und Zitate dienten als Aufhänger und setzten den thematischen Fokus der einzelnen Sitzungen. Nach und nach erkannten die Studierenden die Bedeutung der Digitalisierung im Hinblick auf verschiedene fachdidaktische Konzepte, Theorien und Modelle. Zum Ende der Theoriephase erstellten die Studierenden gemeinsam ein Glossar bzw. ein Wiki, für das jede / r einen Eintrag verfasste, um die Erkenntnisse für die gesamte Seminargruppe zu sichern. Der Leitsatz „Learning is not just video! ” diente zum Beispiel als Ausgangs‐ these für die Sitzung „Lernen demokratisieren”, in der die Studierenden sich mit der Frage auseinandersetzten, inwiefern Lernen Institutionen (Schulen, Univer‐ sitäten) braucht. Sie beschäftigten sich mit OER , CC -Lizenzen und MOOC s, indem sie zunächst in der Seminarsitzung frei verfügbare Materialien für ihr Fach recherchierten und sich daran anschließend im Rahmen der Portfolioauf‐ gabe die Frage stellten, ob die Lehr- und Lernmaterialien der Bildungsverlage zukünftig vielleicht von OER -Datenbanken abgelöst werden. Andere Sitzungen beleuchteten den Rollenwandel der Lehrperson in Gami‐ fication-Ansätzen sowie Online-Lernumgebungen, das Modell individuelle För‐ derung digital (MiFd), SAMR -, 4K-, TPACK - und DigComEdu-Modell und das Flipped Classroom-Konzept aus einer fremdsprachendidaktischen Perspektive. Zudem diskutierten die Studierenden die genannten Modelle und Konzepte hin‐ sichtlich der Anwendbarkeit, Zielsetzung und Relevanz für verschiedene Ziel‐ gruppen (Kontext und Komplexität). Um den Transfer der Modelle in die Schulpraxis anzustoßen, mussten die Studierenden in der auf die Theoriephase folgenden Workshopphase des BA -Seminars digitale Unterrichtselemente für den Fremdsprachenunterricht unter bestimmten Vorgaben konzipieren und erarbeiten. Dabei wurden sie von dem / der DozentIn beratend begleitet. Die 16 Studierenden im Pilotseminar „Digitalisierung im Fremdsprachenun‐ terricht” (SoSe 2018) entwickelten in dieser Phase digitale Unterrichtselemente für einen Spanisch-Differenzierungskurs in der Stufe 8 (1. Lernjahr) bzw. eine Klasse 6 (1. Lernjahr Französisch). Im zweiten Durchgang mit dem Seminartitel „Fremdsprachenunterricht digital gestalten? ! ” (SoSe 2019) erarbeiteten 23 Stu‐ dentInnen digitale Unterrichtselemente für dieselben Lerngruppen: Differenzierungskurs Spanisch (2. Lernjahr, Stufe 9) und Klasse 7, 2. Lernjahr Franzö‐ sisch. Hierfür wurden vorab zwei Apps ausgewählt: BIPARCOURS und next: class‐ room. Beide Apps können als AutorInnentools (Kerres 1998: 357) beschrieben werden und sind nicht explizit für das Fremdsprachenlernen konzipiert worden. 193 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten Die Beschränkung auf zwei Apps sollte zum einen sicherstellen, dass die Stu‐ dierenden bei der Arbeit bestmöglich betreut werden können und zum anderen einen Austausch über die gewählten Apps innerhalb der Gruppe der Teilneh‐ merInnen des Seminars ermöglichen. Die Studierenden mussten sich zu Beginn der Workshopphase für eine der Apps entscheiden und sollten dann den Beitrag der Apps für fremdsprachendidaktische Lernziele herausarbeiten. Die von den Studierenden auf dieser Basis entwickelten digitalen Unter‐ richtselemente zeigten unter anderem verschiedene Möglichkeiten zur Einbin‐ dung der Kamera-Funktion, Ansätze zur Förderung der Mündlichkeit über Au‐ dioaufnahmen oder kombinierten die Verwendung von Tablet und Heft, um die Grenzen mobiler Endgeräte zu umgehen. Dabei fokussierten sie unterschied‐ liche fremdsprachendidaktische Kompetenzen. Die digitalen Unterrichtsele‐ mente wurden nach Rücksprache mit dem / der LehrerIn der Lerngruppe im schulischen Fremdsprachenunterricht von den Studierenden selbst eingesetzt, erprobt und reflektiert. Zur Erprobung des digitalen Unterrichtselements er‐ hielten die Studierenden Feedback von den SchülerInnen, den hospitierenden peers, der Lehrperson der Lerngruppe und von dem / der DozentIn. Diese ver‐ schiedenen Perspektiven sollten den Studierenden helfen, sich selbst und die Erprobung besser einzuschätzen. Die Reflexion des Erarbeitungsprozesses und der Erprobung selbst fand in schriftlicher Form als unbenoteter Teil der Prü‐ fungsleistung statt, um Produkte sozialer Erwünschtheit gegenüber dem / der Dozierenden zu vermeiden. Der nachfolgende empirische Teil liefert Einblicke in diese Reflexionen. 3 digiSem-Studie Zusätzlich zur Entwicklung des Lehrprojekts konzipierten die AutorInnen ge‐ meinsam die Begleitstudie digiSem, die der Evaluation und Weiterentwicklung des Lehrkonzepts dient. Sie soll einerseits die Bedeutung der Erfahrungen mit digital unterstützter Hochschullehre zur Digitalisierung in Bildungskontexten (Methode und Inhalt) für die Studierenden erfassen und andererseits ihre in der Unterrichtspraxis gewonnenen Erfahrungen und Einstellungen zur Digitalisie‐ rung im Fremdsprachenunterricht erheben. Damit werden die Entwicklungen von der ersten Seminarsitzung bis zur Erprobung betrachtet. Insgesamt wurde folgender Frage nachgegangen: Welche berufsbezogenen Reflexionsverläufe im Hinblick auf den Einsatz von digitalen Medien sind im Lehrprojekt bei den Stu‐ dierenden nachzuzeichnen und auf welche persönlichen, fachlichen oder kon‐ textuellen Rahmungen beziehen sich diese (vgl. 1.3, Abendroth-Timmer 2017)? 194 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter 3.1 Erhebung Die zu diesem Zweck erhobenen Daten werden im Folgenden näher be‐ schrieben. Die Tabelle bietet einen Überblick über die Erhebungszeitpunkte. In hellgrau sind für die Studie nicht relevante oder noch nicht erhobene Daten markiert. Tab. 1: Überblick über die Erhebungszeitpunkte 3.1.1 Fragebögen Mit qualitativen Fragebögen wurden die Einstellungen, (Vor-)Erfahrungen und subjektiven Theorien der Studierenden zu Lehren und Lernen mit (digitalen) Medien und Technologien mithilfe von LimeSurvey erhoben. Die offenen Items sollen die Studierenden zu Reflexionen im Hinblick auf ihr theoretisches und unterrichtspraktisches Vorwissen, Erfahrungen und Kompetenzen sowie ihre diesbezüglichen Einstellungen und ihre Motivation anregen (vgl. Abend‐ roth-Timmer 2017), indem diese Satzanfänge vervollständigen. Den ersten Fragebogen (F1) sollten die Studierenden zu Beginn des Seminars (zwischen der ersten und zweiten Sitzung) ausfüllen. Folgende Items enthält der Fragebogen 1: 1 Fremdsprachenunterricht ist gut, wenn … 2 Als FremdsprachenlehrerIn ist mir wichtig, dass … 3 Ich werde Spanisch- / FranzösischlehrerIn, weil … 4 Unter Digitalen Medien verstehe ich … 5 Mit der Digitalisierung im Allgemeinen verbinde ich … 6 Mit der Digitalisierung im Fremdsprachenunterricht verbinde ich … 195 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten 7 Unter einem ePortfolio / einer Lernplattform / Lern-App verstehe ich … 8 Diese digitalen Medien / Apps … a. nutze ich im Alltag. Wozu? b. haben meine FremdsprachenlehrerInnen in meiner Schulzeit eingesetzt. c. nutze ich zum autonomen Fremdsprachenlernen. d. habe ich als Lehrkraft bereits im Fremdsprachenunterricht eingesetzt. 9 Muss / Sollte der Fremdsprachenunterricht digitaler werden? Bitte begründen Sie Ihre Antwort. 10 Welche Kompetenzen bringe ich bereits für den Fremdsprachenunterricht mit … a. im Hinblick auf die Gestaltung von Fremdsprachenunterricht? b. im Hinblick auf persönliche Kompetenzen? c. im Hinblick auf Einsatz digitaler Medien? 11 Lernen möchte ich in diesem Seminar … Tab. 2: Items Fragebogen 1 Den zweiten Fragebogen (F2) füllten die Studierenden nach Ende der Vorle‐ sungszeit im Sommersemester und vor der Praxisphase aus. Die Arbeit an den digitalen Unterrichtselementen war zu dem Zeitpunkt in den meisten Fällen noch nicht abgeschlossen. Die Fragen 1 bis 7 in den Fragebögen F1 und F2 sind identisch. Die Fragen 8 bis 13 im Fragebogen F2 lauten wie folgt: 8 Diese digitalen Medien / Apps … a. nutze ich im Alltag. Wozu? b. nutze ich erst seit dem Seminar zum autonomen Fremdsprachenlernen. (Bitte be‐ schreiben Sie wann.) 9 Muss / Sollte der Fremdsprachenunterricht digitaler werden? Bitte begründen Sie Ihre Antwort. 10 Welche Kompetenzen habe ich … a. im Hinblick auf die Gestaltung von Fremdsprachenunterricht? b. im Hinblick auf die Entwicklung von persönlichen Kompetenzen im Fremdspra‐ chenunterricht? c. im Hinblick auf Einsatz digitaler Medien? 11 Im Seminar habe ich Folgendes gelernt … 12 Als FremdsprachenlehrerIn möchte / werde ich folgende Art des Medieneinsatzes er‐ proben … (Bitte begründen Sie Ihre Antwort.) 13 Von der Erprobung der selbst erstellten digitalen Unterrichtselemente erhoffe ich mir … Tab. 3: Fragebogen 2, Items 8-13 196 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter 1 Eine Persona ist ein Steckbrief zu einer fiktiven Person, die eine Zielgruppe vertritt. Diese Methode hilft dabei, die Perspektive der NutzerInnen bzw. im Schulkontext der Lernenden einzunehmen und bedarfsorientierte Angebote zu gestalten. 3.1.2 Portfolioaufgaben zu den Seminarsitzungen (zu SoSe 2019) Zu Beginn des Seminars mussten sich die Studierenden in eine für sie fiktive, aber an vielen Schulen zurzeit reale Situation hineinversetzen: eine kontroverse Debatte über die Einführung einer iPad-Klasse im Rahmen einer LehrerInnen‐ konferenz. Hierzu verfassten sie Plädoyers zur Digitalisierung des Fremdspra‐ chenunterrichts (P1, n=23). Zur Vertiefung und Reflexion der anderen sieben Theoriesitzungen dienten weitere Portfolioaufgaben (P2-P8), aus denen die Stu‐ dierenden drei wählen durften. Im Folgenden wird die Bedeutung der jeweiligen Fragen bzw. Aufgaben für die Reflexion der Studierenden erläutert: P1 Plädoyer zur Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts n=23 Die Stellungnahme zur Einführung einer iPad-Klasse soll Anlass dazu bieten, die damit verbundenen Konsequenzen für den Fremdsprachenunterricht zu antizipieren. P2 Die Digitalisierung und Ich: Wie digital sind mein Alltag und mein Lernen? n=16 Diese Aufgabe hilft den TeilnehmerInnen des Seminars ihre eigene Mediennutzung zu reflektieren. P3 Welche Kompetenzen sollten SchülerInnen und LehrerInnen für das Lernen und Lehren mit digitalen Medien unbedingt haben? n=10 Die Studierenden müssen sich bei dieser Aufgabe in die beiden Rollen hineinversetzen und notwendige Kompetenzen formulieren. Damit greifen sie zum einen auf Modelle zurück, die in der Seminarsitzung diskutiert wurden. Zum anderen formulieren sie da‐ durch einen Katalog an Kompetenzen, die sie selbst erwerben sollten bzw. die ihre spä‐ teren SchülerInnen erwerben müssen. P4 OER sind die Zukunft! Wer braucht Verlage? n=13 Diese Aufgabe soll die angehenden Lehrpersonen dazu veranlassen zu hinterfragen, in‐ wiefern LehrerInnen zukünftig weniger auf Verlagsmaterialien zurückgreifen, statt‐ dessen OER-Materialien nutzen, selbst OER-Materialien erstellen und diese teilen. P5 Erstellen Sie eine Persona 1 für eine / n SchülerIn in Ihrem Fremdsprachenunterricht. n=12 Gamification kann im Unterricht für Motivation sorgen, muss sich dafür aber an den Lernenden orientieren. Die Aufgabe dient als Übung für den dafür notwendigen Per‐ spektivwechsel. P6 Willkommen in UTOPIA! Skizzieren Sie eine optimale online Lernumgebung für den FSU. n=7 Nachdem die Studierenden im Seminar verschiedene Systeme und Plattformen kennen‐ gelernt haben, die SchülerInnen beim Lernen und LehrerInnen beim Gestalten von lern‐ 197 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten förderlichen Settings unterstützen können (u. a. LMS und ePortfolios), sollen sie eine Lernumgebung skizzieren, die die verschiedenen Möglichkeiten kombiniert. P7 Die Siegener Zeitung titelt: „NRW stellt flächendeckend in allen Schulformen und Fä‐ chern den Unterricht auf Flipped Classroom um! “ Schreiben Sie einen fachdidaktischen Kommentar. n=5 Der fiktive Artikel soll die Studierenden dazu anregen, sich auf einer bildungspolitischen Ebene mit der sich verändernden Lernkultur auseinanderzusetzen. P8 Entwerfen Sie eine Unterrichtsreihe für den FSU, an deren Ende die SchülerInnen ge‐ meinsam ein Wiki erstellen sollen. n=4 Die Studierenden sollen hier zeigen, dass sie in der Lage sind, eine Reihe zu beschreiben, die sinnvoll mit einem Wiki abschließt. Tab. 4: Portfolioaufgaben mit Kommentar Die Portfolioaufgaben haben zwei Funktionen: 1. Anregung von (Selbst-)Refle‐ xion bei den Studierenden bzw. angehenden LehrerInnen im Lehrprojekt und 2. Erhebung der Reflexionspraxis für die digiSem-Studie. Sie stellen damit eine besondere Datenart dar. Sie beeinflussen zwar durch den jeweiligen Impuls oder die Aufgabenstellung sehr stark die Inhalte der Reflexion, aber sie verbinden auch die Bereiche wissenschaftliche Grundlagen und (projizierte) Unterrichts‐ praxis (vgl. Abendroth-Timmer 2017). 3.1.3 Reflexionsberichte (zu WiSe 2018 / 2019) Die Reflexionsberichte (siehe 3.1) liegen zum größten Teil nur von Studierenden des ersten Durchgangs vor, da die Praxisphase der zweiten Gruppe zum Zeit‐ punkt des Verfassens dieses Artikels noch nicht abgeschlossen ist. Die Reflexi‐ onsberichte können wie die F2 dabei helfen, die Entwicklung der Studierenden zu beschreiben. Sie beziehen sich darin auf die Workshop- und die Erprobungs‐ phase. 3.2 Datenanalyse Die Daten wurden zunächst über eine Kombination aus Buchstaben und Zahlen anonymisiert, der später für die Publikation Pseudonyme zugewiesen wurden. Das Geschlecht der TeilnehmerInnen fand bei der Wahl der Pseudonyme keine Berücksichtigung. Mithilfe von MAXQDA wurden die Daten offen und theo‐ riegeleitet (Abschnitt 1) codiert. Im ersten Schritt wurden die Fragebögen F1 (n=24) und F2 (n=12) analysiert, um Entwicklungen zu identifizieren. Von besonderem Interesse waren dabei die Fälle, von denen sowohl der F1 als auch der F2 vorlagen (n=8). Die bereits ein‐ 198 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter gereichten Reflexionsberichte (n=11) wurden bei der Auswertung ebenfalls be‐ rücksichtigt. Außerdem wurden in einem zweiten Schritt die Fragebögen, die Portfolioaufgaben des zweiten Durchgangs (insgesamt n=90) und die Reflexionen mit dem Modell zur Rahmung von Reflexion (vgl. 1.3, Abendroth-Timmer 2017) ab‐ geglichen, um die Bezugspunkte der Studierenden auszumachen. 3.3 Ergebnisse 3.3.1 Entwicklungen Nachfolgend werden ausgewählte Fälle in ihrer Entwicklung betrachtet und zentrale Erkenntnisse aus dem Vergleich der F2 beschrieben, um der Frage der berufsbezogenen Reflexionsverläufe nachzugehen. Grundsätzlich kann zu‐ nächst für die gesamte Kohorte festgestellt werden, dass bei den Studierenden zu Seminarbeginn nur sehr geringe Vorkenntnisse zum Thema Digitalisierung vorliegen. Hinsichtlich der eigenen Mediennutzung geben die Studierenden an, dass hauptsächlich Apps genutzt werden, die im Alltag, bei der Kommunikation (Social Media) oder der Tagesplanung ( ÖPNV , Wetter, Speiseplan der Mensa, Online-Banking) eine Rolle spielen. Wenige haben Erfahrungen mit dem Lernen mit digitalen Medien, die über Online-Wörterbücher hinausgehen. In der ei‐ genen Schulzeit wurden vorrangig Audio- CD s, seltener YouTube-Videos und über einen Computer und einen Beamer - oder in wenigen Fällen über ein Smartboard - auch Powerpoint-Präsentationen eingesetzt. Betrachtet man einzelne SeminarteilnehmerInnen, kann für die Studierende mit dem Pseudonym Hatice zu Beginn der Veranstaltung eine ablehnende Hal‐ tung erkannt werden. Ihrer Meinung nach lernen die SchülerInnen in einem digitalen Unterricht die Fremdsprache nicht (ds1_Hatice_F1). Im Fragebogen 2 schreibt sie zwar, der Fremdsprachenunterricht müsse nicht digitaler werden, aber sie nennt als im Seminar gewonnene Erkenntnis auch, dass Medien sich bestens in den Fremdsprachenunterricht einbauen lassen und sie ihren Unter‐ richt nun freier gestalten kann (ds1_Hatice_F2). In der Reflexion schreibt sie über ihre Erfahrungen und Emotionen in der Unterrichtspraxis: Zudem fand ich es als Lehrperson erstaunlich, dass die Schülerinnen und Schüler einer siebten Klasse so hervorragend miteinander gearbeitet haben und das Schönste für mich als Lehrperson war, dass alle Spaß am Unterricht hatten. Manche Gruppen sind schneller gewesen als andere, aber am Ende hat jede Gruppe die Aufgaben gut be‐ wältigt (ds1_Hatice_RE). Das Fallbeispiel ist kein Beleg für einen veränderten wirkungsvollen Unterricht, sondern soll zeigen, dass Hatice offensichtlich ihre Einstellungen und Haltung 199 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten vom Fragbogen 1 bis zur Reflexion geändert hat. Eventuell kann sich das auf ihre zukünftige Unterrichtspraxis auswirken. Mara sieht auch nach dem Seminar keine unbedingte Notwendigkeit für die Digitalisierung des Fremdsprachenunterrichts, da SchülerInnen ihrer Meinung nach auch ohne digitale Lehr- und Lernmaterialien motiviert werden können. Als Vorteile der Digitalisierung für das Fremdsprachenlernen benennt sie jedoch Erleichterungen bei der Wortschatzarbeit, bei der Ausspracheschulung sowie für das eigenständige Arbeiten. Für sie steht aber die „Interaktion in der Klasse“ im Zentrum des schulischen Fremdsprachenunterrichts (ds2_Mara_F2). Es bleibt offen, ob und inwiefern diese Interaktion durch digitale Medien einge‐ schränkt oder verhindert wird. Jessica benennt über den Aspekt der individuellen Förderung (bereits in ds2_Jessica_F1 genannt) nach dem Seminar auch die Vorzüge für die Schulung der Aussprache, der Sichtbarmachung von Lernfortschritten durch die Arbeit mit einem ePortfolio und hält fest, dass die Digitalisierung für das Lernen keine bloße Erweiterung bedeutet, sondern dass sie das Lernen grundlegend verändert bzw. in ihren Worten eine „neue Ebene eröffnet“ (ds2_Jessica_F2). Neue Erkenntnisse über ePortfolios gewinnt unter anderem Paula. Für sie ist über die Sammlung von Produkten hinaus vor allem die Dokumentation des Lernfortschritts von Bedeutung (ds2_Paula_F2). Außerdem schätzt sie ihre pä‐ dagogisch-technische Kompetenz für die Gestaltung von Fremdsprachenunter‐ richt nach dem Seminar wie folgt ein: Ich kann mit Hilfe einer App digitale Unterrichtselemente erstellen und durchführen. Ich kann abwägen, ob durch die Nutzung von digitalen Unterrichtselementen ein Mehrwert entsteht oder nicht (ds2_Paula_F2). Für sie bedeutet die Digitalisierung unter anderem eine Erleichterung der Um‐ setzung der Individualisierung (z. B. hinsichtlich Autonomie, Lerntempo und Niveau), die sie für besonders wichtig hält. Ihrer Meinung nach ist Fremdspra‐ chenunterricht gut, wenn „der Schüler selber aktiv mitgestalten kann“ und sie stellt weiterhin fest: Als FremdsprachenlehrerIn ist mir wichtig, dass starke wie auch schwächere Schüler gefördert werden und in ihrem eigenen Tempo Inhalte erarbeiten können (ds2_Paula_F2). Stefans folgende Antwort zeigt, dass er die verschiedenen Kompetenzbereiche des TPACK -Modells verbinden kann und sich somit einen reflektierten Über‐ blick über die Kompetenzen verschafft hat, die für die Realisierung von digi‐ tale(re)n Lernsettings im schulischen Fremdsprachenunterricht relevant sind: 200 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter Ich bin vertraut mit der Nutzung digitaler Medien und kann verantwortungsvoll damit umgehen, den SchülerInnen die Nutzung erklären und mit dem Unterrichtsinhalt verbinden (ds2_Stefan_F2). Allerdings nutzen auch nach dem Seminar wenige Studierende digitale Tools für ihr eigenes (Sprachen-)Lernen, die über Wörterbücher und Konjugations‐ hilfen hinausgehen. 3.3.2 Rahmungen Abschließend wird exemplarisch aufgezeigt, auf welche persönlichen, fachli‐ chen oder kontextuellen Rahmungen sich die Aussagen der Studierenden in den Daten beziehen. Die Antworten auf die Fragen nach gutem Fremdsprachenunterricht und nach bedeutsamen Aspekten für die zukünftige Tätigkeit als Fremdsprachen‐ lehrerIn (F1 und F2) lassen eine große Bedeutung der Rahmung Sprachen und Kulturen in Kombination mit positiven Emotionen („Spaß“) erkennen. Fast alle Studierenden geben an, dass sie während ihrer eigenen Schulzeit im Fremdsprachenunterricht kaum Erfahrungen mit digitalen Lernsettings ge‐ macht haben (F1) (siehe 3.3.1). Eine Ausnahme stellt Tim dar, der aus seiner „eigenen Schulzeit und Praktika weiß, dass die Arbeit mit digitalen Technologien viele Lernende […] anspricht.“ Er betont außerdem die Chance motivationaler Effekte (ds2_Tim_P1). Felix berichtet von der motivierenden Wirkung des eigenen digitalen Unter‐ richtselements während der Erprobung und führt sie auf folgende Aspekte zu‐ rück: Die SuS gewinnen durch die Spielsimulation Spaß an den Aufgaben, erhalten direktes Feedback und entwickeln einen Ehrgeiz, an den man mit herkömmlichen Arbeits‐ blättern bestimmt nicht herankommt (ds1_Felix_R). Inwieweit es sich dabei um Novitätseffekte handelt, die nach der Normalisierung der Arbeit mit Tablets und Apps im (Fremdspachen-)Unterricht abflachen, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. In der Reflexionsaufgabe zur eigenen Mediennutzung (P2) zeigen sich vor allem ablehnende Haltungen gegenüber digitalen Lerntechnologien und eher analoge Lernpräferenzen: Dennoch würde ich mein Lernen als eher weniger digital beschreiben. (…) Auch in den Vorlesungen der Uni schreibe ich lieber analog mit, anstatt im Laptop etwas ein‐ zutippen (ds2_Hanna_P2). 201 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten Erik hingegen bezieht eindeutig Position für eine Digitalisierung des Unter‐ richts, wenn er in einer Portfolioaufgabe schreibt, dass es seiner Meinung nach Zeit wurde, „dass andere Lehrpraktiken ausgeführt werden“ (ds2_Erik_P7). Jonas (ds2_Jonas AON 33_P1) merkt an, dass es von großer Bedeutung ist, die Lebenswirklichkeit der Lernenden stärker zu berücksichtigen und sieht die Digitalisierung als wichtigen Bestandteil dieser Lebenswirklichkeit an (gesell‐ schaftlicher Rahmen). Max (ds2_Max_P4) sieht in der Verwendung von OER einen Beitrag zu mehr Bildungsgerechtigkeit (Haltung und gesellschaftlicher Rahmen), da hier‐ durch Lehr- und Lernmaterialien kosten- und barrierefrei zugänglich werden. Auch Jessica spricht sich für OER aus und bezieht sich in einer Reflexion auf ein Praktikum (berufliches Handeln und praktisches Können): Ich persönlich halte sehr viel von OER. Ich finde sie sind eine tolle Sache und ich habe auch schon viel davon Gebrauch gemacht, wie zum Beispiel als ich eine eigene Stunde im Praktikum halten sollte. Sie geben mir die Möglichkeit, bereits erprobte Unter‐ richtsvorschläge zu finden, statt diese selbst gestalten und erproben zu müssen, um herauszufinden, welche sinnvoll und realisierbar sind (ds2_Jessica_P4). Mit dem Verweis auf Modelle zur Beschreibung notwendiger Kompetenzen für Lehrpersonen betont Nisa (ds2_Nisa_P3) die Bedeutung der Rahmung theore‐ tisches Wissen und Kompetenz. Lina unterstreicht ebenfalls die Relevanz dieser Rahmung für die Unterrichtsgestaltung mit folgender Aussage: Es bringt nichts, SuS eine App zu zeigen und sie diese einfach benutzen zu lassen; der Mehrwert durch diese App muss zuvor mit dem SAMR-Modell gut untersucht werden. Auch ist es wichtig, den Einsatzzeitpunkt von digitalen Medien pädagogisch bewerten zu können, denn nicht immer macht ein solcher Einsatz Sinn (ds2_Lina_P3). Ähnliche Aussagen finden sich auch bei anderen Studierenden (ds2_Mo‐ nika_P1 & ds2_Markus_P1), die das Aufbrechen von Routinen fordern und sich erfahrene KollegInnen als Vorbilder wünschen. Nach der Erprobung des eigenen digitalen Unterrichtselements berichtet Zehra von ihrer Rolle während des Unterrichts und vom (Lern-)Verhalten der SchülerInnen: Während des Unterrichts, sind meine Partnerin und ich zu jeder Gruppe gegangen, um eventuell auftretende Fragen zu beantworten. Mir persönlich ist aufgefallen, dass sich jeder einzelne Schüler konzentriert und gut mit der Aufgabe befasst hat (ds1_Zehra_R). 202 Dagmar Abendroth-Timmer / Martin Wolter Sie bezieht sich darin sowohl auf ihre Wahrnehmung der Lernenden als auch auf ihr berufliches Handeln und praktisches Können. Von ihrem Staunen und der Freude (Emotionen) über die erfolgreiche Ko‐ operation der SchülerInnen während der Erprobung erzählt Hatice im Reflexi‐ onsbericht: Zudem fand ich es als Lehrperson erstaunlich, dass die Schülerinnen und Schüler einer achten Klasse so hervorragend miteinander gearbeitet haben und das Schönste für mich als Lehrperson war, dass alle Spaß am Unterricht hatten (ds1_Hatice_R). Die Einblicke in die unterschiedlichen Reflexionsdaten zeigen, dass die angehenden LehrerInnen sowohl Bezüge zu personeninhärenten als auch zu perso‐ nenexternen Aspekten herstellen. Die personeninhärenten Bezüge überwiegen aber deutlich. So fällt auf, dass die Studierenden kaum Vorbilder benennen (können). Sie beziehen sich weder auf peers noch auf frühere Lehrpersonen. Ob sich das als Vor- oder Nachteil herausstellt, bleibt offen. Zudem zeigt sich, dass sie noch keine Identität als Lehrende ausgebildet haben (berufliches Selbstkonzept und berufliche Identität). Das ist aber aufgrund des frühen Stadiums im Lehramtsstudium und dem damit verbundenen Mangel an Erfah‐ rungen nicht verwunderlich. Genauso lässt sich erklären, dass keine Bezüge zum institutionellen Rahmen hergestellt werden, obwohl dieser eine große stra‐ tegische Bedeutung für die Personal- und Unterrichtsentwicklung hat. Darüber hinaus fehlen Bezüge zu den Rahmungen Leiblichkeit und Persönlichkeit. Es liegt die Vermutung nahe, dass diese Rahmungen aufgrund des Forschungs‐ kontexts und des inhaltlichen Fokus der digiSem-Studie keine besondere Rolle spielen. 4 Ausblick Es zeigt sich, dass die Reflexionen der Studierenden sehr viele unterschiedliche Bezüge herstellen. Die reguläre Seminarevaluation, die nach dem qualitativen Evaluationsverfahren Teaching Analysis Poll zusätzlich durchgeführt wurde, verstärkte das Bild auf die von den Studierenden präferierten Themen wie Pra‐ xisorientierung, eigene Anwendung und damit besseres Verständnis theoreti‐ scher Konzepte. Auch die Portfolioaufgaben, welche die Verbindung von prak‐ tischen Anwendungsvorschlägen mit begründeter kritischer theoretischer Auseinandersetzung und persönlicher Reflexion ermöglichten, wurden positiv erwähnt. Insofern wird hiermit das Potenzial der verwendeten Reflexions- und Portfolioaufgaben ebenso bestätigt wie die positive Wirkung der Erprobung di‐ gitaler Elemente in einem universitären Seminar, das seinerseits das Thema Di‐ 203 Lehre und Fremdsprachenunterricht digital gestalten gitalisierung des schulischen Fremdsprachenunterrichts fokussiert. Bezüglich der Daten muss jedoch forschungsmethodisch auch kritisch angemerkt werden, dass die explizit aufgeführten Bewertungen der Unterrichtssituationen nur von begrenzter Aussagekraft bezüglich handlungsleitender Überzeugungen oder wirklicher späterer Umsetzungen sind. Wohl aber verweisen sie zunächst auf Neuperspektivierungen hinsichtlich des Seminargegenstands Digitalisierung. Um die in den Daten bereits erkennbaren mehrperspektivischen Reflexionen noch weiter anzuregen und zu erfassen, sollen die Portfolioaufgaben noch ge‐ zielter genutzt und dahingehend überarbeitet werden, dass sie möglichst viele Rahmungen berücksichtigen. Für den dritten Durchgang im Sommersemester 2020 ist darüber hinaus ge‐ plant, die Portfolioaufgaben von Moodle in ein ePortfolio auszulagern, um den Erwerb von Leistungspunkten noch deutlicher von den Reflexionen zu trennen. Um weitere und genauere Einblicke in die Reflexionsverläufe einzelner Stu‐ dentInnen zu gewinnen, könnte die digiSem-Studie zukünftig um teilstruktu‐ rierte Leitfaden-Interviews ergänzt werden. So könnten einzelne Personen - ausgehend von den jeweils vorliegenden Datentypen - zur Bedeutung des di‐ gitalen Wandels für den Fremdsprachenunterricht befragt werden. Außerdem böten Interviews eine Gelegenheit, gezielt nach neuen Zielen und nach in den anderen Daten nicht genannten Rahmungen zu fragen. Das Seminarkonzept ist in seiner Grundstruktur (Theorie-, Workshop- und Praxisphase) in andere Disziplinen und Bildungskontexte transferierbar. Es wäre lohnenswert zu überprüfen, wie sich andere Rahmenbedingungen und Organisationsstrukturen auf die Lernprozesse und die Reflexionsverläufe aus‐ wirken. Literatur Abendroth-Timmer, Dagmar (2017). Reflexive Lehrerbildung und Lehrerforschung in der Fremdsprachendidaktik: Ein Modell zur Definition und Rahmung von Reflexion. Zeit‐ schrift für Fremdsprachenforschung, 28(1), 101-126. Abendroth-Timmer, Dagmar & Schneider, Ramona (2016). „Dass jedoch Emotionen einen immensen Einfluss auf den Lernerfolg haben können, war mir nicht bewusst": Be‐ rufsbezogene Reflexionsprozesse in der universitären Lehrerbildung. In Michael Le‐ gutke & Michael Schart (Hrsg.) Fremdsprachendidaktische Professionsforschung: Brenn‐ punkt Lehrerbildung (S. 99-126). Tübingen: Narr. Baker, Wesley (2000). The „Classroom Flip“: Using Web course management tools to be‐ come the guide by the side. In Jack A. Chambers (Ed.) 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Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi Der Beitrag beschreibt kollaborative blended learning Lehr-/ Lernszenarien, die im Rahmen eines vom Baden-Württemberg- STIPENDIUM für Studie‐ rende - BWS plus, einem Programm der Baden-Württemberg Stiftung, geför‐ derten Projekts zwischen der Ambedkar University Delhi und der Pädagogi‐ schen Hochschule Ludwigsburg entstehen und evaluiert werden. In einem multi-methodischen Ansatz werden die entwickelten Kursmateria‐ lien sowie die Lehr-/ Lernmethoden der blended learning Kurse insbesondere im Hinblick auf die Einstellungen, Präferenzen und Transformationen der Studierenden in Zusammenhang mit kollaborativen und interaktiven Aufga‐ benformaten in den Bereichen Resilienz und Mehrsprachigkeit evaluiert (vgl. Abschnitt 4). 2 In unserem Beitrag zeigen wir, wie solche kollaborativen blended learning Szenarien entwickelt und durchgeführt werden. Darüber hinaus analysieren wir, wie Studierende und Lehrende in einem multilingualen und interkultu‐ rellen Setting durch vielfältige Prozesse interkulturellen Lernens Bedeu‐ tungen neu aushandeln. Die Studierenden stellen sich der Herausforderung, sich über Kontinente hinweg, auf der Basis gemeinsamer Materialien, aus‐ 3 Unter blended mobility wird die Kombination von digitalisierten Lehr-/ Lernformaten in Verbindung mit studienbezogener Auslandsmobilität verstanden. zutauschen und dabei fachlich, sprachlich und interkulturell mit- und von‐ einander zu lernen. Neben der Diskussion der empirischen Befunde zur Studierendeneinstellung liegt ein Schwerpunkt auf der Frage, welche didaktischen Funktionen solche Aufgabenformate in einem interkulturellen und mehrsprachigen Umfeld ein‐ nehmen und wie sie in die Curricula unterschiedlicher Bildungssysteme wie dem Indischen und dem Deutschen eingebunden werden können. 1 Einleitung Digitaler Wandel ist eines der großen Diskussionsfelder der heutigen Zeit. Kürz‐ lich legte die Bundesregierung gemeinsam mit den Ländern einen Digitalpakt auf, der innerhalb von fünf Jahren (2019-2024) mindestens 5,55 Milliarden Euro für die Digitalisierung des Bildungswesens bereitstellt (vgl. https: / / www.bmbf.d e / de / wissenswertes-zum-digitalpakt-schule-6496.php, letzter Aufruf 9. 8. 2019). Innovative Hochschullehre und digitaler Wandel können dabei gut Hand in Hand gehen, denn die Digitalisierung kann, wenn sie gut geplant und didakti‐ siert ist, einen inspirierenden Beitrag zu innovativer Hochschullehre leisten. Wo, wenn nicht an den Hochschulen können innovative Lehr-/ Lernkonzepte entwickelt und erprobt werden? An der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg arbeitet ein interdiszipli‐ näres Team gemeinsam mit dem Akademischen Auslandsamt und mit indischen KollegInnen der Partnerhochschule in Delhi seit zwei Jahren an einem kollabo‐ rativen, interkulturellen Lehr-/ Lernszenario zur Entwicklung eines blended mo‐ bility Formats 3 für Studierende beider Hochschulen. Nicht nur aufgrund der ge‐ meinsamen Projektsprache Englisch kommt diesem Projekt eine wichtige Funktion in der Ausbildung von Fremdsprachenlehrkräften, insbesondere von Englischlehrkräften, zu. Auch inhaltlich dreht sich das Projekt um fremdspra‐ chendidaktische Fragestellungen, wie z. B. dem Spracherwerb und dessen Be‐ deutung für das schulische Fremdsprachenlehren und -lernen oder zu Kon‐ zepten interkulturellen Lernens. Angereichert werden solche fremdsprachenspezifischen Aspekte mit in der Lehrerbildung ebenfalls bedeutsamen Inhalten aus anderen schulischen Fächern sowie der Erziehungswissenschaft, Sonderpädagogik und den Educational Stu‐ dies (Soziologie, Philosophie, Theologien). Basierend auf Daten, die im Rahmen 210 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi des o. g. BWS plus-Projekts an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg er‐ hoben und analysiert wurden, wurden und werden Aufgabenformate sowohl für einzelne Fächer in der Hochschullehre (z. B. Educational Studies, Englisch, Politikwissenschaft und Sonderpädagogik mit dem Förderschwerpunkt körper‐ liche und motorische Entwicklung) als auch fächerübergreifend (z. B. zum The‐ menkomplex Resilienz) entwickelt, die es Studierenden der beiden beteiligten Hochschulen trotz und gerade auch wegen der kulturell unterschiedlichen Hin‐ tergründe in Indien und Deutschland ermöglichen, gemeinsam zu lernen. In unserem Beitrag zeigen wir zunächst, welche Bedeutung kollaborative blended learning Konzepte für eine innovative Hochschullehre im Bereich der universitären FremdsprachenlehrerInnenbildung im Kontext heterogener Lern‐ gruppen, aber eben auch darüber hinaus in der gesamten LehrerInnenbildung spielen können. Daran anschließend zeigen wir an im Projekt gewonnenen Er‐ kenntnissen beispielhaft auf, wie solche Konzepte in der LehrerInnenbildung gerade in kulturell und sozial vielfältigen Lerngruppen international eingesetzt werden können. Anhand konkreter Aufgabenbeispiele verdeutlichen wir, welche Chancen, aber auch Herausforderungen mit dem Einsatz solcher Instru‐ mente in der Hochschullehre einhergehen. 2 Blended learning Konzepte als Beitrag zu innovativer Hochschullehre Blended learning ist nicht mehr neu (vgl. Yu & Du 2019), sondern je nach Defi‐ nition bereits seit vielen Jahrhunderten ein didaktisches Prinzip (vgl. Littlejohn & Pegler 2007: 1). Dennoch ist es nicht ganz einfach, eine geeignete Arbeitsde‐ finition des Begriffs vorzunehmen. Das liegt einerseits an der Fülle der vorhan‐ denen Texte: gibt man den Begriff „blended learning“ z. B. in den OPAC der Hochschulbibliothek der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg ein, so erhält man 56.178 Treffer zu verschiedenen wissenschaftlichen Artikeln. Die schiere Anzahl an Einträgen macht es nicht leicht, sich einen verlässlichen Überblick zu verschaffen, ohne den Fokus zu verlieren. Andererseits liegt es auch daran, dass dieser Begriff von AkteurInnen aus unterschiedlichen Fachdisziplinen ge‐ nutzt und entsprechend ihrer jeweiligen Zielgruppe (verschiedene Fachdidak‐ tiken, Arbeits- und Wirtschaftspsychologie, etc.) jeweils unterschiedlich defi‐ niert wird. In der Literatur findet man zahlreiche Modelle zum blended learning, „die in sehr unterschiedlicher Komplexität versuchen, das Phänomen zu beschreiben, theoriebildend zu wirken und / oder eine Grundlage für die Praxis zu geben“ (Würffel 2014: 151). 211 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels Im engeren Sinne geht es beim blended learning um die Möglichkeiten, ver‐ schiedene, auch digitale, Medien und traditionelle Lehr-/ Lernformate sowie lerntheoretische Ansätze (vgl. Seel & Ifenthaler 2009) so zu verbinden, dass sie sich positiv auf Motivation und Lernerfolg in Schule, Hochschule und Arbeits‐ welt auswirken. Nach Seel & Ifenthaler ist bei blended learning Szenarien be‐ sonders bedeutsam, dass es auf die Verknüpfung von online-Teilen und her‐ kömmlichen Lehr-/ Lernformen ankommt, also „das eine nicht ohne das andere funktioniert“ (Seel & Ifenthaler 2009: 111). So verstandene blended learning Szenarien ermöglichen es den Lernenden, über die Nutzung von (medialen) In‐ halten und Materialien hinaus, auch eigene Lehr-/ Lernarrangements zu produ‐ zieren (vgl. Ortmann-Welp 2011). Nach Ortmann-Welp (2011: 12) werden die Lernenden so zu „Prosumern“, also Personen, die statt Lerninhalte lediglich zu konsumieren, durch eigene Produktionen neue Lerninhalte für sich und andere auch herstellen. Ob dabei der Ausdruck „Prosumer“ glücklich gewählt ist und das eigentlich dahinterliegende Konzept des aktiven Lernens gut repräsentiert, soll an dieser Stelle noch nicht diskutiert werden; bei der Darstellung der Bei‐ spiele aus der Summer School werden wir jedoch auf diesen Begriff zurück‐ kommen. Obwohl der blended learning Begriff bereits seit längerem etabliert ist und zahlreiche Artikel zu seinen Anwendungsbereichen vorliegen, sind bislang nur wenige Beiträge erschienen, die sich mit den theoretischen Grundlagen von blended learning befassen (vgl. Würffel 2014). Dies erklärt die auf den ersten Blick erstaunlich wirkende Tatsache, dass es trotz der vielen Publikationen zum Thema noch immer keine eindeutige Definition des Begriffs, geschweige denn der darunter gefassten Konzepte von blended learning gibt. Unumstritten ist derzeit, dass blended learning nicht nur verschiedene Lehr-/ Lernszenarien mischt (online- und Präsenzlehre), sondern auch verschiedene Bezugsbereiche kombiniert. So verdeutlichen Grimm, Meyer & Volkmann (2015: 207) unter Be‐ zugnahme auf Wiepcke, Mittelstaedt & Liening (2008), dass blended learning die drei Bereiche Medien, Methoden und Theorien umfasst, wie sie in Abbildung 1 dargestellt sind. 212 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi Abb. 1: Bezugsbereiche von blended learning nach Wiepcke et al. 2008 (entnommen aus Grimm, Meyer & Volkmann 2015: 207; siehe auch Würffel 2014: 153) Auch wenn Würffel (2014: 154) kritisiert, dass das Modell von Wiepcke (2006) insbesondere hinsichtlich der Lerntheorien zu undifferenziert sei, lässt sich für das in diesem Beitrag vorgestellte blended learning Szenario das Modell dahin‐ gehend nutzen, dass es den Konstruktivismus als eine zentrale Lerntheorie sieht. Im Kontext dieses Beitrags bietet sich der Konstruktivismus als sehr geeignete theoretische Grundlage an. Auf seiner theoretischen Basis (vgl. z. B. Wendt 1996) und unter Zugrundelegung der Projektziele insgesamt und der fremd‐ sprachlichen Lernmöglichkeiten im Besonderen bietet Vygotskys Zone der pro‐ ximalen Entwicklung ( ZPD ; Vygotsky 1978) eine hervorragende Ausgangsbasis und passt sehr gut in blended learning Szenarios, da die LernerInnen im Projekt jeweils durch Interaktionen mit a) den anderen LernerInnen, b) den digitalen Medien sowie c) den Lehrkräften sowohl die jeweiligen (interkulturellen) In‐ halte als auch die Zielsprache Englisch in ihrer eigenen Geschwindigkeit be- und erarbeiten und sich dabei gegenseitig auch als „scaffolds“ unterstützen können. 213 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels Eine für diesen Beitrag passende Definition findet sich bei Singh & Reed (2001), auch wenn deren Konzept nicht für fremdsprachliches Lernen oder mög‐ liche Einsätze in der Hochschuldidaktik im Allgemeinen entwickelt wurde. Yu & Du greifen diese Definition auf und beziehen sie explizit auf fremdsprachli‐ ches Lernen. Mit diesem Bezug auf die Fremdsprachendidaktik verweisen Yu & Du (2019: 189) in ihrem Beitrag zum Einsatz von blended learning ebenfalls auf diese erweiternde Definition von blended learning als eine Form des Hybrid‐ lernens: Blended learning focuses on optimizing achievement of learning objectives by ap‐ plying the ‘right’ learning technologies to match the ‘right’ personal learning style to transfer the ‘right’ skills to the ‘right’ person at the ‘right’ time. Offen bleibt in dieser von Yu & Du (2019: 189) zitierten Definition von Singh & Reed (2001) zunächst die Frage, was denn unter ‘right’ zu verstehen ist. Während Singh & Reed später in einem Beispiel aus dem Finanzsektor verdeutlichen, welches aus ihrer Sicht die „richtigen Zutaten“ für blended learning seien, bleibt diese Frage bei Yu & Du (2019) offen. Im Kontext unseres Beitrags verstehen wir unter ‘right’, dass auf die jeweilige Lerngruppe und innerhalb dieser Gruppe für jede / n individuelle / n LernerIn maßgeschneiderte Angebote sowohl durch die Lehrenden als auch die Lern‐ gruppe und die individuellen LernerInnen selbst produziert, bereitgestellt und reflektiert genutzt werden. Mit Handke (2015) glauben wir, dass in so verstan‐ denen blended learning Szenarien „die dafür benötigten Komponenten […] so digitalisiert werden, dass sie einen inhaltlichen Mehrwert im Vergleich zu klas‐ sischen Materialien bieten und zugleich dem Lernverhalten und der Lebenssi‐ tuation der heutigen Generation [der Lerner] entsprechen“ (Handke 2015: 56). Die für unseren Projektfokus hilfreichste Definition von blended learning findet man bei Erpenbeck, Sauter & Sauter (2015): Blended Learning (engl. Blender = Mixer) ist ein internetbzw. intranetgestütztes Lernsystem, das problemorientierte Workshops mit meist mehrwöchigen Phasen des selbstgesteuerten Lernens auf der Basis von Web Based Trainings und der Kommu‐ nikation über ein Learning-Management-System bedarfsgerecht miteinander ver‐ knüpft (ebd.: 29). Bezogen auf das in diesem Beitrag vorgestellte und diskutierte Projekt bedeutet dies, dass das Potential von blended learning Szenarien insbesondere in der Auswahl und Anwendung sowohl von Materialien und Quellen als auch von Produkten für und durch die Lernenden liegt, das diese in die Lage versetzt, an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten (vgl. auch Iberer 2010) und 214 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi mit unterschiedlichen kulturellen Vorerfahrungen an verbindenden Themen zu arbeiten und die erzielten Ergebnisse miteinander zu teilen, zu reflektieren und zu diskutieren. Die so entstehende Interaktion ist sowohl für das inhaltliche als auch das zielsprachliche Lernen eine wichtige Voraussetzung und damit we‐ sentlicher Bestandteil unseres blended learning Konzepts. In diesem Sinne beziehen wir neben blended learning Ansätzen als Mischung aus Online- und Präsenzlehre und der Nutzung von Internetquellen sowie In‐ tranet-Lernplattformen auch Elemente des „mobile learning“ (Yu & Du 2019: 189) in die genutzten blended learning Szenarien ein. Auf diese Weise soll das gesamte Potenzial von blended learning für die Lernprozesse im Projekt er‐ fahrbar und nutzbar gemacht werden: Die Lernenden sollen sich so vom „selbst‐ gesteuerten Lernen“ hin zum „zunehmend selbstorganisierte[m] Lernen“ (Er‐ penbeck, Sauter & Sauter 2015: 2) entwickeln. Wichtig für das blended learning Konzept in unserem kollaborativen, inter‐ kulturellen Projekt ist dabei, dass die Lernenden die Möglichkeiten des selbst‐ organisierten Lernens anwenden lernen. Um dies zu gewährleisten, bietet sich die von Erpeneck, Sauter & Sauter (2015) oben erwähnte Verknüpfung von on‐ line- und Präsenzphasen in Kombination des „Sandwich Prinzips“ (Wahl 2013) besonders an. Entsprechend dieses Prinzips sind „Lehr-Lern-Prozesse […] so anzulegen, dass die Lernenden möglichst viel Gelegenheit erhalten, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen und diese in ihrer eigenen subjektiven Struktur zu verankern“ (Wahl 2013: 295). So verstandene und genutzte Lehr-/ Lernszenarien können nicht nur natür‐ lichere Lernwege (Singh & Reed 2001: 8) bieten, sondern sie eignen sich insbe‐ sondere in räumlich weit voneinander entfernten, kulturell sehr unterschiedli‐ chen Lerngruppen als eine effektive Form des Lehrens und Lernens. Das Wahl’sche Sandwich Prinzip unterstützt gerade in diesen Lerngruppen das in‐ haltliche und interkulturelle Lernen durch die eingeschobenen (Selbst)-Refle‐ xionsphasen, in denen das Gelernte verarbeitet, durchdacht und mit der eigenen Lern- und Lebenswirklichkeit in Bezug gesetzt wird. Hierbei wird innerhalb unseres Konzepts ein besonderes Augenmerk darauf gelegt, die individuell kon‐ struierte Kultur jedes einzelnen Lernenden in die Lernszenarien einzubringen (und damit auch die Sprach- und Lernkultur eines jeden). Hierdurch wird die Bedeutung von Diversität für die Studierenden nicht nur in einer interkultu‐ rellen, binationalen Dimension erfahrbar, sondern vor allem auch auf der Ebene der Individuen selbst, die jeweils aus unterschiedlichen (komplexen) kulturellen Kontexten kommen. Auf diese Weise bringen die jeweiligen TeilnehmerInnen aus Indien und aus Deutschland ihre individuellen Vorerfahrungen und somit auch ihre eigene konstruierte (Lern-)Kultur in die Lernszenarien ein. 215 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels 4 Dieses Projekt (Laufzeit 1. 9. 2017-31. 8. 2020) wird im Rahmen des Baden-Württem‐ berg-STIPENDIUMs für Studierende - BWS-plus, einem Programm der Baden-Würt‐ temberg Stiftung, finanziell unterstützt. Wie dies im Projektkontext des Projekts „Professional Schools of Education als Akteure des Wandels: Auf ethnische und soziale Vielfalt der Bildungssysteme im digitalen Zeitalter reagieren“ in die Praxis umgesetzt wird, wird im weiteren Verlauf dieses Beitrags verdeutlicht. Dazu werden im nächsten Schritt zunächst die Projektidee und das bisherige Vorgehen im Projekt skizziert, bevor im über‐ nächsten Abschnitt die blended learning Szenarien sowohl aus der semester‐ begleitenden Lehre in Delhi und Ludwigsburg sowie aus der Summer School an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg 2019 evaluiert werden, woraus sich dann übertragbare Eckpfeiler für die Curriculaentwicklung im Rahmen di‐ gitaler Hochschullehre ableiten lassen. 3 Die kooperative Projektdurchführung Lehren und Lernen in interkulturellen und digitalen Settings gewinnt auch in der LehrerInnenbildung zunehmend an Bedeutung. Digitalisierung ist dabei eine zentrale Herausforderung in Schule und Hochschule (vgl. Keßler 2019). Um Lehramtsstudierende auf die Herausforderungen kultureller Diversität, hetero‐ gener Gesellschaftsformen, verstärkter Globalisierung und Migration besser vorbereiten zu können, wird es immer wichtiger, ihnen fächerübergreifend die Möglichkeit zu bieten, in ihrer Hochschulbildung interkulturelle Kompetenzen zu entwickeln und zu reflektieren (z. B. Grünewald 2012; Hettinger 2012). Ein Weg dies zu unterstützen liegt in Lehr-/ Lernarrangements, in denen sich Studierende durch hochschulübergreifende, möglichst internationale, Koope‐ rationen mit Studierenden aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten austau‐ schen (vgl. So & Bonk 2010). Das Projekt 4 setzt genau hier an: Entwickelt zur Vertiefung der 2016 etab‐ lierten Hochschulpartnerschaft zwischen der Pädagogischen Hochschule Lud‐ wigsburg und der Ambedkar University, Delhi wurde das Projekt 2017 von einem Team interdisziplinärer Lehrender beider Hochschulen in Kooperation mit dem Akademischen Auslandsamt der Pädagogischen Hochschule Ludwigs‐ burg gemeinsam entwickelt. Im Mittelpunkt steht die Erstellung von Lernsze‐ narien, die für Studierende beider Hochschulen den interkulturellen Austausch ermöglichen und in einem blended mobility Format mit kollaborativen blended learning Anteilen einerseits und physischer Kurzzeitmobilität in Form von ge‐ meinsamen Summer Schools andererseits, kulminieren. 216 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi Inhaltlich geht es in den für diesen blended mobility Ansatz entwickelten Kursen darum, die unterschiedlichen Gründe und Ausprägungen sowohl eth‐ nischer als auch sozialer Vielfalt der deutschen und indischen Gesellschaft und ihrer Bildungssysteme besser zu verstehen. Sowohl das indische als auch das deutsche Bildungssystem sind von Ungleichheiten geprägt. Während dies in Indien vor allem die Teilhabe unterschiedlicher sozialer Schichten / Kasten am Bildungssystem (vgl. den Right to Education Act des indischen Parlaments aus dem Jahr 2009; siehe auch: http: / / righttoeducation.in / know-your-rte / about, zuletzt aufgesucht am 14. 11. 2019) betrifft, erleben wir in Deutschland eine zu‐ nehmende ethnische Differenzierung der Klassenzimmer in einer Einwande‐ rungsgesellschaft. Im Raum Stuttgart beispielsweise haben rund 50 % der Schü‐ lerInnen in Grundschulen eine andere Muttersprache als Deutsch (vgl. Günster 2018). In der aktiven Auseinandersetzung mit Heterogenität sollen angehende LehrerInnen zukünftig jüngere Generationen für Diversität sensibilisieren und dazu beitragen, existierende Ungleichheiten zu überwinden. Im Rahmen des Projekts sollen daher Studierende und Lehrende durch das Erleben von sowohl kultureller als auch sprachlicher Diversität und Vielfalt im jeweils anderen Land interkulturelle Kompetenz für ihr Berufsfeld erwerben und aktiv daran arbeiten Vorurteile in Bildungszusammenhängen zu erkennen, zu benennen und abzu‐ bauen (vgl. Derman-Sparks & Olsen Edwards 2010) Durch Vergleiche beider Bildungssysteme und der Erfahrungen der jeweils anderen Gesellschaft sollen im besten Sinne des interkulturellen Lernens (vgl. Byram 1997) Rückschlüsse für das eigene Bildungssystem gezogen werden, die helfen, als zukünftige Lehrkraft die Heterogenität und Diversität in den Schulen konstruktiv in den Lernalltag zu integrieren (vgl. Yeh, Jasiwal-Oliver & Posejpal 2017). Kernelement und langfristiges Endprodukt ist ein „virtuelles Auslandsse‐ mester“ für die Studierenden aller beteiligten Hochschulen: Indische und deut‐ sche Lehrende bieten pro akademischem Jahr mindestens zwei gemeinsam ge‐ plante Online-Module bzw. Co-teaching Seminare an, so dass Studierende in Form von blended mobility Studienangebote im Umfang von bis zu 30 ECTS innerhalb von gemeinsamen Lehr-/ Lernszenarien mit der Partneruniversität wahrnehmen können. Diese Szenarien und (Online)-Kurse werden in der Regel gemeinsam von KollegInnen beider Hochschulen geplant und anschließend an beiden Hoch‐ schulen teils als Online-, teils als Präsenzlehre durch die jeweils eigenen Hoch‐ schullehrkräfte, z.T. unterstützt durch Gastlehre von Hochschullehrenden der 217 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels 5 Unterstützt durch das Erasmus+ KA107 Programm (Mobilität mit Partnerländern) können Lehrende beider Hochschulen zu Kurzzeitaufenthalten an die Partnerhoch‐ schule reisen und dort in den Seminaren der lokalen KollegInnen lehren. jeweiligen Partnerhochschule 5 eingesetzt. Zum Projektstart erfolgte im Januar 2018 eine Auftaktveranstaltung mit einem Lehrendenworkshop, an den sich die Konzeptionsphase für die Entwicklung von kollaborativen blended learning Szenarien und dem blended mobility Format anschloss. Im Sommersemester 2018 startete der erste Programmdurchlauf mit einem interkulturellen Vorbe‐ reitungsseminar an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg. Die ersten gemeinsam geplanten Seminare unter Einbezug von blended learnig Elementen wurden im WS 2018 / 19 angeboten. Auf eine gemeinsame Summer School in Ludwigsburg im Oktober 2019 folgt eine weitere Summer School in Delhi im Frühjahr 2020. Im Juni 2020 schließt das Projekt mit einer Abschlussveranstal‐ tung. Neben der Entwicklung multipler Formen von kollaborativen blended le‐ arning Szenarien wird eine Handreichung zur erfolgreichen Entwicklung und Durchführung von eben solchen interaktiven und interkulturellen blended le‐ arning Szenarien entstehen. Hierzu wird auch die Evaluation der entwickelten Kursmaterialien, Lehr-/ Lernmethoden und Lernsettings der verschiedenen blended learning Szenarien (vgl. Abschnitt 4) herangezogen. Einmal entwickelt, durchgeführt und erprobt ist das Konzept langfristig auf verschiedene Partnerschaften und Kooperationen in den unterschiedlichsten kulturellen Settings übertragbar. Durch diese Übertragbarkeit ist es geeignet, nachhaltig Eingang in die Curriculumsentwicklung digitaler Lehr-/ Lernszena‐ rien an Hochschulen zu finden. 4 Evaluation der kollaborativen blended learning Szenarien 4.1 Design der Evaluation und Auswertung Die entwickelten Kursmaterialien, Lehr-/ Lernmethoden und Lernsettings der verschiedenen blended learning Szenarien werden in einem multi-methodi‐ schen Verfahren insbesondere in Hinblick auf die Einstellungen der Studier‐ enden zu kollaborativen und interaktiven Aufgabenformaten summativ evalu‐ iert (siehe hierzu auch Knoblauch, Keßler & Jakobi 2019). Der multi-methodische Evaluationsansatz bietet vor diesem Hintergrund die Möglichkeit mit unter‐ schiedlichen Methoden (qualitative und quantitative Fragebögen, Einzel- und Gruppeninterviews, Dialoginterviews) den Evaluationsprozess über einen län‐ geren Zeitraum und verschiedene Lehr-/ Lernformen hinweg flexibel zu ge‐ stalten und somit eine möglichst große Bandbreite an Rückmeldungen zu er‐ 218 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi 6 In Anlehnung an das vierstufige Modell von reaction, learning, behavior, results bei Kirkpatrick und Kirkpatrick (2006). fassen (vgl. Creswell 2015: 15). Zur Auswertung und Strukturierung der Evaluationsergebnisse werden die Ebenen (a) Einstellungen, (b) Lernpräferenzen und (c) Transformationen herangezogen. Diese Auswertung orientiert sich an der Evaluation von Trainingsprogrammen bei Kirkpatrick und Kirkpatrick (2006), wobei die für diese Evaluation angepassten und relevanten Ebenen (a)-(c) zur Strukturierung herangezogen werden. 6 Die Evaluation arbeitet somit mit qualitativen und quantitativen Perspektiven, die summativ ausgewertet werden. Ziel ist eine zusammenfassende, bilanzierende und ergebnisorientierte Evalua‐ tion, die durch eine Diskussion und Interpretation vor dem Hintergrund der vorgenommenen theoretischen Betrachtung konstruktive Vorschläge für ver‐ wandte Settings entwickelt (vgl. Stockmann 2006: 19). Sowohl das methodische Vorgehen als auch die Ergebnisse der Evaluation werden durch ausgewählte Zitate und Beispiele veranschaulicht und unter Berücksichtigung der spezifi‐ schen Situationen von Lernenden in den beschriebenen kollaborativen blended learning Settings diskutiert. Insgesamt wurden im Rahmen des hier beschriebenen Projekts zwei blended learning Kurse und eine zweiwöchige Kompaktveranstaltung (Summer School) evaluiert, die aus der oben dargelegten Kooperation der Pädagogischen Hoch‐ schule Ludwigsburg und der Ambedkar University Delhi entstanden. Zunächst wurden die teilnehmenden Studierenden durch quantitative Fra‐ gebögen zu allgemeinen Einstellungen zu blended learning Szenarien und kon‐ kreten blended learning Optionen in den Kursen befragt. Der erste Fragenteil fokussiert Einstellungen zu der Balance von Online- und Präsenzveranstaltungen, daraus resultierenden Lernverhalten und generellen Vorstellungen zu blended learning Szenarien. Der zweite Fragenteil untersucht Präferenzen der Studierenden in digitalen Lernsettings, spezifische Formen der digitalen Zusammenarbeit und die kon‐ krete Verwendung von digitalen Lernmethoden (beispielsweise Podcasts, Vi‐ deos und Wege interaktiver Kollaboration). In beiden Teilen wurden die Stu‐ dierenden zu möglichen Veränderungen ihres Lernverhaltens durch die angebotenen kollaborativen blended learning Szenarien befragt. Darauf aufbauend wurden in einem zweiten Schritt jeweils qualitative teil‐ strukturierte Interviews durchgeführt, die individuelle Einstellungen, Präfe‐ renzen und Transformationen in Hinblick auf die angebotenen kollaborativen blended learning Szenarien untersuchen. Der teilstrukturierte Fragebogen fo‐ kussiert das Nutzerverhalten der Studierenden in Hinblick auf die digitalen An‐ 219 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels gebote, Möglichkeiten der Kollaboration, die Reflexion von Lernpräferenzen und Veränderungen von Lernstrategien, Arbeitsweisen und Einstellungen in Hinblick auf kollaborative blended learning Angebote. Der multimethodische Ansatz und die Evaluation bezogen auf die drei Ebenen zeigten sich in den Untersuchungs- und Auswertungsprozessen als hilfreiche Vorgehensweisen, um Hinweise auf Stärken und Schwächen der beschriebenen Kurse zu identifizieren, sowie Einstellungen, Lernpräferenzen und Verände‐ rungen im Lernverhalten von Studierenden erkennen zu können. 4.2 Quantitative Analyse Die quantitative Perspektive umfasst jeweils die Befragung aller teilnehmenden Studierenden in den beiden untersuchten Kursen und der Summer School (Kurs 1 (quantitativ)=16 / Kurs 1 (qualitativ)=13 / Summer School= (quantitativ und qualitativ)=16). Ziel der quantitativen Befragung ist die Untersuchung der drei Ebenen (a) Einstellungen, (b) Lernpräferenzen und (c) Transformationen, sowie die Generierung weiterer Frageitems für die nachfolgende qualitative Befra‐ gung, durch einen Teil mit offenen Fragen innerhalb des Fragebogens. (a) Einstellungen: Ganz grundsätzlich zeigt sich, dass die Struktur der blended learning Veranstal‐ tungen von den Studierenden positiv angenommen wird: 62 % der Studierenden stimmen der Aussage “I would take a blended learning class with this structure again” voll zu und 31 % stimmen der Aussage eher zu. Die Balance von Online- und Präsenzveranstaltungen wurde ebenfalls positiv bewertet: 24 % stimmen der Aussage “The balance between online and classroom learning was good“ voll zu, 33 % stimmen eher zu, und die restlichen 43 % sind neutral. Unterschiede zeigen sich in den Einstellungen zu den Onlineinhalten der beiden Kurse und der Summer School. Die Onlineinhalte der Kurse werden positiv be‐ wertet: 31 % stimmen der Aussage “I enjoyed working with the online con‐ tent” voll zu, 54 % stimmen eher zu und 15 % sind neutral. Die Onlineinhalte der Summer School werden kritischer bewertet: 31 % stimmen hier der Aussage “I enjoyed working with the online content” eher zu, 38 % sind neutral und 31 % stimmen eher nicht zu. Im qualitativen Zugang wird dieser Unterschied durch weitere Fragen fokussiert, ferner werden spezifische Fragen zu den Ein‐ stellungen gestellt. 220 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi (b) Lernpräferenzen: Die Untersuchung von Lernpräferenzen im Kontext der vorliegenden Untersu‐ chung zeigt vier starke Trends: Flexibilität, Unabhängigkeit, Kollaboration und Internationalität. 45 % schätzen die Flexibilität der Kurse sehr (22 % eher / 33 % neutral). 61 % schätzen die starke Unabhängigkeit und die hohe Selbstständigkeit inner‐ halb der Kurse (31 % eher / 8 % neutral). 43 % stimmen der Aussage “The collaboration with others was very helpful for my learning” voll zu (43 % eher / 14 % neutral). 79 % schätzen dabei ganz besonders die Kollaboration mit anderen internationalen Studier‐ enden durch die Kurse (21 % eher). Insgesamt kann festgehalten werden, dass die kollaborativen blended-lear‐ ning Szenarien aufgrund dieser Trends von einem Großteil der teilnehmenden Studierenden positiv bewertet und somit geschätzt werden. Im qualitativen Zu‐ gang werden die hier evaluierten Trends fokussiert. (c) Transformationen: 40 % der Studierenden stimmen der Aussage “I learned new techniques of le‐ arning in the courses” voll zu (42 % eher / 10 % neutral / 8 % eher nicht). Dieses Ergebnis wird bestärkt durch die Einschätzung, dass vorhandene Lernfähig‐ keiten im Rahmen der kollaborativen blended-learning Szenarien weiterentwi‐ ckelt wurden: “I developed learning skills during the courses” (33 % stimmen voll zu / 41 % eher / 22 % neutral / 4 % eher nicht). Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass ein Großteil der befragten Studierenden positive Transformationen in ihrem Lernverhalten wahrnimmt. Die qualitative Perspektive fokussiert dieses Ergebnis und formuliert Fragen zu konkreten Transformationsprozessen und möglichen Impulsen für diese Prozesse. 4.3 Qualitative Perspektive Ziel der qualitativen Befragung ist die Untersuchung der drei Ebenen (a) Ein‐ stellungen, (b) Lernpräferenzen und (c) Transformationen vor dem Hintergrund der quantitativen Ergebnisse und die induktive Untersuchung der übergreif‐ enden Fragestellungen durch ein teilstrukturiertes und offenes Vorgehen in den Interviews und deren Auswertung. (a) Einstellungen: Die befragten Studierenden schätzen den kollaborativen blendend learning An‐ satz der Kurse generell und äußern sich überwiegend positiv zu den Szenarien, besonders zu den Bereichen (1) selbstverantwortetes Lernen, (2) Kollaboration und (3) Vielfalt von Lernmöglichkeiten. Darüber hinaus werden in den Inter‐ 221 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels views ganz konkrete Beispiele für die positiven Einstellungen gegenüber den evaluierten Kursen diskutiert: Ein wichtiger Faktor scheinen zusätzliche Reflexionspotentiale zu sein, die durch die Balance von Online- und Präsenzphasen entstehen: (p2) … I liked the mix of both […] so when I watched the videos it was more thinking by myself and making my own ideas, but it was also very important to be back in class […] I got new ideas how they (other students) understood the tasks, how they answered the questions and how they think about this and this was really interesting. In diesem Zusammenhang werden besonders die Vorzüge internationaler Kol‐ laboration betont: (p4) I especially appreciated the group tasks and intercultural communication tasks because it helped us know about the socio-cultural dynamics of each other’s country. (p7) When students from two diverse cultures brainstorm together, in concentrated, time-bound sessions towards a single goal, the process serves as an engine for a crea‐ tion of meaning that is composite yet nuanced, a complexity of ideas that would per‐ haps be missing if the source came from a single context. In mehreren Fällen werden Flexibilität und Selbstverantwortung innerhalb der Klassen als positives Merkmal diskutiert: (p1) … and (the) best part about it was that students were also taking the lead. It was not completely driven by the teacher. (p8) … the blended learning approach arouses students’ interests and combines ways of […] modern teaching with interesting in-class sessions. Kritisch diskutiert wird teilweise ein zu geringer Anteil an Onlineinhalten und das daraus resultierende Übergewicht von Präsenzphasen besonders bei der Summer School. Ebenfalls problematisch gesehen werden hier zu geringe Vor‐ bereitungszeiten durch eine zu späte Bereitstellung von Onlineinhalten und mangelnde Flexibilität durch zu viele Präsenzphasen. Die Antworten zeigen, dass die Onlineinhalte und die dazugehörigen Auf‐ gaben frühzeitig und klar strukturiert bereitgestellt werden müssen, um weitere Kollaboration und damit eine Vertiefung der Inhalte gewährleisten zu können. Zudem scheinen die Balance von Online- und Präsenzphasen, Möglichkeiten zu selbstverantwortetem Lernen und Flexibilität eine wichtige Rolle für die be‐ fragten Studierenden zu spielen. (b) Lernpräferenzen: Ganz grundsätzlich bewerten die befragten Studierenden die Möglichkeit ver‐ schiedene Lernwege zur Verfügung zu haben äußerst positiv. Interessanterweise 222 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi zeigen sich bei den befragten Studierenden unterschiedliche methodische Prä‐ ferenzen, es herrscht jedoch Einigkeit bei der positiven Einschätzung von viel‐ fältigen Lernwegen generell. Videos, Podcasts, Präsentationen, Fachartikel, Chats, etc. werden in den Interviews immer wieder genannt. Besonders her‐ vorgehoben wird die Tatsache, dass die Onlineinhalte dem individuellen Lern‐ tempo angepasst und mehrfach verwendet werden können. Erneut wird die (internationale) Kollaboration sowohl online auch als persönlich als besonders konstruktives Element der Kurse bewertet. Die befragten Studierenden scheinen ihre Lernpräferenzen besonders bei den angebotenen Onlineinhalten und in den Kollaborationsmöglichkeiten zu verorten: (p9) […] for me it was getting to know new numerous different points of views and insights on opinions of other students […] this was particularly interesting for me […] because it required me to reassess my own ideas and enabled me to make additions and changes accordingly. Eine für Curriculum-Design hochinteressante Anregung wird ebenfalls disku‐ tiert: Einige Studierende wünschen sich selbstständig Onlineinhalte zu entwi‐ ckeln, die dann Teil der Kurse werden können und gemeinsam mit anderen weiterentwickelt werden. So wurden von den Studierenden beispielsweise In‐ terviews und Podcasts produziert, die dann in den Kursen diskutiert wurden und für weitere Formate verwendet werden können. Die Antworten deuten auch vor diesem Hintergrund darauf hin, dass blended learning Szenarien insbesondere von der Vielfalt der Online- und Präsenzinhalte profitieren und kollaborative Angebote benötigen. Diese Angebote können von einer internationalen Perspektive besonders profitieren: (p3) The best was that through the media it was possible to work with people from different countries and to do that instantly […] to first think so what do I know, what do I think and then also to listen to the others’ answers. Because so I could compare and I also got more ideas […] sometimes it was also a little “wow-effect”. (c) Transformationen: Die in den Interviews diskutierten Transformationen von Lernstrategien und -verhalten betreffen die bereits in (a) vorgestellten Bereiche selbstverantwor‐ tetes Lernen und Kollaboration. Die befragten Studierenden berichten dabei hauptsächlich über Änderungen bezüglich Kollaboration und Selbstverantwor‐ tung: (p5) I think the blended and collaborative learning approach did change my way of learning to a certain degree since it illustrated how important diversity in education actually is, as it doesn’t only give you multiple perspectives but it also shows how 223 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels much oneself can profit from the ideas and perspectives of others. And it further underlines the fact that there isn’t just one fixed answer to a question […] which I thought became very clear in our seminar and I really liked that. Das selbstverantwortete Lernen in digitalen Szenarien war für die meisten der befragten Studierenden neu und führte zu flexiblen und individuell gestalteten Lernphasen. Als Lernarragements wurden besonders die bereitgestellten Videos und die dazugehörigen Aufgabenformate, sowie der Podcast diskutiert. Die von den befragten Studierenden diskutierten Transformationen beziehen sich direkt auf die vorangegangenen Ebenen (a) Einstellungen und (b) Präfe‐ renzen und fokussieren dabei schwerpunktmäßig die Bereiche (internationale) Kollaboration und selbstverantwortetes (digitales) Lernen. 4.4 Analyse und Interpretation durch Triangulation Ganz grundsätzlich zeigt sich in der Triangulation der Ergebnisse eine positive Einstellung der befragten Studierenden bezüglich des kollaborativen blended learning Formats der durchgeführten Kurse. Diese positive Einstellung scheint hauptsächlich auf der Balance von Online- und Präsenzphasen, der Vielfalt an (interkulturellen) Lernmöglichkeiten, der Selbstverantwortung und Flexibilität im Lernprozess sowie der Kollaboration mit anderen Studierendend zu basieren. Die kollaborative Reflexion von Lerninhalten auf nationaler und internationaler Ebene scheint dabei für viele der befragten Studierenden einen besonderen Mehrwert zu generieren. Diese Kollaboration lässt sich im Rahmen der blended learning Szenarien offensichtlich gut entwickeln, wenn die Onlineinhalte an‐ sprechend aufbereitet und mit ausreichend Vorlauf bereitgestellt werden. In‐ tensiv und ausschließlich positiv wird in diesem Kontext die internationale Per‐ spektive besprochen: Viele Studierende berichten von nachhaltig beeindruckenden interkulturellen Lernprozessen, die besonders durch Alter‐ itätserfahrungen ermöglicht wurden. Die Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich Lernpräferenzen durch die oben genannten Impulse verändern, Lernstra‐ tegien weiterentwickeln und Lernfähigkeiten neu entwickeln können. Die befragten Studierenden berichten in diesem Kontext sehr häufig von (Al‐ teritäts-)Erfahrungen, die individuell und kollaborativ zu einer Reflexion be‐ stehender Strukturen und schließlich zu einer Konstruktion neuer Lernstrate‐ gien und neuen Wissens führen können. Auf Basis der hier durchgeführten Evaluation und vor dem Hintergrund von Vygotskys Theorie zur Zone der pro‐ ximalen Entwicklung können (1) (internationale) Kollaboration, (2) Selbstver‐ antwortung für den Lernprozess und die (3) Vielfalt von Lernszenarien als För‐ dermerkmale für potenzielle Entwicklung identifiziert werden. Diese Aspekte 224 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi 7 Diese Beispielfragen sind Teil eines größer angelegten interkulturellen Aufgabenfor‐ mats während der Summer School in Ludwigsburg. Die Studierenden haben in vorbe‐ reitenden und aufgezeichneten Kommunikationsformaten zunächst vor Beginn der ei‐ gentlichen Summer School diese Fragen in ihren Tandems anhand vertiefter Leitfragen diskutiert. Während der Summer School haben sie dann (insbesondere bei Schulhospi‐ tationen im Englisch- und im bilingualen Geographieunterricht) mit Hilfe von kon‐ kreten Beobachtungsbögen analysiert, wie monolinguale sowie mehrsprachige Lerner in Unterrichtssituationen sprachlich handeln. Anschließend wurden diese prozessori‐ entierten Beobachtungen gemeinsam zu einem Produkt (z. B. kurzes Erklärvideo, Plakat, PowerPoint-Präsentation, o. ä.) weiterverarbeitet. Auf diese Weise wurde das Reflexionsniveau in den Tandems und auch in der gesamten Lerngruppe vertieft und die Produktergebnisse in einer neuen prozessorientierten Diskussionsrunde der Ge‐ samtgruppe analysiert. sind für die Entwicklung von blended learning Curricula zentrale Leitlinien und werden im abschließenden Teil des Beitrags vertieft. 5 Bilanz und Ausblick Unser Beitrag zeigt, wie digitale Hochschullehre in der fremdsprachlichen Leh‐ rerInnenbildung erfolgreich eingesetzt werden kann. Gerade in der Fremdspra‐ chendidaktik spielt die interkulturelle Kompetenz sowie Byrams (1997) einge‐ führte interkulturelle kommunikative Kompetenz eine wichtige Rolle. Durch die Kombination authentischer Lernaufgaben und echter Kommunikation zwischen den TeilnehmerInnen der blended learning Szenarien und der Summer School werden authentische Lerngelegenheiten geschaffen und genutzt, die sowohl in‐ haltliches als auch zielsprachliches vertieftes Lernen ermöglichen. Durch die Übertragbarkeit des in diesem Beitrag vorgestellten Konzepts auf andere (internationale) Partnerschaften einer Hochschule sowie auch auf an‐ dere Hochschulstandorte, dient es exemplarisch dazu, zu zeigen, welches inno‐ vative Potenzial digitale Lehrformate und insbesondere kollaborative blended learning Szenarien haben, die LehrerInnenbildung insgesamt und die fremd‐ sprachliche LehrerInnenbildung im Besonderen voranzubringen. Durch die Auswahl der Aufgabenformate (z. B. „What role does language play in your life? “ „What are the chances and challenges of multilingualism and fo‐ reign language teaching in India and in Germany? “) 7 und deren Evaluation sowie die damit verbundene Curriculaentwicklung während des gesamten Projekt‐ verlaufs hat sich gezeigt, wie durch die Einbindung digitaler Hochschullehre motivierende authentische Gesprächsanlässe und diverse Kommunikationska‐ näle entstehen, die den Studierenden ermöglichen, interkulturelle Inhalte aus verschiedenen Disziplinen (Politik, Educational Studies, Mehrsprachigkeit, Son‐ 225 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels derpädagogik) in der Zielsprache Englisch zu bearbeiten und damit tief(er) zu durchdringen. Der in Abschnitt 4 dargelegte, auf Kirkpatrick und Kirkpatrick (2006) ba‐ siernde Dreiklang aus a) Einstellungen, b) Lernpräferenzen und c) Transforma‐ tionen untermauert die grundsätzliche Bedeutung des hier vorgestellten Ent‐ wicklungsbeitrags für die Curriculaentwicklung und deren Übertragbarkeit auf unterschiedlichste Inhalte der Hochschullehre sowie auf deren verschiedene beteiligte Akteure: Die Vielfalt der unterschiedlichen Lehr-/ Lernformate, die in diesem Konzept entwickelt und von den Studierenden genutzt wurden, ermög‐ licht es den Beteiligten, individuell in ihren Gruppen Aufgaben zu wählen und zu bearbeiten, die ihren jeweiligen Interessen sowie inhaltlichen und (fremd)-sprachlichen Lernbedarfen entsprechen. Dies wurde in der Evaluation von den Studierenden als besonders positiv eingeschätzt (vgl. Abschnitt 4 zu den Lernpräferenzen). Unter fremdsprachendidaktischen Gesichtspunkten stellen diese Auswahlmöglichkeiten der Studierenden einen nicht zu unter‐ schätzenden Wert dar, denn sie ermöglichen den Lernenden, sich entsprechend ihres jeweiligen zielsprachlichen Entwicklungsstandes und ihrer developmental readiness (vgl. Pienemann & Keßler 2012; Keßler 2018) auszudrücken. Auf diese Weise können die Lernenden trotz evtl. unterschiedlicher Fortschritte in der Zielsprache Englisch gemeinsam an der gleichen Aufgabe arbeiten und ggf. von bereits weiter fortgeschrittenen Lernenden ihre eigene Lernersprache weiter‐ entwickeln. Die Einbindung verschiedener Themenfelder und Fachdisziplinen innerhalb der semesterbegleitenden Inhalte ebenso wie in die interdisziplinär ausgerich‐ tete Summer School bedient sich theoretischen fremdsprachendidaktischen Konzepten des Content and Language Integrated Learnings ( CLIL ) und fördert auf diese Weise in der praktischen zielsprachlichen Umsetzung sowohl den wei‐ teren Spracherwerb der Lernenden als auch die authentische Durchdringung der unterschiedlichen fachlichen Inhalte. Durch die Interaktionen in den jewei‐ ligen Diskussionen der Themen in internationalen Studierendenteams werden durch negotation of meaning (Long 1996) sowohl eine tiefere inhaltliche Auseinandersetzung mit den jeweiligen Themen unterstützt als auch die weitere zielsprachliche Entwicklung der Studierenden in authentischen Sprachsituati‐ onen gefördert. Darüber hinaus unterstützen diese Aufgabenformate das inter‐ kulturelle Lernen, da vermeintlich identische Konzepte, die in den verschie‐ denen Ausgangskulturen jeweils eine Rolle spielen und vermeintlich einfach definierbar erscheinen (Resilienz, Mehrsprachigkeit, etc.) aus den jeweils un‐ terschiedlichen Perspektiven und Erfahrungshorizonten der Studierenden re‐ flektiert werden. 226 Jörg-U. Keßler / Christoph Knoblauch / Minke Jakobi Schließlich haben die ausgewählten blended learning Szenarien einen posi‐ tiven Einfluss auf das eigene Lernverhalten der Studierenden (vgl. Abschnitt 4 zu den Transformationen), besonders aufgrund der durch die Aufgabenformate ermöglichten Flexibilität und Selbstverantwortung der Studierenden, sowohl was die Auswahl der Inhalte als auch die Art und Weise ihrer Bearbeitung in den jeweiligen interkulturellen Studierendengruppen als auch deren sprach‐ liche Umsetzungen betrifft. Durch die Abstimmung der Aufgabenformate in prozessorientiertes Arbeiten (z. B. negotiation of meaning) und produktorientierte Lösungsansätze (Präsen‐ tationen, Erklärvideos, Rollenspiele etc.) setzen sich die Lernenden vertiefend mit den Inhalten auseinander und produzieren somit Lernergebnisse, die wie‐ derum in der Gesamtgruppe weiterbesprochen und weiterentwickelt werden. Dieses Vorgehen macht die Lernenden zu „Prosumern“ ganz im Sinne von Ort‐ mann-Welp (2011; vgl. Abschnitt 2). Die Studierenden schätzen besonders diese Möglichkeiten, selbstständig Online-Inhalte zu gestalten und in der gesamten Lerngruppe vorzustellen. Die positive Resonanz der vorgestellten, kollaborativen blended learning Sze‐ narien im Einsatz des in unserem Beitrag vorgestellten Projekts zwischen der Ambedkar University Delhi und der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg zeigt, dass digitale Hochschullehre insbesondere im Bereich der Fremdspra‐ chenlehrerInnenbildung eine wichtige Rolle spielt. Neben der inhaltlichen und zielsprachlichen Auseinandersetzung mit aktuellen Themen liegt das besondere Potenzial in der Schaffung authentischer interkultureller Lernräume. Somit trägt das vorgestellte Konzept zur tragfähigen (Weiter)-Entwicklung der Curri‐ cula sowohl in der (fremd)-sprachlichen als auch in der sachfachlichen Lehre‐ rInnenbildung bei und kann darüber hinaus auch einen wesentlichen Beitrag zur Internationalisierung der Hochschullehre leisten. Literatur Byram, Michael (1997). Teaching and assessing intercultural communicative competence. Clevedon: Multilingual Matters. Creswell, John W. (2015). A concise introduction to mixed methods research. Los Angeles: SAGE. Derman-Sparks, Louise & Olsen Edwards, Julie (Eds.) (2010). Anti-Bias education for young children and ourselves. Washington D. C.: NAEYC, 3-6. Erpenbeck, John, Sauter, Simon & Sauter, Werner (2015). E-Learning und Blended Lear‐ ning. Selbstgesteuerte Lernprozesse zum Wissensaufbau und zur Qualifizierung. 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International journal of emerging technologies in lear‐ ning, 14(5), 118-200. Abrufbar unter: https: / / doi.org./ 10.3991 / ijet.v14i05.8546 229 Professional Schools of Education als Akteure des Wandels Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. Interkulturelles Lernen durch virtuellen Austausch im Studium zukünftiger LehrerInnen Götz Schwab / Nils Drixler Telecollaboration respektive Virtual Exchange ist eine Methode des interkul‐ turellen Online-Lernens, bei der Gruppen von Lernenden mit Partnern aus einer anderen Kultur oder geographischen Gegend in gemeinsamen Pro‐ jekten unter Verwendung einer gemeinsamen (Ziel-)Sprache zusammenar‐ beiten. Telecollaboration vereint zahlreiche Vorteile wie z. B. den Erwerb di‐ gitaler und interkultureller Kompetenzen und schafft darüber hinaus eine Umgebung, in welcher die Fremdsprache in einem authentischen Umfeld verwendet wird. Allerdings wird dieses didaktische Konzept noch selten an Hochschulen und Schulen umgesetzt. Das Projekt Extended Telecollaboration Practice ( ETP ) zwischen der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und dem Kibbutzim College of Education, Tel Aviv, setzt sich daher das Ziel, Lehr‐ amtsstudierende in ein virtuelles Austauschprojekt einzubinden, damit diese später in ihrem beruflichen Alltag an Grund- oder Sekundarschulen selbst einen solchen Austausch organisieren und durchführen können. 1 Einführung To sum up the online collaboration experience I am surprised how much I enjoyed working with the students from Israel and how much fun we had within our group. The idea behind the project where each group had to develop an idea for an English session was very interesting and the results were very exciting and some were out‐ standing (Deutsche Studentin). Das Austauschprojekt Extended Telecollaboration Practice ( ETP ) zwischen Lehr‐ amtsstudierenden der Pädagogischen Hochschule Karlsruhe und dem Kib‐ 1 Die Literatur dieses Feldes liegt weitestgehend in englischer Sprache vor. Zur besseren Lesbarkeit haben wir uns für deutsche Begriffe entschieden. Telekollaboration bzw. virtueller Austausch stehen hierbei synonym für die englischen Fachtermini Telecolla‐ boration respektive Virtual Exchange. butzim College of Education in Tel Aviv hat sich in den vergangenen vier Jahren an beiden Bildungseinrichtungen als feste Größe etabliert. Bei diesem Pro‐ gramm handelt es sich jedoch nicht um einen Hochschulaustausch im klassi‐ schen Sinne: der komplette Austausch findet online statt, wobei in deutschisraelischen Gruppen an gemeinsamen (Unterrichts-)Projekten gearbeitet wird. Diese Praxis wird in der Fachliteratur Telekollaboration oder Virtueller Aus‐ tausch genannt. 1 Der vorliegende Beitrag stellt Theorie und Praxis virtueller Austausche vor, rekurriert auf zugrundeliegende Lerntheorien und exemplifiziert relevante me‐ thodische Prinzipien anhand unserer eigenen Erfahrung im Rahmen des Pro‐ jekts Extended Telecollaboration Practice ( ETP ). 2 Inhaltlich-theoretische Ebene: Virtueller Austausch und Telecollaboration 2.0 2.1 Begriffsklärung One of the problematics of this format is that it is called by so many different names, thereby making it harder for the practice to be more commonly understood and im‐ plemented (Rubin 2016: 263). Rubins Aussage deutet an, dass es den einheitlich definierten Begriff für die Durchführung und Erforschung virtueller Austausche (virtual exchange) nicht gibt. Die äußerst vielfältige Nomenklatur erschwert darüber hinaus eine klare Verortung und somit auch den wissenschaftlichen Diskurs und die öffentliche Berücksichtigung und Anerkennung der Telekollaboration als didaktisches Konzept. Beschränkt man sich in der Vielzahl der Definitionen auf die Fremdspra‐ chenforschung, so finden sich für virtuelle Austausche u. a. die ursprüngliche Bezeichnung als Telecollaboration (Belz 2003; Warschauer 1996) aber auch Online Intercultural Exchange (O’Dowd 2007), Telecollaboration 2.0 (Guth & Helm 2010), Virtual Exchange (Helm 2016), Collaborative Online International Learning (Rubin 2016) oder Teletandem (Leone & Telles 2016). Hinzu kommt, dass die Methode zu einem verstärkt integrativen Teil der Konzepte des Computer-As‐ sisted Language Learning ( CALL ) bzw. Computer Mediated Communication 232 Götz Schwab / Nils Drixler ( CMC ) und Network-Based Language Teaching ( NBLT ) (Kern, Ware & War‐ schauer 2008) geworden ist. Mittlerweile hat sich allerdings mehr und mehr der Terminus Virtual Exchange ( VE ) etabliert, welcher häufig synonym zur Telekol‐ laboration verwendet wird (O’Dowd 2016). Dieser liegt die klassische Definition von Julie Belz zugrunde: Telecollaboration involves the use of Internet communication tools by internationally dispersed students of language in institutionalized settings in order to promote the development of (a) foreign language (FL) linguistic competence and (b) intercultural competence (Belz 2003: 68). Virtual Exchange bzw. Telecollaboration lassen sich nach O’Dowd (2007, 2016) überdies als Online Intercultural Exchange konzeptionalisieren. Online intercultural exchange (OIE), also referred to as telecollaboration or virtual ex‐ change, refers to the engagement of groups of students in online intercultural interac‐ tion and collaboration with partners from other cultural contexts or geographical loca‐ tions under the guidance of educators and/ or expert facilitators (O’Dowd 2017: 2). Telekollaboratives Lernen beschränkt sich also nicht allein auf reines Sprachen‐ lernen. Vielmehr steht der interkulturelle Austausch bei den meisten Projekten im Vordergrund (vgl. O’Dowd 2017; Guth & Helm 2010; Kohn & Hoffstaedter 2017). Die Weiterentwicklung des kommunikativen Ansatzes im Fremdspra‐ chenunterricht zu einer umfassenden Lehr-Lern-Konzeption, in deren Fokus der Erwerb interkultureller kommunikativer Kompetenz liegt (vgl. ebd.), fand auch Ausdruck in der Zielsetzung virtueller Austausche. Demnach haben diese das Ziel, Sprachenlernende aus voneinander entfernten geographischen Orten mit Hilfe digitaler Tools zusammenzubringen und dabei sprachliche und interkulturelle Kompetenzen durch kollaborative Aufgaben‐ stellungen und / oder Projektarbeit zu fördern. Telekollaboration kann folglich in den didaktischen Konzepten Task-Based Language Teaching ( TBLT ) oder Pro‐ ject-Based Language Teaching ( PBLT ) verortet werden (vgl. Dooly & Sadler 2016: 54 ff.). VE -Projekte finden mittlerweile nicht nur im Fremdsprachenunterricht statt, sondern auch in anderen Settings, wie etwa dem bilingualen Sachfachunterricht (O’Dowd 2018: 232). Zunehmende Berücksichtigung finden überdies fächer‐ übergreifende Projekte, welche jenseits fremdsprachendidaktischer Veranstal‐ tungen angeboten werden (O’Dowd 2016: 300). 233 Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. 2 Z. T. auch e-Tandem oder Teletandem genannt. Virtuelle Austausche lassen sich grundsätzlich in zwei Kategorien einteilen: Tandemkonstellation und Lingua-Franca-Konstellation. Beim Tandem-Modell 2 treten zwei MuttersprachlerInnen verschiedener L1 online in Kontakt, um die Sprache des jeweiligen Partners bzw. der jeweiligen Partnerin zu lernen. Daher sollte die Kommunikation in 50 % der Muttersprache eines Partners bzw. einer Partnerin und die anderen 50 % in seiner bzw. ihrer Zielsprache erfolgen und umgekehrt (Kohn & Hoffstaedter 2015: 3). Beim Lingua-Franca-Ansatz dient Englisch als Arbeitssprache, da beide Partner eine andere L1 mitbringen. Dies hat den Vorteil, dass die Fremdsprache in einem authentischen Setting gesprochen wird und den Teilnehmenden beider Seiten in der Regel keine andere Möglichkeit bleibt, um miteinander zu kom‐ munizieren. Zudem kann die Angst vor dem Sprechen der Zielsprache verringert werden, wenn die Teilnehmenden über ein ähnliches Sprachniveau verfügen. Das deutsch-israelische Projekt ETP kann dem Lingua-Franca-Ansatz zuge‐ ordnet werden, da Englisch als Arbeitssprache verwendet wird. Darüber hinaus berufen wir uns auf das Konzept Telecollaboration 2.0, welches der Forderung nach Stärkung digitaler Kompetenzen zukünftiger Lehrkräfte (vgl. Baum‐ gartner, Brandhofer, Ebner, Gradinger & Korte 2016: 98 ff.; Schultz-Pernice et al. 2017: 73 f.) Rechnung trägt. 2.2 Telecollaboration 2.0 Der Begriff Telecollaboration 2.0 wurde primär von Sarah Guth und Francesca Helm (2010) geprägt und unterstreicht die wachsende Bedeutung digitaler Bil‐ dung, auch innerhalb des telekollaborativen Ansatzes: The concept of Telecollaboration 2.0 […] does not mark a radical break from the practice of telecollaboration, which has always exploited the social-relational aspects of the Web, but rather it expands on 'traditional' theories and practices of telecolla‐ boration by introducing new issues and approaches as well as the new tools and op‐ portunities for collaboration and exchange as offered by Web 2.0 (Guth & Helm 2010: 16). Der Begriff Web 2.0 bezeichnete hierbei die neuen Möglichkeiten, die das In‐ ternet - etwa ab der Jahrtausendwende - zu bieten hat (Knorr 2004). Das Netz entwickelte sich zu jener Zeit hin zu einer zunehmend nutzerorientierten und vermehrt anwenderfreundlichen Plattform, die es auch Computer-Einsteiger- Innen ermöglichte, über Blogs, Wikis oder soziale Netzwerke diese neue Land‐ schaft mitzugestalten. 234 Götz Schwab / Nils Drixler Die Entwicklung zu mehr individueller Partizipation erfordert laut Guth und Helm (2010: 17 ff.) eine telekollaborative Praxis, die diese damals neuen Tools integriert. Zudem sehen die AutorInnen darin die Chance, neue Formen der Medienkompetenz oder gar Multi-Literacies (s. 2.3.2) im Rahmen von virtuellen Austauschen zu erwerben. Folglich bietet Telecollaboration 2.0 in der Form von internationalen, virtuellen Projekten eine authentische Umgebung, die Mög‐ lichkeiten des Web 2.0 intensiv zu erproben. Noch stärker als bei älteren tele‐ kollaborativen Ansätzen wird hierbei die Partizipation mithilfe von Online-An‐ wendungen gefördert, um zu kommunizieren, sich auszutauschen oder Informationen zu vergleichen (vgl. ebd.: 22). Die Methode Telecollaboration 2.0 bietet sich überdies an, die Entwicklungen des Web 4.0 wie etwa Augmented Reality-Umgebungen über Smartphones zu integrieren und damit künftige Entwicklungen im Kontext der digitalen (Hoch‐ schul-)Bildung zu berücksichtigen. 2.3 Kompetenzerwerb Grundsätzlich können in virtuellen Austauschen - je nach Aufgabenstellung - zahlreiche Kompetenzen, wie etwa fachliche, personale, soziale und methodi‐ sche Kompetenzen, gefördert werden. Im Folgenden sollen vor allem die Kom‐ petenzen erläutert werden, welche im Regelunterricht häufig in den Hinter‐ grund geraten und für deren Erwerb die Telekollaboration besonders prädestiniert ist. Hierzu gehören insbesondere Intercultural Communicative Competence ( ICC ) und digitale Kompetenzen. 2.3.1 Intercultural Communicative Competence (ICC) Das Gros der AutorInnen wissenschaftlicher Studien zum virtuellen Austausch (z. B. O’Dowd 2017; Guth & Helm 2010; Kohn & Hoffstaedter 2017) sieht die Entwicklung Interkultureller Kommunikativer Kompetenzen ( ICC ) als zu er‐ langende Kernkompetenz dieser Praxis. Dieser Tendenz wird insbesondere die Bezeichnung Online Intercultural Exchange - OIE (O’Dowd 2007) gerecht. Als wohl bedeutsamste Weiterentwicklung des kommunikativen Ansatzes (Hymes 1966) gilt Byrams Modell der Intercultural Communicative Competence ( ICC ) (Byram 1997, 2008). ICC ist eine Fähigkeit, die über das Lernen in der Schule hinausgeht und nicht auf den Fremdspracherwerb beschränkt ist, son‐ dern in zahlreichen Situationen hilfreich sein kann. Sie stellt die Basis für in‐ terkulturellen Dialog dar, der für Respekt gegenüber kultureller Diversität ein‐ steht und komplexe Realitäten unserer Gesellschaften wahrnimmt. Interkulturelle Kompetenz ist ein bedeutsamer Teil aktueller humanistischer Ansätze und zielt auf eine umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Diskurs 235 Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. im Zuge einer “global citizenship” (z. B. Byram 2008; Gimenez & Sheehan 2008) ab. Raith und Turula (2015: 21) sehen in der Telekollaboration eine der vielver‐ sprechendsten Methoden für den Erwerb von ICC , da sie einen tiefgehenden Kontakt zu Angehörigen anderer Kulturen ermöglicht. Virtuelle Austausche fördern alle fünf Faktoren interkultureller Kommunikation gemäß Byram (1997: 31 ff.), d. h. (1) Kenntnis über die eigene und andere Kulturen (savoir), (2) das Bewusstsein über die Tendenz, die eigene Kultur höher einzuschätzen als andere (savoir être), (3) Fähigkeiten der Interpretation und Verknüpfung (savoir com‐ prendre), (4) Fähigkeiten der Interaktion (savoir apprendre / faire) (5) und Fähig‐ keiten, fremde sowie die eigene Kultur kritisch zu reflektieren (savoir s’en‐ gager) (ebd.: 34). Durch projekt- oder aufgabenorientierte Ansätze des virtuellen Austausches werden insbesondere die ICC -relevanten Fertigkeiten des Entdeckens und der Interaktion gefördert. Dies geschieht durch die Zusammenarbeit und Kommu‐ nikation in einer interkulturellen Gruppe. Bei der Telekollaboration kommt zu den Anforderungen des interkulturellen Kommunizierens hinzu, dass die Inter‐ aktion nicht mit dem direkten Gegenüber (face-to-face), sondern über On‐ line-Medien stattfindet. Das heißt, es werden neben den von Byram formulierten fünf Skills noch weitere Fähigkeiten erfordert. 2.3.2 New Online Literacies / Multi-Literacies Die zunehmende Integration gewöhnlicher User als Ko-Autoren und Mitge‐ stalter des Internets (Web 2.0 bzw. 4.0, s. o.) findet in Konzeptionen wie New Online Literacies, 21st Century Literacies oder auch Multi Literacies zunehmend Berücksichtigung (Clinton, Jenkins & Purushotma 2009: 28; Guth & Helm 2010: 21). Diese Kompetenzen bezeichnen zumeist Fähigkeiten, die sowohl auditive wie auch visuelle und digitale Skills erfordern - und dies nicht selten gleich‐ zeitig. Zu den neuen Online-Kompetenzen gehören zunächst „alte“, textgebundene Kompetenzen des Lesens und Schreibens (vgl. Clinton et al. 2009: 28). Auch wenn gewisse Charakteristiken alter Textarten (z. B. Briefe) in der Umgebung des Web 2.0 durchaus noch bestehen (z. B. Briefkopf, Grußformel, etc.), hat sich der Schreibstil in anderen Medien umfänglich verändert. So ähnelt die Rhetorik in Chatrooms, auf die etwa über das Smartphone zugegriffen wird, eher der ge‐ sprochenen Alltagssprache der Partizipierenden als der formellen Schrift‐ sprache (vgl. Siebenhaar 2013). Die Frage, welcher Schreibstil für welche Online-Kommunikationsform an‐ gemessen ist, fordert SchülerInnen wie auch Studierende regelmäßig heraus. 236 Götz Schwab / Nils Drixler Die Telekollaboration bietet mit den unterschiedlich verwendeten Kommuni‐ kationsplattformen (z. B. E-Mail, WhatsApp-Chats, Moodle, Google Docs) eine hervorragende Umgebung, sich in diesen verschiedenen Schreibstilen in einem interkulturellen Setting zu üben. Innerhalb dieser Plattformen und den hinzu‐ kommenden Videokonferenzen werden soziale Kompetenzen eingeübt, welche nach Clinton et al. (2009: 28 f.) eine Hauptanforderung neuer Online Literacies darstellen. Telekollaboration geht darüber noch hinaus, da sie nicht nur soziale, sondern auch soziokulturelle Fähigkeiten (s. Abschnitt 2.3.1) fördert respektive einfor‐ dert (vgl. Guth & Helm 2010: 21). Diese Fähigkeiten werden in multimodaler Interaktion auf neuen vielseitigen Kooperations- und Lernplattformen wie etwa Slack, Moodle oder auch in virtuellen 3D-Umgebungen (vgl. Jauregi 2015) ein‐ geübt. 3 Methodische Ebene: Verknüpfung zu Lerntheorien und konkrete Lehr-/ Lernformate Die Telekollaboration lässt sich auf lerntheoretischer Ebene dem Experiential Learning wie auch dem Online Communicative Learning zuordnen, während die Konzeption methodisch an Task- und Project-based Language Learning / Teaching anknüpft. 3.1 Lerntheoretische Verortung 3.1.1 Experiential Learning David A. Kolbs Theorie des Experiential Learning (Kolb, Rubin & MacIntyre 1971) basiert auf den Erkenntnissen John Deweys, die in seinem Buch Experience and Education (1939) dargelegt werden. In Deweys Modell des erfahrungsba‐ sierten Lernens wird eine stark handlungsorientierte Pädagogik („learning by doing“) konzipiert, die sich deutlich von den damals vorherrschenden Methoden und Lerntheorien abgrenzt. Durch den aktiven und reflexiven Umgang mit au‐ thentischen Erlebnissen, z. B. in Form von Problemen, die zu lösen sind, kann ein einprägsameres und nachhaltigeres Lernen ermöglicht werden. Kolb et al. (1971) erweiterten Deweys Modell um einen erfahrungsbasierten, vierschrittigen Lernzyklus. Dieser besteht aus den Phasen a. konkrete Erfahrungen, welche die Lernenden im Umgang mit der Welt machen. Dieser, mit Deweys ‘Problematischer Situation’ vergleichbare Vorgang, dient als Grundlage für 237 Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. b. reflektiertes Beobachten. Die Lernenden versuchen ihre Beobach‐ tungen durch induktives Vorgehen in einen Zusammenhang zu bringen. Erst im nächsten Schritt werden die Beobachtungen in ein c. abstraktes Konzept überführt. Hierbei wird die subjektive Theorie bzw. Beobachtung durch einen deduktiven Vorgang verifziert bzw. falsifiziert. Das Testen der Hypothesen findet im d. aktiven Experimentieren statt. Das Ergebnis des Experiments führt zu neuen Erfahrungen, die dann wiederum erneut einen Lernzyklus durch‐ laufen. Es findet also eine Verfeinerung bzw. Exaktifizierung der eigenen Erfahrungen statt. In Kolbs Theorie dient die Lehrperson als AnleiterIn von gruppenbasierten Ak‐ tivitäten und unterstützender Faktor. Sie grenzt sich somit von einem Lehrer- Innenbild als “Regent des Klassenzimmers“ ab (vgl. Sadler 2012: 59). Anstelle einer lehrerInnen- oder lernerInnenzentrierten Pädagogik sieht Kolb die Betei‐ ligten vielmehr als eine Einheit. Virtuelle Austausche können weitestgehend Kolbs erfahrungsbasiertem Lernen zugeordnet werden, da sie in einer neuen, außergewöhnlichen Lernum‐ gebung zahlreiche Chancen zur Interaktion mit Gegenständen sowie Personen bieten und den Lernenden einen Raum für die Verarbeitung individueller Er‐ fahrungen und Reflexionen ermöglichen (ebd.: 62). Der vierschrittige Entwicklungsprozess nach Kolb gilt nicht nur für die Lern‐ gruppe, sondern auch für die Dozierenden. Dies trifft auch auf unser Projekt Extended Collaborative Practice zu. Obschon dieses bereits vier Kohorten durch‐ laufen hat, werden ständig neue Beobachtungen gemacht, die dann wiederum zur Überarbeitung des Konzepts und zum Experimentieren, bspw. mit neuen Telekollaborationsapps, führen. 3.2 Lerntheoretische Verortung - Online Collaborative Learning (OCL) Als weitere konzeptionelle Verortung telekollaborativer Projektarbeit lässt sich der von Linda Harasim entwickelt Ansatz des Online Collaborative Learning ( OCL ) ausmachen (Harasim 2012). Er knüpft an eine grundlegende Neuorien‐ tierung von Lernprozessen im Kontext digitaler Bildung an. OCL findet im Internet statt und beinhaltet kollaborativen Diskurs und Wis‐ sensaufbau. Die Lernenden arbeiten online zusammen, um Verständnispro‐ bleme zu identifizieren und zu erschließen. Neu erworbene analytische Fertig‐ keiten (skills) wie auch Methoden der Problemlösung und Theoriebildung werden angewandt, um Erklärungen für unterschiedlichste Phänomene zu finden oder gemeinsame Projekte voranzubringen. 238 Götz Schwab / Nils Drixler OCL basiert auf Peer-Diskurs, der sich wiederum auf die Knowledge Com‐ munity des jeweiligen Faches bezieht (Fachdiskurs). Der oder die Dozierende steht als VertreterIn für diese Gemeinschaft und nimmt hiermit die Rolle als MediatorIn im Lehr-/ Lernprozess ein. Dabei versucht er oder sie die Lerngruppe in die Debatten und den Forschungsprozess der Knowledge Community einzu‐ führen und mit einzubeziehen (Harasim 2012: 88). Abb. 1: Beispielhafter OCL-Prozess nach Harasim (2012: 95) Die untere Hälfte von Abbildung 1 zeigt die drei Phasen von OCL : 1. Ideengenerierung. Im ersten Schritt werden unterschiedliche Denkan‐ sätze der Gruppenteilnehmenden integriert und über Methoden wie Brainstorming, Verbalisierung und Ideenvisualisierung zu einem gemein‐ samen Thema oder Problem zusammengeführt. 2. Ideenorganisierung. Die Teilnehmenden setzen sich mit neuen oder anderen Ideen vertieft auseinander und ordnen diese in ihr bestehendes Wissenskonstrukt ein. Stärkere oder schwächere Argumente werden durch die Methoden des Verweisens oder des kritischen Hinterfragens klassifiziert. Diese Phase offenbart den intellektuellen Prozess durch Übernahme anderer Perspektiven und deren Einordnung im Kontext des Projektes bzw. Problems. 239 Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. 3 Zum konkreten Task-Design im Projekt ETP, s. Abschnitt 4.2. 3. Intellektuelle Konvergenz. Die intellektuelle Konvergenz spiegelt sich typischerweise in einem gemeinsamen Verständnis wider (einschließlich der Vereinbarung von Meinungsverschiedenheiten). Die Ideenstrukturie‐ rung erreicht durch allmähliche Konvergenz ein Niveau der intellektu‐ ellen Synthese, des Verständnisses und des Konsenses, bei dem die Teil‐ nehmenden trotz eventueller Meinungsverschiedenheiten ein gemeinsames Ergebnis generieren. Dabei kann es sich um die Lösung eines Prob‐ lems oder einer Aufgabe, die Entwicklung einer Theorie oder die gemein‐ same Erstellung von Materialien handeln (vgl. Harasim 2012: 93). Online Collaborative Learning ist nicht primär auf virtuelle Austausche ausge‐ richtet, vielmehr dient es als übergeordnete Lerntheorie für jegliches gemein‐ same Online-Lernen. Dennoch lässt sich Linda Harasims Konzept gut für die Telekollaboration adaptieren. Im folgenden Abschnitt soll der Schritt von einer übergeordneten Lerntheorie zur konkreten hochschuldidaktischen Methodik erfolgen. 3.2 Lehr-/ Lernprozesse Das Projekt ETP verbindet drei (hoch-)schuldidaktische Unterrichtsverfahren, nämlich 1. Task-based Language Teaching ( TBLT ), 2. Project-based Language Learning bzw. Teaching ( PBLL bzw. PBLT ), 3. Network-based Language Teaching ( NBLT ) Zwar weisen diese Ansätze durchaus Unterschiede auf, dennoch bestehen zahl‐ reiche Überlagerungen. Insbesondere die beiden Konzepte TBLT und PBLT können in virtuellen Austauschprojekten verknüpft werden. Waldman und Harel sprechen daher von “project based learning tasks” (2015). 3 Im projektba‐ sierten Sprachenlernen ( PBLT ) ist die Sequenz festgelegter Aktivitäten oder Tasks zudem fester Bestandteil der Methode. Als eines der Zentren für projekt‐ basiertes Lernen ( PBL ), definiert das Buck Institute of Education ( BIE ) diese Praxis als systematic teaching method that engages students in learning knowledge and skills through an extended inquiry process structured around complex, authentic questions and carefully designed products and tasks (Buck Institute of Education 2003: 4). Laut Larsson (2001: 2) fördert PBLL sowohl kommunikative und kognitive Kompetenzen als auch Fähigkeiten des Problemlösens. Die Studierenden be‐ 240 Götz Schwab / Nils Drixler schäftigen sich dabei mit realen und für sie relevanten Problemen, z. B. dem Erstellen von Unterrichtsmaterialien (s.a. 3.1.1 - Experiential Learning). PBLL bietet zahlreiche Möglichkeiten, Technologien zu nutzen und verbindet Studie‐ rende mit der realen Welt (Farouck 2016: 12). Larsson betont zudem, dass PBLL im Vergleich zu traditionellen Lehr-/ Lernansätzen insbesondere das Denken auf höheren Ebenen nach Bloom ermöglicht (Larsson 2001: 3). Während die o. g. Definition des Buck Instituts sinnvoll gestaltete Aufgaben als wichtigen Bestandteil von projektbasiertem Lernen betrachtet, gehen Kurek und Müller-Hartmann noch einen Schritt weiter und nennen die “collaborative task” (2017: 7) als das Unterscheidungskriterium zwischen Telekollaboration und lediglichem Computer-Assisted Language Learning ( CALL ). Während CALL -Aufgaben offener sind, sollten Telekollaborationsaufgaben pädagogi‐ schen, aufgabenbezogenen Kriterien entsprechen. Telekollaborative Tasks sollten • für die Lebenswelt der Studierenden relevant sein, • weitgehend offen formuliert werden, • Raum für Wahlmöglichkeiten bieten, • eine kognitive Herausforderung darstellen, • Bedeutungsaushandlungen (negotiation of meaning) zwischen den Teil‐ nehmenden ermöglichen, • klar sequenziert sein sowie • klar kommuniziert werden (vgl. Kurek & Müller-Hartmann 2017: 15). NBLT (Kern, Ware & Warschauer 2008) steht dagegen als Oberbegriff für zahl‐ reiche online-basierte Lehr-/ Lernmethoden und kann dem Ansatz CMC (Com‐ puter Mediated Communication) zugeordnet werden. Grundlage für NBLT ist die Verbindung von zwei oder mehreren Geräten, wie z. B. Computern oder Smart‐ phones, in lokalen oder globalen Netzwerken mit dem Ziel, Fremdsprachen zu unterrichten (ebd.: 281). Die Telekollaboration gehört folglich zu einer ganzen Reihe an NBLT -Methoden, wie etwa Online-Sprachkurse, welche sich allerdings teilweise stark vom virtuellen Austausch unterscheiden. 4 Das Projekt Extended Telecollaboration Practice Die Kooperation der beiden Hochschulen, Kibbutzim College of Education, Technology and the Arts in Israel und Pädagogische Hochschule Karlsruhe in Deutschland, im Bereich telekollaborativer Projektarbeit hat seinen Ursprung im Jahr 2015. Sie geht auf eine Initiative des Erstautors und seiner israelischen Kollegin Tina Waldman (vgl. Waldman, Harel & Schwab 2016) zurück, welche 241 Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. den hier beschriebenen Kurs gemeinsam entwickelt und kontinuierlich evaluiert und fortgeschrieben haben. Diese curriculare Zusammenarbeit ist mittlerweile fester Bestandteil in den Bachelorprogrammen beider Hochschulen und wird regelmäßig im Wintersemester angeboten. Im Folgenden soll dies konkret dar‐ gestellt und zudem in einen größeren Rahmen innerhalb der LehrerInnenaus‐ bildung an der Hochschule gestellt werden. 4.1 Zielsetzung Primäres Ziel in der Ausbildung zukünftiger Lehrkräfte ist der Erwerb inter‐ kultureller kommunikativer Kompetenzen ( ICC ) (z. B. Byram 1997, 2008; Müller-Hartmann & Schocker-von Ditfurth 2004; Haß 2006; Thaler 2012; Grimm, Meyer & Volkmann 2015). Im Zuge ihres Studiums müssen Studierende die Möglichkeit haben, diese Kompetenzen nicht nur theoretisch zu reflektieren, sondern auch selbst zu erleben. Dies kann durch Auslandsaufenthalte, aber auch durch telekollaborative Projekte geschehen oder zumindest angebahnt werden. In Verbindung mit dem Erwerb digitaler Kompetenz und der Einbettung in einen authentischen, internationalen Kontext eröffnen sich im virtuellen Aus‐ tausch zahlreiche Möglichkeiten der interkulturellen Begegnung, die für Stu‐ dierende elementar sind. 4.2 Extended Telecollaboration Practice Mit dem von uns gewählten Terminus Extended Telekollaboration Practice ( ETP ) (Waldman, Harel & Schwab 2019) wollen wir zwei Gesichtspunkte in den Vor‐ dergrund rücken, welche in bisherigen virtuellen Kollaborationen häufig zu kurz kamen. Zum einen ist dies die Betonung digitaler Bildung, zum anderen die Verknüpfung mit anderen Veranstaltungsformen und die Integration in wei‐ tere Fachbereiche beider Hochschulen. Im Rückgriff auf den Ansatz Telecollaboration 2.0 (Guth & Helm 2010) wird bei ETP ein besonderer Fokus auf die Erprobung und das konkrete Erfahren von unterschiedlichen digitalen Medien gelegt. Telecollaboration 2.0 expands on 'traditional' theories and practices of telecollaboration by introducing new issues and approaches as well as the new tools and opportunities for collaboration and exchange as offered by Web 2.0 (ebd.: 16). Studierende erhalten nicht nur die Möglichkeit, eine große Bandbreite an digi‐ talen Applikationen (Apps) zu erproben, sondern können auch selbst nach An‐ wendungen suchen und diese einsetzen. Zudem ist der Kurs in ein weiteres Feld an Kooperationen zwischen den beiden Hochschulen eingebettet. Hierzu zählen Exkursionen an die jeweils an‐ 242 Götz Schwab / Nils Drixler dere Hochschule, einsemestrige Auslandsaufenthalte, Dozentenaustausch, ge‐ meinsame Konferenzen und Publikationen (z. B. Waldman, Harel & Schwab 2016, 2019). Überdies konnten wir weitere Tandems an unseren Hochschulen initiieren. Diese sind jenseits der Fremdsprachendidaktik angesiedelt und um‐ fassen die Bildungswissenschaften, Mathematik oder Biologie. Somit ist es ge‐ lungen, den Ansatz der telekollaborativen Seminar- und Projektarbeit auf brei‐ tere Füße zu stellen und ihn gleichzeitig als Teil der Digitalisierungsstrategie der Hochschule zu implementieren (vgl. O’Dowd 2016). 4.3 Allgemeine Beschreibung In beiden beteiligten Ländern ist Englisch nicht Verkehrs-, sondern Zweit‐ sprache, die in der Schule gewöhnlich als erste Fremdsprache unterrichtet wird. Mit English as an International Language ( EIL ) rekurrieren wir hierbei auf ein Konzept, welches als Erweiterung des lingua franca Ansatzes (s. o.) erachtet wird (McKay 2018; vgl. hierzu auch Jenkins 2006, 2007; Pennycook 2017). Englisch wird in diesem Zusammenhang als prinzipiell “culturally neutral” (McKay 2018: 11) gesehen und betont gleichermaßen die Inhalte und Interaktionen kommu‐ nikativer Aushandlungsprozesse, ohne die linguistischen Wurzeln der Sprecher zu verleugnen: EIL scholars also recognize that what language is used and how it is used is a factor both of the purpose of the communication and the speaker’s first language, culture, and level of expertise in English (2018: 11). Es schafft den Rahmen für authentische interkulturelle Kommunikation in plu‐ rikulturellen und plurilinguistischen Kontexten wie sie in Israel aber auch Deutschland vorzufinden sind (für Israel: Burstein-Feldman, Epstein, Kheimets, Kopeliovich & Yitzhaki 2009, für Deutschland: Davies 2009; Fürstenau & Go‐ molla 2011). Gleichzeitig findet Sprachenlernen in einem natürlichen Rahmen statt und zeigt den Studierenden, was EIL konkret bedeutet. Neben diesen linguistischen Gesichtspunkten birgt die Kooperation zwischen einer deutschen und israelischen Hochschule noch weitere Aspekte, die gerade vor dem Hintergrund der historischen Geschehnisse eine weitere wichtige Di‐ mension umspannen. Auch wenn, so unsere durchgängige Erfahrung, Jugend‐ liche und junge Erwachsene - insbesondere in Israel - heute weniger vorein‐ genommen mit dem Thema Holocaust (Shoa) umgehen, als dies vielleicht noch vor 20-30 Jahren der Fall war, so taucht das Thema doch immer wieder auf und wird von Studierenden in der Projektarbeit auch angesprochen. 243 Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. 4.4 Prinzipien von Extended Telecollaboration Practice (ETP) Die Arbeit mit Studierenden innerhalb des Projekts ETP basiert auf folgenden Prinzipien: a. Digitalisierung: Mit dem Ansatz telecollaboration 2.0 betonen wir die Notwendigkeit der digitalen Bildung zukünftiger Lehrkräfte. Telekolla‐ boration an sich ist kein Garant für eine intensive Auseinandersetzung mit digitalen Lehr- und Lernformen. Dies muss immer wieder eingefor‐ dert und erprobt werden. b. Experiential Learning: Lernen findet konkret in einem internationalen und interkulturellen Kontext statt und wird so von den Studierenden un‐ mittelbar beim Erstellen eines gemeinsamen Produkts erfahren. c. Produktorientierung: Basierend auf den Ansätzen von TBLT respek‐ tive PBLT (s. o.) wird nicht nur der Prozess der Kooperation in den Fokus genommen, sondern auch das gemeinsam zu erstellende Produkt (z. B. Unterrichtseinheit). d. Teamwork: Studierende müssen intensiv kooperieren, um ein solches Produkt online und über zeitliche, kulturelle und sprachliche Hürden hinweg zu erstellen. Hierfür eignet sich insbesondere Kleingruppenarbeit mit max. 3-4 Personen auf jeder Seite. e. Reflexion: Erst in der reflektierten Auseinandersetzung mit den Prozessen und vor allem dem Produkt der Kooperation kann ein professio‐ neller Habitus entstehen. Es finden Verfahren der Fremd- und Peer- Evaluation Berücksichtigung. 4.5 Ablauf: Task Sequenz Die Arbeit innerhalb des Seminars ist auf ein komplettes Semester verteilt und umfasst insgesamt fünf Phasen. Der Kernbereich der Aktivitäten ist eine drei‐ teilige task sequence. Diese beruht auf den Elementen (1) Austausch von Infor‐ mationen (information exchange), (2) Vergleich kultureller Praktiken (compa‐ rison and analysis) und (3) Kollaboration (collaboration). Die Task Sequenz wurde von O’Dowd & Ware entwickelt (2009) und im Rahmen eines ERASMUS + Pro‐ jekts in verschiedenen europäischen Ländern erprobt und evaluiert (O’Dowd 2017; The EVALUATE Group 2019; siehe auch Kurek & Müller-Hartmann 2017). Mit der dritten Studierendenkohorte nahmen wir 2017 / 2018 an dieser Er‐ probung teil und adaptierten die Struktur für unsere eigene Kursplanung. Die drei Aufgaben sind wie folgt aufgebaut und beinhalten sowohl synchrone als auch asynchrone Arbeitsphasen. Als Online-Plattform dient eine gemeinsame Moodle-Seite: 244 Götz Schwab / Nils Drixler 4 Alle Produkte sind auf unserer Homepage www.telecollaboration.eu zu finden. 1. Austausch von Informationen: Wichtigster Punkt hierbei ist das ge‐ genseitige Kennenlernen der Gruppe(n). Hierfür stellen sich die Teil‐ nehmenden in kurzen Videos (App: Flipgrid) vor. Danach findet die un‐ mittelbare Begegnung statt - erst in einer gemeinsamen Videokonferenz (Apps: Appear.in), dann in Kleingruppen (App: Zoom) mit insgesamt 6-8 Teilnehmenden. Diese Phase, so unsere Erfahrung, ist enorm wichtig für eine erfolgreiche Durchführung der nächsten Schritte. Zudem werden in jeder Gruppe Verhaltensregeln für die Kooperation (App: Padlet) auf‐ gestellt. 2. Vergleich kultureller Praktiken: Ziel ist die Sensibilisierung für kul‐ turelle Unterschiede und Gemeinsamkeiten. Anhand von Beispielen der letzten Kohorten diskutieren die Studierenden in ihrer jeweiligen Gruppe über kulturelle Spezifika von Fremdsprachenunterricht in den beiden Ländern und Aspekte, die damit zusammenhängen (Schulpolitik, Stellen‐ wert von Bildung, Rolle der Lehrkraft etc.). 3. Kollaboration: Innerhalb der einzelnen Gruppen sollen die Studier‐ enden eine Unterrichtseinheit für den Englischunterricht entwickeln, die auf den oben genannten Prinzipien von ETP aufbaut und potenziell in beiden Ländern eingesetzt werden kann. Das Produkt wird online prä‐ sentiert (Apps: Google docs, div. Tools zur Erstellung von Internet‐ seiten). 4 Die Kommunikation findet über Videokonferenzen oder auch Soziale Netzwerke statt. Im Vorfeld der Kooperation werden beide Gruppen unabhängig voneinander in die zentralen Aspekte telekollaborativer Projektarbeit eingeführt. Eine abschlie‐ ßende Evaluation des Seminars findet in der letzten Semesterwoche statt. Dies geschieht in einer weiteren gemeinsamen Videokonferenz (Apps: Appear.in und Mentimeter), aber auch unabhängig voneinander in den einzelnen Kursen, gemäß den Evaluationsvorgaben der jeweiligen Hochschule (Einzelkursaus‐ wertung). Die einzelnen Schritte sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Phase Inhalt Dauer Hinweis Vorberei‐ tung Einführung in Telekollabora‐ tion und TBLT / NBLT 2 Wochen in den jeweiligen Kursen TASK 1 Austausch von Informati‐ onen 2-3 Wochen task sequence 245 Telekollaboration und Digitalisierung in der Hochschullehre. a. Videokonferenz mit Ge‐ samtgruppe b. Erste Gruppenvideos TASK 2 Vergleich kultureller Prak‐ tiken Gruppenarbeit 2 Wochen TASK 3 Kollaboration Gruppenarbeit 6-7 Wochen Evalua‐ tion Seminarauswertung a. Videokonferenz mit Ge‐ samtgruppe b. Einzelkursauswertung 1 Woche gemeinsam in den jeweiligen Kursen Tab. 1: Ablauf ETP 5. Fazit und Ausblick Telekollaboration respektive Virtueller Austausch ist eine Lehr- und Lernform, die nach wie vor recht wenig Berücksichtigung in der Hochschuldidaktik findet, obgleich die ersten Versuche bis in die 90er Jahre des letzten Jahrhunderts zu‐ rückgehen (O’Dowd 2016). Dies mag größtenteils den technischen Herausfor‐ derungen einer solchen Kooperation geschuldet sein. Auch nach vier Durch‐ gängen werden wir immer wieder mit technischen Problemen konfrontiert, die ein großes Maß an (nicht immer vorhandener) Unterstützung und großem zeit‐ lichen Aufwand bedürfen. Dennoch zeigen die Rückmeldungen unserer Studierenden, dass diese Form der hochschul- und länderübergreifenden Kooperation enorm gewinnbringend ist und für viele eine ganz neue Dimension des Lehrens und Lernens darstellt, die sie auch selbst in ihrer späteren Praxis einsetzen wollen (Waldman, Harel & Schwab 2016, 2019). Unsere bisherigen Erfahrungen mit telekollaborativer Projektarbeit zeigen aber auch die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit interkultureller Kom‐ petenzen zukünftiger LehrerInnen (ebd. 2019). Hier bedarf es weiterer Bemü‐ hungen, welche nicht nur auf die singuläre Seminararbeit begrenzt sein sollten, sondern möglichst auch andere Fachbereiche und Hochschulaktivitäten um‐ schließen. Mit ETP ist uns ein kleiner, aber vielleicht wichtiger Schritt in diese Richtung gelungen. 246 Götz Schwab / Nils Drixler I found this Telecollaboration a fascinating experience and I hope to actually imple‐ ment in my future classrooms this kind of communication and English teaching (Is‐ raelische Studentin). Literatur Baumgartner, Peter, Brandhofer, Gerhard, Ebner, Martin, Gradinger, Petra & Korte, Martin (2016). Medienkompetenz fördern - Lehren und Lernen im digitalen Zeitalter. Magazin Für Erwachsenenbildung, 67(259), 3-9. Belz, Julie A. (2003). From the special issue editor. 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Hochschullehre digital gestalten in der (fremd-)sprachlichen LehrerInnenbildung Inhalte, Methoden und Aufgaben Vor dem Hintergrund der Digitalisierung von Bildungsprozessen und den damit einhergehenden Herausforderungen an die LehrerInnenbildung bietet der Band theore�sch fundierte und prak�sch anwendbare Einblicke in digitalisierte Formate der Lehrkrä�eausbildung. Aus (fremd-)sprachendidak�scher Perspek�ve werden vielfäl�ge Konzepte, Methoden und Aufgaben von universitären Lehr-Lernformaten vorgestellt, die im Rahmen von Lehrprojekten, interna�onalen Koopera�onsprojekten wie auch im Kontext der vom BMBF geförderten Qualitätsoffensive Lehrerbildung entwickelt, eingesetzt und erprobt wurden. ISBN 978-3-8233-8346-8 18346_Umschlag.indd 3 18346_Umschlag.indd 3 29.09.2020 08: 44: 00 29.09.2020 08: 44: 00