eBooks

Jesus und das Landrecht

2018
978-3-7720-5593-5
A. Francke Verlag 
Henrike Manuwald

Gegenstand der Studie sind mittelhochdeutsche Versbearbeitungen des Nikodemusevangeliums (Konrad von Heimesfurt: Diu urstende; Gundacker von Judenburg: Christi Hort; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi) und deren Rezeptionszeugnisse. Ausgehend von der darin erfolgten partiellen Umgestaltung des Prozesses gegen Jesus nach Konventionen des 'deutschen' Rechts wird die grundsätzliche Frage nach der Funktion solcher Bezüge auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit gestellt. Eine umfassende Untersuchung der komplexen Vernetzungen von Text und Kontext erschließt deren inhaltliche Implikationen für die narrative Sinnkonstitution wie auch die Stellung der Erzähltexte im Rechtsdiskurs: Wie lässt sich davon erzählen, dass in der Gestalt Jesu Gott vor Gericht steht, den die Texte zugleich als Legitimationsgrund allen Rechts inszenieren? Über die Analyse des Verhältnisses von 'Literatur' und 'Recht' werden außerdem die Möglichkeiten und Grenzen der kulturellen Aneignung eines heilsgeschichtlichen Stoffes erkundet. Damit eröffnen die Ergebnisse auch neue Perspektiven auf die Poetologie bibelepischen Erzählens.

5 Gegenstand der Studie sind mittelhochdeutsche Versbearbeitungen des Nikodemusevangeliums (Konrad von Heimesfurt: Diu urstende; Gundacker von Judenburg: Christi Hort; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi) und deren Rezeptionszeugnisse. Ausgehend von der darin erfolgten partiellen Umgestaltung des Prozesses gegen Jesus nach Konventionen des 'deutschen Rechts' wird die grundsätzliche Frage nach der Funktion solcher Bezüge auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit gestellt. Eine umfassende Analyse der komplexen Vernetzungen von Text und Kontext erschließt deren inhaltliche Implikationen für die narrative Sinnkonstitution wie auch die Stellung der Erzähltexte im Rechtsdiskurs: Wie lässt sich davon erzählen, dass in der Gestalt Jesu Gott vor Gericht steht, den die Texte zugleich als Legitimationsgrund allen Rechts inszenieren? Über die Analyse des Verhältnisses von 'Literatur' und 'Recht' werden außerdem die Möglichkeiten und Grenzen der kulturellen Aneignung eines heilsgeschichtlichen Stoffes erkundet. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Poetologie bibelepischen Erzählens. ISBN 978-3-7720-8593-2 Manuwald Jesus und das Landrecht BIBL. GERM. 67 Henrike Manuwald Jesus und das Landrecht Zur Realitätsreferenz bibelepischen Erzählens in Hoch- und Spätmittelalter Bibliotheca Germanica HANDBÜCHER, TEXTE UND MONOGRAPHIEN AUS DEM GEBIETE DER GERMANISCHEN PHILOLOGIE HERAUSGEGEBEN VON UDO FRIEDRICH, BURKHARD HASEBRINK UND SUSANNE KÖBELE 67 Henrike Manuwald Jesus und das Landrecht Zur Realitätsreferenz bibelepischen Erzählens in Hoch- und Spätmittelalter Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein. © 2018 · Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KG Dischingerweg 5 · D-72 070 Tübingen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Internet: www.francke.de E-Mail: info@francke.de Satz: pagina GmbH, Tübingen Printed in Germany ISSN 0067-7477 ISBN 978-3-7720-5593-5 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.dnb.de abrufbar. Inhaltsverzeichnis 5 Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 1 Jesus und das Landrecht: Perspektiven auf reht in der Bibelepik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1.1 Erzählen von Gott vor Gericht: Zum Ausgangspunkt der Untersuchungen . . . . . 11 1.2 Diu urstende , Christi Hort und das Evangelium Nicodemi im Spiegel der Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.3.1 ,Law in Literature‘ als methodologische Herausforderung . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1.3.2 Realitätsreferenz aus der Sicht rezeptionsorientierter Forschung . . . . . . . . . . 29 1.3.3 Zur Sonderstellung der Bibelepik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 1.4 Text und Kontext: ,Recht‘ als Bezugsfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.4.1 Was ist reht ? Probleme der Abgrenzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 1.4.2 Rechtstexte als Kontexte: Eine heuristische Setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 1.5 Vorgehensweise und Zielsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2 Das lateinische Nikodemusevangelium : Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext . . . . . . . . . 55 2.1 Charakteristika des Werks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.2 Zur Forschungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 2.3 Ausgestaltung der Prozesshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3 Variationen der Rechtsthematik in Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.1 Das Nikodemusevangelium aus der Sicht des ,deutschen‘ Rechts: Anknüpfungspunkte und Irritationsmomente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.2.1. Entstehungsumfeld und Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 3.2.2 geriht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 3.2.3 wârheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 3.2.4 reht und ê . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 3.2.5 Interdependenz von Zeugenschaft und Heilswahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.3.1 Entstehungsumfeld und Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3.3.2 geriht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 3.3.3 wârheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3.3.4 reht und ê . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3.3.5 Heilsgeschichte als (rechts)ethische Anleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.4.1 Entstehungsumfeld und Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 3.4.2 geriht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 3.4.3 wârheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 3.4.4 reht und ê . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 6 Inhaltsverzeichnis 3.4.5 Verflechtungen göttlichen und menschlichen Rechtshandelns . . . . . . . . . . . . 173 3.5 Zur Hybridität der Erzählwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 4 Verfahren der kulturellen Aneignung in Diu urstende, Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.1 Explizite kontextuelle Verankerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . 183 4.3 Mediävalisierung des Heilsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 5 Externe Bezugsfelder von Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 254 5.4 Zum Spannungsverhältnis von diskursiver und narrativer Logik . . . . . . . . . . . . . . 271 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen von Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 6.1.1 Zur Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 6.1.2 Die Weltchronik Heinrichs von München nach H1 und H15 . . . . . . . . . . . . . . 281 6.1.3 Die Weltchronik nach H12 (Heinz Sentlinger 1399) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 6.1.4 Die Neue Ee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 6.1.5 Von der Passionskompilation zu Die Neue Ee : Historisierung des Heilsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben . 314 6.2.1 Zur Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 6.2.2 geriht : Zur Rolle des Richters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 6.3.1 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk als Rezeptionszeugnis von Christi Hort ? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 6.3.2 Zur Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 6.3.3 Die Pilatus-Veronika-Legende im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk . . . . . 331 6.3.4 Aktualisierungen im Passionsteil des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks : Moralisierung des Heilsgeschehens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 6.4 Die Prosafassung E des Nikodemusevangeliums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 6.4.1 Die Prosafassung E als Rezeptionszeugnis von Diu urstende ? . . . . . . . . . . . . . 345 6.4.2 Zur Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 6.4.3 wârheit : Das Verhältnis von heilsgeschichtlicher und juristischer Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 6.5.1 Zur Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 6.5.2 Transformation von Diu urstende in Sankt Stephans Leben . . . . . . . . . . . . . . . 354 Inhaltsverzeichnis 7 6.5.3 reht und ê : Verschriftlichung und Verweltlichung des Rechts . . . . . . . . . . . . . 364 6.5.4 Ausblick: Der Überlieferungskontext von Sankt Stephans Leben . . . . . . . . . . 371 6.6 Neukomposition tradierter Textelemente: Zu thematischen und motivischen Gestaltungsspielräumen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 7 Jesus und das Landrecht: Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens . . . . . . . 377 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Bibliographische Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Siglen für Handschriften und Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 399 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Ausgaben und Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 1 Autoren und Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 1.1 Bibel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 1.2 Autoren, Werke (außer Rechtstexten im engeren Sinne), Gattungen . . . . . . . 458 1.3 Rechtstexte im engeren Sinne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 2 Handschriften und Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 2.1 Handschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 2.2 Drucke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 467 3 Rechtliche Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 Vorwort 9 Vorwort Warum spielt in einer mittelhochdeutschen Versdichtung über den Prozess gegen Jesus das ‚Landrecht‘ eine Rolle? Welche Implikationen sind damit verbunden, dass ausgerechnet Pilatus eine Rede über das richtige Verhalten vor Gericht in den Mund gelegt ist? Aus diesen Fragen, die sich mir bei der Lektüre von Diu urstende Konrads von Heimesfurt stellten, hat sich ein Forschungsprojekt entwickelt, aus dem das vorliegende Buch hervorgegangen ist. Es handelt sich um die leicht überarbeitete Version meiner Habilitationsschrift, die im Jahr 2014 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg akzeptiert wurde. Gegutachtet haben Burkhard Hasebrink, Susanne Köbele und Martina Backes, denen ich für die intensive Auseinandersetzung mit meiner Arbeit herzlich danken möchte. Weitere wertvolle Anregungen verdanke ich Ursula Peters, die das Projekt in seinen verschiedenen Phasen interessiert mitverfolgt hat. Dass mein Manuskript für die Bibliotheca Germanica angenommen wurde, hat mich sehr gefreut. Die Veröffentlichung wurde durch einen großzügigen Druckkostenzuschuss der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften gefördert, wofür ich dankbar bin. Mein Dank gebührt auch dem Verlag, namentlich Tillmann Bub, für die sachkundige Drucklegung. Entstanden ist das Buch während meiner Zeit als Juniorprofessorin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Dort wurde mein Projekt „ Got is selve recht : Rechtskonzeptionen in mittelhochdeutscher Literatur zum Prozess Jesu“ durch das Juniorprofessorenprogramm des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg gefördert (2010-2012). Im Rahmen des Projekts konnten in fruchtbarer Zusammenarbeit mit Kristina Odenweller - und zeitweise Ramona Raab - als wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen die rechtshistorischen Grundlagen gelegt werden, auch im Austausch mit Bernd Kannowski, der als Rechtshistoriker dem literaturwissenschaftlichen Projekt von Anfang an mit großer Offenheit begegnete. Allen Beteiligten möchte ich meinen Dank aussprechen; ich denke gern an die gemeinsamen Ausflüge in die Rechtsgeschichte zurück. Zeit zum Schreiben hat mir ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung im akademischen Jahr 2012 / 13 verschafft, das ich auf Einladung von Nigel F. Palmer für einen Forschungsaufenthalt in Oxford nutzen konnte. Der Alexander von Humboldt-Stiftung sei an dieser Stelle ebenso gedankt wie Nigel F. Palmer, Almut Suerbaum und Annette Volfing, die mich in Oxford herzlich empfingen und mir mit Rat und Tat zur Seite standen. Den Oxford-Aufenthalt mitgetragen haben meine Freiburger Kolleginnen und Kollegen der germanistischen Mediävistik, die mich überhaupt in jeder Hinsicht unterstützten. Besonders hervorheben möchte ich Martina Backes und Burkhard Hasebrink, die immer für Gespräche fachlicher wie nicht-fachlicher Natur da waren und mir zugleich kollegialen Rückhalt gegeben haben. Zu meiner Freude hat mein Projekt in Freiburg über die germanistische Mediävistik hinaus Interesse geweckt: Die Wissenschaftliche Gesellschaft Freiburg im Breisgau hat 2015 meine Habilitationsschrift mit dem Albert-Bürklin-Preis ausgezeichnet. Auf dem Weg zur Veröffentlichung habe ich über die Jahre hinweg Denkanstöße und Hilfeleistungen von verschiedenster Seite erfahren. Die bereichernden Kontakte mit Fach- 10 Vorwort kolleginnen und Fachkollegen kann ich an dieser Stelle nicht im Einzelnen nachzeichnen; genannt seien nur Kurt Gärtner und Freimut Löser, die mir dankenswerterweise Informationen zu ihren eigenen Projekten zur Verfügung stellten. Julia Buchholz, Xenia Buchwald, Anne Schäfer, Verena Spohn und Joana Thinius, die sich als Hilfskräfte in Freiburg und Göttingen mit Jesus und das Landrecht befassten, haben tatkräftig Korrekturarbeiten durchgeführt. Sie ließen sich von der großen Menge zu überprüfender Zitate und Stellenangaben nicht schrecken und haben mich durch ihre akribische wie fachlich kompetente Arbeit vor zahlreichen Fehlern bewahrt. Danken möchte ich auch Jutta Gilles, die mir in der Phase der Drucklegung im Göttinger Sekretariat den Rücken freigehalten hat. Am eingehendsten hat sicherlich meine Schwester Gesine den Text von Jesus und das Landrecht gelesen: Trotz ihrer eigenen Verpflichtungen hat sie Fassung um Fassung kritisch durchgesehen und Unstimmigkeiten aufgedeckt. Dafür gebührt ihr mein großer Dank. Wie meine Eltern mich und mein Projekt in den letzten Jahren unterstützt haben, das wissen sie selbst am besten. Ihnen sei das Buch in Dankbarkeit gewidmet. Göttingen, im April 2018 Henrike Manuwald 1.1 Erzählen von Gott vor Gericht: Zum Ausgangspunkt der Untersuchungen 11 1 Jesus und das Landrecht: Perspektiven auf reht in der Bibelepik 1.1 Erzählen von Gott vor Gericht: Zum Ausgangspunkt der Untersuchungen Der ‚Prozess‘ gegen Jesus vor Pontius Pilatus gehört zu den berühmtesten Gerichtsverhandlungen der Weltgeschichte. Wie auch immer man die Historizität des Geschehens einschätzen mag, 1 die Schilderungen dieser zur Kreuzigung Jesu führenden Verhandlung 2 haben das Christentum maßgeblich mitgeprägt. Die Bekanntheit des Prozesses steht in einem gewissen Gegensatz zu der Tatsache, dass zentrale Punkte des Prozessgeschehens unklar sind: Der juristische Grund für die Verurteilung ist bis heute umstritten; 3 der Wortlaut des Urteils ist unbekannt, ja es ist sogar angezweifelt worden, ob überhaupt ein formelles Urteil gefällt wurde. 4 Ausgangsbasis für diese Diskussionen sind die kanonischen Evangelien, die ihrerseits Versuche der Sinnstiftung darstellen. So ist etwa im Markusevangelium eine ,Historisierung‘ der exegetischen Traditionen des Alten Testaments zu erkennen. 5 Die Herstellung eines solchen Geschichtsbezugs ist von ,Historizität‘ im Sinne eines objektivierbaren Quellenwerts abzusetzen. 6 Für die kanonischen Evangelien ist beides allerdings 1 Zur Frage nach dem historischen Jesus und der Historizität der Evangelien vgl. z. B. die Beiträge in Schröter / Brucker 2002; außerdem Strotmann 2012. 2 Ob darin ein Strafprozess oder ein administrativer Akt (Koerzitionsverfahren) zu sehen ist, wird kontrovers diskutiert (vgl. Mikat 1999, Sp. 677; vgl. z. B. im Hinblick auf das Lukasevangelium Heusler 2000, S. 261 [nach der Lukas das Verfahren gegen Jesus „nach dem Muster eines ordentlichen römischen Kapitalprozesses ausrichtet“] vs. Bormann 2001, S. 343 [nach dem „kein wirklicher Prozeß im Sinne eines klar geregelten juristischen Verfahrens“ erkennbar ist]). Da sich beide Verfahren in den römischen Provinzen einander angenähert hatten (vgl. Mikat ebd.) und zudem die cognitio extra ordinem , bei der staatliche Amtsträger das Urteil sprechen, dort nicht die Ausnahme, sondern die Regel war (vgl. Kaser / Hackl 1996, S. 435-441), wird man die Erzählungen in den Evangelien jeweils als Beschreibungen einer ordnungsgemäßen Gerichtsverhandlung interpretieren können. Sie wird im Folgenden mit Kaser / Hackl (ebd.) als ,Prozess‘ begriffen. 3 Vgl. dazu in jüngerer Zeit Rosen 1990; Mikat 1999; Knothe 2005; Krimphove 2006; Burnside 2011; Schnabel 2015, S. 241-243. 4 Vgl. dazu z. B. Bammel 1984, S. 428 f.; Rosen 1990, S. 56; Berliner 2003 (1933 / 34), S. 43; Knothe 2005, S. 96. 5 Vgl. Donahue 1973, S. 237: „The initial contribution of Mark is to give it the formality of the trial, as our analysis of the introductory verses indicated. The traditions available to Mark were primarily exegetical traditions which reflected on the Old Testament to proclaim the innocence of the suffering Jesus before unjust accusers. Mark has historicized these traditions […]“. Nach Donahue (ebd., S. 239) heißt das aber nicht, dass man historische Authentizität erwarten könne, denn Markus habe schließlich ein Evangelium geschrieben. Lukas orientierte sich am „markinischen Erzählablauf “, wobei er die Rechtsterminologie schärfte und „staats- und verwaltungsrechtliche Sachverhalte“ betonte (vgl. Bormann 2001, S. 341). Zur Umarbeitung der Prozesserzählung durch Johannes vgl. Lincoln 2000, S. 307-332; 2015 (auch im Hinblick auf eine mögliche Rezipientenorientierung). 6 Vgl. Frey (2009, S. 459, Anm. 1) einleitend zu seinen Untersuchungen des Verhältnisses von „Heil und Geschichte“ (so der Titel seines Aufsatzes) im Johannesevangelium : „Dabei ist im Folgenden methodisch zwischen dem sachlich festgehaltenen und theologisch relevanten Geschichtsbezug einerseits und dem historischen Quellenwert bzw. der (mit den Mitteln historisch-kritischer Forschung) zu erhebenden Historizität der johanneischen Aussagen andererseits sorgfältig zu unterscheiden.“ (Hervor- 12 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik nur schwer zu trennen, auch wenn der Geschichtsbezug zumindest teilweise nach der Erfahrungswirklichkeit 7 der Evangelisten und ihres Publikums modelliert ist, denn deren (Rechts-)Welt entsprach noch in Grundzügen den Verhältnissen zur Zeit Jesu. 8 Bereits die kanonischen Evangelien bieten jedoch eine Mischung von Referenzen auf die Zeit Jesu und solchen auf die Entstehungszeit der Evangelientexte. 9 Auf diese komplexe historische Welt der kanonischen Evangelien und die in ihnen fixierten Prozessabläufe referieren alle späteren (apokryphen) Prozesserzählungen, die jeweils in einem intertextuellen Verhältnis zu den kanonischen Evangelien stehen. 10 Abgesehen von dem Bezug auf die bereits vorhandene autoritative Texttradition zeigen die späteren Texte Verfahrensweisen der Sinnstiftung, die mit denen in den kanonischen Evangelien parallel gehen: So ist das Prozessgeschehen im spätantiken Nikodemusevangelium weiter komplettiert worden, indem etwa klare Anklagepunkte benannt werden. 11 Inwieweit im Nikodemusevangelium auch eine partielle Anpassung an die Rechtskultur der Entstehungszeit des Textes erfolgte, ist nicht abschließend geklärt. 12 Unverkennbar ist eine solche Adaptation in einer Gruppe deutscher Versdichtungen des 13. Jahrhunderts, die sich als „Apokryphen zweiten Grades“ 13 bezeichnen lassen, weil sie sich für das Prozessgeschehen und die Ereignisse nach dem Tod Jesu maßgeblich auf das Nikodemusevangelium stützen: 14 Diu urstende Konrads von Heimesfurt, Christi Hort Gundackers von Judenburg und das Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler. 15 Schon früh hebungen im Original). Vgl. auch die Ausführungen zur historischen Referenz auf S. 500-503: Sie sei an einigen Stellen vorhanden, oft sei das aber nicht mehr zu klären. Die Reden Jesu seien ganz gewiss nicht authentisch, sondern dem Darstellungsinteresse der dramaturgischen Gestaltung geschuldet. Die Kreuzigung sei hingegen ein „unhintergehbar ,geschichtliches‘ Geschehen“ (ebd., S. 505). 7 Zur Begrifflichkeit s. u. S. 31. 8 So Rosen 1990, S. 40-42. Er sieht trotz kultisch-kerygmatischer Absicht ein historisches Interesse auch bei den Evangelisten und bei deren Publikum gegeben und betont, dass die Evangelisten auf die Erwartungen des Publikums hätten Rücksicht nehmen müssen. 9 Dazu und zu den sich daraus ergebenden methodologischen Problemen in Bezug auf das Johannesevangelium vgl. Frey 2004, S. 38. Er hat für die dort festzustellende „Verschmelzung der temporalen Horizonte“ (1998, S. 247-268) eine genauere Analyse vorgelegt. 10 Vgl. Mimouni 2002, S. 3; Nicklas 2006, S. 66-73. 11 Auch von Dobschütz (1902, S. 92) betrachtet die Ausgestaltung der Prozesshandlung als Fortsetzung von Tendenzen, die bei Matthäus und Johannes festzustellen sind, wobei er neben der Formalisierung des Prozesses besonders die Ausgestaltung der positiven Züge der Pilatusfigur im Blick hat. 12 S. dazu u. Kap. 2.2; zur Datierung der einzelnen Textteile s. u. Kap. 2.1. 13 Vgl. Nicklas (2006, S. 73), der sich auf einen unveröffentlichten Vortrag Els Roses bezieht. Während für christliche Apokryphen biblische Texte einen ,privilegierten Hypotext‘ bilden (vgl. Nicklas ebd., S. 66), sind ,Apokryphen zweiten Grades‘ durch „ ihre Hypertextualität zu anderen christlichen Apokryphen “ gekennzeichnet, die den Bezug zur Bibel in den Hintergrund treten lassen. Wenn man die bibelepischen Texte als Apokryphen betrachtet, setzt das voraus, dass es sich bei den Apokryphen nicht um ein in frühchristlicher Zeit abgeschlossenes Textcorpus, sondern um eine offene Gruppe von Texten handelt, die sich durch ihren Bezug auf den biblischen Hypotext konstituiert (vgl. dazu Nicklas ebd., S. 74-77, der konsequenterweise auch die Entstehung neuer Apokryphen nicht ausschließt; auch Kaestli 2007, S. 31-33, sieht die Schreibweise der Texte als entscheidend an, tritt aber nicht mit derselben Radikalität für die zeitliche Offenheit ein). 14 In den Prozessschilderungen ist zusätzlich auch jeweils kanonisches Material verarbeitet (s. dazu u. S. 74; 110; 140; vgl. zusammenfassend Hoffmann 1997a, S. 288). 15 Mit der ausgeprägten Anpassung an die Rechtskultur der Entstehungszeit nehmen diese drei Texte in der deutschsprachigen Rezeption des lateinischen Nikodemusevangeliums (vgl. dazu die Überblicke bei Hoffmann 1997a; 1997b) eine Sonderstellung ein. Im Vergleich mit Rezeptionszeugnissen des Nikode- 1.1 Erzählen von Gott vor Gericht: Zum Ausgangspunkt der Untersuchungen 13 ist in der Forschung erkannt worden, dass in das Prozessgeschehen ,deutschrechtliche‘ 16 Details eingearbeitet sind. 17 Sie liegen auf der Ebene von Realien, Handlungsabläufen und Konzeptionalisierungen des Gerichtsverfahrens. In Diu urstende argumentieren sogar Figuren mit zeitgenössischen Rechtsgewohnheiten: Die Aussage von zwölf Männern, die einen ungerechtfertigten Vorwurf der Anklage widerlegen wollen, versuchen die Ankläger mit dem Argument zu entkräften, dass deren lantreht in diesem Prozess nichts gelte (sie also nicht als Zeugen aussagen könnten), denn sie seien Proselyten (vv. 702-723). Um die Argumentation nachvollziehen zu können, muss man mit dem Personalitätsprinzip des Landrechts vertraut sein, d. h., der Text fordert die Rezipienten 18 geradezu auf, zeitgenössische Konzepte an die Handlung heranzutragen, die im Text nicht explizit genannt sind. Doch heißt das, dass auch die weitere Handlung unter den Prämissen des ‚deutschen‘ Rechts betrachtet werden soll? Oder produktionsästhetisch gefragt: Ist versucht worden, die vorgegebene Handlung dementsprechend umzugestalten? Auf jeden Fall gewinnen die Prozesserzählungen in den drei genannten Werken (im Folgenden ,Kerntexte‘ genannt) 19 durch die ,deutschrechtlichen‘ Elemente neben dem Geschichtsauch einen deutlichen Gegenwartsbezug. Mit einer solchen hybriden Zeitstruktur stehen diese bibelepischen Werke 20 unter den Texten des Mittelalters nicht allein; ähnliche Phänomene finden sich in Antikenromanen oder Geistlichen Spielen. Die konkrete Wirkungsweise und die Funktion der partiellen Aktualisierung in den bibelepischen Kerntexten bleiben jedoch klärungsbedürftig. Die in ihnen zu beobachtende Hinzufügung ,deutschrechtlicher‘ Motive lässt sich als ein Schritt in der weiteren Apokryphisierung 21 der Prozesserzählung verstehen, bei der das Prozessgeschehen vervollständigt und das Handeln der Figuren neu interpretiert wird. Dabei wird aber gleichzeitig eine Referenz auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit geschaffen, die den (damaligen) Rezipienten sowohl dazu einlädt, semantisches Material aus seinem Lebensumfeld an die Texte heranzutragen, als auch, das im Text beschriebene Gerichtswesen auf die außertextliche Wirkmusevangeliums in anderen Sprachen müsste dieser Aspekt erst noch systematisch untersucht werden (für einen Überblick über die Texttradition in Westeuropa vgl. Izydorczyk 1997a). 16 Zur Abgrenzung vom römischen und vom kanonischen Recht werden hier und im Folgenden die regional ausdifferenzierten Rechtsgewohnheiten im deutschen Raum mit diesem Sammelbegriff bezeichnet, ohne dass damit ihre Diversität in Frage gestellt sein soll (s. dazu u. S. 45). 17 Vgl. Wülcker 1872, S. 37-40 (in Bezug auf Diu urstende ); Klibansky 1925, S. 9-27 (zu allen drei Texten); zur weiteren Forschungsgeschichte s. u. Kap. 1.2. 18 Hier und im Folgenden ist die männliche Form generalisierend gebraucht, schließt also auch Rezipientinnen mit ein. 19 Der Terminus ist allein aus der Analyseperspektive gewählt, weil die Texte den Kern dieser Untersuchung bilden, und besagt nichts über ihre Stellung in der Reihe der Passionserzählungen. 20 Zur Problematik von ,Bibelepik‘ als Gattungsbezeichnung vgl. Kartschoke 1997; Czapla 2013, S. 225-228; Quast / Spreckelmeier 2017b, S. 5. Für die hier betrachteten Texte ist wegen ihrer apokryphen Quellen und der Integration der Pilatus-Veronika-Legende in Christi Hort und in das Evangelium Nicodemi insbesondere die Nähe zu Legenden relevant, die stofflich freier sind als die Bibelepik (vgl. Kartschoke ebd., S. 219). Da sich die Kerntexte im Passionsteil über das Nikodemusevangelium auch direkt auf die Bibel beziehen, werden sie hier der Bibelepik zugeordnet. So verfährt für Diu urstende auch Kartschoke (ebd., S. 220), wenn er den Text zusammen mit der Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen als Beispiel dafür nennt, dass „der Anteil legendarischer Motive und apokrypher Stoffe“ in der Bibelepik zu Beginn des 13. Jahrhunderts zugenommen habe. 21 Gemeint ist die narrative Ausgestaltung im Sinne der für Apokryphen typischen narrativen Exegese (vgl. dazu Kaestli 2007, S. 41-43). Prica (2010, S. 9 f.) sieht hingegen einen kommentierenden Zugang zur Bibel nur dann gegeben, wenn der Ursprungstext nicht erweitert wird. 14 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik lichkeit zu beziehen. Soweit sich diese Wechselwirkungen heute rekonstruieren lassen, legen sie die Vermutung nahe, dass sich die der Prozesshandlung inhärenten Spannungen durch den Gegenwartsbezug verstärkt haben: Das heilsgeschichtliche Paradox, dass sich der Weltenrichter der menschlichen Gerichtsbarkeit unterwirft, um die Menschheit zu erlösen, dürfte umso prekärer gewirkt haben, wenn das menschliche Gerichtswesen nicht von vornherein als Unrechtssystem gekennzeichnet wird, sondern - z. B. über das Stichwort ,Landrecht‘ - eine zeitgenössische Rechtsordnung anzitiert ist, bei der Gott als Legitimationsgrund fungiert. 22 Möglicherweise haben Vorstellungen von der Göttlichkeit des Rechts schon bei der Produktion der Kerntexte eine Rolle gespielt. Auffällig ist jedenfalls, dass zwar jeweils am Ende des Prozesses Pilatus als Richter versagt, dass aber das Rechtswesen vorher so dargestellt wird, als ob Gerechtigkeit möglich wäre, und sogar an Pilatus vorbildliches richterliches Verhalten demonstriert wird, obwohl das zu handlungslogischen Brüchen führt. Solche Brüche lassen auch Rückschlüsse auf Spielräume und Grenzen bibelepischen Erzählens 23 zu: Den Freiheiten in der Ausgestaltung der Prozesshandlung (auch über die Anbindung an die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit) stehen die Erfordernisse der heilsgeschichtlichen Abläufe gegenüber, wie sie in den kanonischen Evangelien fixiert sind. Vor dem Hintergrund der skizzierten Zusammenhänge kristallisiert sich aus dem mit den Stichworten ‚Jesus‘ und ‚Landrecht‘ umrissenen Problemkreis eine konkrete Fragestellung heraus: Wie gehen die bibelepischen Kerntexte um mit dem Verhältnis von ,Gott‘, der Weltenrichter, aber in Gestalt von Jesus auch Objekt eines Gerichtsverfahrens ist, und ,Recht‘, das die göttliche Rechtsordnung, aber auch menschliche Verfahrensweisen umfasst? Diese Frage wird sich nur durch eine Analyse des thematischen Netzes von Bezügen in den jeweiligen Texten klären lassen. Sie sind wiederum nur zu erfassen, wenn die Sinnstiftung über Referenzen auf das zeitgenössische Lebensumfeld und deren Implikationen, soweit wie möglich, rekonstruiert wird. 24 Dass solche Referenzen in den Kerntexten überhaupt eine zentrale Rolle spielen, deutet darauf hin, dass sich das Erzählen von Heilsgeschichte nicht allein aus dem (durch autoritative Texte vermittelten) sakralen Stoff speist. 25 , Jesus‘ und das ,Landrecht‘ können deshalb auch als Chiffren für den heilsgeschichtlichen Stoff 22 Symptomatisch dafür ist der programmatische Satz Got is selve recht im Prologus des Sachsenspiegels (wegen der Problematik der Ausgabe Eckhardts [1973; vgl. dazu Schmidt-Wiegand 1991, S. 19 f.; 38-50], wird der Sachsenspiegel hier und im Folgenden nach der von Homeyer [1861] edierten Handschrift der Vulgatfassung zitiert). Zur Interpretation vgl. Otte 2008, der mit guten Gründen recht als ,gerecht‘ versteht und die Nähe zu Psalm 10[11],8 betont. Gott, der ungerechtes Handeln ahnden wird (vgl. den letzten Satz des Prologus ), ist im Sachsenspiegel also Fluchtpunkt gerechten Handelns, nicht Quelle einer konkreten Rechtsordnung. Doch steht die Vorstellung, dass die Gerechtigkeit Gottes Maßstab für menschliches Rechtshandeln sein soll, in Zusammenhang mit einer derivativen Ableitung des menschlichen vom göttlichen Recht (s. dazu u. Kap. 5.3). 23 Unter ,bibelepischem Erzählen‘ wird hier und im Folgenden das ,Wiedererzählen‘ biblischer Geschehnisse gefasst. Dabei wird ein weiter Begriff von Erzählen und Erzählung zugrunde gelegt, d. h., es geht um einen Darstellungsmodus, der weder dramatisch noch primär argumentativ ist. Vgl. aber die narratologische Diskussion zur Unterscheidung von Erzählung und Bericht (dazu Bleumer 2015, bes. S. 234-239, mit weiterer Literatur) sowie zur genaueren Bestimmung von Narrativität (dazu Abbott 2011 / 2014, mit weiterer Literatur). 24 Zu den methodologischen Vorannahmen und dem Vorgehen im Einzelnen s. u. Kap. 1.3-1.5. 25 Zur Bedeutung der medialen Vermittlung vgl Prica 2010, S. 28. Anders als bei Prica, die wegen der „Vielheit der Überlieferungen“ von ,Heilsgeschichten‘ im Plural spricht, soll hier ,Heilsgeschichte‘ im Singular als Bezeichnung für das nach göttlichem Plan realisierte Geschehen reserviert sein. Zum Changieren des erst im 19. Jahrhundert geprägten Terminus ,Heilsgeschichte‘ zwischen der Ereig- 1.2 Diu urstende , Christi Hort und das Evangelium Nicodemi im Spiegel der Forschung 15 und die Bezugnahme der Texte auf die Erfahrungswirklichkeit zu ihrer Entstehungszeit verstanden werden. In diesem Sinn vermag die Analyse des Verhältnisses von , Jesus‘ und dem ,Landrecht‘ auch Perspektiven auf die Poetologie der bibelepischen Texte zu eröffnen. 1.2 Diu urstende, Christi Hort und das Evangelium Nicodemi im Spiegel der Forschung Diu urstende Konrads von Heimesfurt, Christi Hort Gundackers von Judenburg und das Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler 26 sind die einzigen erhaltenen mittelhochdeutschen Versdichtungen, bei denen für die Erzählung von der Passion Jesu und von seiner Höllenfahrt das Nikodemusevangelium als Quelle dominant ist. 27 Sie sind teilweise genetisch miteinander verbunden 28 und haben eine gemeinsame Rezeptionsgeschichte, weil sie - über eine zu erschließende Passionskompilation - Eingang in die Weltchronik Heinrichs von München fanden. 29 Schließlich teilen sie ein besonderes Erzählinteresse an den rechtlichen Aspekten der Passionsgeschichte. Die Ausgestaltung der Rechtsmotive ist zwar in den einzelnen Texten je anders gelagert, hat aber trotzdem dazu geführt, dass sie in Erich Klibanskys (1925) und Hans Fehrs ([1931]) Studien zum Recht in der Literatur jeweils als Trias erscheinen. 30 Mittlerweile sind die Texte also auch forschungsgeschichtlich verbunden; spezielle Untersuchungen zu den einzelnen Texten überwiegen jedoch. Allerdings lassen sich für diese Einzelanalysen in der Rückschau jeweils ähnliche Schwerpunkte ausmachen. Sie seien als Basis für die weiteren Überlegungen vergleichend skizziert, auch weil die hier zu beobachtende Forschungsgeschichte für bibelepische Texte nicht untypisch ist. 31 Bei allen drei Werken nahm zunächst die Untersuchung von Sprache und Reimtechnik einen großen Raum ein, sowohl verknüpft mit Fragen nach dem Entstehungsgebiet und der Verfasserzuordnung als auch unter dem Aspekt von Stiluntersuchungen. 32 Die Parallelen zu höfischen Dichtungen, die im Zuge dieser Analysen für Diu urstende und Christi Hort aufgezeigt wurden, bilden bis heute die Grundlage für die Datierung dieser Texte; zugleich sind sie Ausgangspunkt für neuere Überlegungen zur inhaltlichen Höfisierung, die vor nis- und der Erzählebene vgl. aus Sicht der (evangelischen) theologischen Forschung Frey / Krauter / Lichtenberger 2009. 26 Angaben zu den Verfassern, der Datierung der Werke und ihrer Überlieferung finden sich in Kap. 3.2.1, 3.3.1 und 3.4.1. 27 Vgl. dazu den Überblick bei Hoffmann 1997a. 28 Christi Hort ist in Kenntnis von Diu urstende entstanden (vgl. Hoffmann 2000, S. 303-311, und u. S. 110). Für das Evangelium Nicodemi sind Bezüge zu Christi Hort wahrscheinlich, lassen sich jedoch nicht sichern (s. dazu u. S. 141). 29 S. dazu u. Kap. 6.1. 30 Vgl. Klibansky 1925, S. 9-27; Fehr [1931], S. 229-232. 31 Zur weitgehenden Konzentration auf „die überlieferungsgeschichtlichen und quellenkritischen Aspekte“ vgl. (für das Werk Avas) Prica 2010, S. 195. Vgl. aber zu neueren Ansätzen in der Erforschung bibelepischer Texte Quast / Spreckelmeier 2017b, S. 3 f. 32 Zu Diu urstende vgl. den Forschungsbericht von Hoffmann 2000, S. 12-17; zu Christi Hort vgl. Stübinger 1922 (mit Verweisen auf die spärliche ältere Forschung); zum Evangelium Nicodemi vgl. Helm 1899 (mit Verweisen auf die ebenfalls spärliche ältere Forschung). Bei Gundackers Christi Hort standen die Stilanalysen auch unter dem Gesichtspunkt, ob die einzelnen Teile des Werks zusammengehören. 16 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik allem für Szenen der Botenaussendung und des -empfangs in Diu urstende und Christi Hort aufgezeigt wurde. 33 Einen zweiten zentralen Forschungsstrang bildet die Quellenanalyse. Seit der Arbeit Richard Paul Wülckers (1872) werden die deutschen Verserzählungen als Bestandteil der Nikodemusevangelium -Tradition betrachtet. 34 Wegweisend für die Forschungen zu dieser Tradition und der oft mit dem Nikodemusevangelium verbundenen Pilatus-Veronika-Legende sind die Arbeiten Zbigniew Izydorczyks, für die deutschsprachige Literatur insbesondere der von ihm herausgegebene Band The Medieval Gospel of Nicodemus. Texts, Intertexts and Contexts in Western Europe (1997) mit Beiträgen von Werner J. Hoffmann zu mittelhoch- und mittelniederdeutschen Texten, die auf dem Nikodemusevangelium aufbauen. Für Diu urstende hat Hoffmann (2000) außerdem eine mögliche Vorlagenhandschrift (des lateinischen Nikodemusevangeliums ) identifiziert und einen detaillierten Vergleich damit durchgeführt, den er interpretatorisch fruchtbar gemacht hat. Seinen Analysen zufolge geht die Bearbeitungstendenz dahin, die Messianität Christi zu betonen, wobei die Zeugenaussagen einen besonders hohen Stellenwert einnehmen. 35 Anders als Diu urstende enthalten Christi Hort und das Evangelium Nicodemi (mit seinen zahlreichen Exkursen) Passagen mit dezidiert theologischem Gehalt, die sich nicht auf das Nikodemusevangelium als Prätext zurückführen lassen. Auch für diese Passagen sind jeweils ,Quellen‘ in der Forschung benannt worden, die die Verfasser der jeweiligen Studien aber selbst als indirekte Quellen oder Parallelen klassifizieren. 36 Was die Überlieferung der Kerntexte angeht, so wurde sie zunächst unter textkritischen Gesichtspunkten in den Blick genommen, der Überlieferungslage entsprechend am intensivsten für das Evangelium Nicodemi , 37 denn Christi Hort und Diu urstende sind vollständig jeweils nur in einer Handschrift überliefert. 38 Für Diu urstende legten Kurt Gärtner und Werner J. Hoffmann 1989 eine neue Ausgabe vor. Nachdem Werner Fechter (1968) schon das Programm der Sammelhandschrift (Wien, ÖNB , Cod. 2696) analysiert hatte, die als einzige Diu urstende überliefert, hat Nikolaus Henkel (1996) das Phänomen der „Corpusbindungen“, in denen die (um 1200 entstandenen) „religiös-erbaulichen Erzählungen“ in der Überlieferung zusammengefasst wurden, systematisch in den Blick genommen und davon ausgehend die Stellung dieser Texte im Verhältnis zur höfischen Literatur zu bestimmen gesucht. 39 Weiter vorangetrieben wurde die Forschung zur Überlieferungs- und Wirkungsgeschichte durch die Arbeit Werner J. Hoffmanns zu Diu urstende (2000), der neben dem Überlieferungskontext auch die Textgeschichte nachzeichnet. 40 Wegen der späteren kompilatorischen Verbindung von Diu urstende mit Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi 33 Zu Diu urstende vgl. Voorwinden 1997, S. 31-33; Hoffmann 2000, S. 8-12; zu Christi Hort vgl. Fechter 1974; Geith 2000. Voorwinden sieht an der Heiligen Familie in Diu urstende höfische Verhaltensweisen exemplifiziert und schließt daraus, dass der Text - ebenso wie die Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen - für ein Laienpublikum gedacht sei. Seine Interpretationen sind jedoch zu einseitig, wenn er etwa Marias Handarbeit für den Tempelvorhang in die Kindheit Jesu allein als Beschäftigung adeliger Damen deutet; überhaupt berücksichtigt er die Exzeptionalität der Heiligen Familie (vgl. dazu z. B. Koschorke 2000, S. 18-24) nicht in ausreichendem Maße. 34 Wülcker (1872, S. 34-50) geht auf Diu urstende und das Evangelium Nicodemi ein. 35 Vgl. Hoffmann 2000, S. 93-197, bes. 187-197. 36 Vgl. zu Christi Hort Stübinger 1922, S. 79-94, zum Evangelium Nicodemi Helm 1899, S. 134-145. 37 Vgl. Helm 1899, S. 85-117; 1902, S. I-XXVI (in der Einleitung zu seiner kritischen Ausgabe). 38 Christi Hort ist 1910 von Jaksche ediert worden. 39 Vgl. Henkel 1996, bes. S. 20 f. 40 Vgl. Hoffmann 2000, S. 199-325. 1.2 Diu urstende , Christi Hort und das Evangelium Nicodemi im Spiegel der Forschung 17 bieten Hoffmanns Untersuchungen zur Textgeschichte, obwohl sie von Diu urstende ausgehen, Erkenntnisse zu allen drei Werken. Christi Hort betrachtet Hoffmann außerdem im Rahmen der Wirkungsgeschichte von Diu urstende . 41 Die jeweilige Wirkungsgeschichte von Diu urstende und von Christi Hort wird darüber hinaus in Arbeiten zu deutschen Prosafassungen des Nikodemusevangeliums kontrovers diskutiert. 42 Gegenüber den bisher genannten Forschungstendenzen ist die Zahl interpretatorischer Ansätze, die nicht primär vom Verhältnis zur Vorlage ausgehen, überschaubar. 43 Als eine wichtige Arbeit, die sich auf den Inhalt eines der Werke konzentriert, ist Peter Wiedmers Studie zu Sündenfall und Erlösung (1977) zu nennen. Er analysiert und kommentiert die Passagen zur Heilsgeschichte im Evangelium Nicodemi , im Apokalypsekommentar ( Apokalypse ) Heinrichs von Hesler und im Fragment von dessen Erlösung und versucht daraus, „Heinrichs Sicht des heilsgeschichtlichen Geschehens von Sündenfall und Erlösung in ihrer Gesamtheit zu verstehen“, 44 um sie dann geistesgeschichtlich einzuordnen. Zwar ist die Autorbezogenheit methodisch nicht ganz unproblematisch, aber Wiedmer hat die theologischen Dimensionen der Werke deutlich gemacht und die Verrechtlichung der Heilsgeschichte bei Heinrich von Hesler herausgearbeitet. In der Forschung Aufmerksamkeit gefunden hat auch der judenfeindliche Schlussexkurs des Evangelium Nicodemi , der - losgelöst vom Gesamtwerk - in Arbeiten zu Judenbildern in diskursiven Texten untersucht wurde. 45 In anderer Weise auf den Inhalt fokussiert ist Bettina Mattig-Krampes Studie Das Pilatusbild in der deutschen Bibel- und Legendenepik des Mittelalters (2001), in der sie auf die genannten Versdichtungen und deutsche Prosafassungen des Nikodemusevangeliums eingeht. 46 Da die Ergebnisse deskriptiv bleiben und oft psychologisierend erscheinen, 47 ist für eine Aufarbeitung der zeitgenössischen Diskussionen, vor denen die Pilatus-Figur in den bibelepischen Texten angelegt sein mag, auch auf Andreas Scheidgens parallel zu Mattig-Krampes Untersuchung entstandene Monographie Die Gestalt des Pontius Pilatus in Legende, Bibelauslegung und Geschichtsdichtung vom Mittelalter bis in die frühe Neuzeit (2002) zurückzugreifen. 48 Auf die Machart der bibelepischen Texte sind bislang nur einzelne Schlaglichter geworfen worden, z. B. mit der Analyse der Dialoge im Descensus -Bericht in Diu urstende durch Elke Ukena-Best (2012). 49 Am intensivsten wurde bisher die Textstruktur von Christi Hort diskutiert, allerdings zunächst allein unter dem Aspekt, ob die verschiedenartigen Werkteile einem Autor zuzuweisen und von vornherein als Einheit konzipiert seien oder nicht. 50 Betty Bushey (1988) untersuchte die Form der Gebete im zweiten Teil von Christi Hort im Kontext der Frömmigkeitskultur der Zeit und interpretierte das Werk auf diese Weise als Vorläufer 41 Vgl. Hoffmann 2000, S. 303-311. 42 Umstritten sind das Verhältnis der Pilatus-Veronika-Legende im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk zu Christi Hort und das Verhältnis von Diu urstende zur Prosafassung E. S. dazu u. Kap. 6.3.1 und 6.4.1. 43 Petersen (2004, bes. S. 62-66) deutet den Descensus -Abschnitt des Nikodemusevangeliums als narrative Explizierung der victoria Christi , geht aber bei seiner Analyse mittelalterlicher Beispiele für eine solche ,narrative Soteriologie‘ nicht auf die Kerntexte ein. 44 Wiedmer 1977, S. 23. 45 Vgl. Schreckenberg 1994, S. 360 f. (mit weiterer Literatur); Schulze 2002, S. 119-124. 46 Mattig-Krampe 2001, S. 99-154. 47 Vgl. u. a. die kritischen Rezensionen Kartschokes (2004) und Kössingers (2004). 48 Die bibelepischen Texte hat Scheidgen jedoch ausgespart. Zum Verhältnis seiner Arbeit zu der Mattig- Krampes (2001) vgl. Scheidgen 2002, S. 19. 49 Für eine Übersicht über die hohen Dialoganteile in Diu urstende insgesamt vgl. Becker 2009, S. 73-77. 50 S. dazu u. Kap. 3.3.1. 18 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik eines im 14. und 15. Jahrhundert populären Werktypus, bei dem narrative Darstellungen des Lebens Jesu (insbesondere seiner Passion) mit Gebeten verbunden sind. Ulrich Wyss (1986), der Christi Hort in seinem Überblick über „Religiöse Epik im österreichischen Spätmittelalter“ behandelt, hatte ebenfalls die Modernität des Werkes hervorgehoben. Er sieht die Verschiedenartigkeit der einzelnen Werkteile als Symptom für die Suche nach einer angemessenen Ausdrucksform für religiöse Erfahrungen. 51 Susanne Köbele (2017) hat in ihren grundsätzlichen Überlegungen zum bibelepischen ,Wiedererzählen‘ das „Neben- und Ineinander von Sprechregistern“ als typisch für scheinbar kunstlose bibelepische Texte herausgearbeitet und hat in diesem Zusammenhang auch auf Christi Hort verwiesen. 52 Insgesamt hat sich das Forschungsinteresse in jüngerer Zeit zur Poetologie der Texte hin verschoben, wobei insbesondere die selbstreflexiven Passagen im Mittelpunkt standen. 53 Der Prolog von Diu urstende , der in der älteren Forschung zunächst auf sein biographisches Potenzial hin betrachtet worden war, 54 wurde im Zuge einer stärker kulturwissenschaftlichen Orientierung der germanistischen Mediävistik und der durch die New Philology belebten Diskussionen zum Zusammenhang von Überlieferung und Textualität unter der Fragestellung analysiert, welcher Text- oder Werkbegriff sich daraus erschließen lässt. 55 Besonderen Erkenntnisgewinn bietet der Aufsatz „Reden und Schreiben“ Peter Strohschneiders (2005), weil er den gesamten Text von Diu urstende auf das darin zum Ausdruck kommende Textwissen befragt und zeigen kann, wie „Zusammenhang und Differenz von Rede und Schrift“ auch in den narrativen Passagen thematisiert werden. 56 In der Weiterentwicklung seiner Thesen (2014) hat Strohschneider den Zusammenhang von Latenz der Schrift und interaktiver Rede noch einmal grundsätzlicher auf das Prinzip des Wiedererzählens hin perspektiviert, dem sich Diu urstende zuordne. 57 Vor allem selbstreflexive Textelemente sind der Ausgangspunkt für Bruno Quasts Überlegungen zu „Spielräume[n] des Narrativen“ in der Bibelepik, die er an Der Sälden Hort und an Christi Hort untersucht (2009). Quast geht davon aus, dass der bibelepische Text zwar eine gewisse Freiheit habe, aber „die Grenzen des Erzählens in selbstreflexiv-poetischen Akten der Legitimierung erst selbst ausloten“ müsse. 58 Dass sich in Christi Hort an eine Gebetspassage die dem Nikodemusevangelium folgende Erzählung anschließt, interpretiert Quast als „Bewegung vom Kult zur Kunst“ 59 und sieht darin eine Inszenierung des Wunsches des Prologgebet-Sprechers, dass Gott ihm zu einer ehrenden Dichtung die 51 Vgl. Wyss 1986, S. 300-302. Für eine Betrachtung von Christi Hort im Rahmen regionaler Literaturgeschichtsschreibung vgl. auch Knapp 1999, S. 342-348. 52 Vgl. Köbele 2017, S. 168, Anm. 3; S. 201 (Zitat). 53 Diese Tendenz lässt sich auch für andere bibelepische Texte beobachten, vgl. z. B. Gay-Cantons Aufsatz „Zwischen Zensur und Selbstzensur. Verbesserungsappelle in der ›Vita beate Marie et Salvatoris Rhythmica‹ und ihre mittelhochdeutschen Bearbeitungen“ (2009). 54 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 2 (mit weiterer Literatur). Noch Thelen (1989, S. 314 f.) in seiner Studie zu Gebetsprologen vermutet im Prolog vor allem einen Versuch des Verfassers, keinen Anstoß zu erregen. 55 Vgl. Grubmüller 2001, S. 23 f.; Quast 2001a, S. 36-39; 2001b. 56 Strohschneider 2005, S. 342. 57 Strohschneider 2014, S. 91-126, bes. S. 119-122. Das Buchkapitel ist ausdrücklich als Weiterentwicklung des Aufsatzes von 2005 gekennzeichnet (vgl. ebd., S. 329 f.). Für eine produktive Auseinandersetzung mit den Thesen Strohschneiders vgl. Becker (2015), die den Schwerpunkt auf die Analyse der Prologmetaphorik legt. 58 Quast 2009, S. 387. 59 Quast 2009, S. 393. 1.2 Diu urstende , Christi Hort und das Evangelium Nicodemi im Spiegel der Forschung 19 sinne […] berichte (v. 1323). 60 Ob sich die verschiedenen Unfähigkeitsbeteuerungen, die jeweils argumentativ eingebunden sind, tatsächlich zu einem poetologischen Gesamtprogramm zusammenschließen lassen, 61 ist ebenso zu diskutieren wie die Frage, ob hier ein allgemeines Phänomen sichtbar wird, 62 zumal zwischen rituellem Sprechen im Gebet und dem Nachvollzug eines biblischen Textes zu differenzieren wäre. Grundlegend für weitere Forschungen ist aber die Frage, die Quast am Ende seines Aufsatzes formuliert, nämlich wie „fiktional […] mittelalterliche Bibeldichtung als besondere Form normativ gebundener Literatur sein“ dürfe. 63 Für Christi Hort betont Quast, dass der Text „der Maßgabe des Faktizität verbürgenden Referenztextes konsequent und unverbrüchlich zu folgen behauptet“. Die vorsichtige Formulierung deutet zugleich an, dass das nicht der Fall sein könnte. Um die erzählerischen Lizenzen bestimmen zu können, wird man also über die selbstreflexiven Passagen hinaus die Erzählung selbst in den Blick zu nehmen haben. Ohne dass die Konsequenzen für den Status der Texte insgesamt diskutiert wurden, ist der Umgang mit der Rechtsmotivik in den einzelnen Texten bereits intensiv erforscht worden. Wie schon Wülcker (1872) aufzeigte, sind in Diu urstende „viele züge aus dem Deutschen gerichtsverfahren eingeschaltet“. 64 Auch wenn sich nicht alle seiner Einzelinterpretationen als tragfähig erwiesen, 65 legte er damit den Grundstein für weitere Forschungen, von denen die Studie Erich Klibanskys Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.-14. Jahrhunderts (1925) 66 als bis heute gültiges Referenzwerk hervorzuheben ist. 67 Klibansky identifiziert unter Bezug auf Rechtsbücher wie den Sachsenspiegel und die rechtshistorische Sekundärliteratur deutschrechtliche Züge in Diu urstende , in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi , betont aber, dass die Anpassungen in Diu urstende und dem Evangelium Nicodemi punktuell erfolgen. Am ehesten sieht er ein typisch deutsches Gerichtsverfahren in Christi Hort dargestellt. Klibansky geht methodisch sehr vorsichtig vor, indem er den besonderen Charakter literarischer ,Quellen‘ zum Gewinn historischer Erkenntnis betont, denen er Lebendigkeit, aber eben auch größere Freiheiten als etwa Rechtsbüchern attestiert. Trotz seines primär historischen Interesses stellt er für Diu urstende erste Überlegungen dazu an, welche Funktion die gegenüber der Quelle zu beobachtenden Umarbeitungen erfüllen. 68 Einen Ansatzpunkt für weitere Forschungen 60 Vgl. Quast 2009, S. 292 f. 61 S. dazu u. S. 109; S. 391, Anm. 96. 62 Quast (2009, S. 393) zieht auf der Basis seiner Beobachtungen an Christi Hort den Schluss: „Dichten von den Evangelien erzwingt die Bewegung von einer rituellen Vollzugsform hin zu einem genuin Erzählerischen.“ 63 S. dazu u. Kap. 7. 64 Wülcker 1872, S. 37. 65 Vgl. dazu Klibansky 1925, S. 14 f. 66 Klibansky (1925, S. 7) versteht unter ‚Prozeßform‘ „[i]m weitesten Sinne alles, was irgendwie zur äußeren Gestaltung und Beurkundung des gerichtlichen Verfahrens gehört“ (vgl. ebd., S. 7). Dagegen wollte Strothmann (1969 [1930], S. 3) nur Prozessdichtungen untersuchen, die durch Rede und Gegenrede zweier Parteien geprägt sind: Bei den Dichtungen zum Prozess Jesu hätten die stofflichen Vorgaben jedoch meist die Ausbildung einer prozessualen Form verhindert (vgl. ebd., S. 70). 67 Für „Juristisches“ im Evangelium Nicodemi s. auch das Register in Helms Ausgabe (1902, S. 272 f.). 68 „Die außerordentliche Freiheit, mit der Konrad v. Heimesfurt […] seine Quellen benutzte, hat ihren Grund allein in dem Bestreben des Dichters, die breiten und oft sich widersprechenden Angaben seiner Vorlagen, möglichst knapp und in logischer Entwicklung darzustellen. Auf diesen rein künstlerischen Gesichtspunkt lassen sich alle seine Ergänzungen und Auslassungen letzten Endes zurückführen […]“ (Klibansky 1925, S. 15 f.). 20 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik bieten seine - in das Vokabular der Zeit gekleideten - rezeptionsästhetischen Schlussüberlegungen: Dabei [sc. bei der anschaulichen Schilderung von Vorgängen] kommt es gar nicht so sehr darauf an, daß der Dichter alle einzelnen Momente immer besonders betont; vielmehr genügt auch hier, wie überhaupt in allem echten künstlerischen Schaffen, die Hervorhebung einiger weniger, aber charakteristischer Züge aus der unendlichen Fülle des Lebens vollauf, um unsere Phantasie zur Reproduktion der vom Künstler geschauten Wirklichkeit anzuregen. 69 Klibansky hebt hier auf die Vorstellungskraft moderner Rezipienten ab, es ist aber auch die Frage zu stellen, welche Assoziationspotenziale die ,charakteristischen Züge‘ aus der Erfahrungswelt für Rezipienten zur Entstehungszeit der Werke besessen haben mögen. Hans Fehr nimmt in seinem Überblickswerk Das Recht in der Dichtung ([1931]), in das die Textgruppe Diu urstende - Christi Hort - Evangelium Nicodemi ebenfalls Eingang fand, 70 neben dem Prozessrecht auch Rechtsvorstellungen in den Blick. Bei seiner Darstellung konzentriert er sich vor allem auf die Passage zur Zweischwerterlehre und die rechtliche Stellung der Juden im Evangelium Nicodemi . Wie aus der Einleitung hervorgeht, will Fehr den engen Zusammenhang nicht nur von „Dichter und Recht“, sondern auch von „Kultur und Recht“ aufzeigen. 71 Die literarischen Texte sind für ihn sowohl rechtshistorische als auch vor allem mentalitätsgeschichtliche Quellen. Anders als Klibansky setzt Fehr jedoch für den Bereich des Rechts ein Abbildungsverhältnis zwischen Literatur und Wirklichkeit voraus: Vor allem für die Dichtung des Mittelalters erweisen sie [sc. die Dichtwerke] sich als wertvolle Quelle. Sie zeigen namentlich eins: sie lassen erkennen, wie sich das Recht im Volke spiegelte, wie die Rechtsnormen aufgefaßt wurden und praktische Verwendung fanden. Die Dichter sind keine Theoretiker. Sie geben Recht und Rechtsvorstellungen wieder, wie sie die Wirklichkeit ihnen darbietet. So stark sie sich im Reiche der Phantasie bewegen: im Augenblick, wo sie den Kreis des Rechts betreten, wagen sie sich nicht über die Realität der Dinge hinaus. Ausnahmen sind selten. Das Recht gilt ihnen gleichsam als heilige Mauer, die nicht durchbrochen, nicht überstiegen, nicht zerstört werden darf. 72 Aus heutiger Sicht erscheint diese Annahme problematisch, vor allem wenn man an die z. B. von Rüdiger Schnell (1993) nachgewiesenen Diskrepanzen zwischen literarischer Darstellung und Praxis von Gottesurteilen denkt. Bedenkenswert ist allerdings, dass die Hemmschwelle für eine abweichende Darstellung wegen der Normativität des Rechts höher gelegen haben könnte als bei anderen Themen. Die genannten Studien aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bilden nach wie vor eine wichtige Grundlage, zumal die Standardwerke zum deutschen Prozessrecht, auf die sie sich stützen, nicht als überholt angesehen werden können. Im Anschluss an Hoffmanns Sachkommentar (im Rahmen seines Quellenvergleichs) 73 sind aber die einzelnen Beobachtungen Klibanskys und Fehrs mit der neueren rechtshistorischen Forschung (z. B. Drüppel 1981; Meyer 2009) abzugleichen. Vor allem gilt es - über die Überlegungen bei 69 Klibansky 1925, S. 63. 70 Vgl. Fehr [1931], S. 229-232. 71 Fehr [1931], S. 7. 72 Fehr [1931], S. 7. 73 Vgl. Hoffmann 2000, S. 121-184. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 21 Klibansky und Hoffmann hinaus -, die Funktionalisierung der punktuellen Anpassungen an das deutsche Recht zu untersuchen. Dazu sollte jeweils der gesamte Text in den Blick genommen werden, was sich gut am Evangelium Nicodemi verdeutlichen lässt, bei dem Überlegungen zum Prozessrecht bislang unverbunden neben der Beobachtung der Verrechtlichung der Heilsgeschichte stehen. 74 Da die Kerntexte in die heutigen international geführten Diskussionen um das Verhältnis von Recht und Literatur (‚Law and Literature‘) noch nicht hinreichend einbezogen wurden, 75 bedarf es vor der inhaltlichen Arbeit umso mehr einer methodologischen Reflexion. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 1.3.1 ,Law in Literature‘ als methodologische Herausforderung Die mit Das Recht in der Dichtung ([1931]) betitelte Studie des Rechtshistorikers Hans Fehr, in der auch die Kerntexte analysiert werden, ist der zweite Band einer Trilogie zu Kunst und Recht , deren erster Band Das Recht im Bilde (1923) sich auf Visualisierungen konzentriert, während der dritte Band Die Dichtung im Recht (1936) ,Poetisches‘ in Rechtstexten aufzufinden sucht bzw. Kleinformen (wie Sprichwörter) behandelt, in denen Rechtswissen gespeichert ist. 76 Insbesondere, was diesen letzten Band angeht, steht Fehr in der Tradition der eng mit dem Œuvre Jacob Grimms verknüpften ,Germanistik‘ des 19. Jahrhunderts, die Recht und Literatur ihrem Ursprung nach eng verbunden sah. 77 Zugleich sind in den beiden Bänden Fehrs zum Verhältnis von Recht und ,Dichtung‘ bereits zwei Betrachtungsweisen angelegt, die für die derzeitige Forschung zum Verhältnis von Recht und Literatur relevant sind: zum einen die Untersuchung von Rechtsmotiven in literarischen Texten, zum anderen das Aufspüren von ,poetischen‘ Elementen in Rechtstexten bzw. deren Analyse mit literaturwissenschaftlichen Methoden. In der vielstimmigen Forschungsliteratur aus der ,Law and Literature‘-Bewegung, 78 die sich seit den 1970er Jahren von den USA aus gebildet hat, lassen sich zwei entsprechende 74 Erste Ansätze zu vergleichenden Untersuchungen der Rechtsmotivik in allen drei Kerntexten bietet der Aufsatz der Verf. zur Zeugenschaft (Manuwald 2011). Zur Vernetzung des heilsgeschichtlichen Rahmens mit dem menschlichen Gerichtsverfahren im Evangelium Nicodemi vgl. Manuwald 2014. Strohschneider (2005; 2014) befasst sich intensiv mit Augenzeugenschaft in Diu urstende , aber gerade nicht unter juristischen Aspekten. 75 Vgl. jedoch Bleumer (2011a, S. 9), der das Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler in der Einleitung zum mediävistischen Sonderheft Recht und Literatur der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik erwähnt: „Den berühmtesten heilsgeschichtlichen Rechtsfall, den Prozess Christi vor dem Gericht des Pontius Pilatus nach dem apokryphen Evangelium Nicodemi , gestaltet Heinrich von Hesler im Deutschen mit Rechtsdetails aus: Das Recht dient hier zur Interpretation der Geschichte.“ 76 Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung der Studien Fehrs vgl. Schmidt-Wiegand 1990b, Sp. 236 f. 77 Vgl. neben Jacob Grimms rechtshistorischen Arbeiten insbesondere den Aufsatz „Von der Poesie im Recht“ (1816), dem der vielzitierte Satz (vgl. z. B. Bleumer 2011a, S. 13 f.) entstammt, dass „recht und poesie miteinander aus einem bette aufgestanden“ seien (S. 27). Zur Sprachtheorie Grimms und Modifikationen des Ursprungsgedankens bei ihm selbst vgl. Renner 2010 (2009). Zur historischen Einordnung Grimms (auch im Hinblick auf heutige kulturwissenschaftliche Zugänge zu ,Recht und Literatur‘) vgl. Garloff 2004, S. 87-91. Für einen Überblick über mediävistische Untersuchungen in der Nachfolge Grimms zum „Ort des Rechts in der Dichtung oder der Dichtung im Recht“ vgl. Bleumer 2012, S. 156 mit Anm. 3 (S. 156 f.). 78 Auch hier findet sich der Gedanke, dass Recht und Literatur bereits im Ursprung verbunden seien: „Law is associated with Literature from its inception as a formalized attempt to structure reality 22 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik Hauptströmungen herauskristallisieren, für die sich die Bezeichnungen ,Law in Literature‘ und ,Law as Literature‘ etabliert haben. 79 Bei ,Law in Literature‘ geht es - wie schon bei Fehrs Buch Das Recht in der Dichtung - um die Analyse der Repräsentation von Recht in der Literatur; 80 daneben wird aber, insbesondere in der US -amerikanischen Juristenausbildung, noch ein anderes Ziel verfolgt: Die Studierenden sollen durch die Lektüre literarisch gestalteter Rechtsfälle Menschenkenntnis erwerben. 81 Wird hier eine stark identifikatorische Lektüre gefordert und Literatur sozusagen als bessere Realität betrachtet, 82 arbeitet die Forschungsrichtung ,Law as Literature‘ 83 mit einem grundsätzlich anderen Literaturbegriff: Dort wird betont, dass eine kategorische Unterscheidung der beiden Bereiche nicht möglich through language.“ (Weisberg / Baricelli 1982, S. 150). Einen Eindruck davon, wie breit gestreut die Gegenstände und Fragestellungen sind, die unter ,Law and Literature‘ subsumiert werden, vermittelt folgende, keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebende Aufzählung aus einer Einführung zu dem Forschungsfeld von Dolin (2007, S. 10 f.): „(i) literary representations of legal trials, practitioners and language, and of those caught up in the law; (ii) the role played by narrative, metaphor and other rhetorical devices in legal speech and writing, including judgments; (iii) how the supposed freedom of literary expression is contained and regulated by laws; (iv) the circulation of legal ideas in literary culture, and vice versa in various periods and societies; (v) the effects of social ideologies such as race and gender in legal language; (vi) theory of interpretation; (vii) the use of theatricality and spectacle in the creation of legal authority; (viii) the cultural and political consequences of new technologies of communication, such as writing, the printing press and the Internet; (ix) legal storytelling or narrative jurisprudence“. Vgl. auch die weit ausgreifende Bibliographie von Sprecher 2011 (mit einem Schwerpunkt auf deutschsprachigen Studien). Für einen forschungskritischen Rückblick auf die bisherigen Versuche der interdisziplinären Arbeit vgl. Peters 2005; Olson 2010 (mit einem Fokus auf der Rezeption der Bewegung außerhalb der USA); 2015. Baron (1999, S. 1062) bezweifelt angesichts der Diversität der Ansätze, ob es sich überhaupt um e i n e Bewegung handelt: „If there is a single movement here, it is certainly a very fractured one. The concerns of its separate strands are quite disparate“. Auch Friedrich (2011, S. 286), der sich auf neuere deutschsprachige Arbeiten zu ,Recht und Literatur‘ bezieht, charakterisiert das schwer zu überblickende Forschungsfeld als ein „außerordentlich heterogenes“; Systematisierungsversuche fehlten bislang weitgehend (S. 292). 79 Vgl. dazu Garloff 2004, S. 69 f.; Sarat / Anderson / Frank 2010, S. 2-8, bes. Anm. 5 (S. 2 f.). Zur Interdependenz beider Betrachtungsweisen vgl. Minda 1997, S. 255; zur Unschärfe der Abgrenzung vgl. Lachenmaier 2008, S. 43 f. Julius (1999, S. xiii) nennt zusätzlich noch den Zweig „the law of literature“, d. h. die Untersuchung von Gesetzen, die sich auf Literatur beziehen oder darauf Anwendung finden. Außerdem unterscheidet er zwischen „law as literature“ und „legal and literary hermeneutics“. Mit diesen Differenzierungen kann er das tatsächliche Forschungsfeld besser erfassen; sie scheinen sich jedoch nicht durchgesetzt zu haben. 80 Zu dem gerade in der Anfangsphase der Bewegung vorherrschend untersuchten Kanon von Klassikern („Shakespeare, Twain, Austen, Dickens, or Melville to name only a few“) vgl. Rockwood 1996, S. 3 f. Julius (1999, S. xvi) spricht von einer „heterogeneous group“: „These add up to not much more than a themed subset of the received canon of Western literature, though a number are pre-eminent in the canon.“ 81 Lachenmaier (2008, S. 44-46) sieht diesen Ansatz als repräsentativ für die Strömung ,Law in Literature‘ an (zur Einseitigkeit von Lachenmaiers Betrachtungsweise vgl. Bergann 2009, Absatz 12). Zur Tradition des Gebrauchs von Fallgeschichten, die mit literarischen Mitteln erzählt werden, in der Juristenausbildung vgl. Lachenmaier ebd., S. 18 f.; Bleumer 2011a, S. 6 f. (zum [alten] Pitaval und dessen Rezeption). Als eine Folge des didaktischen Gebrauchs von Literatur für die Juristenausbildung im englischsprachigen Raum kann folgender Befund gelten: „The law and literature movement is largely confined to law faculties and does not figure in general accounts of modern literary theory.“ ( Julius 1999, S. xvii). 82 Vgl. dazu Peters 2005, S. 444. 83 Vgl. dazu den Überblick bei Lachenmaier 2008; zur Einordnung außerdem Garloff 2004, S. 70; 75-87. Binder (1999) will verschiedene Verständnismöglichkeiten von ,Law as Literature‘ zusammenführen, indem sie den Ausdruck als Tropus interpretiert. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 23 sei, weil sich beide des Mediums Sprache bedienten. 84 Folgerichtig wurden auch Rechtstexte dekonstruktivistischen Lektüren unterzogen. 85 Dadurch wurden zugleich die für das Forschungsfeld ,Law and Literature‘ konstitutiven Dichotomien unterminiert. 86 Auch vonseiten der Narratologie ist die einfache Gegenüberstellung von ,Law‘ und ,Literature‘ aufgebrochen worden, indem das Augenmerk auf Phänomene der Narrativierung gerichtet wurde, die sich in beiden Bereichen nachweisen lassen. 87 Es dürfte kein Zufall sein, dass das Feld ,Law and Literature‘ inzwischen institutionell unter dem Dach der Forschungen zu ,Law, Culture and the Humanities‘ verortet wird, 88 wobei das genaue Verhältnis der beiden Forschungsfelder unklar ist. 89 Als programmatisches Argument dafür, weshalb die Formel ,Law and Literature‘ durch andere ,Law and …‘-Verbindungen zu ersetzen sei - nicht zuletzt ,Law and the Humanities‘ -, wird angeführt, dass nur dann historische Perspektiven angemessen berücksichtigt werden könnten. Schließlich habe es eine Zeit gegeben, da ,Law‘ und ,Literature‘ noch nicht systematisch zu trennen gewesen seien. 90 Dieses Argument ist für die germanistische Mediävistik, in der die Rezeption der ,Law and Literature‘-Bewegung erst beginnt, 91 von hoher Relevanz, da der juristische und der literarische Diskurs im Untersuchungszeitraum nicht streng separiert sind, sondern ,Literatur‘ und ,Recht‘ auf der Ebene der Performanz und der Symbolsysteme eng verflochten erscheinen. 92 Zu berücksichtigen wären außerdem 84 Zu den unterschiedlichen Literaturbegriffen in den beiden Strömungen vgl. Garloff 2004, S. 95 f. 85 Vgl. dazu Binder 1999, S. 80-83; Greiner 2010, S. 13 mit Anm. 31 (S. 13 f.). Die Übertragung literaturwissenschaftlicher Methoden und im Gegenzug die Berücksichtigung literarischer Texte in juristischen Diskussionen ist von Posner (2009 [1988]) heftig kritisiert worden. In der Rezension Balkins (1989) wird in seiner Argumentation und der eigenen Positionierung deutlich, wie stark die Beurteilung des Verhältnisses von Literatur und Recht (sowie Literatur- und Rechtswissenschaft) von den theoretischen Vorannahmen über Literatur geprägt ist. Vgl. dazu auch Bleumer 2011a, S. 11 f. 86 Vgl. dazu Minda 1997, S. 253. Die dichotomischen Vorannahmen betreffen nicht nur die Gegenstände, sondern auch die Herangehensweisen. Vgl. dazu Peters 2005, S. 449: „[…] the interdisciplinarity of law and literature enacted a double movement that ran counter to its own project. It sought to dissolve disciplinary boundaries, but, through the imaginary projection by each discipline of the other’s difference, it exaggerated the very disciplinary boundaries it sought to dissolve.“ Welche Art disziplinübergreifender Arbeitsweise dem Gegenstand überhaupt angemessen sei, diskutieren u. a. Baron 1999 und Pichler 2015. 87 Vgl. Bleumer 2011a, S. 7 f. Doering und Emmelius (2017, S. 10) bezeichnen darauf aufbauend denjenigen Forschungszweig, der sich „mit strukturellen Entsprechungen in Recht und Literatur“ befasst, als „ ,Law as Literature‘ bzw. ,Literature as Law‘ “, während sie die Analyse der literarischen Verfasstheit von Rechtstexten unter „ ,Literature in Law‘ “ subsumieren. 88 Vgl. den Einführungstext auf der Website der „Association of Law, Culture and the Humanities“ (http: / / lawculturehumanities.com/ , 15. 08. 2017). Zur Auflösung des ursprünglichen interdisziplinären Forschungsfeldes ,Law and Literature‘ vgl. auch Julius 1999, S. xiv f.; Olson 2015. 89 „Today, scholars in that field [i. e. Law and the Humanities] are supported by a well-developed infrastructure of professional associations and scholarly journals, but the precise contours of this field are anything but clear. What is its relationship to law and literature? What, if any, relationship does it have to the qualitative social sciences, for example anthropology? “ (Sarat / Anderson / Frank 2010, S. 1). 90 Vgl. Olson 2015, S. 41 f., mit weiterer Literatur. Eine historische Perspektive ist im gesamten Forschungsfeld nicht besonders ausgeprägt, jedoch gibt es z. B. für das 18. und 19. Jahrhundert Überlegungen dazu, dass sich die Abgrenzungen zwischen ,Law‘ und ,Literature‘ historisch unterschiedlich darstellen (vgl. Binder 1999, S. 65; Peters 2005, S. 449). 91 Zur zögerlichen Rezeption in der deutschsprachigen historisch orientierten Literaturwissenschaft insgesamt vgl. Bleumer 2011a, S. 13. 92 Vgl. Bleumer 2011a, S. 6-9. 24 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik der weite Literaturbegriff der Mediävistik, der ,literarische‘ und ,pragmatische‘, also auch juristische, Texte mit umfasst, 93 und die Diskussion darüber, ob man es nicht überhaupt mit ,Texten vor der Literatur‘ zu tun habe. 94 Bei einer Inbezugsetzung von ,Recht‘ und ,Literatur‘ muss deshalb reflektiert werden, was jeweils damit gemeint ist. 95 Eine verallgemeinernde Terminologie erscheint jedoch als zu einfache Lösung, da sie vorhandene Differenzierungen einebnet. Dass es trotz der Schwierigkeiten, ,Literatur‘ und ,Recht‘ kategorial voneinander zu scheiden, auch für deutsche Texte des Mittelalters weiterführend sein kann, heuristisch zunächst eine Differenz von ,Literatur‘ und ,Recht‘ anzusetzen, belegen die Beiträge im mediävistischen Sonderheft Recht und Literatur der Zeitschrift für Literaturwissenschaft und Linguistik . 96 Wie die Skizze der bisherigen Diskussion erkennen lässt, hat sich im Forschungsfeld ,Literatur und Recht‘ keine allgemein anerkannte Methodik herausgebildet. 97 Einen bedenkenswerten Versuch zur Systematisierung stellt der diskursanalytische Ansatz Bernhard Greiners (2010) dar: Recht und Literatur lassen sich im Horizont Foucaultscher Diskurstheorie im Lichte eines gemeinsamen Dritten aufeinander beziehen, des Diskurses und der diskursiven Praxis, ihrer Regeln, Institutionen, Verfahren der Versprachlichung wie der Wissensproduktion. 98 Im Folgenden geht es Greiner weniger um das ,gemeinsame Dritte‘ als vielmehr um die gegenseitige Bezugnahme der beiden Spezialdiskurse ,Recht‘ und ‚Literatur‘. Zwar wäre der verwendete Diskursbegriff zu schärfen, 99 doch kann Greiner auf dieser Grundlage eine Systematik entwickeln, die verschiedene Bezugsmöglichkeiten differenziert. Mit der Kategorie „ Literatur in der Perspektive des Rechts “ erfasst er zum Beispiel Formen des Rechtsdenkens oder juristisch geprägter Urteilsverfahren in der Literatur, während er unter „ Recht in der Perspektive der Literatur “ die Verhandlung rechtlicher Fragen mit den Möglichkeiten der Literatur verstanden wissen will. 100 Sein Augenmerk will Greiner ausdrücklich nicht auf das „große Feld der Behandlung von Rechtsthemen in der Literatur“ richten, weil eine Diskursverschränkung nicht gegeben 101 und die Hinwendung der Literatur zum Recht, das zum 93 Vgl. dazu exemplarisch Ruh 1985. 94 Vgl. abwägend Peters 2007. 95 Mit der Einschränkung, dass für das Mittelalter noch nicht von einem ausgegliederten ,Literatursystem‘ gesprochen werden kann, ist im Folgenden auch für diese Zeit von literarischen Texten die Rede, wenn es sich um Texte handelt, die nicht einen pragmatischen Charakter im engeren Sinne haben. Zur Stellung der Bibelepik s. u. Kap. 1.3.3. Zur Frage, was mit ,Recht‘ in dieser Arbeit gemeint ist, s. u. Kap. 1.4.1. 96 Für einen Überblick vgl. Bleumer 2011a, S. 15-17. 97 Auch bei der kulturwissenschaftlichen Öffnung des Forschungsfeldes ,Recht und Literatur‘, wie sie gegenwärtig propagiert wird (vgl. Olson 2015), müssten Methoden der Tetxtanalyse reflektiert werden. 98 Greiner 2010, S. 11 f. 99 Greiner diskutiert nicht, ob ,Literatur‘ eventuell eine Sonderrolle als Interdiskurs zukommt (vgl. dazu z. B. Link / Link-Heer 1990). Zur Verunklärung des Diskursbegriffs trägt weiterhin bei, dass Greiner ,Diskurs‘ auch im Sinne von „Abfolge des Redens“ (S. 11) interpretieren will. 100 Vgl. Greiner 2010, S. 11-20. Das Verhältnis von rechtlichen Denk- und Ausdrucksformen zur Narration hat auch in der neueren mediävistischen Forschung verstärkt Aufmerksamkeit gefunden (vgl. Bleumer 2011b; Emmelius 2011; Doering / Emmelius 2017, S. 10-20). 101 Vgl. Greiner 2010, S. 15. „Gegenüber einem bloßen Aufgreifen rechtlicher Motive, Sachverhalte und Fragen in der Literatur, insofern Recht eben ein grundlegendes Ordnungsprinzip des menschlichen Lebens ist, kann von einem Ineinander beider Diskurse erst gesprochen werden, wenn sich der Über- 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 25 menschlichen Leben gehöre, ,akzidentiell‘ sei. 102 Gerade der Aspekt der Referenz auf das ,menschliche Leben‘ müsste jedoch ebenfalls einer methodologischen Reflexion unterzogen werden, 103 auch wenn er nicht exklusiv auf den Bereich ,Recht und Literatur‘ beschränkt ist. Dass das Verhältnis von Recht und Literatur auch unter der übergreifenden Fragestellung des Verhältnisses von Text und Kontext betrachtet werden sollte, klingt in der Einleitung zu einem 2012 anlässlich der Eröffnung eines Law-and-Literature-Studienganges in Hongkong erschienenen Band an: Recent interdisciplinary work often focuses on the ways in which law can learn from literature or the humanities more broadly, but what intellectual gain can be made from a legal reading of literature or other texts from the humanities? This question often becomes elided perhaps because the act of contextualising literary, philosophical or film texts in legal history is in itself not new. However, further theorisation could shed light on the exact nature of the relationship between the two domains. […] Or perhaps re-contextualisation could shed light on the wider question of the methods and practice of interdisciplinarity, so that the focus is not a re-evaluation of literature or law per se , but on achieving a new understanding of what it means to stage an encounter between them? Would the encounter problematise the difference between literary ‘text’ and legal ‘context’? 104 Für den Teilbereich der Untersuchung von rechtlichen Motiven und Rechtskonzepten führen die Überlegungen in der Forschung zu ,Law in Literature‘ also letztlich zur vieldiskutierten Text-Kontext-Problematik. 105 Auch unter diesem Blickwinkel sind ,Literatur‘ und ,Recht‘ aber nicht einfach dichotomisch gegenüberzustellen. Vor allem in der kulturwissenschaftlich orientierten Literaturwissenschaft ist betont worden, dass ,Literatur‘ sich nicht darauf beschränkt, kulturelle Phänomene aufzunehmen und zu diskutieren, sondern dass literarische Texte Teil der Kultur sind und sie mit prägen. 106 Insofern wären literarische Textritt auf das Feld der Literatur in bestimmter Hinsicht als geboten oder doch mehr versprechend erweist, das Thema oder die Frage also vom einen Feld auf das andere ,verschoben‘ wird“ (ebd.). 102 Vgl. Greiner 2010, S. 12. 103 Das gilt umso mehr, als auch in der neueren Forschung die eigenen Vorannahmen nicht immer reflektiert werden, vgl. z. B. Vormbaum 2011 (2002), S. 13: „Stellt der Jurist […] fest, daß im literarischen Kunstwerks [sic] Behauptungen über das Recht aufgestellt werden, die der juristischen Überprüfung nicht standhalten, so mag er den Zeigefinger in jenen Fällen erheben, in denen der Schriftsteller - es wird im Zweifel kein bedeutender sein - Wohl und Wehe seines Werks auf das Sosein einer Rechtsnorm gestellt hat; in anderen Fällen wird er ihm den freien Umgang mit den juristischen Gegebenheiten nachsehen.“ Julius (1999, S. xvi) hatte eine solche Betrachtungsweise, die danach fragt, wie genau ein literarisches Werk Aspekte des Rechtssystems wiedergibt, als einen Typ von Fehlinterpretation („ mis reading“) eingeordnet, die es v o r dem Beginn der systematisch betriebenen Studien zu ,Law and Literature‘ gegeben habe. 104 Wan 2012, S. 6. Ziolkowski (1997, S. xii) will auf die Rechtsgeschichte zurückgreifen, um sein Verständnis des literarischen Werkes zu erhöhen, setzt sich aber nicht grundsätzlich mit der Text-Kontext-Problematik auseinander, sondern geht von vornherein davon aus, dass literarische Werke Krisen in der Entwicklung des Rechts s p i e g e l t e n (ebd., S. x). 105 Für die germanistische Mediävistik seien hier nur Peters 2000 und Müller 2007a genannt. Die Fokussierung auf den Bereich des Rechts stellt eine der „Komplexitätsreduktionen durch Segmentierungen [sc. ,der Welt‘]“ dar, wie sie Brenner (1998, S. 291) für kontextorientierte literaturwissenschaftliche Forschung als notwendig beschrieben hat. 106 Vgl. dazu zusammenfassend Köppe / Winko 2013, S. 244 f. Für den Bereich ,Literatur und Recht‘ (in der altfranzösischen Literatur) vgl. aber bereits Bloch (1977, S. 11), der hervorhebt, dass die literarischen Darstellungen nicht mimetisch seien. In ihrer Studie zur Repräsentation von Vergewaltigungen in altfranzösischen Rechtstexten und literarischen Texten betont Gravdal (1991, S. 18 f.) umgekehrt, dass 26 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik te, die sich mit dem Recht befassen, als Teil der Rechtskultur zu begreifen. Angesichts einer insgesamt als Zeichensystem verstandenen Kultur wäre die Unterscheidung von Text und Kontext hinfällig, sondern es könnten allenfalls gleichgeordnete textuelle Identitäten miteinander in einen Dialog gebracht werden. 107 Auch wenn man literarische Texte nicht aus der Kultur aussondert, ist aber zu fragen, wie sich das Einzelwerk zum ,Kulturganzen‘ verhält; für den analytischen Zugriff ist also trotzdem zwischen einem ,Text‘ als Beobachtungsobjekt und Kontexten als ,Bezugshorizonten‘ zu trennen. 108 Eine Differenzierung zwischen einem rechtsbezogenen literarischen Text und dem ,Recht‘ außerhalb dieses Textes scheint ebenfalls weiterhin sinnvoll, denn es haben sich in literarischen Texten spezifische Muster der Sinnbildung nachweisen lassen. 109 Doch wie kann der spezifische Zugriff literarischer Texte auf die ,Kultur‘ differenziert beschrieben werden? Als einflussreich in der germanistischen Mediävistik haben sich in den letzten Jahren insbesondere zwei grundlegende Entwürfe zum Text-Kontext-Problem erwiesen: Christian Kiening (2007) und Jan-Dirk Müller (2007) haben jeweils die These aufgestellt, dass bei der Analyse kultureller Logiken, die (narrativen) literarischen Texten inhärent seien, ,Kulturmuster‘ eine zu allgemeine Bezugsgröße seien. 110 Müller richtet sein Interesse deshalb auf in bestimmten Zeiträumen wiederkehrende „Erzählkerne und Problemkonstellationen“, 111 wobei es ihm vor allem um die narrative Produktivität solcher Erzählkerne geht. 112 Die Verbindung zwischen Text und Kultur sieht Müller - unter Bezug auf Cornelius Castoriadis - im Bereich des Imaginären: Das literarisch Imaginäre fasst er „als integralen Teil des gesellschaftlich Imaginären“ (S. 17) auf, das alle gesellschaftlichen Bereiche durchdringt, doch begrenzt Müller seine Ergebnisse zur Anthropologie in der höfischen Epik um 1200 ausdrücklich auf das literarisch Imaginäre. 113 Das mag auch mit dem gewählten Untersuchungsansatz zusammenhängen, der sich dezidiert auf fiktionale Texte richtet und aus ihnen Problemkonstellationen ableitet, einen Abgleich mit der Verarbeitung dieser Problemkonstellationen in anderen Textsorten aber nicht vornimmt. 114 Rechtstexte keinen objektiveren Charakter hätten als literarische Texte. Heinzle (1994, S. 267) will in seinen Untersuchungen zum gerechten Richter exemplarisch zeigen, dass Literatur als ein „ Faktor “ zu betrachten ist, der historische Abläufe mit bestimmt. 107 Vgl. Köppe / Winko 2013, S. 246 f. Vgl. auch Kiening (2007a, S. 79) zum Begriff des ,kulturellen Textes‘: „Texte, Kontexte und Diskurse erscheinen beinahe ununterscheidbar vernetzt. Der literarische Text partizipiert am pragmatischen, der pragmatische besitzt rhetorische Strategien, die Kultur im ganzen ist ein fluktuierendes Gewebe von in Austausch befindlichen Zeichen.“ 108 Vgl. Kiening (2007a, S. 79), der vom ,Geschichtsganzen‘ spricht. Zur Aktualität des Text-Kontext-Problems vgl. auch Müller 2007b, S. 8; Köppe / Winko 2013, S. 249; in polemischer Zuspitzung Peters 2013. 109 Vgl. z. B. Müller 2000, S. 480 f. 110 Sie verstehen allerdings darunter jeweils etwas anderes: Müller (2007b, S. 6) fasst Kulturmuster als historisch spezifische ,kulturelle Vorgaben‘ auf, mit denen sich literarische Texte auseinanderzusetzen hätten, Kiening (2007a, S. 81) will Kulturmuster dagegen als „allgemein verfügbare Größen“ von historisch gebundenen ,kulturellen Konfigurationen‘ absetzen. 111 Müller 2007b, S. 6. Den Problembegriff erörtert Müller an dieser Stelle nicht weiter; aus dem Kontext ergibt sich aber, dass Müller nicht an überzeitliche Probleme denkt (zur Diskussion in der problemgeschichtlichen Forschung vgl. Spoerhase 2010, S. 114-121). 112 Vgl. Müller 2007b, S. 6; 18. 113 Vgl. Müller 2007b, S. 9-17 (Zitat S. 17); 479. 114 Vgl. dazu Hasebrink (2010, S. 146), der in seiner Rezension Müllers Studie Höfische Kompromisse (2007b) insgesamt zu Recht als „Meilenstein der Mittelalterforschung“ (S. 154) würdigt: „Der Versuch, über rekurrente ,Erzählkerne‘ weit in das historisch Innere einer Kultur vorzustoßen, ist faszinierend. Aber zugleich zeigen sich meines Erachtens hier auch die Grenzen eines Verfahrens, variante Erzählmuster auf zugrundeliegende ,Erzählkerne‘ zurückzuführen und diesen ,Kernen‘ über das Erzählen hinaus 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 27 Versucht man, Müllers methodologische Überlegungen für die Analyse von ,Literatur‘ und ,Recht‘ fruchtbar zu machen, ergeben sich an diesem Punkt Probleme, denn eine Differenzierung zwischen dem literarisch und dem gesellschaftlich Imaginären scheint für den gesellschaftlich zentralen Bereich des Rechts besonders schwierig. Kiening verfolgt in seinen Erwägungen, deren Ausgangspunkt das Aufgreifen bekannter Stoffe in Erzählungen ist, eine stärker rezeptionsorientierte Herangehensweise: Er setzt narrative Muster als syntagmatische Grundelemente, die den Bezug zu vorhandenen Texten konstituierten, von kulturellen Konfigurationen ab, die auf paradigmatischer Ebene den Anschluss an zeitgenössische Diskurse ermöglichten und „[b]ezogen auf die Dreiheit von Motiv, Stoff und Thema […] am ehesten auf der Ebene der Themen zu verorten“ wären. 115 Mit dem Bezug auf Diskurse ist ein grundsätzlich anderer Theorierahmen gesetzt als bei Müller: Auch Kiening warnt zwar davor, ,kulturelle Konfigurationen‘ direkt auf historische Tatsachen zu beziehen, 116 aber über die Diskurse ist die Untersuchungsperspektive zu nicht-literarischen Texten geöffnet und auch - so von Kiening nicht ausbuchstabiert - zu nicht-diskursiven Praktiken, auf die Diskurse rekurrieren. Kiening selbst betont, dass die „kulturelle Konfiguration […] nicht einfach vom narrativen Muster ablösbar“ sei: „Sie ist nicht ein allgemein verfügbares Thema, das einmal literarisch, ein ander Mal historisch, philosophisch oder theologisch abgehandelt würde.“ 117 Kienings Modell, das für die von ihm vorgenommene Analyse ,typologisch verwandter Texte‘ 118 außerordentlich leistungsfähig ist, lässt sich also nicht bruchlos auf die Analyse von ,Literatur‘ und ,Recht‘ übertragen, da in diesem Bereich allgemeine Problemkonstellationen existieren (z. B. die Spannung zwischen allgemeinem Recht und der Billigkeit im Einzelfall), die tatsächlich außerliterarisch wie literarisch diskutiert werden könnten. Insofern wäre für den Bereich ,Literatur und Recht‘ ein Analysemodell nötig, das literarische Texte doch im Hinblick auf übergreifende, aber nicht notwendig überzeitliche kulturelle Muster erfassbar machte. Anschlussfähig ist jedoch Kienings Forderung, bei der Textanalyse zwischen verschiedenen Bezugshorizonten zu differenzieren, die im literarischen Werk spannungsvoll interagieren können: dem Bezug auf andere Erzähltexte, der zugleich eine diachrone Dimension hat, und dem Bezug auf zeitgenössische Diskurse. 119 Aufgerufen ist damit letztlich die Frage nach der Referenz, die ihrerseits komplex ist. Guido Naschert (2003) unterscheidet in seinem Handbuchartikel im Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft drei Referenztypen: Referenzen des Textes auf die nichtsprachliche ,Welt‘, Referenzen des Textes auf andere Texte, Referenzen des auszulegenden Textes auf sich selbst. 120 Diese Systematik bedürfte einer eigenen Diskussion, vor allem weil fraglich ist, ob sich die nicht-sprachliche sauber eine gewisse kulturelle Signifikanz zuzusprechen. […] die Frage, wie interpretatorisch erschlossene ,Erzählkerne‘ zugleich für allgemeine kulturelle Phänomene paradigmatisch sein können, lässt sich meines Erachtens mit Rückgriff auf fiktionale Literatur allein nicht lösen.“ 115 Kiening 2007a, S. 80 f. 116 „Die narrativen Muster sind zunächst einmal formale Anordnungen, die verschiedene Sinnpotentiale transportieren - wobei diese Sinngehalte als kulturelle Konfigurationen zu bezeichnen nicht heißt, von mehr oder weniger universalen, Mentalitäten und Diskurse prägenden historischen Tatsachen auszugehen.“ (Kiening 2007a, S. 81). Kiening (ebd.) sieht in kulturellen Konfigurationen aber gleichzeitig „eben jenes Potential, mit dem Texte, Bilder und Objekte einen ihre Eigenweltlichkeit überwölbenden Geltungsanspruch erheben.“ 117 Kiening 2007a, S. 97. 118 Vgl. Kiening 2007a, S. 96. 119 Vgl. Kiening 2007a, S. 79 f.; 96 f. 120 Vgl. Naschert 2003, S. 239. 28 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik von der sprachlichen Welt trennen lässt. 121 Für den Bereich des Rechts kann man aber auf jeden Fall festhalten, dass bei Rechtsmotiven oder der Verhandlung von Rechtsthemen in der Literatur erst einmal zu klären ist, inwiefern als Bezugshorizont Praktiken, Diskurse oder andere literarische Texte anzunehmen sind. Diese Frage stellt sich nicht erst aus der Perspektive der heutigen Literaturwissenschaft; vielmehr dürfte die Art der referentiellen Verankerung auch für die historische Rezeption literarischer Texte bestimmend gewesen sein. Wenn im Folgenden dieser Aspekt weiterverfolgt wird, dann ist das e i n Weg, sich Rechtsmotiven und -themen als einem Teilbereich von ,Law in Literature‘ methodologisch reflektiert anzunähern. Aufgelöst sind die aufgezeigten Aporien damit nicht. Im Bereich der mediävistischen Forschung zum Verhältnis von ,Recht‘ und ,Literatur‘ ist die Frage nach Bezugshorizonten nicht systematisch erörtert worden, klingt aber in verschiedenen Arbeiten an. So hat Rüdiger Schnell (2011) den Bezug von Rechtsmotiven in höfischer Literatur zur Rechtspraxis ausgelotet und hat die These aufgestellt, dass Diskrepanzen, aber auch Korrespondenzen als Fiktionssignal fungiert haben könnten: So sei der erzählerische Spielraum bei der Darstellung gottesgerichtlicher Zweikämpfe gewachsen, als deren Praxis zurückging; er sei als Fiktionalisierung zu deuten, nicht als Stellungnahme zur Rechtspraxis; der ,Realitätsbezug‘ sei verloren gegangen. 122 Ebenfalls als Fiktionalitätsmerkmal sei die Verrechtlichung von Liebe in literarischen Texten zu verstehen, denn dadurch, „dass das Recht (Rechtsverfahren, Strafbestimmungen, Tatbestände u. a.) ausgerechnet auf eine rechtsfremde und rechtsferne Materie angewendet wurde, erschien das Produkt dieser Transformation umso fiktiver“. 123 Schnells Untersuchung lässt erkennen, wie eine kontextorientierte Untersuchung von ,Law in Literature‘ auch poetologisch ausgewertet werden kann. Seinem Erkenntnisinteresse (der Transformation von Rechtsfiktionen in der Literatur) 124 gemäß ist Schnell an den in den literarischen Texten in ihrer Gesamtheit entfalteten Konzepten interessiert und thematisiert die zu vermutenden Rezeptionsprozesse im Einzelnen nur am Rande. 125 Eine Deutung der Verrechtlichung als Fiktionalitätssignal durch einen historischen Rezipienten setzt jedoch voraus, dass von ihm zunächst die Rechtspraxis (oder Wissen darüber aus anderen Texten) aufgerufen wird. Das kontextuelle Wissen ist schon allein deshalb unabdingbar, da rechtliche Verfahrensweisen in Erzähltexten selten vollständig repräsentiert sind, wie Ruth Schmidt-Wiegand (1986) für die Darstellung gottesgerichtlicher Zweikämpfe ausgeführt hat. 126 Am Beispiel des Rolandsliedes legt sie weiterhin das Problem der Koexistenz zeitgenössischer und archaischer Rechtselemente dar. 127 Auch wenn eine solche Verbindung nicht ungewöhnlich, sondern bei heldenepischen Texten mit älterer mündlicher Tradition verbreitet sei, müsse geklärt werden, wie die Rezipienten damit umgegangen seien: 121 Niefanger (2013, S. 45-54) erweitert die Zahl der Referenztypen erheblich, ohne allerdings deren Art und Hierarchisierung genau zu bestimmen. 122 Vgl. Schnell 2011, S. 21-27. Zu der chronologischen Diskrepanz zwischen Rechtspraxis und literarischer Darstellung vgl. auch dens. 1993. 123 Vgl. Schnell 2011, S. 28-41 (Zitat S. 41). 124 ,Rechtsfiktion‘ ist im Sinne von ,Alltagsfiktion‘ gebraucht (vgl. Schnell 2011, S. 18-21). 125 Vgl. Schnell 2011, S. 21 mit Anm. 9. 126 Vgl. Schmidt-Wiegand 1986, S. 4 f. (dort auch zum Zusammenhang von Prozessform und Handlungsstruktur). 127 Vgl. dazu auch Schmidt-Wiegand 1990a. Die Rechtsmotivik im Rolandslied ist seit den Veröffentlichungen Schmidt-Wiegands weiter diskutiert worden (vgl. z. B. Hoffmann 2001; Manuwald 2018a, jeweils mit weiterer Literatur). 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 29 Denn das Publikum, der Hörer oder Leser, mußte diese Verbindung akzeptieren können, sollte das Rechtliche seine funktionale Bedeutung behalten, die nicht allein darin bestand, den Handlungsverlauf zu strukturieren, sondern die sich auch auf die Personen und ihr Handeln erstreckte, indem auf diese Weise Motivationen geschaffen wurden, die dem Hörer oder Leser verständlich waren. 128 Schmidt-Wiegand erklärt die zu vermutende Akzeptanz durch das Publikum - unter Verweis auf Arbeiten Adalbert Erlers (1954; 1969) - damit, dass es wegen der Diskrepanz zwischen ,Zeitstil‘ und ,Rechtsstil‘ auf Unstimmigkeiten vorbereitet gewesen sei. Aber diese Hypothese kann nicht ganz befriedigen, denn Erlers allgemein gehaltene Überlegungen betreffen eventuelle Phasenverschiebungen in den Ausdrucksformen im rechtlichen Bereich gegenüber der allgemeinen Stilentwicklung, nicht das Nebeneinander verschiedener ,Zeitstufen‘ im Recht selbst. 129 Es wäre deshalb vielmehr zu fragen, ob man nicht grundsätzlichere Mechanismen bei der Rezeption von Erzähltexten anzunehmen hat, deren Sinn sich einerseits durch Bezüge auf die Kultur der Entstehungszeit konstituiert, die andererseits aber die Welt nicht einfach widerspiegeln, sondern zum Beispiel auch gattungstypischen Erzähllogiken folgen. 130 Solche Rezeptionsvorgänge sind nicht auf Phänomene von ,Law in Literature‘ beschränkt, bedürfen aber gerade für diesen Bereich einer genaueren Betrachtung, weil das Recht im menschlichen Zusammenleben eine so zentrale Rolle spielt, dass ein Bezug zur ,realen Welt‘ immer zu prüfen ist. Erst wenn die Sinnkonstitution in den Texten auch anhand ihrer Bezüge zur außertextuellen Wirklichkeit in den Blick genommen ist, lässt sich aufdecken, wie narrative und juristische Muster interagieren und wie sich Texte zu Rechtsfragen in einer Kultur positionieren. 1.3.2 Realitätsreferenz aus der Sicht rezeptionsorientierter Forschung Dass manche Sinndimensionen von Texten erst auf der Grundlage bestimmten kulturellen Wissens erschlossen werden können, zeigt sich besonders deutlich, wenn sie in einer zeitlich oder räumlich entfernten Kultur rezipiert werden. 131 Ausgehend von der Übersetzungsproblematik hat Jean Fourquet (1973) für die kulturelle Verankerung von Texten die griffige Metapher des ,Hinterlandes‘ geprägt: Die Menge der außertextlichen Elemente, deren Kenntnis - ob erfahrungsmäßig, ob buchmäßig - zum Verständnis eines Textes beiträgt, nennen wir kurz das H i n t e r l a n d des Texts. Zum Begriff “Hinterland” gehört eben eine unbestimmte Ausdehnung vom betreffenden Territorium aus. 132 128 Vgl. Schmidt-Wiegand 1986, S. 7 f. (Zitat S. 8). 129 Für das Mittelalter nahm er überdies eine Kongruenz von ,Zeitstil‘ und ,Rechtsstil‘ an (vgl. Erler 1969, S. 164). 130 Vgl. dazu (ausgehend vom Nibelungenlied ) Müller 2005 (2001). Die Erzählmuster können ihrerseits wieder kulturspezifisch sein (vgl. grundlegend Müller 2007b, S. 6-41; vgl. auch Kiening 2009, S. 11-36). 131 Wenn hier implizit die These aufgestellt wird, dass eine Annäherung an bestimmte Facetten von Texten mithilfe kulturellen Wissens möglich sei, soll das nicht im Umkehrschluss bedeuten, dass Fremdheitserfahrungen bei der Lektüre von Texten völlig aufgelöst werden könnten oder dass das angestrebt sein sollte (vgl. dazu grundsätzlich Hasebrink 2012). Der Alteritätsbegriff ließe sich für die genannten Phänomene nur insofern fruchtbar machen, als er auch zur Bezeichnung von Fremdem Verwendung findet, „das vom eigenen sozio-kulturellen bzw. historischen Standpunkt weit entfernt scheint.“ (Baisch 2013, S. 187). 132 Fourquet 1973, S. 114. Fourquet differenziert zwischen dem ,Hinterland‘ und dessen Kenntnis, er verknüpft also das ,Hinterland‘ mit dem Text selbst und nicht allein mit den Kommunikationspartnern 30 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik Inwiefern Texte auf das - prinzipiell unbegrenzte - ,Hinterland‘ so direkt referieren, dass der Rezipient auf die Aktivierung entsprechender Kenntnisse angewiesen ist, und welche Prozesse der Sinnkonstitution zu erschließen sind, wird seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts unter verschiedenen Vorzeichen (Textlinguistik, 133 Wirkungsästhetik, 134 Narratologie, 135 Fiktionalitätstheorie 136 ) verstärkt diskutiert. Alle diese Ansätze zeichnet eine übereinstimmende Herangehensweise aus: die Untersuchung des Weltbezugs von Texten unter kommunikativer Perspektive. 137 Für diesen Weltbezug von Texten hat Jan- Dirk Müller (2004) tentativ den „altmodischen Begriff der ,Welthaltigkeit‘ “ reaktiviert, mit dem er neben dem ,Faktischen‘ „gedachte Ordnungen wirklicher Welten“ umfasst wissen wollte. 138 Um den auch von Müller hervorgehobenen Referenzcharakter dieser ,Welthaltigkeit‘ zu betonen und eine Brücke zur pragmatisch ausgerichteten Fiktionalitätstheorie zu schlagen, 139 wird im Folgenden der Terminus ,Realitätsreferenz‘ verwendet, trotz der Risiken, die damit wegen der potenziell philosophischen Bedeutungsdimensionen von ,Realität‘ verbunden sind. 140 Im Hinblick auf die kommunikative Funktion von Texten kann die Frage nach dem ontologischen Status von ,Realität‘ (auch in ihrer historischen Dimension) 141 (vgl. dazu Scherner 1984, S. 175 f., der 2000, S. 192, Fourquets Thesen allerdings anders referiert). Das ,Hinterland‘ eines Textes ist deshalb von den Assoziationen eines Rezipienten zu unterscheiden, eher bestehen Ähnlichkeiten zum Kontextbegriff. 133 Innerhalb der Textlinguistik sind insbesondere die kognitiven Ansätze zu nennen (vgl. dazu einen Überblick bei Scherner 2000; zur Einordnung des bei den kognitiven Ansätzen zugrunde gelegten Textbegriffs vgl. auch Scherner 1996). 134 Stellvertretend für die Konstanzer Schule sei hier auf Isers (1994 [1984], bes. S. 114-143) Überlegungen zum ,Repertoire‘ verwiesen, die im Folgenden herangezogen werden, ohne dass damit Isers Modell der Wirkungsästhetik insgesamt übernommen wird (zu Kritik an Isers Modell vgl. zusammenfassend Vollhardt 2003, S. 194 f.; 198-204). 135 Gemeint ist die kognitiv ausgerichtete Narratologie (vgl. dazu Zerweck 2002; Jahn 2005; Herman 2011 / 2013). 136 Hier sind pragmatische Fiktionalitätstheorien (z. B. Stierle 1975) und Überlegungen zur Sinnkonstitution bei fiktionalen Texten (z. B. Blume 2004) zu nennen. S. dazu auch u. S. 35. 137 Das ist bei wissensorientierten Ansätzen in der Literaturwissenschaft nur ein Teilaspekt, den Köppe (2011, S. 2-5) in die Kategorie „›Literatur‹ und ›Wissen‹ im Modell der literarischen Kommunikation“ (S. 2) einordnet (vgl. auch das entsprechende Kapitel in Klausnitzer 2008, S. 165-209). Auch Danneberg / Spoerhase (2011, S. 33) betonen: „Das Wissen-im-Text -Problem (bzw. Wissen-in-Literatur - Problem) in seinen unterschiedlichen Dimensionen […] ist abzugrenzen vom Problem, welches Wissen für die Konstruktion […] und Interpretation […] von Texten (bzw. literarischen Texten) relevant ist.“ Insgesamt scheinen die Arbeiten in diesem Bereich mehr an der Konstituierung und Funktion von Wissen als an den Rezeptionsprozessen interessiert zu sein (so auch Gebert 2013, S. 22). 138 Vgl. Müller 2004, S. 297-299. 139 In deren Kontext ist z. B. vom ,Realitätsprinzip‘ die Rede (s. u. S. 35). 140 Auch der Weltbegriff mit seinen Ausdifferenzierungen (vgl. dazu Rentsch 2004) birgt allerdings entsprechende Abgrenzungsprobleme. 141 Zur philosophischen Diskussion um die ,objektive Realität‘ vgl. zusammenfassend Kible / Trappe 1992. Für die Beweisbarkeit der Existenz einer ,Außenwelt‘ vgl. den Überblick von Grünepütt 1992. In dem Versuch, Epochen bestimmte Wirklichkeitsbegriffe zuzuordnen, spricht Blumenberg (1969, S. 11 f.) für das Mittelalter von einer „ garantierte [n] Realität “, in der „Gott als der verantwortliche Bürge für die Zuverlässigkeit der menschlichen Erkenntnis“ fungiere (wobei die Welterkenntnis insgesamt gemeint ist). In Blumenbergs großräumigem Überblick bleiben die Charakterisierungen der Epochen notwendig pauschal, und es wäre zu prüfen, ob das von Blumenberg angenommene allgemeine Lebensgefühl tatsächlich für alle Teilbereiche des menschlichen Lebens relevant ist. Tatsächlich dürfte nicht die Existenz der Außenwelt geleugnet worden sein. Zumindest die Unzuverlässigkeit der menschlichen Wahrnehmung wurde partiell jedoch thematisiert, und zwar in so unterschiedlichen Textsorten wie Zeugentraktaten (s. dazu u. S. 235-238) und Traktaten über die Unterscheidung der Geister, z. B. der 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 31 jedoch ausgeklammert werden. 142 Grundlegend ist vielmehr die Produzent und Rezipienten gemeinsame Erfahrungswirklichkeit, zu der die Wahrnehmung der materiellen Welt, aber auch darüber gebildete Annahmen und die durch die Rezeption anderer Texte gewonnenen Erkenntnisse gehören. 143 So verstanden schließt ,Realitätsreferenz‘ auch den Bezug auf mentale Modelle und Vorstellungsbilder ein. 144 Eine Differenzierung zwischen ,Realität‘ und ,Wirklichkeit‘ 145 ist bei einem solchen Sprachgebrauch ebenso wenig gegeben wie die Berücksichtigung historisch variierender Realitätsauffassungen und Wirklichkeitskonzeptionen. 146 Zwar ist auch das Konzept einer gemeinsamen Erfahrungswirklichkeit als Rezeptionsgrundlage mit Problemen behaftet, weil einerseits die intersubjektiven Schnittmengen nicht genau zu bestimmen sind 147 und andererseits die Gefahr besteht, dass die Möglichkeit subjektiv unterschiedlicher sinnstiftender Lektüren nicht genügend gewichtet wird. 148 Doch lässt sich mithilfe des Konzepts der Erfahrungswirklichkeit der Weltbezug von Texten ,Probate spiritus‘-Kompilation (vgl. dazu demnächst die im Entstehen befindliche Ausgabe von Lydia Wegener). 142 Vgl. dazu Blume (2004, S. 220), der unter Verweis auf die kognitive Semantik konstatiert, „daß nicht das Verhältnis zur außermentalen Realität, sondern das zum mentalen Realitäts bild der entscheidende Faktor für die Bedeutung sprachlicher Identitäten ist.“ 143 Hoops (1979, S. 301 f.) bestimmt die „Erfahrungswirklichkeit eines bestimmten textproduzierenden oder -rezipierenden Individuums“ als „kommunikativ relevante Bezugsebene“, wenn es um den „Wirklichkeitsgehalt“ fiktionaler Texte geht. „Eine derartige Erfahrungswirklichkeit besteht nicht nur aus mehr oder weniger stark präzisierten und geordneten Vorstellungen darüber, ,was es gibt und gab‘ und welche Aussagen über das für existent Gehaltene zutreffend sind. Eine Erfahrungswirklichkeit umfaßt vielmehr auch unterschiedlichste Interessen, Wert- und Zielvorstellungen, Hinsichten, Erfahrungssätze, Verhaltens- und Reaktionsmuster usw.“ Unter Verweis auf den Begriff der ,Lebenswelt‘ bei Alfred Schütz konstatiert Hoops, dass die Erfahrungswirklichkeit „gegenüber dem Bereich des Nichtwirklichen keine distinktive Grenze, sondern eine Art ,Grauzone‘ fließender Übergänge aufweist“. 144 Vgl. Wolf 2013 (zur Referenz allgemein). Niefanger (2014, S. 37) unterscheidet allgemeine Referenz („auf Gegenstände, Wahrnehmungen, Handlungen, Kulturformationen, mentale Repräsentationen [sogenannte Frames] oder Konzepte“) von Realitätsreferenzen (nicht umsonst im Plural): „Realitätsreferenzen als zentrale Untergruppe beziehen sich auf Objekte (Räume, Orte, Geschehnisse, Personen, Dinge usw.) außerhalb des literarischen Textes, von denen innerhalb des geltenden Kulturdiskurses angenommen wird, dass sie real existieren.“ Wie Niefanger selbst darlegt (ebd., S. 38-40), evoziert aber auch die Bezeichnung von Objekten - jedenfalls nach der Frame-Theorie der kognitiven Linguistik - „einen komplexen kognitiven Vorgang“ (S. 39), referiert also auf mentale Repräsentationen. Deshalb wird die Unterscheidung Niefangers hier nicht übernommen. 145 Vgl. dazu Holz 2003, S. 200 f. Zur synonymen Verwendung von ,Realität‘ und Wirklichkeit‘ im allgemeinen Sprachgebrauch vgl. Trappe 2004, Sp. 830. Im Unterschied zu diesem Sprachgebrauch ist im Folgenden jedoch nicht „die Totalität dessen, was ‘wirklich ist’ “ (ebd.) gemeint, sondern das, was als gegeben wahrgenommen wird. Deshalb ist von ,Erfahrungswirklichkeit‘ die Rede. 146 Vgl. dazu Hasebrink (2009, S. 209 f.), der ausgehend von der Historischen Semantik von ,Wirklichkeit‘ dafür plädiert, für das Mittelalter zwischen der „Faktizität des Gegebenen“ und der Manifestation eines Wirkens zu unterscheiden. 147 Dementsprechend wird für die Rekonstruktion der Wissensbestände, die für das Verständnis eines Textes vom Interpreten für hilfreich gehalten werden, gerne mit dem Modell des ,idealen Lesers‘ (bzw. Rezipienten) gearbeitet (vgl. dazu Vollhardt 2003, S. 199; 204; Köppe 2011, S. 4 f.). 148 Zu einer entsprechenden Kritik an kognitiven Ansätzen in der Textlinguistik vgl. Scherner 2000. An der Rezeptionsästhetik, wie sie durch Hans Robert Jauß vertreten wurde, ist wiederum kritisiert worden, dass sie keine „Kriterien zur Unterscheidung adäquater von weniger adäquaten Rezeptionen“ zur Verfügung stelle (vgl. Vollhardt 2003, S. 193; zur Gefahr der Willkürlichkeit von Interpretationen vgl. auch Brenner 1998, S. 114). 32 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik auch nach der „Relativierung von Realität“ 149 analysieren. 150 Darío Villanueva (1997 [1992]) hat auf der Grundlage rezeptionsästhetischer Überlegungen sogar ein Konzept eines ,pragmatischen Realismus‘ entwickelt, nach dem Texte den Leser zu einer realistischen Lektüre anleiten. Während Villanueva die Notwendigkeit von ,Stimuli‘ in den Texten als Voraussetzung für eine solche Lektüre betont, 151 definiert Monika Fludernik (1996) ,Realismus‘ primär als Interpretationsstrategie, bei der aus der eigenen Erfahrungswirklichkeit gewonnene Maßstäbe an die in Texten entworfenen Welten angelegt würden. 152 Dass die eigene Lebenserfahrung beim Verstehensprozess automatisch aktiviert wird, ist gerade auch bei der Interpretation kulturell fremder oder fremd gewordener Texte durch moderne Interpreten zu berücksichtigen. 153 Jedoch kann die Annahme einer solchen allgemeinen Rezeptionsvoraussetzung nicht ausreichen, um die kommunikative Funktion von Realitätsreferenz im Text zu bestimmen, sondern die Voraussetzung dafür ist tatsächlich die Fassbarkeit bestimmter Textsignale. Auch David Herman (2002) nimmt an, dass Erzähltexte selbst Indizien für die Relevanz zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit enthalten, und bezeichnet das als kontextuelle Verankerung („contextual anchoring“): Just as narratives cue interpreters to build temporal and spatial relationships between items and events in the storyworld, and just as they constrain readers, viewers, and listeners to take up perspectives on the items and events at issue, stories trigger recipients to establish a more or less direct or oblique relationship between the stories they are interpreting and the contexts in which they are interpreting them. Or rather, the format of a story can sometimes prompt interpreters to reassess the relation between the two types of mental models involved in narrative understanding. On the one hand, interpreters build models as part of the process of representing the space-timeprofile, participant roles, and overall configuration of storyworlds. On the other hand, interpreters rely on analogous, modelbased representations of the world(s) in which they are trying to make sense of a given narrative. Contextual anchoring is my name for the process whereby a narrative, 149 Ritzer 2003, S. 219 (im Zusammenhang damit, dass ,Realismus‘ als poetologische Kategorie fragwürdig geworden sei). 150 Die außersprachliche Referenz von Texten ist auch in der Nachfolge poststrukturalistischer Sprachtheorien zweifelhaft geworden. Zipfel (2001, S. 50-56) argumentiert aber zu Recht damit, dass dieses Problem zu vernachlässigen sei, wenn man Sprache als Mittel sprachlicher Handlung betrachte, denn dann erhebe sie Anspruch auf den Bezug auf Außersprachliches. 151 Vgl. Villanueva 1997, S. 146. Villanueva spricht von „reality effects“ (vgl. auch ebd., S. 134-136), meint aber anders als Roland Barthes (1968), auf den er sich jedoch u. a. bezieht (ebd., S. 125), den Effekt, dass Rezipienten ihre eigene Realität aufgrund bestimmter Textsignale wiedererkennen (vgl. ebd.). Niefanger (2014, S. 43) differenziert dagegen zwischen dem effet de reél Roland Barthes’ und weiter gefassten Realitätsreferenzen. 152 „Realism, in the reading that is given in this study […] - although related to the construct of reality - has therefore exclusively constructivist and no imitational meanings. It is an interpretational strategy of mimeticism in accordance with which textual encounters are reinterpreted as relating to a fictive reality that shares a number of qualities with the ‘real’ world. Such representational equivalences may be equivalences of a symbolic and nominal / referential rather than of an iconic kind. That is to say, in the process of narrativization texts are made to conform to real-life parameters.“ (Fludernik 1996, S. 316; vgl. auch ebd., S. 35-38). Im Folgenden (S. 316) diskutiert sie jedoch ebenfalls, welche Textsignale eine entsprechende Lektüre begünstigen. Sowohl Villanueva (1997 [1992], S. 4 und passim ) als auch Fludernik (1996, S. 45) setzen sich mit Ricœurs Konzept der „reconfiguration“ auseinander. Zur Einordnung des konstruktivistischen Realismus-Konzepts Fluderniks vgl. Herman 2013, S. 640. 153 Vgl. dazu Zerweck 2002, S. 238; zum automatischen Rekurs auf die eigene Welterfahrung bei der Textrezeption vgl. auch Stierle 1975, S. 378; Villanueva 1997 (1992), S. 77-79. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 33 in a more or less explicit and reflexive way, asks interpreters to search for analogies between the representations contained within these two classes of mental models! 154 Bevor die von Herman angesprochenen Interaktionen zwischen den von ihm als ,mental models‘ bezeichneten Ebenen genauer betrachtet werden, sollen diese zunächst näher charakterisiert werden. Zurückgegriffen sei dabei auf das anscheinend wenig rezipierte Modell Benjamin Harshaws (1984), 155 weil es in seiner Abstraktheit eine große Anwendungsbreite hat. 156 Nach Harshaw lassen sich interne und externe Bezugsfelder (,internal‘ und ,external fields of reference‘) unterscheiden. 157 Literarische Texte konstruierten interne Bezugsfelder, auf die sie zugleich referierten. 158 Letztlich ist damit so etwas wie eine Textwelt gemeint, doch wählt Harshaw die Bezeichnung ,Bezugsfeld‘, um mit den Konzepten der ,fiktiven‘ oder ,möglichen Welten‘ verbundene Vorannahmen zu vermeiden und auch die sprachliche Verfasstheit des Textes mit einbeziehen zu können: 159 An IFR [sc. Internal Field of Reference] is a multidimensional semiotic object rather than a linear message. In other words, it does not present one linear unfolding of language or narrative or one logical argument, but a bundle of heterogeneous patterns: events, characters, settings, ideas, time and space, social and political situations, etc., interacting with each other as well as with other, non-semantic text-patterns (of style, parallelism, segmentation, sound-patterns, etc.). 160 Typisch für solche internen Bezugsfelder ist es nach Harshaw, dass sie für jeden Text einzigartig sind. 161 Externe Bezugsfelder definiert Harshaw folgendermaßen: External Fields of Reference (Ex FR ) are any FR s [sc. Fields of Reference] outside of a given text: the real world in time and space, history, a philosophy, ideologies, views of human nature, other texts. 162 154 Herman 2002, S. 331. 155 Es ist zustimmend von Villanueva (1997 [1992], S. 76 f.) und Ahlers (1993, S. 34-38) aufgenommen worden. Ahlers (ebd.) diskutiert Gemeinsamkeiten und Unterschiede zum Konzept des ,Bezugsfelds‘ bei Anderegg und Iser. 156 Harshaw (1984) geht es zwar auch darum, Spezifika fiktionaler Texte herauszuarbeiten (für ihn ein Definitionsmerkmal von ,Literatur‘), aber er selbst (S. 238 f.) nutzt sein Beschreibungsmodell auch für faktuale Texte, um Grenzfälle zu markieren, es ist also nicht von vornherein auf fiktionale Texte eingeschränkt. 157 Unter ,Field of Reference‘ versteht Harshaw (1984, S. 30 f.) eine zusammengehörige Gruppe von ,frames of reference‘ („any semantic continuum of two or more referents that we may speak about“). Die Definition hat etwas Beliebiges (Harshaw nennt als Beispiele für ,Fields of Reference‘ „the USA, the Napoleonic Wars, Philosophy, the “world” of Tolstoy’s War and Peace , the world today“), was auch Harshaw selbst eingesteht, wenn er sagt, dass die ‚Fields‘ vom Interpreten erst ,isoliert‘ werden. Ein derartig flexibler Ansatz bietet jedoch den Vorteil, dass für jeden Einzeltext semantische Analysekategorien entwickelt werden können. 158 Vgl. Harshaw 1984, S. 232. 159 Vgl. Harshaw 1984, S. 243. Zum Konzept der ,Possible Worlds‘ vgl. Ryan 2012 / 2013 mit weiterer Literatur. 160 Harshaw 1984, S. 236. 161 Harshaw (1984, S. 242) will deshalb z. B. Mythen davon unterschieden wissen, weil sie sich auf ein relativ festes Referenzfeld außerhalb des Textes bezögen. 162 Harshaw 1984, S. 243. Wie die Erläuterungen deutlich machen, ist das Element der Beobachtung nicht Teil von Harshaws Entwurf; insofern ist die Systematik deutlich von der Luhmann’schen Differenzierung zwischen Selbst- und Fremdreferenz unterschieden. Harshaws ,externe Bezugsfelder‘ ähneln dem, was Iser (1994 [1984], S. 115) textbezogen ,Repertoire‘ nennt, da „das selektierte Material, durch 34 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik Die Zweipoligkeit dieses Modells, das Gegenstände, Praktiken, Vorstellungen oder Texte unterschiedslos als externe Bezugsfelder nebeneinanderstellt, mag befremdlich erscheinen, vor allem angesichts von Versuchen in Referenztheorien und der Text-Kontext-Forschung, mehrere Ebenen zu differenzieren. 163 In der Tat bietet Harshaws Modell keinerlei Anhaltspunkte dafür, wie sich diese externen Bezugsfelder zueinander verhalten. Im Hinblick auf eine rezeptionsorientierte Analyse birgt die Entdifferenzierung jedoch gewisse Chancen, da relevante Bezugspunkte auf den verschiedensten Ebenen liegen können und so nicht von vornherein entschieden werden muss, ob etwa kulturelles Wissen vertextet vorliegt oder aus Praktiken abgeleitet werden kann. Dass im Einzelfall eine Binnendifferenzierung nötig ist, steht außer Frage. Die Ebenen des internen Bezugsfeldes und der externen Bezugsfelder existieren nach Harshaws Modell im Prinzip parallel zueinander und berühren sich nicht, interagieren aber: Die internen Bezugsfelder seien zumindest teilweise nach der ,realen‘ Welt modelliert, selbst wenn sie selektiv seien oder einen Gegenentwurf böten. Sie integrierten also Elemente der ,realen‘ Welt - von Objekten bis hin zu Interaktionsmustern und Vorstellungen -, die auch in den externen Bezugsfeldern referentialisierbar seien. 164 Diese Überlappungen ermöglichten es, dass sich bei der Rezeption semantisches Material aus der einen Ebene an der anderen anlagerte, wobei sowohl mit der Ergänzung des internen Bezugsfeldes aus dem Reservoir der externen Bezugsfelder zu rechnen sei als auch mit Rückprojektionen aus dem internen Bezugsfeld auf externe Bezugsfelder. 165 Die strenge Zweistufigkeit in Harshaws Modell schließt also nicht aus, dass es kulturelle Konstellationen gibt, die beide Ebenen durchdringen. Er impliziert hier für den Rezeptionsvorgang eine Ebene des kulturellen Wissens, die sich mit dem Imaginären einer Kultur in Verbindung bringen ließe. 166 Harshaw deutet an, dass die Überlappungen von internem Bezugsfeld und externen Bezugsfeldern im konzeptuellen Bereich liegen könnten, er erläutert die Interaktion der Bezugsfelder jedoch an ,handfesten‘ Beispielen wie Namen von Orten (Paris) oder historischen Personen (Napoleon), wie sie bis heute in der Fiktionalitätstheorie immer wieder herangezogen werden, um zu demonstrieren, dass ,reale Entitäten‘ in fiktiven Welten 167 ihren Charakter verändern. 168 Zwar fordere im Falle von ,Paris‘ und ,Napoleon‘ allein deren Bekanntheitsgrad den Rezipienten dazu auf, außertextuelles Wissen zu aktivieren, zumal die Darstellung in Texten immer ausschnitthaft sei, doch seien diese Konzepte dann anhand das der Text auf die Systeme seiner Umwelt bezogen ist“, in Isers Modell „solche[n] der sozialen Lebenswelt und solche[n] vorangegangener Literatur“ (ebd., S. 143) entnommen ist. (vgl. auch ebd., S. 136). 163 S. dazu o. S. 26-28. 164 Vgl. Harshaw 1984, S. 236. Nach Harshaw (ebd., S. 244 f.) erfolgt oft zu Beginn literarischer Texte ein „referentional grounding“, indem über scheinbar unwichtige Details ein Referenzrahmen (oft ein akzeptiertes externes Bezugsfeld) angelegt wird, der dann im Textverlauf weiter gefüllt wird. Das ist für Diu urstende und das Bezugsfeld eines ,deutschrechtlichen‘ Verfahrens tatsächlich zu beobachten (s. dazu u. S. 75-78). Zur Prozesshaftigkeit des Aufbaus einer Textwelt bei der Rezeption vgl. auch Iser 1994 (1984), S. 101-114. 165 Vgl. Harshaw 1984, S. 248-251 (mit einer schematischen Darstellung des „‘Double Decker’ Model of Reference in Literary Texts“ auf S. 250). Zum ,Realitätsbezug‘ der internen Bezugsfelder vgl. auch ebd., S. 236. 166 S. dazu o. S. 25-27. 167 Vgl. dazu Zipfel 2001, S. 90-92. 168 Vgl. Harshaw 1984, S. 245-248; Zipfel 2001, S. 90-102; Chinca 2003, S. 316 f. Zum Napoleon-Problem vgl. auch Bunia 2007, S. 150-162. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 35 der Informationen im Text gegebenenfalls zu modifizieren. Harshaw setzt dabei voraus, dass bei eventuellen Divergenzen zwischen internem Bezugsfeld und externen Bezugsfeldern das interne Bezugsfeld als maßgeblich angenommen wird. 169 Wolfgang Iser (zuerst 1976) hatte die Transformation ,realweltlicher‘ Elemente in fiktionalen Texten grundsätzlicher beschrieben: Die Art, in der Konventionen, Normen und Traditionen im Repertoire fiktionaler Texte auftauchen, kann sehr verschieden sein. Pauschal wird man sagen können, daß solche Repertoire-Elemente immer im Zustand der Reduktion erscheinen. Selbst Texte, die mit Konventionen vorangegangener Literatur oder mit einer entsprechenden Dichte sozialer und historischer Normen der Lebenswelt überfrachtet sind, lassen sich schon deshalb nicht als bloße Reproduktionen solcher Bestände qualifizieren, weil diese in eine andere Umgebung eingerückt sind. […] So sind die Repertoire- Elemente im Text verschiedenes zugleich. Sie halten den Hintergrund parat, dem sie entnommen worden sind. Gleichzeitig aber setzt die neue Umgebung die Beziehungsfähigkeit der wiederkehrenden Normen bzw. der Konventionsbestände frei, die im alten Kontext durch ihre Funktion gebunden waren. Das Repertoire-Element ist daher weder mit seiner Herkunft noch mit seiner Verwendung ausschließlich identisch, […]. 170 In einer späteren Arbeit hat Iser (1991) noch deutlicher hervorgehoben, dass allein schon die in literarischen Texten vorgenommene Auswahl bestimmter außertextueller Bezugsfelder diese dem Rezipienten ins Bewusstsein rückt, da sie aus den gewohnten Systemen isoliert würden. Die anzitierten Bezugsfelder seien wiederum in den Texten nur unvollständig repräsentiert und regten so zum Abgleich mit dem Abwesenden an. 171 Dass die dargestellte (fiktive) Welt grundsätzlich unvollständig ist, wird auch in Überlegungen zum sogenannten ,Realitätsprinzip‘ betont, wonach die Verknüpfung des internen Bezugsfelds mit externen Bezugsfeldern durch den Rezipienten so beschrieben werden kann, dass dieser annimmt, die dargestellte Welt funktioniere nach den Prinzipien der eigenen Erfahrungswirklichkeit (dass eine Kutsche also von Pferden gezogen werden dürfte, auch wenn sie nicht explizit genannt sind), es sei denn, es gibt textinterne Signale für Abweichungen. 172 Wie beim oben genannten Konzept des ,Hinterlandes‘ stellt sich jedoch das Problem, wo die Grenzen für die Ergänzung der fiktiven Welt nach Maßgabe des Reali- 169 Vgl. Ahlers (1993, S. 37 f.), der unter Rückgriff auf Überlegungen von Anderegg und S. J. Schmidt Harshaw in diesem Punkt ergänzt. Zur Autonomie des internen Bezugsfeldes eines literarischen Textes (auch bei dezidierter Realitätsreferenz) vgl. Harshaw 1984, S. 236. 170 Iser 1994 (1984), S. 115 f. 171 Vgl. Iser 1991, S. 24 f. Kablitz (2013, S. 199) betont (in einem anderen Argumentationszusammenhang), dass fiktionale Texte, indem sie aus einer Fülle von Möglichkeiten eine Auswahl träfen, hermeneutische Anforderungen stellten: „Denn die Frage nach dem Grund der Selektion und Kombination tritt nicht als eine Frage nach der Ursache, sondern als diejenige nach der semantischen Funktion für den Text in Erscheinung.“ 172 Vgl. Walton 1990, S. 144-150; Zipfel 2001, S. 84-88; Bareis 2008, S. 37-40. Vgl. ähnlich Ryan (1980) zum ,Prinzip der minimalen Abweichung‘. Vgl. auch Kablitz 2013, S. 176 f., der die „Bindung der Sprache an die Wirklichkeit“ (S. 177) hervorhebt. Anders als das vor allem von Fludernik vertretene Konzept der ,Naturalisierung‘ (vgl. dazu zusammenfassend Zerweck 2002, S. 226-230) impliziert die Annahme des ,Realitätsprinzips‘ nicht, dass der Text insgesamt an die eigenen Erfahrungen angeglichen wird. - Abzugrenzen ist die Verwendung des Terminus in der Fiktionalitätstheorie vom ,Realitätsprinzip‘ im Freud’schen Sinne (vgl. dazu Marquard 1992). 36 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik tätsprinzips liegen. 173 Die Erklärung, dass eine „Art stillschweigender Relevanzprüfung“ 174 erfolge, die von der Thematik eines Textes geleitet sei, kann wegen ihres intuitiven Charakters nicht ganz befriedigen. Letztlich ist für die Eingrenzung des ,Hinterlandes‘ aber Ähnliches anzunehmen, wobei die im Text partiell aufgerufenen Bezugsfelder Indizien dafür bieten, welche Kontexte sinnvollerweise herangezogen werden sollten. Die Diskussionen über das ,Realitätsprinzip‘ sind nicht zuletzt deshalb von heuristischem Wert, weil in ihnen Textsignale thematisiert worden sind, die anzeigen, dass in der Textwelt mit Abweichungen von der ,realen Welt‘ zu rechnen ist, z. B. sprechende Tiere, die - verbunden mit einer entsprechenden Textstruktur - das Genre der Fabel als externes Bezugsfeld aktivieren. Mit dem ,Prinzip der Genrekonvention‘ 175 sind Konsequenzen für den Rezeptionsvorgang benannt, die sich daraus ergeben, dass externe Bezugsfelder auch andere Texte sein können. 176 In der kognitiven Erzähltheorie wird dementsprechend angenommen, dass im Rezeptionsvorgang neben ,real world frames‘ auch auf ,literary frames‘ zugegriffen werde. 177 Gemeint sind damit literarische Konventionen, aber auch Stofftraditionen wären hier zu nennen. Die Differenzierung zwischen „Echtwelterfahrungen“ 178 und Leseerfahrungen hat den Preis, dass die Erfahrungswirklichkeit doch wieder in verschiedene Segmente untergliedert werden muss, deren Abgrenzung nicht ganz klar ist (gehören Texte nicht zur ,Echtwelt‘? ), 179 bietet aber ein Erklärungsmodell dafür, wie Rezipienten mit hybriden Textwelten umgehen. Die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit des Rezipienten als Bezugsrahmen wird nach fiktionalitätstheoretischen Modellen auch dann modifiziert, wenn Texte aus vergangenen Epochen rezipiert werden, in denen andere kollektive Annahmen über die Welt galten. In diesen Fällen werde bei der Rezeption das ,Prinzip der allgemeinen Überzeugung‘ wirksam, d. h., der historische Bezugsrahmen werde (soweit bekannt) aktiviert. 180 Je nach Erzählhaltung könnte ein solcher historischer Bezugsrahmen aber auch bei Erzählungen über vergangene Epochen, wie zum Beispiel dem historischen Roman, heranzuziehen sein, die in anderen Aspekten jedoch wieder den Rückgriff auf das Realitätsprinzip erfordern könnten. 181 Entsprechende Mischverhältnisse können sich auch dann ergeben, wenn frühere literarische Normen in späteren Texten präsent sind. 182 Auch wenn alle diese Schematisierungen von externen Bezugsfeldern einen stark modellhaften Charakter haben, 183 173 Köppe (2008, S. 68-70) zeigt sich unter anderem deshalb skeptisch gegenüber dem Erklärungsmodell des Realitätsprinzips für die Rezeption fiktionaler Texte. 174 Zipfel 2001, S. 87. 175 Vgl. dazu Bareis 2010. 176 Vgl. für die Berücksichtigung von Genrekonventionen im Modell des Rezeptionsvorgangs auch bereits Iser 1994 (1984), S. 132-136. 177 Vgl. dazu Zerweck 2002, S. 219-223. Vgl. außerdem eine vergleichbare Unterscheidung bei Iser (1979 [1975], S. 315): „Die selektierten Normen außertextualer Realitäten und die literarischen Anspielungen als zentrale Bestandteile des Textrepertoires sind zwei verschiedenen Systemen entnommen.“ 178 Zerweck 2002, S. 222 mit Anm. 4. 179 Das Problem besteht darin, dass literarische Texte zugleich auf das System ,Literatur‘ bezogen sind, aber auch den ,imaginären‘ Anteil der Wirklichkeit mitgestalten. Zur Differenzierung zwischen ,imaginären‘ und ‚realen‘ Anteilen der Wirklichkeit vgl. Rexroth 2009, S. 17. 180 Zum ,mutual belief principle‘ vgl. Walton 1990, S. 150-161; Zipfel 2001, S. 87 f. 181 Vgl. Bareis 2008, S. 41 f. 182 Vgl. dazu Iser 1994 (1984), S. 134-136. 183 Bareis (2008, S. 41 f.) betont zu Recht, dass die für die Rezeption eines fiktionalen Textes postulierten ,Prinzipien‘ tentative Beschreibungsversuche darstellten. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 37 können sie verdeutlichen, dass die Berücksichtigung von Bezügen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit (im Sinne von ,real world frames‘) für die Sinnerschließung unabdingbar, aber keineswegs ausreichend ist. Versucht man aus den vorgetragenen allgemeinen Überlegungen eine Vorgehensweise für die Interpretation von ,Law in Literature‘ zu entwickeln, so ist dem komplexen Wechselverhältnis von internem Bezugsfeld und externen Bezugsfeldern Rechnung zu tragen. Um zu ermitteln, inwiefern ein literarischer Text auf ,Law‘ - in weitestem Sinne vom praktizierten Rechtsleben bis zu rechtsphilosophischen Fragestellungen - als externes Bezugsfeld verweist, ist zunächst die Analyse des internen Bezugsfeldes des Textes nötig, aus dem auch korrespondierende Größen in externen Bezugsfeldern abgeleitet werden können. Da das interne Bezugsfeld häufig nach dem externen modelliert ist, es aber unvollständig repräsentiert, ist eine Analyse des internen Bezugsfelds jedoch nicht ohne zumindest punktuelles Heranziehen des externen Bezugsfeldes ,Law‘ möglich. Eventuelle Uminterpretationen des externen Bezugsfelds im literarischen Text, die sinnstiftend sein können, sind wiederum erst nach einer ausführlichen Erkundung des externen Bezugsfeldes ,Law‘ zu erkennen. Für ihre Funktionalisierung im neuen Kontext des literarischen Textes sind weiterhin auch andere Bezugsfelder (z. B. Genrekonventionen, Erzähltraditionen) zu berücksichtigen. Im Prinzip ergibt sich eine - für den Bereich des Rechts nicht spezifische - zirkuläre Bewegung des Verstehens, die aber nicht auf ein hypothetisches Sinnganzes eines Textes abzielt. 184 Vor dem Hintergrund des allgemeinen Modells ließe sich der oben für das Rolandslied genannte Befund so interpretieren, dass der Text auf mehrere externe Bezugsfelder verweist: das zeitgenössische Recht auf der einen und Erzähltraditionen auf der anderen Seite, d. h., man wäre gerade nicht darauf angewiesen, entsprechende Unstimmigkeiten in der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit nachzuweisen. Die Frage, wie ein zeitgenössisches Publikum mit dem Textbefund umgegangen sein mag, lässt sich nur hypothetisch beantworten, 185 vor allem da auch Wahrnehmungsformen kulturell spezifisch sind 186 und mit einer historischen Varianz von Kohärenzerwartungen zu rechnen ist. 187 Allein das Nebeneinander verschiedener Gattungen - man denke nur an schwankhafte Mären und den höfischen Roman - deutet aber darauf hin, dass Rezipienten im Mittelalter in der Lage gewesen sein müssen, ,real world frames‘ und ,literary frames‘ in unterschiedlichster Weise aufeinander zu beziehen. Für die literaturwissenschaftliche Arbeit an mittelalterlichen Texten stellt sich das spezielle Problem, dass die genannten Rezeptionsmodelle größtenteils für fiktionale Texte entwickelt worden sind. Zwar hat die Textlinguistik gezeigt, dass bei j e d e m Text Ergänzungsmechanismen im Kopf des Rezipienten anzunehmen sind, 188 doch scheint die Akzeptanz von Textwelten, die von der eigenen Erfahrungswirklichkeit abweichen, primär an das Kriterium der Fiktionalität gebunden zu sein, dessen Übertragbarkeit auf mittelalterliche 184 Zur Kritik an entsprechenden hermeneutischen Ansätzen vgl. jüngst Kablitz 2013, S. 247-252. 185 Gewisse Anhaltspunkte dafür, dass bei den Komponenten des zeitgenössischen Rechts eine Korrespondenz mit der Erfahrungswirklichkeit von Bedeutung war, bietet im Falle des Rolandslieds die spätere Umarbeitung von Rechtsmotiven in Strickers Karl (vgl. dazu Brandt 1981, S. 138-150; Schmidt- Wiegand 1986, S. 7; 1990a, Sp. 20; Manuwald 2018a). 186 Vgl. dazu Waltenberger 2002, S. 162. 187 Vgl. dazu Schulz 2010. 188 Vgl. dazu Scherner 1996, S. 138-150. 38 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik Texte strittig ist. 189 Eine entsprechende Fremdheit der im Text entworfenen Welt kann allerdings auch dadurch entstehen, dass von etwas Vergangenem erzählt wird, sodass man das Fiktionalitätskriterium vielleicht nicht überbewerten sollte. Das Problem kann hier nicht grundsätzlich ausdiskutiert werden; für die Untersuchung ist vielmehr zu zeigen, inwiefern ,real world frames‘ auch bei bibelepischen Texten des Mittelalters relevant sind. 1.3.3 Zur Sonderstellung der Bibelepik ,Bibelepik‘ dient als Sammelbegriff für höchst heterogene Texte. 190 Sie haben aber alle gemeinsam, dass die Bibel - gegebenenfalls zusammen mit auf die Bibel referierenden apokryphen Texten - als externes Bezugsfeld dominant ist. 191 Dieser Bezug auf die Bibel ist nicht primär als ,literary frame‘ anzusehen (wenn eine solche Betrachtungsweise überhaupt angemessen ist), jedoch sind damit neben der Festlegung auf bestimmte Erzählmuster 192 gestalterische Implikationen verbunden, die Susanne Köbele (2017) treffend als ,programmatische ästhetische Einfachheit‘ charakterisiert hat. Sie gehe jedoch nicht selten einher mit „raffinierter Artifizialität“, nicht zuletzt der kunstvollen Verknüpfung unterschiedlichster Sprechregister. 193 Für deutschsprachige bibelepische Texte des Hochmittelalters 194 sind bislang vor allem Anlehnungen an den höfischen Roman diskutiert worden. 195 Schon hinsichtlich der dichterischen Gestaltung bibelepischer Texte ist die Bibel also nicht der einzige Bezugsrahmen, sondern die Texte situieren sich auch in der literarischen Kultur ihrer Entstehungszeit. 189 Vgl. dazu zuletzt u. a. Schneider 2013a; Reuvekamp-Felber 2013; Glauch 2014 (2015); demnächst auch Manuwald 2018b, jeweils mit weiterer Literatur. 190 Sie reichen von spätantiken hexametrischen Bibelgedichten bis hin zur Rezeption des Renaissanceepos im 17. und 18. Jahrhundert (vgl. Kartschoke 1997; Czapla 2005, Sp. 135-138; 2013 [jeweils mit weiterer Literatur]). Die folgenden Überlegungen nehmen zwar grundsätzliche Aspekte zum Ausgangspunkt, beanspruchen aber nur für deutschsprachige Bibelepen des Hochmittelalters Gültigkeit, für die eine Integration apokrypher Stoffe charakteristisch ist (vgl. Kartschoke ebd., S. 220). Die Beispiele sind im Hinblick auf den konkreten Untersuchungsgegenstand bibelepischen Texten entnommen, die sich auf das Neue Testament beziehen. 191 Nach Harshaw (1984, S. 242 f.) ist die Fiktionalität eines Textes ausgeschlossen, wenn das interne Bezugsfeld nicht autonom ist. 192 Da für den Handlungsverlauf Konstanten festgelegt sind (vgl. dazu z. B. Haustein 1994, S. 89; Quast 2009, S. 388; 404), können Erzählmuster nur begrenzt angelagert werden: durch Herausarbeitung bestimmter Züge im vorgegebenen Material oder durch punktuelle Ergänzung apokrypher Episoden. 193 Vgl. Köbele 2017, S. 201 (vgl. auch Köbele 2012, S. 370-373, zur Legende). Zum Spannungsverhältnis zwischen dem sermo humilis der Bibel und dem Einsatz rhetorischer Mittel vgl. auch Kartschoke 1975, S. 23-29. 194 Vgl. aber auch die Forschungsdiskussion zur spätantiken lateinischen Bibelepik in vergilischer Epentradition. Die antikisierende Form, die in der Renaissance wieder aufgenommen wurde, war für Curtius (1948, S. 457) der Grund, die Bibelepik insgesamt als „ genre faux “ zu bezeichnen, da sowohl die Heilsgeschichte als auch die Gattung des Epos verfälscht werde. Wehrli (1969, S. 51-58) hat dagegen die Kombination von Heilsgeschichte und vergilischem Epos positiv umgedeutet (vgl. dazu Prica 2010, S. 19). Zur heute überwiegenden Ablehnung der These von Curtius vgl. Pollmann 2001, S. 114 (mit Anm. 112 [S. 114 f.]). 195 Vgl. z. B. in Bezug auf die Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen Ukena-Best 2002, S. 188; Schmitt 2012, S. 435. Zu Der Sälden Hort (wo zusätzlich eine explizite Auseinandersetzung mit der höfischen Literatur erfolgt) vgl. Quast 2009, S. 394-402; Köbele 2017, S. 171 f.; 177-186. Die ,Höfisierung‘ zeigt sich jeweils nicht nur in der Erzählform, sondern auch in der Ausgestaltung von Szenen. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 39 Bei der Rezeption bibelepischer Texte dürften für ein christlich geprägtes mittelalterliches Publikum außerdem ,real word frames‘ auf ganz unterschiedlichen Ebenen relevant gewesen sein. Wegen seines autoritativen Charakters fundiert der Bibeltext historisches und ethisches Wissen, das bei der Rezeption herangezogen worden sein dürfte. Nicht zu trennen ist der biblische Text außerdem von der Auslegungstradition, die ebenfalls als Referenzrahmen zu berücksichtigen ist. Vor dem Hintergrund des diachronen Wiedererzählens biblischer Geschehnisse ist aber auch zu fragen, ob ,real world frames‘ im Sinne des Erfahrungswissens über die gegenständliche Welt und (historisch variierende) soziale Praktiken aufgerufen werden. Dieser Bereich ist nicht scharf von anderen der ,Realität‘ abzugrenzen, weil Praktiken (gerade im Recht) wiederum in ethischem Wissen wurzeln können, das ebenfalls aus der Bibel abgeleitet ist. Er sei hier behelfsmäßig mit ,Alltagswelt‘ 196 und ,Lebenspraxis‘ charakterisiert. Dass narrative biblische Texte auf der Ebene des sensus historicus auf historisch spezifische Alltagsgegenstände und Sozialstrukturen referieren, ist ein Befund, der vor allem in der Übersetzungswissenschaft diskutiert worden ist. 197 Unabhängig davon, ob in Übersetzungen oder narrativen Bearbeitungen aktualisierende Anpassungen vorgenommen sind, werden bei der Rezeption zur Identifikation solcher Elemente Alltagserfahrungen aktiviert, sodass sich semantisches Material aus diesem Bereich anlagern wird. Bei Elementen, die sich auf die Kultur der Entstehungszeit beziehen lassen, ist jedoch nicht eindeutig, ob sie vorrangig im Bezugsfeld der ,Alltagswelt‘ oder in der Auslegungstradition der Bibel zu interpretieren sind. 198 Scheinbar alltagsweltliche Motive sind möglicherweise typologisch oder allegorisch auszudeuten. 199 Eine solche Auslegungsebene ist nicht selten in die Erzähltexte selbst integriert. 200 Darüber hinaus sind in den mittelalterlichen bibelepischen Texten aber oft Ausgestaltungen zu finden, die primär auf die Kultur der Entstehungszeit der Texte verweisen. Das sei - in Ermangelung einer übergreifenden Untersuchung 201 - anhand von Beispielen be- 196 Zur Problematik der Definition von ,Alltag‘ vgl. Goetz 1990, S. 72-74. 197 Vgl. z. B. Bieberstedt 2002, S. 23 f.; Wiesinger 2007. 198 In den Doppelformeln des Heliand könnten vermeintlich ,germanische‘ Elemente als Bestandteil der Variationstechnik sogar auch auf die Poetologie des Textes verweisen (vgl. Sahm 2014, S. 106). Relevant wäre also dann der ,literary frame‘. 199 Das gilt ebenso für vermeintlich alltagsweltliche Motive, wie sie in die Kunst nördlich der Alpen im Spätmittelalter verstärkt Eingang gefunden haben. Oft ist deren allegorische Bedeutung entscheidend, nicht die Materialität der Dinge. Vgl. dazu Panofsky (1953, S. 131-148), der sich auf Thomas von Aquin bezieht; zustimmend Ishii 2005; zur Einordnung von Panofskys Konzept vgl. Wedekind 2005. Zu dem Problemkomplex vgl. in Bezug auf Passionsdarstellungen (in Text und Bild) außerdem Pickering 1970, S. 223-307. Dass das Alltägliche nicht mit dem ,Wirklichen‘ gleichzusetzen ist, hat (in Bezug auf Dantes Inferno ) auch Kablitz (1994, S. 170 f.) herausgestellt. Vgl. dazu Manuwald 2017, S. 203-205. 200 Vgl. eine Zusammenstellung von Beispielen aus den Driu liet von der maget des Priesters Wernher bei Schmitt 2012, S. 428-431. 201 Intensiv diskutiert worden sind Referenzen auf die Kultur zur Entstehungszeit des Textes für den Heliand (im Rahmen von Fragen nach ,Germanisierung‘ oder ,Akkommodation‘ (vgl. dazu u. a. Gantert 1998; Sahm 2014; 2017). Backes und Fleith (2011) haben in einem diachronen Durchgang „Transformations- und Aneignungsprozesse“ (S. 117) in Bearbeitungen der Samson-Geschichte untersucht und haben dafür plädiert, für die Untersuchung solcher Prozesse das Prinzip der kulturellen Übersetzung fruchtbar zu machen. Eine allgemeinere Diskussion wurde jüngst von Quast und Spreckelmeier (2017b) angestoßen, deren Überlegungen in eine ähnliche Richtung gehen: Sie haben unter dem Untersuchungsparadigma der ,Inkulturation‘ das Augenmerk darauf gelenkt, dass beim bibelepischen Wiedererzählen „Heilsgeschichte in fremde Kulturen “ hineingeschrieben wird (vgl. bes. S. 6 f.). Die Beiträge des Bandes (Quast / Spreckelmeier 2017a) liefern wichtige Anstöße, perspektivieren das Feld jedoch 40 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik legt: 202 Im Evangelienbuch Otfrids von Weißenburg heißt es etwa bei der Erzählung von der Hochzeit zu Kana (Kap. 2,8) ausdrücklich, dass Jesus zu seiner Mutter so gesprochen habe, wie es sich für einen Sohn gehöre; 203 zudem sind implizit an anderen Stellen zeitgenössische Formen des herrscherlichen Sprechens aufgenommen. 204 Eine solche partielle Annäherung des biblischen Geschehens an zeitgenössische Verhältnisse fordert den Rezipienten auf, weitere Gegenwartsbezüge herzustellen. Das schließt eine allegorische Deutung nicht aus, wie das Beispiel des Evangelienbuches (vgl. Kap. 2,9 f.) zeigt. Genetisch lässt sich der Bezug auf die zeitgenössische Lebenspraxis in etlichen Fällen als Resultat mehrfacher Rezeptionsprozesse deuten, bei denen das ,Realitätsprinzip‘ zur Anwendung gekommen ist: Bereits im Pseudo-Matthäusevangelium (18,1), 205 in dem die Flucht nach Ägypten gegenüber der Bibel durch weitere Handlungselemente ausgestaltet ist, wird in Zusammenhang mit der Rast der Heiligen Familie in einer Höhle erwähnt, dass sie von drei Knechten und einer Magd begleitet worden seien. In der unter anderem auf dem Pseudo-Matthäusevangelium fußenden Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen wird das ,Gesinde‘ folgerichtig schon beim Aufbruch zur Flucht genannt, wobei unter Berufung auf die Quelle gerechtfertigt wird, dass es nicht aus mehr Personen bestanden habe (vv. 1325-1330), 206 d. h., es wird zugleich auf zeitgenössische Vorstellungen referiert, nach denen für die Heilige Familie offenbar eine größere Zahl von Bediensteten als angemessen empfunden worden wäre. 207 In der Kindheit Jesu ist an mehreren Stellen zudem eine Argumentation nach der Logik des praktischen Alltagslebens zu beobachten, wenn erzählt wird, wie Josef die Geburtshöhle einrichtet (vv. 763-771) oder dass sich Maria mit dem Jesuskind vor die Höhle betten lässt, als diese die vielen Besucher nicht mehr fassen kann (vv. 1060-1063). 208 Auch der ,Umzug‘ Mariens geht zwar letztlich auf ein Bemühen zurück, widersprüchliche Angaben in der Erzähltradition zusammenzuführen, 209 argumentiert wird aber erneut auf einer lebenspraktischen Ebene. Sogar die ursprünglich allegorisch motivierte Präsenz von Ochs und Esel bei ganz unterschiedlich, zumal ,Inkulturation‘ von den Herausgebern ausdrücklich auch auf Erzählkulturen bezogen war (vgl. dazu u. a. Köbele 2017; Sahm 2017). Mit Bezügen zur ,Alltagswelt‘ beschäftigt sich der Beitrag der Verf. (Manuwald 2017). 202 Im Folgenden sind vor allem alltagspraktische Detailrealismen genannt, weil sich der Gegenwartsbezug da besonders gut fassen lässt (zu Detailrealismen vgl. Classen 1992, S. 195-200). Zeigen ließe sich die Referenz auf die Kultur zur Entstehungszeit bibelepischer Texte aber auch für soziale Konzepte. Vgl. Koch (2015) zu triuwe -Konzepten im Marienleben Bruder Philipps und im Marienbuch des Passionals (ihr kommt es vor allem auf den Gegensatz zwischen ,geistlich‘ und ,weltlich‘ an). 203 Vgl. Haubrichs 2001, S. 104 f. (mit Abdruck und Übersetzung der Stelle sowie einer Diskussion der Unterschiede zum Bibeltext). 204 Vgl. Haubrichs 2001. Er sieht darin Reflexe mündlicher Sprechkultur (vgl. ebd., S. 109), benennt aber selbst weiteren Forschungsbedarf. Wahrscheinlich wird man kaum über einen Nachweis von Parallelen zu anderen Beispielen verschriftlichter direkter Rede hinauskommen können; in jedem Fall sind aber kulturspezifische Redemuster als externes Bezugsfeld aktiviert. Zum Verweis auf die Gegenwartskultur durch bestimmte Sprechmuster vgl. (in Bezug auf das volkssprachige Geistliche Spiel) Greisenegger 1978, S. 56. 205 Zitiert nach der Ausgabe von Gijsel 1997. 206 Hier und im Folgenden zitiert nach der Ausgabe von Fromm / Grubmüller 1973. Zur Stelle vgl. Schmitt 2012, S. 432. 207 Als Ergänzung nach dem Realitätsprinzip (aufseiten des Autors) ist es auch anzusehen, dass die „Heilige Familie […] bei Konrad ganz selbstverständlich immer wieder in einen Personenverband eingebunden“ wird (Schmitt 2012, S. 432). 208 Vgl. Schmitt (2012, S. 431-433) mit weiteren Beispielen (auch zur Raumlogik). 209 Vgl. dazu im Einzelnen Masser 1969, S. 180 f. 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 41 Jesu Geburt in Bethlehem 210 erhält in der Kindheit Jesu eine lebenspraktische Dimension, denn es wird erklärt, Josef nehme neben dem Esel auch noch ein Rind nach Bethlehem mit, um für sich und seine Familie die Steuern zu bezahlen (vv. 722-726). 211 Später wird die andächtige Haltung von Ochs und Esel gleichwohl als Erfüllung eines Prophetenwortes interpretiert, und selbst der Unrat im Stall wird allegorisch ausgedeutet (vv. 1102-1126). Die punktuelle Profanierung des Motivs mit allegorischer Deutungstradition eröffnet jedoch auch die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit als Bezugsrahmen, in dem die erzählten Geschehnisse zu interpretieren sind. Diese Erfahrungswirklichkeit wird in der Kindheit Jesu auch dadurch aufgerufen, dass auf typische Verhaltensmuster rekurriert wird: An mehreren Stellen benennt der Erzähler Verhaltensweisen als ,kindlich‘, wobei etwa das kindliche Spiel als alterstypische Verhaltensweise erscheint. 212 Auf ein entsprechendes kulturelles Wissen wird in Priester Wernhers Driu liet von der maget referiert, wenn es in der Szene der Vorverkündigung am Brunnen heißt, der Engel habe mit Maria Verstecken gespielt, als man pfleit mit den kinden (Fassung D, v. 2355). 213 Solche expliziten Verweise auf das, was ,man‘ tue, sind kein Einzelfall. So wird im Marienleben Bruder Philipps erklärt, Maria habe den Heiligen Rock in derjenigen textilen Technik hergestellt, die ,man‘ auch für die Anfertigung von Handschuhen und Hauben benutze (vv. 3638-3653). 214 Manchmal zeigt aber auch nur die Wortwahl eindeutig an, dass die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit als Bezugsfeld zu aktivieren ist. Ebenfalls im Marienleben Bruder Philipps heißt es zum Beispiel, dass Maria (nach der Rückkehr aus Ägypten) eine Hufe Land ( eins eigens huobe , v. 3907) geerbt habe, weil ihr Vater gestorben sei; Joseph habe dieses Stück Land bebaut, um die Familie zu ernähren (vv. 3906-3911). Nicht nur das Flächenmaß verweist auf zeitgenössische ,realweltliche‘ Verhältnisse, 215 sondern auch der Erbvorgang dürfte vor diesem Hintergrund als standardisierter Vorgang wahrgenommen worden sein. 216 Diese Bezüge sind auch für den modernen Interpreten wichtig, um zu begreifen, dass die Heilige Familie an dieser Stelle des Textes als ,normale‘ Familie dargestellt ist, die eine wirtschaftliche Lebensgrundlage benötigt. 217 Allegorisch ausdeuten lässt sich das Motiv des geerbten Ackers nicht; allerdings bereitet es im Handlungsverlauf die spätere Erzählung vom Kornwunder vor, das Jesus für Joseph vollbringt (vv. 4468-4487). 218 Im Vergleich mit anderen Texten wird deutlich, dass der alltagsweltliche Bezugsrahmen kein Einzelfall ist, der mit der apokryphen Natur des Acker-Motivs zu erklären wäre. In der Erlösung beispielsweise finden sich etliche nicht-allegorische „Detail- und Genreschilderungen“, die „in erster Linie dazu dienen, die Handlung in der “faktischen Wirklichkeit” 210 Zu der aus Is 1,3 und Hab 3,2 entwickelten Motivtradition vgl. LCI, Bd. 3 (1971), Sp. 339 (mit weiterer Literatur). 211 Schon vorher war der Aufruf zur Volkszählung damit erklärt worden, dass niemand seinen Zins schuldig bleiben solle (vv. 693-699). 212 Vgl. dazu Tomasek (2016), der auch auf mittelalterliche Konzeptionen von Kindheit eingeht. 213 Der Text wird nach der Ausgabe von Wesle / Fromm 1969 zitiert. Zur Stelle vgl. Quast 2014, S. 323. 214 Zitiert nach der Ausgabe von Rückert 1853. Zur Stelle vgl. Manuwald 2017, S. 207-214. 215 Zur Hufe als Bewirtschaftungseinheit vgl. Rösener 2012. 216 Als einzige Tochter ist Maria erbberechtigt (vgl. dazu Rummel 1987, S. 162-168; Hagemann 2008, Sp. 1372-1374). 217 Sie wird im Text nochmals bei der Einladung von Maria mit dem Jesuskind durch Elisabeth thematisiert (vv. 4225-4237). Vgl. dazu Asseburg 1964, Bd. 2, S. 43-47 (auch zu möglichen Quellen Philipps). 218 Vgl. dazu Asseburg 1964, Bd. 2, S. 46 f.; Manuwald 2017, S. 218 f. 42 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik anzusiedeln“. 219 Auch im spätmittelalterlichen Geistlichen Spiel ließen sich vergleichbare ,Realitätsüberschüsse‘ nachweisen. 220 Zum Beispiel fordert in den York Trial Plays ein Diener Pilatus auf, er solle sich die Hände waschen, solange das Wasser noch warm sei. 221 Nach den Einzeluntersuchungen zu den genannten Texten erfüllen die Realitätsreferenzen jeweils unterschiedliche Funktionen: So ist der ,Realismus‘ der York Trial Plays als Strategie angesehen worden, die Zuschauer durch die Verankerung des biblischen Geschehens in deren Erfahrungswirklichkeit emotional anzusprechen. 222 Für die Erlösung sieht Jens Haustein (1994) in den Bezügen auf die ,faktische Wirklichkeit‘ ein Indiz dafür, dass das „heilsgeschichtliche Geschehen […] gewissermaßen den Gesetzen dieser Welt“ folgt und damit als „Geschichte der Zeit, in einer Zeit, die für den Menschen erfahrbar ist“, konzipiert ist. 223 Referenzen auf die Kultur zur Entstehungszeit der Texte können jedoch auch genau den umgekehrten Effekt haben. Wenn nämlich das ,Alltägliche‘ mit dem Exzeptionellen kontrastiert wird, dienen Referenzen auf die Alltagswelt dazu, das Heilige noch deutlicher herauszustellen: 224 Bruno Quast (2014) hat für die ,profane‘ Szene der Vorverkündigung in Priester Wernhers Driu liet von der maget gezeigt, dass sie innerhalb der heilsgeschichtlichen Erzählung einen „Säkularisierungseffekt“ erzeuge. 225 Im Marienleben Bruder Philipps lassen die detaillierten Erläuterungen zur textilen Technik, derer sich Maria bei der Anfertigung des Heiligen Rocks bedient habe, das Mitwachsen des Rockes umso wunderbarer erscheinen. 226 In der Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen wiederum ist mehrfach ,kindliches‘ mit ,göttlichem‘ Verhalten Jesu in Konfrontation gebracht. 227 Insgesamt sind 219 Haustein 1994, S. 84 (mit Beispielen). 220 Gemeint ist hier nicht das Phänomen, dass in Geistlichen Spielen manchmal Spiel- und Alltagsrealität ineinander übergehen (vgl. dazu Quast 2005, S. 110 f. [mit weiterer Literatur]). 221 Nr. 33: Christ before Pilate II: The Judgement , v. 443 (vgl. die Ausgaben von Beadle 2009 oder Davidson 2011; zu den York Trial Plays s. auch u. S. 269-271). Nach Davidson (1975, S. 271 f.) wird dadurch die symbolische Bedeutung der Handwaschung nicht eingeschränkt, doch ist die Wärme des Waschwassers im Hinblick auf die Symbolik ein blindes Motiv. 222 Vgl. dazu Davidson 1975, S. 274; King 1999, S. 201. 223 Vgl. Haustein 1994, S. 84 (mit Überlegungen zur Zeitstruktur des Textes von Die Erlösung ). 224 Hinsichtlich des Problems, wie Heiliges überhaupt zu erfassen und medial zu vermitteln ist, sind bibelepische Texte mit Legenden vergleichbar (vgl. zur Legende Strohschneider 2002, S. 111-115; Köbele 2012, S. 375-378 [mit weiterer Literatur]). Fludernik (1996, S. 96-99) hat für mittelenglische Heiligenlegenden die überzeugende These aufgestellt, dass Realitätselemente, gerade in der mentalen Ergänzung durch die Rezipienten, eine Kontrastfolie für die Exzeptionalität der heiligen Figuren bilden. 225 Vgl. Quast 2014, S. 325. In eine ähnliche Richtung zielt Quasts (2006) Interpretation der Passage aus der Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen, in der die Untersuchung Mariens durch die Hebamme Zeloni geschildert wird. Aufgerufen ist dort das Muster der Vertikaldescriptio (vv. 844-869). Dadurch werde Maria in Bezug zu preiswürdigen Damen gesetzt, von denen sie durch das Wunder der Unversehrtheit ihres Körpers auch nach der Geburt zugleich abgesetzt werde. Quast bezieht sich für die Deutung dieser Stelle auf die „Erkenntnis- und Darstellungsfigur der dissimilis similitudo “ (S. 40), die auch zur Interpretation mancher Referenzen auf die Alltagswelt fruchtbar gemacht werden könnte. 226 Vgl. dazu Manuwald 2017, S. 218 f. 227 Z. B. wird gesagt, dass das Jesuskind, als die wilden Tiere gekommen seien, um ihren Herrn zu sehen, von der Mutter weg zu ihnen gelaufen sei, um mit ihnen zu spielen. Die Passage schließt damit, dass nur das Gebot Jesu es vermocht hätte, die Tiere zu entfernen, während Joseph sie nicht habe vertreiben können (vv. 1373-1410; vgl. dazu Tomasek 2016, S. 11 f.). Auf diese Weise ist hier die Rolle Jesu als Herr über die Schöpfung der eines spielenden Kindes entgegengesetzt. In der Episode vom Fischfang am Sabbat (vv. 2695-2808), in der Jesus zunächst als spielendes Kind agiert, bleibt es ambivalent, ob es sich bei der Tötung des jüdischen Jungen um eine kindliche Überreaktion oder um eine angemessene Strafe in göttlichem Zorn handelt. Tomasek (ebd., S. 17 f.) hebt den Referenzrahmen der kindlichen Entwicklung hervor und stützt sich unter anderem darauf, dass Maria textimmanent die Strafe als un- 1.3 Realitätsreferenz als Forschungsproblem 43 diese Szenen im theologischen Referenzrahmen der Diskussion um die Doppelnatur Jesu zu sehen; 228 im Textverlauf wird diese Doppelnatur aber nicht zuletzt durch Referenzen auf die Praktik des Kinderspiels demonstriert, die mit den Wundern, die das spielende ,Kind‘ vollbringt, kontrastiert wird. Wie komplex Referenzrahmen ineinander verschachtelt sein können, lässt sich nicht zuletzt am Badeschaum-Wunder in der Kindheit Jesu verdeutlichen: Als die Heilige Familie das erste Mal im Hause des Schächers empfangen wird, badet die Frau des Schächers hingebungsvoll das Jesuskind (vv. 1798-1818). Die Entstehung des Schaums wird damit erklärt, dass es in ,kindlicher‘ Weise begonnen habe zu planschen. 229 Wie der Text suggeriert, entfaltet der Badeschaum seine heilende Kraft nicht zuletzt aufgrund der andächtigen Haltung der Frau des Schächers, die das Exzeptionelle des Jesuskindes wahrgenommen zu haben scheint (vv. 1811-1817; 2172-2209). 230 Die Leistung dieser Frau kann aber ebenso wie der Kontrast zwischen (vermeintlich) kindlichem Verhalten und der Wundertätigkeit Jesu nur erkannt werden, wenn der Referenzrahmen kindlichen Normalverhaltens erst einmal aufgerufen ist. Zugleich gehört das Baden des Jesuskindes zur vorbildlichen Bewirtung der Heiligen Familie, wobei dieses Verhaltensmuster höfisch konnotiert ist. 231 Die Referenzen auf ,das Höfische‘ beschränken sich nicht auf die Inhaltsebene; die rhetorische Gestaltung der Bewirtung (Schilderung des locus amoenus , indirekte Ausdrucksweise; vgl. vv. 1819-1866) verweist auf den höfischen Roman. 232 Das scheinbar alltagsweltliche Motiv des planschenden Jesuskindes ist also auch nicht unabhängig von diesem ,literary frame‘ zu deuten. Insofern ist es eine analytische Fokussierung, die Referentialität einzelner Textelemente auf die praktische Erfahrungswirklichkeit herauszugreifen. Für das Genre der Bibelepik im deutschen Hochmittelalter lässt sich auf der Grundlage der angeführten Beispiele aber festhalten, dass Elementen aus ,Alltagswelt‘ und ,Lebenspraxis‘ nicht notwendig eine allegorische Bedeutung zugeschrieben sein muss (genauso wenig wie sie von vornherein auszuschließen ist). Neben der Bibel als dominantem externen Bezugsfeld ist also auch mit literarischen Traditionen und nicht zuletzt mit der Alltagserfahrung als Referenzrahmen zu rechnen. Weil für bibelepische Texte die Orientierung an einem autoritativen Referenztext konstitutiv ist, unterscheiden sie sich in der Gewichtung der Bezugsfelder von den oben skizzierten fiktionalen Texten; sie teilen mit ihnen jedoch verhältnismäßig bezeichne (v. 2800). Auf Marias Klage, dass die Strafe zu groß gewesen sei, folgt aber eine Bitte um Erbarmen (vv. 2801 f.), die auf ihre theologisch etablierte Rolle als Fürbitterin referiert. Insofern ist Marias Funktion an dieser Stelle nicht bloß die einer Erzieherin. Tomaseks Argument, der Grund für die Tötung des jüdischen Jungen liege ganz im profanen Bereich, da die Auseinandersetzung um die ordnungsgemäße Einhaltung des Sabbats (vv. 2730-2746) bereits deeskaliert sei, kann nicht überzeugen, denn die Aggressionen des jüdischen Jungen erwachsen daraus, dass Jesus sich von der Drohung, dass ihm und seinen Spielgenossen wegen des Bruches der Sabbatruhe eine Prügelstrafe drohe, nicht beeindrucken lässt (vv. 2747-2751). Mit dem Sabbatmotiv sind auch Evangelienstellen wie die Heilung am Sabbat (Mc 3,1-6) oder die Vertreibung der Händler und Geldwechsler aus dem Tempel (am handgreiflichsten Io 2,13-16) aufgerufen, damit also auch die Messianität Jesu. 228 Sie ist bereits im Prolog (v. 12) benannt (vgl. dazu Tomasek 2016, S. 19). 229 nu begund ez chintlîche / gegen ir spiln in dem bade, / - die hende wâren i m gerade - / unz ez schûmen began. (vv. 1806-1809). Vgl. dazu Tomasek 2016, S. 11 f.; 15 f. 230 Vgl. Quast (2017, S. 165) dazu, dass der Erzähler den Glauben der Frau an die Heilkraft des Badeschaums hervorhebt. 231 Wegen der Durchdringung von Höfischem und Religiösem spricht Quast (2017, S. 166) davon, dass es sich bei Jesu Badewasser „gewissermaßen um eine höfische Christusreliquie“ handele. 232 Vgl. dazu Ukena-Best 2002, S. 194 f. 44 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik die grundsätzliche Eingebundenheit in verschiedene Kontexte. 233 Damit sind auch bibelepische Texte offen für Anlagerungen von semantischem Material aus der Erfahrungswirklichkeit zeitgenössischer Rezipienten bzw. mögen sogar Begründungszusammenhänge entwerfen, die erst vor diesem Hintergrund fassbar werden. Die Erschließung der inhaltlichen Implikationen von Realitätsreferenz in der Bibelepik ist damit eine Vorbedingung für die Interpretation der Texte. Die Kerntexte sind also für eine Untersuchung von ,Recht und Literatur‘ so zu behandeln, wie es in Kapitel 1.3.2 für literarische Texte skizziert wurde. 1.4 Text und Kontext: ,Recht‘ als Bezugsfeld 1.4.1 Was ist reht? Probleme der Abgrenzung In der Einleitung zu ihrer Bibliographie zu „Law and Literature in the Middle Ages“ halten John A. Alford und Dennis Seniff (1984) fest, ,Literature‘ sei für ihr Vorhaben einfacher zu definieren gewesen 234 als ,Law‘: The medieval concept of law was extremely broad. It included not only positive law (custom, royal and papal decrees, legislative acts, etc.) but also natural law and even divine law. These various kinds of law were seen not as merely analogous to one another, but rather as a manifestation of a single law in different spheres […]. 235 Das Problem liegt nicht nur darin, dass ,Law‘ bzw. ,Recht‘ neben dem objektiven und dem subjektiven Recht auch Fragen der Rechtsbegründung umfasst, wie sie heute in der Rechtsphilosophie diskutiert werden, sondern auch darin, dass ,Recht‘ sich im Mittelalter erst allmählich als eigenständiges System herauskristallisiert. Insofern können Konzepte der globalen Weltordnung bei der Betrachtung von ,Recht‘ im Mittelalter noch weniger ausgeklammert werden als in der Moderne, wobei im Einzelfall erst zu bestimmen wäre, wie das Verhältnis von göttlichem und menschlichem Recht konzeptionalisiert wird. Außerdem ist angesichts der Vielfältigkeit koexistierender positiver Rechtsordnungen in besonderem Maße zu klären, welche in den zu analysierenden literarischen Texten vorrangig aufgerufen werden. 233 Im Hinblick auf die Spielräume beim ,Wiedererzählen‘ hat Jan-Dirk Müller (2005 [2001], S. 124) die Bibelepik g r a d u e l l von Texttypen wie der Heldenepik oder dem Höfischen Roman abgesetzt: „Mittelalterliches Erzählen ist ganz überwiegend Wiedererzählen. Es gibt deshalb Stoffzwänge, die es dem Erzähler verbieten, ein störendes, seinem Konzept fremdes Detail einfach zu unterdrücken. Vielmehr muß er versuchen, es diesem Konzept einzupassen, was mit mehr oder weniger Glück gelingen kann. […] Auch scheinen die Spielräume produktiver Umbildung gattungsabhängig, mithin unterschiedlich weit, geringer etwa in der Bibelepik (wo der sensus historicus feststeht), größer im höfischen Roman (wo man sich auf unzuverlässige jongleurs stützen muß). Die Heldenepik liegt offenbar dazwischen.“ Wegen des Prinzips des ,Wiedererzählens‘ ist der von Harshaw (1984, S. 242, Anm. 12) beschriebene Sonderfall, dass Charaktere in mehreren Texten auftreten (wobei Harshaw nur den Fall diskutiert, dass sie von ein und demselben Verfasser stammen), bei mittelalterlichen Erzähltexten die Regel. Insofern ist seine Abgrenzung zwischen fiktionalen Texten und ,Mythen‘ für das Mittelalter zu relativieren. 234 Sie arbeiten letztlich mit einem erweiterten Literaturbegriff, ohne ihn als solchen zu benennen (vgl. Alford / Seniff 1984, S. xi). 235 Alford / Seniff 1984, S. xii. Dass die Pluralität des Rechts im Mittelalter ein Problem darstellt, wenn es darum geht, ,Literatur‘ und ,Recht‘ zueinander in Beziehung zu setzen, konstatiert auch Schnell (2011, S. 19 f.). Zum engen Zusammenhang zwischen Recht und Theologie vgl. Evans 2002. 1.4 Text und Kontext: ,Recht‘ als Bezugsfeld 45 Für den deutschsprachigen Raum wird für das Hochmittelalter (abgesehen von der ständischen und regionalen Differenzierung) meist eine Untergliederung in kanonisches, römisches 236 und ,deutsches‘ Recht 237 angenommen. 238 Die drei Bereiche sind jedoch eng miteinander verwoben, zumal angesichts der zunehmenden Rezeption des römischen Rechts in dieser Zeit. 239 Bereits im Sachsenspiegel als frühestem deutschen Rechtsbuch 240 lassen sich Spuren römischen und kanonischen Rechts finden. 241 Auch wenn sich ein literarischer Text in eine ,deutschrechtliche‘ Tradition einschreibt, können Prinzipien des römischen oder kanonischen Rechts als Referenzrahmen nicht von vornherein ausgeschlossen werden. Ein fundamentaleres Problem bei der Annäherung an ,Recht‘ im Mittelalter ist jedoch die Frage, inwiefern heutige und mittelalterliche Rechtsvorstellungen überhaupt kompatibel sind, aus der gegebenenfalls Konsequenzen für die Untersuchungskategorien zu folgen haben. 242 Für das ,deutsche‘ Recht hat die Forschung das Problem sowohl wort- 243 als auch begriffsgeschichtlich 244 in den Blick genommen. Die Ergebnisse konvergieren insofern, als für das Wort reht festgestellt wurde, dass es erst im Verlauf des Mittelalters zu einer Bezeichnung für das objektive Recht wurde. 245 Damit korrespondiert die Beobachtung 236 Zur Verbindung dieser beiden Rechte gerade bei der Rezeption des gelehrten Rechts vgl. Sellert 1998, S. 119-122. Die Verwobenheit wird im Folgenden mit der Kurzformel ,römisch-kanonisches Recht‘ angedeutet. 237 Angesichts der kontroversen Diskussion um den Begriff des Gewohnheitsrechts - sowohl in Abgrenzung von der consuetudo im römisch-kanonischen Recht als auch im Hinblick auf die Unterscheidung von Rechtsgewohnheiten (vgl. dazu Trusen 1989; Dilcher / Lück / Schulze 1992; Magin 1999, S. 41, Anm. 1; Behrends 2000; Kümper 2009, S. 49 f., und die Beiträge in der Zeitschrift Rechtsgeschichte [ Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte ] 17 [2010]: http: / / rg.rg.mpg.de/ de/ Rg17, 15. 08. 2017) - hat sich ,deutsches Recht‘ als Sammelbegriff für „die der deutschsprachigen Bevölkerung Mitteleuropas eigenen Rechtsvorstellungen und Rechtseinrichtungen“ (Weitzel 1986, Sp. 777) eingebürgert. In diesem Sinne wird auch im Folgenden von ,deutschem‘ Recht gesprochen, ohne dass damit die Existenz einer gemeindeutschen Rechtsordnung postuliert sein soll (zu den regionalen Unterschieden s. u. Kap. 1.4.2). Zur Problematik der Redeweise von ,deutschem Recht‘ im Sinne von ,einheimischem Recht‘ vgl. aber Cordes (2008), der darauf hinweist, dass in einem weiteren Sinne auch das römische und das kanonische Recht als ,deutsches Recht‘ zu betrachten sind, wenn sie im deutschen Raum gebraucht werden. 238 Zur Problematik der entsprechenden disziplinären Aufteilung der Rechtsgeschichte in einen kanonistischen, einen romanistischen und einen germanistischen Zweig vgl. Kümper 2009, S. 28 f. 239 Vgl. Sellert 1998; zur ,Transportfunktion‘ des Kirchenrechts, über das Regelungen römischen Rechts in das ,deutsche‘ Recht eindrangen, vgl. auch Kéry 2006, S. 686. 240 Zur Definition von ,Rechtsbuch‘ vgl. Magin 1999, S. 42-49; Kümper 2009, S. 16-48. 241 Vgl. Magin 1999, S. 45; Nehlsen-von Stryk 2000, S. 27; Landau 2005 (zu der von ihm maßgeblich mit angestoßenen Diskussion über die schriftlichen Quellen des Sachsenspiegels vgl. kritisch Kannowski 2011, S. 96-99; 2013). 242 Brunner (1970 [1959], S. 163) diskutiert das Problem für den mittelalterlichen Staatsbegriff und fordert eine Orientierung an der Sprache der Quellen, wobei er selbst zu bedenken gibt: „Nichts wäre falscher als zu glauben, daß historische Arbeit die modernen Begriffe entbehren könnte. Nur müssen sie selbst in ihrer geschichtlichen Bedingtheit erkannt werden.“ Zur Tendenz Brunners, den Quellen entnommene Wörter etymologisch mit Sinn aufzuladen, vgl. die Kritik Algazis 1996, S. 97-101. 243 Vgl. Köbler 1970 (zum Bedeutungswandel der deutschen Entsprechungen zu ,Richter‘, ,Richten‘, ,Gericht‘ vom Frühzum Hochmittelalter); 1971 (mit einem Schwerpunkt auf lateinischen Quellen); Schmidt-Wiegand 1987 (zu reht und ewa im Althochdeutschen; vgl. dazu Sullivan 2001, S. 31-34; Manuwald 2014, S. 667 f.); 1993, S. 152-156 (zum Bedeutungswandel von reht ). 244 Vgl. Schmidt-Wiegand 1993, S. 147-156, sowie grundlegend den Forschungsüberblick von Kannowski 2002. 245 Vgl. Schmidt-Wiegand 1987, bes. S. 956; 1993, S. 154 f. Die mittelhochdeutschen Wörterbücher führen Belege für die subjektive und die objektive Bedeutung von reht auf (vgl. bes. L exer ; DRW; WMU, s. v.). 46 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik in der begriffsgeschichtlichen Forschung, dass das ,deutsche‘ Recht im Mittelalter nicht primär als abstraktes Normensystem, sondern als an Personen in konkreten Situationen gebunden gedacht wird. 246 ,Recht‘ konstituiert sich weiterhin vor allem durch die Rechtsförmigkeit des Verfahrens, weniger durch die Normen, auf die dabei eventuell zurückgegriffen wird. 247 Dementsprechend kann mittelhochdeutsch reht auch das Gerichtsverfahren bezeichnen. 248 Zu dem breiten Bedeutungsspektrum von reht , das außerdem Aspekte umfasst, die von den subjektiven Rechten und Pflichten einzelner oder bestimmter Personengruppen über die Gerichtsbarkeit bis hin zu der gesamten Rechtsordnung und ihrer Begründung reichen, 249 gehört auch die Grundbedeutung: ,das, was richtig ist‘. 250 Es ist nicht untypisch für den sich im Mittelhochdeutschen erst allmählich herausbildenden Rechtswortschatz, 251 dass die Bedeutungen nicht auf den Spezialbereich des Rechts eingeengt sind. Zwar wird bei der konkreten Verwendung des Wortes immer nur eine Bedeutung aktiviert, doch stehen die Einzelbedeutungen in einem inhaltlichen Zusammenhang, 252 sodass Rückschlüsse auf konzeptionelle Vernetzungen möglich sind. Die semantische Offenheit von reht kann so auch als Chance gesehen werden, einen Zugang zu Zusammenordnungen von Aspekten zu finden, die von den heutigen abweichen. 253 Ebenso legt das Bedeutungsspektrum von ê in mittelhochdeutscher Zeit Querverbindungen zwischen Konzepten langer Dauer, althergebrachtem Recht, dem mosaischen Gesetz bzw. auch weiteren erlassenen Gesetzen und dem Buch bzw. Gesetz der jüdischen bzw. christlichen Religionsgemeinschaft offen. 254 Hier wird auf der Wortebene die eingangs angesprochene Eingebundenheit von ,Recht‘ in die religiöse Ordnung fassbar. Für eine rezeptionsorientierte Untersuchung, die an intersubjektiven Verstehensvoraussetzungen zur Entstehungszeit der zu analysierenden Texte interessiert ist, ist eine Berück- 246 Vgl. Kannowski (2002, S. 13-19), der Kritik an der Extremposition referiert, es habe im deutschen Frühmittelalter keine objektive Rechtsordnung gegeben, aber auch das methodologische Dilemma aufzeigt, wie eine solche nachgewiesen werden könnte, wenn die Quellen dazu schweigen. Vgl. auch die von Pilchs normentheoretischer Studie (2009) ausgelöste erneute Diskussion über Rechtsgewohnheiten, besonders die Beiträge in der Zeitschrift Rechtsgeschichte ( Zeitschrift des Max-Planck-Instituts für europäische Rechtsgeschichte ) 17 (2010): http: / / rg.rg.mpg.de/ de/ Rg17, 15. 08. 2017. Vgl dazu auch Kalb 2014, S. 11 f. 247 „ Mittelalterliches Recht ist im Kern Verfahrensrecht. “ (Kannowski 2002, S. 5). 248 Vgl. BMZ; L exer ; DRW; WMU, s. v. 249 Vgl. die Aufschlüsselung der Einzelbedeutungen im DRW, s. v. 250 In diesen Rahmen ist auch Bruder Bertholds Konzept zu stellen, in seinem in der Forschung als Rechtssumme bezeichneten Werk „das Recht und das Rechte in eins zu denken und gemeinsam darzustellen“ (Störmer-Caysa 1998, S. 179; sie hebt den Aspekt des Gewissens als Verknüpfungselement heraus). Obwohl als Beichtsumme angelegt, wurde die Rechtssumme mit ihrer deutschsprachigen Darstellung von Grundsätzen des kanonischen Rechts auch als Rechtsbuch breit rezipiert (vgl. Johanek 1987, S. 430 f.; Magin 1999, S. 95). 251 Vgl. Widmaier 1993, S. 18 f.; Schmidt-Wiegand 1998a; 1998b. 252 Es liegt also mehr vor als eine bloße Äquivozität von Bezeichnungen, auch wenn durchaus mit einer ,Verselbstständigung‘ von Einzelbedeutungen zu rechnen ist. 253 Vgl. Dicke / Eikelmann / Hasebrink 2006, S. 4 f. (zur Aussagekraft der ,Unschärfe‘ mittelhochdeutscher Werk- und Gattungsbezeichnungen). Vgl. auch Kiening (2006, S. 22) zur Historischen Semantik als „ein Mittel zur kontrollierten und reflektierten Entfaltung der Alterität ihres Gegenstandes“. 254 Vgl. BMZ; L exer ; MWB; WMU, s. v. êwe ; s. v. ê ; Seebold 1981, S. 89-91 (auch zur Einengung auf die Bedeutung ,Ehe‘ in diachroner Perspektive). 1.4 Text und Kontext: ,Recht‘ als Bezugsfeld 47 sichtigung von Aspekten der Historischen Semantik unabdingbar. 255 Eine semasiologische Betrachtungsweise ist zwar zur Erschließung von Konzepten nicht ausreichend, 256 kann aber helfen, bestimmte Themensegmente zu identifizieren. So wurde zur Vorbereitung der thematisch orientierten Lektüren der Kerntexte auch der Verwendung von Schlüsselwörtern wie reht und ê nachgespürt. Zwar war für die Wahl der thematischen Felder des Gerichtsverfahrens ( geriht ), der Wahrheit ( wârheit ) und der Rechtsordnung ( reht und ê ) der Befund in den Kerntexten maßgeblich (d. h. auch deren Motivebene), nicht primär das Wort reht oder der oben skizzierte Rechtsbegriff, aber mit dem Fokus auf das Gerichtsverfahren und dem Einbezug religiöser Aspekte bei der Betrachtung der Rechtsordnung sind gleichzeitig zentrale Aspekte von ,Recht‘ bzw. reht berührt. Als Konsequenz daraus, dass reht nicht allein den juristischen Bereich im engeren Sinne betrifft, wurde die Untersuchung entsprechend offengehalten und für den in den Kerntexten zentralen Aspekt der Zeugenschaft mit wârheit sogar eine nicht spezifisch rechtliche Kategorie gewählt. Was die Bereiche des kanonischen, römischen und ,deutschen‘ Rechts angeht, so deuten Details des Gerichtsverfahrens in den Kerntexten jeweils auf das ,deutsche‘ Recht als vorrangiges Bezugsfeld hin. 257 Sobald man jedoch die konzeptionellen Kontexte dieser verfahrensrechtlichen Details erkundet, werden auch Aspekte des römisch-kanonischen Rechts relevant. 258 1.4.2 Rechtstexte als Kontexte: Eine heuristische Setzung In welchem Verhältnis stehen literarische Texte zu Normativität beanspruchenden Rechtstexten? In der Rechtsgeschichte hat man ihnen den Status sekundärer Rechtsquellen zuerkannt, deren Aussagewert zwar begrenzt sei, weil sich die Darstellung von Rechtsnormen der Gesamtkonzeption unterwerfen müsse, die aber einen Zugang zu Bereichen eröffnen könnten, für die es sonst keine Quellen gibt (wie Rechtsnormen zu Zeiten, in denen das Recht noch nicht schriftlich kodifiziert war, oder ,gelebtes Recht‘). 259 In Bezug auf Rechtskonzepte oder Einstellungen zur Rechtspraxis 260 kann man ihnen sogar den Status primärer Rechtsquellen zusprechen. 261 Umgekehrt ist aus Rechtstexten als unumstritten primären Rechtsquellen nicht unbedingt Aufschluss über die Rechtspraxis zu gewinnen: Das Auseinanderklaffen von „Rechtsaufzeichnung und Rechtswirklichkeit“ 262 kann etwa bei Rechtsbüchern darin begründet sein, dass der Geltungsanspruch nicht unbedingt eingelöst wird 263 oder dass anachronistische Rechtsnormen in der schriftlichen Tradition weiter tradiert 255 Zum Zusammenhang von Rezeptionsästhetik und Historischer Semantik vgl. Vollhardt 2003, bes. S. 204-209. Vgl. zustimmend Kiening 2006, S. 21. 256 Zur Historischen Onomasiologie vgl. Schmidt-Wiegand 1975, S. 149-155; zur Ideengeschichte (im Verhältnis zur Historischen Semantik) vgl. Konersmann 1995, Sp. 596. 257 S. dazu u. Kap. 3. 258 S. dazu u. Kap. 5. 259 Vgl. den präzisen Forschungsüberblick bei Widmaier 1993, S. 6-10 (mit weiterer Literatur). Zu „ Literatur als Rechtsquelle “ vgl. auch Greiner 2010, S. 14 f. 260 Zur Bedeutung fiktionaler Quellen für diesen Punkt vgl. Sprandel 1999, S. 185 f. 261 Zur Gleichrangigkeit ,historischer‘ und ,literarischer‘ Quellen vgl. Müller 2007a, S. VII f. 262 So der programmatische Titel eines Aufsatzes von Kroeschell 1977. Auch bei bildlichen ,Quellen‘ ist Vorsicht angebracht, wie Caviness (2013, bes. S. 175-178) für mittelalterliche Bilder von Kapitalstrafen deutlich macht. 263 Vgl. dazu Kümper (2009, S. 41-44), der ,Rechtsbücher‘ deshalb als „autoritative Lehrbücher“ deuten will (ebd., S. 44-48, Zitat S. 44). Vgl. auch Widmaier 1993, S. 9 f. Ein instruktives Beispiel stellt der 48 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik werden. 264 Bei Rechtstexten wie Schöffensprüchen oder Weistümern, die sich als Aufzeichnungen mündlich getroffener Aussagen geben, ist wiederum mit Stilisierungen bzw. der Orientierung an schriftlichen Vorlagen zu rechnen, von ihrem ausschnitthaften Charakter einmal abgesehen. 265 Die Grenzen zwischen literarischen Texten und Rechtstexten sind auch insofern fließend, als etwa in Rechtsbücher narrative Elemente integriert sein können. 266 Wenn im Folgenden die narrativen Kerntexte Rechtstexten gegenübergestellt und Letztere als Kontexte betrachtet werden, sind das also vor allen Dingen heuristische Operationen. 267 Dass die Rechtstexte nicht notwendig die Rechtspraxis widerspiegeln, kann insofern ausgeklammert werden, als sie auch als Dokumente bestimmter Denkweisen über das Recht mit zum ,real world frame‘ gehören, der die Rezeption der narrativen Texte zu deren Entstehungszeit mit bestimmt hat. Allerdings wären manche Sinndimensionen der Kerntexte auch wieder nur aus ihrer Übereinstimmung mit oder Abweichung von der Rechtspraxis zu bestimmen. 268 Trotz der oben genannten Vorbehalte, die bei den folgenden Verweisen auf Rechtstexte immer mitzudenken sind, werden deshalb bei den Lektüren der Kerntexte mit aller Vorsicht Rechtstexte auch zur Rekonstruktion typischer Abläufe herangezogen (z. B. der Vorgänge bei der Eröffnung einer Gerichtsverhandlung). Dahinter steht die Überlegung, dass sich Rechtsbücher oder gar Rechtsgangbücher, wenn sie den Anspruch erheben, die bestehenden Verhältnisse zu beschreiben oder Normen dafür festzuhalten, bei solchen Routinevorgängen nicht zu weit von der Praxis entfernt haben dürften, wenn sie plausibel bleiben sollten. Die Unsicherheit im Verhältnis von Rechtstexten zur Rechtspraxis stellt jedoch nicht das einzige methodologische Problem dar, das sich beim Umgang mit Rechtstexten als Kontexten ergibt: Sollen sie dazu dienen, Verstehensvoraussetzungen eines idealen Rezipienten zur Entstehungszeit eines literarischen Textes zu erschließen, müssten sie nach Möglichkeit zeitlich und regional aus dem entsprechenden Entstehungsumfeld stammen. Voraussetzung für solche Zuordnungen wären zuallererst gesicherte Erkenntnisse über Entstehungsort und -zeit der literarischen Texte. Für die Kerntexte kommt man jedoch in vielen Punkten über plausible Vermutungen nicht hinaus. 269 So lässt sich zum Beispiel nicht ermitteln, ob Gundacker von Judenburg in der Steiermark oder gar in Judenburg selbst gewirkt hat, sodass die Rechtsquellen, die mit der Stadt Judenburg verbunden sind, 270 nicht ohne Weiteres Sachsenspiegel dar, der erst im Rahmen seiner Rezeption Verbindlichkeit erlangte (vgl. Kroeschel 1998; Kümper ebd., S. 44; 207-267). 264 Vgl. Kümper 2009, S. 51 f. 265 Vgl. Teuscher 2007, S. 206-255; Kümper 2009, S. 50 f. 266 Zur Integration von „Bispel und Mären“ in Rechtsspiegel vgl. Ott 1988 (s. dazu auch u. S. 231, Anm. 161); auch die historische Herleitung des Rechts kann narrative Formen annehmen (zur Ursprungs- und Landnahmesage im Sachsenspiegel vgl. Dilcher 1994, S. 152-155). 267 Aus pragmatischen Gründen wurden vor allem Rechtstexte als synchrone Kontexte gewählt, nicht weitere literarische Texte trotz deren prinzipiell möglicher Aussagekraft für Rechtskonzepte. 268 Vgl. (in Bezug auf den Ruodlieb ) Vollmann 1979, S. 197. Zu dem Problem, ,realistische‘ Züge in literarischen Texten des Mittelalters zu bestimmen, vgl. auch Grosse 1972, S. 77: „Die große zeitliche Distanz zum Mittelalter bringt es mit sich, daß der heutige Betrachter dieser Dichtungen nicht mehr Mitglied der damaligen Sprechgemeinschaft ist und so die Wirklichkeitsauffassung ihrer Entstehungszeit nur punktweise aus Überlieferungsspuren erschließen kann, die zum großen Teil schriftlich fixiert, also wieder literarisch sind. Daher ist es schwer, den Zirkelschluß zu vermeiden und die sprachliche Darstellung von Wirklichkeit zu beurteilen.“ 269 Vgl. die Dokumentation des Forschungsstandes in Kap. 3.2.1, 3.3.1 und 3.4.1. 270 Vgl. Andritsch 2003. 1.4 Text und Kontext: ,Recht‘ als Bezugsfeld 49 herangezogen werden können. Bei Diu urstende reichen die Erkenntnisse dazu, dass das Werk wohl im frühen 13. Jahrhundert im Eichstätter Raum entstanden ist, immerhin aus, um Probleme bei der Kontextualisierung manifest werden zu lassen: Deutschsprachige Quellen fehlen für diesen Zeitraum weitgehend. Zwar kann man davon ausgehen, dass etwa die ab 1225 im Sachsenspiegel formulierten Rechtssätze auch Rechtsgewohnheiten älteren Ursprungs festhalten (soweit der Sachsenspiegel tatsächlich ,Rechtsaufzeichnung‘ ist), 271 doch ist mit dieser Überbrückung der chronologischen Lücke noch nicht die regionale Differenz 272 überwunden. Für das vermutlich im sächsisch-magdeburgischen Rechtskreis 273 verfasste Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler stellt sich das Auffinden möglicherweise korrespondierender Rechtsquellen weniger prekär dar, ebenso für Christi Hort mit dem anzunehmenden bayerisch-österreichischen Entstehungskontext. 274 Allerdings ergibt sich bei einer besseren Quellenlage sogleich das nächste Problem, nämlich das der Auswahl: Sind zum Beispiel land- oder eher stadtrechtliche Quellen als relevante Kontexte anzusetzen? In den Kerntexten ist nur in Diu urstende ausdrücklich von lantreht (v. 705) die Rede. Angesichts der komplexen Problemlage wurde für die Untersuchung der Kerntexte so verfahren, dass geprüft wurde, wie gravierend die Unterschiede zwischen den Rechtstexten im Hinblick auf die in den Kerntexten relevanten Rechtsmotive überhaupt sind. Dazu wurden zunächst in allen drei Texten rechtliche Aspekte identifiziert. Wenig überraschend für den Gegenstand, den Prozess gegen Jesus, ergab sich dabei ein Schwerpunkt auf dem Ablauf des Gerichtsverfahrens und dem Verhalten der einzelnen Beteiligten (Richter, Ankläger, Angeklagter, Zeugen, Urteiler, Umstand). Außerdem war ein Interesse an der Herkunft der Gerichtsgewalt festzustellen. Schließlich legte die sich deutlich manifestierende Abgrenzung gegenüber ,den Juden‘ zur Zeit Jesu nahe, dass das Judenrecht 275 zur Entstehungszeit der Kerntexte als Kontext relevant sein könnte, zumal dieses Recht im Schlussexkurs des Evangelium Nicodemi ausdrücklich thematisiert ist. Eine stichprobenartige Sichtung von Rechtsbüchern zum Landrecht 276 führte deutlich vor Augen, dass die Rechtsbücher lediglich einen ausschnitthaften Eindruck vom Gerichtsverfahren vermitteln und dass manche Details jeweils nur in einer der Quellen genannt sind, zum Beispiel die erforderliche Nüchternheit des Richters, die in den hochmittelalterlichen Rechtsbüchern ausschließlich im Schwabenspiegel (Ldr. 145) zur Sprache kommt. 277 Das könnte bedeuten, dass sie sonst nicht üblich war. Es könnte aber auch sein, dass Selbstver- 271 So Widmaier (1993, S. 20) und Weigand (2002, S. 832 mit Anm. 8), die das Problem der fehlenden deutschsprachigen Rechtsquellen für ihre Analyse des Reinhart Fuchs bzw. des Iwein diskutieren. 272 Wenn hier von einer regionalen Differenzierung des Rechts die Rede ist, soll damit nicht die Geltung des Territorialitätsprinzips impliziert sein, sondern es sind die Unterschiede gemeint, die sich auch beim in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts noch vorherrschenden Personalitätsprinzip (vgl. Lieberwirth 1991) ergeben. 273 Zum Sachsenspiegel und Rechtsbüchern, die ihn rezipieren, vgl. Kümper 2009, S. 68-206; 335-482. 274 Vgl. z. B. das Österreichische Landrecht aus der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (zur Datierung vgl. Weltin 1989). Zur Rezeption des gelehrten Rechts in Österreich vgl. Stelzer 1982. 275 Zu der von Guido Kisch geprägten terminologischen Unterscheidung von jüdischem Recht und Judenrecht vgl. Magin 1999, S. 11; Battenberg 2012. 276 Folgende Texte wurden herangezogen: Sachsenspiegel (mit der Rezeption in der Buch’schen Glosse und in Richtsteig Landrechts ), Deutschenspiegel , Schwabenspiegel , Österreichisches Landrecht . 277 Die Zählung des Schwabenspiegels folgt von Laßberg 1840 (s. dazu u. S. 254, Anm. 278). Erler (1984, Sp. 103) bezieht die Stelle lediglich auf die Urteiler, die Nüchternheit ist aber nicht nur für das Finden, sondern auch für das Verkünden des Urteils gefordert. Deshalb dürften Richter mit eingeschlossen 50 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik ständlichkeiten nur selten festgehalten wurden, wie es zum Beispiel auch bei der Hegung des Gerichts der Fall ist. 278 Angesichts dieser Alternative ist eine Quellenmischung zur Rekonstruktion eines typischen Verfahrensablaufs, wie sie die älteren Handbücher vornehmen, nicht unproblematisch. Jedoch ist sie die einzige Möglichkeit, überhaupt ein umfassenderes Bild eines prototypischen Verfahrensablaufes zu entwickeln. Die Annahme eines solchen Ablaufes ist insofern gerechtfertigt, als die - größtenteils aufeinander aufbauenden - Quellen in den Grundzügen (wie zum Beispiel den Aufgaben des Richters 279 und der Urteiler) große Übereinstimmungen zeigen. Und auf solche, im Folgenden als ,deutschrechtlich‘ bezeichnete Grundmuster 280 scheinen sich die Kerntexte vor allem zu beziehen. Eine Kontextualisierung einzelner Motive bleibt jedoch schwierig. Letztlich kann zum Beispiel für das Motiv im Evangelium Nicodemi , dass Pilatus als Richter nüchtern zur Verhandlung erscheinen soll, allein auf die Schwabenspiegel -Stelle und damit auf ein Rechtsbuch aus einem anderen Rechtskreis verwiesen werden. 281 Entsprechend lassen sich manchmal nur mit zeitlichem Abstand Analogien zu rechtlichen Elementen in den Kerntexten aufzeigen. 282 Auf solche weit auseinanderliegenden Parallelen wird im Folgenden hingewiesen, weil sie - wenn man eine weitere Verbreitung der Phänomene annimmt - Indizien dafür bieten könnten, ob in den Kerntexten ein regelhafter oder ein ungewöhnlicher Vorgang dargestellt ist. Letztlich werden bei einer solchen Betrachtungsweise die literarischen Texte aber selbst zu Rechtsquellen, weil sie die in ihnen eventuell verarbeiteten ,Realitätssplitter‘ zugleich dokumentieren. 283 1.5 Vorgehensweise und Zielsetzung Der bei Thomas von Aquin formulierte Grundsatz, dass alles, was rezipiert wird, nach der Art und Weise des Aufnehmenden rezipiert werde, 284 ist dort auf die immaterielle Seele bezogen, lässt sich aber auch als hermeneutisches Prinzip lesen. 285 Losgelöst von ihrem argumentativen Kontext kann die Formel die Standortgebundenheit des Interpreten beschreiben, der seine eigenen Voraussetzungen bei der Rezeption eines Werkes nicht aussein. Für entsprechende frühmittelalterliche Rechtsquellen vgl. Erler ebd. Zur Nüchternheit vgl. auch Lück 2017, mit weiterer Literatur. 278 Sie findet nach Drüppel (1981, S. 284) in den von ihm untersuchten stadtrechtlichen Quellen nur selten Erwähnung. 279 Zur Richterethik, die von christlichen Denkmustern geprägt ist und sich relativ unabhängig vom konkreten Rechtssystem in den Quellen findet, s. u. Kap. 5.1. 280 Damit soll nicht die Prämisse der Existenz eines ,gemein-deutschen Privatrechts‘ reaktiviert werden (vgl. kritisch zur Annahme einer solchen Prämisse in der älteren Forschung Weitzel 2000a, S. 56). 281 So war auch schon Klibansky (1925, S. 17 f.) vorgegangen. Die Rezeption des Schwabenspiegels im Kerngebiet des Sachsenspiegels setzt erst im 14. Jahrhundert ein (vgl. Grosse 2000). 282 S. z. B. u. S. 86 zur Relevanz des Nennens der Namen von Zeugen. 283 Zur Gefahr von Zirkelschlüssen bei einer rechtshistorischen Auswertung literarischer Texte und den Möglichkeiten, durch ein reflektiertes Vorgehen zu gesicherten Ergebnissen zu kommen, vgl. Vollmann 1979, S. 197. 284 Vgl. z. B. Summa Theologiae , Iª q. 75 a. 5 co. (zitiert nach der Editio Leonina ): Manifestum est enim quod omne quod recipitur in aliquo, recipitur in eo per modum recipientis ; vgl. auch ebd., Iª q. 75 a. 6 co. Zu den Quellen des Thomas von Aquin vgl. Jauß 1987, S. 10 f. 285 Vgl. zur „Vorgeschichte“ der literaturwissenschaftlichen Rezeptionstheorie Jauß 1987; Pfeiffer 2003a, S. 283. 1.5 Vorgehensweise und Zielsetzung 51 schalten kann. 286 Der Standortgebundenheit des Rezipienten steht eine gewisse ,Standortgebundenheit‘ literarischer Texte gegenüber: Zwar können sie in individuellen Lektüren immer neuen Sinn entfalten, doch gibt es auch Sinndimensionen, die von den externen Bezugsfeldern ihres ursprünglichen Entstehungsumfelds abhängig sind - das haben die Überlegungen zur Realitätsreferenz von Erzähltexten noch einmal vor Augen geführt. Gerade für den Bereich des Rechts ist eine solche kulturelle Verankerung besonders relevant, weil er nicht nur Vorstellungen von Recht und Unrecht umfasst, die einen tendenziell überzeitlichen Charakter haben, sondern auch Verfahrensweisen, die einem starken historischen Wandel unterliegen. In den Kerntexten sind wegen der Verwobenheit heilsgeschichtlicher und verfahrensrechtlicher Aspekte auch die Heilsgeschichte betreffende Sinndimensionen nicht losgelöst vom historischen Entstehungskontext zu erschließen. Um der Beantwortung der eingangs gestellten Frage nach dem Verhältnis von ,Jesus‘ und dem ,Landrecht‘ näherzukommen, ist es also trotz der begrenzten Erkenntnismöglichkeiten des modernen Rezipienten nötig, die Bezugsfelder der Texte zu ihrer Entstehungszeit und ihr ,Hinterland‘, soweit das machbar ist, zu rekonstruieren. In der vorliegenden Studie geschieht das in mehreren Schritten: Zunächst werden die Kerntexte (nach ihrer Situierung in ihrem historischen Umfeld und der Klärung philologischer Fragen zur Interpretationsgrundlage) thematischen Lektüren unterzogen, um die internen Bezugsfelder zu ergründen, d. h., es soll um thematische Netze gehen, die jeweils über den g e s a m t e n Text gespannt sind (s. Kap. 3). Die Lektüren sind nach den Aspekten des Gerichtsverfahrens ( geriht ), der Wahrheit ( wârheit ) und der Rechtsordnung ( reht und ê ) gegliedert, die in allen drei Texten - in je unterschiedlicher Gewichtung - sinntragend sind. Die Kategorien sind relativ weit gefasst, weil zum Beispiel ein Konzept juristischer Wahrheit erst in Relation zu anderen Formen der Wahrheit in den Texten an Kontur gewinnt. Die Wahl mittelhochdeutscher Schlagwörter resultiert aus der Überlegung, dass sich die Analyse der Vorstellungswelt der Texte möglichst von ihren inhärenten Systematisierungen leiten lassen sollte. Obwohl bei den thematisch orientierten Lektüren die Sinnbezüge innerhalb der Textwelt im Mittelpunkt stehen, wird bereits bei diesem Arbeitsschritt punktuell kontextuelles Wissen herangezogen, weil auch ein Erstverständnis der Textwelt auf bestimmten Wiedererkennungseffekten (z. B. Modalitäten eines Gerichtsverfahrens) aufbaut, die für einen modernen Rezipienten nicht automatisch gegeben sind. Die Textanalysen konzentrieren sich auf den Bereich des Rechts, nehmen die ,Standortgebundenheit‘ der Texte also nicht insgesamt in den Blick. Allerdings lassen sich bestimmte Wertstrukturen nicht aussparen. Das betrifft insbesondere die ausgeprägte Judenfeindlichkeit der Texte, da die Erzählung von der Passion Christi mehr oder weniger explizit auf den ,Gottesmörder‘-Vorwurf referiert. 287 Neben expliziten abwertenden Aussagen zeigt sich eine antijüdische Haltung in den Kerntexten darin, dass kollektivierend und häufig diffamierend von ‚den Juden‘ als Gruppe die Rede ist. 288 Auch die Bezeichnung einzelner Figuren verrät 286 Vgl. dazu Lau 1999, S. 31-33 und passim . Zur Aufnahme dieses Gedankens der philosophischen Hermeneutik in der Literaturwissenschaft vgl. zusammenfassend Rusterholz 1996, S. 121-131 (mit einem Schwerpunkt auf den Modellen Martin Heideggers und Hans-Georg Gadamers). 287 Vgl. dazu z. B. Rommel 2002, S. 185 f.; Goetz 2013, Bd. 2, S. 468-470. 288 Die kollektivierende Bezeichnung begegnet schon im Johannesevangelium (zu dessen ambivalentem Judenbild vgl. Rommel 2002, S. 187 f.; Frey 2004) und ist im Nikodemusevangelium aufgenommen. Wenn im Folgenden von Antijudaismus die Rede ist, soll damit nicht impliziert sein, dass der Judenhass allein religiös fundiert sei; im Evangelium Nicodemi spielen mit der Kammerknechtschaft (s. dazu u. S. 169) wirtschaftliche Gründe ausdrücklich eine Rolle. Zur umstrittenen Abgrenzung von Anti- 52 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik zumindest eine abgrenzende Haltung gegenüber Juden, wenn aus christlicher Perspektive bestimmte Figuren als , Juden‘ eingeführt werden, aber ausgeklammert ist, dass Jesus und seine Anhänger selbst Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft waren. 289 Zur besseren Identifizierbarkeit sind im Folgenden in der Beschreibungssprache die Benennungen der Figuren in den Primärtexten beibehalten worden. Bei dem kollektivierenden Ausdruck ,die Juden‘ sollen halbe Anführungszeichen in Kurzform anzeigen, dass die in den Primärtexten so bezeichnete Gruppe gemeint ist, nicht allgemein die ethnisch-religiöse Gruppe der Juden. Wie die Referenzen auf externe Bezugsfelder aus der Entstehungszeit der Texte genau funktionieren, wird im Anschluss an die thematische Analyse der Kerntexte aus produktions- und rezeptionsorientierter Perspektive untersucht, und zwar für den Bereich der kulturellen Aneignung, weil sich bei dezidierten Anpassungen an die Gegenwartskultur solche Bezüge besonders gut fassen lassen (Kap. 4). Die Überlegungen zu den Verfahren, mit denen die Texte auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit referieren, dienen auch als Vorbereitung der Rekonstruktion immaterieller externer Bezugsfelder, die wahrscheinlich für die Produktion und Rezeption der Kerntexte relevant gewesen sein werden. Auf der Grundlage kontextuellen Materials werden für die Aspekte geriht , wârheit sowie reht und ê jeweils vertiefte Interpretationen der Kerntexte erarbeitet, sodass deren Positionierung zu außertextuellen Problemkreisen 290 deutlich hervortritt (Kap. 5). Auf der Grundlage der Ergebnisse wird zu prüfen sein, ob sich die innere Logik der Kerntexte auch durch den Bezug auf die aufgezeigten Diskursfelder speist, sie also nicht nur das Passionsgeschehen erzählen, sondern auch das Verhältnis von , Jesus‘ und dem ,Landrecht‘ verhandeln und von zeitgenössischen Rezipienten auf damit verbundene Fragen hin gelesen worden sein dürften. Zwar ist wegen der methodologischen Probleme die Rekonstruktion eines konkreten Erwartungshorizonts eines historischen Rezipienten nicht möglich, das Vorgehen ist aber insgesamt rezeptionsästhetischen Ansätzen verhaftet, da angenommen wird, dass die Textwelt auf eine Komplettierung durch den Rezipienten angewiesen ist, und deshalb für die Entstehungszeit der Texte wahrscheinliche Assoziationsräume aufgewiesen werden. 291 Ergänzt wird die in diesem Sinne rezeptionsästhetische Betrachtungsweise durch rezeptijudaismus und Antisemitismus vgl. zusammenfassend Wenzel 1992, S. 22-30. Vgl. auch Goetz 2013, Bd. 2, S. 416, Anm. 19, mit weiterer Literatur. 289 Die Grenzen zwischen der Rückprojektion der bloßen Unterscheidung zwischen Juden und Christen zur Entstehungszeit der Texte und einem ausgrenzenden Wortgebrauch sind fließend. In Diu urstende ist z. B. Enêas , dem eine zentrale Rolle in der Textentstehungsgeschichte zugeschrieben wird, als jude bezeichnet (v. 54, zitiert nach Gärtner / Hoffmann 1989). Ebenso wird der Lahme, der von Jesus geheilt worden ist, als jude eingeführt (v. 529). Hier könnte aber mitschwingen, dass es als eine besondere Leistung angesehen wird, dass er als Jude vor Gericht öffentlich für Jesus eintritt. 290 Der hier verfolgte Ansatz steht damit im Kontext der ,neuen‘ literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte, die sich nicht auf die Analyse überzeitlicher elementarer Menschheitsprobleme beschränkt, sondern historisch spezifische Problemkonstellationen in den Blick nimmt (vgl. Spoerhase 2010, S. 120). Sie werden in dieser Untersuchung aus der thematischen Lektüre der Kerntexte abgeleitet (zum Verhältnis von Thematologie und Problemgeschichte vgl. Spoerhase ebd., S. 119). 291 Anders als bei neohermeneutischen Ansätzen (vgl. dazu Köppe / Winko 2013, S. 133-148) steht bei der Textanalyse nicht die Frage nach einer Autorintention im Vordergrund. Doch werden die Texte als kommunikative Äußerungen (mit Inferenzprozessen) interpretiert, was die Unterstellung einer Sprecherintention unvermeidlich macht (vgl. dazu Jannidis 2003, S. 29-34). 1.5 Vorgehensweise und Zielsetzung 53 onsgeschichtliche Untersuchungen: 292 Die Kerntexte stellen eine dokumentierte Rezeption des lateinischen Nikodemusevangeliums und der kanonischen Evangelien 293 dar und sind ihrerseits in späteren Texten rezipiert worden. Der Zugriff auf die Rechtsthematik in den Kerntexten gewinnt daher vor der Folie das lateinischen Ausgangstextes und der Rezeptionszeugnisse Kontur. Deshalb ist den Lektüren der Kerntexte ein Abriss der Rechtsproblematik im lateinischen Nikodemusevangelium vorgeschaltet (Kap. 2), zumal die Forschungsdiskussion paradigmatisch zeigt, welche Aspekte auch bei der Analyse von ,Literatur und Recht‘ in den Kerntexten zu berücksichtigen sind. Dass die in der eigenen Interpretation der Kerntexte herausgehobenen Themenfelder auch von Rezipienten in der Vergangenheit über einen längeren Zeitraum hin als so relevant empfunden wurden, dass sie sich damit auseinandergesetzt haben, soll die Analyse einer diachronen Reihe von Rezeptionszeugnissen demonstrieren (Kap. 6). 294 Außerdem decken die Rezeptionszeugnisse verschiedene Textsorten ab, sodass sich im Vergleich damit (zumindest in einer diachronen Perspektive) auch die Poetologie der Kerntexte besser fassen lässt. Wie bei den Kerntexten werden bei den Rezeptionszeugnissen ebenfalls die genannten thematischen Linien herausgearbeitet, d. h., eine Gesamtinterpretation ist in keinem der Fälle angestrebt, sondern es geht um die Erschließung bestimmter Sinnschichten. Gleichwohl ist das Erkenntnisinteresse der Arbeit auf die Interpretation 295 der Kerntexte gerichtet, 296 und zwar darauf, welche inhaltlichen und poetologischen Implikationen Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit haben. 297 Ziel ist die Bestimmung des Verhältnisses von , Jesus‘ und dem ,Landrecht‘ in dem eingangs beschriebenen Doppelsinn. Während die inhaltlichen Ergebnisse auf das schmale Corpus von Kerntexten beschränkt bleiben, das allerdings über die Weltchronik Heinrichs von München eine breite Wirkungsgeschichte entfaltet hat, haben die Analysen auch den Charakter von Fallstudien zum 292 Zu den beiden Aspekten rezeptionsorientierter Forschung vgl. Jauß 1992, S. 998; Pfeiffer 2003a, S. 282. S. dazu auch die Einleitungspassage von Kap. 6. 293 Zu weiteren Vorlagentexten s. Kap. 3.2.1, 3.3.1 und 3.4.1. 294 Vgl. Kablitz (1985, S. 49) zu dem leicht anders gelagerten Fall der Analyse zeitgenössischer Rezipientenurteile: „Sie bieten ein Repertoire von Sinnsystemen an, die auf die Texte bezogen werden können, genauer gesagt leisten sie für den Interpreten eine vorläufige Selektion aus der Menge der insgesamt verfügbaren Systemreferenzen. Sie bieten Hinweise dafür, welche Sinnsysteme zeitgenössisch vorrangig als relevant erachtet werden. Sich auf diese Auswahl zu verlassen, hieße u. U. sich einer unnötigen Beschränkung anheimzugeben, da nicht notwendig alle relevanten Sinnsysteme auch erkannt sein müssen, aber diese Selektion stellt doch ein seinerseits interpretierbares Faktum dar.“ 295 ,Interpretation‘ kann nach den Diskussionen der letzten Jahrzehnte keineswegs mehr als selbstverständliche Aufgabe der Literaturwissenschaft gelten (aus der breiten Diskussion sei hier nur auf Brenner 1998 [mit weiterer Literatur] verwiesen, für die germanistische Mediävistik vgl. z. B. Kiening 2003, S. 27 f.; Becker 2012, S. 77-82). Vgl. jedoch jüngst das dezidierte Plädoyer von Kablitz (2013) für die Interpretation. Mit Kablitz (ebd., S. 247-257) wird als Ziel der Interpretation nicht die Rekonstruktion eines hypothetischen Sinnganzen eines Textes begriffen, sondern das Aufspüren von Aspekten seiner ,impliziten Bedeutungsproduktion‘. 296 D.h., die Texte sollen nicht als bloße Dokumente für kulturgeschichtliche Phänomene betrachtet werden (zu einer derartigen Betrachtungsweise, die narrative Aspekte vernachlässigte, vgl. Erll / Roggendorf 2002, S. 79). 297 Die ,Welthaltigkeit‘ der Texte wird bei dem hier verfolgten Ansatz also ausdrücklich nicht marginalisiert („Es gehört zu den Meisterplänen literaturwissenschaftlicher Analyse, diese ,Welthaltigkeit‘ zu marginalisieren und zu beweisen, daß der literarische Text letztlich nur auf sich selbst und auf andere literarische Texte verweise und metapoetisch seine eigenen Verfahren ausstelle.“, Müller 2004, S. 298, Anm. 33). Die hier praktizierte Konzentration auf den Aspekt der ,Welthaltigkeit‘ geht umgekehrt allerdings auf Kosten der Berücksichtigung der ästhetischen Dimension der Texte. 54 1 Perspektiven auf reht in der Bibelepik Weltbezug von Bibelepik und könnten in diesem Sinn als Ausgangspunkt für allgemeinere Überlegungen zur Poetologie bibelepischer Texte dienen (Kap. 7). 2.1 Charakteristika des Werks 55 2 Das lateinische Nikodemusevangelium: Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext 2.1 Charakteristika des Werks Das heute in der Regel als Nikodemusevangelium oder Evangelium Nicodemi 1 bezeichnete Werk ist in so vielen Fassungen überliefert, dass der Titel als ein Sammelbegriff zu gelten hat. 2 Konkurrierende Titel (wie etwa Acta Pilati ), die sich oft nur auf einen Teil des Werks beziehen, verweisen darauf, dass es aus unterschiedlichen Teilen zusammengewachsen ist. 3 Die komplizierte Textgeschichte ist für die Interpretation der deutschen Versdichtungen, die lateinische Fassungen des Nikodemusevangeliums als Vorlage benutzen, insofern von Bedeutung, als trotz der narrativen Verknüpfung der Teile 4 und eines einheitlich ,dramatischen‘ Charakters, 5 Erzählblöcke mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen erkennbar geblieben sind, mit denen die Verfasser der deutschen Texte umzugehen hatten. Daher sei das Nikodemusevangelium hier in seiner Entstehungsgeschichte skizziert und in seinen einzelnen Teilen kurz charakterisiert. Als Grundlage für die Textarbeit dient - auch im Hinblick auf ihre Relevanz für die deutschen Texte - die im Mittelalter am weitesten verbreitete Rezension Lateinisch A. 6 Der einheitlichen Forschungsmeinung folgend lässt sich das Nikodemusevangelium genetisch in zwei Teile gliedern: einen Abschnitt über Jesu Passion, seine Auferstehung und Himmelfahrt sowie die Geschichte Josephs von Arimathia ( Gesta Pilati , cap. I- XVI ) und den Bericht von Christi Höllenfahrt ( Descensus Christi ad Inferos , cap. XVII - XXVII ). 7 Nach 1 In dieser Studie wird durchgehend die deutsche Titelform verwendet, um Verwechslungen mit dem Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler zu vermeiden. 2 Dementsprechend groß sind die editorischen Herausforderungen. Die Ausgabe von Tischendorfs (1876 [1853], S. 210-332 [griech.]; 333-434 [lat.]), die als Referenzausgabe noch nicht abgelöst ist (auch für Teilübersetzungen ins Deutsche, vgl. Scheidweiler 1999; Schärtl 2011, S. 323-340; 2012), entspricht nicht mehr den derzeitigen editorischen Standards (vgl. z. B. Röder 2010), vor allem nicht für die lateinische Version der Gesta Pilati , da von Tischendorf hier aus verschiedenen lateinischen Handschriften eine Fassung ,rekonstruierte‘, die eine möglichst große Nähe zum Griechischen aufweist (vgl. Izydorczyk 1989, S. 173-176). Für eine Übersicht über die Editionslage vgl. Geerard 1992, S. 43-46; dazu Gounelle / Izydorczyk 1997b, S. 429-432; 2000, S. 260 f.; Schärtl 2011, S. 13 f.; 2012, S. 231 f. 3 Vgl. Izydorczyk 1997b, S. 1-3; Röder 2010. 4 Vgl. dazu Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 73-75. 5 Vgl. Izydorczyk 1997b, S. 6; zum Passionsteil vgl. auch Furrer 2000, S. 318; 2010, S. 72; zum Descensus - Teil vgl. auch Tamburr 2007, S. 106-110. 6 Sie ist zwischen dem 5. und dem 9. Jahrhundert entstanden (vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 99). Zur Verbreitung vgl. Izydorczyk 1997b, S. 4. Er bietet dort auch eine Inhaltsangabe dieser Fassung (S. 4-6). Für eine allgemeine Übersicht über den Inhalt des Nikodemusevangeliums vgl. Röder 2010. Für die Edition eines A-Textes vgl. Kim 1973. Kims Text, der die Zählung von Tischendorfs beibehalten hat, ist (mit leichten Modifikationen) von Gounelle / Izydorczyk (1997a) ins Französische übersetzt und mit einer neuen Zählung versehen worden. Vgl. dazu ebd., S. 219-221, die Konkordanz zur Zählung von Tischendorfs (1876 [1853]). Auch Daguet-Gagey (2005) hat die neue Zählung übernommen. - Der Text wird hier nach der Ausgabe von Kim zitiert; an den Stellen, an denen die neue Zählung von Gounelle / Izydorczyk abweicht, wird diese mit der Sigle G / I hinzugefügt. 7 Die Benennung der beiden Teile folgt Izydorczyk 1997b, S. 2. Zur Zweiteilung vgl. von Tischendorf 1876 (1853), S. LIV-LXVIII. 56 2 Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext den Erkenntnissen von Gounelle / Izydorczyk sind für die beiden Teile unterschiedliche Entstehungszeiten anzunehmen: Der erste sei (möglicherweise auf älteren Traditionen aufbauend) innerhalb der ersten drei Viertel des 4. Jahrhunderts auf Griechisch, der zweite, so wie er in der Version A erscheine, nach der Mitte des 4. Jahrhunderts, vielleicht im 6. Jahrhundert, verfasst worden, und zwar zunächst auf Lateinisch. 8 Es gibt allerdings gute Gründe 9 für die Hypothese, dass auch die Geschichte Josephs von Arimathia im Rahmen einer Redaktion des Textes der Prozesshandlung erst nachträglich hinzugefügt worden ist. 10 Monika Schärtl nimmt an, dass die ältere Textschicht der Gesta Pilati in den sechziger Jahren des 4. Jahrhunderts entstanden und vor allem an ein heidnisches (aber auch ein christliches) Publikum adressiert sei, während die jüngere Schicht, die zeitlich nicht vor dem Ende des 4. Jahrhunderts anzusetzen sei, sich an ein jüdisches Publikum wende. 11 Unumstritten ist, dass im Text nach der Grablegung Jesu ein thematischer Einschnitt erfolgt. 12 Der erste Teil des ersten Abschnitts des Nikodemusevangeliums (cap. I-XI [11,3,1 (G / I)]) 13 ist durch die Prozesshandlung strukturiert. Nicht umsonst wird in einem ,Vorwort‘, das einigen Rezensionen vorangestellt ist, 14 behauptet, dass der folgende Text unter der Herrschaft des Kaisers Theodosius am Gerichtsort, dem Prätorium des Pontius Pilatus, unter den staatlichen Akten gefunden worden sei, also als offizielle Dokumentation des Prozesses 8 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 101-119. Röder (2010) hält es auf der Grundlage der vorhandenen Überlieferung nicht für definitiv zu klären, ob die beiden Textteile tatsächlich unterschiedlichen Traditionen angehören. - Gounelle / Izydorczyk (ebd., S. 110) werten unter anderem die Anrufung der Sonne durch Pilatus als Datierungskriterium für den Abschnitt über den Prozess. Nach Daguet-Gagey (2005, S. 31) hingegen ist dieses Detail nicht für die Datierung belastbar, da es auf literarische Traditionen (Vergil) zurückgehen könnte. Aufgrund terminologischer Untersuchungen kommt sie jedoch zu einer ähnlichen Datierung wie Gounelle / Izydorczyk, indem sie den Abschnitt über den Prozess nicht vor dem Ende des 3., wahrscheinlicher im ersten oder zweiten Drittel des 4. Jahrhunderts ansetzt. Dafür sprächen auch der Stellenwert, den die Magie-Anklagen und der Proselytismus einnähmen (vgl. Daguet-Gagey ebd., S. 33). 9 Zum wechselnden Gebrauch des Terminus Ἰουδαῖοι in der Prozesshandlung und in der Geschichte von Joseph von Arimathia vgl. Lowe 1981, S. 86-89. 10 So zuletzt Schärtl 2011, S. 167-175 (mit einem Überblick über die ältere Forschung): „Es ist daher zu vermuten, dass die ursprünglichen Pilatusakten aus den Kapiteln I-XI ohne Vers IV,2 und Kapitel V aber mit den Versen XIII,1 und 3 bestanden, während der Bericht über die wundersame Befreiung des Joseph und die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu mit Kapitel XII begann und vermutlich ausschließlich der Verse XIII,1 und 3 mit der Doxologie in Kapitel XVI endete.“ (ebd., S. 170; Schärtl bezieht sich auf die Zählung von Tischendorfs 1876 [1853]). 11 Vgl. Schärtl 2011, S. 19-28; 171-175. Für die jüngere Textschicht erwägt Schärtl (2012, S. 328) sogar einen Zusammenhang mit der Auffindung des Grabes des Nikodemus um 415. Schärtl geht allerdings bei ihren Überlegungen nicht auf die Thesen zur Datierung von Gounelle / Izydorczyk (1997a) ein; auch eine Auseinandersetzung mit der von ihr (2011, S. 171) referierten früheren Datierung durch Daguet-Gagey (s. o. Anm. 8) erfolgt nicht. Kritisch zu den Datierungshypothesen Schärtls äußert sich Brendel (2011), der den Datierungsvorschlag von Gounelle / Izydorczyk (1997a) ebenfalls nicht diskutiert, obwohl er sich in seinen Ausführungen zum Asklepioskult auf die von Gounelle / Izydorczyk (ebd., S. 110) als Datierungskriterium herangezogene Anrufung der Sonne durch Pilatus bezieht. 12 Vgl. auch die Gliederung bei Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 49 f.: „le procès et la mort de Jésus (ch. 1 à 11), les aventures de Joseph d’Arimathée (ch. 12 à 16), et la descente du Christ dans le monde infernal (ch. 17 à 27)“. Gounelle / Izydorczyk bieten im Anschluss (ebd., S. 50-86) eine Analyse der Erzählstruktur, die für die folgenden Überlegungen herangezogen wurde. 13 Vgl. von Dobschütz 1902, S. 90. 14 Es ist in einigen Handschriften der Rezension Griechisch A überliefert, außerdem im Wiener Palimpsest (Wien, ÖNB, Cod. 563) und in der Rezension Lateinisch B (vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 86-98). 2.1 Charakteristika des Werks 57 zu gelten habe. 15 Handlungsträger in diesem Teil sind vor allem Pilatus und ,die Juden‘. Während Pilatus in positivem Licht erscheint, ist das Bild ,der Juden‘ ambivalent: Ihre Anführer werden sehr negativ gekennzeichnet; auch fordert die Volksmenge, nicht Jesus, sondern Barrabas freizulassen. Andererseits weint ein Teil der jüdischen Menge angesichts der von den Anklägern vorgebrachten Forderung, dass Jesus gekreuzigt werden solle; außerdem treten Juden als Zeugen auf, die sich für Jesus verwenden. In diesen Zeugenaussagen gewinnt das Wirken Jesu Kontur; seine göttliche Macht wird darüber hinaus durch das einleitend (cap. I 5 f.) geschilderte Wunder der sich vor ihm verneigenden ,Zeichen‘ des Pilatus deutlich gemacht. Ob mit diesen Zeichen die in der Spätantike als Feldzeichen üblichen reich dekorierten Lanzen oder auch Standarten, die jeweils das Porträt des Kaisers tragen konnten, gemeint sind, ist nicht erkennbar. Jedenfalls erweisen die römischen Hoheitszeichen in dieser als Standartenepisode oder Fahnenwunder bezeichneten Szene der göttlichen Macht Jesu ihre Reverenz. Der aktive Anteil Jesu an der Prozesshandlung ist hingegen (wie in den kanonischen Evangelien) gering. 16 Die auf die Prozesshandlung folgenden Kapitel (cap. XII [11,3,2 (G / I)]- XVI ) können als eine sich steigernde Reihe von Bezeugungen dafür verstanden werden, was nach dem Tod Jesu geschehen ist. 17 Die anfänglichen Versuche ,der Juden‘, das ,Verschwinden‘ Jesu aus dem Grab zu vertuschen, münden in aktive Bemühungen um Wahrheitsfindung durch Zeugenbefragung. Ihren eigenen Prinzipien folgend müssen die Hohepriester schließlich das Faktum der Auferstehung anerkennen. Mit Joseph von Arimathia, der wegen seines Einsatzes für Jesus von ,den Juden‘ gefangen gesetzt, aber von Jesus befreit wird und das bezeugt, ist die Vorbildfigur eines gläubigen Judenchristen gegeben. 18 15 Der Bezug auf das im Prätorium befindliche Archiv könnte aus der Bemerkung in cap. XXVII 5 heraus entwickelt worden sein, wonach Pilatus selbst eine Dokumentation über das, was von den Juden in Bezug auf Jesus getan und gesagt worden war, angefertigt und im Archiv deponiert hat. Im ,Prolog‘ wird dagegen Nikodemus als Quelle angegeben, der nach der Passion Jesu das, was die Juden getan hätten, auf Hebräisch aufgezeichnet habe. Die verschiedenen Legitimierungsansätze sind in anderen Versionen des Prologs (etwa Rezension Griechisch A) durch ausführlichere Angaben untermauert: Ein christlicher Leibgardist zur Zeit des Theodosius, der sich als Ananias vorstellt (vgl. dazu Schärtl 2011, S. 35-37), schreibt, dass er nach Prozessakten gesucht habe, die die Juden angelegt hätten, und diesen Text gefunden und ins Griechische übersetzt habe. Danach folgt eine Datierung der Ereignisse und der auch in der Rezension Lateinisch A gegebene Hinweis auf Nikodemus als Verfasser des hebräischen Texts. Schärtl (2011, S. 167), die allerdings den Text so versteht, dass Nikodemus nur als Quelle für die Ereignisse nach der Passion benannt werde, bezieht die verschiedenen Quellenangaben (in der Rezension Griechisch A) auf die verschiedenen Textteile und liest ,Vorwort‘ und ,Prolog‘ als von einem Redaktor hergestellte Einheit (vgl. ebd., S. 29-35). In der Textgeschichte scheinen die beiden Legitimationsstrategien miteinander konkurriert zu haben: Die Rezensionen Griechisch B und Lateinisch B enthalten jedenfalls nur das ,Vorwort‘ (mit der Berufung auf Ananias bzw. Ainea; vgl. dazu Izydorczyk1997c, S. 51; Schärtl ebd., S. 35, Anm. 123). - Die Unterscheidung zwischen ,Vorwort‘ („Préface“) und ,Prolog‘ („Prologue“) stammt von Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 220. Traditionellerweise werden beide Textabschnitte als Prologteile aufgefasst. 16 Zur Figurenzeichnung vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 50-54; Daguet-Gagey 2005, S. 14 (sie untersucht für cap. I-XI die Rezensionen Griechisch A und Lateinisch A vergleichend); Schärtl 2011, S. 318 (hier und im Folgenden auf der Grundlage der Rezension Griechisch A). 17 „La deuxième partie du récit se présente comme une accumulation progressive de témoignages sur ce qui s’est passé après la mort du Christ.“ (Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 66). 18 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 66-68; Furrer 2010, S. 74-76. Schärtl (2011, S. 319) betont Parallelen des ,jüdischen Katechumenen‘ Joseph zum ,heidnischen Katechumenen‘ Pilatus. 58 2 Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext Über die Joseph-Figur erfolgt eine Verknüpfung mit dem Descensus -Teil des Werks (cap. XVII - XXVII ), 19 der zugleich als krönender Abschluss der Zeugenaussagen fungiert: Es ist Joseph, der den Hohepriestern von Leucius und Karinus berichtet, die Jesus auferweckt habe. Sie werden herbeigeholt und geben unabhängig voneinander einen identischen schriftlichen Bericht von der Höllenfahrt Jesu. Die darin geschilderten Geschehnisse haben einen klaren Fokus auf das Transzendente; 20 auf der diskursiven Ebene gibt es jedoch Bezüge zur vorangehenden innerweltlichen Handlung, indem zum Beispiel Propheten als ‚Zeugen‘ für die Messianität Jesu auftreten. Das Königtum Jesu, das Gegenstand des Prozesses gewesen war, wird performativ vorgeführt, indem er als ‚König der Ehren‘ die Höllenpforte sprengt. Der Descensus -Teil endet damit, dass ,die Juden‘ dem Zeugnis des Leucius und Karinus nichts entgegensetzen können und verstört auseinandergehen; Joseph und Nikodemus erstatten Pilatus über die Geschehnisse Bericht; dieser lässt alles aufzeichnen und im Prätorium deponieren. Mit dem erneuten Eintreten der Pilatus-Figur in die Handlung ist zugleich eine inhaltliche Klammer zum ersten Teil des Textes hergestellt, während die römische Obrigkeit (abgesehen von der Grabwachen-Episode im zweiten Teil) sonst in den Hintergrund gerückt war. Dass der von Rémi Gounelle und Zbigniew Izydorczyk (1997a) übersetzte Text der Rezension Lateinisch A abschließend (cap. XXVIII ) 21 einen Brief des Pilatus an den Kaiser Claudius enthält, ist symptomatisch dafür, dass sich in der Überlieferung oft Texte des sogenannten ,Pilatus‘-Zyklus anschließen. 22 Neben der Epistola Pilati ad Claudium war eine häufige Ergänzung die Cura sanitatis Tiberii , in der davon berichtet wird, wie der erkrankte römische Kaiser Tiberius Boten nach dem Wunderheiler Jesus ausschickt und schließlich durch seine Verehrung des Bildes der Veronika geheilt wird. Pilatus wird als Verantwortlicher für den Tod Jesu in diesem Text negativ gezeichnet und erfährt eine weltliche Bestrafung. Trotz der Divergenzen zu den Gesta Pilati findet sich die Cura mit dem Nikodemusevangelium nicht nur im Verbund überliefert, sondern die beiden Texte erscheinen in den Handschriften teilweise als zu einem verschmolzen 23 - ein weiterer Beleg für den oben angesprochenen offenen Charakter des Werks. Die große Varianz in der Überlieferung ist typisch für apokryphe Schriften. 24 Unter ihnen kommt dem Nikodemusevangelium eine besondere Autorität zu. 25 Nicht nur aus heutiger Perspektive erscheint der Text eher als Interpretation der kanonischen Evangelien denn als konkurrierender Text; 26 es gibt auch aus dem 13. Jahrhundert Belege dafür, dass 19 Zu dieser und weiteren Verbindungen zwischen den Textteilen vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 74 f. 20 Zum theologischen Gehalt des Descensus -Abschnittes vgl. Gounelle 2007. 21 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 209-213. Dort ist dem Brief keine Kapitelnummer zugeordnet. Zur Frage der Kapitelnummerierung vgl. ebd., S. 209, Anm. 217. 22 Vgl. dazu Izydorczyk 1997b, S. 6-9; zu den ,Appendizes‘ des Nikodemusevangeliums vgl. ausführlicher dens. 1997c, S. 55-68. 23 Vgl. dazu Izydorczyk 1997c, S. 59. 24 Vgl. Masser / Siller 1987, S. 18. 25 Im Dekret des Gelasianus ist keiner der bekannten Titel für das Nikodemusevangelium oder für Teile davon genannt (vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 28). Für das Spätmittelalter lässt sich aus der Überlieferung erschließen, dass das Nikodemusevangelium beinahe den Status eines kanonischen Evangeliums erreicht hat (vgl. ebd., S. 29). 26 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 18-20. Furrer (2000), die die intertextuellen Bezüge des ersten Teils des Nikodemusevangeliums untersucht, klassifiziert die kanonischen Evangelien als Hypotext 2.2 Zur Forschungslage 59 der Text zur Exegese benutzt wurde. 27 Außerdem deuten Kürzungen in der Mehrheit der Handschriften der Rezension Lateinisch B darauf hin, dass das Nikodemusevangelium als Ergänzung der kanonischen Evangelien verstanden werden konnte: Ein Teil der Verhandlung vor Pilatus (cap. II 3- IV 5) ist dort durch den Satz ersetzt Quid multa? iam omnia nota sunt uobis a sancto euuangelio. 28 („Wozu noch Weiteres? Alles ist euch bereits bekannt aus dem heiligen Evangelium.“). Mit auschlaggebend für die Wertschätzung des Textes dürfte die im ,Prolog‘ vorgenommene Verbindung mit der Person des Nikodemus gewesen sein, die der Erzählung Authentizität verlieh. Ab dem 13. Jahrhundert wurde der Text sogar als ,Evangelium‘ bezeichnet, auch wenn diese Klassifikation die Textsorte nicht genau trifft. 29 Der ,Kanonisierung‘ des apokryphen Textes steht seine narrative Fortentwicklung gegenüber. Für die reiche literarische Rezeption, vor allem des Descensus -Teils, 30 dürfte nicht zuletzt die effektive dramatische Gestaltung von Bedeutung gewesen sein. In der Rezeption ist also die Doppelnatur des Nikodemusevangeliums aufgenommen worden: der heilsgeschichtliche Wahrheitsanspruch und die Orientierung am kanonischen Vorlagentext auf der einen Seite und die Eigenständigkeit der Narration auf der anderen. Insofern auch Rechtsmotive narrativ verarbeitet sind, scheint es gerechtfertigt, den Text unter der Perspektive von , L i t e r a t u r und Recht‘ zu betrachten, 31 auch wenn die diffizile Frage, inwieweit das Nikodemusevangelium als literarischer Text gelten kann, an dieser Stelle nicht ausdiskutiert werden kann. 32 2.2 Zur Forschungslage Der im ,Vorwort‘ des Nikodemusevangeliums erhobene Anspruch, dass der nachfolgende Text aus dem Aktenbestand im Archiv des Pilatus stamme, fordert eine rechtshistorische Betrachtungsweise des Textes geradezu heraus. In der Tat hat Ernst von Dobschütz 1902 die These aufgestellt, dass sich der Abschnitt über den Prozess nur dadurch angemessen verstehen ließe, dass man „ihn fasse als Ve r s u c h , d e n P r o c e s s J e s u a l s i n a l l e n F o r m e n d e s r ö m i s c h e n S t r a f p r o c e s s e s , w i e e r d e m Ve r f a s s e r g e l ä u f i g w a r , v e r l a u f e n d a r z u s t e l l e n .“ 33 Unter dieser Prämisse analysierte von Dobschütz die Prozesshandlung und kam zu dem Ergebnis, dass die Anlehnung an Prozessakten eine Fiktion sei, dass es sich aber durchaus um ein specimen iuridicum handele: Es sei von einem vermutlich juristisch gebildeten Verfasser versucht worden, den Prozess als (vgl. ebd., S. 312 f.). Für eine Aufschlüsselung der Verarbeitung der einzelnen kanonischen Evangelien vgl. Furrer 2010. 27 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 35 f. 28 Zur Stelle vgl. Izydorczyk 1997c, S. 51; Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 95 f. 29 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 21-27. Zur Definition von ,Evangelium‘ vgl. auch Kelhoffer 2010. 30 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 41-44; Henkel 2006; Tamburr 2007, S. 102-147. Ein Überblick über die einzelnen nationalen Rezeptionsstränge findet sich bei Izydorczyk 1997a. 31 Entscheidendes Kriterium ist hier, dass es sich beim Nikodemusevangelium nicht um einen rechtspragmatischen Text handelt. Ein grundsätzlicher Konnex zwischen Narrativität und Literariziät soll damit nicht postuliert werden. 32 Wiederum käme es darauf an, welchen Literaturbegriff man zugrunde legt (s. dazu o. S. 23 f.). Verwiesen sei nur darauf, dass auch biblischen Texten ein literarischer Charakter zuerkannt werden kann (vgl. dazu einführend Jack 2012; vgl. auch Mauz 2009, S. 214-216 [mit weiterer Literatur]). 33 Von Dobschütz 1902, S. 91 (Sperrungen im Original). 60 2 Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext Akkusationsverfahren darzustellen, wie es im 4. Jahrhundert üblich gewesen sei. 34 Dem hat Theodor Mommsen, auf dessen rechtshistorische Arbeiten sich von Dobschütz bei seinen Ausführungen maßgeblich stützt, noch in demselben Jahr heftig widersprochen: „Die Pilatusakten […] rühren […] her von einem Verfasser, der vom römischen Recht gar nichts verstand und dessen juristische Unwissenheit vor allem da hervortritt, wo er Rechtsausdrücke wie praetorium , praeco , velum in den Mund nimmt, während er überdies an Albernheit seines Gleichen sucht.“ 35 Die (sich auf die Rezension Griechisch A konzentrierende) Kontroverse zwischen Mommsen und von Dobschütz, auf die bereits Erich Klibansky (1925) einleitend zu seiner Analyse der Prozesshandlung in mittelhochdeutschen Versdichtungen über die Passion verwies, 36 verdient immer noch Aufmerksamkeit, weil sie zusammen mit der darauf aufbauenden Forschung grundlegende methodologische Fragen offenlegt. 37 Klibanskys Kritik, dass das Nikodemusevangelium unreflektiert als rechtshistorische Quelle genutzt worden sei, 38 trifft dabei nicht den Kern der Sache, denn von Dobschütz fragt nach dem „Motiv“ für die Abfassung der Schrift 39 und interpretiert den Abschnitt über den Prozess als einen Versuch der kulturellen Aneignung, die das Geschehen einem zeitgenössischen Publikum näherbringen sollte. 40 Dass von Dobschütz ein übergeordnetes Erzählziel annimmt, mag der Grund dafür sein, dass er bei Abweichungen vom Prozessrecht des 4. Jahrhunderts zumindest erwägt, dass sie sinnstiftend gewesen sein bzw. auf die Gegebenheiten der Vorlage zurückgehen könnten. 41 Mommsen, der wesentlich mehr Irregularitäten des Prozessablaufs konstatiert als von Dobschütz, schließt daraus dagegen auf die Inkompetenz des Verfassers in Rechtsdingen. Dabei gesteht Mommsen dem Verfasser durchaus zu, dass er die (mögliche) Form des Akkusationsverfahrens habe wählen wollen, „weil es dem Verfasser sicher als Blasphemie erschienen wäre, den Heiland im Bagatellprocess verurteilen zu lassen“. 42 Selbst innerhalb von Mommsens Beitrag wird so erkennbar, wie stark die Interpretation rechtlicher Motive 34 Vgl. von Dobschütz 1902, S. 110-113. 35 Mommsen 1902, S. 205. Dabei war sich Mommsen (vgl. ebd., S. 199; 205) bewusst, dass auch die Kapitel I-XI des Nikodemusevangeliums mehrfach redigiert wurden. Selbst wenn bei ihm von ,dem Verfasser‘ dieses Textabschnitts die Rede ist, steht die personale Chiffre für die Grundkonzeption des Textes und nicht für einen konkreten Autor. 36 Vgl. auch Klibansky 1925, S. 8. 37 Dass von Dobschütz aus der Perspektive der „Theologie“ und Mommsen aus der der „Rechtswissenschaft“ spreche (so Schärtl 2011, S. 13), ist eine zu sehr vereinfachende Betrachtungsweise. 38 Vgl. Klibansky 1925, S. 8: „Es darf eben nie der methodische Gesichtspunkt vergessen werden, daß literarische Denkmale im allgemeinen weder Gesetzbücher noch Urkunden im juristischen Sinne vorstellen, vielmehr erst nach kritischer Prüfung aller ihrer Entstehungsbedingungen der historischen Erkenntnis dienen können.“ 39 Von Dobschütz 1902, S. 89. 40 Von Dobschütz 1902, S. 113: „Sie [sc. die Schrift] lässt sich einreihen jenen Versuchen, das Evangelium durch Einkleidung in nationale Formen dem Verständnis näher zu bringen. Man denke nur an den altsächsischen Heliand.“ 41 Er diskutiert die Möglichkeit, dass die Tatsache, dass das Urteil nicht regelgemäß verlesen wird, auf dessen Unrechtmäßigkeit hindeuten könnte, warnt aber zugleich vor der Gefahr der Überinterpretation (vgl. von Dobschütz 1902, S. 105). Die alternative Erklärung, dass der Verfasser des Nikodemusevangeliums die Kreuzinschrift als schriftliche Formulierung angesehen habe (vgl. ebd.), impliziert, dass neben der Realitätsreferenz auch eine Orientierung an der Vorlage bei der Interpretation in Betracht zu ziehen ist. 42 Mommsen 1902, S. 200. 2.2 Zur Forschungslage 61 von den Prämissen abhängig ist, die der Interpret über die Kohärenz des Textes und den Gestaltungswillen seines Verfassers aufgestellt hat. Das lässt sich auch am Kapitel Chaim Cohns (1997 [1977]) über das Nikodemusevangelium zeigen. Er wendet sich mit Bezug auf die Kontroverse zwischen von Dobschütz und Mommsen dagegen, dass das Erkenntnisinteresse in erster Linie auf den Kompetenzen des Verfassers liegen sollte. 43 Grundlage für Cohns eigene Interpretation ist die Annahme, dass der Verfasser einige Unstimmigkeiten der kanonischen Evangelien habe ,wegerklären‘ und das Geschehen mit seinem Wissen über die römische Gesetzgebung und das römische Verfahrensrecht habe in Einklang bringen wollen. 44 Um die narrative Bearbeitung durch den Verfasser als sinnstiftend zu erweisen, muss Cohn dann jedoch mit den beim Verfasser und dessen zeitgenössischen Rezipienten vorhandenen oder nicht vorhandenen Kenntnissen über das römische und das jüdische Recht argumentieren. 45 Dass von Dobschütz und Mommsen zu abweichenden Ergebnissen kommen, was die Korrespondenzen zwischen dem im Nikodemusevangelium geschilderten Prozess und einem ,korrekten‘ Akkusationsverfahren angeht, ist nur zu einem geringen Grad darauf zurückzuführen, dass sie das Nikodemusevangelium unterschiedlich datieren. 46 Ihre divergierenden Annahmen über die Entstehungszeit des Textes verweisen aber auf ein zusätzliches Problem der Forschung zum Komplex ,Literatur und Recht‘, insbesondere bei vormodernen Texten: Kann überhaupt davon ausgegangen werden, dass sich Referenzen auf das Rechtswesen auf die Verhältnisse zur Entstehungszeit des Textes beziehen? Das scheint beispielsweise Anne Daguet-Gagey (2005) vorauszusetzen, wenn sie aus den rechtlichen ,Realien‘ im Nikodemusevangelium eine Datierung des Textes ableitet. Ihre These stützt sich allerdings nicht auf die ,Realien‘ allein, sondern vor allem auf die verwendeten termini technici . 47 Die Datierung über termini post quem für bestimmte Ausdrücke ist überzeugend; die Frage, wie sich aktualisierende Bezeichnungen zur dargestellten Sache verhalten, stellt Daguet-Gagey jedoch nicht. Dabei zeigen sich ihren Erkenntnissen zufolge sowohl bei der Lokalisierung des ,Tribunals‘ als auch bei der Episode mit den sich verneigenden ‚Zeichen‘ Wissenslücken des Verfassers über römische Gepflogenheiten. 48 Daraus wäre aber doch dann zu schließen, dass der Verfasser eben nicht die zu seiner Zeit gegenwärtige Rechtspraxis darstellt, vielmehr das, was für ihn und die Rezipienten als ,römisch‘ plausibel ist. Dass durch den Versuch der Darstellung eines ‚römischen‘ Kontexts ein hybrides Bild eines 43 Vgl. Cohn 1997 (1977), S. 342-365 (mit Anm. auf S. 469), bes. S. 343: „Uns interessieren nicht so sehr die juristischen oder anderweitigen Qualifikationen des Autors, sondern seine Bemühungen, der Geschichte über die Haltung des Pilatus gegenüber Jesus einen Sinn zu verleihen.“ 44 Vgl. Cohn 1997 (1977). 45 Vgl. z. B. Cohn 1997 (1977), S. 347. 46 Vgl. Mommsen 1902, S. 198 f.; 205. 47 Vgl. Daguet-Gagey 2005, bes. S. 33. Sie zitiert die Beiträge von Mommsen (vgl. ebd., S. 19, Anm. 23) und von Dobschütz (vgl. ebd., S. 25, Anm. 48), setzt sich jedoch weder mit deren Ansätzen noch den einzelnen Argumenten auseinander. So charakterisiert sie - ohne Bezug auf Sekundärliteratur - das geschilderte Verfahren als cognitio (vgl. ebd., S. 14). Zu den divergierenden Thesen zur Form des Prozesses vgl. auch Schärtl 2011, S. 194 f. 48 Vgl. Daguet-Gagey 2005, S. 19; 23-29. Vgl. zu beiden Aspekten den gegenwärtigen Forschungsstand bei Schärtl 2011, S. 200-202; 204 f. - Zum Ort der Gerichtsverhandlung s. auch u. S. 63. 62 2 Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext Rechtswesens entsteht, wäre beim Untersuchungsziel Daguet-Gageys, versteckte Realien im Prozessteil des Nikodemusevangeliums aufzuspüren, 49 zu bedenken. Wie Daguet-Gagey will auch Schärtl (2011) die Gesta Pilati als historische Quelle auswerten. Ihr geht es jedoch nicht um die Realien, sondern um kulturelle und gesellschaftliche Strömungen, aus denen die Motivation für die Abfassung des Textes erwachsen sein könnte. 50 Um ihrem Ziel näherzukommen, analysiert Schärtl die Erzählstrategien, zieht daraus Schlüsse über mögliche Adressatengruppen und arbeitet dem Text inhärente Einstellungen zu Heidentum, Christentum und Judentum heraus. Ihre Analyse der rechtshistorischen Bezüge steht im Einzelnen dem Vorgehen bei von Dobschütz und Mommsen sehr nahe, verfolgt aber dezidiert das Ziel, die Funktion der Prozessgestaltung zu bestimmen. 51 Das betrifft sowohl die Darstellung der Prozessparteien als auch die Tatsache, dass der Prozess überhaupt formal durchgestaltet wurde. 52 Aspekte wie die Vorlagengebundenheit, die etwa bei von Dobschütz nur andeutungsweise zur Sprache kamen, werden von Schärtl explizit formuliert: „Für den Verfasser liegt die weitestreichende Beschränkung darin, dass seine Darstellung dem beim Leser bekannten Prozessverfahren mehr oder weniger folgen muss und dies unter der Bedingung, dass die ebenfalls bekannten ,Fakten‘ aus den kanonischen Evangelien enthalten sein müssen. Ein dritter wesentlicher Punkt, der die Darstellung dabei nachhaltig beeinflusst, ist die vom Verfasser vorgesehene Aussage, also seine Intention.“ 53 Historisch ,inkorrekte‘ Details führt Schärtl dementsprechend auf die Intention des Verfassers zurück, wenn sie auch Unkenntnis seinerseits keineswegs ausschließen will. 54 Zwar wäre aus literaturwissenschaftlicher Perspektive zu fragen, ob die von Schärtl skizzierten Rahmenbedingungen des Erzählens tatsächlich notwendige Reaktionen herausgefordert haben und inwieweit sicher auf eine Intention des Verfassers zu schließen ist, dennoch ist ihre Berücksichtigung der verschiedensten Aspekte weiterführend. Unbeachtet lässt Schärtl dagegen mögliche Motivtraditionen 55 oder die Orientierung an vorgeprägten Erzählmustern. 56 Grundsätzlichere Aspekte der ,Historizität‘ des im Nikodemusevangelium dargestellten Geschehens sind bisher nicht erörtert worden. Ansatzpunkte dafür könnte neben dem Komplex ,Literatur und Recht‘ die theologische Forschung zu den kanonischen Evangelien 49 Vgl. Daguet-Gagey 2005, S. 10: „Nous nous proposons de traiter, dans le cadre de cette étude, des réalités qui se cachent dans les Acta Pilati et qui concernent principalement les structures administratives et juridiques de la Judée, au temps des débuts de christianisme.“ 50 Vgl. Schärtl 2011, S. 11. 51 Das berücksichtigt Brendel (2011) bei seiner Kritik, die Ergebnisse im Kommentarteil der Arbeit (Schärtl 2011, S. 65-157) gingen kaum über den bisherigen Forschungsstand heraus, nicht. Brendels Kritik ist allerdings insofern berechtigt, als etwa Mommsens Forschungsleistung, anders z. B. als bei Omerzu (2002, S. 3 f.), nicht historisch verortet wird. 52 Vgl. zu diesem Aspekt Schärtl 2011, S. 16: „Durch die Ausführlichkeit ihrer Darstellung vermitteln die Pilatusakten den Eindruck eines korrekt geführten Prozesses, auch wenn das Urteil wie in den kanonischen Evangelien letztlich unbegründet bleibt. Die starke Ausprägung der formalen Abläufe des Prozesses ist ein Indiz für die dem Text innewohnende Verhältnisbestimmung und Legitimation von römischem Reich und Christentum, dem es nachzugehen gilt.“ 53 Schärtl 2011, S. 189. 54 Vgl. Schärtl 2011, S. 241. 55 Vgl. Daguet-Gagey (2005, S. 33 f.), die unter anderem die Episode mit den sich verneigenden ‚Zeichen‘ mit der Tradition der prodigia in Verbindung bringt. 56 Ehlen (2004, S. 180-288) will für die Rezension Griechisch B des Nikodemusevangeliums strukturelle Parallelen zur antiken Literatur, insbesondere dem antiken Roman, herausarbeiten, die Ausführungen zur Prozesshandlung (S. 229-234) sind jedoch bewusst knapp gehalten (S. 229). 2.3 Ausgestaltung der Prozesshandlung 63 bieten. Ausgehend von Jörg Freys (2009) Differenzierung zwischen ,Historizität‘ und ,Geschichtsbezug‘ 57 lässt sich festhalten, dass bei der Prozessdarstellung im Nikodemusevangelium vor allem ein Geschichtsbezug zu konstatieren ist (ohne dass - wie bei Frey impliziert - dieser Bezug einen heilsgeschichtlichen Charakter hat). Um zu ergründen, wie der Eindruck eines plausiblen Prozessgeschehens erzeugt wird und welche Implikationen die einzelnen Elemente haben, ist jedoch historisch-kritische Forschung nötig. Als Ergebnis der bisherigen Forschung zum Nikodemusevangelium hat sich - gleichsam paradigmatisch für das Verhältnis von ,Literatur und Recht‘ in Texten, die etwas Vergangenes schildern - als grundlegende Frage ergeben, ob die aktualisierenden Züge primär dazu dienen, das vergangene Geschehen plausibel zu machen, oder ob eine Transposition des Geschehens in die Entstehungszeit des Textes vorgenommen ist, bei der der Gegenwartsbezug konstitutiv für bestimmte Sinndimensionen ist. 2.3 Ausgestaltung der Prozesshandlung Hier ist nicht der Ort, um die Bezüge der Prozesshandlung im Nikodemusevangelium zum Rechtswesen der Entstehungszeit im Einzelnen zu diskutieren. 58 Im Hinblick auf die Fortsetzung der ,Apokryphisierung‘ in den deutschen Versdichtungen soll aber festgehalten werden, welche rechtlichen Aspekte bei der Apokryphisierung der kanonischen Evangelien im Nikodemusevangelium herausgearbeitet wurden. Ausgangspunkt für die Darstellung des Prozesses gegen Jesus im Nikodemusevangelium war das äußerst diffuse Bild, das die kanonischen Evangelien in ihrer Gesamtheit bieten: In welchem Verhältnis die Verhandlungen vor dem Sanhedrin und vor Pilatus stehen, 59 bleibt dort ebenso unklar wie die genauen Anklagepunkte 60 und die Art des Prozessendes (mit formellem Urteil oder nicht? ). 61 Im Nikodemusevangelium liegt die gerichtliche Zuständigkeit klar bei Pilatus (cap. I 1 f.), der als selbsturteilender Richter die Verhandlung führt. 62 Auch wenn im ersten Teil des Nikodemusevangeliums keine Verhandlung vor dem Sanhedrin geschildert wird, ist das jüdische Recht präsent, und zwar auf der diskursiven Ebene, weil Pilatus das Verfahren mehrfach an die jüdische Gerichtsbarkeit überweisen will (cap. III 1; IV 4) und sich ,die Juden‘ auf ihr Gesetz berufen (cap. II 5; III 1; IV 3; VII [6,3 (G / I)]). Rechtsordnungen werden auch thematisiert, wenn sich Pilatus auf die Sitte bezieht, dass ,den Juden‘ am Passahfest immer ein Gefangener freigegeben werde, und diese Sitte als consuetudo bezeichnet (cap. IX 1 [7,1 (G / I)], Zitat Z. 6). Die von Pilatus geleitete Verhandlung erfährt eine genaue Lokalisierung: In Anlehnung an das Johannesevangelium (18,28-19,15) spielt sich die Pilatus-Handlung im Prätorium und davor ab, wobei im Nikodemusevangelium das Tribunal im Prätorium angesiedelt ist. 63 57 S. dazu o. S. 11. 58 Vgl. dafür den Überblick bei Schärtl 2011, bes. S. 65-157; 180-206. Zum Ort der Gerichtsverhandlung vgl. auch Färber 2014, S. 295-297; 303 f. 59 Vgl. Bammel 1984, S. 415-419. 60 Vgl. Burnside 2011, S. 431. 61 Rosen (1990, S. 56) verneint das, während nach Knothe (2005, S. 96) Indizien dafür sprechen. 62 Vgl. Lampe 1984, S. 176 f. Darüber hinaus hält Pilatus auch eine Scheltrede an ,die Juden‘ (cap. IX 2 [7,2 (G / I)]). Vgl. dazu auch Schärtl 2011, S. 180. 63 Vgl. Schärtl 2011, S. 200-202. Zur Lokalisierung des Tribunals bzw. Bemas in der Spätantike vgl. auch Dinkler 1967 (1944), S. 122; Omerzu 2002, S. 245 f. Nach dem Matthäusevangelium (27,27) und dem 64 2 Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext Trotzdem ist die Verhandlungsführung dort öffentlich. 64 Für alle Phasen der Verhandlung wird in der Erzählung sorgfältig differenziert, ob sie in der Öffentlichkeit stattfindet oder nicht. 65 Die ,Menge‘ spielt schon in den kanonischen Evangelien eine wichtige Rolle, insofern eine Tendenz besteht, ,den Juden‘ Schuld zuzuweisen. 66 Im Nikodemusevangelium ist die rechtsrelevante Rolle der Menge um einen weiteren Aspekt erweitert, da erzählt wird, dass Pilatus das Weinen eines Teils der Menge bei seinen Entscheidungen berücksichtigt (cap. IV 5). Mit der Öffentlichkeit der Verhandlung ist das Gebiet des Verfahrensrechts berührt. Auch in seinem zeitlichen Ablauf ist der Prozess als geregeltes Verfahren erkennbar, das auf der Figurenebene als solches thematisiert wird, wenn ,die Juden‘ die Art der Vorladung Jesu durch Pilatus kritisieren (cap. I 2) oder das Zeugnisrecht bestimmter Personengruppen (Proselyten, Frauen) anzweifeln (cap. II 4; VII [6,3 (G / I)]). Dass die Intention des Pilatus, vom Richterstuhl aufzustehen (cap. II 1; IX 3 [8,1 (G / I)]), oder sein Verlassen des Prätoriums (cap. III 1; IV 1) immer auch implizieren, dass das Verfahren dadurch abgebrochen werden könnte, verdeutlicht weiterhin dessen formellen Charakter. Der Ablauf des Verfahrens ist - nach der Klageerhebung durch eine Gruppe von ,Juden‘ (cap. I 1) - zunächst durch die respektvolle Vorladung Jesu durch Pilatus geprägt, die in der Erzählung mit dem Wunder der sich verneigenden ‚Zeichen‘ verbunden wird (cap. I 2-6). Dass mit der Ausgestaltung der Vorladung, die einen noch in Freiheit befindlichen Angeklagten impliziert, deutlich von den kanonischen Evangelien abgewichen wurde, 67 zeigt, welch hoher Stellenwert dem prozessualen Verfahren zukommt. Bei der Vorladung sind mit der Art der Durchführung zugleich bestimmte inhaltliche Implikationen verbunden. Allerdings ist die verfahrensrechtliche Ausgestaltung des Prozesses dann auch wieder anderen Erzählzielen untergeordnet, wenn sich etwa Pilatus mit den für Jesus eintretenden Zeugen berät (cap. II 6; IX 1 [7,1 (G / I)]) und so die schlechten Absichten der Jesus feindlich gesonnenen ,Juden‘ diskutiert werden. 68 Im Verlauf des Prozesses wird - nach der Darstellung im Text - von Anklägern eine Reihe von Anklagepunkten vorgebracht, die jeweils durch Aussagen anderer widerlegt werden. Markusevangelium (15,16) befand sich das Bema wohl außerhalb des Prätoriums, im Johannesevangelium (19,13) ist das eindeutig der Fall (vgl. Dinkler 1967 [1944], S. 125). 64 Jedenfalls fordert Pilatus die Volksmenge auf hinauszugehen, als er allein mit den zwölf Juden sprechen will, die für Jesus eintreten: Iubens ergo Pilatus omnem populum exire foras absque XII uiris qui dixerunt quoniam non est natus ex fornicatione, et Iesum iussit segregari semotim et dixit eis Pilatus: […] (cap. II 6, Z. 1-4; „Pilatus befahl also, das ganze Volk solle nach draußen gehen, ausgenommen die zwölf Männer, die gesagt haben, dass er nicht aus Hurerei geboren sei, und befahl, dass Jesus separat entfernt werde, und Pilatus sagte zu ihnen: […]“). 65 Allerdings gibt es in cap. IV 3 eine Inkohärenz, weil ,die Juden‘ darauf reagieren, was Jesus im Prätorium zu Pilatus gesagt hat, als sie beide alleine sind. Vgl. dazu Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 141, Anm. 47. Auch die Lokalität des Geschehens ist ab dieser Stelle unklar. Dass Pilatus die gesamte jüdische Menge zusammenrufen lässt (cap. IX 1 [7,1 (G / I)]), spricht dagegen, dass sich die Handlung im Prätorium abspielt. Nach cap. VIII 1 muss das aber der Fall sein. 66 Vgl. Rosen 1990, S. 48 f. Dazu, dass die judenfeindlichen Elemente in den jüngeren Evangelien zunehmen, vgl. auch Knothe 2005, S. 91. 67 Wenn erzählt wird, dass Pilatus am Ende des Prozesses zu Jesus gesagt habe, er solle dort gekreuzigt werden, wo er gefangen genommen worden sei (cap. IX 5 [9 (G / I)]), wird allerdings die in den kanonischen Evangelien geschilderte Gefangennahme vorausgesetzt. Zu diesem Bruch im Nikodemusevangelium vgl. (in Bezug auf die Rezension Griechisch A) Lampe 1984, S. 177. 68 Schärtl (2011, S. 185) hält es aus rechtshistorischer Sicht für unmöglich, dass Zeugen zugleich als consilium fungieren, und führt dieses Motiv auf die theologische Konzeption des Textes zurück. 2.3 Ausgestaltung der Prozesshandlung 65 Auch wenn es sich dabei inhaltlich um Reden zur Anklage und zur Verteidigung handelt, wäre es nicht ganz zutreffend, von Parteienreden zu sprechen, denn die Verteidigung Jesu ist jeweils Zeugen in den Mund gelegt. Sie berichten teilweise von eigenen Erfahrungen (cap. VI - VIII [6 (G / I)]). Dass die Ankläger mit der vita anteacta 69 argumentieren (cap. II 3), ruft aber auch ein ,Charakterzeugnis‘ der Jesus wohlgesonnenen , Juden‘ hervor, die als laudatores auftreten (cap. II 4). 70 Pilatus will sich den Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen durch einen Eid bestätigen lassen, den sie aber wegen der Vorschriften in ihrer Religion verweigern (cap. II 5). Durch die Eidforderung wird jedoch der Augenzeugenschaft noch eine Facette der Wahrheitsfindung hinzugefügt. Auch performativ werden Methoden der Wahrheitsfindung vorgeführt, wenn Pilatus die römischen Träger der ‚Zeichen‘ durch jüdische austauschen lässt, nachdem sich die signa das erste Mal vor Jesus verneigt haben, um beim zweiten Mal sicherzustellen, dass sich wirklich die signa verneigen und nicht deren Träger (cap. I 5 f.). Bei der Wahrheitsfindung scheint es sich also um einen Aspekt zu handeln, der mit der Rechtshandlung verbunden, aber nicht darauf beschränkt ist. Auch auf der diskursiven Ebene des Textes ist die Wahrheitsthematik im Nikodemusevangelium gegenüber den kanonischen Evangelien weiterentwickelt, indem der Frage des Pilatus, was Wahrheit sei (Io 18,38), eine Antwort Jesu hinzugefügt ist, dass sie nämlich vom Himmel käme. Auf die erneute Nachfrage des Pilatus, ob es denn auf Erden keine Wahrheit gebe, sagt Jesus: ‘Intende ueritatem dicentis in terra, quomodo iudicantur ab his qui habent potestatem in terris.’ (cap. III 2, Z. 17 f.; „ ,Sieh dir an, wie diejenigen, die auf Erden die Wahrheit sagen, von denen gerichtet werden, die auf Erden die Macht haben.‘ “). Durch diese Antwort Jesu wird ein Bezug zwischen der grundsätzlichen Frage nach Wahrheit, ihrer göttlichen Herkunft und der Unangemessenheit der irdischen Rechtspraxis hergestellt. Die verfahrensrechtlichen Elemente im Nikodemusevangelium sind auf diese Weise eingebunden in Reflexionen über konkurrierende Rechtsordnungen und die Rechtspraxis auf Erden überhaupt. Auf der Ebene übergreifender Rechtsfragen sind thematische Vernetzungen mit Textteilen zu beobachten, die an die Prozesshandlung anschließen. Wie es Personen ergeht, die die Wahrheit sagen, wird im Abschnitt über Joseph von Arimathia (cap. XII - XVI ) thematisiert, wobei sich hier zunächst der pessimistische Blick Jesu auf den Umgang mit der Wahrheit auf Erden zu bestätigen scheint, bevor sich die Wahrheit dann doch durchsetzt, und zwar aufgrund eines von jüdischen Autoritäten durchgeführten formalisierten Verfahrens der Wahrheitsfindung. Dass sich die Hohepriester dabei Methoden wie der getrennten Befragung von Zeugen (cap. XVI 3 [16,3,1 (G / I)]) bedienen, spiegelt in gewisser Weise das Prozessgeschehen in den Gesta Pilati . 71 Auch die Erzählung von der Höllenfahrt ist Teil einer Zeugenaussage (vgl. cap. XVII 3; XXVII 3). Innerhalb dieses Berichts der Augenzeugen Leucius und Karinus wird wiederum - wie im Prozess - die Rechtmäßigkeit der Verurteilung Jesu diskutiert, diesmal zwischen ,der Hölle‘ (dem Höllenvolk) und Satan (cap. XXIII 1). 72 Wenn man den Blick vom Prozessrecht im engeren Sinne auf den gesamten Themenkomplex ,Recht‘ erweitert - und das erscheint gerade angesichts der Verknüpfung der Ebenen in der Aussage Jesu zur Wahrheit auf Erden gerecht- 69 Zu der auch literarisch produktiven rhetorischen Tradition der Diskussion der vita anteacta in Gerichtsprozessen vgl. Ehlen 2004, S. 232. 70 Vgl. dazu von Dobschütz 1902, S. 97; Schärtl 2011, S. 185. 71 Vgl. dazu Schärtl 2011, S. 319. 72 Vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 75. 66 2 Zu ,Literatur und Recht‘ im Prätext fertigt -, dann wird deutlich, dass Rechtsfragen, eingebettet in den Erzählkontext, das gesamte Nikodemusevangelium durchziehen, wenn sie auch in den einzelnen Textteilen in unterschiedlicher Intensität behandelt werden. 3.1 Das Nikodemusevangelium aus der Sicht des ,deutschen‘ Rechts: Anknüpfungspunkte und Irritationsmomente6 7 3 Variationen der Rechtsthematik in Diu urstende, Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi 3.1 Das Nikodemusevangelium aus der Sicht des ,deutschen‘ Rechts: Anknüpfungspunkte und Irritationsmomente Die konkretisierende Ausgestaltung der Prozesshandlung im spätantiken Nikodemusevangelium 1 bedeutete für Bearbeiter des Textes im Hochmittelalter, dass sie sich in Bezug auf das Rechtswesen mit mehr Sachfragen und ihrer eigenen Vorstellungswelt womöglich ,fremden‘ Elementen auseinanderzusetzen hatten, als dies bei den Berichten in den kanonischen Evangelien der Fall war. Auf mögliche Anknüpfungspunkte oder Irritationsmomente deuten heute allerdings allein die Modifikationen in den ,Wiedererzählungen‘ des Nikodemusevangeliums hin, wobei die jeweilige Motivation der Autoren dafür nicht zu ermitteln ist, sodass produktionsästhetische Rückschlüsse hypothetisch bleiben müssen. 2 Bei den drei deutschen Versdichtungen, die (für die Darstellung des Prozessgeschehens) überwiegend auf dem Nikodemusevangelium beruhen, wird sich zeigen lassen, dass sie an ähnlichen Punkten gegenüber dem Nikodemusevangelium Übereinstimmungen bzw. Veränderungen aufweisen. Da Christi Hort in Kenntnis von Diu urstende verfasst wurde und produktionsseitige intertextuelle Bezüge zwischen Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi zumindest nicht auszuschließen sind, 3 kann man nicht alle Gemeinsamkeiten auf eine Auseinandersetzung mit dem Prätext zurückzuführen. Trotzdem sei der Analyse der Einzeltexte eine von der mittelalterlichen Rechtswelt der Verfasser ausgehende Betrachtung des Nikodemusevangeliums vorangestellt, weil so vorweg der rechtshistorische Rahmen grob umrissen werden kann, innerhalb dessen die einzelnen Texte entstanden sein dürften. 4 Angesichts der Koexistenz verschiedener Rechts- und Prozessordnungen im 13. Jahrhundert wären für die Rezeption der Prozesshandlung im Nikodemusevangelium unterschiedliche zeitgenössische Referenzrahmen denkbar. Für Pilatus als weltliche Autorität erscheint für den deutschen Raum im 13. Jahrhundert die Folie eines Prozesses nach ,deutschem‘ Recht, bei dem das Urteil von einem Urteilergremium gefunden wird, plausibler als die 1 Der Ausbau der Prozesshandlung gegenüber den kanonischen Evangelien bedeutet nicht, dass ein ,vollständiges‘ Verfahren geschildert würde, sondern es wird - im Rahmen der Darstellung der Heilsgeschichte - über einzelne ausgestaltete Motive die Vorstellung einer Gerichtsverhandlung verstärkt. 2 Systematisch wäre bei Aktualisierungen von Rechtsmotiven denkbar, dass sich die Verfasser selbst die Geschehnisse durch Umsetzungen in die eigene Kultur aneignen oder dass sie den Rezipienten den Zugang erleichtern wollten. Möglich erscheint auch, dass über das mit bestimmten Aktualisierungen verbundene Assoziationspotenzial das Geschehen neu perspektiviert werden sollte. Unter Ausklammerung der Frage der Intentionalität werden solche Assoziationspotenziale in Kap. 5 ausgelotet. 3 S. u. S. 99; 110; 141. 4 Dem Überblickscharakter des Kapitels gemäß wird im Folgenden vor allem auf Artikel aus dem Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte zurückgegriffen (zum Nichtvorhandensein eines einheitlichen ,deutschen‘ Rechts s. o. S. 45). Partiell wird auch der Sachsenspiegel als ältestes deutsches Rechtsbuch herangezogen; eine besondere Relevanz für die Kerntexte soll damit nicht postuliert werden. 68 3 Variationen der Rechtsthematik eines Prozesses nach gelehrtem Recht mit selbsturteilendem Richter. 5 Zwar wären Assoziationsräume nicht an institutionelle Grenzen wie die zwischen weltlicher oder geistlicher Gerichtsbarkeit gebunden, es gibt aber auch in der Handlung des Nikodemusevangeliums Elemente, die Ähnlichkeiten zu einem Verfahren nach ,deutschem‘ Recht aufweisen . 6 Zu nennen ist insbesondere die aktive Beteiligung der Menge, die bereits in den kanonischen Evangelien angelegt ist. Während heutige Historiker in der Einbeziehung der Menge in den Evangelien eine tendenziöse Abweichung vom Verfahren nach römischem Recht sehen, 7 dürfte die Beteiligung einer solchen Menge vor dem Hintergrund des ,deutschen‘ Rechts im 13. Jahrhundert unproblematisch erschienen sein, denn sie kann mit dem ,Umstand‘ 8 in Beziehung gesetzt werden. Die angesichts der geforderten Freilassung des Barrabas an die Menge gerichtete Frage des Pilatus (cap. IX 1 [7,1 (G / I)]), was ,wir‘ mit Jesus anfangen sollten, lässt sich dann als Urteilsfrage lesen. 9 Als Irritationsmoment erscheint - von den Abläufen nach ,deutschem‘ Recht aus gedacht - dann aber, dass die Rolle des Richters im weiteren Verlauf nicht in der formellen Verkündung des Urteils ausgestaltet ist (vgl. cap. IX 5 [9 (G / I)]): Einerseits geht Pilatus mit der Anordnung, dass Jesus (vor der Kreuzigung) gegeißelt werden solle, über das von ,den Juden‘ Geforderte hinaus und wird so als selbsturteilender Richter erkennbar. Andererseits scheint das Urteil nicht formell öffentlich verkündet zu werden, sondern es wird nur gesagt, dass Jesus die Geißelung mitgeteilt wird und Pilatus die Kreuzigung anordnet. 10 Andere Aufgaben, die Pilatus wahrnimmt, dürften aber mit den Zuständigkeiten eines Richters in einem Verfahren nach ,deutschem‘ Recht im Einklang gestanden haben, so beispielsweise, dass er den Prozessbeteiligten das Wort erteilt und die Verhandlung öffnet und schließt . 11 Die Parallelen liegen auf einer sehr allgemeinen Ebene, da die für ein Verfahren nach ,deutschem‘ Recht charakteristische (aus Rechts- und vor allem Rechtsgangbüchern bekannte) sprachliche Formelhaftigkeit des Verfahrens 12 im Nikodemusevangelium selbstverständlich nicht zu finden ist. Allerdings fehlen entsprechende Formeln - wegen des grundsätzlich selektiven Charakters narrativer Texte - auch in Prozesserzählungen, die sich eindeutig auf ein Verfahren nach ,deutschem‘ Recht beziehen, 13 sodass trotz des Reduktionismus der 5 Zur jeweiligen Richterrolle s. u. Kap. 5.1. Der weltliche Charakter des Prozesses vor Pilatus wird im 15. Jahrhundert auch in den York Trial Plays unterstrichen: Die Verhandlung vor Pilatus hat darin deutliche Anklänge an das zeitgenössische lokale weltliche Recht, während die Verhandlung vor den Hohepriestern Anspielungen auf das zeitgenössische kanonische Recht aufweist. 6 Tatsächlich wurden in den zu untersuchenden bibelepischen Texten einzelne Elemente des Prozesses nach Maßgabe des ,deutschen‘ Rechts umgestaltet (s. u. Kap. 3.2-3.4). 7 S. o. S. 63 f. 8 Vgl. dazu Weitzel 1998. Im 13. Jahrhundert war „die Einführung eines ständigen Ersturteilerkreises im Schöffentum“ (Sp. 441) zwar schon teilweise erfolgt, hatte sich aber noch nicht allgemein durchgesetzt (vgl. Sp. 442). 9 Vgl. dazu Landwehr 1979. 10 Zur entsprechenden Passage in der Rezension Griechisch A vgl. Schärtl 2011, S. 115-121; 200-202. Die dort geschilderten Abläufe weichen von denen in der Rezension Lateinisch A ab; gemeinsam ist beiden Rezensionen jedoch, dass nicht von einer offiziellen Urteilsverkündung die Rede ist. 11 Zu den Aufgaben eines Richters vgl. von Planck 1879, S. 88; Drüppel 1981, S. 270-316. 12 Gemeint sind ritualisierte Fragen, wie sie etwa bei der Hegung des Gerichts gestellt wurden (vgl. Schmidt 2006, S. 233-239), nicht eine übertriebene Formstrenge, deren Existenz in letzter Zeit in der rechtshistorischen Forschung in Zweifel gezogen worden ist (vgl. Oestmann 2008a; Meyer 2009, bes. S. 1-9; 263-271). 13 Vgl. z. B. die von Klibansky (1925) untersuchten Beispiele. 3.1 Das Nikodemusevangelium aus der Sicht des ,deutschen‘ Rechts 69 Prozessschilderung im Nikodemusevangelium ein Prozess nach ,deutschem‘ Recht als Bezugsrahmen aufgerufen worden sein könnte. Dass die Gerichtsverhandlung im Nikodemusevangelium überhaupt ein öffentliches Ereignis ist, lässt sich ohne Weiteres mit den Gepflogenheiten des ,deutschen‘ Rechts in Übereinstimmung bringen. 14 Problematisch dürfte dagegen die dem Nikodemusevangelium zu entnehmende Information erschienen sein, dass Pilatus in einem Gebäude zu Gericht sitzt (vgl. z. B. cap. III 1 f.), 15 denn bis in die Frühe Neuzeit hatten die Verhandlungen unter freiem Himmel oder wenigstens in Lauben als geöffneten Räumen stattzufinden . 16 Übereinstimmungen zwischen dem Nikodemusevangelium und einem Verfahren nach ,deutschem‘ Recht gibt es wiederum, was das rituelle Sitzen bzw. Aufstehen des Richters betrifft, das im Nikodemusevangelium mehrfach herausgehoben thematisiert ist (vgl. z. B. cap. IX 5 [9 (G / I)]; II ,1). 17 Der Vorwurf ,der Juden‘, dass Pilatus Jesus nicht von seinem Läufer, sondern durch einen Herold hätte vorladen lassen sollen (vgl. cap. I 2), ist ebenfalls vor dem Hintergrund des deutschen Rechtswesens verständlich, nach dessen Regeln Vorladungen durch einen Fronboten oder Büttel vorgenommen werden. 18 Auch dass die Art der Vorladung bzw. die Tatsache, ob jemand gefangen vor Gericht gebracht wird oder nicht, rechtlich relevant ist, stellt einen Punkt dar, der auf das ,deutsche‘ Recht bezogen eine Sinndimension entfaltet. 19 Mit der sich aus der Vorladung ergebenden Chance des Angeklagten, sich von Vorwürfen zu befreien, war allerdings auch seine Verpflichtung verbunden, dem Richter zu antworten. 20 Dass Jesus als Angeklagter im Nikodemusevangelium (cap. II 2) zunächst nicht auf die Vorwürfe reagiert und auf Nachfrage des Richters (in einem juristischen Sinne) ausweichend antwortet, ist auch im Rahmen des ,deutschen‘ Rechts erklärungsbedürftig. 21 Noch bevor im Nikodemusevangelium Zeugen auftreten, kommt es im Kontext der Vorladungsszene zu einer Befragung des Läufers, die den Charakter einer Beweisaufnahme hat (cap. I 3 f.): Aufgrund einer Beschwerde ‚der Juden‘ fordert Pilatus von ihm Auskunft über die Huldigungen, die er Jesus entgegengebracht habe. Als sich der Läufer auf das Verhalten ,der Juden‘ beim Einzug Jesu in Jerusalem als Grund beruft, greifen ‚die Juden‘ ein und wollen von ihm wissen, wie es sein könne, dass er verstanden habe, was auf Hebräisch gerufen worden sei, und er erklärt, er habe es sich übersetzen lassen. Dass genau aufgeschlüsselt wird, woher der Läufer sein Wissen hat, entspricht Prinzipien der (dem Richter obliegenden) Beweisaufnahme, wie sie im Spätmittelalter im gelehrten Recht formuliert 14 Vgl. (in Bezug auf Stadtrechte) Drüppel 1981, S. 38 f. Dem Öffentlichkeitsprinzip des ,deutschen‘ Rechts zuwiderlaufend ist es hingegen, dass sich Pilatus nach dem Nikodemusevangelium zeitweise allein mit Jesus (cap. III 2) oder den ihm wohlgesonnenen Juden (cap. II 6) bespricht (vgl. dazu Klibansky 1925, S. 20 f.). 15 S. dazu o. S. 63. 16 Vgl. Lück 2008d; 2012a. 17 Zur Bedeutung des richterlichen Sitzens im Mittelalter vgl. Schott 2006. 18 Vgl. Deutsch 2008; Lück 2008e. 19 S. dazu u. S. 196-198. 20 Vgl. z. B. Sachsenspiegel , Ldr. III 39,3. Danach gilt als schuldig, wer dreimal auf einen Anklagepunkt nicht ,antwortet‘. Eine Anwesenheits- und Antwortspflicht bestand auch nach dem gelehrten Recht (vgl. Evans 2002, S. 116). 21 Zum Schweigen Jesu in den kanonischen Evangelien als contumacia nach römischem Recht vgl. insbesondere Rosen (1990, S. 55-58), der darin sogar den Hinrichtungsgrund sieht. Vgl. aber auch Bammel (1984, S. 422), der dem Schweigen keine rechtliche Bedeutung beimisst. 70 3 Variationen der Rechtsthematik worden sind. 22 Zwar sind Wahrnehmungszeugen auch im ,deutschen‘ Recht (gerade in den Stadtrechten) nicht ganz unbekannt, jedoch dürfte vor allem zu Beginn des 13. Jahrhunderts das Konzept der sogenannten Eideshelfer dominant gewesen sein: Sie bestätigen bei der Eidesleistung die Glaubwürdigkeit des Schwörenden . 23 In dieser Funktion ähneln sie den im Nikodemusevangelium auftretenden laudatores (cap. II 4), obwohl die Konstellation dort anders gelagert ist, da sie den guten Leumund des Angeklagten bezeugen, der an diesem Punkt der Handlung selbst keine Aussage macht. Außerdem sollen die laudatores selbst einen Eid leisten (cap. II 5). Eide waren ein so zentraler Bestandteil des ,deutschen‘ Gerichtsverfahrens, dass diese Forderung einem Rezipienten im 13. Jahrhundert selbstverständlich vorgekommen sein dürfte. Irritierend kann dagegen die von Pilatus vorgegebene Eidesformel (cap. II 5) gewirkt haben, die vom spätantiken Kaiserkult geprägt ist. 24 Dass die zwölf Juden unter Berufung auf ihr Gesetz einen Eid generell verweigern, könnte wiederum Anknüpfungspunkte geboten haben: Auch das ‚deutsche‘ Recht kannte Sonderregelungen für Juden, allerdings wurde die Eidproblematik meist durch einen Judeneid gelöst. 25 Divergenzen zwischen dem jüdischen und dem römischen Recht werden im Nikodemusevangelium in der Verhandlung vor Pilatus mehrfach thematisiert, insbesondere weil ‚die Juden‘ nach eigener Aussage die gewünschte Verurteilung Jesu und die Kreuzigung nicht selbst vollziehen dürfen (cap. III 1). 26 Während die Existenz eines jüdischen Sonderrechts (als ,jüdisches Recht‘ oder als , Judenrecht‘) für einen mittelalterlichen Rezipienten strukturell plausibel gewesen sein dürfte, könnte es überraschend gewirkt haben, dass die Zeugnisunfähigkeit von Frauen im Text als speziell jüdisches Recht eingeführt wird (cap. VII [6.3 (G / I)]). 27 Denn im Mittelalter wurde Frauen generell keine oder nur eine sehr eingeschränkte Zeugnisfähigkeit zugestanden. 28 Insgesamt erweisen sich die rechtlichen Elemente in der Prozessschilderung des Nikodemusevangeliums nicht als so detailliert, dass sie nur einer bestimmten, unter Umständen nicht mit dem ,deutschen‘ Recht kommensurablen Rechtsordnung eindeutig zuzurechnen wären. Neben einigen wenigen ,fremden‘ Elementen (wie der Verortung des Richterstuhls in einem Innenraum) dürfte es sogar Anknüpfungspunkte gegeben haben, die es ermög- 22 S. dazu u. S. 238. 23 Zu Wahrnehmungszeugen und Eideshelfern s. u. S. 236-240. 24 Für die Eidaufforderung an die jüdischen Männer ist nach Lampe (1984, S. 178), der sich auf die Rezension Griechisch A bezieht, eine zeittypische Eidesformel verwendet worden, die für Christen akzeptabel gewesen wäre. Das trifft ebenso auf die Eidesformel in Nikodemusevangelium Lateinisch A ( per salutem Caesaris , cap. II 5, Z. 2) zu (vgl. Tertullian, Apologeticum 32,2 in der Ausgabe Beckers 1961). Doch dürfte nicht jedem mittelalterlichen Rezipienten diese Differenzierung bewusst gewesen sein. 25 Zum Eid im jüdischen Recht vgl. Cohn 1928. Zu den Judeneiden vgl. Magin 1999, S. 275-332; Wolf 2003 (jeweils mit weiterer Literatur). 26 Pilatus bezieht diese Aussage der Juden nicht auf deren rechtliche Stellung, sondern auf religiöse Vorschriften, wenn er fragt, ob das göttliche Tötungsverbot für ihn nicht gelte (cap. III 1). 27 Zu entsprechenden jüdischen Auslegungstraditionen des Alten Testaments vgl. den Kommentar von Gounelle / Izydorzcyk 1997a, S. 146 f., Anm. 67. 28 S. dazu u. S. 239; 246, Anm. 237. Nach antikem und spätantikem römischen Recht dagegen konnten Frauen vermutlich durchaus als Zeuginnen befragt werden, wie für die Kaiserzeit u. a. aus der Regelung in den Ehegesetzen des Augustus ( Lex Iulia de adulteriis coercendis ) zu erschließen ist, wonach einer Ehebrecherin ausdrücklich das Zeugnisrecht vor Gericht abgesprochen wird (vgl. Mette-Dittmann 1991, S. 39). Daraus ist zu schließen, dass an dieser Stelle im Nikodemusevangelium gezeigt werden soll, dass ,die Juden‘ das Zeugnis der Frau um jeden Preis verhindern wollen. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 71 lichten, für die Darstellung in den drei Bibelepen das Geschehen auch vor der Folie des ,deutschen‘ Rechts mit Sinn zu erfüllen. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 3.2.1. Entstehungsumfeld und Textgrundlage Die literarische Tätigkeit Konrads von Heimesfurt, dessen Beiname auf den heutigen Ort Heinsfarth (bei Oettingen) verweist, 29 lässt sich relativ sicher in die erste Hälfte des 13. Jahrhunderts datieren: Aus Anlehnungen an Werke Hartmanns (auch den Iwein ) ist ein terminus post quem zu erschließen, aus der Erwähnung im Autorenkatalog des Alexander Rudolfs von Ems ein terminus ante quem . 30 Innerhalb dieses Zeitraums spricht die stilistische Nähe zu Konrad von Fußesbrunnen dafür, dass das Wirken Konrads von Heimesfurt 31 eher zum Jahrhundertanfang hin anzusiedeln ist; 32 allerdings ist die allgemein angenommene Abfolge, dass er von seinen beiden überlieferten Werken (mit namentlicher Kennzeichnung) 33 zunächst Unser vrouwen hinvart und dann Diu urstende abgefasst habe, nicht zu sichern. 34 Dazu, dass der Autor am Anfang des 13. Jahrhunderts tätig gewesen sein 29 Zum Verfasser vgl. Fechter 1985a; Gärtner / Hoffmann 1989, S. I-XVI; Hoffmann 2000, S. 1-12; Foidl 2011. Die Werke Konrads von Heimesfurt werden nach der Ausgabe von Gärtner / Hoffmann 1989 zitiert (in der Studienausgabe [Gärtner / Hoffmann 1991] von Diu urstende sind die Inhalte aus Gärtner / Hoffmann 1989 übernommen). 30 von Heimesvurt her Kuonrât / von Gote wol getihtet hât, / den darf riuwen niht sîn werc (vv. 3189-3191, zitiert nach Junk 1928). Vgl. dazu Gärtner / Hoffmann 1989, S. XIV f.; Hoffmann 2000, S. 8-11, die den Alexander nach 1230 ansetzen. Für die Werke Rudolfs von Ems lässt sich ingesamt nur eine relative Chronologie ermitteln; der erste Teil des Alexander , aus dem die zitierten Verse stammen, ist dem wohl ab 1220 entstandenen Frühwerk zuzuordnen (vgl. Walliczek 1992, Sp. 322-326; 332-334); er ist aber wohl später überarbeitet worden (vgl. Lienert 2001, S. 50). Mit Schröder (1930, S. 232) ist anzunehmen, dass sich die vv. 3189 f. unspezifisch auf Konrads geistliche Dichtungen beziehen. Dass es sich in v. 3191 um eine Anspielung auf den Prolog von Diu urstende handelt (so Fechter 1985a, Sp. 201; Hoffmann 2000, S. 3), scheint möglich, wenn man annimmt, dass aus der Angst vor besserwisserischer Kritik (vielleicht in Kombination mit den ausgeprägten Bescheidenheitstopoi auch im Akrostichon [vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. IX f.]) auf ein riuwen geschlossen worden ist. Dann wäre es aber eine Aufnahme der Prologmotivik (wie etwa das stiuren [v. 3136] als Parzival -Anspielung in Bezug auf Wolfram) und nicht eine ,Aufmunterung‘ Konrads (so aber Fechter ebd., zustimmend Hoffmann ebd.), die voraussetzen würde, dass Konrad noch lebt. 31 Auch das Fehlen von Wolfram-Referenzen könnte darauf hindeuten (vgl. dazu Gärtner / Hoffmann 1989, S. XV). Allerdings wird man aus der Wolfram-Rezeption bei Reinbot von Durne wohl kaum schließen können, dass Konrad vor ihm gedichtet haben müsse (so aber Gärtner / Hoffmann ebd.). 32 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XV; zustimmend Henkel 1996, S. 12; zum Stil vgl. Gärtner / Hoffmann ebd., S. XIV f.; LXIX-LXXIV; Hoffmann 2000, S. 8-12. 33 Zum Werkumfang vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XII-XIV. Unser vrouwen hinvart enthält eine Namensnennung (vv. 20 f.); in Diu urstende ist der Autorname durch das Akrostichon gesichert (vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. IX f.). 34 Die Chronologie wird daraus abgeleitet, dass sich das Prolog-Ich in Diu urstende darauf bezieht, dass es früher schon unangemessene Eingriffe in sein Werk erfahren und deshalb lange nichts geschrieben habe (vv. 19-43). Ob die Passage neben einem topischen auch einen faktischen Gehalt hat, ist schwer zu sagen (vgl. zur Forschungsdiskussion den Kommentar von Gärtner / Hoffmann 1989, S. 139). Falls die Bemerkungen einen Anhalt in der Sache haben sollten, wären sie nur dann zweifelsfrei auf Unser vrouwen hinvart zu beziehen, wenn man ausschließen könnte, dass Konrad von Heimesfurt noch weitere Werke verfasst hat (vgl. dazu auch Hoffmann 2000, S. 1 f., der eine Entstehung von Unser vrouwen hinvart vor Diu urstende zumindest für wahrscheinlich hält). Die größere Freiheit der Quellenbehand- 72 3 Variationen der Rechtsthematik könnte, passt die vierfache urkundliche Überlieferung eines Konrad von Heimesfurt aus den Jahren 1198 bis 1212, wobei er in den Urkunden Bischof Hartwigs (1196-1223) aus den Jahren 1198 (zweimal) und 1204 als Ministeriale des Eichstätter Bischofs ausgewiesen ist. 35 Die Zuordnung des Autors zu dem urkundlich überlieferten Namen wäre nicht nur für die Datierung von Bedeutung, sondern auch für die Bestimmung seines Bildungsgrads und seines möglichen Publikums im Umkreis des Eichstätter Bischofshofs. Nicht zuletzt ließe sich aus den Urkunden auch eine Kenntnis bestimmter Vorgänge des ,Verwaltungsrechts‘ (Gütertrennung, Schenkung, Belehnung) ableiten. Da im fraglichen Zeitraum keine weitere Person namens Konrad von Heimesfurt überliefert ist, 36 spricht nichts dagegen, dass der in den Urkunden genannte Konrad tatsächlich mit dem Autor identisch ist. 37 Kontrovers ist diskutiert worden, wie sich dann sein Ministerialienstatus zur Selbstbezeichnung als phaffe (v. 20) in Unser vrouwen hinvart 38 verhält. Bekanntlich muss phaffe jedoch nicht einen geistlichen Stand implizieren, sondern kann wie lat. clericus auch jemanden bezeichnen, der (wie ein Geistlicher) gelehrte Kenntnisse hat. 39 Dass es sich bei Konrad von Heimesfurt um einen in der Schriftkultur versierten Autor handelt, wird nicht zuletzt daran deutlich, dass sich das Akrostichon in Diu urstende über das gesamte Werk erstreckt. 40 Lateinkenntnisse Konrads von Heimesfurt lassen sich daraus ableiten, dass er für die zwei überlieferten Werke lateinische Quellen benutzt hat. 41 In beiden Fällen hat er neben apokryphen Vorlagentexten Bibelstellen verarbeitet, die er offenbar vor allem aus der Liturgie kannte. 42 Die Liturgie ist auch in seinen - primär an ein nicht lateinkundiges Publikum gerichteten 43 - Werken präsent, insofern an einigen Stellen aus liturgischen Zusammenhängen besonders bekannte Bibelverse lateinisch zitiert und lung in Diu urstende gegenüber Unser vrouwen hinvart ist wohl eher auf die Art der Vorlage als auf „künstlerischen Fortschritt“ zurückzuführen (vgl. Gärtner / Hoffmann ebd., S. XLVII f.). 35 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XI; Hoffmann 2000, S. 3 f. In der Urkunde von 1212 ist Konrad unter den laici aufgeführt. Diese Bezeichnung hatte jedoch ab 1208 allmählich die der ministeriales ersetzt (vgl. Gärtner / Hoffmann ebd.; Hoffmann ebd.). Die Urkunden sind verzeichnet bei Heidingsfelder 1938 (1917), Nr. 511; 513; 534; 562. 36 Vgl. Schröder 1930, S. 233. 37 Das vermutet auch Gärtner (1991), anders Foidl 2011, Sp. 636. Hoffmann (2000, S. 4 f.) hält die Frage für „kaum zu entscheiden“, weist aber zu Recht darauf hin, dass eine Zugehörigkeit Konrads zu einem Eichstätter Ministerialengeschlecht so gut wie sicher sei (zu inhaltlichen Bezügen der Werke Konrads zu Eichstätt vgl. ebd., S. 5 f.). Dass die Schreibweise in der ältesten Urkunde (bis auf das übergeschriebene o bei Chůnrat ) mit der im Akrostichon in Diu urstende übereinstimmt (vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XI), hat angesichts der abweichenden Schreibweisen in den späteren Urkunden nur einen begrenzten Aussagewert. 38 Der Text wird nach Gärtner / Hoffmann 1989 zitiert. 39 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989 mit Verweis auf Bumke 1979, S. 64 (mit Anm. 123 [S. 322]) und BMZ, s. v.; Hoffmann 2000, S. 4. 40 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. LXIX. 41 Zu den Quellen im Einzelnen vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XX-XII; XLII-XLV; Hoffmann 2000, S. 23-39; 93-121. Mit Gärtner / Hoffmann (ebd., S. XLVII f.; LXVII f.; vgl. auch Hoffmann ebd., S. 283-291) wird hier davon ausgegangen, dass Konrad seine Quellen selbst bearbeitet und nicht bereits auf eine mittelhochdeutsche Versfassung des Nikodemusevangeliums zugegriffen hat. Zur Diskussion um die Vorlage der deutschen Prosafassung E des Nikodemusevangeliums s. u. Kap. 6.4.1. 42 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XXI; XLVII: „Vermutlich bilden die Lesungen des Offiziums mit ihren Antiphonen und Responsorien eine wichtige Quelle für Konrad“. Daneben scheint Konrad für die Passionsgeschichte auch eine Evangelienharmonie benutzt zu haben (vgl. Hoffmann 2000, S. 122 f.). 43 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XII. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 73 dann übersetzt werden. 44 Konrads Bildung lässt sich weiterhin aus seinem Wortschatz erschließen: Kurt Gärtner und Werner J. Hoffmann (1989) weisen darauf hin, dass sich in den Übersetzungen von Bibelzitaten viele selten belegte Wörter finden und „[m]ehrere aus Bibel und geistlichen Texten stammende Lehnwörter“ verwendet sind. 45 Allerdings ist in Bezug auf den Wortschatz Konrads das Erkenntnispotenzial noch nicht vollständig ausgeschöpft. Für die folgenden Überlegungen ist vor allem relevant, dass ihm auch in Rechtsfragen eine präzise Ausdrucksweise zuerkannt wird. 46 Wenn von ,Konrads Sprache‘ die Rede ist, hat man selbstverständlich zu berücksichtigen, dass die Überlieferung erst um 1300 mit der Handschrift V einsetzt, die das einzige Zeugnis für den gesamten Text bildet. 47 Die textkritische Qualität der Handschrift gilt als hervorragend; 48 ob darin aber „der ursprüngliche Text […] ausgezeichnet erhalten“ ist, 49 wird sich - vom Akrostichon abgesehen - nicht mehr sichern lassen. Zwar ist ein Drittel des Textes auch in einigen Handschriften der Weltchronik Heinrichs von München (W+) belegt, 50 und die Exzerpte sind so gestaltet, dass sie textkritischen Wert haben; 51 mit den Mitteln der klassischen Textkritik haben Gärtner und Hoffmann (1989) jedoch auf einen gemeinsamen Archetypus von V und W+ geschlossen, sodass auch die Weltchronik -Exzerpte nicht hinter V zurückführen. 52 Insgesamt zeugt die Überlieferung - ganz im Sinne des Prologs von Diu urstende (vv. 14-18) - nicht von einem unfesten Text. Mit der Ausgabe von Gärtner und Hoffmann (1989) liegt überdies eine verlässliche Zitiergrundlage vor. Die in V überlieferte Rubrik Daz bůch heizzet deu vrstende 53 gibt keinen Aufschluss darüber, dass zunächst vom Passionsgeschehen erzählt wird, bevor Ereignisse nach Jesu Tod geschildert werden (die Erlebnisse Josephs von Arimathia und die Höllenfahrt Christi). 54 44 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. LXX. Neben dem Zitieren ganzer Verse auf Lateinisch ist die Integration lateinischer Namen und Wörter in lateinisch flektierten Formen in den Text zu beobachten (vgl. ebd.). 45 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. LXX. 46 „An Erbwörtern bietet Konrad eine beachtliche Anzahl in seinen Werken zuerst belegter, meist seltener Wörter und Wortbildungskonstruktionen, die seine genaue und detaillierte Ausdrucksweise und Beschreibungssprache, vor allem im Bereich des Rechtslebens, auszeichnen.“ (Gärtner / Hoffmann 1989, S. LXX f.). 47 Wien, ÖNB, Cod. 2696. Vgl. dazu zuletzt Hoffmann 2000, S. 200-204, und den Eintrag im Handschriftencensus . Die Schreibsprache ist bairisch-österreichisch (vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. LXII). Zur Datierung vgl. Neuser 1973, S. 15-32; Schneider 1987, S. 228-230. Zum Fragment M (München, BSB, Cgm 5249 / 61b) des Textes, das erst nach Publikation der Textausgabe bekannt wurde, vgl. Hoffmann ebd., S. 204-207; 2003; zu Konsequenzen für den Ausgabentext vgl. ebd., S. 265-268; 2003, S. 119-123. 48 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. LXI f.; Hoffmann 2000, S. 254 f. mit weiterer Literatur. Zur philologischen Arbeitsweise des Schreibers, von dessen Hand sämtliche Texte stammen, vgl. auch Neuser 1973, S. 26. 49 So Gärtner / Hoffmann 1989, S. LXI. Im Stemma auf S. LIX wird vorsichtiger von einem ,autornahen Text‘ gesprochen, auf den V über Zwischenstufen zurückgeht. 50 Zu den Handschriften im Einzelnen vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XLVIII-LIV; Hoffmann 2000, S. 208-253. 51 Gärtner / Hoffmann (1989, S. LVI) und Hoffmann (2000, S. 262) rechnen sie zur Primärüberlieferung; allerdings ist mit Umgestaltungen auch im Kleinen zu rechnen. S. dazu u. Kap. 6.1. 52 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. LVI-LXI; zu den Handschriftenverhältnissen vgl. auch Hoffmann 2000, S. 254-265. 53 Alle zehn Werke, die die Handschrift heute enthält, waren einmal mit analog gebauten Rubriken (von einer anderen als der Haupthand) bezeichnet; die erhaltenen acht sind abgedruckt bei Neuser 1973, S. 14. 54 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XIII. 74 3 Variationen der Rechtsthematik Hauptquelle für die Erzählung vom Prozess vor Pilatus und von den Erlebnissen Josephs von Arimathia muss ein Text gewesen sein, der zur Rezension Lateinisch B des Nikodemusevangeliums gehörte. 55 Offensichtliches Anzeichen dafür ist, dass im Prolog von Diu urstende als Quelle ein Augenzeugenbericht eines Juden namens Enêas genannt wird (vv. 53-68) 56 - eine Referenz auf das in der Rezension Lateinisch B bewahrte ,Vorwort‘, in dem der folgende Text als auf Prozessakten beruhend gekennzeichnet wird. Dem Abschnitt über die Höllenfahrt liegt dann offensichtlich die Rezension Lateinisch A zugrunde. Hoffmann (2000) hat plausibel machen können, dass eine Handschrift, die die Gesta Pilati B (in einer Fassung ohne Kürzungen) 57 mit dem Descensus A kombiniert, aller Wahrscheinlichkeit die konkrete Vorlage für Konrad von Heimesfurt gewesen ist. 58 Neben dem Nikodemusevangelium verwendete er (wohl liturgisch vermittelte) Bibelstellen, sowohl bei der Ausgestaltung von bereits im lateinischen Nikodemusevangelium vorhandenen Szenen (vor allem Kreuzigung und Grablegung, vv. 743-822) als auch zur Ergänzung der darin geschilderten Handlung (Passionsgeschehen vor dem Prozess, vv. 69-258; Himmelfahrt und Pfingsten, vv. 1111-1224). 59 55 Zu dieser Rezension, in der unter anderem die Erzählungen Josephs von Arimathia und der drei Rabbis ausführlicher gestaltet sind als in A, vgl. Izydorczyk 1997c, S. 51 (dort auch zur Editionslage); Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 95 f.; Hoffmann 2000, S. 96-101. 56 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XLII f.; Hoffmann 2000, S. 102. 57 „Sa überliefert den ‘Gesta’-Teil vollständig, hat also nicht, wie die meisten B-Hss., die Kapitel II,4-IV,5 und IX,1-XI,1 ausgelassen. Bei der ersten der beiden Kapitelgruppen folgt Sa der B-Fassung, im Bereich der zweiten jedoch beginnt ein Textstück, das […] der A-Fassung entnommen ist.“ (Hoffmann 2000, S. 104). 58 Salzburg, Erzabtei St. Peter, Cod. a V 27, foll. 111r-139v. Vgl. Hoffmann 2000, S. 102-121; Referenzen auf die Handschrift auch schon in Gärtner / Hoffmann 1989, S. XLIV und Hoffmann 1997a, S. 288 f. Die Argumentation Hoffmanns ist überzeugend, weil er (unter Berücksichtigung der freien Quellenbearbeitung durch Konrad von Heimesfurt) nachweisen kann, dass die Salzburger Handschrift „einige individuelle, in der restlichen E. N.-Überlieferung bisher nicht belegte Lesarten bietet, zu denen es in der ‘Urstende’ Entsprechungen gibt“ (Hoffmann 2000, S. 121). Angesichts möglicher Überlieferungsverluste ist festzuhalten, dass durch die Salzburger Handschrift die Text f a s s u n g , die als Vorlage gedient haben dürfte, repräsentiert ist, nicht unbedingt die konkrete Vorlage. Allerdings ist die Handschrift selbst insofern von Bedeutung, als sie zeigt, dass diese Textfassung „in ungefährer zeitlicher und räumlicher Nähe“ (ebd.) zu Konrads Wirken kursierte. Für die im Folgenden analysierte Prozesshandlung weichen die Fassungen Lateinisch A und B des Nikodemusevangeliums „zwar im Wortlaut durchgehend voneinander ab, nicht jedoch in ihrem Inhalt“ (Hoffmann ebd., S. 107). Obwohl die Salzburger Handschrift in diesem Abschnitt überwiegend B folgt, erschien es gerechtfertigt, für bestimmte Motive im Nikodemusevangelium auf den besser zugänglichen Text der A-Fassung zu verweisen; ergänzend werden jeweils die Erkenntnisse Hoffmanns herangezogen, der einen detaillierten Vergleich mit dem Text der Salzburger Handschrift durchgeführt hat (vgl. ebd., S. 121-184). 59 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XLV-XLVII. Zum lateinischen Zitat aus dem Canticum triumphale Cum rex gloriae in v. 1698 vgl. Hoffmann (2000, S. 164 f.), der damit auch die Lokalisierung von Diu urstende stützen will, da diese Antiphon in zahlreichen Osterfeiern aus dem Bistum Eichstätt überliefert sei. Der erste Beleg stammt erst aus dem Jahr 1326, doch mag die Tradition weiter zurückreichen. Fechter (1985a, Sp. 200) erwägt, dass „[f]ür die breit ausgeführten und stark dialogisierten Wächter- Szenen […] ein Osterspiel Vorbild gewesen sein“ könnte; allerdings muss eine solche Vorlage nicht zwingend postuliert werden, da der Text von Diu urstende insgesamt dialogisch durchgestaltet ist. Vgl. dazu Hoffmann (ebd., S. 185), der sich auch kritisch zur Osterspiel-Hypothese Fechters äußert (vgl. ebd., S. 145). 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 75 Der gesamte Text von Diu urstende lässt sich folgendermaßen gliedern: 60 Prolog (vv. 1-68) Passionsgeschehen vor dem Prozess (vv. 69-258) Prozess (vv. 259-742) Kreuzigung und Grablegung (vv. 743-822) Auferstehung Jesu und Befreiung Josephs von Arimathia (vv. 823-1110) Himmelfahrt und Pfingsten (vv. 1111-1224) Befragungsszenen: Joseph; drei Rabbis; Simeonsöhne (vv. 1225-2162 [Bericht von der Höllenfahrt Jesu: vv. 1693-2116]) Die einzelnen Teile sind sorgfältig ineinander gearbeitet. 61 Bei einer genetischen Betrachtung wird klar, dass die jeweiligen Quellentexte für den Verfasser offenbar eine unterschiedliche Autorität hatten: Während er der Bibel genau folgt, ist der Umgang mit dem Nikodemusevangelium recht frei. 62 Eine eigenständige Gestaltung der Handlung ist also gerade auch im Prozessteil von Diu urstende zu beobachten. 63 3.2.2 geriht Symptomatisch für den kreativen Umgang mit den Motiven aus dem Nikodemusevangelium ist es, dass für die Prozesshandlung in Diu urstende nur ein Drittel des Vorlagentextes verarbeitet ist. 64 Die inhaltlichen Unterschiede werden gleich schon zu Beginn manifest, da - den kanonischen Evangelien folgend 65 - vom Verrat des Judas und der Gefangennahme Jesu erzählt wird (vv. 129-217). Nach der nächtlichen Verspottung Jesu (vv. 237-258) bitten ,die Juden‘, noch bevor der Tag angebrochen ist, Pilatus, dass er früh am nächsten Morgen Gericht halten möge (vv. 259-270; daz er fruo bereit wære, / zuo der schrangen quæme / und ir rede vernæme , vv. 264-266). Pilatus entspricht dieser Bitte (vv. 271-275), und ,die Juden‘ führen Jesus gefangen vor (vv. 276-278). Das Wunder der sich senkenden Fahnen (vv. 279-305; van , v. 300), d. h. schefte , an denen zeichen hängen (vv. 280 f.), interpretieren sie als Zauberei, mit der Jesus das Verfahren in die Länge ziehen wolle ( ir geriht e lengen , v. 311), um sein Leben zu retten (vv. 306-312). Sie drohen Pilatus mit dem Kaiser, wenn Jesus, der behaupte, König zu sein, keine Strafe erleide (vv. 313-318; ob er genist , 66 v. 315). Pilatus schließt aus der starchen rüege , 67 dass Jesus schuldig sein müsse, lässt ihn geißeln und will ihn dann freilassen (vv. 319-329). Die ,Verfluchten‘ fordern jedoch die Todesstrafe (vv. 330 f.). Daraufhin ziehen sich einige Juden und Heiden vom Gericht zurück (vv. 332-335; 60 Die Gliederung folgt im Wesentlichen der detaillierten tabellarischen Aufstellung bei Gärtner / Hoffmann 1989, S. XLV f. Für eine Handlungsübersicht vgl. Hoffmann 1997a, S. 289-291. 61 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XLV. 62 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. XLVII f.; Hoffmann 2000, S. 121-184, zusammenfassend S. 184-187. 63 Vgl. dazu Klibansky 1925, S. 9-15; Fechter 1985a, Sp. 200 f.; Hoffmann 2000, S. 127-141; 184-187. 64 Vgl. Hoffmann 2000, S. 139 f. 65 Vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. 139 f., für die biblischen Parallelstellen. 66 Zu geniezen (,keine Strafe wofür leiden‘) als Gegensatz zu engëlten (,Strafe wofür leiden‘) vgl. BMZ; L exer , s. v. Vgl. auch die für geniezen angegebene Bedeutung ,straffrei ausgehen‘ im MWB; WMU, s. v. Wegen der Rechtsrelevanz der Belege wird das WMU hier und im Folgenden herangezogen, obwohl es „im wesentlichen den Sprachzustand der letzten beiden Jahrzehnte des 13. Jh.s“ (ebd., Bd. 1, S. 3) erfasst, damit also einen Zeitraum nach der Entstehung von Diu urstende . 67 Von dirre starchen rüege, / daz si in sô ungefüege / und sô vîentlîch ane lugen, / sô vil unbildes ûf in zugen, / sô wânde der rihtære / daz er schuldig wære. (vv. 319-324). 76 3 Variationen der Rechtsthematik ir begunden sich scheiden / sumelîche von der phlihte , vv. 334 f.). 68 Ein Mann aber erhebt das Wort und macht - zugunsten von Jesus - eine Aussage ( nû stuont dâ vor gerihte / ein man, der offenlîche 69 sprach , vv. 336 f.). Wie in der Forschung schon früh erkannt wurde, ist gerade diese Eingangssequenz mit Termini und inhaltlichen Elementen aufgeladen, die ein Verfahren nach ,deutschem‘ Recht evozieren. 70 Ein entsprechendes Setting wird zuallererst durch den Ausdruck zuo der schrangen (vv. 265; 272) aufgerufen, womit der Ort des Gerichts bezeichnet ist, der hier als ein durch Bänke abgeschrankter Raum vorgestellt ist. 71 Zugleich mit dem Gerichtsort wird die Gerichtszeit benannt, denn aus den tadelnden Worten des Erzählers, dass ,die Juden‘ die richtige Zeit nicht hätten abwarten können und Pilatus schon vor Tagesanbruch aufgesucht hätten (vv. 259-261), ist zu schließen, dass Tagesanbruch die richtige Zeit gewesen wäre. 72 Die Zeitangabe ist eine Präzisierung gegenüber den kanonischen Evangelien (nach denen der Prozess am frühen Morgen beginnt), die im Einklang mit Gepflogenheiten des deutschen Rechts steht. 73 Dass Pilatus gleich sechs baniere (v. 275) vor sich hertragen lässt, dürfte zwar keine direkte Entsprechung in der Erfahrungswelt des Verfassers und der zeitgenössischen Rezipienten gehabt haben, 74 immerhin wird das Banner als Herrschaftszeichen und auch als Zeichen der Gerichtsgewalt nicht unplausibel gewirkt haben. 75 Versucht man, ausgehend von den konkreten Benennungen von Ort und Zeit des Gerichts, die damit im 13. Jahrhundert wahrscheinlich verbundenen Assoziationen zu rekonstruieren, werden weitere Bezüge zum ,deutschen‘ Rechtswesen deutlich. Die Bezeichnung 68 Zur Lesart si statt ir in V vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. LVII; Hoffmann 2000, S. 256 f. 69 Hier dürfte die Bedeutung ,öffentlich, offen‘ (im Gegensatz zu ,heimlich‘) relevant sein (vgl. BMZ; L exer ; WMU, s. v.). 70 Vgl. Wülcker 1872, S. 37; Klibansky 1925, S. 9 f. 71 Vgl. Hoffmann 2000, S. 127 f. Zur Bedeutung von schrange oder schranne vgl. BMZ, s. v.: „bank, besonders die eingehegte und dadurch ausgezeichnete bank des richters und der rechtsprecher, dann in weiterer bedeutung sitzungsplatz für ein versammeltes gericht, das gericht selbst; ursprünglich das was einhegt, absperrt, eingehegt ist“. Vgl. auch L exer ; DRW, s. v. (mit zahlreichen Belegen für die singularische Verwendung wie in Diu urstende ). Das Wort ist besonders im Bairisch-Österreichischen verbreitet (vgl. Drüppel 1981, S. 39 f.). Zur Abschrankung des Gerichtsraumes vgl. von Planck 1879, Bd. 1, S. 128; Grimm 1899, Bd. 2, S. 435-438; Drüppel ebd.; Schmidt 2006, S. 228-232. 72 Bei der Interpretation der Zeitangaben ist zu beachten, dass zwischen der Bitte ,der Juden‘ an Pilatus, Gericht zu halten, und dem Verhandlungsbeginn eine Zeitspanne liegt; aber nach den folgenden Versen (vv. 262-266) geht es ,den Juden‘, die der Erzähler in diesem Zusammenhang als mordgierig tituliert, auch um einen möglichst frühen Verfahrensbeginn. 73 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 127 mit Verweis auf von Planck 1879, Bd. 1, S. 121; Grimm 1899, Bd. 2, S. 438-443; vgl. auch Drüppel 1981, S. 277 f. Die Konkretisierung lässt auf einen deutschrechtlichen Kontext schließen, obwohl es auch schon ein römischer Grundsatz war, dass Verhandlungen nicht vor Sonnenaufgang beginnen sollten (vgl. Grimm ebd., S. 438). 74 Zur Sechszahl der Banner bzw. Fahnen (und Fahnenträger, vgl. vv. 299-301) ist es wohl durch ein Missverständnis der Vorlage (vgl. Nikodemusevangelium , cap. I 6) gekommen, nach der ‚die Juden‘ zwölf Männer, in zwei Gruppen zu je sechs, die signa des Pilatus halten lassen (vgl. Wülcker 1872, S. 37; Klibansky 1925, S. 10; Hoffmann 2000, S. 128, Anm. 84). 75 Vgl. dazu Lück 2008a, Sp. 437; 2012b. Ob mit baniere tatsächlich Banner mit Querstange bezeichnet sein sollen, bleibt unklar; benannt werden zwar die handlungsrelevanten Schäfte, nicht aber die Befestigungsart der zeichen ( die schefte sich zuo der erde bugen / dâ die zeichen ane hiengen , vv. 280 f.). Unter Verweis auf Bruckaufs (1907) Studien zum Fahnlehen hat Klibansky (1925, S. 10) die These aufgestellt, dass die Vielzahl der Fahnen „durchaus dem Vorstellungskreis eines Laienpublikums im 13. Jahrhundert“ entsprochen hätte. In der Tat bringt Bruckauf (ebd., S. 29-38) Belege für die Verwendung mehrerer Fahnen bei der Investitur (vgl. dazu Weber 2011, S. 144-146), jedoch geht daraus nicht hervor, dass der Belehnte sie in der Folgezeit als Herrschaftszeichen mit sich führte. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 77 des Gerichtsorts impliziert nach modernen Erkenntnissen, dass die Verhandlung im öffentlichen Raum unter freiem Himmel stattfindet, dass auf den Bänken Urteiler sitzen und außerhalb des abgeschrankten Bezirks weitere Beteiligte stehen. 76 Dass diese Vorstellung tatsächlich für Diu urstende relevant ist, belegt die Formulierung, dass der Mann, der das Wort ergriffen habe, zu Gericht ,gestanden‘ habe (v. 336; vgl. auch v. 496). Eine aktive Beteiligung der Gerichtsgemeinde wird auch durch das Wort phlihte (v. 335) signalisiert, das hier offenbar die ,Dingpflicht‘ bezeichnet: Juden und Heiden, die zu dem von Pilatus - so ist anzunehmen - gebotenen Ding erschienen sind, wollen nicht bei dem von den Anklägern geforderten Todesurteil gegen Jesus mitwirken. Der juristisch präzise Sprachgebrauch 77 lässt es möglich erscheinen, dass mit der starchen rüege (v. 319), die Pilatus dazu veranlasst, Jesu Schuld anzunehmen, die Art der Anklage spezifiziert ist: Kennzeichnend für das Rügeverfahren ist, dass nicht von einem unmittelbar Geschädigten Klage erhoben wird, sondern dass Vertreter einer Gemeinschaft aktiv werden, um die öffentliche Ordnung aufrechtzuerhalten. 78 Sie würde durch einen (politischen) Königsanspruch Jesu unterminiert; auch der zuerst vorgebrachte Vorwurf, dass Jesus reht und ê verdrehe (v. 269), hatte auf die Störung der öffentlichen Ordnung abgezielt, dort allerdings eingeschränkt auf die jüdische Gesetzesordnung (v. 268). Die Handlungsweisen, die den Figuren in Diu urstende zugeordnet sind, gewinnen vor dem Hintergrund des ,deutschen‘ Rechts ebenfalls weitere Sinndimensionen. Dass Pilatus die Geißelung als alternative Bestrafung zur Kreuzigung einsetzt, ist zunächst einmal eine Anlehnung an die Evangelien von Johannes und Lukas (Io 19,1 und 4-6; Lc 23,22 f.). 79 Aber wie hat man es einzuschätzen, dass Pilatus Jesus aufgrund der Schwere der Anklage und des feindseligen Verhaltens ,der Juden‘ (vv. 319-324) für so schuldig hält, dass er den Angeklagten geißeln lässt, ohne ihn überhaupt zu befragen? Nach ,deutschem‘ Recht ist das nicht unbedingt ein Zeichen für ungerechtes Richten, denn die Art der Vorführung Jesu weist Parallelen zu sogenannten Handhaftverfahren auf: Dass ein ,gebotenes Ding‘ einberufen werden muss, deutet - ebenso wie die Fesselung des Angeklagten (vv. 182; 267 f.; 278) - darauf hin, dass er auf frischer Tat ertappt worden ist, seine Schuld mithin feststeht. 80 In 76 Nach Drüppel (1981, S. 39 f.; 296 f.), der sich auf stadtrechtliche Verhältnisse bezieht, stehen die Parteien und auch die Dingleute außerhalb der Schranken und werden vom Richter, der auch das Wort erteilt, in die Schranken gebeten. Von Planck (1879, Bd. 1, S. 127) hält für das sächsische Recht fest, dass außer dem Richter unter Königsbann nur die Schöffen eine sitzende Position eingenommen hätten. „Doch scheint es üblich, dass auch, wo man nicht unter Königsbann dingt, ausser dem Richter eine zunächst zum Urtheilfinden bestimmte Anzahl von Dingleuten sitzt.“ (ebd.). 77 Ein solcher Sprachgebrauch lässt sich auch außerhalb der Prozessszenen nachweisen: Zum Beispiel ist die Abmachung zwischen Judas und ,den Juden‘ (v. 140) ebenso wie die zwischen ,den Juden‘ und den Grabwächtern (v. 852) durch das Wort gedinge als rechtliche Übereinkunft spezifiziert (vgl. DRW, s. v. [1], III; MWB, s. v. 2). 78 Zum Rügeverfahren im Hochmittelalter vgl. Sellert 1990, Sp. 1204; Saar 2003, S. 429; zum komplexen Verhältnis von ,Rügen‘ und ,Klagen‘ vgl. (in Bezug auf fränkische Quellen des Spätmittelalters) Willoweit 1996, S. 211-223. 79 So auch Gärtner / Hoffmann 1989, S. 141. 80 So versteht auch Wülcker (1872, S. 38) die Stelle. Dass die Fesselung des Angeklagten in der Regel eine präjudizierende Wirkung hat, ist auch im Rolandslied relevant, wenn die Franzosen bei der Gerichtsverhandlung gegen Genelun erklären, ihres Erachtens sei er noch nicht überführt, obwohl er gefesselt sei (vv. 8729-8736, zitiert nach Kartschoke 2011, vgl. auch die Kommentarbemerkung ebd., S. 744, und Klibansky 1925, S. 60 f.). Ob die Fesselung eines Angeklagten berechtigt ist und welche Implikationen sie hat, wird noch in Die Mörin diskutiert (vv. 1177-1379; zitiert nach der Ausgabe von Schlosser 1974), wo der Vorsprecher des Angeklagten, der auf Anwendung des schwäbischen Rechts beharrt (vgl. dazu 78 3 Variationen der Rechtsthematik diesen Fällen war es den Angeklagten verwehrt, sich durch einen Unschuldsbeweis von den Vorwürfen zu reinigen. 81 Häufig ist das Verfahren für Diebstahl belegt, ein Delikt, das in der Regel mit Erhängen bestraft wurde. Die (nach der Geißelung) vorgebrachte Forderung, man solle Jesus hâhen (v. 331), 82 fügt sich in den Kontext des Umgangs mit einem offenkundigen Verbrecher ein, denn das Wort begegnet zwar in der Wendung ,ans Kreuz hängen‘, bedeutet aber in Bezug auf Hinrichtungen in erster Linie ,einen Menschen durch Erhängen töten‘. 83 Vor dieser Folie könnte eine Befragung Jesu als unnötig erschienen sein. Alle diese tentativ aufgezeigten Bezüge zum ,deutschen‘ Recht sind punktuell: Es wird weder ein ordentliches Rügenoch ein Handhaftverfahren 84 geschildert, noch lässt sich das Verhalten des Pilatus mit solchen Bezügen allein klären, denn schließlich wird der Prozess fortgesetzt, 85 und die Schuldfrage wird darin noch einmal von Grund auf diskutiert. In einer Erzählwelt ist aber durchaus mit der Darstellung eines hybriden Verfahrens zu rechnen. Wie zu zeigen sein wird, sind auch in der Erzählung vom weiteren Prozessverlauf verfahrensrechtliche Elemente punktuell sinnstiftend funktionalisiert, ohne dass das Verfahren insgesamt einen modellhaft deutschrechtlichen Charakter hätte. 86 In der Narration wird der folgende äußere Ablauf des Verfahrens entworfen: 87 Nachdem die Aussage des heidnischen Mannes (vv. 338-367) von ,den Juden‘ hinterfragt (vv. 368-370) und nach der direkten Antwort des Mannes darauf (vv. 371-388) schließlich als irrelevant erklärt worden ist (vv. 389-391), bringen sie eine ganze Serie von Vorwürfen und Anklagepunkten vor - von der unehelichen Geburt Jesu über die Schuld am Kindermord bis hin zur Zauberei (vv. 392-424). Daraufhin ergreift Nikodemus das Wort (vv. 425-427), der vom Erzähler hier unter Berufung auf die schrift vorgestellt wird (vv. 428-448). 88 Nikodemus will den Vorwurf der unehelichen Geburt Jesu widerlegen und beruft sich Strohschneider 1986, S. 213-216), argumentiert, bei dem Angeklagten handele es sich nicht um einen ertappten Dieb, er dürfe deshalb nicht gefesselt werden (vgl. dazu Strothmann 1930, S. 22). 81 Nach Schild (2012) hatte der wegen einer handhaften Tat Beklagte durchaus die Möglichkeit, die Voraussetzungen anzuzweifeln; die im Sachsenspiegel erfolgte Charakterisierung des Prozedere bei einer handhaften Tat als Klageverfahren mit entsprechenden prozessualen Formen habe eine gewisse Repräsentativität. Er wendet sich gegen Huck (2002, S. 194 f.), nach dem, sobald der Urheber der Festnahme die handhafte Tat mit Eideshelfern beschworen hatte, die Entscheidung über den Gebundenen und damit auch die Anordnung des Strafvollzugs allein beim Richter gelegen habe. Huck beschreibt damit (für die fränkische Zeit) eine Konstellation, wie sie ähnlich in Diu urstende auserzählt ist, wenn Pilatus die Geißelung Jesu anordnet; allerdings folgt dann noch ein Gerichtsverfahren. Bei diesem Verfahren ist Jesus nicht gefesselt, so muss man schließen, denn er wird zur Kreuzigung erneut von ,den Juden‘ gefangen genommen (vv. 750 f.). 82 Vgl. aber bereits hengen in v. 313. 83 Vgl. BMZ; L exer ; MWB; DRW; WMU, s. v. - Zu den Implikationen der Diebesmotivik und der Fesselung s. ausführlicher u. S. 195-198. 84 Nur bestimmte Delikte (wie Diebstahl oder Raub) konnten als handhafte Tat behandelt werden (vgl. Schild 2012). 85 Wülcker (1872, S. 38) will die erneute Kreuzigungsforderung ,der Juden‘ (vv. 330 f.), die zur Gerichtsverhandlung führt, und die damit zum Ausdruck gebrachte Unzufriedenheit mit der Geißelungsstrafe als Urteilsschelte interpretieren. Vgl. dazu die Kritik Klibanskys (1925, S. 15), der zu Recht darauf hinweist, dass auf eine Schelte ein Rechtszug hätte folgen müssen (zur kontroversen Diskussion über die Urteilsschelte vgl. Kaufmann 1998b mit weiterer Literatur). 86 Das hat bereits Klibansky (1925, S. 14) bestritten unter Verweis darauf, dass Pilatus als selbsturteilender Richter dargestellt sei. 87 Vgl. auch die stichpunktartige Übersicht (mit Vorlagenvergleich) bei Hoffmann 2000, S. 139. 88 Die ständische Einordnung von Nikodemus als ein fürste (v. 429) verleiht ihm zusätzlich Autorität (vgl. Strohschneider 2014, S. 94 f., Anm. 8). 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 79 dazu auf zwölf rechtschaffene Männer (vv. 449-476). ,Die Juden‘ reagieren mit Drohungen gegen Nikodemus (vv. 477-492). Das veranlasst Pilatus zu einer Grundsatzrede über das angemessene Verhalten vor Gericht, in der er auch die bisherigen Anklagepunkte für nicht ausreichend erklärt (vv. 493-519). ,Die Juden‘ insistieren darauf, dass Jesus ein ,Übeltäter‘ sei, und fügen als weiteren Anklagepunkt hinzu, dass Jesus die Sabbatruhe und die ê insgesamt nicht achte (vv. 520-528). Als nächstes tritt ein Jude vor, der Pilatus darum bittet, Ruhe herzustellen und ihm das Rederecht zu erteilen (vv. 529-532). 89 Pilatus kommt der Bitte nach, wobei er einen schergen 90 für Ruhe sorgen lässt (vv. 533-546). Auf die Aussage des Juden, der von seiner Heilung durch Jesus berichtet (vv. 547-569), folgen ohne weitere verfahrenstechnische Zwischenspiele Aussagen weiterer Geheilter, abschließend die eines ehemals Blinden (vv. 570-610). ,Die Juden‘ erfragen von ihm direkt die näheren Umstände seiner Heilung, die an einem Samstag stattfand (vv. 611-619), und wiederholen den Vorwurf des Bruches der Sabbatruhe (vv. 620-628). Daran anknüpfend erheben sie allgemeinere Anklagen der Missachtung der ê und der Irreführung sogar gelehrter Leute wie Nikodemus und fordern diesen auf, seine zwölf Gewährsleute zu präsentieren (vv. 629-649). Nikodemus führt sie namentlich ein (vv. 650-663). Von Pilatus befragt (vv. 664 f.) bestätigen und ergänzen die zwölf die Aussage des Nikodemus (vv. 666-701). ,Die Juden‘ versuchen in einer direkten Konfrontation die Gerichtsfähigkeit der zwölf zu bestreiten (vv. 702-713), diese können jedoch den vorgebrachten Proselyten-Vorwurf entkräften (vv. 714-723). ,Die Juden‘ dringen daraufhin zornig in den abgeschrankten Bereich ein (vv. 724-742). Angesichts dieses Tumults überlässt Pilatus ihnen Jesus (vv. 743-749). Abgesehen von der Einführung des Nikodemus durch den Erzähler (vv. 428-448), seiner Beurteilung der wütenden Menge (vv. 729-735) und seiner Quellenangabe für die Entscheidung des Pilatus (vv. 743-747) ist die Erzählung im Wesentlichen von wörtlichen Reden geprägt, die im Wechsel von Gegnern und Unterstützern Jesu vorgebracht werden. 91 Dieser Textgestaltung mag die Struktur von „Klage und Klageabwehr“ 92 zugrunde liegen, die als kennzeichnend für ein ,deutsches‘ Gerichtsverfahren gelten kann, doch wird sie allenfalls anzitiert. Denn typisch für ein solches Gerichtsverfahren wäre eine Wechselrede zwischen Parteien, die dann jeweils mit einem Zwischenurteil abgeschlossen würde. 93 Als Prozesspartei sind in Diu urstende aber nur die Ankläger klar identifizierbar. Die Personen, die für Jesus eintreten, scheinen Zeugenstatus zu haben, ja in der Abfolge von pro und contra ist sogar der Richter Pilatus zu ihnen zu zählen. Der Angeklagte bleibt das ganze Verfahren über stumm. Man hat diese signifikante Änderung gegenüber den Vorlagen mit einer Anpassung an das ,deutsche‘ Recht erklären wollen, nach dem sich die Parteien 89 Das Motiv, dass Redner vor Gericht um Ruhe bitten, findet sich auch im Rolandslied des Pfaffen Konrad (vv. 8739; 8821 f.; zitiert nach Kartschoke 2011), nicht aber an den entsprechenden Stellen der Chanson de Roland . Klibansky (1925, S. 61) schließt daraus, dass es sich um ein Element der „Deutschen prozeßform“ handeln müsse und verweist auf die Parallele in Diu urstende (vgl. zustimmend Schmidt- Wiegand 1986, S. 5). 90 Zu den verschiedenen Bezeichnungen für den Fronboten vgl. Lück 2008e (mit weiterer Literatur). 91 Vgl. Klibansky 1925, S. 13. Generell zur „dialogisierte[n] Erzählweise“ in Diu urstende vgl. auch Ukena- Best 2012, hier S. 307. 92 Vgl. Hoffmann (2000, S. 141), der seinerseits Vollmann 1979, S. 209, zitiert (Vollmann geht es an dieser Stelle allerdings nicht um den Ablauf, sondern um den „Kern des Streitverfahrens“). 93 Vgl. Landwehr 1979, S. 1-8, zum Status der Parteienrede auch S. 20-24 (in Bezug auf sächsische Rechtsquellen); Drüppel 1981, S. 299 (in Bezug auf stadtrechtliche Quellen). Zu Urteilen innerhalb eines Verfahrens vgl. auch von Planck 1879, Bd. 1, S. 303-308. 80 3 Variationen der Rechtsthematik durch Vorsprecher vertreten lassen konnten, 94 und hat Nikodemus eine Vorsprecherfunktion zuerkannt. 95 Zwar gerät Nikodemus selbst in eine Rechtfertigungsposition, 96 doch gibt es keine Anzeichen dafür, dass er von Jesus autorisiert spricht. Wahrscheinlicher als die Anpassung an die Rechtspraxis ist daher, dass Jesus in Anlehnung an Is 53,7 schweigend dargestellt wird, zumal die alttestamentarische Prophezeiung vom Lamm, das schweigend zur Schlachtbank geführt wird, vom heidnischen Zeugen gleich zu Beginn des Prozesses referiert wird (vv. 374-388). 97 Selbst wenn man die Unterstützer und Gegner Jesu als Äquivalente der Prozessparteien betrachtet, würde ihre direkte Auseinandersetzung im Kontrast zu dem streng formalisierten Ablauf eines deutschrechtlichen Prozesses stehen, in dem die Parteien nur über den Richter miteinander in Kontakt treten. 98 Gerade das Beispiel der weithin fehlenden Verhandlungsführung durch den Richter zeigt aber, dass der Vergleich mit einem idealen deutschrechtlichen Prozess nur Mittel zum Zweck sein kann, um die Funktion verfahrensrechtlicher Motive näher zu bestimmen. Dass in einem narrativen Text ein Prozess von den formalisierten Eröffnungsfragen und dem Friedensgebot 99 bis hin zur Urteilsverkündung in allen Schritten entworfen würde, ist ohnehin nicht zu erwarten. Wenn aber wie bei Diu urstende zu Beginn ein bestimmtes Setting aufgerufen wird, stellt sich die Frage, ob Abweichungen von den dann zu erwartenden Abläufen 100 erzähltechnische Gründe haben oder ob etwa die Regelwidrigkeit eines Verfahrens herausgestellt werden soll. In Diu urstende ist das eindeutig nicht der Fall, denn an einzelnen Stellen, an denen von einer Verhandlungsführung durch Pilatus erzählt wird, erweist sie sich als korrekt bzw. mit Rechtsquellen übereinstimmend, sodass man für die direkte Konfrontation der ,Parteien‘ eher dramaturgische Gründe annehmen kann. Wenn Pilatus seinen schergen Ruhe gebieten lässt und dem aussagewilligen Juden das Wort erteilt (vv. 529-547), wird punktuell eine deutschrechtliche Prozesspraxis fassbar. Die Ausgestaltung der Szene verleiht der Handlung nicht nur ein entsprechendes Kolorit, 101 sondern charakterisiert den Zeugen als jemanden, der die Autorität des Gerichts anerkennt und mit zuht 102 handelt, der aber von Pilatus auch den von ihm vorher propagierten Gerichtsfrieden einfordert. Das Verhalten des Zeugen steht in krassem Gegensatz zum Bruch des Gerichtsfriedens durch die wütende Menge am Ende des Prozesses, ein Verhalten, das vom Erzähler auch entsprechend bewertet wird ( si vergâzen êre und zuht , v. 728). Systematisch betrachtet bildet die Einstellung des jüdischen Zeugen zwar auch eine Kontrastfolie für den Auftritt des heidnischen Zeugen zu Beginn des Prozesses, der einfach das Wort ergreift (vv. 336 f.), doch wird an jener Textstelle dessen beherztes Eintreten für Jesus von der Haltung derjenigen abgesetzt, die sich der phlihte (v. 335) entziehen. Es sind - abhängig 94 Zum Vor- oder Fürsprecher vgl. von Planck 1879, Bd. 1, S. 194-217; Oestmann 2008b. 95 Vgl. Wülcker 1872, S. 38 f.; Klibansky 1925, S. 15; Hoffmann 2000, S. 140. 96 Nach Klibansky (1925, S. 15) macht Konrad von Heimesfurt ihn zum „Hauptmann beim Zwölfereid“. 97 Vgl. Fechter 1985a, Sp. 200 f.; Hoffmann 2000, S. 140 f. Die Worte werden - wie in der Kaiserchronik - in Diu urstende Jeremias zugeordnet (vgl. dazu Hoffmann ebd., S. 130; 195). 98 Vgl. Drüppel 1981, S. 299 f. 99 Zur Hegung des Gerichts vgl. Drüppel 1981, S. 283-287 (auch dazu, dass die Hegung in den Quellen oft unerwähnt bleibt); Schmidt 2006, S. 228-239 (mit weiterer Literatur). 100 Zu ,Scripts‘ s. u. S. 191, Anm. 76. 101 So Hoffmann 2000, S. 186 f. 102 Ein solches Verhalten gebietet der Gerichtsfrieden (vgl. dazu von Planck 1879, Bd. 1, S. 129-133; Drüppel 1981, S. 284 f.). 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 81 vom Kontext - also jeweils nur bestimmte Assoziationen zu aktivieren. Dass Zeugen, die aus eigenem Antrieb aussagen, vielleicht nicht unbedingt vertrauenswürdig sind, 103 soll in Bezug auf den aussagewilligen Juden wohl nicht nahegelegt werden. Der Unterschied zwischen einem deutschrechtlichen Bezugsrahmen und der Schilderung einer kompletten Gerichtsverhandlung nach deutschem Recht lässt sich gut anhand der Stelle verdeutlichen, an der das Verfahren ausdrücklich thematisiert wird: Wenn ,die Juden‘ den zwölf Gewährsleuten des Nikodemus den Zeugenstatus aberkennen wollen, weil sie Proselyten seien und deshalb ihr Landrecht bei diesem Prozess nichts gelte (vv. 702-713), dann wird damit das Personalitätsprinzip anzitiert, außerdem die Vorstellung, dass nicht alle gleichermaßen gerichtsfähig sind (v. 713). Diese Prinzipien werden von den zwölfen grundsätzlich akzeptiert, denn sie widerlegen den Vorwurf inhaltlich und erheben keine verfahrenstechnischen Einwände. Zugleich ist es aber an dieser Stelle offenbar vollkommen irrelevant, dass Pilatus einem Gericht vorsteht, bei dem Juden gleichermaßen wie Heiden dingpflichtig sind und vor dem zuvor bereits ein Heide ausgesagt hat. Auch das Problem der Zeugnisfähigkeit war vorher nicht thematisiert worden, obwohl die Aussage der weiblichen Zeugin (vv. 570-582) dazu eine Steilvorlage geboten hätte. Wichtig war dem Erzähler hier wohl allein die effektvoll am Ende des Prozesses platzierte juristische Niederlage, die die Ankläger vor Zorn rasen lässt. Obwohl in Diu urstende weder ein vollständiges noch ein in allen Punkten kohärentes deutschrechtliches Verfahren dargestellt ist, so verweisen doch alle Stellen, an denen das Verfahren überhaupt angesprochen wird, auf das ,deutsche‘ Recht, sodass auch das Verhalten des Richters vor dieser Folie zu interpretieren ist. Als deutschrechtliches Element kann gelten, dass Pilatus in seiner Rede den Gerichtsfrieden propagiert. 104 Vom musterhaften Ablauf eines Prozesses her gesehen würde der Richter den Gerichtsfrieden nach der Hegung des Gerichts gebieten und dabei das angemessene Verhalten vor Gericht thematisieren; 105 in Diu urstende sind jedoch die grundsätzlichen Ausführungen des Pilatus in die Verteidigung des Nikodemus eingebunden und damit funktional im Prozessablauf platziert, wodurch ihnen eine besondere Aufmerksamkeit zukommt. Angesichts der Drohungen, denen Nikodemus ausgesetzt ist, fordert Pilatus eine Konzentration auf die Rechtsfindung ein (vv. 496 f.). Niemand solle sich zuchtlos verhalten oder Drohungen aussprechen (vv. 496-500). Nach den Rechtsbüchern wurden Ordnungsverstöße vor Gericht mit empfindlichen Strafen geahndet, 106 sodass die subjektive Einschätzung des Pilatus, dass ,die Juden‘ mit ihren Todesdrohungen gegen Nikodemus ein grôziu missetât (v. 495) begehen, vor diesem Hintergrund umso gerechtfertigter erscheint. Pilatus wendet sich auch deshalb gegen ,die Juden‘, weil noch erst abzuwarten bleibt, ob Nikodemus die Zeugen, von denen er gesprochen hat, nicht tatsächlich beibringen kann (vv. 501-505), d. h., Pilatus beharrt indirekt auf einem ordnungsgemäßen Ablauf des Verfahrens. Das suchen ,die Juden‘ seiner Auffassung nach mit übeler urteil zu verhindern (vv. 506-509). 103 Zur kritischen Einstellung gegenüber ,privaten Zufallszeugen‘ z. B. im Sachsenspiegel vgl. Nehlsen-von Stryck 2000, S. 27. 104 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 133. 105 Vgl. dazu Grimm 1899, Bd. 2, S. 486 f.; Drüppel 1981, S. 284-287; Schmidt 2006, S. 237-239. 106 Zu ungebührlichem Auftreten oder Drohungen als Bruch des Gerichtsfriedens vgl. (auf der Grundlage stadtrechtlicher Quellen) Drüppel 1981, S. 285 f. 82 3 Variationen der Rechtsthematik Indem die Äußerungen ,der Juden‘ als urteil bezeichnet werden, wird eine personelle Trennung von Urteilsfindung und -verkündung zumindest angedeutet, 107 wenn auch ,die Juden‘ als Ankläger nicht gleichzeitig Urteiler im formellen Sinne sein können. Im Folgenden scheint Pilatus jedoch als selbsturteilender Richter zu sprechen - als solcher hatte er bei der Geißelung auch schon agiert -, wenn er unter Berufung auf die Grundsätze gerechten Richtens 108 ankündigt, Jesus wegen guter Werke nicht verurteilen zu wollen (vv. 510-519). Dabei beruft er sich zwar auf die Aussage der Menge (vv. 518 f.), aber er bezieht sich auf die ihm vermittelten Fakten (dass Jesus gute Werke getan habe) und nicht auf ein Urteil der Menge. Allerdings sind die Aussagen des Pilatus nicht inkompatibel mit den Aufgaben eines Richters in einem deutschrechtlichen Verfahren, denn rechtskräftig wurde ein Urteil erst, wenn es vom Richter ausgegeben wurde und die Fähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, gehörte zu dem an Richter gestellten Anforderungsprofil. 109 Dass Pilatus den Gerichtsfrieden im Folgenden mithilfe eines Schergen durchsetzt, verstärkt den Eindruck eines nach Maßgabe des ,deutschen‘ Rechts handelnden Richters. Die Tatsache, dass er an dieser Stelle erst auf die Aufforderung des Juden hin, der aussagen möchte, aktiv wird, tritt gegenüber dem Erfolg der Handlung (v. 544), die die Autorität des Gerichts offenbar werden lässt, in den Hintergrund. Die Darstellung des Pilatus als Richter, der das Gericht jedenfalls punktuell zu einer funktionierenden Institution der Rechtsfindung macht und nach eigenem Ermessen Jesus nicht mit dem Tod bestraft hätte, steht in einem Spannungsverhältnis zu dem durch die Autorität der Quellen vorgegebenen Ergebnis des Prozesses. Dessen Ende wird in Diu urstende dadurch herbeigeführt, dass die wütenden Ankläger, die der Erzähler diffamierend mit zornigen Hunden (im Kampf mit Schweinen) vergleicht, 110 in die Schranken eindringen (vv. 724-742), also den Gerichtsfrieden brechen. 111 Dass Pilatus daraufhin nachgibt, ist angesichts seines bisher geschilderten Verhaltens in hohem Maße erklärungsbedürftig. 112 Der Erzähler sichert sich durch eine (fiktive) Quellenberufung auf daz buoch ab (v. 743) und erläutert dann, dass Pilatus Angst um sein Leben gehabt habe (vv. 744-747). Pilatus erscheint auf diese Weise als schwacher Richter, dem die fortitudo fehlt, die zur Verteidigung des Gerichtsfriedens nötig ist, 113 und er verstößt gegen die Richterethik, die es verbietet, sich von Angst leiten zu lassen. Verfahrenstechnisch kommt der Prozess zu keinem ordentlichen Abschluss, denn Pilatus überlässt zwar Jesus ,den Juden‘, damit sie nach ihrem Gutdünken mit ihm umgehen (vv. 748 f.), aber es wird kein formelles Urteil 107 Zur Kleinschrittigkeit von Urteilen vgl. Landwehr 1979, S. 4 f.; Kannowski 2007, S. 109. 108 ‘daz gerihte nieman tœten sol / der niht übeles entuot’ (vv. 516 f.). 109 Zur Richterethik s. ausführlicher u. S. 209 f. 110 Zum Aberkennen der Menschlichkeit als Ausgrenzungsstrategie vgl. (in Bezug auf Ketzer) Ernst 2000, S. 23. Die Ankläger sind an dieser Stelle als Feinde Gottes bezeichnet (v. 725). Aus dem Kontext geht aber hervor, dass die Gruppe der Jesus gegenüber feindseligen Juden gemeint ist. Der Vergleich mit Hunden hat in judenfeindlichen Äußerungen eine lange Tradition (vgl. Mikosch 2010, S. 114-132). 111 Anders als im Nikodemusevangelium (cap. III 1; IV 1), nach dem Pilatus mehrmals seinen Richterstuhl verlässt und aus dem Prätorium hinausgeht, muss man sich Pilatus in Diu urstende bis zum gewaltsamen Abbruch der Gerichtsverhandlung als auf seinem Stuhl sitzend vorstellen (vgl. dazu auch Klibansky 1925, S. 15). 112 Dafür, dass Pilatus Jesus am Ende der Verhandlung für schuldig hielte und deshalb auch die Handwaschung unterbliebe (so Masser 1976, S. 118), gibt es keine Indizien im Text. 113 Vgl. dazu Drüppel 1981, S. 87 f. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 83 gefällt. 114 Das könnte durch eine Anlehnung an die kanonischen Evangelien zu erklären sein, 115 hat aber auch Konsequenzen für das Bild von der Gerichtsbarkeit, das in Diu urstende entsteht: Da sich das Gericht am Ende in Auflösung befindet - der Gerichtsfrieden ist gebrochen, der Richter versagt angesichts dieser Situation -, fällt kein Schatten auf das vorher durchgeführte Gerichtsverfahren, das bei ordnungsgemäßer Fortsetzung zu einem Freispruch geführt hätte. Weil ohnehin nicht mehr von einem ordnungsgemäßen Verfahren gesprochen werden kann, sind auch keine konkretisierenden Details geschildert, die eine Deutung unter deutschrechtlichen Vorzeichen unmöglich machten. Vielmehr wird mit dem Eindringen der Ankläger in die Schranken ein deutschrechtlicher Bezugsrahmen bis zum Schluss präsent gehalten. 3.2.3 wârheit Zu den Kürzungen, die in Diu urstende gegenüber dem Nikodemusevangelium zu beobachten sind, gehört auch, dass der Dialog zwischen Jesus und Pilatus über die Wahrheit (cap. III 2) entfallen ist. Ein Faktor dabei mag gewesen sein, dass im Zuge der Umgestaltung der Prozesshandlung keine der Unterredungen des Pilatus mit einzelnen Prozessbeteiligten beibehalten wurde. 116 Zu bedenken ist jedoch auch, dass Jesus - nach dem Nikodemusevangelium - abschließend andeutet, dass diejenigen, die die Wahrheit sagen, von denen, die auf Erden die Macht haben, verurteilt werden. Zwar ist diese Aussage in erster Linie auf ihn selbst gemünzt, doch ist eine verallgemeinernde Form gewählt. In Diu urstende springt Pilatus als Vertreter der weltlichen Macht jedoch gerade dem bei, der die Wahrheit sagt, nämlich Nikodemus. Offenbar hat hier die Wahrheit auch auf Erden einen hohen Stellenwert. Ausschließen kann man, dass das Gespräch zwischen Jesus und Pilatus weggelassen wurde, weil die Wahrheitsthematik nicht zentral gewesen wäre, denn wârheit ist in Diu urstende geradezu ein Leitwort, 117 und die Handlung ist geprägt von Versuchen, herauszufinden, was wahr ist, es mitzuteilen oder zu verschleiern. Auch auf der Ebene der erzählerischen Vermittlung erhebt der Text den Anspruch, mære weiterzugeben, die wâr sind (vv. 69-73). Dass die Erzählung inhaltlich um Wahrheit kreist, wird vom Erzähler einleitend zur Schilderung der Ereignisse nach Jesu Auferstehung explizit gesagt (vv. 1111-1113). Wenn es dort heißt, dass erzählt werden solle, wie sich die Wahrheit ganz und gar durchgesetzt habe, so ist damit eine Wahrheit gemeint, die über den Ablauf äußerer Ereignisse hinausgeht, nämlich die menschliche Natur Jesu nach seiner Auferstehung. Auch diese heilsgeschichtliche Wahrheit, die von Patriarchen und Propheten schon im Vorhinein ,bezeugt‘ ist, 118 will jedoch aus Beobachtungen äußerer Fakten abgeleitet werden: 114 Später spricht der gute Schächer allerdings davon, dass er und sein Gefährte mit Jesus zum Tode verurteilt worden seien (vv. 2081-2083). 115 Dazu, dass dort kein Urteilsspruch formuliert ist, vgl. Berliner 2003 (1933 / 34), S. 43. Das Nikodemusevangelium (cap. IX 5 [9 (G / I)]) hatte jedoch mit einem Erzählerbericht die Lücke gefüllt. Zwar hätte die Bestimmung, dass Jesus vor der Kreuzigung gegeißelt werden solle, wegen der vorgezogenen Geißelung in Diu urstende nicht unverändert übernommen werden können, aber der Verzicht auf eine Urteilsverkündung dürfte nicht allein damit zusammenhängen. 116 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 139 f. 117 Zum häufigen Gebrauch von wârheit vgl. Hoffmann 2000, S. 190. 118 Patriarchen und Propheten werden in der Binnenerzählung von Leucius und Carinus als der wârheit geziuge (v. 1864) bezeichnet. Nach der Interpunktion von Gärtner / Hoffmann 1989 ist v. 1864 auf v. 84 3 Variationen der Rechtsthematik Nû lâze wir daz strâfen hie 119 - sîn ist genuoc - und sprechen wie diu wârheit allez für brach und manic sælic ouge sach daz Christ die wâren menscheit nâch tôde hæte an geleit und erscheinte ez dâ mite, daz er nâch menschen site menschlîche spîse nôz unz an den tac daz sich entslôz der himel und in dar in enphie. (vv. 1111-1121) Erzählt werden soll, wie gesehen worden ist, dass Christus nach dem Tod die menschliche Natur angenommen hatte. Gesehen werden aber nur Zeichen (dass Christus wie ein Mensch Nahrung zu sich nimmt), die eine Interpretation erfordern. Der zur Wahrheitsfindung nötige Zweischritt aus Wahrnehmung und Interpretation wird auch auf der Figurenebene immer wieder diskutiert. Sobald die Unmittelbarkeit der Wahrnehmung nicht mehr gegeben ist, wird weiterhin die Übermittlung durch einen vertrauenswürdigen Gewährsmann wichtig. Das ist bereits bei der Quellenberufung zu Anfang des Textes deutlich, wenn der Erzähler hervorhebt, dass die folgenden wahren Geschichten uns (also dem Erzähler und den von ihm angesprochenen Rezipienten) von einem guoten man (v. 71) übermittelt worden seien. 120 Vorher wird eine Aufschlüsselung gegeben, woher dieser ,gute Mann‘ seine Informationen hatte (vv. 53-68): Dieser Eneas habe ,wahrgenommen‘, 121 was passiert sei, als ,man‘ die Kreuzigung gesehen habe, d. h., er war dabei (vv. 54-61). Und er habe aufgeschrieben, was ihm von der Auferstehung Jesu erzählt worden sei (vv. 62-68). Die mögliche Legitimationslücke, dass nämlich die Berichte über die Auferstehung nicht vertrauenswürdig gewesen sein könnten, wird durch die Erzählung selbst geschlossen, in der selbst die wîsen unter ,den Juden‘ die Glaubwürdigkeit der Auferstehungszeugen anerkennen müssen (vv. 2126-2130). Im Prolog heißt es wiederum, dass Eneas auch aufgeschrieben habe, wie ouch di z [sc. die Ereignisse bis zur Himmelfahrt] bewæret wart (v. 66). Das Autor-Ich erweist sich durch die Anrufung des Heiligen Geistes (vv. 1-18) performativ als gläubig, womit seine gewissenhafte Übermittlung des religiösen Gegenstandes ( geistlîchiu mære , v. 49) als gesichert gelten kann. 122 1865 ( patricharchen und prophêten ) zu beziehen und nicht auf den vorher genannten Christus. Die Interpunktion ist überzeugend, weil mit v. 1863 das vorherige Psalmzitat endet (Psalm 23[24],7-10; vv. 1859-1863) und weil wahrscheinlich ein unbestimmter Artikel eingefügt worden wäre, wenn Jesus hätte gemeint sein sollen (vgl. Gundacker von Judenburg, Christi Hort , v. 1775: der warhait ich ein gezeug pin ). 119 Unmittelbar vorangegangen war ein Scheltexkurs gegen ,die Juden‘ (vv. 1075-1110). 120 Die Information über den guoten man hat der Erzähler wiederum einer schriftlichen Quelle entnommen ( sô mir daz buoch verjehen hât , v. 73). 121 merken umfasst auch das Verstehen und Festhalten des Wahrgenommenen. - ma r hte (v. 55) im Ausgabentext ist handschriftlich nicht gesichert, denn V (als einzig erhaltener Überlieferungszeuge für diese Stelle) liest machte . Gärtner / Hoffmann (1989) haben sich Leitzmanns überzeugender Vermutung („vielleicht marcte “; 1930, S. 282) angeschlossen. Fechters (1977, S. 92) Konjektur suochte hat keinen Anhalt im Handschriftentext, sondern ist an eine Lesart der Gesta Pilati (vgl. von Tischendorf 1876, S. 334 f.) angelehnt. Angesichts der Transformationen des Prätextes in Diu urstende ist bei solchen Schlüssen aber Vorsicht geboten. 122 Zur Deutung der Werkentstehungsgeschichte, insbes. zur Rolle des Eneas, s. u. S. 252, Anm. 268. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 85 Die Handlung ist geprägt von zwei großen Befragungskomplexen, in denen jeweils eine formalisierte Wahrheitsfindung stattfindet: dem Prozess gegen Jesus, in dem - trotz anderer Intention der Ankläger - Wahrheit bezeugt wird, und den von den Hohepriestern eingeleiteten Untersuchungen nach Jesu Auferstehung, die das Aufdecken der wârheit zum Ziel haben. 123 Dabei steht als Kriterium, um den Wahrheitsgehalt einer Aussage zu prüfen, das Prinzip der Augenzeugenschaft neben dem Prinzip der Glaubwürdigkeit des Aussagenden. Beide Prinzipien sind eng verknüpft; 124 es sind aber im Textverlauf unterschiedliche Gewichtungen des einen oder des anderen Aspekts zu beobachten: Im Prozess gegen Jesus ist zunächst die Augenzeugenschaft relevant: Der (heidnische) Mann, der offenlîche spricht (v. 337), 125 beruft sich bei seiner Aussage über Jesu Werke und dessen Empfang in Jerusalem (vv. 338-367) auf das, was er gesehen hat (vv. 338; 358), und gibt wieder, was er gehört hat (vv. 363-367). Er wirft ,den Juden‘ vor, dass sie - trotz einer größeren ,Datenmenge‘, die ihnen zur Verfügung steht ( si hânt sîn selbe mêr gesehen , v. 339) - nicht die Wahrheit sagen wollen (v. 340), und führt so den im Weiteren wichtigen Gegensatz zwischen Wahrheit und Lüge ein. 126 Der Gegensatz steckt zugleich den Rahmen für die folgenden Diskussionen ab, denn er macht deutlich, dass es zunächst einmal um die Wahrheit der äußeren Fakten geht. In diesem Sinne fassen jedenfalls die Ankläger die Aussage des Mannes auf. Sie gehen nicht auf seine Charakteristik von Jesu Wesen ein, sondern hinterfragen nur, woher der Mann seine Informationen habe, indem sie wissen wollen, wie er den Gesang bei Jesu Einzug in Jerusalem habe verstehen können, da er doch kein Hebräisch beherrsche (vv. 368-370). In seiner Antwort gibt der Mann dafür nicht nur eine plausible Erklärung, sondern konfrontiert ,die Juden‘ zugleich mit der ,Wahrheit‘ einer alttestamentarischen Prophezeiung (vv. 374-388). 127 Die Ankläger deklarieren seine Aussage insgesamt als irrelevant für ihre Anklagepunkte (vv. 389-391). Dass sie aber die referierten Fakten nicht weiter auf den Prüfstand stellen, lässt erkennen, dass sie durch die Quellenangabe als gesichert gelten müssen. Auch die Aussagen der von Jesus Geheilten (vv. 547-610) werden von ,den Juden‘ nicht hinterfragt, obwohl nur der Zustand der Heilung unmittelbar evident ist (vgl. z. B. vv. 610 f.), 128 nicht aber der der vorangegangenen Krankheit. Mit dem Schwur, den der erste der Geheilten vor seiner Aussage leistet (v. 547), wird zwar der Eid als formelles Verfahren zur Sicherung der Glaubwürdigkeit aufgerufen, er steht aber nicht im Zentrum. Wie die 123 Zwar wollen die Oberen ,der Juden‘ die unliebsame Wahrheit schließlich unterdrücken (vv. 2128-2130), doch wurde der Beschluss, die Simeonsöhne herbeizuholen, damit begründet, dass - unter Vermeidung von Botenberichten, die Anzweiflungen ausgesetzt sein könnten (vv. 1555-1558) - vor Ort jeder dem beiwohnen können sollte, dass die Simeonsöhne die Wahrheit ausfindig machen (vv. 1559-1561; zugrunde gelegt ist hier der Text ohne die Konjektur ,en finden ‘ [ daz des hie ieman enber / sie erfinden die wârheit , vv. 1560 f.]; zur Konstruktion von enbërn mit konjunktionslosem konjunktivischen Satz ohne Negation vgl. MWB, s. v. 3.2.3). 124 Darin kommt ein Konzept von Zeugenschaft zum Ausdruck, das sich auch im zeitgenössischen Rechtsdiskurs nachweisen lässt (s. dazu u. S. 238-240). 125 Ihm sind die Worte des Läufers im Nikodemusevangelium (cap. I 3) in den Mund gelegt (vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 128). 126 Der Gegensatz ist in v. 340 schon angelegt, sodass die Interpretation nicht von der Konjektur lüge in v. 341 abhängig ist. 127 S. dazu o. S. 79 f. Dass Personen, die für Jesus aussagen, aus eigenem Antrieb noch mehr hinzufügen, als gefragt war, ist ein Motiv, das bei den zwölf Männern wiederkehrt (vv. 669-701). 128 Körperliche Evidenz konnte in Gerichtsverfahren durchaus eine Rolle spielen, aber meist ging es darum, Wunden vorzuweisen (z. B. beim Verfahren der Kampfklage nach dem Sachsenspiegel , Ldr. I 63,1). Zur ,leiblichen Beweisung‘ vgl. von Planck 1879, Bd. 2, S. 148-157; s. dazu auch u. S. 250 f. 86 3 Variationen der Rechtsthematik Heilungen zu interpretieren sind, wird nicht diskutiert, da ,die Juden‘ an dieser Stelle nicht den Zaubereivorwurf erheben, sondern sich auf den formalen Aspekt beschränken, dass die Heilung des Blinden an einem Sabbat stattgefunden habe (vv. 611-628). Es dürfte kein Zufall sein, dass die Frage der Glaubwürdigkeit vor allem mit der Nikodemus-Figur verknüpft ist, denn seine Aussage scheint - anders als die der (geheilten) Zeugen, die aus ihrer Erfahrung berichten - nicht auf eigener Augenzeugenschaft zu beruhen. Vielmehr steht die Konkurrenz verschiedener mære im Zentrum seiner Argumentation: Bei ihrem Vorwurf der unehelichen Geburt folgten die Ankläger Lügengeschichten ( die lügelîchen mære , v. 455). Er hingegen sage ihnen jetzt, wie es gewesen sei (v. 458): Joseph sei durch das Wunder des grünenden Zweiges ausgewählt worden. 129 Wollten sie das nicht glauben, so könnten zwölf rechtschaffene und glaubwürdige Männer die Rechtmäßigkeit der Ehe zwischen Maria und Josef bestätigen (vv. 462-476). Diese Männer zeichneten sich besonders durch zuht und alter aus, außerdem dadurch, dass sie zu der Zeit der Eheschließung hohe geistliche Ämter eingenommen hätten und in Lehre und Rechtsprechung tätig gewesen seien. Aus dem Hinweis auf ihre Ämter ist vermutlich abzuleiten, dass sie beim Wunder des belaubten Zweiges, das sich im Tempelkontext abspielt, zugegen gewesen sein müssen. Dieser Aspekt wird jedoch nicht explizit gemacht. Stattdessen wird gesagt, dass die Männer bestätigen können, dass es eine rechtmäßige Eheschließung zwischen Maria und Joseph gegeben habe und dass das von vielen gesehen worden sei, d. h., sie können sich ihrerseits auf Augenzeugen berufen. Ausschlaggebend für die Glaubwürdigkeit der Männer ist ihre Würde, die ihrer Version der Geschehnisse ( geschiht , v. 474) Autorität verleiht. Die Ankläger werfen Nikodemus zunächst einen Treuebruch ihnen gegenüber vor (vv. 477-492) und versuchen dann, sein Verhalten als Beleg dafür zu deuten, dass Jesus selbst gelehrte Männer 130 in die Irre führen könne (vv. 634-646). Sie interpretieren also die Aussage des Nikodemus insgesamt als sinntragendes Zeichen und unterstellen ihm, dass er nicht mehr zu objektiven Aussagen in der Lage ist. Aufschluss über seine Glaubwürdigkeit soll, wie schon von Pilatus vorgesehen (vv. 501-503), die Aussage der zwölf bieten, die von den Anklägern als Augenzeugen betrachtet werden (vv. 647-649). Im Folgenden ist jedoch nicht wichtig, was sie gesehen haben, sondern ihre Aussage, dass Nikodemus die Wahrheit gesagt habe (vv. 667-670). Diese Aussage ist mehrfach formell gerahmt. Nikodemus kündigt nämlich nicht nur an, dass die zwölf sich durch keine Drohung von der Wahrheit abbringen lassen werden (vv. 662 f.), er führt sie zuvor auch namentlich ein und fragt, ob sich die anderen die Namen gemerkt hätten (vv. 650-660). Die Namensnennung ist umso auffälliger, als in Diu urstende zahlreiche Namen aus der Vorlage weggelassen worden sind. 131 Hier scheint der Formalismus eines deutschrechtlichen Verfahrens durch: War eine bestimmte Anzahl von Zeugen namentlich angekündigt, galt das Zeugnis nur, wenn tatsächlich auch alle der Angekündigten erschienen waren. 132 Nikodemus nennt die Namen erst, als die zwölf schon 129 Die Worte des Nikodemus beziehen sich auf das Wunder des grünenden Stabes, das im apokryphen Kindheitsevangelium des Pseudo-Matthäus überliefert ist (vgl. Gärtner / Hoffmann 1989, S. 141). In der Argumentation des Nikodemus wird dieser Überlieferungstradition Wahrheitscharakter zugesprochen. 130 Nikodemus und Joseph werden ähnliche Qualitäten ( zuht , rât , lêre ) zugeordnet wie den zwölf Männern (vv. 640-642). 131 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 127; 185; 188. Zu den Namensformen vgl. ebd., S. 115-117. 132 Vgl. Meyer 2009, S. 176-199 (mit Belegen aus späterer Zeit); 265. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 87 da sind, und ihre Identität wird dann nicht weiter überprüft, doch wird ihr offizieller Status als Zeugen dadurch bewusst gehalten, dass erzählt wird, dass sie von Pilatus befragt werden (vv. 664 f.). Schließlich ist die Übereinstimmung ihrer Aussagen (v. 666) eine formaljuristische Bestätigung des Gesagten. 133 Dementsprechend versuchen die Ankläger auch nicht die Glaubwürdigkeit der zwölf, sondern deren Zeugnisfähigkeit zu erschüttern (vv. 702-713), wobei sie sich dann wiederum auf das Wort der zwölf verlassen (vv. 714-728). 134 In den Befragungsszenen im zweiten Teil sind die Kriterien der Glaubwürdigkeit der Person und der Authentisierung durch Augenzeugenschaft bzw. eigene Erfahrung mehrfach miteinander kombiniert. Für die Himmelfahrt, die Joseph von Arimathia nicht mit eigenen Augen gesehen hat (vv. 1479-1482), beruft er sich auf drei zuverlässige ( gewisse , v. 1484) Männer, deren Identität durch die Nennung ihrer Namen gesichert wird (vv. 1485 f.). Joseph führt weiterhin aus, dass diese Männer dabei gewesen seien 135 und dass sie nicht lögen; außerdem deutet er an, dass sie übereinstimmende Aussagen machen würden (vv. 1487-1492). Wie die zwölf in der Prozessszene äußern sich die drei daraufhin herbeigeholten Männer nicht inhaltlich zu dem, was sie gesehen haben, sondern bestätigen die Integrität Josephs und den Wahrheitsgehalt von allem, was er gesagt hat (vv. 1511-1515). 136 Sie berufen sich wiederum auf zwei weitere, durch Herkunft und Namen identifizierte Zeugen, die gewissez urchünde 137 geben könnten (vv. 1516-1523). Wie bei dem geheilten Blinden im Prozess ist die Befindlichkeit der vom Tode auferweckten Simeonsöhne ein starkes Anzeichen für ihre Glaubwürdigkeit als Erfahrungszeugen. In ihrer schriftlich niedergelegten Aussage bildet die ,leibliche Beweisung‘ jedoch nur einen Teil ihrer Legitimationsstrategie (vv. 2098-2102), sie berufen sich auch darauf, dass sie die wârheit von ihrem Vater geerbt hätten (vv. 2103-2116). 138 133 S. dazu auch u. S. 238. 134 Zum Status der zwölf zwischen Zeugen und Eideshelfern s. u. S. 245. 135 Ihr Status ( ‘die wâren dâ, dâ ez geschach / und ez manic ouge sach’ , vv. 1487 f.) ähnelt dem des Eneas (s. dazu o. S. 84). 136 Dass in der Aussage der drei auf das bereits Gesagte verwiesen wird, könnte erzählökonomische Gründe haben, da die Aussage Josephs vorher von Pilatus noch einmal paraphrasiert wurde (vv. 1498-1510). Strohschneider (2005, S. 317) sieht in der Bestätigung der Aussage Josephs durch die drei eine auf Grundprobleme der Augenzeugenschaft verweisende Tautologie, weil die Autopsie der drei wiederum nur durch die Aussage Josephs gesichert sei. Dieser „Rechtfertigungszirkel“ (vgl. Strohschneider 2014, S. 95-97) funktioniere intern zwischen Joseph und den drei Männern, weil unter ihnen ein Vertrauensverhältnis bestehe, vermöge „im Rahmen des Untersuchungsverfahrens der Hohepriester“ aber „wenig zu besagen“ (S. 97). Für Letzteres bietet der Text keine Anhaltspunkte: Die Versicherung Josephs, dass die drei nicht lügen würden (vv. 1486-1492), ist mehr als ein persönlicher Vertrauenserweis, denn er bildet mit die Voraussetzung dafür, dass man sie zur Befragung herbeiholt (vv. 1493-1496). ,Die Juden‘ nehmen das zusätzliche Beweisangebot der drei ( wir zeigen iu n o c h zwêne man , v. 1516, Hervorhebung H. M.) dann an, ohne deren Zeugnis anzuzweifeln (vv. 1545-1564). Aus juristischer Perspektive (vgl. dazu Meyer 2009, S. 146 f.) löst die summarische Bestätigung der Aussage Josephs durch die drei Josephs Beweisangebot vollständig ein; durch Hinzufügungen, wie sie die drei vornehmen, dürfte der Beweiswert der Aussage nicht tangiert worden sein (vgl. dazu Meyer ebd., S. 142 f. [in Bezug auf das Freiberger Stadtrecht von 1300]). Im juristischen Diskurs erscheinen außerdem die Aspekte der „Wahrheit des Zeugnisses“ (auf der Grundlage sinnlich begründeter Augenzeugenschaft) und der „Glaubwürdigkeit des Zeugen“, die Strohschneider (ebd.) streng systematisch trennt, eng verflochten (s. dazu u. S. 238-240; zum engen Zusammenhang zwischen der Wahrheit der Rede und der Wahrhaftigkeit des Sprechers vgl. auch Strohschneider 2005, S. 317, Anm. 25). 137 „ dasjenige, wodurch die wahrheit einer sache kund gethan wird; kennzeichen, zeugnis“ (BMZ, s. v.), auch ,Beweis‘ (vgl. L exer ; WMU, s. v.). Zu urkünde als mündlicher Nachricht vgl. Kellner 1997, S. 164. 138 Vgl. dazu Strohschneider 2005, S. 326. Zum „heilsgeschichtlichen Inversions-, also Korrespondenzzusammenhang“ zwischen Vater und Söhnen, die jeweils die Messianität Christi bezeugen, vgl. Strohschneider 2014, S. 98. 88 3 Variationen der Rechtsthematik Bei Carinus und Leucius kommt nicht nur zusammen, dass sie integre Persönlichkeiten sind und dass sie aufgrund eigener Erfahrungen aussagen; ihr Bericht gewinnt zusätzliche Autorität auch dadurch, dass er im Tempel, einem für ,die Juden‘ hoheitlichen Ort, in deren Beisein (vv. 1683-1685) niedergeschrieben wird und Zweifel an der wahrheitsgemäßen Übermittlung durch einen Boten so ausgeschlossen sind (vv. 1545-1561). Das Wunder, dass die Schriftstücke bis auf Punkt und Komma übereinstimmen und daher keinen Zweifel an der wârheit des jeweils anderen lassen, 139 ist auch für die skeptischen Oberen ,der Juden‘ so überzeugend, 140 dass es bei der anschließenden Beratung nicht um den Wahrheitsgehalt des Gesagten geht, sondern nur darum, wie die schînigiu wârheit durch Lügen verborgen werden kann (vv. 2126-2131). Der Sache nach wird hier wieder das von dem heidnischen Zeugen zu Beginn des Prozesses formulierte Problem angesprochen, dass ,die Juden‘ nicht die Wahrheit sagen wollen (vv. 339-342), doch deuten schon Unterschiede in der Formulierung an den beiden Stellen 141 darauf hin, dass die schînigiu wârheit eine Größe ist, die den bloßen Ablauf äußerer Geschehnisse übersteigt. Vielmehr scheint es sich um die Offenbarungswahrheit zu handeln (wie sie vom Erzähler in v. 1113 schon angekündigt worden war). Dafür spricht auch die Art, wie die Berufung der Simeonsöhne auf ihren Vater angelegt ist: Zunächst führen sie seine Rechtschaffenheit und sein Alter als Autoritätssignale an (vv. 2106 f.), dann jedoch, dass er bei der Darbringung Jesu im Tempel vom Heiligen Geist die Weisheit empfangen habe, die ihn bewegte, einen Lobgesang (vgl. Lc 2,29) anzustimmen (vv. 2108-2116). Wenn seine Söhne sich darauf berufen, dass sie die wârheit ererbt hätten, so dürfte sich das sowohl auf die moralische Kategorie des Nicht-Lügens beziehen als auch auf das Erkennen und die Weitergabe der Offenbarungswahrheit. Tatsächlich sind sie dem Handlungsverlauf nach von Nikodemus dazu aufgefordert zu sagen, wer sie dem Tode entrissen habe (vv. 1650-1658), darüber hinaus aber (v. 1659), ob es sich bei Jesus von Nazareth um Christus handele (vv. 1660-1667). 142 Ein entsprechender Zweischritt ist auch in der Aussage Josephs zu beobachten, der seinen Befreier erst als Jesus identifiziert, den ,die Juden‘ gefangen genommen hätten (vv. 1464-1466), bevor er von dessen Auferstehung und Himmelfahrt berichtet (vv. 1467-1469) und ihn als zukünftigen Weltenrichter charakterisiert (vv. 1470 f.). Die Differenzierungen machen deutlich, dass die faktische Ebene des Geschehens erst noch mit der heilsgeschichtlichen Wahrheit verknüpft werden muss. Zwar sind die Geschehnisse Zeichen für die Offenbarungswahrheit, aber eine alternative Interpretation des Faktenbefundes wäre möglich, etwa, dass es zwar Jesus war, der Joseph befreit hat, dass ihm das aber aufgrund teuflischer Kräfte möglich war. Dieser Vorwurf wird so im Text nicht formuliert; als jedoch ,die Juden‘ das Gefängnis Josephs leer vorfinden, ist ihr Erklärungsmuster für das wunder (v. 1031) - ebenso wie für 139 Zum Schriftwunder vgl. Strohschneider (2005, bes. S. 323-326; 2014, S. 103-106), der zu Recht darauf hinweist, dass der Wahrheitsanspruch des Berichts der Simeonsöhne vor allem an diesem Wunder festzumachen sei, weil Transzendentes in der Immanenz fassbar werde. Die juristischen Verfahren der Wahrheitsfindung sind dadurch aber nicht entwertet, da das Prinzip der Zeugenschaft nicht aufgegeben ist, sondern sich nur die Autorisierung der Zeugen ins Transzendente verlagert (s. dazu u. S. 251 f.). 140 Auch wenn sie nicht explizit genannt ist, dürfte hier die alttestamentarische Regelung, dass zwei (oder mehr) Zeugen nötig seien, im Hintergrund stehen. 141 der wârheit […] jehen (v. 340) vs. si trahten und rieten wie / diu schînigiu wârheit / mit lügen würde hin geleit (vv. 2128-2130). 142 Vgl. dazu Strohschneider 2005, S. 320; 2014, S. 99 f. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 89 das leere Grab -, dass das auf Zauberei der Christen zurückzuführen sei (vv. 1031-1039). 143 Dementsprechend stehen bei den Befragungsszenen im zweiten Teil von Diu urstende nicht die ohnehin evidenten äußeren Fakten im Mittelpunkt, sondern deren Interpretation. So dürfte auch zu erklären sein, dass der Beglaubigungsaufwand für die Zeugen sich immer mehr steigert; denn wenn ein Augenzeuge auch Erklärungen liefern soll, ist dessen Person umso wichtiger. 144 Demgegenüber geht es im Prozess vor Pilatus im Wesentlichen um eine Faktenwahrheit. Das grundsätzliche epistemologische Problem, dass Handlungen oder Abläufe von Geschehnissen keinen Rückschluss darauf zulassen, wie sie motiviert sind, wird in Diu urstende (in Übereinstimmung mit der Vorlage) jedoch schon bei der Schilderung des Fahnenwunders vor Augen geführt und exemplarisch gelöst: Der Erzähler gibt sofort die Interpretation, dass sich die Fahnen ohne Zutun der Träger verneigen, um den Schöpfer zu ehren (vv. 279-283). Dass eine alternative Interpretation der Zeichen möglich ist, zeigt der Vorwurf ,der Juden‘, die das Senken der Fahnen auf eine absichtsvolle Handlung ( schult ) der Träger zurückführen (vv. 284-287). 145 Diese Interpretation kann durch das von den Trägern zu ihrer Verteidigung vorgeschlagene Experiment 146 ausgeschlossen werden, dass sie als Fahnenträger gegen Jesus nicht wohlgesonnene Personen ausgetauscht werden (vv. 289-298). Die Träger wollen ausdrücklich sichtbar machen (v. 298), dass sie nicht intentional gehandelt haben. 147 Durch die Wiederholung des Phänomens wird unzweifelhaft erwiesen, dass es die Fahnen selbst sind, die sich vor Jesus verneigen, jedoch bringen ,die Juden‘ wiederum eine konkurrierende Interpretation vor, nämlich dass Jesus Zauberei angewandt habe (vv. 299-312). Beim Auferstehungsgeschehen sind die epistemologischen Probleme zugespitzt, da eine Wiederholbarkeit - so wie beim Fahnenwunder - nicht gegeben ist. Eine Schlüsselstelle für die Wahrheitsproblematik im zweiten Teil von Diu urstende bildet die Wächterszene, in der die Auferstehung erstmalig diskutiert wird. Für alle evident ist, dass das Grab Jesu leer 143 Bei der Befreiung Josephs von Arimathia müssen auf jeden Fall übernatürliche Kräfte irgendwelcher Art am Werk gewesen sein, weil das Siegel an der Tür seines Gefängnisses (vv. 886 f.) unversehrt ist (vv. 1003 f.; 1028 f.). Zum Problem der Glaubwürdigkeit göttlicher Wunder und ihrer phänomenologischen Ähnlichkeit zur Zauberei vgl. Köbele 2012, S. 383. 144 In diesem Sinne argumentieren auch die Auferstehungszeugen, wenn sie ,den Juden‘ sagen, Leucius und Carinus seien vollkommen zuverlässig in ihren Aussagen und deshalb sollten sie deren Bekundungen für die wârheit hân (vv. 1542-1544). Zum Problem der Authentifizierung von Zeugenrede „unter […] Bedingungen transzendenter Abwesenheit“ vgl. Strohschneider 2005, S. 318 (Zitat); 2014, S. 97. 145 Dass Zeichen trügerisch sein können, wird im Text auch im Hinblick auf den Verrat des Judas erörtert, der den Friedenskuss zweckentfremdet (vv. 149-170). Bei der Josephsepisode wird jedoch auf Figurenebene damit argumentiert, dass Verhaltensweisen und Gesten Aufschluss über Intentionen geben können, denn zunächst werden die Boten instruiert, wie sie Josephs mögliche Verhaltensweisen zu deuten haben (vv. 1240-1252), und dann wird versucht, durch Weinen, Niederknien und Küssen die Authentizität der respektvollen Annäherung an Joseph zu garantieren (vv. 1375-1380). Auch wenn die Lösungen unterschiedlich ausfallen, ist erkennbar, dass über das Problem, ob das Verhalten einer Person Rückschlüsse auf deren wahre Intentionen zulässt, reflektiert wird. 146 Hier ist im Ansatz eine Wiederholbarkeit gegeben, die Strohschneider (2005, S. 317) erst durch das naturwissenschaftliche Experiment verwirklicht sieht. 147 Das Experiment ist hier deutlicher auf die Träger bezogen als im Nikodemusevangelium (cap. I 5 f.), wo Pilatus den Austausch der Träger anordnet. 90 3 Variationen der Rechtsthematik ist, doch wie ist dieser Befund zu erklären (vv. 894-896)? 148 Die Wächter lehnen die ihnen Mitschuld zuweisende (vv. 906 f.) Hypothese ab, dass der Leichnam gestohlen worden sei (v. 899); 149 es seien Engel gekommen, und dann seien sie von einem hellen Licht so geblendet gewesen, dass sie angstvoll wie tot dagelegen hätten (vv. 908-915). Für die Wächter ist die einzig wahre Interpretation dieses Vorgangs, dass Jesus auferstanden ist (vv. 916-920). ,Die Juden‘ unterstellen den Wächtern deshalb Einfältigkeit (vv. 921-923) - so wie sie Nikodemus als irregeleitet klassifiziert hatten -, die Wächter beteuern jedoch, dass sie die Wahrheit sagen, und geben einen mündlichen Beweis ( wortzeichen , v. 925), 150 dass nämlich kein Mensch außer ‚armen‘ Frauen und zwei unbewaffneten Männern gekommen sei, die das Grab schon leer gefunden hätten (vv. 924-940). 151 ,Die Juden‘ argumentieren daraufhin mit mangelnder Wahrscheinlichkeit: ‘Ez ist ungelouplîch, der wârheit niender gelîch, daz immer mensche erstê dar an der tôt sîn reht begê. […] ’ (vv. 951-954) Dem Analogie-Argument der Wächter, dass jemand, der in der Lage gewesen sei, Lazarus aufzuwecken, sich doch vom Tod befreien könnte (vv. 974-982), haben ,die Juden‘ jedoch inhaltlich nichts entgegenzusetzen, sondern erneuern das Angebot von Bestechungsgeld, das die Wächter veranlassen soll, in ihrem Sinne auszusagen (vv. 983-987; vgl. vv. 955-966). In der Wächterszene wird das einzige Mal im Text Plausibilität zum Wahrheitskriterium. 152 Ob es aber nun rationale Argumente 153 sind oder die durch bestimmte Mechanismen abgesicherte Vertrauenswürdigkeit von Zeugen, immer wieder wird deutlich, dass die Prinzipien der Wahrheitsfindung nicht zur Debatte stehen und ,die Juden‘ aufgrund dieser Prinzipien schließlich den Wahrheitsgehalt des Gesagten zugeben müssen, selbst wenn es um die Offenbarungswahrheit geht. Insofern trifft der vom Erzähler referierte biblische Vorwurf der Blindheit und Taubheit ‚der Juden‘ (vv. 1075-1081) 154 den Kern des von ihm Erzählten nur, wenn man ihn so versteht, dass ,den Juden‘ das volle Verständnis des Wahrgenommenen fehlt. Tatsächlich spezifiziert der Erzähler den Vorwurf dahingehend, dass sie die Wahrheit gesehen, aber nicht eingestanden bzw. das Gehörte ins herze hätten vordringen lassen (vv. 1082-1090). Sein Hauptvorwurf lautet aber, dass sie nach nichts anderem 148 Vgl. zu dieser Stelle auch Strohschneider (2005, S. 318 [Zitat]; 2014, S. 97), der auf die begrenzte Aussagekraft „faktischer Gegebenheiten“ insbesondere unter „Bedingungen transzendenter Abwesenheit“ verweist. 149 Auch bei der Interpretation der zeichen nach Jesu Tod, die Pilatus als Beweis der Unschuld Jesu deutet, hatten ,die Juden‘ mit dem Verweis auf eine Sonnenfinsternis eine rationalistische Erklärung vorgebracht (vv. 765-805). 150 Zum Bedeutungsspektrum von wortzeichen vgl. den Überblick bei Kellner 1997, S. 161-168. 151 Dass die Jünger nicht als solche identifiziert werden, ist für den wissenden Leser ein Signal, dass die Aussage der Wächter auf dem von ihnen selbst Wahrgenommenen und ihrem Kenntnisstand beruht. 152 Dass nur die wîsen (v. 1574) das Zeugnis der Simeonsöhne hören sollen, könnte so zu interpretieren sein, dass eine intellektuelle Evaluation des Gehörten für nötig befunden wird. Im Handlungsverlauf wird dann aber nur der strategische Umgang der wîsen mit der Wahrheit relevant (vv. 2126-2148). 153 Zum Kriterium der ,Rationalität‘ von Beweisverfahren s. u. S. 234 f. 154 Vgl. dazu Gärtner / Hoffmann 1989, S. 144. 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 91 strebten, als die wârheit mit schlimmen Lügen zu ,verhindern‘ ( verlegen ) 155 (vv. 1091-1098). Wie zum Beweis des Gesagten endet der Bericht im Text damit, dass die Hohepriester ein Zeugnis ,verhindern‘ bzw. es den tumben vor dem Tempel (v. 1575) vorenthalten wollen, indem sie nach der Befragung der Simeonsöhne verkünden, es sei alles ein Versuch der Christen gewesen, sie mit Zauberei in die Irre zu führen (vv. 2128-2148). 156 Wenn man, mit Blick auf den gesamten Text, das Verhältnis zwischen Wahrheitsfindung und Rechtsthematik bestimmen will, so fällt auf, dass die Konzentration auf die Wahrheit der äußeren Fakten in der Erzählung vom Prozess nicht bedeutet, dass mit den dort eingeführten Techniken der Zeugenbefragung und Legitimierung nur eine Annäherung an diese Art von Wahrheit gesucht würde, denn auch der Teil des Textes, der das Auferstehungswunder in den Mittelpunkt stellt, ist von juristischen Frage- und Argumentationstechniken bestimmt. Abzulesen ist das auch an der Verwendung eines entsprechenden Vokabulars ( wortzeichen , verlegen ). Dass die heilsgeschichtliche Wahrheit erst bei den Befragungen durch ,die Juden‘ in den Mittelpunkt rückt, hat vielmehr mit der Dramaturgie des Textes zu tun. Sie steuert darauf zu, dass ,die Juden‘ die Wahrheit anerkennen müssen. Zwar bedarf der ,Beweis‘ der Heilswahrheit göttlicher Unterstützung, doch geben sich ,die Juden‘ letztlich geschlagen, weil die Schriftstücke identisch sind, weil also die Wahrhaftigkeit der Aussagen der Simeonsöhne nach irdischen Kriterien authentifiziert ist. 157 Eine Distanzierung von diesem Wahrheitskriterium lässt der Text nicht erkennen, 158 sodass effektvoll die Wirksamkeit juristisch anmutender Techniken zur Wahrheitsfindung inszeniert wird. 3.2.4 reht und ê Die Rechtsordnung, die Pilatus vertritt, ist als eine inklusive Ordnung gedacht: Juden und Heiden sind gleichermaßen dingpflichtig (vv. 332-335); sie werden als bei der Gerichtsverhandlung Anwesende aufgeführt, ebenso ,Eigene‘ und ,Freie‘ (vv. 538 f.). 159 ‚Die Juden‘ scheinen diese Rechtsordnung anzuerkennen, denn es ist ihnen wichtig, dass sie Jesu Tod vor Gericht erwirken (vv. 126-128). 160 Die Frage, inwieweit die jüdische Gerichtsbarkeit für die ,Vergehen‘ Jesu zuständig sein könnte, wird in Diu urstende vollständig ausgespart, 155 Das Wort begegnet oft in rechtlichen Kontexten, in denen es um das Verhindern eines Zeugenbeweises geht (vgl. L exer ; WMU, s. v.). 156 Es bleibt offen, ob sie sich dabei nur auf die Aussage der Simeonsöhne oder auch auf die vorangegangenen Geschehnisse beziehen. Der Handlungslogik nach müssen aber alle wunderbaren Geschehnisse nach Jesu Tod gemeint sein. 157 Das von Strohschneider (2005, S. 318) hervorgehobene Problem, dass bei der „diesseitigen Rede über Transzendentes“ juristische Verfahren der Authentifizierung grundsätzlich versagten, ist durch die , Jenseitigkeit‘ der Rede der Simeonsöhne aufgehoben (vgl. Strohschneider ebd., S. 318-322; 2014, S. 97-102). Damit wird jedoch auch das Verfahren der Authentifizierung wieder funktionsfähig (s. dazu auch u. S. 251 f.). 158 Ein Abqualifizieren des von ,den Juden‘ praktizierten Verfahrens wäre auch deshalb kontraproduktiv, weil die Identität der Schriftstücke integraler Bestandteil des Wunders ist, das auch dazu dient, dem Descensus -Bericht für die Rezipienten Geltung zu verleihen (vgl. dazu Strohschneider 2005, S. 322; 2014, S. 102). 159 An dieser Stelle werden nochmals juden unde heiden (v. 539) genannt. Dass Unfreie am ,Ding‘ partizipierten, ist für Dingversammlungen in Grundherrschaften schon für das 9. und 10. Jahrhundert belegt (vgl. Weitzel 1985, S. 716-723; Holenstein 1991, S. 189). 160 Vgl. auch die Forderung am Ende der großen Anklagerede: ‘ […] dar umbe muoz er den lîp / mit rehter urteil verliesen, / den tôt mit schanden chiesen . ’ (vv. 422-424). 92 3 Variationen der Rechtsthematik obwohl sie in den kanonischen Evangelien (Io 18,31) wie auch im Nikodemusevangelium (cap. III 1) präsent ist. 161 Da auch der Versuch des Pilatus, das Verfahren an Herodes abzugeben, nicht in Diu urstende aufgenommen ist, erfolgt so eine Zuspitzung auf Pilatus als einzigen Richter, die dessen (Fehl-)verhalten besonderes Gewicht verleiht. Dass die Juden jedoch eine eigene Rechtsordnung besitzen, wird an zahlreichen Stellen des Textes zur Sprache gebracht. Gleich zu Beginn des Textes wird Kaiphas als Hüter der ê eingeführt, eine Aufgabe, die mit seinem geistlichen Amt verbunden ist, das der Erzähler aus christlicher Sicht als Bischofsamt bezeichnet (vv. 93-97). 162 Im Folgenden begegnet das Wort ê ausschließlich in der wörtlichen Rede jüdischer Figuren. Als ,die Juden‘ Pilatus bitten, Gericht zu halten, lautet ihr erster Vorwurf gegen Jesus, er habe ihnen reht und ê verdreht und ihnen Irrlehren verkündet (vv. 267-270). Im Prozess selbst wird der Vorwurf in modifizierter Form wiederholt: Jesus schwäche ohne den gebotenen Respekt ( unervorht ) unser ê und ir gebot (vv. 396 f.). Auch die Missachtung der Sabbatruhe wird als Angriff auf die ê ausgelegt (vv. 522-528). An dieser Stelle scheint die Kultgesetzgebung des Alten Testaments gemeint zu sein, und auch an den anderen Textstellen bezieht sich das Wort ê auf das Alte Testament, einmal ganz deutlich auf die Bücher Mose. 163 Die ê scheint jedoch nicht völlig identisch mit der ,Schrift‘ zu sein, wie der Vorwurf, Jesus sinne darauf, unser ê und unser schrift zu verhöhnen (vv. 629-632), nahelegt. Aber allzu feine semantische Differenzierungen wird man nicht vornehmen können, da die und-Verbindungen nicht unbedingt zwei kategorial unterschiedliche Dinge miteinander kombinieren, sondern eher dazu dienen, mit der ê verbundene Aspekte ( reht , gebot , schrift ) 164 hervorzuheben. 165 Das Possessivpronomen ,unser‘ an den genannten Textstellen zeigt schon an, dass die ê als wichtiges Bindeelement für die jüdische Gruppenidentität angesehen wird. 166 Dementsprechend wird die Auseinandersetzung zwischen den ,Christen‘ (vgl. z. B. vv. 1037; 2135) und ,den Juden‘ an der ê festgemacht: ,Die Juden‘ wollen sie retten (v. 1048), auch um sich selbst zu retten (v. 1045); und die ,Christen‘ verkünden ihre Lehre ausgerechnet dort, wo ,die Juden‘ Ratsversammlungen abhalten oder zu Gericht sitzen (vv. 1199-1207). 167 Für die Prozesshandlung ist entscheidend, dass Pilatus zwar aufgrund der ersten Vorwürfe an Jesus, die sich auf seinen Umgang mit der ê beziehen, das Verfahren eröffnet, dass er aber prinzipiell nur moralische Maßstäbe für eine Verurteilung gelten lassen will. Ver- 161 Aus den Worten des Nikodemus wird deutlich, dass er die Gerichtsbarkeit grundsätzlich als zu den Aufgaben jüdischer Würdenträger gehörend ansieht (vv. 469-471). 162 Der Sache nach fungiert Kaiphas also im Wortsinn als êwart , auch wenn er nicht so tituliert wird. In einer Äußerung von Nikodemus werden später bischofe neben êwarten genannt (v. 469). 163 ‘und diu buoch von der ê / diu wir haben von Moysê’ (vv. 1549 f.). 164 Die schrift kann im Mund ‚der Juden‘ jedenfalls auch das Alte Testament meinen (v. 623). Der Erzähler beruft sich mehrfach auf die schrift , wenn es um das Neue Testament geht (vgl. z. B. vv. 428; 765). 165 Zum Bedeutungsspektrum von ê insgesamt s. o. S. 46. 166 Nikodemus und Joseph wird jeweils vorgeworfen, sich von der Gruppe abgekehrt und deren Ansehen gemindert zu haben: Bei Nikodemus ist von einem Treuebruch die Rede (vv. 484-486), bei Joseph davon, dass er ,seine‘ ( iuwer ) ê ins Unrechte verkehrt und uns alle wegen Jesus verlurt habe (vv. 1011 f.). 167 Dass ,die Christen‘ ,die Juden‘ dort unter deren Augen strâfen (v. 1207), ist wohl so zu verstehen, dass sie die Lehre ,der Juden‘ nicht gelten lassen und zugleich die Vertreter dieser Lehre tadeln (so auch v. 451; zum Bedeutungsspektrum von strâfen vgl. BMZ; L exer , s. v.). Nach Gärtner / Hoffmann (1989, S. 145) bezieht sich die Textstelle auf Act 3-5. Während nach der Apostelgeschichte die Apostel von den Hohepriestern befragt werden, suchen ,die Christen‘ nach der in Diu urstende angegebenen Konstellation provokativ die Nähe zu den jüdischen Gremien. Kompositorisch mündet diese Engführung darin, dass mit dem Zeugnis der Simeonsöhne sich die neue, christliche Ordnung im jüdischen Tempel durchsetzt (vgl. dazu Strohschneider 2014, S. 107). 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 93 urteilen soll das Gericht nach den Worten des Pilatus nur jemanden, der Böses tut, was er bei dem heilenden Jesus nicht gegeben sieht (vv. 510-519). Im Text wird eine Reaktion des Pilatus auf den späteren Vorwurf ,der Juden‘, Jesus habe durch die Heilung des Blinden an einem Sabbat Kultgesetze gebrochen (vv. 620-628), nicht geschildert, aber für den Rezipienten wird gerade durch den Gegensatz zur grundsätzlich moralischen Betrachtungsweise des Pilatus das Klischee der auf dem Buchstaben des Gesetzes beharrenden Juden vermittelt. 168 Woher Pilatus seine Gerichtsgewalt hat, wird in Diu urstende nicht thematisiert. Allerdings drohen ,die Juden‘ Pilatus, falls er ihnen nicht nachgibt, (wie in den Vorlagetexten) mit dem Kaiser (vv. 313-318), sodass eine übergeordnete Instanz erkennbar wird. Vor diesem Hintergrund könnten die Fahnen, die Pilatus nâch sînem rehte (v. 274) vor sich her tragen lässt, auf den ihm verliehenen Gerichtsbann bezogen worden sein. 169 Wenn es heißt, dass Pilatus nâch sînem rehte (v. 274) Fahnen mit sich führt, so ist damit sein subjektives Recht bezeichnet. 170 In einem subjektiven Sinn wird in Figurenreden auch dem Tod sîn reht (v. 954; des tôdes reht , v. 1650) zugestanden. Handelt es sich dabei um eine bildhafte Sprechweise, oder wird hier das Sterben des Menschen in einen größeren rechtlichen Zusammenhang gestellt? Die damals weit verbreitete Vorstellung, dass der Teufel sich mit dem Sündenfall ein Recht auf die Menschheit erworben habe, 171 wird in Diu urstende nicht explizit formuliert. Wenn das Höllenvolk den Teufel warnt, auf ewig die Herrschaft ( des gewaltes , v. 1796) zu verlieren , geht daraus nicht hervor, ob die Herrschaft rechtmäßig erworben wurde. Allerdings setzt das Argument, der Teufel könne von Jesus, von dessen menschlicher Natur der Teufel überzeugt ist (vv. 1769-1787), betrogen worden sein (vv. 1788-1793), voraus, dass ein solcher Betrug notwendig ist, der Teufel also ein Recht auf die Menschheit hat. 172 Deshalb wird man die Aussage der Simeonsöhne, dass Jesus für die Seelen in der Vorhölle die Pfänder ausgelöst habe ( er lôste uns elliu unsriu phant , v. 2051), auch als Hinweis auf einen umfassenderen rechtlichen Rahmen der Heilsgeschichte deuten dürfen. Die rechtliche Auffassung der Heilsgeschichte ist für die Erzählung von der Höllenfahrt jedoch nicht prägend, sondern nur punktuell über Rechtswörter fassbar. So ist in der Rede Johannes des Täufers, die die Simeonsöhne wiedergeben, vom ,Folgen eines Urteils‘ die 168 Vgl. zu diesem Klischee z. B. Niesner 2005, S. 279-286. Zu Parallelen für weitere judenfeindliche Klischees, die in Diu urstende Verwendung gefunden haben (z. B. das der Verstocktheit), vgl. Hoffmann 2000, S. 190-197. 169 Indirekt könnte das Konzept des Fahnlehens also doch eine Rolle gespielt haben (s. dazu o. S. 76, Anm. 75). Auf jeden Fall ist Pilatus seinerseits in der Lage, einen Teil seiner Kompetenzen (vgl. dazu Bruckauf 1907, S. 43), nämlich gewalt (im Sinne von Verfügungsgewalt) über Jesus, an ,die Juden‘ weiterzugeben (v. 841). Eine göttliche Bevollmächtigung des Pilatus kommt in Diu urstende nicht zur Sprache, weil der entsprechende Dialog zwischen Pilatus und Jesus (Io 19,10 f.) nicht aufgenommen ist (vgl. aber vv. 1133 f. [die Jünger bekommen gewalt , Wunder zu tun]; vv. 1669-1674 [die Simeonsöhne haben nicht gewalt , einen mündlichen Bericht über ihre Erlebnisse zu geben]). 170 Anders gelagert ist dagegen die Aussage des Kaiphas, sie (,die Juden‘) glaubten nicht, dass jemand auferstehen könne, dem sîn reht so wie ihm ( Jesus) geschehe. Gemeint ist hier, dass Jesus, so wie es ihm zukam, rechtmäßig hingerichtet wurde (vv. 1504-1510). 171 Zu dem (bes. nach der Kritik Anselms von Canterbury) theologisch umstrittenen, aber literarisch sehr produktiven Konzept vgl. Ashley 1982; Marx 1995, S. 7-27; McGrath 2005, S. 82 f. 172 Zum Betrugsmotiv vgl. Hoffmann 2000, S. 64 f.; 166 f.; Ukena-Best 2012, S. 318; grundsätzlich Ashley 1982. 94 3 Variationen der Rechtsthematik Rede, womit in rechtlichen Kontexten häufig die Zustimmung zu einem Ersturteil bezeichnet wird: 173 ‘ […] und wizzet daz er [sc. Jesus] iuch hie holt mit gewalt in churzer zît. unz unser vîent gelît in sînem pfuole gesolget, der urteil ist gevolget die der wîssage über in gap. er sprach: ‘er muoz in sîn grap vallen dâ er ez bereitet hât; sîn grap im selben offen stât.’ (vv. 1836-1844) Johannes zitiert hier Psalm 7,15 f., wonach der, der Böses im Sinn hat, zu Fall kommen wird. Nach dem Kontext des Psalms (7,12-14) ist das als Strafe Gottes zu verstehen, der ein gerechter Richter ist. In der Rede des Johannes ist dagegen die Aussage des Psalmisten zu einem urteil umgedeutet worden, wobei er als wîssage wohl als Sprachrohr Gottes gelten darf. Dass die Konsequenzen des eigenen Handelns einen einholen werden, wird auch im Hinblick auf die Menschen formuliert, und zwar von Joseph, wenn er ankündigt, dass Jesus gewaltic an gerihte wiederkehren wird (vv. 1470-1478). Alle, die Gottes Namen auf Erden verleugnet ( verlougent , v. 1475) hätten, müssten sich der phlihte schämen; sie stünden dann zur Linken Gottes. Die Bedeutung von phlihte an dieser Stelle ist schwer zu bestimmen. Angesichts des Bedeutungsspektrums von phlihte 174 scheint es nicht das Negativum zu bezeichnen, das den Grund der Scham bildet, sondern die Sache, in Bezug auf die sich geschämt wird, wahrscheinlich die (nicht erfüllte) Pflicht Gott gegenüber, die Wahrheit zu sagen. 175 Sowohl inhaltlich als auch über das Wort phlihte wird ein rechtlicher Kontext aufgerufen, der anklingen lässt, dass es Wertmaßstäbe gibt, die für Gerichtsverfahren auf Erden wie auch für das Jüngste Gericht gelten. Die prekäre Situation, dass mit Jesus zugleich die Verkörperung göttlicher Gerechtigkeit vor einem Gericht steht, wird in Diu urstende nicht thematisiert. Zwar veranlassen die Wunderzeichen nach seinem Tod die arbeitende Bevölkerung Jerusalems 176 zu dem Ausspruch ‘hic homo iustus erat’ (v. 783), den der Erzähler mit ‘dirre mensche was reht’ (v. 173 Zu volgen im Sinne von „ rechtl. beistimmen “ vgl. L exer , s. v. Zum Prozedere beim Folgen des Urteils vgl. von Planck 1879, Bd. 1, S. 262-268. 174 Vgl. insbesondere Bedeutung I im DRW, s. v.: „Rechtspflicht, Verpflichtung, Schuldigkeit, die auf unterschiedlichen Rechtsgründen beruhen kann“. 175 Von einer Verpflichtung gegenüber Gott ist in Diu urstende auch im Hinblick auf die Taufe die Rede: Nachdem der Erzähler bei der Einführung des Nikodemus (in Anlehnung an Io 3,1-21) zunächst Jesu Worte, dass die Taufe Wiedergeburt bedeute, in indirekter Rede referiert hat (vv. 432-435), folgt eine direkte Rede: ‘swer die geburt niht hât verchorn / und hât ôt zuo der phliht, / der enchumt ze gotes rîche niht , / des nieman teil n ümftic wirt / wan er, den anderstunt gebirt / wa zz er und der heilige geist. […] ’ (vv. 436-441). Für den in v. 437 offensichtlich verderbten Text hat es verschiedene Besserungsversuche gegeben (vgl. Fechter 1977, S. 87 f.; Gärtner / Hoffmann 1989, S. 141, jeweils auch zu den Varianten in den Weltchronik -Handschriften); hât ôt ist aus habet in V konjiziert. Wenn man der V-Lesart zuo der phliht folgt, scheint mit der die Wiedergeburt durch die Geisttaufe gemeint zu sein. 176 Der Text schildert detailrealistisch, sie hätten während der Kreuzigung noch auf den Feldern gearbeitet (vv. 778 f.) und seien dann in die Stadt gegangen (v. 784). 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 95 785) übersetzt, 177 doch geht es an dieser Stelle nicht um die göttliche Gerechtigkeit, sondern darum, dass mit Jesus ein rechtschaffener Mensch unschuldig hingerichtet worden ist. 3.2.5 Interdependenz von Zeugenschaft und Heilswahrheit Wie die Textanalyse gezeigt hat, ist die Rechtsthematik in Diu urstende eng mit dem Komplex der Wahrheitsfindung verknüpft. Dabei stehen die juristischen Fragetechniken gleichsam im Dienst der Wahrheit und dienen mit dazu, die Messianität Christi zu erweisen, die sich im Schriftwunder manifestiert. 178 Darin erschöpft sich aber die Funktion der Rechtsmotivik noch nicht, denn es ist ein Bemühen zu beobachten, dass ein positives Bild der Institution ,Gericht‘ vermittelt werden soll - angesichts des Stoffs ein bemerkenswertes Unterfangen. Besonders deutlich wird dieses Bemühen bei der Rede des Pilatus. 179 Zwar ist es im Nikodemusevangelium (cap. IX 2 [7,2 (G / I)]) durchaus angelegt, dass Pilatus ,die Juden‘ schilt; doch dass er skizziert, wie es idealerweise vor Gericht zugehen sollte, ist spezifisch für Diu urstende . 180 Diese Ausgestaltung ist umso auffälliger, als sie den Umschwung im Vorgehen des Pilatus am Ende des Prozesses noch erklärungsbedürftiger werden lässt. Auch dann erweist sich aber nicht das Gerichtsverfahren als ungerecht, sondern nur der Richter als fehlbar, sodass die Autorität des Gerichts nicht in Zweifel gezogen wird. Die didaktische Rede des Pilatus fügt sich ein in andere Erzählstrategien, mit denen moralische Maßstäbe für den Umgang mit der Wahrheit vermittelt werden. Wenn zum Beispiel der Mann, der offenlîche für Jesus aussagt, neben diejenigen gestellt wird, die sich der phlihte entziehen wollen, wird eine Wertung des Verhaltens vorgenommen. Die Verpflichtung, an der Wahrheitsfindung mitzuwirken und offen für die Wahrheit einzutreten, wird zunächst einmal im Kontext des weltlichen Prozesses thematisiert. Der größere und bedeutsamere Kontext wird in den Worten Josephs deutlich, der für diejenigen, die Gottes Namen wissentlich verleugnet haben, negative Konsequenzen beim Jüngsten Gericht ankündigt (vv. 1470-1478). Aus dem Textverlauf ergibt sich, dass die Oberen ,der Juden‘ zu dieser Gruppe zu zählen sind, denn sie verdrehen wider besseres Wissen diu mære (vv. 2132-2148). Aber am Beispiel von Petrus, dessen martialisches Eintreten für Jesus bei dessen Gefangennahme und seine spätere Beteuerung, Jesus nicht zu kennen, ausführlich berichtet werden (vv. 190-236), war gleich zu Beginn der Erzählung demonstriert worden, dass auch Anhänger Jesu der Gefahr des Verleugnens ausgesetzt sind. Die hier parallel gesetzten Fälle des Verleugnens liegen zwar auf unterschiedlichen Ebenen, aber die Rechtsmotive scheinen dazu genutzt zu werden, Problemkomplexe explizit zu 177 Die Worte des guten Hauptmanns (Lc 23,47) sind hier den Leuten auf dem Feld in den Mund gelegt; Centurio (v. 797) ist als Personenname aufgefasst (vgl. Hoffmann 2000, S. 142, mit Parallelen; Bieberstedt 2004, S. 445). 178 Vgl. dazu auch Hoffmann 2000, S. 187-190. 179 „Konrad von Heimesfurt lässt hier Pilatus als auffällig gerechten Richter sprechen, der genau das Gegenteil eines iudex iniustus zu verkörpern scheint“ (Mattig-Krampe 2001, S. 111). 180 Vgl. dazu auch Hoffmann (2000, S. 133), der die Vorlage (die Salzburger Handschrift [s. o. S. 74, Anm. 58] nach der Zählung von Tischendorfs, vgl. ebd., S. 122) zitiert: Hec audientes iudei comminantes et stridentes dentibus suis aduersus Nichodemum. Dicit eis Pilatus: ‘Vt quid utique dentibus fremitis aduersus eum qui loquitur ueritatem? ’ (cap. V 2; „Als die Juden das hörten, stießen sie Drohungen aus und knirschten mit ihren Zähnen gegen Nikodemus. Pilatus sagte zu ihnen: ,Warum knirscht ihr einfach so mit den Zähnen gegen den, der die Wahrheit sagt? ‘ “). Der Text befindet sich in der Salzburger Handschrift auf fol. 116r-v. 96 3 Variationen der Rechtsthematik machen, die für die Handlung insgesamt relevant sind - das hatte sich auch für die Methoden zur Wahrheitsfindung nachweisen lassen. Innerhalb des Prozesses wird beispielsweise auch das Nicht-Verleugnen-Können zur Sprache gebracht, wenn Nikodemus den Anspruch erhebt, den Anklägern nachweisen zu können, dass sie sich geirrt haben. 181 Tatsächlich wird offenbar, dass ihre Anschuldigungen falsch waren, und die Wahrheit kommt ans Licht. Vor dem Öffentlich-Werden begangenen Unrechts und den daraus folgenden sozialen Konsequenzen fürchten sich wiederum die Wächter, weshalb sie sich zunächst weigern, Bestechungsgeld anzunehmen. 182 Dass durchaus damit zu rechnen ist, dass sich Lügen nicht aufrechterhalten lassen, war in der Prozessszene demonstriert worden. Insofern kann der Leser am Ende des Berichts auch die Gewissheit haben, dass die Lügen der Oberen ‚der Juden‘ (vv. 2128-2148) ineffektiv bleiben werden. Der Zusammenhang von Wahrheit, Zeugenschaft und Öffentlichkeit, der in Diu urstende rechtlich aufgefasst ist, steht auch in einem theologischen Kontext, der allerdings im Text über die Figur des Nikodemus nur indirekt angesprochen wird. Der Erzähler übernimmt aus dem dritten Kapitel des Johannesevangeliums , in dem Jesus zum biblischen Nikodemus spricht, nur die Passagen zur Taufe (vv. 432-443). Im Johannesevangelium sagt Jesus angesichts von dessen Unverständnis zu Nikodemus: amen amen dico tibi, quia quod scimus loquimur / et quod vidimus testamur / et testimonium nostrum non accipitis (Io 3,11; 183 „Amen, amen, ich sage dir: Was wir wissen, das sagen wir, und, was wir gesehen haben, das bezeugen wir, und ihr nehmt unser Zeugnis nicht an.“). testare ist in der Vulgata gewiss nicht in einem verfahrensrechtlichen Sinn gebraucht, und es ist dort Jesus selbst, der als ,Zeuge‘ fungiert, aber in diesem Bibelvers ist das für Diu urstende zentrale (aber dort nicht auf Nikodemus zutreffende) Grundproblem formuliert, dass Zeugnisse für die Heilswahrheit nicht akzeptiert werden. Auch das Verhältnis der Menschen zur Wahrheit beschreibt Jesus in seiner Rede: omnis enim qui mala agit odit lucem / et non venit ad lucem ut non arguantur opera ejus / / qui autem facit veritatem venit ad lucem / ut manifestentur opera ejus quia in Deo sunt facta (Io 3,20 f.; „Denn jeder, der Übeltaten begeht, hasst das Licht und kommt nicht zum Licht, damit seine Taten nicht aufgedeckt werden. Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit seine Taten offenbar werden, weil sie in Gott getan sind.“). Es ist das venire ad lucem , das in Diu urstende positiv beurteilt wird. Das Werk insgesamt soll ebenso dazu beitragen, dass die (heilsgeschichtliche) Wahrheit ans Licht kommt, wenn auch der metaphorische Ausdruck, dass das Prolog-Ich sein Werk ans Licht bringe ( swenne ich daz werc ze liehte trage , v. 10), nicht primär als Referenz auf die Johannes-Stelle zu verstehen ist. 184 In Diu urstende wird durch eine Betonung des rechtlichen Kontexts der Geschehnisse die Bedeutung der Wahrheitsfindung und der Akzeptanz des Erkannten exemplarisch herausgearbeitet. Die Relevanz des Erzählten für die Gegenwart wird explizit nur in Bezug auf die Judas-Figur formuliert: Nachdem der Erzähler das Verhalten des Judas als treulos ( jâ 181 ‘nûne muget ir niht verlougen , / ir habet iuch sêre überdâht’ (vv. 452 f.). Die Formel des Nicht-Verleugnen-Könnens wird auch vom Erzähler verwendet, um etwas Evidentes zu bezeichnen, wenn es heißt, dass nach dem Tod Jesu ,die Juden‘ alle die verfolgt hätten, die niht verlougen chunden / sine wæren mit Jêsû gewesen (vv. 870 f.). 182 ‘ei, wie stüende uns daz an , / swanne uns wîp unde man / an der unrede funden, / und wir niht gelou g en chunden / wirn missetæten umbe guot? ’ (vv. 967-971). 183 Hier und im Folgenden wird der Vulgata -Text nach der Ausgabe von Gryson / Weber 2007 zitiert. 184 Im Kontext des Prologs (vv. 1-18) geht es darum, dass das Werk in der Gestalt, die ihm der Verfasser gegeben hat, im Licht der Öffentlichkeit bestehen soll (vgl. dazu Becker 2015, S. 37 f.). 3.2 Konrad von Heimesfurt, Diu urstende 97 hâstuo / der triuwen in dem herzen niht , vv. 152 f.) gekennzeichnet hat (vv. 149-158), beklagt er, dass es noch Leute gebe, deren Verhalten nicht mit ihren Intentionen übereinstimme, und sagt ihnen dasselbe Ende wie Judas voraus (vv. 159-170). Dass ausgerechnet bei Judas eine Übertragung in die Gegenwart stattfindet, dürfte mit der Tradition des Judas-Fluchs zusammenhängen. 185 Der Erzähler betrachtet auch nicht Judas selbst als Exempel, sondern sagt, dass einige ihre Falschheit von Judas gelernt hätten (vv. 159-161). Wenn ein solches Lernen im Negativen möglich ist, erscheint es denkbar, dass der Text zu entsprechenden Übertragungsprozessen bei positiven Figuren anregen will. Die aktualisierende Ausgestaltung des Prozesses macht jedenfalls das Geschehen für zeitgenössische Rezipienten nicht nur besser nachvollziehbar, vielmehr erleichtert sie auch eine Übertragbarkeit, zumal in Kombination mit den generalisierenden Ausführungen des Pilatus. Der zeitgenössische Rezipient ist ebenfalls dazu aufgerufen, seiner phlihte nachzukommen. Allerdings ist dieser didaktisierende Aspekt in Diu urstende gegenüber der darin thematischen Vermittlung des Heilsgeschehens nicht dominant. Auch für die Aufnahme des Textes in die Sammelhandschrift V scheint eher ausschlaggebend gewesen zu sein, dass er einen Abschnitt des Lebens Jesu erzählt, denn er folgt auf die Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen. 186 Insgesamt sind in der, wahrscheinlich für einen Laien, planmäßig zusammengestellten Textsammlung 187 zahlreiche thematische Korrespondenzen zwischen den einzelnen Texten der Handschrift festzustellen: So lässt die Konversion ,der Juden‘ in Das Jüdel die nicht stattfindende Konversion in Diu urstende umso deutlicher hervortreten; 188 Das Anegenge ergänzt stofflich die apokryphen Texte zu Beginn der Handschrift 189 und fügt mit dem Motiv des Streites der vier Töchter Gottes 190 zugleich der Rechtsthematik weitere Aspekte hinzu. Sicherlich wäre es verfehlt, wegen der Überlieferungsgemeinschaft unbedingt Bezüge zwischen den Texten herstellen zu wollen, doch mögen die Texte der Handschrift, die auf die richtige Lebensführung bezogen sind (wie etwa Die Warnung ), die Aufmerksamkeit auf entsprechende Aspekte in den narrativen Texten gelenkt haben: Wenn in Die Warnung propagiert wird, dass es Untugenden (wie Falschheit oder Hass) gibt, die Gott und der Welt missfallen, 191 dann lässt sich diese Entsprechung - jedenfalls auf einer allgemeinen Ebene - auf Diu urstende zurückbeziehen. Dort legen Gott und die Welt im Hinblick auf die Wahrheitstreue (idealerweise) ebenfalls gleiche Maßstäbe an, wie anhand der Gerichtsthematik exemplifiziert wird. 185 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 124. 186 Zum „zusammengehörigen Erzählkomplex“, den die beiden Texte bilden, vgl. Henkel 1996, S. 17. 187 Vgl. dazu Fechter 1968; Henkel 1996, S. 16; Hoffmann 2000, S. 204. Hoffmann (ebd.) ist zuzustimmen, dass angesichts der Stoßrichtung der Reimpredigten, der von Neuser (1973, S. 27) erwogene Zusammenhang mit der benediktinischen Lectio nicht anzunehmen ist. 188 Vgl. Hoffmann 2000, S. 202 f. 189 Vgl. Fechter 1968, S. 255. 190 Vgl. Ohly 1994, S. 275. 191 Vgl. Fechter 1968, S. 257. 98 3 Variationen der Rechtsthematik 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 3.3.1 Entstehungsumfeld und Textgrundlage Für das heutige Wissen über Gundacker von Judenburg und sein Werk ist Cod. 15 225 der Österreichischen Nationalbibliothek 192 von unschätzbarer Bedeutung: Diese Handschrift überliefert als einzige einen Text nahezu vollständig, in dem sich ein Gundacker von Judenburg als Verfasser nennt. 193 Überschrieben ist der Text dort mit daz pu ͦ ch haizt Christz hort , 194 woraus der moderne Titel Christi Hort abgeleitet ist. 195 Ob diese Überschrift und die Zwischenüberschriften innerhalb des Werks auf den Verfasser oder auf eine spätere redaktionelle Bearbeitung zurückgehen, ist unklar. 196 Hinsichtlich der Datierung des Werks liefert die Handschrift einen terminus ante quem . Für sie wurde eine Entstehungszeit um 1300 diskutiert. Aufgrund paläographischer Kriterien ist aber zuletzt vermutet worden, dass der Text der Handschrift im ersten Viertel des 14. Jahrhunderts eingetragen wurde. 197 Weiteren Aufschluss über die Datierung des 192 Vgl. den Eintrag im Handschriftencensus mit weiterer Literatur, für bibliographische Angaben s. auch http: / / www.ksbm.oeaw.ac.at/ lit/ l_8500_2.htm, 15. 08. 2017. Die kleinformatige Handschrift (14,5 x 11 cm) enthält folgende Texte: foll. 1r-33r: Maria Magdalena (Verslegende I nach 2 VL) / Magdalenenklage (diplomatischer Abdruck in Boxler 1996, S. 545-555); foll. 33v-195v: Gundacker von Judenburg: Christi Hort (ediert von Jaksche 1910); foll. 195v-196v: das erste der Schlussgebete aus Freidanks Bescheidenheit (vv. 180,8-181,9 in der Ausgabe von Bezzenberger 1872; vgl. http: / / www.mrfreidank. de/ 231, 15. 08. 2017). Während Jaksche (1910) dieses Gebet als zu Christi Hort gehörig erachtete, hat Leitzmann (1919, S. 544) es als Freidank-Text identifiziert, den der Schreiber als Epilog angefügt habe. Für diese These könnte die Überschrift von Got ein gût gepet sprechen. 193 Vgl. Fechter 1981; Huber 2009. Jahn (2011, Sp. 988) bezeichnet Gundacker als „Verfasser oder Redaktor“ (zur Frage der Verfasserschaft s. u. S. 107). Sämtliche Versuche, vom Verfassernamen aus Bezüge zu außerliterarischen Quellen herzustellen, müssen spekulativ bleiben (vgl. dazu Bushey 1988, S. 49 f., mit einem Überblick über die Forschungsgeschichte). 194 Soweit nicht anders angegeben, folgen die Zitate aus Christi Hort der Ausgabe von Jaksche 1910. Für eine Übersicht über Rezensionen zu dieser Ausgabe vgl. Stübinger 1922, S. 3. Textkritische Kommentare zum Ausgabentext bietet Leitzmann 1919. 195 Bei Christz handelt es sich um eine e -lose Genitivbildung (vgl. dazu PKSW § M 5,3). Dass der Schreiber z und s unterschiedslos verwendet, kommt öfter vor (vgl. Jaksche 1910, S. XV; Stübinger 1922, S. 31). Zur Konstruktion von hort mit Genitiv vgl. Bushey 1988, S. 50 mit Anm. 10 (S. 73); BMZ; L exer , s. v. Zur Deutung des Titels s. u. S. 109. 196 Vgl. Bushey 1988, S. 50; Knapp 1999, S. 344. Ein Indiz dafür, dass die Zwischenüberschriften nicht von derselben Person wie der Verstext stammen, könnte sein, dass sie e -lose Genitiv-Formen aufweisen: vgl. Christz (vor v. 1); seins (vor v. 2065); chints (vor v. 2081) vs. Christes (z. B. vv. 1369; 1372; 2088). Vielleicht hat sich der Schreiber aber auch nur bei Prosaüberschriften größere Freiheiten erlaubt. Dass die Prosa-Rubriken von derselben Hand geschrieben wurden wie der Verstext, ist besonders deutlich an der Überschrift auf fol. 34v (vgl. hie schu ͤ f er Evam. , im Ausgabentext nach v. 42), für die zunächst - wie für den umgebenden Text - braune Tinte verwendet wurde, bevor sie rot überschrieben wurde. Das hier zu erschließende Versehen des Schreibers deutet darauf hin, dass er die Zwischenüberschriften aus einer Vorlage kopierte. Dafür, dass der Gebrauch von Zwischenüberschriften werkgebunden ist, spricht auch die Tatsache, dass die vorangehende Magdalenenklage keine solchen Rubrizierungen aufweist, denn Christi Hort wurde von demselben Schreiber in die Handschrift eingetragen wie der überwiegende Anteil der Magdalenenklage . Entgegen der Annahme Jaksches (1910, S. VII) liegt ein Handwechsel nicht zwischen den beiden Werken, sondern nur auf fol. 2v vor (vgl. Menhardt 1961, S. 1389 f.; Schneider 1987, Bd. I, S. 214). 197 Vgl. Schneider 2009, Bd. II, S. 26, Anm. 90, in Abgrenzung von der Angabe in dies. 1987, Bd. I, S. 214 f. Nach Schneider ist der Befund schwierig einzuschätzen, weil das Schriftbild, vor allem wegen der nicht abgesetzten Verse, einen altertümlichen Eindruck mache. Ausschlaggebend für die Datierung 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 99 Werks können Überlieferungszeugen der Passionskompilation geben, für die Christi Hort eine maßgebliche Grundlage gebildet hat. 198 Das Wiener Fragment wird in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert, 199 das Budapester Fragment in dessen erstes Viertel; jedoch ist dafür - wie für Cod. 15 225 - auch eine Entstehungszeit um 1300 erwogen worden. 200 Die zeitnahe Rezeption bestätigt das auf der Basis von Cod. 15 225 angenommene Zeitfenster. 201 Kurt Stübinger (1922) glaubte, aufgrund sprachlicher Kriterien die Entstehungszeit von Christi Hort auf 1290-1300 eingrenzen zu können. 202 Auch bei einer weniger zuversichtlichen Deutung des Befundes lässt sich eine Datierung gegen Ende des 13. Jahrhunderts sichern, und zwar aufgrund literarhistorischer Kriterien: Neben der Benutzung von Diu urstende 203 ist in Christi Hort eine intensive Rezeption von Mai und Beaflor erkennbar. 204 Aus der Rezeption des Frauendienst Ulrichs von Liechtenstein in Mai und Beaflor ist wiederum zu erschließen, dass dieses Werk nach der Mitte des 13. Jahrhunderts geschrieben worden ist. 205 Die Kombination aller Indizien lässt eine Entstehung von Christi Hort gegen Ende des 13. Jahrhunderts am plausibelsten erscheinen; möglich wäre auch ein Zeitansatz „um 1300“. 206 Dass der Verfasser von Christi Hort nach eigenen Angaben aus Judenburg stammt, hat dazu geführt, dass man das Werk (wie Mai und Beaflor ) 207 in der Steiermark verortet hat. 208 Zwar können solche Herkunftsangaben irreführend sein - man denke nur an Hawich ,den seien jedoch moderne Verzierungsformen und die erst gegen Ende des 13. Jahrhunderts vereinzelt aufkommenden diakritischen Schreibungen a ͤ und e ͣ . Knapp (1999, S. 348) setzt die Handschrift vor oder um 1300 an, Hoffmann (2000, S. 303) gegen Ende des 13. Jahrhunderts. 198 Vgl. Hoffmann 2000, S. 229-252. Zu den Konsequenzen für die Datierung von Christi Hort vgl. Bushey 1988, S. 54 mit Anm. 16 (S. 73 f.). 199 Wien, ÖNB, Cod. Ser. nova 4818 (vgl. den Eintrag im Handschriftencensus ). Zur Datierung vgl. Mazal / Hilmar 1997, S. 28. Für einen Abdruck des Textes vgl. Schröder 1908. 200 Budapest, Széchényi-Nationalbibl., Cod. Germ. 54 (vgl. den Eintrag im Handschriftencensus ). Zur Datierung vgl. Vizkelety 1969, S. 129 (1. H. 14. Jh.) und Kleinmayr 1925, S. 242. Kleinmayr (1925) bietet auch einen Abdruck des Textes. 201 Ohne den handschriftlichen Befund zu berücksichtigen, erwägen Masser / Siller (1987, S. 35 f.), Christi Hort könne nach dem spätestens 1330 abgeschlossenen ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk entstanden sein (zu dessen Datierung s. u. S. 326). Das müsse man annehmen, wenn man die Pilatus-Veronika- Legende in der Fassung H des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks als Quelle für Gundacker ansehe und nicht umgekehrt die Passage im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk als Prosaauflösung von Christi Hort erachte (vgl. ebd.; zum Verhältnis der beiden Texte s. u. Kap. 6.3.1). Geith (2000, S. 250 f.), der vehement eine Abhängigkeit des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks von Christi Hort bestreitet, sieht die chronologischen Probleme, die sich bei einer umgekehrten Einflussrichtung ergäben, und nimmt deshalb einen deutschsprachigen Pilatus-Veronika-Text als gemeinsame Vorlage an. 202 Vgl. Stübinger 1922, S. 58. Der Problematik schreibsprachlicher Veränderungen versuchte er dadurch zu begegnen, dass er Belege aus dem Versinnern nicht berücksichtigte (vgl. ebd., S. 1). 203 Vgl. dazu Stübinger 1922, S. 128-130; Hoffmann 2000, S. 303-311. 204 Vgl. Fechter 1974. Zu Mai und Beaflor vgl. Fechter 1985b; Knapp 1999, S. 332-341, und die Ausgabe von Kiening / Mertens-Fleury 2008. 205 Vgl. Kiening / Mertens-Fleury 2008, S. V. Der Frauendienst ist vermutlich in den frühen 1250er Jahren entstanden (vgl. Linden 2010, S. 59-61). Fechter datiert Mai und Beaflor (unter Verweis auf die Literaturgeschichte von de Boor 1962, S. 103) auf 1270 / 80; auch Knapp (1999, S. 332) hält de Boors Datierung für möglich. 206 So Huber 2009; Malm 2011. 207 Für Mai und Beaflor wird zwar auch Kärnten als Entstehungsgebiet in Betracht gezogen (vgl. Fechter 1985b), wegen der Rezeption in Christi Hort und im Grazer Marienleben jedoch eine Entstehung in der Steiermark vermutet (vgl. Knapp 1999, S. 332), wobei die Gefahr eines Zirkelschlusses besteht. 208 Vgl. bereits Weinhold 1860, S. 210 f. Auch Busheys Aufsatz (1988) erschien in einem Band mit dem Titel Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark . Kindig (1976, S. 14-16) behandelt Christi Hort in seiner 100 3 Variationen der Rechtsthematik Kölner‘, der vermutlich in Passau gewirkt hat 209 -, aber im Falle von Christi Hort ist über die Reimsprache 210 und die Überlieferung zumindest der bayerisch-österreichische Raum wahrscheinlich zu machen: Neben der bairisch-österreichischen Schreibsprache des Cod. 15 225 211 sind hier wiederum die Fragmente der Passionskompilation als frühe Rezeptionszeugen von Bedeutung, deren Schreibsprache ebenfalls als bairisch-österreichisch bestimmt worden ist. 212 So zentral Cod. 15 225 als Überlieferungsträger auch ist, man hat bei der Verlässlichkeit der Überlieferung von Christi Hort Einschränkungen zu machen, denn der Text weist offensichtliche Fehler und Lücken auf. 213 Doch beruht J. Jaksches Edition (1910) allein auf dieser Wiener Handschrift. Der textkritische Wert, den die Fragmente der Passionskompilation und die auf die Passionskompilation zurückgreifenden Texte einiger Handschriften der Weltchronik Heinrichs von München haben, ist zwar erkannt, 214 die Überlieferungszeugen sind jedoch noch nicht systematisch ausgewertet worden. 215 Das könnte nur in einer Neuedition angemessen geschehen; im Folgenden wird jedoch die Parallelüberlieferung punktuell mit einbezogen, um einzelne Lesarten zu sichern. 216 Für die Interpretation von Christi Hort ist die Frage nach der Werkeinheit von höchster Relevanz. Sie wird kontrovers diskutiert, seit Anton E. Schönbach (1876) andeutete, die heterogenen Teile der Dichtung könnten zu unterschiedlichen Zeiten verfasst sein. 217 Verknüpft mit der Frage nach der Einheitlichkeit des Werks ist die der Autorschaft; so schreibt Christoph Huber (2009): Studie Das literarische Judenburg , vermutet im Verfasser jedoch wegen des Bescheidenheitstopos in vv. 1314 f. (s. dazu u. S. 109) einen „gelehrten wandernden Literaten“. 209 S. dazu u. S. 353, Anm. 405. Zur dürftigen Grundlage für die Annahme, dass Gundacker von Judenburg in Österreich tätig gewesen sei, vgl. auch Wyss 1986, S. 395. 210 Vgl. dazu Stübinger 1922, S. 57 f. Jedoch: „Grobmundartliche Reime werden von G. gemieden.“ (ebd., S. 58). 211 Nach Schneider (1987, Bd. I, S. 215) schließt der Sprachstand auch eine Entstehung der Handschrift in der Steiermark nicht aus. 212 Vgl. Vizkelety 1969, S. 129; Mazal / Hilmar 1997, S. 28. 213 Vgl. Jaksche 1910, S. IX. 214 Vgl. Gichtel 1937, S. 164; 174-179; Hoffmann 2000, S. 237, Anm. 57. Eine Parallelüberlieferung gibt es für Verse aus dem „Bereich etwa von V.1655 bis zu V.4044“ (ebd.). Während Leitzmann (1919, S. 540) Schröder (1908) dafür kritisierte, dass er das Wiener Fragment Cod. Ser. nova 4818 der Gundacker- Überlieferung zugeordnet habe, denn es enthalte eine „ganz freie verarbeitung“, stimmt die Einschätzung Hoffmanns (ebd., S. 237) mit der Schröders überein: „[ü]ber weite Strecken bietet der Kompilator einen reinen, unvermischten Gundacker-Text“. 215 Für einen Überblick über die in H9 (zur Handschrift s. u. S. 279, Anm. 29) überlieferten Gundacker- Partien vgl. Gichtel (1937, S. 174-179), der dort auch für die Fehlstelle nach v. 2728 den Text von H9 bietet. Bei seinem systematischen Vergleich des Textes dieser Handschrift mit Christi Hort kam er zu folgendem Ergebnis: „Beibehaltung der Fassung im Allgemeinen, jedoch viele kleine Varianten durch Einschiebung, Auslassung und Umstellung einzelner Wörter innerhalb einer Zeile und durch gelegentliche Umformung mehrerer Zeilen“ (ebd., S. 175). Trotzdem seien einige textkritische Erkenntnisse möglich. 216 Wie bei den Exzerpten aus Diu urstende ist allerdings bei den Versen aus Christi Hort in der Weltchronik mit redaktionellen Bearbeitungen zu rechnen. Zitiert wird der Weltchronik -Text nach Shaw / Fournier / Gärtner 2008. Zur Editionslage und zum Umgang mit den Quellentexten in der Weltchronik s. u. Kap. 6.1. 217 Vgl. Schönbach 1876, S. 204 f. (er sah den auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Abschnitt [ab v. 1304] als zweiten, die Pilatus-Veronika-Legende als dritten Teil an). Auch de Boor (1962, S. 504-506, vgl. auch de Boor / Janota 1997, S. 433-435) zweifelte an der Verfassereinheit (er erwog, vv. 1-170, vielleicht auch vv. 171-1304, könnten später hinzugedichtet sein). Vgl. ähnlich Kindig 1976, S. 16. 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 101 Es ist fraglich, ob die verschiedenen Abschnitte alle von einem Verfasser stammen u. G. nur Einzelteile (sicher 2.) bzw. die Endredaktion des Ganzen, das als überlieferte Einheit interpretiert werden muss, zuzuschreiben sind. 218 Huber ist insofern zuzustimmen, als für die Interpretation des Handschriftentextes dessen Genese letztlich zu vernachlässigen ist. Aber auch der Nachweis, dass die Textteile überhaupt als ,Einheit‘ zu interpretieren sind, muss erst erbracht werden, vor allem wenn, wie es im Folgenden für die Rechtsthematik geschieht, sinnstiftende Bezüge zwischen den Teilen geltend gemacht werden. Deshalb sei hier ausgehend vom Aufbau die Werkeinheit diskutiert. 219 Christi Hort beginnt mit einer Einführung in den Zusammenhang der Heilsgeschichte (vv. 1-170): Nachdem von der Schöpfung und vom Sündenfall erzählt worden ist (vv. 1-136), werden die Auswirkungen auf die Menschheit skizziert (vv. 137-157) und das Motiv des Erlösungsrats 220 anzitiert, indem gesagt wird, dass die minne Gott zur Inkarnation gebracht habe (vv. 158-170). 221 Auf diese Exposition folgt ein Gebetsprolog (vv. 171-250), in dem der Verfasser in einer Bescheidenheitsformel seinen Namen nennt 222 und Gott bittet, ihm genügend sin zu verleihen, um ihn zu loben. Daran schließt sich eine Folge von mit ich man dich eingeleiteten gebetsartigen Kleinabschnitten an (vv. 251-1304), in denen - in direkter Anrede Jesu - dessen Leben bis zum Verrat des Judas in Erinnerung gerufen wird. 223 Mit v. 1305 wird eine kurze Textpassage (vv. 1305-1326) eingeleitet, die eine Prologfunktion für den anschließenden narrativen Textteil über die Passion erfüllt. 224 Erneut beklagt der Verfasser seine Unfähigkeit und betont die Notwendigkeit göttlichen Beistandes, damit er ein Gott ehrendes Werk vollbringen könne. Die Erzählung über die Passion Jesu und die Ereignisse nach seiner Auferstehung (vv. 1327-5294) verlagert ihren Schwerpunkt in v. 4045 auf Pilatus: Es folgt die Pilatus-Veronika-Legende. Vorangegangen war ein Abschnitt über die Sieben Vorzeichen der Zerstörung Jerusalems (vv. 3943-4044), der sich im Duktus deutlich von den narrativen Partien unterscheidet, aber darin eingebettet ist. Manche der Einschnitte sind damit in Verbindung zu bringen, dass unterschiedliche Vorlagentexte verwendet worden sind. So ist die Hauptquelle für die in v. 1327 beginnende 218 Huber 2009, S. 520. Er gliedert Christi Hort in vier Teile; danach umfasst Abschnitt 2 (vv. 171-1304) den Prolog mit Namensnennung sowie eine Serie von Erzählgebeten. Wenn man aber - so wie Huber - die Namenssignatur als Verfasserangabe allein für den Gebetsteil versteht, dann wäre es unwahrscheinlich, dass ‚Gundacker‘ auch als Name für den Redaktor anzusehen wäre. 219 Um die Argumentation nicht unnötig zu verkomplizieren, wird von vornherein von Christi Hort als einem Werk gesprochen, nicht als einer Ansammlung unterschiedlicher Texte. Für einen knappen Überblick über den Inhalt vgl. Hoffmann 1997a, S. 291-295. 220 Vgl. Stübinger 1922, S. 81; Bushey 1988, S. 55 mit Anm. 20 (S. 74). Zum Motiv des Erlösungsrates vgl. auch Ohly 1994. In dem letztlich aus Psalm 84[85],11 entwickelten Motiv des Streites der ,vier Töchter Gottes‘ sind es misericordia und pax , die für die Erlösung des Menschen eintreten. 221 Zum argumentativen Charakter der Textpassage vgl. Wyss 1986, S. 300 f. Er weist auch auf das Problem hin, dass die „Kasuistik personifizierter Abstraktionsbegriffe mit der Einheit und Einzigartigkeit Gottes in Widerstreit gerät“. 222 unt la mich dir erbarmen, / mich Gundachern vil armen. / von Judenburch pin ich geborn (vv. 187-189). 223 Sie bestehen in der Regel aus einem narrativen Teil mit einer anschließenden Bitte. Zur Einordnung der Gebetsform der manunge vgl. Bushey 1988; Knapp 1999, S. 343 f. Mit den Konfessionsgebeten aus der Epik, die Quast (2009, S. 91, Anm. 11) unter Berufung auf Lutz (1984, S. 144-149) als Vergleichspunkt benennt, teilen die Gebete in Christi Hort nur den Zug, dass einzelne Stationen biblischen Geschehens rekapituliert werden. 224 aller erste wil ich tichten / unt die leut berichten / von diner marter, su ̊ zer Christ (vv. 1305-1307). 102 3 Variationen der Rechtsthematik Erzählung von Passion und Auferstehung einschließlich des Geschehens um Joseph von Arimathia und die Simeonsöhne eine Version des Nikodemusevangeliums , die der Rezension Lateinisch A zuzuordnen ist. 225 Die folgenden Verse lassen sich als Kurzfassungen von Addenda zum Nikodemusevangelium verstehen, der Epistola Pilati ad Claudium (vv. 3903-3905), 226 dem Somnium Neronis (vv. 3906-3942) und den Signa in eversione Iherusalem (vv. 3943-4044). 227 Die Pilatus-Veronika-Legende in Christi Hort (vv. 4045-5294) beruht auf der sogenannten Historia apocrypha der Legenda aurea . 228 Einige inhaltliche Widersprüche, die den politischen Kontext der Handlung betreffen, wurden nicht getilgt: So schickt Pilatus die Aufzeichnungen von Karicius und Leucius an ,König Claudius‘ in Rom (vv. 3903-3905); im Rahmen des Textabschnitts zur Pilatus-Veronika-Legende ist es dann aber ,Kaiser Tiberius‘, der in Rom herrscht (v. 4365). 229 Andererseits sind am Ende des Nikodemusevangelium -Teils deutliche redaktionelle Bemühungen zu erkennen, indem durch das Weiterreichen der prieve von Karicius und Leucius eine Verbindung von Pilatus über Claudius zu Nero geschaffen worden ist, wobei dessen Position im Unbestimmten gelassen wird (vv. 3885-3908). 230 Indem Nero das ihm im Traum übermittelte Rachebegehren Jesu an Vespasian weiterleitet und dieser die Rache an ,den Juden‘ für 40 Jahre später ankündigt (vv. 3909-3942), erscheinen die ‚Signa‘ als Zwischenzeitphänomene (vv. 3943-4044). Erst 225 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 292. Der wichtigste Anhaltspunkt für die Identifikation einer A-Fassung als Quelle ist die Datierung der Passion in Christi Hort (vv. 1381-1395). Mit der Angabe nah Christes marter am vierden tage (v. 1372) folgt Christi Hort einer Lesart ( quarta die [nicht quanta ] post crucem ), die nur in einer Gießener Handschrift belegt zu sein scheint (vgl. von Tischendorf 1876, S. LXXV, Anm. 1; zur Stelle in Christi Hort vgl. Stübinger 1922, S. 95). Gemeint ist vermutlich Cod. 777 der UB Gießen, zu dessen Datierung es unterschiedliche Thesen gibt (12. und 13. bzw. 13. und 14. Jh., vgl. Izydorczyk 1993, Nr. 92 [S. 55]). Mit dieser Handschrift teilt Christi Hort auch die Angabe, dass die Passion Jesu im 19. Jahr der Regierungszeit des Tiberius stattgefunden habe (nach den meisten Handschriften ist es das 18. Jahr; vgl. Nikodemusevangelium , Prolog, Z. 5 [Prologue (G / I)]). Zum Missverständnis von viii Kal. Aprilis (Z. 7 f.) als 8. April in Christi Hort (v. 1393) vgl. Stübinger ebd. 226 Vgl. zu diesem Text Izydorczyk 1997c, S. 55-57. Die Referenz darauf geht in Christi Hort nicht über eine Anspielung hinaus und ist wahrscheinlich deshalb bisher nicht diskutiert worden. 227 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 292. Zum Somnium Neronis vgl. Izydorczyk 1997c, S. 61 f. 228 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 293, mit weiterer Literatur. Zur Textfassung vgl. Knape 1989, Sp. 673 f. Die Historia apocrypha benannte Version stellt nur eine Schicht aus einem ganzen Pilatus-Veronika-Judas- Überlieferungskomplex dar (vgl. Knape 1985, S. 114), sodass die exakte Gestalt der Vorlage von Christi Hort schwer zu bestimmen ist. Als (einzige) Vorlage ausgeschlossen werden kann die Legenda aurea , die in verschiedenen Legenden Teile dieses Komplexes bietet (vgl. dazu Häuptli 2014, Bd. 1, S. 33; Hammer 2015, S. 334-339), denn dort ist die Heilung Vespasians nicht enthalten (zu diesem Motiv in der Historia vgl. Knape ebd., S. 119 f.; für die Pilatus-Veronika-Legende mit dem Tod des Pilatus in der Legenda aurea vgl. cap. 53,231-235 [Häuptli ebd., S. 722-735] = M., 51,183-262; der Text der Legenda aurea wird hier und im Folgenden nach Häuptli 2014 zitiert, die alternative Zählung der Ausgabe von Maggioni 2007 [,M.‘] wird zur Orientierung jedoch mitgeführt). Als zusammenhängender Text liegt die Historia in zwei Redaktionen vor (vgl. ebd., S. 134-138). Knape (ebd., S. 146-165) bietet in Ermangelung einer kritischen Ausgabe (vgl. ebd., S. 116 f.) für Redaktion I einen Abdruck der Handschrift M 1 (München, BSB, Clm 23 390), ergänzt durch Gr (Graz, UB, Ms. 1314 [früher 37 / 45-4º]) (ebd., S. 143 f.). Die Pilatus-Passagen, die für Christi Hort relevant sind, folgen durchgehend M 1 . Diese Handschrift mit der Sonderform Adanus für den ersten Boten (vgl. dazu ebd., S. 138) war mit Sicherheit nicht direkte Vorlage Gundackers. Zum Pilatusbild in der Historia apocrypha vgl. Scheidgen 2002, S. 97-109. 229 Neben eingeschränkten Kenntnissen der römischen Geschichte (vgl. dazu Knapp 1999, S. 347) könnte für die Beibehaltung der Herrschernamen auch eine Ehrfurcht vor der Autorität der Quellen eine Rolle gespielt haben. Vgl. dazu auch Knape 1985, S. 122: „Die Reihenfolge der Kaiser war den Geschichtsschreibern des Mittelalters durchaus bekannt, dennoch aber finden sich immer wieder Unschärfen oder bewußte Veränderungen.“ 230 Nero zeRome ouch gewaltic was (v. 3908). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 103 beim Übergang zur Pilatus-Veronika-Legende ist auch ein inhaltlicher Einschnitt deutlich markiert. 231 Die Unterschiede im Umgang mit den Quellen könnten mit dadurch bedingt sein, welche Quellentexte in der Vorlagenhandschrift dem Verfasser als Einheit zusammengehörig erschienen; 232 für die Gliederung von Christi Hort sollten jedoch auf jeden Fall die im deutschen Text selbst markierten Abschnitte ausschlaggebend sein. 233 Wenn man sich für die Gliederung am Wechsel der Sprechhaltung bzw. an explizit markierten Einschnitten orientiert, ist damit noch nicht das Problem gelöst, welche Textteile als zusammenhängend zu betrachten sind. Die Vorschläge für eine Gliederung von Christi Hort in größere Abschnitte reichen von einer Zweiteilung (vv. 1-1304; 1305-5294) 234 über eine Dreiteilung in verschiedenen Varianten bis hin zu einer Vierteilung, bei der Exposition (vv. 1-170) und ein Gebetsteil (vv. 171-1304) voneinander abgesetzt werden sowie zusätzlich ein Einschnitt vor der Pilatus-Veronika-Legende gemacht wird. 235 Bei einer Dreiteilung wird entweder der Abschnitt bis v. 1304 als eine Einheit gesehen und ein weiterer Neuansatz zu Beginn der Pilatus-Veronika-Legende angenommen (v. 4045) oder der Abschnitt ab v. 1305 wird als Einheit betrachtet, dafür wird die Exposition (vv. 1-170) von einem als Einheit zusammengezogenen Gebetsteil (vv. 171-1304) abgegrenzt. 236 Selbst der von allen Interpreten übereinstimmend markierte Einschnitt in v. 1305 ist allerdings weniger eindeutig als allgemein suggeriert: Mit der Ankündigung, zuerst von der Passion erzählen zu wollen (vv. 1305-1308), und der Quellenangabe dafür (vv. 1309-1313) weist diese prologartige Passage zwar auf die Erzählung ab v. 1327 voraus, und eine separate Überlieferung des ,zweiten Hauptteils‘ mit vv. 1305-1326 als Prolog scheint durchaus vorstellbar, 237 aber die Passage bezieht sich auch auf vorhergehende Textteile zurück: Zum einen wird die Du-Anrede Jesu aus den vorhergehenden Gebeten (in veränderter Form) weitergeführt (v. 1307), zum anderen wird mit der Sorge, ob die eigenen Fähigkeiten der materie (v. 1317) gerecht werden können, neben der Bescheidenheitstopik ein Gedanke aus dem Gebetsprolog (vv. 171-250) aufgenommen, in dem die Anforderungen, die vom ,tiefgründigen Stoff‘ ( tı ͤ ffer materi , v. 197) gestellt werden, erläutert worden waren (vv. 197-209). 238 Auch die spot -Problematik (vgl. v. 1326) war dort ausführlicher diskutiert 231 nu laze wir die rede hie / unt ho ͤ rt wie ez Pilato ergie (vv. 4045 f.). 232 Die Handschrift hat wahrscheinlich die genannten Addenda zum Nikodemusevangelium enthalten (vgl. Hoffmann 1997a, S. 294), die von mittelalterlichen Rezipienten oft als Bestandteile des Werks empfunden wurden (vgl. Izydorczyk 1997c, S. 55). Das gilt aber auch für die Cura sanitatis Tiberii , also für die Pilatus-Veronika-Legende (vgl. ebd., S. 57-59), von der eine Version ebenfalls bereits in der Vorlagenhandschrift überliefert worden sein könnte. 233 Dagegen setzen Wyss (1986, S. 301), Knapp (1999, S. 345), Quast (2009, S. 389) und Malm (2011, Sp. 988), offenbar quellenbedingt, bei v. 3885 einen Abschnittswechsel an. 234 Vgl. Hoffmann (2000, S. 303), der es für wahrscheinlich hält, dass beide Textteile als eigenständige Dichtungen anzusehen seien, die aber von einem Verfasser stammten. Bushey (1988, S. 50) spricht von „zwei deutlich verschiedene[n] Hauptteile[n]“. 235 Vgl. Wyss 1986, S. 301; Hoffmann 1997a, S. 292; Knapp 1999, S. 343-346; Malm 2011, Sp. 988. Auch Bushey (1988, S. 51) nimmt eine Feingliederung in vier Teile an. 236 Für eine Zuordnung der einzelnen Forschungspositionen vgl. Bushey 1988, S. 51 f. 237 Bushey (1988, S. 53) erwägt eine solche separate Überlieferung, weil nur aus diesem Teil Exzerpte belegt seien. Das kann aber auch damit zusammenhängen, dass nur die narrativen Passagen in die Passionskompilation übernommen wurden. 238 Zu den poetologischen Implikationen dieser Stelle vgl. Köbele 2017, S. 168, Anm. 3. 104 3 Variationen der Rechtsthematik worden (vv. 179-226). 239 Gemeinsam ist beiden Textabschnitten außerdem die topische Bitte um göttlichen Beistand, die den gesamten Gebetsprolog prägt und in vv. 1320-1326 indirekt ausgedrückt ist, und der Wunsch, dass das Dichten Gottes Ansehen angemessen sein möge bzw. ihn ehre (vv. 249 f.; 1325). Es ist nicht auszuschließen, dass vv. 1305-1325 nach dem Modell des Gebetsprologs von einer anderen Person verfasst worden sind, aber die Verse lassen sich auch als Fortsetzung des Gebetsprologs lesen. In der Handschrift haben die Verse eine eigene Überschrift bekommen ( hie sagt Nichodemus wie Got wart gemartert ), sind aber wie einige der vorhergehenden manunge mit amen abgeschlossen (nach v. 1326), und dann folgt die Überschrift diu materie hebt sih an . 240 Offenbar sind die Verse als Übergangspassage aufgefasst worden. Wenn die vv. 1305-1326 als Wiederaufnahme des Gebetsprologs zu verstehen wären, wäre dieser nicht allein auf die anschließenden Abschnitte in Gebetsform (vv. 251-1304) zu beziehen, sondern auf das gesamte Werk. Auf jeden Fall gilt das für den Anfangsabschnitt (vv. 1-170), da der dort skizzierte heilsgeschichtliche Rahmen von Fall und Erlösung durch die Menschwerdung Gottes bis v. 1304 nicht eingelöst ist. Vermutet worden ist, dass der Gebetsteil ein Torso sei 241 oder dass vv. 1-170 später hinzugefügt seien. 242 Notwendig erscheinen solche Annahmen nicht; warum sollte ein Gebetsprolog nicht nachgestellt sein, zumal als Überleitung zu weiteren Abschnitten in Gebetsform? 243 Zwar unterscheidet sich der Schöpfungseingang bei Gundacker typologisch deutlich vom häufiger belegten Schöpfungspreis, 244 aber strukturell könnte ein Schöpfungspreis zu Beginn mit nachgeschobenen Überlegungen zum Dichten durchaus Modell gestanden haben. 245 Dann könnte man sogar vv. 1-170 und 171-250 zu einem (zweigeteilten) Werkeingang zusammenziehen, 246 und die vv. 1-1326 könnten dann als lange Werkeinleitung mit eingeschobenem Gebetsteil angesehen werden. Letztlich sind weitere Gliederungsvorschläge müßig, weil sie immer von den jeweils angelegten Kriterien abhängig sind, aber dass unterschiedliche Einteilungen überhaupt möglich sind, deutet auf eine Vernetzung der einzelnen Teile hin. Für die Zusammengehörigkeit des Werkeingangs (vv. 1-170) und des Gebetsteils (vv. 251-1304) sind bereits überzeugende inhaltliche Argumente vorgebracht worden, und zwar wird das Motiv, dass das Wirken der Minne Gott zur Erlösung ,gezwungen‘ habe (vv. 239 „Obgleich G. demütig sein Unvermögen bekennt, weist er Spötter scharf zurück; wer tadeln will, soll erst selbst Besseres schaffen.“ (Stübinger 1922, S. 82). Stübinger verweist auch auf argumentative Parallelen bei Thomasin von Zerklære und Jans Enikel ( Jans von Wien). 240 Zu Struktur und Verteilung der Zwischenüberschriften vgl. Bushey 1988, S. 52 f. 241 Vgl. Masser 1976, S. 120; Bushey 1988, S. 70. 242 Vgl. de Boor 1962, S. 506; Masser 1976, S. 120. 243 Vgl. dazu Bushey 1988, S. 56 f.; Thelen 1989, S. 332 f. Thelen, der auf das Problem der Werkeinheit nicht eingeht, nennt als Parallele für einen ,verzögerten‘ Gebetsprolog das Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler, bei dem der Gebetsprolog wie bei Gundacker eine Scharnierstellung zwischen dem auf dem Alten und dem auf dem Neuen Testament beruhenden Teil habe. 244 Vgl. dazu Jaeger 1978. 245 Auch bei Christi Hort ist zumindest auf der Wortebene eine Parallele zwischen dem tichten Gottes (v. 1) und dem des Verfassers (vv. 190; 239; 1305) vorhanden (zum tihten in Schöpfungseingängen vgl. Jaeger 1978, S. 14). Stübinger (1922, S. 79) verweist auf ältere bibelepische Werke ( Wiener Genesis , Vorauer Genesis , Anegenge ) als Parallelen für den Schöpfungseingang in Christi Hort . Dort hat aber das Schöpfungsmotiv insgesamt einen anderen Stellenwert als in Christi Hort . 246 Auch Jaeger (1978, S. 9; ohne Bezug auf die Forschung zu Christi Hort ) sieht die Schöpfungsbeschreibung als Teil des Prologs, ohne Versgrenzen abzustecken. 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 105 158-170), in der ersten manunge wieder aufgenommen (vv. 251-268; 324-326). 247 Nicht nur bei der Inkarnation heißt es, dass sie von der minne gebot geschieht bzw. von der minne unt von Got (v. 269), sondern diese Erklärung begegnet auch in dem auf dem Nikodemusevangelium basierenden Textteil in Bezug auf die Passion. 248 Das Motiv, dass der Umgang mit dem heiligen Stoff ohne spot erfolgen soll (vv. 207-209; 2037), verbindet wiederum den Gebetsprolog mit dem auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Textteil. Aus diesem Abschnitt ist in die Anfangspassage der Pilatus-Veronika-Legende (vv. 4093-4097) das spezifische Motiv aufgenommen, dass die Frau des Pilatus ihn davor gewarnt hat, über Jesus Gericht zu halten (vv. 1570-1576). 249 Aus solchen inhaltlichen Vernetzungen lässt sich zwar nicht zwingend schließen, dass die Textteile gemeinsam konzipiert sein müssten, aber es sind so intensive redaktionelle Aktivitäten vorauszusetzen, dass eine Werkeinheit gesichert ist, vor allem wenn man die Ergebnisse der Untersuchungen zu Sprachgebrauch und Stil mit einbezieht: Kurt Stübinger (1922) konnte bei seiner Analyse der Reimtechnik und der Reimgrammatik keine Unterschiede zwischen den einzelnen Teilen ausmachen, die auf unterschiedliche Verfasser schließen ließen. 250 In Übereinstimmung mit diesem Ergebnis hat Werner Fechter (1974) einen d u r c h g e h e n d e n Rückgriff auf Mai und Beaflor festgestellt; die zu konstatierenden Schwankungen seien darauf zurückzuführen, dass bei bestimmten Motiven (Schiffsreise, höfisches Empfangszeremoniell) die Dichte der Bezüge zunehme. 251 Unterstützend lässt sich für die Werkeinheit anführen, dass in unterschiedlichen Werkteilen die rede thematisiert wird: Zum ersten Mal ist eine selbstreflexive Bemerkung in den narrativen Teil der manunge über die Heilungswunder Jesu (vv. 983-1012) eingeschoben. 252 Nach Ausführungen des Erzählers zum Verhältnis von Pilatus und Herodes zu Beginn des auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Textteils (vv. 1327-1366) heißt es dann: nu leg wir die rede nider / unt grîffen an die materi wider (vv. 1367 f.). 253 Hier deutet sich eine 247 Vgl. Bushey 1988, S. 56 f. 248 da er lait der marter nôt, / als im diu minne gebôt (vv. 1931 f.). Weitere inhaltliche Bezüge ließen sich aufzeigen, z. B. bittet das Ich im letzten der gebetsartigen Abschnitte darum, dass Gottes Minne es ,binden‘ möge (vv. 1302-1304); später sagt Nikodemus zu den Simeonsöhnen, dass sie mit der wære n minne bant an Gott gebunden seien (vv. 3585-3592). Für die Vorstellung des Heilsfriedens hat Hagenlocher (1992, S. 129 f.) für den Gebetsteil und die Szenen mit dem auferstandenen Christus eine übergreifende Konzeption aufgezeigt. 249 Soweit man es aufgrund der Editionslage nachvollziehen kann, waren die Überlegungen des Pilatus, in deren Rahmen der Rückbezug erfolgt, in der Historia apocrypha nicht ausführlich ausgestaltet. In der von Knape (1985) edierten Version heißt es lediglich : Sciens autem per inuidiam traditum esse Ihesum et timens offensam Tiberii cesaris, quia sanguinem innocentem condempnauerat, […] (Z. 67 f.; „Im Bewusstsein aber, dass (ihm) Jesus aus Missgunst übergeben worden war, und aus Furcht vor der Ungnade des Kaisers Tiberius, weil er unschuldiges Blut verurteilt hatte, […]“). - Umgekehrt sind in dem auf dem Nikodemusevangelium basierenden Textteil inhaltliche Elemente verarbeitet, die aus der Historia apocrypha stammen könnten: so die Feindschaft zwischen Pilatus und Herodes (vv. 1327-1366; vgl. Historia apocrypha , Z. 52-64; s. dazu u. S. 129) und das Motiv, dass Pilatus Jesus in einem Purpurgewand zu Herodes schickt (vv. 1734 f.; vgl. Historia apocrypha , Z. 61). 250 Vgl. Stübinger 1922, S. 77 f. 251 Vgl. Fechter 1974. Fechter (ebd., S. 197) räumt selbst ein, dass nicht alle der von ihm aufgeführten Parallelstellen „den gleichen Argumentationswert“ hätten, aber er bietet genügend Beispiele, die seine These überzeugend erscheinen lassen. Auch Quast (2009, S. 389) hat aus der Rezeption von Mai und Beaflor in allen Werkteilen auf die Werkeinheit geschlossen. 252 du hast getan hie zaichen vil, / von den ich nîmer sprechen wil, / want diu rede wurd zelanc (vv. 997-999). 253 Vgl. dazu eine Parallelstelle in Mai und Beaflor (vv. 1960 f. in der Ausgabe von Kiening / Mertens-Fleury 2008; vgl. dazu Fechter 1974, S. 200). 106 3 Variationen der Rechtsthematik Differenzierung zwischen rede als etwas Erläuterndem mit moraldidaktischer Komponente und materi als dem Erzählgegenstand an. Mit entsprechender Nuancierung wird rede in vv. 2583 f. nach einer Auslassung des Erzählers über unrecht erworbenes Gut verwendet. 254 Schließlich wird in vv. 4045 f. die bisherige rede von dem nun Folgenden abgesetzt. 255 Zwar ist die Semantisierung von rede (als etwas Erläuterndem) nicht einheitlich, aber es ist bemerkenswert, dass sich selbstreflexive Bemerkungen überhaupt in verschiedenen Werkteilen finden, insbesondere in dem Gebetsteil, der sich an einer „rituellen Vollzugsform“ orientiert. 256 Als Begründung dafür, dass nicht alle Wunder Jesu erzählt werden, wird neben einer dann zu großen Länge der rede angegeben, dass der sin des Sprecher-Ich zu schwach sei, um die ‚Zeichen‘ den leuten erklären zu können (vv. 1000-1002); deswegen müsse es sich mit seiner rede beschränken ( unt mich der rede mazen , v. 1004). An dieser Stelle wird der Adressatenbezug der manunge explizit. 257 Die auf die Du-Erzählungen vom Leben Jesu jeweils vorgebrachten Bitten gewinnen trotz der Ich-Form 258 stellvertretenden Charakter. 259 Die Betonung der eigenen Sündenhaftigkeit und Bußfertigkeit lädt den Rezipienten dazu ein, über die Gefährdung der eigenen Seele nachzudenken. 260 Der Bezug auf die eigene Lebensführung ist ebenfalls ein Charakteristikum, das alle Werkteile durchzieht, wenn auch in unterschiedlicher Intensität. Am deutlichsten ist er im Gebetsteil, aber bereits in die Schöpfungserzählung ist eine Sentenz eingeschoben, die eine Übertragbarkeit der Eheschließung zwischen Adam und Eva auf das eigene Leben möglich macht. 261 In dem auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Textteil schließt sich an die Ausführungen zu Feindschaft und Versöhnung von Herodes und Pilatus eine ausdrückliche Lehre an, dass, wer heute noch verfeindet sei, böser sei als die beiden, die sich dadurch, dass sie Jesus zu dem anderen schickten, versöhnten (vv. 1360-1366). 262 Anlässlich der Bestechung der Wächter setzt der Erzähler dann zu einer Art Predigt über unrecht erworbenes Gut an (vv. 2568-2582). Die Pilatus-Veronika-Legende ist weitgehend frei von moraldidaktischen Passagen, aber zum Schluss folgt ein Gebet, das ein wir in Bezug zu Pilatus setzt, sodass der Adressatenbezug in allen Textteilen zumindest punktuell explizit gemacht wird: 254 nu leg wir nu die rede hin / unt griffen an den ersten sin […] (vv. 2583 f.). Die Verse leiten über von der Wächterepisode zu den Erscheinungen des Auferstandenen, deren bei den Evangelisten angegebene Zahl einer Quellenkritik unterzogen wird (vv. 2585-2590). - Zu der Stelle am Ende der Erzählung vom Prozess gegen Jesus ( da beginnet diu rede sich spreucen , v. 1880) s. u. S. 117. 255 Ein letztes Mal wird die rede bei der Einleitung zur Pilatus-Veronika-Legende erwähnt: nu laze wir die rede hie / unt ho ͤ rt wie ez Pilato ergie (vv. 4045 f.). 256 Vgl. Quast 2009, S. 293. 257 Vgl. Quast (2009, S. 292), der aber trotz dieser Beobachtung den Gebetsteil dem ,Kult‘ und nicht der ,Kunst‘ zuordnet (vgl. ebd., S. 393). 258 Bushey (1988, S. 59; 61) betont den privaten Charakter der Bitten. 259 Vgl. dagegen Wyss 1986, S. 301: „Oft wendet sich Gundacker am Ende eines Initialenabschnitts zu sich selbst zurück und bittet für sich.“ Das Ich der Bittgebete muss aber nicht mit dem Autor-Ich identisch sein. Zum Changieren von Ich-Rollen vgl. Kiening (1991, S. 52 f.; 56 f.) zum Willehalm -Prolog. 260 Vgl. dazu Bushey 1988, S. 60 f. Dass die Thematik von Sündenhaftigkeit und Gnade zentral ist, wird auch an der großen Ausführlichkeit der manunge zu Maria Magdalena (vv. 681-786) deutlich (vgl. Bushey, ebd., S. 59, die daraus allerdings auf ein besonderes Verhältnis des ,Dichters‘ zur Sünderin schließt). 261 swer die minne vercheret / unt sich selben uneret / daz er schande sûchet, / den hat Got verfluchet (vv. 67-70). Vgl. dazu Stübinger 1922, S. 80; 133. 262 […] nu nemt war: / swer noch hiute veintschaft hat […] (vv. 1360 f.). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 107 Got muz uns da vor bewaren daz wir die sele icht senchen sus als der valant Pilatus. am en. (vv. 5292-5294) In der Wiener Handschrift schließt sich das Freidank-Gebet an, das inhaltlich hervorragend zu den vorherigen Stellen mit moraldidaktischem Anwendungsbezug passt. 263 Auf wen diese Kompilation zurückgeht, lässt sich nicht mehr entscheiden; 264 auf jeden Fall zeigt die Anschlussfähigkeit des Freidank-Gebetes, dass Kohärenz auch nachträglich hergestellt werden kann. Es sind jedoch konzeptionelle Unterschiede zum vorhergehenden Text erkennbar: So beruft sich das betende Ich bei Freidank auf Gottes triwe (v. 5300) und genade (v. 5317), nicht auf dessen minne . Daher werden die hier vorgebrachten Überlegungen zur Werkeinheit durch eine derartige Kohärenz auf allgemeinerer Ebene nicht gegenstandslos. Die Summe der Indizien spricht dafür, Christi Hort einem einzigen Verfasser zuzuschreiben, der im Folgenden mit ,Gundacker‘ bezeichnet sei. 265 Zu klären bleibt die Funktion der Zusammenstellung heterogener Textabschnitte. Bereits Betty C. Bushey (1988) hatte darauf hingewiesen, dass der Gebetsteil zeitlich in einer Reihe von Werken der Erbauungsliteratur steht, die den Rezipienten zur Andacht anleiten wollen, wie zum Beispiel die Meditationes vitae Christi . 266 Dass andaht nicht nur performativ (im Gebetsteil), sondern auch narrativ (ab v. 1305) inszeniert wird, hat Bruno Quast (2009) überzeugend herausgearbeitet. 267 Unabhängig von Bushey hatte auch Ulrich Wyss (1986) die Modernität des Werks in seiner Gesamtheit betont, das eine Reaktion darauf darstelle, dass sich manche religiösen Erfahrungen episch nicht ausdrücken ließen. 268 Da „kein entschiedener ästhetischer Wille am Werk“ gewesen sei, hätten sich „in dem Text, wie in einem Brennspiegel, die diskursiven Möglichkeiten der Epoche“ gesammelt. 269 Wyss sieht in der Pluralität der Darstellungsmittel ein „Stilisationsprinzip“ und bezieht die Aussageformen auf die inhaltlichen Schwerpunkte der einzelnen Textteile: Die Vorgeschichte hat das Problem der Erbsünde so prägnant wie möglich exponiert; im christologischen Teil kommt das konkrete Subjekt, der erlösungsbedürftige Christenmensch, zu Wort; im Nikodemusbericht liegt der Akzent auf der historischen Faktizität, die uns treu überliefert wurde; im Pilatusteil schließlich geht es um Beispiele für die Wirklichkeit der Erlösung in der Geschichte, die sich in wunderbaren Ereignissen wie der Heilung des römischen Kaisers vom Aus- 263 Auch die vorangestellte Magdalenenklage , die inhaltlich mit Passagen in Christi Hort korrespondiert (vv. 681-786; 2325-2374), fügt sich in dieses Programm ein, wenn Maria Magdalena als Exempelfigur dafür eingeführt wird, wie man got gaenztlichen minnen soll (vgl. den diplomatischen Abdruck bei Boxler 1996, S. 545). 264 Geith (1968a, S. 57) weist sie dem Schreiber zu. 265 Die Zweifel an der Verfasserschaft einer Person dürften auch mit unangemessenen Kohärenzerwartungen zusammenhängen (vgl. dazu Wyss 1986, S. 301; Quast 2009, S. 389; auch Bushey 1988, S. 56). Wyss (ebd.) hat mit Recht darauf hingewiesen, dass bereits vv. 1-170 nicht den Gesetzen narrativer Kohärenz folgen, sondern dass dort ein logischer Zusammenhang entscheidend ist. 266 Vgl. Bushey 1988, S. 61-76. Sie zeigt sich jedoch irritiert über die Zusammenstellung des Gebetsteils mit dem narrativen Teil ab v. 1305 (vgl. ebd., S. 70). Vgl. zum Charakter des Gebetsteils auch Masser 1976, S. 119 f. 267 Vgl. Quast (2009, S. 392 f.), der auch auf v. 1378 hinweist, wo der Verfasser angibt, seine auf Nikodemus zurückgehende lateinische Quelle zetiusche in die andaht gebracht zu haben. 268 Vgl. Wyss 1986, S. 300 f. 269 Vgl. Wyss 1986, S. 302. 108 3 Variationen der Rechtsthematik satz dokumentiert. 270 Das sind legitime Aussagemöglichkeiten; außergewöhnlich nur, daß Gundacker sie in den Rahmen einer einzigen epischen Form zwängt. Sie finden sich sonst in getrennten Gattungen: Dem abstrahierenden Beginn entspräche wohl die spekulative Verknappung theologischer Zusammenhänge in lyrisch-didaktischen Formen wie in der Goldenen Schmiede oder den geistlichen Leichen Frauenlobs; die Folge der 25 Gebete erinnert an den Redetypus der Litanei; der Pilatusbericht zehrt von der Dialogkunst des höfischen Romans ebenso wie von der Notwendigkeit direkter Rede auf dem Theater, und im Nikodemusteil finden sich Strategien der Historiographie. Lyrisches, Episches, Dramatisches - die Grundbegriffe der Poetik haben gleichermaßen Anteil an der Gestalt des Werkes. 271 Die These, dass die Ausdrucksformen zweckgebunden sind, überzeugt, da flankierend Selbstaussagen des Autor-Ich herangezogen werden können, in denen hinsichtlich des kommunikativen Ziels unterschiedliche Schwerpunkte gesetzt sind: In den Versen, die dem Gebetsteil direkt vorausgehen, bittet das Autor-Ich um göttlichen Beistand dafür, Gott so zu loben, dass es dessen Ansehen gemäß sei (vv. 248-250). Das übergeordnete Ziel der Ehrung Gottes bleibt in den Versen, die die Scharnierstelle zwischen dem Gebetsteil und dem narrativen Passionsteil bilden (vv. 1305-1326), zwar bestehen (vv. 1320-1326), aber hier soll das tichten dem berichten von der Passion Jesu dienen (vv. 1305-1319). 272 Dafür, dass eine Ausdrucksform gegenüber der anderen privilegiert werde, die Ablösung des Gebets (,Kult‘) von der Erzählung (,Kunst‘) gleichsam inszeniert werde, wie Quast (2009) meint, 273 gibt es im Text keine ausdrücklichen Signale. Die im Text formulierten Reflexionen über das eigene poetische Tun sprechen aber in jedem Fall gegen die zitierte Annahme von Wyss, die verschiedenen Ausdrucksformen hätten sich in Christi Hort ohne einen ästhetischen Gestaltungswillen angesammelt. Vielmehr ist Susanne Köbele (2017) zuzustimmen, dass 270 Diese Charakterisierung des dritten und des vierten Teils scheint plausibler als die Quasts (2009, S. 394), der Wyss nicht rezipiert hat: „Diese beiden Erzählungen, die Gundackers Evangeliendichtung abschließen, lenken auf die poetische Leitvorstellung Gundackers: die Identität von Urbild (Evangelien) und Abbild (Dichtung) im Modus ,literarischer‘ Kommunikation.“ 271 Wyss 1986, S. 301 f. 272 Vv. 1305-1310: aller erste wil ich tihten / unt die leut berichten / von diner marter, su ͤ zer Christ, / wie ez alles dort ergangen ist, / also schreipt uns Nichodemus, / der berichtet uns da von sus […] (es folgt ein Verweis auf die Augenzeugenschaft des Nikodemus). An dieser Stelle ist berichten - eine poetische Leitvokabel im Text (vgl. Quast 2009, S. 389-394) - tatsächlich als authentisches Erzählen aufzufassen (vgl. dazu Quast ebd., S. 393). berichten und Loben sind allerdings nicht als Gegensatz konzipiert, denn der Verfasser will durch seine Übertragung des Nikodemusevangeliums vom Lateinischen ins Deutsche dazu beitragen, dass Gott auf der Erde gelobt werde (vv. 1377-1380). Das ist ein weiteres Argument dafür, dass der Gebetsprolog (vv. 171-250) auch auf das ganze Werk bezogen werden kann. berichten ist dort mit dem Loben enggeführt: sterche mir mein gemu ͤ te / daz ich an disem getihte / dein lob mit lob berichte (vv. 238-240). Zwar ist hier eine andere Bedeutungsnuance von berichten aufgerufen (die der dichterischen Gestaltung) als in v. 1306, aber insgesamt entsteht ein semantisches Netz, das eine Wechselwirkung von berichten und Loben (mit je unterschiedlicher Gewichtung) nahelegt. Zum Bedeutungsspektrum von berichten in Christi Hort s. auch u. S. 391, Anm. 96. 273 Vgl. Quast (2009, S. 391-394). Quast stützt seine Argumentation vor allem auf den selbstreflexiven Einschub im Gebetsteil, in dem es heißt: ouch ist mı ͤ n sin gar cechranch / daz ich ez wol den leuten / gar mu ͤ ge pedeuten; / da von muz ich ez lazen / unt mich der rede mazen (vv. 1000-1004). Im Kontext scheint rede (im Einklang mit dem Wortgebrauch in vv. 1367 f.; 2583 f.) eine Auslegung (hier theologischer Art) zu bedeuten. Dafür, dass die Gebetsform problematisiert würde (so Quast), sind keine Anzeichen zu finden. Dementsprechend ist das berihten der sinne (v. 1323) nicht als Korrektur der Ausdrucksform zu verstehen, sondern so, dass die schwachen geistigen und moralischen Kräfte des Verfassers (vv. 175; 1000) trotz seines Unvermögens (v. 1319) auf den rechten Weg gebracht werden. 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 109 Registerwechsel geradezu konstitutiv für bibelepische Texte ist. 274 Damit ergibt sich eine völlig neue Perspektive auf die Frage der Werkeinheit, da der unterschiedliche Charakter der einzelnen Textteile dann als Resultat eines Bemühens erklärt werden kann, für den Stoff angemessene Ausdrucksformen zu finden. Die handschriftliche Benennung des Textes als hort könnte ebenfalls darauf hindeuten, dass er als ein gesammelter Schatz (dessen, was mit Christus zu tun hat) verstanden wurde. 275 Dass der gesammelte ,Schatz‘ den Rückgriff auf verschiedene Texttypen mit ihren jeweiligen Registern nicht verleugnet, lässt - die Werkeinheit vorausgesetzt - Rückschlüsse auf den Bildungsstand des Verfassers zu, der mit Erzähltraditionen offensichtlich ebenso vertraut war wie mit Formen des predigt- und gebetshaften 276 und klagenden Sprechens. 277 Dass das Autor-Ich beklagt, dass es sich seinem maister so früh entzogen habe (vv. 1314 f.), dürfte wohl als Bescheidenheitstopos anzusehen sein. 278 Im Werk selbst werden Lateinkenntnisse postuliert (vv. 1377 f.) und demonstriert, wenn lateinische Einsprengsel für ein Publikum, das offensichtlich als nicht lateinkundig angesehen wird, ins Deutsche übersetzt werden. 279 Angesichts der Lateinkenntnisse kann es nicht überraschen, dass Gundacker die Psalmen kannte. 280 Weiterhin wird deutlich, dass er neben den bereits genannten Quellen auch die kanonischen Evangelien verarbeitete und mit liturgischen Gesängen vertraut war. 281 Theologische Ausdeutungen des Erzählten erfolgen (in Übereinstimmung mit dem werkinternen Unfähigkeitstopos [vv. 1000-1004]! ) nur selten und können oft als Allgemeingut gelten, 282 sodass es schwer fällt, einzelne Quellen zu identifizieren. 283 Deshalb lässt sich auch nicht nachweisen, dass Gundacker ein Geistlicher gewesen sein muss. 284 Neben der (möglicherweise begrenzten) lateinischen Bildung verrät das Werk auf jeden Fall eine volkssprachliche 274 Die Implikationen dieser These hat Köbele (2017, S. 168, Anm. 3) für Christi Hort folgendermaßen skizziert: Zwar sei im Werk nicht explizit ausgeführt, wie die angemessene Form für die tiefgründige materia (vv. 197-200) aussehen könnte, „[d]och ließe sich […] zeigen, dass die Form ineinander umschlagende Stilhöhen ( elocutio -Funktionen) ebenso umfasst wie flexible Chronologien und Strukturen des Erzählens, szenische Detailgestaltung oder großräumige amplificatio durch kanonisches, apokryphes, legendarisches, exegetisches, hymnisches und eben auch höfisch-literatursprachliches Material.“ Köbele hat hier also auch Registerwechsel innerhalb der einzelnen Textteile im Blick. 275 Zur Bedeutung von hort vgl. BMZ; L exer , s. v. Vgl. dazu auch Bushey 1988, S. 50. Ihr Hinweis darauf, dass hort um 1460 in der Kolmarer Liederhandschrift (München, BSB, Cgm 4997) als Überschrift für lose verbundene Strophen fungiert, ist bedenkenswert, doch - wie sie selbst sagt - bleibt der Aussagewert dieser Wortverwendung für Christi Hort mangels früherer Belegstellen begrenzt. 276 Zum Vorbild der Predigt für die manunge vgl. Stübinger 1922, S. 83-85. Seine These, dass die manunge einer Perikopenordnung folgten (vgl. ebd.), ließ sich jedoch nicht sichern (vgl. Bushey 1988, S. 79-85). 277 Zur Marienklage (vv. 2081-2144) vgl. Stübinger 1922, S. 99; Hoffmann 1997a, S. 292. Zur Magdalenenklage (vv. 2329-2333) vgl. de Boor 1971, S. 17-21. 278 Vgl. Bushey 1988, S. 49 f. mit Anm. 6 (S. 71 f.); Knapp 1999, S. 342 f. Geith (1968a, S. 67 f.) nimmt die Stelle dagegen wörtlich. 279 Vgl. z. B. die Namenserklärung zu Lucifer gleich zu Beginn (vv. 17 f.). Weitere Stellen bei Stübinger 1922, S. 69. 280 Das Prologgebet (ab v. 171) ist nach Psalm 50[51],10-12 gearbeitet (vgl. Stübinger 1922, S. 81). 281 Vgl. Knapp 1999, S. 343, mit Belegen. De Boor (1971) hat außerdem plausibel gemacht, dass Gundacker eine Osterfeier kannte. 282 Z. B. die Auslegung der Gaben der Heiligen Drei Könige (vv. 399-432). Vgl. dazu Stübinger 1922, S. 86 f. 283 Vgl. zu dieser Problematik Stübinger (1922, S. 79, 126), der in seinem Kommentar (ebd., S. 79-123) auf Parallelstellen aufmerksam macht und meint, nachweisen zu können, dass Gundacker Honorius Augustodunensis gekannt habe (ebd., S. 126). Außerdem finden sich Parallelen z. B. bei Paschasius Radbertus, etwa in Bezug auf die Auslegung von Nazareth als Blumenstadt (vv. 485-492). Vgl. dazu Stübinger ebd., S. 89; 125. 284 Vgl. Bushey 1988, S. 49. 110 3 Variationen der Rechtsthematik literarische Bildung. Nicht nur, dass Gundacker epische Dichtwerke ( Diu urstende , Mai und Beaflor ) verarbeitet, er zitiert auch Verse Walthers von der Vogelweide. 285 Die Quellenanalyse für Christi Hort lässt den Schluss zu, dass Gundacker mit den ihm vorliegenden Texten behutsam kompilierend verfuhr, d. h. abschnittsweise einer Quelle folgte, sie kürzte und Szenen ausgestaltete, aber nur selten strukturelle Änderungen vornahm. Verdeutlichen lässt sich das an der Passage zu Begräbnis und Auferstehung Jesu (vv. 2145-2582), die im Wesentlichen dem Nikodemusevangelium (Rezension Lateinisch A) entspricht, aber mit Details aus den kanonischen Evangelien angereichert ist. 286 So ist aus dem Nikodemusevangelium (cap. XIII 2 [13,3 (G / I)]) nur indirekt abzuleiten, dass das Grab Jesu bewacht wird. Dagegen wird in Christi Hort - in Übereinstimmung mit Mt 27,62-66 - erzählt, wie ,die Juden‘ zu Pilatus gehen, um die Bewachung des Grabes zu veranlassen (vv. 2207-2241). Die Ausgestaltung, dass ,die Juden‘ die Wächter bezahlen (vv. 2235-2240), ist an Diu urstende (vv. 849-867) angelehnt. 287 Eingefügt ist die Beauftragung der Wächter an chronologisch ,richtiger‘ Stelle nach der Grablegung (vv. 2145-2168). Der Beauftragung der Wächter geht außerdem die Gefangensetzung Josephs voraus (vv. 2169-2206), die wie im Nikodemusevangelium (cap. XII 1 [12,1-3 (G / I)]) als direkte Konsequenz der Grablegung dargestellt ist, d. h., die veränderte Reihenfolge in Diu urstende , wonach zunächst die Wächter beauftragt werden (vv. 823-867) und dann erst Joseph (im Zuge einer allgemeinen Verfolgung der Anhänger Jesu) gefangen gesetzt wird, ist nicht übernommen worden (vv. 868-888). Dass bei einem entsprechenden Gestaltungswillen jedoch auch Erzählelemente aus dem Nikodemusevangelium umorganisiert wurden, zeigen die kurzen Abschnitte zur Höllenfahrt Jesu (vv. 2247-2264) und der Befreiung Josephs (vv. 2265-2292), die in Christi Hort dem ordo naturalis folgend platziert sind. 288 In den Quellen werden die Szenen nur im Descensus -Teil erzählt, in Christi Hort dort dann ausführlicher wieder aufgenommen (vv. 3319-3384; 3613-3864). Für die Untersuchung der Rechtsmotivik ist die Art des Umgangs mit den Quellen insofern von Belang, als auch bei der Prozessschilderung (vv. 1381-1914) ein selektiver Umgang mit dem vorliegenden Material erfolgte, die radikale Umorganisation des Stoffes in Diu urstende aber nicht nachvollzogen wurde. Stattdessen orientiert sich der Handlungsablauf bis zu der Stelle, als Pilatus bewusst wird, dass Herodes um Jesu willen den Kindermord anordnete (v. 1704), am Nikodemusevangelium , allerdings mit signifikanten Kürzungen: 289 Abgesehen von Straffungen sind einige Handlungselemente ganz weggelassen, zum Beispiel die zwei gesonderten Unterredungen des Pilatus mit den zwölf für Jesus eintretenden Juden (cap. II 6; IX ,1 [7,1 (G / I)]). 290 Andere Handlungselemente, wie die Frage des Pilatus nach 285 Vgl. Stübinger (1922, S. 90) zum intertextuellen Bezug von vv. 661 f. zu Walthers Versen L 8,32 f. (vgl. Bein 2013). Stübinger (ebd., S. 59) interpretierte außerdem die Reinheit der Reime als stilistische Orientierung an der deutschen Dichtung der „Blütezeit“. 286 Vgl. Stübinger 1922, S. 90. Mit v. 2583 setzt ein Abschnitt über die Erscheinungen des auferstandenen Jesus ein, in dem sich eine Berufung auf die Evangelisten findet (vv. 2587 f.), der aber die Legenda aurea als Basis hat (vgl. dazu Stübinger ebd., S. 101 f.). 287 Auch in die Befragung der Wächter (vv. 2455-2582), die dem Nikodemusevangelium folgt (cap. XIII 2 f. [13,3 f. (G / I)]), sind Details aus Diu urstende übernommen worden (vgl. Hoffmann 2000, S. 311). 288 Vgl. dazu Manuwald 2015, S. 376 f. 289 Vgl. Stübinger 1922, S. 95-97; Hoffmann 1997a, S. 293. 290 Die Szene, in der die zwölf im Nikodemusevangelium das erste Mal auftreten (cap. II 4 f.), ist in Christi Hort deutlich gestrafft: Die Zwölfzahl und der Proselytenvorwurf kommen gar nicht vor, sondern es ist nur davon die Rede, dass einige Juden gegen den Vorwurf, dass Jesus unehelich geboren sei, Widerspruch einlegen (vv. 1603-1605). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 111 der Wahrheit (cap. III 2) und sein Versuch, Jesus freizugeben (cap. IX 1 [7,1 (G / I)]), sind in Christi Hort in den Teil der Prozessschilderung (ab v. 1705) verschoben, in dem verschiedene Abschnitte aus den kanonischen Evangelien kompiliert sind. 291 Während im Nikodemusevangelium die Erwähnung des Herodes Pilatus veranlasst, ,den Juden‘ nachzugeben, und auf Handwaschung des Pilatus und Blutruf ,der Juden‘ die Verkündung des Urteils an Jesus erfolgt (cap. IX 3-5 [8,1 f.; 9 (G / I)]), fordern in Christi Hort ,die Juden‘ Pilatus auf, Jesus kreuzigen zu lassen, und dann werden verschiedene Aktivitäten des Pilatus geschildert, die man alle als Versuche seinerseits lesen kann, eine Verurteilung zu vermeiden: ,Die Juden‘ sollen Jesus nach ihrer ê richten (vv. 1714-1716), Pilatus schickt Jesus zu Herodes (vv. 1731-1750), Pilatus will Jesus züchtigen lassen und dann freigeben (vv. 1779-1786), Pilatus will Jesus im Rahmen der Passah-Amnestie freilassen (vv. 1851-1875). 292 Dann fügt sich Pilatus den Forderungen ,der Juden‘, obwohl er sie für unangemessen hält (vv. 1876-1883). Der Quellenwechsel bei v. 1705 ist im Text nicht markiert, dürfte aber für die Gestaltung des Verfahrensablaufs mit bestimmend gewesen sein. 3.3.2 geriht Die Darstellung des Prozesses gegen Jesus in Christi Hort orientiert sich nach Erich Klibansky (1925) - im Vergleich zu Diu urstende Konrads von Heimesfurt und dem Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler - am stärksten an „der deutschen Prozeßform“. 293 Das gilt, wie noch zu zeigen sein wird, für einige Aspekte, insbesondere für die nach Urteilen fragenden Richterfiguren und die Berücksichtigung des Willens der Menge. Vom Formalismus eines deutschen Verfahrens ist jedoch nichts zu spüren; Zeugenaussagen erfolgen ohne verfahrenstechnische Einbettung, abgesehen davon, dass die Zeugen (wie an mehreren Stellen im Nikodemusevangelium impliziert) 294 jeweils aufstehen, um ihre Aussagen zu machen (vv. 1639; 1646). 295 Es dürfte zwar ohnehin nicht angemessen sein anzunehmen, dass ein 291 Vgl. Stübinger 1922, S. 96-98. Für die eingeschobene Misshandlung Jesu durch ,die Juden‘ (vv. 1723-1730) ließ sich keine Quelle sichern (vgl. Stübinger ebd., S. 95); es könnte sich um einen Reflex der Verspottung Jesu im Haus des Hohepriesters handeln (vgl. Mt 26,67; Mc 14,65; Lc 22,63), in deren Rahmen Jesus - nach Matthäus und Markus wie in Christi Hort (v. 1725) - bespuckt wird. - Dass Gundacker Apokryphes von Kanonischem strikt trennt (so Hoffmann 1997a, S. 293), stimmt nur insofern, als die Kapitel des Nikodemusevangeliums , die mit den kanonischen Evangelien übereinstimmen, im ,apokryphen Teil‘ der Prozessschilderung ignoriert werden (vgl. Hoffmann ebd.); es sind darin aber durchaus Elemente aus den kanonischen Evangelien eingearbeitet (z. B. v. 1625; vgl. Mt 26,65). 292 Wie Wyss (1986, S. 301) es für die Exposition beobachtet hat, scheint das Ordnungsprinzip auch hier systematischen Kriterien zu folgen. Vgl. Stübinger (1922, S. 97 f.) zu der gegenüber den kanonischen Evangelien veränderten Chronologie und zu den Parallelstellen im Einzelnen. 293 Vgl. Klibansky 1925, S. 27; vgl. auch ebd., S. 23. 294 Nichodemus autem quidam uir Iudaicus stetit ante presidem et dicit, […] (cap. V 1, Z. 1 f.; „Nikodemus, ein Jude, hat sich vor den Statthalter gestellt und sagt: […]“); Ex Iudeis autem alius quidam exiliens rogat presidem ut uerbum diceret. (cap. VI 1, Z. 1 f.; „Von den Juden aber springt jemand auf und bittet den Statthalter, das Wort ergreifen zu dürfen.“); Et alius quidam Iudaeus exiliens dixit: […] (cap. VI 2, Z. 1; „Und ein anderer Jude sprang auf und sagte: […]“). Auch im Nikodemusevangelium wird das Aufstehen aber nicht immer erwähnt, vgl.: Et mulier quaedam nomine Ueronica dixit: […] (cap. VII, Z. 1 [6,3 (G / I)]; „Und eine Frau namens Veronika sagte: […]“). 295 Klibansky (1925, S. 24 f.) hebt hervor, dass „die Zeugen ihre Aussage stehend machen müssen“. Auffällig ist aber vielmehr, dass die nah am Nikodemusevangelium bleibenden Formulierungen suggerieren, dass die Zeugen vorher gesessen haben, da außer dem Richter wohl nur die Urteiler eine sitzende Position einnahmen (s. o. S. 76 f.). Die Unklarheit über die Gruppenzugehörigkeit der Zeugen passt 112 3 Variationen der Rechtsthematik ,vollständiges‘ deutschrechtliches Verfahren dargestellt werden sollte, aber es ist doch aufschlussreich, dass nur an bestimmten Stellen entsprechende Anpassungen durchgeführt wurden. Für den Handlungsablauf nach dem Nikodemusevangelium unverzichtbar war es, einen Ort des Gerichts zu benennen, da das Betreten oder Verlassen des Prätoriums durch die Prozessbeteiligten dort mehrfach eine zentrale Rolle spielt. In Christi Hort ist der Ort des Gerichts (wie in Diu urstende ) durch eine Abschrankung markiert: 296 Der Läufer, den Pilatus ausgesandt hat, um Jesus zu holen, bittet ihn, in die schrangen zu gehen (v. 1435). Im abgeschrankten Bereich befinden sich offenbar auch ,die Juden‘, denn sie gehen hinaus, um (nach dem ersten Neigen der chriuce ) 297 zwölf jüdische Träger auszuwählen (vv. 1533 f.) 298 bzw. um eine Befleckung durch eine Beteiligung an der Verurteilung Jesu zu vermeiden (vv. 1817-1822). Pilatus wird als auf einem (Richt)stuhl ( stu ͦ le , v. 1562) sitzend vorgestellt, denn er springt vor Schreck davon auf, als sich die chriuce zum zweiten Mal vor Jesus verneigen (vv. 1562 f.). 299 Zu einem späteren Zeitpunkt steht er zornig auf und will uz der schrangen hinausgehen, um die Verhandlung zu beenden (vv. 1689 f.), 300 setzt sich dann jedoch wieder hin ( du saz er anz geriht nider , v. 1705). Sein Niedersitzen zeigt auch den Wiederbeginn des Verfahrens an, nachdem Herodes Jesus wieder zu Pilatus zurückgesandt hat (v. 1751). Dass das Aufstehen des Richters das Ende eines Verfahrens markiert, ist ein Zug, der aus dem lateinischen Nikodemusevangelium übernommen wurde, der aber in einem deutschrechtlichen Kontext sehr plausibel ist. 301 Logischer als bei einem im Prätorium vorgestellten Gerichtsverfahren, wie es das Nikodemusevangelium voraussetzt, ist bei einer Verhandlung innerhalb von Gerichtsschranken dazu, dass in der gesamten Prozesserzählung nicht klar zwischen den Parteien und den Urteilern differenziert wird. 296 In Christi Hort wird das Wort schrange in der Regel im Singular gebraucht. Vgl. zum Ort der Verhandlung in Christi Hort auch Klibansky 1925, S. 24 f. 297 Die signa des Nikodemusevangeliums (cap. I 5, Z. 2) sind in Christi Hort - anders als in Diu urstende - als chriuce (v. 1492) aufgefasst. Klibansky (1925, S. 25) sieht hierin ein Missverständnis, es fehle außerdem „jeder naheliegende Hinweis auf die hierin [sc. in den Fahnen] zum Ausdruck kommende stellvertretende königliche Gerichtsgewalt“. Auch Kreuze können jedoch im Mittelalter Herrschaftszeichen sein (vgl. Lück 2012b, Sp. 983; Kocher 2016), sodass eine entsprechende Verwendung in Christi Hort rückprojiziert worden sein könnte, ohne dass die nicht-christliche Kultur, in der die Handlung situiert ist, dafür ein Hinderungsgrund gewesen wäre. Dass es nicht auf den religiösen Aspekt der ,Kreuze‘ ankommt, ist auch daran abzulesen, dass im weiteren Erzählverlauf (vv. 1533-1547) nicht problematisiert wird, dass ,die Juden‘ mit den ,Kreuzen‘ letztlich christliche Symbole tragen. 298 Vgl. Klibansky (1925, S. 25): „Will eine Partei während der Verhandlung sich beraten, so zieht sie sich zum Gespräch zurück und geht ‚ouz der schrangen‘ (CH. 1533)“. Zu solchen Beratungsgesprächen vgl. von Planck 1879, Bd. 1, S. 217-222. - Die ursprünglich drei Träger (v. 1523) werden durch zwölf Juden ersetzt (v. 1534), die zu je vier Mann (v. 1543) ein ,Kreuz‘ tragen sollen (vgl. Klibansky ebd., Anm. 54). Durch diese Zahlenangaben wird die im Nikodemusevangelium angegebene Zahl von zwölf Mann bei der Auswechslung erreicht, mit anderer Aufteilung, aber mit demselben Akzent, dass die Juden trotz ihres übersteigerten Bemühens, das Neigen der signa bzw. ,Kreuze‘ zu verhindern, nicht erfolgreich sind. 299 Ein Richterstuhl ist kein deutschrechtliches Spezifikum, steht aber durchaus im Einklang mit der Vorstellung von Gerichtsschranken (vgl. Schott 2006, S. 155). 300 Vgl. Nikodemusevangelium , cap. IX 3, Z. 1 (8,1 [G / I]): Exurgens Pilatus de tribunali uoluit exire foras . („Pilatus stand vom Tribunal auf und wollte nach draußen gehen.“). 301 Vgl. dazu Klibansky 1925, S. 25. Zum Sitzen des Richters und zum Signalwert seines Aufstehens vgl. Drüppel 1981, S. 298; Schott 2006, S. 153-146. 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 113 die Anwesenheit einer Öffentlichkeit. Dass ,die Juden‘ hören, was Jesus zu Pilatus gesagt hat, und darauf reagieren (vv. 1591; 1622-1626 302 ), erscheint in einem deutschrechtlichen Kontext ganz natürlich. Entsprechend unscharf ist die Verortung des aus Io 18,33-38 übernommenen Verhörs (vv. 1751-1778). Im Johannesevangelium findet die Unterredung im Prätorium statt, ,die Juden‘ haben das Gebäude nicht betreten, um nicht unrein zu werden (Io 18,28). 303 In Christi Hort scheint Pilatus Jesus von seinem Gerichtsstuhl aus anzureden, 304 geht dann jedoch von Jesus weg, 305 und zwar dorthin, wo ,die Juden‘ stehen (vv. 1779 f.). Für die weitere Befragung Jesu nach Io 19,9-11 (vv. 1798-1816) geht Pilatus wieder zu ihm (vv. 1796 f.). Auch Jesus gegenüber tritt er in den Augen des Erzählers als Richter auf, denn die Frage redst du niht mit mir (v. 1801; vgl. Io 19,10) wird als ordnungsgemäße Reaktion darauf gekennzeichnet, dass der Angeklagte schweigt. 306 Nach der Unterredung mit Jesus geht Pilatus wieder zu den juden (v. 1851), wo er weiterhin als Richter agiert. Jedenfalls kommt der Prozess in der nun folgenden Unterredung mit ,den Juden‘ zu einem Ende. Wo Jesus und ,die Juden‘ sich jeweils genau befinden, wird nicht explizit gesagt; aber wenn man davon ausgeht, dass Jesus beim Richtstuhl (vgl. vv. 1751 f.) innerhalb der Gerichtsschranken steht, dann lassen sich vv. 1817-1822 wie eine nachgeschobene Erklärung lesen, warum ,die Juden‘ nicht mehr dort zu finden sind: Im Plusquamperfekt wird dort erklärt, sie hätten den abgeschrankten Bereich verlassen, 307 weil sie negative Konsequenzen für sich selbst befürchteten, wenn sie die Verurteilung Jesu mit ansähen. 308 Das Problem der Raumlogik ist auf diese Weise gelöst, jedoch wirft die Aussage verfahrenstechnisch neue Fragen auf (von der noch zu diskutierenden Motivation für den Weggang einmal abgesehen): Sind ,die Juden‘, die den abgeschrankten Bereich verlassen haben, identisch mit denen, die Pilatus später nach dem Urteil fragt (vv. 1876 f.)? Wenn ja, welchen Status haben sie? Sie wären dann durch das Verlassen der schrangen nicht zu Unbeteiligten geworden. Man wird von der Erzählung wiederum keine verfahrenstechnische Stringenz verlangen dürfen, aber das Verhalten der Menge spielt durchgehend eine wichtige Rolle, sodass die Frage nach deren Status am Ende des Prozesses nicht unberechtigt ist. Zu deren 302 Hier ist die Aussage des Hohepriesters in Mc 14,63 f. der Menge in den Mund gelegt. 303 Das Verhör durch Pilatus ist auch in das Nikodemusevangelium übernommen worden (cap. III 2). Nach dessen Version befinden sich ,die Juden‘ zwar zunächst im Prätorium, werden dann jedoch von Pilatus hinausgeschickt (cap. II 6). 304 an daz gerichte er aver saz / unt sprach zu Jesu […] (vv. 1751 f.). 305 Das dazu notwendige Aufstehen des Richters wird an dieser Stelle nicht thematisiert. 306 Jesus gab im ein antwurt niht. / des lasters nam Pilatus phlicht (vv. 1799 f.). Das Wort phlicht ist auf Pilatus bezogen, der seiner Verpflichtung nachkommt, das laster zu ahnden (vgl. zum Ausdruck ‚ phlicht nemen ‘ BMZ, s. v. phliht ). Das Schweigen Jesu kann insofern als ein ‚Laster‘ gelten, als es im deutschrechtlichen Kontext eine Verletzung der Dingpflicht darstellt (so auch Klibansky 1925, S. 25, mit Verweis auf von Planck 1879, Bd. 1, S. 60). 307 Der durch Gerichtsschranken umfriedete Bereich dient hier als ein Äquivalent zum Prätorium im Johannesevangelium (Io 18,28). 308 In der eingeschobenen Petrus-Episode (vv. 1827-1850) heißt es, dass Jesus Petrus ansieht (v. 1843; vgl. Lc 22,61) und dass Petrus danach hinausgeht ( da gie er ouz , v. 1844; vgl. z. B. Lc 22,62). Nach Stübinger (1922, S. 98) muss die Szene, die nach den kanonischen Evangelien im Hof des Hohepriesters stattfindet, bei Gundacker „dem Zusammenhang nach im Gerichtshause“ zu denken sein; das Konzept eines Gerichtshauses kommt in Christi Hort aber nicht vor. Die unklare Lokalität scheint durch die Nähe zum Evangelientext zustande gekommen zu sein (vgl. dazu Manuwald 2015, S. 359). Wichtiger als eine räumliche Logik ist hier offenbar die systematische Verknüpfung über das Sehen: Anders als ,die Juden‘ will Petrus sehen, was geschieht, verleugnet jedoch Jesus und zieht sich zurück, nachdem dieser ihn angesehen hat. 114 3 Variationen der Rechtsthematik Beantwortung soll jedoch zunächst betrachtet werden, welche Funktionen den verschiedenen Akteuren im Verlauf des Prozesses zukommen. Der Prozess wird - wie im Nikodemusevangelium - dadurch eingeleitet, dass ,die Juden‘ den Richter Pilatus aufsuchen und Anklagen vorbringen (vv. 1396-1419). 309 Sie berichten Pilatus auch von der Gefangensetzung Jesu (v. 1399), jedoch schickt dieser trotzdem seinen ,Läufer‘ 310 aus, um Jesus zu holen. Dass der ,Läufer‘ ein Tuch um den Hals trägt, das er ehrend vor Jesus ausbreiten kann, wird als Sitte ,jenseits des Meeres‘ erklärt, wo Jung und Alt für ein solches Tuch Geld ausgäben (vv. 1423-1429). 311 Während diese Erklärung der Sitte das Ungewöhnliche des Verfahrens noch betont, ist in der Formulierung der Kritik ,der Juden‘, Jesus hätte mit schergen stimme / […] unt mit grimme (vv. 1445 f.) herbeigebracht werden sollen, 312 mit scherge eine Person des Gerichts benannt, wie sie aus der deutschrechtlichen Praxis bekannt war. 313 ,Die Juden‘ fordern auch explizit eine Erfüllung der gängigen Gerichtspraxis ( ‘das wær recht’ , v. 1447). Obwohl in Christi Hort nicht ausdrücklich davon die Rede ist, dass Jesus zu einer Gerichtsverhandlung geladen wird, wird mit der schrangen (vv. 1435; 1533) und dem Richtstuhl (v. 1562) ein entsprechendes Setting aufgebaut. Offenbar obliegt dem Richter die Entscheidung darüber, ob er eine Verhandlung eröffnet oder nicht. Jedenfalls lässt Procula, die Frau des Pilatus, - in einer signifikanten Präzisierung von Mt 27,19 und der entsprechenden Stelle im Nikodemusevangelium (cap. II 1) - Pilatus ausrichten: “du solt dich dehain gerith an nemen um disen rechten man; ich han heint in jamers sitten grozen ungemach erlitten in dem troum von im, da von dih von der rede nim.” (vv. 1571-1576) Mag auch die Vorstellung, Pilatus hätte es einfach ablehnen können, über Jesus zu Gericht zu sitzen, in einem heilsgeschichtlichen Kontext rein hypothetisch wirken, wird sie im Pilatus-Veronika-Teil von Christi Hort wieder aufgenommen, wenn Pilatus formuliert, er hätte richtig ( reht , v. 4095) gehandelt, wenn er dem Rat seiner Frau gefolgt wäre und gar nicht erst über Jesus zu Gericht gesessen hätte (vv. 4094-4100). reht wäre diese Verhaltensweise 309 Ähnlich wie in Diu urstende (s. dazu o. S. 77) wird für die Vorwürfe das Wort ,rügen‘ verwendet (hier als Verb): an disen dingen ru ͤ gten si in (v. 1419). Klibansky (1925, S. 25) sieht darin ein deutschrechtliches Element, es handelt sich jedenfalls um einen Terminus technicus. 310 Bei dessen erster Erwähnung (v. 1421) wird er als leufel bezeichnet, offenbar in Anlehnung an den cursor des Nikodemusevangeliums (vgl. cap. I 2). Der Erzähler charakterisiert ihn ergänzend als ein stolzen chnaben, / der sich wol chunde an tugenden haben (vv. 1421 f.). Im Folgenden wird seine soziale Stellung als chnap (vv. 1430; 1485; 1550) bzw. cneht (v. 1448) spezifiziert und in einen mittelalterlich höfischen Kontext übertragen (vgl. auch die Bezeichnung des Läufers als der hofsche man , v. 1476). Dass er Jesus ,schön‘ vor Gericht geleitet (vv. 1487; 1551), kann ebenfalls als höfisches Element gelten. Vgl. das Empfangszeremoniell für Columban (v. 4435) und Vespasian (v. 5099) bei Tiberius. 311 Zum Tuch-Motiv im Nikodemusevangelium (cap. I 2) s. u. S. 181, Anm. 15. 312 Vgl. Nikodemusevangelium , cap. I 2, Z. 10 f.: ‘Quare non sub uoce preconis iussisti eum introire sed per cursorem? […] ’ („ ,Warum hast du ihn nicht durch die Stimme des Herolds herkommen lassen, sondern durch einen Läufer? […]‘ “). 313 Vgl. dazu auch Klibansky 1925, S. 25. scherge ist eine übliche Übersetzung von lat. praeco (vgl. BMZ, s. v.; s. auch u. S. 190, Anm. 68), ist aber eindeutiger auf den gerichtlichen Kontext festgelegt (zur umfassenderen Bedeutung des lateinischen Wortes vgl. OLD, s. v.). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 115 aus der subjektiven Sicht des Pilatus deshalb gewesen, weil dann sein eigenes Leben nicht in Gefahr geraten wäre. Jedoch könnten sich hinter der - gegenüber den Vorlagen - neuen Idee auch Bezüge zur Rechtswirklichkeit verbergen, denn eine Möglichkeit der Einflussnahme des Richters in einem deutschrechtlichen Verfahren war der passive Widerstand. 314 In Christi Hort leitet die Reaktion ,der Juden‘ auf die Botschaft Proculas - sie werfen Jesus mit lautem Geschrei Zauberei vor (vv. 1577-1581) - direkt zu einer Verhandlung über, die (wie im Nikodemusevangelium ) weder formell eröffnet noch mit einer offiziellen Anklage eingeleitet wird. Stattdessen nimmt Pilatus in einer Rede an Jesus auf die Vielfalt der gegen ihn erhobenen Vorwürfe Bezug (vv. 1582-1585). 315 Die Antwort Jesu, dass jeder frei entscheiden könne, ob er gut oder schlecht (über jemanden) spreche (vv. 1586-1590), wird in den folgenden Versen in der Handlung entfaltet, denn die Mehrheit ,der Juden‘ 316 äußert, von Zorn getrieben und schreiend, weitere Vorwürfe, wie die uneheliche Geburt Jesu und die Verantwortung für den Kindermord (vv. 1591-1602; zum Geschrei vgl. 1607 f.), während eine andere Gruppe über dieses Verhalten traurig ist und mit semftichait den Vorwurf der unehelichen Geburt bestreitet (vv. 1603-1608). Anders als in Diu urstende reden die Unterstützer und Gegner Jesu nicht direkt miteinander. Das entspricht der über den Richter laufenden Kommunikation der Prozessparteien in einem deutschrechtlichen Verfahren. 317 Die Gruppe der schreienden , Juden‘ lässt sich verfahrenstechnisch als die der Ankläger klassifizieren, die andere bleibt verschwommen: Befindet sie sich innerhalb des abgeschrankten Bereichs oder außerhalb? Ist vom gesamten Umstand die Rede, oder gibt es ein gesondertes Urteilergremium? In Christi Hort ist offenbar nur wichtig, dass der Richter auf das Verhalten der Menge zu reagieren hat. In einem Zusatz gegenüber dem lateinischen Nikodemusevangelium heißt es, dass es Pilatus angemessen gewesen wäre, das Geschrei zu stoppen - also den Gerichtsfrieden herzustellen -, es ihm aber nicht gelingt, die Ankläger zur Mäßigung zu bringen (vv. 1609-1612), 318 und er sich stattdessen ratsuchend an Jesus wendet (v. 1613). Jesus verweist darauf, dass sein Martyrium bereits feststehe (vv. 1614-1621; vgl. Nikodemusevangelium , cap. IV 3), was ,die Juden‘ nur zu gern bekräftigen (vv. 1622-1626; vgl. Mt 26,65). Als daraufhin aber auch viele ,der Juden‘ anfangen zu weinen und damit ihr Missfallen zu erkennen geben, wie ausdrücklich gesagt wird (vv. 1627-1629), reagiert Pilatus als Richter darauf: Er und Nikodemus hätten mit ir chunst und ir list versucht, Jesus zu retten (vv. 1630-1636). Die Rolle von Nikodemus an dieser Stelle erklärt sich nur aus der Vorlage (cap. V 1), nach der Nikodemus vor den Zeugenaussagen der Geheilten eine Rede hält, in der er für Jesus eintritt. Die für Pilatus positive Zusammenstellung mit Nikodemus weist hier aber auch auf die geschickte Verhandlungsführung des Richters Pilatus voraus, wie sie später in Bezug auf die Passah-Amnestie geschildert wird. 319 314 Vgl. Drüppel (1981, S. 128), der das aus stadtrechtlichen Quellen ableitet, nach denen nur Gegenmaßnahmen ergriffen werden sollten, wenn der Richter „ mit vnrechte - grundlos oder aus Parteilichkeit - seine Mitwirkung ablehnte“. Zum Handlungsspielraum des Richters s. auch u. Kap. 5.1. 315 An der entsprechenden Stelle im Nikodemusevangelium (cap. II 2) ist nicht eindeutig, ob Pilatus sich auf alle Anklagepunkte ,der Juden‘ oder nur auf den zuletzt vorgebrachten Zaubereivorwurf (cap. II 1) bezieht. 316 Die Gruppe wird zunächst mit die juden bezeichnet (v. 1591), erst in vv. 1603 f. wird klar, dass es unter ihnen auch ,genügend‘ gibt, die eine andere Position vertreten. 317 Vgl. dazu Drüppel 1981, S. 299 f. 318 Auch im weiteren Verlauf der Verhandlung mangelt es den Anklägern an zuht (vgl. vv. 1658 f.; 1692). 319 Pylatus zu den juden gie, / sin rede er wislich an vie (vv. 1851 f.). 116 3 Variationen der Rechtsthematik Als Pilatus und Nikodemus die Ankläger nicht umstimmen können (vv. 1637 f.), treten Zeugen auf, die von Heilungswundern berichten (vv. 1639-1654). Pilatus handelt im Folgenden wie ein Richter, der die ,Beweislage‘ selbst einschätzt: Er erschrickt vor der go ͤ tlichen ere , die er in den Heilungswundern erkennt (vgl. Nikodemusevangelium , cap. VI 4), und will Jesus freilassen (vv. 1655-1657; vgl. Io 19,12). Als ,die Juden‘ ihm daraufhin mit dem Kaiser drohen, hält er eine Scheltrede, in der er ,den Juden‘ unter Berufung auf ihr Verhalten gegenüber Moses vorwirft, sie seien seit jeher von Falschheit und einem Mangel an triwe (v. 1677) geprägt und drohten ihm deshalb mit dem Kaiser, wenn er Jesus freiließe, dessen Schuld sie mit redlichen sachen nicht nachweisen könnten (vv. 1663-1688; vgl. Nikodemusevangelium , cap. IX 2 [7,2 (G / I)]). 320 Seine Absicht, zornig den abgeschrankten Bereich zu verlassen und so den Prozess abzubrechen, realisiert Pilatus jedoch nicht, als ‚die Juden‘ darauf hinweisen, dass es Jesus ist, um dessentwillen Herodes die Kinder habe erschlagen lassen (vv. 1689-1705). Bei ihren neuerlichen Vorwürfen befinden sich die Ankläger offenbar im abgeschrankten Bereich, denn sie bedrängen Pilatus, indem sie sich um ihn herumstellen (vv. 1706-1710). 321 In dieser Situation erfragt Pilatus ein Urteil, woraufhin sich ,die Juden‘ für die Kreuzigung aussprechen. An dieser Stelle, die ohne Parallele in den Vorlagen ist, überwiegen deutschrechtliche Elemente, indem Verfahrensführung und Urteilsfindung getrennt werden. 322 Allerdings scheint die Gruppe der Urteilsfinder mit der der Ankläger identisch zu sein. Außerdem wird deutlich, dass mit dem Urteilsvorschlag 323 nicht etwa ein Ende des Prozesses erreicht ist, da Pilatus das Urteil nicht ausgibt, sondern den Fall an die jüdische Gerichtsbarkeit überweisen will (vv. 1714-1717; vgl. Io 18,30 f.). Als ,die Juden‘ unter Berufung auf das Tötungsverbot in ihrer ê das ablehnen (vv. 1718-1722), beendet Pilatus die Verhandlung, indem er sich erhebt (v. 1733) und Jesus zu Herodes bringen lässt (vv. 1734 f.; vgl. Lc 23,7). 324 In der erneuten Verhandlung (ab v. 1751) wird der (begrenzte) Entscheidungsspielraum des Richters wiederum deutlich. Angelehnt an das Lukasevangelium (Lc 23,14; 16; 22) verkündet Pilatus nach einem weiteren Verhör Jesu, er könne kein todeswürdiges Vergehen finden, deshalb wolle er Jesus zuchtigen lassen, und man solle ihn dann freigeben (vv. 1782-1786). Interessanterweise kündigt er nicht wie im Lukasevangelium an, er wolle ihn 320 Zur Hochschätzung Mose vgl. Rommel (2002, S. 189, in Bezug auf die Zeit der Kirchenväter): „Von Aaron bis zu den Klagereden der Propheten wurden alle negativen Schriftstellen auf die Propheten bezogen, während man Moses, die Propheten selbst sowie alle weiteren zentralen Autoritäten des Christentums der eigenen christlichen Tradition zuschlug.“ Im Nikodemusevangelium werden die Autoritäten nicht so sehr der christlichen Tradition zugeschlagen, sondern der Hauptvorwurf zielt darauf ab, dass ,die Juden‘ seit jeher gegen die eigenen Wohltäter rebelliert hätten (vgl. dazu Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 149, Anm. 75). Vgl. entsprechend in Christi Hort , vv. 1678 f.: unt wart ouch ungehorsam / ewerm maister Moysi . 321 Vor diesem Hintergrund könnte es auch eine wörtlich zu verstehende Komponente haben, dass ,die Juden‘ Pilatus protestierend besten (v. 1440), als sie die höfliche ,Vorladung‘ Jesu bemängeln. Zur Wortbedeutung von besten (u. a. ,sich gegen jemanden stellen‘) vgl. BMZ; L exer ; MWB, s. v. bestân , bestên . 322 Vgl. Klibansky 1925, S. 25. 323 Für diese Konstellation scheint der von Weitzel (1998, Sp. 438) kritisierte Begriff angemessen zu sein, denn es handelt sich nicht um ein Konsens stiftendes Ersturteil. 324 Die vorher berichtete Misshandlung Jesu durch ,die Juden‘ findet also wohl noch während der Verhandlung statt (vv. 1723-1730), ohne dass der massive Bruch des Gerichtsfriedens problematisiert würde. Vielleicht sind hier aber auch eher systematische Prinzipien bei der Textorganisation wirksam, denn das Verspottungsmotiv wird fortgesetzt, indem Pilatus Jesus ein Purpurgewand anlegen lässt, als er ihn zu Herodes schickt (s. dazu o. S. 105, Anm. 249), der ihn wiederum mit einem weißen Gewand bekleidet zurückbringen lässt (v. 1749; veste alba , Lc 23,11). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 117 selbst freilassen, und die jetzt einstimmige Forderung ,der Juden‘, Jesus solle gekreuzigt werden (vgl. Mc 15,13), und der nochmalige Hinweis auf den Kaiser (vv. 1787-1790) veranlassen Pilatus, die Verhandlung fortzuführen. Im ‚Gespräch‘ mit Jesus, der ihm nicht antwortet, bedeutet ihm Pilatus aber dann - in wörtlicher Übersetzung von Io 19,10 -, er habe die Macht, Jesus freizulassen oder zu töten (vv. 1801-1805). ,Die Juden‘ scheinen den abgeschrankten Bereich nicht aus Angst vor einer aktiven Beteiligung an einem Todesurteil zu verlassen, sondern wegen der Befürchtung, dass sich schon das Anschauen einer solchen Verurteilung negativ auswirken könnte (vv. 1817-1822). Das wird mit der aktualisierenden Übertragung durch den Erzähler, dass sich etliche Leute noch heute dadurch rein halten wollten, dass sie sich eine Verurteilung zum Tode nicht anschauen wollten (vv. 1823-1826), noch einmal bekräftigt. 325 In der Barrabas-Szene (vv. 1851-1877; vgl. Mt 27,16-23; Mc 15,6-15; Lc 23,18-25; Nikodemusevangelium , cap. IX 1 [7,1 (G / I)]) befragt Pilatus jedoch dann wiederum ,die Juden‘, wie er mit Jesus verfahren solle. Da das Geschrei des Volkes, von dem die kanonischen Evangelien an der entsprechenden Stelle berichten, ebenso wie im Nikodemusevangelium ausgespart ist, endet die Szene nicht im Tumult, sondern mit einer Frage des Pilatus ( ‘wes ist nu Jesus wert? ’ , v. 1876), die sich als erneute Urteilsfrage verstehen lässt. 326 Sie ist - dem biblischen Kontext nach - an das gesamte jüdische Volk gerichtet, das sich in einem deutschrechtlichen Zusammenhang als Umstand denken ließe. Auch wenn die Gruppe ,der Juden‘ in der Prozessschilderung nur punktuell so an Kontur gewinnt, dass ihre verfahrenstechnische Rolle genau zu bestimmen ist, entsteht doch der Eindruck, dass der Richter durchgehend in Abstimmung mit der Menge agiert. Wiederum wird jedoch das Urteil vom Richter nicht ausgegeben, vielmehr verkündet Pilatus, ,die Juden‘ würden geschändet, wenn er ihren König kreuzigen ließe (vv. 1878 f.; vgl. Io 19,15; Nikodemusevangelium , cap. IX 2 [7,2 (G / I)]). In vv. 1881 f. heißt es dann, dass Pilatus von ‚den Juden‘ weggegangen sei und nun seinerseits Jesus gefangen gesetzt habe (um ihn anschließend geißeln zu lassen). Davor ist die Bemerkung des Erzählers eingeschoben da beginnet diu rede sich spreucen (v. 1880). Der Vers ist schwer zu deuten, weil nicht ganz klar ist, was mit der rede gemeint ist, die sich ,spreizt‘ oder ,auseinander wächst‘. 327 Obwohl rede in Christi Hort gelegentlich auch in Bezug auf Figuren gebraucht wird (v. 1806), ist es unwahrscheinlich, dass hier die rede des Pilatus gemeint ist, weil sie ihm nicht pronominal zugeordnet ist und der Vers im Präsens steht. Auch dürfte die rede nicht auf eine Auslegung des Geschehens zu beziehen sein, denn in analogen Fällen waren in Christi Hort das Geschehen interpretierende Verse vorangegangen. rede kann in Christi Hort aber auch die Erzählung selbst meinen (vgl. v. 4045). 328 Dann würde thematisiert, dass die Erzählung bzw. der Gegenstand der Erzählung 329 widersprüchlich wird, da Pilatus zu erkennen gibt, dass er Jesus für unschuldig hält, aber nicht danach handelt. Dass an dieser zentralen Stelle vom Erzähler eine Irritation ausgedrückt wird, ist ungewöhnlich, scheint aber vor dem Hintergrund anderer selbstreflexiver Bemerkungen zum Erzählen in Christi Hort durchaus 325 Klibansky (1925, S. 26) verweist zu Recht auf den kulturgeschichtlichen Wert der Umsetzung von Io 18,28; deren Kontext konnte jedoch bisher nicht geklärt werden. Zur spirituellen Gefahr beim Fällen von Todesurteilen s. u. S. 211; S. 220, Anm. 106. 326 So auch Klibansky 1925, S. 25. 327 Die Lesart spreucen wird durch einen entsprechenden Vers in der Weltchronik Heinrichs von München gestützt ( do begund sich die red sprau ͤ czen , v. 6,1873). Shaw / Fournier / Gärtner (2008, S. 588) geben im Wortverzeichnis als Bedeutung für spriuczen ,auseinandergehen, widersprüchlich werden‘ an. 328 Zum Bedeutungsspektrum von rede in Christi Hort s. o. S. 105 f. 329 Beide Aspekte kann das Wort rede abdecken (vgl. BMZ; L exer , s. v.). 118 3 Variationen der Rechtsthematik plausibel. Der Vers, der einen formellen Abschluss des Prozesses ersetzt, stellt vermutlich auch eine Reaktion darauf dar, dass aus den kanonischen Evangelien, denen Christi Hort an dieser Stelle folgt, keine formelle Urteilsverkündung entwickelt werden konnte. Die Verteilung der Verantwortlichkeiten zwischen Pilatus und ,den Juden‘ bleibt in Christi Hort unklar, auch im Folgenden. Zwar ist es Pilatus, der Jesus geißeln lässt, 330 aber bei der Kreuztragung und Kreuzigung scheinen vor allem die mit si bezeichneten , Juden‘ aktiv zu sein (v. 1915; dann Passivformen). 331 Schaut man sich den Prozess bzw. die ,apokryphe‘ und die ,kanonische‘ Verhandlung in Christi Hort insgesamt an, so wird deutlich, dass sie nicht konsequent an das deutsche Recht angepasst sind: In beiden Teilen changiert die Rolle des Richters zwischen urteilender und verfahrensleitender Funktion. Die unklare Verteilung der Verantwortlichkeiten war in den Vorlagentexten schon angelegt und ist durch einige explizit deutschrechtliche Elemente, insbesondere die erste Urteilsfrage des Pilatus (v. 1711), verstärkt worden; denn einerseits wird deutlich, dass die Urteiler eine Verantwortung haben, andererseits zeigt aber die Reaktion des Pilatus, der das Urteil nicht ausgibt, dass auch der Richter einen Spielraum hat. Durch das Herauskürzen von Figurenreden des Nikodemus und der zwölf für Jesus eintretenden Juden fokussiert sich das Geschehen gegenüber dem Nikodemusevangelium ganz auf Pilatus als Richter, Jesus als Angeklagten und ,die Juden‘, die überwiegend als feindselige Gruppe dargestellt werden. Pilatus wird dabei tendenziell als positive Figur gekennzeichnet, während es am Ende des Prozesses vollkommen in den Hintergrund getreten ist, dass es auch Juden gibt, die Jesus nicht gekreuzigt sehen wollen. Das Problem, wer die Verantwortung für die Kreuzigung trägt, bleibt bis zum Ende des Prozesses offen: Pilatus billigt sie nicht, aber er lässt sie, wie von ‚den Juden‘ gewünscht, vollziehen. In der Pilatus-Veronika-Legende wird der Prozess gegen Jesus jedoch diskursiv und in einer weiteren Gerichtsverhandlung aufgearbeitet. Dort geht es dann nicht um den Ablauf im Einzelnen, sondern um die Schuldfrage. Da diese aber mit dem Verfahren verknüpft ist, sollen hier auch die ,Rückblicke‘ auf den Prozess gegen Jesus diskutiert werden. Zunächst fasst der Erzähler das bisherige Geschehen um Pilatus zusammen: ir hapt da von wol vernomen wi e er zeJerusalem was chomen unt richtær wart inder stat und wie er da gerichtet hat; er was ungu ͤ tic al sein ceit, er wesse wol daz die juden durch ir neit Jesum heten verraten, unt swas si im ubels taten, daz wesse wol Pilatus daz si das taten um sus. do c h rihter durch siu uber in, dar an betraug in sein sin daz er durch der juden pêt unrecht gericht uber in tet. (vv. 4049-4062) 330 Nach der Geißelung wird Jesus ,den Juden‘ vorgeführt (vv. 1905-1914), nur das Prädikat im Singular (v. 1907) deutet an, dass Pilatus dabei beteiligt sein könnte; die Ecce homo -Szene ist getilgt. 331 Pilatus tritt erst als Verfasser der Kreuzesinschrift wieder in Erscheinung (vv. 1973-1983). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 119 Bereits aus diesen Versen ist erkennbar, dass man es in diesem Textabschnitt mit einem deutlich veränderten Pilatus-Bild zu tun hat. Der Rückbezug auf die in Christi Hort nur knapp angedeutete Vorgeschichte, wie Pilatus zu seiner Gerichtsgewalt kam (unter Umgehung von Herodes direkt von Rom) und damit zugleich die Feindschaft mit Herodes begann (vv. 1343-1350), verweist auf die Kenntnis der legendarischen Pilatus-Vita, aus der auch die Tendenz zu einer negativen Bewertung der Figur insgesamt herrühren dürfte. 332 Allerdings gibt es hinsichtlich der über den Prozess referierten ‚Fakten‘ keinen Bruch zu dem auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Teil von Christi Hort : Pilatus weiß, dass ,die Juden‘ aus Missgunst handeln (vv. 1663-1688), und er sitzt trotzdem weiter über Jesus zu Gericht. unrecht gericht (v. 4062) könnte sich entweder auf das gesamte Verfahren oder auf den (bei der Erzählung vom Prozess ausgesparten) Urteilsspruch beziehen - das Bedeutungsspektrum von gericht lässt beides zu. 333 Für Pilatus selbst, der nur aus Angst um sein Leben Reue über das Geschehen empfindet (vv. 4063-4070), liegt der Fehler in seinem ubermût (v. 4090), der ihn dazu verleitet habe, überhaupt erst über Jesus zu Gericht zu sitzen. Über einen Boten will Pilatus versuchen, in Rom Deutungshoheit in seinem Sinne zu erlangen (vv. 4101-4109). Und in der Tat erklärt sein Bote Adrian, als er schiffbrüchig bei Vespasian landet, die ,falschen Juden‘ hätten Jesus gefangen und gekreuzigt (vv. 4289 f.). 334 Wie recht Pilatus mit der Sorge um sein Leben hat, ergibt sich aus dem Geschehensablauf, nach dem der vom Aussatz betroffene Kaiser Tiberius vom Wunderheiler Jesus hört und Pilatus gebieten lässt, ihn herbeizuschaffen: Sonst sei es sein Tod (vv. 4450-4452; 4528 f.). 335 Zunächst haben diese Todesdrohungen nichts mit dem Prozessgeschehen zu tun. Doch als Columban als Bote des Tiberius in Jerusalem Nachforschungen anstellt, erfährt er zuerst, dass die juden unt Pilatus jegliches Gedenken an und Sprechen über Jesus verboten haben (vv. 4569-4574), 336 und dann, wie es zum Tod von Jesus gekommen ist. Veronika gibt ihm eine differenzierte Darstellung, in der sie auch heilsgeschichtliche Aspekte mit aufführt (vv. 4701-4770) und die ,falschen Juden‘ die Hauptverantwortung am Tod Jesu zugesprochen bekommen (vv. 4719-4733). Mit der Feststellung, dass Pilatus vom nît ,der Juden‘ gewusst habe (vv. 4732 f.; vgl. Mt 27,18), begründet sie, dass Pilatus das Ansinnen ,der Juden‘ missfiel; 337 dass er Jesus dennoch töten ließ, legt sie ihm nicht zur Last. 338 Als Tiberius dann in Rom von ihr wissen will, wer Jesus getötet habe, fasst der Erzähler kurz zusammen, dass Veronika ihm und Columban berichtet, wie sich alles zugetragen habe, und dass über all das Pilatus Richter gewesen sei (vv. 5045-5048), der Fokus verschiebt 332 Zu Pilatus als Inbegriff des Bösen in der Historia apocrypha vgl. Knape 1985, S. 132 f. Die von ihm edierte Version wird im Folgenden herangezogen, um inhaltlich Schwerpunktsetzungen in Christi Hort herauszuarbeiten, auch wenn sie nicht die direkte Vorlage von Christi Hort gebildet hat (s. dazu o. S. 102, Anm. 228). 333 Vgl. BMZ; L exer ; MWB; DRW; WMU, s. v. gerihte . 334 Adrians Pilatus-freundliche Darstellung entspricht der der Emmaus-Jünger ( den die juden viengen / und an das chriuce hiengen , vv. 2629 f.). Auch als Vespasian später Tiberius berichtet, was Adrian ihm gesagt habe, wird Pilatus nicht direkt beschuldigt (vv. 5130-5145). 335 Die Todesdrohungen fehlen in der Historia apocrypha (vgl. Z. 110-119). 336 In der Historia apocrypha (Z. 119-121) sind es scribe et pharisei , die verbieten, dass darüber gesprochen wird, was Jesus angetan wurde. 337 dem was ein tail ir rede swær, / die si gegen im sprachen (vv. 4730 f.). 338 Die Bewertung des Pilatus fällt hier positiver aus als in der Historia apocrypha (Z. 137), in der Veronika Pilatus an der entsprechenden Stelle als tocius mali causa („Ursache des ganzen Übels“) bezeichnet. 120 3 Variationen der Rechtsthematik sich also auf Pilatus. 339 Tiberius erklärt ihn kurzerhand für ‚verloren‘, wenn er Jesus ,erschlagen‘ habe (vv. 5049-5054). Für Tiberius ist Pilatus ab diesem Zeitpunkt ein Mörder (vgl. v. 5180), eine Einschätzung, die im weiteren Handlungsverlauf von niemandem mehr angezweifelt wird. Bis dahin ist die Aufarbeitung des Prozesses gegen Jesus aber insgesamt differenzierter als in der Historia apocrypha . Für die inhaltliche Stoßrichtung von Christi Hort ist es außerdem aussagekräftig, welcher Ausschnitt aus der Historia apocrypha übernommen worden ist: Dass die Bestrafung ,der Juden‘ durch Vespasian 340 weggefallen ist, könnte damit zusammenhängen, dass sie bereits in dem auf dem Somnium Neronis basierenden Abschnitt (vv. 3909-3944) angekündigt worden war. Christi Hort endet mit der alleinigen Bestrafung des Pilatus und seiner Selbsttötung; was mit seiner Leiche passiert, 341 ist nicht thematisiert. Es scheint also weniger ein Interesse an der Pilatusfigur als solcher zu bestehen als daran zu zeigen, dass Gerechtigkeit hergestellt wird. 342 So dürfte auch zu erklären sein, dass die Episode von der Bestrafung des Pilatus zu einer deutschrechtlichen Verhandlung vor einem vom Kaiser geleiteten Fürstengericht ausgestaltet worden ist. 343 Zunächst beruft Tiberius einen Fürstenrat ein (vv. 5082-5085) und fragt, wie er mit dem Mörder Pilatus verfahren solle (vv. 5177-5184). Vespasian ergreift - von Zorn geleitet, wie der Erzähler erläutert (v. 5186) - zuerst das Wort und rät, den Mörder zu entehren und gefangen nach Rom bringen zu lassen (vv. 5185-5189); fursten und chnechte stimmen diesem Rat zu (vv. 5190-5192). Der Fürstenrat ist eindeutig von der später folgenden Gerichtsver- 339 Eine explizite Bewertung seines Verhaltens erfolgt nicht. Dagegen erklärt der Bote in der Historia apocrypha (Z. 163-167), dass Jesus ohne rechtmäßige Verurteilung hingerichtet worden sei: „Ihesum desideratum tibi medicum, hominem Deo carum [,] innocentem Pilatus et Iudei perfide tradiderunt [,] inuide flagellantes patibulo crucis affixerunt, asserentes eum fore magum et quasi conuincentes, eum falso testimonio sine iusticia et iudicio cum impiis reputaverunt“. („ , Jesus, den von dir ersehnten Arzt, einen Menschen, der Gott lieb ist, haben Pilatus und die Juden, obwohl er unschuldig war, treulos [zur Bestrafung] ausgeliefert; aus Missgunst ließen sie ihn geißeln und an den Querbalken des Kreuzes schlagen; sie behaupteten, er sei ein Zauberer und, als ob sie ihn überführten, rechneten sie ihn mit falschem Zeugnis und ohne Gerechtigkeit und Gerichtsverfahren unter die Gottlosen.‘ “). 340 Vgl. Historia apocrypha , Z. 201-203; 251-335 (vgl. dazu Knape 1985, S. 122 f.). 341 Vgl. Historia apocrypha , Z. 185-200 (vgl. dazu Knape 1985, S. 120 f.). 342 Das ist eine Akzentsetzung, wie sie in der Historia apocrypha bereits angelegt ist. Vgl. dazu Knape 1985, S. 126: „Am Beispiel dieser Figuren demonstriert der Autor das Werden und Wirken des Bösen, aber auch die strafende, letztlich stets erfolgreiche Gerechtigkeit sowie lenkende und fügende Wirksamkeit Gottes.“ 343 Vgl. dagegen die knappen Andeutungen in der Historia apocrypha (Z. 176-184): Poncius Pilatus capitur, Romam usque perducitur imperio cesaris carceris uinculis mancipatur, donec condigna mortis sentencia plectatur. Super his urbis principibus disceptantibus et uniuersa plebe, quid faciendum esset, deliberante licenciam destructionis Iudee et Ierusalem et habitatorum eius ad cesarem uenerat Uespesianus accipere, qui aduocato consilio principum morte turpissima dampnandum censuit Pilatum. Pilatus audiens se morte turpisima [sic] dampnandum, cultello proprio faucibus suis immisso capitis et colli dissoluit iugulum. Cesar itaque cognita morte Pilati dixit: „Vere, mortuus est morte pessima, cui manus non pepercit propria“. („Pontius Pilatus wird gefangen genommen, bis nach Rom gebracht und auf Befehl des Kaisers den Fesseln des Gefängnisses überantwortet, bis er mit dem todeswürdigen Urteil bestraft werde. Als darüber die führenden Leute der Stadt debattierten und das gesamte Volk, was zu tun sei, war Vespasian zum Kaiser gekommen, die Erlaubnis für die Vernichtung von Judaea, Jerusalem und seiner Einwohner zu erhalten; der [sc. Vespasian] beantragte, nachdem der Rat der führenden Leute einberufen war, Pilatus sei mit der schändlichsten Todesart zu bestrafen. Als Pilatus hörte, es solle zur schändlichsten Todesart verurteilt werden, stach er das eigene Messer in seine Kehle und zertrennte so die Kehle zwischen Kopf und Hals. Daher sagte der Kaiser, als er vom Tod des Pilatus erfahren hatte: ,Wahrhaftig, der starb den schändlichsten Tod, den seine eigene Hand nicht schonte.‘ “). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 121 handlung abgesetzt ( der chaiser an daz gerith saz , v. 5222), 344 die Entscheidung der Fürsten hat jedoch rechtliche Implikationen, denn die Gefangennahme wird aufgrund der Schuld des Pilatus beschlossen, der dadurch in eine ungünstige Verteidigungsposition gerät. 345 Zu der Gerichtsverhandlung werden ,Alt und Jung‘ gebeten; zu Gericht sitzen aber offenbar nur die Könige und Fürsten (vv. 5222-5228), die vom Kaiser auch direkt als Urteiler adressiert werden (v. 5229). 346 Es wird also offenkundig zwischen einem Urteilergremium und einem Umstand unterschieden. 347 In der weiteren Erzählung über die Verhandlung verlagert sich der Fokus ganz auf die Fürsten und deren Verhalten (vv. 5235-5239; 5256-5260; 5264-5267); von den Königen ist nur Vespasian aktiv beteiligt (vv. 5240-5255; zum Königstitel vgl. vv. 4216 f.). Da das begangene Verbrechen bereits offenkundig ist, fragt der Richter zu Beginn direkt nach einem Urteil (v. 5231). Allerdings sind die Fürsten zögerlich, ein Ersturteil zu äußern (vv. 5235-5239). Die Erklärung des Erzählers, dass keiner habe voreilig sein wollen und dass es ihnen unangenehm gewesen sei ( si douchte ein tail swære , v. 5239), spezifiziert nicht, wo genau die Bedenken der Fürsten liegen. Vielleicht hat man es wieder mit der Scheu vor der Beteiligung an einem Todesurteil zu tun (vgl. vv. 1817-1826), oder halten sich die Fürsten zurück, weil Pilatus einer der Ihren ist? 348 Vespasian, der schon im Fürstenrat voll zorn das Wort ergriffen hatte (vv. 5185 f.), ist das auf jeden Fall gleichgültig ( ummære , v. 5240), wie der Erzähler sagt, und er verkündet sein Urteil, das indirekt auch ,die Juden‘ mit einschließt (vv. 5241-5246). 349 Vespasian begründet seine Forderung, dass Pilatus den schmählichsten Tod sterben solle, den man sich ausdenken könne (vv. 5247-5255), damit, dass das eine angemessene Bestrafung ( pillich , v. 5252) 350 für das Vergehen sei, den ,höchsten Mann‘ getötet zu haben (v. 5249). Er bekräftigt sein Urteil außerdem mit der 344 Vgl. dagegen Klibansky (1925, S. 26), der die Ratsszene als Teil des Gerichtsverfahrens versteht, da über die Prozessform entschieden werde. 345 Klibansky (1925, S. 26) interpretiert die Gefangennahme als ,Verfestung‘, die Pilatus die Gerichtsfähigkeit komplett nehme (dazu, dass sich die Verfestung „fast ausschließlich im ostfälisch-niederdt. Rechtskreis“ [Sp. 718] findet und den Verfesteten nicht vollkommen rechtlos macht, vgl. jedoch Sellert / Bauer 1998). Der von Klibansky als Beleg angeführte v. 5219 ( niemen sprach sein wort da wol ) bezieht sich jedoch trotz des rechtlichen Sinns von eines wort sprechen (,für ihn sprechen‘, ,ihn verteidigen‘, vgl. BMZ, s. v.) nicht darauf, dass eine Verteidigung unmöglich ist, sondern im Kontext mit vv. 5220 f. darauf, dass am Hof niemand Pilatus positiv gesonnen ist. 346 Jaksche (1910) führt im Apparat zu v. 5225 den auf Carl von Kraus zurückgehenden Vorschlag auf, und ir chnechte zu athetieren. Der Text ( vil der chunige under ir chrone ) entspräche dann dem Vers, wie er in die Weltchronik Heinrichs von München aufgenommen ist: vil chunig under der chron (v. 12,1521). Die Athetese erscheint sowohl unter metrischen als auch unter inhaltlichen Gesichtspunkten sinnvoll, da gesagt wird, dass der Kaiser alle zu Gericht sitzenden Personen anspricht ( der chaiser zu in allen sprach , v. 5228), in seiner Rede aber nur die Könige und Fürsten adressiert sind (v. 5229), nicht die chnechte . 347 Vgl. dazu Klibansky 1925, S. 26 f. 348 Zum rechtshistorischen Kontext der Szene s. u. S. 219 f. 349 Nach einem Urteil über ,die Juden‘ war gar nicht gefragt worden. Dass deren Schicksal noch einmal thematisiert wird, dürfte mit der Vorlage zu tun haben (s. o. S. 120, Anm. 343), ist aber auch aus systematischen Gründen geboten, denn sie sind in der diskursiven Aufarbeitung des Prozesses ebenso wie Pilatus als schuldig identifiziert worden. Außerdem war Vespasian schon in dem auf das Somnium Neronis zurückgehenden Textteil ein Wille zur ,Bestrafung‘ ,der Juden‘ zugeschrieben worden (vv. 3935-3942). Wenn Vespasian sagt, dass die an Jesu Tod Schuldigen nimmer frid noh sûn (v. 5242) gewinnen könnten, hat das eine rechtliche Dimension (vgl. dazu Hagenlocher 1992, S. 130 f., der mit Geith 1968a eine deutsche Prosaquelle annimmt [s. dazu u. Kap. 6.3.1] und die rechtlichen Anklänge darauf zurückführt). 350 Zur Wortbedeutung im rechtlichen Kontext vgl. BMZ; L exer ; MWB; DRW; WMU, s. v. billich . 122 3 Variationen der Rechtsthematik Formel ‘ […] / pei vrôm recht ertail ich daz.’ (v. 5255), also mit einer Berufung auf eine Rechtsordnung, wie sie aus zeitgenössischen Zusammenhängen bekannt gewesen sein dürfte. 351 Der Kaiser als Richter fragt die Fürsten daraufhin nach ihrer Zustimmung, und die Fürsten erklären, dem Urteil folgen zu wollen. 352 Aus dem Fortgang der Verhandlung wird ersichtlich, dass die Entscheidung nur ein Zwischenurteil war, das die Art der Bestrafung festgesetzt hat, aber noch nicht die Einzelheiten des Vollzugs, denn der Kaiser will nun wissen, was die schändlichste Todesart sei (vv. 5261-5263). Die Fürsten bitten daraufhin um eine Siebentagesfrist, um sich zu beraten (vv. 5264-5267). 353 Ausschlaggebend dafür könnte eine erzähltechnische ,Motivation von hinten‘ sein, da so Pilatus ein Zeitfenster für seinen Selbstmord bekommt (vv. 5268-5291). Es wird aber zugleich demonstriert, wie formell geordnet ein Gerichtsverfahren abzulaufen hat, und zwar gerade nach der Phase der ,Beweisaufnahme‘, die bei der Schilderung des Prozesses gegen Jesus weitgehend ausgespart ist. Auf diese Weise wirft der zweite Prozess in Christi Hort ein fragwürdiges Licht auf den ersten, dessen Richter im zweiten Verfahren vor einer weltlichen Instanz zur Rechenschaft gezogen wird. Traditionellerweise galt der Selbstmord des Pilatus als (göttliche) Strafe für sein Verbrechen gegen den Heiland. 354 Dieser Auslegungstradition ist die Verknüpfung von irdischem Gerichtsverfahren und Selbstmord in der Pilatus-Veronika-Legende sicherlich geschuldet. Pilatus, der sich in Christi Hort der Entehrung durch die menschliche Gerichtsbarkeit entziehen will (v. 5284), wählt mit dem Selbstmord zugleich aus christlicher Perspektive die allerschändlichste Todesart und wird auf diese Weise für sein Vergehen auch an der Seele bestraft (vv. 5292-5294). Der Text lenkt so das Augenmerk darauf, dass es Dimensionen gibt, die mit der irdischen Gerichtsbarkeit nicht zu fassen sind. 3.3.3 wârheit Anders als in Diu urstende ist die Aussage Jesu, dass er für die Wahrheit Zeugnis ablege (Io 18,37; vgl. Nikodemusevangelium , cap. III 2), 355 in den Prozess vor Pilatus integriert (vv. 1772-1775). Verfahren zur Wahrheitsfindung spielen dagegen im Rahmen dieses Prozesses sonst eine bemerkenswert geringe Rolle: So erklärt der Läufer, der einen Augenzeugenbericht ( ze Jerusalem sah ich daz , v. 1453) über Jesu Einzug in Jerusalem gibt, von sich aus, dass ihm der hebräische Hosanna-Gesang übersetzt worden sei (vv. 1451-1475). Daraus ist zwar abzuleiten, dass Erfahrungszeugenschaft plausibilisiert werden muss, aber die 351 Jaksche (1910, App. zu v. 5255) schlägt vor, vrôm recht als vrôn recht zu lesen. So ist der Ausdruck auch in der Weltchronik Heinrichs von München ( pey fronrecht , v. 12,1593) und - mit einem adjektivischen Verständnis von vrôn - im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk ( pei fronem rehte , zitiert nach Masser / Siller 1987, S. 441, Z. 363) aufgefasst worden. Bei den Rezeptionszeugnissen sind Uminterpretationen zwar nicht auszuschließen, aber die Formel bî vrônrehte lässt sich in der österreichischen Urkundenüberlieferung auch für assertorische, von Zeugen gesprochene Eidesformeln sichern (vgl. WMU, s. v.). Das Bedeutungsspektrum von vrônreht reicht vom göttlichen Recht über herrschaftliches Recht bis zum öffentlichen Recht oder Stadtrecht (vgl. BMZ; L exer ; DRW; WMU, s. v.). Im Kontext der Gerichtsszene dürfte die römische - an diesem Punkt der Handlung schon christlich legitimierte? - Rechtsordnung gemeint sein. 352 Zur Interpretation von volgen (v. 5259) s. o. S. 94, Anm. 173. 353 Beratungsfristen bei schwierigen Urteilen waren allgemein üblich (vgl. Klibansky 1925, S. 27, mit Verweis auf von Planck 1879, Bd. 1, S. 255). 354 Vgl. dazu Scheidgen 2002, S. 86-92. 355 S. dazu u. S. 226. 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 123 Wahrheitsproblematik wird nicht auf der Figurenebene erst diskutiert. 356 Denjenigen, die in der Verhandlung selbst dem Vorwurf widersprechen, Jesus sei unehelich geboren, wird allein schon dadurch Autorität zugeschrieben, dass sie sich mit semftichait äußern (vv. 1603-1605). Weder wird die Herkunft ihres Wissens thematisiert noch ihre Vertrauenswürdigkeit bekräftigt. 357 Auch der Eid als Mittel der Wahrheitssicherung tritt nicht in den Blick. 358 Nur in der in die Prozesshandlung eingeschobenen Petrus-Episode kommen Eide vor, wenn es dort heißt: unt swur er hiet in nie erchant. / alsus laugent er mit eiden / dreistunt umbescheiden (vv. 1840-1842). Angesichts der Bedeutung, die Eiden im weiteren Handlungsverlauf zukommt, 359 wird man aus den falschen Eiden des Petrus nicht auf eine grundsätzliche Kritik am Eid schließen können. Vielmehr scheint es dem Erzähler wohl nicht nötig, die bechanten mære (v. 1648) über Jesu Wirken zu seinen Lebzeiten in der Darstellung des Prozesses noch weiter bekräftigen zu lassen. Erst mit Jesu Auferstehung wird ,Wahrheit‘ auf der Figurenebene zu einem Diskussionsgegenstand. Die erste Augenzeugin für die Auferstehung ist Maria Magdalena. Sie hat nicht nur das leere Grab, sondern auch den Auferstandenen gesehen, und sie habe ihn sprechen hören, wie sie Johannes und Petrus berichtet (vv. 2357-2370). Diese wollen ihr glauben, weil sie es besser wisse als ‚die lügenhaften Juden‘, ihr Bericht habe Beweiskraft (vv. 2371-2374). 360 Ob die Glaubwürdigkeit Maria Magdalenas in ihren Sinneseindrücken begründet liegt oder darin, dass sie charakterlich ,den Juden‘ überlegen ist, bleibt an dieser Stelle offen. Als nächste bezeugen die Grabwächter gegenüber ‚den Juden‘ die Auferstehung Jesu (vv. 2466-2487), indem sie berichten, was sie gehört und gesehen haben ( ‘ […] daz hort wir unt sahen’ , v. 2487). Bei den Wächtern zweifeln ,die Juden‘ ihre charakterliche Integrität an und werfen ihnen Bestechlichkeit vor (vv. 2460-2465; 2488-2492). Die Wächter rufen daraufhin Wunder in Erinnerung, die Jesus zu Lebzeiten vollbracht habe und die ,die Juden‘ auch nicht hätten glauben wollen (vv. 2493-2524), schieben also zugleich ,den Juden‘ die Schuld für deren Skepsis zu und untermauern ihre eigene Aussage durch Analogieargumente. Sie beteuern im weiteren Verlauf ausdrücklich, dass das, was sie gehört haben, wahr sei, 361 und bekennen sich angesichts der ersten Bestechungsversuche ,der Juden‘ ausdrücklich zur warheit (vv. 2548-2557). Es dürfte kein Zufall sein, dass ausgerechnet bei der moralischen Gegenüberstellung von Wahrheit und Lüge der Terminus Wahrheit leitend wird (vv. 2549; 2557). Zwar geben die Wächter schließlich nach (vv. 2558-2566), was vom Erzähler eindringlich verurteilt wird (vv. 2567-2582), doch wird so ein Gegensatz zwischen dem Bekenntnis zur Wahrheit als vorbildhaftem Verhalten und den Lügen ,der Juden‘ auf- 356 Vgl. dagegen Nikodemusevangelium , cap. I 4; Diu urstende , vv. 368-373. 357 Vgl. dagegen Diu urstende , vv. 462-476; 650-666. 358 Auf diese Weise erfolgt keine Auseinandersetzung mit der im Nikodemusevangelium (cap. II 5) verhandelten Frage, ob es Juden erlaubt ist zu schwören, und der dort auf den Kaiser bezogenen Eidesformel. Dass bei der vom Hohen Rat angestrengten Untersuchung nach Christi Hort durchaus von Juden Eide geleistet werden (z. B. vv. 3427-3430), wird so bruchlos anschließbar. 359 Vgl. z. B. den Siebenereid, den die Boten anbieten, als sie Joseph Sicherheit leisten (vv. 3141-3250). 360 ‘ […] / an ir mæren leit diu chraft’ (v. 2374). Zu kraft im Sinne von ,Beweiskraft‘ vgl. DRW, s. v. Später wird chraft in Christi Hort auch im Sinne der Wirkungsmacht von Worten verwendet (vgl. z. B. v. 2935). 361 ‘daz ist uns wærlich bechant, / daz hort wir den engel sagen; / […] ’ (vv. 2530 f.). 124 3 Variationen der Rechtsthematik gebaut, die schon in Bezug auf den aus dem Gefängnis verschwundenen Joseph im Text thematisiert worden waren. 362 Die Konstellation von Lüge, Wahrheit und Bestechung wiederholt sich in veränderter Form nach dem Pfingstgeschehen: 363 ,Die Juden‘ erklären die Predigten der Jünger zur Lüge (vv. 2962-2968); die Jünger berufen sich jedoch auf ihre Erfahrungen, wobei sie sich ausdrücklich als Zeugen benennen: 364 ‘ […] des sei wir gezeuge: niemen dar an triuge, wir haben in wærlich gesehen und ist daz dicke geschehen da wir mit im haben gaz . 365 fur war sag wir iu daz: wir sahen in loblich varen gegen himelreich […] ’ (vv. 2981-2988) Der Versuch ,der Juden‘, auch die Jünger durch Bestechung zum Schweigen zu bringen, misslingt kläglich, da den Jüngern ihr Hab und Gut ohnehin nicht mehr wert ist als ‚fauliges Heu‘, wie der Erzähler sagt (vv. 3000-3032). Die Serie der Versuche, die Verbreitung der Wahrheit durch Bestechung zu unterdrücken, gipfelt im Umgang ,der Juden‘ mit der Aussage von drei Männern aus Galiläa (vv. 3038-3090), Finees ( grozer ewart , v. 3041), Adras ( gebieter , v. 3043) und Egeas ( diaken , v. 3044). Obwohl sie, die wegen ihrer hohen Ämter für ,die Juden‘ vertrauenswürdig sein müssten, übereinstimmend angeben, dass sie Christi Himmelfahrt gesehen hätten, und die Aussage jeweils eidlich bekräftigen (vv. 3038-3057), 366 erklären ,die Juden‘ sie für tumbe und argumentieren, sie könnten die Himmelfahrt nicht gesehen haben, weil sie unmöglich sei (vv. 3058-3063). Nikodemus macht jedoch auf die ,Gefahr‘ aufmerksam, dass andere Leute der Aussage der drei Vertrauen schenken könnten (vv. 3064-3076), indem er auf die Glaubwürdigkeit der drei (v. 3071) sowie ihren Eid verweist (v. 3075) und außerdem ihre Aussage für plausibel erklärt ( ez gelichet sich wol der warheit , v. 3076). Nikodemus schließt den Rat an, die drei zu bestechen, dem ,die Juden‘ gern Folge leisten (vv. 3077-3090). Dass das im lateinischen Nikodemusevangelium (cap. XIV 2) nur angedeutete Bestechungsmotiv in Christi Hort Nikodemus zugeordnet wird, ist erstaunlich, 367 aber möglicherweise so zu erklären, dass er bereits an dieser Stelle als jemand auftreten sollte, der der Wahrheit näher ist als ,die Juden‘, aber noch in das jüdische Ordnungssystem eingebunden ist. 362 Die Zeichen (bewachte Tür mit unversehrtem Siegel) sind so eindeutig, dass das Verschwinden eine übernatürliche Erklärung haben muss. Damit nicht ein Einwirken Jesu vermutet wird, verkünden ‚die Juden‘ dem Volk, Joseph sei durch Zauberei verschwunden (vv. 2407-2454), obwohl die weisen unter ,den Juden‘ selbst offenbar nicht daran glauben, denn sie werden hæimlich […] unvro (v. 2454). 363 Vgl. dazu Stübinger 1922, S. 102. 364 Vgl. Act 2,32. 365 Dass Jesus nach seiner Auferstehung etwas isst, ist für die Jünger ein Beweis, dass er kein gaist ist (vv. 2700-2720; vgl. Lc 24,36-43). 366 islicher des mit aiden swûr / daz er ez wærlichen sach (vv. 3056 f.). 367 „[…] der Zug paßt nicht zu seinem Charakter“ (Stübinger 1922, S. 103). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 125 Annas und Kaiphas versuchen, ,die Juden‘, die durch die Geschehnisse verunsichert sind (vv. 3091-3093), mit der Erklärung zu trösten, dass die Grabwächter auch von den Jüngern Geld genommen haben dürften und deshalb verkündeten, dass Jesus noch lebe (vv. 3094-3106). Sie versuchen also, der Auferstehung Jesu, obwohl sie durch die Augenzeugenschaft der drei bestätigt ist, wieder den Status unbewiesenen Hörensagens zuzuweisen ( wer solt den hûtæren / gelauben und irn mæren , vv. 3105 f.). Nikodemus, der jetzt als weise apostrophiert wird, kann jedoch ,die Juden‘ überzeugen, sich aktiv Gewissheit zu verschaffen und nach Jesus zu suchen (vv. 3107-3126): Als dabei Joseph gefunden wird (vv. 3127-3153), wird er nach Jerusalem eingeladen (vv. 3154-3250) und vom Hohen Rat befragt (vv. 3298-3300), allerdings nicht öffentlich (vv. 3276-3278). Während bei der Befragung von Joseph seine Beteuerung, die Wahrheit zu sagen, von ihm ausgeht (vv. 3319-3321), sind es bei der erneuten Befragung von Finees, Adras und Egeas ,die Juden‘, die von ihnen nichts als die Wahrheit verlangen (vv. 3400-3408). 368 Um das sicherzustellen, werden verschiedene formale Mechanismen angewandt: Die drei werden voneinander getrennt (v. 3398), sie müssen jeweils einen Eid ablegen (v. 3399), negative Folgen einer wahrheitsgemäßen Aussage werden ausgeschlossen, indem ihnen sicherhait geleistet wird (v. 3418). Schließlich wird durch die Art der Fragestellung verlangt, dass sie angeben sollen, ob sie von der Himmelfahrt nur gehört oder ob sie sie selbst gesehen haben (vv. 3409-3417). Wiedergegeben wird die Antwort von Finees, dem Ranghöchsten der drei (vv. 3039-3044), der an dieser Stelle als Hohepriester bezeichnet wird ( der hohe priester , v. 3419). Er bekräftigt die Augenzeugenschaft, verweist auf seinen früheren Eid und bietet an, weitere zu schwören (vv. 3420-3430). Die Glaubwürdigkeit seiner Aussage wird weiterhin dadurch untermauert, dass die Aussagen der drei übereinstimmen (v. 3431). Die Methoden zur Wahrheitssicherung kulminieren im Abschnitt zur Befragung der Simeonsöhne. Zunächst wird die Identität der wiederauferstandenen Simeonsöhne gesichert, indem Joseph sich von ,den Juden‘ bestätigen lässt, dass sie gesehen haben, wie die beiden begraben wurden (vv. 3455-3465), und sie dann zu deren leeren Gräbern führt (vv. 3466-3476). 369 Dann hebt Joseph die besondere Qualifikation der Simeonsöhne als Augenzeugen hervor: Sie hätten sowohl im Diesseits als auch im Jenseits alles gesehen und sprächen nichts als die Wahrheit (vv. 3493-3499). Dementsprechend erwarten sich ,die Juden‘ von den beiden Aufklärung darüber, ob die Nachrichten über die Auferstehung Jesu wahr seien (vv. 3551-3560). Als die Simeonsöhne aufschreiben wollen, was sie gesehen haben (vv. 3593-3600), wird der zusätzliche Kontrollmechanismus aktiviert, dass die beiden voneinander getrennt werden, sodass sie sich nicht sehen können (vv. 3608-3611). In dem wörtlich wiedergegebenen Bericht des Karicius verweist er sowohl darauf, dass er und sein Bruder alles scheinberlich gesehen , als auch darauf, dass sie es getrennt voneinander schriftlich niedergelegt hätten (vv. 3843-3848). Dem Wunder der identischen Schriftstücke haben die Oberen ,der Juden‘ nichts entgegenzusetzen (vv. 3870-3880). Die Konsequenz ist 368 Dass ,die Juden‘ jetzt zu den dreien sagen, sie wüssten, dass jene um niemandes willen lügen würden (vv. 3404-3408), steht im Kontrast zum vorherigen Bestechungsversuch. Allerdings war da auch schon erzählt worden, dass ‚die Juden‘ danach verzagten (v. 3091). Ihre Besorgnis könnte sich - neben der generellen Verunsicherung - auch darauf beziehen, dass sie nicht darauf vertrauen, dass sie die drei wirklich haben umstimmen können. 369 Dass sie die beiden leeren Gräber als Bestätigung der warhait dessen sehen, was Joseph gesagt hat, hält dieser für inkonsequent, weil sie die Beweiskraft der weiteren leeren Gräber für die Auferstehung nicht akzeptierten (vv. 3477-3483). 126 3 Variationen der Rechtsthematik allerdings nicht ein Bekenntnis zur Wahrheit, sondern die Aufforderung, sich eine (erneute) Täuschung des Volkes zu überlegen (vv. 3881-3884). Joseph und Nikodemus sorgen jedoch dafür, dass die priefe , die die Simeonsöhne geschrieben haben, Pilatus zur Kenntnis gelangen (vv. 3885-3902), der sie nach Rom sendet (vv. 3903-3905), sodass die warhait dort bekannt wird (v. 3930). Wie die Reihe der Augenzeugenberichte zeigt, bedarf das Wunder der Auferstehung der Beglaubigung. Die hier kurz skizzierten Szenen haben mit Sicherheit die Funktion, die ,Verstocktheit‘ ,der Juden‘ zu demonstrieren, die die Wahrheit zunächst nicht anerkennen und dann verschleiern wollen, sie dienen aber auch dazu, dem Rezipienten die Heilswahrheit unmissverständlich vor Augen zu führen. Bezieht man die erzählerische Vermittlung in die Überlegungen mit ein, so wird auch die Doppelfunktion des Motivs deutlich, dass es Nikodemus ist, der zusammen mit Joseph die Verbreitung der priefe in die Wege leitet. Denn es ist Nikodemus, von dem das Autor-Ich die Wahrheit ( die rechten warhait ich ew sage , v. 1371) über das Martyrium Jesu vermittelt bekommen haben will (vv. 1369-1380). Um den Wahrheitsgehalt zu garantieren, werden auf der Erzählerebene Argumentationstechniken angewandt, die denen auf der Figurenebene vergleichbar sind. Am wichtigsten ist sicherlich die Augenzeugenschaft des Nikodemus, die gleich zu Beginn der Passionsschilderung hervorgehoben wird. 370 Außerdem wird - ähnlich wie bei der Aussage des Läufers - die sprachliche Übermittlung thematisiert: Nachvollziehbar ist nur die Übertragung vom Lateinischen ins Deutsche (vv. 1377 f.), aber es wird auch die hebräische Urfassung benannt, die Nikodemus diktiert habe und die die Basis der lateinischen Version bilde (vv. 1373-1376). 371 Die durch Nikodemus garantierte Wahrheit tritt in Konkurrenz zu derjenigen der kanonischen Evangelien, wie anlässlich der Erzählung von der Befreiung Josephs aus dem Kerker im Text diskutiert wird: s wie ez doch nicht geschriben ist an dem ewangelio, so ist ez doch benam also. ez ist endlichen war daz er n mit der gevangen schar lost, daz was pillɩ ͤ ch; iz ist der warhait wol geleich, wand er durch in gevangen was; pilleich er von im ouch genas des ersten er lobliche erschæin. daz ist zwivel de hain daz daz diu rechtiu warheit sei: daz mugt ir versten da pey daz er in loste zemitter nacht, e die juden mit ir macht chomen fur den chærcher, den si des morgens funden lere. (vv. 2276-2292) 370 wie ez allez dort ergangen ist, / also schreipt uns Nichodemus, / der berichtet uns da von sus / wie ez alles ergie unt wie ez geschach, / want er ez allez horte unt sach; / da von chund erz gesagen (vv. 1308-1313). Vgl. dazu Wyss 1986, S. 301; Hoffmann 1997a, S. 292; Knapp 1999, S. 342 f. 371 Das ,Schreiben‘ in v. 1309 ist also nicht in einem schreibtechnischen Sinn zu verstehen. Zur Sprache der Urfassung vgl. den Prolog des Nikodemusevangeliums . 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 127 Um zu beweisen, dass das Erzählte wahr ist, wird ein Plausibilitätsargument eingesetzt (vgl. v. 3076), indem gesagt wird, es sei (rechtlich) angemessen ( pillɩ ͤ ch , v. 2281; pilleich , v. 2284), 372 dass Joseph, der um Jesu willen gefangen genommen worden sei, von jenem befreit werde. Des Weiteren gilt der genaue Zeitpunkt der Befreiung als Wahrheitskriterium. Es ist unklar, wie dieses Argument zu verstehen ist, 373 aber es könnte mit den Bemühungen des Verfassers zusammenhängen, die im Nikodemusevangelium nur rückblickend geschilderten Ereignisse in die Chronologie von Tod und Auferstehung einzupassen. Danach muss Jesus Joseph noch vor dem Sonntagmorgen befreit haben, da ,die Juden‘ nur den Sabbat abwarten wollten, bevor sie ihn töteten (vv. 2201 f.). Dass die Szene in einen Abschnitt eingeschoben ist, der eigentlich den Evangelien folgen will (vv. 2242-2246), könnte auch der Grund dafür sein, warum ausgerechnet an dieser Stelle der Wahrheitsgehalt apokrypher Quellen zur Sprache gebracht wird. 374 Während der Wahrheitsgehalt des apokryphen Nikodemusevangeliums einer Herleitung bedarf, wird es als feststehende Tatsache präsentiert, dass die Heiligen Evangelisten die Wahrheit wussten (vv. 2245 f.). Den Evangelien wird vom Verfasser eine solche Autorität zugestanden, dass er Veronika (die zur Zeit von Jesu Auferstehung selbst gelebt hat) sich für die Tatsache, dass Jesus nach seiner Auferstehung 40 Tage auf Erden gelebt habe, auf die vier Evangelisten berufen lässt (vv. 4754-4757). 375 Die schrift kann urchunde geben (v. 1154), also die Wahrheit einer Sache kundtun. 376 Das Wort urchunde wird (auf der Figurenebene) auch verwendet, um Wunder zu bezeichnen, mit denen Gott seinen Willen offenbart. 377 Die Worte der Evangelisten und die Wunder verweisen auf eine göttliche Wahrheit, die eine andere Qualität hat als über Augen- und Ohrenzeugenschaft zu sichernde Handlungsabläufe. Das ist zunächst einmal die heilsgeschichtliche Wahrheit, die die Propheten geäußert haben. 378 Jesus hält diese Wahrheit den Emmaus-Jüngern vor, die doch die Notwendigkeit seines Martyriums von den Propheten hätten gewusst haben sollen (vv. 2643-2650). 379 Zur heilsgeschichtlichen Wahrheit gehört auch die Wahrheit der Auferstehung, die Thomas durch den Anblick Jesu begreifen soll ( ‘ […] / want du die warhait sihst an 372 Das Wort ist hier nicht terminologisch auf den Bereich des Rechts eingeengt (zur Billigkeit als Rechtsprinzip vgl. Becker 2008), es kommt aber wie bei der rechtlichen Verwendung auf die Angemessenheit im Einzelfall an. 373 Die Faktenwahrheit, die durch die genaue Datierung in vv. 1381-1393 evoziert wird, hat einen anderen Charakter. 374 Abweichungen von den kanonischen Evangelien werden jedoch nicht generell kenntlich gemacht (so aber Quast 2009, S. 394). Bei der Pilatus-Veronika-Legende ist offenbar die Art der Quelle nicht wichtig, sondern nur, dass der Verfasser einer Schriftquelle folgt ( daz sag ich iu als man mirs las, / daz von im geschriben was , vv. 4047 f.). 375 Unsicherheit besteht im Umgang mit konkurrierenden Quellen: Nach den Evangelisten sei Christus nach seiner Auferstehung zehnmal erschienen, andere Heilige sagten, es sei öfter geschehen (vv. 2585-2590). Offenbar soll im Folgenden die Zehnzahl maßgeblich sein (vgl. die Zählung in vv. 2797 f.), erzählt werden aber zwölf Erscheinungen (vgl. dazu Stübinger 1922, S. 101 f.). 376 Zum Bedeutungsspektrum von urkunde s. o. S. 87, Anm. 137 (vgl. auch v. 1930: als mich diu schrif beweiset hat ). Auch in v. 3964 wird (zur Bekräftigung des Wunders vom Opferkalb, das ein Lamm gebiert) die Formel als uns die schrift urchund geit verwendet. Auf der Grundlage des Textes ist nicht zu entscheiden, ob der Verfasser dieses Wunder für biblisch hielt oder ihm nur den Anschein geben wollte. 377 Vgl. die von ,den Juden‘ vorgenommene Interpretation des sechsten Vorzeichens zur Zerstörung Jerusalems (vv. 4011-4016). 378 Zum Konzept der Zeugenschaft von Propheten vgl. Prica 2010, S. 250 f. 379 Die Konjektur nicht in v. 2647 ist metrisch und inhaltlich überzeugend. 128 3 Variationen der Rechtsthematik mir, / […] ’ , v. 2740). Inbegriff der Wahrheit ist der Heilige Geist, der in Christi Hort - angelehnt an johanneische Konzepte - gaist der waren warhait genannt wird (v. 2859). 380 Erfüllt von diesem Geist können die Jünger ihre Worte mit Wundern untermauern. 381 Anders als in der Apostelgeschichte (1,8) wird die Zeugenschaft der Jünger jedoch nicht direkt mit dem Heiligen Geist in Verbindung gebracht, sondern sie nennen sich selbst aufgrund ihrer Erfahrungen Zeugen (v. 2981). 382 Ein Zeuge der Wahrheit zu sein, kommt in Christi Hort nur Jesus zu, der Pilatus auf die Frage, was er verbrochen habe, folgendermaßen antwortet: Jesus sprach: ‘ich wil dir sagen: ich pin dar umbe her chômen daz diu warheit werd vernomen; der warhait ich ein gezeug pin.’ do sprach Pilatus wider in: ‘waz ist diu warhait? daz hort ich ob mir daz wurd gesait.’ (vv. 1772-1778) Jesus bezieht sich hier eindeutig auf die göttliche Wahrheit (Io 18,37 f.). Die Antwort des Pilatus nimmt für einen wissenden Leser das Argument aus dem Johannesevangelium auf, dass nur wer ex veritate ist, die Stimme Jesu verstehen könne (Io 18,37; vgl. auch Io 8,47). 383 In dem Konditionalgefüge (v. 1778) bleibt offen, ob Pilatus die Wahrheit vernommen hat. Doch scheint sein Anspruch nicht vollkommen vermessen, denn er ist empfänglich für die Wunder Jesu (vv. 1510-1514; 1655-1657) und erkennt das religiöse Königtum Jesu an (vv. 1973-1983). Da in Christi Hort die Fortsetzung des Dialogs über die Wahrheit auf Erden aus dem Nikodemusevangelium (cap. III 2) nicht eingegangen ist, erfolgt hier keine Rückbindung an das Prozessgeschehen, in das der Dialog eingebettet ist. Wahrheit vor Gericht ist auch in dem zweiten Prozess in Christi Hort kein Thema. Zwar sind die Techniken zur Wahrheitsfindung und -absicherung (Eid, getrennte Zeugenaussagen) aus juristischen Kontexten übernommen, sie bleiben aber der Absicherung einer heilsgeschichtlichen Wahrheit vorbehalten. 3.3.4 reht und ê Hinsichtlich der Rechtsordnungen ist der auffälligste Zug von Christi Hort , dass die irdische Gerichtsbarkeit, vor die Jesus gestellt wird, in einen politischen Kontext eingeordnet wird. Der eigentlichen materi , nämlich der Passion Christi (vv. 1367 f.), sind relativ ausführliche Erklärungen zur Stellung von Herodes und Pilatus vorgeschaltet (vv. 1327-1366). Ausschlaggebend dafür könnte die Benennung der Ämter im Prolog des Nikodemusevangeliums gewesen sein, die in Christi Hort als genaue historische Verortung wiedergegeben ist (vv. 380 Vgl. Io 6,64; 14,17; 15,26 f.; 16,13; 1. Io 5,6. Zwar ist bei Johannes vom ,Geist der Wahrheit‘ die Rede (vgl. dazu Prica 2010, S. 252), die tautologische Bildung ,wahre Wahrheit‘ findet sich dort jedoch nicht. Der Vers in Christi Hort steht im Kontext der Rede Jesu an seine Jünger vor der Himmelfahrt. An der entsprechenden Stelle in Act 1,8 ist vom ,Heiligen Geist‘ die Rede. 381 ‘ […] / sie bewærent iriu wort mit zaichen, / […] ’ (v. 2939) . 382 Für die Einbettung des Verses s. o. S. 124. 383 Vgl. dagegen ,die Juden‘, die entsprechende Aussagen Jesu prozesstaktisch verwenden (v. 1625). 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 129 1381-1393), außerdem das Bedürfnis, aus der Pilatus-Veronika-Legende bekannte Elemente der Vorgeschichte des Pilatus den Prinzipien des ordo naturalis gemäß unterzubringen. 384 Damit ist aber die spezifische Akzentsetzung in Christi Hort noch nicht zu erklären: Die Erläuterungen beginnen mit dem historiographischen Bestreben, die Verhältnisse zur Zeit der vergangenen Römerherrschaft darzulegen, als die römische Rechtsordnung in vielen Gebieten übernommen worden sei, so auch in Jerusalem (vv. 1327-1333). Dass es fursten sind, die das Recht aus Rom ,nehmen‘, deutet aber schon darauf hin, dass die damaligen Verhältnisse in die Zeit des Verfassers übersetzt werden. Dementsprechend ist der König Herodes, dem die Fürsten in Galiläa untergeben sind, als jemand gekennzeichnet, der leut und lant , scepter und chrône vom Kaiser empfangen hat und ihm untertan ist (vv. 1334-1342). 385 Pilatus (dessen Stand nicht benannt wird) hat sich die Feindschaft des Herodes dadurch zugezogen, dass er den Gerichtsbann 386 nicht von Herodes haben wollte, sondern ihn direkt vom Kaiser in Rom erhalten hat (vv. 1343-1348). 387 An späterer Stelle wird erklärt, dass Pilatus in Jerusalem Stadtrichter ist: Herodes was chunick uber daz lant; do was Pilatus rihtær da in der stat unt niht ander swa. (vv. 1740-1742) 384 Vgl. aber die Vorausdeutung auf die Versöhnung zwischen Pilatus und Herodes in vv. 1356-1366. Indem Pilatus dort (wie Herodes) als ‚böser Mensch‘ gekennzeichnet wird, erscheint die relativ positive Darstellung im Prozessteil von vornherein relativiert (vgl. dazu Mattig-Krampe 2001, S. 103). 385 Vgl. dazu Klibansky 1925, S. 23 f. Die im Text verwendeten Formeln verweisen auf das Prinzip der lant - Leihe (vgl. dazu, vor dem Hintergrund der neueren Forschungen zum Lehnswesen, Peters 2017, bes. S. 8-11). Dass Herodes König ist (vgl. Mc 6,14) und über Galiläa herrscht (Lc 3,1), sind Informationen, die in den kanonischen Evangelien gegeben werden. So könnte die Berufung auf die schrift (v. 1342) zu erklären sein. 386 Da hier für das Wort pan (v. 1346) als Bedeutung die „ berechtigung zu richterlichen functionen “ (BMZ, s. v. banne ) anzusetzen ist (vgl. auch MWB, s. v. ban ), ist nicht davon auszugehen, dass damit etwas grundsätzlich anderes gemeint sein soll als mit gerichte (v. 1345). Für die Doppelformel ,Bann und Gericht‘ vgl. das DRW (s. v. ,Bann‘) mit Belegen ab der Zeit um 1400. Möglicherweise soll die Doppelformel in Christi Hort darauf hindeuten, dass Pilatus auch der Blutbann verliehen wurde (zur Hochgerichtsbarkeit vgl. Lück 2012c), den Pilatus von Herodes hätte erwerben sollen. 387 Nur das Motiv, dass Pilatus hinter dem Rücken des Herodes nach Rom fährt, entspricht der Version der Historia apocrypha (Z. 52-59): Herodes ergo minor, filius Archelai, magni Herodes filii, princeps diebus illis Iudee et Ierusalem, ut audiuit hominis illius [sc. Pilatus, der die widerspenstigen Pontier als Richter bezwungen hat] industriam, uersuciis congaudens uersutus (utpote similia similibus congaudent) inuitauit eum muneribus et internunciis et tradidit ei partem et uicem suam super Iudeam et Ierusalem. Denique superhabundantibus ei diuiciis, Herode nescio Poncius Pilatus nauigio transfretauit et usque Romam perueniens oblata pecunia non numerabili a Tiberio imperatore Romano uicem dignitatis sue, quem tenuerat ab Herode, dolose reuersus obtinuit. („Als der ,Kleinere Herodes‘, Sohn des Archelaus, des Sohnes Herodes’ des Großen, in jenen Tagen Herrscher von Judaea und Jerusalem, von den Aktivitäten jenes Menschen gehört hatte, lud er - selbst verschlagen, aus Freude über dessen Verschlagenheit (Gleichartiges freut sich ja über Gleichartiges) - ihn durch Unterhändler, die Geschenke brachten, ein und übergab ihm die stellvertretende Teilherrschaft über Judaea und Jerusalem. Als Pontius Pilatus schließlich Reichtum im Überfluss hatte, überquerte er ohne Wissen des Herodes zu Schiff das Meer und, als er nach Rom gelangte, bot er eine ungeheure Menge Geld auf und hatte, listig [wieder nach Judaea] zurückgekehrt von Tiberius, dem römischen Kaiser, die Amtswürde inne, die er [zuvor] von Herodes übertragen bekommen hatte.“). - Eine Feindschaft zwischen Pilatus und Herodes wird in Lc 23,12 benannt, aber nicht erklärt. 130 3 Variationen der Rechtsthematik Es handelt sich bei dieser Wiederaufnahme des Motivs nicht um ein Anzeichen einer fehlenden Endredaktion, 388 vielmehr um eine Präzisierung des Verhältnisses zwischen Pilatus und Herodes. 389 Jerusalem wird über die reichsunmittelbare Gerichtsbarkeit indirekt der Status einer Reichsstadt zugestanden, und für zeitgenössische Rezipienten dürfte es plausibel gewesen sein, dass die rechtliche Selbstständigkeit gegenüber der Amtsgewalt des Herodes zu Konflikten führen konnte. 390 Da der Konflikt zwischen Pilatus und Herodes eine größere Prominenz erhält, als für den Handlungsverlauf nötig wäre, sind realhistorische Anspielungen nicht auszuschließen, 391 jedoch sind die Indizien im Text zu wenig spezifisch, als dass man einen solchen Bezug sichern könnte. Wichtig für die weitere Erzählung vom Prozess ist jedoch, dass Pilatus - entsprechend zu seiner Funktion als Statthalter in den kanonischen Evangelien 392 - in Christi Hort als Richter direkt dem Kaiser untersteht. Wenn ,die Juden‘ Pilatus mehrfach auf mögliche Konsequenzen für sein Verhältnis zum Kaiser hinweisen, 393 sind das also keine leeren Drohungen. Als Pilatus dann vom Kaiser später tatsächlich zur Rechenschaft gezogen wird, spielt die Bannleihe dabei keine Rolle, aber seine Bestrafung ist immerhin die Folge von unrecht gericht (v. 4062 im Erzählerkommentar) und ist innerhalb der zuvor geschilderten Machtverhältnisse nachvollziehbar. Die ,deutschrechtlich‘ ablaufende Verhandlung am Kaiserhof in Rom macht dann auch noch einmal deutlich, dass das Recht nur insofern ,römisch‘ ist, als die Gerichtsgewalt von Rom aus verliehen ist, nicht weil es etwa dem Corpus iuris civilis folgt. So beruft sich Vespasian bei seinem Urteil auch nicht auf ein Regelwerk, sondern auf die Rechtsordnung als Ganze (v. 5255). 394 Wie das Recht, das für den Prozess vor Pilatus ausschlaggebend ist, inhaltlich aussieht, ist (wie schon in den kanonischen Evangelien) offenbar nicht von Interesse. Es gibt aber einzelne Punkte, an denen eine eingehendere Beschäftigung mit rechtlichen Fragen erkennbar ist. So ist der Erzähler bemüht, die Passah-Amnestie zu erklären: Zum Osterfest ,der Juden‘ habe Pilatus jedes Jahr einen Gefangenen freigelassen, um die ehemals freien Juden zu ehren, das habe vor ihm kein richtær getan (vv. 1869-1873). 395 Hier scheint die Funktion 388 „Solche Unebenheiten der Darstellung erklären sich aus der Kompilation verschiedener Quellen; der Dichter ist nicht bis zu einer letzten, ausgleichenden Bearbeitung seines Werkes gelangt.“ (Stübinger 1922, S. 95). 389 Wenn Herodes sich in der ,Stadt‘ aufhält, als der Prozess gegen Jesus stattfindet (vv. 1731 f.; vgl. Lc 23,7), bedeutet das gleichzeitig, dass er sich im Gerichtsbezirk des Pilatus befindet. Dass Jesus aus Galiläa, also dem Gebiet des Herodes, stammt (vgl. Lc 23,6 f.), wird in Christi Hort nicht thematisiert, obwohl mit dem Personalitätsprinzip hätte gerechtfertigt werden können, warum Pilatus Jesus zu Herodes schickt. 390 Mattig-Krampe (2001, S. 117) erklärt die „Kompetenzverteilung zwischen Pilatus und Herodes“ als Irrtum des Verfassers hinsichtlich der historischen Verhältnisse. 391 Setzt man die österreichische Rechts- und Verfassungsgeschichte (vgl. dazu Weltin 1977) als Kontext an, so fällt auf, dass dort gerade gegen Ende des 13. Jahrhunderts Fragen virulent waren, die in Christi Hort berührt werden: Sie reichen von der Ausbreitung des Rechts zur Hochgerichtsbarkeit (vgl. ebd., S 388-391) bis zur Kompetenzverteilung zwischen Stadt- und Landrichter (vgl. ebd., S. 418-421). Außerdem hatten Österreich und die Steiermark 1282 ihre Reichsunmittelbarkeit verloren (vgl. ebd., S. 399). 392 Historisch war er Präfekt von Judäa (s. dazu u. S. 187, Anm. 49). 393 Vv. 1508 f.: la dir ez wesen swære / ob du hast mit dem chaiser phliht ; vv. 1660-1662; 1790. Vgl. auch vv. 1402-1404 und Pilatus’ Reaktion (vv. 1684-1688). 394 Zum vrôm recht s. auch o. S. 122, Anm. 351. 395 Nach Mattig-Krampe (2001, S. 114) ist die Quelle für diese Erklärung unklar. Vgl. aber Thomas von Aquin, Super Io. , cap. 18, l. 6, XII (2369): Sciendum est autem, quod hanc consuetudinem introduxit 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 131 des Pilatus als Herrscher durch, der Recht setzt und sich dann daran gebunden sieht. Erneut liegt dem Erzähler an einer historischen Herleitung der in seinen Quellen als Gewohnheit benannten Verhaltensweise (vgl. Mt 25; Mc 15,6; Io 18,39; Nikodemusevangelium , cap. IX 1 [7,1 (G / I)]), ohne dass der Kommentar für den Handlungsablauf funktionalisiert würde. Wie im Johannesevangelium (Io 18,31; vgl. Nikodemusevangelium , cap. IV 3) versucht Pilatus, den Fall an die jüdische Gerichtsbarkeit zu überweisen, die in Christi Hort - anders als in den Evangelien, wo Jesus auch Kaiphas vorgeführt wird - bis zu diesem Punkt der Handlung in keiner Weise an dem Verfahren beteiligt war: ‘nu tût im selbe des ir gert, nemt in unt riht nach ewer ê, als es an ewerm orden stê! ’ (vv. 1714-1716) ,Die Juden‘ lehnen das unter Verweis auf das Tötungsverbot der ê ab (vv. 1718-1722). 396 Obwohl bei diesem Verweis ein Rekurs auf das (mosaische) sechste Gebot mitschwingt, ist hier ê vor allem im Sinne der Regeln einer Gemeinschaft gebraucht, 397 genauso wie bei dem einleitenden Vorwurf der jüdischen Ankläger, dass Jesus ihre ê breche (v. 1409). Die alttestamentarische Dimension von ê wird innerhalb des Prozesses aber deutlich, wenn Jesus zu Pilatus sagt, dass Moses und die Propheten seine Passion und Auferstehung vorhergesagt hätten (vv. 1614-1621), und ,die Juden‘ daraufhin fordern, Pilatus solle ihnen nach der ê zu ihrem Recht verhelfen (vv. 1622-1626). Hier ist mit ê offenbar nicht eine Rechtsordnung gemeint, sondern ,die Juden‘ fordern in einem literalen Schriftverständnis, 398 dass Pilatus so richten solle, dass die Prophezeiungen der ê erfüllt würden. Nimmt man den Gesamttext in den Blick, ergibt sich, dass mit ê außerdem rituelle Komponenten des jüdischen religiösen Lebens bezeichnet werden können, wenn gesagt wird, dass Jesus nach der alten ê beschnitten wird (vv. 370 f.) oder dass Joseph ihn scho ͤ n nach der ê bestattet (v. 2165). Aber auch für christliche Riten wird das Wort gebraucht, denn es heißt, dass Joseph nach christen ê getauft wird (vv. 2426 f.). 399 Dass die ê , vor allem im Sinne der alttestamentarischen Bestimmungen, auf Gott zurückgeht, wird nicht herausgearbeitet. 400 Für Gott als ,Gesetzgeber‘ bzw. eher Inhaber der Befehlsgewalt zieht sich stattdessen eine andere semantische Linie durch den Text, nämlich Pilatus, vel alii praesides Romanorum, ob favorem populi. (zitiert nach Cai 1972 [1952]; „Man muss aber wissen, dass diesen Brauch Pilatus eingeführt hat oder andere Statthalter der Römer, um die Gunst des Volkes zu gewinnen.“). Zu den historischen Bezügen der Passah-Amnestie vgl. Strobel 1980, S. 118-131; Bammel 1984, S. 427 f. 396 Bezeichnenderweise wird bei dem den Prozess einleitenden Blasphemievorwurf (vv. 1405 f.) keine Berufung auf die ê vorgebracht, sondern es heißt nur: swer daz tût, daz hab wir wol, / daz man den dar um to ͤ ten shol. (vv. 1407 f.). Im Nikodemusevangelium (cap. IV 3) wird in Anlehnung an Lc 24,15 f.; Io 10,31-33 die Steinigung als Strafe für Blasphemie benannt. Dafür ist die Berufung auf das Tötungsverbot gestrichen; ,die Juden‘ weigern sich vielmehr deshalb, Jesus nach ihrem ,Gesetz‘ zu richten, weil sie ihn gekreuzigt sehen wollen (cap. IV 4). 397 Dazu passt auch der Gebrauch des Wortes orden , vgl. dazu BMZ, s. v.: „das gesetz, die regel, unter welcher eine klasse von menschen steht“. 398 Zu dem judenfeindlichen Topos, dass ,den Juden‘ ein tieferes Bibelverständnis verschlossen sei, vgl. (in Bezug auf den Österreichischen Bibelübersetzer) Niesner 2005, S. 163-171. 399 Daneben kommt ê mehrfach in der weitverbreiteten Bedeutung ,Ehebund‘ vor: Gott gibt Eva Adam zur Ehe (vv. 63-66). Jesus wird vorgeworfen, dass er von un ê geboren sei (vv. 1592 f.). 400 So wird in der Scheltrede des Pilatus (vv. 1665-1688), anders als an der entsprechenden Stelle im Nikodemusevangelium (cap. IX 2 [7,2 (G / I)]), nicht gesagt, dass Gott ,den Juden‘ ihr ,Gesetz‘ gegeben habe. 132 3 Variationen der Rechtsthematik die des Gebots: 401 Gott gebietet Adam und Eva bei ihrem Gehorsam ( ‘ich gepiut ew pi der gehorsam / […] ’ , v. 78), nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen. Sie vergessen jedoch Gotes gebot (v. 108) und werden deshalb von Gott verflucht (vv. 125; 131). Gehorsam gegenüber Gottes Gebot ist ein Ideal, das die Heiligen Drei Könige verwirklichen ( si waren gehorsam dı ͤ nem gebot , v. 418), dem Maria (v. 322) und der geheilte Tiberius (vv. 5020 f.) folgen wollen 402 und das auch das Ich der Gebete anstrebt (vv. 647-652). An dieser Stelle bezieht sich der Gehorsam darauf, den Namen Gottes zu ehren und der Welt zu entsagen. Vorbild dafür sind die Jünger, die um Jesu willen Entbehrungen auf sich genommen haben (vv. 638-642) und dafür auserwählt worden sind: du erwelts ûz aller der werlde gar, daz si waren sunderbar uber allez menschlich geslæht richter nach recht. (vv. 643-646) In Kombination mit dem Armutsmotiv dürfte es sich hier um eine Anspielung auf Mt 19,27 f. handeln, wonach die Jünger am Ende der Zeiten auf zwölf Thronen neben dem Menschensohn auf dem Thron der Herrlichkeit sitzen und die zwölf Stämme Israels richten werden. Der Gedanke wurde in der Auslegung mehrfach so interpretiert, dass die Apostel beim Jüngsten Gericht als Schöffen fungieren. 403 Dass das ,Richten nach Recht‘ sich tatsächlich auf das Jüngste Gericht bezieht, lässt sich textimmanent nachweisen, denn nachdem Jesus nach seiner Auferstehung den Jüngern ,geboten‘ und sie gebeten hat zu predigen (vv. 2818-2822), kündigen sie das Jüngste Gericht in einer Predigt folgendermaßen an: ‘ […] her wider am jungstem tag chûmt er ze richten nah rechte uber alles mensch geslæchte, uber lebentige unt uber tote.’ (vv. 2992-2995) Interessanterweise wird beim göttlichen Richten das Prinzip benannt, nach dem es erfolgt: nah rechte , ,so, wie es richtig ist‘. Zu vermuten ist dahinter in diesem Zusammenhang die Vorstellung einer Identität von ,Gott‘ und ,Recht‘, 404 sodass das Richten nah rechte nicht eine Unterordnung Gottes unter ihm wesensfremde Prinzipien bedeutet. Vor dieser Folie verliert auch Gottes Handeln nach der minne gebot (v. 326) etwas von dem provokativen Potenzial, wenn der Text auch die Vorstellung eines Kampfes der Minne mit Gott aufrechterhält. 401 Außer Gott ist es der Kaiser Tiberius, der ein gebot (v. 4448) ausspricht. Diese Parallele dürfte kein Zufall sein, denn auch Jesus wird vom Erzähler mit weltlichen Ehrentiteln bezeichnet, insbesondere dann, wenn sie mit der Niedrigkeit seines irdischen Lebens kontrastiert werden (vgl. z. B. vv. 345; 653-665; 1025; 2048 f.). Dass Columban Veronika zur gebieterinne über seine Habe machen will (vv. 4940 f.), stellt eine besondere Ehrung dar. Im Auftrag des Tiberius soll er ihr gewähren, swaz sie gepiete uber al mein reich (v. 5063). 402 Zu den Vorbildfiguren in der Pilatus-Veronika-Legende vgl. Knape 1985, S. 126. 403 Vgl. dazu Trauden (2000, S. 162 f.; 226 f.), der jedoch für die Weltgerichtsspiele betont, dass sich die Funktion der Apostel in der Regel auf die von Besitzern beschränke. 404 Vgl. aber auch die im Sachsenspiegel (Ldr. I 62,7) für den menschlichen Richter formulierte Forderung, Urteilsfragen nicht na sineme mutwillen , sondern na rechte zu stellen. Zu Gott als Letztbegründungsinstanz des Rechts s. u. Kap. 5.3. 3.3 Gundacker von Judenburg, Christi Hort 133 Dass am Jüngsten Tag alle vor Gottes Gericht erscheinen müssen, wird mehrfach im Text thematisiert (vgl. vv. 366-368; 4766-4770), 405 aber der Schwerpunkt liegt dabei auf der Gesamtheit der Menschen. Eine Verbindung zu den Gerichtsverhandlungen auf Erden wird nicht hergestellt. Auch sonst ist die Forderung, dem göttlichen Gebot zu folgen, nicht mit dem Handlungsverlauf verknüpft, bis auf eine Ausnahme: die Befragung von Karicius und Leucius. ,Die Juden‘ bitten sie um Gottes willen, und zwar pi der ê unt pi dem gebot (v. 3552), ihnen zu sagen, ob die Auferstehung wirklich stattgefunden habe. Als sie schweigen, mahnt sie Nikodemus bei der wære n minne bant , das sie an Gott bindet, und führt unterstützend an, dass sie doch sein Gebot achteten (vv. 3585-3592). Offenbar gehört es für ,die Juden‘ und für Nikodemus zum Befolgen von Gottes Gebot, dass man wahrheitsgemäß Auskunft gibt, vor allem, wenn man im Namen Gottes darum gebeten wird. Die Simeonsöhne haben jedoch von Jesus selbst ein Schweigegebot erhalten (vv. 3618-3620). Dass sie sich trotzdem zu einer (schriftlichen) Äußerung entschließen, also dem folgen, was die Menschen für Gottes Gebot halten, begründen sie damit, dass man sie in Gottes Namen so innig beschworen habe (vv. 3624 f.). 406 Dieser Schritt ist in der Vorlage vorgeprägt (vgl. Nikodemusevangelium , cap. XVIII 1) und erzähltechnisch notwendig. Zugleich klingt aber die Möglichkeit an, dass auch Menschen nach eigenem Ermessen nah rechte handeln können, wenn es darum geht, die Wahrheit als Augenzeuge zu bestätigen (vv. 3598-3600; vgl. v. 3559). 3.3.5 Heilsgeschichte als (rechts)ethische Anleitung Christi Hort bietet, was die Ausarbeitung rechtlicher Vorgänge und sich damit berührender Themen wie ,Wahrheit‘ angeht, ein gemischtes Bild. Einerseits sind gerichtliche Abläufe und rechtliche Termini für die Darstellung der Ereignisse von großer Relevanz, andererseits ist - anders als es die vorangegangene systematisierende Präsentation von Einzelaspekten vielleicht vermittelt - die Rechtsthematik im Text nicht dominant. 407 An einigen Stellen ist ein faktenorientiertes Detailinteresse erkennbar (so bei der Klärung des rechtlichen und persönlichen Verhältnisses zwischen Pilatus und Herodes oder beim Prozedere der Verurteilung von Pilatus), an anderen tritt es in den Hintergrund (z. B. bei den kurz abgehandelten Zeugenaussagen zugunsten Jesu), dafür werden Fragen der persönlichen Verantwortung wichtig. Der Befund lässt sich übergeordneten Textstrategien zuordnen: So verleihen die rechtlichen Details den Geschehnissen Glaubwürdigkeit, gerade was die Feststellung der Wahrheit von irdischen Vorgängen, aber auch von Heilsgewissheiten (etwa durch formalisierte Zeugenbefragung) angeht, wobei die Plausibilisierung des Vergangenen erfolgt, indem es an die Gegenwart anschlussfähig gemacht wird. Auf diese Weise tragen die rechtlichen Details zur historiographischen Stoßrichtung des Textes bei, die ihrerseits kein Selbstzweck ist, sondern dazu dient, die Heilswahrheit greifbar zu machen und abzusichern, indem etwa die Quellen offengelegt werden - auf der Figurenebene ebenso wie auf der der erzählerischen Vermittlung. Überlagert wird die historiographische Komponente noch von einer Strategie, das Heilsgeschehen auf die eigene Lebensführung zu beziehen. 405 Aufschlussreich für diese Tendenz ist die Aufnahme des Verweises auf das Jüngste Gericht in die Predigt der Jünger (vv. 2969-2995), denn der explizite Bezug auf das Jüngste Gericht findet sich nicht in der Pfingstpredigt des Petrus (Act 2,14-36), an die die Passage in Christi Hort angelehnt ist. 406 Sie bitten Christus darum, dass er seinen Zorn darüber mäßigen möge (v. 3626). 407 Manche im Plot angelegten Aspekte, wie das vermeintliche ,Recht‘ des Teufels auf Jesus nach dessen Tod, sind gar nicht ausgearbeitet. 134 3 Variationen der Rechtsthematik Neben den predigtartigen Einlassungen des Erzählers, 408 die eine explizite didaktische Funktion haben, leitet der Text von Beginn an auch zur eigenen Prüfung an. Im Prolog heißt es: swer sich selben an sicht, der spot furpaz nicht mêre; im git gewis lere sein selbs gewizzen. wie er sich hat gevlizen paidiu ouf ubel unt ouf gût, diu gewizen im daz chûnt tût. (vv. 220-226) Im Gebetsteil werden Übertragungen des Erzählten auf das eigene Leben eingeübt, wenn das Sprecher-Ich zum Beispiel beklagt, dass es wie Judas Jesu Körper zugunsten der Welt verkauft habe und sündig zur Kommunion gegangen sei, weshalb sein Gewissen beschwert sei (vv. 1128-1152). Während hier die Zeitebenen getrennt werden (dem vergangenen Verrat des Judas steht das entsprechende Verhalten ,heute‘ gegenüber, vgl. v. 1128), erscheint das Ich, dessen Reflexionen in die Erzählung von Jesu Leiden am Kreuz eingeflochten sind, unmittelbar involviert. Das Kreuzeswort ‘consummatum est’ (v. 2055) ist Anlass dafür, zu erläutern, was dieses Ich empfindet, wenn es die Worte in der Karfreitagslesung hört: Quälend wird ihm bewusst, dass es nicht vollendet hat, was es ,billigerweise‘ hätte machen sollen, dem pilde 409 seines Herren folgend, dessen Antlitz durch diese Verfehlung verunstaltet worden sei (vv. 2056-2063). Eine solche Auslegung geht weit über eine moraldidaktische Aneignung des Geschehens hinaus, aber sie zeigt, dass auch das Passionsgeschehen auf das eigene Leben bezogen werden kann und soll. Liest man vor dem Hintergrund der geforderten Gewissensprüfung etwa die Aussage Jesu, dass jeder Mensch Entscheidungsgewalt darüber habe, Gutes oder Böses zu sagen (vv. 1586-1588), dann gewinnen die Worte einen Sinn, der den Handlungszusammenhang übersteigt. Die ausgiebige textinterne Diskussion über die Verantwortung ,der Juden‘ und Pilatus am Tode Jesu lässt es für die Rezipienten unzweifelhaft werden, was schlecht ist. Dabei verändert sich im Laufe des Textes der Blick auf Pilatus: Während bei der Schilderung des Prozesses gegen Jesus seine Bemühungen um dessen Freilassung gewürdigt werden und auch die heilsgeschichtliche Notwendigkeit seines Handelns thematisiert wird (v. 1614), ist rückblickend nur das Resultat seiner Entscheidung relevant. Sein Fehlverhalten wird von einem weltlichen Gericht bestraft, aber auch seine Seele wird nicht zu retten sein (vv. 5292-5294). Dass allen, die nicht nach Gottes Gebot leben, die Verdammnis droht, wird bei der Erzählung von der Höllenfahrt Jesu demonstriert, wenn ausdrücklich gesagt wird, dass Jesus nur diejenigen hinausführt, die seinen Willen getan haben, die anderen jedoch dort lässt (vv. 2261-2264). Eine entsprechende Sortierung erfolgt beim Jüngsten Gericht, das im Text immer wieder aufgerufen wird. Wie das Beispiel des Pilatus zeigt, dessen Richter-Sein prominent herausgestellt ist und dessen Bestrafung den letzten Teil des Werks dominiert, sodass die der mitschuldigen ‚Juden‘ eher im Hintergrund bleibt, kann unrechtes Richten zur Verdammnis führen. Insofern hat Christi Hort auch eine rechtsethische Komponente. 408 S. dazu o. S. 106. 409 pilde ist hier sowohl als ,Vorbild‘ als auch als ,Gestalt‘ zu interpretieren (zum Bedeutungsspektrum vgl. MWB, s. v. bilde ). 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 135 Sie gewinnt dadurch, dass - in einzelnen Aspekten - der Prozess gegen Jesus und deutlicher noch der gegen Pilatus an die Gepflogenheiten der zeitgenössischen Rechtspraxis angeglichen ist, an besonderer Unmittelbarkeit. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 3.4.1 Entstehungsumfeld und Textgrundlage Die Autorschaft Heinrichs von Hesler ist für das Evangelium Nicodemi 410 nicht durch eine werkinterne Angabe gesichert: Das Autor-Ich, das den Heiligen Geist um Beistand für sein Werk anruft (vv. 301-361) und die Rezipienten bittet, für sein Seelenheil zu beten (vv. 362-367), bleibt namenlos. Aufgrund sprachlicher und stilistischer Kriterien hat man das Werk jedoch Heinrich von Hesler zugesprochen, 411 dessen Name sich in einem deutschsprachigen Apokalypsekommentar ( Apokalypse ) 412 und in einem - seit der Veröffentlichung des Wolfenbütteler Fragments 1888 - in der Forschung als Erlösung bezeichneten Werk findet. 413 In allen drei Werken ist eine idiosynkratische Verrechtlichung der Heilsgeschichte zu beobachten, die es zusätzlich plausibel macht, dass sie von ein und demselben Verfasser stammen. 414 Auf dieser Grundlage scheint es gerechtfertigt, Indizien zu Schaffenszeit und -raum des Verfassers und seinem Bildungshintergrund aus allen drei Werken zusammenzutragen bzw. die an der Apokalypse gewonnenen Erkenntnisse für das Evangelium Nicodemi fruchtbar zu machen. 410 Wenn nicht anders angegeben, wird der Text nach der Ausgabe von Helm (1902) zitiert. 411 Vgl. Amersbach 1883; de Boor 1925, bes. S. 144. 412 Heinrich heiz ich mins rechten namen, / Hesler ist min hus genant (vv. 154 f.). Der Apokalypsekommentar wird nach der Ausgabe von Helm (1907) zitiert; zur Überlieferung vgl. Klein 2014. Ehrich (2010, S. 153) bringt den Befund der im Evangelium Nicodemi fehlenden Autorsignatur in Verbindung mit der Textgattung: Im Vergleich mit dem Apokalypsekommentar habe die paraphrasierende Nacherzählung des Nikodemusevangeliums einen geringeren Legitimationsbedarf. Der Vergleich der Autorstilisierung in den beiden Werken ist weiterführend, aber zu bedenken ist zum einen, dass auch das Evangelium Nicodemi einen exegetischen Anspruch hat, zum anderen, dass vergleichbare Werke wie Diu urstende und Christi Hort durchaus Namenssignaturen enthalten. 413 Vgl. von Heinemann 1888, S. 111-117 (Abdruck der Fragmente Wolfenbüttel, HAB, Cod. 404.9 (13) Novi (W13) und Cod. 404.9 (19) Novi (W19)), hier S. 116. Zur Frage, ob der Titel angemessen ist, vgl. Wiedmer 1977, S. 122-124; Mentzel-Reuters 2014, S. 60-63. Für eine Edition aller bekannten Textzeugen vgl. Mentzel-Reuters 2013. Die Namensnennung erfolgt in vv. 59-61: Vnde die werden irkennen mich / vnde wizzen daz ich Heinrich / von Hasiliere bin genant . - Mentzel-Reuters (2013; 2014) hat die These aufgestellt, dass „die ‘Erlösung’ benannten Verse nicht der beklagenswerte Rest eines eigenständigen, ansonsten aber verlorenen Werkes darstellen, sondern Bestandteil einer autornahen Langversion des ‘Evangelium Nicodemi’ waren“; vermutlich seien die Verse aus dessen Prolog ausgegliedert worden (2013, S. 74). Seine Vorannahme, dass vv. 1-289 (bzw. 290) des Evangelium Nicodemi nicht dem Beginn des Werks zuzuordnen seien (vgl. 2014, S. 63 f.), ist jedoch wenig überzeugend (s. dazu u. S. 143), weshalb auch seine darauf aufbauenden Schlüsse hier nicht übernommen sind. 414 Zu den gedanklichen Entsprechungen vgl. Wiedmer 1977, der einleitend (S. 11-20) die These Schumanns (1912, S. 58-66), dass das Evangelium Nicodemi Heinrich von Hesler abzusprechen sei, mit überzeugenden Argumenten widerlegt. Neben den gedanklichen gibt es auch wörtliche Parallelen zwischen dem Evangelium Nicodemi und der Apokalypse sowie dem Evangelium Nicodemi und der Erlösung (vgl. Mentzel-Reuters 2014, S. 60, und s. dazu z. B. u. S. 171, Anm. 633; S. 172, Anm. 637). Sie können eine gemeinsame Verfasserschaft nicht zwingend beweisen, haben aber auch keine pointierte intertextuelle Funktion, die die Übereinstimmungen anderweitig erklären würde. Zum Forschungsstand hinsichtlich der Verfasseridentität vgl. auch Ehrich 2012, S. 14 f. 136 3 Variationen der Rechtsthematik Während sich aus dem Apokalypse -Text lediglich ableiten lässt, dass er vor 1309 entstanden sein dürfte, 415 deutet die Überlieferung aller drei Werke auf ein Wirken Heinrichs von Hesler bereits im 13. Jahrhundert hin: 416 Der älteste Überlieferungszeuge für das Evangelium Nicodemi (M) wird ins ausgehende 13. Jahrhundert datiert, 417 ebenso wie die Erlanger Fragmente der Erlösung (E). 418 Für ein Fragment der Apokalypse (Se) ist von Karin Schneider im Jahr 2000 sogar eine Datierung in die 60er Jahre des 13. Jahrhunderts vorgeschlagen worden. 419 Diese Datierung der Fragmente hat die Annahmen hinsichtlich des zuvor für die Zeit um 1300 angenommenen Schaffenszeitraums Heinrichs von Hesler 420 entscheidend verändert und neue Perspektiven auf die von Heinrich eventuell benutzten Quellen und seine literarhistorische Stellung eröffnet. 421 Wenn Heinrich von Hesler kurz nach der Mitte des 13. Jahrhundert literarisch tätig war, ist es zudem möglich, ihn mit einem Heinricus de Heseler zu identifizieren, der in Urkunden des Naumburger Bischofs aus dem Zeitraum von 1277 bis 1287 als Schultheiß (von Naumburg) aufgeführt ist. 422 Dann hätte er für das Hochstift die niedere Gerichtsbarkeit ausgeübt, 423 wäre also mit rechtlichen Abläufen vertraut gewesen. So passend ein solches Amt für Heinrich von Hesler angesichts des in seinen Werken zu beobachtenden Interesses an Rechtsfragen erscheint, die Identifizierung des Autors mit Heinricus de Heseler ist nicht zu beweisen. Es lassen sich aber zumindest Indizien für die im Hinblick auf eine solche Identifizierung notwendigen Voraussetzungen finden: Heinrichs Wirken in Thüringen und sein vermutlicher Laienstand. Zwar war bereits im 19. Jahrhundert in Betracht gezogen worden, dass das hus Hesler auf den Sitz des im ca. 15 km von Naumburg entfernten Burgheßler 415 Vgl. Honemann (2008 [2000], S. 52) dazu, dass Verweise auf die Verlegung der päpstlichen Hofhaltung nach Avignon fehlen. Helm (1899, S. 141 f.; 1902, S. XXXI f.) wollte für das Evangelium Nicodemi aus der Übereinstimmung von v. 4692 ( Man furte sie vor an seilen ) mit einem Vers im zweiten Gedicht des ,Seifried Helbling‘ auf 1292 / 94 als terminus post quem schließen, aber dafür ist die Materialbasis zu gering (vgl. dazu Honemann ebd. mit anderen Gegenargumenten). 416 Die relative Chronologie seiner Werke ist unklar. Vgl. dazu Honemann 2008 (2000), S. 53 mit einer Zusammenfassung der Forschungsdiskussion. 417 München, BSB, Cgm 5249 / 55b (vgl. den Eintrag im Handschriftencensus ). Vgl. dazu Schneider 2005, S. 99: „paläographisch als kaum später als ins 4. V. / Ende 13. Jh. datierbar“. Vgl. auch Schneider 1996, S. 88. Malm (2011, Sp. 953) gibt die Entstehungszeit des Evangelium Nicodemi hingegen mit „um 1300-05“ an. 418 Zur Datierung vgl. Pültz 1973, S. 17; Mentzel-Reuters 2013, S. 77. 419 Colmar, Archives Départementales du Haut-Rhin, Fragments de Ms. no. 332 (früher Sennheim, Stadtarchiv, G. G. 1537). Zur Datierung vgl. Ehrich 2010, S. 11; Klein 2014, S. 129. 420 Vgl. Masser 1981, Sp. 750. 421 Vgl. dazu Honemann 2008 (2000), S. 53; 2008 (2003), S. 85 f.; Schmolinsky 2009; Ferrari 2011, S. 474 f.; Klein 2014, S. 133; Mentzel-Reuters 2014, S. 43; 63. 422 Vgl. Honemann 2008 (2003), S. 85. Die Urkunden sind verzeichnet in Schulze 2000, Nr. 448 (1277); 453 (1277); 466 (1278); 515 (1283); 579 (1287); 582 (1287). Die Angabe in der Urkunde Nr. 303 aus dem Jahr 1259 ( Heinricus scultetus ) ist zu wenig spezifisch, um eine Zuordnung zur genannten Person zu ermöglichen. Die Ortsangabe ,Naumburg‘ findet sich erst in der Urkunde von 1283, vor 1283 ist auch das Amt des scultetus von Naumburg nicht belegt; es ist jedoch nicht anzunehmen, dass es dann erst geschaffen wurde (vgl. Hoffmann 1901, S. 17, Anm. 3). Der Schultheiß Heinricus de Heseler tritt in den Urkunden meist als Zeuge in Erscheinung, einmal jedoch auch als ehemaliger Besitzer einer Wiese (Nr. 515). Masser (1976, S. 123) hatte eine Identifizierung des Schultheißen mit dem Autor Heinrich von Hesler aus chronologischen Gründen zurückgewiesen. Nach heutigen Erkenntnissen ist jedoch nur die Identifizierung mit dem 1341 / 42 als „Propst und Komtur der Deutschordenskommende Zschillen bei Rochlitz“ belegten Heinrich von Hesler ausgeschlossen (vgl. Honemann 2008 [2000], S. 53 f.). 423 Zu den gerichtlichen Zuständigkeiten vgl. Wiessner 1997, S. 240. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 137 ansässigen Geschlechts der Herren von Hesler verweisen könnte, 424 jedoch schien der aus der Überlieferung rekonstruierte Sprachstand der Dichtungen nicht diesem Wirkungsort zu entsprechen, sodass man annahm, dass Heinrich von Hesler im Deutschordensland tätig gewesen sei. 425 Da die niederdeutschen Elemente in der Sprache Heinrichs von Heslers 426 aber mittlerweile als typisch für das nördlichste Thüringisch erkannt worden sind, 427 spricht nichts dagegen, dass Heinrich von Hesler in diesem Raum gewirkt hat. 428 Damit steht die Aussage des Autor-Ich der Apokalypse im Einklang, dass es für seine Übersetzung einer bestimmten Stelle zu Nebre (v. 16 471) getadelt worden sei. 429 Aus Selbstaussagen in der Apokalypse hat man außerdem geschlossen, dass Heinrich dem Laienstand angehörte: Zum einen bezeichnet sich das Autor-Ich dort als nothaften rittere (v. 16 480), 430 zum anderen grenzt es sich selbstbewusst vom geistlichen Stand ab (vv. 6613-6656; 13 095-13 099). 431 Die Aussagen mögen genauso dem jeweiligen Argumentationszweck geschuldet sein 432 wie die Kritik an geistlichen und weltlichen Eliten im Evangelium Nicodemi (vv. 4856-4954). 433 Auch die in der Apokalypse skizzierte Situation eines höfischen Literaturvortrags (vv. 3699-3720) 434 lässt keine sicheren Rückschlüsse darauf zu, dass der Verfasser der anvisierten Rezipientenschicht angehörte. 435 Doch könnte die Argumentation, dass das Autor-Ich bei dem gewagten Unternehmen, einen Apokalypsekommentar auf Deutsch abzufassen, nur der ,Schreiber‘ Gottes sei (vv. 755-802), 436 auf einen Legitimationsbedarf hindeuten, der vielleicht nicht allein mit der Sprachwahl, sondern auch mit dem Status des Autors zu tun hat. 437 424 Vgl. skeptisch dazu Helm 1899, 165-168. Das Wort hus wird in der Regel auf ein konkretes Gebäude bezogen (vgl. Honemann 2008 [2000], S. 50 f.), könnte aber auch die Familie meinen (vgl. BMZ; L exer , s. v.). 425 Vgl. zur Forschungsgeschichte Honemann 2008 (2000), S. 51. Die Zugehörigkeit von Heinrichs Werken, insbesondere der Apokalypse , zur Literatur im Deutschen Orden, ist mittlerweile als Rezeptionsphänomen erkannt worden (vgl. Honemann ebd., S. 55 f.: Ehrich 2010, S. 12; Klein 2014, S. 133). Zur Rezeption von Bibeldichtung im Deutschen Orden vgl. Löser 2008. 426 Vgl. dazu Helm / Ziesemer 1951, S. 86-88. 427 Vgl. Honemann 2008 (2000), S. 51, Anm. 13 mit weiterer Literatur. Das weitgehende Fehlen deutlich thüringischer Züge (vgl. ebd., S. 51) wäre vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse zu mitteldeutschniederdeutschen Mischsprachen (vgl. dazu z. B. Klein 2003) noch einmal neu zu diskutieren. Eine umfassende sprachliche Analyse kann hier jedoch nicht geleistet werden. 428 So auch Mentzel-Reuters 2014, S. 44. 429 Zur Identifizierung des Ortes mit Nebra bei Memleben vgl. Honemann 2008 (2000), S. 50; zur Interpretation der Stelle vgl. Honemann ebd., S. 71 f.; Ehrich 2010, S. 13; 47-52 (mit weiterer Literatur). 430 Das Wort nothaft könnte situationsbezogen sein (vgl. dazu Helm 1902, S. LXXXII; Mentzel-Reuters 2014, S. 44). 431 Vgl. Ehrich (2010, S. 14) mit einem Überblick zur Forschungsdiskussion darüber, wie wörtlich diese Angaben aufzufassen seien. 432 An mehreren Stellen geht es darum nachzuweisen, dass Geistliche nicht automatisch einen privilegierten Zugang zu Gott haben und dass das Leben eines Laien auch gottgefällig sein kann (vv. 6511-6734; 12 899-13 138). 433 Dort werden Laien und Geistliche ( ir leien und ir phaffen , v. 4859) gleichermaßen angesprochen. 434 Vgl. dazu Honemann 2008 (2003), S. 87 f. 435 Konkretisierende Interpretationen der genannten Stellen sind mit Vorsicht zu betrachten. Masser (1981, Sp. 750) konstruiert aus den verschiedenen Angaben einen „kleinen, in materiell bescheidenen Verhältnissen lebenden Ritter“. 436 Vgl. dazu Honemann (2008 [2000], S. 71), der auf Parallelen zu Mechthild von Magdeburg hinweist. 437 Ehrich (2010, S. 90-92) wertet auch die Berufung auf das Alte Testament und die Kirchenväter in der Apokalypse (vv. 17 834-17 839; 17 847-17 856) als Vorsichtsmaßnahme eines Laien. Ähnlich Mentzel- Reuters 2014, S. 44 f. 138 3 Variationen der Rechtsthematik Allerdings spricht das Autor-Ich der Apokalypse als Wissender - und Lateinkundiger - zu einem weniger gebildeten Publikum. 438 Die Bildung des Verfassers zeigt sich auch an den von ihm verwendeten Quellen, deren Zahl weit über die von ihm selbst genannten Apokalypsekommentare von Beda Venerabilis und Ambrosius Autpertus hinausgeht: 439 Insgesamt erscheint Heinrichs Apokalypse so als eine compilatio aus den wichtigsten Apokalypsekommentaren und theologischer Grundlagenliteratur des frühen und hohen Mittelalters, die aber deutlich eigene Akzente setzt und nicht nach der Art der scholastischen Wissenschaft seiner Zeit, sondern weit eher nach der ‘Mönchstheologie’ des 12. Jahrhunderts gearbeitet ist. Die sehr intensive und reiche Quellenbenützung, von der Heinrich selbst spricht [sc. vv. 1303-1307], macht im übrigen den Zugang zu einer guten Bibliothek zur Voraussetzung für Heinrichs Arbeit; zugleich aber stellt sich mit ihr die Frage nach seiner Ausbildung und seinem Bildungsstand noch zwingender. 440 Mit Naumburg als Domstadt, dem Stift Zeitz, der Bischofsstadt Merseburg und dem Zisterzienserkloster (Schul-)Pforta müssen in erreichbarer Nähe von Burgheßler und Nebra gute Bibliotheksbedingungen vorhanden gewesen sein, 441 doch wer hatte zu den Bibliotheken Zugang? Wenn Heinrich von Hesler tatsächlich ein ,Laie‘ war - worauf der Gesamtbefund hindeutet -, 442 dürfte er auf jeden Fall zu jener Gruppe lateingebildeter Laien gehört haben, deren Existenz im Spätmittelalter die Grenzen zwischen clerici litterati und laici illitterati verwischen ließ. 443 Für die Interpretation des Evangelium Nicodemi ist der Bildungshintergrund Heinrichs von Hesler insofern von Bedeutung, als die Erzählung von Passionsgeschichte, Höllenfahrt Jesu und der Pilatus-Veronika-Legende dort in ein umfassendes Erklärungsmodell zu 438 Vgl. Honemann 2008 (2003), S. 87, Anm. 4. Das Autor-Ich wendet sich jedoch auch an die wisen , die die Lehre den tummen weitergeben sollen (vv. 1273 f.). - Im Evangelium Nicodemi sind Rezipienten ohne Lateinkenntnisse anvisiert, denn lateinische Einsprengsel werden durchgehend übersetzt (vgl. z. B. vv. 3514-3523), selbst wenn sie in Figurenreden vorkommen (vgl. vv. 3484-3487). 439 Vgl. Honemann 2008 (2000), S. 76. 440 Honemann 2008 (2000), S. 77. Ehrich (2010, S. 46-53) charakterisiert die Apokalypse als ,traditionsbewussten Kommentar eines selbstbewussten Exegeten‘ (S. 46). 441 Vgl. Honemann (2008 [2000], S. 54), dem darin zuzustimmen ist, dass diese Situation ein zusätzliches Argument für die Lokalisierung der Tätigkeit Heinrichs von Hesler in Thüringen ist. Ein Abgleich der Informationen über die Bibliotheksbestände mit den von Heinrich benutzen Quellen steht jedoch noch aus (vgl. Honemann ebd., S. 55, Anm. 22). Für Mitglieder der Ministerialienfamilie von Hesler sind 1239 wirtschaftliche Kontakte zum Kloster Pforta nachweisbar (vgl. Mentzel-Reuters 2014, S. 44, mit weiterer Literatur). Ob Mitglieder der Familie im 13. Jahrhundert auch das (1318 erstmals urkundlich nachgewiesene) Zisterzienserinnenkloster Klosterhäseler gegründet haben (so Mentzel-Reuters ebd.), ist unsicher (vgl. Neuß 1987, S. 242 f.). 442 Vgl. aber Ehrich (2010, S. 155) zur Möglichkeit eines ,Klerikers im Laienpelz‘. Auch Mentzel-Reuters (2014, S. 44) schließt eine geistliche Position nicht aus, erwägt aber als Alternative, dass ein geistlicher Mentor Heinrich Zugang zu lateinischen Handschriften gewährt haben könnte. Bei aller Stilisierung von Autorrollen ist zu bedenken, dass mit dem Autornamen eine außertextuelle Referenz gegeben ist, sodass das Spiel mit Rollen - jedenfalls gegenüber den ersten Rezipienten - nicht frei von Vorgaben war. 443 Vgl. dazu Schreiner 1992. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 139 Sündenfall und Erlösung eingebunden ist. 444 Welche theologischen Quellen benutzt sind 445 bzw. in welches geistige Umfeld sich das Konzept einordnen lässt, ist nicht abschließend geklärt. 446 Peter Wiedmers (1977) These, dass Heinrich von Hesler maßgeblich von Bonaventura beeinflusst worden sei, 447 ist sowohl inhaltlich als auch aus chronologischen Gründen neu zu diskutieren. 448 Es ließ sich aber mit dem Konzept der necessitas immutabilitatis eine Nähe zu scholastischem Gedankengut feststellen, 449 sodass zu fragen ist, ob das Fehlen einer scholastischen Methode wirklich mit dem Bildungsstand des Autors oder - zumindest beim Evangelium Nicodemi - nicht eher mit der Textgattung zu tun hat. Das Evangelium Nicodemi teilt die Traktatbzw. Predigthaftigkeit in den diskursiven Passagen mit vielen Werken der spätmittelalterlichen Frömmigkeitsliteratur. 450 Auch inhaltlich bestehen Parallelen; als Beispiel sei nur der Auslegungsexkurs zum Kreuzeswort „Eli / lamasabatani! “ (vv. 1927 f.) genannt (vv. 1929-2178), 451 in dem nicht nur darauf verwiesen wird, dass Jesus den Beginn des 21. Psalms (nach der Zählung der Vulgata ) ausspricht (vv. 2035-2044), 452 sondern er genau nach der Fassung der Septuaginta übersetzt wird. 453 Im Kontext der Stelle geht es vor allem um die Erfüllung der schrift (vgl. z. B. v. 2028), nicht um ein Psalmengebet Jesu, aber die Passage ist auch in dem Kontext zu sehen, dass der Einschub respice me in der Passionsliteratur meist dann zitiert wird, wenn ausgedrückt werden soll, dass Jesus am Kreuz Psalmen gebetet habe. 454 Der differenzierte Umgang mit dem Wortlaut des Kreuzeswortes deutet darauf hin, dass Heinrich von Hesler mit solchen Überlegungen vertraut war. Mit größerer Eindeutigkeit sind die Quellen für den Ablauf der Erzählung zu bestimmen. Die Kombination der Erzählkomplexe , Nikodemusevangelium ‘ und ,Pilatus-Veronika-Legende‘ hat Heinrich von Hesler vermutlich bereits aus seiner Vorlage übernommen, in der das Nikodemusevangelium und die Cura sanitatis Tiberii als Texteinheit vorgelegen haben 444 Vgl. dazu grundlegend Wiedmer (1977), der die diskursiven Partien des Textes herausgegriffen hat und durch eine Analyse solcher Passagen in allen drei Werken Heinrichs von Hesler „das heilsgeschichtliche Denken dieses Dichters […] verstehen und würdigen“ will. Dementsprechend diskutiert er nicht, wie sich die Diskurszur Narrationsebene der Texte verhält. Vgl. dazu (für das Evangelium Nicodemi ) Manuwald 2014. 445 Vgl. dazu bereits Helm 1899, S. 134 f. 446 Da im Evangelium Nicodemi theologische Literatur nicht direkt zitiert wird, dürfte es schwierig sein, Bezüge definitiv auszumachen. 447 Vgl. Wiedmer 1977, S. 148. 448 Vgl. Honemann 2008 (2000), S. 75. 449 Vgl. Manuwald 2014, S. 667 f. Näher zu untersuchen wäre auch die Auffassung der Taufe im Evangelium Nicodemi , wie sie sowohl in Figurenreden als auch in Erzählerreden entwickelt wird. Die Taufe Jesu wird als Überwindung der Erbsünde begriffen (vv. 2808-2828; 2974-2989), sodass der Taufe allgemein die Kraft zugesprochen wird, die Erbsünde abzuwaschen: Am Jüngsten Tag müssten auch die ,guten‘ Auferstandenen im Jordan im Geist getauft werden, um von der Erbsünde gereinigt zu werden (vv. 3713-3723). Zur scholastischen Diskussion darüber, ob die Taufe die Erbsünde vollständig abwaschen kann, vgl. Köster 1979, S. 186-191. 450 Helm / Ziesemer (1951, S. 77) vermuten vor allem Predigten als Quelle für das theologische Wissen Heinrichs von Hesler. 451 Vgl. dazu Wiedmer 1977, S. 67-73. Zur Frage der Echtheit s. u. S. 143 f. 452 Mit Helm (1902, S. 241) ist der Lesart der Schweriner Handschrift S (s. u. S. 142, Anm. 474) der Vorzug zu geben: S liest in v. 2038 Nach dem anstatt an dem zwenzigisten psalmen (im Ausgabentext). 453 „Min got, min got, sih mich ane! / Durch waz hastu mich vorlazen? “ (vv. 2092 f.) als Entsprechung zu Deus, deus meus: respice me: quare me dereliquisti (vgl. dazu Kemper 2006, S. 379). 454 Vgl. Kemper 2006, S. 376-388. 140 3 Variationen der Rechtsthematik dürften. 455 Weil die lateinische Vorlage streckenweise recht genau übersetzt wird, ließen sich die jeweiligen Textredaktionen identifizieren: die Rezension Lateinisch A des Nikodemusevangeliums und die B-Fassung der Cura sanitatis Tiberii . 456 Allerdings finden sich in beiden Textteilen auch Ergänzungen des Handlungsablaufes: Für den auf dem Nikodemusevangelium beruhenden Teil ist zusätzlich auf die kanonischen Evangelien zurückgegriffen worden; 457 bei der Pilatus-Veronika-Legende ist die Cura sanitatis Tiberii offensichtlich mit der Historia apocrypha der Legenda aurea 458 kompiliert, sodass es zu einer Verdoppelung der Boten von Tiberius gekommen ist. 459 Einzelne Züge der Pilatus-Veronika-Legende sind außerdem wohl aus der Sächsischen Weltchronik übernommen, die hinter der konige buchen (v. 4718) zu vermuten ist, die in der das Werk beschließenden judenfeindlichen Invektive ausdrücklich als Quelle benannt sind. 460 Inwieweit Heinrich von Hesler die Kompilation der Quellen selbst vorgenommen hat, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. 461 Jedenfalls lässt sich als durchgehend dominierendes Prinzip bei der Kompilation beobachten, dass das Vorgefundene möglichst bewahrt wird (so wie bei der Verdoppelung der Boten), selbst wenn auf diese Weise inhaltliche Spannungen entstehen: Die Gefangennahme Jesu (vv. 600-623; 710 f.) nach den kanonischen Evangelien wird mit seiner Vorladung (vv. 767-918) nach dem Nikodemusevangelium kombiniert; 462 Tiberius ist durch den schriftlichen Bericht des Pilatus eigentlich schon über das Schicksal Jesu informiert und reagiert zornig (vv. 3824-3855), bricht aber erst in Klagen aus, als seine Boten ihm davon berichten (vv. 4468-4471); 463 oder: Veronika lässt, nachdem sie zunächst das Bildnis Jesu für Geld nicht hat hergeben wollen (vv. 4438-4443), es dann doch in Rom und wird vom Kaiser für ihre Reise entlohnt (vv. 4521-4529). 464 Die bewahrende Grund- 455 Zu dieser Fassung, die durch zahlreiche lateinische Handschriften und vier deutsche Übersetzungen repräsentiert ist, vgl. Hoffmann 1997a, S. 298, mit Verweis auf von Dobschütz 1899, S. 157*-203*. 456 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 298. 457 Außerdem ist die Stelle des Nikodemusevangeliums (cap. XXV), in der Elias und Enoch das Kommen des Antichrists prophezeien, offenbar mit weiterem Quellenmaterial ausgestaltet worden, denn es wird auch das Wirken des Antichrists kurz skizziert (vv. 3582-3632). Zu den für Antichrist-Passagen in der Apokalypse herangezogenen Quellen vgl. Ehrich 2010, S. 63-109. Das Evangelium Nicodemi (vv. 3617-3627) teilt mit der Apokalypse (vv. 19 777-19 779) die Besonderheit, dass der Antichrist in der Tiefebene Josaphat das gebot erlässt, dass man ihn anbeten solle. 458 S. dazu o. S. 102, Anm. 228. 459 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 297 f. Dass Tiberius nach Volusian auch noch Alban ausschickt, wird damit erklärt, dass er von dem (von ungünstigen Winden verschlagenen) Volusian nichts mehr gehört habe (vv. 4226-4234). 460 Vgl. Helm 1899, S. 568 f.; 1902, S. XXX f.; Hoffmann 1997a, S. 298. - Zum judenfeindlichen Schlussexkurs vgl. (jeweils ohne Bezug auf das Gesamtwerk) Schreckenberg 1994, S. 360 f. (mit weiterer Literatur); Schulze 2002, S. 119-124 (sie betont den predigthaften Charakter des Exkurses). 461 Masser (1976, S. 121; 1981, Sp. 753) hatte für die Einarbeitung von Passagen aus den kanonischen Evangelien bestritten, dass sie auf Heinrich zurückgehe, hatte dafür aber keine Materialbasis geliefert (vgl. Hoffmann 1997a, S. 298 f.). 462 Der inhaltliche Bruch ist dadurch aufgehoben, dass der Läufer Jesus freigeben lässt, wie ausdrücklich gesagt wird (v. 774). Einen solchen Ausgleich gibt es in Christi Hort allerdings nicht , obwohl dort ebenfalls eine solche Kompilation vorliegt (vv. 1241-1286; 1420-1491). Bei Heinrich von Hesler ist ein vergleichbares Handlungselement auch an späterer Stelle zwischengeschaltet: Während es in Christi Hort Pilatus ist, der Jesus direkt zu Herodes schickt (vv. 1733-1735), erfolgt bei ihm vor der Vorführung vor Herodes eine erneute Gefangennahme Jesu durch ‚die Juden‘ (vv. 1419-1422; 1438 f.). Vgl. dazu auch Klibansky 1925, S. 17. - Zum Status des Nikodemusevangeliums als Quelle s. u. S. 155. 463 Hier ist die Tradition der Epistola Pilati ad Claudium (vgl. dazu Izydorczyk 1997c, S. 55-57) mit der Pilatus-Veronika-Legende verbunden worden. 464 Vgl. dazu Helm 1902, S. XXXI. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 141 haltung, die Kürzungen jedoch nicht ausschließt, 465 geht einher mit einer Ausgestaltung des vorgefundenen Materials, die eigene Akzente setzt: So zeigt zum Beispiel die Ankunft Jesu in der Hölle eine größere Dramatik als im lateinischen Nikodemusevangelium ; 466 auch die Dialoge zwischen Satan und ,der Hölle‘ sind ausgeweitet worden (vv. 3011-3463). Hier finden heilsgeschichtliche Fragen Platz ebenso wie in dem ausführlichen Dialog zwischen dem gelehrten (v. 3899) Adrian und Vespasian (vv. 3941-4193), in dem letzterer von Adrian christlich unterwiesen wird. Solche Dialogpassagen bilden zusammen mit dem Lehrdialog zu Beginn (vv. 1-300) und den Exkursen des Erzählers (vv. 1670-1790; 1929-2178) einen diskursiven Zugang zur Heilsgeschichte, der für das Werk charakteristisch ist. Sowohl die narrativen als auch die diskursiven Passagen kreisen um bestimmte Schlüsselwörter, sodass sich über den Text hinweg semantische Netze entfalten, ohne dass die Summe der Aussagen in ein starres System gepresst werden könnte. 467 Ob Heinrich von Hesler Diu urstende kannte, ist nicht sicher zu entscheiden, denn die Übereinstimmungen sind außerordentlich gering. 468 Das Verhältnis zu Christi Hort ist ebenfalls unklar, auch chronologisch, es sind aber deutlich mehr Entsprechungen festzustellen, sodass ein Rezeptionsverhältnis (in welcher Richtung auch immer) wohl anzunehmen ist, auch wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Gemeinsamkeiten auf eine weitere Quelle zurückgehen. Über Einzelzüge 469 hinaus lassen sich vor allem strukturelle Parallelen ausmachen: Dazu gehört - neben der Kombination der Prozessschilderung nach dem Nikodemusevangelium ( Evangelium Nicodemi , vv. 679-1417) mit einem kurzen Prozessschluss nach den kanonischen Evangelien ( Evangelium Nicodemi , vv. 1418-1491) 470 - der Einstieg in das Werk mit Ausführungen zu Schöpfung, Sündenfall und Erlösung, die dem eigentlichen Prolog vorangestellt sind. 471 Die im Evangelium Nicodemi für den Einstieg gewählte Form des Lehrdialogs 472 setzt dort jedoch sogleich einen didaktisierenden Akzent, die Narration ist noch mehr aufgebrochen, als es in der Exposition zu Christi Hort der Fall ist. Eine strukturelle Entsprechung findet der Einleitungsteil des Evangelium Nicodemi in der ,Predigt‘ 465 Zu der Kürzung der Zeugenbefragungen vor dem Hohen Rat und der Umgestaltung der Szene mit den Grabwächtern vgl. Hoffmann 1997a, S. 299. 466 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 299 f. 467 Für Parallelen zu Gottfried von Straßburg vgl. Manuwald 2014, S. 688 f., mit Verweis auf de Boor 1925 und Köbele 2002. 468 Vgl. Helm 1899, S. 136 f.; 1902, S. XXX. Beweiskraft haben für Helm nur das Motiv, dass ,die Juden‘ erst nach der Auferstehung Jesu das Verschwinden Josephs von Arimathia bemerken, und die wörtliche Übereinstimmung des Ausrufs von Adam im Evangelium Nicodemi ( „Ich sie die hant, die mich geschuf! […] “ , v. 3314) und in Diu urstende ( „ich sich die hant diu mich beschuof “ , v. 2047), beide ohne Parallele im lateinischen Nikodemusevangelium . Nach Hoffmann (2000, S. 171-173; 324) ist der Ausruf Adams weiter verbreitet und hat deshalb keine Beweiskraft. 469 Aussagekräftig ist hier vor allem der Abschluss der Aussagen der Geheilten mit einer Referenz auf Lazarus ( Christi Hort , vv. 1651-1654) bzw. dessen Auftritt ( Evangelium Nicodemi , vv. 1249-1265), außerdem die Ausgestaltung der Scheltrede des Pilatus ( Nikodemusevangelium , cap. IX 2 [7,2 (G / I)]), an deren Ende er in Christi Hort (vv. 1676-1688) und im Evangelium Nicodemi (vv. 1368-1377) jeweils aus dem treulosen Verhalten ,der Juden‘ gegen Moses ableitet, dass sie Jesus mit allen Mitteln ins Verderben stürzen wollten, und die Drohung mit dem Kaiser als Taktik entlarvt. 470 Während bei divergierenden Versionen derselben Szene (in den kanonischen Evangelien und dem Nikodemusevangelium ) in Christi Hort tendenziell den kanonischen Evangelien der Vorzug gegeben wird (s. o. S. 110), dominiert im Evangelium Nicodemi die Anlehnung an das Nikodemusevangelium . 471 Thelen (1989, S. 332 f.) weist auf die Parallele hin, wobei er annimmt, dass die beiden Werke unabhängig voneinander entstanden seien. 472 Vgl. dazu Wiedmer 1977, S. 27 mit Anm. 74 (S. 158 f.). 142 3 Variationen der Rechtsthematik zum Umgang mit ,den Juden‘, in die die Erzählung von der Zerstörung Jerusalems am Ende des Werkes mündet. Insgesamt ergibt sich für den von Karl Helm (1902) edierten Text folgende Gliederung: 473 Lehrdialog zu Schöpfung, Sündenfall und Erlösung (vv. 1-300) Prolog: Anrufung des Heiligen Geistes, Quellenkritik (vv. 301-392) Passionsgeschehen vor dem Prozess (vv. 393-678) Prozess (vv. 679-1491) Kreuzigung und Grablegung, Gefangennahme Josephs (vv. 1492-2332) Befragungsszenen (vv. 2333-3793 [Bericht über die Höllenfahrt: vv. 2842-3779]) Brief des Pilatus nach Rom (vv. 3794-3809) Pilatus-Veronika-Legende (vv. 3810-4595) Römische Geschichte bis zur Zerstörung Jerusalems (vv. 4596-4713) Invektive gegen ,die Juden‘ (vv. 4714-5392) In der hier skizzierten Form ist das Werk jedoch in keinem der vier Codices erhalten, die es jeweils in weiten Teilen überliefern. 474 In der Stuttgarter Handschrift setzt der Text erst mit v. 369 (also dem quellenkritischen Abschnitt des Prologs) ein und endet mit einem an v. 4782 angefügten Schlussgebet. 475 Die Heidelberger Handschrift, in der das Evangelium Nicodemi ebenfalls mit v. 369 beginnt, bringt den Text bereits nach v. 3788 (also vor dem Beginn der Pilatus-Veronika-Legende) zum Abschluss. 476 Die erste Lage der Schweriner Handschrift ist beschädigt, es lässt sich aber rekonstruieren, dass sie den Prolog nicht enthalten hat. 477 Er ist einzig in der Görlitzer Handschrift überliefert, in der der Auslegungsexkurs zum Kreuzeswort Jesu „Eli / lamasabatani“ (vv. 1927 f.) und die Invektive gegen ,die Juden‘ erhebliche Kürzungen aufweisen. 478 473 Vgl. auch die leicht abweichende Gliederung Hoffmanns (1997a, S. 297). 474 Görlitz, Bibl. der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Cod. A III.1.10 [verschollen], Sigle G (bair., 14. Jh.; Ava: Johannes , Ava: Leben Jesu und Sieben Gaben des Hl. Geistes , Ava: Antichrist , Ava: Jüngstes Gericht , Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ); Heidelberg, UB, Cpg 342, Sigle p (überwiegend niederalem., um 1440; Buch der Märtyrer , Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi [Auszüge], Buch der Märtyrer ; Digitalisat: http: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ cpg342 [PURL]); Schwerin, Landesbibl., ohne Sign. (1), Sigle S (md. mit nd. Einschlägen, Ende 13. Jh.; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi , Heinrich von Kröllwitz: Vaterunser-Auslegung ); Stuttgart, Landesbibl., Cod. theol. et phil. 4° 98, Sigle s (vermutlich rheinfrk. nach bair. Vorlage, 14. Jh.; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi , Heinrich Seuse: Büchlein der Ewigen Weisheit ; Digitalisat: http: / / digital.wlb-stuttgart. de/ purl/ bsz378568434 [PURL]). Für eine Übersicht über den Versbestand in den vier Handschriften vgl. Helm 1902, S. 217-220. Zu den vier Handschriften hinzu kommen Fragmente und die Überlieferung der Abendmahlsszene (vv. 428-481) in Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 1242 (s. dazu die Einträge im Handschriftencensus und u. Kap. 6.2.1). 475 Vgl. Helm 1902, S. IX (mit weiterer Literatur). 476 Vgl. Helm 1902, S. X (mit weiterer Literatur); Miller / Zimmermann 2007, S. 165-167. 477 Vgl. Helm 1902, S. I. 478 Vgl. einen „getreuen Abdruck“ (S. 142) des Evangelium Nicodemi in Piper 1888, S. 141-285. Kurze Ausführungen zum Kreuzeswort finden sich dort in vv. 1924-1972; am Schluss laufen der Text der Görlitzer Handschrift und der von Helm (1902) edierte Text nur bis zu dem Abschnitt parallel, der mit v. 4908 (G) bzw. 5264 (Helm) beginnt. Ab v. 4915 (G) wird das Publikum gemahnt, sich an die neue e zu halten, zumal mit dem Beginn der neuen e die Verdammten umso tiefer hinabgestoßen worden seien (G, vv. 4936-4945). Exemplifiziert wird das an der Geschichte vom reichen Mann und armen Lazarus (G, vv. 4936-5126, vgl. Lc 16,19-31), die von gebetshaften Passagen gerahmt wird (G, vv. 4915-4935; 5127-5154). G gehört nach den Erkenntnissen Helms (1899, S. 103-117) zur Handschriftengruppe z 1 , 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 143 Arno Mentzel-Reuters (2014) nimmt an, dass das Werk heute überhaupt nur in einer Kurzfassung vorliege: Bei vv. 1-289 (bzw. 290) handele es sich um ein Textstück, das ursprünglich zum Gespräch zwischen Vespasian und Adrian gehört habe; erst mit v. 291 setze ein ,Schöpferpreis‘ ein, der prologartigen Charakter habe. 479 In der Tat beginnt mit der Anrede O meister in v. 291 ein neuer Abschnitt, dessen Verhältnis zum Vorangehenden sich wegen einer Fehlstelle vor v. 290, die in der Görlitzer Handschrift ausdrücklich durch eine Leerzeile markiert ist, nicht mehr definitiv klären lässt. Inhaltlich schließen vv. 291-300, die sich auf Sündenfall und Erlösung beziehen, 480 aber durchaus an den vorherigen Textabschnitt an. 481 Auch ließe sich der Lehrdialog nicht, wie von Mentzel-Reuters postuliert, 482 bruchlos in das Gespräch zwischen Adrian und Vespasian einfügen, denn der noch nicht bekehrte Vespasian will z. B. wissen, was Jesus für ein Mensch sei (vv. 3955-3962) und wie er den Tod bezwungen habe (vv. 4009-4019), muss also über Heilstatsachen erst informiert werden. Dagegen fragt der ,Schüler‘ aus einer christlichen Perspektive (vgl. unsen vater Adamen , v. 27) nach den Gründen für das göttliche Handeln (vv. 10-14; 26-29). 483 Auch wenn im Folgenden deshalb nicht beweifelt wird, dass die von Helm (1902) abgedruckte Anfangspassage aus der Görlitzer Handschrift als Beginn des Evangelium Nicodemi aufzufassen ist, bleibt die Interpretation des Ausgabentexts problematisch, da es sich um einen Komposit-Text handelt. 484 Damit ist gerade für die Analyse der Rechtsthematik ein Problem gegeben, denn Prolog und Auslegungsexkurs enthalten dazu zentrale Aussagen, sind aber nirgendwo gemeinsam überliefert. Es wurde erwogen, dass der Auslegungsexkurs eine spätere Hinzufügung sein könnte, 485 jedoch gibt es weder stilistisch noch indie einen redaktionell bearbeiteten Text überliefert. Auf der Grundlage späterer Handschriftenfunde ist das Stemma Helms bisher nicht überprüft worden (vgl. Masser 1972, S. 327). 479 Vgl. Mentzel-Reuters 2014, S. 63-66. 480 Vgl. Manuwald 2014, S. 690. 481 Auch gegen die Einheitlichkeit dieses Abschnitts erhebt Mentzel-Reuters (2014, S. 64) Einwände: Die ,rhetorische Zurücknahme‘ in v. 3, zerstöre „[i]m Exordium […] die dort erwartete Feierlichkeit“; „[v]öllig unvermittelt bricht in die dialektische Darstellung der Erschaffung des ersten Menschen mit V. 10 die Frage des Discipulus herein“. Diese Einwände beruhen jedoch auf normativen Vorannahmen, die eine Setzung sind. Das gilt ebenso für die Erwartung (ebd.), dass der Zusammenhang zwischen Baum der Erkenntnis und Kreuzesholz in einem Prolog erläutert worden wäre. 482 „Es bedarf keines langen Suchens, um herauszufinden, dass die Verse 1-290 nach Form und Inhalt zu dem Gespräch zwischen Vespasian und Adrian gehören, das im zweiten Teil der Erzählung geführt wird (V. 3393[ sic ]-4223)“ (Mentzel-Reuters 2014, S. 64). 483 Die vorgeschlagene Textstelle für die Platzierung des Anfangsdialogs innerhalb des Gesprächs zwischen Adrian und Vespasian leuchtet ebenfalls nicht ein: Nach Mentzel-Reuters (2014, S. 65) setzt v. 120 voraus, „dass Gott den Baum der Erkenntnis ins Paradies eingepflanzt hat, was in Vers 4059 tatsächlich berichtet wird“; es sei deshalb anzunehmen, dass die Passage an der nächsten syntaktisch möglichen Stelle (v. 4088) eingefügt worden sei. Dieses Argument ist aber allein schon deshalb zu hinterfragen, weil es in v. 4059 um Adam geht, den Gott ins Paradies gesetzt hat (ab v. 4060 wird dann das Verbot referiert, vom Baum der Erkenntnis zu essen). Außerdem muss es sich bei vv. 119 f. nicht notwendig um einen Rückbezug handeln. 484 Das gilt auch für die Textgestalt im Einzelnen. Zwar lässt sich S als Leithandschrift erschließen (so auch Hoffmann 1997a, S. 302), aber Helm (1902, S. XXIV-XXVI) hebt die Freiheit des Editors gegenüber der „autorität der hss.“ hervor, die die „flüchtigkeit und nachlässigkeit“ der mittelalterlichen Schreiber dem Herausgeber gewähren (zur sprachlichen Gestalt und Orthographie des Ausgabentextes vgl. ebd., S. XCV-XCVII). Trotz der aus heutiger Perspektive bestehenden editorischen Mängel wird wegen des Fehlens einer Alternative im Folgenden mit der Ausgabe Helms gearbeitet. Wo es weiterführend ist, wird auch der Abdruck von G (Piper 1888) vergleichend herangezogen. 485 Vgl. de Boor 1962, S. 515. 144 3 Variationen der Rechtsthematik haltlich dafür ausreichende Anhaltspunkte. 486 Umgekehrt wäre es durchaus plausibel, dass bei einer Konzentration auf die Handlungsebene gerade diskursive Textabschnitte in der Überlieferung planmäßig weggelassen worden wären. Auch wenn keine Sicherheit über den ursprünglichen Textbestand gewonnen werden kann, scheint es deshalb vertretbar, mit Helm einen hypothetischen Text mit Prolog und Auslegungsexkurs zugrunde zu legen. 3.4.2 geriht Die Schilderung des Prozesses im Evangelium Nicodemi folgt über weite Strecken genau dem lateinischen Nikodemusevangelium . 487 Dementsprechend sind auch die Unterredungen zwischen Pilatus und dem ‚Angeklagten‘ bzw. den Jesus wohlgesonnenen Juden übernommen worden, die im lateinischen Nikodemusevangelium innerhalb des Prätoriums stattfinden. 488 Anders als in Diu urstende und in Christi Hort ist im Evangelium Nicodemi der Gerichtsort nicht explizit aktualisiert, sondern vordergründig scheint sogar die Vorstellung eines Innenraums beibehalten worden zu sein, jedenfalls heißt es an einer Stelle, dass Pilatus allen befiehlt, von seinem Richtstuhl wegzugehen, außer den zwölf Juden (die für Jesus eintreten) und Jesus selbst, die bei ihm da innen bleiben sollten (vv. 1018-1021). 489 Allerdings ist der ausdrückliche Hinweis auf das Prätorium als Ort der Unterredung getilgt: Während Pilatus nach dem lateinischen Nikodemusevangelium (cap. III 1) im Anschluss an die Unterredung das Prätorium verlässt, um zu ,den Juden‘ zu sprechen, adressiert er sie im Evangelium Nicodemi , ohne dass ein Ortswechsel markiert wäre ( Do sprach er zu in allen , v. 1035). Dieser Handlungsablauf macht es vorstellbar, dass auch im Evangelium Nicodemi nicht an einen Innenraum, vielmehr an einen abgeschrankten Bereich gedacht ist, 490 der ein ,Innen‘ vom ,Außen‘ trennt, aber eine akustische Verbindung zu der außen stehenden Menge zulässt. 491 Im Folgenden bleiben die lokalen Angaben ebenfalls auf Pilatus bezogen: Er lässt Jesus zu sich kommen ( Do ladet er Jesum for sich , v. 1065) zu einer Befragung, die offenbar ohne Zuhörer stattfindet. Danach geht er von Jesus weg und ruft ,die Juden‘ zu sich ( Pilatus Jesum do vorliez, / die juden er vor sich komen hiez , vv. 1093 f.) - an der entsprechenden Stelle im lateinischen Nikodemusevangelium (cap. IV 1) geht Pilatus aus dem Prätorium heraus. Danach lässt Pilatus (wie im Nikodemusevangelium , cap. IV 2) die Ältesten ,der Juden‘ zu sich kommen ( Pilatus ladete aber sint / under den juden die grisen , vv. 1116 f.), dann erneut Jesus ( Do ladet er Jesum for sich , v. 1127). Nach dem lateinischen Nikodemusevangelium (cap. IV 3) werden ,die Juden‘ hier wiederum aus dem Prätorium herausgeschickt, hören 486 Vgl. Wiedmer 1977, S. 68; Manuwald 2014, S. 681-683. 487 „[…] Heinrich’s version hardly differs in content or structure from his apocryphal source“ (Hoffmann 1997a, S. 299). Deshalb wird der Ablauf im Folgenden nicht im Einzelnen nachvollzogen. 488 S. o. S. 63 f. 489 Im Gegensatz zum Nikodemusevangelium (cap. II 6) ist im Evangelium Nicodemi nicht davon die Rede, dass Jesus von den zwölf Juden getrennt wird, Pilatus spricht aber - wie im Nikodemusevangelium - nur mit den zwölfen (vv. 1022-1034). - Zum Ort der Gerichtsverhandlung vgl. auch Klibansky 1925, S. 16; 20 f. 490 Helms (1902, S. 273) Registereintrag „gerichtsschranken(? )908“ erschließt sich mir nicht. 491 Wenn Pilatus die Menge in v. 1019 „nur zurücktreten“ lässt (so Klibansky 1925, S. 20 f.), ist damit vermieden, dass der Richter eine Partei und die Öffentlichkeit von der Teilnahme an der Verhandlung ausschließt, ein Vorgehen, dass einem deutschrechtlichen Verfahren widerspräche (vgl. dazu Klibansky ebd., in Bezug auf vv. 1268 f.). 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 145 aber trotzdem, was Jesus Pilatus antwortet. 492 Dieser Bruch ist im Evangelium Nicodemi durch das Wegfallen konkreter Ortsangaben aufgehoben, wobei die jeweiligen Aktivitäten des Pilatus jedoch beibehalten sind. Wenn sich die Ankläger zur Beratung zurückziehen (vv. 1268 f.), während Pilatus auf dem Gerichtsstuhl sitzen bleibt (v. 1275), 493 und dann wieder hereinkommen ( Die juden giengen in da mite , v. 1285), wird noch einmal deutlich, dass dort, wo Pilatus zu Gericht sitzt, ,innen‘ ist. Dass sich die Ankläger überhaupt zur Beratung zurückziehen, ist eine Zutat Heinrichs von Hesler, die erzähltechnisch vor allem dazu dient, die verwerflichen Intentionen ,der Juden‘ deutlich zu machen (vv. 1270-1274). Die Beratung der Ankläger korrespondiert aber mit den rechtlichen Möglichkeiten, wie sie im Sachsenspiegel (Ldr. I 62,9) entworfen werden, nämlich dass sich Ankläger wie auch Beklagte bis zu dreimal vor jeder Rede beraten dürfen, bis sie der Fronbote wieder vorlädt - die Beratung findet also außerhalb des Gerichts statt, das als der Ort definiert wird, an dem der Richter mit Urteilen richtet (vgl. Ldr. I 62,10). 494 Eine vergleichbare Auffassung von ,Gericht‘ könnte den Bearbeitungsstrategien im Evangelium Nicodemi zugrunde liegen, denn auch in der Passage der Erzählung über den Prozess, die dem Johannesevangelium (19,8-11) folgt (vv. 1452-1470), ist das Prätorium getilgt: Es heißt nur, dass Pilatus ,die Juden‘ heraustreibt ( die juden er dar uz treib , v. 1454), und dann - abweichend vom Johannesevangelium -, dass sie wieder hereinkommen ( Die Juden wider in traten , v. 1471). Das gerihte als Gerichtsort 495 wird lediglich zu Beginn des Prozesses mehrfach benannt, zuerst als gesagt wird, dass Pilatus aufgestanden und von deme gerihte weggegangen sei (vv. 785 f.), nachdem er seinen Läufer zu Jesus geschickt hat. 496 Aus den folgenden Versen, in denen es darum geht, dass ,die Juden‘ die Art der Vorladung kritisieren (vv. 787-797), wird erkennbar, dass die Ladung for daz gerihte (v. 795) offenbar mit einer Ladung zu hofe (v. 791) identisch ist. Auch hier dürfte aber nicht ein konkretes Gebäude gemeint sein, sondern eine gerichtliche Versammlung unter Vorsitz des Herrschenden. 497 Entscheidend ist der Ort des Gerichts durch den Richtstuhl definiert, bei dem auch die Träger der vanen stehen müssen (vv. 841; 854 f.). Pilatus verlässt das gerihte nach der Handwaschung, von der in Anlehnung an das Matthäusevangelium (27,24) erzählt wird (vv. 1520-1522). Insgesamt wären die Örtlichkeiten mit einem deutschrechtlichen Verfahren kompatibel, wobei dieser Effekt durch Vagheit erreicht wird, nicht durch eine explizite Neukontextualisierung. Auch der Verfahrensablauf ist nicht ausdrücklich deutschrechtlich geprägt. Dass Nikodemus (vv. 1155-1159) und die ersten der Geheilten (vv. 1199-1201; 1220-1222) Pilatus um Redeerlaubnis bitten, ist bereits im Nikodemusevangelium (cap. V 1; VI 1) vorgeprägt. Jedoch zeigt die Antwort des Pilatus „Sprich, des dich got ermane.“ (v. 1201), dass zeitgenössische christliche Vorstellungen eingeflossen sind. 498 Die Forderung ,der Juden‘ „ […] / so ha disen 492 Zu dieser Inkohärenz s. o. S. 64, Anm. 65. 493 Nikodemus und die zwölf Juden sitzen in einer Gesprächssituation bei ihm (vv. 1276-1284). Damit könnte eine Konstellation mit Gerichtsbänken angedeutet sein. 494 Vgl. dazu Klibansky 1925, S. 20; außerdem von Planck 1879, Bd. 1, S. 219 (in Bezug auf den Sachsenspiegel ). 495 Vgl. dazu MWB, s. v. 1.6. 496 Vgl. außerdem vv. 907; 910. 497 Vgl. BMZ; L exer , s. v. Auch Klibansky (1925, S. 22) sieht in der Stelle einen Verweis auf die Institution des Hofgerichts. 498 Pilatus hatte zuvor - wie im Nikodemusevangelium (cap. III 1) - die Gestirne zu Zeugen angerufen (vv. 1035-1044). 146 3 Variationen der Rechtsthematik als einen dieb“ (v. 1412) dürfte vom Erzähler vor dem Hintergrund des zeitgenössischen Strafrechts konzipiert sein. 499 Verfahrensrechtliche Aktualisierungen finden sich nur vereinzelt, so zu Beginn des Verfahrens, als die Ankläger Pilatus bitten, frühmorgens, bevor er gegessen habe, Gericht zu halten (vv. 720-724). 500 Wahrscheinlich handelt es sich auch bei dem Detail, dass Pilatus mit seiner Hand Schweigen gebietet (v. 871), um ein Element der zeitgenössischen Gerichtspraxis. 501 In der Läufer-Episode klingt in dem Vorwurf ,der Juden‘, Jesus habe mit butels stimme (v. 790) vorgeladen werden sollen, und in der nachfolgenden Bezeichnung des Läufers als schergen (v. 825) und butel (v. 827) 502 ein deutschrechtlicher Kontext an, der durch die Übersetzung von praeco zustande gekommen ist, aber dadurch verstärkt wird, dass ,die Juden‘ bemängeln, Jesus sei nicht seinem Vergehen angemessen geladen worden (vv. 794-797). 503 Jedoch bemüht sich der Erzähler, das Verfahren deutlich in römischer Zeit anzusiedeln, wenn er die Funktion der Fahnen erläutert. Do pflagen si al geliche uber romische riche, swa rihter zu gerihte saz, daz er des nimmer vorgaz: als er wolde dingen, man must zuhant bringen an den stul des riches vanen, dem ungerehten zu banen, dem rehten zu heile, daz er da der urteile al deste baz bequeme; swa man den vanen vorneme und des koniges gewalt, swer da worde bezalt mit unrehten dingen, daz er den mohte betwingen mit des keiseres craft. (vv. 835-851) Obwohl mit der Zeitangabe Do ein zeitlicher Abstand angezeigt wird, der auch das romische riche , von dem gesprochen wird, in der Vergangenheit verortet, ist die Charakte- 499 S. dazu u. S. 195 f. 500 Vgl. dazu Klibansky 1925, S. 17 f. Zur geforderten Nüchternheit des Richters s. o. S. 49. 501 Es könnte sein, dass Pilatus durch seine Handgeste den Gerichtsfrieden gebietet (vgl. von Amira 1905, S. 196-199). Klibansky (1925, S. 17) denkt insbesondere an den Befehlsgestus (vgl. von Amira ebd., S. 213). Jedoch lassen sich Rechtsgesten nur unvollkommen rekonstruieren, weil bei abgebildeten Gebärden damit zu rechnen ist, dass auch Darstellungskonventionen mit eine Rolle gespielt haben (vgl. dazu grundlegend von Amira 1905). 502 Dass damit dieselbe Person gemeint ist wie mit dem loufere in v. 799, ergibt sich aus vv. 822-824. 503 Nach Klibansky (1925, S. 18 f.) ist es „zweifellos“, „daß das EN. gemäß der deutschen Rechtsauffassung jene ausdrückliche Feststellung der Juden für ein Prozeßmittel hält, um den Gegner von vornherein ins Unrecht zu setzen; denn auch im deutschen Gerichtsverfahren bedeutete eine Ladung durch einen besonderen Boten, wie sie hier durch den Läufer erfolgt, etwas Außergewöhnliches, während sie im allgemeinen durch den dazu bestimmten Gerichtsdiener, den Büttel (EN. 790), zu erfolgen hatte.“ - Zum entsprechenden Phänomen in Christi Hort s. o. S. 114. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 147 risierung der Fahnen des Reiches ( des riches vanen , v. 866) 504 als Zeichen königlicher bzw. kaiserlicher Gerichtsgewalt 505 mit Vorstellungen zur Entstehungszeit vereinbar. 506 Und die Gerichtsverhandlung wird mit Vokabular (wie dingen , v. 839) beschrieben, das konnotativ zeitgenössische Verfahrensweisen aufruft. 507 Von überzeitlicher Qualität ist das Konzept des guten Richtens, das hier eingeführt wird und die gesamte Prozessdarstellung durchzieht: Die Fahnen am Richtstuhl sollen dem Recht zum Durchbruch verhelfen, indem sie den Richter darin unterstützen, besser zu einem Urteil zu gelangen und mit bestochenen Prozessteilnehmern umzugehen. 508 Die Verse betonen einerseits die Verantwortung, die der Richter trägt, lassen andererseits aber erkennen, dass er mit Schwierigkeiten konfrontiert sein kann, das Recht durchzusetzen. 509 Wie zu zeigen sein wird, ist die Verteilung der Verantwortlichkeiten ein leitendes Prinzip bei der Ausgestaltung des Verfahrens: Schon vor Beginn der Prozessschilderung begegnet eine signifikante Änderung gegenüber der Vorlage. Kaiphas nämlich macht seine Aussage, dass es besser sei, dass ein Mensch sterbe, als dass das Volk verderbe (vv. 414-416), nicht im Hohen Rat (vgl. Io 11,47-50), sondern bei einem heimlichen Treffen mit Pilatus, der sich dagegen verwahrt und die Unschuld Jesu bekräftigt (vv. 422-424). Als ,die Juden‘ Pilatus dann später bitten, eine Gerichtsverhandlung abzuhalten, legt Pilatus das Rechtsprinzip dar, dass niemand schuldlos verurteilt werden sollte: 510 Pilatus sprach: „Durch welche schult? ir wizzet wol, daz ir ensult in vorteilen wan mit rehte.“ (vv. 725-727) Der Richter fungiert hier als Garant eines rechtmäßigen Verfahrens, das Verurteilen liegt aber offenbar nicht in seinen Händen. 504 Aus vv. 852-854 geht hervor, dass es sich um mehrere Fahnen handelt; deren genaue Zahl wird im Evangelium Nicodemi jedoch nicht benannt. ,Die Juden‘ stellen auf Anordnung des Pilatus (v. 888) zwölf Mann als Fahnenträger (v. 898) auf, so wie im Nikodemusevangelium (cap. I 6), wo allerdings die von Pilatus geäußerte Anweisung keine Zahlenangabe enthält. Nach Klibansky (1925, S. 20) „erweckt das EN. die Vorstellung, als ob jeder der zwölf starken Männer eine Fahne gehalten habe“. 505 Zwischen Kaisertum und Königtum wird im Text nicht klar differenziert; so ist z. B. im Pilatus-Veronika-Teil von keiserlicher veme die Rede (v. 4297), der römische Kaiser Tiberius wird aber mehrfach als König bezeichnet (z. B. vv. 4469; 4505). 506 Im Evangelium Nicodemi wird die Verbindung zum Reich zusätzlich dadurch hergestellt, dass die Fahnenträger auf das Reich eingeschworen sind (vv. 872 f.). Klibansky (1925, S. 19 f.) betont den historischen Quellenwert der Stelle und sieht darin eine Bestätigung der These Bruckaufs (1907, S. 35), dass bei Fahnlehen nicht bloß Territorien, sondern auch die Gerichtsgewalt verliehen werden konnte. Abgesehen von dem oben (S. 76, Anm. 75) diskutierten Problem, dass eine Mehrzahl von Fahnen nur für den Akt der Investitur belegt werden kann, ist nicht klar, ob des riches vanen im Plural tatsächlich als Lehnsfahnen verstanden werden können. 507 Zuvor war bereits gesagt worden, dass Jesus von ‚den Juden‘ vor des riches dincstul (v. 623) gebracht wird. 508 Dass nicht nur die Bestechung des Richters ein Problem sein konnte (s. dazu u. S. 209), sondern damit zu rechnen war, dass auch anderen Prozessbeteiligten ,Gut‘ angeboten wurde, lässt sich aus Regelungen in den Rechtsbüchern erschließen (s. dazu u. S. 231 f.). 509 Gegenüber dieser rechtlich bedeutsamen Interpretation von des riches vanen als Symbolen obrigkeitlicher Gewalt tritt das traditionelle Motiv der Vervielfachung der jüdischen Träger (gegenüber den heidnischen) in den Hintergrund; vielmehr befiehlt Pilatus für die Überprüfung des Fahnenwunders ,den Juden‘ zwölf starke Männer zu stellen, ohne dass man erfährt, wie viele Träger er hat (v. 888). 510 Vgl. dazu Mattig-Krampe 2001, S. 111. 148 3 Variationen der Rechtsthematik Pilatus ist zögerlich, ein Verfahren zu eröffnen: Zwar lässt er, nachdem ,die Juden‘ ihm ihre Anklagen vorgebracht haben (vv. 728-766), 511 Jesus durch seinen Läufer höflich zu sich bitten (vv. 767-770), jedoch handelt es sich, wie ,die Juden‘ beklagen (vv. 787-797), nicht um eine gerichtliche Vorladung, und Pilatus befindet sich auch nicht am Ort des Gerichts, als Jesus vom Läufer zu ihm geleitet wird, denn er ist von seinem Richtstuhl aufgestanden und von dem gerihte gegangen (vv. 785 f.). Die von Pilatus angeordnete zweite Herbeiholung Jesu durch den Läufer ist mit dem Fahnenwunder verbunden, das beim Richtstuhl verortet sein muss. Auf das wiederholte Fahnenwunder reagiert Pilatus mit großer Angst (vv. 915 f.) und will Jesus sogar freilassen ( und getorst en niht vorwazen / und wold en han lazen , vv. 917 f.). 512 Das Verfahren nimmt aber offenbar erst seinen eigentlichen Anfang, 513 als Pilatus angesichts des Zaubereivorwurfs ,der Juden‘ (vv. 928-938) Jesus erneut ( anderweide ) zu sich kommen lässt (vv. 939 f.), was wohl bedeutet, dass er vor den Richtstuhl gestellt wird. 514 Dabei hatte seine Frau Pilatus gewarnt, den rehten zu verdammen bzw. zuzulassen, dass man ihn vor ihm strafe (vv. 919-926) - wiederum eine interessante Zweigleisigkeit hinsichtlich der möglichen Verantwortlichkeiten. Verantwortung liegt auch bei denjenigen, die bei der Verhandlung anwesend sind. Positiv nehmen die zwölf - wie im Nikodemusevangelium (cap. II 4) namentlich genannten - Juden ihre Verantwortung wahr, wenn sie den Lügen der Ankläger entgegentreten (vv. 960-989) - unter Gefahr für ihr Leben (v. 981). 515 Von den Leuten, die zu einem späteren Zeitpunkt des Prozesses heimlich weinen, wird gesagt, dass sie sich nicht getraut hätten, gegen die schlechte Behandlung Jesu vorzugehen (vv. 1145-1150). Im Nikodemusevangelium (cap. IV 5) ist weder von der Heimlichkeit des Weinens noch von angstvoller Untätigkeit die Rede. Dadurch wird im Evangelium Nicodemi suggeriert, dass daz volk (v. 1145) eine Mitwirkungsmöglichkeit hätte; ihm wird so die Funktion eines Umstandes zugeschrieben. Pilatus geht sogar auf die indirekten Signale der Menge ein (vv. 1151-1154). Vor allem verlässt er sich aber auf seine Einschätzung der ,Beweislage‘: Er verkündet nicht nur (ähnlich wie im Nikodemusevangelium ) mehrfach die Unschuld Jesu (vv. 1036-1044; 1096 f.; 1111; 1119-1121; 1444 f.; 1475 f., auch schon vor dem Prozess: vv. 423 f.), sondern benennt darüber hinaus klar Recht und Unrecht, einmal gegenüber den zwölf Juden und Nikodemus ( „Daz ist niht gut , / daz man im unrehte tut.“ , vv. 1033 f.), ein weiteres Mal öffentlich in der Barrabas-Szene. 516 Pilatus nimmt außerdem eine ausdrückliche Bewertung vor, 511 Wenn die Ankläger sagen „Der rede ger wir niht vrides; / […] “ (v. 729), so setzt das wohl voraus, dass sie sich bewusst sind, dass sie sich mit einer ungerechtfertigten Anklage in Gefahr begäben (s. dazu u. S. 217, Anm. 90). 512 Nach dem Nikodemusevangelium (cap. II 1) überlegt Pilatus nach dem Wunder der sich neigenden signa lediglich, sich von seinem Gerichtssitz zu erheben. - In Christi Hort erschrickt er sich ebenfalls und springt von seinem Stuhl auf (vv. 1562 f.). 513 Von Jesus heißt es daraufhin: Jesus hienc daz houbet nider / durch des volkes angesiht (vv. 944 f.). Wird damit eine Ergebenheit in das Verfahren oder eine Demütigung des Angeklagten durch die Öffentlichkeit der Verhandlung angedeutet? Für Letzteres könnte sprechen, dass Jesus vor Gericht den Aggressionen ,der Juden‘ ausgesetzt ist (v. 950). 514 Das in v. 940 verwendete Verb laden hat ein Bedeutungsspektrum, das von bittender bis befehlender Einladung reicht (vgl. DRW, s. v.). Insofern kann die Aktion des Pilatus tatsächlich als Wiederholung seiner vorherigen Aufforderungen an Jesus gesehen werden, auch wenn sie hier mehr den Charakter einer Vorladung hat. 515 Zur Vorstellung, dass eine Zeugenaussage mit Gefahr verbunden ist, s. u. S. 232 f.; 243-245. 516 „Er enhat niht ubeles getan; / und were michel unreht. / Hat den schuldigen kneht, / lat den unschuldigen gen.“ (vv. 1298-1301). 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 149 wenn er das Verhalten der Ankläger tadelt: 517 Sie wollten unschuldic sin der tat , aber gäben vehement den rat , dass Jesus getötet werden solle. Sie wiesen ihm, Pilatus, die werc zu, jedoch sei der verbale Rat schlimmer als die Tat (vv. 1056-1064). 518 In einer Erweiterung seiner bereits im Nikodemusevangelium (cap. IX 2 [7,2 (G / I)]) existenten Scheltrede gibt Pilatus außerdem klar zu erkennen, dass er es als List ,der Juden‘ erkannt habe, dass sie ihm mit dem Kaiser drohten (vv. 1371-1377). Wie kommt es aber bei dieser Konstellation überhaupt zur Kreuzigung? Eine erste Aufforderung ,der Juden‘, Jesus kreuzigen zu lassen, weist Pilatus zurück - auch weil er viele im Volk weinen sieht (vv. 1138-1154). Im Text bleibt unklar, ob die Urteilsfindung planmäßig bei ,den Juden‘ liegt oder ob Pilatus sie ihnen ad hoc zugewiesen hat: Auf die Aufforderung ,der Juden‘ „nu rihte uns, Pilate! / […] “ (v. 1136), da er doch jetzt die Schuld Jesu gehört habe, hatte Pilatus erwidert, wenn Jesu Worte ein Grund zur Verurteilung seien, sollten sie selbst über ihn Recht sprechen. 519 Auf jeden Fall wird das Verfahren hier nicht abgeschlossen, weil er, der Richter, das Urteil nicht ausgibt. Nachdem ihm ,die Juden‘ mit dem Kaiser gedroht haben, wenn er Jesus trotz seines (politischen) Anspruchs auf das Königtum ungestraft lasse, erhebt sich Pilatus zornig und unterbricht so - vor seiner großen Scheltrede (vv. 1319-1377) - die Verhandlung (vv. 1302-1318). 520 Der Hinweis von Kaiphas und Annas, dass Jesus derjenige sei, den Herodes damals beim Kindermord gesucht habe, und er ihn um dessentwillen bestrafen solle, veranlasst Pilatus, Jesus zu Herodes zu schicken (vv. 1378-1418). Dass auch Herodes Jesus nicht verurteilen will, erklärt Pilatus ‚den Juden‘ so, dass sie beide keine Schuld an Jesus fänden. Er ist jedoch mit der Bitte ,der Juden‘ konfrontiert, daz er in [ Jesus] rihten wolde, / als er zu rehte solde (vv. 1441 f.). Pilatus bietet daraufhin ,den Juden‘ an, dass sie ihre Klage zurückziehen und Jesus mit einer veme belegen könnten, 521 was sie jedoch gemeinschaftlich ablehnen (vv. 1443-1451). Es folgt eine private Unterredung des Pilatus mit dem Angeklagten, in der er betont, dass er gewalt habe, ihn freizugeben oder ans Kreuz schlagen zu lassen (vv. 1452-1470; vgl. Io 19,10 f.). Als ,die Juden‘ danach Pilatus erneut bitten, über Jesus zu richten, betont Pilatus wiederum dessen Unschuld (vv. 1471-1476). Statt einer folgerichtigen Freilassung wird jedoch erzählt, wie ,das Volk‘, provoziert (v. 1477), bereits bekannte Anklagen (Anspruch, Gottes Sohn zu sein, 517 Der Tadel folgt auf den Versuch des Pilatus, das Verfahren der jüdischen Gerichtsbarkeit zu übertragen (vv. 1050-1053). Das hatten ,die Juden‘ mit dem Hinweis darauf zurückgewiesen, dass es ihnen nicht erlaubt sei, jemanden zu töten (vv. 1054 f.). Offenbar betrachtet Pilatus die Begründung ,der Juden‘ als Vorwand. 518 S. dazu u. S. 221-224. 519 In v. 1139 ist das Verb rihten aus v. 1136 wieder aufgenommen, wobei über die unterschiedlichen Bedeutungsnuancierungen die Aushandlung der Verantwortlichkeiten ausgedrückt wird: Während ,die Juden‘ wollen, dass Pilatus ihnen zu ihrem Recht verhilft (v. 1136), möchte Pilatus die Rechtsprechung an ,die Juden‘ delegieren (v. 1139). Anders als an der entsprechenden Stelle des Nikodemusevangeliums (cap. III 4) spielt das Gesetz ,der Juden‘ keine Rolle, sodass es denkbar wird, dass das von Pilatus benannte rihten innerhalb des geschilderten Gerichtsverfahrens stattfände. 520 Vgl. dazu auch Klibansky 1925, S. 17. Wie schon bei der Vorladung Jesu ist das Aufstehen des Pilatus gegenüber dem Nikodemusevangelium (cap. IX 3 [8,1 (G / I)]), wo Pilatus nach der Scheltrede das Prätorium verlassen will, vorgezogen und vereindeutigt. 521 „ […] / ir muget noch gerne erwinden / und vemet en sus mit einer veme, / da er smerzen genuc abe neme; / damite lazet in gan.“ (vv. 1446-1449). veme ist hier offenbar nicht als Todesstrafe zu verstehen, auch spielt vemen mit Sicherheit nicht auf die westfälischen Freigerichte an (vgl. dazu Lück 2008c); für die Deutung der Stelle könnte aber durchaus das Konzept eines „genossenschaftlichen Zusammenschlusses zur Wahrung des Rechtsbzw. Landfriedens“ (ebd., Sp. 1535) relevant sein, der außerhalb der verliehenen Gerichtsbarkeit steht. 150 3 Variationen der Rechtsthematik Zerstörung der e , Betrug des Volkes, Ungehorsam gegenüber dem Kaiser) noch einmal vorbringt (vv. 1478-1487). Angesichts der politischen Zuspitzung reagiert Pilatus mit den Worten: „So tut mit ime swes ir gert.“ (v. 1488). Die folgenden Verse sind vom Herausgeber folgerichtig der Menge zugeordnet, die das Urteil festlegt: 522 „Man sal in erst mit besmen 523 slan [ . ] und sider an daz cruze han nach kuniclicheme rehte.“ (vv. 1489-1491) Abgesehen davon, dass es heilsgeschichtlich notwendig ist, dass die Kreuzigung erfolgen muss, liefert der Text auch Indizien, die den Verhaltensumschwung des Pilatus zumindest im Ansatz erklären könnten: Anders als zuvor sprechen ,die Juden‘ alle geliche (v. 1480), und sie modifizieren die bisherige Anklage wegen des Königsanspruches Jesu dahingehend, dass sie erklären, dass, wer sich König nenne, gegen das ,Reich‘, also die Autorität des Kaisers, handele (vv. 1478 f.; vgl. auch v. 1485). Damit ist die Instanz benannt, von der her Pilatus seine Legitimation als Richter hat. Pilatus fällt im Namen des ,Reiches‘ zwar kein Urteil, aber ,die Juden‘ nehmen für ihr Verdikt ,königliches Recht‘ in Anspruch, berufen sich also auf die herrschaftliche Legitimation des Rechts. 524 Die Dornenkrönung und die Verspottung werden dann als Kollaboration zwischen den Hofleuten des Pilatus ( Sine ritter und sine knehte , v. 1492) und ,den Juden‘ geschildert (vv. 1492-1519), 525 wobei das gesamte Volk beteiligt ist (vv. 1498-1505). Die Verhandlung kommt erst danach zum Abschluss ( er [Pilatus] gienc uz deme gerihte ), und zwar (nach Mt 27,24 f.) mit zwei Stellungnahmen der Beteiligten zur Verantwortlichkeit für das Geschehen (vv. 1520-1529): Pilatus wäscht sich die Hände und beteuert, dass er an der tat unschuldig sei; ,den Juden‘ ist der sogenannte Blutruf in den Mund gelegt: „Uber uns und uber unse kint / ge die rache sines blutes.“ (vv. 1528 f.). 526 Wie in Christi Hort werden in der Pilatus-Veronika-Legende die Verantwortlichkeiten aufgearbeitet; im Evangelium Nicodemi gilt das sowohl für Pilatus als auch für ,die Juden‘. Die Rolle des Pilatus im Prozess wird zunächst wohlwollend von seinem Boten Adrian (gegenüber Vespasian) 527 geschildert (vv. 3972-3991). 528 Danach hätten ‚die Juden‘ Jesus ans Kreuz geschlagen; sie hätten Pilatus gebeten, ihn wie einen Dieb zu verurteilen. Pilatus habe das nicht gewollt, habe sich jedoch gegen die große Menge nicht durchsetzen können und de- 522 Insofern agiert Pilatus hier nicht als selbsturteilender Richter, wie Klibansky (1925, S. 21 f.) meint. 523 besme ist der zeitgenössische Ausdruck für Zuchtrute (vgl. BMZ; L exer ; MWB, s. v. bëseme ; DRW, s. v. besen ). 524 Gegenüber Joseph sagen ,die Juden‘ später, Jesus sei mit rehter klage (v. 2294) ans Kreuz geschlagen worden. 525 Im judenfeindlichen Schlussexkurs werden die Misshandlungen allein ,den Juden‘ zugeordnet (vv. 4959-4973). 526 Vgl. auch bereits vv. 1114 f. Zur Interpretation von Mt 27,25 vgl. Schreckenberg 1999, S. 129-131; zu alttestamentarischen Bezügen der Selbstverfluchungsformel vgl. Rommel 2002, S. 186. Zur Aussage des Erzählers, dass ,die Juden‘ sender ougen blint gehandelt hätten (v. 1527), vgl. TPMA, Bd. 2, S. 35 f. 527 Als Adrian Vespasian trifft, steht dieser in einem feudo-vasallitischen Verhältnis zu Tiberius: Vespasian hat daz riche aus den Händen des Tiberius empfangen und zahlt zins (vv. 3916-3918). Zu den ökonomischen Implikationen der Landleihe vgl. Peters 2017, S. 18-40. 528 Vgl. dazu Mattig-Krampe 2001, S. 134. - Vorangegangen ist bereits ein eigener, vom Erzähler als wahrheitsgemäß bezeichneter Bericht des Pilatus, den er nach Rom schickt; darin wird ,den Juden‘ die alleinige Schuld am Kreuzestod Jesu zugewiesen (vv. 3794-3809). 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 151 ren Willen nachgegeben. Interessanterweise wird hier ein Erklärungsmodell aktiviert, wie es sich auch in Diu urstende findet, nämlich dass der Richter den Gerichtsfrieden nicht aufrechterhalten konnte. 529 Über die Figur Adrians wird nachträglich eine mögliche Motivation für das Handeln des Pilatus angeboten, die in der eigentlichen Prozessschilderung fehlt. Pilatus hatte Adrian aus Angst um sein Amt ausgeschickt, das er von romischer hant hielt (v. 3896). Adrian sollte herausfinden, ob in Rom jemand gegen ihn Klage erhebe (vv. 3890-3904). Tatsächlich muss sich Pilatus später in Jerusalem gegenüber den Boten des Tiberius, Alban und Volusian, verantworten. Als ein ‚Ritter‘ des Pilatus ihnen gegenüber aussagt, Jesus habe auf den Rat ,der Juden‘ hin ein bitteres Ende durch Pilatus genommen (vv. 4282-4287), setzen die Römer Pilatus und ‚sein ganzes Geschlecht‘ gefangen (vv. 4294 f.), 530 damit er einer kaiserlichen Bestrafung zugeführt werden kann (vv. 4296 f.). Pilatus beteuert - unter Verweis auf den Blutruf ,der Juden‘ - seine Unschuld: Er habe ,die Juden‘ beschwichtigt und habe schließlich das Gericht verlassen, nachdem er seine Hände gewaschen habe (vv. 4310-4325). Simeon wirft ihm jedoch vor, nicht gerehtlichen und rehte (v. 4333) gerichtet zu haben, denn die Geißelung sei auf Geheiß des Pilatus geschehen ( Do volgte daz werc dinem willen , v. 4336), und er habe gegenüber Jesus gesagt, dass er gewalt habe, ihn gehen oder ans Kreuz schlagen zu lassen; 531 deshalb müsse Pilatus seine Schuld bewusst sein (vv. 4326-4345). Die Römer schließen sich dieser Interpretation an und legen Pilatus bis zu einer Verurteilung in Ketten (vv. 4346-4363). 532 Von einem Prozess wird nicht mehr erzählt, aber die römischen Boten führen Pilatus gefesselt nach Rom (vv. 4455-4458). Dort stuft Tiberius das Verhalten des Pilatus als todeswürdiges Verbrechen ein, die Boten hätten ihn aufhängen sollen (vv. 4474 f.). Eine Entscheidung über die Bestrafungsaktion (auch gegen ,die Juden‘) wird auf die Zeit nach der Genesung des Tiberius verschoben (vv. 4485-4487). Für den Blick zurück auf das Gerichtsverfahren gegen Jesus ist es aufschlussreich, dass sich die Vorwürfe gegen Pilatus sowohl darauf beziehen, dass er den heilenden Gott getötet habe (vv. 4298-4309), als auch darauf, dass Pilatus nicht gerecht gerichtet habe (vv. 4329-4333). 533 Nach der Einschätzung der Römer ist Pilatus schuldig geworden, weil er Jesus vor sich schändlich behandeln ließ, obwohl er es hätte ändern können, wenn er sich ehrenhaft verhalten hätte (vv. 4352-4356). 534 Das schlechte Gericht des Pilatus wird durch das - nach den Wertmaßstäben des Textes - ,gute‘ Gericht gespiegelt, das der inzwischen zum Kaiser gewordene Vespasian am exakt gleichen Ort abhält, nachdem er Judäa erobert hat: 535 529 Do wart ir menie also groz, / daz sin rede niht vorschoz, / und enkonde sie niht gestillen; / do vorhancter in irs willen (vv. 3985-3988). 530 Maihold (2005) hat nachgewiesen, dass das Prinzip der Sippenhaftung für das ,deutsche‘ Recht keineswegs allgemein anzunehmen ist. Wie im römischen Recht gibt es jedoch einige wenige verstreute Belege für dessen Anwendung im Fall des Hochverrats. Die Verhaftung der Verwandten des Pilatus im Evangelium Nicodemi dürfte also die Schwere seines Verbrechens herausstellen. 531 Dass Pilatus nach der vorher geschilderten Handlung diese Worte geäußert hat, als er mit Jesus allein war (vv. 1452-1455), spielt hier keine Rolle. 532 Für ein ,unterhaltendes Moment‘ (so Mattig-Krampe 2001, S. 137, in Bezug auf die Ausgestaltung der Fesselung) bietet der Text keine Anzeichen. 533 Beide Vorwürfe sind in der Formel zusammengeführt, dass Pilatus ein Feind Gottes und des rehten sei (vv. 4348 f.). Vgl. zur Sinndimension dieser Verse Manuwald 2014, S. 684 f. 534 Die Römer werfen Pilatus hier also eine Mitschuld vor, wie sie in den Worten seiner Frau (v. 923) angedeutet worden war. 535 Bereits Tiberius hatte eine Bestrafung ,der Juden‘ anvisiert (vv. 4476-4487). 152 3 Variationen der Rechtsthematik und swaz des volkes genas, daz hiez der konic spannen - kint, wib mit den mannen - und furen an die selben stat, da Jesus vor Pilaten trat, der alle siechen heilde; und da man in vorteilde dem volke zu gesihte, do saz er zu gerihte. Do vorteilde er mit rehte die juden und ir geslehte, die kint, wib unde man und tet daruber keiseres ban 536 nach romischen urteilen. (vv. 4678-4691) Die Betonung, dass Jesus dem volke zu gesihte verurteilt worden sei, suggeriert eine Mitverantwortung des Volkes (an der damaligen Entscheidung). Sie ist bei dem Verfahren gegen ,die Juden‘ nicht gegeben, sondern Vespasian agiert als selbsturteilender Richter 537 und legt sein Urteil als Landesherr in einer Urkunde fest. 538 Die Schuld der gefesselt vorgeführten Juden (vgl. auch v. 4692) steht durch den Blutruf schon fest, der durch die Verurteilung des gesamten Geschlechts 539 implizit präsent ist. ,Die Juden‘ werden nicht nur zur Unfreiheit 540 und zu einer stark eingeschränkten Berufsausübung verurteilt (vv. 4692-4713), ihnen wird - gleichsam als spiegelnde Strafe - auch die Zeugnis- und Gerichtsfähigkeit aberkannt ( und daz sie niergen mugen sten / an gezuge noch an gerihte , vv. 4694 f.). 541 Dass Pilatus und ,die Juden‘ für das ungerechte Verfahren gegen Jesus zur Rechenschaft gezogen werden, zeigt, welche Konsequenzen es hat, wenn das Prinzip, jemanden nur mit rehte zu verurteilen, das Pilatus zu Anfang propagiert hatte (vv. 725-727), nicht befolgt wird. Die moralisierende Deutung des Prozessgeschehens, die im Schlussteil des Textes dominiert, steht in einem Spannungsverhältnis dazu, dass an früheren Stellen die Notwendigkeit des Heilsgeschehens betont worden war: Der Verrat ,der Juden‘ habe geschehen müssen (vv. 393-396), Kaiphas habe unbewusst als Heilswerkzeug fungiert (vv. 414-421). 542 Und Jesus sagt im Prozessverlauf nicht nur von Pilatus, dass dessen gewalt gottgegeben sei (vv. 1465-1468), 543 sondern deutet das auch für die jüdischen Ankläger an (vv. 946 f.). Satan 536 Damit ist die Reichsacht gemeint. S. dazu u. S. 170. 537 Hier könnten die Entwicklungen zu einem selbsturteilenden Richter im Königsgericht, die Klibansky (1925, S. 22) für das Hofgericht des Pilatus interpretatorisch fruchtbar machen wollte, relevant sein. 538 und gab des sin geleite / und des riches hantveste (vv. 4704 f.). 539 Dass das gesamte jüdische Volk Schuld am Tod Jesu trage, war im Text schon dadurch insinuiert worden, dass am Mordrat auch Frauen beteiligt sind (vv. 397-401). Der Erzähler bedient sich allerdings auch in anderen Zusammenhängen der Formel ,Männer und Frauen‘, um eine große Volksmenge zu beschreiben (vgl. vv. 3793; 4364). 540 Zur bis auf die Vindicta Salvatoris zurückgehenden Erzähltradition von der Versklavung der Juden vgl. Magin 1999, S. 118 f. 541 Das kanonistische Zeugnisverbot für Juden wurde in verschiedene deutsche Rechtsbücher übernommen, in besonders strikter Form in den Schwabenspiegel , ohne dass die Rechtswirklichkeit dem immer entsprochen zu haben scheint (vgl. Magin 1999, S. 407 f.). Zur Regelung der Gerichts- und Zeugnisfähigkeit im Einzelnen vgl. Magin ebd., S. 210-275. 542 Ebenso heißt es später von Satan, dass er unwissentlich Heilswahrheiten ausspreche (vv. 3414-3433). 543 Vgl. auch den Verweis Jesu auf die alttestamentarischen Prophezeiungen in vv. 1127-1133. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 153 wiederum beansprucht, er habe sein Volk, die ungetruwen juden , und den Richter Pilatus auf Jesus gehetzt (vv. 3131-3185). Die Zusammenschau dieser weit auseinanderliegenden Textpassagen wird der Regie des Textes nicht gerecht, die eindeutig auf die Eigenverantwortung der am Prozess Beteiligten hinsteuert, jedoch zeigt sie, dass das Prozessgeschehen gerade im Evangelium Nicodemi nicht unabhängig vom heilsgeschichtlichen Rahmen zu betrachten ist. 544 3.4.3 wârheit Die Wahrheitsthematik wird im Evangelium Nicodemi bereits im Prolog eingeführt, wenn das Autor-Ich den Heiligen Geist bittet, er möge es mit dem Feuer seiner Minne erfüllen zu schribene die waren schrift (vv. 312-315). In diesen Versen geht es um eine Wahrheit, die durch göttliche Inspiration vermittelt wird. Mit seiner schrift will das Autor-Ich die ,heilige Schrift‘ Gottes vermitteln: […] mache wis mich tummen an diner heiligen schrift, die wunder die du hast gestift daz ich die den luten muge also beduten, 545 daz ich des lon dort vinde vor der meide kinde, mit dem du ein war got 546 bist. (vv. 336-343) An dieser Stelle bleibt unklar, ob es sich bei der heiligen schrift um eine Wort- oder eine Werkoffenbarung handelt. Der Inhalt des Textes, nämlich die Wunder, die Jesus zu Lebzeiten und bei seiner Auferstehung vollbringt, spricht aber ebenso für eine Werkoffenbarung wie der Status, der den neutestamentlichen Schriften im Evangelium Nicodemi zuerkannt wird. 547 Dass die göttliche Wahrheit an zeichen erkennbar ist, wird später erläutert, als das Autor- Ich unvornunftigen luten Jesu Worte am Kreuz ,deutet‘ (vv. 2045 f.). Es bezieht sich dabei auf die Propheten, die den waren geist empfangen hätten (vv. 2047-2055), also den Zustand erreicht haben, um den es selbst im Prolog bittet. Auf dieser Basis hätten sie die Zukunft vorhergesagt, damit ihre Nachkommen Jesus an seinen zeichen und urkunden erkennen und so zur warheit vordringen könnten (vv. 2056-2073). Während hier die Wahrheit in den Werken Jesu zu liegen scheint, die die Propheten vorhergesagt haben, kehrt sich das Verhältnis in den folgenden Versen um: Jesus habe durch sein Verhalten die Wahrheit der Prophetenworte bestätigen wollen: 548 544 S. dazu u. Kap. 3.4.4. 545 beduten umfasst im Evangelium Nicodemi (vv. 1766; 1929; 2187) das gesamte Spektrum von ,übersetzen‘ bis ,auslegen‘ (vgl. BMZ; L exer ; MWB, s. v. bediuten ). 546 Dass der ,wahre Gott‘ ein trinitarischer Gott sei, wird im Text mehrfach geäußert (vv. 2483 f.; 4517 f.), ebenso, dass Jesus wahrer Gott und Mensch sei (vv. 2793 f.; 3941 f.; 4553 f.). Zum Gebrauch von war in Bezug auf Gott / Christus vgl. BMZ, s. v. 547 S. dazu u. S. 155. 548 Inhaltlich geht es darum, dass Jesus am Kreuz den Beginn von Psalm 21[22] gesprochen habe. 154 3 Variationen der Rechtsthematik Do unse herre Jesus Crist an daz cruze gehangen wart, […] do wolde er irzeigen die warheit und urkunden den vienden und den vrunden, daz die gesprochen heten war mit gotlichen steten gar, und bewarte besunderen mit zeichen und mit wunderen mit worten und mit gedulde die tat mit unschulde, - an simem libe was gestift gar al der propheten schrift - […] (vv. 2074-2088) 549 Dass sich Jesus alttestamentarischen Prophezeiungen entsprechend verhält, ist im Evangelium Nicodemi kein vereinzeltes Motiv. 550 Nach den Ausführungen des Autor-Ich sieht sich sogar Gott an das Alte Testament gebunden: Do er der werlde began, er sprach: „Wir machen einen man nach unseme glichnisse.“ Do er den val vor wisse, daz er ganz mohte niht bestan, het er des alles niht getan, entweder Moses der luge der uf got diz wort zuge, oder got muse volgen - swie harte ir sit irbolgen - sinen worten mit den werken. (vv. 1697-1707) 551 In einer paradoxen Umkehrung werden hier die Worte Mose, der Gottes Worte überliefert, zum Maßstab für Gottes Handeln. 552 549 Dass die schrift erfüllt werden müsse und nicht ,zerbrochen‘ werden dürfe (vv. 2020-2044), hatte der Erzähler zuvor bereits Jesus in einer ihm - als Erläuterung des Kreuzeswortes - in den Mund gelegten Rede (vgl. vv. 1948 f.) sagen lassen, aus deren Interpretation für ,unverständige Leute‘ (v. 2046) die zitierten Verse stammen. 550 Vgl. den Verweis auf Is 53,7 in vv. 641-651, aus dem ebenfalls eine Intention Jesu zu erschließen ist. Andere Akteure führen die im Alten Testament präfigurierten Handlungen unwissentlich aus (vgl. vv. 1530-1537; 1603-1627), bzw. es werden einfach Entsprechungen konstatiert, so wie beim Paradiesbaum, der Tau-förmig wächst (vv. 1770-1787). 551 Vgl. zur voluntas divina an dieser Stelle Wiedmer 1977, S. 64-67. 552 In der Rede Adrians wird - ebenfalls ausgehend von dem Zitat, dass Gott den Menschen nach seinem Bilde geschaffen habe - die Notwendigkeit der Erlösung dagegen damit begründet, dass Gott an seine eigenen Worte gebunden sei (vv. 4120-4140): So ist got so warsprêche, / daz er nimmer niht zubrichet / alles des er gesprichet (vv. 4120-4122). Diese Vereinfachung geht mit Konkretisierungen einher, die Wiedmer (1977, S. 83) überzeugend mit der didaktischen Redesituation in Zusammenhang gebracht hat. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 155 Von dieser umfassenden Autorität des Alten Testaments unterscheidet sich die der Evangelien deutlich, wie dem ,quellenkritischen‘ Abschnitt des Prologs (vv. 369-392) zu entnehmen ist: Die vier Evangelisten hätten die zeichen und wunder Jesu und seine Passion aufgeschrieben - hier folgt also das Wort den Werken nach. Jedoch hätten sie viel ausgelassen, sowohl von dem, was Jesus getan habe, als auch von dem, was seine Gegner getan hätten. Das Werk der Evangelisten habe der meister Nikodemus vollendet, der mit Juden und Christen zusammen gewesen sei: die rehten waren mere / beidenthalb er wiste (vv. 382 f.). 553 An späterer Stelle wird das Wissen des Nikodemus auf dessen Augenzeugenschaft zurückgeführt, die er den Evangelisten vorausgehabt habe (vv. 679-709). 554 Dass die Evangelisten nicht alles berichteten, wird im Text aber nicht allein damit erklärt, dass sie nicht alles gewusst hätten: Im Prolog heißt es, sie hätten durch tumme lute (v. 377) manches ungeschrieben gelassen. Ist damit gemeint, dass man diesen Leuten bestimmte Komplexitäten nicht zumuten könne, oder eher die Angst vor der Reaktion törichter Leute? Auf Letzteres könnte der Kommentar zu den Kreuzesworten in den Evangelien (vv. 2166-2178) 555 hindeuten. Dort werden gleichberechtigt die Versionen der vier Evangelisten und die des Nikodemus gegenübergestellt. Sinngemäß wird gesagt, dass Markus und Matthäus den einen Ausruf überlieferten (gemeint ist: „Eli / lamasabatani“ , vv. 1927 f.; vgl. Mc 15,34; Mt 27,46), Lukas und Nikodemus den anderen (gemeint ist: „Via alach / hoe fricole“ , vv. 2185 f.; vgl. Lc 23,46; Nikodemusevangelium , cap. XI 1), während Johannes die Worte ‚verschwiegen‘ habe (v. 2171). 556 Sie hätten jedoch alle die Wahrheit gesprochen: Der eine habe mehr gewusst als der andere bzw. so gesprochen, wie er es gewagt habe ( als er torste ien , v. 2177). So provokativ eine solche Deutung auch ist, der Wortlaut scheint nahezulegen, dass dahinter die Vorstellung steht, die wahrheitsgetreue Übermittlung des Heilsgeschehens erfordere Mut. Die Aspekte der Augenzeugenschaft und des mutigen Eintretens für die Wahrheit schaffen eine Querverbindung von der Quellenreflexion zum geschilderten Prozessgeschehen. 553 In vv. 384-392 wird in einer Präteritio auf Io 3,1-9 verwiesen, wodurch die Figur des Nikodemus zusätzlich an Autorität gewinnt. Prozesse der medialen Vermittlung spielen in den quellenkritischen Passagen des Evangelium Nicodemi keine Rolle: Weder wird das Motiv, dass Nikodemus eine Niederschrift des Berichts der Simeonsöhne erhalten habe (vv. 3692-3694), weiter entfaltet, noch wird thematisiert, wie der Bericht des Nikodemus an den Verfasser gelangt ist. 554 Nikodemus wird auch von den Jüngern abgehoben, die aus Furcht vor ,den Juden‘ nach seiner Gefangennahme nicht bei Jesus geblieben seien (vv. 692 f.). Nach dem Erzähler handelte Nikodemus, als er sich unter ,die Juden‘ mischte, mit listen (v. 698), war aber auch durch seinen Verwandtschaftsverbund vor den ,Fürsten‘ ,der Juden‘ geschützt (vv. 700 f.). Der Erzähler betont auch die Loyalität des Nikodemus, die er in keiner Weise negativ wertet: doch enwold er en niht vorraten, / noch vehen vor gerihte, / und gehal in an nihte, / daz sie an ime begiengen. (vv. 706-709). Interessanterweise wird hier auch die Möglichkeit eines gerichtlichen Vorgehens gegen ,die Juden‘ genannt. 555 Die Passage ist sowohl auf die vorhergehenden Verse zum Ausruf „Eli / lamasabatani“ (vv. 1927 f.) als auch auf die anschließenden Verse zum Ausruf „Via alach, / hoe fricole“ (vv. 2185 f.) zu beziehen (vgl. Helm 1899, S. 122). 556 Der folgende Vers ( sin passio sunder titel stat , v. 2172) ist schwer zu deuten. titel kann hier nicht wie in v. 1800 die Kreuzesinschrift bezeichnen (vgl. Helm 1902, S. 241). Hoffmann (1997a, S. 298) bezieht titel offenbar auf das Kreuzeswort, denn er übersetzt „such an utterance by Christ“. Da der Psalmenbezug im Auslegungsexkurs so prominent ist und auch „Via alach, / hoe fricole“ auf ein Psalmwort (30[31],6) zurückgeht, Johannes jedoch kein auf einem Psalmvers beruhendes Kreuzeswort überliefert (vgl. Kemper 2006, S. 318), könnte sich titel hier auf die (vor allem im Frühmittelalter verbreiteten) tituli psalmorum beziehen, in denen die Psalmen u. a. auf Jesus als Sprecher hin ausgelegt wurden (vgl. Salmon 1959). 156 3 Variationen der Rechtsthematik Auch in der Darstellung des Prozesses wird Nikodemus als vorbildlich charakterisiert, indem er für Jesus aussagt (vv. 1155-1186). Er wiederholt, was er schon beim Mordrat gesagt habe: Wie an den von Moses vollbrachten zeichen erkennbar sei, hätten Wunder, die von Gott kämen, Beständigkeit. Das bestätigen ,die Juden‘ als wahr. Deshalb, so argumentiert Nikodemus, könne man in Analogie entscheiden, dass Jesu Werke von Gott seien, wenn sie bestehen blieben. Nikodemus erweist sich als fähig, das Wahrgenommene richtig zu interpretieren. 557 ,Die Juden‘ aber werden zornig auf Nikodemus, weil er die Wahrheit gesagt hat ( daz er der warheite jach , vv. 1187-1189). Da die Szene auf den Dialog zwischen Jesus und Pilatus über die Wahrheit (vv. 1084-1092) folgt, in dem Jesus - ähnlich wie im Nikodemusevangelium (cap. III 2) - auf das Gefährdungspotenzial hinweist, das damit verbunden ist, wenn jemand auf Erden die Wahrheit sagt, kann die Reaktion ,der Juden‘ auf die Rede von Nikodemus als Exemplifikation dieser Aussage verstanden werden. Dass im Evangelium Nicodemi Pilatus dann ,die Juden‘ dafür tadelt, dass sie Nikodemus zürnten, weil er die Wahrheit gesagt habe (vv. 1192 f.), wirft ein positives Licht auf das Gericht als wahrheitsbewahrende Instanz. Überhaupt fällt - vor allem im Vergleich mit Diu urstende - auf, dass die Wahrheit im Kontext des Prozesses wenig Schwierigkeiten hat, sich durchzusetzen: Die Augen- und Ohrenzeugenschaft des Läufers wird ohne Weiteres akzeptiert (vv. 800-826). Beim Proselytenvorwurf (vv. 994-999) gegen die zwölf Juden, die aussagen, Jesus sei nicht unehelich geboren, wird nur kurz gesagt, dass die zwölf diesen Vorwurf hätten widerlegen können (vv. 1000-1002). Daraufhin akzeptieren - anders als im Nikodemusevangelium (cap. II 5) - sogar Kaiphas und Annas deren Aussage (vv. 1003-1005), die auf Augenzeugenschaft beruht (vv. 979 f.). 558 Die Zeugenaussage von Veronika, einer Frau ( ein wib , v. 1237), wird nicht hinterfragt (vv. 1237-1242). Und die gegenüber dem lateinischen Nikodemusevangelium zusätzlich eingefügte Zeugenaussage des Lazarus, der sich wiederum auf zahlreiche Zeugen beruft, die seine Auferweckung vom Tode gesehen hätten (vv. 1249-1265), 559 hat eine solche Überzeugungskraft, dass ,die Juden‘ sich daraufhin zur Beratung zurückziehen und keine andere Möglichkeit mehr sehen, als den Richter ‚zornig‘ zu machen, um eine Verurteilung Jesu zu erreichen (vv. 1266-1274). Offenbar wurde in der Erzählung vom Prozess das Augenmerk ausdrücklich nicht auf Methoden der Wahrheitsfindung und deren Absicherung gelegt, da man beobachten kann, dass sie an anderen Stellen des Textes durchaus ausgestaltet sind. Zwei verschiedene Verfahren zur Wahrheitsfindung werden bereits in der Fahnenwunder-Episode eingeführt. Wie im lateinischen Nikodemusevangelium (cap. I 5 f.) werden zunächst die heidnischen Fahnenträger befragt, dann folgt zur Ermittlung der Wahrheit das von Pilatus angeordnete pragmatische ,Experiment‘, dass die Fahnenträger gegen Vertrauensleute ,der Juden‘ ausgetauscht werden (vv. 872-918). Jedoch dient der Austausch der Fahnenträger im Evangelium Nicodemi vor allem der öffentlichen Wahrheitsdemonstration, denn schon vorher ist Pilatus, der das Senken der Fahnen als zeichen deutet (v. 865), von der Unschuld der heidnischen Träger überzeugt (vv. 884 f.). Dass er sie bei ihrem Eid auf das Reich befragt hat (ein Zusatz zum lateinischen Nikodemusevangelium ), hat es ihm erlaubt, Wahrheit von Lüge zu 557 Die Frage, wie bestimmte Anzeichen zu deuten sind, ist auch an anderen Stellen des Textes thematisiert. So wirft das Höllenvolk Satan vor, er habe Anzeichen für die Göttlichkeit Jesu verkannt (vv. 3237-3273). 558 Vgl. dazu Manuwald 2011, S. 61 f. 559 Vgl. dazu Hoffmann 1997a, S. 299. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 157 scheiden. Der Eid dient hier nicht als direktes Mittel zur Wahrheitsfindung, sondern garantiert das ,verlässliche Verhalten‘ der Untergebenen. 560 Eiden als Absicherungsmechanismus kommt auch im weiteren Handlungsverlauf ein hoher Stellenwert zu, 561 vor allem bei den Befragungen, die ,die Juden‘ nach Jesu Auferstehung durchführen. 562 In der Wächter-Szene (vv. 2333-2449) spielt der Eid allerdings noch keine Rolle: ,Die Juden‘ glauben den Wächtern nicht und wollen sie in einem Gerichtsverfahren zur Rechenschaft ziehen, das so implizit als Mittel der Wahrheitsfindung anerkannt wird. Die Wächter können sich dem jedoch durch Verweis auf den evidenten Befund entziehen, dass auch Joseph auf mirakulöse Weise verschwunden ist, und werden von ‚den Juden‘ zu Falschaussagen gegenüber Pilatus veranlasst. Auch die Aussage der drei Priester (vv. 2450-2493) ist nicht durch einen Eid gesichert, sondern erhält durch die Übereinstimmung (vgl. vv. 2460 f.) ihrer auf Augenzeugenschaft beruhenden Aussage, 563 die in eine Bezeugung der Himmelfahrt Jesu mündet, Autorität. ,Die Juden‘ glauben den dreien erst, als sie - wiederum übereinstimmend - beteuern, die Wahrheit gesagt zu haben und sich zu der Verpflichtung bekennen, die Wahrheit nicht zu verschweigen (vv. 2490-2493). Daraufhin verpflichten die Hohepriester sie bei einem Eid (mit Todesdrohung) zum Schweigen (vv. 2494-2498) und lassen sie wegführen (vv. 2499-2501). Bei der Befragung Josephs wird das Mittel des Eides dazu eingesetzt, die Wahrheit seiner Aussage zu garantieren. Dass die ,Bischöfe‘ Joseph bi der e die er bege (v. 2513) beschwören sollen, ist bereits Teil des von Nikodemus geäußerten Rates, man solle Joseph befragen (vv. 2506-2524). In der Tat wird später ein Schwur von Joseph verlangt: daz volc 564 in bi der e bat und hiez in uf den buchen swern, als er sich wolde genern zu deme jungesten tage, daz er sagete ware sage um in und umme Cristen: (vv. 2578-2583) Joseph beschließt seine Aussage mit einer entsprechenden Wahrheitsbeteuerung: „ […] / Diz ist war bi miner e! “ (v. 2678). Mit ,den Büchern‘, auf die Joseph schwört, dürften die fünf Bücher Mose gemeint sein, die bei Judeneiden üblicherweise zum Einsatz kamen, 565 weil nicht anzunehmen ist, dass der christliche Verfasser hier ein jüdisches Ritual beschreibt. 566 Mit dem Eid Josephs kommt eine metaphysische Instanz ins Spiel. Glaubwürdigkeit gewinnt seine Aussage aber auch dadurch, dass er als Wahrnehmungszeuge spricht, wie 560 Zum Eid als Mittel „zur Begründung und Stabilisierung politisch-herrschaftlicher Beziehungen“ vgl. Holenstein 2008, S. 232. Zur Differenzierung zwischen promissorischen und assertorischen Eiden vgl. Munzel-Everling 2008b. 561 Vgl. auch die eidähnliche Wahrheitsbeteuerung des Pilatus, wenn er die Gestirne als Zeugen dafür anruft, dass er nicht lüge, wenn er sage, dass er an Jesus keine Schuld finde (vv. 1039-1044). 562 Anders als im lateinischen Nikodemusevangelium (cap. II 5) wird ein jüdisches Eidverbot nicht thematisiert. 563 Vgl. den gehäuften Gebrauch von sach in vv. 2473-2485. 564 Es ist anwesend, obwohl die Befragung im Verborgenen stattfindet (vv. 2574-2577). 565 Vgl. Kisch 1978, S. 146-150. Für Literatur zu den Judeneiden s. o. S. 70, Anm. 25. 566 Das Schwören auf einen Gegenstand, z. B. eine Gesetzesrolle, ist allerdings im Judentum in nachtalmudischer Zeit noch üblich: „der Schwörende musste wissen, resp. darauf besonders hingewiesen werden, daß er den Eid auf deren Inhalt und nicht etwa auf das Pergament leiste“ (Cohn 1928, Sp. 291). 158 3 Variationen der Rechtsthematik die zahlreich gebrauchten Verben des Sehens anzeigen (z. B. vv. 2606; 2618). 567 Außerdem wird seine Aussage von den drei Priestern bestätigt (vv. 2679-2681) - auf der Grundlage ihrer eigenen Augenzeugenschaft der Himmelfahrt, so kann man vermuten. Wie schon in der Prozesshandlung (vv. 1003-1005) erkennt Kaiphas auf Augenzeugenschaft beruhende übereinstimmende Aussagen als wahr an (v. 2701), allerdings ist hier ein weiterer Schritt dazwischen geschaltet: Kaiphas verweist auf Elias und Enoch, die Gott ebenfalls vor dem Tod bewahrt habe (vv. 2684-2687), führt also Präzedenzfälle an, die das wunder möglich erscheinen lassen, dass Jesus, den doch alle tot g e s e h e n hätten (v. 2696), wiederauferstanden ist. Bei der abschließenden Befragung der vom Tod wiederauferstandenen Simeonsöhne sind wiederum rituelle und rationalistische Methoden der Wahrheitssicherung kombiniert, indem sie im Tempel beschworen (vv. 2760-2787), zusätzlich aber bei der Abfassung ihrer schriftlichen Berichte voneinander getrennt werden (vv. 2829-2835). Das Resultat dieser irdischen Vorsichtsmaßnahme ist jedoch ein weiteres wunder , nämlich die völlige Übereinstimmung der Berichte (vv. 2836-2841). 568 Welche Wahrheit sollen die Simeonsöhne aber garantieren? Bei der Einführung der Figuren geht es noch einmal um den Wahrheitsgehalt der Aussage Josephs, der rekapituliert, dass man die Simeonsöhne gemeinschaftlich begraben habe, dann aber berichtet, dass sie wiederauferstanden seien (vv. 2714-2727). ,Die Juden‘ senden daraufhin Joseph nach ihnen aus, prüfen aber zugleich nach, ob ihre Gräber tatsächlich leer sind (vv. 2748-2759). Joseph hatte Leucius und Carinus als Quelle der Wahrheit angekündigt; man solle sie sowohl dazu befragen, was mit Jesus passiert sei, als auch dazu, was sie über die Erlösung wüssten (vv. 2728-2737). Für die Übermittlung einer solchen heilsgeschichtlichen Wahrheit sind sie nach Joseph geeignet, da sie zu ihren Lebzeiten wahrheitsliebend gewesen seien und außerdem wüssten, was nach dem Tode passiere (vv. 2738-2743). Bei dieser Einführung wird erneut deutlich, dass zur Übermittlung von ,Wahrheit‘ nach dem Evangelium Nicodemi sowohl eine inhaltliche als auch eine moralische Qualifizierung nötig ist. Letztere solle, so hatte es bereits Joseph vorgesehen, durch einen Eid bi der e, / die an unsen buchen ste (vv. 2733 f.) gesichert werden. Tatsächlich werden die Simeonsöhne vor ihrer Befragung bei dem Inhalt der e beschworen (auf den alttestamentarischen Gott, der Moses die Gesetze gab); 569 die e - aufgefasst als materielles Schriftstück 570 - wird ihnen dabei für den Eid auch auf den Kopf gelegt (vv. 2768-2783). Dieser Ritus fällt aus der im christlichen Kontext üblichen Eidesleistung auf ein Buch (Evangeliar) oder ein Reliquiar heraus, 571 und auch das Eidzeremoniell der Judeneide bietet 567 Er will seine Eindrücke an alle Juden vermitteln, damit sie erkennen, was geschehen ist (vv. 2568-2572). Dass für die Bezeichnung des Erkenntnisprozesses ein Verb des Sehens gewählt ist ( ane sen , v. 2571; zur Bedeutung vgl. MWB) dürfte kein Zufall sein. In der Handschrift p ist verdeutlicht, dass die Aussage Josephs erst auditiv wahrgenommen werden muss ( horn und sehen ). 568 Zum Wundercharakter dieser Übereinstimmung vgl. (in Bezug auf Diu urstende , wo das Wunder nicht als solches benannt ist) Strohschneider 2005, S. 323 f.; 2014, S. 103-106. - ,Die Juden‘ scheinen den Wahrheitsgehalt der Berichte anzuerkennen, jedenfalls ziehen sie sich, als die Simeonsöhne verschwunden sind, unvro zurück und beklagen, was mit Jesus geschehen ist (vv. 3780-3788). 569 Diese Formel ist für Judeneide typisch (vgl. Schmidt 2002, S. 95). 570 Es dürfte sich um die Thorarolle des Tempels handeln, die auch bei Judeneiden als auf jeden Fall authentisches Exemplar der fünf Bücher Mose gern Verwendung fand (vgl. dazu Kisch 1978, S. 150-159). 571 Zwar werden bei einer Klage auf handhafte Tat (vgl. Munzel-Everling 2008b, Sp. 1254) bzw. bei der Überführung eines Verfesteten (vgl. Richtsteig Landrechts 35,6; zitiert nach Homeyer 1857) dem Be- 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 159 kaum etwas Vergleichbares. 572 Sucht man im christlichen Kontext nach Parallelen, so stößt man auf Riten im Rahmen der Bischofsweihe. 573 Sollte hier eine Anspielung darauf vorliegen und ein hybrider jüdischer Schwurritus konstruiert worden sein, gewännen die Simeonsöhne durch diese Art der Beschwörung zusätzliche Autorität als Verkünder des Wortes Gottes. 574 Auch die Aufforderung ‚der Juden‘, dass die Simeonsöhne bei ihrem orden Auskunft geben sollten (v. 2786), bringt zum Ausdruck, dass die beiden einen besonderen Status innehaben. 575 Dass es sich bei der e aber gerade nicht um das Evangelium handelt, wird nicht nur durch den Inhalt des Schwures präsent gehalten, sondern auch dadurch, dass die Simeonsöhne in ihrer an Jesus gerichteten Rede (vv. 2793-2828) sagen, dass die e , bei der man sie beschworen habe, jetzt durch die Taufe, die Johannes der Täufer zuerst an Jesus vollzogen habe, abgelöst sei (vv. 2805-2810). 576 In ihrer - gegenüber dem lateinischen Nikodemusevangelium (cap. XXVII 2) deutlich ausgearbeiteten - abschließenden Mahnrede an ,die Juden‘ (vv. 3695-3777) geben die Simeonsöhne vor ihrer Himmelfahrt dann eine regelrechte Tauflehre (vv. 3713-3735) und fordern ,die Juden‘ zur Taufe auf (v. 3734). Für ihre Rolle als Wahrheitsvermittler ist relevant, dass sie in dieser Rede beanspruchen, ,die Juden‘ die Worte der alttestamentarischen wissagen gelehrt zu haben (vv. 3743-3747). Außerdem ordnen sie sich einer Gruppe von Auferweckten zu, die Jesus mit sich habe auferstehen lassen zum Beweis ( urkunde ), dass er auferstanden sei (vv. 3698-3701). Eine entsprechende Interpretation der Funktion der mit Jesus Auferstandenen ist auch Adrian in den Mund gelegt: „ […] die grabe uf sich taten, die toten die sie haten die giengen heruz lebende, antworte den luten gebende, und vorjigen uns der warheit, des Jesus hete vor geseit, er were lebend erstanden uz des todes banden.“ (vv. 4001-4008) klagten Reliquien auf den Kopf gesetzt, den Eid darauf leisten dann aber diejenigen, die ihn beschuldigen. 572 Nur im zweiten Judeneid einer westmitteldeutschen Schwabenspiegel -Handschrift vom Ende des 14. Jahrhunderts (Heidelberg, UB, Cpg 53: Ordnung IIIb, systematisiert; vgl. den Eintrag im Handschriftencensus und Oppitz 1990, S. 39 [zu Nr. 692]) heißt es in der Anweisung an den Judenbischof: Sint ir dw stebe hat genant so heizet uns don bekant we daz bouch [sic] si genant in uwer e. daz wir zo rehte scullen haben. vnde ob her ir uf deme halse sulle tragen. biz an des eides ende (zitiert nach Zimmermann 1973, S. 82). Der Sinn der Stelle, die keine Parallelen in anderen Judeneiden hat, ist nicht abschließend geklärt. Nach Zimmermann (ebd., S. 93) ergibt sie „nur im Zusammenhang mit der Wendung ‚vnde so daz swebel vnde daz pech uf dinen hals muoze rinnen vnde reghenen‘, die in jedem Judeneid der Schwabenspiegelgruppe zu finden ist, einen Sinn.“ Zur Sonderstellung dieses Eids vgl. Magin 1999, S. 276 f., Anm. 576. 573 Zum Ritus der impositio evangelii und den unterschiedlichen Sinnzuschreibungen, die er erfahren hat, vgl. Schreiner 2001a, S. 73-79. 574 Die besondere Art des Körperkontakts mit der e steht im Evangelium Nicodemi zugleich im Kontext einer anderen Berührungsgeste: Die Münder der Simeonsöhne werden erst dadurch ,entriegelt‘, dass sie Kreuze - wie eine Hostie - auf ihre Zungen legen (vv. 2791 f.). Nach dem Nikodemusevangelium (cap. XVII 3) machen sie ein Kreuzzeichen über ihre Zungen. 575 Ein geistlicher Stand ist durch das Wort orden nicht impliziert (vgl. BMZ, s. v.). 576 S. dazu u. S. 264 mit Anm. 337. 160 3 Variationen der Rechtsthematik Durch ihre körperliche Anwesenheit und ihre Worte, die die Erfüllung der alttestamentarischen Prophezeiungen bestätigen, sind die Simeonsöhne also vor allem Übermittler der Heilswahrheit. Trägt man die verschiedenen Äußerungen auf der Figuren- und der Erzählerebene, die sich auf die Wahrheit und deren Absicherung beziehen, zusammen - und das scheint wegen deren Kohärenz gerechtfertigt -, ergibt sich Folgendes: Die Propheten haben, inspiriert vom Heiligen Geist, die (Erlösungs-)Wahrheit vorhergesagt. Jesus hat diese Wahrheit durch sein Leben und Sterben und seine Auferstehung bekräftigt. Die mit ihm Wiederauferstandenen waren lebende Beweise für diese Wahrheit 577 und haben durch ihr Zeugnis, das auch durch irdische Mechanismen (wie den der übereinstimmenden Augenzeugenschaft) abgesichert ist, zugleich eine Überlieferungstradition begründet. 578 Wo sich der Text des Evangelium Nicodemi in dieser Kette positioniert, wird nicht explizit benannt, aber es wird nahegelegt, dass er in dieser Überlieferungstradition ebenfalls Wahrheit für sich beanspruchen kann. Der Ausdruck ,wahre Schrift‘ taucht nur im Schlussteil des Textes nochmals auf: Die Fürsten (v. 5189) ‚pflegten‘ das Unrecht, sie hätten sich von den Idealen der Vorfahren abgekehrt und folgten nicht der waren schrift ; sie sollten sich besser an der warheit orientieren (vv. 5232-5238). Hier dürfte mit der waren schrift die christliche Lehre gemeint sein. 579 Aus einer anderen Textstelle des Schlussteils lässt sich schließen, dass die Orientierung an der Wahrheit auch die konkrete Dimension des Nicht-Lügens hat (vv. 4764-4767), 580 die in der erzählten Prozesshandlung relevant ist. Zumindest onomasiologisch sind die heilsgeschichtliche Wahrheit und Wahrheit als Verhaltensmaßstab verbunden. 3.4.4 reht und ê Es ist für das Evangelium Nicodemi charakteristisch, dass verschiedene Rechtsordnungen auf Erden zueinander in Beziehung gesetzt werden und dass sie - entweder derivativ oder systematisch - in einem Zusammenhang mit dem göttlichen Recht stehen. Die komplexen Verhältnisse können hier nur skizziert werden, wobei die versuchte Systematisierung nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass im Text gerade kein streng logisches Gedankengebäude entwickelt wird, sondern die einzelnen narrativ funktionalisierten Aspekte assoziativ verknüpft sind. 581 Wie Sinnbezüge generiert werden, sei an der Stellung des Pilatus im Rechtssystem verdeutlicht. Sie zu bestimmen scheint einfach zu sein, wenn man nur die expliziten Aussagen zu seiner Gerichtsgewalt berücksichtigt: Er hat sein Amt ,von römischer Hand‘ bekommen (vv. 3895-3904) und übt seine Gerichtsgewalt im Namen des römischen Reiches 577 Auch ,den Juden‘ wird zugestanden, dass sie die Heilsgeschichte bezeugen. S. dazu u. S. 163, Anm. 594. 578 Im Text wird sie dadurch angedeutet, dass Pilatus die brieve abschreiben lässt und mit einer eigenen schriftlichen Aufzeichnung, in der er die Abläufe wahrheitsgemäß darstellt, nach Rom sendet (vv. 3794-3809). 579 Diese Bedeutung der waren schrift ist auch in v. 5340 aktiviert: Dort werden ,die Juden‘ dazu aufgefordert zu erkennen, welche Wunder Gott auf Erden gewirkt habe und dass sie um der Erlösung des Menschen willen geschehen seien (vv. 5337-5350). 580 Dort werden diejenigen kritisiert, die sich ,den falschen Juden‘ gleichmachten, indem sie nicht die Wahrheit sagten. 581 Das geschieht häufig über die Wiederholung von Leitwörtern oder ganzen Versen, die jedoch in den verschiedenen Kontexten unterschiedliche semantische Nuancierungen entfalten (vgl. dazu Manuwald 2014, S. 688 f.; zur Technik der Wiederholung vgl. de Boor 1925; Helm / Ziesemer 1951, S. 80-83). 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 161 aus, dessen Herrscher durch die Fahnen des Reiches repräsentiert ist (vv. 835-851). Unabhängig von der historischen Situation war im Rahmen der Erzählung von der Gefangennahme Jesu an chronologisch passender Stelle in einem Exkurs die Zweischwerterlehre 582 entfaltet worden (vv. 533-556). Zum weltlichen Schwert heißt es dort: 583 Der werlde zu gesihte der konic sal daz swert tragen; damite sal er tun geslagen alle die weder dem rehten [ ; ] in sime rihte vehten; er sal die werlt beschermen, er sal niht mite gehermen goteshus witewen weisen. (vv. 536-543) Wenn im Schlussexkurs diejenigen, die über andere herrschen und deswegen Gott dankbar sein sollten, dafür getadelt werden, dass sie, obwohl sie die Gerichtsgewalt hätten, nicht gegen ,die Juden‘ vorgingen, die Gotteshäusern, Witwen und Waisen durch Wucher Schaden zufügten (vv. 4920-4943), dann wird deutlich, dass die Anforderungen des weltlichen Schwerts auch für Vertreter der königlichen Gewalt gelten. Trifft das auch auf Pilatus zu? Immerhin sitzt er auf des riches dincstul (v. 623). Wenn das römische Reich auch kein christliches Reich ist, so gelten nach dem Sinnentwurf des Textes für Pilatus offenbar doch dieselben Maßstäbe wie für den König nach der Zweischwerterlehre des Exkurses, denn er wird schließlich zur Rechenschaft gezogen, weil er sich erpressbar gemacht und seine Gerichtsgewalt nicht dazu genutzt hat, diejenigen in Schach zu halten, die ein ungerechtes Urteil erwirken wollten (vv. 4326-4357). Da an der entsprechenden Textstelle nicht über den Wortlaut ein Bezug zur Zweischwerterlehre hergestellt wird, ist bei der Engführung der Textstellen Vorsicht geboten, aber es scheint doch über assoziative Bezüge eine universelle Vorstellung davon auf, was gerechtes Handeln in der Welt bedeutet. Angesichts dieses globalen Konzepts ist es wenig verwunderlich, dass Ausdifferenzierungen verschiedener gerichtlicher Zuständigkeiten, wie sie sich in Christi Hort für Pilatus und Herodes finden, 584 unterblieben sind. Nur das partikulare Recht einer bestimmten Gruppe zieht sich als Motiv durch den Text: das ,der Juden‘. 585 Gleich zu Beginn der Erzählung wird gesagt, dass bei Kaiphas als ,Bischof ‘ auch die Gerichtsgewalt liegt (vv. 402-405). 586 Die Rechtsordnung, die für das Gericht des Kaiphas maßgeblich ist, wird dann bei den ersten Anklagen ,der Juden‘ gegen Jesus benannt: er (zer)störe mit seinen Werken ,ihre‘ e 582 Vgl. zur Zweischwerterlehre allgemein Mikat 1998, zur Stelle im Evangelium Nicodemi Fehr [1931], S. 229 f. 583 Das zweischneidige geistliche Schwert könnte auf die göttliche Gerichtsbarkeit hindeuten. Vgl. Manuwald 2014, S. 679, mit einer ausführlicheren Interpretation der Stelle. 584 S. dazu o. S. 129. 585 Im Folgenden wird das jüdische Recht behandelt, wie es im Text aus christlicher Perspektive charakterisiert wird. Zu dem im Evangelium Nicodemi ebenfalls präsenten Konzept des Judenrechts s. u. S. 169-171. 586 Zur weiter verbreiteten Vorstellung, dass Kaiphas nur in diesem Jahr Hohepriester gewesen sei, s. u. S. 185, Anm. 37. Hinter der Bezeichnung des Kaiphas als ,Bischof ‘ steckt unter Umständen mehr als die christianisierende Umsetzung von ,Hohepriester‘ (s. dazu u. S. 185-187), denn es könnte damit auch das Amt des Judenbischofs in mittelalterlichen Judengemeinden assoziiert sein: Dieser hatte Richterfunktionen auszuüben (so auch Klibansky 1925, S. 16 f., Anm. 23). Zum Amt des Judenbischofs vgl. Zimmermann 1973, S. 64; Hausmann 2004, S. 98 (mit weiterer Literatur). 162 3 Variationen der Rechtsthematik (vv. 734 f., vgl. auch v. 766). Das Wort e bezeichnet an dieser Stelle vor allem die jüdische Zeremonialgesetzgebung, 587 da der Vorwurf ,der Juden‘ darin begründet ist, dass Jesus an einem Sabbat Heilungswunder vollbracht hat (vv. 738 f.). Dass zu dem Bedeutungsspektrum des Wortes aber auch das jüdische Strafrecht 588 gehört, wird deutlich, wenn Pilatus ,die Juden‘ auffordert, sie sollten Jesus nach ,ihrer‘ e richten (v. 1052) . e kann aber auch die Gruppe meinen, die sich zu einer bestimmten Ordnung bekennt; jedenfalls lässt der Erzähler Pilatus sagen, die Fahnenträger uz unser e sollten gegen Fahnenträger uz uwer e ausgetauscht werden (vv. 890 f.). Hier soll offenbar vor allem ein religiöser Gegensatz ausgedrückt werden, der aber in einer Beziehung zur staatlichen Ordnung steht, denn die Fahnenträger des Pilatus hatten zuvor argumentiert: […] „Wir sin heiden und sin der tempel knehte. Von wie getanem rehte bete wir an Jesum Cristen? Bi dem eide wir enwisten, wie sich geneigten die vanen! “ (vv. 878-883) rehte bezeichnet an dieser Stelle sicherlich nicht gesetztes Recht, sondern eine Norm, die den Wächtern aufgrund ihres Glaubens und ihrer eidlichen Verpflichtung (vv. 872 f.) zukommt, 589 aber sowohl an der Verwendung des Wortes reht als auch an der des Wortes e lässt sich im Evangelium Nicodemi beobachten, dass sich rechtliche und religiöse Ordnungen nicht scharf trennen lassen. Der Charakter der e als Inbegriff der Buchreligion wird in der bereits diskutierten Szene der Beschwörung der Simeonsöhne offensichtlich, wo es zunächst heißt, dass ihnen die e materialiter auf den Kopf gelegt wird (vv. 2768 f.), und die e dann für Glaubensinhalte steht ( „Als ir geloubet / an dise e […] “ , vv. 2770 f.). 590 In der von ,den Juden‘ formulierten ,Eingangsformel‘ des zu schwörenden Eides (vv. 2773-2781) 591 wird Gott als derjenige benannt, der Moses die zehn Gebote gegeben habe (vv. 2777-2779). Auch wenn die mosaischen Gesetze an dieser Stelle nicht ausdrücklich als e bezeichnet werden, legt der Kontext nahe, dass sie Teil der jüdischen e sind. Kommt aber die jüdische Rechtsordnung letztlich von Gott, so ist damit das umfassendere, von Theologen breit diskutierte Problem präsent, wie sich die lex vetus zur lex nova verhält. 592 587 Auch an späterer Stelle bezieht sich das Wort e auf jüdische Riten, wo nämlich Joseph rekapituliert, man habe die Simeonsöhne gemeinschaftlich begraben, also die e uns gebot (v. 2721). 588 S. dazu u. S. 257 f. 589 Vgl. die in BMZ (s. v.) angegebene Grundbedeutung: „dasjenige, was einer person oder einem dinge vermöge eines inneren oder äussern gesetzes oder auch vermöge geltender sitte zukommt“. 590 Entsprechend hatte Joseph zuvor von der e gesprochen, die an unsen buchen ste (vv. 2733 f.). 591 Vom eigentlichen Eid wird nicht mehr erzählt, und die genannten Verse entsprechen formal nicht einer Eingangsformel, sie erfüllen aber eine entsprechende Funktion, da derjenige, der den Eid abnimmt, benennt, bei welcher Instanz er geleistet wird (zum Formular für den Vorsprecher bzw. Eidstaber vgl. Schmidt-Wiegand 1977, S. 84). Die Benennung Gottes als Adonay (v. 2777) kommt aus der jüdischen Gebetspraxis und wurde in verschiedene Judeneide übernommen (vgl. ebd., S. 87 f.); sie begegnet z. B. im Eidformular des Heidelberger Judeneids (vgl. Zimmermann 1973, S. 63), aber auch prominent im Rahmen des Eidzeremoniells der Judeneide des Schwabenspiegels bei der Beschwörung des Judenbischofs (vgl. Zimmermann ebd., S. 82; Schmidt 2002, S. 92). 592 Vgl. dazu Basse 2014; Marschler 2014. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 163 Tatsächlich lassen sich im Text Spuren der Auseinandersetzung mit diesem Problem finden, so zum Beispiel in der Rede der Simeonsöhne an Jesus (vv. 2793-2828), in der sie sagen: „ […] Si han uns bi der e besworn, die wir begiengen hie bevorn, und dir do was geneme, e dan die toufe keme, […] “ (vv. 2805-2808) In ihrer abschließenden Bekehrungsrede an ,die Juden‘ wird vor allem der kultische Aspekt der alten und der neuen e betont, indem die Simeonsöhne die Funktion der Beschneidung bi der alten e der der Taufe bi der nuwen gegenüberstellen. 593 Die den Simeonsöhnen in den Mund gelegte relativ positive Einstellung zur alten e , nämlich dass sie Gott gefallen habe, bevor sie durch eine neue Ordnung abgelöst worden sei, findet sich auch im Schlussexkurs, der wörtliche Korrespondenzen zur Rede der Simeonsöhne aufweist. Zur Begründung, dass ,den Juden‘ eine Existenzberechtigung zukäme, heißt es: Man sal sie han in drucke, also daz man sie mide und daz man sie doch lide durch gezuc 594 und durch geleite der heiligen cristenheite und durch des alden urhab testamenti, daz got gab irem vatere Moysi uf dem berge Synai, da er im schreib die zen gebot. Sintmales irfulde got die alden mit der nuwen e und machte ir damite me und volgete dem alden site mit des vleisches ummesnite, und mit der nuwen toufe nu hat er braht zu houfe die alden und die nuwen. (vv. 5246-5263) Das Verhältnis der alten e , deren Gesetzeskomponente wiederum betont ist, zur neuen e wird hier als eines der Erfüllung und Zusammenführung interpretiert. Gleich im Anschluss 593 Der ummesnit bi der alten e / was der kusche ein gelaz / und der sunden antlaz, / die toufe bi der nuwen (vv. 3762-3765). Dass von den Simeonsöhnen zu erfahren sein würde, ob die alte e beibehalten werden solle, hatte Joseph bereits angekündigt (vv. 2744-2747). 594 Zum Zeugenstatus ,der Juden‘ vgl. Kisch (1978, S. 64), der die Lehre der Kirchenväter referiert: „Nach der christlichen Lehre waren die Juden zu ewiger Knechtschaft verdammt als einer gerechten Strafe für ihre Verwerfung und Kreuzigung des Erlösers. Aber Gottes Befehl gemäß sollten sie nicht getötet werden, sondern - gleich Kain - aufbewahrt werden für ein Leben, das schlimmer ist als der Tod. Ein Überrest von ihnen soll über die Welt verstreut werden und durch ihre Schriften sowohl als durch ihre physische Existenz ewiges Zeugnis ( testimonium veritatis ) für die Christenheit ablegen, daß die Prophezeiungen über Christus keineswegs erdichtet und trügerisch gewesen sind.“ 164 3 Variationen der Rechtsthematik an den zitierten Text wird ,den Juden‘ (vv. 5264-5293) vorgeworfen, sie richteten sich weder nach der alten noch nach der neuen e, sie müssten sich für eine entscheiden und, falls sie Juden bleiben wollten, von Wucherei und Zinsgeschäften Abstand nehmen, da ,ihr Buch‘ das verbiete. 595 Der Vorwurf, dass ,die Juden‘ 596 Moses nicht gefolgt seien, begegnet schon in der Scheltrede des Pilatus (vv. 1319-1370), die der im Nikodemusevangelium (cap. VII 3) entspricht. Abgesehen von dieser Quellenbezogenheit ist der Vorwurf aber die logische Konsequenz aus einer antijüdischen Grundhaltung bei gleichzeitiger Hochschätzung der alten e . 597 Während das Evangelium Nicodemi für die alte e die Rolle Gottes als Gesetzgeber hervorhebt, stellt sich das Verhältnis der neuen e zum göttlichen Recht komplexer dar. Wie die Simeonsöhne erklären (vv. 2817-2821), hat Jesus bei seiner Taufe im Jordan dem Taufwasser die Qualität verliehen, den Tod abzuwaschen, der von Adames ubertrite / uf al die werlt geerbet was (vv. 2820 f.). In den folgenden Versen führen sie aus, dass für die Erlösung der Menschheit von der Erbsünde die Taufe und der Kreuzestod Jesu auschlaggebend gewesen seien, der für die Sünden der Menschen gemartert worden sei (vv. 2822-2827). Die enge Verbindung von Kreuzestod, Erlösung und Taufe war schon in der Longinus-Szene präsent (vv. 1848-1855), da dort gesagt wird, dass mit dem aus der Seitenwunde fließenden Wasser und Blut zum Vorteil der Menschheit der Tod abgewaschen worden sei, der von Adames ubertrite / uf al die werlt was geerbet (vv. 1852 f.). 598 Indem der neue Bund, die neue e , mit der Taufe die Kraft hat, die Erbsünde aufzuheben, erweist er sich als Teil des Erlösungswerks, das im Evangelium Nicodemi als Rechtshandeln Gottes begriffen wird. Bereits in dem das Werk einleitenden Lehrdialog werden Sündenfall und Erlösung in einen rechtlichen Zusammenhang gestellt, der dann im Verlauf des Werks vor allem in 595 In dem etwas versöhnlicheren Teil des Schlussexkurses ab v. 5294, in dem ,die Juden‘ mit Israel angeredet werden (zum Bezug auf Rm 11,26 vgl. Schulze 2002, S. 121), wird ihnen ein nicht intentionales falsches Gesetzesverständnis unterstellt: Sie glaubten zwar, Gottes Gebot Folge zu leisten, es sei aber nicht der Fall, denn sie vertrauten Gott nicht völlig (vv. 5300-5308). In Handschrift G, die diesen Teil des Schlussexkurses nicht enthält (s. dazu o. S. 142, Anm. 474; Anm. 478) wird über ,die Juden‘ gesagt, dass sie die alte e verlassen und sich von der neuen e losgesagt hätten; sie hätten sich Gott entfremdet und seien ihm unlieb (G, vv. 4908-4914, zitiert nach Piper 1888). Nach dieser Textversion steht die Gottesferne ,die Juden‘ bereits fest. Dieser Vorannahme entsprechend konzentriert sich das Autor-Ich in der Schlusspartie auf die Ermahnung der Christen, denen Erlösung gewiss sei, es sei denn, sie verschmähten die neue e (G, vv. 5150-5154). 596 Der Text arbeitet mit dem Konzept der Kollektivschuld und differenziert kaum zwischen den am Prozess beteiligten Juden und den Juden als religiöser Gruppe. 597 Daneben wird das Verhältnis zwischen den religiösen Ordnungen als Konkurrenz begriffen: ,Den Juden‘ wird vorgeworfen, die christliche e ( unse e ) zugunsten ihrer eigenen zu schwächen (vv. 4999; 5002-5006). Vgl. Mikosch (2010, S. 66 f.; 78) dazu, wie über die nähere Bestimmung des Wortes ê eine Abgrenzung von ,den Juden‘ erfolgen kann: In der 15. Predigt des Speculum ecclesiae begegneten nebeneinander die Bezeichnungen div e des herren Moysi , alte e und ivden e . Während die beiden ersten Ausdrücke sowohl auf eine Kontinuität als auch auf eine Diskontinuität zum Christentum hin interpretiert werden könnten, stehe letzterer allein für die Absetzung von ,den Juden‘. Ein ähnliches Spektrum lässt sich im Evangelium Nicodemi beobachten, wobei die eindeutige Abgrenzung über Possessivpronomen vorgenommen wird. 598 Schon seit Augustinus war die Vorstellung verbreitet, dass sich aus der Seitenwunde die Sakramente ergossen hätten (vgl. Kemper 2006, S. 434). Zur eucharistischen Deutung des Blutes vgl. auch Bynum 2001. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 165 Exkursen und in der Bekehrungsrede Adrians weiter entfaltet wird. 599 Den dem ,Schüler‘ in den Mund gelegten bohrenden Fragen, warum Gott den verbotenen Baum ins Paradies gesetzt und warum er den Menschen nicht so stark geschaffen habe, dass er der Versuchung widerstanden hätte (vv. 1-29), begegnet die autoritative Stimme des Textes letztlich mit einem Verweis auf Gottes Unergründlichkeit, auf die man mit Gottvertrauen reagieren müsse (vv. 291-300; 5351-5392). 600 Klar ausgearbeitet werden aber die Mechanismen des Heilsgeschehens, die sich grob, wie folgt, skizzieren lassen: Gott hat den Sündenfall vorausgewusst (vv. 20 f.). Da er den Menschen aus schwacher Materie geschaffen hat, trägt er eine Mitverantwortung an dessen Fall. 601 Daraus erwächst ihm eine Verpflichtung, den Menschen zu erlösen: Got der muste heilen von gotlicher ehte den menschen zu rehte, wend er von mutwiller kur also cranc und also mur von nihte in 602 hiez werden. (vv. 216-221) Die Wortwahl legt nahe, dass es sich um eine Rechtsverpflichtung handelt, 603 wobei deren Bezugspunkt nicht eine gesetzte Rechtsordnung ist, sondern das, was ,recht‘ im Sinne von ,richtig‘, ,angemessen‘ ist. 604 Gott richtet sich nach diesem Prinzip und gehorcht damit einer inneren Notwendigkeit, die seinem Wesen entspricht. Das lässt sich ebenfalls aus der Wort- 599 Vgl. eine Analyse der einschlägigen Passagen bei Wiedmer 1977, S. 25-83. Zur Interpretation und geistesgeschichtlichen Einordnung vgl. auch Manuwald 2014. Im Folgenden werden nur einzelne Aspekte herausgegriffen, die für die Frage nach Rechtsordnungen relevant sind. 600 In vv. 291-300 spricht der ,Lehrer‘; die Dialoghaftigkeit des Textes ist da aber schon lange aufgegeben, sodass die Stimme des ,Lehrers‘ kaum von der des Autor-Ich zu trennen ist. Dem Autor-Ich wird man wohl auch die das Werk beschließende predigthafte Passage zuordnen können. 601 Von du was sin schepphere, / so vil so ers geruchte / und selbe schulde da suchte, / an sinem valle schuldic (vv. 258-261). Mit er in v. 259 dürfte Adam bzw. der Mensch gemeint sein (anders Wiedmer 1977, S. 58), vgl. (aus der fingierten Rede Jesu) zur schult Adams und Evas auch v. 1979 (vgl. dazu Wiedmer ebd., S. 70). Während schult in Bezug auf Adam und Eva als ein ,Vergehen‘ interpretiert werden kann, ist in Bezug auf Gott die neutrale Bedeutungskomponente der Urheberschaft anzunehmen (vgl. dazu L exer ; WMU, s. v.). 602 in fehlt in G. 603 Vgl. auch vv. 2098-2105 aus dem Auslegungsexkurs, in denen die Inkarnation damit erklärt wird, dass Gott sune mit der Menschheit haben wollte. 604 ehte bzw. echte ist eine Substantivbildung zum niederdeutschen Adjektiv echt , das mhd. êhaft entspricht (vgl. dazu Seebold 1981, S. 79-81); Handschrift G (s. o. S. 142, Anm. 474) liest an dieser Stelle æhte (zitiert nach Piper 1888). Niederdeutsche Elemente sind in der Heinrich von Hesler-Überlieferung nichts Ungewöhnliches (vgl. dazu Helm 1902, S. LXXIV-LXXXI; Honemann 2008 [2000], S. 51 mit Anm. 13). Für echt , echte als Substantiv sind im Mittelniederdeutschen Handwörterbuch - neben dem ehelichen Stand und der ehelichen Geburt mit den daraus abgeleiteten Rechten - ,Recht, Gesetz, Gesetzmäßigkeit, Berechtigung‘ als Bedeutungen angegeben. Weiterführender erscheint es, für die Interpretation von der in BMZ (s. v.) formulierten Grundbedeutung von êhaft auszugehen: „was durch satzung oder herkommen für eine person oder gemeinde recht oder pflicht ist“ (vgl. auch MWB, s. v. 2). Vgl. auch das MWB, wo echte als Nebenform von ahte aufgefasst ist und für ahte u. a. „Art, Geartetheit, Charakter, Gestalt, Verfassung, Beschaffenheit“ (s. v. 2.2) als Bedeutungen angegeben sind. Zur Interpretation von zu rehte und ehte in der zitierten Textstelle vgl. auch Manuwald 2014, S. 672. 166 3 Variationen der Rechtsthematik wahl erschließen, denn das in der zitierten Textstelle verwendete Wort müezen drückt in erster Linie ein Sollen aus, keinen Zwang von außen. 605 Der ursprüngliche Wille Gottes, das zu tun, was ,recht‘ ist, hat jedoch Konsequenzen, die sein weiteres Handeln bestimmen. 606 Denn Inkarnation und Passion sind, so ist es jedenfalls Adrian in seiner Bekehrungsrede in den Mund gelegt, eine Folge davon, dass Gott seiner Treuepflicht gegenüber den Menschen 607 Folge leistet (vv. 4136-4159) und es den elichen ehten Gottes widersprochen hätte, dabei die Rechte der Hölle zu missachten. Voraussetzung für diese Argumentation ist die Vorstellung, dass der Teufel durch den Sündenfall ein Recht auf die Menschheit erworben hat und durch die Inkarnation getäuscht wird: 608 Do koufte sie got der gute uz mit sin selbes blute . 609 Anders kund iz niht geschen, daz het er selbe wol gesen, do sie sich hete gevalt, er enwolde dan begen gewalt wider sinen elichen ehten an den helleschen knehten. (vv. 4105-4112) 610 Offenbar soll jedoch ausdrücklich vermieden werden, dass das Handeln Gottes prädestiniert erscheint. Gerade in Bezug auf Jesus wird im Evangelium Nicodemi betont, dass er vil fri und unbetwungen (v. 1753) den Tod gewählt habe, sodass nicht der Eindruck einer äußeren Notwendigkeit erweckt wird. 611 Allerdings wird auch die spannungsvolle Situation, dass die Erlösung der Menschheit nur über ein irdisches (Unrechts)urteil 612 erreicht werden 605 Nach BMZ (s. v.) leitet sich die Bedeutung „nothwendiger weise geschehen, nothwendiger weise thun, müssen, gezwungen sein“ daraus ab, dass das, was geschieht, eine Folge göttlicher Fügung ist. Bei Gott fallen Wille und Notwendigkeit zusammen. Entsprechend lässt sich das Verb twingen in v. 150 als Ausdruck eines inneren Dranges deuten. 606 Hier liegen Parallelen zur necessitas immutabilitatis der Scholastiker vor (vgl. dazu Manuwald 2014, S. 677 f.). Vgl. auch das Verhältnis von necessitas praecedens und necessitas sequens bei Anselm von Canterbury (vgl. dazu Dunthorne 2012, S. 121 [in Bezug auf Cur deus homo 2,17]). 607 Zu den lehnrechtlichen Implikationen vgl. Wiedmer 1977, S. 82. Gottes truwe wird aber nicht nur in Adrians Bekehrungsrede an den Lehnsmann Vespasian thematisiert. Auch die Seelen in der Hölle interpretieren die Erlösung als Ausdruck von Gottes truwe (vv. 3006-3010). 608 S. dazu o. S. 93, Anm. 171. Während sich Satan im Evangelium Nicodemi durch die Weisheit Jesu ,überlistet‘ fühlt ( „O wisheit aller liste! / Mich hat vorlistiget din list! / […] “ , vv. 3336 f.), interpretiert das Höllenvolk dessen Niederlage als gerechtes Urteil (vv. 3408-3411). 609 Zur Vorstellung der Erlösung als Handel mit dem Teufel vgl. auch Jesu Rede in der Hölle (vv. 3484-3487) und den Schlussexkurs ( und kouft in uz der ehte, / da in der tufel hete braht , vv. 5330 f.). 610 Aus Gottes Willen zur Erlösung erwächst daher nach der Darstellung Adrians der Plan zur Inkarnation (vv. 4160-4187). 611 Vgl. auch eine entsprechende Stelle in den Erklärungen Adrians (vv. 4020-4029), die den zitierten Versen zur ,Notwendigkeit‘ von Inkarnation und Passion vorausgeht. 612 In vv. 2116 f. ist die Unrechtmäßigkeit des Urteils nicht benannt, sie ergibt sich aber aus dem Gesamtzusammenhang des Evangelium Nicodemi , in dem die am Prozess Beteiligten für ihr Unrecht zur Rechenschaft gezogen werden. Vgl. auch den Kommentar des Höllenvolks, dass Jesus (trotz seiner göttlichen Macht) als Unschuldiger habe über sich urteilen lassen (vv. 3434-3437). Die paradoxe Situation ist in der Apokalypse (vv. 12 884-12 898) noch deutlicher zum Ausdruck gebracht: Wen daz her mit gedult leit / Den tot vors vater gesichte, / Daz her sin recht gerichte / Der menscheit machte genediclich, / Wen her liez richten uber sich / Vor dem irdischen gerichte, / Dar her entleib im an nichte. / Diz unrecht der gerechte leit / Dar um daz her die menscheit / Uz sines vater echte / Wider zu gnaden brechte. / Sus 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 167 kann, nicht ausgespart, indem in einem imaginierten Dialog die menschliche Natur Jesu der göttlichen ihr Leid klagt (vv. 2112-2165). Bereits vorher war zugespitzt der Gedanke formuliert worden (vv. 1658-1669), dass sich Jesus (als Mensch) vor dem Tod fürchte, den er doch (als Gott, so muss man ergänzen) selbst in die Welt gesetzt habe, der menscheit zu rachen, / die sin gebot zubrachen (vv. 1665 f.). Mit rache als Vergeltung von Unrecht ist ein weiteres Rechtsprinzip benannt, nach dem Gott handelt; 613 zugleich wird über das Wort gebot seine Rolle als ,Gesetzgeber‘ deutlich. 614 Dass es geahndet wird, wenn die Menschen den von Gott erlassenen Regeln nicht folgen, ist für die ursprüngliche Normübertretung beim Sündenfall relevant, wird aber auch das Urteil beim Jüngsten Gericht bestimmen, wenn ‚Klage‘ gegen die Menschen erhoben wird ( rede gebende der clage, / die uf sie do wirt getan , vv. 3708f . ) und nur die erlöst werden, die sich gottesfürchtig und gut verhalten haben (vv. 180-196; 3705-3712). 615 Aus den verschiedenen Textstellen lässt sich erschließen, dass Gott Maßstab und Durchsetzer des rehten ist, nach dem er sich aber zugleich auch selbst ausrichtet. Dass Gott Inbegriff des rehten ist, wird im Evangelium Nicodemi nur auf der Figurenebene (von den Gesandten des Kaisers) in Bezug auf Jesus formuliert, der als des rehten ein reht gesprinc (v. 4273) bezeichnet wird. 616 Außerdem eröffnet die Übersetzung von iusto illi (vgl. Mt 27,19) als den rehten in der Warnung der Procula an Pilatus (v. 922) die Lektüremöglichkeit, dass Jesus nicht nur der ,Gerechte‘, sondern auch der Inbegriff des ,Richtigen‘ und ,Wahrhaften‘ ist. 617 Angesichts dieses umfassenden Rechtsbegriffs stellt sich die Frage, ob die hier zum Ausdruck kommenden Vorstellungen von reht überhaupt an juristische Rechtsbegriffe rückzubinden sind. Ohne postulieren zu wollen, dass sich hinter den einzelnen Aussagen ein kohärentes Konzept verbergen muss, kann man doch feststellen, dass die Vorstellung von Gott als Inbegriff des rehten dem Konzept der rectitudo ähnelt, wie es Anselm von Canterbury entwickelt hat, der rectitudo als Grundlage von veritas und iustitia ansieht. 618 In welopfert her sich alle tage / Sime vater vor unse clage, / Die der tuvel uf uns claget, / Als her unser sunde saget. 613 Vgl. BMZ, s. v.; zum Bedeutungsspektrum von râche vgl. auch L exer ; DRW; WMU, s. v.; zu den rechtlichen Implikationen vgl. Manuwald 2018a. 614 gebot bezeichnet im Evangelium Nicodemi sowohl konkrete Anweisungen (z. B. von Gottvater an seinen Sohn [v. 1950], von Adam an seinen Sohn Seth [v. 2941] oder auch von Gott an die Erde [vv. 2366 f., hier gebot als Verbform]) als auch allgemeine Regeln (z. B. Jesu Gebot zur gegenseitigen Waschung [vv. 452-456], das Verbot an Adam und Eva [vv. 1666; 1970], die zehn Gebote [vv. 1356; 2779] bzw. das, was Gott oder geistliche Autoritäten wollen [vv. 1167; 1322; 3738; 4973; 5300]). Außerdem wird das Wort gebraucht, um Machtverhältnisse im Sinne von Gebotsgewalt auszudrücken (vgl. vv. 2111; 3049; 3149; 3269; 4550). Immer schwingt eine normative Komponente mit, die offensichtlich wird, wenn gesagt wird, dass der Antichrist dem Volk sein gebot ,setzt‘ (v. 3623). Vgl. dazu auch BMZ; L exer ; MWB; DRW, s. v. 615 Dementsprechend betonen Elias und Enoch mit dem Ausdruck daz bibende urteil (v. 3602) das mit dem Jüngsten Gericht verbundene Furchtpotenzial. 616 Umgekehrt sieht der zum Christentum bekehrte Tiberius in den heidnischen Göttern irrere des rehten , außerdem werrere des slehten und storere des waren vrides (vv. 4560-4565). Zum Konzept des ,wahren Friedens‘ an dieser Stelle vgl. Hagenlocher 1992, S. 121. 617 Vgl. zum entsprechenden Bedeutungsspektrum des Adjektivs reht BMZ; L exer ; DRW; WMU, s. v. 618 Vgl. z. B. Söhngen 1970; McGrath 2005, S. 77; Dunthorne 2012, S. 121-124 (mit weiterer Literatur). Parallelen gibt es auch, was die Übereinstimmung von Wille und Notwendigkeit bei Jesu Erleiden des Kreuzestodes angeht (vgl. zu Anselms Konzept Dunthorne ebd.). 168 3 Variationen der Rechtsthematik chem Verhältnis steht dann aber das ,Recht‘ Gottes zu dem der Menschen? 619 Das Problem hat - nicht nur bei Anselm - auch eine sprachphilosophische Dimension: Inwiefern sind menschliche Gerechtigkeitsbegriffe überhaupt auf Gott übertragbar? 620 Im Evangelium Nicodemi gibt es auf der sprachlichen Ebene zahlreiche Berührungspunkte zwischen der göttlichen und der menschlichen Rechtssphäre, die von einzelnen Wörtern bis zu ganzen Versen reichen. Die Wiederholungen sind nicht nur ein Stilmittel, sondern lassen sich auch als Signale lesen, die dazu auffordern, verschiedene Stellen und so auch göttliches und menschliches Rechtshandeln miteinander zu vergleichen. Zum Beispiel ist der Frau des Pilatus bei der Warnung an ihren Mann das Argument in den Mund gelegt, dass es nicht seinen ehten zieme, den gerehten zu verurteilen (vv. 921 f.). Als ehte wird auch der Maßstab Gottes für die rechtskonforme Erlösung der Menschen bzw. seine Verpflichtung gegenüber den helleschen knehten benannt (vv. 217 f.; 4111 f.). Während Gottes Handlungsmaßstab von innen kommt, kann sich die ehte bei Pilatus auch auf die ihm von außen verliehene Funktion des Richters beziehen. In beiden Fällen soll aber ein gerechter Zustand wiederhergestellt bzw. erhalten werden. Kategoriale Unterschiede im Sprechen über menschliches und göttliches Rechtshandeln sind nicht festzustellen. Ein vergleichbarer Wortlaut muss jedoch nicht mit inhaltlichen Entsprechungen einhergehen. So wird in einem Exkurs erklärt, der Kreuzestod Christi sei ein Akt des Erbarmens vonseiten Gottes gewesen (vv. 1734-1740). Dieser Akt wird dann näher erläutert: so schuldic wir doch waren gewesen zu manigen iaren und gevallen an daz unreht, daz er for den schuldigen kneht den unschuldigen son gab an daz cruze und an daz grab und zu der grozen arbeit, daz was ein gotlich mildicheit. (vv. 1741-1748) Die Formulierungen korrespondieren mit der Forderung des Pilatus in der Barrabas-Szene „ […] / Hat den schuldigen kneht, / lat den unschuldigen gen.“ (vv. 1300 f.), alles andere wäre Unrecht (vv. 1298 f.). Der inhaltliche Gegensatz zwischen den beiden Textstellen hebt das Exzeptionelle des Erlösungsgeschehens hervor, lässt aber auch das Paradox, dass die Erlösung durch irdisches Unrecht erreicht wird, deutlich zutage treten. Es ist charakteristisch für das Evangelium Nicodemi , dass der Widerstreit zwischen iustitia und misericordia nirgendwo ausdiskutiert wird. 621 Stattdessen sagt der Erzähler im Auslegungsexkurs zu den Worten Jesu am Kreuz dezidiert in der Gegenüberstellung von Gottheit und Menschsein, dass Gottes (subjektives) Recht irbarmen sei, während den Menschen die Klage bliebe (vv. 2129 f.). 622 619 McGrath (2005, S. 77) schreibt in Bezug auf Anselm: „Thus, the justice which regulates the affairs of humans […] cannot be considered to be identical with the justice which regulates God’s dealings with humanity.“ 620 Vgl. McGrath 2005, S. 89-92. 621 Der von Adrian skizzierte Erlösungsrat (vv. 4160-4172) hätte sich dafür angeboten, das Motiv des Streites der vier Töchter Gottes, also auch zwischen iustitia und misericordia , einzubauen. Vgl. zu dem Motiv grundlegend Ohly 1994. 622 Im Prolog ist nicht vom Erbarmen Gottes die Rede, aber davon, dass seine senfte otmute , gotlich gute und unzellich milde ihn zur Erlösung des Menschen bewogen hätten (vv. 159-165). 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 169 Aus diesem Auslegungsexkurs ist darüber hinaus aber auch zu erschließen, dass göttliches Rechtshandeln und menschliches (Un)Rechtshandeln nicht nur terminologisch, sondern auch kausal in Verbindung stehen: Die Worte Jesu, warum Gott ihn verlassen habe, werden zunächst dahingehend interpretiert, dass Gott ihn der Welt zu urteile überlassen habe, die ihn zum Tode verurteile (vv. 2112-2119). In einer die Interpretation erläuternden hypothetischen Rede des Menschen Jesu an seine göttliche Natur wird die Möglichkeit der Welt zu einem solchen Urteil dann als Konsequenz der nach göttlichem Willen erfolgten ,Verurteilung‘ der Welt gedeutet (vv. 2148-2156), die hier wohl als Begnadigung zu verstehen ist. 623 Hinter den Übereinstimmungen auf der Wortebene verbergen sich wiederum inhaltliche Gegensätze; zugleich wird jedoch eine Entsprechung auf der Ebene der rechtlichen Vorgänge nahegelegt: Gott und die Menschen fällen Urteile, wobei Gottes Urteil von Erbarmen geprägt sein kann, auf jeden Fall mit dem ihm eigenen Recht konform ist. Solche Konvergenzen werden im Schlussteil des Textes inhaltlich unterfüttert, wenn nicht mehr das komplexe Erlösungsgeschehen, sondern die Bestrafung von Unrecht im Vordergrund steht. Die auf die Erzählung von der Verurteilung ,der Juden‘ durch Vespasian folgende Invektive gegen die Juden (vv. 4714-5392) nimmt zwar teilweise den Charakter einer selbstständigen Predigt gegen die Kammerknechtschaft an, 624 schließt aber klar an den vorhergehenden Text an 625 und bildet ein Gegengewicht zum Lehrdialog zu Beginn des Textes. Ging es dort um die ,Notwendigkeit‘ der Erlösung, wird im Schlussteil aus der Erlösung die ,Notwendigkeit‘ zur Bestrafung ,der Juden‘ hergeleitet: Set daz soldet ir bewarn, wen daz gerihte uwer ist. Hat uch geloset Jesus Crist von den geisten bosen, so soldet ir in ouch losen von disen unreinen geisten, die ime nie truwe leisten und nimmer neheine wolden. Iz wirt u al vorgolden in disem libe unde dort, gerechet ir niht gotes mort unde trostet uch der habe, die si u selben brechen abe. (vv. 4942-4954) 623 Vgl. dazu Manuwald 2014, S. 681-683. 624 Zum Fokus auf die Kammerknechtschaft im Evangelium Nicodemi vgl. Schreckenberg 1994, S. 360 f.; zum Konzept der Kammerknechtschaft vgl. Kisch 1978, S. 54 f.; Magin 1999, S. 35 f. 625 Vgl. Masser 1976, S. 124: „Nicht ohne Interesse ist übrigens zu sehen, an welcher Stelle Hesler zu so scharfen Wendungen findet: am Ende seiner Dichtung über das Evangelium Nicodemi, wo er gewissermaßen in einem epiloghaften Ausklang des Werks die Brücke von dem, was er über die Bosheit der Juden dem Heiland gegenüber zu erzählen hatte, zur Gegenwart schlägt, in der sich immer noch die gleiche Schlechtigkeit und Verstocktheit zeige. So führt ein gerader Weg von der epischen Darstellung der Passio Christi über die Genugtuung, daß die Juden nach der Zerstörung Jerusalems als Knechte verkauft wurden, bis hin zu den üblichen Ratschlägen, wie man mit den in der eigenen Zeit lebenden Juden verfahren solle.“ 170 3 Variationen der Rechtsthematik Adressiert sind die Adeligen, die sich zu Herren über andere machen, obwohl doch vor Gott alle Menschen gleich und wegen der Erbsünde erlösungsbedürftig seien (vv. 4856-4919). 626 Aus der von den Herren beanspruchten Vorrangstellung leitet der Sprecher bestimmte Pflichten ab, die mit den Anforderungen des weltlichen Schwerts korrespondieren (vv. 4920-4941). Entsprechend wird in den zitierten Versen damit argumentiert, dass ihre Gerichtsgewalt die Herren in die Lage versetze, für den Gottesmord Vergeltung zu üben. In einer infamen Gleichsetzung werden ,die Juden‘ als unreine Geister mit den Teufeln als böse Geister parallelisiert. Gleichzeitig wird den Herren - wie Jesus! - eine Erlösungsmacht zugesprochen. Im weiteren Verlauf der Argumentation werden sie jedoch eher mit Pilatus parallelisiert, wenn es heißt, sie dürften nicht zulassen, dass Jesus vor ihnen so schmählich behandelt würde, wenn sie es doch ändern könnten. 627 Voraussetzung für diese Parallelisierung ist die Gleichsetzung der ,jetzt‘ lebenden Juden mit den am Passionsgeschehen beteiligten Juden. 628 Sie wird im Rahmen der diskutierten Textstelle mit fortgesetztem gotteslästerlichem Verhalten begründet ( die got schulden, die juden, / und noch hute schelden , vv. 4960 f.), 629 die Kollektivschuld ergibt sich aber auch aus dem im Verlauf des Werkes immer wieder zitierten Blutruf (erstmals vv. 1528 f.). 630 Wenn verlangt wird, die Herren sollten Fehlverhalten ahnden, so entspricht dieses Rechtsprinzip dem des strafenden Gottes. Dass Gottes Verhalten als Vorbild dienen soll, wird in den abschließenden Versen des Textes ausdrücklich gesagt. 631 Gottes Handeln soll aber nicht nur Vorbild für das weltliche Rechtshandeln sein, sondern das menschliche und das göttliche Urteil über ,die Juden‘ werden auch in einen chronologischen Zusammenhang gebracht: Die Verurteilung ,der Juden‘ durch Vespasian wird im Schlussteil als Ächtung interpretiert (vv. 5198-5201). Die nachfolgenden Herrscher hätten die Urteile der vorhergehenden gefestigt (vv. 5202-5211). ,Heute‘ seien die Verhältnisse so, dass nur Gott ,die Juden‘ von Acht und Bann befreien könne ( daz sie nieman losen mac / von ahte noch von banne, / iz entu got selbe danne , vv. 5214-5216), und zwar dann, wenn der 626 Zum Gleichheitsgrundsatz vgl. Helm / Ziesemer (1951, S. 83 f. mit Anm. 222 [S. 190]), die indirekt auf den Sachsenspiegel (Ldr. III 42) verweisen (vgl. dazu Repgen 2010). 627 Sal daz wesen uwer got / und uwer irlosere, / den ir so offenbere / vor u sus lazet handelen, / so wol so irz gewandelen / im an den wihten mohtet , / ob ir so vil im tohtet, / daz ir in torstet gesturen! (vv. 4974-4981). Vgl. den Vorwurf an Pilatus (vv. 4352-4356): „ […] / Soldes du Jesum lazen / vor dir alsus handelen, / so wol so dus gewandelen / im an den wihten mohtes, / ob du zun eren tohtes! / […] .“ 628 Vgl. dazu Schulze 2002, S. 119 f. Zu der bereits seit frühchristlicher Zeit bestehenden Tendenz, das biblische Geschehen zu enthistorisieren und die antijüdischen Passagen der Bibel „auf alle Juden zu allen Zeiten“ zu beziehen, vgl. Rommel 2002, S. 189. 629 Umgekehrt wird die Kreuzigung kollektivierend als Angriff auf die Ehre derjenigen verstanden, die Gottes gebot folgen (vv. 4969-4973). 630 Bereits zu Beginn der Erzählung ist antizipatorisch von der vorteilden juden nit (v. 394) die Rede, dort dominiert die Vorstellung eines Kollektivs sogar die Handlungslogik, denn von der Anklage ,der Juden‘ gegen Jesus wird erst später die Rede sein. Während hier das Wort verteilen wahrscheinlich im Sinne von ,verdammen‘ zu verstehen ist, gewinnt es vom Schlussexkurs her betrachtet auch die Bedeutungskomponente ,verurteilen‘ (zum Bedeutungsspektrum vgl. BMZ; L exer ; WMU, s. v.). 631 enber swes got wil enbern, / und halde, swaz er ouch halde (vv. 5364 f.). Der Schlussabschnitt (vv. 5360-5392) ist zwar formal an Israel (v. 5294) gerichtet, enthält aber eine allgemeine Glaubenslehre und spricht alle an, die nach dem ewigen Leben streben (vv. 5360-5363). Vgl. dazu auch Schulze 2002, S. 122. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 171 Jüngste Tag herannahe. Wer sich dann zum Christentum bekehre, werde mit uns bewahrt (vv. 5212-5225). 632 Dass ,die Juden‘ auch unter Bann stehen, ergibt sich aus den vorangehenden Versen, nach denen jeder, der unredelichen lebet / und dem gelouben widerstrebet (vv. 5193 f.), unter ,römischem Bann‘ und der Reichsacht stehe (vv. 5195-5197). Abgesehen davon, dass der Bann als römisch bezeichnet wird, werden keine kirchlichen Autoritäten genannt, und der Bann erscheint hier wie die Acht (die für ,die Juden‘ zusätzlich von Vespasian hergeleitet wird) als eine automatisch auf Fehlverhalten folgende Strafe. Dass der Bann das Seelenheil gefährdet, war bereits an früherer Stelle gesagt worden (vv. 5010-5020). Er wird hier mit einer Verfluchung durch Gott in Verbindung gebracht, die eintritt, wenn gotes reht unrihtet wird (v. 5023). Diese wider Gott gerichtete Verhaltensweise 633 ist in eine Reihe gestellt mit anderen, die auf derselben Ebene liegen: dass man sich denen zugesellt, die den Bann verdienen (v. 5021), dass gegen Gott gekämpft wird (v. 5024), dass die Gedanken nicht auf Gott gerichtet werden (v. 5025). Gottes reht könnte in diesem Zusammenhang subjektiv zu verstehen sein, also das meinen, was Gott in angemessener Weise zukommt. Dazu gehört aber auch gerechtes Verhalten der Menschen, sodass Gottes reht objektiv auch auf eine irdische Rechtsordnung verweisen könnte, die nicht verletzt werden darf. Dass sich jemand, der sich gegen das ‚Rechte‘ wendet, zugleich gegen Gott richtet, klingt auch im Parallelismus der Beschimpfung des Pilatus durch die Römer an „O du gotes widerwarte, / verchviant des rehten, / […] “ (vv. 4348 f.). Ausgearbeitet ist der Gedanke von Gott als Geltungsgrund allen Rechts aber nicht. Vielmehr werden nach der Auflistung der gegen Gott gerichteten Verhaltensweisen flankierend aus dem weltlichen Recht Handlungsmaßstäbe für die Herren abgeleitet, die solche Verhaltensweisen vermeiden sollen. Aus der rhetorisch gestellten Frage, ob die Herren die Juden in Frieden leben lassen sollen, die das nicht täten, wenn sie die Übermacht hätten, ergibt sich, dass es um das Zusammenleben im irdischen Bereich geht (vv. 5028-5032). Vor allem solle man sich nicht mit den als unreine diet (v. 5033) bezeichneten Juden gemein machen. Zur Verdeutlichung verweist der Erzähler auf Analogien aus zwei verschiedenen Kontexten: 1. Wenn man kranke mit gesunden Pferden zusammen in einen Stall stelle, würden alle krank; genauso ansteckend sei der nit der Juden (vv. 5035-5041). 634 Diese aus der Praxis- 632 Die Vorstellung, dass ,die Juden‘ sich dann zum Christentum bekehren werden (vv. 5218 f.), steht in einer paulinischen Tradition (vgl. dazu Schulze 2002, S. 111), die eigentlich ein zur Selbstverfluchung durch den Blutruf alternatives Konzept darstellt (vgl. dazu Magin 1999, S. 17 f.). Das Motiv der Bekehrung ,der Juden‘ am Ende der Zeiten ist jedoch an verschiedenen Stellen des Textes präsent (vv. 3748-3757; 4738-4743 [dort in Bezug auf Gog und Magog, die in ihrer Abgeschiedenheit vom Christentum nichts vernommen hätten]). Außerdem aktiviert der Text (unter Berufung auf Lc 14,23) auch das Konzept der gewaltsamen Bekehrung ,der Juden‘ (vv. 5133-5143). Vgl. zur Stelle Helm 1899, S. 140; Schulze 2002, S. 120 f.; zu verschiedenen Positionen zur Zwangstaufe Magin ebd., S. 164-185. 633 Gewarnt davor werden hier die herren (v. 4920), obwohl die in den umgebenden Versen genannten Klischees (vv. 5021-5027) nach der Textlogik eher ,den Juden‘ zuzuordnen wären. Vgl. aber auch die Vorwürfe (vv. 5226-5235) an die Fürsten (v. 5189). In den Fragmenten der Erlösung hingegen sind mit denjenigen, die gottes recht unrichten (v. 80, zitiert nach Mentzel-Reuters 2013), tatsächlich ,die Juden‘ gemeint (vv. 83-85). Zu den Korrespondenzen zwischen dem Evangelium Nicodemi und der Erlösung an dieser Stelle vgl. auch Mentzel-Reuters 2014, S. 60. 634 Bereits vorher war versucht worden, über Bezüge zur kulturellen Praxis Überzeugungskraft zu gewinnen: Keiner der Angeredeten würde jemanden leben lassen, der seine Mutter geschmäht habe (vv. 4835-4840) - impliziert ist, dass sie für diejenigen, die den Schöpfer schmähen (v. 4790), nicht die- 172 3 Variationen der Rechtsthematik erfahrung abgeleitete These wird durch den Hinweis auf Worte des Psalmisten David bestätigt und überhöht (vv. 5042-5049). Er habe gesagt: „Mit den heiligen wirdestu heilic / und wirdes in ebenteilic, / mit den vorkarten vorkart.“ (vv. 5045-5047) 635 Aus einem weiteren Halbvers des zitierten Psalms ( „Mit den unschuldigen unschuldic“ , v. 5049) wird dann umgekehrt abgeleitet, dass die Herren schuldig würden - mit entsprechenden Konsequenzen beim Jüngsten Gericht, wenn sie, die als Vertreter Gottes fungieren sollten, ihn nicht verteidigten oder wenigstens die Feinde Gottes (,die Juden‘ und ihre Kinder) mieden (vv. 5050-5060). 2. Wenn einer einen Dieb verstecke, verdiene er dieselbe Strafe wie dieser; er sei genauso schuldig wie derjenige, der stiehlt (vv. 5061-5068). Der zuletzt genannte Rechtsgrundsatz wird als ein alt erteilet reht (v. 5062) eingeführt, also als ein Prinzip, das durch wiederholte Urteile zur Rechtsgewohnheit 636 geworden ist. Tatsächlich werden in verschiedenen deutschrechtlichen Quellen Täter und Begünstigter gleichgestellt. 637 Der Vergleichsbereich des Strafrechts wird dann noch dazu genutzt, um auszuführen, dass, wenn Diebe und Räuber nicht versteckt, sondern konsequent bestraft würden, 638 sie von ihren Verbrechen abließen (vv. 5069-5078). 639 Das gelte analog auch für ,die Juden‘, deren Wucher als Diebstahl zu betrachten sei: Sie seien nur mutig, wenn man ihnen keinen Widerstand leiste (vv. 5079-5132). 640 Die Anhäufung verschiedenster Argumente dafür, warum man ,die Juden‘ in drucke (v. 5246) halten solle, zeugt vom agitatorischen Charakter 641 des Schlussteils des Evangelium selben Konsequenzen zögen. Wer solche Leute als Lehnsmänner aufnehme, verdiene die Vierteilung (vv. 4841-4855). 635 Vgl. Psalm 17[18],26, der als Sprichwort verbreitet war (vgl. TPMA, s. v. ,heilig‘ [Bd. 6, S. 4 f.]). 636 Zum Begriff vgl. Dilcher u. a. 1992. 637 Vgl. dazu His 1920, S. 152-167; Kaufmann 1998a, Sp. 140. Nach Helm (1902, S. 262) bezieht sich die gesamte Stelle auf Hehlerei, die man aber allenfalls aus dem Verstecken ableiten kann; für die Analogie zum Umgang mit ,den Juden‘ ist es wichtig, dass es eine Person ist, die verborgen und deren Schuld daher nicht geahndet wird. Zur Vorstellung einer Mitschuld durch Verstecken eines Diebes vgl. Freidanks Bescheidenheit , vv. 46,23 f. (vgl. dazu Grimm 1899, Bd. 2, S. 195; zur Freidank-Rezeption vgl. Heiser 2006): Swâ ein diep den andern hilt / da enweiz ich, weder mê stielt (zitiert nach Bezzenberger 1872; s. auch TPMA, Bd. 12, S. 144 f. [mit einem Abdruck einer späteren lateinischen Übersetzung]). Die Gleichheit der Strafe in Bezug auf Diebstahl und Hehlerei ist für die Entstehungszeit des Evangelium Nicodemi viel besser belegt als in Bezug auf Diebstahl und Begünstigung (vgl. Sachsenspiegel , Ldr. II 13,6; vgl. dazu His ebd., S. 164 f.). Auf das entsprechende Rechtssprichwort (s. u. S. 310) wird auch in der Apokalypse Heinrichs von Hesler verwiesen: Iz ist ein alt gesprochen wort, / Ir habet iz dicke gehort: / Her ist so schuldic der da hilt, / Als der dieb der da stilt. (vv. 2961-2964; zitiert nach Helm 1907). 638 Die in vv. 5071-5073 genannten Strafen des Erhängens für Diebe und der Enthauptung für Räuber sind z. B. auch im Sachsenspiegel (Ldr. II 13,1 und 5) zu finden. Vgl. zu diesen typischen Strafen auch His 1920, S. 491-495. 639 Ein ähnlicher Gedankengang findet sich in dem in Anm. 637 anzitierten Freidank-Spruch: Ein Dieb unterließe ohne Versteckmöglichkeit den Diebstahl (vv. 46,25-47,1); die Richter verfolgten die Diebe nicht konsequent genug (vv. 48,5-8; zitiert nach Bezzenberger 1872). 640 Zur Klassifizierung ,der Juden‘ als Diebe vgl. Schulze 2002, S. 120. Auch der Bildbereich der Ansteckungsgefahr, die von den maselsiechen Pferden (v. 5035) ausgeht, wird noch einmal explizit auf ,die Juden‘ übertragen, indem ihr Atem mit dem Gestank von maselsiechen gleichgesetzt wird (vv. 5151 f.). 641 Der Vergleich mit Dieben lässt sich der ,kriminellen Ausgrenzung‘ zuordnen, der Vergleich mit Trägern ansteckender Krankheiten der ,sozialen Ausgrenzung‘ (zu diesen im Spätmittelalter weiter verbreiteten Strategien vgl. Ernst 2000, S. 22-25). Deshalb ist es umso problematischer, wie Malm (2011, Sp. 973), aus dem Wucher-Vorwurf auf finanzielle Probleme des Autors zu schließen. 3.4 Heinrich von Hesler, Evangelium Nicodemi 173 Nicodemi . 642 Die Kompilation der Argumente vermittelt aber auch den Eindruck, dass die verschiedenen Rechtszusammenhänge (bis auf die e der Juden und die der Christen) nicht in einem konkurrierenden Verhältnis zu sehen sind: Was ,richtig‘ ist, kann aus dem rechtlichen Prinzipien folgenden Heilsgeschehen ebenso begründet werden wie aus zeitgenössischen Rechtsgewohnheiten. Die Verantwortung für die Durchsetzung dessen, was der Erzähler im menschlichen Leben als ‚richtig‘ betrachtet, und die Ahndung bei Zuwiderhandeln sieht er in den Händen der irdischen Obrigkeit, die ihre Macht von Gott hat und ihn auf Erden vertritt, und er erwartet letztlich einen endgültigen Vollzug des ‚Richtigen‘ in der Gerichtsbarkeit Gottes am Jüngsten Tag. 3.4.5 Verflechtungen göttlichen und menschlichen Rechtshandelns Wie die Argumentation mit Beispielen aus dem zeitgenössischen Gewohnheitsrecht im Schlussteil des Werks erkennen lässt, war der Verfasser offenbar mit der Rechtspraxis vertraut. Trotzdem sind bei der Prozessschilderung zeitgenössische verfahrensrechtliche Details nur am Rande eingeflossen. Das könnte mit der Quellentreue Heinrichs von Hesler zusammenhängen oder damit, dass ein zeitlich zurückliegendes Verfahren dargestellt werden soll. Da aber gerade bei Erläuterungen zu römischen Rechtssitten ein Kurzschluss mit solchen aus der Gegenwart erfolgt, liegt der Grund für die insgesamt sparsame Ausgestaltung des Verfahrens vermutlich eher darin, dass das Erzählinteresse nicht so sehr auf dem jeweiligen Prozedere, vielmehr auf grundsätzlichen Fragen von Recht und Unrecht liegt. Bezeichnenderweise sind mit den Aussagen des Erzählers zu dem (als dem Recht gemäß oder als ungerecht beurteilten) Vorgehen des Pilatus innerhalb der Prozessschilderung Hinzufügungen gegenüber der Quelle vorhanden. Verbunden mit der Frage danach, was gerechtes Handeln bedeutet, ist die Frage nach Schuld und Unschuld der Handelnden, die im Pilatus-Veronika-Teil des Textes dominant wird. Durch die Konzentration auf solche Fragen gewinnt die Rechtsthematik eine moraldidaktische Ausrichtung. Dem grundsätzlichen Interesse an Recht und Unrecht entspricht ein ebenso grundsätzlicher Zugang zur Wahrheit. Auch hier treten verfahrensrechtliche Fragen wie die Beweisaufnahme im Prozess in den Hintergrund. Verfahren zur Wahrheitssicherung werden vor allem dann thematisiert, wenn es um die Erlösungswahrheit geht. Der Text begreift diese Wahrheit als Rechtszusammenhang: In der Erklärung der Interdependenz von Sündenfall und Erlösung, die der Text in der moralisch-rechtlichen Verpflichtung Gottes gegenüber dem von ihm geschaffenen (schwachen) Menschen und den Rechtsansprüchen des Teufels begründet sieht, liegt sicherlich die Hauptfunktion der Rechtsmotivik im Evangelium Nicodemi . Aus der Konzeption der theologischen Zusammenhänge werden im Schlussteil des Textes wiederum Prinzipien für das Rechtshandeln in der eigenen Zeit entwickelt, das aufgrund des inhaltlichen Kontextes im Wesentlichen auf das Verhältnis zu Gott bezogen bleibt: Mit der Bestrafung des Pilatus, der seiner richterlichen Verpflichtung nicht nachgekommen ist, einen Unschuldigen vor einem Unrechtsurteil zu bewahren, und der Bestrafungsaktion Vespasians gegenüber ,den Juden‘ ist für den Erzähler die Schuld ,der Juden‘ nicht gesühnt. Nach der Logik des Textes erwächst aus Gottes Rechtsverpflichtung zur Erlösung 642 Eine bedingte Duldung (zu entsprechenden kirchlichen Positionen vgl. Magin 1999, S. 19-21) wird ihnen aber zugestanden (vv. 5239-5263). Vgl. dazu auch Schulze 2002, S. 122. 174 3 Variationen der Rechtsthematik die Rechtsverpflichtung der Christen zur Bestrafung ,der Juden‘, soweit sie sich der neuen e verschließen. Diese Logik hat jedoch mit Problemen zu kämpfen, denn sie arbeitet mit Analogien zwischen göttlichem und menschlichem Rechtshandeln, die allerdings nur partiell funktionieren: Bei der Erlösung hat sich Gott über das für Menschen gültige Prinzip, dass der Schuldige bestraft werden muss, 643 hinweggesetzt. So steht dem Versuch, Gottes Handeln mit Rechtstermini nachvollziehbar zu machen, letztlich die Erkenntnis gegenüber, dass seine urteil (vv. 291-293) unergründlich sind. 3.5 Zur Hybridität der Erzählwelt Wie die Lektüren der Kerntexte deutlich gemacht haben, weist der Umgang mit rechtlichen Aspekten in den drei Texten Gemeinsamkeiten auf, die sich nicht allein aus dem als Prätext fungierenden lateinischen Nikodemusevangelium ableiten lassen (z. B. bei der Ausgestaltung der juristischen Züge der Befragungsszenen nach Jesu Auferstehung). Daneben zeigt sich jedoch eine erhebliche Variationsbreite im Zugriff auf die Rechtsthematik, da die Rechtsmotive jeweils in einen speziellen internen Bezugsrahmen eingespannt sind: In Diu urstende etwa ist über die Kette der Zeugenaussagen mit ihrer je eigenen Konzeptionalisierung von ,Wahrheit‘ der juristische Wahrheitsbegriff mit dem der Heilswahrheit enggeführt, in Christi Hort werden durch detaillierte Schilderungen des Verfahrensablaufs die rechtsethischen Aspekte besonders herausgearbeitet, die im Gesamttext in Zusammenhang mit der Frage nach der richtigen Lebensführung stehen, und im Evangelium Nicodemi wird das menschliche Rechtshandeln vor dem Hintergrund göttlichen Rechtshandelns interpretiert. Um das Erzählte zu plausibilisieren, werden in allen drei Texten jeweils mehrere Strategien eingesetzt, die sich teilweise überlagern: Abgesehen davon, dass der Textinhalt insgesamt durch Quellenberufungen abgesichert wird, werden einzelne Handlungen erläutert. Historische Begründungen (Pilatus ließ die Fahnen vor sich hertragen, weil es damals so üblich war) stehen dabei neben heilsgeschichtlichen Zusammenhängen von Verheißung und Erfüllung ( Jesus schwieg, weil es so prophezeit war). An der problematischen Stelle, an der der Prozess gegen Jesus mit dem tradierten Ergebnis zu Ende kommen muss, findet sich in Diu urstende und indirekt auch in Christi Hort eine punktuelle Berufung auf die Quelle, die das Berichtete legitimiert, den Erzähler aber zugleich von der Verantwortung dafür entlastet. In den Kontext von Strategien der Plausibilisierung ist auch die partielle Anpassung des Erzählten an die zeitgenössische Kultur - sowohl an die ,Alltagsrealität‘, speziell an das Rechtswesen, als auch an literarisch vorgeprägte Muster (höfische Botenszenen) - einzuordnen. In allen drei Texten werden bei der Schilderung des Prozessablaufes - in unterschiedlichem Ausmaß 644 - nur einzelne Elemente aktualisiert, sodass das Verfahren insgesamt einen uneinheitlichen Eindruck vermittelt: Es gibt Gerichtsschranken und Urteilsfragen, aber das deutschrechtliche Verfahren ist weder vollständig repräsentiert (keine Vorspre- 643 Das Konzept der Gnadenjustiz auf Erden (vgl. dazu Schreiner 2012) ist im Evangelium Nicodemi nicht präsent. 644 Vgl. dazu Klibanski (1925, S. 15 f.; 22 f.; 27), der daraus auch jeweils Rückschlüsse auf die juristischen Kenntnisse der Verfasser zog. 3.5 Zur Hybridität der Erzählwelt 175 cher! ), noch sind dem ,deutschen‘ Recht widersprechende Züge getilgt 645 (Unterredung des Richters mit dem Angeklagten allein). Die Gründe für die inkonsequente Gestaltung der rechtlichen Abläufe liegen angesichts der stofflichen Vorgaben auf der Hand, aber die Tatsache, dass man die Logik eines ,deutschrechtlichen‘ Verfahrens eben nicht absolut setzen kann, verweist auf die hybride Natur der Erzählwelt insgesamt: Sie konstituiert sich teilweise unter Bezug auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit, weicht aber in anderen Punkten davon ab. 646 Systematisch betrachtet ähnelt die Erzählwelt der eines fiktionalen Textes, bei dem der zeitgenössische Rezipient automatisch Lücken nach dem Realitätsprinzip füllt, aber auch damit umgehen kann, dass manches anders funktioniert. Ebenso ist für einen historischen Rezipienten zu vermuten, dass er mit der schrangen eine zeitgenössische Gerichtssituation assoziiert hat, 647 aber das Auftreten einer Frau als Zeugin, das bezogen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit nicht ohne Weiteres plausibel wäre, akzeptiert hat, zumal dafür mit den biblischen Heilungswundern ein anderer Kontext aktiviert werden konnte. Umgekehrt kann nicht angenommen werden, dass jeder Bezug auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit für die Rezipienten kohärenzstiftend gewesen sein muss bzw. so angelegt ist. Gerade die dadurch aktivierten Assoziationsräume können auch dazu führen, dass neue Fragen aufgeworfen werden. Bei einer Richterfigur, die die Entscheidung über das Urteil eindeutig delegiert, stellt sich z. B. verstärkt die Frage, worin ihre Schuld bei der Verurteilung eines Unschuldigen besteht. Möglicherweise sind manche Ausgestaltungen in den Texten als Reaktionen auf solche implizit aufgeworfenen Fragen zu verstehen. 648 Produktionsästhetisch betrachtet ist es wenig überraschend, dass der Grad der kulturellen Aneignung sich auch als von der Autorität der Vorlage abhängig erwiesen hat: Bei der legendarisch tradierten Bestrafung des Pilatus war der Entwurf eines römischen Hofgerichts nach zeitgenössischem Muster ohne Weiteres möglich ( Christi Hort ), beim Prozess gegen Jesus hatte der überlieferte Ablauf eine größere Dominanz. Aber bei der Analyse der Prozessszenen in den drei Kerntexten ließ sich auch erkennen, dass das Ausmaß der Aktualisierung höchst unterschiedlich ist (in Diu urstende und Christi Hort ausgeprägter als im Evangelium Nicodemi ), d. h., sogar bei dem stark kanonisierten Stoff bestand eine gewisse erzählerische Freiheit. Vor diesem Hintergrund kann es als gestalterische Entscheidung gelten, dass in allen drei Texten überhaupt ein partieller Anschluss an die zeitgenössische Erfahrungswelt gesucht wurde, und es gilt, die mit dieser Entscheidung verbundenen Implikationen zu erkunden. 645 Am ehesten ist das noch in Diu urstende der Fall. 646 Mit der Hybridität der dargestellten Rechtswelt stehen die Kerntexte nicht allein (s. o. S. 28 f. zum Rolandslied und zur Heldenepik allgemein). 647 Zu solchen Assoziationsvorgängen im Einzelnen s. u. Kap. 4. 648 Deshalb werden in Kap. 5 mögliche Bezugsrahmen rekonstruiert. Zur Frage der Kohärenzerwartung s. Kap. 5.4. 4.1 Explizite kontextuelle Verankerung 177 4 Verfahren der kulturellen Aneignung in Diu urstende, Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi Bei der interpretierenden Lektüre der Kerntexte (Kap. 3) wurden - besonders bei der Analyse der Gerichtsverfahren gegen Jesus und gegen Pilatus - punktuell Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit (soweit sie sich rekonstruieren lässt) herangezogen, um Sinnpotenziale zu erschließen. Dieser selektive Zugriff auf externe Bezugsfelder muss, da das ,Hinterland‘ der Texte prinzipiell unbegrenzt ist, durch eine systematisierende Analyse der Mechanismen, mit denen sich die Texte explizit oder implizit auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit beziehen, gestützt werden. Die folgenden Ausführungen sollen daher zum einen die bei der Untersuchung der Kerntexte vorgenommenen Kontextualisierungen auf eine grundsätzlichere Argumentationsbasis stellen, zum anderen die Basis dafür schaffen, zeitgenössische Diskussionszusammenhänge als weitere externe Bezugsfelder zu erkunden (Kap. 5). Auch wenn das Ziel der Analyse letztlich darin besteht, die Funktion von Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit bei der Rezeption der Texte (näherungsweise) zu bestimmen, setzen die Überlegungen an einem produktionsästhetischen Punkt an, nämlich bei den Verfahren der kulturellen Aneignung eines historisch fremden Stoffes, weil sich hier Bezugnahmen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit besonders gut identifizieren lassen. Bevor die Funktionsweise impliziter Aktualisierungen aufgeschlüsselt wird, soll in einem ersten Schritt untersucht werden, welches kulturelle Umfeld die Erzähler für sich und ihre Rezipienten explizit als gemeinsam reklamieren und in welcher Form das geschieht. Denn diese kontextuelle Verankerung kann auch als indirekte Aufforderung an den Rezipienten gelesen werden, weitere Bezüge zu diesem Umfeld herzustellen. 1 4.1 Explizite kontextuelle Verankerung Wenn im Folgenden das Erzählen heilsgeschichtlich bedeutsamer Ereignisse unter der übergeordneten Perspektive der Aneignung eines ,historischen‘ Stoffes betrachtet wird, so sei damit die spezifische Zeitstruktur des Heilsgeschehens nicht geleugnet: Es hat eine historische Dimension, aber auch eine zukünftige, da das Heilsgeschehen aus christlicher Perspektive noch nicht abgeschlossen ist. 2 Zwar zeichnet sich gerade die Passion Jesu durch einen dezidierten Geschichtsbezug aus, 3 doch verweist sie ebenso zurück auf die alttestamentarischen Prophezeiungen wie voraus auf die Gegenwart des einzelnen christlichen Subjekts, für das der Glaube an die Passion die Verheißung auf die eigene Erlösung 1 Vgl. Herman 2002, S. 331 (Zitat o. auf S. 32 f.). 2 Vgl. dazu z. B. Keller 2004, S. 54 (mit weiterer Literatur): „Einerseits ist diese [sc. die Erlösung] im Leben und Sterben von Jesus Christus schon geschehen, was jener vertikalen Achse entspricht, in welche der Erlöser gewissermaßen sprunghaft eingebrochen ist, als er in den Schoß der Jungfrau, in die Welt, ans Kreuz und in den Himmel ,gesprungen‘ ist. Andererseits ist die Erlösung erst endgültig, wenn sie am Ende der Zeit ratifiziert wird.“ 3 Vgl. dazu Frey 2009. 178 4 Verfahren der kulturellen Aneignung bedeutet. 4 Außerdem wird das Christusgeschehen in der Liturgie in besonderer Weise vergegenwärtigt. 5 Die Verschränkungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart scheinen punktuell auch in den Kerntexten auf. Eine explizite Adressierung der liturgischen Gegenwart bzw. das Verschmelzen der Ebenen von liturgischem und historischem Geschehen findet sich nicht nur im Gebetsteil von Christi Hort , wenn die Karfreitagslesung aufgerufen wird und das betende Ich in das auf diese Weise präsente Heilsgeschehen unmittelbar involviert erscheint (vv. 2056-2064), sondern im Evangelium Nicodemi auch innerhalb der Narration bei der Schilderung des letzten Abendmahls: ein brot nam er in die hant, zu berge hub er iz zuhant, und tet daruber einen segen, den die priestere allewegen uber dem altare sprechen, e sie daz brot zubrechen. ( Evangelium Nicodemi , vv. 463-468) Hier wird das Verhalten der Priester nicht mit dem von Jesus erklärt, sondern das Verhalten Jesu durch den Verweis auf einen aus der Liturgie allenthalben bekannten Vorgang erläutert. Dass die Liturgie das Modell für die Anlage der ganzen Szene war, 6 zeigt auch das Detail, dass Jesus in den heiligen drin namen Wasser und Wein in den Kelch gießt (vv. 457-462). Dass das für Heinrich von Hesler ein selbstverständlicher liturgischer Vorgang war, lässt sich mit Versen aus seiner Apokalypse untermauern (vv. 12 903 f.; 13 055; 13 068 f.). 7 Die Verschränkung verschiedener Zeitebenen ist in den Kerntexten jedoch nicht dominant. Sie konzipieren die Passion Jesu eher als historisches Geschehen, und zwar auch im Hinblick auf die darin wurzelnde liturgische Festordnung. So kommt im Evangelium Nicodemi ein Bewusstsein davon zum Ausdruck, dass das einmalige Heilsereignis ein christliches Fest begründet hat. Zum Beispiel wird die Handlungssequenz am leeren Grab mit den Versen eingeleitet: An dem dritten tage vru, / daz osteren ist genant nu (vv. 2333 f.). 8 Die Zeitangabe nu stellt zugleich einen Bezug zur Gegenwart des Erzählers dar. Solche Zeitangaben treten jedoch auch in Figurenreden auf, wenn etwa Joseph bei der Erzählung von seiner Befreiung die Worte in den Mund gelegt sind „In der dritten naht, / daz osteren nu genant ist, / […] “ (vv. 2588 f.). Das nu in der wörtlichen Rede Josephs dürfte sich wohl kaum auf seine eigene Gegenwart beziehen, sondern einen Anachronismus darstellen, 4 Vgl. Kiening (2011, S. 123), mit Bezug auf Augustinus, Confessiones 10,43,68: „Die Faktizität der Passion […] dient […] als Tertium zwischen Vergangenheit und Gegenwart, als mittleres Glied des Erlösungs g e s c h e h e n s , das sichtbar macht, was zuvor schon sich ankündigte und immer noch wirksam ist.“ 5 Vgl. dazu z. B. Berndt 2013. 6 Explizit angegeben sind zu Beginn der Abendmahlsszene die Evangelien als Quelle: […] / do begieng die mandate / unse herre Jesus Crist, / also do geschriben ist / an der marter buche (vv. 428-431). Die traditionsstiftenden Worte Jesu bei der Einsetzung des Abendmahls und der Fußwaschung (vgl. Io 13,12-15) sind im Evangelium Nicodemi (vv. 451-456; 469-479) übernommen worden. 7 Zur Bereitung des Kelchs vgl. Martimort 1963, S. 397. Zur Ausdeutung des Wassers vgl. auch Jungmann (1962, S. 371 f.), der die Beimischung von (warmem) Wasser allerdings der byzantinischen Liturgie zuordnet. 8 Zu „Deiktika und Performativa“, die Gegenwärtigkeit erzeugen, vgl. Kiening 2006, S. 27 (mit weiterer Literatur). 4.1 Explizite kontextuelle Verankerung 179 wie er sich auch häufig in Geistlichen Spielen findet. 9 An der entsprechenden Stelle der Handlung in Christi Hort lässt der Erzähler Joseph ganz selbstverständlich vom Karfreitag sprechen. 10 Eine solche anachronistische Verwendung christlicher Zeitangaben schließt aber keineswegs ein historisches Bewusstsein davon aus, dass eine zeitliche Distanz zu den geschilderten Ereignissen besteht und sich das Christentum als Religion erst etablieren musste, denn als in Christi Hort Jesus die Jünger auffordert, für seine Himmelfahrt zum Ölberg zu kommen, und sie daraufhin alle Christen versammeln, wird ausdrücklich gesagt, dass es noch wenige gewesen seien (vv. 2839-2841). Als historisches Geschehen hat das Heilsgeschehen nach den Kerntexten auch direkte Konsequenzen für die ,heutige‘ Gesellschaftsstruktur: Diu urstende und vor allem das Evangelium Nicodemi leiten die Stellung ,der Juden‘ aus dem Heilsgeschehen ab. 11 Anders als ätiologische Erzählungen mit bloßem Erklärungswert hat diese historische Herleitung der Stellung ,der Juden‘ einen appellativen Charakter, da nach der Logik der Texte von allen Christen ein Eintreten gegen ,die Juden‘ verlangt wird. 12 Neben der Erläuterung der unmittelbaren Konsequenzen des Heilsgeschehens für die Gegenwart und der Engführung mit der Liturgie gibt es noch einen dritten Typus des Bezugs auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit, der für den Zugang zur Heilsgeschichte spezifisch ist: die Auslegung des Erzählten bezogen auf das eigene Leben oder auf Fragen des richtigen moralischen Verhaltens in der Gegenwart. Im Evangelium Nicodemi (vv. 1872-1882) beispielsweise wird aus der Erlösung des guten Schächers abgeleitet, dass für uns - eine Gemeinschaft sündiger Menschen - ebenfalls Hoffnung auf Erlösung bestehe. Um moralisch falsches Verhalten geht es bei der in Christi Hort (vv. 2568-2582) anlässlich der Bestechung der Grabwächter eingefügten Reflexion darüber, dass ,noch‘ mancher seine Seele durch unrecht erworbenes Gut verwirke. In Diu urstende (vv. 159-170) wird beklagt, dass die Falschheit des Judas ,noch‘ in der Welt zu finden sei; arglistige Täuschung werde aber denselben Lohn finden, den Judas bekommen habe. Auffällig ist bei diesen Moralisierungen, dass es sich nicht eigentlich um tropologische Auslegungen handelt, die auf den Einzelnen bezogen wären, sondern dass allgemein Verhaltensweisen mit ihren Konsequenzen benannt werden. Bei den Auslegungen wird vom Erzähler jeweils eine eigene Erfahrungswirklichkeit entworfen, die sicherlich keinen Abbildcharakter hat, aber doch plausibel gewirkt haben 9 Vgl. Schmid 1975, S. 71-79. Entsprechende Anachronismen kommen auch in Übersetzungen von Evangelienperikopen vor, wenn „Heilige Personen wie Johannes Baptista […] in der Übersetzung als sant bezeichnet“ werden, und zwar auch innerhalb von Figurenreden (vgl. Palmer 2004, S. 143). Die Benennung von Johannes dem Täufer als Johannes baptiste durch die Simeonsöhne im Evangelium Nicodemi (v. 2897) dürfte ebenfalls durch die Gegenwart des Textes geprägt sein, wenn auch dessen Täuferfunktion - anders als die Heiligkeit - schon von den Figuren in der erzählten Zeit erkannt werden kann. 10 ‘ […] / do i r mich am charvrîtag / indaz gewelwe bespartet / […] ’ (vv. 3322 f.). 11 Vgl. Diu urstende , vv. 2149-2162: Immer mêre für die zît / […] / hât ir chünne noch den strît , / […]. Im Evangelium Nicodemi heißt es bereits vor Beginn des Schlussexkurses mit seiner deutlichen Ausrichtung auf die Entstehungszeit des Textes (vv. 4714-5392): Von du sint sie uns eigen (v. 4713). Der Vers bezieht sich auf die Verurteilung ,der Juden‘ durch Vespasian, die aber ihrerseits aus dem Heilsgeschehen abgeleitet wird. Die heilsgeschichtliche Begründung für den geforderten Umgang mit ,den Juden‘ wird im Evangelium Nicodemi zusätzlich durch den Verweis auf Analogien in der Alltagswelt gestützt (s. dazu o. S. 171 f.). 12 Eine ausdrückliche Aufforderung dazu wird nach dem rekonstruierten Text von Diu urstende erhoben: wâfen über sie geschrît! (v. 2160). 180 4 Verfahren der kulturellen Aneignung muss. Dass ,heutige‘ Situationen zu ,damaligen‘ in Bezug gesetzt werden, ist möglich, weil der moralische Gehalt nicht zeitgebunden ist bzw. das Wertesystem sich gegenüber dem aus den biblischen Szenen abzuleitenden nicht entscheidend verändert hat, ja sich sogar teilweise aus ihm speist. Bei der Judas-Passage in Diu urstende scheint aber zu der expliziten Übertragung in die Gegenwart noch eine Deutung des Verrats vor dem kulturellen Hintergrund der Entstehungszeit des Textes gekommen zu sein, denn die Information, dass Judas von der Abendmahlstafel weggegangen sei (vgl. Io 13,30), wird in Diu urstende (vv. 155-158) angeführt, um die Größe seines Verrats zu verdeutlichen. Darin wird man eine Anspielung auf den Bruch des Vertrauensverhältnisses sehen können, wie es das gemeinsame Mahl voraussetzt. 13 Noch komplexer sind die Verfahren der kulturellen Aneignung an der Stelle in Christi Hort (vv. 1817-1826), an der vom Erzähler die Tatsache, dass ,die Juden‘ die Gerichtsschranken verlassen, kommentiert wird. Die Gemeinsamkeit zwischen ,heute‘ und ,damals‘ wird wieder in einer bestimmten Verhaltensweise gesehen: dem Vermeiden von Befleckung durch Ansehen eines Todesurteils. Die ganze Situation des Verlassens des abgeschrankten Gerichtsbezirks ist aber nur vor dem Hintergrund eines konkreten kulturellen Umfeldes verständlich, das hier in die Vergangenheit zurückprojiziert ist und dann auf die Gegenwart bezogen ausgedeutet wird. Zwar ist bei dem Kommentar zum Verlassen der Gerichtsschranken wegen der negativen Grundeinstellung gegenüber ,den Juden‘ wahrscheinlich eine Missbilligung durch den Erzähler anzunehmen, sie wird aber nicht als solche kenntlich gemacht. An anderen Stellen in Christi Hort sind auch Bezüge zur Gegenwart zu beobachten, die keine moralische Ausdeutung implizieren, wenn zum Beispiel erläutert wird, dass die Jünger beim Fischen keine Beute gemacht hätten, als dicke vischæren noch geschiht (v. 2752). Bei solchen Erläuterungen ist der heilsgeschichtliche Gehalt nicht relevant, sondern dem historischen Geschehen wird durch den Bezug auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit Plausibilität verliehen. Da in den Kerntexten das Heilsgeschehen - ausgehend vom sensus historicus der Evangelien - überwiegend als vergangenes Geschehen dargestellt wird, zeigen sich an den bisher genannten Textstellen Verfahren der expliziten kontextuellen Verankerung, wie sie auch in anderen Erzählungen von etwas Vergangenem zu finden sind, zum Beispiel der Bezug auf ein ,heute‘, das dem Erzähler und den Rezipienten gemeinsam ist, ausgedrückt durch nu oder noch . Ein solcher gemeinsamer Erfahrungsraum wird auch suggeriert, wenn von den geschilderten Verhaltensweisen der Figuren gesagt wird, dass sie dem entsprechen, was ,man‘ machen soll. Das geschieht in Diu urstende trotz der judenfeindlichen Gesamttendenz sogar einmal in Bezug auf ,die Juden‘, als erzählt wird, dass sie die tumben von der Befragung Josephs durch die Hohepriester ausschließen (vv. 1320-1325). Der Erzähler kommentiert: swâ ma n umbe solh e sache trahtet und ze râte wirt, der tumben man dâ wol enbirt. ( Diu urstende , vv. 1326-1328) Ein strukturell vergleichbarer Kommentar findet sich in Christi Hort in Bezug auf die Ausstattung des Boten Adrian durch Pilatus (vv. 4113-4126): 13 Zur Verwerflichkeit eines solchen Verrats vgl. His 1920, S. 145; 148 f.; Schild 1998, bes. Sp. 794 zum Verrat am Gastgeber (mit Verweis auf eine Quelle aus dem 15. Jh.). 4.1 Explizite kontextuelle Verankerung 181 den berait er shon unt wol als man werde potten schol, die man hohen herren senten wil von verren. ( Christi Hort , vv. 4117-4120) 14 Ob das hier vorausgesetzte Wissen darüber, wie man Boten ausstatten soll (mit üppigen Gastgeschenken, vv. 4121-4126), sich letztlich aus der Praxis oder aus literarischen Texten speist, ist für den Prozess der kulturellen Aneignung irrelevant. Das Bemühen des Erzählers in Christi Hort , das historisch ferne Geschehen von der eigenen Gegenwart ausgehend zu erschließen, wird besonders deutlich bei dem Kommentar zu dem weißen Tuch, das der ,Läufer‘ des Pilatus um den Hals trägt (vv. 1423-1429). Schon diese Aussagen über das Tuch sind eine von den Angaben im Nikodemusevangelium abweichende Konkretisierung, wo gesagt wird, dass der Läufer ein fasciale inuolutorium , das er in der Hand trug, ausgebreitet habe (cap. I 2). 15 Bei der Kommentierung in Christi Hort wird das Tragen eines solchen Tuches als Gewohnheit deklariert, die ,man‘, Junge und Alte, ,noch‘ jenseits des Meeres habe, d. h., das, was den ‚Läufer‘ auszeichnet, wird als Sitte anschlussfähig an die Gegenwart gemacht, aber zugleich in eine lokale Distanz verlegt. Dass das Passionsgeschehen überhaupt in einem geographisch fremden Raum stattfindet, wird in den hier analysierten Texten, von geographischen Angaben abgesehen, nicht thematisiert. Solche geographischen Angaben finden sich zum Beispiel in Christi Hort , wo der Erzähler angesichts des Pfingstwunders ,das Volk‘ erstaunt die Heimatregionen sämtlicher Leute aufzählen lässt (u. a. Ägypten und Libyen), die trotz ihrer unterschiedlichen Sprachen die Botschaft der Jünger verstehen könnten (vv. 2921-2961). Auf diese Weise wird die Vielfalt der Sprachen deutlich, es erfolgt aber kein ausdrücklicher Transfer wie etwa im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk in Bezug auf den Dialekt des Petrus. In der zweiten Auslegung 16 der Verleugnung Petri heißt es dort: Sand Pet ( er ) n er / chanden die dien ( er ) . di pei dem feiv ( er ) stuende ( n ) . pei sein ( er ) red wa ( n ) d si vo ( n ) / Jer ( usa ) l ( e ) m. vnd di von Galyle. di waren ain ( er ) sp ( ra ) ch. ab ( er ) si hete ( n ) niht ain we / is vnd ainen don zu d ( er ) red. als swab. vn ( d ) payr vn ( d ) steyr ( er ) . sint ain sp ( ra ) ch. / vn ( d ) gehebi ( t ) doch ni ( t ) d ( er ) red niht geleich. Also erchanden si auch sand pe / tern pei sein ( er ) red. wa ( n ) d er galyleisch redt. vnd niht Jerusalemisch. (Schaffhausen, Stadtbibl., Cod. Gen. 8, fol. 248r, Z. 9-14) 17 Dagegen genügt im Evangelium Nicodemi die Bemerkung eines Knechts über die galiläisch geprägte Sprache des Petrus (vv. 665-667; vgl. Mt 26,73), und es bleibt dem Rezipienten überlassen, sich sowohl das Fremdartige als auch die entsprechende eigene Erfahrung bewusst zu machen. Deutlicher als die geographische Distanz des Erzählers und seiner Adressaten gegenüber den erzählten Ereignissen wird in den Texten die historische Distanz dazu reflektiert, indem 14 Vgl. entsprechend vv. 3182-3184. 15 Was man unter einem fasciale inuolutorium zu verstehen hat (Turban, Band um fasces , Serviertuch als Teil der Ausstattung eines Dieners), ist umstritten (vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 127, Anm. 12). Auf jeden Fall muss es sich um ein größeres Tuch gehandelt haben, auf das man treten kann. Im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk ist dann von einem Handtuch (um den Hals) die Rede (s. u. S. 329 f.). 16 Vgl. den Überblick zum Textbestand der Göttweiger Handschrift (s. u. S. 326, Anm. 251) bei Niesner 2005, S. 196. Zu der in dieser Arbeit verwendeten Textgrundlage s. u. Kap. 6.3.2. 17 Zur Bedeutung dieser Stelle für die Lokalisierung des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks vgl. Kornrumpf 2004, Sp. 1105. 182 4 Verfahren der kulturellen Aneignung das vergangene Heilsgeschehen, jedenfalls in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi , ausdrücklich auch in der politischen Geschichte verortet wird: Im Evangelium Nicodemi wird nicht nur die Funktion der offenbar als erklärungsbedürftig empfundenen Statussymbole des Pilatus erläutert, sondern das Mitführen der ,Fahnen‘ ist auch konkret als eine römische Gerichtssitte benannt ( Do pflagen sie al geliche / uber romische riche, / […], vv. 835 f.). Aus dem deiktischen Do lässt sich der Standpunkt des Erzählers ableiten, der über Sitten in einer vergangenen Zeit spricht. In Christi Hort ist die Vergangenheit, von der erzählt wird, - wie im Prolog des Nikodemusevangeliums - durch eine konkrete Angabe zur Datierung präzisiert (vv. 1381-1395), und der Erzähler macht unmissverständlich klar, dass er und seine Adressaten ( wir [ z ], v. 1376; uns , v. 1391) auf Schriftquellen angewiesen seien. 18 Außerdem werden - wie im Evangelium Nicodemi - Zustände zur Zeit der Römer erklärt, die mit der Angabe hie bevor (v. 1327) zur Gegenwart des Erzählers in ein Verhältnis gesetzt sind. Wie schon bei der Textstelle, an der berichtet wird, dass ‚die Juden‘ die Gerichtsschranken verlassen, ist die explizite Benennung des zeitlichen Abstandes von impliziten Verfahren der kulturellen Aneignung begleitet, denn die Beschreibung der Machtverteilung rückt in der Wortwahl ( fursten , v. 1331, bzw. fu ͤ rsten , v. 1336; scepter unt chrône , v. 1339) und von der politischen Struktur her 19 die römischen Verhältnisse an die Gegenwart des Textes heran. 20 Gegenüber einer solchen impliziten Adressierung der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit 21 bleiben explizite Referenzen in den Kerntexten auf einzelne Stellen beschränkt, was angesichts des mehr narrativen als kommentierenden Charakters der Texte nicht verwundern kann. 22 Die punktuellen Verweise genügen aber, um für alle drei Texte zu belegen, dass die Ereignisse für ein zeitgenössisches christliches Publikum aufbereitet worden sind. Während Erzähler und Adressaten hinsichtlich ihrer Position in Zeit und Raum sowie ihrem Weltverständnis als eine Gemeinschaft inszeniert werden, 23 deuten sich hinsichtlich ihrer Bildung Unterschiede an: Die Erzähler in Diu urstende (vv. 44-47) und in Christi Hort (vv. 1377 f.) beanspruchen jeweils für sich, den Sprachtransfer vom Lateinischen ins Deutsche vollbracht zu haben, wohingegen die Übersetzungen lateinischer Einsprengsel in allen drei Werken 24 davon zeugen, dass Lateinkenntnisse beim Publikum nicht vorausgesetzt werden, auch wenn in Christi Hort die Gemeinschaft der Überlieferungsempfänger betont wird ( da von wirz in latin han , v. 1376). Die spezifische Rezipientenorientierung, die 18 Dass ,wir‘ ( uns , v. 370) von der Überlieferung (Evangelisten, Nikodemus) abhängig sind, lässt auch der Erzähler im Evangelium Nicodemi (vv. 369-381) erkennen; in Diu urstende (vv. 53-68) verweist der Erzähler auf die Aufzeichnungen des Eneas, denen man das Weiterleben der mære verdanke. 19 S. o. S. 128-131. 20 Die Darstellung der vergangenen Kultur ist unter dem generellen Paradigma der Interkulturalitätsforschung zu betrachten, „dass sich Weltbilder vor allem dort schärfen, wo sie an ihre Grenzen stoßen, dass die Selbstdeutung von Kulturen sich erst in der Auseinandersetzung mit anderen Kulturen herstellt […]“ (Münkler 2002, S. 324). 21 S. dazu im Einzelnen Kap. 4.2. 22 In Christi Hort treten explizite Bezugnahmen auf die Gegenwart (auch in den narrativen Passagen) noch am häufigsten auf. 23 Es wird also eine kollektive Identität im Sinne Straubs (1999, S. 103) entworfen: „Nach der hier vertretenen Auffassung sind kollektive Identitäten Konstrukte , die nichts anderes bezeichnen als eine näher zu spezifizierende Gemeinsamkeit im praktischen Selbst- und Weltverhältnis sowie im Selbst- und Weltverständnis einzelner.“ - Zur Diskussion um das Konzept der kollektiven Identität vgl. auch Jensen 2000. 24 S. dazu o. S. 72 f.; 109; 138, Anm. 438. 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 183 in der sprachlichen Hilfestellung fassbar ist, bietet eine Erklärung dafür, warum sich die genannten expliziten Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit vor allem auf Bereiche beziehen, die einem nicht-lateinkundigen Publikum zugänglich sind. 25 Aber auch die kulturelle Übersetzung, 26 wie sie implizit durch Anpassungen an den Sprachgebrauch und die Vorstellungswelt der anvisierten Rezipienten zum Ausdruck kommt, ist auf ein entsprechendes Zielpublikum zugeschnitten. 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit Bei Übersetzungen oder Bearbeitungen von Texten für Adressaten, denen das ursprüngliche kulturelle Umfeld der Ausgangstexte fremd ist, stellt der Umgang mit Realien 27 ein Kriterium dar, an dem sich die Übersetzungsbzw. Übertragungsprinzipien besonders deutlich ablesen lassen: Bleibt eine Übersetzung stark an der Ausgangssprache orientiert, sind auch die Bezeichnungen für Realien nur in ihrem ursprünglichen kulturellen Kontext verständlich, d. h., es sind in der Regel zusätzliche Erläuterungen nötig. Werden dagegen die im Ausgangstext vermittelten außersprachlichen Sachverhalte in die Sprache und Kultur des Zielpublikums übertragen, 28 gewinnt die Übersetzung kommunikative Qualität, 29 legt den Ausgangstext jedoch vereindeutigend fest. Das Grundproblem, wie Sachbezeichnungen aus einer fremden Kultur umzusetzen sind, stellt sich bei bibelepischen Texten, die sich übersetzungstechnisch als erweiterte Versübersetzungen begreifen lassen, 30 in demselben Maße, 31 auch wenn die Anforderungen hinsichtlich der ,textnormativen Äquivalenz‘ 32 an- 25 Die Bezugsfelder der Texte insgesamt müssen - gerade angesichts der Lateinkenntnisse der Autoren - nicht in gleicher Weise eingeschränkt sein (s. dazu u. Kap. 5). 26 Zur Übersetzung als Versuch der Überbrückung von „cultural gaps“ vgl. Djordević 2005, S. 11. Zum grundlegenden Problem der Übersetzbarkeit von Kulturen vgl. Shimada 1999, S. 146-150; Bachmann-Medick 2004; Koller / Henjum 2011 (Koller 1979), S. 54 f.; 163-170. 27 Dazu zählen in erster Linie Gegenstände und deren Bezeichnungen, aber auch immaterielle Vorstellungen, die sich etwa in Amtsbezeichnungen niederschlagen, sodass die Grenzen schwer zu bestimmen sind. Rouziès (2007, S. 232-236) unterscheidet bei seiner Analyse mittelalterlicher Sallust-Übersetzungen z. B. zwischen „réalités sociales et psychologiques, réalités politiques et institutionelles, réalités religieuses et matérielles“ (S. 233). Zum Problem der Wiedergabe von Sachbezeichnungen in Bibelübersetzungen vgl. z. B. Müller 2009 (in Bezug auf Notker III. von St. Gallen ); Wiesinger 2007 (in Bezug auf aktuelle Bibelübersetzungen). 28 Dann entsteht eine denotative Äquivalenz. Zu diesem Typus vgl. Koller / Henjum 2011 (Koller 1979), S. 219. Zur Debatte um den Äquivalenzbegriff vgl. ebd., S. 220-230; Stolze 2011, S. 87-104. Zur Kritik an Kollers Äquivalenzmodell vgl. auch Prunč 2012, S. 60-99. Wenn hier und im Folgenden wegen seiner Differenzierungskraft auf Kollers Äquivalenztypen Bezug genommen wird, soll damit nicht impliziert werden, dass der Ausgangstext auf einen einzigen Sinn festzulegen sei, noch dass vollständige Äquivalenz überhaupt erreicht werden könnte. 29 Die Bezeichnung ,kommunikative Übersetzungen‘ ist vor allem zur Bezeichnung eines bestimmten Typs von Bibelübersetzung eingebürgert, denen das Konzept der ,dynamischen Äquivalenz‘ zugrunde liegt (vgl. dazu Felber 2013). 30 Vgl. die schematische Übersicht bei Sonderegger 1998, S. 235, Abb. 15.2. Für eine Analyse des Heliand unter übersetzungstheoretischen Prämissen vgl. Gantert 1998, bes. S. 26-35. 31 Zu verschiedenen Ansätzen, Bibelübersetzungen typologisch zu ordnen, vgl. Salevsky 2001, hier bes. S. 124-126. 32 Vgl. dazu Koller / Henjum 2011 (Koller 1979), S. 219. 184 4 Verfahren der kulturellen Aneignung ders gelagert sind als etwa bei Bibelübersetzungen in Prosa. 33 Wie bei Prosaübersetzungen kann sich bei bibelepischen Versdichtungen bereits auf der Ebene des Einzelwortes eine Adressierung der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit zeigen, wenn nämlich etwa für eine Sachbezeichnung ein Wort aus der Kultur zur Entstehungszeit des Textes gewählt ist. Darüber hinaus können sich Bibelepen aber eines breiteren Spektrums der kulturellen Adaptation bedienen, zu dem - neben expliziten Erläuterungen oder Vergleichen - auch szenische Ausgestaltungen gehören. Sie setzen oft an kulturell fremden Elementen an, die auch in der exegetischen Literatur Aufmerksamkeit gefunden haben und dort kommentiert worden sind, sodass ein Blick darauf gegebenenfalls helfen kann, um die impliziten Transformationsprozesse in den bibelepischen Texten einzuordnen. Um die in den Kerntexten gewählten Verfahrensweisen besser charakterisieren zu können, sind ihnen im Folgenden punktuell Lösungen aus den Prosaübersetzungen des Nikodemusevangeliums 34 gegenübergestellt, außerdem Passagen aus Der Kreuziger des Johannes von Frankenstein, einem exegetischen volkssprachigen Verstext, der durch Kommentierung von Sachverhalten, an denen er für zeitgenössische Leser Erklärungsbedarf sah, die Vermittlungsprobleme exemplarisch erkennbar macht. 35 Die Vergleichstexte, die später entstanden sind als die Kerntexte und zu ihnen nicht in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen, sind aus systematischen Gründen ausgewählt worden: Die Prosaübersetzungen teilen mit den Kerntexten das lateinische Nikodemusevangelium als Ausgangstext; 33 Unter normativen Gesichtspunkten ist auch zwischen der Übersetzung apokrypher und der kanonischer Texte zu unterscheiden; das Problem des historischen Abstandes ist jedoch bei spätantiken apokryphen Quellen ebenso zu bewältigen wie bei den kanonischen Evangelien. Übersetzungen antiker Texte können unter dem Einzelaspekt des Umgangs mit einer vergangenen Kultur ebenfalls als systematische Vergleichsbeispiele für die Übertragung biblischer Texte dienen (vgl. z. B. Küenzlen 2006, S. 349-357, zu „Aktualisierungstechniken“ in der Apuleius-Übersetzung des Agnolo Firenzuola [1524 / 25]; Rouziès 2007, zu Les Faits Des Romains als erster volkssprachiger Sallust-Übersetzung [1213 / 14]). Zur spätantiken und mittelalterlichen Diskussion über die besonderen Anforderungen einer Bibelübersetzung vgl. zusammenfassend Bieberstedt 2004, S. 41-47. 34 Für einen Überblick über die (unabhängig voneinander entstandenen) Prosafassungen vgl. Masser / Siller 1987, S. 20-110; Hoffmann 1997a, S. 304-317; 1997b, S. 344-349. Im Folgenden werden die von Masser / Siller vergebenen Siglen (A-I) verwendet; die bei Zitaten angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf den jeweiligen Text in Masser / Siller. Zur Datierung vgl. ebd., S. 20: „Wann die erste Übertragung vorgenommen wurde, ist nicht festzustellen und läßt sich auch schwer abschätzen. Man wird die Übersetzung des Evangeliums Nicodemi nicht von der allgemeinen Entwicklung der mittelhochdeutschen Prosaübersetzungen trennen wollen, so daß sich ein zu früher Ansatz einer mittelhochdeutschen Prosaversion von vornherein verbietet. Die älteste der uns bekanntgewordenen deutschen Handschriften stammt aus dem Jahre 1330 (Hs. H 1 ). Für die Annahme einer deutschen Nicodemus-Prosa schon wesentlich früher spricht vorläufig nichts.“ 35 Das im 14. Jahrhundert von einem österreichischen Johanniter ( krûzigêre ! ) verfasste Werk, für das aus verstechnischen Gründen eine Datierung vor 1350 vermutet wird (vgl. dazu Heger 1983, Sp. 596 f.), beruht auf einer Prosa-Passio (vgl. die Ausgabe von Ferber 1935), deren Zuschreibung an Matthäus von Krakau mittlerweile aus chronologischen Gründen bezweifelt wird (vgl. Worstbrock 1987, Sp. 174). „J. v. F. folgt in seiner Versübersetzung bis in die Überschriften hinein genau seiner Quelle. Die nach den vier Evangelien erzählten biblischen Vorgänge beschränken sich auf das Erlösungswerk und damit auf einen Teil der Heilsgeschichte. Vom Palmsonntagsgeschehen bis zur Grablegung Christi bringt ‘Der Kreuziger’ ( krûzigêre , nach dem ersten ‘Kreuzträger’ Jesus Christus, dessen Marter geschildert wird) eine gelehrt-theologische Auslegung des Passionsgeschehens in Form eines gereimten scholastischen Kommentars. […] Erklärungen fremder Wörter und Sachen, Zustände und Gebräuche […], Diskussion schwer verständlicher Textstellen oder der Meinungen kirchlicher Autoritäten […] nehmen breiten Raum ein.“ (Heger ebd., Sp. 597 f.). Der Text wird nach der Ausgabe von Khull 1882 zitiert. Zu Johannes von Frankenstein vgl. auch Zapf 2011b (inhaltlich weitgehend identisch mit Heger 1983). 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 185 Der Kreuziger geht - wie die Kerntexte - auf Elemente der ,deutschen‘ Rechtskultur ein, wie die Bearbeitung der lateinischen Vorlage zeigt. 36 Wenn in den Kerntexten von der Passion Jesu erzählt wird, dann sind für die Darstellung nicht nur die bereits angesprochenen historischen und geographischen Distanzen zu bewältigen, sondern die Ereignisse auch in einem religiösen Kontext zu verorten, der dem christlichen Zielpublikum unter Umständen nicht selbstverständlich war: Amtsträger wie ,Hohepriester‘ oder ein religiöses Fest wie das Passahfest mussten in irgendeiner Form in der Schilderung der Ereignisse Erwähnung finden. In den deutschen Versdichtungen sind dafür überwiegend Bezeichnungen aus einem christlichen Kontext gewählt: Kaiphas und Annas werden zum Beispiel in Diu urstende (v. 94) und im Evangelium Nicodemi (v. 792) bischof ( e ) genannt. 37 In Christi Hort , wo an einer Stelle sogar der Ausdruck der hohe priester (v. 3419 in Bezug auf Finees) belegt ist, bleibt die Übersetzung der Amtsbezeichnung für Kaiphas und Annas als fursten priester näher am Vorlagentext; 38 doch hat einer der drei Himmelfahrtszeugen, der priester Egeas (v. 3040), das christliche Amt eines Diakons verliehen bekommen (vv. 3044; 3396). 39 Passah wird an mehreren Stellen mit ,Ostern‘ wieder- 36 S. dazu u. S. 189; 197 f. Deutsche Übertragungen von Bibelkommentaren, wie die Übersetzungen der Catena aurea (vgl. die Editionen von Hörner 2008 / 2012a; 2012b), scheinen ein Feld zu sein, das bislang für die Frage nach kulturellen Adaptationen noch weitgehend unausgeschöpft ist. 37 In Diu urstende (v. 94) und im Evangelium Nicodemi (vv. 404 f.) wird (wie in Io 18,13) gesagt, dass Kaiphas das Amt ‚in diesem Jahr‘ innehatte. Die Angabe könnte als Andeutung einer zeitlichen Begrenzung verstanden werden, die den römischen Realitäten entspricht (wenn sie auch für Kaiphas und Annas historisch nicht zutrifft, vgl. Helm 1902, S. 226), aber für das Amt eines Bischofs untypisch ist. In Christi Hort ist eine längere Amtszeit impliziert, da es heißt, dass Johannes [sc. Annas] unt Cayphas damals ( pei den jaren ) in Jerusalem Hohepriester gewesen seien (vv. 1387-1390). 38 Kaiphas und Annas werden als d ie fursten priester (v. 1389) eingeführt. Der Ausdruck lehnt sich im Kontext der Passage wahrscheinlich an den Prolog des Nikodemusevangeliums an, in dem von Annas und Kaiphas als von principibus sacerdotum (Prolog, Z. 13 [Prologue (G / I)]; vgl. entsprechend Lc 3,2), den Führenden unter den Priestern, die Rede ist. Jaksche (1910) hat in v. 1389 ( d ie fursten priester waren ) überzeugend d ie statt des überlieferten d ( er ) konjiziert; die von ihm gesetzten Kommata vor d ie und nach fursten ( d ie fursten also als Apposition verstanden) scheinen dagegen nicht notwendig, denn in v. 3303 begegnet mit dem Ausdruck priester fursten (zu denen Kaiphas und Annas gerechnet werden) ebenfalls eine Art Kompositum. Die Vorstellung, dass Kaiphas und Annas Fürsten sind, war weiter verbreitet; so steht z. B. in der Frankfurter Handschrift (Fr) des Bremer Evangelistars (UB, Mgq 55) in der Übersetzung von Lc 3,2: vnde / ein furste der prister anna / vnde cayphas (zitiert nach Splett 1996, S. 12); in Der Kreuziger z. B. ein vurstlich êwarte (v. 5217); Der selbe gevurste bischof (v. 5257; zitiert nach Khull 1882) für princeps sacerdotum (Ferber 1935, S. 75, Z. 30) bzw. pontifex (Ferber ebd., S. 76, Z. 8, Variante Hs. A [Anm. 2]). Bei all diesen Belegen könnte das Konzept eines Fürstbischofs durchscheinen, das sich bruchlos mit der Angabe einer Herrschaft von Kaiphas und Annas im Prolog des Nikodemusevangeliums verbinden lässt ( sub principatu , Prolog, Z. 10 [Prologue (G / I)]). Im Evangelium Nicodemi heißt es von Kaiphas ausdrücklich: an deme stunt do d e r h o f / des jares und daz gerihte (vv. 404 f.; Hervorhebung H. M.). 39 diaken (v. 3044) ist eine Übersetzung von Leuites im Nikodemusevangelium : Quidam autem sacerdos nomine Finees et Adda preceptor et Leuites nomine Aggeus […] (cap. XIV 1, Z. 1 f.; „Ein Priester namens Phinees und Adda, ein Lehrer, und ein Levit namens Aggeus […]“). sacerdos ist in Christi Hort an dieser Stelle mit grozer ewart (v. 3041) wiedergegeben, preceptor mit gebieter (v. 3043; vgl. dazu Diefenbach 1857, S. 451 f.). In Diu urstende (vv. 1484-1544) sind den drei Himmelfahrtszeugen keine Amtsbezeichnungen zugeordnet, im Evangelium Nicodemi (vv. 2450-2455) sind sie als priestere bezeichnet, wobei der Name Levi des einen Priesters vielleicht von Leuites abgeleitet ist. 186 4 Verfahren der kulturellen Aneignung gegeben; 40 der Sabbat 41 ist in allen Texten zum ,Samstag‘ geworden (vgl. z. B. Diu urstende , v. 624; Christi Hort , v. 1411; Evangelium Nicodemi , v. 738; jeweils in der wörtlichen Rede ,der Juden‘). 42 Ein solcher ,kolonialer‘ 43 Zugang zur jüdischen Religion ist kein Einzelfall, 44 man denke nur an die in Bischofsstädten eingeführte Bezeichnung des Vorstehers einer lokalen Judenschaft als episcopus Judaeorum . 45 Das Überstülpen der eigenen Kultur ist vermutlich nicht allein im Kontext der Übertragung ins Deutsche geschehen, denn der Vulgata -Text, der neben dem Nikodemusevangelium für die Wortwahl eine Rolle gespielt haben könnte, verwendet mit pontifices für ,Hohepriester‘ (vgl. z. B. Io 11,47) und Paschæ (z. B. Io 19,14) Termini, die im Mittellateinischen für christliche Deutungen offen waren. 46 In den Texten scheint stellenweise ein Bewusstsein von den verschiedenen Bezugsmöglichkeiten auf, wenn nämlich von Passah als ,Ostern der Juden‘ die Rede ist (vgl. Christi Hort : ze iuren ostern , v. 1861 [Pilatus als Sprecher]; zeir ostern , v. 1871 [Erzähler als Sprecher]). Entsprechende Zuordnungen, die vereinzelt auch bei den Amtsbezeichnungen (vgl. Evangelium Nicodemi : ir bischof , v. 403) begegnen, gehen über Phänomene der impliziten Aneignung 40 Vgl. z. B. Christi Hort , vv. 1861; 1871; im Evangelium Nicodemi lässt der Erzähler Pilatus von osterlichen tagen (v. 1288) sprechen. Vgl. aber auch nach ir hohcêit ( Christi Hort , v. 2201); nach den heiligen tagen drin ( Evangelium Nicodemi , v. 2330). Im Nikodemusevangelium ist eine jüdische Festbezeichnung verwendet, denn es wird auf den Sederabend verwiesen: per diem azimorum (cap. IX 1, Z. 7 [7,1 (G / I)]). 41 Vgl. Nikodemusevangelium : sabbato (cap. I 1, Z. 9; II 6, Z. 6). 42 Vgl. für Parallelen Bieberstedt 2004, S. 437. Auch im Ausgabentext der Weltchronik Heinrichs von München (Shaw / Fournier / Gärtner 2008) steht durchgehend sampcztag (z. B. in v. 6,844). In H12 (in den meisten Fällen entsprechend zu H9, vgl. den Apparat der Ausgabe) lässt der Erzähler die jüdischen Ankläger hingegen von sabat sprechen (fol. 180vb, Z. 13 [vgl. v. 6,877]; fol. 182va, Z. 13 [vgl. v. 6,1171]; fol. 183rb, Z. 43 [vgl. v. 6,1330]), während dem geheilten Blinden (fol. 183rb, Z. 38 [vgl. v. 6,1325]) und den zwölf Jesus freundlich gesonnenen Juden (fol. 184rb, Z. 35 [vgl. v. 6,1499]) das Wort samtztag in den Mund gelegt ist. Das System ist nicht streng durchgeführt (vgl. samtztag in der wörtlichen Rede der Ankläger, fol. 180va, Z. 20 [vgl. v. 6,844; veirtag H9]), aber es ist eine Tendenz zu erkennen, dass über die kultische Bezeichnung des Tages durch die Ankläger eine zusätzliche Distanz geschaffen werden soll. Zu den Handschriften H9 und H12 s. u. Kap. 6.1.1. 43 Zur Übertragung von Theorien des Postkolonialismus auf das Mittelalter vgl. Peters 2010, bes. S. 206 f. 44 Bei dem Wort bischof ist die Bedeutung „jeder höhere auch nicht christliche priester“ (BMZ, s. v.; vgl. auch MWB, s. v.) sogar lexikalisiert. Die Übertragung christlicher Termini auf jüdische Ämter oder Rituale muss nicht immer in einem feindseligen Sinne besitzergreifend sein: Wenn etwa Gyburg im Willehalm Wolframs von Eschenbach (307,23 f.; zitiert nach Heinzle 1994; vgl. zur Stelle Schmid 2000, S. 362) im Rahmen des Religionsgesprächs mit ihrem Vater die Beschneidung als ,Taufe der Juden‘ bezeichnet, dient das dazu, die Gemeinsamkeiten zwischen den Angehörigen verschiedener Religionen herauszustellen. 45 Aufgenommen ist damit wohl „die landesherrschaftliche Funktion der Bischöfe in den entsprechenden Städten“, da das Amt des Judenbischofs kein geistliches war (vgl. Hausmann 2004, S. 98). Zum Judenbischof s. auch o. S. 161, Anm. 586. 46 Vgl. M aigne / M igne ; D u C ange , s. v. pascha und pontifex . Zur christlichen Umdeutung des Passahfestes vgl. Leonhard 2006. Der Bedeutungswandel von pascha wird z. B. in Der Kreuziger innerhalb des ausführlichen Kommentars zu diesem Wort (vv. 144-432) reflektiert, der hier stellvertretend für entsprechende Kommentare etwa in der Historia Scholastica ( Historia Evangelica , cap. 147, vgl. PL 198, col. 1614A-C) zitiert sei: Di hôchzît wart benennet sint / pascha von der alten ê / dâ vor bezeichent, dar nâch se / in der nûwen wart volbrâcht, / als ich zû sagen hân gedâcht. (vv. 144-148). Zur christlichen Übernahme des Pontifex -Titels vgl. Stockmeier 1975 (vgl. dort auch S. 79 f. zur Bezeichnung von ,Hohepriester‘ mit pontifex in „altlateinischen Bibelübersetzungen“). 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 187 hinaus; sie setzen distanzierend die eigene christliche Erfahrungswirklichkeit der Verfasser in der postulierten Gemeinschaft mit den Rezipienten gegen die fremde Religion ab. 47 Die Methode der impliziten Aneignung, wie sie beim Umgang mit der jüdischen Religion dominant ist, lässt sich auch bei historischen Sachbezeichnungen und Ämtern beobachten: So ist der handlungsrelevante Ort des Verfahrens im Nikodemusevangelium (wie auch in Mc 15,16; Io 18,28; 19,9) das Prätorium, das betreten und wieder verlassen wird (z. B. cap. I 6; III 1). Welches Amt mit diesem Amtssitz verbunden ist, wird im Nikodemusevangelium nicht näher spezifiziert. Nach dem Matthäusevangelium (27,2; 11) war Pilatus praeses , 48 nach dem Lukasevangelium ist für Pilatus das Amt eines procurator zu erschließen. 49 Angesichts der diffusen Überlieferungslage war für die mittelalterlichen Verfasser also nicht so sehr eine einzelne Sachbezeichnung umzusetzen als vielmehr ein Funktionsäquivalent 50 für den vom Kaiser eingesetzten Verwalter von Judäa zu finden, der - wie der Prozess gegen Jesus zeigt - dort die Gerichtsgewalt ausübte. Sowohl die herrschaftliche als auch die richterliche Komponente sind in der in allen Kerntexten gewählten Bezeichnung rihter präsent, 51 die auch als gängige Übersetzung von praetor bzw. pretor belegt ist - ein Amt mit der Kombination administrativer und jurisdiktioneller Aufgaben, das unter Umständen von mittelalterlichen Autoren mit dem ,Prätorium‘ assoziiert worden sein könnte. 52 In den Kerntexten steht allein schon durch den Handlungsausschnitt des Prozesses die Richterfunktion des Pilatus im Vordergrund. In Christi Hort , dem einzigen Text, der schildert, wie Pilatus zu seiner Stellung kam, ist sogar diese Vorgeschichte dahingehend vereindeutigt worden, dass Pilatus direkt vom Kaiser r i c h t e r l i c h e Gewalt ( gerichte […] / […] unt den pan ) bekommen habe (vv. 1343-1348). 53 47 Trotz der generell judenfeindlichen Stoßrichtung der Kerntexte dient die Andersheit der jüdischen Kultur aber nicht als „Gegenbild“ (vgl. dazu Schäffter 1991, S. 19-22) oder wird als ,radikale Fremdheit‘ (vgl. dazu Waldenfels 2006, S. 115-117) entworfen, sondern die Fremdheit wird durch die beschriebenen terminologischen Aneignungsprozesse relativiert, wie es schon bei dem Umgang mit den römischen Verhältnissen zu beobachten war. 48 Die unspezifische Bezeichnung praeses in der Vulgata gibt griechisch ἡγεμών wieder (vgl. Demandt 2012, S. 48). 49 Vgl. die Zeitangabe: Anno autem quintodecimo imperii Tiberii Caesaris / procurante Pontio Pilato Iudaeam tetrarcha autem Galilaeae Herode Philippo autem fratre eius tetrarcha Ituraeae et Trachonitidis regionis et Lysania Abilinae tetrarcha / / sub principibus sacerdotum Anna et Caiapha […] (Lc 3,1 f.; „Im fünfzehnten Jahr der Regierung des Kaisers Tiberius, als Pontius Pilatus Prokurator von Iudaea war, Herodes Tetrach von Galiläa, sein Bruder Philipp Tetrarch von Ituräa und des Gebiets von Trachonitis und Lysanias Tetrarch von Abilene, unter den Hohepriestern Annas und Caiaphas […]“). Mit procurare wird das griechische ἡγεμονεύειν wiedergegeben. Bei Tacitus ( Annales 15,44,3) ist Pilatus als procurator bezeichnet (vgl. Demandt 1999, S. 70; 2012, S. 38), Philon von Alexandria ( Legatio ad Gaium 299) und Flavius Josephus ( Bellum Iudaicum 2,9,2) bedienen sich mit ἐπίτροπος oft des üblichen griechischen Äquivalents für procurator . Allerdings sind die Vorgänger und Nachfolger des Pilatus bei Josephus auch mit ἔπαρχος bezeichnet, eine übliche Umsetzung von praefectus , also dem Amt, das Pilatus nach der Inschrift von Caesarea (datiert 26-37 n. Chr.; Israel Museum, Inv.-Nr. 1963 no. 104) tatsächlich bekleidet hat (vgl. Demandt 2012, S. 48; zur Inschrift ebd., S. 40-43). 50 Auch bei der Übersetzung konkreter lateinischer Amtsbezeichnungen wurden häufig „funktionale Äquivalente“ generiert (vgl. Lepsius 2008, S. 229 [in Bezug auf italienische Legisten]). 51 Vgl. BMZ; L exer ; DRW, s. v. In Urkunden überwiegt die Bedeutung „mit Ausübung der Gerichtsbarkeit Beauftragter eines Gerichtsherrn o. einer Stadt“ (vgl. WMU, s. v.). 52 Vgl. die (allerdings mehrheitlich aus dem 15. Jahrhundert stammenden) Belege bei Diefenbach 1857, S. 458. Dass das Prätorenamt einen administrativen Aspekt beinhaltet, kommt bei der Übersetzung von pretor mit burcgraue (vgl. Diefenbach 1857, S. 458) zum Ausdruck, jedoch gehörten zum Amt eines Burggrafen eben auch jurisdiktionelle Aufgaben. 53 S. dazu o. S. 129. 188 4 Verfahren der kulturellen Aneignung Zwar geben sich diese Erläuterungen als Erklärung der Verhältnisse zur Römerzeit (vgl. Christi Hort , vv. 1327; 1334; 1343), nicht zuletzt über die Verwendung des Wortes pan (v. 1346) werden die geschilderten ,römischen‘ Verhältnisse jedoch anschlussfähig an das Rechtswesen zur Entstehungszeit des Textes gemacht. 54 Eine entsprechende Mischung von expliziter Distanzierung und impliziter Aneignung lässt sich in Diu urstende und im Evangelium Nicodemi hinsichtlich des Umgangs mit den signa beobachten, die Pilatus nach dem Nikodemusevangelium (cap. I 5) mit sich führt. 55 Einerseits wird die damit verbundene fremde Sitte erläutert ( Diu urstende , vv. 274 f.; Evangelium Nicodemi , vv. 835-855), andererseits versucht, die materielle Realie als ,Fahnen‘ ( Diu urstende , v. 275: baniere ; Evangelium Nicodemi , v. 841: des riches vanen ) zu konkretisieren. 56 Auch wenn die Entsprechungen zur Fahne als Gerichtssymbol allein schon wegen der Mehrzahl der Fahnen verschwommen bleiben, 57 werden die ,römischen‘ Sitten durch die Umsetzung als (Reichs-)Fahnen an Gepflogenheiten zur Entstehungszeit der Texte angenähert. Wo aber sitzt nach mittelalterlichen Vorstellungen ein rihter zu Gericht? Die wohl ab dem 14. Jahrhundert entstandenen Prosaübersetzungen des Nikodemusevangeliums verorten die Verhandlung mehrheitlich in bzw. vor dem richthus ; 58 in einer Handschrift aus dem späten 15. Jahrhundert (A8), in der der Wortschatz der Übersetzung A modernisiert wurde, 59 ist vom Rathauß (Z. 73) die Rede, ebenso in der Handschrift G 1 ( Rothaws , Z. 132), deren Text in der betreffenden Partie auf 1447 datiert ist. 60 In beiden Fällen ist die denotative Bedeutung von ,Prätorium‘ als ,Gebäude mit Gerichtsfunktion‘ beibehalten worden, wobei 54 Zur Bannleihe vgl. Lück 2008b. - Zur kulturellen Adaptation einer antiken Vorlage durch Mediävalisierung von Amtsbezeichnungen und politischen Strukturen vgl. Suerbaum 2013 (in Bezug auf Matthias Ringmanns Caesar-Übersetzung, die in anderen Punkten nicht an die mittelalterlichen Traditionen anschließt). 55 Ingressus autem Iesus et a signiferis qui ferebant signa curuata sunt capita signorum ex se et adorauerunt Iesum. (cap. I 5, Z. 1-3; „Jesus trat ein, und die Häupter der Standarten beugten sich von sich aus weg von den Standartenträgern, die die Standarten trugen, und verehrten Jesus.“). Die signa konnten nicht einfach weggelassen werden, wenn die Szene mit den sich neigenden signa beibehalten werden sollte. 56 Zur Umsetzung von signa mit chriuce in Christi Hort (v. 1492) s. o. S. 112, Anm. 297. Auch in anderen Text- und Bildzeugnissen lassen sich entsprechende Konkretisierungsbemühungen beobachten: In der wörtlich gehaltenen Prosaübersetzung A1, die in einer um 1350 entstandenen Handschrift überliefert ist, sind die signa mit zaichen (Z. 57) wiedergegeben; doch in der redigierten Fassung des 15. Jahrhunderts ist zumindest an einer Stelle ein erläuterndes fannen (A8, Z. 60) eingefügt (vgl. dazu Masser / Siller 1987, S. 21). In einer Miniatur der Madrider Handschrift (Bibl. nat., Vitr. 23-8, vol. II, fol. 164v) aus dem 13. / 14. Jahrhundert hat man sich offenbar nach dem Ausdruck capita signorum ( Nikodemusevangelium , cap. I 5, Z. 2) gerichtet und lässt die Begleiter Herrscherbildnisse tragen (vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 130 f. [mit Abb.]; zur Handschrift vgl. ebd., S. 15, Anm. 7); in der um 1340 entstandenen Schaffhausener Handschrift des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks (s. dazu u. S. 330 mit Anm. 277) sind Fahnen (rote Lehnsfahnen? ) gezeichnet worden (fol. 250r), ebenso in einer Miniatur der ins 15. Jahrhundert zu datierenden Colmarer Handschrift von Der Spiegel des Leidens Christi (Colmar, Bibliothèque municipale, Ms. 306, fol. 78r; vgl. Jänecke 1964, Abb. 6). 57 S. dazu o. S. 76, Anm. 75. 58 Vgl. z. B. A, Z. 129 ( richthus ); B, Z. 237 ( richtehus ); C, Z. 108 ( rechthuß ), vgl. auch Z. 102: Da wart Pilatus czornig vnd ging uß dem sale […]; D, Z. 98 ( gerichthaus ); E, Z. 253 ( richtehus ), 266 ( richt hus ); E 3 , Z. 221 ( richthus ). Vgl. aber schranne als Signalwort im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk (H); s. u. Kap. 6.3.4. 59 Vgl. dazu Masser / Siller 1987, S. 21. 60 München, BSB, Cgm 7240; vgl. dazu Masser / Siller 1987, S. 34; 83 f. - Die Übersetzungsvarianten entsprechen dem bei Diefenbach (1857, S. 458) aufgeführten Spektrum hochdeutscher Übersetzungen für pretorium vom Beginn des 16. Jahrhunderts: richt -, gericht -, ding -, rat -, rayt hauß , huiß . 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 189 das ,Rathaus‘ einen konkreten städtischen Kontext evoziert. In Der Kreuziger des Johannes von Frankenstein ist sogar versucht worden, die Angabe, dass Pilatus vor dem Gebäude zu Gericht sitzt, auf ein Rathaus zu beziehen. Nachdem erklärt worden ist, dass die Heiden ihr Gericht im Rathaus abhalten müssten, ,die Juden‘ wegen der bevorstehenden ,Oster‘feierlichkeiten aber nicht hineingegangen seien, um nicht unrein zu werden (vv. 5911-5942), heißt es, dass Pilatus zu ,den Juden‘ hinausgegangen sei (vv. 5943-5947). Am Ende der Prozessschilderung werden die Örtlichkeiten folgendermaßen beschrieben: Als nû di rede Pilatus het erhôrt, er vûrt her ûz Jesum und besaz hî vor daz gerichte bî dem tor des râthûses an der stat di sand Johannes genennet hât in krîchisch lithostrotos (daz wort man ê geschriben kôs) und heizt in judisch ˛golgatha’, daz recht wart begangen dâ. waz lithostrotos moge wesen, da von ist êmâln genûc gelesen, als Beda iz hât ûz geleit: di stat von steinen was bereit. dar satzte sînes stûles stant Pilatus, daz dô wurde erkant offenlich sîn gericht. ob Jesus durch di inzicht zû dem tôde wurde verteilt, daz im di schult icht angeseilt wurde und nicht verdâcht dar an, und ûf den juden blibe der wân. ( Der Kreuziger , vv. 7783-7804) Das Richten vor der Tür des Rathauses in aller Öffentlichkeit erscheint hier als eine Ausnahmeregelung, die einer speziellen Begründung bedarf. Bei der Diskussion der (schließlich zurückgewiesenen) These, das Rathaus sei ein Teil der wonung des Kaiphas gewesen, hatte sich aber das zeitgenössische Konzept einer Rathauslaube 61 eingeschlichen: von dem gewalte er besaz ein wonung, dar zû gehôrte daz râthûs in des phorte man richten solde und râten, und si daz von rechte tâten. ( Der Kreuziger , vv. 5882-5886) 62 Neben die Quellentreue, die in der Berufung auf den Evangelisten Johannes zum Ausdruck kommt, ist hier eine argumentative Logik getreten, die sich aus dem Bezug auf die 61 Vgl. dazu Lück 2012a. 62 Vgl. dagegen den lateinischen Prätext: sed cum esset pontifex anni illius, de iurisdiccione pontificatus habitavit in aula, cui attinebat pretorium (zitiert nach Ferber 1935, S. 81, Z. 28 f.). 190 4 Verfahren der kulturellen Aneignung zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit speist und durch das Einzelwort ,Rathaus‘ ausgelöst zu sein scheint, das ein Konzept (Richten in der Rathauslaube) nach sich zieht. Solche Verselbstständigungen kommen bei den streng vorlagengebundenen Prosaübersetzungen des Nikodemusevangeliums nicht vor; 63 die Versdichtungen sind dafür aber durchaus affin. In den drei Kerntexten, die früher als die Prosaübersetzungen und Der Kreuziger entstanden sind, ist ebenfalls terminologisch der römische Kontext getilgt, aber es ist - anders als bei den genannten Vergleichsbeispielen - auch das Konzept aufgegeben, dass die Gerichtsverhandlung i n einem Gebäude abgehalten wird. 64 Der Ort der Gerichtsverhandlung ist nach Diu urstende (z. B. v. 265) und Christi Hort (z. B. v. 1435) durch eine Abschrankung ( schrange ) gekennzeichnet; für das Evangelium Nicodemi ist ein entsprechendes Setting ebenfalls eine plausible Annahme, die Lokalisierung bleibt jedoch diffus. 65 Eine kulturelle Transposition ist daran erkennbar, dass die Gerichtsverhandlung am ,Hof ‘ angesiedelt ist, 66 wobei damit wohl die Institution der Gerichtsversammlung unter landesherrschaftlicher Leitung gemeint ist, nicht ein konkretes Gebäude. 67 Wie die Einzelinterpretationen bereits gezeigt haben, sind mit dem veränderten Setting der Verhandlung weitere Aktualisierungen verbunden, die bis in die Gestaltung des Verfahrensablaufes hineinreichen. Auf der Ebene des Einzelwortes tritt in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi die Übersetzung von praeco mit scherge bzw. butel hinzu: 68 Die Handlung erfordert es, dass ,die Juden‘ bemängeln, dass Pilatus Jesus durch einen ‚Läufer‘ 69 hat holen lassen, und stattdessen eine Vorladung durch einen Gerichtsboten verlangen. Wechselnde Bezeichnungen für die von Pilatus ausgesandte Person im Evangelium Nicodemi lassen jedoch die Vorstellung durchscheinen, dass auch für den Verfasser bzw. den 63 Vgl. aber die Integration erläuternder Zusätze in manchen Perikopenübersetzungen (vgl. dazu Palmer 2004, S. 142 f.). Zum Zusammenhang zwischen Übersetzung und Glossierung im Mittelalter vgl. grundsätzlich Buridant 2011. 64 Sie stehen also noch der ,germanischen‘ Konzeption näher, nach der ein Gerichtsverfahren unter freiem Himmel stattzufinden hat (vgl. dazu Lück 2008d). 65 S. o. S. 144. Im Evangelium Nicodemi markiert allein der (auch in Christi Hort , v. 1562, genannte) Stuhl des Richters bzw. die Tatsache, dass der Richter darauf sitzt oder man sich in seiner Nähe befindet, den Ort und den Vollzug der gerichtlichen Verhandlung (vv. 841; 855; 1019; 1318; vgl. auch die metonymische Verwendung zur Bezeichnung der Institution ,Gericht‘ in v. 623). Das „Sitzen des Gerichts“ und des Richters auf dem Richterstuhl im Besonderen hat im römischen wie im ,deutschen‘ Recht einen ähnlich hohen Stellenwert (vgl. Schott 2006, S. 153-156). Insofern war im Nikodemusevangelium (cap. II 1) bei der Realie des Sitzes des Richters keine Aktualisierung notwendig. 66 ,Die Juden‘ beklagen sich, dass Jesus nicht in der richtigen Weise zu hofe (vv. 790 f.; 795) geladen worden sei. 67 S. o. S. 144 f. Auch an der entsprechenden Stelle im Nikodemusevangelium (cap. I 2) ist das Prätorium als Ort nicht genannt. 68 ‘er solt mit schergen stimme / praht sin unt mit grimme’ ( Christi Hort , vv. 1445 f.); do zurnde sie mit grimme, / daz er mit butels stimme / niht geladen was zu hofe ( Evangelium Nicodemi , vv. 789-791). Vgl. Nikodemusevangelium : ‘Quare non sub uoce preconis iussisti eum introire sed per cursorem? […] ’ (cap. I 2, Z. 10 f.). In Diu urstende ist die Läuferszene aus dem Nikodemusevangelium nicht aufgenommen worden. - Zur Übersetzung von preco mit ,Scherge‘ s. o. S. 114, Anm. 313, mit ,Büttel‘ vgl. Diefenbach 1857, S. 425. 69 cursor ( Nikodemusevangelium , cap. I 2-4) ist in Christi Hort ( leufel , v. 1421) und im Evangelium Nicodemi ( loufere , v. 768) jeweils zunächst wörtlich übersetzt. 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 191 Redaktor des Textes die Vorladung durch einen Schergen bzw. Büttel der Normalfall war. 70 In dem der Handschrift S folgenden Ausgabentext steht: 71 „ […] Ir enwizzet“ sprach Pilat „wes ir den schergen 72 hat gezigen.“ Die Juden alle gemeine swigen. Pilat den butel 73 ane sach, zu im anderweide er sprach: „Nu ginc, sit dus berufen sis, 74 und lade Jesum solche wis, als du wilt.“ ( Evangelium Nicodemi , vv. 824-831) In den Handschriften s und p ist dagegen - handlungslogisch ,korrekt‘ - durchgehend vom ,Läufer‘ die Rede. Nach Karl Helm (1899) gehören diese beiden Handschriften einer späteren Bearbeitungsstufe an; 75 ob die Varianten an dieser Stelle tatsächlich sekundär sind, wird man aber nicht entscheiden können. Für die systematische Frage danach, wie Referenzen auf die Erfahrungswirklichkeit funktionieren, lässt sich der Befund auf jeden Fall so auswerten, dass in den Handschriften, in denen der Läufer als Gerichtsbote bezeichnet wird, die Situation offenbar produktionsseitig die Vorladung durch einen Gerichtsboten als ,Script‘ aktiviert hat, das sich im Text manifestiert. 76 70 In Christi Hort wird die Bezeichnung ,Läufer‘ auf andere Weise kulturell adaptiert, indem sie durch chneht (v. 1448) und Umschreibungen (wie ein stolzen chnaben , v. 1421) substituiert wird, die den Boten als höfisch charakterisieren (s. dazu o. S. 114, Anm. 310). 71 Zu den Handschriftensiglen s. o. S. 142, Anm. 474; zum Wiener Fragment W s. u. S. 315-317. Abgesehen von den in der Ausgabe Helms (1902) berücksichtigten Handschriften ist die Vorladungsszene noch in einer Gruppe von Handschriften der thüringischen Rezension des Marienleben Bruder Philipps überliefert, die hier durch die Londoner Handschrift (British Library, MS Add. 10 432) vertreten sei. Zum Status des redigierten Textes des Evangelium Nicodemi in dieser Handschriftengruppe und in W s. u. Kap. 6.2.1. 72 W und die Londoner Handschrift (fol. 98r, Z. 3) lesen hier butel , s und p lauffer . 73 s und p lesen wiederum laufer . 74 G liest sit du butel sis , W sant du putel seist (vgl. fol. 2vb, Z. 21) und die Londoner Handschrift (fol. 98r, Z. 7) seint du butel seist . D.h., W und die Londoner Handschrift haben nicht nur an den beiden vorigen Stellen butel , sondern sein Amt wird - wie in G - als Begründung für seinen Auftrag herangezogen. 75 Vgl. Helm 1899, S. 106 f. 76 Der Terminus ,Script‘ ist aus der kognitiven Narratologie (vgl. Jahn 2005; Herman 2011 / 2013 [jeweils mit weiterer Literatur]) übernommen, die sich auf Erkenntnisse zu Wissensstrukturen bezieht, die Herman (1997, S. 1047) folgendermaßen beschreibt: „This research suggests that the mind draws on a large but not infinite number of ‘experiential repertoires,’ of both static (schematic or framelike) and dynamic (scriptlike) types.“ Zu alternativen Termini vgl. Blume 2004, S. 48 f.; Emmott / Alexander 2011 / 2014, Absatz 4. Mit Blume (ebd., S. 54) wird im Folgenden ‚Schema‘ als Oberbegriff für Script (zur Bezeichnung von „dynamischen Segmente[n]“) und Frame (zur Bezeichnung von „statischen Repräsentationen“) gebraucht. Zur forschungsgeschichtlichen Einordnung des Konzepts kognitiver Schemata und dessen Grenzen vgl. Scherner 2000, S. 188; Emmott / Alexander ebd., Absätze 7-14; Herman 2011 / 2013, Absätze 12-16. Die Diskussion ist verwandt, aber nicht identisch mit der zu Erzählschemata (im Sinne von Scripts); zur „Brückenfunktion“ der Scripttheorie „zwischen literarischer Erzählanalyse und der Analyse von Alltagserfahrung“ vgl. Müller 2007b, S. 17. Zur Funktion von Erzählschemata vgl. Bleumer 2007 (mit weiterer Literatur). 192 4 Verfahren der kulturellen Aneignung Zwar wird die Funktion kognitiver Schemata insbesondere für die Rezeption von Texten diskutiert, 77 sie sind jedoch auch für die Produktion von Texten relevant. 78 Für die bibelepischen Kerntexte gilt das in besonderem Maße, da deren Verfasser zugleich Rezipienten der autoritativen Prätexte (mit für sie invariablen Grundsituationen) waren. Wie sich Elemente eines Scripts an Vorgefundenes anlagern können, lässt sich exemplarisch an der (nichtkanonischen) Szene beobachten, in der dem von Jesus befreiten Joseph von Arimathia von Boten ,der Juden‘, die ihn hatten einsperren lassen, Frieden garantiert wird. Nach dem Nikodemusevangelium (cap. XV 2) schicken ihm die Hohepriester eine schriftliche Botschaft nach Arimathia, in der ihm Friede zugesagt wird; der Wortlaut ist dabei an biblische Formeln angelehnt. 79 Im Evangelium Nicodemi ist das Motiv der schriftlichen Botschaft beibehalten, aber der Bezugsrahmen der Formulierungen ist ein rechtlicher: „ […] Ist daz du irvorhtes iht, so habe getrulichen vride di [bi] dem halse und bi der wide, 80 daz dir hie nieman niht entut, wen allez lieb und allez gut, […] “ ( Evangelium Nicodemi , vv. 2538-2542) Die Doppelformel bi dem halse und bi der wide als Androhung der Bestrafung für einen Friedensbrecher ist literarisch belegt und dürfte zur Entstehungszeit des Evangelium Nicodemi Assoziationen an Landfriedensordnungen geweckt haben. 81 Hier ist also eine zeitgenössische sprachliche Formel integriert, die für die Situation ,Frieden anbieten‘ plausibel wirkt. 82 77 Vgl. Emmott / Alexander 2011 / 2014, Absatz 5. 78 Vgl. Blume 2004, S. 50-57; Haferland 2005, S. 370 f. und insbesondere den dezidiert produktionsorientierten Ansatz Müllers 2007b. 79 ‘Pax tecum et omnibus qui tecum sunt. Scimus quia peccauimus in Deum et in te. Dignare ergo uenire ad patres tuos et ad filios tuos, quia ammirati sumus omnes de assumptione tua. Scimus enim quia malignum consilium cogitauimus aduersum te, et Dominus suscepit te. Et ipse Dominus liberauit te de maligno consilio nostro. Pax tibi, domine Ioseph, honorabilis ab omni plebe.’ (cap. XV 2, Z. 7-15; „ ,Friede sei mit dir und allen, die mit dir sind. Wir wissen, dass wir gegen Gott und gegen dich gesündigt haben. Geruhe also, zu deinen Vätern und zu deinen Söhnen zu kommen, weil wir alle über deine Entrückung verwundert sind. Wir wissen in der Tat, dass wir einen bösen Plan gegen dich gefasst haben, und der Herr hat dich in Schutz genommen. Und der Herr selbst hat dich befreit von unserem bösen Plan. Friede sei mit dir, Herr Joseph, der du angesehen bist beim ganzen Volk.‘ “). Vgl. dazu Gounelle / Izydorczyk (1997a, S. 173), die exemplarisch auf Psalm 106[107],17 und Lc 15,21 verweisen. 80 Wegen der Formelhaftigkeit des Ausdrucks dürfte gegen die Überlieferung bi dem halse (anstatt di ) zu konjizieren sein. - G liest hier Uf unser aller lide . 81 Vgl. MWB, s. v. hals , 1.14.4; DRW, s. v. ‚Hals‘, und Seelbach 1987, S. 214 f., jeweils mit Einzelnachweisen. Vgl. dazu Kästner 2001, S. 26 f. 82 Entsprechende Formeln sind auch in Christi Hort zu finden, wenn Columban dem Mann, der sich traut, ihm von Veronika zu erzählen, zusichert: du hast pi mir vrid unt sun (v. 4594). Die Formel erscheint ins Negative verkehrt auch bei Vespasians Urteilsverkündung: si gewinnent nimmer frid noh sûn (v. 5242; s. dazu o. S. 121, Anm. 349). Die Verwendung vorgeprägter Formeln kann auch zu Anachronismen führen; so sind Tiberius zu einem Zeitpunkt der Handlung, als er noch Heide ist, die Worte des lon dir Got (v. 4447) in den Mund gelegt. Fechter (1974, S. 190) sieht für diesen Vers eine konkrete Vorlage in Mai und Beaflor . Für derartige Assoziationen bedarf es aber nicht unbedingt einer solchen Vorlage; vgl. z. B. die an einen Zeugen gerichteten Worte des Pilatus im Evangelium Nicodemi (v. 1201): „Sprich, des dich got ermane.“ - Zur Suggestion von Gegenwart über die Sprache der Figuren und zur Übertragung 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 193 In Diu urstende heißt es entsprechend von den Überbringern der schriftlichen Botschaft ( brief e, v. 1282): die tâten all e s icherheit: / si buten triuwe und manigen eit / daz er âne angest wære (vv. 1283-1285). Die Formel sicherheit tuon ist wie sicherheit nemen häufig in Erzählungen von Gefangennahmen zu finden. 83 Beide Formeln begegnen in Christi Hort (vv. 3229; 3232), wo eine Ausgestaltung des Scripts ,Boten bieten Sicherheit an‘ das Motiv der schriftlichen Botschaft vollständig ersetzt hat (vv. 3157-3250): Die Boten, sieben mit Joseph verwandte Männer, weise unt wol gezogen und schön gekleidet (vv. 3177-3184), reden höflich mit Joseph und bieten sich selbst als Geiseln an (v. 3237). 84 Christi Hort scheint hier wie Diu urstende vor allem auf literarisch vorgeprägte Muster zu rekurrieren. Die produktionsseitige Aktivierung eines Scripts zeigt sich im Evangelium Nicodemi auch an dem Punkt der Handlung, an dem ,die Juden‘ Pilatus bitten, über Jesus Gericht zu halten ( Nikodemusevangelium , cap. I 2). Mit der Aufforderung, dass er früh, bevor er gegessen habe, die Gerichtsverhandlung eröffnen möge (vv. 720-724), wird die Bitte im Evangelium Nicodemi nach dem Schema eines ,deutschrechtlichen‘ Verfahrens konkretisiert. 85 Dass eine selbstverständliche Vorbedingung für das Abhalten einer Gerichtsverhandlung überhaupt benannt wird, hat damit zu tun, dass nach dem Evangelium Nicodemi die jüdischen Ankläger Pilatus im Morgengrauen aufsuchen (vv. 712-719; vgl. auch Diu urstende , vv. 259-266), d. h., es ist handlungsrelevant, dass sie der ersten Mahlzeit des Pilatus zuvorkommen. Danach tritt das Script einer ,deutschrechtlichen‘ Verhandlung in den Hintergrund, 86 z. B. wird die Hegung des Gerichts mit dem Friedensgebot ausgespart. 87 Dass es aber nach wie vor präsent ist, zeigt sich zum Beispiel an der - vom Prätext unabhängigen - Handlung des Richters, der mit seiner Hand Ruhe gebietet (vv. 870 f.). 88 Der Vorgang ,der Richter gebietet Ruhe‘ als Teil des Scripts ,Gerichtsverhandlung‘ manifestiert sich (an einem anderen Punkt der Handlung) auch in Diu urstende , und zwar lässt Pilatus dort einen schergen seine Stimme erheben (vv. 529-546). Dass in Diu urstende übervon Mustern zeitgenössischer politischer Verhältnisse auf biblisches Geschehen vgl. Greisenegger 1978, S. 56-66; 148 (in Bezug auf Le jeu d’Adam vgl. ebd., S. 35-39; zur Sprachverwendung vgl. auch Bažil 2012, S. 75 [mit weiterer Literatur]). 83 Vgl. Rosenau 1959, S. 266-280 (vgl. auch ebd., S. 185 f., zum Leisten von sicherheit im Rahmen von Friedensschlüssen und zum Stellen von Geiseln, die die Einhaltung des Friedens garantieren sollen); Désilles-Busch 1970, S. 69-77; Nöding 1999, S. 99 f.; 104 f. Vgl. auch Parallelen für die bedingungslose Unterwerfung ,der Juden‘, die sich eigenlîchen unter das Gebot Josephs von Arimathia (vv. 1370-1380) stellen (vgl. dazu Désilles-Busch ebd., S. 87-89; Hoffmann 2000, S. 155 f.). 84 Zur Definition von ‚Geisel‘ vgl. Kosto 2012, S. 9. Da er in seine grundlegende Untersuchung keine Erzähltexte als Quellen mit einbezogen hat, geraten sprachliche Formeln, die beim Stellen von Geiseln Verwendung fanden, nicht in sein Blickfeld. 85 S. o. S. 49 f.; 145 f. 86 Vgl. dazu Blume 2004, S. 56: „Sprachliche Kommunikationsakte können - und werden im Normalfall - Schemata aktivieren, ohne daß diese Schemata explizit in allen ihren Teilen artikuliert werden müßten; das macht schematische Repräsentationen zu einem wichtigen Faktor kognitiver Ökonomie. Welche Teilkonzepte oder Subschemata eines Schemas es sind, die explizit aufgerufen und somit gleichsam in den Vordergrund gerückt werden, und welche auf der anderen Seite ausgespart und, im Hintergrund bleibend, implizit koaktiviert werden, ist jedoch variabel. Das heißt, es liegt im Bereich des Ermessens des Sprechers und seiner jeweiligen Kommunikationsstrategie, bestimmte Elemente hervorzuheben und andere in den gleichwohl niemals zu vergessenden Hintergrund zu rücken. Für dieses Phänomen der Variabilität von Betont- und Unbetontheit einzelner Teilkonzepte bei der Realisation schematischer Repräsentationen hat sich in der Kognitionswissenschaft der aus der Gestaltpsychologie entlehnte Begriff ,figure / ground segregation‘ eingebürgert.“ 87 Zur Hegung s. o. S. 80, Anm. 99. 88 Zur Gestik des Richters s. o. S. 146. 194 4 Verfahren der kulturellen Aneignung haupt die Anwesenheit eines bis zur betreffenden Textstelle nicht erwähnten schergen als selbstverständlich angenommen wird, lässt sich damit erklären, dass er zum Frame ,Gericht‘ gehört, wie er sich für die Entstehungszeit des Textes erschließen lässt. 89 Weitere Implikaturen zeigen sich in Diu urstende punktuell an der Textoberfläche: So setzt die Bemerkung, dass sich etliche Juden und Heiden der phlihte entzogen hätten (vv. 332-335), voraus, dass es eine Dingpflicht gibt. Der von Pilatus vorgebrachte Tadel, dass ,die Juden‘ mit übeler urteil (v. 509) einen ordnungsgemäßen Ablauf der Verhandlung störten, gibt nur vor dem Hintergrund Sinn, dass die Gerichtsgemeinde Urteile fällt. Und bei dem Zweifel ,der Juden‘ an der Zeugnisfähigkeit der vermeintlichen Proselyten (vv. 702-706) impliziert das Wort lantreht das Personalitätsprinzip. Für die Rezeption ist zu vermuten, dass durch die einzelnen Wörter jeweils das damit angesprochene Schema insgesamt oder in seinen relevanten Komponenten in der Vorstellungswelt aufgerufen werden konnte. 90 Entsprechend dürften etwa in Christi Hort Handlungsmuster wie ,der Richter stellt eine Urteilsfrage‘ (vv. 1876 f.) beim Rezipienten zur Assoziation des dazu gehörigen Scripts geführt haben. Umso auffälliger wird es gewesen sein, dass Pilatus das Urteil nicht ausgibt. 91 Ob die sinnstiftende „Abweichung von vorgegebenen Erfahrungsmustern“ 92 an dieser Stelle als Erzählstrategie anzusehen ist, lässt sich angesichts der diffusen Angaben zum Prozessende in den Prätexten schwer entscheiden. Mithilfe einer Passage in Diu urstende , in der eine Abweichung vom Schema explizit benannt wird, lässt sich jedoch nachweisen, dass solche Abweichungen punktuell zur Sinnstiftung eingesetzt werden: Dass ,die Juden‘ nicht die ,rechte Zeit‘ für eine Gerichtsverhandlung abwarten können und noch im Morgengrauen Pilatus aufsuchen (vv. 259-266), trägt vor dem Hintergrund des prototypischen Beginns einer Gerichtsverhandlung bei Tagesanbruch zu deren negativer Charakterisierung bei. Wenn mit der ,rechten Zeit‘ in Diu urstende ausdrücklich auf zeitgenössische Gepflogenheiten als Bezugsrahmen verwiesen wird, ist das auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass die Gegenwartskultur keineswegs den einzigen Bezugsrahmen für die Kerntexte darstellt. 93 Das Nebeneinander verschiedener Bezugsräume zeigt sich etwa am Umgang der Texte mit dem Schweigen Jesu vor Gericht: In Christi Hort wird es - offenbar im Kontext des Scripts ,Gerichtsverhandlung‘ - vom Erzähler als Verstoß gegen die Gerichtsordnung klassifiziert. 94 In Diu urstende dagegen wird von vornherein ein heilsgeschichtlicher Kontext für das Schweigen Jesu aufgerufen, wenn der heidnische Zeuge auf die alttestamentarische Prophezeiung vom Lamm, das willig und swîgende Marter und Tod erleiden wird, verweist (vv. 374-388). 95 89 Entsprechend sind einem mittelalterlichen König selbstverständlich Dienstmänner und Amtsleute zuzuordnen; vgl. Jesu Worte in der Prosafassung E, Z. 276-278: ‘Min Riche ist nicht von dire welte. wann wer min Riche von dire welte, So heten mich mine dienstman vnd mine amptlüte nicht den Juden geben.’ 90 Zur ,spreading activation‘ ausgehend vom Einzelwort vgl. Blume 2004, S. 50 f. 91 Das Übergehen dieses zentralen Schritts lässt sich nicht allein damit erklären, dass gewöhnlich nur einzelne Elemente eines Scripts auserzählt werden. 92 Nach Blume (2004, S. 55) sind solche Abweichungen für Erzählungen essenziell. 93 S. dazu o. grundsätzlich Kap. 3.5. Zum Auftreten einer Frau als Zeugin, das im Widerspruch zum Script einer zeitgenössischen Gerichtsverhandlung steht, s. u. S. 239; 246, Anm. 237. 94 Jesus gab im ein antwurt niht. / des lasters nam Pilatus phlicht (vv. 1799 f.). S. dazu o. S. 113, Anm. 306. 95 S. dazu o. S. 80. 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 195 Weil verschiedene Bezüge möglich sind, lässt sich eine kulturelle Aneignung in dem Sinne, dass ein Bezug auf die handlungspraktische Erfahrungswirklichkeit gegeben ist, 96 nur sichern, wenn im Text eindeutige Signale vorliegen (z. B. zeitgenössisch geprägtes Vokabular). Jedoch ist auch damit zu rechnen, dass ein Gegenwartsbezug dadurch zustande kommt, dass ein bereits im spätantiken Nikodemusevangelium enthaltenes Motiv im Kontext eines mittelalterlichen Textes, der die Gerichtsverhandlung in einem abgeschrankten Bereich konzipiert, neue Konnotationen bekommt, dass sich also nur die ,nichttextualisierten Verstehensbedingungen‘ 97 geändert haben. Ein solches Motiv ist das Weinen etlicher Juden angesichts der Forderung ‚der Juden‘, Jesus kreuzigen zu lassen ( Nikodemusevangelium , cap. IV 5), das Pilatus als Willen der multitudo (Z. 3 f.) in seine Entscheidungsfindung mit einbezieht. Wie bereits ausgeführt, könnte die Menge in einem deutschrechtlichen Kontext zu einem Umstand umgedeutet werden, doch nur im Evangelium Nicodemi (vv. 1145-1154) finden sich dafür verhaltene Signale im Text. 98 Nicht in den Texten artikuliert sind zumeist auch Wertesysteme, 99 die Textproduzenten und den von ihnen anvisierten Rezipienten gemeinsam gewesen sein dürften. Dass beispielsweise in Diu urstende bei der Schilderung des Tumults bei der Gerichtsverhandlung ausdrücklich gesagt wird, dass ,die Juden‘ in der schrangen entwer (v. 737) eindringen, dürfte für zeitgenössische Rezipienten ausgereicht haben, um nicht nur das Script ,Bruch des Gerichtsfriedens‘, sondern auch Bewertungskategorien (Ungeheuerlichkeit des Vergehens, Schwäche des Richters) zu assoziieren. Die hier als ,implizit‘ zusammengestellten Adressierungen der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit haben also unterschiedliche Implizitheitsgrade. Sie reichen von der Verwendung von Wörtern oder der Schilderung von Verhaltensweisen mit einem klaren Bezug zur zeitgenössischen Kultur bis hin zur Bezugnahme auf oder Berücksichtigung von Konzepten, die für einen heutigen Interpreten nur mithilfe kontextuellen Materials zu rekonstruieren sind. Anhand der in allen drei Kerntexten (in unterschiedlicher Weise) präsenten Idee, dass mit Jesus umgegangen wird wie mit einem Verbrecher, ist das gesamte Spektrum der Implizitheitsgrade zu demonstrieren. In Christi Hort lässt der Erzähler Maria in ihrer Klage unter dem Kreuz die Hinrichtung Jesu explizit mit der eines Diebes vergleichen: ‘ […] / der hangt vor mir als ein diep / zwischen schæchern 100 da zwein. / […] ’ (vv. 2130 f.). 101 Der Vergleich hat eine theologische Dimension, indem er die Erfüllung des Jesajawortes et cum sceleratis reputatus est (53,12) verdeutlicht. Dass Jesus nicht zu einem Schächer, sondern zu einem diep in Beziehung gesetzt wird, dürfte nicht allein mit dem Reimwort liep in v. 2129 zusammenhängen. Vielmehr lässt sich 96 Auch die Beschäftigung mit den Inhalten der Bibel zählt selbstverständlich zum Erfahrungsraum der impliziten Rezipienten, ist aber von gegenwartsbezogenen Handlungsmustern zu unterscheiden. 97 Vgl. dazu Scherner 1984, S. 162-167. 98 Zu Christi Hort s. o. S. 115; zum Evangelium Nicodemi s. o. S. 148. In der Prosafassung E (Z. 318-321) heißt es, dass Pilatus zu dem folke hinausgeht und vil luten weinen sieht; gegenüber ,den Juden‘ sagt er dann: ‘mich duncket nicht, das dy gemeynde sinen tot nemen wellen.’ Hier könnte der Terminus gemeynde eine Rechtsgemeinschaft bezeichnen, ohne dass aber - wie häufig (vgl. MWB, s. v. gemeinde , 2.1) - eine Gebietsgebundenheit impliziert ist. Zum Bedeutungsspektrum von gemeinde zwischen ,Versammlung‘, ,Allgemeinheit‘ und ,Ortsgemeinde‘ vgl. auch DRW, s. v. 99 Sie werden in der kognitiven Erzähltheorie zu den ,belief systems‘ gezählt (vgl. dazu Blume 2004, S. 60 f.). 100 schachære (vgl. L exer , s. v.) ist eine übliche Übersetzung von lat. latro (vgl. Mt 27,44; Mc 15,27; Lc 23,39; Nikodemusevangelium , cap. X 1, Z. 1; 5). 101 Zur Entwicklung des Motivs der beiden Schächer und der Rolle, die das Nikodemusevangelium dabei gespielt hat, vgl. Merback 1999, S. 22-27. 196 4 Verfahren der kulturellen Aneignung nachweisen, dass die Kreuzigungsstrafe in verschiedenen mittelalterlichen Text- und Bildzeugnissen vor dem Hintergrund der Bestrafung von Dieben neu interpretiert wurde. 102 Die Assoziation der für Diebe typischen Strafe des Erhängens ist im deutschsprachigen Kontext bereits in der Umschreibung für ,kreuzigen‘, an daz kriuze hâhen , 103 angelegt, denn diebe sol man hâhen , wie es zum Beispiel in Freidanks Bescheidenheit (v. 47,19) heißt. 104 Eine solche Phrase hat unter Umständen bei der Forderung der Hohepriester im Evangelium Niocdemi (v. 1412) „ […] / so ha disen als einen dieb.“ Pate gestanden. 105 Typologisch hat man es hier also mit einem Gegenwartsbezug durch eine sprachlich vorgeprägte Formel zu tun; bei den ebenfalls im Evangelium Nicodemi ausgedrückten Forderungen, man solle Jesus an das cruze han , 106 ist allein in der Wortwahl eine kulturelle Adaptation spürbar. Eine weitere Stelle im Evangelium Nicodemi deutet darauf hin, dass die Diebesmotivik auch mit einem Script verbunden sein könnte. So heißt es im Bericht, den Adrian Vespasian gibt, rückblickend: „ […] des hazten in so sere die Juden, daz si in viengen und an ein cruze hiengen. Sie giengen an Pilaten, vil ture sie in baten, daz er in vorteilde als einen dieb. […] “ ( Evangelium Nicodemi , vv. 3976-3981) Zunächst wird die Gefangennahme rekapituliert, dann die Bitte ,der Juden‘, dass Pilatus Jesus wie einen Dieb verurteilen solle. Aus den Versen ist nicht sicher zu erkennen, ob sich das Verurteilen nur auf das Resultat oder den gesamten Verfahrensablauf bezieht, aber Letzteres ist zumindest möglich. 107 Im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk wird eindeutig ein standardisierter Ablauf anzitiert, wenn in der Fassung H 1 gesagt wird, dass, als Jesus 102 Merback (1999) konnte bei seinen ikonographischen Analysen der Hinrichtung Jesu und der beiden Schächer Parallelen zum Hängen und Rädern zeigen, wobei die Bezüge auf das Rädern dominant sind (vgl. ebd., S. 199). Beide Hinrichtungsformen sind - wie die Kreuzigung - unehrenhafte Strafen (vgl. ebd., S. 213). Die visuellen Verweise auf das Rädern finden sich vor allem bei der Darstellung der Schächer, während die Position des Christuskörpers am Kreuz (von stilistischem Wandel einmal abgesehen) weitgehend standardisiert wurde (vgl. ebd., S. 69-125). 103 Vgl. BMZ, s. v. hâhen . Das MWB führt auch alternative Präpositionen auf. 104 Zitiert nach Bezzenberger 1872. Vgl. auch Sachsenspiegel , Ldr. II 13,1; Deutschenspiegel , Ldr. 110,1; Schwabenspiegel , Ldr. 174a (Zählung nach von Laßberg 1840; s. dazu u. S. 254, Anm. 278). Vgl. dazu Schmidt-Wiegand / Schowe 1996, S. 69. Zur Strafe des Erhängens für Diebe vgl. His 1920, S. 491-495. 105 Vgl. zu den genannten Aspekten Klibansky 1925, S. 21. 106 „Man sal in an daz cruze han / und mit nagelen dar an slan / umme daz schelden, daz er tut.“ (vv. 1141-1143); „Man sal in erst mit besmen slan. / und sider an daz cruze han / nach kuniclicheme rehte.“ (vv. 1489-1491). Vgl. auch den Gebrauch von han ohne weitere Spezifizierung: „Du salt Barrabam uns geben! / Jesum saltu lazen han! “ / „Er enhat niht ubeles getan; / und were michel unreht. / Hat den schuldigen kneht, / lat den unschuldigen gen.“ (vv. 1296-1301). 107 Bei der Erzählung von der Gefangennahme (vv. 600-623) findet sich im Evangelium Nicodemi keine Diebesmotivik. 4.2 Implizite Adressierung zeitgenössischer Erfahrungswirklichkeit 197 in Fesseln zu Pilatus geführt wird, 108 ,die Juden‘ tumultartig zusammenlaufen rehte. als da man dieb. oder morder. verterben sol . 109 Dass allein schon die Fesselung Jesu in einem deutschrechtlichen Kontext als Signal für den üblichen Umgang mit einem Schwerstverbrecher gewertet werden konnte, zeigt der Kommentar dazu in Der Kreuziger . 110 Während im lateinischen Prätext die Fesselung ( ligaverunt , Io 18,12) todeswürdiger Verbrecher als jüdische Sitte erklärt wird (die bis heute fortdauere), 111 hat in der deutschen Version eine kulturelle Aneignung stattgefunden, da gesagt wird, dass m a n es noch heute so mache. Daz man unsern hêren bant, sulches sites phlac daz lant, als noch ist gewonheit. swen man einen uberseit der des tôdes wirdic ist, dem selben bint man zû der vrist zû enander beide hende, 112 im gêt zû sîn ende, man vûrt in vur den richtêre: sô wart gebunden unser hêre. ( Der Kreuziger , vv. 4313-4322) Der Kreuziger weist in Bezug auf die Fesselung Jesu noch an einer zweiten Stelle signifikante Änderungen gegenüber dem lateinischen Prätext auf. Der Prozessbeginn wird im deutschen Text folgendermaßen eingeleitet: Als nû Pilatus daz ersach daz di juden alsô swach nicht wolden gên in sîn hûs, zû in gînc er selb her ûz in zû êren mit gelimph, wan si brâchten sunder schimph Jesum dar gebunden, sam er uberwunden wêr und des tôdes wirdic. swî wol Pilatus sach den stric 108 Si fuerte ( n ) / den hin gepvnden. d ( er ) gewalt hat. alle di w ( er ) lt zerledige ( n ) . (Schaffhausen, Stadtbibl., Cod. Gen. 8, fol. 248v, Z. 14 f.). 109 Zitiert nach Masser / Siller 1987, S. 396, Z. 19 f. S. dazu u. S. 334-337. 110 S. dazu auch o. S. 77, Anm. 80. 111 Nota: dicit in Joh. „Ligaverunt“, quia mos Judeorum fuit, sicut adhuc est, quod dignus morte presentabatur iudici ligatus (Hs. A liest: ligatus manibus ). (zitiert nach Ferber 1935, S. 67, Z. 26-28; „Beachte: Im Johannesevangelium heißt es ,Sie banden (ihn)‘, weil es Brauch bei den Juden war - wie auch heute noch -, dass ein Todeswürdiger dem Richter (an den Händen) gebunden vorgeführt wurde.“). Nachdem der lateinische Text Matthäus von Krakau nicht mehr sicher zugeschrieben werden kann (s. o. S. 184, Anm. 35), muss dessen Entstehungskontext als unklar gelten. 112 Die Fesselung der Hände Jesu ist ein Motiv, das nicht allein rechtliche Deutungen erfährt. In Christi Hort wird es als Zeichen der unzuht ,der Juden‘ gewertet (vv. 1282-1286). In der Schaffhausener Handschrift des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks (s. dazu u. S. 330 mit Anm. 277) wird die Gemeinheit und Brutalität ,der Juden‘ hervorgehoben: Sie binden Jesus die Hände vor dem Bauch zusammen, damit er seine Schande ansehen muss (fol. 244r, Z. 7 f.); sie ziehen den Strick so fest, dass das Blut aus den Nägeln spritzt (vgl. ebd., Z. 32 f.). 198 4 Verfahren der kulturellen Aneignung an Jesu, doch er in nicht verteilen wolde ân gericht, er hôrte vor ir klagen, war umme si besagen in wolden, ob daz redelich wêr, und daz Jesus werte sich gên der dît dâ wider kûn, dem wolde er ouch des stat tûn. ( Der Kreuziger , vv. 5943-5960) Die Konzessivkonstruktion (,obwohl Pilatus den Strick sah, wollte er Jesus nicht ohne Gerichtsverhandlung verurteilen‘) hat die Kausalkonstruktion des lateinischen Textes (,weil Jesus gefesselt wie ein todeswürdiger Verbrecher vorgeführt wurde, wollte Pilatus ihn nicht ohne Anhörung verurteilen‘) ersetzt. 113 Die Logik des deutschen Textes speist sich offenbar daraus, dass jemandem, der gefangen vor Gericht gebracht wird, in der Regel die Möglichkeit zur Verteidigung genommen ist. 114 Die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit wird hier dadurch adressiert, dass die Abweichung von den zeitgenössischen Gepflogenheiten erklärt wird. Diu urstende ist zwar mindestens ein Jahrhundert früher entstanden als Der Kreuziger , nicht aber in einem grundlegend anderen rechtlichen Umfeld. Auch in Diu urstende wird Jesus (in Absetzung vom Nikodemusevangelium ) gefangen zu Pilatus geführt ( si brâhten in gevangen dar , v. 278). Ein ausdrücklicher Vergleich mit einem Dieb oder Mörder ist nicht vorhanden, aber aus dem Vorwurf ,der Juden‘, Jesus wolle durch Zauberei das Gerichtsverfahren in die Länge ziehen, damit ihn niemand hengen 115 sollte (vv. 307-312), wird Jesus indirekt als todeswürdiger Verbrecher charakterisiert. Pilatus lässt Jesus nicht sofort töten, aber immerhin ohne jegliche Befragung an eine Säule binden und geißeln, um ihn danach gehen zu lassen (vv. 325-329). Im Text wird für die Geißelung ausdrücklich eine Begründung gegeben, nämlich dass Pilatus wegen der starchen rüege , d. h. der Drohungen und feindseligen Gebärden ,der Juden‘, 116 glaubt, dass Jesus schuldig sei (vv. 319-324). Von einer Fesselung Jesu vor der Geißelung ist nicht die Rede, und nach der Geißelung beginnt wegen der Forderung ‚der Juden‘, man solle Jesus hâhen , eine Gerichtsverhandlung. Trotzdem ist es nicht unwahrscheinlich, dass bei der Bewertung des Verhaltens des Pilatus zur Entstehungszeit des Textes das Script ,Vorführen eines Angeklagten in Fesseln‘ mit der Implikation, dass dessen Schuld feststeht, eine Rolle gespielt hat. Absolute Sicherheit lässt sich zwar nicht gewinnen, aber im Kontext der Aktualisierung anderer Komponenten des Gerichtsverfahrens ist das eine plausible Spekulation. Dass indirekte Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit den Normalfall darstellen, sollte der systematisierende Überblick gezeigt haben. 113 Et ex quo noluerunt intrare, Pilatus honoravit eos, volens eis satisfacere et exivit ad eos. Et quia presentaverunt sibi eum ligatum, ut dignum morte, noluit eum dampnare, nisi audiret accusacionem eorum adversus eum et daret locum, si se defendere posset. (zitiert nach Ferber 1935, S. 82, Z. 18-23; „Und da sie nicht eintreten wollten, erwies ihnen Pilatus die Ehre, in der Absicht, sie zufrieden zu stellen, und kam heraus zu ihnen. Und weil sie ihm ihn gebunden vorführten, wie einen Todeswürdigen, wollte er ihn nicht verurteilen, ohne ihre Anklage gegen ihn zu hören und [ihm] Gelegenheit zu geben, ob er sich verteidigen könne.“). 114 S. dazu o. S. 78 mit Anm. 81. 115 Zum Wortgebrauch vgl. vv. 754 f.: ietwederhalp sîn wart ein man / erhangen durch gerihte . 116 S. dazu o. S. 75-78. 4.3 Mediävalisierung des Heilsgeschehens 199 4.3 Mediävalisierung des Heilsgeschehens Wie eingangs (Kap. 4.1) erläutert, nähern sich die Kerntexte der Passion und der Auferstehung Jesu vor allem als historischem Geschehen, sodass Fragen der kulturellen Differenz relevant werden, wie sie auch sonst bei Erzählungen von Vergangenem begegnen. Von den punktuellen expliziten Bezugnahmen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit abgesehen, können die Verfahren der kulturellen Aneignung, die in den Kerntexten zu beobachten sind, als Anachronismen beschrieben werden, die das erzählte Geschehen an die Gegenwart des Erzählens heranrücken. Vereinzelte Markierungen lassen den historischen Abstand jedoch nicht ganz aus dem Blick geraten. Verweise auf die Schöpfung und den Sündenfall, der die Notwendigkeit einer Erlösung des Menschen mit sich gebracht hat ( Christi Hort , vv. 1-170; Evangelium Nicodemi , vv. 1-300), und das Jüngste Gericht ( Diu urstende , vv. 1470-1478; Christi Hort , z. B. vv. 2992-2995; Evangelium Nicodemi , z. B. vv. 180-196; 3705-3712) halten zudem den heilsgeschichtlichen Rahmen präsent. In der heilsgeschichtlichen Orientierung sind die Kerntexte Geistlichen Spielen verwandt, wobei diese - über Anachronismen hinaus - performativ spezifische Strategien der Vergegenwärtigung und Distanzierung verwenden. 117 Zugleich sind die Kerntexte in ihrem Gebrauch von Anachronismen bei gleichzeitigem Anspruch, Vergangenheit darzustellen, mit den bereits erwähnten Übersetzungen antiker Texte und auch mit epischen Bearbeitungen historischer Stoffe, etwa im Antikenroman, verbunden. Forschungsgeschichtlich ist für die Anachronismen im Geistlichen Spiel und in mittelalterlichen Umsetzungen antiker Stoffe eine Bewegung von der Einordnung solcher Anachronismen als naiv und amüsant hin zur Untersuchung ihrer Funktion zu beobachten. 118 Die positive Sicht auf Anachronismen als einer Technik der Akkulturation schlägt sich auch im programmatischen Begriff der Mediävalisierung nieder. 119 Deren Funktion muss für jeden Text individuell bestimmt werden; es ist aber auch versucht worden, für einzelne Gattungen Stoßrichtungen der Aktualisierung festzumachen: Für Antikenromane wurde zum Beispiel die These aufgestellt, dass die dadurch geleistete Abmilderung des ,Fremden‘ es ermögliche, den exemplarischen Wert des geschilderten Geschehens zu konturieren, 120 117 Vgl. dazu z. B. Schmid 1975, S. 57-79; Greisenegger 1978, S. 147: „Schon hier [sc. in Le jeu d’Adam , s. dazu o. S. 192 f., Anm. 82] ist also jenes Moment zu identifizieren, das die gesamte mittelalterliche Theatergeschichte begleiten wird: die jähe Vergegenwärtigung alles Geschichtlichen, um dessen Abstand man weiß (wie etwa aus den die Distanz betonenden Kostümen festzustellen ist), das in einem dialektischen Spannungsverhältnis zur Zeitlosigkeit des Aufgehobenseins in der Heilsgeschichte zu denken ist.“ Zum besonderen Verhältnis von Vergangenheit und Gegenwart im Geistlichen Spiel vgl. auch Kiening 2007b, S. 143 f. 118 Vgl. in Bezug auf Bearbeitungen antiker Stoffe z. B. Rouziès 2007, S. 232 (mit weiterer Literatur): „Connoté négativement par l’historiographie traditionelle, la notion d’anachronisme est revalorisée par la critique moderne comme un procédé littéraire riche et créatif.“ Zum Geistlichen Spiel vgl. z. B. Greisenegger 1978, S. 148: „Der leise Spott, mit dem Anachronismen gezählt wurden, übersah, daß sie als bewußtes Wirkungsmittel eingesetzt wurden, um die beschriebene Vergegenwärtigung zu erreichen.“ 119 Vgl. Lienert 2001, S. 9-13 und passim (in Bezug auf den Antikenroman); 2010, S. 247 (in Bezug auf Bibelepik und Heldenepik). Vgl. in Bezug auf bibelepische Texte auch Köbele 2017, S. 169. 120 „Überdies entspringt er [sc. der Anachronismus in Antikenromanen] weniger der Naivität und der mangelnden historischen Distanz des Mittelalters zur Antike als der Absicht, mit Hilfe einer »Aktualisierung« der Vergangenheit den »exemplarischen« Wert der Handlung und der Gestalten herauszuarbeiten und so über eine Idealisierung, die nur in mittelalterlichem Gewand ihre rechte Wirkung 200 4 Verfahren der kulturellen Aneignung wobei diese pauschale Einschätzung der Differenzierung bedarf. 121 Anachronismen in Geistlichen Spielen sind unter anderem als Versuch interpretiert worden, „Vergangenheit in die Gegenwart zu transplantieren, in ihrer Bedeutung für die Gegenwart klarzustellen.“ 122 Sind die Anachronismen zuallererst Verfahren der zeitlichen ,Vergegenwärtigung‘, erleichtern sie bei einem heilsgeschichtlichen Gegenstand darüber hinaus die andächtige ,Vergegenwärtigung‘, die von vertrauten Wahrnehmungsmustern ausgehen kann. 123 Angesichts ihres heilsgeschichtlich essenziellen Stoffes könnte man auch für die Kerntexte vermuten, dass die Bezugnahmen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit entsprechend funktionalisiert wären. Für eine ,Vergegenwärtigung‘ des Geschehens im Sinne einer Einfühlung bieten die narrativen Texte allerdings kaum Anhaltspunkte. 124 Vielmehr erzählen sie die Passion Jesu vor allem als Heils g e s c h i c h t e in dem Sinne, dass das Heilsgeschehen in konkrete politische und soziale Verhältnisse eingebettet ist. Die Aktualisierungen dienen größtenteils dazu, diese Ebene zu erschließen. Dadurch wird nicht nur das Heilsgeschehen als Sonderfall in seiner historischen Dimension verständlich gemacht, sondern es werden auch prototypische Situationen herausgearbeitet, die sich auf die Gegenwart der Rezipienten übertragen lassen. Wenn die geschilderten Ereignisse - jedenfalls teilweise - in ein zeitgenössisches kulturelles Umfeld transponiert werden, betrifft das alle Akteure, z. B. auch die Zeugen, die in dem Gerichtsverfahren auftreten - ein erzielen konnte, zur Typisierung und zur »Verewigung« des Handlungsgeschehens vorzudringen.“ (Schnell 1981, S. 233). Zu altfranzösischen Antikenromanen vgl. ähnlich Gosman 1992, S. 52 f. 121 Sicherlich erleichtert die Mediävalisierung eine exemplarische Lektüre. Darüber hinaus werden über Anachronismen in Antikenromanen aber auch zeitgenössische Problemkreise implementiert. Verwiesen sei nur auf die Gestaltung des Prozesses gegen Philotas im Alexander Rudolfs von Ems: Die Frage, in welcher Sprache (makedonisch? ) die Verhandlung geführt werden solle (vgl. Quintus Curtius Rufus, Historiae Alexandri Magni 6,9,36, zitiert nach Olef-Krafft / Krafft 2014), ist dort transformiert zu der Frage, welches Landrecht angewendet werden solle. Philotas erklärt sich bereit, auf das makedonische zu verzichten, da es die meisten der Anwesenden nicht kennten. Das legt ihm Alexander übel aus, da er sich damit von dem Recht des Landes lossage, in dem er geboren sei (vv. 19 563-19 594, zitiert nach Junk 1928). Handlungsimmanent ist hier der schon bei Curtius Rufus angelegte Vorwurf des mangelnden Patriotismus wichtig. Aufgeworfen wird aber auch die Frage nach der Gültigkeit des Personalitätsprinzips bei der Rechtsprechung. 122 Greisenegger 1978, S. 148. Auch Schmid (1975, S. 74) schreibt den Anachronismen eine didaktische Funktion zu. 123 Vgl. Merback 1999, S. 125 (in Bezug auf Referenzen auf zeitgenössische Hinrichtungstechniken in Darstellungen der Kreuzigung): „What made this imagery so compelling for medieval viewers was precisely the way it served the workings of the imagination: its realism stimulated the viewer’s own powers of visualization without supplanting them, and therefore presented itself as a model for the viewer’s synthetic assimilation of past to present, sacred history to familiar reality. It succeeded as realist religious art not when it finally approximated itself to an optical reality against which the viewer might then in turn test it, but rather when it insinuated itself into the beholder’s perceptual frames as a model upon which pious imagination-work could be patterned.“ Zu „verinnerlichende[n] Verkörperungen und verkörperlichende[n] Verinnerlichungen mittels Gestalthaftem, Szenischem, Anschaulichem, das Heil repräsentierbar und übertragbar macht“ vgl. (in Bezug auf das Geistliche Spiel) Kiening 2007b, S. 144. 124 Der Gebetsteil von Christi Hort (s. dazu o. Kap. 3.3.1) bildet dabei eine Ausnahme. In Christi Hort ist außerdem in die Schilderung der Kreuzigung eine Marienklage integriert (vv. 2081-2144). In Diu urstende werden dagegen nur das bloße Faktum der Kreuzigung (vv. 750-764) sowie verschiedene Reaktionen darauf und die begleitenden Wunder (vv. 765-805) berichtet. In der Passage zur Kreuzigung im Evangelium Nicodemi (vv. 1603-2191) wird zwar ausgehend von den Kreuzesworten die theologische Funktion des Leides Jesu ausführlich erörtert, mitleiderregende Details zum körperlichen Leiden Jesu sind jedoch nur knapp berührt (z. B. vv. 1653-1669). 4.3 Mediävalisierung des Heilsgeschehens 201 Situationsmuster, wie es die Rezipienten selbst erleben könnten. Wie das Beispiel der Antikenromane zeigt, bleibt eine derartige Aktualisierung von materiellen Realien und Handlungsabläufen nicht ohne ,Nebenwirkungen‘, da damit auch die Aktivierung von Konzepten aus dem zeitgenössischen Umfeld der Texte verbunden ist (wie das der guten Herrschaft oder der Richterethik). Dass mit den Aktualisierungen von Handlungsabläufen auch bestimmte Wertvorstellungen evoziert werden, auf die der Text jeweils Bezug nimmt, hat sich für die Kerntexte am konkreten Beispiel der Reaktion des Pilatus auf die Vorführung Jesu als Gefangenen in Diu urstende plausibel machen lassen. Es ist daher zu vermuten, dass in den Kerntexten über Verfahren der kulturellen Aneignung nicht nur die Passionsgeschichte neu perspektiviert wird, sondern dass sich die Texte auch in Diskussionszusammenhängen zu Themenfeldern positionieren, die mit ihr in Zusammenhang stehen. 4.3 Mediävalisierung des Heilsgeschehens 203 5 Externe Bezugsfelder von Diu urstende, Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit beschränken sich in den Kerntexten nicht auf materielle Realien - das hat schon die Analyse damit verbundener Scripts gezeigt -, doch kann die Aktualisierung von Realien gegenüber einem Prätext ein Indiz für eine umfassendere kulturelle Aneignung sein, die auf dieser Basis für den modernen Interpreten eines mittelalterlichen Textes einigermaßen sicher greifbar wird. Referenzen auf immaterielle externe Bezugsfelder sind in den Kerntexten allerdings auch für Stellen zu vermuten, an denen solche Indizien nicht vorhanden sind. Sie dürften für Rezipienten der Texte zu deren Entstehungszeit erkennbar und unter Umständen in der Textkonzeption als sinnstiftende Elemente mit einkalkuliert gewesen sein. Die Bestimmung und Rekonstruktion wesentlicher Bezugsfelder gestaltet sich jedoch schwierig: Schon bei Theoriemodellen, mit denen die Rezeption von Erzähltexten unter der Annahme eines ähnlichen kulturellen Umfeldes von Verfasser und Rezipient beschrieben werden soll, ergibt sich das Problem, welche Ausschnitte der Erfahrungswirklichkeit für die Interpretation eines Textes als relevant anzunehmen sind. 1 Wie sich bei Texten aus einer dem Interpreten historisch fremd gewordenen Kultur die Probleme multiplizieren, ist vor allem in Überlegungen einer rezeptionsgeschichtlich ausgerichteten Hermeneutik diskutiert worden, wobei sich die Überlegungen von Hans Robert Jauß bis heute als besonders einflussreich erweisen. 2 Zwar werden seine Thesen in der neueren Forschungsdiskussion überwiegend kritisch beurteilt, 3 die fortwährende Auseinandersetzung damit zeigt aber zugleich, dass sein Verstehensmodell für historische Texte zentrale Punkte berührt. So scheint die Frage nach dem Erwartungshorizont von Rezipienten zur Entstehungszeit eines Textes nach wie vor berechtigt, auch wenn eine Rekonstruktion dieses Horizonts, wie sie Jauß für durchführbar hielt, 4 heute als unmöglich angesehen wird, da schon kulturspezifische Wahrnehmungsmuster nicht einholbar sind. 5 Über eine Kontextanalyse oder mithilfe von Methoden der Historischen Semantik kann jedoch wenigstens insoweit eine Annäherung an intersubjektive Wissensbestände erreicht werden, als Sinnmuster sichtbar werden, die sich einem modernen Rezipienten nicht unmittelbar erschließen: 6 Das betrifft sowohl er- 1 Mit der Annahme der Existenz allgemein relevanter Kontexte soll nicht die Offenheit literarischer Texte geleugnet werden, die individuelle Lektüren zulassen (vgl. dazu in Bezug auf ,Unbestimmtheitsstellen‘ Ingarden 1968, S. 49-63), sondern es sind Wissensbestände gemeint, mit denen ein Rezipient automatisch bis zu einem gewissen Grad die Ausschnitthaftigkeit der erzählten Welt kompensiert. 2 Vgl. bes. Jauß 1977. 3 Das betrifft insbesondere sein Alteritätskonzept, aber auch seine hermeneutischen Prämissen (vgl. dazu u. a. Kiening 2005; Becker / Mohr 2012, S. 11-22; Baisch 2013, S. 191-197; Braun 2013, S. 11-17; Kablitz 2013, S. 97-106). 4 Vgl. z. B. Jauß 1979 (1975), S. 136; 1977, S. 10. 5 Vgl. Waltenberger (2002), der aber immerhin „eine offene Annäherung der interpretativen Grundeinstellungen“ für möglich hält (ebd., S. 169, Anm. 22). Zum Problem der Rekonstruktion der historischen Rezeptionsvoraussetzungen vgl. auch Zerweck 2002, S. 237-239; Vollhardt 2003, S. 201-204. 6 Vgl. Waltenberger 2002, S. 161; Vollhardt 2003, S. 204-209. 204 5 Externe Bezugsfelder zählerische Konventionen mit ihren Implikationen als auch die inhaltliche Positionierung von Texten in bestimmten Diskursfeldern. Um dem letztgenannten Punkt näherzukommen, werden im Folgenden einige thematische Bereiche, die für die Kerntexte zentral sind, näher erkundet. Die Untersuchung von Kontexten erhebt dabei nicht den Anspruch, die Rezeptionsbedingungen rekonstruieren zu wollen, sondern soll den Blick für zeitgenössische Problemstellungen schärfen, die auch in den literarischen Texten verhandelt werden. 7 In modifizierter Form kommt das Jauß’sche Modell von Frage und Antwort zur Anwendung, nach dem eine Rekonstruktion des historischen Erwartungshorizonts es dem Interpreten ermögliche, die „ Fragen zu stellen, auf die der Text eine Antwort gab “. 8 Zu Recht ist eingewandt worden, dass die Annahme, literarische Texte gäben Antworten, ihrem Wesen nicht gerecht werde. 9 Doch hat sich damit die Rekonstruktion von Fragen, mit denen sich literarische Texte auseinandersetzen, noch nicht erledigt. 10 Im Prinzip verfahren kulturwissenschaftliche Analysen ähnlich, wenn etwa herausgearbeitet wird, wie „die literarischen Entwürfe […] ›Verhandlungen‹ und reflexive Stellungnahmen unterschiedlichster Komplexität“ inszenieren. 11 Solche reflexiven Stellungnahmen können auf der Diskursebene ansetzen, sie können sich aber 7 Vgl. Waltenberger (2002, S. 164) zu einer solchen Funktion einer Kontextanalyse, die es vermeide, den literarischen Text als Ergebnis der in den Kontexten fassbaren Sinnstrukturen zu betrachten. Grundsätzlich zur Kontextanalyse vgl. auch Kiening 2003, S. 26 f.: „Beide Ansätze [sc. Sozialgeschichte und New Historicism ] reagieren auf ein bekanntes Problem: Texte spiegeln nicht einfach Wirklichkeit, sie bilden eigene Formen symbolischer Ordnungen, sind selbst schon soziale Tatsachen und erheben als solche einen nicht nur literarischen Geltungsanspruch. Aber sie können dies nur, weil sie zugleich in Kontexte eingebettet sind und diese überschreiten. Daraus ergibt sich ein ebenso bekanntes Dilemma: Die wissenschaftliche Erschließung muß immer eine von Texten wie Kontexten sein. Sie kann aber nie Gewißheit erlangen, welcher Art die Beziehung der beiden zueinander ist: komplementär oder kontrastiv, affirmativ oder subversiv, inhaltlich oder formal.“ 8 „ Die Rekonstruktion des Erwartungshorizontes, vor dem ein Werk in der Vergangenheit geschaffen und aufgenommen wurde, ermöglicht […], Fragen zu stellen, auf die der Text eine Antwort gab, und damit zu erschließen, wie der einstige Leser das Werk gesehen und verstanden haben kann. “ ( Jauß 1979 [1975], S. 136 [Kursivierung im Original]). 9 Vgl. Stierle 1997, S. 67; Kiening 2003, S. 11: „Auch das Modell von Frage und Antwort, aus der Hermeneutik des Gesprächs stammend, ist nicht problemlos auf die Hermeneutik von Texten übertragbar. Texte sind nicht einfach dialogische Konstellationen, in denen um Problem und Lösung gerungen würde.“ (ähnlich ders. 2005, S. 157). 10 Vgl. dazu Iser (1979 [1975], S. 311) in Bezug auf fiktionale Texte, die nach seinem Modell häufig außertextuelle Normen umcodieren: „Entstammt der Text der Lebenswelt des Lesers, so hebt er durch die im Repertoire erfolgte Umcodierung geltender Normen diese aus ihrem sozio-kulturellen Funktionszusammenhang heraus und läßt dadurch die Reichweite der Wirksamkeit erkennen. Sind aber die Normen des Repertoires [sc. des Textes] für den Leser durch die zeitliche Distanz zu einer historischen Welt geworden, weil er nicht mehr an dem Geltungshorizont partizipiert, aus dem das Repertoire geschöpft ist, dann bieten sich ihm die umcodierten Normen als Verweisungen auf diesen Geltungshorizont. Dadurch läßt sich die historische Situation wiedergewinnen, auf die sich der Text als Problemlösung bezogen hatte.“ Zur ,Weltbezogenheit‘ literarischer Texte vgl. auch die ,neue‘ literaturwissenschaftliche Problemgeschichte, exemplarisch Werle 2006, S. 481: „Der Primärkontext für in Texten aufgefundene Ideen sind die ›realweltlichen‹ Probleme, auf die sie reagieren.“ 11 Vgl. Friedrich (2009, S. 38) in der programmatischen Einleitung zu seiner Untersuchung zu Diskursen der Grenzziehung und Grenzüberschreitung zwischen Mensch und Tier im Mittelalter. Er will kulturwissenschaftliche Ansätze jedoch deutlich von Text-Kontext-Untersuchungen unterschieden wissen: „Doch geht es in kulturwissenschaftlicher Perspektive nicht um die klassische Situierung eines Textes im historischen Kontext, sondern um den Symbolgehalt des Kontextes selbst.“ (S. 30). 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 205 auch - thematisch enger gefasst - auf eine Ebene beziehen, die hier behelfsmäßig mit ,Problemkreis‘ bezeichnet werden soll. 12 Orientierung für die Auswahl der zu erschließenden kontextuellen Felder sind die in Kapitel 3 herausgearbeiteten thematischen Linien zu geriht , wârheit , reht und ê , wobei eine die Ergebnisse der Textanalyse aufnehmende Zuspitzung auf die Fragen nach der Verantwortung des Richters, der Bedeutung von Zeugenschaft und der göttlichen Legitimation des Rechts erfolgt. Da sich der kulturelle Kontext heute nur noch in Texten im engeren Sinne 13 fassen lässt, werden zu Beginn der folgenden Abschnitte jeweils diskursive Schlüsseltexte untersucht, in denen sich Aspekte bündeln, die in der thematischen Analyse als relevant erkannt worden sind. Ausgehend von einer weiteren Kontextualisierung der in den Schlüsseltexten fassbaren Problemkreise wird der Blick - in einer bewusst zirkulären Bewegung - dann wieder auf die Kerntexte gelenkt, um deren Referenz auf diese Problemkreise genauer zu bestimmen. Dass es nicht um eine Abhängigkeit der Erzähltexte von den herangezogenen Schlüsseltexten geht, zeigt schon die Chronologie: Die Glosse des Johannes von Buch zum Sachsenspiegel -Landrecht ist zeitlich nach allen Kerntexten anzusiedeln, die Legenda aurea und der Schwabenspiegel zumindest nach der Abfassung von Diu urstende . Gemeinsam ist den ausgewählten Texten aber eine gewisse Nähe zur überwiegend volkssprachigen ,Laienkultur‘, 14 d. h., die Problemkreise werden darin in einer Sphäre greifbar, der auch die Kerntexte zuzuordnen sind. 5.1 geriht: Die Verantwortung des Richters In der Glosse zum Sachsenspiegel -Landrecht, die Johannes von Buch ab 1325 verfasste, finden sich ausführliche Darlegungen zur Rolle des Richters: 15 Capitulum XXVIII […] [ III 30 § 2 ] De richter schal ghelike richten allen luden; ordel en schal he nicht vynden noch schelden . […] [ III 30 § 2 ] De richtere et cetera. O du richter, wes gherecht vnde denke an dat gherichte godes. Wente god to der zuluen tid vnde to der suluen stunde vnde in der zuluen stede richtet ouer dy, wan du richtest ouer enen anderen, ut C. de iudicijs l. rem non novam, 16 et XI q. III c. quicumque. 17 12 Die Bezeichnung erfolgt im Anschluss an die neuere problemgeschichtliche Forschung, die nicht von überzeitlichen Problemen ausgeht, sondern ,Problem‘ als Kategorie nutzt, um thematisch gebundene Korrespondenzen zwischen Text und Kontext aufzudecken (vgl. Spoerhase 2010, S. 120 f.). 13 Zu ,Kultur als Text‘ vgl. z. B. Müller 2000, S. 466 f.; Friedrich 2009, S. 32, jeweils mit weiterer Literatur. 14 Gedacht ist hier an die bildungsgeschichtlichen Implikationen des Laienbegriffs (vgl. dazu Steer 1983). Hinsichtlich des Bildungsgrades sind auch Zwischenformen wie lateingebildete Laien anzunehmen (vgl. dazu Schreiner 1992, mit einer Problematisierung des Laienbegriffs). Die Glosse des Johannes von Buch dürfte wegen der Verwendung zahlreicher Allegationen nur literaten Rezipienten voll verständlich gewesen sein, war aber in ihrer Volkssprachigkeit auf einer anderen Ebene auch nicht-lateinkundigen Rezipienten zugänglich. 15 Zur Datierung vgl. Kannowski 2007, S. 61-65; Manuwald 2013, S. 366. 16 Cod. 3,1,14. 17 Decretum Gratiani , C. 11 q. 3 c. 79. 206 5 Externe Bezugsfelder Hir hebbe wy dy vele aff ghesecht. Wultu id bewaren, so beware dy vor veer stucke: Do nen vnrecht dor vrochten, noch dor ghiricheit , noch dor had, noch dor leue. Wente dor desser verer en werden de rechte vorkeret, ut XI q. III c. quatuor. 18 Dit menet he hir, dar he secht: De richter schal ghelike richten allen luden. Nu mochtestu zeggen: Du lest ouele vppe de richter. Weme moghen ze vnrechte don, na deme dat hir steit: Se en schollen ne wedder ordel vinden eder schelden? Merke: We it ordel vint, de is en richter der vraghe , vnde de wert vmme en vnrecht ordel ghewiset vor de duuele, vnde de richter varet na, de des stadet, vnde de dat heten vinden, de varet hindene mede, vnde de dat vulborden vnde dat beter weten. Des hefstu orkunde an deme ordele, dat ouer vnsen heren ghing. Se, Pilatus vraghede des ordeles, wat he mit Ihesu don scholde, do reden de vorsten der prestere deme volke, do vant dat volke, me scholde ene crucighen. Nu merke euen: Dat ordel vant id volk, de prestere de redent, vnde de richter de ghaf dar stade to. Nu ze, wy hir vnschuldich is, vnde de blifft noch vnschuldich. Wente we dat ordel vind, de is des richteres ratgheue, na deme schal he don, dest se wol raden. Dat hir steit, de richter en scholle nen ordel vinden, dat is, he en schal nen nye recht vynden, mer he schal richten na bescreuenem rechte, ut Instit. de officijs omnium iudicum § I, 19 et C. de iudicijs l. iudices, 20 et in autent. de iudicibus § omnis coll. VI . 21 Dat he des ok nicht vinden en schal, dat is, he schal des enen anderen vragen, de sik da vort vmme bespreke. Wente ordele scholen mit rade ghevunden werden, ut in autent. de iudicibus § I coll. VI . 22 Dat ok hir steyd, he scholle nen ordel schelden, dat is, dat he schal nemende vppe schaden dryuen. Mer he schal zeggen: Bespreket gik bad. / Edder he schal zeggen: Halet dat ordel, dar gi to rechte schollet. Edder he schal id dagen. Dat menet he, dar he secht, de richtere schollen wijs sin, ut Instit. in prohemio § summa, 23 et C. de postulando l. II , 24 et in autent. de iudicibus § I coll. VI . 25 […] 26 Die Rolle des Richters gehört zu denjenigen Punkten, in denen sich das ,deutsche‘ und das römisch-kanonische Recht deutlich unterscheiden, da dem selbsturteilenden Richter des römisch-kanonischen Rechts der Richter als Leiter des Verfahrens im ,deutschen‘ Recht gegenübersteht. 27 In dem zwischen 1220 und 1230 verfassten Sachsenspiegel 28 ist die Beschränkung der Aufgaben des Richters klar benannt, wenn gesagt wird, ein Richter solle weder Urteile finden noch schelten (Ldr. III 30,2). 29 Insofern verwundert es nicht, dass in der ein Jahrhundert später verfassten Glosse des Johannes von Buch, der versucht, den 18 Decretum Gratiani , C. 11 q. 3 c. 78. 19 Richtig: Inst. 4,17 pr. 20 Cod. 3,1,9. 21 Nov . 82,13. 22 Richtig: Nov. 82 pr. 23 Inst. , constitutio „Imperatoriam“ § 7. 24 Cod. 2,6,2. 25 Richtig: Nov. 82 pr. 26 Zitiert nach Kaufmann 2002, Bd. 3, S. 1105-1113; auch die Auflösung der Allegationen ist von dort übernommen. 27 Dazu und zu den notwendigen Differenzierungen einer solch binären Gegenüberstellung vgl. Ebel 2004 (1996). 28 In diesem Zeitraum ist wohl die Erstfassung anzusetzen (vgl. Schmidt-Wiegand 1980, Sp. 403); zu den verschiedenen Bearbeitungsstufen vgl. Oppitz 1990, S. 21-30; Kümper 2009, S. 134-165. Zur Verwendung der Ausgabe Homeyers (1861) s. o. S. 14, Anm. 22. 29 Zur Urteilsfindung nach sächsischem Recht vgl. Landwehr 1979. Zur Urteilsschelte vgl. Kaufmann 1998b (mit weiterer Literatur). 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 207 Sachsenspiegel in das römisch-kanonische Recht zu integrieren, 30 gerade diese Stelle einigen Interpretationsaufwand hervorrief. 31 Zunächst wird der Satz De richter schal ghelike richten allen luden 32 in einer Apostrophe an den Richter als Aufforderung zur Gerechtigkeit ausgelegt, der ein Richter im Hinblick auf das Jüngste Gericht folgen solle. Zur Explikation des gerechten Richtens führt der Glossator - unter Verweis auf Gratian - aus, welche vier Fehler zu vermeiden seien: Der (immer noch mit ,du‘ angesprochene) Richter solle sich weder aus Furcht noch aus Gier, 33 weder aus Hass noch aus Liebe zum Unrecht bewegen lassen. Darauf wird ein möglicher Einwand eines ,du‘ angeführt ( Nu mochtestu zeggen ), dass der Glossator den Richtern zu viel aufbürde: Wem sollten sie denn Unrecht tun, wenn sie weder Urteile finden noch schelten dürften? In der mit Merke eingeleiteten Antwort des Glossators erfolgt zunächst eine terminologische Klärung: Ein Urteilsfinder sei en richter der vraghe ; 34 er müsse wegen eines unrechten Urteils zur Hölle fahren. Das betreffe ebenso den Richter, der dem stattgebe. Nachdem nochmals der Urteilsfinder genannt wird, wird schließlich die Gruppe derjenigen, die wider besseres Wissen einem unrechten Urteil zugestimmt hätten, als verdammungswürdig eingestuft. Mit der Aufzählung der Verdammten soll offenbar der Einwand, ein Richter könne kein Unrecht tun, widerlegt werden, da nach dieser Darstellung alle am Verfahren Beteiligten Verantwortung tragen. 35 Zum Beweis ( orkunde ) 36 der Richtigkeit des Gesagten führt der Glossator das Urteil des Pilatus über Jesus an. Wiederum werden verschiedene Akteure unterschieden: Der Richter Pilatus habe das Urteil erfragt, das Volk habe das Urteil gefunden, die Hohepriester seien beratend tätig gewesen. Der Satz Nu ze, wy hir vnschuldich is, vnde de blifft noch vnschuldich. scheint sich auf den Richter zu beziehen, denn zur Erläuterung heißt es, dass der Richter dem Ratgeber, der hier als Urteilsfinder definiert wird, folgen solle. Die Präzisierung, dass das gelten solle, wenn der Rat gut sei, 37 weist dem Richter aber wieder Verantwortung zu, 30 Vgl. dazu Kannowski 2007, bes. S. 593. 31 Zur Kommentierung von Ldr. III 30,2 durch Johannes von Buch vgl. Weitzel 1985, S. 970-974; Schulz 1998, S. 69 f.; Kannowski 2007, S. 121-123. Zum Richterbild in der Glosse insgesamt vgl. Kannowski ebd., S. 107-151. Vgl. auch das Glossar zur Buch’schen Glosse (Kaufmann / Neumeister 2015), s. v. richter (Bd. 2, S. 894-902). 32 Der Satz hat im Kontext des ,deutschen‘ Rechts den Charakter eines Rechtssprichworts (vgl. dazu Janz 1989, S. 318-320; Schmidt-Wiegand / Schowe 1996, S. 278). 33 Die Gier kann als Leitmotiv der Richterkritik in der Glosse gelten (vgl. dazu Kannowski 2007, S. 129-131). 34 Zu Bedeutung von rihter als „derjenige, der über eine frage entscheidet“ vgl. BMZ, s. v. Zur Rollenverteilung zwischen Richter und Urteilsfinder vgl. auch die Glosse , cap. LXX zu Ldr. III 78,1 (zitiert nach Kaufmann 2002, Bd. 3, S. 1450-1456; vgl. dazu Kannowski 2007, S. 131-134; 572). - Zu vrag ( h ) en im Sinne von ,um ein Urteil bitten‘ vgl. das Glossar zur Busch’schen Glosse (Kaufmann / Neumeister 2015), s. v. vrag ( h ) en und vrag ( h ) er (Bd. 2, S. 1291 f.). 35 Vgl. dazu Schulz 1998, S. 68. 36 Kaufmann und Neumeister (2015, Bd. 3, S. 820) interpretieren orkunde an dieser Stelle als „das Beispiel, das Exempel“; im Rahmen des Argumentationszusammenhangs hat das gebrachte Beispiel aber zugleich Belegcharakter. 37 Weitzel (1985, S. 971 f.) zitiert den Text der 1545 bei Nicolaus Wolrab gedruckten Glossenausgabe, bei der mit Überarbeitungen zu rechnen ist (vgl. Kannowski 2007, S. 24-28). Danach soll der Richter den Ratgebern folgen, ob sie wol unrecht rathen (Weitzel ebd., S. 972). Auf dieser Grundlage kommt Weitzel (ebd.) zu dem Schluss: „Es wird also letztlich die Ausgabe des unrichtigen Urteils durch einen Hinweis auf die Bindung des Richters entschuldigt.“ 208 5 Externe Bezugsfelder zumal bei dem Pilatus-Urteil als Exemplum klar ist, dass der Rat, den er erhalten hat, nicht gut war. Der nächste Abschnitt bringt keine weitere Aufklärung über die Verteilung der Verantwortlichkeiten, denn der Glossator will dort den Satz aus dem Sachsenspiegel , dass ein Richter nicht Urteilsfinder sein solle, mithilfe von Stellen aus dem römischen Recht dahingehend uminterpretieren, dass ein Richter sich auf schriftlich kodifiziertes Recht stützen (also Urteile nicht ,erfinden‘) und sich beraten (also Urteile nicht allein finden) solle. Bei der Auslegung des Satzes aus dem Sachsenspiegel , dass ein Richter nicht zur Urteilsschelte schreiten dürfe, wird der Akzent nicht darauf gelegt, dass es ihm institutionell nicht zukommt, sondern darauf, dass der Richter die mit der Schelte verbundene Drohung (sc., dass der Urteilsfinder für das gescholtene Urteil einstehen müsste) besser vermeide. Stattdessen solle der Richter die Urteiler bitten, sich besser zu beraten oder das Urteil holen zu lassen (sc. im Rahmen eines Rechtszuges), 38 oder er solle die Verhandlung vertagen. 39 Interessanterweise werden für diese Empfehlungen keine Allegationen genannt. Erst die Forderung nach der Weisheit von Richtern wird wieder durch Stellenangaben abgesichert. Es ist also zu vermuten, dass mit der Maßgabe, wie ein Richter statt des schelden eines Urteils verfahren solle, Verhaltensweisen eines weisen Richters benannt werden, die nach sächsischem Recht möglich waren und zum gerechten Richten gehören, wie es bereits im Sachsenspiegel gefordert ist. 40 Der auffälligste Zug der Passage aus der Glosse ist sicherlich die juristische Betrachtungsweise des Prozesses gegen Jesus, und zwar unter ,deutschrechtlichen‘ Vorzeichen, 41 die einmal mehr zeigt, dass die historischen Umstände des Prozesses in mittelalterlichen Interpretationen ganz in den Hintergrund treten können. Der Kommentar bündelt aber auch Vorstellungen über die Verantwortlichkeit eines Richters nach sächsischem bzw. römischkanonischem Recht, wie sie bereits im 13. Jahrhundert koexistierten. Indem der Glossator für die Richteruntugenden auf Gratian verweist und dann den fiktiven Einwand bringt, wird in der Glosse ein Gegensatz zwischen dem sächsischen und dem kanonischen Recht aufgebaut. Im Prologus des Sachsenspiegels ist eine vergleichbare Anforderung an rechtliches Handeln tatsächlich offener formuliert, 42 sodass sie auf alle an der Rechtsfindung Beteiligten bezogen werden kann. Jedoch ist die Gegenüberstellung der Richterrollen in der Glosse überzeichnet, da die dort genannten Fehler eines Richters auf eine Richterethik zurückgehen, die jenseits der Ausdifferenzierung in römisch-kanonisches Recht und ,deutsche‘ Rechtsgewohnheiten zu liegen scheint. 38 Vgl. dazu von Planck 1879, Bd. 1, S. 256-262. 39 Vgl. dazu Weitzel 1985, S. 974; Ebel 2004 (1996), S. 329 f. 40 Von Planck (1879, Bd. 1, S. 89 f.) setzt den in der Glosse skizzierten Spielraum von dem im Sachsenspiegel fixierten Konzept ab. Weitzel (1985, S. 970 f.) sieht die Ausführungen in der Glosse zwar auch als Dokument einer sich wandelnden Richterkonzeption an (so auch Kannowski 2007, S. 123), kritisiert aber an von Planck, dass er nicht berücksichtige, dass die Glosse dem Richter verwehre, „die Ausgabe des Urteils endgültig zu verweigern“. Allerdings beruht Weitzels Interpretation auf dem Text einer späten Druckausgabe der Glosse (s. o. S. 207, Anm. 37). Inwiefern die Glosse an dieser Stelle tatsächlich eine Weiterentwicklung festhält, ist schwer zu sagen, weil im Sachsenspiegel nicht behandelt wird, wie der Richter mit einem ungerechten Urteilsvorschlag umgehen soll. 41 Vgl. dazu Kannowski 2007, S. 121-123. 42 Von rechte ne sal nemanne wisen lieve, noch leide, noch torn, noch gift . ( Prologus ). 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 209 Bereits im Alten Testament wird Bestechlichkeit als mögliches Fehlverhalten von Richtern thematisiert. 43 Eine regelrechte Lehre von vier negativen Einflussfaktoren ist dann bei Isidor von Sevilla ausformuliert worden: Quattuor modis iudicium humanum peruertitur: timore, cupiditate, odio, amore. Timore dum metu potestatis alicuius ueritatem loqui pauescimus; cupiditate dum praemio muneris alicuius corrumpimur; odio dum contra quemlibet aduersari molimur; amore dum amico uel propinquis praestare contendimus. His enim quattuor causis saepe aequitas uiolatur, saepe innocentia laeditur. (Isidor von Sevilla, Sententiae 3,54,7) 44 „Auf vier Arten wird das menschliche Urteil verdorben: durch Furcht, Begehrlichkeit, Hass und Liebe. Durch Furcht, wenn wir aus Angst vor jemandes Macht uns fürchten, die Wahrheit zu sagen; durch Begehrlichkeit, wenn wir uns durch den Vorteil irgendeines Geschenks bestechen lassen; durch Hass, wenn wir gegen irgendjemanden feindlich vorgehen; durch Liebe, wenn wir darauf aus sind, einem Freund oder Verwandten zu Diensten zu sein. Aus diesen vier Ursachen nämlich wird oft der Gerechtigkeit Gewalt angetan, wird oft die Unschuld verletzt.“ Die quattuor modi finden in der Folge nicht nur Eingang in das Decretum Gratiani , sondern - im Zuge der Rezeption fremder Rechte - auch gleichermaßen in ,deutschrechtliche‘ Richter- und Urteilereide. 45 Dass ein Urteiler ,Richter‘qualitäten benötigt, klingt in der Glosse des Johannes von Buch noch an, wenn er als richter der vraghe bezeichnet wird. 46 Die Übertragung der bei Gratian genannten Anforderungen auf einen Richter im ,deutschrechtlichen‘ Verfahren ist auch vor dem Hintergrund der Orientierung an christlich vermittelten Gerechtigkeitsidealen zu sehen. 47 Die auf biblischen Grundlagen fußende scholastisch- 43 Vgl. Sigismund 2009. Zu Dt 18,18 f. vgl. auch Evans 2002, S. 111. 44 Zitiert nach Cazier 1998. Nach Drüppel (1981, S. 290; vgl. dazu auch Scheyhing 1960, S. 185) ist der Negativkatalog erstmals bei Isidor belegt. Im Decretum Gratiani wird an der entsprechenden Stelle auf Augustinus verwiesen (C. 11 q. 3 c. 78; das Decretum Gratiani wird hier und im Folgenden nach der Ausgabe von Friedberg 1879 zitiert). Hinter der Autorität des Augustinus verbirgt sich aber wohl eine Passage aus dem Amos-Kommentar des Hieronymus (vgl. den Kommentar Friedbergs 1879 zur Stelle), in der (wie im Decretum Gratiani , C. 11 q. 3 c. 79) von Verwandtschaft und Freundschaft bzw. Feindschaft und Hass als negativen Einflussfaktoren die Rede ist (vgl. In Amos 3,4,12 / 15; zitiert nach Adriaen 1969, S. 311, Z. 430-447). Für den Bezug auf Augustinus könnten dessen breite Ausführungen zu den Qualitäten eines Richters auschlaggebend gewesen sein (zur Richterethik des Augustinus vgl. Kuhn 2009 [2007], S. 119-135; 153 [zur Bestechlichkeit]; Hellebrand 2010, S. 216-229). 45 Vgl. Scheyhing 1960, S. 185 f.; Drüppel 1981, S. 290-296; Ostwaldt 2009, S. 133. 46 Vergleichbare semantische Verschiebungen scheinen auch in der Lex Baiuvariorum vorzuliegen, wo mit dem iudex , von dem bestimmte Qualitäten gefordert werden, wohl der Urteiler gemeint ist (vgl. dazu Kroeschell 1986, S. 63-66; vgl. aber zur Diskussion über die Aufgaben des iudex nach der Lex Baiuvariorum auch Köbler 1970, S. 89, mit weiterer Literatur). 47 „Die Aufnahme der fremden Rechte weist bei den Richter- und Schöffeneiden sonach eine eigenartige Gestaltung auf. Es handelt sich nicht um die Übernahme eines Rechtsinstitutes, mag auch das römische Recht mancherorts das Anwendungsgebiet der Richter- und Schöffeneide erweitert oder vertieft haben, sondern um eine wohl bis ins hohe Mittelalter zurückreichende Ausbildung einer Lehre von den Richterpflichten, bei der die Kirche mitgewirkt hat, nicht ihre eigene geschichtliche [ sic ] gewordene Rechtsordnung durchsetzend, sondern als Hüterin der Gerechtigkeit.“ (Scheyhing 1960, S. 190 f.). Vgl. in diesem Zusammenhang die Identifizierung von Christus mit iustitia in der Passage zu den quattuor modi im Decretum Gratiani (C. 11 q. 3 c. 79, s. dazu o. Anm. 44): Quicumque aut consanguinitate, aut amicitia, uel hostili odio, uel inimicitiis in iudicando ducitur, peruertit iudicium Christi, qui est iustitia, et fructum illius uertit in amaritudinem. („Jeder, der sich beim Urteilen durch Verwandtschaft oder Freundschaft, durch feindseligen Hass oder Feindschaften leiten lässt, macht das Urteil Christi zunichte, der die Gerechtigkeit ist, und verkehrt seine Frucht in Bitterkeit [sc. der Ungerechtigkeit].“). 210 5 Externe Bezugsfelder kanonistische Lehre vom bonus iudex , 48 der letztlich Gott zum Modell hat, 49 fand als System der Richtertugenden etwa Eingang in die süddeutschen Rechtsspiegel. 50 In dem zwischen 1274 und 1275 abgeschlossenen Deutschenspiegel 51 heißt es: ein isleich richter sol vier tugunt an im haben. Die haizzent fu ͤ rsten v ͤ ber alle tugent. Daz ist dev rechtichait vnd dev weizhait vnd stæte. vnd dev mazze. er sol reht sein also daz er durch liebe noch durch gu ͦ tes liebe noch durch veintschaft niht entu ͦ wan daz recht sei. […] ein richter sol also stæt sein. daz er seinen leib vnd sein gu ͦ t sol wagen daz er daz rechte scherm. er sol also witzig sein. daz er daz vbel von dem gu ͦ ten. vnd daz gu ͦ te von dem Vbeln chu ͤ nne geschaiden. vnd chan er daz so ist er ein weiser richter die pesten tugent sol er haben. daz ist daz er got fu ͤ rchten sol. vnd daz er daz rechte minnen sol. vnd ellev vnrechtev dinch hazzen sol. so ist er ein weiser richter tu ͦ t er dev dinch. […] ( Deutschenspiegel , Ldr. 77,3) 52 Dass die geforderten Richtertugenden in der christlichen Morallehre begründet sind, wird auch im Deutschenspiegel selbst deutlich, wenn die Verfehlung eines bestechlichen Richters mit der des Judas verglichen wird (Ldr. 77,8). Doch: „Warum muss ein Richter überhaupt weise sein, wenn ihm die Urteilsfindung nicht obliegt? “, mag man mit dem fiktiven Gesprächspartner des Glossators Johannes von Buch fragen. Auch im Deutschenspiegel wird erläutert, dass es vor wertleichem gerichte nicht die Richter seien, die das Urteil sprächen (denn sie seien nicht alle weise, und es könne gut sein, dass in der Gerichtsversammlung Leute säßen, die weiser seien als der Richter allein! , Ldr. 77,5). Im Deutschenspiegel wird die Spannung zwischen der Verteilung der Verantwortlichkeiten nach der Gerichtsverfassung und der christlichen Richterethik so aufgelöst, dass es auch als Verfehlung des Richters verstanden wird, wenn er anderen Leuten erlaubt, ein unrechtes Urteil zu sprechen. 53 Wie ein weiser Richter durch eine geschickte Verhandlungs- 48 Vgl. dazu Küper 1967, S. 85-90. Vgl. auch schon die christlich geprägte Richterethik des Augustinus (s. dazu o. S. 209, Anm. 44). Zum Richter als bonus vir im mittelalterlichen römischen Recht vgl. Lepsius 2003, S. 209 f. 49 Vgl. Kroeschell 1986, S. 464 f. Dass bei der Vorstellung von Gott als gerechtem Richter menschliche Maßstäbe auf ihn übertragen werden, zeigt sich deutlich in der Legenda aurea , wo (im Kapitel De adventu domini ) in einem längeren Argumentationsgang bei der Beschreibung von Christus als idealem Richter (vgl. dazu Schwarz 1981, S. 545) unter anderem seine Immunität gegen die klassischen Fehler eines Richters genannt wird: Quartum est severitas iudicantis. Non enim flectetur timore, quia omnipotens est. […] Nec munere, quia ditissimus est. […] Nec odio, quia optimus est. […] Nec amore, quia iustissimus est. […] Iterum nec errore, quia sapientissimus est. […] (cap. 1,10 [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 94, Z. 9-28] = M., cap. 1,151-166; „Das vierte ist die Strenge des Richtenden. Denn er wird sich nicht umstimmen lassen: Nicht durch Furcht, denn er ist allmächtig. […] Nicht durch ein Geschenk, denn er ist der Reichste. […] Nicht durch Hass, denn er ist der Beste. […] Nicht durch Liebe, denn er ist der Gerechteste. […] Auch nicht durch Irrtum, denn er ist der Weiseste. […]“; Übersetzung nach Häuptli ebd., S. 95). 50 Vgl. dazu Scheyhing 1960, S. 186; Küper 1967, S. 90-93; Tamás 2015, S. 77 f. 51 Zu dessen literatur- und rechtsgeschichtlicher Bedeutung vgl. Oppitz 1990, S. 33 f.; Johanek 1995; Ertl 2006, S. 348-353. Die im Landrechtsteil entwickelte Richterethik ist auch im Kontext des vorangestellten Buchs der Könige alter ê mit seinen Exempla mustergültigen Richtertums zu sehen. 52 Der Deutschenspiegel wird nach der Ausgabe von Eckhardt 1971 zitiert. Vgl. ähnlich Schwabenspiegel , Ldr. 71,3 (zu den verschiedenen Fassungen des Schwabenspiegels und zur Zählung s. u. S. 254, Anm. 278). 53 Swelch richter unreht vrtail geit. oder andern leuten gestattet. daz si vnreht vrtail sprechent. tu ͦ t er daz durch liebe oder durch haz oder durch gu ͦ tes willen. Der verleuset gotes hulde. (Ldr. 77,4). Vgl. auch Ldr. 77,8: da von sullen sich die richter hu ͤ ten. daz si niemen dhain vnreht tu ͦ n noch gestatten ze tu ͦ n. 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 211 führung den Ausgang des Verfahrens beeinflussen kann, ist dem letzten Absatz des Zitats aus der Glosse zu entnehmen; weitere Beispiele ließen sich beibringen. 54 Auch beim selbsturteilenden Richter des römisch-kanonischen Rechts ist zu fragen, inwieweit ein gerechtes Urteil von den Richtertugenden abhängt. Das vom Glossator auf der Grundlage römischrechtlicher Quellen entworfene Bild eines Richters, der geschriebenem Recht folgt, 55 deutet eine Bindung auch an verfahrensrechtliche Abläufe schon an. Im gelehrten Recht wurde ein anderes Problem intensiv diskutiert: Darf ein Richter bei seiner Entscheidung privates Sonderwissen über den Fall berücksichtigen, oder muss er auf der Grundlage des Tatsachenstoffes entscheiden, der von den Parteien eingebracht wurde? 56 Die ausdifferenzierte Diskussion kann hier nicht im Einzelnen nachvollzogen werden, aber die vorherrschende Meinung lässt sich so zusammenfassen, dass der Richter - wider besseres Wissen - einen Unschuldigen verurteilen solle, um das vorgeschriebene prozessuale Vorgehen zu wahren, denn dann sei es das Gesetz, das töte, nicht der Richter. Dahinter steht die Vorstellung von einer Gefahr für die Seele des Richters: Handele er in rechter Gesinnung unter Einhaltung der prozessualen Ordnung ( ordo iudiciarius ), bleibe er als Werkzeug Gottes von Sündenschuld frei und werde nicht zum Mörder. 57 Über den konkreten Streitpunkt hinaus lässt die Diskussion zwei allgemein wesentliche Aspekte sichtbar werden: zum einen die strukturelle Nähe eines Todesurteils zum Mord, 58 zum anderen das Sündenparadigma als mögliche Herangehensweise bei der moralischen Beurteilung des Verhaltens von Personen, die an Gerichtsverhandlungen beteiligt sind. Thomas von Aquin, der sich in seiner Summa Theologiae mehrfach mit dem Problem auseinandersetzt, ob der Richter sein privat erworbenes Wissen nutzen dürfe (vgl. auch II a - II ae q. 67), 59 geht bei der Diskussion der Frage, wie ein Richter verfahren solle, wenn er weiß, dass ein Unschuldiger von falschen Zeugen beschuldigt wird, 60 auch darauf ein, ob falsche Zeugen und diejenigen, die ein Todesurteil ausführen, Sünde auf sich laden: Ad tertium dicendum quod iudex, si scit aliquem esse innocentem qui falsis testibus convincitur, debet diligentius examinare testes, ut inveniat occasionem liberandi innoxium, sicut Daniel fecit. Si autem hoc non potest, debet eum ad superiorem remittere iudicandum. Si autem nec hoc potest, non peccat 54 „Nur in scheinbarem Widerspruch steht der Ruf nach dem rechtskundigen Richter zu der verfassungsrechtlichen Regelung, die ihm die Beteiligung an der Rechtsfindung versagte. Zwar war und blieb seine abweichende Rechtsauffassung unbeachtlich; er hatte die rationabilem sentenciam der Urteiler ohne Beeinflussungsversuch anzunehmen und auszuführen. Doch dieses Gebot schloß nicht zugleich die Verpflichtung ein, offenkundigem Unrecht den Arm zu leihen. Richterliches Rechtsverständnis wirkte in den Formen des passiven Widerstands: ohne den Richter konnte das Gericht nicht gehegt, ohne seinen Befehl der Urteilsspruch nicht wirksam werden.“ (vgl. Drüppel 1981, S. 128, mit stadtrechtlichen Belegen). 55 Zu den Hintergründen für die auch von Johannes von Buch geforderte strikte Gesetzesbindung des Richters vgl. Kannowski 2007, S. 232 f.; 593-595. 56 Zur Parömie iudex secundum allegata, non secundum conscientiam iudicat („Der Richter urteilt nach dem, was vorgebracht worden ist, nicht nach dem, was er [sc. aus anderen Quellen] weiß.“) vgl. Nörr 1967; 2012, S. 188-190. Vgl. dazu auch Lepsius (2003, S. 27), die deutlich macht, dass damit eine Beweiswürdigung durch den Richter nicht ausgeschlossen ist. Zur Bedeutung von conscientia in diesem Zusammenhang vgl. Kannowski 2007, S. 136-141; Whitman 2008a, S. 106. 57 Vgl. dazu Kuttner 1935, S. 252 f.; Kannowski 2007, S. 402 f.; Whitman 2008a, S. 104-114. 58 Zur theologischen Rechtfertigung von Todesurteilen vgl. Whitman 2008a, S. 28-49. 59 Vgl. dazu Lippert 2000, S. 194-196. 60 Nach Whitman (2008a, S. 113 mit Anm. 84 [S. 242]) ist „Homicide“ das Thema von Quaestio 64; die Problematik wird jedoch unter dem übergeordneten Aspekt de vitiis oppositis commutativae iustitiae diskutiert. 212 5 Externe Bezugsfelder secundum allegata sententiam ferens, quia non ipse occidit innocentem, sed illi qui eum asserunt nocentem. Minister autem iudicis condemnantis innocentem, si sententia intolerabilem errorem contineat, non debet obedire, alias excusarentur carnifices qui martyres occiderunt. Si vero non contineat manifestam iniustitiam, non peccat praeceptum exequendo, quia ipse non habet discutere superioris sententiam; nec ipse occidit innocentem, sed iudex, cui ministerium adhibet. ( II ª- II ae q. 64 a. 6 ad 3) 61 „Zu 3. Wenn der Richter weiß, dass jemand unschuldig ist, der durch falsche Zeugen überführt wird, muß er die Zeugen sorgfältiger prüfen, um eine Möglichkeit zu finden, den Unschuldigen zu befreien, wie es Daniel getan hat [Dn 13,51 ff.]. Kann er das nicht, so muss er ihn zur Urteilsfindung an einen Höheren überweisen. Wenn er auch das nicht kann, sündigt er nicht, wenn er nach den vorgelegten Aussagen das Urteil fällt, denn nicht er tötet den Unschuldigen, sondern die, die seine Schuld behaupten. - Der Scharfrichter aber des Richters, der einen Unschuldigen verurteilt, darf, wenn das Urteil einen unerträglichen Irrtum enthält, nicht gehorchen; anderenfalls würden die Henker, die die Märtyrer getötet haben, entschuldigt. Enthält das Urteil aber keine offenbare Ungerechtigkeit, so sündigt er nicht, wenn er den Befehl ausführt; denn es ist nicht seine Sache, die Entscheidung des Vorgesetzten zu untersuchen. Auch tötet nicht er den Unschuldigen, sondern der Richter, dem er zu Diensten ist.“ 62 Schuldig seien auf jeden Fall diejenigen, die einen Unschuldigen falsch beschuldigten, nicht der Richter. Bei der Beurteilung der Schuld derjenigen, die das Todesurteil ausführen, wird zwar ihre Position in der Hierarchie berücksichtigt, wenn gesagt wird, dass sie nicht verpflichtet seien, das Urteil eines Höherstehenden in Frage zu stellen, wenn nicht klar ist, dass ein unrechtes Urteil vorliegt. Es kommt aber indirekt auch das Kriterium ins Spiel, ob sie wissentlich oder unwissentlich ein ungerechtes Todesurteil vollstrecken, da damit argumentiert wird, dass ihnen bei einer evidenten Ungerechtigkeit die Befehlsverweigerung offenstehe (andernfalls hätten auch diejenigen eine Entschuldigung, die Märtyrer hinrichten). Die differenzierte Aufschlüsselung der Schuldanteile ist deshalb von besonderem Interesse, weil die Frage danach, ob wissentlich oder unwissentlich gehandelt wurde, von Thomas von Aquin auch für den ähnlich gelagerten Fall des Prozesses gegen Jesus erörtert wird. 63 Die Argumentation ist Teil von Quaestio 47 des dritten Teils der Summa Theologiae , in der es um die causa efficiens der Passion Jesu geht. Dazu gehört, wie schon im Proömium angekündigt wird, auch die Behandlung der Frage nach der Sünde derjenigen, die Jesus getötet haben; d. h., juristische Aspekte stehen nicht im Vordergrund. Das Sündenparadigma ist durch das Johannesevangelium (19,11) vorgegeben, wenn Jesus zu Pilatus sagt: respondit Iesus / non haberes potestatem adversum me ullam / nisi tibi datum esset desuper / propterea qui me tradidit tibi maius peccatum habet („Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn es dir nicht von oben gegeben wäre; deshalb hat der, der mich dir übergeben hat, die größere Schuld.“). 64 Ebendieses Jesuswort wird in argumentum 2 des articulus 6 zitiert, nach dem Judas die größere Sünde auf sich geladen habe. An dieser Stelle erfolgt 61 Die Zitate aus der Summa Theologiae beruhen hier und im Folgenden auf der Editio Leonina . 62 Die Übersetzung folgt mit Abweichungen der von Utz (1953) kommentierten deutschen Ausgabe (S. 171 f.). 63 Falsche Zeugen gibt es bei der Verhandlung vor Pilatus (anders als bei der vor dem Hohen Rat, vgl. Mt 26,59-61) nach der Überlieferung der kanonischen Evangelien nicht, aber ungerechtfertigte Anklagen, nach denen Jesus Schaden anrichte. 64 Zur Bandbreite der in den kanonischen Evangelien angelegten Deutungsmöglichkeiten des Passionsgeschehens im Hinblick auf die Pilatus-Figur vgl. Scheidgen 2002, S. 56 f. 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 213 auch bereits eine Differenzierung zwischen Pilatus und den ministri , die die Kreuzigung ausgeführt haben, ohne dass sie hier schon funktionalisiert würde . In argumentum 1 war, abgeleitet aus dem Jesuswort pater, ignosce illis, quia nesciunt quid faciunt 65 („Vater, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun“), 66 der Beurteilungsmaßstab des Wissens bzw. Nichtwissens eingeführt worden, indem das Nichtwissen als Faktor präsentiert wird, der die Schwere der Sünde reduzieren könne. Unter Berufung auf Chrysostomus 67 (vgl. III ª q. 47 a. 6 s. c.) wird im Abschnitt sed contra eine Unschuldsvermutung zurückgewiesen; vielmehr wird die Schwere der Sünde nach dem jeweiligen Wissensstand der Beteiligten differenziert, 68 wobei hier religiöses Wissen, insbesondere um die Göttlichkeit Jesu, gemeint ist. 69 Unterschieden wird in der responsio dann sowohl zwischen den principes und den minores ,der Juden‘ 70 als auch zwischen Pilatus 71 und seinen Soldaten: 72 Respondeo dicendum quod, sicut dictum est, principes Iudaeorum cognoverunt Christum, et si aliqua ignorantia fuit in eis, fuit ignorantia affectata, quae eos non poterat excusare. Et ideo peccatum eorum fuit gravissimum, tum ex genere peccati; tum ex malitia voluntatis. Minores autem Iudaei gravissime peccaverunt quantum ad genus peccati, in aliquo tamen diminuebatur eorum peccatum propter eorum ignorantiam. Unde super illud Luc. XXIII , nesciunt quid faciunt, dicit Beda, pro illis rogat qui nescierunt quod fecerunt, zelum Dei habentes, sed non secundum scientiam. Multo autem magis fuit excusabile peccatum gentilium per quorum manus Christus crucifixus est, qui legis scientiam non habebant. ( III ª q. 47 a. 6 co.) Ad primum ergo dicendum quod excusatio illa domini non refertur ad principes Iudaeorum, sed ad minores de populo, sicut dictum est. ( III ª q. 47 a. 6 ad 1) 65 Vgl. Lc 23,34: Pater dimitte illis non enim sciunt quid faciunt . 66 Die Übersetzung folgt der von Hoffmann (1956) kommentierten deutschen Ausgabe (S. 78). 67 Vgl. De prophetiarum obscuritate 1,3 (zitiert nach PG 56, col. 168). 68 Zur unwissentlich begangenen Sünde vgl. auch Summa Theologiae Iª-IIae q. 6 a. 8; IIIª q. 80 a. 5 (vgl. den Kommentar von Murphy 1965, S. 73). 69 Vgl. Hammerle 2012, S. 266-270. 70 Damit, dass das einfache Volk unwissend bzw. in guter Absicht gehandelt habe, die jüdischen Gelehrten aber gewusst hätten, dass Christus der Messias gewesen sei, argumentieren im 13. Jahrhundert auch Alexander von Hales und Gérard d’Abbeville (vgl. Niesner 2005, S. 213 f., auch zu alternativen Positionen). 71 Dass Pilatus seinerseits einen institutionell begrenzten Handlungsspielraum hat, spielt an dieser Stelle keine Rolle. Vgl. aber Summa Theologiae IIª-IIae q. 67 a. 4 co.: Iudex enim inferior non habet potestatem absolvendi reum a poena, contra leges a superiore sibi impositas. Unde super illud Ioan. XIX, non haberes adversum me potestatem ullam, dicit Augustinus, talem Deus dederat Pilato potestatem ut esset sub Caesaris potestate, ne ei omnino liberum esset accusatum absolvere. („Der untergeordnete Richter hat nicht die Macht, gegen die ihm vom Übergeordneten auferlegten Gesetze den Angeklagten von der Strafe zu befreien. Deshalb sagt Augustinus zu Io 19[,11] Du hättest keine Gewalt über Mich : ,Gott hat dem Pilatus eine Macht dergestalt gegeben, dass er unter der Gewalt des Kaisers stehen sollte, damit ihm in keiner Weise freistünde, einen Angeklagten freizusprechen.‘ “; die Übersetzung folgt mit Abweichungen der von Utz [1953] kommentierten deutschen Ausgabe [S. 230 f.]). 72 Zu entsprechenden Abstufungen der Schuld in Der Kreuziger des Johannes von Frankenstein (vv. 7035-7154) vgl. Scheidgen 2002, S. 225-228. Da in Der Kreuziger mehrfach Thomas von Aquin zitiert wird (vgl. Ferber 1935, S. 3), wird man die Ausführungen als Thomas-Rezeption verstehen dürfen. Sie schließen an die Erklärung an, dass der Sinneswandel des Pilatus, der Jesus zunächst habe freilassen wollen, aus Furcht, Gefälligkeit ( favorem , vgl. Ferber ebd., S. 91, Z. 28) ,den Juden‘ gegenüber und Bestechlichkeit erfolgt sei (vv. 7005-7034). Die Schuldlehre ist also mit dem Konzept der quattuor modi verknüpft. 214 5 Externe Bezugsfelder Ad secundum dicendum quod Iudas tradidit Christum, non Pilato, sed principibus sacerdotum, qui tradiderunt eum Pilato, secundum illud Ioan. XVIII , gens tua et pontifices tui tradiderunt te mihi. Horum tamen omnium peccatum fuit maius quam Pilati, qui timore Caesaris Christum occidit; et etiam quam peccatum militum, qui mandato praesidis Christum crucifixerunt; non ex cupiditate, sicut Iudas, nec ex invidia et odio, sicut principes sacerdotum. ( III ª q. 47 a. 6 ad 2) „Antwort: Die Fürsten der Juden erkannten, wie gesagt [in a. 5], Christus. Und wenn es bei ihnen eine Unwissenheit gab, dann war es eine geheuchelte Unwissenheit, die sie nicht entschuldigen konnte [a. 5]. Und deshalb war ihre Sünde die schwerste, sowohl von der Art des Sünde her als auch von der Bosheit des Willens. Das einfache Volk der Juden aber sündigte aufs schwerste, soweit es die Art der Sünde betrifft. In gewisser Weise jedoch war ihre Sünde gemindert durch ihre Unwissenheit. Daher sagt Beda zu Lk 23,[34] Sie wissen nicht, was sie tun : ,Für die betete Er, die nicht wußten, was sie taten, die wohl Eifer für Gott hatten, der aber nicht vom Wissen geleitet war.‘ Aber in viel höherem Maße entschuldbar war die Sünde der Heiden, durch deren Hand Christus gekreuzigt wurde, da sie keine Kenntnis vom Gesetz hatten. Zu 1. Die Entschuldigung des Herrn bezieht sich nicht auf die Fürsten der Juden, sondern auf die kleinen Leute aus dem Volke, wie gesagt worden ist. Zu 2. Judas lieferte Christus nicht an Pilatus, sondern an die Hohepriester aus, die Ihn Pilatus übergaben, gemäß Io 18[,35]: Dein Volk und Deine Hohepriester haben Dich mir übergeben . Die Sünde all dieser aber war schwerer als die des Pilatus, der Christus aus Furcht vor dem Kaiser töten ließ; und auch als die Sünde der Soldaten, die Christus auf Befehl ihres Vorgesetzten kreuzigten und nicht aus [Geld-]Gier wie Judas oder aus Neid und Hass wie die Hohepriester.“ 73 Die Abstufung der Sünden wird nicht allein am jeweiligen Wissensstand festgemacht, sondern auch an der Handlungsmotivation der Beteiligten: Die Furcht des Pilatus vor dem Kaiser und die Ausübung des Befehls durch die Soldaten werden als weniger schuldbehaftet abgesetzt von den niederen Beweggründen der Habgier ( Judas) sowie des Neides und Hasses (Hohepriester). 74 Die Bewertung der Handlungen erfolgt hier also nach dem Prinzip der Gesinnungsethik, wonach die innere Haltung, nicht die Tat das Entscheidende ist. Auch wenn es in der zitierten Passage explizit um moraltheologische Fragen geht, schwingen juristische Aspekte mit, weil Gesinnung und Wille seit dem Decretum Gratiani ein zentrales Kriterium der kanonistischen Schuldlehre waren. 75 Demgegenüber gilt im ,deutschen‘ Recht des hohen und späten Mittelalters das Prinzip der Erfolgshaftung als dominant, nach dem die Tat das Entscheidende ist. Allerdings kennt auch der Sachsenspiegel mildernde Umstände wie mangelnde Zurechnungsfähigkeit oder eine Notwehrsituation, deren Berücksichtigung voraussetzt, dass der Wille des Täters als wichtiger Faktor erachtet wird. 76 73 Die Übersetzung folgt mit Abweichungen der von Hoffmann (1956) kommentierten deutschen Ausgabe (S. 79 f.). 74 Vgl. dazu Hammerle 2012, S. 269. Der Katalog der Laster derjenigen, die am Vollzug der Passion verantwortlich beteiligt sind, war weiter verbreitet (zum Speculum morale des [Ps.-]Vinzenz von Beauvais vgl. Scheidgen 2002, S. 72). Zur Differenzierung zwischen der Schuld ,der Juden‘, die den Rat zur Kreuzigung geben, und der der römischen Soldaten, die sie ausführen, vgl. auch Goetz 2013, Bd. 2, S. 469 (in Bezug auf Rather von Verona, Praeloquia 1,27). 75 Vgl. grundlegend Kuttner 1935, S. 1-62 (zur ignorantia , S. 133-184); vgl. auch Schnell 1991, S. 18. 76 Vgl. Weitzel 2008b, mit weiterer Literatur. Zu „Absicht und ungewollte[r] Tat“ im Strafrecht des deutschen Mittelalters vgl. His 1920, S. 68-102. Auch bei der Regelung, dass derjenige, der nach bestem 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 215 In der zitierten Stelle aus der Glosse wird ebenfalls zwischen wissentlichem und unwissentlichem Handeln unterschieden, wenn es in dem mit Merke eingeleiteten Abschnitt heißt, dass auch diejenigen zur Hölle fahren, die das Urteil vulborden vnde dat beter weten . Der Bezug auf das Jüngste Gericht verdeutlicht weiterhin, dass die Ausführungen im Kontext der Frage nach der persönlichen Sündenschuld der Beteiligten zu lesen sind, obwohl bei der Auslegung des Exempels vom Prozess gegen Jesus vor allem mit der Gerichtsverfassung argumentiert wird. Der Satz Nu ze, wy hir vnschuldich is, vnde de blifft noch vnschuldich. bleibt jedoch enigmatisch. 77 Denn die Unschuld des Richters, der nur einem Rat folge, wird abschließend dadurch relativiert, dass die Kategorie eines guten Rates eingeführt wird, die implizit vom Richter eine eigene Urteilsfähigkeit fordert, die wiederum einen gewissen Handlungsspielraum voraussetzt. 78 Auch hat man es mit einer Verdoppelung der Ratgeberrollen zu tun: Zunächst erscheint das ,Volk‘ als Empfänger des Rates der ,Priester‘. Später wird es jedoch implizit selbst zum Ratgeber deklariert, wenn der Urteilsfinder allgemein als Ratgeber des Richters gekennzeichnet ist. Diese Aussage ist auch auf das ,Volk‘ zu beziehen, da vorher im Text gesagt worden war, dass es auf den Rat der ,Priester‘ hin das Urteil gefunden habe. 79 Die der Argumentation inhärente Spannung lässt sich wahrscheinlich darauf zurückführen, dass zunächst - ähnlich wie bei Thomas von Aquin - der Grad der Verantwortlichkeit vom Grad des Wissens abhängig gemacht wird, dann aber die theologische Argumentation in die Gegebenheiten der Gerichtsverfassung überführt wird, nach der als Ratgeber nur der Urteilsfinder in Frage kommt. 80 Während der Rat der Urteilsfinder einen institutionellen Charakter hat, 81 kann beim Rat der ,Priester‘ im Kontext ihres aus der Bibel bekannten Vorgehens gegen Jesus die Bedeutung der „intellektuelle[n] […] Beihilfe zu einer Straftat“ 82 mitschwingen. Kaleidoskopartig sind also in dem zitierten Abschnitt aus der Glosse nicht nur das gelehrte und das sächsische Recht eingefangen, sondern es überlagern sich auch moraltheologische und juristische Beurteilungsmaßstäbe. Die Nähe zwischen moraltheologischen und juristischen Aspekten ist nicht auf den Spezialfall des Prozesses gegen Jesus beschränkt - man denke neben der kanonistischen Schuldlehre auch an den Tugendkatalog für Richter -, zeigt sich hier aber in besonderer Verdichtung. Die mittelalterliche Rezeption der Pilatus-Figur lässt erkennen, wie die verschiedenen Aspekte einzeln herausgearbeitet Wissen ein Urteil findet, selbst wenn es unrecht sei, keinen Nachteil davon haben solle ( Sachsenspiegel , Ldr. II 12,9), ist die innere Haltung maßgeblich, ebenso bei der Unterscheidung zwischen der wissentlichen und der unwissentlichen Unterstützung eines Missetäters (z. B. Ldr. III 23; vgl. dazu His ebd., S. 154). 77 Vgl. dazu Kannowski 2007, S. 122, Anm. 89: „Dieser Satz ist etwas kryptisch. Johann könnte meinen, wer sich als Richter in Bezug auf das gerichtliche Verfahren an diesen Ablauf hält, den trifft kein Vorwurf.“ Zur Komplexität der - manchmal auch in Form einer Quaestio gestalteten - Argumentationsgänge in der Glosse vgl. Kannowski 2007, S. 571-574. 78 Er ist - vor dem Hintergrund des Deutschenspiegels - wohl im Ausgeben des Urteils zu sehen. Dafür spricht auch die vorherige Erklärung in der Glosse , dass der Richter, der ein ungerechtes Urteil gestattet, zur Hölle fahre. 79 Die Kollektivierung des ,Rates‘ durch die Zustimmung zum Urteilsvorschlag ist an dieser Stelle der Argumentation ausgespart. 80 Zum Rechtssprichwort „Wer das Urteil findet, ist des Richters Ratgeber.“ vgl. Schmidt-Wiegand / Schowe 1996, S. 332. 81 Zu dieser Bedeutung vgl. DRW, s. v. ,Rat‘, II,1: „im Rahmen des rechtlich Gebotenen: Ratschlag, der aus einem besonderen Rechtsverhältnis heraus erbeten oder erteilt wird“. 82 Vgl. DRW, s. v. ,Rat‘, II,2, mit Belegen. Dieser Bedeutung entspricht die Verwendung von consilium zur Bezeichnung einer Mittäterschaft im römischen Recht (vgl. dazu Matzinger-Pfister 1972, S. 65). 216 5 Externe Bezugsfelder werden, 83 aber auch ineinander verschränkt erscheinen, so wie noch bei Johannes Geiler von Kaysersberg, der in seinem Seelenparadies Pilatus als Exempel für die Falschheit verwendet, weil er die Wahrheit nicht beschützt habe, obwohl er es hätte tun müssen: 84 Pilatus […] bekannt wol / das der herr Jesus den tod nit het verschuldet / und daz in die Juden falschlichen von neides und hasses wegen dargaben. davon solt er in beschirmt haben als ein richter / dem das zu ͦ geho ͤ rt von ambtes wegen / wenn die geschrifft spricht / Den unschuldigen und den gerechten solt du nit to ͤ den / er het sein ouch gewalt / als er von im selber betzeüget / da er zu ͦ dem herrenn sprach / warumb antwurtest du mir nit ⟨? ⟩ weist du nit / das ich gewalt hab ⟨/ ⟩ dich zu ͦ to ͤ den / oder ledig zu ͦ laßen? Aber dorumb das sy im trowten uff den keiser / den er forcht / ouch wolt er inen hiemit gefallen und irer bittung genu ͦ g sein / davon gab er in den herren ⟨/ ⟩ mit im zetu ͦ nd noch irem willen. 85 Die individuellen Verfehlungen des Pilatus (Handeln wider besseres Wissen aus Furcht vor dem Kaiser und als Gunsterweis gegenüber ‚den Juden‘) sind mit den eigentlich Pilatus gegebenen Amtspflichten und -kompetenzen eines Richters kontrastiert, der einen Unschuldigen nicht töten solle. Anders als in der Glosse des Johannes von Buch wird die Richterrolle aber nicht aus einem bestimmten kodifizierten Recht abgeleitet, sondern aus einem modifizierten biblischen Tötungsverbot und dem Bericht im Evangelium. Den hier zusammengestellten Textzeugnissen aus dem 13. bis zum beginnenden 16. Jahrhundert ist gemeinsam, dass sie - unter unterschiedlichen Vorzeichen - versuchen, die Verantwortung des Richters allgemein und die des Pilatus im Besonderen zu bestimmen, wobei sich moraltheologische und juristische Betrachtungsweisen gegenseitig durchdringen. Für die Frage nach der Positionierung der Kerntexte zu diesem Problemkreis ergeben sich vor diesem Hintergrund neue Perspektiven: Zunächst einmal ist festzuhalten, dass in ihnen der Prozess gegen Jesus - ähnlich wie in der Glosse des Johannes von Buch - als prototypische Gerichtsverhandlung präsentiert wird, nicht als heilsgeschichtlicher Sonderfall. 86 Die Integration ,deutschrechtlicher‘ Elemente bei der Gestaltung des Verfahrensablaufs (z. B. Zeit und Ort der Verhandlung) legt es nahe, dass auch bei der Beurteilung der Richterfigur und der Ankläger bzw. Urteiler eine entsprechende Kontextualisierung bei Autoren und zeitgenössischen Lesern anzunehmen ist. Alle drei Texte präsentieren eine Verhandlungssituation, in der der Richter aufgrund der Beweislage von der Unschuld des Angeklagten überzeugt ist. 87 In Diu urstende nimmt Pilatus zwar anfänglich aufgrund des Verhaltens der Ankläger eine Schuld des Angeklagten an (vv. 323 f.), doch ändert sich seine Auffassung, als sie für ihre Anschuldigungen keine Beweise beibringen können (vv. 513-517). D.h., als Richter ist Pilatus nicht voreingenommen oder verfolgt von vornherein eigene Interessen, sondern lässt sich - wie in den beiden anderen Texten - von der Sachlage leiten. 83 In seiner grundlegenden Arbeit zur Auslegung der Pilatus-Figur insbesondere in deutschsprachigen mittelalterlichen Texten differenziert Scheidgen (2002) u. a. zwischen einer spirituellen Interpretation und der Funktionalisierung der Pilatus-Figur als didaktischem Exempel eines ungerechten Richters. 84 Vgl. dazu Scheidgen 2002, S. 246. 85 Zitiert nach Bauer 1995, S. 375, Z. 35 - S. 376, Z. 12. 86 Zur Eingebundenheit des Pilatus in den göttlichen Heilsplan vgl. Scheidgen 2002, S. 51-57. 87 Die Ausgangslage ist in dieser Hinsicht anders als bei dem kanonistischen Streitfall, bei dem der Richter selbst gewonnene Erkenntnisse hat, die der Beweislage widersprechen. 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 217 ,Den Juden‘ dagegen, die sowohl als Ankläger wie auch als Urteiler fungieren, wird mehrfach Hass als Handlungsmotivation zugeschrieben. 88 Über das judenfeindliche Klischee hinaus hat das auch eine rechtsethische Relevanz, denn niemand soll sich durch Emotionen vom Recht abbringen lassen. 89 In einem strafrechtlichen Sinn wird mit der Angabe der Motivation der klageführenden Juden das Vergehen der falschen Anklage 90 aufgerufen. Sie wird im Evangelium Nicodemi von Pilatus durchschaut und als solche benannt (vv. 1371 f.); die Rechtswidrigkeit des Vorgehens der Ankläger wird vom Erzähler außerdem dadurch markiert, dass er sie, als sie mit ihren Vorwürfen keinen Erfolg haben, beschließen lässt, den Richter Pilatus zornig zu machen und den Angeklagten auf diese Weise ins Verderben zu stürzen ([…] / daz er anderweide / beweget worde in zorne: / „so ist Jesus der vorlorne.“ , vv. 1272-1274), d. h., sie wollen das von der Richterethik geforderte Verhalten unterminieren. 91 Auch in Diu urstende ist unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die jüdischen Ankläger auf ein ungerechtes Urteil sinnen: Kaiphas gibt von vornherein vor, dass durch die Gerichtsverhandlung der Tod Jesu erwirkt werden soll (vv. 126-128). Dementsprechend bezeichnet der Erzähler ,die Juden‘, die eine Gerichtsentscheidung möglichst schnell herbeiführen wollen, als mordgierig ( ez bâten die mortgîten / Pylâtum den rihtære / daz er fruo bereit wære , / zuo der schrangen quæme / und ir rede vernæme, vv. 262-266). Wenn Pilatus in Diu urstende für einen geordneten Ablauf der Verhandlung sorgt, indem er unziemliches Verhalten vor Gericht durch eigene Ermahnungen und den Einsatz des schergen unterbindet (vv. 493-519; 92 529-546), nutzt er den Spielraum, den er als Richter hat, um ein gerechtes Verfahren zu gewährleisten. Auf ebendiesem Gebiet versagt er, wenn die Situation, als die Beweislage sich zugunsten Jesu weiter vereindeutigt hat, eskaliert und er den Gerichtsfrieden nicht wahren kann, sondern der wütende Mob in den abgeschrankten Bereich eindringt (vv. 724-742). Anders als etwa im Deutschenspiegel gefordert, 93 ist Pilatus nicht bereit, für die Wahrung des Rechts sein Leben zu riskieren (vv. 746 f.), sondern lässt aus Furcht zu, dass Unrecht verübt wird. Vor dem Hintergrund der aufgezeigten Kontexte ist das als klarer Verstoß gegen die Richterethik zu interpretieren. 94 Zwar gilt sie nicht allein für den Richter in einem ,deutschrechtlichen‘ Verfahren, aber aufgrund der 88 Vgl. z. B. Christi Hort , vv. 1637 f.: die alten daz widersprachen, / die ir haz an im rachen (als Antwort auf Vermittlungsversuche von Pilatus und Nikodemus). Im Evangelium Nicodemi (vv. 1027-1029) erklären innerhalb der Prozesshandlung die zwölf jüdischen Männer Pilatus, dass ,die Juden‘ Hass auf Jesus hätten, weil er an Samstagen heile; auch im summierenden Blick auf das Passionsgeschehen wird vom Erzähler der nit (v. 394) bzw. von Figuren der haz ,der Juden‘ benannt (v. 3976 [Adrian im Rückblick]; v. 4285 [ein Ritter des Pilatus im Rückblick]). 89 Vgl. die entsprechende Stelle aus dem Prologus des Sachsenspiegels (s. o. S. 208, Anm. 42). 90 Zur „malicious prosecution“ durch die jüdischen Ankläger vgl. (in Bezug auf die York Trial Plays ) Tiner 2005, S. 145 f. (mit Anm. 25 [S. 148 f.], dort Stellenangaben zum römischen und kanonischen Recht). Vgl. außerdem den Abschnitt über falsche Ankläger im Corpus iuris civilis ( Cod. 9,46,9; zitiert nach Krüger 1877). Auch der Sachsenspiegel (Ldr. I 50,1) kennt Sanktionen für eine Anklage, die nicht bewiesen werden kann, allerdings ist dafür nicht die Intention des Anklägers entscheidend, sondern dessen Unfähigkeit, die Vorwürfe durch einen Beweis zu bekräftigen (zu diesem Prinzip vgl. bezogen auf Quellen aus England auch Whitman 2008a, S. 74 mit Anm. 97-99 [S. 233]). 91 Dass der Erzähler dieses Verhalten missbilligt, ist an der diffamierenden Bezeichnung ,der Juden‘ als die ungetruwen ruden (v. 1268) ablesbar. 92 „Konrad von Heimesfurt lässt hier Pilatus als auffällig gerechten Richter sprechen […]“ (Mattig- Krampe 2001, S. 111). 93 S. o. S. 210. 94 Vgl. neben den obigen Ausführungen auch Scheidgen (2002, S. 70-74; 245 f.) zum timor mundanus . 218 5 Externe Bezugsfelder relativ systematischen Einarbeitung ,deutschrechtlicher‘ Elemente in den Verfahrensablauf kann man einen entsprechenden Bezugsrahmen für die nahegelegte Bewertung des Verhaltens des Pilatus vermuten. Der Bezug wäre rein affirmativ, aber dass der Text durch die Ausgestaltung der Verhandlungsführung des Pilatus Möglichkeiten der Einflussnahme des Richters aufzeigt, kann auch als Stellungnahme zu dem Problem verstanden werden, inwiefern die Anforderungen an gerechtes Richten mit einem ,deutschrechtlichen‘ Verfahren zu vereinbaren sind. Auch in Christi Hort werden Einflussmöglichkeiten aufgezeigt, die ein Richter hat, zunächst über die Technik der abgewiesenen Alternative, indem über die Botschaft der Frau des Pilatus die Möglichkeit ins Spiel gebracht wird, dass er erst gar kein Verfahren eröffnet (vv. 1569-1576). Zumindest innerhalb der Erzählwelt erscheint das als realistische Option, weil Pilatus später bereut, dass er dem entsprechenden Rat seiner Frau nicht gefolgt sei (vv. 4094-4098). Näher an den in der Glosse suggerierten Verhaltensmöglichkeiten eines Richters ist die Reaktion des Pilatus auf die Kreuzigungsforderung, die ,die Juden‘ auf seine (vom Erzähler ausdrücklich als solche charakterisierte) Urteilsfrage vorbringen (vv. 1711-1713). Pilatus gibt daraufhin das Urteil nicht aus, sondern versucht die Verantwortung an die jüdische Gerichtsbarkeit zu delegieren (vv. 1714-1722). Auch die Einschaltung von Herodes (vv. 1731-1750), von der in der Folge erzählt wird, kann als ein entsprechender Versuch gelesen werden. Er ist in den kanonischen Evangelien vorgeprägt, ebenso wie die Geißelung als ,mildere‘ Alternativstrafe (vv. 1781-1786) und das Angebot, Jesus im Rahmen der Passah-Amnestie freizulassen (vv. 1851-1879). Letzteres wird ausdrücklich in den Kontext der Richterethik gestellt, wenn gesagt wird, dass Pilatus seine Rede wislich (v. 1852) angefangen habe. Vor diesem Hintergrund erscheint auch das kurz darauf geschilderte, aber weder motivierte noch explizit kommentierte Nachgeben des Pilatus (vv. 1881-1883) als richterliche Verfehlung; ein sündhaftes Verhalten lässt sich jedoch an dieser Stelle nur erschließen. 95 Im Pilatus-Veronika-Teil des Textes wird demgegenüber eine dezidiert moraltheologische Betrachtungsweise eingenommen: Der Erzähler stellt heraus, dass Pilatus um den Hass ,der Juden‘ gewusst 96 und trotzdem der Bitte ,der Juden‘ nachgegeben und unrecht gericht über Jesus gehalten habe (vv. 4054-4062). Es werden damit gleich zwei falsche richterliche Verhaltensweisen benannt: das Handeln wider besseres Wissen und das Handeln aus Gefälligkeit heraus. 97 Damit aber nicht genug: Die Reue, die Pilatus packt, ist rein weltlicher Natur; er ist vom timor mundanus (der Angst um sein Leben) bestimmt (vv. 4063-4100). Der Erzähler erwartet hingegen Reue wegen der untriuwe 98 und der groz mistat des Pilatus, mit anderen Worten wegen seiner sunde ( ez gerau in durch die sunde nicht , v. 4067). Anders als etwa bei Tilo von Kulm 99 fällt in Bezug auf Pilatus in Christi Hort das Stichwort gewizzen nicht, aber eine Vorstellung vom Gewissen kann für Christi Hort voraus- 95 Zur Unterlassung aus kanonistischer Perspektive vgl. Kuttner 1935, S. 43-47. 96 Ohne Schuldzuweisung berichtet auch Veronika, die den Tod Jesu in einen heilsgeschichtlichen Kontext stellt, von diesem Wissen des Pilatus (vv. 4728-4733). 97 Der Erzähler lässt ihn sich selbst des ubermût bezichtigen (v. 4090). - Zur Gefälligkeit als Richtermotivation s. auch o. S. 213, Anm. 72. 98 In der Handschrift steht triwe ; die Konjektur von Carl von Kraus ergibt jedoch mehr Sinn, weil triwe keine Reue erforderte. 99 In Tilos von Kulm Von siben ingesigeln (beendet 1331) wird im Hinblick auf den Prozess gesagt, dass Pilatus Wider di gewizzen ſin (v. 4448) gerichtet habe (vgl. zur Stelle Scheidgen 2002, S. 244 f.). Von siben ingesigeln wird nach der Ausgabe von Kochendörffer (1907) zitiert. 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 219 gesetzt werden, weil im Gebet zum Abendmahl das Sprecher-Ich seine Gewissensqualen beschreibt (vv. 1131-1152). Die Verfehlungen, die das Ich beklagt, bestehen nicht nur darin, dass es die Reinheit seines Gewissens nicht bewahrt hat (vv. 1136 f.), sondern dass es in seinem sündigen Zustand w i s s e n d an der Kommunion teilgenommen hat (v. 1143). 100 Angesichts des hier durchscheinenden Konzepts der Reflexion über die eigenen Sünden erscheint es gerechtfertigt, die falsche Reue des Pilatus als mangelnde Prüfung vor dem forum internum zu interpretieren. 101 Eingeholt wird Pilatus dann vom forum externum , nicht im Sinne eines geistlichen Gerichts, das im Kontext der Pilatus-Veronika-Legende nicht denkbar wäre, vielmehr in der Form der (,deutschrechtlich‘ geprägten) weltlichen Rechtsprechung der Römer. Die Überzeugung des Tiberius, dass Pilatus einen mort begangen habe (v. 5180), 102 entspricht der kanonistischen Auffassung, nach der die Grenze zum Mord überschritten ist, wenn der Richter bei einem Todesurteil nicht aus Liebe zum Recht handelt. 103 Auf der Figurenebene wird allerdings mit der Tat argumentiert. 104 Sowohl das Prinzip der Erfolgshaftung als auch das der Schuldhaftung sind im Text präsent. In Bezug auf das richterliche Verhalten des Pilatus lassen sie sich widerspruchsfrei harmonisieren. Angesichts der feststehenden Schuld des Pilatus ist es ein auffälliges, da nicht handlungsrelevantes Motiv, dass die Fürsten zögern, der Aufforderung des Tiberius zu entsprechen und einen Urteilsvorschlag zu machen: die fursten an ein ander sahen, ir deheiner sich nicht wolt vergahen daz er die urtail tæte, swie sies der chaiser pæte: si douchte ein tail swære. Vespasiano was ez ummære; ( Christi Hort , vv. 5235-5240) Dass Vespasian in seiner Rede dann hervorhebt, dass er sich sein Urteil auch zu ertailen traue (v. 5251), deutet erneut auf eine mögliche Hemmschwelle hin. Sie besteht offenbar nicht in der Schwierigkeit, das richtige Urteil zu finden. 105 Vielmehr könnte die Zurückhaltung der Fürsten auf die - auch in der Glosse genannte - Mitverantwortung der Urteiler 100 Zur Vorstellung, dass es dadurch am Blut Jesu schuldig geworden sei (vv. 1148 f.), vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae IIIª q. 80 a. 5. Dass das Sprecher-Ich in Christi Hort sich seiner Sünden bewusst ist, ergibt sich aus seinem Bekenntnis, dass sein Gewissen nicht rein sei. 101 Zur Begrifflichkeit und zum Verhältnis zur Rechtsprechung in geistlichen und in weltlichen Angelegenheiten vgl. Störmer-Caysa 1998, S. 92-96; 247-249. 102 Vgl. auch morder (v. 5188), mort (v. 5232). 103 Die rechte Gesinnung besteht im amor iustitiae und im amor correctionis (vgl. Kuttner 1935, S. 253). Vgl. dazu auch Kannowski 2007, S. 402 f.; Whitman 2008a, S. 47 f. 104 Tiberius spricht davon, dass Pilatus den Heiler ermordet habe (vv. 5179-5181). Vespasian benennt als Vergehen die Tötung des ,höchsten Mannes‘ (vv. 5249 f.), ähnlich der junge Mann, der Pilatus von der Verurteilung berichtet ( ‘daz du Jesum den hohen man / hast ertotet um sus.’ ; vv. 5278 f.). 105 Vgl. zu diesem Problem die kanonistisch beeinflussten Ausführungen im Deutschenspiegel , Ldr. 108,1 (zitiert nach Eckhardt 1971): Swer vrtail gevraget wirt vnd er der niht vinden chan. der sol swern ze den heiligen daz er niht enwizze waz dar vmbe reht sei. sprichet der Richter | danne ir sult vinden daz euch dar vmbe recht dunche. so sprichet der Richter vnreht. Wan ez ist manich man der niht wizzen chan. waz vmb ein isleich dinch recht ist da von sol niemen vrtail vinden im sage sein gewizzen daz si recht sei vnd zweivelt er icht dar an. so wirt er vor got schuldich. In der Normalform des Schwabenspiegels (Uh, zitiert nach Eckhardt / Eckhardt 1972) folgt an der entsprechenden Stelle (Ldr. 116) noch der präzisierende Zusatz: ob er si [sc. das Urteil] vindet nach wane . 220 5 Externe Bezugsfelder zurückzuführen sein, die sich mit einem Todesurteil einer spirituellen Gefahr aussetzen, und zwar auch dann, wenn es gerechtfertigt ist. 106 Eine Scheu vor Todesurteilen wird in Christi Hort offenbar als generell geltend angenommen, denn sie wird auch an dem Punkt der Handlung als Motivation vermutet, an dem ,die Juden‘ die Schranken verlassen, wie der Erzähler, wohl missbilligend, bemerkt (vv. 1817-1826). Dass die Fürsten sich nicht vergahen wollen, charakterisiert sie im Rahmen des Gerichtsverfahrens jedoch eher positiv, ebenso dass sie sich für die Festlegung der Art der Todesstrafe eine Bedenkfrist erbitten (vv. 5264-5266). 107 Zu große Eile ebenso wie Zorn werden in Bezug auf den Richter als Fehler beim Urteilen benannt, wie sich zum Beispiel aus Rechtssprichwörtern erschließen lässt. 108 Man wird also fragen dürfen, ob Vespasian sich vorbildhaft verhält, für den sein schneller zorn schon hervorgehoben worden war ( dem was mit zorn gegen im gah , v. 5186), als er riet, Pilatus gefangen zu setzen. Auch Emotionen können, wie es die quattuor modi zeigen, im gerichtlichen Kontext problematisch sein. Allerdings wird im Gebetsteil von Christi Hort auch von Gott beim Jüngsten Gericht gesagt, dass er voller zorn handele. 109 Im Text ist also das Konzept des gerechten Zorns präsent. 110 Offenbar wäre es auch eine Möglichkeit, mit zorn auf einen Urteilsvorschlag zu reagieren, da die Fürsten sagen, als sie dem Urteil zustimmen, dass sie ihm nicht erbolgen seien (vv. 5258-5260). 111 Die Entscheidungsfreude Vespasians findet auf diese Weise Zustimmung. Vor allem aber wird das Urteil gegen Pilatus inhaltlich bestätigt. Es ist bezeichnend für die hybride Rechtswelt in Christi Hort , dass bei diesem Verfahren gegen einen Richter die Verantwortung der Urteiler im Vordergrund steht, während Tiberius als Richter nur moderiert. Im Evangelium Nicodemi fällt die Ausgestaltung der richterlichen Verfahrensführung im Prozess gegen Jesus insgesamt verhaltener aus als in Diu urstende oder Christi Hort . Es wird aber bei der Prozessschilderung mehr als deutlich gemacht, dass der Richter um die Unschuld des Angeklagten weiß (z. B. vv. 1298-1301; 1444 f.), ja er kennt sogar die intentio der Ankläger, die mit valschen listen Jesus zu Tode bringen wollten (vv. 1371-1377). 112 Auf- 106 Zur grundsätzlichen Befleckung durch Blutvergießen vgl. Whitman 2008a, S. 28-49, bes. S. 34; 41. Zur Regelung des kanonischen Rechts, dass es als Irregularität, also Hinderungsgrund für eine Weihe, gewertet wird, wenn jemand als Richter ein Todesurteil gefällt hat, vgl. Kéry 2006, S. 426. Wie auch eine marginale Mitwirkung an einem Todesurteil oder dessen Vollstreckung zum Weihehindernis werden konnte, belegen für das Spätmittelalter die an die Pönitentiarie gerichteten Suppliken (vgl. Esch 2010, S. 71-75 [mit Anm. auf S. 202]). 107 Dass der Kaiser sie bereits aufgefordert hat, die schändlichste Todesart auszuwählen (vv. 5261-5263), lässt es allerdings als zweifelhaft erscheinen, dass diese Frist zu einer abwägenden Entscheidungsfindung gedacht ist. Erzähllogisch ist der Aufschub der Entscheidung notwendig, damit Pilatus ,Gelegenheit‘ zum Selbstmord bekommt. 108 Vgl. TPMA, Bd. 9, S. 292-294. 109 hilf mir durch deiner gebu ͤ rt chraft / […] / daz mich mu ͤ ze iht dein zorn / am jungistem tage schaiden / von den lieben zu den laiden (vv. 361-368). 110 Zur Ambivalenz von zorn vgl. Blaas 2009 (mit weiterer Literatur); vgl. dazu auch Rosenwein 1998. Zur negativen Bedeutung von Zorn beim Begehen von Straftaten vgl. auch His 1920, S. 70 f. Zum Zorn Gottes vgl. Grubmüller 2003, S. 54-56. 111 Nach dem Ausgabentext ( si waren i r nicht erbolgen , v. 5260) bezieht sich erbolgen auf das Urteil. In der Handschrift steht jedoch in (statt i r), doch scheint die Konjektur sinnvoll, da erbolgen mit Dativ konstruiert wird. 112 Von der Entschlossenheit der jüdischen Ankläger, den Tod Jesu zu erreichen, hat Pilatus bei der Beratung mit Nikodemus und den zwelf man erfahren (vv. 1282-1284), die zwar außerhalb der eigentlichen Gerichtsverhandlung, aber in ihrem Kontext stattfindet. Deshalb kann man das Wissen des Pilatus nicht ohne Weiteres als privat klassifizieren. 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 221 fällig ist weiterhin die Formulierung, die für die Botschaft der Frau des Pilatus gewählt ist (vv. 919-923): Pilatus solle Jesus nicht verurteilen und auch nicht zulassen, dass man ihn vor ihm strafe (also ,schelte‘, ,züchtige‘, ,bestrafe‘). 113 Damit wird dem Richter gleich zu Beginn auch Verantwortung für Taten zugewiesen, die er nicht eigenhändig begeht. Dieser Aspekt wird innerhalb der Erzählung vom Prozess aber nicht weiter verfolgt, sondern es steht durchgängig eine andere Frage zum schuldhaften Handeln im Vordergrund: das Verhältnis von rat und tat . So fordert Pilatus ,die Juden‘ auf, Jesus nach ihrer e zu richten und die schult nicht auf ihn zu laden (vv. 1052 f.). Als Reaktion auf deren Ablehnung sind Pilatus folgende Worte in den Mund gelegt: „Wer sal in danne vorderben? Ir welt unschuldic sin der tat und ratet doch vaste den rat, daz er den lib vorliese. Nu enweiz ich niht waz kiese: der rat ist erger denne die tat, mit den zungen ir in slat und leget uf mich die werc; daz ist ein schentlich geberc.“ ( Evangelium Nicodemi , vv. 1056-1064) 114 Angesichts der Rollenverteilung im Prozess wäre es möglich, dass hier - wie in der Glosse - die formale Ratgeberfunktion der Urteilsfinder angesprochen wäre, wobei es dem Richter zukäme, das Unrechtsurteil zu verkünden und so ins Werk zu setzen. Tatsächlich hat der Rat ,der Juden‘ eine verfahrensrechtliche Relevanz, jedoch ist die Thematisierung von schult ein textimmanentes Indiz dafür, dass es um eine Thematisierung der Verteilung strafrechtlicher und moralischer Verantwortlichkeiten geht, für die die Beteiligten einstehen müssen. 115 Die Verwendung der Wörter rat , tat und werc lässt außerdem die Paarformeln ,Rat und Tat‘ bzw. ,Wort und Werk‘ anklingen, die vor allem in Treueiden Verwendung fanden. 116 Im positiven Versprechen, dem Herrn weder mit Rat noch mit Tat zu schaden, ist das Schadenspotenzial des Rates schon impliziert, dessen rechtliche Relevanz auch in den deutschen Rechtsbüchern zum Ausdruck kommt. 117 Dass das Erteilen eines Rates das Freibleiben von schult ausschließt, wird auch in der Rede des Pilatus dargelegt, 118 der Rat wird sogar als schwerwiegender als die Tat hin- 113 Zum Bedeutungsspektrum vgl. BMZ; L exer , s. v. 114 Zu den Vorwürfen des Pilatus gegen ,die Juden‘ an dieser Stelle vgl. auch Mattig-Krampe 2001, S. 112. 115 Die Vorstellung, dass Pilatus von ,den Juden‘ einen Rat erhält, könnte auch mit der seit Hieronymus kursierenden etymologischen Auslegung von ,Pontius‘ als declinans consilium zusammenhängen, die von Isidor auf die Handwaschung bezogen wurde, mit der Pilatus den Rat ,der Juden‘ abgelehnt habe (vgl. dazu Scheidgen 2002, S. 42-44). Allerdings wird dieser Zusammenhang im Evangelium Nicodemi nicht aktiviert, da von der Handwaschung erst viel später erzählt wird (vv. 1520-1526). 116 Vgl. dazu Matzinger-Pfister (1972, S. 64-67), die auch das Verhältnis zur lateinischen Formel consilium et auxilium aufarbeitet: „Kaum auseinanderzuhalten sind germanisches und römisches Erbe bei den mehrgliedrigen Ausdrücken, die Wortpaare vom Typus ‚Wort und Werk‘, ‚Rat und Tat‘ und ähnliche enthalten.“ (S. 64). 117 Zu rat als Bezeichnung nicht nur der intellektuellen Beihilfe vgl. His 1920, S. 126-147. Zur strafrechtlichen Relevanz von lat. consilium s. o. S. 215, Anm. 82. 118 Zur Verantwortung dessen, der einen rat gibt, vgl. (im Evangelium Nicodemi ) auch den Vorwurf des Höllenvolkes an Satan, der es durch seinen rat ins Verderben gestürzt habe (vv. 3443-3463). - Ne- 222 5 Externe Bezugsfelder gestellt; der ursprüngliche Vorwurf, dass ,die Juden‘ Pilatus zu einer Tat veranlassen, ist jedoch nicht aufgegeben. Überhaupt ist die Textstelle durch eine Akkumulation von Vorwürfen gekennzeichnet, weil ,die Juden‘ auch dafür kritisiert werden, dass sie Jesus mit ihren Zungen ,schlügen‘, also gewalttätig sprechen, ein Verhalten, das wie der schlechte Rat zu den Zungensünden zählt. 119 Ob auch die Schuldfrage im Kontext einer individuellen Sündenschuld zu sehen ist oder ob es um juristische Verantwortlichkeiten geht, bleibt an der Textstelle ebenso offen wie die Frage, warum der Rat schlimmer ist als die Tat. Wahrscheinlich ist eine strikte Trennung der Aspekte gar nicht angemessen, wie ein systematisch vergleichender Blick auf die Rezeption des römischen Rechts Ende des 13. Jahrhunderts im italienischen Raum zeigt: Nach Albertus Gandinus sind der Verbrecher wie auch der Anstifter wegen ihrer jeweiligen Beteiligung an der Tat zu bestrafen. Der Anstifter habe aber ein größeres Unrecht begangen als der unmittelbare Täter, denn der Anstifter habe sich sowohl gegenüber dem Opfer als auch gegenüber dem ausführenden Täter versündigt, weil dieser dazu gebracht worden sei, eine Sünde zu begehen. 120 In dieser Argumentation verschränken sich Aspekte des Strafrechts und der Sündenschuld. Anders als in Christi Hort bleibt die Aufarbeitung des Verhaltens der Prozessbeteiligten im Evangelium Nicodemi aber ganz auf der juristischen Ebene. 121 Bei der Gefangennahme des Pilatus wird erneut das Verhältnis von Rat und Tat thematisiert, diesmal fokussiert auf den Richter. Bereits der Grund der Gefangennahme wird sehr präzise formuliert: Zunächst fasst ein ritter des Pilatus das Ende Jesu so zusammen, dass Pilatus es verursacht habe, und zwar nach der juden rate , die Jesus gefangen gesetzt und gekreuzigt hätten (vv. 4278-4287). 122 Dass ,die Juden‘ damit auch eine Tat begangen haben, wird nicht weiter vertieft, sondern das vom Erzähler vorgenommene Referat dessen, was die Römer gehört hätten, konzentriert sich darauf, was Pilatus denen, die Jesus gefangen genommen hätten, zu tun befohlen habe (vv. 4290-4294). Pilatus erklärt sich für unschuldig ( „Ich bin unschuldic dieser tat! / […] “ , v. 4310) und verweist auf die Handwaschung und den Blutruf ,der Juden‘ (vv. 4310-4325). 123 Dass Pilatus aber ausdrücklich davon berichtet, dass er nach der Handwaschung von deme gerihte (v. 4319; vgl. vv. 1520-1523) gegangen sei, lässt erkennen, dass er auch mit dem Ablauf des Verfahrens argumentiert, für dessen Ausgang er keine Verantwortung übernehmen will. Für die von Pilatus vertretene Auffassung der Richterrolle ist es besonders aufschlussreich, gativ konnotiert ist der rat auch in den Worten Jesu, dass der größere Sünde auf sich geladen habe, der ihn mit rate zu Pilatus gebracht habe (vv. 1469 f.; vgl. Io 19,11), jedoch ist dort eine andere Bedeutung von rat relevant, nämlich die des Vorsatzes (vgl. DRW, s. v. ,Rat‘, I). 119 Vgl. Lindorfer 2008, bes. S. 58. 120 Vgl. Tractatus de maleficiis , De penis reorum 12, zitiert nach Kantorowicz 1926, S. 209. Vgl. dazu Bock 2006, S. 11. 121 Das gilt auch für die Wiederaufnahme des Themas des gewalttätigen bzw. diffamierenden Sprechens ,der Juden‘ im Schlussexkurs (vv. 4783-4855). Die Sündenschuld ,der Juden‘ wird nicht erwähnt; stattdessen steht ihre geforderte Bestrafung (Abschneiden der Zunge, v. 4813) bzw. die derjenigen, die nicht gegen sie vorgehen (Vierteilung, vv. 4853-4855), im Vordergrund. 122 Anders als bei der wohlwollenden Schilderung des Prozesses gegen Jesus durch Adrian als Boten des Pilatus (vv. 3972-3988) spielen Motivation und Umstände der Entscheidung des Pilatus hier keine Rolle. 123 Vgl. vv. 1520-1529. Bereits im Zuge der Handwaschung hatte Pilatus eine Tatbeteiligung von sich gewiesen: ich bin unschuldic dieser tat (v. 1525). 5.1 geriht : Die Verantwortung des Richters 223 dass er sagt, er habe die Anklage mit großer Sorgfalt geprüft und die rede 124 ,der Juden‘ genügend gemäßigt ( „ […] / Ich gedaht es mir vil angen / und sturte in der rede genuc / […] “ , vv. 4316 f.). Pilatus sieht seine Funktion also in einer mäßigenden Verfahrensführung erfüllt, wie sie unter anderem in der oben zitierten Glossenstelle gefordert wird. In seiner Entgegnung lässt Simeon dieses Argument jedoch nicht gelten: „Sprichestu nu daz Pilat, du sis unschuldic der tat? Wie mohtes du ane schult wesen, wend Jesus were wol genesen, swie harte din munt nu slihtet, hetes du ime gerihtet gerechtlichen und rehte. Du hieze dine knehte mit geislen in von aderen villen. Do volgte daz werc dinem willen. Du spreche do er niht ensprach, wend er den tot vor ime sach: ‚Warumme swigestu nu sus? Ich han gewalt din, Jesus, daz ich dich wol mac lazen gan oder an das cruze han.‘ Daz vortruc er mit gedult. Do wistes du wol dine schult, daz du sin schuldic were.“ ( Evangelium Nicodemi , vv. 4327-4345) Simeon erhebt einen inhaltlichen Einwand (bei einem gerechten Verfahren wäre Jesus freigesprochen worden) und verweist auf die Gerichtsverfassung (Pilatus habe doch selbst gesagt, er habe gewalt , über Leben und Tod Jesu zu entscheiden). Für diese Bestimmung der Amtsgewalt ist nicht eine konkrete Gerichtsverfassung maßgeblich, sondern - wie später bei Johannes Geiler von Kaysersberg - die im Johannesevangelium (19,10) überlieferte Aussage des Pilatus. Daraus wird in der Rede Simeons zusätzlich eine Schuldhaftung abgeleitet; denn seine Äußerung ließe darauf schließen, so Simeon, dass Pilatus sich seiner Schuld bewusst sei. Worte könnten den Tatbestand nicht aus der Welt schaffen (v. 4331). 125 Eine Grundannahme in der Entgegnung Simeons ist, dass Pilatus auch für nicht eigenhändig verübte Taten verantwortlich sei - ein Aspekt, der in der Botschaft der Frau des Pilatus im Text schon angeklungen war (vv. 920-923). 126 Simeon hält Pilatus vor, dass er 124 Das rechtsrelevante Bedeutungsspektrum reicht von ,Parteienrede‘ bis zur ,Beschimpfung‘ (vgl. DRW, s. v.). 125 Der munt (v. 4331) des Pilatus wird hier in dem Zusammenhang ausdrücklich benannt, in dem es darum geht, dass Pilatus sich herauszureden versuche. Auf die Tradition der etymologischen Deutung des Namens ,Pilatus‘, wonach der Name so zu erklären sei, dass Pilatus Jesus mit seinem Mund verurteilt habe (vgl. Scheidgen 2002, S. 42-47), wird nicht angespielt. 126 Die Frage der aktiven Beteiligung ist keine rein strafrechtliche, sondern steht auch in der Tradition der Bibelexegese. So wird in der Glossa ordinaria zu Io 18,31 (vgl. PL 114, col. 419C) konstatiert, auch Pilatus habe Jesus getötet, nur nicht mit seinen Händen (vgl. Scheidgen 2002, S. 50 f.). 224 5 Externe Bezugsfelder seinen Knechten den Befehl zur Geißelung gegeben habe (vv. 4334 f.): 127 Do volgte daz werc dinem willen (v. 4336). 128 Die von Simeon vertretene Auffassung bezieht sich auf die Verteilung der Verantwortlichkeiten in der Befehlskette, wie sie etwa auch von Thomas von Aquin erörtert wird, aber indirekt wird hier auch noch die vorher von Pilatus geäußerte Einschätzung zum Ausdruck gebracht, dass der Rat schlimmer sei als die Tat. Neben der inhaltlichen Aufarbeitung des Prozessgeschehens werden - über den Text hinweg - im Zusammenspiel von Figuren- und Erzählerreden auch Wertmaßstäbe entfaltet, die nicht an den konkreten Stoff gebunden sind. Dass im Evangelium Nicodemi wie auch in Christi Hort überhaupt Beurteilungsmaßstäbe verbalisiert werden, deutet darauf hin, dass die Texte an dem Problemkreis, vor welchem Bezugsfeld die Rolle des Richters zu interpretieren ist, Interesse zeigen bzw. dafür interessieren wollen. Christi Hort und das Evangelium Nicodemi unterscheiden sich von Diu urstende dadurch, dass die Wissentlichkeit des Handelns thematisiert wird. Das mag einerseits damit zusammenhängen, dass die Einbeziehung der Pilatus-Veronika-Legende eine rückblickende Analyse des schuldhaften Verhaltens des Pilatus begünstigt. 129 Zu bedenken ist aber auch, dass die beiden Texte später entstanden sind als Diu urstende , in einer Phase, in der die Rezeption des römisch-kanonischen Rechts schon weiter fortgeschritten war. Auch Diu urstende liefert jedoch einen entsprechenden Bezugsrahmen mit, indem implizit deutlich auf die Richterethik verwiesen wird. Darin ist im Keim schon die Spannung zwischen institutionellen Zwängen und moralischem Anspruch angelegt, die in den späteren Texten weiter ausgearbeitet wird. Christi Hort zeichnet die institutionelle Rolle des Richters sehr genau, legt den Schwerpunkt bei der Bewertung allerdings klar auf die Gewissensproblematik. Im Evangelium Nicodemi bleibt zwar die Ausgestaltung des Verfahrens weniger konkret, bei der Erörterung von Fragen der schult wird aber eine dezidiert juristische Betrachtungsweise eingenommen. Auf diese Weise fügen die Texte dem skizzierten Feld juristischer und moraltheologischer Perspektiven auf die Rolle des Richters jeweils individuelle Facetten hinzu. 127 Von der Geißelung war im Text vorher nur sehr knapp erzählt worden: Nachdem Pilatus Jesus ,den Juden‘ überlassen hat (v. 1488) und sie die Geißelung und (nochmals) die Kreuzigung eingefordert haben (vv. 1489-1491), wird angegeben, dass Sine ritter und sine knechte Jesus misshandeln (vv. 1492 f.), bevor ,die Juden‘ ihn verspotten. Das Herrschaftssystem setzt aber voraus, dass die ritter und knechte im Auftrag oder zumindest mit Einwilligung des Pilatus handeln. 128 Die alternative Betrachtungsweise von Pilatus als Ausführendem, der dem willen ,der Juden‘ nachgegeben habe, ist im Text in den Worten Adrians präsent (vv. 3985-3988). 129 Eine solche Analyse des Prozesses begegnet auch in anderen Ausarbeitungen der Pilatus-Veronika-Legende (vgl. Scheidgen 2002, S. 186-196 [zur Passion des Johannes Rothe] und S. 202-207 [zur Veronika-Dichtung des Pseudo-Regenbogen]; Grimbert 1991 [zu Joseph d’Arimathie Roberts de Boron]). 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 225 5.2 wârheit: Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung Christus enim quattuor specialiter habuit, in quibus opprobria et blasphemias audivit. [ … ] Habuit infallibilem veritatem, quia ipse est „via, veritas et vita“, 130 unde de se iterum dicit: „Sermo tuus veritas est.“ 131 Filius enim est sermo sive verbum patris. 132 […] In his Christus audivit opprobria et blasphemias. […] Tertio quoad veritatem. Ioh. VIII : „Tu de te ipso testimonium perhibes, testimonium tuum non est verum.“ 133 Ecce, dicunt ipsum mendacem, cum tamen ipse sit „via, veritas et vita“. Hanc veritatem Pilatus scire non meruit, quia ipsum secundum veritatem non iudicavit. 134 Incohavit quippe iudicium a veritate, sed non in veritate permansit et ideo de veritate quaestionem meruit incohare, sed non meruit solutionem audire. Alia ratio est secundum Augustinum, quare solutionem non audivit, quia, cum illam quaestionem fecisset, subito venit illi in mentem consuetudo Iudaeorum, qua solebat unus dimitti in pascha et ideo statim exiit et solutionem non expectavit. 135 Tertia ratio est secundum Chrysostomum, quia sciebat, quod quaestio tam difficilis indigebat multo tempore et multa discussione et ipse ad liberationem Christi properabat et ideo statim exivit. 136 Legitur tamen in evangelio Nicodemi, quod, cum Pilatus Iesum interrogasset: „Quid est veritas? “, Iesus ei respondit: „Veritas de caelo est.“ Et Pilatus: „In terris non est veritas? “ Dicit ei Iesus: „Quomodo potest veritas esse in terris, quae iudicatur ab his, qui potestatem habent in terris? “ 137 ( Legenda aurea , cap. 53,225 f.) 138 „Christus hatte insbesondere vier Vorzüge, gegen die er Beschimpfungen und Lästerungen zu hören bekam: […] Er verfügte über die untrügliche Wahrheit, denn er ist selbst ,Weg, Wahrheit und Leben‘ [Io 14,6], daher sagt er wiederholt von sich [Io 17,17]: ,Deine Rede ist Wahrheit‘. Denn der Sohn ist Rede resp. Wort des Vaters. […] In folgender Hinsicht bekam Christus Beschimpfungen und Lästerungen zu hören: […] Drittens hinsichtlich der Wahrheit. Io 8[,13]: ,Du legst von dir selbst Zeugnis ab, dein Zeugnis ist nicht wahr.‘ Siehe, man nennt ihn Lügner, wo er doch selbst ,Weg, Wahrheit, Leben‘ [Io 14,6] ist. Diese Wahrheit verdiente Pilatus nicht zu wissen, da er ihn nicht nach der Wahrheit richtete. Er 130 Vgl. Io 14,6. 131 Vgl. Io 17,17. 132 Vgl. den Prolog des Johannesevangeliums . Zu dem darin zum Ausdruck gebrachten Wahrheitsbegriff vgl. Gebauer 2000, S. 236-241. 133 Vgl. Io 8,13. 134 Vgl. Rm 2,1 f. 135 Vgl. Augustinus, In Evangelium Ioannis tractatus 115,5 (zitiert nach Willems 1990). 136 Vgl. Johannes Chrysostomus, In Ioannem homilia 84,1 (zitiert nach PG 59, col. 455). Bis zu diesem Punkt scheint die Zusammenstellung der verschiedenen möglichen Gründe dafür, dass die Frage des Pilatus unbeantwortet bleibt, der Catena aurea des Thomas von Aquin (cap. 18, l. 11) zu folgen. Zur Verwendung der Catena aurea in den diskursiven Passagen der Legenda aurea vgl. Jehle 2012, S. 51. 137 Vgl. Nikodemusevangelium , cap. III 2, Z. 14-18. Zur Verarbeitung von Passagen aus dem Nikodemusevangelium in der Legenda aurea vgl. Izydorczyk 1997c, S. 73 f. 138 Zitiert nach Häuptli 2014, Bd. 1, S. 706, Z. 19 - S. 708, Z. 29 = M., cap. 51,42-73. Die bei Maggioni 2007 im Apparat aufgeführten Quellen sind hier um Parallelstellen ergänzt. Zur Gliederung der Argumentation vgl. Maggioni ebd., S. 1533 f. 226 5 Externe Bezugsfelder begann die Gerichtsverhandlung zwar mit der Wahrheit, blieb aber nicht bei der Wahrheit, darum durfte er die Untersuchung über die Wahrheit eröffnen, durfte aber die Lösung nicht hören. Laut a ugustinus liegt ein anderer Grund vor, weshalb er die Lösung nicht hörte, der, dass ihm, als er jene Frage stellte, plötzlich der Brauch der Juden in den Sinn kam, nach dem einer an Ostern entlassen zu werden pflegte, deswegen sogleich hinausging und die Lösung nicht abwartete. Der dritte Grund ist laut [J ohannes ] C hrysostoMus , dass er wusste, dass eine so schwierige Frage viel Zeit und eine umfängliche Untersuchung benötigt, dass er selbst die Befreiung Christi beschleunigen wollte und deshalb sogleich hinausging. Doch liest man im Evangelium des Nikodemus , dass, als Pilatus Jesus fragte: ,Was ist Wahrheit? ‘, Jesus ihm antwortete: ,Die Wahrheit ist vom Himmel.‘ Und Pilatus: „Auf Erden ist keine Wahrheit? ‘ Da sagte Jesus zu ihm: ,Wie kann auf Erden Wahrheit sein, wenn die darüber richten, die auf Erden die Macht haben? ‘ “ 139 In diesem Auszug aus dem Traktat De passione domini der Legenda aurea 140 sind verschiedene Wahrheitsbegriffe präsent. Zunächst wird der christologische Wahrheitsbegriff des Evangelisten Johannes aufgerufen, nach dem eine Identität zwischen ,Wahrheit‘ und ,Christus‘ besteht. 141 Im Zitat aus dem Johannesevangelium (8,13), in dem die (in der Legenda aurea ungenannt bleibenden) Pharisäer die Selbstcharakterisierung Jesu als das Licht der Welt (Io 8,12 f.) anzweifeln, da er selbst über sich Zeugnis ablege, scheint aber eine andere Wahrheit auf, nämlich eine, die mit juristischen Methoden ermittelt werden kann: Im Johannesevangelium argumentiert Jesus zunächst damit, dass die Pharisäer nur eine begrenzte menschliche Erkenntnisfähigkeit hätten (Io 8,14 f.), lässt sich dann aber doch auf eine juristische Argumentationsebene ein, indem er sagt, dass zugleich mit ihm sein Vater über ihn Zeugnis ablege und damit der Zweizeugenregelung des Gesetzes der Pharisäer 142 Genüge getan sei (Io 8,16-18). Den Pharisäern bleibt auch diese Aussage Jesu verschlossen, weil sie seine wahre Natur nicht erkannt haben (Io 8,19). 143 In die Legenda aurea ist aus der Johannes- Stelle nur der Aspekt des Verkennens der wahren Natur Jesu aufgenommen. Unter diesem Aspekt wird eine Verknüpfung zwischen dem Lügenvorwurf nach Io 8,13 und dem Gespräch zwischen Jesus und Pilatus über die Wahrheit (Io 18,37 f.) 144 hergestellt. Gegenüber 139 Die Übersetzung folgt Häuptli (2014, Bd. 1, S. 707; 709) mit Abweichungen. 140 Jacobus a Voragine begann mit der Abfassung des Werks wohl in den sechziger Jahren des 13. Jahrhunderts und hat es bis zu seinem Tod 1298 mehrfach revidiert (zur Datierung vgl. Kunze 1983, Sp. 453 f.; Maggioni 2007, S. XVII). Zur heilsgeschichtlichen Gliederung der Legenda aurea vgl. Rhein 1995, S. 48-60 (mit einer Übersicht über die Stationen des Lebens Jesu in Anm. 179 [S. 49]). 141 Zum „personal-aktuale[n] Offenbarungsaspekt von ἀλήθεια“ im Johannesevangelium vgl. Gebauer 2000, S. 241-245. 142 Zur Zweizeugenregelung vgl. Dt 17,6; 19,15. Zu ihrer Rezeption im jüdischen Recht vgl. Cohn 1927, Sp. 949. 143 Zur Interpretation von Io 8 vgl. Lincoln (2000, S. 82-87), der den ironischen Charakter der Anerkennung der Zweizeugenregelung durch Jesus hervorhebt, dessen Verhalten aber auch grundsätzlich mit seinen zwei Naturen in Verbindung bringt: „That Jesus is portrayed as both human and divine affects the way his witness is depicted. As a human witness, he accedes, at least formally, to the demands in both John 5 and John 8 that there be more than one witness in his case in conformity to the legislation in Deuteronomy. […] But even when Jesus lists more than one witness and talks of the Father as the second witness […], these are not the sort of witnesses that the Deuteronomic law had in view or that would have been accepted in the legal conventions to which his opponents appeal. They only serve to highlight that in the end Jesus is essentially testifying about himself. Despite the law, such testimony is deemed true because of Jesus’ unique identity (8: 14).“ (ebd., S. 195; vgl. auch Lincoln 2015, S. 154). Vgl. zu den theologischen Implikationen der Stelle auch Pancaro 1975, S. 263-280. 144 Dixit itaque ei Pilatus / ergo rex es tu / respondit Jesus / tu dicis quia rex sum ego / Ego in hoc natus sum et ad hoc veni in mundum ut testimonium perhibeam veritati / omnis qui est ex veritate audit vocem 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 227 dem Johannesevangelium erfolgt in der Legenda aurea eine Spezifizierung: Hanc ueritatem (sc. die Identität von ,Wahrheit‘ und , Jesus‘) habe Pilatus nicht zu erkennen verdient. In der Begründung dafür, dass die Frage des Pilatus, was Wahrheit sei, deshalb nicht beantwortet werde, weil er nicht würdig sei, diese Wahrheit zu erfahren, wird mit dem Ausgang des Verfahrens argumentiert, obwohl Pilatus’ Frage zu einem Zeitpunkt gestellt wird, an dem es noch nicht beendet ist: Die Wahrheit, deren Pilatus nicht würdig ist, ist theologisch definiert, der Grund seiner Unwürdigkeit aber ist sein richterliches Verhalten im Prozess, er habe nicht secundum ueritatem geurteilt. Er habe nämlich das iudicium mit der Wahrheit begonnen, sei aber nicht ,in der Wahrheit‘ geblieben ( Incohavit quippe iudicium a veritate, sed non in veritate permansit ). Deswegen sei er zwar würdig genug gewesen, die Frage nach der (theologischen) Wahrheit aufzuwerfen ( ideo de veritate quaestionem meruit incohare ), jedoch nicht, eine Antwort zu erhalten. Das Nicht-Verbleiben ,in der Wahrheit‘ muss in diesem Zusammenhang bedeuten, dass Pilatus trotz seiner Erkenntnis, dass Jesus unschuldig ist, dessen Hinrichtung schließlich nicht verhindert hat. Wenn also gesagt wird, dass er nicht secundum ueritatem geurteilt habe, so ist damit ein Fehlverhalten gegenüber der Wahrheit im juristischen Sinne gemeint, allerdings klingt auch die Formulierung iudicium Dei est secundum veritatem aus dem zweiten Römerbrief an, 145 durch die eine Wesenseinheit zwischen Gott und der Wahrheit nahegelegt wird. In der Begründung für das Verhalten des Pilatus wird auf diese Weise auch deutlich, dass theologische und juristische ,Wahrheit‘ onomasiologisch verbunden, aber nicht deckungsgleich sind. Inwiefern Menschen überhaupt secundum veritatem richten können, wurde zum Beispiel von Thomas von Aquin in seiner Summa theologiae ( II ª- II ae q. 67 a. 2) diskutiert, in der er argumentiert, für Menschen könne dieses Prinzip nicht in gleicher Weise gelten; sie müssten sich darauf beschränken, die Wahrheit nach dem zu beurteilen, was ihnen vorgelegt worden sei. 146 Eine Kritik an der menschlichen Urteilsfähigkeit kann man auch in der meam / dicit ei Pilatus / quid est veritas / et cum hoc dixisset iterum exivit ad Judæos / Et dicit eis / ego nullam invenio in eo causam („Darauf sagte Pilatus zu ihm: ,Also bist du ein König? ‘ Jesus antwortete: ,Du sagst, dass ich ein König bin. Ich bin dazu geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich Zeugnis ablege für die Wahrheit. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.‘ Pilatus sagte zu ihm: ,Was ist Wahrheit? ‘ Und als er das gesagt hatte, ging er wiederum hinaus zu den Juden und sagt zu ihnen: ,Ich finde bei ihm keine Schuld.‘ “). Die Aussage Jesu an dieser Stelle, dass er in die Welt gekommen sei, um Zeugnis über die Wahrheit abzulegen, ist in der Legenda aurea gewissermaßen durch Io 8,13 ersetzt. 145 propter quod inexcusabilis es / o homo omnis qui iudicas / in quo enim iudicas alterum te ipsum condemnas / eadem enim agis qui iudicas / / scimus enim quoniam iudicium Dei est secundum veritatem in eos qui talia agunt (Rm 2,1 f.; „Deshalb bist du unentschuldbar, o Mensch jedweder Art, der du richtest. Denn worin du einen anderen richtest, verurteilst du dich selbst. Dasselbe nämlich tust du, der du richtest. Denn wir wissen, dass das Urteil Gottes gemäß der Wahrheit gegen diejenigen ergeht, die solches tun.“). Zur Deutung dieser Stelle vgl. Wilckens 1978, S. 122-124. Vers 1 ist nicht auf eine konkrete Gerichtssituation zu beziehen, sondern lässt sich folgendermaßen paraphrasieren: „Auch du, Mensch, der du dich von dem sündigen »Menschen« distanzierst, indem du über ihn richtest, verfällst ebenso Gottes Gericht, weil du nämlich selbst gleiches tust.“ (Wilckens ebd., S. 123). 146 […] iudices debent veritatem iudicare secundum ea quae fuerunt sibi proposita (IIª-IIae q. 67 a. 2 ad 1; „[…] dass die Richter ein wahres Urteil fällen müssen gemäß dem, was ihnen vorgelegt worden ist“). Vgl. auch IIª-IIae q. 67 a. 2 ad 2: Ad secundum dicendum quod Deo competit iudicare secundum propriam potestatem. Et ideo in iudicando informatur secundum veritatem quam ipse cognoscit, non secundum hoc quod ab aliis accipit. Et eadem ratio est de Christo, qui est verus Deus et homo. Alii autem iudices non iudicant secundum propriam potestatem. […] („Zu 2. Gott kommt es zu, zu richten nach eigener Machtbefugnis. Und deshalb bildet er sich sein Urteil anhand der Wahrheit, die er selbst weiß, und nicht nach dem, was er von anderen erhält. Dasselbe gilt von Christus, der wahrer Gott und Mensch 228 5 Externe Bezugsfelder Legenda aurea dem modifizierten Zitat aus dem Nikodemusevangelium entnehmen, denn, während es im Nikodemusevangelium darum geht, wie über die, die die Wahrheit sagen, von den Machthabern geurteilt wird, 147 sind die Worte Jesu in der Version der Legenda aurea auf die Urteilenden fokussiert ( Quomodo potest ueritas esse in terris que iudicatur ab hiis qui potestatem habent in terris? ; „Wie kann auf Erden Wahrheit sein, wenn die darüber richten, die auf Erden die Macht haben? “). Allerdings ist die Aussage Jesu speziell auf diejenigen bezogen, die die Macht haben, sodass auch die Möglichkeit des Machtmissbrauchs bzw. des ungerechten Richtens aufgerufen wird. Das Nikodemusevangelium enthält jedenfalls ein an die Wahrheitsfrage anschließendes erläuterndes Gespräch zwischen Jesus und Pilatus, weswegen sich hier das Problem des Weggangs des Pilatus nicht in gleicher Weise stellt wie in den kanonischen Evangelien. In der Legenda aurea wird dieses Gespräch (mit den modifizierten Worten Jesu) als Abschluss der Reihe verschiedener Erklärungen für das Ausbleiben der Antwort Jesu aufgeführt. Die einzelnen zuvor genannten Interpretationsmöglichkeiten des Dialogs zwischen Jesus und Pilatus werden nicht gegeneinander abgewogen, und so bleibt auch die pragmatische Begründung des Augustinus, Pilatus sei plötzlich die Passah-Amnestie eingefallen und er habe deshalb die Antwort Jesu nicht abgewartet, neben der des Chrysostomus stehen, Pilatus habe gewusst, dass die Erörterung der Wahrheitsfrage viel Zeit kosten würde, und sei deshalb zur Befreiung Jesu geeilt. 148 Im Hinblick darauf, dass für die Ausführungen in der ganzen Passage ein christologischer Wahrheitsbegriff der Ausgangspunkt ist, ist das Argument des Chrysostomus bemerkenswert, vor allem weil es in der Legenda aurea gegenüber der Catena aurea 149 so umformuliert ist, dass es das Muster einer scholastischen Quaestio aufruft: […] sciebat quod quaestio tam difficilis indigebat multo tempore et multa discussione („[…] er wusste, dass eine so schwierige Frage viel Zeit und eine umfängliche Untersuchung benötigt“). Dass die Frage des Pilatus - vor allem, wenn man sie aus dem Handlungskontext isoliert - auch philosophisch verstanden werden kann, wird bis heute in der Bibelexegese betont. 150 In mittelalterlichen ist. Die anderen Richter aber richten nicht in eigener Machtbefugnis. […]“; die Übersetzung folgt mit Abweichungen der von Utz [1953] kommentierten deutschen Ausgabe [S. 225]). Der Kontext für die Position, dass die vorgelegten Beweise gegenüber dem Wissen des Richters privilegiert werden, ist die Frage, ob der Richter auf privates Wissen zurückgreifen darf ( Secundo, utrum liceat iudicium ferre contra veritatem quam novit, propter ea quae sibi proponuntur ; IIª-IIae q. 67 pr.; „2. Darf jemand ein Urteil gegen die ihm bekannte Wahrheit fällen, auf Grund dessen, was vor ihm ausgesagt wird? “; für die Übersetzung vgl. Utz ebd., S. 219 [mit Abweichungen]); s. dazu o. S. 211. Zur Überlegenheit der göttlichen gegenüber der menschlichen Urteilsfähigkeit und den Konsequenzen für das Rechtsleben vgl. Evans 2002, S. 139-141. 147 ‘Intende ueritatem dicentis in terra, quomodo iudicantur ab his qui habent potestatem in terris.’ (cap. III 2, Z. 17 f.; „ ,Sieh dir an, wie diejenigen, die auf Erden die Wahrheit sagen, von denen gerichtet werden, die auf Erden die Macht haben.‘ “). 148 Zum Erklärungsmuster der Ungeduld des Pilatus vgl. Demandt 1999, S. 156; 2012, S. 86. 149 S. dazu o. S. 225, Anm. 136. 150 Vgl. Gebauer 2000, S. 236: „Vor diesem Hintergrund [sc. der hellenistischen Philosophie] erscheint die Frage des Pilatus als Ausdruck berechtigter philosophischer Kritik am Wahrheitsanspruch Jesu. Für den Evangelisten ist sie freilich etwas anderes - nämlich der unvermeidliche Ausdruck der Unfähigkeit der Welt, die sich in Jesus erschließende göttliche Wahrheit zu erkennen.“; vgl. auch Söding 2003, S. 33. Lincoln (2000, S. 129) sieht in der Frage des Pilatus primär „an attempt to evade Jesus’ witness and a sign of his failure to hear“ und möchte sie nicht philosophisch überfrachtet wissen. Losgelöst vom situativen Kontext ist die Frage des Pilatus zum Ausgangspunkt philosophischer Überlegungen geworden (vgl. z. B. Gadamer 1986 [1957]). Zum Provokationspotenzial der skeptischen Frage 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 229 Bibelkommentaren wurde dieser Aspekt nicht unbedingt herausgearbeitet, 151 wie auch die situationsbezogene Auslegung in der Catena aurea demonstriert. In seinem Kommentar zum Johannesevangelium bietet Thomas von Aquin aber ausführlichere Erläuterungen, die im Kern sein veritas -Konzept enthalten, 152 bei dem er zwischen ontologischer (göttlicher) Wahrheit und der dem messenden Verstand des Menschen zugänglichen Wahrheit differenziert. 153 Dass das Verhältnis zwischen theologischer und philosophischer Wahrheit überhaupt klärungsbedürftig geworden ist, verweist auf die großen Auseinandersetzungen zwischen den Fächern Theologie und der sich emanzipierenden Philosophie, in deren Rahmen es auch zu einer Ausdifferenzierung der Wahrheitsbegriffe kam. 154 In der Legenda aurea ist die Theologie als „Letztbegründungsinstanz“ 155 nicht angezweifelt, aber es wird zumindest in der Auffassung des Chrysostomus die Möglichkeit referiert, dass die Frage nach der Wahrheit eine ist, die eine Betrachtung von verschiedenen Seiten ( multa discussione ) erfordern kann. Die sich im Spannungsfeld zwischen Theologie und Philosophie entwickelnde komplexe Wahrheitsdiskussion ist für den Bereich des Rechts nicht unmittelbar relevant; aber die den Disziplinen zuzuordnenden Zugänge zur ,Wahrheit‘ lassen sich dort unter pragmatischen Vorzeichen wiederfinden, wie hier für zwei Aspekte herausgearbeitet werden soll, die für des Pilatus und ihrer Deutungsgeschichte außerhalb der theologischen Exegese vgl. Demandt 1999, S. 155-159; 2012, S. 85-91. Die johanneische Schilderung der Verhandlung vor Pilatus ist insbesondere auch auf die Art der Sprachverwendung hin interpretiert worden (vgl. Knape 2000, S. 20-32, mit einer rhetorischen Deutung, nach der die kommunikative Handlungsmächtigkeit in Frage gestellt werde). Austin (1950, S. 15) liest in die Worte des Pilatus sogar eine sprachkritische Dimension hinein: „ ‘What is truth? ’ said jesting Pilate, and would not stay for an answer. Pilate was in advance of his time. For ‘truth’ itself is an abstract noun […]“ (vgl. dazu auch Hedwig 2009, S. 117, Anm. 5). Der erste Satz aus dem Austin-Zitat ist aus dem ersten der Essays von Francis Bacon (1612) übernommen (zu Bacon vgl. Demandt 1999, S. 156; 2012, S. 86). 151 Im Kommentar des Albertus Magnus zum Johannesevangelium ( In Johannem , cap. 18,37, zitiert nach Borgnet 1899, S. 642b) erfolgt anlässlich der Frage des Pilatus keine Erörterung des Wahrheitsbegriffs (vgl. Senner 2006, S. 114 f.). 152 Vgl. Hedwig (2009, S. 117, Anm. 6), der hinsichtlich der „theologische[n] Funktion des Pilatus im Werk des Aquinaten“ (ebd., Anm. 5) noch Forschungsbedarf sieht. Wie Senner (2006, S. 141 f.) betont Hedwig, dass es Thomas von Aquin bei der Kommentierung der Frage des Pilatus nicht um eine philosophische Wahrheitsdefinition im engeren Sinne gehe. Vgl. Super Io. , cap. 18, l. 6, XI (2364): Ponit responsionis effectum, in quo datur intelligi quod Pilatus propulsa suspicione regni terreni, ac intelligens Christum regem esse in doctrina veritatis, cupit veritatem scire, ac effici de regno eius; unde dicit Quid est veritas? non quaerens quae sit definitio veritatis, sed quid esset veritas cuius virtute de regno eius efficeretur: dans per hoc intelligere, quod veritas mundo incognita erat, et fere ab omnibus evanuerat, dum increduli essent. (zitiert nach Cai 1972 [1952]; „Er [sc. der Evangelist] bestimmt die Wirkung der Antwort, in der zu verstehen gegeben wird, dass Pilatus, nachdem der Verdacht, es handele sich um das irdische Königreich, beseitigt war, und in der Erkenntnis, Christus sei König in der Lehre der Wahrheit, wünscht, die Wahrheit zu kennen, und dass sie in Bezug auf dessen [sc. Christi] Reich erwiesen werde. Daher sagt er ‚Was ist Wahrheit? ‘ Er fragt nicht nach der Begriffsbestimmung der Wahrheit, sondern was die Wahrheit sei, durch deren Kraft etwas erwiesen werde hinsichtlich dessen Königsherrschaft. Er [sc. der Evangelist] gibt dadurch zu verstehen, dass die Wahrheit der Welt unbekannt war und so gut wie immer allen aus dem Blick geraten war, solange sie ungläubig waren.“; die Übersetzung orientiert sich an Weingartner / Schöner 2016, S. 447 [mit größeren Abweichungen]). 153 Vgl. dazu Hedwig 2009, S. 117-127; vgl. auch Senner 2006, S. 141 f. Zur Adäquationstheorie des Thomas von Aquin vgl. außerdem Davids 2006 (mit weiterer Literatur). 154 Zur ,doppelten Wahrheit‘ vgl. Rieger 2000. 155 Vgl. dazu Rieger 2000, S. 102. 230 5 Externe Bezugsfelder die Kerntexte von besonderer Bedeutung sind: die ethische Verpflichtung zur Wahrheit und das Problem der Wahrheitsfindung. Erstere hat ihre Begründung - zumindest in dem hier zu betrachtenden christlichen Kontext - in einem theologischen Wahrheitsbegriff, 156 bei Letzterem geht es zwar um eine konkrete Tatsachenwahrheit, nicht allgemein um eine in den Dingen liegende Wahrheit, doch ergeben sich auch bei der Ermittlung einer Tatsachenwahrheit erkenntnistheoretische Probleme. 157 Wie der christologische Wahrheitsbegriff auf eine pragmatisch relevante Ebene heruntergebrochen werden kann, zeigt eine Stelle im Decretum Gratiani , wo - in Anlehnung an Bedas Kommentar zum Markusevangelium (Mc 14) - nachgewiesen werden soll, dass ein bestechlicher Zeuge sich desselben Verbrechens schuldig macht wie Judas: Qui falsum testimonium dicunt, et ueritatem pro pecunia negant, sceleris Iudae participes fiunt. Abiit Iudas ad summos sacerdotes, et constituerunt ei pecuniam se daturos. Multi hodie scelus Iudae, quia Dominum ac magistrum suum, deumque pecunia uendiderit, uelut inmane et nefarium exhorrent, nec tamen cauent. Nam cum pro muneribus falsum contra quemlibet testimonium dicunt, profecto, quia ueritatem pro pecunia negant, Deum pecunia uendunt. Ipse enim dixit: „Ego sum ueritas.“ […] ( Decretum Gratiani , C. 11 q. 3 c. 83) „ Die ein falsches Zeugnis ablegen und die Wahrheit für Geld verleugnen, werden Teilhaber am Verbrechen des Judas. Judas ging zu den Hohepriestern, und sie kamen überein, ihm Geld zu geben. Viele entsetzen sich heute über das Verbrechen des Judas, weil er seinen Herrn und Lehrer und Gott für Geld verkauft habe, wie über etwas Ungeheuerliches und Frevelhaftes, und hüten sich dennoch nicht davor. Denn wenn sie für Geschenke gegen irgendjemanden ein falsches Zeugnis geben, verkaufen sie tatsächlich, weil sie die Wahrheit für Geld verleugnen, Gott für Geld. Er selbst hat nämlich gesagt: ,Ich bin die Wahrheit.‘ […]“ Aus der Aussage Jesu, dass er die Wahrheit sei, wird hier abgeleitet, dass beim Verkauf der Wahrheit zugleich ,Gott‘ verkauft werde. Eine Verpflichtung zur Wahrheit ergibt sich aus der zu erwartenden Strafe bei Zuwiderhandlungen, wie sich dem Kontext der Stelle entnehmen lässt. Vorher (C. 11 q. 3 c. 80) war bereits gesagt worden, dass es den Zorn Gottes errege, wenn man die Wahrheit aus Furcht vor einer irdischen Gewalt ( metu cuiuslibet potestatis ) verberge, denn das zeige, dass man den Menschen mehr fürchte als Gott. 158 In c. 84 wird das Argumentationsmuster aus c. 83 aufgenommen: Wer gegen die wesensmäßigen Eigenschaften Jesu / Gottes handele, zu denen auch iustitia und ueritas gehören, mache sich genauso schuldig wie die an der Marter Jesu Beteiligten; das werde beim Jüngsten Gericht geahndet: Christum negat qui peruersis socium se facit. Item Ieronimus [ in epistolam ad Titum, c. I. in extremo .] […] 156 Damit soll der Einfluss antiker Tugendlehren nicht geleugnet werden. Zu den aristotelischen Wurzeln des veracitas -Konzepts bei Thomas von Aquin vgl. Hedwig 2009, S. 127-131. 157 Vgl. dazu auch Lepsius (2006, S. 134 f.), die Verfahren der Überzeugungsbildung bei Juristen (Bartolus de Saxoferrato) und Theologen (Glaubenslehre des Thomas von Aquin) vergleicht. Die von ihr für Thomas referierten Methoden sind der theologia philosophica zuzuordnen (zu diesem Konzept vgl. Speer 2007, S. 76 f.). 158 Für die Bezugstexte vgl. die Ausgabe von Friedberg 1879. 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 231 Christus sapientia est, iustitia, ueritas, sanctitas, fortitudo. Negatur per insipientiam sapientia, per iniquitatem iustitia, per mendacium ueritas, per turpitudinem sanctitas, per inbecillitatem animi fortitudo. Quocienscumque uincimur uiciis atque peccatis, tociens Deum negamus, et e contrario, quociens bene quid agimus, Deum confitemur. Nec arbitrandum est in die iudicii illos tantum a Dei filio denegandos, qui in martirio Christum negauerunt, sed et illos omnes, quorum opere, uel sermone, uel cogitatione Christus negatur, negat uel confess o s 159 confitetur. De hac puto confessione quod discipulis precepit dicens: „Eritis michi testes in Ierusalem, et in omni Iudea, et Samaria, et usque ad ultimum terrae.“ ( Decretum Gratiani , C. 11 q. 3 c. 84) „ Christus verleugnet, wer sich zum Genossen von schlechten Menschen macht. Ebenso Hieronymus [zum Brief an Titus, Kap. 1, am Ende.] […] Christus ist die Weisheit, die Gerechtigkeit, die Wahrheit, die Heiligkeit, die Tapferkeit. Es wird durch Unverstand die Weisheit verleugnet, durch Ungerechtigkeit die Gerechtigkeit, durch Lüge die Wahrheit, durch Unsittlichkeit die Heiligkeit, durch Mangel an Mut die Tapferkeit. Wie oft wir uns durch Laster und Sünden besiegen lassen, so oft verleugnen wir Gott, und umgekehrt: wie oft wir etwas gut verrichten, bekennen wir Gott. Und man darf nicht glauben, am Tag des Gerichts müssten nur diejenigen von Gottes Sohn zurückgewiesen werden, die Christus bei seinem Martyrium verleugnet haben; vielmehr: auch alle jene, durch deren Tun oder Reden oder Denken Christus verleugnet wird, verleugnet er oder bekennt sich zu denen, die sich zu ihm bekannt haben. Ich glaube, dass er über dieses Bekennen seine Jünger belehrt hat mit den Worten: ,Ihr werdet für mich Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde.‘ “ Als Alternative wird aber auch eine Nachfolge Jesu für möglich gehalten: Die spirituelle Zeugenschaft der Jünger (vgl. Act 1,8) wird in diesem Zusammenhang als moralische Nachfolge uminterpretiert. Die hier ausführlich zitierte Stelle aus dem Decretum Gratiani kann als geradezu prototypisch für das weit verbreitete Argumentationsmuster gelten, dass aus der Passionsgeschichte über die Gleichsetzung von Jesus mit seinen Wesenseigenschaften moralische Prinzipien für jeden Christen abgeleitet werden. Es findet sich etwa noch im Schachzabelbuch Konrads von Ammenhausen. Dort treten als Repräsentanten des Richterstandes Pilatus und Herodes auf: Weil sie unrecht gerichtet haben, sitzen sie nun in der Hölle auf ihren Richterstühlen. In der moralischen Ausdeutung heißt es dazu: swel rihter die gerehtkeit lât über got er gerihtet hat. got ist das reht und du ͤ wârheit ( Schachzabelbuch , vv. 4281-4283) 160 Die zahlreichen Drohungen mit dem Jüngsten Gericht deuten daraufhin, dass ,Wahrheit‘ in der Lebenspraxis nicht immer der Handlungsmaßstab war. Neben der Bestechlichkeit der Richter und der anderen an einem Gerichtsverfahren Beteiligten, die sich aus den dagegen gerichteten präskriptiven Normen, aber auch aus Erzählungen 161 erschließen lässt, ist an- 159 Konjektur (H. M.) für confessus . 160 Zitiert nach Vetter 1892 (die Stelle hat keine Entsprechung im Liber de ludo scaccorum des Jacobus de Cessolis). Vgl. dazu Scheidgen 2002, S. 254 f. 161 Vgl. z. B. die Figur des bestechlichen Richters in Strickers Erzählung „Der Richter und der Teufel“, die als Exemplum Eingang in den Deutschenspiegel (Ldr. 80,3) und einige Schwabenspiegel -Handschriften fand (vgl. dazu Ott 1988 mit einer Übersicht über die Überlieferung auf S. 243; Heinzle 1999, S. 270-278; Bleumer 2011b, S. 171). Zum Problem der Bestechlichkeit vgl. auch Schild 1985, S. 12. Dass mit der 232 5 Externe Bezugsfelder zunehmen, dass Furcht ebenso eine Rolle gespielt haben mag, und zwar nicht nur die bereits bei Gratian genannte Furcht vor einer Amtsgewalt. James Q. Whitman (2008a) hat daneben die Furcht vor der Rache der Angehörigen des durch eine Aussage Beschuldigten und die Angst, mit einer Aussage eine Blutschuld auf sich zu laden, ausgemacht. 162 Das Quellencorpus, auf das er seine These stützt, ist denkbar schmal; 163 im Wesentlichen argumentiert er mit einer Problemstellung aus dem Speculum doctrinale des Vinzenz von Beauvais, in dem die Frage diskutiert wird, ob jemand, der einen anderen falsch schwören hört, eine Sünde begeht, wenn er trotz des Wissens um die Falschheit des Eides dazu schweigt. 164 Als mögliche Gründe, die dagegen sprechen könnten, den falschen Eid offenzulegen, wird eine spirituelle Gefahr genannt (Blutschuld durch ein Todesurteil oder die Rache der Eltern [! ] des von dem Meineidigen zu Unrecht Beschuldigten an dem Meineidigen), aber auch die Gefahr für das eigene Leben. Hier scheint die Furcht vor einer Privatrache durch. Ob man eine solche Furcht generell annehmen kann, hängt davon ab, inwieweit die Privatfehde oder das System einer gerichtlichen Konfliktregelung dominierte. 165 Dass im gelehrten Prozess das Zeugenverhör in secreto stattfand, unter anderem zum Schutz der Zeugen vor der Rache grundsätzlichen Gefahr der Rechtsbeugung durch Bestechungszahlungen zu rechnen war, zeigt sich in den Kerntexten am deutlichsten bei der Erläuterung der (römischen) Gerichtssitten im Evangelium Nicodemi , wo allerdings der Richter als jemand dargestellt ist, der gegen Bestechlichkeit vorgeht: swa man den vanen vorneme / und des koniges gewalt, / swer da worde bezalt / mit unrehten dingen, / daz er den mohte betwingen / mit des keiseres craft (vv. 846-851). 162 Vgl. Whitman 2008a, S. 75. Zu der von ihm als dritten Typ der Furcht genannten Angst vor dem Risiko des Schwörens s. u. S. 239 f. 163 Vgl. zu Whitmans Umgang mit Quellen auch die Rezension von Shapiro 2008 und Whitmans (2008b, S. 185 f.) Reaktion darauf, in deren Rahmen er auch die Frage aufwirft, in welchen Texttypen man überhaupt mit Reflexionen über Motivationen etwa von Schöffen rechnen kann. 164 Vinzenz von Beauvais, Speculum doctrinale , l. 9, c. 103 (zitiert nach dem Münchner Exemplar des Druckes Venedig 1494 [BSB-Ink V-200 - GW M50 566]; für eine Übersicht über die Drucke vgl. http: / / www.arlima.net/ uz/ vincent_de_beauvais.html#doc, 15. 08. 2017): De illo qui audit alium peierare & tacet. QVid si aliquis audit alium iurare falsum, & ipse scit, & tacet, nunquid peccat? videtur quod sic, in Leuitico. Anima quæ audierit vocem iura(n)tis falsum, testisque fuerit, quod aut ipse vidit, &c . Item caret scrupolo societatis occultæ, qui manifesto facinori desinit obuiare. Econtra vero, qui crimen occultum manifestat, non est erroris correptor, sed proditor, dicit Augu. Item si prodit eum forte punietur ille in corpore, vel occidetur à iudice, vel etiam à parentibus illius contra quem ipse volebat peierare, vel ipsemet proditor potest de facili incurrere mortis periculum: Et ideo dicit Augustinus, quod sufficit isti, vt se ab hoc soluat peccati vinculo, si indicet talibus, qui magis possunt prodesse quam obesse periuro, siue eum corrigendo, siue pro eo Deum placando. („Über denjenigen, der einen anderen einen Meineid leisten hört und schweigt: Nun, wenn jemand einen anderen etwas Falsches schwören hört und er es weiß und schweigt, begeht er etwa eine Sünde? Es scheint, dass es so ist, [vgl.] Leviticus [5,1]: ,Eine Seele, die die Äußerung eines falsch Schwörenden gehört hat, und Zeugin dessen war, was sie entweder selbst gesehen hat, usw.‘ Ebenfalls: Frei ist von der Besorgnis wegen einer geheimen Gemeinschaft [sc. des Bösen], der es unterlässt, einer offenkundigen Schandtat entgegenzutreten. Ganz im Gegenteil: Wer ein geheimes Verbrechen offenkundig macht, der schilt nicht das Vergehen, sondern verrät es, sagt Augu(stinus) [ Sermo 82, cap. 7, vgl. PL 38, col. 510, l. 47]. Ebenfalls: Wenn er ihn verrät, wird jener vielleicht körperlich bestraft oder getötet werden vom Richter oder sogar von den Eltern dessen, gegen den er selbst einen Meineid leisten wollte, oder er kann selbst als Verräter leicht in Todesgefahr kommen: Und deshalb sagt Augustinus, dass es für jenen genügt, um sich von dieser Fessel der Sünde zu befreien, wenn er es solchen anzeigt, die dem Meineidigen mehr nützen als schaden können, sei es, dass sie ihn bessern, sei es, dass sie für ihn Gott besänftigen [ Quaestionum in Heptateuchum libri septem , lib. 3, Quaestio Levitici, quaestio 1, l. 19, vgl. die Ausgabe von Fraipont / De Bruyne 1958].“). 165 Vgl. dazu auch Whitman 2008a, S. 75 mit Anm. 100 und 101 (S. 233); Hyams 2010; Reinle 2013, jeweils mit weiterer Literatur. 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 233 der Angehörigen der Beklagten, 166 spricht für eine weitverbreitete Vitalität der (privaten) Rachekultur. Auf jeden Fall kann das von Whitman interpretierte Textbeispiel unter systematischen Gesichtspunkten sowohl die Bandbreite spiritueller Handlungsmotivationen als auch irdische Beweggründe demonstrieren. Auch in den deutschen Rechtsbüchern ist die spirituelle Verpflichtung zur Wahrheit nur e i n Aspekt. Stellvertretend sei auf den Deutschenspiegel verwiesen: Dort wird ein Vorsprecher, der Bestechungsgeld annimmt und deshalb jemanden um sein Recht bringt, mit Judas verglichen (Ldr. 78,4), und es wird gesagt, dass es wider got sei, wenn ein Vorsprecher seine Kunst für eine unrechte Sache einsetze (Ldr. 78,2) oder einem Armen nur ungern zu dessen Recht verhelfe (Ldr. 78,3). Es werden aber auch ganz konkret Schadenersatzleistungen für den ersten Fall benannt (Ldr. 78,4). Im Kapitel zu den Zeugen hat sich die Perspektive auf die irdische Dimension eingeengt: Für einen überführten bestochenen Zeugen (Ldr. 80,1) werden Bußzahlungen an den Richter festgelegt. Außerdem dürfe der Überführte ein Jahr lang für keinen Mann und keine Frau Zeuge sein. Diese Regelung impliziert eine (irdische) Rehabilitation nach einem Jahr, die im Kontrast zum Konzept der ewigen Verdammnis steht. 167 Von wârheit ist im Deutschenspiegel in Zusammenhang mit der Bestechlichkeitsproblematik nicht die Rede, und die Aufgabe des Zeugen wird so beschrieben, dass er enen seines rechten helfen (Ldr. 80,1), also jemanden zu dessen subjektivem Recht verhelfen solle. Obwohl der Deutschenspiegel insgesamt deutliche Züge der Rezeption des gelehrten Rechts trägt, verweist die Stelle durch diese Formulierung zurück auf eine ,deutschrechtliche‘ Tradition, nach der nicht die Wahrheitsfindung im Mittelpunkt eines Verfahrens steht. 168 Das Ziel von Gerichtsverfahren lässt sich vielmehr als Wiederherstellung von reht durch eine friedliche Sühne beschreiben. 169 Damit soll für das ,deutsche‘ Recht nicht generell der enge Zusammenhang zwischen ,Wahrheit‘ und Recht geleugnet werden. Er zeigt sich auf terminologischer Ebene - unter römischem Einfluss - in frühmittelalterlichen lateinischen Rechtsquellen aus dem deutschen Raum; 170 für die Zeit nach dem Frühmittelalter wären die Quellen erst noch systematisch zu sichten. 171 Außerdem wäre in jedem Einzelfall zu 166 Vgl. dazu Nehlsen-von Stryk 2000, S. 31; Evans 2002, S. 98; Lepsius 2003, S. 62 f. 167 Da beim Fehlverhalten des Vorsprechers dessen Sündhaftigkeit thematisiert ist, kann die rein weltliche Perspektive auf die Bestrafung des bestechlichen Zeugen nicht darauf zurückgeführt werden, dass ein Urteil über die Sündhaftigkeit des Verhaltens geistlichen Gerichten zugekommen wäre. Zu derartigen Interpretationen, mit denen erklärt werden soll, warum im Sachsenspiegel Regelungen zum Meineid und zur Falschaussage fehlen, vgl. Müller 2000, S. 19-21. 168 Auch für den Bereich des gelehrten Rechts wäre zwischen den verschiedenen Verfahrenstypen zu differenzieren. Vgl. dazu Esders / Scharff 1999, S. 20 f.; zur Entwicklung des Inquisitionsverfahrens vgl. Burret 2010, S. 21-30, mit weiterer Literatur. 169 Vgl. dazu (mit weiterer Literatur) Kroeschell 1986, S. 465 (in Bezug auf frühmittelalterliche Verhältnisse). Für die Konzeptionalisierung von reht als dauerhafter sozialer Konfliktregelung in einem geordneten Verfahren lassen sich noch im 15. Jahrhundert Belege finden (vgl. dazu Hildbrand 1999, S. 170 f., mit weiterer Literatur). 170 Vgl. dazu den grundlegenden Aufsatz von Kroeschell (1986), der für den „germanische[n] Überlieferungsstrang“ (ebd., S. 473) ein weitgehendes Fehlen der Wortbelege für wârheit konstatiert und damit die von Jacob Grimm (1816, S. 75) aufgestellte These relativiert, dass Wahrheit und Recht im deutschen Mittelalter in eins gingen. Vgl. dazu auch Lepsius 2000, S. 29. 171 Zum Forschungsdesiderat vgl. Kroeschell 1986, S. 455 f. Gut fassbar ist die Wahrheitsfindung als Ziel von Strafprozessen dann für den Inquisitionsprozess der Frühen Neuzeit (vgl. Ignor 2013, S. 5-7). Einzelstudien für das Hoch- und Spätmittelalter existieren durchaus (z. B. Hildbrand 1999, S. 167-175, der das Verhältnis von wârheit und reht für die Ostschweiz im 15. Jahrhundert untersucht); eine breit 234 5 Externe Bezugsfelder prüfen, inwiefern christliche Konzepte der Verbindung von Gerechtigkeit und Wahrheit jeweils mitschwingen, wenn von reht die Rede ist. Dazu hätte man ein breites Spektrum von Textsorten zu berücksichtigen, das von theologischen 172 und kirchlichen Schriften 173 bis hin zu Erzähltexten reicht, 174 deren Relevanz für ,deutschrechtliche‘ Konzepte allerdings jeweils erst zu beweisen wäre. 175 Eine unmittelbare Verbindung zwischen theologischen Erwägungen und der Rechtspraxis ist für die Entwicklung von Eidesformeln zu vermuten. Für das Kirchenrecht war die Lehre des Hieronymus von Wahrheit, Recht und Gerechtigkeit ( veritas , iudicium, iustitia ) als Gefährten des Eides höchst einflussreich. 176 Angesichts der komplexen Verflechtungen von ,Wahrheit‘ und ,Recht‘, wie sie sich in den mittelalterlichen Schriftzeugnissen darstellen, sind stark vergröbert zwei verschiedene Methoden der Entscheidungsfindung vor Gericht zu differenzieren: die Prüfung der Wahrhaftigkeit der Parteien und die Ermittlung einer Tatsachenwahrheit. Der einen Herangehensweise lassen sich als Beweisverfahren der Reinigungseid des Beklagten und das Gottesurteil, der anderen der Beweis mit Wahrnehmungszeugen und Urkunden zuordnen. Die historische Abfolge in der Anwendung der Beweisverfahren ist in der Forschung häufig mit wertenden Kategorien beschrieben worden: Die Rationalisierungsleistung des römischen Prozessrechts, das unter anderem eine Zweizeugenregelung kannte, sei in der ,Völkerwanderungszeit‘ verloren gegangen. In der Folgezeit habe eine rein formale Wahrheitsermittlung mit irrationalen Beweisverfahren vorgeherrscht, bis im Hochmittelalter unter anderem durch die Rezeption des gelehrten Rechts erneut eine Rationalisierung erangelegte Aufarbeitung der Wortbelege in späteren Quellen scheint bis heute nicht erfolgt zu sein. Zu berücksichtigen wären auch Übersetzungen aus dem Lateinischen, z. B. die deutsche Übersetzung des Zweiten Privilegs Rudolfs I. für Wien vom 24. Juni 1278, die „für die Beurteilung der rechtssprachlichen Terminologie der Zeit von hoher Bedeutung ist“ (Csendes 1986, S. 82). Darin heißt es: Aber wie man dingen sol. Ez schol auch ein igleich mensch, daz uber ettleich sach dingen wil, des ersten swern wı ͤ r dem richter, daz iz ding an all triegnu ͤ sse, an aufschub, an gever, nur zu ervinden lawtrew warhait des rechten und der rechtichait. (Art. 20, zitiert nach Csendes ebd., S. 87). des rechten ist eine Umsetzung von lateinisch iuris : […] ad inveniendam puriorem iuris et iusticie veritatem. (Art. 20, zitiert nach Csendes ebd., S. 78; „[…] zum Finden einer reineren Wahrheit des Rechts und der Gerechtigkeit“). 172 Zum Zusammenhang von veritas , iustitia und rectitudo bei Anselm von Canterbury vgl. Kapriev 1998, S. 103-143; McGrath 2005, S. 76 f. 173 Zur engen Verbindung von veritas und iustitia „im Sprachgebrauch der Konzilien“ vgl. (für das Frühmittelalter) Kroeschell 1986, S. 463 f. 174 Das von Bernhard von Clairvaux ( In festo annuntiationis beatae Mariae virginis , Sermo I ) ausgearbeitete Motiv vom Streit der vier Töchter Gottes, wonach sich veritas und iustitia mit pax und misericordia auseinandersetzen, fand breiten Eingang in die deutschsprachige Literatur (vgl. Ohly 1994; Timmermann 1995 [mit Nachtrag 2004]; vgl. auch Urbanek 1980 [zur Erlösung ]; Gärtner 2009a [zur Weltchronik Heinrichs von München]; Brettschneider 2014 [zum ,Frau-Ehren-Ton‘ 1,1-12 Reinmars von Zweter und zu Von siben ingesigeln Tilos von Kulm]). 175 Nach Kroeschell (1986, S. 473) ist das Konzept der „Wahrheit Gottes“ - er verweist auf Anselm von Canterbury - für den Rechtsdiskurs kaum relevant. 176 Vgl. dazu Kreusch 2005, S. 88-91 (zum neutestamentlichen Schwurverbot vgl. ebd., S. 54-76); zur Rezeption der Eideslehre des Hieronymus bei Gratian vgl. ebd., S. 83; 135-141. Zum engen Zusammenhang der Wahrheit des Eides mit der christlichen Glaubenswahrheit vgl. Esders / Scharff 1999, S. 25. Dass die Praxis des Zeugeneides im Spätmittelalter aus dem kanonischen Recht Eingang in das ,deutsche‘ Recht fand, belegt z. B. die Forderung im Meißner Rechtsbuch (vgl. dazu Magin 1999, S. 77-99), man solle Zeugen nach dem Vorbild des geistlichen Rechts vereidigen (IV 37,33, vgl. die Ausgabe von Spáčil / Spáčilová 2010). Bei diesen Zeugen handelt es sich eindeutig um Wahrnehmungszeugen (vgl. ebd., IV 37,32). 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 235 folgt und die Ermittlung der materiellen Wahrheit in den Mittelpunkt gerückt sei. 177 Dieses Fortschrittsmodell wurde zu Recht kritisiert. 178 Schon die Klassifizierungen sind zu hinterfragen: 179 Vor dem Hintergrund der Begrenztheit der menschlichen Erkenntnisfähigkeit kann es - eine christliche Denkordnung vorausgesetzt - durchaus als ,rational‘ erachtet werden, zur Entscheidungsfindung auf göttliche Hilfe zurückzugreifen. 180 Akzeptiert man diese Prämisse, wird die Annahme nachvollziehbar, dass sich etwa durch ein Gottesurteil nicht bloß eine formale Wahrheit offenbart, sondern auch die objektive Wahrheit über die Schuld oder Unschuld der Angeklagten. 181 Umgekehrt bringt zum Beispiel das Verfahren der Zeugenbefragung auch irrationale Komponenten mit sich: Bereits in Schriften des gelehrten Rechts finden sich skeptische Stimmen dazu, ob sich eine Tatsachenwahrheit über die Aussagen von Wahrnehmungszeugen überhaupt ermitteln lässt. 182 Als systematische Konsequenz aus dem Unsicherheitsfaktor, der mit Zeugenaussagen verbunden ist, ergibt sich, dass eine Beweiswürdigung erfolgen muss, die sich entweder nach einem festen Regelwerk richtet, das letztlich zu einer formalen Wahrheit führt, oder freie Entscheidungen des Richters beinhaltet, die irrational sein können. 183 Was die Chronologie angeht, so lassen sich zwar gewisse Grundlinien ausmachen, jedoch hat man - gerade für den hier besonders interessierenden Zeitraum des 13. Jahrhunderts - mit dem Nebeneinander verschiedenster Beweisverfahren zu rechnen, und zwar sowohl im Spannungsfeld des römischen, kanonischen und ,deutschen‘ Rechts als auch innerhalb des ,deutschen‘ Rechtskreises: Frühe Stadtrechtsprivilegien, vor allem aus dem süddeutschen Raum, bevorzugen ,rationale‘ Beweisverfahren, 184 während etwa im sächsischen 177 Vgl. dazu ausführlicher und mit weiterer Literatur Lepsius (2000, S. 7-28), die das der skizzierten Betrachtungsweise zugrunde liegende Fortschrittsdenken herausgearbeitet hat. 178 Die folgenden Überlegungen fußen vor allem auf den Beiträgen von Nehlsen-von Stryk (2000) und Lepsius (2000, S. 28-36). Kritisch zur Rationalisierungsthese äußert sich auch Willoweit (2001, S. 370), der anmahnt, dass „die Möglichkeit verschiedener Formen von Rechtslogik in Erwägung gezogen werden“ müsse. So auch Kannowski 2015 (2008), S. 38. 179 Nehlsen-von Stryk (2000) hat die Unangemessenheit der Attribute ,rational‘ und ,irrational‘ aufgezeigt, aber von deren Vermeidung zur Beschreibung von Beweisverfahren „mangels einer überzeugenden Alternative“ (ebd., S. 38, Anm. 121) abgesehen. Im Sinne eines Kürzels zur Verständigung ist auch im Folgenden gelegentlich von ,rationalen‘ Beweisverfahren die Rede. 180 Zur Diskussion vgl. van Caenegem 1990; Lepsius 2000, S. 30 f.; Whitman 2008a, S. 56. Für van Caenegem ist es deshalb gerechtfertigt, Gottesurteile als ‚irrational‘ zu bezeichnen, weil es sich bei ihnen um Beweisverfahren handele, die nicht auf ‚menschlicher Rationalität und kritischer Nachforschung basierten‘ („based on human reason and critical enquiry“ [ebd., S. 270]). 181 Vgl. Lepsius 2000, S. 12. Ob Gottesurteile eine angemessene Form der Entscheidungsfindung darstellen, war bereits im Mittelalter umstritten, ebenso wie die bis heute in der Forschung diskutierte Frage, welche Art von Wahrheit mithilfe von Gottesurteilen in Erfahrung gebracht werden kann (vgl. dazu z. B. Kroeschell 1986, S. 472 f.; Baldwin 1994; Whitman 2008a, S. 52-90, jeweils mit weiterer Literatur). Auch in der Eideslehre begegnet die Vorstellung, dass Eide menschliche Erkenntnisdefizite ausgleichen können (vgl. dazu Esders / Scharff 1999, S. 26 f.), allerdings zeugen die zahlreichen Regelungen zum Meineid von einem weit verbreiteten Bewusstsein davon, dass Spannungen zwischen ,Eid‘ und ,Wahrheit‘ bestehen können; die gegeneinander geschworenen Parteieneide, wie sie z. B. im Sachsenspiegel beschrieben werden (Ldr. III 88,3), setzen sogar voraus, dass einer der Eide ein Meineid ist. Dazu und zu zeitgenössischen Klagen über den Eidmissbrauch vgl. Kannowski 2007, S. 215 f. 182 Vgl. Lepsius 2006, S. 127-133; Kannowski 2007, S. 229 f. Zur Irrationalität von Zeugenaussagen vgl. auch dens. 2015 (2008), S. 38. 183 Vgl. dazu Lepsius 2000, S. 32; Kannowski 2007, S. 232 f. 184 Vgl. eine Liste von Stadtrechtsprivilegien des 12. und frühen 13. Jahrhunderts, „die sich zu prozessualen Fragen äußern“, bei Nehlsen-von Stryk 2000, S. 8. Nach Lepsius (2000, S. 30) ist bei einigen der stadtrechtlichen Regelungen der Einfluss römischen Rechts eher unwahrscheinlich. 236 5 Externe Bezugsfelder Landrecht ,irrationale‘ Beweisverfahren vorherrschen. Doch auch der Sachsenspiegel kennt vereinzelt Zeugen, die eine Kenntnis der Tatsachen haben sollen, vor allem für Fälle, bei denen finanzielle Fragen verhandelt werden. 185 Im Schwabenspiegel sind an einigen Stellen Tatsachenzeugen benannt, ohne dass ,rationale‘ Beweisverfahren dominierten oder in ein Verhältnis zu ,irrationalen‘ gesetzt worden wären. 186 Eine ausgearbeitete Beweislehre, in der die Verfahren prinzipiell systematisiert würden, gibt es schon bei diesen Einzelwerken nicht; insgesamt sind die Beweisverfahren stark diversifiziert: Das reiche Quellenmaterial des 13. und 14. Jh. - Landrechte, Stadtrechte, Reichs- und Landfrieden, Friedensbündnisse, Weistümer, Schöffensprüche etc. - ist angefüllt mit beweisrechtlichen Regeln, die eine kaum überschaubare, zudem ganz kasuistisch geprägte Variationsbreite verschiedenster Mischlösungen [sc. von ,rationalem‘ und ,irrationalem‘ Beweis] aufweisen. 187 Wie bereits diese Aufzählung der Quellentypen erkennen lässt, sind Beweisregeln nicht auf den Strafprozess beschränkt; sie finden sich auch in politisch geprägten Zusammenhängen. So fanden etwa beim Ausbau von Landesherrschaften inquisitiones statt, die die Suche nach Wahrheit zum Ziel hatten und bei denen „rechtliche Befragungspraktiken“ zum Einsatz kamen. 188 Die große Bandbreite von Regelungen lässt darauf schließen, dass zum Beispiel der Stellenwert von Augenzeugenschaft in der jeweiligen Rechtsgemeinschaft immer wieder neu ausgehandelt werden musste. Dass in manchen späteren Stadtrechten ,rationale‘ Beweisverfahren wieder durch ,irrationale‘ ersetzt wurden, 189 bestätigt die Annahme, dass die Verfahrensweisen nicht fixiert waren. Für Erzähltexte ist in Anbetracht der Variationsbreite von Beweisverfahren umso mehr zu vermuten, dass sie nicht einen bestimmten historischen Zustand spiegeln, 190 sondern sich in dem aufgezeigten Feld positionieren. Tatsächlich hat die Analyse der Kerntexte gezeigt, dass der Frage, wann etwas von wem als wahr anerkannt wird, großer Raum eingeräumt wird. Eine Rekonstruktion eines konkreten Bezugsrahmens im Sinne ausgewählter Rechtstexte erscheint allerdings angesichts der Koexistenz verschiedenster Beweisverfahren weder möglich noch geboten. Da die Textanalysen jedoch gezeigt haben, dass Konzepte der Zeugenschaft in den Kerntexten eine zentrale Rolle spielen, seien daher - unter all- 185 Vgl. Nehlsen-von Stryk 2000, S. 25; Kannowski 2007, S. 214-217; Meyer 2009, S. 138. Aus dem Befund im Sachsenspiegel ist aber nicht generell zu schließen, dass Zeugen vor allem bei privatrechtlichen, nicht bei peinlichen Klagen herangezogen werden (vgl. dazu Kannowski ebd., S. 242), auch wenn sich in späteren Rechtsbüchern gelegentlich solche Differenzierungen finden (vgl. Nehlsen-von Stryk ebd., S. 32 f., zum Meißner Rechtsbuch ). 186 Vgl. Kannowski 2015 (2008), S. 40 f.; 45. Einen Überblick über Artikel mit beweisrechtlichem Inhalt bietet Kannowski ebd., S. 47 f. Angegeben ist dort auch, ob von Tatsachenzeugen oder Eideshelfern die Rede ist. In zahlreichen Fällen lässt sich das jedoch gar nicht eindeutig entscheiden (vgl. ebd., S. 40 f.). 187 Vgl. Nehlsen-von Stryk (2000, S. 7), die die Sichtung der Quellen auf die Beweisverfahren hin als Forschungsdesiderat beschreibt. 188 Vgl. Esders / Scharff 1999; zur Situation im deutschen Raum vgl. ebd., S. 16. 189 Zur „Disponibilität des Beweisrechts“ in Stadtrechten des 13. und 14. Jahrhunderts vgl. Nehlsen-von Stryk 2000, S. 19-24. Sie warnt jedoch davor, „Abänderungen des Zeugenbeweises als Rückfall in die Irrationalität“ zu sehen, denn im Freiburger Stadtrecht zum Beispiel habe die Wiedereinführung des Rechts auf Zweikampf (für den Beklagten) bei nächtlicher Verwundung oder Verwundung in der taberna den rationalen Grund, dass Zeugenaussagen in diesen Fällen mit Unsicherheiten behaftet seien. 190 Zu möglichen Abweichungen zwischen Rechtstexten und Rechtspraxis s. o. S. 47 f. 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 237 gemeinerer juristischer Perspektive - die Pole skizziert, die als Bezugspunkte anzunehmen sind: Eideshelfer auf der einen und Wahrnehmungszeugen auf der anderen Seite. 191 Das nichtmittelalterliche Kunstwort ,Eideshelfer‘ beschreibt genau deren Funktion: Sie unterstützen denjenigen, der einen Eid (z. B. einen Reinigungseid) schwört, durch einen eigenen Schwur, in dem sie die Richtigkeit des Haupteides bestätigen. 192 Eine eigene Kenntnis des Sachverhalts auf Seiten der Eideshelfer ist nicht vonnöten, da nur die Integrität des Schwörenden bekräftigt wird; deshalb ist eine gute persönliche Kenntnis desjenigen, dessen Aussage bestätigt werden soll, geradezu von Vorteil, während sie bei einem Wahrnehmungszeugen dessen Neutralität in Frage stellt. 193 Trotz dieses grundsätzlichen Unterschiedes sind Wahrnehmungszeugen und Eideshelfer in den Quellen häufig nicht scharf voneinander zu trennen, weil sie mit demselben Wort bezeichnet sein können. 194 Außerdem wird bereits im Sachsenspiegel in einigen Fällen von den Eideshelfern auch die Kenntnis des zu beweisenden Sachverhalts gefordert. 195 Aber dieses Wissen muss nicht begründet werden, sondern entscheidend ist allein das, was vor Gericht geschieht. 196 Bei einem Zeugen, der aufgrund eigener Wahrnehmung einer vergangenen Situation aussagt, fehlt jedoch die „evidenzielle Direktheit“, 197 weshalb seine Aussage zusätzlich abgesichert werden muss. 198 Das Spektrum der Maßnahmen lässt sich am besten an dem reichen Quellenmaterial der römisch-kanonischen Prozessdoktrin ablesen; einzelne Regelungen sind jedoch auch in den Privilegien deutscher Städte aufgeführt, ohne dass jeweils 191 Die generellen Ausführungen sind insofern indirekt auf das jeweilige Entstehungsumfeld der Kerntexte bezogen, als das Spannungsfeld zwischen Eideshelfern und Zeugen auch für die süddeutschen und ostfränkischen sowie die österreichischen Rechte und den sächsischen Rechtskreis durch die grundlegende Quellensammlung von Ruth (1922, S. 76-117; 125-143) nachgewiesen ist. 192 Vgl. Weitzel 2008a (mit weiterer Literatur), auch zur Anzahl der Eideshelfer: „Die Grundzahl war zwölf, durch Teilungen kam man vornehmlich zu sechs u. drei, durch Vervielfältigung zur Anforderung von bis zu 72 E. Manche Rechte bezogen den Beklagten in diese Zahlen ein, andere nicht. Der selbdritt geschworene Eid, erforderte also teils zwei, teils drei E.“ (Sp. 1263). Im Sachsenspiegel wird in der Regel ein Eid selbdritt oder selbsiebt gefordert (vgl. Meyer 2009, S. 138). 193 Vgl. Kannowski 2007, S. 244. 194 Vgl. Ruth 1922, S. 1 f. ( testes ); Meyer 2009, S. 137 ( gezuk ). Dazu und zur alternativen Benennung von Eideshelfern als ( con -) iuratores oder ( con -) sacramentales bzw. helfer vgl. Weitzel 2008a, Sp. 1261. 195 Vgl. Weitzel 2008a, Sp. 1262; Meyer 2009, S. 138. Zur Zwischenstellung von Schreimannen, die bei einer handhaften Tat als Zeugen („zwar nicht als Zeugen der Tatbegehung, aber der sich anschließenden Bindung des nun Beklagten“) durch Gerüfte herbeigerufen wurden, vgl. auch Schild 2012, Sp. 743. 196 Zu diesem Prinzip, das im Sachsenspiegel (Ldr. I 18,2) über allgemein bekannte Fakten gestellt wird, vgl. Nehlsen-von Stryk 2000, S. 26; Kannowski 2007, S. 214 f. Zum Eidverfahren vgl. auch Lepsius 2006, S. 120: „Mit dem Ausgang des Gottesurteils oder des Eidverfahrens war sowohl über die Tatsachenals auch über die Rechtsfragen eine Entscheidung ergangen. Diese sogenannten zweizüngigen Beweisurteile kannten noch keine verfahrensmäßige Ausdifferenzierung zwischen Tatsachenfeststellung im Beweisverfahren sowie nachfolgender Beweiswürdigung und Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt durch das Gericht. Überdies waren in dem Verfahren sowohl die Schöffen als auch der Richter davon entlastet, eine eigene Entscheidung treffen zu müssen.“ 197 Vgl. Strohschneider 2005, S. 318; ähnlich 2014, S. 96. Im gelehrten Recht galt deshalb die Zeugenaussage im Vergleich zu Urkunden, gerichtlichem Augenschein und der Aussage von Sachverständigen als unzuverlässigstes Beweismittel (vgl. Lepsius 2006, S. 125 f.). 198 Strohschneider (2005, S. 318 [Zitat]; ähnlich 2014, S. 96) beschreibt das grundsätzliche Problem folgendermaßen: „ Jurisdiktionelle Verfahrens- und Sanktionsordnungen (Tatsachen- oder Urkundenbeweis, Glaubwürdigkeitsprüfung aller Art, Eid, magische Proben, u.s.w.) sind im Allgemeinen vermutlich der wichtigste kulturelle Modus, diese paradoxe Struktur zu invisibilisieren und ihr zum Trotz die Geltung eines Augenzeugnisses institutionell herzustellen.“ 238 5 Externe Bezugsfelder eindeutig zu klären wäre, ob es sich um ein Rezeptionsphänomen handelt. Das betrifft insbesondere den auch durch Sprichwörter breit dokumentierten Grundsatz, dass ein einzelner Zeuge nicht genug sei. Die häufig genannte Zahl von zwei oder drei Zeugen findet sich bereits in der Bibel, ebenso im kanonischen Recht und in Stadtrechtsprivilegien, wobei der biblische Bezug nicht immer aktiviert wird. 199 Die Forderung nach mehreren Zeugen impliziert das ebenfalls in der Bibel (Mc 14,56-59) thematisierte Kriterium, dass die Aussagen übereinstimmen müssen, um als erwiesen gelten zu können. 200 Unter Berufung auf das biblische Vorbild der Befragung der beiden alten Richter, die Susanna verleumdet hatten, durch Daniel (Dn 13,44-64) wurde im gelehrten Recht die getrennte Befragung von Zeugen propagiert. 201 In der Praxis fand das Zeugenverhör abgetrennt von der eigentlichen Verhandlung in secreto statt, sodass die Zeugen nicht durch die Aussagen anderer beeinflusst werden konnten. 202 Das zog die Notwendigkeit der Verschriftlichung der Aussagen nach sich; denn nur anhand des Verhörprotokolls konnte später verglichen werden, ob die Aussagen übereinstimmten. 203 Grundvoraussetzung für eine vertrauenswürdige Zeugenaussage war, dass jemand etwas mit eigenen Augen wahrgenommen hatte und nicht bloß durch Hörensagen wusste. 204 Bereits im einflussreichen Ordo iudiciarius 205 Tankreds von Bologna (um 1214 / 16) ist angegeben, dass fortschrittliche Richter als Vorsichtsmaßnahme Zeugen einen Eid schwören ließen, der eine Differenzierung beinhaltet zwischen dem Wissen, das sie aufgrund eigener Anschauung hätten, und dem, das auf Hörensagen beruhe, und dass sie nicht leichtgläubig etwas als sicher angäben: Moderni quippe iudices hoc addunt ad cautelam: quod ita dicunt veritatem, sicut sciunt, quia quod sciunt per visum dicent de visu, et quod per auditu, dicent de auditu; nec dicent de credulitate, quod sciunt pro certo, vel e contra; […] 206 199 Vgl. Nehlsen-von Stryk 2000, S. 11 f. (mit weiterer Literatur); vgl. auch Evans 2002, S. 150; Kannowski 2007, S. 239. Zum römischen Recht vgl. Litewski 1999, Bd. II, S. 410-413; Lepsius 2003, S. 9. Die Zahlenverhältnisse sind ähnlich wie bei einem selbdritt geleisteten Eid, was Übergangsformen zwischen Eideshelfern und Zeugen begünstigt haben mag (anders Meyer 2009, S. 138 f., der eine starre Zahlenfestlegung als Merkmal von Eideshelfern ansieht). 200 Vgl. Lepisus (2000, S. 9) dazu, dass nach dem römischen Recht eine Aussage auch dann nicht notwendig als wahr anerkannt werden muss. Zu Kriterien für die Übereinstimmung von Zeugenaussagen im sächsischen Rechtskreis vgl. Meyer (2009, S. 140-147): Während im Freiberger Stadtrecht (um 1300) eine wörtliche Übereinstimmung gefordert wird, kommt es nach der späteren Leipziger Schöffenspruchsammlung auf die ,Gleichmäßigkeit‘ der Aussagen an. In beiden Fällen konnte trotz inhaltlicher Übereinstimmung eine Aussage aus formalen Gründen ungültig werden, d. h., die Erforschung der materiellen Wahrheit stand nicht im Zentrum. 201 Vgl. Litewski 1999, Bd. II, S. 401. 202 Vgl. Evans 2002, S. 98; Lepsius 2003, S. 62 f. In manchen ordines iudiciarii wurde das Öffentlichkeitsprinzip verfochten; diese Auffassung setzte sich jedoch nicht durch (vgl. Litewski 1999, Bd. II, S. 401 f.). 203 Zum Prozedere vgl. Lepsius 2003, S. 66-68, mit Belegen dafür, dass Anwälte in den Verhörprotokollen Übereinstimmungen markierten. Eine Systematik der möglichen Widersprüche zwischen Zeugenaussagen findet sich im Ordo iudiciarius Tankreds von Bologna (P. 3, t. 9 § 2; vgl. die Ausgabe von Bergmann 1842, S. 238 f.). 204 Vgl. Lepsius 2006, S. 127-129; 134, auch zur Hochschätzung des Sehsinns gegenüber anderen Sinnen. 205 Zu diesem Texttyp vgl. Litewski 1999, Bd. I, S. 15-48. 206 P. 3, t. 9 § 1, zitiert nach der Ausgabe von Bergmann 1842, S. 237. Zu der in mehreren ordines iudiciarii getroffenen Unterscheidung zwischen einem testimonium de visu , das auf eigener Wahr- 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 239 „Die fortschrittlichen Richter allerdings fügen Folgendes als Vorsichtsmaßnahme hinzu: Dass sie [sc. die Zeugen] die Wahrheit so sprechen, wie sie sie wissen, weil sie, was sie durch Augenschein wissen, gemäß des Augenscheins sagen werden, und was sie durch Gehörthaben (wissen), werden sie gemäß dessen sagen, was sie gehört haben; und sie werden nicht gemäß leichtgläubiger Vermutung sagen, was sie sicher wissen, oder im Gegenteil; […]“ Die Forderung, dass Zeugen in der Lage sein müssten, über die causa scientiae Auskunft zu geben, 207 war ein Grund dafür, warum bestimmte Personengruppen als Zeugen nicht zugelassen waren. Kinder unter vierzehn Jahren, Geisteskranke, aber auch Frauen sind deshalb in der Regel als Zeugen ausgeschlossen, jedenfalls bei Strafprozessen. 208 Ausschlussgründe konnten aber auch im früheren Verhalten der Personen (Meineid, Exkommunikation) liegen und sogar ständisch begründet sein. 209 Auch bei der Prüfung der fides der zugelassenen Zeugen 210 spielten ständische Aspekte eine Rolle. 211 Wie etwa die Glossa ordinaria zu Dig . 22,5,21 ausführt, sollte der Richter bei der Gewichtung von Zeugenaussagen nicht nach deren bloßer Zahl gehen, sondern sollte denen, die ehrenwerter sind und Wahreres zu sagen scheinen, Glauben schenken. 212 Mögliche Zeugen konnten sich auch durch ihr Verhalten vor Gericht diskreditieren, wenn sie sich als Zeugen anboten, bevor sie offiziell darum gebeten worden waren. 213 Die skizzierten Maßnahmen sollen es dem Richter ermöglichen, die Plausibilität der Aussage von Wahrnehmungszeugen zu beurteilen. ,Wahrheit‘ war auf diese Weise aber nicht objektiv zu sichern. Nicht zuletzt deshalb dürfte dem Zeugeneid als Bekenntnis des Zeugen zur veracitas im gelehrten Recht ein so hohes Gewicht zukommen, auch wenn ein nehmung (auch über das Ohr) fußt, und einem testimonium de auditu , das auf Hörensagen beruht, vgl. Litewski 1999, Bd. II, S. 404 f. In manchen späteren Traktaten wird auch ausdrücklich ausgeschlossen, dass ein Zeuge eigene Schlussfolgerungen zieht (vgl. Lepsius 2006, S. 129, zusammenfassend zum Tractatus testimoniorum [um 1375] des Bartolus de Saxoferrato). 207 Zu den Aufgaben des Richters gehörte es, die Glaubwürdigkeit der Auskunft zu überprüfen, u. a. durch Erfragen der causa scientiae (vgl. Evans 2002, S. 97; Lepsius 2003, S. 62-68); nach manchen Schriften des gelehrten Rechts hatte der Zeuge von sich aus anzugeben, woher er sein Wissen hatte (vgl. Lepsius ebd., S. 65). 208 Vgl. Ullmann 1988 (1946), S. 79-82; Litewski 1999, Bd. II, S. 384 f. Vgl. zur Genderfrage auch van Houts (1999), die herausarbeitet, dass die Praxis oft von der Theorie abwich. Auch Diskussionen darüber, dass Frauen in Prozessen ihrer Männer nicht Zeuginnen sein durften (vgl. Lepsius 2006, S. 123, mit weiterer Literatur), und Regelungen, dass es Frauen nicht zuzumuten sei, im ,Büro‘ des Richters auszusagen (vgl. Lepsius 2003, S. 63), deuten daraufhin, dass Frauen sonst doch gelegentlich als Zeuginnen agierten. Zur Zeugnisfähigkeit von Frauen in zivilrechtlichen Verhandlungen vgl. Nörr 2012, S. 137. 209 Vgl. dazu Litewski 1999, Bd. II, S. 385-390; Lepsius 2006, S. 123; zur Relativierung der Ausschlussgründe im 14. Jahrhundert vgl. ebd., S. 127. Lepsius (ebd., S. 123, Anm. 15) verweist auf den Merkvers für „persönliche[n] Zeugenausschlussgründe“, der z. B. im Ordo iudiciarius Tankreds von Bologna überliefert ist: Conditio, sexus, aetas, discretio, fama / Et fortuna, fides: in testibus ista requires (zitiert nach Bergmann 1842, S. 225; „Stand, Geschlecht, Alter, Verschwiegenheit, Leumund / und Vermögen, Glaubwürdigkeit: Bei den Zeugen wirst du danach fragen.“). Vgl. Bergmann ebd., Anm. 34 (S. 225 f.) mit Parallelbelegen; vgl. dazu auch Litewski 1999, Bd. II, S. 384; Nörr 2012, S. 137. 210 Sie fand ebenfalls im Zeugenverhör statt (vgl. Evans 2002, S. 97; Lepsius 2003, S. 62-68). 211 Vgl. Lepsius 2003, S. 175-179. 212 Vgl. Lepsius 2003, S. 144. Generell zur richterlichen Bewertung der Zeugenaussagen vgl. Nörr 2012, S. 150-154. 213 Vgl. Nehlsen-von Stryk 2000, S. 27 (auch zur entsprechenden Regelung im Sachsenspiegel ). 240 5 Externe Bezugsfelder solcher Eid nur ein Bekenntnis zur subjektiven Wahrheit sein kann. 214 Zwar verließ man sich nicht auf die metaphysische Instanz - im Zeugenverhör wurde die fides des Zeugen mit menschlichen Mitteln noch überprüft -, doch deuten die Regelungen zur Befreiung von der Eidesleistung und Versuche, eine Eidesleistung zu umgehen, darauf hin, welches spirituelle Risiko dem Eid zugeschrieben wurde. 215 Auch wenn man sagen könnte, dass der Zeugeneid „Träger des Rationalisierungsgedankens“ sei, weil das Bekenntnis zur Wahrheit über alle persönlichen Bindungen gestellt wird, 216 würden dann die (keineswegs irrationalen! ) kultischen Aspekte der Eidesleistung zu wenig gewichtet. Sie zeigen sich zum Beispiel in den Diskussionen darüber, ob ein falscher Eid, der auf die Evangelien geleistet worden ist, schwerer wiegt als ein nur verbatim abgelegter. 217 Auf jeden Fall ist der Zeugeneid ein Symptom dafür, dass Gott als wahrheitssichernde Instanz auch bei der Anwendung ,rationaler‘ Beweisverfahren nicht obsolet geworden ist. 218 Berührungspunkte zwischen theologischen und juristischen Denkmustern scheint es noch bei einer anderen kontrovers diskutierten Frage zu geben, die mit der zentralen Rolle von Wahrnehmungszeugen für die ,rationalen‘ Beweisverfahren im gelehrten Recht verbunden ist, nämlich ob ein Zeuge zu einer Aussage (und damit zu einer Eidesleistung) gezwungen werden darf oder nicht. 219 Parallel dazu wurde in theologischen Schriften die Frage diskutiert, ob ein Mensch einen anderen beschwören darf oder nicht, etwa von Thomas von Aquin in der Summa Theologiae ( II ª- II ae q. 90 a. 1). Explizite Querverbindungen zwischen den beiden Diskussionszusammenhängen wären erst zu erweisen, aber mögliche Bezüge der Beschwörungsproblematik zur Debatte über die Erzwingung von Zeugenaussagen zeigen sich in dem - von Thomas ( II ª- II ae q. 90 a. 1 ad 3) zurückgewiesenen - Argument, dass die Beschwörung von jemandem bedeute, dass man diesen zu einem Eid dränge ( adiurare est aliquem ad iurandum inducere , II ª- II ae q. 90 a. 1 arg. 3; „Beschwören heißt, jemanden zu einem Eid zu veranlassen“). Thomas will hingegen unter ,Beschwörung‘ auch verstanden wissen, dass man beim Namen Gottes jemanden um etwas bittet, ohne dass das einen verpflichtenden Charakter hat. 220 214 Vgl. dazu Lepsius 2003, S. 60. Der Schwur beinhaltete immer das Versprechen, die Wahrheit zu sagen, manchmal ergänzt durch die Zusicherung, sich nicht durch Liebe, Hass etc. beeinflussen lassen zu wollen. In den ordines iudiciarii sind Verwandte oder Todfeinde der Partei von vornherein vom Zeugnis ausgeschlossen (zu deren relativer Zeugnisunfähigkeit vgl. Litewski 1999, Bd. II, S. 390-392); offenbar hielt man Einflussfaktoren wie Liebe und Hass für stärker als den Drang zur Wahrheit. 215 Vgl. Lepsius 2003, S. 61; Whitman 2008a, S. 75 f. 216 So Esders / Scharff 1999, S. 29 f., in Bezug auf herrscherliche Inquisitionsverfahren. 217 Vgl. Hallebeek 1991, S. 10-13. 218 Dass das Schwören von Eiden rechtfertigungsbedürftig bleibt, zeigt z. B. der Artikel Ldr. 170a im Schwabenspiegel , in dem - unter Berufung auf biblische Vorbilder - argumentiert wird, dass Gott ,rechte Eide‘ erlaube (zu den Quellen vgl. den Apparat von Eckhardt 1974 zur entsprechenden Stelle in der Kurzform). Es wird allerdings davor gewarnt, zu viel zu schwören, nicht wegen einer spirituellen Gefahr, sondern weil es den Eid entwerte: der auch der warhait zeuil swert der wirt got vnd den leuten vnwert (zitiert nach Kb, vgl. Eckhardt ebd.). Wie beim Wein sei auch bei Eiden, selbst wenn sie wahr seien, ein Übermaß schädlich (vgl. dazu Blazovich 2011, S. 387; zur Tradition der Kritik an Vielschwörerei vgl. Kreusch 2005, S. 54 f.). 219 Vgl. dazu Whitman 2008a, S. 77. 220 Si igitur aliquis per invocationem divini nominis, vel cuiuscumque rei sacrae, alicui non sibi subdito adiurando necessitatem agendi aliquid imponere intendat, sicut imponit sibi ipsi iurando, talis adiuratio illicita est, quia usurpat potestatem in alium quam non habet. Tamen propter aliquam necessitatem superiores suos inferiores tali genere adiurationis constringere possunt. Si vero intendat solummodo per reverentiam divini nominis, vel alicuius rei sacrae, aliquid ab alio obtinere absque necessitatis impositione, 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 241 Die Frage, ob es erlaubt sei, dass ein Mensch einen anderen beschwört, wird bei Thomas ( II ª- II ae q. 90 a. 1 arg. 1) ausgehend von der Aussage des Origenes erörtert, dass Kaiphas Jesus unerlaubterweise bei Gott beschworen habe. 221 Bei dieser Konstellation verschränken sich - wie bei der Frage des Pilatus nach der Wahrheit - juristische und religiöse Ordnungsmuster in paradoxer Weise. Vermittelt über Thomas ist die Szene auch in der im 14. Jahrhundert entstandenen Rechtssumme Bruder Bertholds herangezogen worden, wo sie in einen juristischen Kontext gestellt ist, denn sie dient allein zur Bekräftigung der Auffassung, dass ein Niederer einen Höherrangigen nicht beschwören dürfe. 222 Vielschichtiger wird das Vorgehen des Kaiphas in der Prosa-Passio problematisiert, die den Prätext von Der Kreuziger bildet: „Adiuro te per Deum.“ Queritur, utrum pontifex in hoc, quod Christum adiuravit, peccaverit. Et videtur, quod non, quia non est peccatum, quod aliquis alium per adiuracionem incitat, ut dicat veritatem libere. Sed dico, quod peccavit, quia, quando inferior per adiuracionem incitat superiorem ad dicendum veritatem coacte, peccat. Et sic ipse fuit inferior et Christus superior. Igitur non debuit eum per adiuracionem incitare ad dicendum veritatem. Dicit illi Ihesus: Tu dicis. Dubium, quare Ihesus tunc respondit et prius non. Dico, quod voluit facere reverenciam in hoc nomini Dei, dando nobis exemplum hic, ut nos semper hoc faciamus nomini Dei reverendo. Dicit: Tu dixisti, quasi diceret tu dicis, sed ego pro nunc nec dico, nec non dico. 223 „ ,Ich beschwöre dich bei Gott‘. Es wird untersucht, ob der Hohepriester darin, dass er Christus beschwor, gesündigt hat. Und es scheint, dass nicht, weil es keine Sünde ist, dass jemand einen anderen durch Beschwören veranlasst, dass er frei die Wahrheit sagt. Aber ich sage, dass er gesündigt hat, weil er, wenn ein Untergeordneter durch Beschwören einen Höhergestellten veranlasst, unter Zwang die Wahrheit zu sagen, sündigt. Und so war es: Er war untergeordnet und Christus höhergestellt. Also durfte er ihn nicht durch Beschwören veranlassen, die Wahrheit zu sagen. Jesus sagt zu ihm: ,Du sagst es.‘ Es ist unklar, warum Jesus da geantwortet hat und vorher nicht. Ich sage, dass er dabei den Namen Gottes verehren wollte, womit er uns hier ein Beispiel gibt, damit wir talis adiuratio licita est respectu quorumlibet. (IIª-IIae q. 90 a. 1 co.; „Wenn also jemand durch Anrufung des göttlichen Namens oder irgendeiner heiligen Sache jemandem, der ihm nicht untertan ist, durch Beschwören die Notwendigkeit, etwas zu tun, auferlegen will, wie er sie sich selbst durch Schwören auferlegt, so ist ein solches Beschwören unerlaubt, weil er sich eine Macht über einen anderen anmaßt, die er nicht hat. Dennoch können, wenn notwendig, Höhergestellte ihre Untergebenen durch eine solche Art des Beschwörens binden. Wenn er aber allein durch die Ehrfurcht vor dem göttlichen Namen oder einer heiligen Sache etwas von einem anderen erhalten will, ohne ihn zu nötigen, ist ein solches Beschwören erlaubt im Hinblick auf beliebige Sachverhalte.“). 221 Vgl. Mt 26,63: Iesus autem tacebat / et princeps sacerdotum ait illi / adiuro te per Deum vivum / ut dicas nobis si tu es Christus Filius Dei („Jesus schwieg, und der Hohepriester sagte zu ihm: ,Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott, dass du uns sagst, ob du Christus, Gottes Sohn, bist.‘ “). Vgl. Origenes, Commentarius in Matthaeum , Comm. ser. 110, zitiert nach Klostermann 1976, S. 229-231, vgl. bes. S. 229, Z. 25 f.: propterea manifestum est, quoniam princeps sacerdotum inlicite Iesum adiuravit, quamvis videatur per deum vivum adiurasse . („Deswegen ist es evident, dass der Hohepriester unzulässig Jesus beschwor, wenn er ihn auch beim lebendigen Gott beschworen zu haben scheint.“). 222 Vgl. B 36 (zitiert nach Steer u. a. 1987, S. 410-414; zum Thomas-Bezug vgl. die lateinische Quelle, abgedruckt bei Hamm / Ulmschneider 1991, S. 100). Thomas ist zwar auch der Auffassung, dass allenfalls ein Höherrangiger einen Niederrangigen verpflichtend beschwören dürfe (IIª-IIae q. 90 a. 1 co., s. o. Anm. 220), geht in diesem Zusammenhang aber nicht auf die Beschwörung Jesu durch Kaiphas ein. 223 Zitiert nach Ferber 1935, S. 76, Z. 7-19. Vgl. entsprechend Der Kreuziger , vv. 5257-5304 (zitiert nach Khull 1882). 242 5 Externe Bezugsfelder immer das tun zur Verehrung des Namens Gottes. Er sagt: ,Du hast es gesagt‘, als ob er sagte: ,Du sagst es, aber ich - für jetzt - sage es weder, noch sage ich es nicht.‘ “ Nach dieser Argumentation wäre eine Auslegung denkbar, wonach der von Kaiphas vorgebrachten Beschwörung kein verpflichtender Charakter zugeschrieben würde. Diese Interpretation wird vom Verfasser der Schrift nicht gebilligt; er lehnt das Verhalten des Kaiphas ab, da er Jesus untergeordnet sei und ihn deshalb nicht dazu zwingen dürfe, die Wahrheit zu sagen. Zugleich erscheint es als ein geeigneter Weg, jemanden zu beschwören, um die Wahrheit herauszufinden, da die Tatsache, dass Jesus Kaiphas überhaupt eine Antwort gibt, darauf zurückgeführt wird, dass er den Namen Gottes (! ) habe ehren wollen, 224 und diese Reaktion wird als Vorbild für ,uns‘ präsentiert. Auf diese Weise wird der historische Jesus zur Exempelfigur. Es ist symptomatisch für einen solchen Interpretationsansatz, dass die knappe Antwort Jesu positiv umgedeutet wird, denn sein sonstiges Schweigen widerspricht einem Verhalten, wie es aus seiner Wesenseigenschaft ,Wahrheit‘ für die Menschen gefordert wird. 225 Wie der als Beispiel herangezogene Text aus der Prosa-Passio erkennen lässt, ist es möglich, den Komplex von , Jesus‘ und ,Wahrheit‘ auch einer Betrachtungsweise zu unterziehen, die nicht seine Exzeptionalität als Inbegriff der Wahrheit, sondern sein Verhalten als Mensch betont. Man muss also damit rechnen, dass kontextabhängig jeweils unterschiedliche Aspekte funktionalisiert werden. ‘waz ist diu warheit? / […] ’ ( Christi Hort , v. 1775). - Die Frage des Pilatus kann von dem wissenden Leser der Kerntexte dahingehend beantwortet werden, dass Christus die Verkörperung der Heilswahrheit ist. 226 Die Textanalysen haben jedoch gezeigt, dass die Wahrheitsthematik, wie sie jeweils in der Erzählung über den Prozess gegen Jesus und dessen Folgen entfaltet wird, vielschichtiger ist und man verschiedene Wahrheitsbegriffe unterscheiden kann, die in den einzelnen Texten auf spezifische Weise verknüpft sind. Vor dem Hintergrund des hier ausgebreiteten thematisch kontextuellen Materials ist die Frage nach dem Verhältnis von Offenbarungswahrheit und Faktenwahrheit neu zu stellen. Dazu sollen zunächst die Beobachtungen zur Funktionalisierung von wârheit in der Prozessschilderung und bei den Erzählungen von den Ereignissen nach Jesu Auferstehung verfahrensbezogen eingeordnet werden: Der Prozess ähnelt - nach der Darstellung in allen drei Texten - einem ,deutschrechtlich‘ gefärbten Akkusationsverfahren, sowohl in einzelnen verfahrensrechtlichen Details als auch insbesondere darin, dass nicht die Suche nach Wahrheit, sondern die Urteilsfindung zentral ist. Dass gleichwohl die ,gelehrten‘ Beweisverfahren den Verfassern bekannt waren, zeigt die Ausarbeitung der von den Hohepriestern geleiteten Untersuchung, die sich als außergerichtliche inquisitio mit dem Ziel der Wahrheitsfindung beschreiben lässt, auch wenn die Hohepriester die Resultate der Untersuchung dann verbergen wollen. 227 224 Das Schwurverbot Jesu in der Bergpredigt (Mt 5,33-37) kommt in diesem Zusammenhang nicht zur Sprache. Vielmehr steht die Scheu vor dem Namen Gottes im Vordergrund, wie sie nach Thomas für nicht verpflichtende Beschwörungen entscheidend ist (s. o. S. 240, Anm. 220). 225 Dementsprechend hat es massive exegetische Bemühungen hervorgerufen, wie sie sich z. B. im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk manifestieren (s. dazu u. S. 343 f.). 226 Vgl. dazu Demandt 1999, S. 156; 2012, S. 86. 227 Die Akzente sind in den einzelnen Texten unterschiedlich gesetzt: In Diu urstende wird als Auslöser der Kontaktaufnahme mit Joseph von Arimathia genannt, dass ,die Juden‘ ihre missetât vertuschen 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 243 Allzu strikt wird man die Klassifizierung der Verfahren nicht durchführen können, wie schon ein Blick auf Diu urstende als den frühesten der hier untersuchten Texte zeigt: Der erste Zeuge, der dort im Strafprozess auftritt, ist ein Heide, dessen Aussage nach der des Läufers im Nikodemusevangelium (cap. I 3 f.) gestaltet ist, und er ist - wie der Läufer in der spätantiken Vorlage - als Wahrnehmungszeuge gekennzeichnet, der über die Herkunft seines Wissens (da er kein Hebräisch verstehen könne) Rechenschaft ablegen muss (vv. 336-388). Aber der narrative Schwerpunkt liegt darauf, ob die bei dem Prozess Anwesenden für Jesus eintreten, und damit auf der moralischen Frage, wie man sich verhalten soll, wenn jemand zu Unrecht angeklagt wird. 228 Bezüglich der Aussage des Nikodemus wird vom Erzähler ausdrücklich hervorgehoben, dass er es nicht aus Furcht unterlassen habe ( wand er ez durch vorhte niene lie , v. 450), das Wort zu ergreifen und gegen die lügelîchen mære (v. 455) mithilfe von zwölf ehrenwerten Männern die wârheit (v. 473) zu setzen. Dass er daraufhin von ,den Juden‘ mit dem Tod bedroht wird (vv. 477-492), unterstreicht das Risiko, das Nikodemus als Zeuge eingeht. 229 Indem Pilatus auf die Drohungen hin eine Scheltrede in den Mund gelegt ist, in der er sich grundsätzlich zu dem gebotenen Verhalten vor Gericht äußert (vv. 493-519; bes. vv. 496-500; 516 f.), wird der prototypische Charakter der Situation erkennbar, ohne dass explizit moralische Lehren für die Gegenwart abgeleitet werden müssten. Es fällt auf, dass mit dem Auftritt des Nikodemus und der Stellungnahme des Pilatus positive Verhaltensweisen besonders herausgestellt werden. Diese Schwerpunktsetzung dient sicherlich der Abgrenzung vom unangemessenen Vorgehen ,der Juden‘; zugleich aber werden positive Vorbilder für das Verhalten vor Gericht entworfen, das auf diese Weise als wahrheitssichernde Instanz erscheint. Auch im Evangelium Nicodemi wird bei der Erzählung von der Aussage des Nikodemus das Risiko dessen benannt, der die Wahrheit sagt: Die juden wurden alle do erbolgen Nicodemo, daz er der warheite jach. ( Evangelium Nicodemi , vv. 1187-1189) Dass in den nächsten Versen von der Reaktion des Pilatus erzählt wird, suggeriert, dass sich der Zorn ,der Juden‘ zumindest verbal manifestiert hat. Pilatus hält den Grund für den Zorn ,der Juden‘ für unangemessen (vv. 1190-1193). Wie in den Worten des Erzählers wird in dem von Pilatus vorgebrachten Tadel ausdrücklich formuliert, dass Nikodemus die Wahrheit gesagt habe. Die Antwort des Pilatus ist eine Neuerung gegenüber dem Nikodemusevangelium , an dessen entsprechender Stelle (cap. V 2) nur angegeben wird, dass Nikodemus von ‚den Juden‘ Parteilichkeit vorgeworfen wird. 230 Ähnlich wie im Nikodemusevangelium wollten, als sich die (christologische) wârheit Bahn bricht (vv. 1225-1237). Bei der Befragung selbst geht es dann aber konsequent um die Ermittlung der Faktenwahrheit (vv. 1422-1425). In Christi Hort rät Nikodemus ,den Juden‘, Gewissheit über den Verbleib Jesu zu erlangen (vv. 3107-3126), ähnlich im Evangelium Nicodemi (vv. 2506-2524), jeweils in Anlehnung an das Nikodemusevangelium (cap. XV 1). 228 Zur positiven Zeichnung des Heiden, der nicht die Verhandlung verlässt, sondern offenlîche spricht (vv. 332-337), s. o. S. 95. 229 Dass wahrheitsgemäße Aussagen Mut erfordern, ist auch den Worten des Nikodemus zu entnehmen, dass die zwölf Männer, die seine Aussage bestätigen sollen, die wârheit um keiner Drohung willen verschweigen würden (vv. 662 f.). 230 Diese Kritik erschien vielleicht im Kontext eines ,deutschrechtlich‘ gefärbten Verfahrens bei einem Zeugen, der zwar kein Eideshelfer im strengen Sinne ist, aber die Integrität des Angeklagten bestätigt, nicht naheliegend. 244 5 Externe Bezugsfelder verhöhnen ,die Juden‘ dann auch im Evangelium Nicodemi Nikodemus, indem sie sagen, er solle die Konsequenzen der von ihm verkündeten warheit - in diesem Fall die göttliche Natur Jesu - mit Jesus tragen (vv. 1194-1197). Nikodemus akzeptiert (wie im Nikodemusevangelium ) die doppelsinnigen Worte, mit denen ,die Juden‘ auf die Bestrafung abzuzielen meinen, willig (v. 1198). Für ihn - und den Rezipienten - dürfte in der Formulierung ,der Juden‘ „ […] Mit Jesu nem er teil / zu dem jungesten tage.“ (vv. 1196 f.) die Belohnung für seine Wahrhaftigkeit auf Erden anklingen. Vorher war bereits erzählt worden, dass zwölf Juden aus eigenem Antrieb den von ,den Juden‘ vorgebrachten lügenhaften Anschuldigungen entgegentreten (vv. 960-989). Von Zorn erfüllt 231 wollen sie nicht hingehen lassen, dass ein Unschuldiger zu Unrecht beschimpft wird, wie sie aufgrund eigener Augenzeugenschaft erkennen können (vv. 979 f.). Ihre Worte, sie seien bereit, mit ihrer Aussage ihr Leben zu riskieren (v. 981), implizieren wiederum, dass das Zurückweisen lügenhafter Beschuldigungen mit einem irdischen Risiko verbunden ist. Aufschlussreich dafür, wo im Evangelium Nicodemi die Gefahr für diejenigen gesehen wird, die in der Öffentlichkeit für die Wahrheit eintreten, ist die Gestaltung des Dialogs zwischen Jesus und Pilatus über die Wahrheit (vv. 1084-1092): Während nach dem Nikodemusevangelium die Gefährdung von den Machthabern ausgeht (cap. III 2), sind es im Evangelium Nicodemi ,die Leute‘, die gegen diejenigen, die die Wahrheit auf Erden ( hie ) sagen, vorgehen: Jesus sprach: „Selbe sih, die hie die warheit sprechen, wie daz die lute rechen.“ ( Evangelium Nicodemi , vv. 1090-1092) Im Kontext der Szene ist mit dem ,Rächen‘ 232 sicherlich auch die ungerechtfertigte Anklage gegen Jesus selbst gemeint, der die (göttliche) Wahrheit verkündet hat. Dass der Text außergerichtliche Formen der Konfliktregelung kennt, wird jedoch an einer anderen Stelle deutlich, nämlich dem - gegenüber dem Nikodemusevangelium (cap. XIII 2 [13,3 (G / I)]) - deutlich umgestalteten Dialog ,der Juden‘ mit den Grabwächtern (vv. 2378-2387): ,Die Juden‘ verlangen, dass die Wächter ihnen vorme gerihte (v. 2380) den Leichnam Jesu zurückerstatten, kündigen aber gleichzeitig an, andernfalls selbst zu deren Bestrafung schreiten zu wollen. Wie in Diu urstende wird so demonstriert, dass ein an Wahrhaftigkeit ausgerichtetes Verhalten eine lebensgefährliche Bedrohung durch eine feindlich gesonnene Gruppe nach sich ziehen kann. In Christi Hort werden die Gefahren, die bei einer wahrheitsgemäßen Aussage drohen können, erst thematisiert, als die Hohepriester den drei Auferstehungszeugen sicherhait (v. 3418) versprechen, wenn sie die Wahrheit sagen (vv. 3400-3418). Hier hat die Bedrohung, 231 Die zwelf judische man / saen einander an; / si begunden in zu gramene / und traten alle zesamene / und ermanneten vor zorne / […] (vv. 969-973). Wie bei der Reaktion auf Vespasians Urteilsfrage in Christi Hort (v. 5235) wird eine kollektive Reaktion durch gegenseitiges Anschauen eingeleitet. Bei den zwölf jüdischen Männern dürfte das gramen Ausdruck gerechten Zorns sein, nicht ein Zeichen von Tobsucht, so wie in der Tumultszene in Diu urstende (v. 735). Zum gerechten Zorn s. o. S. 220 mit Anm. 110, und vgl. Ebel 2004 (1996), S. 325 f. (zur Forderung in der Soester Gerichtsordnung aus dem 15. Jahrhundert, der Richter solle dasitzen als eyn grysgrymmich lowe ). 232 rechen dürfte hier so viel heißen wie ,zur Vergeltung jemandem etwas Schlimmes zufügen‘ (vgl. L exer , s. v.). 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 245 die ausgeschlossen wird, aber eine andere Qualität, weil sie von Amtsträgern ausgeht, die zusätzlich einer Gruppe angehören, die die drei wegen ihrer vorherigen wahrheitsgemäßen Aussage gescholten und schließlich durch Bestechung zum Schweigen verpflichtet hat (vv. 3058-3090). Das Motiv der Bestechung, das in den Rechtsquellen naturgemäß auf Gerichtsverhandlungen bezogen erscheint, ist in Christi Hort in der gesamten Darstellung der Ereignisse nach Jesu Auferstehung ausgearbeitet. Die Bestechlichkeitsproblematik wird auch grundsätzlich diskutiert: In dem moralisierenden Kommentar dazu, dass die Grabwächter schließlich doch Bestechungsgeld annehmen, obwohl sie zunächst die Wahrheit verkünden und die Leute nicht betrügen wollen (vv. 2548-2557), 233 werden die negativen Folgen von unrecht gewunnen gût (v. 2575) generell deutlich gemacht (vv. 2568-2582). Wie in den Rechtsbüchern wird die spirituelle Verdammung herausgestellt ( alsus ceuhet diu mîete cehelle , v. 2573). Die Jünger, die sich weder durch Drohungen noch durch den Bestechungsversuch ,der Juden‘ vom Verkünden der (Glaubens-)Wahrheit abhalten lassen (vv. 2914 f.; 3000-3032), erscheinen als positives Gegenbeispiel. In Diu urstende ist in der Erzählung vom Strafprozess dem Aspekt, dass es Leute gibt, die mutig die Wahrheit bezeugen und für Jesus aussagen, insgesamt deutlich mehr Gewicht verliehen als der Darstellung eines formal korrekten Verfahrensablaufs. Allerdings werden am Ende der Prozesshandlung auch verfahrensrechtliche Details bedeutsam: Die zwölf Männer, die Nikodemus zur Bestätigung des Wahrheitsgehalts seiner Aussage bemüht, werden namentlich eingeführt, sie bestätigen übereinstimmend genau das, was Nikodemus gesagt hat, und widerlegen den Einwand ,der Juden‘, sie seien nicht zeugnisfähig (vv. 647-728). 234 Über den Disput mit ,den Juden‘ wird demonstriert, dass auch die formelle Wahrheit, die der Prozess zutage fördert, unangreifbar ist. Formeller und materieller Wahrheitsanspruch durchdringen sich, wie gerade das Beispiel der zwölf zeigt. Klibansky (1925) wollte in ihnen Eideshelfer sehen. 235 Tatsächlich dürfte die Anlehnung an das Konzept der Eideshilfe für die Verknüpfung der Aussage des Nikodemus mit der der zwölf maßgeblich sein, insofern sie zur Frage der Rechtmäßigkeit der Eheschließung zwischen Maria und Josef keine eigene Aussage tätigen, sondern den Wahrheitsgehalt der Aussage des Nikodemus bekräftigen (vv. 667 f.). Angesichts der Tatsache, dass Nikodemus gar keinen Eid leistet, geschweige denn, dass die zwölf mit ihm schwören, kann man sie aber kaum als Eideshelfer interpretieren; vielmehr nehmen die zwölf eine typische Zwischenstellung zwischen Eideshelfern und Wahrnehmungszeugen ein: Von ihnen wird durchaus eigenes Wissen erwartet (vv. 647-649; 660 f.), doch wird ihre causa scientiae nicht hinterfragt, ihre Aufgabe ist mit der Bestätigung der Aussage des Nikodemus erfüllt. Deren Wahrheitsgehalt erscheint gerichtsrelevant dadurch als gesichert, dass sie alle wie ein munt sprechen (v. 666), wobei die Gemeinschaftlichkeit der Aussage, die so suggeriert wird, wiederum an den Kollektiveid von Eideshelfern erinnert. Gegenüber Diu urstende tritt in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi , was den Strafprozess betrifft, trotz der späteren Entstehungszeit der Texte keine maßgebliche ,Rationalisierung‘ ein. Zwar wird bei den zwölf Männern im Evangelium Nicodemi (die von sich aus aussagen und schon deshalb von Eideshelfern klar unterschieden sind) unmissverständlich 233 Die Wächter bringen weiterhin vor, dass sie sich selbst nicht belügen wollten (v. 2554). Damit wird ein Konzept der Selbstlüge aufgerufen, dass z. B. in der Lügensystematik des Thomas von Aquin nicht präsent ist (vgl. Hedwig 2009, S. 133 f.). 234 S. dazu auch o. S. 81. 235 Vgl. Klibansky 1925, S. 12 f. 246 5 Externe Bezugsfelder klargemacht, dass sie aufgrund eigener Anschauung aussagen (v. 979), und für den Richter Pilatus ist ihre Aussage so überzeugend, dass er die Ankläger der Lüge bezichtigt (vv. 990-993), aber die Übereinstimmung der Aussagen wird nicht eigens hervorgehoben. In der Version von Christi Hort liegt bei der Beschreibung der Aussage der Jesus freundlich gesonnenen Juden die Betonung ganz auf deren ethischen Qualitäten (vv. 1603-1608). Überhaupt ist die Problematik der Wahrheitsfindung und Wahrheitssicherung in dem in Christi Hort dargestellten Prozessverlauf kaum präsent. Mit dem Auftritt der Geheilten waren im lateinischen Nikodemusevangelium (cap. VI f. [6,1-3 (G / I)]) Wahrnehmungszeugen vorgegeben, die aus eigener Initiative aussagen. Bei der Aussage der blutflüssigen Frau (dort mit Veronika gleichgesetzt) wird sogar deren Zeugnisfähigkeit problematisiert, indem ,die Juden‘ sagen, nach ihrem Gesetz dürften Frauen nicht Zeugnis ablegen. 236 Weder ist dieser Aspekt in die Kerntexte aufgenommen, 237 noch wird die Parteilichkeit oder Eigeninitiative dieser Zeugen problematisiert. Bei der affirmatorischen Darstellung derjenigen, die als Geheilte für Jesus aussagen, 238 geht es offenbar weniger um ihren Zeugenstatus als um den Inhalt ihrer Aussagen, die die Unschuld Jesu unterstreichen und auf die positive Wirkung der von ihm vollbrachten Wunder verweisen. In Christi Hort , wo sogar gesagt wird, dass Pilatus daraufhin wegen der go ͤ tlichen ere erschrak (vv. 1655-1657), und im Evangelium Nicodemi (vv. 1266 f.) reagiert Pilatus unmittelbar überzeugt. 239 Während in Christi Hort wiederum ganz der moralische Aspekt im Vordergrund steht (die Geheilten treten dem haz ,der Juden‘ entgegen; vv. 1637-1639), wird in Diu urstende (vv. 547 f.) und im Evangelium Nicodemi (v. 1201) ein Zeugeneid angedeutet; dort findet sich, adressiert an den Richter Pilatus, auch die vergewissernde Frage des einen Geheilten, ob er sicher sein könne, dass ihm aus seiner Zeugenaussage keine negativen Folgen erwüchsen (v. 1221). In beiden Texten wird außerdem die Evidenz des Geheilt- Seins thematisiert: in Diu urstende nur bei dem geheilten Blinden (v. 610), im Evangelium Nicodemi systematischer. 240 Tendenziell wird der Eindruck erweckt, hier würde - beinahe im Sinne der ,leiblichen Beweisung‘ 241 -,Wahrheit‘ vor Gericht unmittelbar sinnlich erfassbar. Jedoch liegen die Heilungsereignisse in der Vergangenheit; die vorherige Krankheit ist nicht evident, es werden keine weiteren Nachforschungen betrieben. Nur punktuell scheint das Evidenzproblem im Evangelium Nicodemi auf, wenn sich Lazarus für seine Auferweckung auf Augenzeugen beruft (vv. 1262-1265). Eine systematische Wahrheitssuche findet im Kontext des Prozesses jeweils nur vor Beginn der eigentlichen Verhandlung statt, nämlich in der im Nikodemusevangelium (cap. I 5 f.) vorgeprägten Fahnenwunderszene ( Diu urstende , vv. 274-312; Christi Hort , vv. 1492-1563; Evangelium Nicodemi , vv. 835-918). 242 Sowohl in Diu urstende (vv. 308-310) als 236 Zum rechtshistorischen Hintergrund s. o. S. 70. 237 Dabei scheinen auch nach ,deutschem‘ Recht Frauen nur in Ausnahmefällen als Zeuginnen zugelassen gewesen zu sein, wie aus den Regelungen im Sachsenspiegel zu schließen ist (vgl. dazu Rummel 1987, S. 106-109). Zur eingeschränkten Zeugnisfähigkeit von Frauen nach dem gelehrten Recht s. o. S. 239. 238 Vgl. dazu Manuwald 2011. 239 In Christi Hort genügt ein Bericht anderer über die Auferweckung des Lazarus dafür (vv. 1651-1657), dass Pilatus vor der Göttlichkeit Jesu erschrickt (vv. 1655 f.). 240 Der ehemals Lahme: daz ich an der selben stunt / wart als ich n u bin gesunt (vv. 1217 f.; Hervorhebung H. M.); der ehemals Blinde: do wart ich ane lougen / gesende als ich tun n u (vv. 1226 f.; Hervorhebung H. M.); der ehemals Stumme: Ich spriche. Ich was ein stumme. (v. 1229). 241 Zu diesem Konzept des Johannes von Buch vgl. Kannowski 2007, S. 221-234. 242 S. dazu o. S. 89; 156. 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 247 auch in Christi Hort (vv. 1496 f.; 1521) wird dabei eine Differenz zwischen der sinnlichen Wahrnehmung und der Interpretation (Wunder oder Zauberei) erkennbar gemacht, wie sie auch in Zeugentraktaten des gelehrten Rechts diskutiert wird. 243 Im Hinblick auf eine gerichtlich zu ermittelnde Wahrheit ist besonders die Gestaltung der Szene im Evangelium Nicodemi aufschlussreich. Wie im Nikodemusevangelium ist es dort Pilatus, der den Austausch der Fahnenträger anordnet, nachdem er zunächst die von ‚den Juden‘ beschuldigten heidnischen Träger befragt hat (vv. 870-896). 244 Anders als im Prätext wird im Evangelium Nicodemi nach der Befragung der Fahnenträger gesagt, dass Pilatus aufgrund ihrer Aussage deren Unschuld erkennt (vv. 884 f.). Entscheidend ist jedoch nicht sein privates Wissen, sondern das, was vor Gericht geschieht. Pilatus kündigt ausdrücklich eine Wahrheitsfindung an und ermöglicht dann in einem Experiment, dass die wundersame Wirkung Jesu für alle augenscheinlich wird. 245 In der Fahnenwunderszene begegnet bereits ein Muster, das für die Erzählung von den Ereignissen nach Jesu Auferstehung in allen drei Kerntexten prägend wird. Die Heilswahrheit, die für den jeweiligen Erzähler und seine impliziten Adressaten ohne Zweifel Gültigkeit besitzt, wird von ,den Juden‘ bezweifelt und muss deshalb bewiesen werden. Dabei kommen ,rationale‘ Verfahren zum Einsatz, die teilweise schon im Nikodemusevangelium vorgeprägt sind: Dort wird Christi Himmelfahrt von drei Personen bezeugt, die - mit dem Ergebnis einer übereinstimmenden Aussage - getrennt voneinander befragt werden (cap. XIV 1 f.; XVI 2 f. [16,2,1-16,3,2 (G / I)]); die Höllenfahrt wird von zweien bezeugt (cap. XVII 2 f.), die von den Fragenden „beim Gott Adonay und beim Gott Israels“ ( per Deum Adonay et Deum Israel ) beschworen werden, eine Beschwörung, die die beiden Zeugen stark bewegt ( contremuerunt corpore, „sie zitterten am [ganzen] Körper“). Was die Zahl der Zeugen angeht, so wird der biblische Ausgangspunkt (Dt 19,15) von Annas und Kaiphas ausdrücklich zitiert: „In ore duorum uel trium testium omne uerbum stabit.“ („ ,Durch den Mund von zwei oder drei Zeugen wird jedes Wort feststehen.‘ “). 246 In derselben Rede ist für sie offenkundig auch die Ehrenhaftigkeit Josephs von Arimathia, also dessen fides , ein Argument für seine Glaubwürdigkeit (cap. XVI 3 [16,3,2 (G / I)]). Dass diese Elemente in den Kerntexten nicht einfach übernommen wurden, sondern eine aktive Auseinandersetzung mit dem Stellenwert der Augenzeugenschaft erfolgte, lässt sich exemplarisch an der jeweiligen Ausgestaltung der Aussage Josephs und den unmittelbar darauf folgenden Geschehnissen zeigen. Im Nikodemusevangelium (cap. XVI 1 [16,1,1 (G / I)]) stürzen die Hohepriester aufgrund der Aussage Josephs zu Boden: Sie können das von Joseph geschilderte Wunder, seine Befreiung aus dem Gefängnis durch den auferstandenen Jesus, nicht begreifen und argumentieren mit dessen menschlicher Herkunft, wenn sie sagen, dass ihnen doch die Eltern Jesu bekannt seien. Nachdem jedoch ein Levit von den Prophezeiungen Simeons berichtet hat, lassen ,die Juden‘ nach den drei Himmelfahrtszeugen schicken, die dann befragt werden. Schließlich werten die Hohepriester die 243 Vgl. Lepsius 2006, S. 129 (in Bezug auf den Tractatus testimoniorum [um 1375] des Bartolus de Saxoferrato). 244 In Diu urstende verlangen den Austausch die beschuldigten Träger von ‚den Juden‘, in Christi Hort ‚die Juden‘ selbst. 245 Sie übt auch auf Pilatus selbst, der die Aktion gesteuert hatte, einen enormen Effekt aus; er gerät in Angst (vv. 915-918). 246 Zu Rückbezügen auf diese Stelle im Neuen Testament vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 179, Anm. 123. 248 5 Externe Bezugsfelder Ergebnisse aus, wobei sie rekapitulieren, dass Joseph bezeugt habe, Jesus lebend gesehen zu haben, und die drei herbeigeholten Männer, dass sie ihn auf dem Ölberg und zum Himmel auffahren gesehen hätten. Dass sie die Zeugnisse von Joseph und den drei Männern tatsächlich dahingehend zusammenzögen, dass vier Personen bezeugt hätten, dass Jesus lebe, 247 ist dem Text nicht zu entnehmen. Im Evangelium Nicodemi erfolgt genau diese Verknüpfung, ohne dass das Prinzip der Mehrzeugenregelung erwähnt würde: „ […] / Wir san in allentsamen tot; / nu sprichet Joseph und dise dri, / daz er lebende erstanden si.“ (vv. 2696-2698). Die drei Himmelfahrtszeugen werden - anders als im Nikodemusevangelium - als bei der Aussage Josephs anwesend präsentiert und hatten deren Wahrheitsgehalt bekräftigt (vv. 2679-2681). 248 Kaiphas kommt aufgrund der Sachlage zu dem Schluss: „Die rede ist war.“ (v. 2701). In Diu urstende ist es nicht die Anzahl der Zeugen, die thematisiert wird, sondern die causa scientiae : Kaiphas ist von Josephs Bericht über seine Befreiung (vv. 1426-1457) keineswegs ,erschlagen‘, er stellt vielmehr präzise Nachfragen. Zunächst möchte er Auskunft darüber, ob Joseph denjenigen erkannt habe, der ihn befreit habe (vv. 1458-1463). Als Joseph ihn mit Jesus identifiziert und auch dessen Verbleib angibt (vv. 1464-1478), forscht Kaiphas nach, ob Joseph zur Himmelfahrt de visu ausgesagt habe (vv. 1479-1481). Joseph muss zugeben, dass es de auditu geschehen sei, kann aber auf die drei namentlich bekannten und von ihm als zuverlässig charakterisierten Augenzeugen verweisen, nach denen dann geschickt wird (vv. 1482-1496). Die Augenzeugenschaft hat also klaren Vorrang vor dem Hörensagen. In Christi Hort entspricht der Geschehensablauf noch am ehesten dem im Nikodemusevangelium : ,Die Juden‘ erschrecken über die Aussage Josephs und entschließen sich von sich aus, nach den drei Himmelfahrtszeugen zu senden, d. h., die Zeugenaussagen sind nicht verknüpft (vv. 3385-3394). Dafür wird die causa scientiae der drei von den Hohepriestern eindringlich hinterfragt. Sie wollen nicht nur die Augenzeugenschaft im Gegensatz zum Hörensagen bestätigt wissen, sie zweifeln sogar auch die Zuverlässigkeit der optischen Sinneseindrücke an: 249 ‘sagt uns durch Got was daz was da ir Jesum sahet; wart ir im so genahet daz ir in moh t erchennen, oder hort ir in sus nennen? was ob ir leicht betrogen seit? an iu so vil eren leit daz ir wan die warhait sait.’ ( Christi Hort , vv. 3410-3417) 247 So Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 180, Anm. 124. 248 Ihre eigene Aussage war dem vorausgegangen (vv. 2450-2505), sodass sie als Zeugen eine Doppelfunktion erfüllen. 249 Eine entsprechende Skepsis gegenüber der Verlässlichkeit optischer Wahrnehmungen - und damit gegenüber Augenzeugenschaft als Wahrheitskriterium - ist in Zeugnissen des gelehrten Rechts zu finden, wenn gesagt wird, ein Richter müsse die Aussage eines kurzsichtigen Zeugen genau prüfen oder solle sich auf die Aussage jüngerer Zeugen stützen, weil sie die besseren Augen hätten (vgl. Lepsius 2006, S. 128). 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 249 Finees (stellvertretend für alle drei) bestreitet vehement, eine unfreiwillige Falschaussage getätigt zu haben; er bekräftigt seine Augenzeugenschaft und erklärt seine Bereitschaft, seinen bereits geleisteten Schwur dahingehend zu erweitern, dass ihm die Himmelfahrt wizentlichen […] chunt sei (vv. 3419-3430). Dass alle drei Zeugen darin übereinstimmen (v. 3431), 250 führt bei ‚den Juden‘ zu einer Resignation angesichts des wunder (vv. 3432-3436). Die Bereitwilligkeit, mit der die drei das spirituelle Risiko des Eides auf sich nehmen, verdeutlicht die Wahrhaftigkeit ihrer Aussage. Sie waren zuvor von ,den Juden‘ beschworen worden (vv. 3398 f.; 3410). 251 Welche Wirkung eine solche Beschwörung haben kann, wird bei der Entscheidung der Simeonsöhne deutlich, entgegen der Anweisung Jesu über das, was sie erlebt haben, Auskunft zu geben: Sie berufen sich ausdrücklich darauf, dass man sie in Jesu Namen beschworen habe (vv. 3624 f.; vgl. vv. 3585-3592). Sie zeigen damit eine Reaktion, die - legt man die oben zitierte Interpretation des Verhaltens Jesu vor dem Hohen Rat aus der Prosa-Passio zugrunde - dem Vorbild des biblischen Jesus folgt. Im Evangelium Nicodemi taucht zwar bei der Befragung der Simeonsöhne ebenfalls das Motiv des Beschwörens auf (vv. 2781 f.), aber das Hauptaugenmerk liegt - wie auch bei der Aussage Josephs (vv. 2578-2583) - auf der in ihren Modalitäten genau beschriebenen Eidesleistung der Zeugen (vv. 2768-2787). Das ungewöhnliche und mitsamt der Eidesformel beschriebene Eidritual für die Simeonsöhne, bei dem ihnen die e auf den Kopf gelegt wird, 252 unterstreicht das Gewicht ihrer Aussage, deren Wahrheitsgehalt ,die Juden‘ zusätzlich dadurch zu sichern versuchen, dass sie die beiden bei der Niederlegung ihrer Berichte voneinander trennen und unter Aufsicht stellen (vv. 2832-2835). 253 Das Eidritual steht also im Kontext von Beweisverfahren, die zur Entstehungszeit des Textes als modern gelten können. Auch andere vermeintlich archaische Züge der Kerntexte lassen sich solchen Beweisverfahren zuordnen: Wenn die Simeonsöhne in Diu urstende zum Beleg, dass sie niemals eine Lüge ausgesprochen hätten, damit argumentieren, dass ihr Vater ein rehter man gewesen sei und sie die wârheit von ihm geerbt hätten (vv. 2103-2107), so ist das a u c h als Beteuerung ihrer fides zu verstehen. Die Reihe der Beispiele ließe sich fortsetzen, und allein der sich in den Kerntexten manifestierende Bezug auf Beweisverfahren, wie sie in Abhandlungen gelehrten Rechts diskutiert werden, ist tendenziell ein Ausdruck der Wertschätzung der Augenzeugenschaft für die Wahrheitsfindung vor Gericht. Was den Umgang mit Augenzeugenschaft in den Texten 250 Ob die drei ihre Aussagen unabhängig voneinander tätigen, wird im Text nicht ganz klar: Sie werden zu Beginn der Befragung voneinander getrennt (vv. 3398 f.), dann aber kollektivierend angeredet (vv. 3400-3417); ein Höflichkeitsplural erscheint angesichts der Anrede Josephs in der zweiten Person Singular (vv. 3193 ff.) ausgeschlossen. Vermutlich ist der zusammenfassende Charakter der Schilderung der Befragung der Erzählökonomie geschuldet. Dass die drei nur für die Beschwörung (v. 3399) voneinander isoliert worden wären, ist unwahrscheinlich. 251 In diesem Zusammenhang wird nicht thematisiert, welchen Rang die Fragenden haben. Dadurch, dass zu Anfang der Befragungen (vv. 3301-3304) der hohe Stand derjenigen betont wird, die die Fragen stellen, dürfte aber neben ihrer Klugheit (v. 3304) auch ihre Berechtigung, andere zu beschwören, unzweifelhaft sein. - In Diu urstende wird bei den Aussagen Josephs (vv. 1386-1388; 1422-1425), der drei Auferstehungszeugen (vv. 1498 f.) und der Simeonsöhne (vv. 1630-1633) jeweils nur erzählt, dass sie gebeten wurden, um der Ehre Gottes willen auszusagen, bzw. beschworen worden seien. Das heißt aber nicht, dass der Zeugeneid im Text grundsätzlich keine Rolle spielt, da im Prozess gegen Jesus der erste der Geheilten vor seiner Aussage einen Eid leistet (v. 547). 252 Zu möglichen Konnotationen s. o. S. 158 f. 253 Einleitend zur Beschreibung ihres Vorgehens wird die Umsicht ,der Juden‘ betont: Die juden waren wol bedaht / […] (v. 2832). 250 5 Externe Bezugsfelder besonders interessant macht, ist die dialogische Verhandlung der Glaubhaftigkeit einzelner Aussagen auf der Figurenebene. Auf diese Weise werden in den Erzähltexten Wahrheitskriterien diskursiviert, wie sie sich im juristischen Bereich in Traktaten oder Glossen zur Beweiswürdigung finden. 254 Der Umgang mit der causa scientiae bei der Aussage Josephs bzw. der drei Himmelfahrtszeugen hatte das bereits gezeigt. Die Auseinandersetzung darüber, ob eine Aussage als wahr gelten kann und woran das festzumachen ist, beginnt - in Ausgestaltung der im Nikodemusevangelium (cap. XIII [13,2-4 (G / I)]) angelegten Szene - bereits mit den Aussagen der Grabwächter, also vor der eigentlichen Untersuchung durch die Hohepriester. In Diu urstende gehen die Ausführungen an dieser Stelle ins Grundsätzliche, wenn ,die Juden‘ argumentieren, es sei der wârheit niender gelîch (v. 952), wenn ein Toter auferstehe, wie die Wächter gesehen zu haben behaupteten. Sie operieren mit Annahmen über das, was wahrheitsförmig sei, die sie dann aufgrund der Analogieargumente der Wächter, die auf Lazarus verweisen, revidieren müssen. 255 Verpackt in die polemische Darstellung der beschränkten Erkenntnisfähigkeit ,der Juden‘ scheint hier so etwas wie eine Adäquationstheorie von Wahrheit auf. In der Regel bewegt sich die Argumentation aber im rechtlichen Bereich: Wenn in Diu urstende die drei Himmelfahrtszeugen ,den Juden‘ die Zuverlässigkeit der Simeonsöhne anpreisen, sagen sie zum Beispiel: ‘ […] sô wizzet, swes si iu verjehent, des sît ir sicher âne wân und sult ez für die wârheit hân.’ ( Diu urstende , vv. 1542-1544) In dieser Äußerung wird nicht nur die Exzeptionalität der Simeonsöhne herausgestellt, sie impliziert zugleich, dass im Regelfall eine Aussage eben nicht Wahrheit transportiert, sondern der Rezipient auf wân 256 angewiesen ist. Terminologisch lässt die Stelle die Lehre von den viererlei wane anklingen, die Johannes von Buch in seiner Glosse zum Sachsenspiegel - Landrecht ein Jahrhundert später, aber in Anlehnung an die Lehre von den praesumptiones im gelehrten Recht, entwickelt hat. 257 Als verlässlicher Beweis gilt Johannes von Buch nur die ,leibliche Beweisung‘, also „das, was man an einem Mann gegenwärtig zu sehen und zu fühlen vermag“: 258 Des wete, dat also mer alle bewisinge nicht mer en maken men 259 enen wan, vnde yoch de bewisinge der tu ͦ ghe. Wente me louet vmme nicht den tughen, wen dat me des modet, dat se rechte zweren, 254 Vgl. zusätzlich zu den bisher diskutierten Textstellen die in Christi Hort vorgebrachten Argumente des Nikodemus für den Wahrheitsgehalt der Aussage der drei Auferstehungszeugen (Nikodemus leitet damit seinen Vorschlag zu deren Bestechung ein; s. dazu o. S. 124): Seine Argumente lassen sich den Aspekten der fides der Zeugen ( want si sint gar gelaubhaft , v. 3071, vgl. auch vv. 3072-3074), der Bekräftigung durch einen Eid ( si habent ez pi dem aid gesait , v. 3075) und der Plausibilität der Aussage ( ez gelichet sich wol der warheit , v. 3076) zuordnen. 255 Zu dieser Stelle s. o. S. 90. 256 Vgl. die in BMZ formulierte Grundbedeutung: „die ansicht, die man von etwas faßt, die aber nicht auf völliger gewisheit beruht; das glauben, vermuten“. 257 Vgl. dazu Kannowski 2007, S. 221-238. 258 Kannowski 2007, S. 226 (mit Verweis auf die Glosse zu Ldr. I 15). Für Parallelstellen vgl. das Glossar zur Buch’schen Glosse (Kaufmann / Neumeister 2015), s. v. liflik ( en ) (Bd. 2, S. 676). Nach Kannowski (ebd., S. 227) ist die leibliche Beweisung von geringem prozessualen Wert; er betont die Parallelen zur Wahrheitsermittlung durch den ungläubigen Thomas (Io 20,24-29). 259 Handschrift H liest hier wenne (vgl. Kaufmann 2002, Bd. 3, S. 1150). Mit Kannowski (2007, S. 222 f.) wird hier diese Lesart für das Textverständnis vorausgesetzt. 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 251 nicht also, dat id dar war sy. Sus prouestu, dat nen bewisinge war sy, wenne de men liffliken bewisen moghe. Vnde dar vmme zeggen ze vnrechte, de zeggen: Id is war, wenne R. vnde N. sweren. Wen me schal zeggen: Id is wanlik, dat id war sy, na deme dat id N. vnde R. sworen, ut I q. ult. C. sanccimus. 260 In Diu urstende wird die Glaubhaftigkeit der Simeonsöhne durch eine Art ,leibliche Beweisung‘ unterstrichen, denn allein die körperliche Anwesenheit der ehemals Toten bestätigt Aspekte von dem, was sie sagen. 261 Für die Wirkung ihrer Aussage ist aber vor allem das Schriftwunder entscheidend, d. h. die göttliche Autorisierung ihrer Aussage. Dass die Reihe von Augenzeugenberichten über die Ereignisse nach der Auferstehung Jesu in allen drei Kerntexten (wie schon im Nikodemusevangelium ) mit einem Wunder abgeschlossen wird, wirft die grundsätzliche Frage danach auf, wie juristische Verfahren der Wahrheitsfindung gegenüber der göttlichen Offenbarungswahrheit gewichtet werden sollen. Für Diu urstende hat Peter Strohschneider (2005) betont, dass die menschlichen Bemühungen zur Wahrheitssicherung sich als unzureichend erweisen; die göttliche Offenbarungswahrheit könne nur gesichert werden, indem das Transzendente in das Immanente hineinrage. 262 In der Tat vermittelt der Text, dass ohne göttliche Hilfe nicht über Transzendentes berichtet werden kann und dieser Bericht einer speziellen Legitimation bedarf. Jedoch ist das Wunder im Text so eingebunden und konzipiert, dass dabei menschliche Methoden der Wahrheitssicherung berücksichtigt werden. Schon die Auferstehung der Simeonsöhne ist daraufhin angelegt, dass sie wahrgenommen werden soll; dieses Bemühen um Evidenz wird sogar auf Gott selbst zurückgeführt. 263 Inwiefern die Simeonsöhne darüber hinaus zu ihrer Aussage legitimiert sind, bleibt in Diu urstende und im Evangelium Nicodemi offen. In Christi Hort wird die durch die Beschwörung zum Ausdruck gebrachte Verpflichtung zur göttlichen Wahrheit über den konkreten Auftrag Jesu, sich nicht über das Erlebte zu äußern, gestellt (vv. 3613-3630). Dass die Simeonsöhne ihre Aussage eigenhändig schriftlich niederlegen, fällt zwar aus üblichen juristischen Verfahren heraus, 264 aber die Prinzipien der Trennung der beiden Zeugen und des Vergleichs ihrer Aussagen 260 Glosse zu Ldr. III 37 (cap. XXXV) (zitiert nach Kaufmann 2002, Bd. 3, S. 1150, Z. 1-9). Vgl. eine Übersetzung der Stelle bei Kannowski 2007, S. 223. Die im Zitat abschließend genannte Allegation bezieht sich auf das Decretum Gratiani , C. 1 q. 7 c. 26. - Die Skepsis des Johannes von Buch richtet sich auch gegen Urkundenbeweise, also Beweise mit breuen (vgl. die Glosse ebd., Z. 10-12). 261 Unmittelbar evident wird nur das Auferstehungswunder an sich, nicht dessen Umstände (vgl. Strohschneider 2014, S. 99). 262 Vgl. Strohschneider 2005, S. 318-326, bes. S. 324 (ähnlich 2014, S. 97): „Damit wäre klar, wie eigentlich im Falle des descensus ad inferos die Paradoxie der Augenzeugenschaft gelöst wird, nämlich gar nicht. Sie ist vielmehr im Wunder des Textes [sc. des schriftlichen Berichts der Simeonsöhne] sozusagen übersprungen. Dessen Wahrheits- und Relevanzansprüche hängen nicht primär an der Autopsie der Schreibenden oder daran, dass diese offensichtlich von den Toten auferweckt wurden. Sie ergeben sich vielmehr aus dem Ursprung des Textes. In der Identität seiner beiden schriftlichen Manifestationen offenbart sich diese Transzendenz und ragt sie direkt in die immanente Welt hinein.“ 263 ‘ […] / dô leite wir die menscheit / wider an ze churzer vrist. / daz schuof got durch einen list / und hât uns her gesant / daz wir iu sîn bechant . / […] ’ ( Diu urstende , vv. 2098-2102). Im Evangelium Nicodemi hat - nach den Worten der Simeonsöhne an der entsprechenden Stelle - Jesus sie durch urkunde daz er erstunt (v. 3701) wieder auferweckt (s. dazu o. S. 159). 264 Zum Urkundenbeweis im ,deutschen‘ Recht des Hochmittelalters vgl. Ignor 1998. Im Kontext des gelehrten Rechts entspricht die schriftliche Aussage der Simeonsöhne am ehesten einer Sonderform des Verhörprotokolls. Die medialen Brechungen beim Bericht der Simeonsöhne und dem Erzählen davon dürften aber ohnehin eher mit der Problematik zusammenhängen, wie etwas Transzendentes sprachlich vermittelt werden kann, als mit konkreten rechtlichen Verfahrensweisen (vgl. dazu grundlegend Strohschneider 2005; 2014, S. 105-126). 252 5 Externe Bezugsfelder stehen deutlich in einem Kontext prozessualer Praxis. Die Art, wie das Wunder vollbracht wird, ist also an juristische Verfahren der Wahrheitsfindung angepasst. 265 Für eine solche ,Rücksichtnahme‘ auf die menschliche Erkenntnisfähigkeit lassen sich auch in der Bibel Parallelen finden, wenn Jesus zum Beweis seiner leibhaftigen Auferstehung etwas isst (Lc 24,36-43; vgl. auch Christi Hort , vv. 2705-2720) und wenn, wie oben dargelegt, Jesus im Dialog mit den Pharisäern (Io 8,16-18) auf deren juristische Prämissen eingeht und die Zweizeugenregelung als erfüllt erklärt - sie wird allerdings durch die Identität von Vater und Sohn zugleich unterlaufen. Ein derartig subtiler Umgang mit menschlichen Verfahren zur Wahrheitsfindung lässt sich in den Kerntexten nicht finden. Vielmehr schließt das göttlich autorisierte Augenzeugnis der Simeonsöhne eine Reihe von Zeugenaussagen ab, deren Wahrheitsgehalt in der Schilderung der Auseinandersetzung mit den Kritikern jeweils argumentativ gesichert worden ist. Zwischen der so erfassbaren Wahrheit und der göttlichen Offenbarung scheint - so legt es die Dynamik der Texte nahe - kein grundsätzlicher qualitativer Unterschied zu bestehen, sondern das, was mit menschlichen Mitteln nicht zu erfassen ist oder nur erschlossen werden kann, wird mit göttlicher Hilfe ergänzt. Obwohl in den Texten durchaus verschiedene Arten von Wahrheit präsent sind, kommt insgesamt ein univoker Wahrheitsbegriff zum Ausdruck. 266 Die positive Einschätzung von Augenzeugenschaft hat Konsequenzen für die Poetologie der Texte, und zwar über den Beweis der Authentizität der Descensus -Erzählung hinaus. 267 Die Texte berufen sich auch für den Passionsteil, mehr oder weniger deutlich, auf einen Augenzeugen als Quelle: Enêas in Diu urstende (vv. 53-68), 268 Nic [ h ] odemus in Christi Hort 265 Zur Manuskriptkultur, in der die Identität der Schriftstücke als besonders großes Wunder gewirkt haben muss, als weiterem Bezugsrahmen vgl. Strohschneider 2005, S. 323 f.; 2014, S. 105 f. 266 Vgl. dazu Rieger 2000, S. 118. 267 Vgl. dazu in Bezug auf Diu urstende Strohschneider 2005, S. 322 (ähnlich 2014, S. 102): „Die Handlungsfolge der ‚Urstende‘ […] ist also vor allem auch eine Geltungsgeschichte dieser descensus -Erzählung: ein legitimatorischer Diskurs, der sie autorisiert und dessen Überbietungsverfahren auch darauf - als Kompensation - beziehbar sein werden, dass der descensus zwar im Glaubensbekenntnis garantiert ist, die Erzählung von ihm aber kanonische Geltung tatsächlich gerade nicht beanspruchen kann.“ 268 Augenzeugenschaft wird Eneas nur für den Kreuzestod Jesu zugeschrieben (vv. 54-61). Zu den folgenden Ereignissen heißt es: swaz mære er sît vernam / von sîner urstende und wie / dicke er sich dar nâch sehen lie / unz ze sîner ûfvart / und wie ouch di z bewæret wart, / daz tete er allez geschriben; / des sint diu mære her beliben. (vv. 62-68). Strohschneider (2005, S. 335-337; ähnlich 2014, S. 117-119) leitet aus diesen Angaben zur causa scientiae eine Dichotomie für den Text von Diu urstende ab: „Und das heißt: was die ‚Urstende‘ insgesamt erzählt, führt sich auf zwei verschiedene Ursprünge zurück, denjenigen in der Augenzeugenschaft des Eneas wie denjenigen in der mythischen Schrift der Symeonsöhne […] Der wichtigste Gewährsmann der ‚Urstende‘, Eneas, ist also eine komposite Instanz: Seine Passionserzählung stiftet lediglich die eine Linie der dem aktuellen Text vorausliegenden Rede-Traditionen. Die andere, klar davon geschieden, ist die Überlieferung der Katabasiserzählung. Und deutlich ist, dass in dieser Unterscheidung zugleich diejenige von Immanenz und Transzendenz codiert ist.“ Strohschneider hebt zu Recht den besonderen Status der Katabasiserzählung hervor, jedoch finden bei seiner Betrachtungsweise die Aussagen Josephs und die der drei Himmelfahrtszeugen, in denen Transzendentes immanent fassbar wird, keinen systematischen Platz. Auch hat Eneas nach den zitierten Versen nicht nur aufgeschrieben, was er über die Auferstehung gehört hat, sondern auch, wie es bewiesen wurde ( und wie ouch di z bewæret wart ). Strohschneider (2014, S. 119) versteht diesen Vers als Einschränkung: „Eneas kann die descensus -Erzählung keineswegs in derselben Weise beglaubigen wie den processus Pilati und die Kreuzigung. Er kann allenfalls bestätigen, dass sie beglaubigt worden sei […].“ Auf diese Weise bezeugt Eneas de auditu aber zugleich die legitimierende Rahmung des descensus -Berichts, die nicht zuletzt auf der Augenzeugenschaft der Auferstehungszeugen beruht. Angesichts dieser Vernet- 5.2 wârheit : Das Verhältnis von Offenbarungswahrheit und juristischer Wahrheitsfindung 253 (vv. 1367-1380) und im Evangelium Nicodemi (vv. 369-392). Dass dessen Zeugnis im Evangelium Nicodemi sogar über das der Evangelisten gestellt wird, da Nikodemus das, was er wusste, auch alles aufgeschrieben habe, 269 ist gewiss ein Sonderfall, aber die Figur des Nikodemus, der mit Jesus kommuniziert hat, am Passionsgeschehen beteiligt war und für die Wahrheit eintritt, macht hier die Vernetzungen zwischen der Handlungsebene und der erzählerischen Rahmung besonders deutlich. 270 Über den Topos der adtestatio rei visae schreiben sich alle drei Texte zugleich in eine historiographische Tradition ein. 271 Mit Isidor wurde darin nicht nur die Überlegenheit des Augenzeugnisses gegenüber dem Ohrenzeugnis betont, sondern es finden sich auch vereinzelt argumentative Verknüpfungen mit der juristischen Mehrzeugenregelung. 272 Auch wenn die Heilsgeschichte zur historia zählt - wie schon ihre Integration in Weltchroniken erkennen lässt - ist die Berufung auf eine durch einen Augenzeugen vermittelte Faktenwahrheit durchaus keine Selbstverständlichkeit. Frederick G. Pickering (1970) hat in seinen grundlegenden Überlegungen zu mittelalterlichen Kreuzigungsdarstellungen die These aufgestellt, es sei eine moderne Herangehensweise, wissen zu wollen, was „in fact“ geschehen sei; den mittelalterlichen Autoren sei es vielmehr darum gegangen zu zeigen, was „in truth“ passiert sei, und diese (biblische) Wahrheit sei zum Beispiel typologisch begründet. 273 Nun fußt die Wahrheit, die der Augenzeuge Nikodemus über den Prozess und die Simeonsöhne als Augenzeugen der Höllenfahrt Jesu berichten, nach den in den Kerntexten gegebenen Signalen tatsächlich auf alttestamentarischen Prophezeiungen. Indem die Erzähltexte die causa scientiae der jeweiligen Augenzeugen thematisieren, wird den Geschehnissen aber zusätzlich der Status einer Faktenwahrheit zugeschrieben. Als Faktenwahrheit wird die Heilswahrheit erzählbar, und die volkssprachigen Autoren führen die Tradition dieser ,wahren‘ Erzählungen über die Passion fort. zungen ist es wenig wahrscheinlich, dass der Text in der Gegenüberstellung von Augenzeugenschaft und Vermittlerrolle des Eneas darauf abzielt, im Hinblick auf die Augenzeugenschaft des Eneas die grundsätzlichen Probleme von Augenzeugenschaft zu aktivieren (so aber tendenziell Strohschneider ebd., S. 335 f. [ähnlich 2014, S. 118]: „Eneas ist selbst ein Augenzeuge; von den Problemen, die damit verbunden sind, war im Kapitel 2 die Rede.“). Becker (2015, S. 41) verweist bei ihrer Analyse der Stelle auf Strohschneiders Deutung, problematisiert die Augenzeugenschaft aber nicht. 269 S. dazu o. S. 155. 270 Vgl. Strohschneider (2005, S. 335; 2014, S. 117) dazu, dass diese Querverbindung in Diu urstende nicht besteht. 271 In welche rhetorische Tradition sich die Kerntexte durch ihr Erzählverfahren stellen (vgl. dazu Hübner 2010), wäre gesondert zu untersuchen. 272 Vgl. Knapp 1997 (1980), S. 21 f. (zu Isidor); Schmolinsky 2011, S. 305 (zu Isidor), S. 306 (zu Referenzen auf den Zeugenbeweis bei Thietmar von Merseburg). 273 Vgl. Pickering 1970, S. 230. 254 5 Externe Bezugsfelder Der Status von Augenzeugenschaft in der Bibel- und Legendenepik 274 bedürfte einer systematischeren Untersuchung, als sie hier zu leisten ist. 275 Als Parallele zu dem Umgang mit Beweisverfahren in den Kerntexten sei nur auf die um 1200 entstandene Versdichtung Joseph d’Arimathie Roberts de Boron verwiesen. 276 In die Erzählung von der Herkunft des Grals sind auch die Pilatus-Veronika-Legende und die Schilderung der Rache Vespasians bei der Eroberung Jerusalems integriert. Bei der Aufarbeitung der Passionsereignisse kommt eine ausgefeilte Beweistechnik zum Einsatz. Das übergeordnete Ziel der Erzählung ist es, die Authentizität des Grals zu beweisen, aber über die genaue Rekonstruktion der Ereignisse wird auch die Glaubwürdigkeit der eigenen Erzählung unterstrichen, zumal in der im ersten Viertel des 13. Jahrhunderts entstandenen Prosafassung, in der die entsprechenden Züge noch verstärkt sind. 277 Der heilsgeschichtliche Stoff scheint also eine Auseinandersetzung mit Wahrheitsbegriffen geradezu herausgefordert zu haben. Der juristisch gefärbte Modus der Augenzeugenschaft erweist sich als eine Möglichkeit, sich der Heilswahrheit erzählerisch zu nähern. 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? Im Schwabenspiegel wird einleitend ein heilsgeschichtlicher Rahmen für die auf Erden geltende Rechtsordnung entfaltet: 278 274 Raumann (2010, S. 121 f.) referiert die Kontroverse zwischen Green (2002, S. 86) und Knapp (2003) darüber, wie die Aussage des Erzählers in der Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen zu deuten sei, er sei nicht so weise, dass er alle Speisen beim Festmahl im Hause des Schächers (bei der zweiten Einkehr) aufzählen könne, außerdem komme es ihm nicht zu, denn er sei nicht dabei gewesen (vv. 2443-2449, zitiert nach Fromm / Grubmüller 1973). Da Heilsgeschichte als historia verstanden worden sei, „wäre auch ein Unterschied zwischen dem literarischen Spiel mit dem Augenzeugentopos im Artusroman und in der (heils-)geschichtlichen Dichtung zumindest denkbar“ (so Raumann ebd., S. 122). Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, an der fraglichen Stelle in der Kindheit Jesu dominieren jedoch - dem Gegenstand des höfischen Gastmahls entsprechend - Erzählkonventionen höfischer Literatur (Raumann selbst betont den vielseitigen Charakter des Textes ebd., Anm. 348), zu denen der Verzicht auf eine detaillierte Katalogisierung von Speisen gehört (vgl. Ukena-Best 2002, S. 197 mit Anm. 59 [S. 205 f.]). Konzeptionalisierungen von Zeugenschaft in einem umfassenderen Sinne, d. h. auch von bekenntnishafter Zeugenschaft, sind von Prica (2010, S. 235-276) für die Erlösung untersucht worden. 275 Zu berücksichtigen wären dabei auch die Verflechtung von Zeugenschaft auf Handlungs- und Erzählebene in der Bibel selbst, insbesondere den Evangelien. Vgl. Lincoln 2000, S. 378-389; 2015 (zum Johannesevangelium ) und vor allem die kontrovers diskutierte These von Bauckham 2017 (zuerst 2006), dass alle vier Evangelien auf Augenzeugenberichten beruhten (zur Diskussion vgl. die Beiträge in Journal for the Study of the Historical Jesus 6.2 [2008]). 276 Zur Einordnung des Textes in die Rezeptionsgeschichte des lateinischen Nikodemusevangeliums vgl. O’Gorman 1997, S. 120-123. 277 Vgl. dazu Grimbert 1991. 278 Die abgedruckten Passagen sind in allen edierten Fassungen enthalten (vgl. Hagenlocher 1992, S. 180; für einen Überblick über die Fassungen vgl. Oppitz 1990, S. 34-42; Johanek 1992). Zitiert wird eine der zwischen 1276 und 1282 entstandenen Kurzformen als älteste ,Verkehrsform‘ des Textes (vgl. dazu Johanek ebd., Sp. 899) und zwar die Handschrift mit der Sigle Kb (Klasse Ia) nach der Ausgabe von Eckhardt 1974. Die Zählung richtet sich nach der auch von Eckhardt mitgeführten Artikeleinteilung von Laßbergs (1840), die sich etabliert hat (vgl. Johanek ebd., Sp. 901). Zur bairisch-österreichischen Handschrift Kb (Berlin, SBPK, Mgf 1097) aus der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts vgl. den Eintrag im Handschriftencensus . Vgl. einführend zum Schwabenspiegel Kümper 2009, S. 362-382 (auch zur Editions- und Forschungsgeschichte). - In den Kurzformen kommt (wie in den Kerntexten) der Figur des Nikodemus 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 255 Hye hebt sich das lanntrecht puch an. Vorwort a. Herre got himelischer vater durch dein milte guet weschuffe du den menschen in drivaltiger wirdikait. […] 279 Vorwort b. Seyt das vns got in so hoher wirdikait weschaffen hat so wil er auch das wir wirdikleiches leben haben das wir ann einander wird vnd er erpieten vnd treu vnd barhait nicht neid vnd has gen einander tragen. wir sullenn mit frid vnd mit sun vnder einander leben. fridleiches lebens das hat vnser herre vnmesleichen lieb. wann er chom selber von himelreich auf erd durch nichte anderst wann durch den rechten frid das er vns ainen frid schuf uor dem teufel vnd von der ewigen marter ob wir selber wellenn. […] 280 Vorwort c. got der weschuff zum ersten himel vnd erd vnd dar nach den menschen. den saczt er in das paradeis. der prach die gehorsam vns allen zu schaden. dar umb giengen wir irre sam die uerlassen schaff das wir in das himelreich nicht mochten vncz an die zeit das vns got den weg dar beist mit seiner marter. 281 […]. vnd wer […] die gepot vnsers hernn zerpricht das richet got pilleich an im vnd die den er gewalt verlihen hat. das ist der pabst. der sol an gotes stat hie richtenn auf erdrich vncz an den iungsten tag. so wil dann got selb richten ubel vnd guet chlain vnd gross vnd alles das uon hinnen dar nicht gerichtet birt. vnd dar umb wil man ann disem puch lernen alle die gerichtes pflegen sullen ze recht nach gotes willen richten als manig heyliger mann die in der alten ee vnd in der neuen richter waren vnd also habent gericht das si mit irm gericht die ewing freud habent wesessen. 282 vnd wer anderst richtet wann als dicz puech lert der sol wissen das got uil zornleich uber in richtet an dem iungsten tag. […] 1b. seyt got den menschen in so hoher wirdikait weschaffenn hat als uor gesprochenn ist so er auch den menschen alle die sach gelert hat do er zum himelreich mit chomen sol zu der erwirdigen wirdikait do er den menschen zu erwelt hat das erczeuget man in manichen ende mit der heyligen geschrift. vnd do er moysi die zehen gepot gab auf dem perg synai do west er bol das die lewt vil manigerlai krieg mit einander burden haben vnd gab in nicht allain dy zehen gepot. er gap funf gepot vnd sechs hunder argumentativ eine besondere Relevanz zu; deshalb ist hier eine der Kurzformen als Textgrundlage gewählt worden. 279 Der Text erweitert den Beginn eines Traktats von David von Augsburg (abgedruckt in Pfeiffer 1853, S. 8-53; zur Echtheit der David zugeschriebenen deutschen Schriften vgl. Ruh 1980, Sp. 54 f.). Als die drei Formen der wirdikait werden dort wie im Schwabenspiegel die Gottesebenbildlichkeit des Menschen, seine Herrschaft über die Schöpfung und die Aussicht, bei entsprechendem Verhalten die Freude mit Gott ewig genießen zu dürfen, genannt. Zur Verarbeitung dieser Quelle vgl. Eckhardt 1974 (im Apparat zur Stelle); Johanek 1992, Sp. 901; Ertl 2006, S. 355. 280 Zu Anklängen an die unter dem Namen Bertholds von Regensburg überlieferten Predigten über den Frieden (vgl. Pfeiffer / Ruh 1965 [1862], Nr. XVII; Pfeiffer / Strobl / Ruh 1965 [1880], Nr. XLIX) vgl. Eckhardt 1974 (im Apparat zur Stelle); Johanek 1992, Sp. 901; Ertl 2006, S. 355. Vgl. auch Banta 1978, Sp. 820: „Die d e u t s c h e n P r e d i g t e n [sc. Bertholds von Regensburg] sind nicht authentisch […]. Sie wurden wohl ca. 1275 als Lesestücke von demselben Minoritenkreis redigiert wie der ‘Deutschenspiegel’ und der ‘Schwabenspiegel’ […].“ Zur Propagierung des Friedensgedankens im Vorwort des Schwabenspiegels vgl. Heinzle 1994, S. 278-282. 281 Vgl. Sachsenspiegel , Textus prologi . 282 Bereits dem Deutschenspiegel war eine historische Einleitung ( Buch der Könige alter ê ) mit exemplarischen Richter- und Herrscherfiguren vorangestellt, die beim Schwabenspiegel um die Prosakaiserchronik ergänzt wurde. Der Satz im Vorwort zu den vorbildlichen Richtern mag in der ursprünglichen Konzeption also auch die Funktion eines Rückverweises gehabt haben, wenn auch der Einleitungsteil in der Überlieferung oft weggefallen ist. Vgl. dazu Ertl 2006, S. 352-355; Müller 2006. 256 5 Externe Bezugsfelder gepot. 283 das was nicht anderst wann das er da uon nem wie er ein yetlich sach richten solt. vnd uon den selben gepoten habent seint alle kunig vnd all richter nach gericht vncz her in die neuen ee. do namenn aber die pabst vnd die kaiser vnd die kunig ir gericht nach den selben gepoten. vnd also stet auch an disem puch chainer slacht lantrecht noch lehenrecht noch vrteil wann als es mit recht nach der romischenn phächte vnd uon karls recht her chomen ist. vnd ist aus ainem puch genomen das haisset decretal. do vint man alle die recht inn der geistleiches vnd werntliches gericht wedarff. aber dicz puch sagt nur von werntlichem gericht vnd dar umb haist es das lanntrecht puch. alle die recht die hie an geschriben sind das dy uber alle lantrecht vnd gewer sint nach geschriben rechten ane. hernach sagen wir uon sunderleichem rechten nach gu [ ter ] gewonhait des landes [ vnd der ] stat. Der Anfangsteil des Schwabenspiegels , der ganz im Zeichen franziskanischen Rechts- und Geschichtsverständnisses steht, 284 vermittelt ein einsträngiges Bild vom Recht: 285 Alle partikularen und historisch entstandenen Rechtsordnungen sind letztlich aus dem von Gott gesetzten Recht abgeleitet; jegliches gesetzte Recht dient dazu, dem Menschen für ein moralisch einwandfreies Leben Orientierung zu geben, das - seit der Erlösung der Menschheit durch die Passion Jesu 286 - einen Zugang zum Himmelreich ermöglicht. Leitlinie für das Verhalten der Menschen soll das ,friedliche Leben‘ sein, wobei das (ideale) Verhalten der Menschen mit dem Gottes parallelisiert wird. Dass der durch die Passion Jesu erreichte Heilsfriede eine andere Qualität hat als der irdische Friede, wird durch den Ausdruck den rechten frid nur angedeutet; die Differenzierungen zwischen verschiedenen Arten des Friedens sind zugunsten der Propagierung der Gottgewolltheit irdischen Friedens eingeebnet. 287 Entsprechende Vereinfachungen lassen sich auch für den Bereich des Rechts beobachten, und doch sind in dem Versuch der Synthese die Differenzierungen, die überdeckt werden sollen, schon allein dadurch erkennbar, dass die verschiedenen Rechtsordnungen, die eine Einheit bilden sollen, benannt werden. Insofern lassen sich ausgehend vom Anfangsteil des Schwabenspiegels - trotz seines dezidiert franziskanischen Kontextes - Problemfelder der Rechtslegitimation erschließen, die im 13. Jahrhundert breiter diskutiert wurden. Die Vorrede setzt mit Ausführungen zur Bestimmung des Menschen ein: Nachdem - in Anlehnung an David von Augsburg - die Auserwähltheit 288 des Menschen durch seine Schöpfung erläutert worden ist (Vorwort a), werden die Verpflichtungen genannt, die daraus erwachsen (Vorwort b), nämlich ein dem von Gott verliehenen Status entsprechendes ethisches Handeln, das - so legt es der weitere Verlauf des Textes nahe - wieder zu Gott zurückführt. Ein wirdikleiches leben ist nach dem Schwabenspiegel von Gott gefordert, nicht primär Ziel eines inneren Strebens. Trotzdem weist das Modell Parallelen zum Konzept der Selbstvollendung durch Handeln auf, wie es in der Summa Theologiae des Thomas von Aquin formuliert ist, nach der das Gesetz zur Unterweisung auf dem Weg zur Vollendung 283 Gemeint sind „die weiteren Gesetze, die Moses von Gott erhält, nachdem er den Dekalog zum zweiten Mal aufgezeichnet hat, vgl. Deut. 12-27“ (Heiser 2006, S. 170, Anm. 28). 284 Vgl. Ertl 2006, S. 355-359. Zur Rolle der Augsburger Franziskaner bei der Entstehung des Schwabenspiegels vgl. Johanek 1992. Zu den kanonistischen Quellen des Schwabenspiegels vgl. Magin 1999, S. 66 f. 285 Vgl. dazu auch Heiser 2006, S. 170. 286 wann das bas nicht uor gotes gepurt. wie wol der mensch in aller der welt lebt so mocht er doch gein himel nicht chomen (Vorwort b). 287 Vgl. dazu Hagenlocher 1992, S. 180-184. 288 Zu wirdecheit im Sinne von ,Auszeichnung‘ vgl. BMZ; L exer , s. v. 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 257 dient. 289 Zwar sollen hier nicht Berührungspunkte zwischen dem Schwabenspiegel und den Schriften des Thomas von Aquin behauptet werden, aber ein Blick auf die thomasische Gesetzeshierarchie 290 kann helfen zu verdeutlichen, auf welcher Ebene die Argumentation im Schwabenspiegel ansetzt: Sie beginnt mit dem Schöpfungsplan, hinter dem - thomasisch gesprochen - die lex aeterna anzunehmen ist, und bewegt sich dann zu den Konsequenzen für das Handeln der Menschen. Die Notwendigkeit zum sittlichen Handeln wird nicht mit gesetztem Recht, sondern aus der Schöpfung heraus begründet und wäre im thomasischen System der lex naturalis zuzuordnen. 291 Wenn aber die Prinzipien für sittliches Handeln dem positiven Recht vorausliegen, in welchem Verhältnis stehen dazu dann „das positive göttliche Gesetz, nämlich das des Alten und das des Neuen Bundes“ ( lex divina ) und „die positiven menschlichen Gesetze“ ( lex humana )? 292 Der Schwabenspiegel findet dafür eine einfache Lösung: Die göttliche Gesetzesoffenbarung wird als Anleitung dazu verstanden, wie sittliches Verhalten verwirklicht werden kann ( seyt got den menschen in so hoher wirdikait weschaffenn hat als uor gesprochenn ist so er auch den menschen alle die sach gelert hat do er zum himelreich mit chomen sol zu der erwirdigen wirdikait , 1b). 293 Und die Prinzipien für menschliches Richten seien aus den Geboten abgeleitet ( vnd uon den selben gepoten habent seint alle kunig vnd all richter nach gericht vncz her in die neuen ee. do namenn aber die pabst vnd die kaiser vnd die kunig ir gericht nach den selben gepoten , 1b). 294 Der Identität der Rechtsordnungen entspricht eine Komplementarität bei der Richtertätigkeit: Menschliche Richter (zuallererst der Papst) agieren als Stellvertreter Gottes auf Erden; worüber sie noch nicht gerichtet haben, darüber wird Gott beim Jüngsten Gericht Richter sein. Orientierungspunkt für göttliches wie menschliches Richten ist die Einhaltung oder der Bruch des göttlich gesetzten Rechts, aber auch die Qualität ethischen Handelns ( ubel vnd guet ). Das Konfliktpotenzial, das mit dieser einsträngigen Logik überdeckt wird, kann hier nur angedeutet werden: Zunächst einmal wird die Gültigkeit sämtlicher mosaischer Gesetze über alle Zeiten hinweg auch für Christen postuliert. Es wird also kein Unterschied zwischen der Sitten- und der Zeremonialgesetzgebung auf der einen sowie den zivil- und strafrechtlichen Regelungen des Deuteronomium auf der anderen Seite gemacht. 295 Tat- 289 Vgl. Honnefelder 1990, S. 9 (mit Einzelnachweisen); Lippert 2000, S. 142. Zur Bedeutung des sittlichen Handelns bei Thomas vgl. (mit anderer Akzentuierung) auch Bidese 2005. 290 Vgl. dazu z. B. Lisska 1996, S. 82-115 mit Appendix III (S. 296); Lippert 2000, S. 16-140; zu den augustinischen Wurzeln vgl. Nemeth 2001, S. 9; Kaufmann 2012, Sp. 500 f. 291 Vgl. dazu, dass die lex naturalis nach Thomas auch die Ordnung der Naturdinge umfasst und nicht mit dem Naturrecht gleichzusetzen ist, Städtler 2011, S. 196. 292 Die Zitate entstammen Honnefelder 1990, S. 10. 293 Eine geschichtliche Dimension, dass eine Kodifizierung des Rechts nötig war, weil „das ursprünglich natürliche Wissen um das Gute durch den Sündenfall ausgelöscht bzw. verdunkelt wurde“, ist im Schwabenspiegel - anders als in der Frühscholastik - nicht präsent (vgl. Mandrella 2007, S. 172). Die Gebote erscheinen als Explikation der sittlichen Prinzipien, wogegen sich das Verhältnis von Dekalog und lex naturalis in Theologie und Philosophie wesentlich komplexer darstellt (vgl. z. B. Speer 2014 [zu Thomas von Aquin]; Honnefelder 1990, S. 18-20 [zu Johannes Duns Scotus]). 294 Das Festhalten an den mosaischen Gesetzen im Schwabenspiegel zeigt Parallelen zum Gesetzestraktat der ebenfalls franziskanischen Summa Halensis (vgl. dazu Basse 2014). 295 Zur Differenzierung zwischen Zeremonial- und Sittengesetz, die erstmals in der lateinischen patristischen Literatur begegnet, vgl. Wolter 1999. Zu der seit Alexander von Hales und Thomas von Aquin etablierten Dreiteilung des alttestamentarischen Gesetzes (hinzu kommt die Kategorie der praecepta iudicalia ) vgl. Walter (2001), der auch einen Überblick über die Diskussion über die Geltung der alttestamentarischen Zeremonialgesetze im Christentum gibt. 258 5 Externe Bezugsfelder sächlich sind im Landrechtsartikel 201 auch die zivil- und strafrechtlichen Bestimmungen aufgeführt (nicht jedoch die Zeremonialgesetze). 296 Wie explizit gesagt wird, soll die Aufnahme der alttestamentarischen Gebote dazu dienen, die göttliche Legitimation des Schwabenspiegels deutlich zu machen. 297 Ausgespart werden auf diese Weise eventuelle Spannungen zwischen lex vetus und lex nova . 298 Der Übergang von der alten zur neuen ee erscheint in der Darstellung des Schwabenspiegels als ein rein chronologischer. Auch mögliche Brüche zwischen göttlich gesetztem Recht und menschlicher Rechtspraxis sind nicht thematisiert, wenn gesagt wird, dass Päpste, Kaiser und Könige ,nach denselben Geboten‘ gerichtet hätten. Während bei der zitierten Kurzform des Schwabenspiegels nur indirekt zu erschließen ist, dass auch das menschlich gesetzte Recht von den göttlichen Geboten abgeleitet ist, 299 ist die Verbindung in der um 1287 entstandenen ,Normalform‘ 300 deutlicher, weil den vorher als Richter genannten Päpsten und Kaisern im Folgenden ausdrücklich Rechtssetzungen zugeschrieben werden. 301 Die Parallelisierung von Päpsten und Kaisern entspricht dem harmonischen Zusammenwirken von geistlicher und weltlicher Gerichtsgewalt unter dem Primat der geistlichen Gerichtsbarkeit, wie es bereits im Vorwort (Abschnitte d und e) beschrieben worden war. 302 Das Problem, dass es auch unrechte menschliche Setzungen geben mag, 303 wird jedoch - bei der programmatischen Einleitung eines Rechtsbuches kaum verwunderlich - nicht in den Blick genommen. Allerdings ist in den bereits in Artikel 1b angekündigten Ausführungen Von guter gewonhait (Ldr. 44) festgelegt, wann eine Gewohnheit ,gut‘ ist und damit Rechtsgültigkeit erlangen kann. 304 Wenn gesagt wird, dass eine ,gute‘ Gewohnheit geistlichem Recht nicht widersprechen darf, aber auch wider menschleichen züchten nicht ist noch wider den sälden 296 Vgl. einen Kurzkommentar zu der Zusammenstellung (und der Aufnahme des mosaischen Erbrechts in Ldr. 148c) bei Blazovich 2011, S. 386-389. 297 hie habent deu wort ain ende die got selber sprach wider moisen. dy hat man dar umb in dicz puch geschriben das man da pey merkch das dicz puch uon der barhait gocz genomen ist (Ldr. 201v). Vgl. dazu Heiser 2006, S. 168-170. Der positive Rückbezug auf die mosaische Gesetzgebung im Schwabenspiegel ist unter den deutschen Rechtsbüchern nicht singulär. In anderer Weise wird Moses in der Reimvorrede der Landrechtsglosse des Johannes von Buch funktionalisiert, in der sich der Verfasser mit Moses parallelisiert (Manuwald 2013, S. 365). 298 Zur scholastischen Diskussion zum Verhältnis von lex vetus und lex nova vgl. Marschler 2014. 299 Die Verbindung zu dem Richten nach Gottes Geboten wird durch den Anschluss vnd also geschaffen: vnd also stet auch an disem puch chainer slacht lantrecht noch lehenrecht noch vrteil wann als es mit recht nach der romischenn phächte vnd uon karls recht her chomen ist. (Ldr. 1b). 300 Zur Datierung vgl. Johanek 1992, Sp. 899. 301 vnd also stet ouch an diesem buche keinr slachte lantrecht noch lehenrecht vnd keiner slachte urteil wan als es mit rechte von romischer phahte vnd von karles rechte her komen ist vnd als ez die bebeste vnd keyser zu concilie vnd zen houen habent gesetzet vnd gebotten vz dem decret vnd vz dem decretale. (Ldr. 1b; zitiert nach Eckhardt / Eckhardt 1972 [Uh] = Kl. IIIb). Zum Schwabenspiegel als Kaiserrecht vgl. Trusen 1985; Ertl 2006, S. 357 f. Schon im Deutschenspiegel wird die Rechtssammlung als Kaiserrecht angesehen (vgl. Munzel-Everling 2008b). 302 Trotz der kurialen Version der Zweischwerterlehre zielt der Schwabenspiegel auf eine concordantia der beiden Gewalten ab (vgl. Trusen 1985, S. 47-55; Ertl 2006, S. 357-359). 303 Vgl. Lippert 2000, S. 148-159; Städtler 2011, S. 205-208 (jeweils zu Thomas von Aquin). 304 Zu den Institutionen und dem Brachylogus als Quellen für die Argumentation vgl. Eckhardt 1974 im Apparat zur Stelle (grundsätzlich zu den Quellen des Schwabenspiegels vgl. Kümper 2009, S. 366). Anders als Ertl (2006, S. 356) meint, wird in dem Artikel nicht das im Schwabenspiegel gesammelte Recht charakterisiert. Vielmehr werden an etlichen Stellen gewonheit und gesetztes Recht voneinander abgesetzt, z. B. in Ldr. 139: Ein yeglich furst hat puess nach seins lanns gewonhait. also habent auch ander hernn. vnd auch die richter habent puess nach irr gewonhait. (a) doch sagen wir die alten puss die dy kunig den hernn geseczt habent […] (b). 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 259 nicht ist leibes vnd sele , 305 dann werden - neben dem geistlichen Recht - moralische Prinzipien genannt, d. h., für die Beurteilung einer Rechtsgewohnheit ist (auch) die lex naturalis maßgeblich. 306 Ähnlich wie im Sachsenspiegel (Ldr. III 42) wird im Schwabenspiegel (Ldr. 308) die Unfreiheit auf eine ,Gewohnheit‘ zurückgeführt, die jetzt als Recht angesehen werde. 307 Eine Rechtspraxis, die dem ,Recht‘ widerspricht, wird auch für den Umgang der Fürsten mit ,den Juden‘ konstatiert. 308 Im Abschnitt Wie es vmb der iuden recht stet als in die kunig haben verlihen (Ldr. 260) wird die rechtliche Stellung der Juden zunächst historisch hergeleitet: Was sie an Rechten hätten, habe (Flavius) Josephus für sie gesichert. Nach der Eroberung Jerusalems, bei der ein Drittel der jüdischen Bevölkerung an Hunger gestorben und ein weiteres erschlagen worden sei, sei das überlebende Drittel gefangen genommen und verkauft worden (je dreißig Personen für einen Pfennig). Titus habe sie zu Kammerknechten gemacht, aus der noch eine Schutzverpflichtung des Herrschers resultiere. 309 Weil sein Sohn Titus von Josephus geheilt worden sei, habe Vespasian ,den Juden‘ auf Bitten des Josephus hin jedoch dann eine bessere rechtliche Stellung zuerkannt (Ldr. 261). 310 Inzwischen ließen die Könige gegen das Recht aber zu, dass ,die Juden‘ unrecht erworbenes Gut beliehen ( nu habent in die kunig geben wider recht das sy leihen auf deubig vnd raubig gut. ). Die Stelle verdeutlicht das systematische Problem, dass menschliche Setzungen von den in Gott begründeten Regelungen abweichen können; zugleich lässt sie erkennen, dass positives Recht auch aus der politischen Geschichte erwachsen kann (ohne den eingangs postulierten Bezug auf die mosaischen Gesetze). 311 Angesichts der historischen Verankerung des Rechts im Schwabenspiegel gewinnt die Heilsgeschichte eine doppelte Funktion: Schöpfung, Sündenfall, Erlösung und Jüngstes Gericht bilden nicht nur den Rahmen, in dem irdische Rechtsordnungen zu sehen sind, sondern 305 Zitiert nach Km (Klasse Ia), abgedruckt in Eckhardt 1974. Im Text von Kb sind weniger Bedingungen für eine ,gute Gewohnheit‘ formuliert: Uon guter gewonhait sullen wir sprechen. wann wo gut gewonhait ist dew recht ist dew ist auch gut. das ist rechte gewonhait vnd is guete gewonhait dy wider geistlich recht nicht ist noch wider den salden nicht ist leybes. vnd dise gewonhait haissent stat gebonhait haissent stet gewonhait vnd haissent des lanndes gut gebonhait. gut gewonhait ist als gut als geschriben recht. […]. 306 Vgl. Kroeschell (1986, S. 472) zur kanonistischen Argumentation, dass Rechtsgewohnheiten an der göttlichen Wahrheit gemessen werden müssten. Vgl. dazu auch Weitzel 2000b, S. 142. 307 Zur Sachsenspiegel -Stelle vgl. Kroeschell 1986, S. 472; Repgen 2010; Seybold 2015; Manuwald 2016, S. 123-125, jeweils mit weiterer Literatur. Zur Umarbeitung der Argumentation im Schwabenspiegel vgl. Kümper 2009, S. 493-497; Seybold ebd., S. 490-493. 308 Zur judenfeindlichen Ausrichtung des Schwabenspiegels vgl. Kisch 1978, S. 85; Magin 1999, S. 407. 309 Zur historischen Entwicklung der Kammerknechtschaft vgl. z. B. Schreckenberg 1984, S. 1179-1191; Magin 1999, S. 26-40. Dazu, dass die Kammerknechtschaft trotz der Argumentation gegen die Unfreiheit fraglos akzeptiert wird, vgl. Kisch (1978, S. 85), der allerdings bei seiner Analyse der Passagen zur Unfreiheit nicht genügend berücksichtigt, dass sie jeweils auf Gewalt und Zwang zurückgeführt wird. 310 Zur Stofftradition dieser auch im Sachsenspiegel (Ldr. III 7,3) verarbeiteten Heilungslegende und zu den Unterschieden ihrer Funktionalisierung im Sachsenspiegel und im Schwabenspiegel vgl. Schreckenberg 1972, S. 159 f.; 1984, S. 1185-1187; Kisch 1978, S. 72-90; Magin 1999, S. 117-122. Die Aufzählung der subjektiven Rechte ,der Juden‘ wird im Schwabenspiegel abgeschlossen mit: dicz ist recht . 311 Vgl. dagegen Heisers Einschätzung (2006, S. 170), die zwar in der Mehrzahl der Fälle zutreffend ist, aber in ihrer Generalität modifiziert werden müsste: „Folgerichtig treten historische Exempel im Kontext des ›Schwabenspiegels‹ nicht als Recht konstituierende Ereignisse hervor, die neue rechtliche Bestimmungen begründen würden, in ihnen manifestiert sich lediglich immer wieder erneut göttliches Recht, welches in der Zeit unbegrenzt Bestand hat.“ 260 5 Externe Bezugsfelder dem historischen Vollzug der Erlösung kann auch rechtliche Relevanz für die Gegenwart zugeschrieben werden. Anders als in der Pilatus-Veronika-Legende ist im Schwabenspiegel die Eroberung Jerusalems nicht als auf die Passion folgende Rachehandlung dargestellt. 312 Ein Konnex zwischen der rechtlichen Stellung der Juden und dem Passionsgeschehen wird erst in dem (in den Kurzformen des Schwabenspiegels noch nicht enthaltenen) demütigenden Judeneid angedeutet, nach dem ,die Juden‘ bei dem Blutruf schwören sollen, dass ihre Aussage wahr sei. 313 An anderer Stelle wird jedoch in den Kurzformen eine verfahrensrechtliche Regelung aus dem Passionsgeschehen abgeleitet, nämlich dass man niemanden mit der Acht belegen solle, ohne ihn vorher vorgeladen zu haben (Ldr. 101): 314 Man sol niemant verächten man gepiet im e füre Das man niemant verächten sol noch vrtail v̈ber in sprechen im werde e für gepoten das sol man bewarn mit dem puech scolastica hystoria. 315 da vindet manz da man liset von vnsers herren marter. 312 Zum Fehlen des Vergeltungsgedankens im Schwabenspiegel vgl. Kisch 1978, S. 86. Vgl. dagegen die Verknüpfung der Sühnehandlungen nach der Passion und des Motivs der Heilung des Titus in der Vindicta Salvatoris und in cap. 57 ( De sancto Jacobo apostolo = M., cap. 63) der Legenda aurea (vgl. Kisch 1978, S. 74; Schreckenberg 1984, S. 1173-1175). 313 ez ist war des du gesworn hast vnd das blut vnd der fluch iemmer an dir wachsen muzze vnd nicht abe nemen des din geslechte in selben wunschten do si ihesum cristum verteilten vnd martelten vnd sprochen also. sin blut kome uff vns vnd uff unser kint. (Ldr. 263, zitiert nach Eckhardt / Eckhardt 1972 [Uh]). Vgl. dazu Schmidt 2002, S. 100. 314 Zur Funktion derartiger legitimierender Passagen im Schwabenspiegel vgl. Heiser 2006, S. 162-184 (mit einer Übersicht über die „Kommentare“ auf S. 180-184). Kümper (2009, S. 375 f.) fordert zu Recht eine weitere Differenzierung der aufgrund der Analyse der Freidank-Passagen gewonnenen Ergebnisse. 315 Vgl. die Historia Scholastica des Petrus Comestor, Historia evangelica , cap. 97: Quod missi ut tenerent Jesum admirabantur verba ejus. ‹Miserunt ergo principes et Pharisæi ministros, ut comprehenderent eum. Et ait Jesus: Quæritis me, et non invenietis, et ubi ego sum, vos non potestis venire ( Joan. I) .› Quasi dicat: Tales non accedetis ad me, sed post resurrectionem multi volent invenire me, si fieri posset corporaliter, et non invenient, fide tamen invenient. ‹Et dicebant quidam: Hic est vere propheta. Alii: Hic est Christus. Cumque rediissent ministri ad pontifices et Pharisæos, et dixissent ministris: Cur non adduxistis eum? responderunt: Nunquam sic locutus est homo, ut iste loquitur. Et increpabant eos Pharisæi dicentes: Nunquid, et vos seducti estis? Quis principum et Pharisæorum credit in eum? Et ait Nicodemus: Lex nostra non judicat quemquam, nisi prius audierit ab ipso.› Credebat, quod si patienter illum audirent sicut ipse fecerat, similes ministris fierent. ‹Et dixerunt ei: Nunquid et tu Galilæus es? › id est a Galilæo seductus. ‹Scrutare Scripturas: a Galilæa non surgit propheta.› (zitiert nach PL 198, col. 1586C-D; „ Dazu, dass diejenigen, die geschickt wurden, um Jesus zu fassen, seine Worte bewunderten. ‹Es sandten also die Hohepriester und die Pharisäer Diener aus, damit sie ihn ergriffen. Und Jesus sagte: ,Ihr sucht mich, und ihr werdet [mich] nicht finden; und wo ich bin, dahin könnt ihr nicht kommen‘ ( Johannes I) [=7,34].› Als ob er sagte: ,Ihr werdet so [wie ihr jetzt seid] nicht zu mir kommen, sondern nach meiner Auferstehung werden mich viele, wenn es möglich wäre, leibhaftig, finden wollen und werden mich nicht finden, dennoch werden sie mich im Glauben finden.‘ ‹Und einige sagten: ,Dieser ist in Wahrheit ein Prophet.‘ Andere: ,Dieser ist Christus.‘ Und als die Diener zu den Hohepriestern und den Pharisäern zurückgekehrt waren und sie zu den Dienern gesagt hatten: ,Warum habt ihr ihn nicht hergebracht? ‘, antworteten sie: ,Noch nie hat ein Mensch so gesprochen, wie jener spricht.‘ Und die Pharisäer schalten sie mit den Worten: ,Habt etwa auch ihr euch verführen lassen? Wer von den Hohepriestern und Pharisäern glaubt an ihn? ‘ Und Nikodemus sagte: ,Unser Gesetz richtet niemanden, bevor es nicht von ihm selbst gehört hat [sc. was er tut bzw. was er getan hat].‘ [Io 7,40-51].› Er glaubte, dass es ihnen, wenn sie ihm geduldig zuhörten, wie er es selbst getan hatte, ergehen würde wie den Dienern. ‹Und sie sagten zu ihm: ,Bist etwa auch du ein Galiläer? ‘ [Io 7,52]›, d. h., von dem Galiläer verführt. ‹Durchforsche die Schriften: Aus Galiläa kommt der Prophet nicht. [Io 7,52]›“). 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 261 Die iuden sazzen ze rat wie si vnsern herren ihesum christum geuiengen vnd santen ir amptläwt zw im das si in viengen. Erzählt wird dann nach Io 7,32-36, dass Jesus mit den ,Amtleuten‘ über die Zeit nach seiner Auferstehung spricht. Wegen seiner weisen Rede nehmen sie ihn nicht fest, sondern kehren unverrichteter Dinge zurück zw der iuden fürsten vnd zw den richtern , denen sie verkünden, dass Jesus ein Prophet sei. Die Amtleute rechtfertigen sich gegenüber ,den Juden‘ folgendermaßen: ez geret nie mensch so weise rede so er redt. wir funden kain schuld da. si straften die poten vnd sprachen. ir seyt auch verlayter. welher fürst vnd welher herr solt an in gelauben. wir süllen in verächten. so ist er dann allen läwten erlaubet an ze greifen. do saz ain pyder erber man vnder in. der was ihesus frewnt haimleich. der versprach in wa er mit füge möchte. der hiez nicodemus. der stünt auf vnd sprach also. wir haben in der e das man niemant verdammen sol noch vrtail v̈ber in sprechen man sull in e horen. das ist also vil gesprochen. man sol v̈ber niemant vrtail sprechen man süll im e für gepieten. das sprach er got ze lieb vnd in dem synne ob si in selb gehört heten und sein weise rede das er vor in beliben wär als vor den poten. si sprachen zw nycodemo. wir horen an deiner red wol das du pist ein galileus vnd pist verlayt von ainem seinem iunger vnd du pist seiner iunger ainr. man spricht er sein ain prophet. nu merkche die geschrift dew spricht also. von galylea stat dehain prophet mere. da uon sol man niemant vertailen man lad in e für. Wie in der Historia Scholastica ist die Figur des für die Gültigkeit des (jüdischen) Gesetzes eintretenden Nikodemus (Io 7,50-52) aus der Szene des Streites im Hohen Rat in die Szene der versuchten Gefangennahme integriert worden, die so - anders als im Johannesevangelium - zu einem narrativen Abschluss gebracht wird. Indem im Schwabenspiegel die Anhörung eines Angeklagten über die Formel das ist also vil gesprochen mit der Vorladung gleichgesetzt wird, wird das Argumentationsziel erreicht, nämlich mithilfe der Historia Scholastica die Notwendigkeit der Vorladung zu beweisen. Ausschlaggebend für die Gültigkeit der Regelung in der Gegenwart des Schwabenspiegels scheint dabei weniger das ,Gesetz‘ zu sein, sondern die Tatsache, dass Nikodemus in der konkreten historischen Situation damit argumentiert hat. Seine schon im Johannesevangelium angelegte Rolle als Bewahrer des Rechts gegenüber den anderen Juden, die somit als Rechtsbeuger erscheinen, ermöglicht es, dass selbst dem Passionsgeschehen, das auf die Hinrichtung eines Unschuldigen zusteuert, Züge eines positiven Rechtsexempels abgewonnen werden können. Dass das Erlösungsgeschehen insgesamt Ausdruck göttlichen Rechtshandelns ist, findet man im Vorwort (b) des Schwabenspiegels impliziert, wenn gesagt wird, dass Gott auf die Erde gekommen sei, um ,uns‘ Frieden vor dem Teufel zu schaffen. An dieser Stelle ist die Schutzfunktion des Friedens dominant, 316 der damit auch eine rechtliche Dimension gewinnt. Dass ein Schutz der Menschheit vor dem Teufel nur durch die Menschwerdung und damit auch die Passion Jesu erreicht werden kann, setzt voraus, dass der Teufel Ansprüche auf den Menschen hat, die Gott in sein Handeln mit einbezieht. Ob diese Ansprüche auf einem genuinen ius diaboli beruhen oder der Teufel in seinem Handeln als von Gott abhängig angenommen wird, 317 bleibt im Schwabenspiegel offen, aber es wird suggeriert, dass Gottes Rechtshandeln regelhaft ist, da er sich nicht einfach über die Ansprüche des 316 Vgl. dazu Hagenlocher 1992, S. 181. 317 Zu den Diskussionen darüber vgl. Marx 1995, S. 7-27; McGrath 2005, S. 57; 81-83. 262 5 Externe Bezugsfelder Teufels hinwegsetzt. 318 Die damit indirekt ausgedrückte Analogie zwischen göttlichem und menschlichem Rechtshandeln passt zur didaktischen Ausrichtung des Schwabenspiegels , nach dem auch das göttliche Gericht Vorbild für den Menschen sein soll. Dementsprechend sind sprachkritische Reflexionen über die Vergleichbarkeit göttlicher und menschlicher Gerechtigkeit 319 ebenso wenig zu erwarten wie ein Eingehen auf ,Konfliktfälle‘ wie das Isaak- Opfer, bei denen Gottes Offenbarungshandeln den ethischen Prinzipien, auf denen auch das göttlich gesetzte Recht beruht, zu widersprechen scheint. 320 Doch kann vor dem Entwurf des Schwabenspiegels , dass sämtliche menschliche Rechtsordnungen von Gott abgeleitet seien, gerade das Passionsgeschehen einen besonders prekären Charakter gewinnen. Zwar thematisiert auch der Schwabenspiegel die Möglichkeit einer unzureichenden Umsetzung des göttlichen Rechts (mit entsprechenden Sanktionen beim Jüngsten Gericht) - und das Fehlverhalten des Pilatus ließe sich in ein solches Modell einpassen 321 -, trotzdem birgt ein von Gott gewolltes Unrechtsurteil ein besonderes Provokationspotenzial, wenn die Rechtsordnung ebenfalls von Gott kommt. 322 Wie Klaus Schreiner (2001) im Einzelnen gezeigt hat, wurde die von der Theologie beeinflusste „normative Diskursebene“ für das Recht, die im Schwabenspiegel besonders ausgearbeitet ist, in der Rechtspraxis oft von weltlichen Interessen überlagert. 323 Doch ist mit Schreiner generell festzuhalten: „Das mittelalterliche Recht war kein Heide.“ 324 Entsprechendes lässt sich auch über die Rechtskonzepte in den Kerntexten sagen, in denen thematisch Theologie und Recht miteinander verquickt sind. Da die beim Prozess gegen Jesus geschilderte Rechtsordnung eben nicht dominant als ein fremdes römisch-heidnisches 318 Die Stelle zum Frieden vor dem Teufel folgt Predigt Nr. XVII Bruder Bertholds von Regensburg (vgl. Pfeiffer / Ruh 1965 [1862], S. 238, Z. 4-32). In dem im Vorwort des Schwabenspiegels zitierten Traktat Bruder Davids von Augsburg (s. o. S. 255, Anm. 279) wird hingegen die Notwendigkeit für eine Buße nicht vom Teufel aus, sondern - in dieser Hinsicht vergleichbar mit der Argumentation Anselms von Canterbury (vgl. Plasger 1993; McGrath 2005, S. 75-81) - mit dem Wesen Gottes begründet: Es hätte seiner rehtekeit nicht angestanden, wenn die Sünde nicht ,gebessert‘ worden wäre (vgl. Pfeiffer 1853, S. 15). 319 Zu entsprechenden theologischen Diskussionen vgl. McGrath 2005, S. 89-92. 320 Mandrella (2007) beschreibt das Isaak-Opfer als „naturgesetzlichen Konfliktfall“ (S. 170) und formuliert das Problem folgendermaßen: „Ist die Tötung eines Unschuldigen per se, d. h. von Natur aus […] immer schlecht, dann muß auch Gott daran gebunden sein. Ist hingegen jegliche Sittlichkeit in dem Maße von Gott abhängig, daß Gott sogar Handlungen zu gebieten vermag, die unserem Verständnis von Sittlichkeit widersprechen, dann kann er auch die Tötung des unschuldigen Isaak gebieten“ (ebd., S. 174). Zu Lösungsmustern vgl. den Überblick von Mandrella ebd.; vgl. auch Städtler 2011, S. 213 (zu Thomas von Aquin). 321 Zur Auslegungstradition von Pilatus als Inbegriff schlechten Richtens vgl. Scheidgen 2002, S. 242-255. 322 McGrath (2005, S. 92) formuliert bezogen auf Gerechtigkeitskonzeptionen ein entsprechendes Problem: „The theologians of the medieval period were convinced that God’s righteousness was expressed in the redemption of humanity in Christ. The difficulties associated with this understanding of the ‘righteousness of God’, particularly in connection with the correlation of iustitia Dei and iustitia hominis , were never, however, entirely resolved.“ 323 Vgl. Schreiner 2001b, Zitat auf S. 336. Auch für die normative Diskursebene ist die Theologie nur ein Faktor neben anderen (zur Konkurrenz zwischen Theologie und Rechtswissenschaft vgl. Schreiner ebd., S. 336-340). 324 Schreiner 2001b, S. 335. Das gilt auch für deutschrechtliche Texte des 13. Jahrhunderts. Nicht umsonst hat Schreiner für seinen Aufsatz den programmatischen Satz „Got is selve recht“ aus dem Prologus des Sachsenspiegels als Titel gewählt. 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 263 System geschildert wird, sondern durch die Bezüge auf ,deutschrechtliche‘ Verfahrensweisen in die eigene Zeit gerückt ist, wird ein christlicher Kontext aufgerufen, d. h., es stellt sich die Frage nach ihrer Ableitung, nach der Göttlichkeit des Rechts. Wie bei der Analyse des Wortfelds reht und ê in den Kerntexten deutlich geworden ist, sind in ihnen religiöse und rechtliche Ordnungen terminologisch nicht scharf getrennt. Als Quelle jeglicher Ordnung erscheint Gott in den Schöpfungseingängen von Christi Hort (vv. 1-170) und dem Evangelium Nicodemi (vv. 1-300), mit denen sich die Texte nach der thomasischen Gesetzeshierarchie im Bereich der lex aeterna bewegen. In Christi Hort schwenkt das Erzählinteresse aber schnell um auf das von Gott erlassene normative Gebot, dass Adam und Eva nicht vom Baum der Erkenntnis essen sollten (vv. 71-86). Wenn es heißt, dass die Minne Gott zur Erlösung des Menschen bewegt habe (vv. 158-170) bzw. die Inkarnation von der minne gebot (v. 326) erfolgt sei, wird deutlich, dass nach der Konzeption von Christi Hort auch Gottes Handeln bestimmten Prinzipien folgt, die positiven Normen vorausliegen. Das gilt ebenfalls für das von den Jüngern für das Jüngste Gericht angekündigte Richten nah rechte (v. 2993). Dass minne und reht als Gott wesenseigen gedacht sind, kann man vermuten, aber der Text bestimmt das Verhältnis Gottes zu den ethischen Prinzipien, die sich hinter den Begriffen verbergen, nicht näher. 325 Dagegen wird im Evangelium Nicodemi das Handeln Gottes nach den für den Menschen erkennbaren ethischen Prinzipien hinterfragt, auch seine Entscheidung, trotz der schwachen Natur des Menschen den verbotenen Baum in das Paradies zu setzen (vv. 10-13). Aus den Erklärungen der autoritativen Stimme, die zunächst auf die Fragen des ,Schülers‘ antwortet und dann zu längeren Erklärungen ansetzt, geht hervor, in welchem Verhältnis Gott zu der von ihm geschaffenen Ordnung steht. Gegen den referierten Einwand der ungehuren (v. 197), dass die Jungfrauengeburt wider die Natur 326 sei und Gott damit die menschen reht 327 übergangen habe, 328 wird folgendes Argument vorgebracht: Nu er gab der 329 nature an aller creature ir gewalt und ir craft, got, der sie hat geschaft ze schephen uber alle dinc, ein brunne und ein ursprinc ist all der werlde sachen; 325 Auch wird nicht problematisiert, wie es angesichts des minne -Prinzips überhaupt zum Fall des Menschen kommen konnte. Vgl. dagegen das Väterbuch : Ine kan gesprechen noch entar, / Warumbe die minne des verhinc, / Daz si den val niht under vinc, / Sit er doch vor kunt was Gote. / Hie belibet unzerloset der knote, / Er ist zu ho gebunden. (vv. 50-55, zitiert nach Reissenberger 1914; zur Stelle vgl. Herberichs 2014, S. 98). 326 Die Natur ist an dieser Stelle personifiziert (vgl. dazu Wiedmer 1977, S. 35 f.). 327 Relevant ist hier vermutlich die Bedeutung: „dasjenige, was einer person […] vermöge eines inneren […] gesetzes […] zukommt“ (vgl. BMZ, s. v.). - Mit der Betrachtung der Jungfrauengeburt als Rechtsverstoß steht das Evangelium Nicodemi nicht alleine: Im Prophetenspiel des Benediktbeurer Weihnachtsspiels ist dem Synagogenvorsteher der Vorwurf in den Mund gelegt, dass die Jungfrauengeburt gegen das Recht der Natur verstoße (vgl. CB, 227, vv. 73-77; vgl. auch die Entgegnung der Augustinus-Figur, vv. 90-97; zitiert nach Vollmann 1987). 328 Der Interpretation der Verse ist der handschriftennahe Abdruck Pipers (1888) zugrunde gelegt: […] / daz got menſchait an ſich / In der maget lîbe enphiench, / div menſchen reht vbergiench (vv. 200-202). Helm (1902) liest in v. 202 die statt div . Dann wäre es Maria, die das Recht überträte. 329 Helm (1902) gibt im Apparat die Lesart ergap die an, Piper (1888) liest ergap div . 264 5 Externe Bezugsfelder der mohte ouch diz wol machen: allez daz er tun wolde und niht wan daz er solde tun doch mit urteilen. ( Evangelium Nicodemi , vv. 205-215) Nach diesen Ausführungen steht Gott über der Natur; er kann sich über die den Menschen auch physisch innewohnende lex naturalis 330 hinwegsetzen. Göttliches Wollen und Sollen werden in der Argumentation als identisch dargestellt. 331 Damit ist der Boden bereitet für die in den sittlichen Bereich übergehende Erklärung dazu, warum Gott eine rechtliche Verpflichtung habe, die so schwache Menschheit zu erlösen (vv. 216-221), bei der ebenfalls Wille und ,Notwendigkeit‘ 332 zusammenfallen. Während Gottes Rechtshandeln einerseits die für Menschen geltenden ethischen Prinzipien außer Kraft setzt, indem er (aus mildicheit ) einen Unschuldigen statt des Schuldigen bestraft werden lässt (vv. 1737-1748), ist er in der damit geleisteten Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung zugleich Vorbild für menschliches Rechtshandeln, das - nach der Konzeption des Evangelium Nicodemi - auch gegen ,die Juden‘ als Gottes Feinde gerichtet sein soll (vv. 4944-4949). 333 Der partiellen Parallelisierung von göttlichem und menschlichem Rechtshandeln im Evangelium Nicodemi entspricht es, dass - über die Zweischwerterlehre (vv. 532-556) - die Gerichtsgewalt auf Erden von Gott hergeleitet wird. Dass auch die irdische Rechtsordnung letztlich auf Gott zurückzuführen wäre, wird nicht explizit gesagt. Das von Gott gesetzte Recht wird nur innerhalb der Rede des Pilatus thematisiert, in der er den Ungehorsam ,der Juden‘ gegenüber Moses tadelt (vv. 1317-1377). Mit der prominenten Rolle Mose in dieser Rede und der Thematisierung der Gesetzesoffenbarung Gottes 334 weicht das Evangelium Nicodemi von der entsprechenden Passage im Nikodemusevangelium (cap. IX 2 [7,2 (G / I)]) ab. 335 Da Pilatus als Heide zu ,den Juden‘ spricht, kann es an dieser Stelle allenfalls für die Rezipienten um die Legitimation einer christlichen Rechtsordnung gehen. Handlungsimmanent zielt die Kritik darauf ab, dass ,die Juden‘ ihre eigenen Autoritäten nicht achteten und während der Gesetzesoffenbarung das goldene Kalb anbeteten. Der Dekalog erscheint so als etwas, dem zumindest ,die Juden‘ Respekt entgegenbringen müssten. 336 Und im judenfeindlichen Schlussexkurs wird die Daseinsberechtigung ,der Juden‘ unter anderem auf die Gesetzesoffenbarung Gottes an ,ihren Vater‘ Moses zurückgeführt (vv. 5246-5263). 337 Insgesamt kommt so eine Wertschätzung der lex vetus - jedenfalls als Vorstufe zur lex nova - zum Ausdruck. 330 Vgl. dazu Städtler 2011, S. 106. 331 Bezugsrahmen dafür dürfte das in Philosophie und Theologie diskutierte Problem des Verhältnisses von göttlichem Willen und Vernunft (vgl. Städtler 2011 zu Thomas von Aquin) bzw. göttlichem Willen und Notwendigkeit (vgl. Dunthorne 2012 zu Anselm von Canterbury und Hugo von St. Viktor) sein. 332 S. dazu o. S. 164-167. 333 S. dazu o. S. 169-171. 334 Do schreib er die zen gebot / uf dem berge Synai / uwerem meister Moysi / an einer tafele steinin (vv. 1356-1359). 335 In Christi Hort (vv. 1663-1688) bleibt die Rede des Pilatus näher am Nikodemusevangelium , in Diu urstende ist die entsprechende Passage nicht aufgenommen. 336 Zwar liegt die Episode mit dem goldenen Kalb in der Vergangenheit, aber Pilatus suggeriert, dass sich die Missachtung der Gebote durch ,die Juden‘ bis in seine Gegenwart durchhielte (vv. 1319-1325). 337 S. dazu o. S. 163, auch zur Wertschätzung des durch die Beschneidung ausgedrückten Alten Bundes im Evangelium Nicodemi . Zur theologischen Vorstellung, dass die Beschneidung nach einer Übergangsphase von der Taufe abgelöst wurde, vgl. Gössmann 1964, S. 280 f. 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 265 Werkimmanent wird auf diese Weise deutlich, dass die e , auf die sich ,die Juden‘ beim Prozess gegen Jesus berufen (z. B. vv. 735; 1015-1017), nicht mit der alttestamentarischen Gesetzesoffenbarung gleichzusetzen ist. Das gilt auch für Diu urstende , wo die Anklagen, dass Jesus gegen das jüdische Gesetz verstoßen habe, ebenfalls großen Raum einnehmen (vgl. Diu urstende , z. B. vv. 268-270; 396-399). Wenn - in Anlehnung an das Nikodemusevangelium (cap. I 1) - ,die Juden‘ es Jesus zum Vorwurf machen, dass er Heilungen am Sabbat durchgeführt habe, dann beharren sie auf dem Buchstaben des (Zeremonial-)Gesetzes (vgl. Diu urstende , vv. 522-525; 620-628; Evangelium Nicodemi , vv. 738-749). 338 Dagegen argumentiert Pilatus mit ethischen Grundsätzen, wie sie am dezidiertesten in seiner Scheltrede in Diu urstende ausgedrückt sind: „ […] Jêsû, dem enwirt von mir dar umbe niht verteilet, daz er hilfet unde heilet. […] daz gerihte nieman tœten sol der niht übeles entuot. […] “ ( Diu urstende , vv. 510-517) Auch nach dem Evangelium Nicodemi , nach dem Pilatus schon vor Beginn des Prozesses darauf pocht, dass ein Unschuldiger nicht verurteilt werden dürfe (vv. 725-727), hält Pilatus die Heilungen am Samstag nicht für strafrechtlich relevant und erklärt es (im Gespräch mit den zwölfen) für Unrecht, dass Jesus wegen der von ihm vollbrachten ,guten Werke‘ 339 verfolgt wird (vv. 1027-1034). 340 In der klaren Positionierung des Heiden Pilatus kann man zuallererst Kritik an den formalen Wertmaßstäben ,der Juden‘ erkennen. Doch wird zugleich das Bild einer Gerichtsbarkeit entworfen, für die andere Grundsätze leitend sind: Obwohl gerade in Christi Hort (vv. 1327-1366) und im Evangelium Nicodemi (vv. 835-851) auch die politische Einbindung des Gerichts erläutert wird, scheint sich Pilatus (vor seinem Verhaltensumschwung) - ebenso wie die für die Wahrheit eintretenden Zeugen - an universellen ethischen Maßstäben (,gut‘ und ,böse‘) zu orientieren. Positiv gesetztes menschliches Recht ( lex humana ) kommt so gut wie nicht zur Sprache, ebenso wenig die Letztbegründung der ethischen Prinzipien, die man aber im christlichen Kontext in der lex naturalis vermuten darf. Auch für die Beurteilung des abschließenden Fehlverhaltens des Richters Pilatus werden in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi allgemeine moralische Maßstäbe angelegt: Nach den Worten des Erzählers in Christi Hort hat Pilatus unrecht gericht (v. 4062) über Jesus getan; 341 im Evangelium Nicodemi wird er bei seiner Gefangennahme durch die Römer von ihnen als 338 Zum theologischen Hintergrund dieses Vorwurfs vgl. (in Bezug auf das Johannesevangelium ) Pancaro 1975, S. 9-52. 339 Vgl. Nikodemusevangelium , cap. II 6. Die Argumentation des Pilatus weist Parallelen zu der von Jesus in Io 10,31-33 auf (vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 138, Anm. 35). 340 Für Christi Hort kann man entsprechende ethische Handlungsmaßstäbe des Pilatus erschließen, wenn er Jesus aufgrund von dessen Heilungswundern gehen lassen will; allerdings wird hier sein Erschrecken vor der Göttlichkeit Jesu in den Vordergrund gestellt (vv. 1655-1657). 341 Ihn ereilt auch die Verdammnis der Seele (vv. 5292-5294), wie sie (nicht nur) im Schwabenspiegel als Strafe für unrechtes Richten vorgesehen ist; allerdings kommt bei der Pilatus-Figur in Christi Hort noch erschwerend die Sünde des Selbstmordes hinzu. 266 5 Externe Bezugsfelder Feind des rehten (v. 4349) bezeichnet, wobei durch die parallel formulierte Beschimpfung als Gegner Gottes (v. 4348) 342 eine Identität von Gott und dem, was richtig ist, angedeutet sein mag. Zwar steht bei der Bestrafung des Pilatus nicht allein sein unrechtes Richten im Mittelpunkt - auf der Figurenebene ist der (daraus resultierende) Tod des Heilers Jesus ein auslösendes Moment (vgl. Christi Hort , vv. 5177-5184; Evangelium Nicodemi , vv. 4296-4309) -, aber es wird mit der Ahndung des falschen Richtens auch die Leistungsfähigkeit der irdischen Rechtsordnung demonstriert, die sogar mit dem Versagen Einzelner umgehen kann. Trotz der in allen drei Texten bestehenden Einbindung der Prozessszenen in politisch-kulturelle Zusammenhänge unterscheiden sich die nach den Kategorien von ,gut‘ und ,böse‘ ausgerichteten Urteilsmaßstäbe nicht substanziell von denen beim Jüngsten Gericht. Vielleicht ist die Präsenz ethischer Normen in den Prozessszenen der Kerntexte auch der Grund dafür, dass in Christi Hort die Sitte der Passah-Amnestie relativ ausführlich erläutert wird (vv. 1858-1875): Nach einer Aufzählung der schweren Vergehen des Barrabas wird erklärt, erst Pilatus habe die Freilassung von Gefangenen zu Passah eingeführt, um ,die Juden‘ zu ehren; vor ihm habe das kein Richter getan. 343 Der Abschnitt endet mit der Aussage, dass Pilatus Barrabas freigelassen hätte, wenn ,die Juden‘ darum gebeten hätten. Offenbar scheint die mögliche Freilassung des Schwerverbrechers Barrabas, die ethischen Normen widerspricht, dem Erzähler in hohem Maße rechtfertigungsbedürftig; jedenfalls ist der Verweis auf die consuetudo aus dem Nikodemusevangelium (cap. IX 1 [7,1 (G / I)]; vgl. Mt 27,15; Mc 15,6; Lc 23,17; Io 18,39) nicht einfach ins Deutsche übertragen. Der jährlichen Passah-Amnestie wird in Christ Hort noch nicht einmal der Status einer tradierten Rechtsgewohnheit zuerkannt, sondern sie wird auf die Entscheidung eines einzelnen Herrschenden zurückgeführt, worin im Kontext eines ,deutschrechtlich‘ geprägten Werkes eine Distanzierung spürbar wird. 344 Subkutan wird hier ein Konflikt zwischen lex naturalis und lex humana fassbar. Ebenso unterschwellig ist in Christi Hort die Interpretation der Passion Jesu als ,Konfliktfall‘ zwischen lex naturalis und göttlicher Offenbarung präsent: Wie im Nikodemusevangelium (cap. IV 3 f.) richtet Pilatus an Jesus die Frage, wie er mit ihm verfahren solle, und Jesus antwortet: wie es Pilatus bestimmt sei. Auf Nachfrage des Pilatus erläutert er, dass Moses und die Propheten seine Marter und Auferstehung vorhergesagt hätten; deshalb solle die Marter stattfinden (vv. 1613-1621). Nach dem Nikodemusevangelium fragen ,die Juden‘ daraufhin Pilatus, warum er sich die Blasphemie Jesu noch länger anhören wolle, und als dieser ihnen Jesus dann zur Bestrafung nach ihrer lex überlassen will, benennen 342 S. dazu o. S. 171. 343 Zu den Quellen s. o. S. 130, Anm. 395. 344 Die Trennlinien verlaufen hier anders als im Schwabenspiegel , wo - unter Einfluss des gelehrten Rechts - zwischen ,guten‘ und ,schlechten‘ Gewohnheiten unterschieden wird (s. o. S. 258 f.). Im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk wiederum wird (bezogen auf die Passah-Amnestie) das ,gesetzte Recht‘ über die gewonhait gestellt (s. u. S. 337 f.); in Der Kreuziger (vv. 6745-6774, zitiert nach Khull 1882) wird zunächst gesagt, dass von alters her ,die Juden‘ die Gewohnheit gehabt hätten, dass ihnen ein Gefangener freigelassen wurde, dass aber Beda gesagt habe, es geschehe nicht nach der ê gebot , sondern nach alter gewonhait , der sich auch die Römer zur Erinnerung an die Befreiung ,der Juden‘ aus Ägypten gebeugt hätten. Dass die Passah-Amnestie offenbar ein Provokationspotenzial birgt, lässt sich auch aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 1285-1301) erschließen, wo sie ebenfalls als jüdische Sitte eingeführt wird, die mit großer Distanz geschildert wird: Pilatus hat davon nur gehört und will sie auf keinen Fall so umgesetzt sehen, dass Recht und Unrecht (also naturrechtliche Kategorien! ) verkehrt werden. 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 267 sie zwar als die nach der lex vorgesehene Strafe dafür die Steinigung, formulieren aber trotzdem ihren Willen, dass Jesus gekreuzigt werden solle. Die Reaktion ,der Juden‘ in Christi Hort wird dagegen folgendermaßen beschrieben: ‘nu ho ͤ re die missewende,’ sprachen die juden an der stat, ‘war 345 selbe verjehen hat! was bedurf wir gezeuge me? du solt uns richten nach der ê.’ ( Christi Hort , vv. 1622-1626) ,Die Juden‘ reagieren hier auf Jesu Worte wie bei den Synoptikern (Mt 26,65; Mc 14,63 f.; Lc 22,71) in der Szene vor dem Hohen Rat: Sie halten aufgrund der Aussage Jesu weitere Zeugen für überflüssig. 346 Wenn sie Pilatus auffordern, er solle ihnen nach der ê zu ihrem Recht verhelfen, 347 so ist damit im Kontext der Stelle offensichtlich nicht die jüdische Rechtsordnung gemeint, sondern die von Jesus zuvor genannte alttestamentarische Offenbarung. 348 Der erzählerische Akzent dieser Szene liegt sicherlich auf der feindseligen Argumentation ,der Juden‘, die zudem vom Heiden Pilatus eine Berücksichtigung ihrer Heiligen Schrift verlangen, und auch darauf, dass sie unbewusst die Ablösung des Alten Bundes durch den Neuen Bund propagieren. In der Forderung ,der Juden‘ ist aber auch das Problem zugespitzt, dass der göttliche Heilsplan, wie er in den alttestamentarischen Prophezeiungen fassbar wird, einem ethisch korrekten Handeln des Richters Pilatus widerspricht. 349 Es dürfte kein Zufall sein, dass angesichts dieser Zuspitzung eine Reaktion des Pilatus (wie sie im Nikodemusevangelium und im Evangelium Nicodemi erfolgt) ausgespart ist. Im Evangelium Nicodemi werden die rechtlichen Paradoxien des Heilsgeschehens zwar über den Text hinweg entfaltet, 350 in der Schilderung der Gerichtsverhandlung gegen Jesus sind sie jedoch nicht thematisiert, ebenso wenig in Diu urstende . Auf diese Weise kann das Verfahren trotz der Tatsache, dass Gott vor Gericht steht und der göttliche Heilsplan die Bestrafung eines Unschuldigen erfordert, einen exemplarischen Charakter gewinnen. Ähnlich wie bei der Szene zur ,Vorladung‘ Jesu im Schwabenspiegel wird in den Prozessszenen der Kerntexte sowohl das beherzte Eintreten einzelner für eine Rechtsordnung gezeigt, die bei konsequenter Durchsetzung seitens des Richters Gerechtigkeit herstellen würde, als auch das negative Verhalten ,der Juden‘. Dabei überträgt sich insgsamt ein affirmatives Bild der irdischen Gerichtsbarkeit, das nicht zuletzt in der Grundsatzrede des Pilatus in Diu urstende (vv. 496-519) 351 eine deutliche Kontur gewinnt. Die Rede des Pilatus ist vor allem 345 Einleuchtend ist die von Jaksche (1910) im Apparat angegebene, auf Carl von Kraus zurückgehende Konjektur waz er . 346 Auch in der entsprechenden Szene im Evangelium Nicodemi (vv. 1127-1144) halten ,die Juden‘ die schult (v. 1137) Jesu durch seine Worte für erwiesen. 347 Im Evangelium Nicodemi heißt es nur „nu rihte uns, Pilate! / […] “ (v. 1136). 348 Im Nikodemusevangelium (cap. IV 3) beziehen sich ,die Juden‘ dagegen auf die alttestamentarischen Strafen für Blasphemie (Lv 24,16), als Pilatus sie auffordert, Jesus nach ihrem Gesetz zu richten. 349 Vgl. auch die oben (S. 133) diskutierte Spannung zwischen der ethischen Verpflichtung der Simeonsöhne, die Wahrheit zu sagen, und ihrem göttlichen Auftrag. 350 S. dazu o. Kap. 3.4.4. 351 In der Benennung idealer Verhaltensweisen vor Gericht übersteigt sie den situationsgebundenen Tadel ,der Juden‘. Zwar ist in erster Linie die Gerichtspraxis und nicht die Rechtsordnung Gegenstand seiner Rede, es zeichnen sich aber auch Urteilsmaßstäbe ab. 268 5 Externe Bezugsfelder deshalb auffällig, weil sie seinen abschließenden Verhaltensumschwung umso erklärungsbedürftiger macht. Über mögliche Gründe für das auch in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi zu beobachtende Bemühen zu zeigen, dass die Verwirklichung von Recht auf Erden möglich wäre, kann man nur spekulieren. Dass trotz des dafür denkbar ungeeigneten Stoffes ein positives Bild vom Recht auf Erden vermittelt wird, kann möglicherweise damit in Zusammenhang gebracht werden, dass die Rechtsordnung als von Gott kommend gedacht ist. Zwar werden in den Kerntexten - anders als bei Ausführungen zur Notwendigkeit der Vorladung im Schwabenspiegel - nicht gegenwärtige rechtliche Regelungen aus biblischem Recht bzw. Szenen der Heilsgeschichte abgeleitet, aber durch die Bezüge auf ,deutschrechtliche Verfahren‘ wird der Eindruck vermittelt, dass nach einer Rechtsordnung gehandelt wird, die zur Entstehungszeit der Texte immer noch gültig ist. Sie wäre dann nicht anders als in einem göttlichen Legitimationsrahmen zu denken. Wie das Vorwort des Schwabenspiegels in aller Deutlichkeit demonstriert, ist auch bei einem solchen Rahmen das Fehlverhalten von Richtern nicht auszuschließen, d. h., auch das Fehlverhalten des Pilatus ist in ein solches Konzept integrierbar. Dass die irdische Rechtsordnung ebenso eine historische Dimension hat, wie sie im Schwabenspiegel an verschiedener Stelle thematisiert ist, wird von den Kerntexten allein im Evangelium Nicodemi verhandelt: Mit der Zweischwerterlehre kommt nicht nur die Herkunft der Gerichtsgewalt auf Erden zur Sprache, sondern es werden auch die rechtlichen Konsequenzen der auf das Passionsgeschehen folgenden Ereignisse benannt, indem die gegenwärtige rechtliche Stellung ,der Juden‘ aus den gerichtlichen Entscheidungen Vespasians nach der Eroberung Jerusalems abgeleitet wird (vv. 4664-4713; 5198-5201). Die Ächtung ,der Juden‘ sei von den nachfolgenden Königen mit orteilen bestätigt worden; nur Gott selbst könne ,die Juden‘ (beim Herannahen des Jüngsten Gerichts) von Acht und Bann lösen (vv. 5202-5225). Das historisch begründete Recht, das nach dem Entwurf des Textes im Einklang mit dem Willen Gottes steht, scheint durch herrscherliche Setzungen legitimiert. Maßgeblich sollen aber auch die Rechtsgewohnheiten der Vorfahren und das Evangelium selbst sein, wie man aus dem anschließenden, an die ,deutschen Fürsten‘ (v. 5189) gerichteten Tadel erschließen kann: Ir sit aber in dem alden site also voraldet und an dem vrevel irbaldet und an der herte irhartet, daz ir vil lutzel wartet an got und an die rehten wege; ir hat unreht zu rehter phlege genomen und zu einem site, daz ir niht uwer vetre trite envolget noch der waren schrift. Von du sal mans als ein vorgift durch daz vorretnisse vlien und zu der warheit sich zien. ( Evangelium Nicodemi , vv. 5226-5238) Mit dem unreht , das den Fürsten vorgeworfen wird, dürfte im Kontext des gesamten Schlussexkurses eine zu große Nähe zu ,den Juden‘ um des Geldes willen gemeint sein 5.3 reht und ê : Gottes Recht auf Erden? 269 (vgl. auch die direkt an die Fürsten gerichtete Aufforderung, sich nicht durch den Schatz ‚der Juden‘ verführen zu lassen, vv. 5190 f.). Insofern muss das unrechte Handeln, das den Fürsten zur Gewohnheit geworden ist, nicht unbedingt eine neue Rechtsgewohnheit darstellen; die Argumentation ähnelt in ihrer Stoßrichtung aber der im Schwabenspiegel vorgebrachten Kritik an neuen Privilegien für Juden. 352 Eindeutig ist die Engführung von alter Tradition 353 und christlichen Werten, da die Abwendung vom Recht mit der Missachtung von Gott parallelisiert bzw. gefordert wird, die Fürsten sollten der Rechtstradition der Väter ( uwer vetre trite ) und dem Evangelium ( der waren schrift ) folgen. Wie bei der Aussage, dass verflucht sei, wer gotes reht unrihtet (v. 5023), 354 wird nicht genau ausgeführt, wie ,Gott‘ und ,Recht‘ zusammenhängen. Klar ist nur, dass ein Zusammenhang zwischen dem alten und deshalb guten Recht, sittlichem Verhalten ( die rehten wege ), Gott und göttlicher Offenbarung besteht. Ob ein neuer site Recht oder Unrecht ist, wird an Maßstäben gemessen, die positivem Recht vorausliegen. Der Rechtscharakter von dem alden site scheint nach der Argumentation der Stelle festzustehen; zumindest indirekt wirkt er auf diese Weise göttlich legitimiert. Dass die affirmative Darstellung der irdischen Rechtsordnung, in der nach den Kerntexten grundsätzlich ethische Prinzipien gelten, tatsächlich als Positionierung zu ihrem Stellenwert gelesen werden kann, lässt sich durch die kontrastive Gegenüberstellung zu einer anderen literarischen Umsetzung des Passionsgeschehens verdeutlichen. Als systematisches Vergleichsbeispiel sollen die York Trial Plays dienen, weil sie besonders deutliche Bezüge zu zeitgenössischen Rechtsordnungen aufweisen. 355 Die Trial Plays sind Teil des Zyklus des York Corpus Christi Play , 356 das über einen längeren Zeitraum (wahrscheinlich von 1376 bis zur zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts) in York aufgeführt wurde und in einer zwischen 1463 und 1477 entstandenen Handschrift überliefert ist. 357 Sie gehören also nicht nur einer anderen Gattung an als die epischen Kerntexte, sondern auch einem anderen Zeit- und Kulturraum. Trotzdem ist das Grundproblem vergleichbar: Wie ist die Rolle der irdischen Gerichtsbarkeit zu definieren, wenn Gott vor Gericht steht? Muss die Inversion von Autoritäten notwendig zu einer kritischen Sicht auf die irdische Gerichtsbarkeit führen, wie es Pamela M. King (1999) ausgehend von ihrer Analyse der York Trial Plays formuliert hat? 358 In den York Trial Plays sind sowohl das Verhör Jesu durch Annas und Kaiphas als auch die Verhandlung vor Pilatus so ausgestaltet, dass konkrete Bezüge zum kanonischen bzw. dem 352 S. o. S. 259. 353 Zu den Topoi von Alter und Güte des Rechts vgl. Liebrecht 2008 (mit weiterer Literatur), auch zu Fritz Kerns (heute zurückgewiesener) These vom ,guten alten Recht‘. 354 S. o. S. 171. 355 Vgl. dazu Nicholson 1986; King 1999; Tiner 2005 (jeweils mit weiterer Literatur). 356 Vgl. die Ausgaben von Beadle 2009 und Davidson 2011. Zu den ‚Trial Plays‘ werden gezählt: Nr. 26 ( The Conspiracy ); 29 ( Christ before Annas and Caiaphas ); 30 ( Christ before Pilate I: The Dream of Pilate’s Wife ); 31 ( Christ before Herod ); 32 ( The Remorse of Judas ); 33 ( Christ before Pilate II: The Judgement ). Vgl. Tiner 2005, S. 140. 357 Vgl. Tiner 2005, S. 140; Beadle 2009, S. xii. 358 „[…] the trials in the Passion sequence present an interesting and potentially subversive text of official order, as feudal overlords overreach themselves by attempting to put God on trial. The consequent inversion of the hierarchy of authority must lead to a perversion of absolute justice, even if procedures were to be pursued in good faith.“ (King 1999, S. 201). 270 5 Externe Bezugsfelder englischen weltlichen Recht zu vermuten sind. 359 Die Art der Ausarbeitung ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass York im 15. Jahrhundert (Bezugspunkt ist das Entstehungsdatum der Handschrift) ein Zentrum für kirchliches Gericht wie auch als Verwaltungszentrum Sitz weltlicher Gerichte war. 360 Außerdem dürften die Prozessszenen in die Tradition der Prozessdramen einzuordnen sein, wie sie sich im Spätmittelalter verbreiteten. 361 Abgesehen von den spezifischen Rahmenbedingungen ist im Hinblick auf die Kerntexte festzuhalten, dass in den York Trial Plays allein schon durch die Ausdifferenzierung zwischen geistlichem und weltlichem Recht die Pluralität der irdischen Rechtsordnung Eingang in die Darstellung des Passionsgeschehens gefunden hat. 362 Zahlreiche vor dem Hintergrund zeitgenössischer Rechtsquellen erkennbare Verfahrensfehler werfen ein schlechtes Licht auf die Gerichtspraxis; insbesondere Annas und Kaiphas verletzen geistliches wie weltliches Recht. 363 Damit erscheint für die Rezipienten noch nicht die Rechtsordnung an sich in Frage gestellt, vielmehr deren Anwendung. 364 Pilatus ist zwar durchaus als jemand gekennzeichnet, der sich um Gerechtigkeit bemüht; 365 sein Handeln ist letztlich jedoch, wie die Szenen vermitteln, durch politische Motive bestimmt. 366 Mehrere Interpreten sehen darin nicht nur ein individuelles Versagen des Pilatus, sondern eine strukturelle Defizienz menschlicher Gerichtsbarkeit, die sich eben nicht an den Gerechtigkeitsidealen ausrichtet, wie sie beim Jüngsten Gericht gültig sind. 367 Inwieweit tatsächlich 359 Vgl. Nicholson 1986, S. 126; King 1999, S. 205. Angesichts der Bezüge zum kanonischen Recht hat Tiner (2005, S. 142) die These aufgestellt, dass auch die Anklagen gegen Jesus („false preaching, apostasy, effecting conversions, thereby causing many to fall into error, defamation, witchcraft, and sorcery“) auf Verstöße gegen das Kirchenrecht abzielten (vgl. dazu auch ebd., Anm. 11 [S. 147]). 360 Vgl. Tiner 2005, S. 141; 143. 361 Vgl. Schumann 2011; zur Tradition der (teilweise episch gerahmten) Teufelsprozesse vgl. Cardelle de Hartmann 2005a; 2005b. 362 Die Abgrenzung zur ê ,der Juden‘, wie sie in den Kerntexten vorgenommen wird, tangiert dagegen die Einheit christlichen Rechts nicht. 363 Zur Feindseligkeit der Ankläger s. o. S. 217, Anm. 90. 364 „Throughout the trial sequence, such legal errors create a paradox. While violating secular and ecclesiastical laws, the two bishops [sc. Kaiphas und Annas] and their followers are completing a necessary stage of salvation history. On a higher level, Jesus is condemned to death to redeem the sins of mankind - sins which are in fact symbolized by the cleric’s violations of law in the plays. Through these trials, the citizens of York are thus warned against dishonest proceedings in their own legal system.“ (Tiner 2005, S. 146). Auch King (1999, S. 201) sieht eine Kritik an den Rechtspraktiken gegeben, lokalisiert die Probleme jedoch nicht in der fehlerhaften Realisierung von Rechtsnormen, sondern in der Unangemessenheit der Anwendung menschlicher juristischer Verfahrensweisen auf Gott: „In the trial play in the York Cycle, Annas and Caiphas are advocates of the Old Law which they attempt to impose inappropriately upon a Christ who is its fulfilment. The theological point is enacted as a demonstration of the inadequacies of human legal procedures in dealing with higher paranormal events“ (S. 202 f.). 365 „The York Cycle Trial Plays surely do present a Pilate who is spiritually corrupt, but who just as evidently struggles to exercise his power and obligations as judge and ruler with the due regard for principles of good rule and, indeed, the more specific prescriptions for good justice. Yet, in the event, as he himself makes quite clear by his persistent doubts and his final abuse of the priests […], he is quite unable to secure true justice for Christ, who must die as a traitor and a witch.“ (Nicholson 1986, S. 167). 366 Vgl. Nicholson 1986, S. 169; King 1999, S. 204 f. 367 „His plays [sc. the plays of the ‚York realist‘] constitute, that is to say, an anatomy of justice (in the very presence of mercy and truth), one that differentiates most tellingly human, social necessities from those which, we may assume, are experienced in full by those who dispense as well as those who receive this world’s justice, at Judgement itself, where the cycle of this dramatic history properly concludes.“ (Nicholson 1986, S. 169); „Pilate, for all his reluctance is still the agent of secular authority, 5.4 Zum Spannungsverhältnis von diskursiver und narrativer Logik 271 auch die Grundprinzipien menschlichen Rechts hinterfragt werden, darüber könnte nur eine erneute Analyse der Trial Plays Aufschluss geben. Allein die (im Vergleich zu den Kerntexten) größere Konkretheit der Bezüge zu irdischen Rechtsordnungen verschiebt aber das Gewicht von Fragen der Rechtsethik zur Rechtspraxis, bei der solche Prinzipien in den Hintergrund treten. Demgegenüber stärken die Kerntexte das Vertrauen in die lex humana - dem widerständigen Stoff zum Trotz. 5.4 Zum Spannungsverhältnis von diskursiver und narrativer Logik 368 Welche Verantwortung trägt ein Richter? Wie sieht gutes Richten aus? Soll man trotz der eigenen Gefährdung vor Gericht für die Wahrheit eintreten? Wie lässt sich Wahrheit überhaupt finden? Welche Prinzipien sind für die Rechtsprechung maßgeblich? Woher kommt die Rechtsordnung? Ist Gerechtigkeit auf Erden möglich? - Dass diese für das menschliche Miteinander wesentlichen Fragen in den Kerntexten, die von der Passion und der Auferstehung Jesu erzählen, unterschwellig präsent sind, hatten schon die weitgehend auf das jeweilige interne Bezugsfeld fokussierten Textanalysen (Kap. 3) nahegelegt. Die vertiefte Analyse der Problemkreise unter Einbezug möglicher externer Bezugsfelder in den vorangegangenen Abschnitten (5.1-5.3) hat dafür zusätzliche Indizien geliefert: Auch wenn zwischen dem kontextuellen Material und den Kerntexten kein unmittelbares Abhängigkeitsverhältnis besteht, erscheinen die inhaltlichen Berührungspunkte ausreichend, um die Annahme zu untermauern, dass die Kerntexte - im Rahmen ihrer jeweiligen Bearbeitung der Passionsgeschichte als gegebenem Stoff - zu denselben Fragen Stellung genommen haben wie die herangezogenen kontextuellen Zeugnisse. 369 Bei der Lektüre ausgewählter Stellen aus den Kerntexten im Hinblick auf Entsprechungen in einschlägigen Vergleichstexten wurden interpretatorische Operationen vollzogen, die sich ähnlich für Rezipienten zur Entstehungszeit der Kerntexte ergeben haben dürften: zum einen die Anreicherung der Texte mit semantischem Material aus den externen Bezugsfeldern, zum anderen die Konturierung der inhaltlichen Position der Texte vor der Folie der externen Bezugsfelder, die durch die Texte neu perspektiviert werden. 370 Wenn zum Beispiel Pilatus eine gerichtliche Verurteilung in Diu urstende (vv. 510-517) und im Evangelium Nicodemi (vv. 725-727) von ethischen Prinzipien abhängig macht, wird das based upon aristocratic power, which comes of established birth and earthly lineage, of bearing arms. And the plays are constructed such that all authority is equated with unbelief, such that the law of man does not derive from the eternal law of God, but is opposed to it, setting itself above it in a manner conducive to universal disorder except amongst the community in York who recognize where true and false justice lie.“ (King 1999, S. 216). 368 Die Überschrift ist an den mit „Diskurs und Narration“ betitelten Aufsatz Friedrichs (2007) über den Trojanerkrieg Konrads von Würzburg angelehnt. Die folgenden Überlegungen erheben nicht den Anspruch, die Spannung zwischen beiden Polen grundsätzlich zu erörtern oder auch nur für die Kerntexte im Einzelnen zu zeigen. Ziel ist es vielmehr, im Hinblick auf die Debatte um den besonderen Status bibelepischer Texte deutlich zu machen, dass die Kerntexte diese für Erzähltexte charakteristische Spannung aufweisen. 369 Nach Harshaws (1984, S. 249) Terminologie überlappen sich damit die internen und die externen Bezugsfelder, sodass „shared frames of reference“ vorliegen. 370 Zur Reziprozität der Bezüge zwischen internem und externem Bezugsfeld vgl. Harshaw 1984, S. 250: „The links between the two parallel planes create channels for the possible transfer of additional semantic material from one to the other, and vice versa.“ 272 5 Externe Bezugsfelder von Gott abgeleitete ius naturale aufgerufen; indem Pilatus aber auch als eingebunden in ein ,deutschrechtlich‘ geprägtes Verfahren dargestellt ist, scheint zugleich die Möglichkeit auf, dass gerechtes Handeln in einem solchen Verfahren grundsätzlich zu realisieren wäre, eine Perspektive, die vom Rezipienten wiederum auf andere Situationen übertragen werden kann. Diskursanalytisch betrachtet nehmen die Kerntexte also gleichzeitig Bezug auf den Rechtsdiskurs und gestalten ihn mit. 371 Der Rechtsdiskurs hat eine theologische Dimension, das haben die Sondierungen zu Einzelfragen gezeigt: Rechtsethische Prinzipien werden aus der Heilsgeschichte abgeleitet, aber auch konkrete rechtliche Regelungen, insbesondere zur Stellung der Juden, darauf zurückgeführt. Vor allem aber befassen sich die Kerntexte implizit mit der Frage, wie eine transzendente Instanz, die in religiöser Hinsicht als Letztbegründung des Rechts fungiert, in einem Rechtsverfahren beurteilt werden kann, das immanent Geltung beansprucht. Die rechtliche Fundierung der Heilsgeschichte ist nur im Evangelium Nicodemi ausgearbeitet, aber selbst dort ist der Prozessablauf wie in Diu urstende und in Christi Hort als rein innerweltliches Geschehen gekennzeichnet, nicht zuletzt durch Referenzen auf zeitgenössische Rechtspraktiken. Es scheint so, als könne die Menschwerdung nur überzeugend dargestellt werden, wenn sich der Prozess gegen Jesus nicht als göttliche Determination erweist, sondern der Gottessohn der Ordnung auf Erden ungeschützt ausgesetzt ist. Vor diesem Hintergrund ist es bemerkenswert, dass die Texte einen Rechtsoptimismus zu erkennen geben, der sich sowohl auf die Möglichkeit eines korrekten Verfahrens als auch auf das Vertrauen in juristische Formen der Wahrheitsfindung bezieht. Indem in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi die juristische Aufarbeitung des Prozesses gegen Jesus als ‚historisch‘ belegt dargestellt wird, lassen die Texte es außerdem als möglich erscheinen, dass Fehlverhalten gegenüber Gott und dem Recht sanktioniert wird. Das Paradoxon, dass der Heilsplan nur mithilfe eines Unrechtsurteils ins Werk gesetzt werden kann, tritt angesichts dieses Rechtsoptimismus umso deutlicher hervor. Wegen des affirmativen Bezugs auf die Rechtsordnung kann die Hinrichtung Jesu in den Kerntexten nur mit individuellem Fehlverhalten begründet werden, ist also - narratologisch gesprochen - an das Figurenhandeln gebunden. Diese Sichtweise führt zu dem grundsätzlicheren Problem, wie sich die Handlungsstruktur und die Verankerung der Texte im Rechtsdiskurs überhaupt zueinander verhalten. Die inhaltliche Positionierung der Kerntexte zu Themenkomplexen wie dem guten Richten, der Wahrheitsfindung oder der Herkunft des Rechts kristallisiert sich jeweils aus einer Reihe paradigmatischer Szenen heraus, etwa der Serie von Zeugenbefragungen nach der Auferstehung Jesu oder der Gegenüberstellung von gutem und schlechtem richterlichen Verhalten bei der Prozessschilderung. Die narrative Struktur dient also dazu, die Diskursebene zu erschließen, wird aber auch dazu genutzt, um Problemfelder zu unterdrücken, wenn sich etwa die Prozessschilderung auf den äußeren Geschehensablauf beschränkt und so die Frage, inwieweit das Handeln der an der Passion Jesu Beteiligten durch Gottes Heilsplan determiniert ist, für die moralische Bewertung ,der Juden‘ und des Pilatus nicht aktiviert wird. An einzelnen Stellen sind jedoch Spannungen zwischen diskursiver und narrativer Logik greifbar: Dass Pilatus in Diu urstende verkündet, wie es idealerweise vor Gericht zugehen 371 Aus heuristischen Gründen wird der Rechtsdiskurs hier - im Sinne von Link / Link-Heer (1990) - als Spezialdiskurs verstanden, auch wenn er im Entstehungszeitraum der Kerntexte eng verflochten mit anderen Diskursen erscheint (s. dazu o. S. 23). 5.4 Zum Spannungsverhältnis von diskursiver und narrativer Logik 273 solle, macht seinen (wegen des kanonisch vorgegebenen Handlungsablaufs notwendigen) Verhaltensumschwung am Ende des Prozesses noch erklärungsbedürftiger. Zwar soll die Mahnrede wohl primär die Kritikwürdigkeit des Auftritts ‚der Juden‘ vor Gericht unterstreichen; dass das jedoch ausgerechnet über das Entfalten einer Gerichtsethik geschieht, dürfte mit der affirmativen Referenz auf das zeitgenössische Gerichtswesen als externes Bezugsfeld zusammenhängen, die einer argumentativen Logik folgend an dieser Stelle gegenüber dem konsistenten Verhalten der Pilatus-Figur dominant gesetzt ist. Nun könnte man einwenden, es sei anachronistisch, eine handlungspsychologische Stimmigkeit überhaupt zu erwarten. 372 Schließlich müsse das Agieren der Pilatusfigur im Rahmen der Heilsgeschichte, die das Urteil determiniert, final motiviert sein, weshalb Pilatus in der Figur liegende Motivationen kaum zugeschrieben werden könnten; die Kohärenzbildung finde vielmehr auf paradigmatischer Ebene statt. 373 Die Kerntexte zeichnen jedoch ein anderes Bild: Mit dem Fokus auf die Innerweltlichkeit des Prozessgeschehens ist der Versuch verbunden, Handlungen aus den Figuren heraus zu motivieren. In Diu urstende erklärt der Erzähler den Verhaltensumschwung des Pilatus damit, dass dieser aus Angst ,den Juden‘ nachgegeben habe (vv. 743-749). 374 Dafür stützt er sich ausdrücklich auf seine Quelle ( daz buoch , v. 743), was einen erhöhten Plausibilisierungsbedarf vermuten lässt. Am entsprechenden Punkt der Handlung in Christi Hort gibt der Erzähler seiner Irritation über das überlieferte Ende des Prozesses Ausdruck (v. 1880). In Christi Hort werden - wie im Evangelium Nicodemi - außerdem rückblickend mögliche Erklärungen für das Verhalten des Pilatus gegeben. Die Versuche, das Verhalten des Pilatus kausallogisch zu motivieren, bedeuten nicht, dass die Kohärenz in den Kerntexten insgesamt auf der Ebene der Figur zu suchen wäre, denn trotz der Rückverweise auf die Verhandlung gegen Jesus hat man es in der Pilatus- Veronika-Legende in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi mit einem Pilatus-Bild zu tun, das stark von dem der Prozesshandlung abweicht. Dadurch ergibt sich jedoch wiederum diskursiv eine Kohärenz durch die Kontrastierung der ungerechten Hinrichtung Jesu mit der gerechten Verurteilung des Pilatus. Wenn hier argumentiert wird, Brüche in der Kohärenz der Figurengestaltung würden in den Kerntexten zugunsten einer Kohärenz auf der Diskursebene in Kauf genommen, so ist die These insofern angreifbar, als die divergierenden Pilatus-Bilder auch aus den unterschiedlichen Erzähltraditionen der einzelnen Textteile herrühren dürften. Für die Interpretierbarkeit dieser Brüche spricht allerdings, dass sie durch die positive Zeichnung des Richters Pilatus im Prozess gegen Jesus verstärkt und nicht durch den Rückgriff auf den Typus des iudex iniustus kaschiert wurden. Indem die Gerichtsverhandlungen gegen Jesus und die gegen Pilatus durch die Wiederholung des Prozessmotivs innerweltlich gleichgeordnet werden, überlagert innerhalb des Rechtsdiskurses die Frage nach dem guten Richten die nach dem Verhältnis von Recht und Heilsgeschehen, wie sie im Evangelium Nicodemi in der diskursiven Rahmung präsent ist. Auch auf der diskursiven Ebene gibt es also Spannungen zwischen verschiedenen Argumentationslinien. Durchgängige Argumentationsmuster sollen den Texten hier auch nicht 372 Vgl. dazu Stock 2010, S. 194. 373 Zu Kohärenzbildung auf der Ebene der Figur vs. der auf paradigmatischer Ebene vgl. Friedrich 2009, S. 123. 374 Insofern ist ein Bemühen um kausallogische Verknüpfung erkennbar. Zu Wahrscheinlichkeitserwartungen, wie sie in hochmittelalterlichen lateinischen Poetiken formuliert wurden, vgl. Schneider 2013b. 274 5 Externe Bezugsfelder unterstellt werden, es lässt sich jedoch - basierend auf der kontextualisierenden Lektüre der Kerntexte - festhalten, dass punktuelle Referenzen auf zeitgenössische Rechtspraktiken nicht nur dazu dienen, auf narrativer Ebene die Passion Jesu zu plausibilisieren, sondern dass sie das Geschehen mit systematischen Rechtsfragen verknüpfen, die in den Texten diskursiv verhandelt werden. Die Kerntexte erzählen vom Heilsgeschehen, aber sie formulieren auch Standpunkte zur Richterethik, zur Zeugenschaft und Wahrheitsfindung sowie zur Legitimation der Rechtsordnung. Mögliche Anknüpfungspunkte für eine produktive Rezeption der Kerntexte liegen damit nicht allein auf der Ebene der narrativen Gestaltung des Stoffs, sondern auch auf der Ebene des zeitgebundenen Rechtsdiskurses. 5.4 Zum Spannungsverhältnis von diskursiver und narrativer Logik 275 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen von Diu urstende, Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi Wenn im Folgenden eine Annäherung an das Sinnpotenzial der drei Kerntexte ( Diu urstende , Christi Hort und Evangelium Nicodemi ) über eine Analyse ihrer diachronen Rezeption gesucht wird, steht diese Hinwendung zur Rezeptionsgeschichte in der Tradition der Überlegungen von Hans Robert Jauß, der 1975 programmatisch formulierte: Die rezeptionsästhetische Theorie erlaubt nicht allein, Sinn und Form des literarischen Werks in der geschichtlichen Entfaltung seines Verständnisses zu begreifen. Sie erfordert auch, das einzelne Werk in seine ‘literarische Reihe’ einzurücken, um seine geschichtliche Stelle und Bedeutung im Erfahrungszusammenhang der Literatur zu erkennen. Im Schritt von einer Rezeptionsgeschichte der Werke zur ereignishaften Geschichte zeigt sich diese als ein Prozeß, in dem sich die passive Rezeption des Lesers und Kritikers in die aktive Rezeption und neue Produktion des Autors umsetzt oder in dem - anders gesehen - das nächste Werk formale und moralische Probleme, die das letzte Werk hinterließ, lösen und wieder neue Probleme aufgeben kann. 1 Wie in der anschließenden Argumentation deutlich wird, geht Jauß davon aus, dass erst Rezeptionszeugnisse ,virtuelle‘ Bedeutungsschichten eines literarischen Werks 2 inhaltlich wie formal aufdecken könnten. Damit gewichtet er die Subjektivität späterer Sinnzuschreibungen zu wenig. 3 Auch ist die These, dass Rezeptionszeugnisse ,Lösungen‘ anböten, ebenso zu relativieren wie die Vorstellung, dass literarische Texte auf Fragen antworteten. 4 Dass das ,nächste Werk‘ - auch mit dezidierten Neukonzeptionalisierungen - auf Probleme r e a g i e r t , die in dem rezipierten Werk inhärent sind, wird sich jedoch für die Rezeptionszeugnisse der drei bibelepischen Texte konkret zeigen lassen. 5 Angesichts des Schwerpunkts der Kerntexte auf ethischen Fragen erscheint sogar die Kategorie ,moralische Probleme‘ passend, die allerdings in dem Allgemeingültigkeitsanspruch, wie sie bei Jauß verwendet wird, zu hinterfragen ist. 6 1 Jauß 1979 (1975), S. 141 (Kursivierung im Original). Zur doppelten Situierung des Kunstwerks bei Jauß - ästhetisch und gesellschaftlich - vgl. Brenner 1998, S. 111 f. 2 Vgl. dazu Jauß 1979 (1975), S. 143 f. 3 Vgl. Kablitz 2013, S. 97-106. Vgl. auch Kienings (2003, S. 11) Bemerkung, „daß Rezeptionsprozesse aus kontingenten Sinnstiftungen bestehen, die eine frühere Bedeutung manchmal offenlegen, nicht selten aber verdunkeln oder verschieben“. Die Annahme, dass die Sinnstiftungen im Rezeptionsprozess ,kontingent‘ seien, mag für eine konkrete historische Reihe von Rezeptionszeugnissen zutreffen, stellt allerdings wiederum eine Extremposition dar, die die Reize, die vom rezipierten Werk ausgehen, nicht berücksichtigt. Kablitz nimmt hingegen an, dass literarische Texte „ implizite Kohärenzmuster“ (ebd., S. 119) aufwiesen, die es zumindest erlaubten, die Angemessenheit von Interpretationen zu beurteilen (S. 200 f.). 4 S. dazu o. S. 203-205. 5 Deshalb scheint es mir ein zu pauschales Urteil zu sein, dass die Thesen von Jauß sich generell überlebt hätten, weil viele seiner Prämissen zweifelhaft geworden seien (so tendenziell Braun 2013, S. 11-17, z. B. S. 17: „An J auss ’ Hermeneutik lässt sich jedenfalls heute kaum mehr anschließen […]“). 6 Zu seinem Verständnis vom Verhältnis zwischen Literatur und Moral vgl. Jauß 1994. 276 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Damit die Eigenständigkeit der ,Rezeptionszeugnisse‘, die bei Jauß im Konzept der ,literarischen Reihe‘ anklingt, stärker zum Ausdruck kommt, könnte man ihr Verhältnis zu den Prätexten auch als eines der Intertextualität beschreiben. 7 Bei den Texten, die in Auseinandersetzung mit Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi entstanden sind, ist die produktive Intertextualität dominant; das Erkennen der intertextuellen Bezüge durch den Rezipienten scheint nicht mit einkalkuliert zu sein, 8 jedenfalls was die Kerntexte angeht: Kommunikative Relevanz besitzen nur die markierten intertextuellen Bezüge zu den kanonischen Evangelien und zu der auf Nikodemus (bzw. Eneas in Diu urstende ) zurückgehenden Überlieferung, 9 d. h. Referenzen auf eine Textstufe, die vor den Kerntexten liegt. Die Bezüge zu diesen Texten werden also von denen zu den autoritativen Quellentexten überlagert und dürften bei der Lektüre nicht sinnstiftend wirken. 10 Darum scheint es sinnvoller, in diesem Fall als Analyserahmen nicht ,Intertextualität‘, sondern ,Rezeption‘ zu wählen. Um Rückschlüsse darüber zu gewinnen, welche Aspekte der Kerntexte von historischen Interpreten als relevant empfunden wurden und womit sie sich auseinandergesetzt haben, wird bei der Untersuchung ausgewählter Rezeptionszeugnisse 11 auf der inhaltlichen Ebene das Augenmerk darauf gerichtet, ob die spezifische Ausgestaltung von Rechtsmotiven aus den drei Bibelepen übernommen wurde. Gerade eine selektive Verwendung einzelner Bausteine daraus in einem neuen Erzählzusammenhang kann für die Wahrnehmung der oder eines der Kerntexte sehr aufschlussreich sein. Die Betrachtung kann sich jedoch nicht auf die Motivebene beschränken, 12 da Referenzen auf diese Texte auch auf einer thematischen Ebene liegen können (z. B. der Auseinandersetzung mit der Wahrheitsproblematik). Auch Neuperspektivierungen solcher thematischen Komplexe in den Rezeptionszeugnissen können dazu beitragen, die für die drei bibelepischen Texte herausgearbeiteten Problemstellungen schärfer zu konturieren. Wenn auch das Erkenntnisinteresse bei der Untersuchung der Rezeptionszeugnisse letztlich also auf die Kerntexte gerichtet ist, kann nicht 7 Gemeint ist hier eine ,spezifische Intertextualität‘, also Bezüge auf konkrete Prätexte (zur Abgrenzung von universellen Intertextualitätskonzepten vgl. z. B. Pfister 1985, S. 11-20). Zum Zusammenhang von produktiver Rezeption und Intertextualität vgl. z. B. Pfeiffer 2003, S. 285; Schmitz-Emans 2011, S. 21. 8 Vgl. dazu Stierle 1984, S. 141: „Wenn aber das Werk in produktionsästhetischen intertextuellen Bezügen steht, die der Aktualisierung durch den Leser nicht bedürfen, obwohl sie für eine Steigerung der Wahrnehmung nutzbar gemacht werden können, so gibt es andererseits intertextuelle Relationen der Rezeption, die durch keine produktionsästhetische Relation abgedeckt sind.“ Stierle versteht es auch als „Prozeß der produktiven Intertextualität“, wenn ein Verfasser den eigenen Text überarbeitet (vgl. ebd., S. 140); an der zitierten Stelle seiner Argumentation dürften aber produktionsästhetische intertextuelle Bezüge zu einem Prätext eines anderen Verfassers gemeint sein. 9 Zur Rolle des Rezipienten in der literaturwissenschaftlichen Intertextualitätsforschung vgl. Emmelius 2015, S. 280-289. 10 Zum Kriterium der kommunikativen Relevanz vgl. Pfister 1985, S. 27; zur Rezipientenorientiertheit markierter Intertextualität vgl. Helbig 1996, S. 161-168. 11 Analysiert werden Texte, bei denen eine Auseinandersetzung mit den Kerntexten nachweisbar ist, d. h., es geht nicht um die gesamte auf dem lateinischen Nikodemusevangelium beruhende Texttradition, zu der auch Prosaübersetzungen und Passionsspiele zählen (vgl. dazu Schelb 1980; Hoffmann 1997a; 1997b). Trotz des eindeutigen Bezugs auf Diu urstende (vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 311-322) wird die Befreiung der Altväter nicht diskutiert, weil sich der Text auf die Höllenfahrt Christi konzentriert und deshalb für die Rechtsthematik weniger einschlägig ist. 12 Wenn es sich bei den Rezeptionszeugnissen um Verstexte handelt, sind mit den Motiven häufig Textbausteine aus den Kerntexten in den Zieltext integriert worden (ohne dass der Zitatcharakter offengelegt wäre, vgl. dazu Pfister 1985, S. 26). Weil nicht in allen Rezeptionszeugnissen derartig kompilatorisch verfahren wurde, ist dieser Aspekt hier nicht systematisch in den Blick genommen worden. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 277 außer Acht gelassen werden, dass die rezipierenden Texte jeweils eine eigene Strategie verfolgen und die Auswahl von Motiven aus den Vorlagetexten daher vor allem vom neuen Erzähl- oder Argumentationszusammenhang bestimmt gewesen sein mag, der deshalb bei der Analyse eine adäquate Beachtung finden soll. Die zeitlich von der Zeit um 1300 bis ins 15. Jahrhundert gestreckte Reihe der hier zu betrachtenden Rezeptionszeugnisse, die unterschiedlichen Gattungen angehören, birgt weiterhin ein Erkenntnispotenzial hinsichtlich des jeweiligen Zugriffs auf ,Realität‘ und damit auf die Poetologie der Texte: 13 Wenn ,Aktualisierungen‘ aus den Ausgangstexten in die späteren Werke aufgenommen sind, ist zu fragen, ob sie an die jeweilige Gegenwart angepasst wurden (soweit sich das feststellen lässt) oder ob eine Verfestigung einmal erfolgter kultureller Transformationen zu beobachten ist. Wenn Letzteres der Fall sein sollte, könnte das darauf hindeuten, dass in den bibelepischen Dichtungen ein größerer Grad der erzählerischen Freiheit gegeben war oder dass das Erzählinteresse anders gelagert ist als bei den darauf aufbauenden Texten. 6.1 Die Passionskompilation, die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee Wie in den Einzelinterpretationen von Diu urstende , Christi Hort und vom Evangelium Nicodemi gezeigt werden konnte, haben die drei Texte trotz des weitgehend identischen Quellenmaterials jeweils spezifische Akzentsetzungen, die sich pauschal als Leitideen fassen lassen: ,Wahrheit‘ in Diu urstende , ,Seelenheil‘ in Christi Hort und ,göttliches Recht‘ (und seine Konsequenzen für menschliches Handeln) im Evangelium Nicodemi . Wenn die Überlieferung der Texte ein repräsentatives Bild bietet, 14 war jedoch eine ganzheitliche Wahrnehmung der Texte für die mittelalterliche Rezeption nicht bestimmend. 15 Vielmehr wurden die drei Texte als Grundlage für Kompilationen benutzt, die dazu dienen sollten, biblische Geschichte zu erzählen. Über die Integration von Textbausteinen in einige Handschriften des Heinrich von München-Komplexes 16 vom Ende des 14. Jahrhunderts und die Übernahme entsprechender Elemente in die darauf fußende Historienbibel Die Neue Ee 17 blieben Motive aus den Passionserzählungen der Ausgangstexte mindestens bis zur Reformation 18 in volkssprachigen Konzeptionen der Passion präsent. Da die kleinteilige Kompilation der drei Texte in Heinrich von München-Handschriften höchstwahrscheinlich auf ein bereits in die Zeit um 1300 zu datierendes Kompilationswerk zurückgeht, kann man die rezipierende Bearbeitung der Texte von einem Stadium nahe zur Entstehungszeit von Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi bis ins 15. Jahrhundert 13 Die angesprochene poetologische Betrachtungsweise ist nicht deckungsgleich mit dem, was Jauß ,Form‘ nennt. Aufgenommen ist aber sein Gedanke, dass die Betrachtung einer Textreihe auch formale Aspekte erkennbar werden lässt. 14 Als Caveat sei auf die schmale Überlieferung des, wie intertextuelle Referenzen zeigen, sehr bekannten Erec Hartmanns von Aue verwiesen. 15 Das gilt selbst für das Evangelium Nicodemi : Es ist zwar als einziger der drei Texte mehrfach fast vollständig überliefert, aber jeweils mit bearbeitenden Kürzungen (s. dazu o. S. 142). 16 Zum Namen ,Heinrich von München‘ als Chiffre vgl. Klein 1998c, S. 63-66. 17 Im Folgenden bezeichnet Die Neue Ee , kursiv gesetzt, die Historienbibel. Wenn ein Teil der Weltchronik Heinrichs von München gemeint ist, die ,Neue Ee‘ nicht kursiviert. 18 Zur späteren Rezeption von Die Neue Ee vgl. Gärtner 2009b, S. 93 f. 278 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen hinein rekonstruieren. Im Folgenden sollen einzelne Stationen mit einem Fokus auf der Rechtsthematik unter den oben genannten Fragestellungen nachgezeichnet werden. Da die Rezeptionsgeschichte und die Überlieferungslage komplex sind, sei zunächst ein knapper Überblick gegeben, der zugleich plausibel machen soll, warum bestimmte Stationen zur näheren Betrachtung ausgewählt worden sind. 6.1.1 Zur Textgrundlage Eine Kompilation aus Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi ist in der Überlieferung für den Beginn des 14. Jahrhunderts nur in zwei Fragmenten fassbar: Das Budapester und das Wiener Fragment 19 überliefern jeweils Abschnitte vom Ende der Pilatus-Veronika- Legende (das Budapester bricht mit der Bekehrung des Tiberius ab, das Wiener mit Vorbereitungen zur Zerstörung Jerusalems). Aus guten Gründen hat Werner J. Hoffmann (2000) die These aufgestellt, dass die Fragmente Teil eines größeren Werks waren, das er als Bearbeitung von Christi Hort mit Interpolationen aus Diu urstende und dem Evangelium Nicodemi charakterisierte und das inhaltlich vom Beginn der Passionsgeschichte über die Zeugenbefragungen nach der Auferstehung und die Pilatus-Veronika-Legende bis hin zur Zerstörung Jerusalems reichte. 20 Zu erschließen ist dieses mittlerweile unter der Bezeichnung Passionskompilation firmierende Werk 21 aus der Heinrich von München-Überlieferung, insbesondere aus fünf vollständigen Handschriften, die in unterschiedlichem Umfang eine kleinteilige Kompilation aus Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi integriert haben. 22 Die Kompilationstechnik unterscheidet sich von der in den umgebenden Textpartien, ebenso der Stil der vom Kompilator der Passionskompilation wohl selbst vorgenommenen Versifizierungen von Evangelienperikopen und Abschnitten aus der Legenda aurea . 23 Für die Existenz der Passionskompilation spricht weiterhin, dass die Handschriften des Heinrich von München-Komplexes, in denen die charakteristische kleinteilige Kompilation nachzuweisen ist, verschiedenen Redaktionen angehören: 24 Der Text des im letzten Drittel 19 Zu den Fragmenten s. o. S. 99. 20 Vgl. Hoffmann 2000, S. 229-252. Vgl. außerdem Gichtel (1937, S. 164-167) mit einer ähnlichen These und Argumenten, warum es sich bei den Fragmenten nicht um Teile der Weltchronik Heinrichs von München handeln kann. In der Kompilation wurden neben Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi weitere Quellen verarbeitet, vor allem Auszüge aus den kanonischen Evangelien und der Legenda aurea (vgl. Hoffmann 2000, S. 233; 237; Shaw / Gärtner 2008, S. XVIII). Elemente aus der Legenda aurea sind selbst in den Fragmenten erkennbar, vgl. Teile der Episode von Pilatus in Christi Rock (vor Tiberius) im Budapester Fragment (vgl. Kleinmayr 1925, S. 244 f.). 21 Shaw / Gärtner (2008, S. XVIII, Anm. 4) haben den - ohne Zusatzinformationen leicht misszuverstehenden - Titel „in Analogie zum Passionskapitel der LA [sc. Legenda aurea ] (Kap. 51: De passione domini) gewählt, das nicht nur die eigentliche Passionsgeschichte, sondern auch wie bei G [sc. Gundacker] die Pilatus-Veronika-Legende umfasst“. 22 Vgl. Hoffmann 2000, S. 213-229. Textsplitter aus der postulierten Passionskompilation finden sich noch in weiteren Heinrich von München-Handschriften und -Fragmenten (vgl. Hoffmann ebd., S. 241-247; Shaw / Gärtner 2008, S. XVIII), sogar im Bereich der ,Alten Ee‘ (vgl. Klein 1998a, S. 24; 1998b, S. 34 f.). 23 Vgl. Hoffmann 2000, S. 234-237; zum Fehlen der „für die Eigendichtungen Heinrichs von München charakteristischen Stilmerkmale (formelhafte Zeitbestimmungen und Quellenberufungen, Endungen der lat. Eigennamen auf o in allen Kasus)“ vgl. zusammenfassend Shaw / Gärtner 2008, S. XVIII. 24 Vgl. das von der Würzburger Forschergruppe erarbeitete Stemma (Klein 1998c, S. 43 f.), das allerdings auf der Grundlage von Textproben aus der ,Alten Ee‘ erstellt worden ist; vgl. dazu auch Shaw / Four- 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 279 des 14. Jahrhunderts geschriebenen Cod. Guelf. 1.5.2 Aug. 2° ( HAB ) 25 steht der wohl gleichzeitig anzusetzenden Erstfassung nahe. 26 Die auf 1398 datierte Gothaer Handschrift (Forschungsbibliothek, Cod. Chart. A 3) 27 ist der nicht direkt von dieser Wolfenbütteler Handschrift abhängigen Redaktion β zuzuordnen. Trotzdem sind die Passagen des kleinteilig kompilierten Textes „praktisch identisch“ mit dem Text der Wolfenbütteler Handschrift, 28 was für die Integration eines Textblocks aus anderer Quelle spricht. Zur Redaktion β werden zwar auch die drei weiteren Handschriften mit der feinteiligen Kompilation gerechnet, deren Textredaktion Heinz Sentlinger zugeschrieben wird; 29 jedoch sind die Passagen zum Prozess, zum Descensus und zu der Pilatus-Veronika-Legende anscheinend nicht direkt von früheren Heinrich von München-Handschriften abhängig, sondern es ist anzunehmen, dass in einem Verfahren der Rekompilation 30 direkt auf die Passionskompilation zugegriffen wurde, 31 die also im bairisch-österreichischen Sprachraum kursiert haben muss. 32 Während der Text der Wolfenbütteler Handschrift H1 für die Prozesshandlung und die Höllenfahrt auf der Passionskompilation beruht, die Zeugenbefragung nach der Auferstehung und die Pilatus-Veronika-Legende aber nicht enthält, und sich der Text der Gothaer Handschrift H15 erst für die Zeugenbefragung und die Pilatus-Veronika-Legende auf die Passionskompilation stützt (die Prozesserzählung lehnt sich an das Marienleben Bruder Philipps und das Passional an), zeigen die Texte der Sentlinger-Handschriften 33 für alle genannten Textteile die charakteristischen Züge der Passionskompilation . 34 Aus der Summe nier / Gärtner 2008, S. XXX; Gärtner 2009b, S. 86 f. Für die Handschriften des Heinrich von München- Komplexes existieren mehrere Siglensysteme: Die von Kornrumpf (1988) eingeführte Nummerierung 1-19 für vollständige Handschriften, die auch in der Ausgabe von Shaw / Fournier / Gärtner (2008) Verwendung (H1-H19) gefunden hat (vgl. kritisch dazu Wolf 2001, S. 477), die Siglen der Würzburger Forschergruppe, die sich an den Bibliotheksorten orientieren (vgl. stellvertretend Spielberger 1998), und die in der Forschung zu Diu urstende (vgl. stellvertretend Hoffmann 2000) üblichen Siglen zu denselben Handschriften, die ebenfalls von den Bibliotheksorten abgeleitet sind, aber von denen der Würzburger Forschergruppe abweichen. Im Folgenden werden zur Orientierung bei der ersten Nennung jeweils alle drei Siglen aufgeführt; um der Kompatibilität mit der Ausgabe von Shaw / Fournier / Gärtner willen werden dann die auf Kornrumpf zurückgehenden Siglen verwendet. Für Beschreibungen der einzelnen Handschriften vgl. die Kurzcharakteristik bei Shaw / Gärtner 2008, S. XXIV-XXVI (mit weiterer Literatur); vgl. außerdem die Einträge im Handschriftencensus . 25 Siglen: H1 (Shaw / Fournier / Gärtner 2008); Wo1 (Spielberger 1998); W (Hoffmann 2000). 26 Zur Entstehungszeit der Weltchronik vgl. Klein 1998c, S. 59-63; Shaw / Gärtner 2008, S. XII. Zu den Redaktionen vgl. den Überblick bei Klein ebd., S. 45-49. 27 Siglen: H15 (Shaw / Fournier / Gärtner 2008); Go1 (Spielberger 1998); G (Hoffmann 2000). 28 Vgl. Hoffmann 2000, S. 222. 29 München, BSB, Cgm 7330 (Cim 314), datiert auf 1394, Sentlinger-Redaktion von 1394, Siglen: H9 (Shaw / Fournier / Gärtner 2008); M3 (Spielberger 1998); Ms (Hoffmann 2000). Graz, UB, Ms. 470, datiert auf 1415, Sentlinger-Redaktion von 1394, Siglen: H11 (Shaw / Fournier / Gärtner 2008); Gr1 (Spielberger 1998); Gz (Hoffmann 2000). Wolfenbüttel, HAB, Cod. Guelf. 1.16 Aug. 2°, datiert auf 1399, Sentlinger-Redaktion von 1399, Siglen: H12 (Shaw / Fournier / Gärtner 2008); Wo2 (Spielberger 1998); Ws (Hoffmann 2000). - Zum Verhältnis der Texte der einzelnen Handschriften vgl. Klein 1998c, S. 43; 48-50. H11 überliefert nur die ,Neue Ee‘ und zeigt dort genau dieselbe Kompilation wie H12 (vgl. Hoffmann ebd., S. 211). Zum redaktionellen Anteil Heinz Sentlingers s. u. S. 294, Anm. 118. 30 Zum Verfahren der Rekompilation vgl. Gärtner 2009b, S. 88 f. 31 Vgl. Hoffmann 2000, S. 247-250; Shaw / Gärtner 2008, S. XVIII f. Für eine Diskussion der Argumente s. u. S. 295 f. 32 Vgl. Shaw / Gärtner 2008, S. XVIII. 33 Vgl. dazu im Einzelnen Hoffmann 2000, S. 213-229. 34 Allerdings ist hier der Kontrast zu den umgebenden Textpartien weniger ausgeprägt, weil auch dort die Kompilation nicht so blockhaft angelegt ist wie in anderen Weltchronik -Handschriften (vgl. 280 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen der genannten Handschriften sind die Struktur der Passionskompilation und sogar Prinzipien für die Verwendung der Quellentexte rekonstruiert worden. 35 Die Rekonstruktion der Grundzüge bietet jedoch keine hinreichende Grundlage für eine Textinterpretation, weshalb sich die folgenden Untersuchungen auf die Weltchronik -Überlieferung beschränken, bevor summierend Rückschlüsse auf die Passionskompilation gezogen werden. Da die Heinrich von München-Überlieferung eine große Varianz aufweist, die auch den Textbestand betrifft, wäre es angemessen, den jeweiligen Text einzelner Handschriften zu interpretieren. 36 Andererseits lässt sich über Querverweise zwischen einzelnen Teilen ein ganzheitliches Werkkonzept erschließen. 37 Die Herausgeber der ,Neuen Ee‘ haben auf die Problematik mit einer kompilatorischen Ausgabe (Shaw / Fournier / Gärtner 2008) reagiert. 38 Für die hier interessierenden Teile der ,Neuen Ee‘, die Passionsgeschichte im weitesten Sinne, war es ihr Ziel, einen Eindruck von der Erstfassung (bzw. von α-Handschriften) zu vermitteln. 39 Folgerichtig wurde für diesen Teil prinzipiell die Wolfenbütteler Handschrift H1 als Leithandschrift gewählt. H1 bietet jedoch viele allein auf Apokryphen beruhende Textteile nicht, die in anderen Heinrich von München-Handschriften vorhanden sind. 40 Die Herausgeber verstehen den Text von H1 als „gekürzte Version der Erstfassung“ 41 und haben die ,fehlenden‘ Textteile aus anderen Handschriften, auch der Redaktion β, ergänzt. Für den Passionsteil bedeutet das, dass der Text sich bis zum Pfingstereignis an H1 orientiert, dann schließen sich die Zeugenbefragungen durch die Hohepriester nach der Gothaer Handschrift H15 an, darauf folgen die Wunderzeichen in Jerusalem nach H1, die Pilatus-Veronika-Legende nach H15 und an einer späteren Textstelle die Zerstörung Jerusalems nach H1. Für die Interpretation wird im Folgenden (Kap. 6.1.2) der Ausgabentext Hoffmann 2000, S. 227; Gärtner 2009b, S. 92). Für eine Quellenanalyse der auf Schloss Runkelstein geschriebenen Handschrift H9 vgl. Gichtel 1937. 35 Vgl. die Inhaltsübersicht bei Hoffmann 2000, S. 238-240. Wegen des großen Anteils von Gundacker- Versen geht er (ebd., S. 237 f.) davon aus, dass Christi Hort die Grundlage für die Kompilation war und dass für dort wenig ausgestaltete Motive die anderen Texte herangezogen wurden. - Ein grundsätzliches Problem bei der Rekonstruktionsarbeit stellt die Tatsache dar, dass Übereinstimmungen zwischen den Handschriftentexten stärker gewichtet werden müssen als die Unterschiede. Wie zu zeigen sein wird, differiert die Schilderung des Prozessendes zwischen der Erstfassung und den Sentlinger-Handschriften erheblich. Hoffmann diskutiert diesen Befund nicht, sondern erschließt für die Partie nach der Aussage der Geheilten in der Passionskompilation : „Für den Schluß des Prozesses (bis zur Geißelung) folgt der Kompilator - nach einem frei nach dem EN bearbeiteten Teil - wieder ausschließlich Gund.“ (ebd., S. 238). 36 „Die einzelnen Vertreter der beiden Redaktionen unterscheiden sich wiederum hinsichtlich ihres Umfangs und ihrer inhaltlichen Zusammensetzung sehr stark voneinander, so daß fast jede Hs. eine eigene Gebrauchsfassung darstellt.“ (Hoffmann 2000, S. 212). Klein (1998c, S. 44) reserviert den Terminus ,Fassung‘ (unter Berufung auf Bumke 1991) dagegen nur für Redaktionen (Erstfassung; Redaktion α; Redaktion β), die einen Gestaltungswillen erkennen ließen. Hier ist nicht der Ort, die Diskussion um den Fassungsbegriff zu führen (vgl. dazu z. B. Hausmann 2001, S. 75-80; Schiewer 2005); für den interpretatorischen Zugang ist vielmehr entscheidend, dass die Divergenzen zwischen den Handschriften allein schon in ihrem Textbestand so groß sind, dass sie jeweils für sich betrachtet werden sollten. 37 So Shaw / Gärtner 2008, S. XXXII. 38 Die Editionsprinzipien sowie die Annahme eines ,durchgängigen Konzepts‘ sind heftig kritisiert worden: vgl. Wolf 2001, S. 477 (zu den Plänen); Klein 2010 (sie gesteht die editorischen Schwierigkeiten zu, die das Material bietet); Schanze 2010. Zur Einordnung des Editionsvorhabens vgl. Bleumer 2011c. Zur Verteidigung des Konzepts vgl. Shaw / Gärtner 2008, S. XXXI. Für einen Überblick über die jeweils verwendeten Leithandschriften und ,Kontrollhandschriften‘ vgl. ebd., S. XXXII-XXXV. 39 Vgl. Shaw / Gärtner 2008. 40 Vgl. Hoffmann 2000, S. 218 f. 41 Shaw / Gärtner 2008, S. XXXII; so auch Klein 1998c, S. 45; Rettelbach 1998, S. 101-239, bes. S. 231-239. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 281 zugrunde gelegt. Wenn es um Fragen der übergreifenden Erzählstruktur geht, wird aber nach dem Textbestand der einzelnen Handschriften differenziert. Vergleichend wird - stellvertretend für die Sentlinger-Redaktionen - die Wolfenbütteler Handschrift H12 untersucht, die seine zweite Redaktion enthält. 42 Der Text von H12 hat für den Passionsteil insofern einen repräsentativen Charakter, als er dort nur minimale Unterschiede zum Text der Handschrift H9 und damit auch zum Text der mit H9 eng verwandten Handschrift H11 aufweist. 43 H12 ist hier als Analyseobjekt ausgewählt, weil der Text der Handschrift der Reimvorlage von Die Neue Ee am nächsten steht, 44 deren Prosatext im Anschluss diskutiert wird. 45 Für die um 1400 46 entstandene oberdeutsche neutestamentliche Historienbibel, die zu weiten Teilen eine Prosabearbeitung einer Weltchronik -Reimvorlage ist, 47 wird dagegen aus pragmatischen Gründen auf die Ausgabe Hans Vollmers (1929) zurückgegriffen; auch der Gebrauch von Die Neue Ee als Werktitel ist von ihm übernommen. 48 Vollmer bietet einen kritischen Text auf der Grundlage ausgewählter Handschriften und Frühdrucke, 49 ohne dass er eine Leithandschrift angegeben hat. Für die Textherstellung wurden von ihm auch Weltchronik -Handschriften berücksichtigt. 50 6.1.2 Die Weltchronik Heinrichs von München nach H1 und H15 In allen Heinrich von München-Handschriften ist die Passionsgeschichte in einen Erzählzusammenhang eingebunden, der chronologisch nach dem ordo naturalis organisiert ist. 51 Das Prinzip lässt sich besonders gut am Umgang mit der Erzählung von der Zerstörung Jerusalems beobachten, wie am Beispiel von H1 dargelegt sei: 52 Dort schließt sich an die 42 In dieser Redaktion nimmt die Profangeschichte gegenüber der biblischen Geschichte einen geringeren Raum ein (vgl. Hoffmann 2000, S. 227 f.; Ott 2016, S. 181-185). 43 Vgl. Hoffmann 2000, S. 225; 228. 44 Vgl. Hoffmann 2000, S. 228. Manchmal stimmt die ,Neue Ee‘ auch (gegen H12) mit H9 überein; H12 kann also nicht die direkte Vorlage gebildet haben. Vgl. dazu Gärtner 1982, S. 16 f. 45 S. u. Kap. 6.1.4. Der Handschrift H12 ist bisher in der Forschung weniger Aufmerksamkeit zugekommen als H9 (vgl. dazu Gichtel 1937). H9 wurde auch, anders als H12, streckenweise als Kontrollhandschrift für den Ausgabentext von Shaw / Fournier / Gärtner 2008 herangezogen. - H12 ist über digitale Aufnahmen konsultiert worden. 46 Vgl. Gärtner 2009b, S. 90. 47 Vgl. dazu Vollmer 1912, S. 29-35 („Anhang zu Gruppe III b“). Zur Überlieferung vgl. Vollmer ebd., S. 162-175; vgl. dazu auch Gärtner 1982, S. 20, Anm. 4; 1987, Sp. 908. 48 Unter diesem Titel ist das Werk auch im Verfasserlexikon verzeichnet (vgl. Gärtner 1987). 49 Vgl. Vollmer 1929, S. XVI. Handschriften: Wien, ÖNB, Cod. 2862 (W): Die Neue Ee 1434; München, BSB, Cgm 370 (M 1 ): Mitte des 15. Jh.s; Cgm 522 (M 2 ): 1470 (vgl. jeweils die Einträge im Handschriftencensus mit weiterer Literatur); Drucke: Augsburg 1476: Anthonius Sorg (GW 9248, Sigle A); Lübeck 1478: Lukas Brandis (GW 9253, Sigle L 1 ); Lübeck 1482: sog. Calderinus-Drucker, Matthäus Brandis (GW 9254, Sigle L 2 ). Zu den handschriftlichen Vorlagen der Drucke vgl. Vollmer ebd.; 1912, S. 173-175. 50 Vgl. dazu Vollmer 1929, S. XVII. Im Einzelnen handelt es sich um folgende Handschriften: Gotha, Forschungsbibl., Cod. Chart. A 3 (Goth.): 1398 (s. dazu o. S. 279, Anm. 27); Berlin, SBPK, Mgf 1107: 1387 (Sigle H18 bei Shaw / Fournier / Gärtner 2008; B1 bei Spielberger 1998); Mgf 33 (Abschrift aus dem 18. Jh.; vgl. dazu Degering 1925, S. 5). 51 Zu diesem Organisationsprinzip in der Weltchronik Heinrichs von München vgl. Kiening 1998, S. 538. Er ordnet die Umgestaltungen der Vorlage in eine allgemeinere Tendenz der Bearbeitung höfischer Erzähldichtung ein (vgl. auch Schnell 1984 [zu Prosabearbeitungen von Versdichtungen]). 52 Die Stellenangaben (im Format: Kapitel, Vers) beziehen sich auf die Ausgabe von Shaw / Fournier / Gärtner 2008. Dort ist jeweils am Rand angegeben, welchem Quellentext die Weltchronik folgt, 282 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Schilderung der Pfingstpredigten der Jünger (bis v. 10,148) ein Gundacker folgender Abschnitt über die Vorzeichen der Zerstörung Jerusalems an (Kap. 11), danach orientiert sich der Text an der Abfolge römischer Kaiser, eingeleitet durch den Tod des Tiberius (Kap. 13). 53 Im Kapitel zu Vespasian (Kap. 18) wird die Zerstörung Jerusalems geschildert, inklusive der Verurteilung ,der Juden‘ nach dem Evangelium Nicodemi , die hier - historisch ,korrekter‘ - auf Titus als Sohn Vespasians verlagert ist. 54 Zwar wird erzählt, dass Titus ,die Juden‘ an der Stelle verurteilt, an der Jesus vor Pilatus erscheinen musste (vv. 18,290-302), und der Erzähler interpretiert das als Erfüllung alttestamentarischer Prophezeiungen und der Selbstverfluchung ,der Juden‘ durch den Blutruf (vv. 18,336-361), 55 aber das Bestrafungsmotiv hat in der Abfolge der Kaiser den direkten narrativen Konnex zum Prozess gegen Jesus verloren. 56 Dafür sind die vierzig Jahre, die bis zur Rache Vespasians 57 an ,den Juden‘ ins Land gehen, 58 narrativ ausgefüllt. 59 Chronologisch nach vorn ist die Passionsgeschichte in H1 um die Pilatus-Legende (Kap. 4) 60 ergänzt, die mit folgender Rubrik eingeleitet wird: Wie Pilatus geporn ward und wie er gen Jerusalem chom, daz er ein richtar ward genant uber die Juden und wol erchant. Im Text von H1 wird dann jedoch lediglich erzählt, wie Pilatus nach seiner außerehelichen Zeugung schon von Kindesbeinen an Untaten vollbrachte und schließlich in Rom den als Geisel gestellten Sohn des Königs von Frankreich tötet, woraufhin ihm die Römer das gefährliche Richteramt auf der Insel Pontius übertragen. Der Teil der Legende, nach dem Pilatus seine erfolgreiche Herrschaft dort nutzt, um sich von Tiberius die Herrschaft für die Passionskompilation aufgeschlüsselt nach deren Ausgangstexten (also vor allem Diu urstende [U], Christi Hort [G] und Evangelium Nicodemi [EN]). 53 Das Strukturprinzip war schon zu Beginn des Textes durch die Abfolge der Kaiser Augustus und Tiberius (Kap. 2 f.) eingeführt, dann aber durch die Erzählung vom Leben Jesu aufgebrochen worden. - Bis v. 41,10 entspricht der Ausgabentext im Wesentlichen H1, bis auf die Verse 16,21-86, an deren Stelle H1 zum Leben Neros einen längeren Abschnitt aus der Weltchronik des Jans von Wien (vgl. Geith 1980) bietet (vgl. Shaw / Gärtner 2008, S. XXXIV). 54 Auch nach dem Evangelium Nicodemi hatte Vespasian - bei seiner Berufung zum Kaiser während seines Feldzugs gegen ‚die Juden‘ - Titus aufgetragen, mit dem halben Heer Jerusalem zu besetzen, während er mit der anderen Hälfte nach Rom zurückkehrte (vv. 4603-4663). Titus spielt dann aber keine Rolle mehr, sondern es ist Vespasian selbst, der mit einem großen Heer zurückkommt, Jerusalem erobert (vv. 4664-4677) und über ‚die Juden‘ richtet (v. 4686). In H1 sendet Vespasian Titus dagegen ein Heer zur Unterstützung, bleibt selbst aber in Rom (vv. 18,256-278). 55 Vgl. außerdem den Zusatzvers zum Evangelium Nicodemi : er urtailt alda mit recht (v. 18,299). 56 Nach dem an das Evangelium Nicodemi angelehnten Exkurs des Erzählers zur Bestrafung ,der Juden‘ (vv. 18,333-376) ist die Erzählung (ab v. 18,377) wieder auf Titus fokussiert. Im Evangelium Nicodemi (vv. 4596-4611) hingegen sind die politischen Geschehnisse bis zur Bestrafung ‚der Juden‘ nur angedeutet. 57 Auch in der Weltchronik ist Vespasian für den Rachefeldzug verantwortlich. 58 Vgl. dazu auch Christi Hort , vv. 3935-3942. 59 Zu Beginn von Kapitel 18 (vv. 1-11) bezieht sich der Erzähler auf die bereits angekündigte Frist zurück. Sie wird im Ausgabentext am Ende der (H15 folgenden) Pilatus-Veronika-Legende genannt (vv. 12,1740-1748). 60 Sie folgt zunächst (vv. 4,6-102) Jans von Wien (vv. 19 853-19 958, zitiert nach Strauch 1900), dann (vv. 4,103-173) der Legenda aurea (cap. 53,231 f. [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 724, Z. 17 - S. 726, Z. 7] = M., 51,195-204). Die Exzerpte sind von ,Eigendichtung‘ gerahmt (vv. 4,1-5; 174-180). 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 283 über Jerusalem übertragen zu lassen, findet sich im Text von H1 nicht. 61 Möglicherweise ist hier eine Kürzung vorgenommen worden. In jedem Fall zeigt aber die Überschrift das Bemühen, Pilatus in seiner amtlichen Funktion einzuführen. richtar dürfte hier - wie iudex in der Legenda aurea (cap. 53,232 [S. 726, Z. 1]) 62 - vor allem das Herrscheramt des Pilatus bezeichnen, impliziert aber auch eine richterliche Entscheidungsgewalt. 63 Eine konsistente Figurengestaltung wird man angesichts des kompilatorischen Charakters des Werks nicht voraussetzen können, und so bestehen - wie auch bei der Kombination des Nikodemusevangeliums mit der legendarischen Erzähltradition vom Tod des Pilatus - Spannungen zwischen dem relativ positiven Pilatusbild des Nikodemusevangeliums und dem negativen der Legende. Und doch wird in den Angaben zur Herrschaft des Pilatus auf der Insel Pontius schon eine Verhaltensweise von ihm erkennbar, die am Ende des Prozesses gegen Jesus erneut zum Vorschein kommen wird: Auf den eigenen Vorteil bedacht ist Pilatus dem Volk zu Willen. 64 Eine chronologische Anordnung war in H1 nicht nur im Großen leitend, sondern auch beim Umgang mit der Erzählung von der Höllenfahrt Jesu, die im Anschluss an das Nikodemusevangelium in den deutschen Versdichtungen als Binnenerzählung der Simeonsöhne gestaltet ist. In H1 ist der Descensus -Teil dagegen - wie auch die Befreiung Josephs von Arimathia - an chronologisch ,richtiger‘ Stelle vor dem Bericht über die Auferstehung eingeordnet (Kap. 7) und dem Erzähler in den Mund gelegt. 65 Die Schilderung folgt überwiegend Christi Hort und ist lediglich durch kurze Versatzstücke aus dem Marienleben und aus Diu urstende ergänzt. Dagegen liegt im zentralen Kapitel 6 ( Wie got gemartert ward und erstund ) 66 eine kumulative Kompilation vor: Alle drei Versdichtungen ( Diu urstende , Christi Hort , Evangelium Nicodemi ) sind hier verarbeitet, vermutlich über die Passionskompilation rezipiert. Hinzu treten zu Partien, die auf den kanonischen Evangelien fußen, Abschnitte, die dem Marienleben folgen, und Passagen, die auf den Passionstraktat Christi Leiden in einer Vision geschaut zurückgehen. 67 Die Aufnahme von Szenen aus diesem Text, die die menschliche Schwäche Jesu zeigen und seine Folterung 61 Vgl. Legenda aurea , cap. 53,232 (Häuptli 2014, Bd. 1, S. 726, Z. 8-20) = M., 51,205-211. In H15 wird die Pilatuslegende nach dieser Textpassage fortgesetzt. 62 In der italienischen Übersetzung (Maggioni 2007, S. 397) ist iudex mit ,governatore‘ wiedergegeben. 63 S. dazu o. S. 187. 64 Anders als in der Legenda aurea (cap. 53,232 [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 726, Z. 3-6] = M., 51,203), nach der Pilatus mit Geschenken und Drohungen seine Stellung sichert, heißt es in den in der Weltchronik hinzugefügten Versen, dass Pilatus tut, was die Leute von ihm wollen, vgl. bes. vv. 4,175-180: vil wol geviel er den lawten. / waz si im begunden tawten, / daz tet er allez gern. / mit we v er si mocht geern, / vil gern er daz tet, / da von man in vil gern het. tawten ist hier in der Reimbindung als tiuten zu lesen (zur Schreibsprache vgl. Shaw / Gärtner 2008, S. XXVIII f.). 65 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 218. Da nach dem Tod Jesu zunächst erzählt wird, was mit seinem Leichnam geschieht (vv. 6,2501-2764), ist für die Erzählung davon, dass sich seine Seele in die Hölle begeben habe (vgl. vv. 7,97-102), ein kleiner zeitlicher Rücksprung zum Moment des Todes nötig (vv. 7,1-10). Zur Zeitstruktur vgl. Manuwald 2015, S. 373-377. 66 Kap. 5 ( Waz got zaichen tet, / e er gemartert wurd. ) beruht überwiegend auf dem Marienleben Bruder Philipps mit einzelnen Passagen aus der Legenda aurea und den kanonischen Evangelien. Für die Schilderung des Mordrats am Ende des Kapitels (vv. 5,979-1016) bildet Diu urstende die Grundlage; integriert ist eine erläuternde Bemerkung (vgl. vv. 5,1004-1011) aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 414-421). 67 Vgl. zu diesem Text Pickering 1978; zu dessen Verarbeitung in der Weltchronik vgl. Hoffmann 2000 (S. 217; 225; 251 f.), der diese Passagen überzeugend auf ,Heinrich von München‘ zurückführt. 284 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen im Detail schildern (vv. 6,335-429; 523-559; 1723-1744), deutet auf eine Bearbeitungstendenz hin, die das Leiden Jesu hervorhebt und ein Rezeptionsangebot zur Einfühlung macht. 68 Daneben ist ein Interesse an historischer ,Korrektheit‘ zu beobachten. Symptomatisch dafür ist die Akkumulation der Quellenberufungen aus Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi , 69 die zugleich erkennen lässt, dass bei der Kompilation offenbar keine wertende Hierarchie bestand. Diese emphatische Wahrheitsbeteuerung wird, wie für den Bereich des Rechts zu zeigen sein wird, durch eine faktenorientierte Erzählweise 70 unterstützt, die mit dem Bestreben nach chronologisch ‚richtigem‘ Erzählen korrespondiert. Bei der Prozessschilderung sind in H1 Elemente aus allen drei Dichtungen kombiniert. Allein die Ausführlichkeit, in der rechtliche Abläufe geschildert sind, ist ein Zeichen dafür, dass ihnen auch in der Weltchronik großes Gewicht zukommt. So gut wie alle der raren verfahrensrechtlichen Elemente in den Ausgangstexten sind in die Kompilation aufgenommen: aus Diu urstende die Rede des Pilatus zum richtigen Verhalten vor Gericht (vv. 6,1141-1157), die Motive, dass sich etliche ,der Juden‘ und der Heiden der Gerichtspflicht entziehen (vv. 6,1178-1181) und dass Pilatus einen Schergen Ruhe gebieten lässt (vv. 6,1245-1250), die namentliche Aufzählung der zwölf Gewährsmänner des Nikodemus und ihre Befragung durch Pilatus (vv. 6,1356-1369) und der Vorwurf ,der Juden‘, dass deren Landrecht nichts gelte, weil sie Proselyten seien (vv. 6,1406-1415), aus Christi Hort die Urteilsfrage des Pilatus (v. 6,1649) und das Motiv, dass ,die Juden‘ den abgeschrankten Bereich verlassen (vv. 6,1810-1819), 71 aus dem Evangelium Nicodemi die genaue Raumregie (vv. 6,1489-1491). Das Erzählinteresse richtet sich nicht auf rechtliche Fragen allein, sondern insgesamt darauf, das als historisch gekennzeichnete Geschehen plausibel zu machen. 72 Jedenfalls sind sämtliche Erläuterungen zu den Gepflogenheiten der Römer beibehalten worden, von dem Tuch, das der Läufer des Pilatus um den Hals trägt (vv. 6,899-907), über die Fahnen, die die Richter mit sich führen ließen (vv. 6,937-948), die von Rom ausgehende Gerichtsgewalt und den Konflikt zwischen Pilatus und Herodes (vv. 6,1669-1699) bis hin zur Passah- 68 Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Aufnahme von Klagereden aus dem Marienleben : Maria (vv. 6,2425-2490), Petrus (vv. 6,2565-2636), Maria Magdalena (vv. 6,2637-2686). - Compassio wird im Codex H1 zusätzlich durch Miniaturen hervorgerufen, die das Leiden Jesu zum Gegenstand haben. Die Handschrift zeigt zu Kap. 6 (foll. 148v-159r) folgende Bildmotive (vgl. Hoffmann 2000, S. 214-217): zweiteilige Miniatur: links Gefangennahme, rechts Jesus an der Marmorsäule (fol. 150vb-c); Jesus mit weißem Mantel und schapel aus Stroh, nach Christi Leiden in einer Vision geschaut (zitiert nach der Ausgabe von Pickering 1952), 70,2 f. (fol. 155rb [nach Hoffmann ebd. irrtümlich 155ra]); Geißelung (fol. 155vb); Dornenkrönung (fol. 155vc). Die Miniaturen aus diesem Teil der Handschrift wurden in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nachgetragen (vgl. Günther 1993, S. 396 f.), die Lücken für Illustrationen waren aber von Anfang an ausgespart. Für weitere Literatur zu den Miniaturen vgl. auch Spielberger 1998, S. 122. 69 zwen Juden Eneas und Nicodemus / berichtent uns der mar alsus: (vv. 6,5 f.). Hier sind die Namensangaben aus Diu urstende und Christi Hort kombiniert. In vv. 6,779-788 (vgl. auch v. 6,809) wird Nikodemus nach dem Evangelium Nicodemi als Augenzeuge charakterisiert, bevor seine Autorität dadurch unterstrichen wird, dass sein besonderes Verhältnis zu Jesus nach Diu urstende erläutert wird (vv. 6,789-808). 70 Zu einer entsprechenden Bearbeitung des Willehalm Wolframs von Eschenbach in der Weltchronik Heinrichs von München vgl. Kiening 1998, S. 546. 71 Auch das zwar nicht im strengen Sinn verfahrensrechtliche, aber die wichtige Rolle des Gerichts betonende Motiv, dass die Frau des Pilatus ihn warnt, nicht über Jesus zu G e r i c h t zu sitzen, entspricht der Darstellung in Christi Hort (vv. 6,1051 f.). 72 Dazu passen auch die Zusatzverse zum verwandtschaftlichen Verhältnis von Kaiphas und Annas (vv. 6,564-566), auf die Hoffmann (2000, S. 215) aufmerksam gemacht hat. Sie ähneln vom Impetus her vv. 403-406 im Evangelium Nicodemi , wo Annas als Genosse ( gephlihte ) von Kaiphas eingeführt wird. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 285 Amnestie (vv. 6,1862-1868). Während die Erklärung dazu fast unverändert Gundacker (vv. 1869-1875) folgt, sind an den anderen drei Stellen redaktionelle Änderungen vorgenommen worden: Die auf Christi Hort (vv. 1423-1429) basierende Erläuterung, dass es jenseits des Meeres bei Jung und Alt üblich gewesen sei, ein Tuch um den Hals zu tragen, wird auf ,Mann und Frau‘ ausgedehnt, und es wird ergänzt, dass das Tuch dazu diene, Staub und Schweiß abzuwischen, weil es in dem Land sehr heiß sei. Der bereits in Christi Hort vermittelte Eindruck, dass eine entfernte Kultur geschildert wird, ist also noch verstärkt. Auch die an das Evangelium Nicodemi (vv. 835-855) angelehnten Erläuterungen zu den römischen Gerichtssitten geben sich - wie dort - als eine Erklärung einer fremden Kultur, doch sind die Aneignungseffekte gegenüber dem Evangelium Nicodemi noch stärker ausgeprägt. Das fängt bereits damit an, dass die Fahnen 73 nicht als Reichs-, sondern als Gerichtsfahnen bezeichnet sind, die die Königsgewalt demonstrieren sollen. 74 Außerdem werden sie zu der schrann (v. 6,942) gebracht. Anders als im Evangelium Nicodemi ist also der Ort des Gerichts klar deutschrechtlich konnotiert. Dass die Fahnen generell zur Rechtsfindung beitragen sollen ( Evangelium Nicodemi , vv. 840-845), wird nicht berichtet, vielmehr wird der in den Fahnen präsenten Hoheitsgewalt allein die Funktion zugeordnet, Bestechung zu verhindern, wobei die Gruppe derer, die ,bezwungen‘ werden sollen, (irrtümlich? ) auf die Fahnenträger beschränkt ist. Die weitgehend aus Christi Hort (vv. 1327-1357) übernommenen Ausführungen zu den politischen Verhältnissen zur Zeit der Gefangennahme Jesu (d. h. auch zum Konflikt zwischen Pilatus und Herodes), die in der Weltchronik an die Stelle versetzt sind, an der Herodes das erste Mal erwähnt wird, 75 weisen ebenfalls Veränderungen gegenüber dem Ausgangstext auf, indem Pilatus zu einem Untertan von Herodes gemacht worden ist (v. 6,1685). 76 In Christi Hort bleibt das Verhältnis des Pilatus zu den Fürsten, die Herodes unterstellt sind, dagegen unklar. Die in Christi Hort an anderer Stelle entwickelte Stadtrichter- Thematik 77 ist somit nicht aufgenommen worden. 73 Auch bei der Schilderung des Fahnenwunders (vv. 6,952-1043) wird die Bezeichnung ,Fahnen‘ (gegenüber ,Kreuzen‘ in Christi Hort ) beibehalten (vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 217): Die Bezeichnung sper mit den vanen (v. 6,953) steht dem Evangelium Nicodemi (vv. 902 f.) am nächsten, ebenso die Tatsache, dass die Zahl der Fahnen keine Erwähnung findet und die Zahl der Fahnenträger (zwölf) erst dann eine Rolle spielt, als sie ausgetauscht werden (vv. 6,996 f.; 1006 f.; vgl. Evangelium Nicodemi , v. 898; zur Zahl der Fahnen und Fahnenträger in den Kerntexten s. o. S. 76; 112; 146). Die Passage folgt sonst überwiegend Christi Hort (vv. 1492-1561). Es sind aber auch Versatzstücke aus Diu urstende (vv. 285-312) verarbeitet und noch aus einem weiteren Vorlagentext, denn die ursprünglichen Träger werden gegen ‚heidnische‘, nicht - wie in Diu urstende und Christi Hort - gegen jüdische ausgetauscht (vv. 6,1005-1014). Da in der Weltchronik den neuen heidnischen Trägern mit dem Enthaupten gedroht wird, ist anzunehmen, dass die Version letztlich auf eine Redaktion des lateinischen Nikodemusevangeliums zurückgeht, in der Pilatus - allerdings gegenüber den ursprünglichen Trägern, die sich selbst als pagani bezeichnen (Kap. I,5), - eine entsprechende Drohung ausspricht (Kap. I,6; vgl. dazu Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 133 f., Anm. 22). 74 Der Zeichencharakter der Fahnen ist in der Weltchronik deutlicher als im Evangelium Nicodemi (vv. 846 f.). 75 Für das historische Interesse der Weltchronik bezeichnend ist es, dass Herodes (sc. Herodes Antipas) korrekt als Sohn dessen, der die Kinder habe töten lassen (Herodes der Große), vorgestellt wird (vv. 6,1681 f.). 76 Der Vers ist abgeändert aus v. 1341 in Christi Hort , in dem gesagt wird, dass Herodes dem römischen Kaiser untertan ist. 77 S. dazu o. S. 129 f. 286 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Angesichts der Kleinteiligkeit der Veränderungen ist es schwierig, eine übergreifende Schwerpunktsetzung abzuleiten. Aber die bereits beschriebenen Techniken der Präzisierung (,Gerichtsfahnen‘) oder Beseitigung von Unklarheiten (,Untertanenstatus des Pilatus‘) haben einen gewissen repräsentativen Wert. So wird zum Beispiel auch verdeutlichend gesagt, dass ,die Juden‘ nicht / recht gerichtzeit (vv. 6,822 f.) hätten abwarten können, während an der entsprechenden Stelle in Diu urstende (vv. 260 f.) nur von der rehten zît die Rede ist. Außerdem sind Bemühungen um Kohärenz zu beobachten, wenn es etwa zu Beginn des Prozesses heißt, dass die jüdischen Priester außerhalb der Schranken geblieben seien, weil sie für das ,Osterfest‘ hätten rein bleiben wollen (vv. 6,859-861). Die Stelle dürfte eine Umsetzung von Io 18,28 sein, wonach ,die Juden‘ außerhalb des Prätoriums bleiben, um das Passahlamm essen zu können. 78 Es ist kohärenzstiftend, dass die Lokalität des Gerichts hier - wie in der übrigen Erzählung - an zeitgenössische Vorstellungen angepasst ist. Da, anders als im Johannesevangelium , präzisiert ist, dass es nur die Priester sind, die draußen bleiben, erscheint es außerdem nicht unlogisch, dass später (in Anlehnung an Christi Hort , vv. 1817-1826) erzählt wird, ,die Juden‘ hätten den abgeschrankten Bereich verlassen (vv. 6,1810-1819). Unklarheiten im Handlungsverlauf sind nicht nur vermieden, sondern auch beseitigt worden: So wurde die letztlich auf das lateinische Nikodemusevangelium zurückgehende Szene im Evangelium Nicodemi (vv. 1018-1034), in der Pilatus sich mit den zwölf Jesus wohlgesonnenen Juden bespricht, offenbar für erklärungsbedürftig befunden, denn in der Weltchronik kündigt Pilatus an, es sei nun die Zeit gekommen, dass er sich beraten wolle, bevor er ,die Juden‘ vom dinkstu ͤ l (vgl. stule im Evangelium Nicodemi , v. 1019) wegtreten lässt und die zwölf bei sich behält (vv. 6,1484-1491). Nach der Unterredung mit den zwölf Männern wird im Evangelium Nicodemi (v. 1035) nur gesagt, dass sich Pilatus wieder an alle gewendet habe. In der Weltchronik heißt es dagegen: Pilatus an dem wort plikt nider und hiez si wider herfur cho ͤ men. Jesum hiet er in gern benomen. (vv. 6,1510-1512) Hier ist die Lücke im Handlungsverlauf ausgefüllt. 79 Überhaupt ist die Passage inhaltlich signifikant umgestaltet: Zu ihrer Erklärung, dass ,die Juden‘ Jesus gram seien, weil er die Sabbatruhe gebrochen habe (vv. 6,1497-1499; vgl. Evangelium Nicodemi , vv. 1027-1029), fügen die zwölf zur Erläuterung des Konflikts hinzu, dass ,die Juden‘ Jesus nicht als Messias erkennten, obwohl er die Wunder tue, die die Propheten vorausgesagt hätten, und dass sie ihn schlecht behandelten, weil er sie gestraft habe (vv. 6,1501-1509). Pilatus fragt darauf ,die Juden‘, warum sie Jesus nicht für die göttlichen Wunder ( go ͤ etleichiu zaichen ) lobten (vv. 6,1513-1516). 80 Empört über ihr zuchtloses und unschlüssiges Verhalten weist Pilatus dann ,den Juden‘ alle die schuld die an im [sc. Jesus] wirt begangen zu, die sie nach dessen 78 In der Ausgabe ist für v. 6,859 Christi Hort (v. 1817) als Vergleichstext angegeben; dort steht aber, dass ,die Juden‘ die Gerichtsschranken verlassen. 79 Nach dem Evangelium Nicodemi verurteilt Pilatus im Rahmen seiner Unterredung mit den zwölf Zeugen die Behandlung Jesu durch ,die Juden‘ moralisch (vv. 1033 f.) und beschwört im Anschluss an diese Unterredung vor allen ‚Juden‘ bei den Gestirnen, dass er keine Schuld an Jesus finde (vv. 1036-1044). 80 Vgl. dazu Evangelium Nicodemi , v. 865: „Ir juden nu lobet diz zeichen, […] “ . 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 287 Tod teuer zu stehen kommen werde (vv. 6,1517-1523). Pilatus ist hier eine Betrachtungsweise in den Mund gelegt, die über das Wissen, das er als Figur haben kann, hinausreicht. 81 Der als Meinung der zwölf Zeugen formulierte Vorwurf, dass ,die Juden‘ den Propheten keinen Glauben schenken wollten, wird in einem Exkurs des Erzählers (vv. 6,1548-1590) dazu wieder aufgenommen, dass viele Juden in Tränen ausbrechen, als andere das Martyrium Jesu fordern (vv. 6,1529-1547). Der Erzähler führt zwar aus, dass den weinenden Juden ihr Gewissen gesagt habe, Jesus sei der Messias, von dem sie in den Büchern gelesen hätten (vv. 6,1555-1560), kritisiert dann aber global, dass ,alle Juden‘ zu seiner Zeit den Propheten nicht glauben wollten (vv. 6,1561-1590). Da Pilatus nicht - wie in anderen Versionen - das Weinen als Willensäußerung bei seinen richterlichen Entscheidungen berücksichtigt, ist das rechtliche Potenzial des Motivs hier nicht ausgeschöpft. Der Erzähler erläutert lediglich, dass die Weinenden durch ihre Tränen zum Ausdruck bringen, dass es ihnen leid tue, dass Jesus vor ihren Augen unschuldig leide (vv. 6,1548-1551). Jedoch scheinen sie sich dadurch von Schuld zu befreien, denn der Erzähler führt weiter aus: mit in heten si nicht pflicht an den schulden, die si begingen fu ͤ rbaz. (vv. 6,1552 f.) in (v. 6,1552) und si (v. 6,1553) haben keinen klaren Bezug; es müssen aber wohl diejenigen Juden gemeint sein, die aus Hass aktiv an der Verurteilung Jesu mitwirken. Zusammen mit der vorher diskutierten Szene zeigt der Exkurs, dass in H1 hinsichtlich der Schuldfrage mit gegenüber den Kerntexten abweichenden Schwerpunktsetzungen zu rechnen ist. 82 Vor diesem Hintergrund sei nun untersucht, wie es überhaupt zu der Verurteilung Jesu kommt, ohne dass die komplexe Schilderung vom Ablauf des Prozesses hier im Einzelnen nachvollzogen werden kann. Genetisch betrachtet folgt die Prozesshandlung nach dem Fahnenwunder zunächst Christi Hort (vv. 6,1043-1071: Traum der Frau des Pilatus, Unterredung des Pilatus mit Jesus), dann schließt sich ein großer Textblock aus Diu urstende an (vv. 6,1072-1444: Aussagen des Nikodemus und der Geheilten bis zur Tumultszene). 83 Nach einem durch eine Überleitung (vv. 6,1445-1451) angeschlossenen Einschub aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 6,1452-1500: neue Anschuldigungen und Unterredung des Pilatus mit den zwölf Jesus wohlgesonnenen Juden) und der bereits besprochenen selbstständigen Ausgestaltung (vv. 6,1501-1528) orientiert sich der Prozessablauf im Wesentlichen an Christi Hort (vv. 6,1529-1891), 84 bevor der Schluss des Prozesses nach dem Marienleben Bruder Philipps erzählt wird (vv. 6,1892-1955). 85 81 Die spätere Bestrafung ,der Juden‘ wird hier bereits angedeutet. 82 Für den Exkurs ist bisher kein Vorlagentext identifiziert worden, er findet sich aber mit leichten Modifikationen in den Sentlinger-Redaktionen (H9, fol. 254rb, Z. 1-37, vgl. den Apparat zur Stelle; H12, fol. 184va, Z. 44 - fol. 184vb, Z. 44), könnte also Bestandteil der Passionskompilation gewesen sein. Nur der erste Vers (v. 6,1548) entspricht einem Vers in Christi Hort (v. 1628). Möglicherweise ist der Exkurs durch die vorhergehende, Christi Hort (vv. 1609-1627) folgende Szene angeregt, in der Jesus gegenüber Pilatus von den alttestamentarischen Prophezeiungen seines Martyriums spricht und ,die Juden‘ daraufhin von Pilatus fordern, er solle ihnen dementsprechend zu ihrem Recht verhelfen und über Jesus richten. In dieser Szene geht es aber nicht darum, dass ,die Juden‘ den Prophezeiungen nicht glauben, sondern darum, dass sie sie zu wörtlich nehmen und nicht verstehen (s. dazu o. S. 131). 83 Diese Elemente sind in Christi Hort sehr summarisch gehalten (vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 238, in Bezug auf die Passionskompilation ). 84 Eingefügt ist der Exkurs zum Weinen etlicher Juden (vv. 6,1548-1590). Ein großer Teil der Herodes-Episode (vv. 6,1723-1744) basiert auf Christi Leiden in einer Vision geschaut (69,35-70,6). 85 Vgl. Hoffmann 2000, S. 217. 288 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Bereits bei diesem äußerlichen Zugang zum Aufbau der Prozesshandlung wird erkennbar, dass es mehrere erzählerische Anläufe gibt, die Prozesshandlung abzuschließen, denn die Tumultszene markiert in Diu urstende (vv. 724-749) das Ende des Prozesses. Die Weltchronik folgt zunächst deren Text (vv. 6,1426-1444): ,Die Juden‘ werden mit Hunden verglichen, die mit Schweinen kämpfen, bevor erzählt wird, wie sie - unter Drohungen gegen die Unterstützer Jesu - in den abgeschrankten Bereich eindringen. Statt der dort anschließenden Quellenberufung und dem ängstlichen Nachgeben des Pilatus ( Diu urstende , vv. 743-749) wendet sich der Weltchronik -Text jedoch der Reaktion von Kaiphas und Annas zu: die Juden fu ͤ rsten, Annas und Caiphaz, die horten wol wie der Juden pracht waz. si vorichten daz si 86 in allen gahen, do si ir gepaerd so u ͤ bel sahen, schuldig wu ͤ rden vor Pilaten umb ir schrein, daz si taten, umb ir greinen und grisgramen. si sprachen: ‘man sol den zwelif namen gelauben waz si sprechen. […] ’ (vv. 6,1445-1453) Erklären ließe sich der erzählerische Umschwung erneut genetisch, denn die Verse 6,1445-1451 bilden eine Überleitung dazu, dass Kaiphas und Annas die Aussage der zwölf als wahr anerkennen, wie es im Evangelium Nicodemi (vv. 1004 f.) erzählt wird. 87 Interessanter ist aber die inhaltliche Umdeutung der Pilatus-Figur: Er ist kein ängstlicher Richter, sondern offensichtlich als eine Respektsperson konzipiert. Entsprechend fürchten die Hohepriester, dass ,die Juden‘ durch den mit ihrem Tumult angezeigten Bruch des Gerichtsfriedens vor Pilatus schuldig werden. Sie erkennen deshalb das Zeugnis der zwölf zwar formell an, erneuern aber sofort ihre Anklage, indem sie (als ersten Vorwurf) Jesus als betrügerischen Zauberer beschuldigen und darauf verweisen, dass die Menge den Zeugen nicht glaubt, womit sie insinuieren, dass Jesus bei der Aussage der zwölf ihm wohlgesonnenen Juden Zauberei zum Einsatz gebracht haben könnte (vv. 6,1454-1464). Pilatus reagiert darauf mit seiner ganzen Autorität und bezichtigt die Ankläger der Lüge (vv. 6,1465-1467). Die Szene steht in H1 nicht für sich: Wie bereits erwähnt, ist die Scheltrede des Pilatus aus Diu urstende (vv. 493-519) aufgenommen worden, in der er richtiges Verhalten vor Gericht einfordert und ,die Juden‘ für ihre Drohungen gegenüber Nikodemus tadelt (vv. 6,1141-1167). Sie zeigt leichte Erweiterungen und Präzisierungen, wenn sich Pilatus nicht nur gegen Drohungen vor Gericht wendet (v. 6,1148; vgl. Diu urstende , v. 499), sondern auch fordert, niemand solle u ͤ bel reden (v. 6,1147), oder wenn er sagt, dass ‚die Juden‘ Nikodemus, wenn er die verheißenen Zeugen beibringen könne, nicht mit recht das Leben nehmen dürften (vv. 6,1149-1153). 88 Bezeichnenderweise wird an dieser Stelle in H1 auch schon 86 si fehlt in H1. 87 H9, fol. 253vc, Z. 2, liest in v. 6,1452 (wie das Evangelium Nicodemi ) mannen , aber auch namen ergibt - metonymisch verstanden - einen Sinn. Bei dieser Lesart wird noch einmal betont, dass es sich um namentlich genannte Gewährsleute handelt. 88 Vgl. dagegen Diu urstende , vv. 504 f.: sô wæne ich irn muget im niht / den lîp an gewinnen . 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 289 das Lärmen ,der Juden‘ als ein Punkt des Anstoßes für Pilatus hervorgehoben. 89 Nach der Aussage des für Jesus eintretenden heidnischen Zeugen (vv. 6,1182-1232) sind dann Zusatzverse eingefügt, in denen erneut die Autorität des Richters thematisiert ist: die Juden in an sahen mit grimm. si getorsten im irr unminn offenwar erzaigen vor dem richter. gegen im waz doch ir herrcz swa ͤ r. (vv. 6,1233-1236) Zwar setzen sich ,die Juden‘ nach dem Text von H1 darüber hinweg, aber es wird präsent gehalten, dass bei Aggressionen gegen Zeugen eigentlich richterliche Sanktionen zu befürchten sind. 90 Nach dem Text von H1 wird Pilatus erst aktiv, als der nächste jüdische Zeuge Pilatus bittet, ir chredem (also das Lärmen ,der Juden‘) zu beenden (vv. 6,1237-1240). Hier zeigt sich dann die Wirksamkeit des Schweigegebots, das Pilatus vom Schergen aussprechen lässt (vv. 6,1241-1252). Insgesamt überwiegt die Gestaltung des Pilatus als richterliche Autoritätsfigur, sodass die Alternative, Pilatus habe aus Angst vor den bei der Verhandlung anwesenden , Juden‘ ihnen nachgegeben, in der Tumultszene konsequenterweise nicht entfaltet wird. 91 Das nächste Beinahe-Ende des Prozesses wird nach Christi Hort (vv. 1655-1722) erzählt: Pilatus, der die Göttlichkeit Jesu erahnt, kritisiert unter Berufung auf Beispiele aus dem Alten Testament die Verstocktheit ,der Juden‘, gibt zu erkennen, dass er ihre Drohungen, er wäre bei einem Freispruch Jesu nicht mehr der Freund des Kaisers, als List durchschaut habe, und will zornig die Schranken verlassen. Nachdem ‚die Juden‘ aber erklärt haben, dass Jesus der sei, den Herodes einst gesucht habe, sitzt er wieder zu Gericht und erfragt ein Urteil über Jesus, das er dann jedoch nicht ausgibt (vv. 6,1591-1660). Dass er Jesus anschließend zu Herodes schickt (vv. 6,1702-1705), wird in H1 indirekt dadurch plausibilisiert, dass Pilatus Herodes untertan ist. Auch der auf die Herodes-Episode folgende Anlauf zu einer Verurteilung entspricht dem in Christi Hort erzählten Hergang der Ereignisse (vv. 1751-1894): Pilatus setzt sich noch einmal zur Gerichtsverhandlung nieder (v. 6,1747), ‚verhört‘ Jesus, geht zu ‚den Juden‘, um mit ihnen zu unterhandeln (vv. 6,1772 f.), kehrt zu Jesus zurück, um ihn erneut zu ‚verhören‘ (vv. 6,1789 f.), während ‚die Juden‘ sich aus dem abgeschrankten Bereich entfernen (vv. 6,1810 f.), geht danach zu ‚den Juden‘ her auz (v. 6,1844) und fragt sie wiederum nach einem Urteil (vv. 6,1869 f.). Nach deren Todesurteil, das er missbilligt, entfernt er sich von ‚den Juden‘ und lässt Jesus geißeln (vv. 6,1874-1887). Auf die Aussage des Pilatus, dass es für ,die Juden‘ eine Schande sei, wenn er ihren König kreuzigen ließe (vv. 6,1871 f.; vgl. Christi Hort , vv. 1878 f.), folgt der enigmatische Vers aus Christi Hort ( da beginnet diu rede sich spreucen , v. 1880), in ein Vergangenheitstempus transponiert: do begund sich die red sprau ͤ czen (v. 6,1873). Aus der selbstreflexiven Erzählerbemerkung in Christi Hort 92 ist durch die Anpassung an das Erzähltempus ein Vers geworden, der wohl - trotz des Fehlens einer 89 Vgl. Diu urstende (vv. 508 f.): daz gerihte hie nieman brichet / mit übeler urteil wan ir. vs. H1 (vv. 6,1156 f.): daz gericht nieman zerprichet / mit u ͤ berigem gepraecht, niur ir. 90 H9, fol. 253ra, Z. 47 liest in v. 6,1235 Nicht erzaigen . Diese Lesart passt besser zu dem doch in v. 6,1236. 91 Zum Erzählen mit abgewiesenen Alternativen vgl. (in Bezug auf das Nibelungenlied ) Strohschneider 1997. 92 S. dazu o. S. 117 f. 290 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen direkten pronominalen Zuordnung - auf die Worte des Pilatus zu beziehen sein dürfte, ohne dass die inhaltliche Wendung, die seine Rede nimmt, angegeben wäre. In Christi Hort markiert der Vers das Ende des Prozesses; auf die von Pilatus angeordnete Geißelung folgt direkt die Kreuzigung. Dass in der Weltchronik eine andere narrative Lösung gefunden wurde (nach der Geißelung noch einmal ein Versuch des Pilatus, die Juden umzustimmen; vv. 6,1914-1923), könnte darauf hindeuten, dass ein Motivationsdefizit gesehen wurde. In H1 wechselt nach der Geißelungsszene die Vorlage zum Marienleben (vv. 6860-6975): 93 Es folgen die Verspottung mit Dornenkrönung, Ecce homo und eine erneute Kreuzigungsforderung ,der Juden‘, die Pilatus mit dem Kaiser drohen, was ihn in Furcht versetzt. Er reagiert darauf aber mit der Handwaschung, der ,die Juden‘ den Blutruf entgegensetzen (vv. 6,1892-1945). Darauf heißt es, wiederum basierend auf dem Marienleben (vv. 6976-6985), dass Pilatus über Jesus kein ,Urteil geben‘ wollte - es ist also der (üblicherweise erfolgende) Schritt nach der Urteilsfindung explizit angesprochen: 94 Pilatus wolt da lazzen leben Jesum und wolt nicht urtail geben u ͤ ber in, dar umb die Juden grozzes gu ͤ t Pilato puten, daz er Jesum nicht liezz leben und hiezz in an [H9, fol. 255vb, Z. 52] ein chrau ͤ cz heben. geschehen der Juden will da waz. Pilatus hiez Jesum durch daz mit urtail an ein chrauicz hahen und mit negeln dar an slahen. (vv. 6,1946-1955) Mit der Bestechlichkeit, also einer klassischen Richter-Sünde, ist eine plausible Erklärung für den Verhaltensumschwung des Pilatus gegeben. 95 Auch das formale Defizit des Prozessgeschehens der anderen Vorlagentexte ist ausgeglichen, indem Jesus mit urtail gekreuzigt wird. 96 Insgesamt lässt die Gestaltung des Prozesses in H1 eine spezifische Auseinandersetzung mit den durch das Verfahren gegen Jesus aufgeworfenen Rechtsfragen erkennen (die wahrscheinlich schon auf die Passionskompilation zurückzuführen ist): Durch Präzisierungen, erläuternde Zusatzverse und Neukombination der Ausgangstexte wird das Geschehen mit einer starken, aber korrupten Richterfigur neu interpretiert. Dabei sind verfahrensrechtliche Elemente aus den Vorlagentexten aufgenommen, aber nicht inhaltlich umgestaltet 93 Bruder Philipps Marienleben wird nach der Ausgabe von Rückert 1853 zitiert. S. dazu u. S. 314, Anm. 195. 94 Im Marienleben wird allerdings keine Urteilsfrage gestellt. 95 Zu Pilatus als bestechlichem Richter in den auf der Vita beate virginis Marie et salvatoris rhythmica (im Folgenden: Vita rhythmica ) fußenden Marienleben vgl. Scheidgen 2002, S. 255-260. Er sieht in dem Rückgriff auf den Typus des bestechlichen Richters zugleich einen Umschwung von „legendenhaftemotionalem“ zu „moralisch-exemplarischem Erzählen“ (ebd., S. 260). „Zweideutigkeit und innerer Widerspruch ist dem typisierenden Menschenbild heilsgeschichtlich-biblischer Deutung nicht integrierbar“ (ebd., S. 260). In den Kerntexten ist jedoch auch in Pilatus als einem „engagierten Verteidiger und Zeugen für Jesu Unschuld“ (ebd., S. 260) ein Typus zu sehen, und zwar der des guten Richters. 96 Nicht nur das schleichende Ende der Verhandlung in Christi Hort , auch das wenig motivierte Prozessende im Evangelium Nicodemi forderte offenbar geradezu zu einer Vereindeutigung auf. S. dazu auch u. Kap. 6.2.2. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 291 worden. 97 Das gilt ebenso für die Verfahren bei der Befragung von Zeugen vor dem Hohen Rat, die in H15 im Anschluss an das Pfingstgeschehen geschildert werden (vv. 10,149-830). Der Weltchronik -Text folgt in dieser Passage über weite Strecken sehr genau Christi Hort , übernimmt damit auch die dort geschilderten Mechanismen der Wahrheitssicherung. 98 Doch sind die einleitenden Verse (vv. 10,709-718) zum (schriftlichen) Bericht der Simeonsöhne an Diu urstende (vv. 1677-1685) angelehnt, nicht an Christi Hort (vv. 3601-3612), sodass das in Christi Hort zentrale Motiv, dass die beiden voneinander getrennt werden, nicht präsent ist. 99 Die Beschreibung der positiven Reaktion des Pilatus auf die Schreiben ( die prief ) der Simeonsöhne, die ihm Joseph und Nikodemus übermitteln, folgt wiederum Christi Hort (vv. 10,819-830): Zwar sendet Pilatus die Schreiben, anders als in Christi Hort (vv. 3885-3905), nicht nach Rom, aber er lässt sie sich immer wieder vorlesen und bekennt sich gegenüber Joseph und Nikodemus zu einem ehrenhaften Leben. 100 Dem steht in der Fortsetzung nach H15 wiederum das negative Pilatusbild der Legende (Kap. 12) gegenüber, dessen Ausgestaltung die rechtlichen Dimensionen des Prozesses gegen Jesus noch einmal in den Blick kommen lässt. 101 In der Pilatus-Veronika-Legende von H15 wird gleich zweimal über die Schuld des Pilatus verhandelt, einmal - dem Evangelium Nicodemi (vv. 4290-4390) folgend - bei seiner Gefangennahme (vv. 12,746-842), 102 das zweite Mal im Rahmen des - an Christi Hort (vv. 5163-5294) angelehnten - Berichtes vom Prozess vor Tiberius (vv. 12,1487-1634). Die Prozessszene zeigt inhaltlich insofern Unterschiede zu der in Christi Hort , als die Integration der Episode von Christi Rock (vv. 12,1531-1572) 103 bedeutet, dass Pilatus als Angeklagter in Christi Rock vor den Kaiser gebracht werden muss (v. 12,1531), sodass der Rock unmittelbar auf den Kaiser wirken kann. 104 Wie in Christi Hort bekommt Pilatus jedoch keine Gelegenheit zur verbalen Verteidigung. Stattdessen wird von weiteren Vorwürfen gegen ihn erzählt, die ,die Juden‘ dem Kaiser schriftlich mitgeteilt hätten (vv. 12,1561-1568), u. a., dass er etliche Personen unschuldig 97 Allenfalls wurden Erklärungen hinzugefügt, so wie bei der Szene, in der sich Pilatus mit den zwölf Zeugen berät (s. dazu o. S. 286). 98 Der Bericht Josephs von Arimathia (vv. 10,437-496) ist leicht, derjenige der Simeonsöhne (vv. 10,719-776) stark gekürzt; wahrscheinlich erklärt sich die Textgestalt durch die Übernahme aus einer Fassung, bei der die Inhalte - wie in H1 (Kap. 7) - jeweils bereits vom Erzähler übermittelt worden waren. Zur Doppelung vgl. Hoffmann 2000, S. 220; 222 f. 99 Es wird allerdings gesagt, dass ,die Juden‘ anwesend geblieben seien, während die Simeonsöhne die Berichte geschrieben hätten (vv. 10,716 f.; vgl. Diu urstende , vv. 1684 f.), wodurch eine Beobachtungssituation angedeutet ist. 100 Zum genauen Wortlaut der Stelle in H15 und den dort anschließenden Überleitungsversen vgl. den Apparat der Ausgabe (Shaw / Fournier / Gärtner 2008). 101 Die Pilatus-Veronika-Legende folgt in H15 nach einem deutlich als ein anderer Erzählstrang markierten Abschnitt aus Bruder Philipps Marienleben (vv. 8344-10 085), der sich mit Mariens vorbildlichem Leben nach Jesu Himmelfahrt, ihrem Tod und ihrer Aufnahme in den Himmel befasst (vgl. erneut den Apparat zu vv. 10,829 f. in Shaw / Fournier / Gärtner 2008). 102 Die aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 4326-4345) übernommenen Vorwürfe Simeons (in Reaktion auf die Unschuldsbeteuerungen des Pilatus), Pilatus habe die Geißelung angeordnet und er habe doch ausdrücklich gesagt, dass er die Macht habe, über Leben und Tod Jesu zu entscheiden (vv. 12,774-792), dürften auch nach der Prozessschilderung in H15 plausibel gewesen sein, die sich an das Marienleben anschließt, denn zumindest der Ausgabentext bietet entsprechende Szenen (vv. 6824-6860; 6924-6937). 103 Vgl. dazu Legenda aurea (cap. 53,233 f. [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 730, Z. 2-19] = M., 51,235-244), so auch Gichtel 1937, S. 166 f.; Shaw / Fournier / Gärtner 2008 im Apparat zu vv. 12,1531-1572. 104 Durch göttliche Eingebung durchschaut es Tiberius aber dann, dass seine positive Wahrnehmung von Pilatus allein Christi Rock zuzuschreiben ist, den Pilatus angelegt hat (vv. 12,1549-1560). 292 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen hingerichtet, Götzenbilder im Tempel aufgestellt und Tempelgelder veruntreut habe. 105 Diese Vorwürfe erzürnen zwar den Kaiser und die Fürsten (vv. 12,1569 f.), sind aber prozesstechnisch nicht relevant. Vom Ablauf her orientiert sich der Prozess genau an den in Christi Hort geschilderten Handlungsschritten (Urteilsfrage, Urteilsvorschlag, Folgen des Urteils, Bitte um Beratungsfrist über die Todesart). Deutlicher als in Christi Hort ist das Gericht aber als Fürstengericht charakterisiert; denn als Tiberius fragt, wie er mit Pilatus verfahren solle, erteilt ihm Vespasian folgenden Rat: ‘du solt an daz gericht siczen und uber den morder mit wiczen richten nach deiner fursten urtail. es sol im chomen czu unhail.’ (vv. 12,1511-1514) 106 Die Verse präzisieren die Kompetenzverteilung, wie sie in Christi Hort performativ zum Ausdruck gebracht wird: Die Fürsten urteilen, und der Kaiser richtet - mit Verstand. 107 Auch hier wird das in der Quelle vorgefundene Verfahren affirmiert. Das zeigt sich ebenso an dem hinzugefügten Kommentar dazu, dass die Beratung der Fürsten, welche Todesart die schändlichste sei, überflüssig geworden ist: In vv. 12,1668-1670 wird ausdrücklich gesagt, dass der Fürstenrat sich auflöst, weil Pilatus ohnehin den allerschändlichsten Tod gestorben sei. Damit wird noch einmal bekräftigt, dass es Aufgabe des Fürstenrats war, die Todesart festzulegen. Die Verse entstammen einer Passage (ab v. 12,1663), in der die Erzählungen von Geschehnissen um Tiberius wieder aufgenommen werden, nachdem von den Schwierigkeiten berichtet worden ist, die sich bei der Beseitigung der Leiche des Pilatus ergeben haben (vv. 12,1635-1662). 108 Der H15-Text zeigt hier eine eigene Bewertung des Selbstmordes des Pilatus, indem er die Verfluchtheit der Leiche als gotes gericht (v. 12,1665) interpretiert. Dass in diesen Zusatzversen überhaupt Gott als Rechtsinstanz in den Blick genommen wird, berechtigt zu der Frage, ob auch eine Auseinandersetzung mit dem im Evangelium Nicodemi erkennbaren Konzept des göttlichen Rechts auszumachen ist. Was den Textbestand angeht, so finden sich die Exkurse des Erzählers aus dem Evangelium Nicodemi im Text von H15 nicht wieder, die Bekehrungsrede Adrians an Vespasian ist aber übernommen worden (vv. 12,239-463). Damit ist auch die Heilsökonomie des Evangelium Nicodemi präsent. Anders 105 Die Vorwürfe gehen im Kern offenbar auf Schriften von Philon von Alexandria und Flavius Josephus zurück (zu den entsprechenden Textstellen und dem darin vermittelten Pilatus-Bild vgl. Feldman 1984, S. 817 f.; Bond 1998, S. 24-93; Demandt 1999, S. 80-92; 2012, S. 45-65; Scheidgen 2002, S. 21-25). Vgl. auch den Kommentar (Maggioni 2007) zur Legenda aurea (cap. 53,234 [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 732, Z. 14-18] = M., 51,258), in die der Vorwurf von den Götzenbildern im Tempel ebenfalls aufgenommen ist. 106 In Christi Hort rät Vespasian, dass man Pilatus gefangen nehmen und nach Rom bringen solle, was dann auch in die Tat umgesetzt wird (vv. 5185-5221). An der entsprechenden Stelle waren bei der Textfassung von H15 Umgestaltungen nötig, weil die Gefangennahme schon nach dem Evangelium Nicodemi erzählt worden ist. 107 S. dazu o. S. 120-122; 210 f. 108 Dieser Teil der Pilatuslegende ist in mehreren Varianten überliefert, u. a. der Historia apocrypha (vgl. Knape 1985, Z. 185-200) und - darauf aufbauend - der Legenda aurea (cap. 53,234 [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 730, Z. 23 - S. 732, Z. 11] = M., 51,249-255; vgl. dazu Shaw / Fournier / Gärtner 2008 im Apparat zur Stelle; Hammer 2015, S. 339). Als direkte Vorlage haben Gichtel (1937, S. 167, Anm. 7) und Shaw / Fournier / Gärtner die Flores temporum (26) identifiziert (vgl. die Edition von Meuschen 1750). 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 293 als im Evangelium Nicodemi ordnet sich die Rede Adrians aber nicht in ein übergreifendes Gesamtkonzept ein. So ist etwa die Engführung von ,Gott‘ und ,Recht‘ in der Weltchronik aufgegeben, wie an der Beschimpfung des Pilatus bei seiner Gefangennahme deutlich wird: Pilatus wird dort zwar - wie im Evangelium Nicodemi ( „O du gotes widerwarte, / verchviant des rehten, / uz menschen geslehten / vorworfen und vorwazen ! / […] “ , vv. 4348-4351) - als gotes widerwart bezeichnet (v. 12,796), aber dann nicht analog ,Feind des rehten ‘ genannt, sondern die Beschimpfungen werden in anderer Form weitergeführt, indem (der als hunt diffamierte) 109 Pilatus aufgefordert wird, die rechten Gesetze zu beachten ( ‘ […] / du vergich, du hunt, der rechten phachten, / auz menschleichem achten / der verworffen und der verwazzen! / […] ’ , vv. 12,797-799). 110 Indirekt ergibt sich zwar auch so eine Parallelität zwischen der Feindschaft zu Gott und Pilatus’ tatsächlicher Missachtung der ‚Gesetze‘, aber das Gewicht liegt jetzt deutlicher auf der Beschimpfung des Pilatus, dessen Vergehen darin besteht, sich nicht an die Regeln 111 gehalten zu haben. ,Das Rechte‘ als Abstraktum, das eine globale Vorstellung des Richtigen umfasst, ist also in der Weltchronik konkretisiert worden, 112 sodass sich der Tadel auf die tatsächliche Rechtsübertretung durch Pilatus, nämlich die Annahme von Bestechungsgeld, zurückbeziehen lässt. Für den Themenkomplex des göttlichen Rechts ist außerdem - wie beim Verfahrensrecht - zu beobachten, dass schwierige Stellen der Vorlagentexte vereindeutigt werden: In H1 findet sich eine an der Zweischwerterlehre des Evangelium Nicodemi (vv. 532-556) orientierte Passage (vv. 6,283-296). Während im Evangelium Nicodemi gesagt wird, dass das (zweischneidige) geistliche Schwert Johannes zuzuordnen sei, der nicht damit geschlagen habe, und das geistliche Schwert wohl auf das Jüngste Gericht zu beziehen ist, 113 wird in H1 das geistliche Schwert mit dem Schwert, das das Ohr abgehauen habe, identifiziert, also mit dem Schwert des Petrus (vgl. vv. 6,497-502). Die Aufgabenverteilung zwischen den Schwertern wird, wie folgt, beschrieben: ains slecht die gewaltigen tumben, so slecht daz ander die chrummen an der sel; waz von got chert, und ditcz swert versert. 109 Die Beschimpfung als hunt könnte aus der Lesart Verchhunt (statt verchviant ) entwickelt worden sein, wie sie für diesen Vers des Evangelium Nicodemi in der Görlitzer Handschrift belegt ist (vgl. den Apparat zu v. 12,797 in Shaw / Fournier / Gärtner 2008). 110 Shaw / Fournier / Gärtner (2008, im Wortverzeichnis, S. 589, s. v. verjëhen ) übersetzen du vergich […] der rechten phachten mit „erkenne die rechten Gesetze an“. 111 Zum Bedeutungsspektrum von phahte zählt „(kaiserliches) recht, gesetz“ (vgl. L exer , s. v.), auch das geschriebene Recht (vgl. BMZ, s. v. phaht ; vgl. dazu Schulz 1998, S. 48, Anm. 5). 112 Auch im Folgenden ist der Text des Evangelium Nicodemi abgewandelt: Während Pilatus dort (vv. 4350 f.) als aus dem Menschengeschlecht Verstoßener und Verfluchter angesprochen ist, wird er in der Weltchronik als ein ,nach menschlichem Erwägen‘ Verstoßener und Verfluchter adressiert, sodass ein irdischer Beurteilungsmaßstab explizit wird. Das ist ebenso in H12 der Fall, wo achten offenbar nicht wie in H15 als substantivierter Infinitiv, sondern als Dativ Plural des starken Femininums ahte aufgefasst wurde: du gotez wider wartt / Du hunt vergich der rechten pfachten / auz menschleichen achten / Du verworffener vnd verwazzen (fol. 213rb, Z. 26-29; entsprechend H9, fol. 267ra, Z. 14-17). In Die Neue Ee hat eine erneute Umdeutung stattgefunden: O du gotes widerwartiger, o du hund und vergiftiger [ vergichtiger , M 2 ] auss menschlicher art! (Kap. XLVII; vgl. Vollmer 1929, S. 158, Z. 1 f.). 113 Vgl. dazu Manuwald 2014, S. 679. 294 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen die fra ͤ venlich wider got ringen die sol daz werlich 114 swert twingen. (vv. 6,291-296) Die Aktion des Petrus verdeutlicht, dass das geistliche Schwert bereits auf Erden aktiv werden soll. 115 Die unorthodoxe Auffassung der Zweischwerterlehre des Evangelium Nicodemi ist in der Weltchronik in traditionelle Vorstellungen überführt worden, nach denen dem Papst das geistliche Schwert zukommt, auf den durch die Petrus-Figur indirekt verwiesen wird. Die Hierarchie der beiden Schwerter wird in der Weltchronik nicht explizit gemacht, allerdings ist die Funktion des weltlichen Schwerts - anders als im Evangelium Nicodemi (vv. 538-540), nach dem mit dem weltlichen Schwert auch die Verletzung des rehten geahndet werden soll - auf das Beschirmen von Pfaffen, Witwen und Waisen eingeschränkt (vv. 6,286-288; vgl. Evangelium Nicodemi , vv. 541-543). Damit positioniert sich die Weltchronik in der Frage der Verteilung der Macht auf Erden. 116 Die im Evangelium Nicodemi entworfene komplexe Verbindung von Recht auf Erden und göttlichem Richten wird nicht in den Blick genommen. Gegenüber den Vorlagentexten zeigt sich in H1 und H15 insgesamt das Bemühen um eine Plausibilisierung der historischen Umstände, für die innerweltliche Erklärungen gegeben werden. Außerdem lässt sich beobachten, dass bei den Schilderungen der Gerichtsverhandlung kleine handlungslogische Lücken geschlossen worden sind. 117 Umso mehr muss darum gerungen werden, die Gerichtsverhandlung gegen Jesus zu einem Abschluss zu bringen. Mit der Übernahme des Bestechungsmotivs aus Bruder Philipps Marienleben ist der Gerichtsverhandlung dann ein innerweltlich plausibles, aber heilsgeschichtlich wenig spezifisches Ende verliehen. 6.1.3 Die Weltchronik nach H12 (Heinz Sentlinger 1399) Für die Rezeption der Kerntexte sind die Sentlinger-Redaktionen 118 der Weltchronik eine aufschlussreiche Quelle, weil sie sowohl im Passionsteil als auch für die Ereignisse nach Jesu Tod (Höllenfahrt, Auferstehung, Zeugenbefragung, Pilatus-Veronika-Legende, Zer- 114 Die Herausgeber haben hier, der Lesart von H9, fol. 250rb, Z. 28, folgend, wer lt l e ich in den Text gesetzt. Zwar ist im Evangelium Nicodemi an der entsprechenden Stelle das weltliche Schwert gemeint, nach der Logik des Textes von H1 muss es aber das geistliche sein, und auch die grammatikalischen Bezüge sprechen für dieses Verständnis, denn ditcz swert (v. 6,294) bezieht sich zurück auf das Schwert, das die chrummen / an der sel (vv. 6,292 f.) schlägt, also wohl kaum das weltliche Schwert. 115 Dieser Bedeutung des geistlichen Schwerts entsprechend erfolgt in der Textpassage zur Bestrafung ,der Juden‘ in H1 erneut eine Vereindeutigung, indem explizit vom gaistleichem pan (v. 18,366) die Rede ist. Zum Instrument des Bannes im Evangelium Nicodemi s. o. S. 170 f. 116 Im Hintergrund dürfte die päpstlich-kuriale Ausprägung der Zweischwerterlehere stehen (vgl. dazu Mikat 1998, Sp. 1853-1859). 117 Großräumige Brüche wurden hingegen nicht beseitigt. Bei der Pilatus-Figur sind die Divergenzen zwischen einzelnen Handlungsabschnitten durch die Integration der Kindheitsgeschichte mit der negativen Wertung der Figur sogar noch verstärkt. 118 Zu Heinz Sentlinger vgl. Kornrumpf 1992. Nach der Schlussschrift in H9 hat er ein tail getichtet , auch redaktionelle Eingriffe dürften auf ihn zurückgehen (vgl. dazu Shaw / Fournier / Gärtner 2008, S. XI). Klein (1998c, S. 48) hinterfragt auf der Grundlage ihrer Studien zur ,Alten Ee‘ in der Handschriftengruppe β1 jedoch die Identität des Schreibers Heinz Sentlinger mit dem Redaktor der Gruppe. Das Problem wird hier ausgeklammert. Wenn im Folgenden von ,Sentlinger‘ als Person die Rede ist, soll das als Chiffre für die redaktionellen Bearbeitungen zu verstehen sein. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 295 störung Jerusalems) Verse aus diesen Texten aufgenommen haben. 119 Obwohl Sentlinger über weite Strecken eine eigenständige Kompilation vorgenommen zu haben scheint, sind die Übereinstimmungen mit den Texten anderer Heinrich von München-Handschriften (hier vertreten durch den kompositen Ausgabentext) für die genannten Textteile immens, ein wichtiges Argument für die Existenz der Passionskompilation . 120 In der Erzählstruktur sind bei den hier interessierenden Passagen vor allem an drei Stellen größere Unterschiede zu beobachten. Zum ersten wird vom Todesbeschluss, den Kaiphas im Rat ‚der Juden‘ fasst, erst nach der Salbung in Bethanien erzählt; das Geschehen ist in der erzählten Zeit klar verortet ( Nach dem palmtag aldo / alz vnz die schrift sagt also , fol. 175rb, Z. 31 f.). Im Ausgabentext geht dagegen die Passage zum Todesbeschluss dem eigentlichen Passionsteil (einschließlich der Salbung) voraus (vv. 5,979-1016). Zum zweiten ergibt sich bei der Erzählung von Prozessende, Kreuzigung und Grablegung (entsprechend zu vv. 6,1643-2764 im Ausgabentext) in den Sentlinger-Redaktionen durch eine andere Auswahl von Vorlagentexten (z. B. das Passional , nicht aber Christi Leiden in einer Vision geschaut ) 121 ein streckenweise leicht anders gestalteter Handlungsablauf, wie für das Prozessende noch herausgearbeitet werden soll. 122 Zum dritten ist die Descensus -Erzählung prinzipiell so aufgebaut wie in Christi Hort - d. h. an chronologisch ,richtiger‘ Stelle thematisiert der Erzähler kurz die Höllenfahrt, ein ausführlicher Bericht wird erst durch die Simeonsöhne vermittelt -, während die Proportionen in der Erstfassung umgekehrt gewesen sein dürften. 123 Für Werner J. Hoffmann (2000) 124 ist die größere strukturelle Nähe der Sentlinger-Redaktionen zu Gundacker ein Hauptindiz dafür, dass Sentlinger „unabhängig“ von anderen Heinrich von München-Redaktionen auf die Passionskompilation zugegriffen hat. Allerdings sind leichte Verschiebungen in den Proportionen zwischen den beiden Höllenfahrtspassagen auch für die beiden Sentlinger-Redaktionen zu konstatieren, 125 sodass es nicht undenkbar erschiene, dass Sentlinger bei seiner Erstredaktion - in Kenntnis einer Heinrich 119 S. dazu o. S. 279 f. 120 Die Übereinstimmungen mit und Unterschiede zu H9 lassen sich für Kap. 5-10 und 12 anhand der Ausgabe von Shaw / Fournier / Gärtner (2008) nachvollziehen, da H9 jeweils als ,Kontrollhandschrift‘ verwendet worden ist. Vgl. auch die Übersicht über den Aufbau von H9 (Ms) im Vergleich zu H1 (W) für den Abschnitt von der Passion bis zur Zerstörung Jerusalems bei Hoffmann 2000, S. 224-227. 121 Vgl. dazu neben den Kommentarbemerkungen in Shaw / Fournier / Gärtner (2008) und der Aufschlüsselung bei Hoffmann (2000, S. 224-229) die Quellenanalyse von Gichtel (1937). In H12 scheint jedoch eine Stelle doch auf Christi Leiden in einer Vision geschaut zurückzuführen zu sein (s. dazu u. S. 302). Das spricht für die These Hoffmanns (ebd., S. 251), „daß die aufgrund von CL versifizierten Passagen […] zum Grundbestand der Ur-HvM-Chronik gehören“. 122 S. u. S. 301-306. 123 Vgl. die ausführliche Schilderung der Höllenfahrt in H1 (vv. 7,1-296) und den kurzen Bericht der Simeonsöhne in H15 (vv. 10,719-776). Wegen der anzunehmenden Verschiebungen zwischen den beiden Höllenfahrtsszenen werden die ,Zusatzverse‘ (gegenüber dem Ausgabentext) bei der ersten Höllenfahrtsszene in H12 als strukturelles Merkmal interpretiert. ,Zusätzliche‘ Szenen in H12 gibt es aber auch an anderer Stelle: Wie in H9, fol. 269rb, Z. 7-18 (vgl. den Apparat zu v. 12,1500 in Shaw / Fournier / Gärtner 2008), ist in die Pilatus-Veronika-Legende eine Szene integriert, in der Vespasian am Hof des Tiberius in Rom die Vera icon anbetet und seinen Vorsatz bekräftigt, gegen ,die Juden‘ vorzugehen, die Jesus gemartert hätten (H12, fol. 217va, Z. 3-14). 124 Vgl. Hoffmann 2000, S. 247-250 (Zitat S. 247). 125 Vgl. Hoffmann (2000, S. 228), in Bezug auf H12 verglichen mit H9 (Ms): „Bei der ersten (kürzeren) Behandlung der Höllenfahrt hat Sentlinger gegenüber Ms […] einen Gund.-Abschnitt (V. 3631-49) zusätzlich eingefügt, so daß die Höllenfahrt jetzt aus folgenden Gund.-Versen besteht: V. 2247-48; 3631-49; 2249-50; 3767-98; 2261-64 (Bl.193ra-rb).“ 296 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen von München-Redaktion, aber unter Rückgriff auf Christi Hort oder die Passionskompilation - eine entsprechende großräumige Umstellung vorgenommen hätte. Auch wenn man Hoffmanns plausibler Argumentation für die Descensus -Passagen folgt, wäre damit noch nicht gesichert, dass Sentlinger durchgehend unabhängig von anderen Heinrich von München-Redaktionen gearbeitet hätte. 126 Dass Übereinstimmungen zwischen der ,Urfassung‘ und den Sentlinger-Redaktionen in inhaltlich einschlägigen Passagen auf die Passionskompilation verweisen, ist deshalb nur zu akzeptieren, wenn die Kleinteiligkeit der Kompilation als unterstützendes Kriterium hinzutritt. Sie könnte auch ein Kriterium sein, um bei Abweichungen zwischen ,Urfassung‘ und Sentlinger-Redaktionen zu entscheiden, welche Version der Passionskompilation näherstehen könnte; jedoch wird man über begründete Spekulationen nicht hinauskommen. Für die Analyse der Zweitredaktion Sentlingers, wie sie in der Handschrift H12 vorliegt, 127 ist vor allem zu klären, welchen Aussagewert Abweichungen zu den Texten von H1 und H15 haben. Schlüsse über das Verhältnis der unterschiedlichen Redaktionen sollen hier nicht gezogen werden. Vergleichende Beobachtungen haben lediglich den Zweck, die jeweilige Akzentuierung herauszuarbeiten. Bei einer Lektüre des Textes von H12 vor der Folie des Ausgabentextes fällt auf, dass dort an mehreren Stellen über implizite oder explizite Rückverweise eine Vernetzung der einzelnen Handlungsabschnitte erfolgt, bei der das Erzählte sehr genau rekapituliert wird. So wird zum Beispiel konkret gesagt, dass Pilatus vor der Göttlichkeit Jesu erschrickt, die er selbst gesehen und von ,den zwölf ‘ vermittelt bekommen habe (fol. 184vb, Z. 47; ebenso in H9, fol. 254rb, Z. 40), während im Ausgabentext (v. 6,1594) weniger spezifisch von ,den Juden‘ die Rede ist. In der Pilatus-Veronika-Legende heißt es nicht nur wie im Ausgabentext, dass Vespasian von Kaiser Tiberius urlaub haben wollte, um nach Jerusalem zu fahren (vv. 12,1407-1414), sondern es werden auch Vespasians Schwur und der Grund für seinen zorn auf ,die Juden‘ erneut benannt (fol. 217ra, Z. 9-16; ebenso in H9, fol. 268vc, Z. 28-35). 128 Wie großräumig die Rückverweise angelegt sein können, lässt sich an der Passage zur Gerichtsverhandlung über Pilatus erweisen, in die - wie in H15 - in H12 die Episode von Christi Rock integriert ist: In H12 wird erklärt, dass der Rock, den Maria in Ägypten angefertigt habe (fol. 217vb, Z. 18-21; so auch H9, fol. 269rc, Z. 13-16), ohne Nähte sei (vgl. auch v. 12,1554). An dieser Stelle erfolgt ein ausdrücklicher Rückbezug des Erzählers auf das eigene Werk ( Alz ich ew vor han gesait , fol. 217vb, Z. 21; H9, fol. 269rc, Z. 16). Wie die zuvor angeführten Beispiele deutlich gemacht haben sollten, fungiert die Wiederaufnahme des bereits Erzählten jedoch nicht nur als eine Verknüpfungstechnik, die auf 126 Der Bezug der Sentlinger-Redaktionen der ,Neuen Ee‘ zu Heinrich von München-Handschriften wäre noch einmal insgesamt zu überprüfen. Die nach dem Stemma der Würzburger Forschergruppe den Sentlinger-Handschriften besonders nahestehenden Handschriften M 1 , M 2 und W3 (Gruppe β1) überliefern jeweils nur die ,Alte Ee‘ (vgl. Klein 1998c, S. 35-37; 43; 48-50). 127 Die größeren Unterschiede zwischen H12 und H9 beschränken sich für die hier diskutierten Textpassagen auf den bereits genannten Zusatz von H12 im Descensus -Teil und den Einschub der Stephanslegende und der Erzählung von der Bekehrung des Paulus nach dem Passional , die vor der Pilatus-Veronika-Legende platziert sind (fol. 204vb, Z. 20 - fol. 209ra, Z. 47). In H12 sind gegenüber H9 aber häufig überleitende Verse eingefügt (vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 228). Für die im Folgenden diskutierten Textstellen wird jeweils darauf verwiesen, ob Parallelen in H9 vorhanden sind (der Passionsteil von H9 wurde über digitale Aufnahmen eingesehen). 128 Beide Versionen verweisen allgemein darauf, dass schon von Vespasian erzählt worden sei (v. 12,1407; H12, fol. 217ra, Z. 11; H9, fol. 268vc, Z. 30). 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 297 der Ebene der erzählerischen Vermittlung liegt, sie dient vielmehr auch dazu, inhaltliche Kohärenz herzustellen. Dadurch verschieben sich manchmal die Motivationszusammenhänge - auch in rechtlichen Kontexten: Als die Römer Pilatus gefangen setzen, lasten sie ihm nach dem Text in H12 nicht nur den Tod Jesu an, sondern auch die (aus der in die Chronik aufgenommenen Kindheitslegende bekannten) Umstände seiner eigenen Geburt. 129 Der Vorwurf hat auf den Geschehensablauf weiter keinen Einfluss, 130 bringt aber einen Aspekt in die Szene, der die Aufmerksamkeit vom richterlichen Fehlverhalten des Pilatus auf die Problematik seiner ganzen Person lenkt. Formelhaft wie der Rückverweis auf das eigene Erzählen wirken auf den ersten Blick auch die zahlreichen (im Ausgabentext nicht in diesem Ausmaß vorhandenen) Wahrheitsbeteuerungen des Erzählers. Der Exkurs zur Herkunft von Christi Rock schließt beispielsweise mit dem Überleitungsvers hie hort nu mer der warhait (fol. 217vb, Z. 22) bzw. nu ho ͤ rt hie mer der warhait (H9, fol. 269rc, Z. 17) ab. Gehäuft treten Berufungen auf die Wahrheit bei der Überleitung von der Erzählung über die Bekehrung des Paulus zur Pilatus-Veronika- Legende auf: nu ho ͤ rt wie ez dar nach lag Vnd wie ez dar nach cham daz merkt alz ich vernam Do ich die red vor lie wie ez pilato nu ergie Dez ho ͤ rt nu hie die warheit alz v ͤ nz die schrift der warheit seit Hie ho ͤ rt nu wie daz antlu ͤ tz veronica von erst gen Rom cham. vnd waz Zaichen got da mit tet. vnd wie pilat(us) sein end nam. 131 Nv lazz wir die red hie vnd sagen wie ez pilato ergie Alz mir ist die warheit mit (fol. 209ra, Z. 48 - fol. 209rb, Z. 12) 132 Die repetitiven Wahrheitsbeteuerungen sollen offenbar dazu dienen, die apokryphe Pilatus-Veronika-Legende auf der Grundlage ihrer schriftlichen Überlieferung als wahr zu erweisen. 129 du pist wol mit vnrecht / Geporn in vnseliger zeit vn ( d ) not (fol. 213ra, Z. 29 f.; dieser Vorwurf wird nach dem Text von H9, fol. 266vc, Z. 22-29, nicht vorgebracht). Möglicherweise sind die Aussagen zu seiner Abstammung auch durch den vorhergehenden Vers (vgl. v. 12,751) angeregt, dass auch sein ganzes Geschlecht gefangen genommen worden sei. In H15 lauten die entsprechenden (an das Evangelium Nicodemi , vv. 4296 f.) angelehnten Verse: ‘du pist wol mit recht / in vil unseliger czeit und not! / […] ’ (vv. 12,752 f.). 130 Auch an anderen Stellen sind Motivationen addiert: Zu Beginn der Pilatus-Veronika-Legende wird die Furcht des Pilatus in H12 damit erklärt, dass im Römischen Reich dem Kaiser von denjenigen, die der lant pflagen , über seltsame Ereignisse Bericht erstattet werden musste und Pilatus sich bewusst war, dass er dem neit ,der Juden‘ folgend gerichtet hatte (fol. 209rb, Z. 13-20; entsprechend in H9, fol. 264vb, Z. 15-22, vgl. Apparat zu vv. 12,3-10 im Ausgabentext). 131 Dieser Satz ist rubriziert. 132 Vgl. die Rubrik zu Kap. 12 im Ausgabentext. 298 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Auch sonst zeigt der Text ein Bemühen, durch Quellenberufungen die eigene Autorität zu sichern: Einleitend zum Passionsteil (Kap. 6 im Ausgabentext) erfolgt in H12 eine Berufung auf die vier Evangelisten und den Augenzeugen Nikodemus, wie sie sich im Ausgabentext (vv. 6,779-788) an der Stelle findet, ab der die Prozesshandlung den apokryphen Vorlagen entsprechend erzählt wird (vgl. Evangelium Nicodemi , vv. 679-691). Die Quellenberufung in H12 begnügt sich jedoch nicht mit der Nennung von Nikodemus, sondern führt auch den Juden Eneas ein (vgl. Diu urstende , v. 54). 133 Als Ziel wird formuliert, von der Passion möglichst vollständig zu berichten. Dazu sind, so die Argumentation, für die einzelnen Geschehensabschnitte verschiedene Berichte heranzuziehen: 134 A lerst wil ich nu tichten vnd die la ͤ ut berichten Von deiner marter su ͤ zzer christ wie ez allez ergangen ist Die red habent geschrieben sus Marcus Johannes Lucas Matheus Swaz dar nach die iuden mit christ begiengen daz selb vnz ist Chunt von Nicodemo der ez sah vnd waz aldo Vnd waz auch taugen christus chneht der sah ez vnd sagt ez reht Da von gelaubt auch seinen worten er waz mit den iuden allen orten Die Jesum christ geuangen haten er sah vnd hort waz si im taten Eneas vnd Nicodemus die berichten v ͤ nz der ma ͤ r alsus Die rechten warheit ich ew sag nach christus marter an dem vierden tag Sagt alerst Nicodemus wie gehandelt ward Jesus Daz schraib do an Eneas der ein gelaubiger iud waz Vnd auch die vier ewangelisten die die [sic] di warheit wisten Alz v ͤ nz die vier passion mit warheit sagent auch da von Daz allez hie geschriben ist niht lang nach der selben frist Ein man ez ebraischen vand 133 S. dazu o. S. 74; 84. Auch H9, fol. 248rc, Z. 45 - fol. 248va, Z. 24, hat diese Quellenberufung an derselben Stelle (vgl. dazu Ott 2016, S. 193 f.), jedoch ohne die Verse, die die vier Evangelisten einbeziehen (H12, fol. 174vb, Z. 30-35). 134 In der Handschrift sind die Namen von Nikodemus und Eneas (wie etwa auch die von Anselmus und Ambrosius) gleichberechtigt neben denen der vier Evangelisten als Autoritäten am Rand aufgelistet. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 299 der ez in latein praht zehand Von latein ist es nu vol pracht in dau ͤ tsch mit so ͤ licher andacht Vnd mit gerechten worten vil gar an allen orten Daz got gelobt werd hie da von auf erd 135 Dez pit wir sein marter hie nu ho ͤ rt wie sich die an vie (fol. 174vb, Z. 6 - fol. 175ra, Z. 1) Die Verse arbeiten sich an den verschiedenen Legitimationsstrategien für die kanonischen Evangelien und das Zeugnis des Nikodemus ab: Nikodemus soll man glauben (fol. 174vb, Z. 18; vgl. v. 6,785 im Ausgabentext), weil er dabei gewesen sei. Die Evangelisten wissen jedoch die Wahrheit, ohne dass das weiterer Rechtfertigung bedarf. 136 warheit wird innerhalb des Werkes manchmal sogar synonym zu ‚Evangelium‘ verwendet (z. B. nu ho ͤ rt alz die warheit gicht , fol. 179vb, Z. 20). Auch dem auf direkter Offenbarung beruhenden Bericht der Simeonsöhne wird ein Wahrheitscharakter zugestanden ( Nach dem schriben si die warheit sus , fol. 202vb, Z. 10). 137 Dass die vier Evangelisten dem Erzähler als Wahrheitsgaranten wichtig sind, wird an der Gelenkstelle deutlich, ab der die Prozesserzählung der Nikodemus-Tradition folgt: 138 Dort wird Nikodemus näher vorgestellt, indem sein Treffen mit Jesus frei nach Diu urstende (vv. 429-448) referiert und seine taktischen Fähigkeiten nach dem Evangelium Nicodemi (vv. 692-702) geschildert werden (fol. 180rb, Z. 5-40; vgl. vv. 6,789-818). Anstelle der - gegenüber dem Ausgabentext vorgezogenen - Verse über die vier Evangelisten findet sich ein Rückverweis: Nu ho ͤ rt von dem ich e sprah / Nicodemus daz allez sah (fol. 180rb, Z. 5 f.; so auch in H9, fol. 251va, Z. 35 f.). Am Ende des Abschnitts werden die vier Evangelisten trotzdem noch einmal genannt: 135 Die Verse stellen eine Ausgestaltung von Christi Hort (vv. 1371-1380) dar, wonach Nikodemus seinen Bericht habe aufschreiben lassen und der Verfasser den ins Lateinische übersetzten hebräischen Text ins Deutsche übertragen habe. Dort geht es aber ausschließlich um das Zeugnis des Nikodemus, während in H12 eine umfassendere Textgeschichte entworfen ist. 136 Im überleitenden Abschnitt vor dem Passionsteil war bereits gesagt worden: […] / alz v ͤ nz geschriben haben da van / Die vier ewangelisten / die wol die warheit wizzten / Alz ez do ergangen ist / ich main die vier ewangelist / Vnd auch ander lerer vil (fol. 174va, Z. 36-41; vgl. fol. 174vb, Z. 30 f.: Vnd auch die vier ewangelisten / die die [sic] di warheit wisten ). An der entsprechenden Stelle wird in H9, fol. 248rc, Z. 35-38, das Wahrheitswissen der Evangelisten nicht genannt (ebenso wenig wie in H9, fol. 248va, Z. 7-24): Alz ez die vier ewangelist / schreibent alz ez ergangen ist / Vnd auch ander lerer vil / nu ho ͤ rt wie sich hu ͦ b daz spil . Dafür ist der Bezug der Evangelisten zur Wahrheit an späterer Stelle aufgenommen (s. dazu u. S. 300, Anm. 139). 137 Vgl. dagegen v. 10,737 in H15: Darnach schriben si daz mer alsus: (ebenso in H9, fol. 264va, Z. 24; vgl. Diu urstende , v. 1697: daz mære hebet sich alsus: ). In H12 setzt der Vers (wie in H9) den schriftlichen Bericht der Simeonsöhne von ihrem dort mündlich aufgefassten vorherigen Gebet ab (H 12, fol. 202va, Z. 36 - fol. 202vb, Z. 9; H9, fol. 263va, Z. 6-23; vgl. vv. 10,719-736 im Ausgabentext). 138 Entsprechend ist kurz vor der Übergangsstelle auf fol. 180r am Rand Nicodem ( us ) notiert. Wenn allerdings für eine Szene, die nach einem apokryphen Text erzählt wird, eine kanonische Quelle bekannt ist, so wird diese angegeben (so steht neben dem aus dem Marienleben Bruder Philipps [vv. 6718-6739] übernommenen Dialog zwischen Pilatus und Jesus über dessen Königtum [fol. 185ra, Z. 43 - fol. 185rb, Z. 17] am Rand Marcus ). 300 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Er [sc. Nikodemus] sagt waz nu geschriben stat alz er vnz daz bedau ͤ ttet hat Vnd auch die vier ewangelist die v ͤ nz sagent auch von christ (fol. 180rb, Z. 37-40) 139 Im Hinblick auf die Rezeption der Kerntexte ist festzuhalten, dass die Quellenberufungen aus den verschiedenen Texten - vielleicht über die Zwischenstufe der Passionskompilation - akkumuliert sind. Das Bemühen, den eigenen Text in die Tradition der Vermittlung heilsgeschichtlicher Wahrheit zu stellen, ist in den Kerntexten schon angelegt und im Kontext eines weltchronistischen Textes wenig überraschend. Im Text von H12 fügt sich die Akkumulation der Quellenberufungen aber in eine umfassendere redaktionelle Arbeit am Thema ,Wahrheit‘ ein, die daran erkennbar ist, dass auch Stellen, an denen es um theologische oder juristisch relevante Wahrheit geht, in H12 Unterschiede zum Ausgabentext aufweisen. 140 Der rätselhafte Dialog Jesu mit Pilatus über die Wahrheit erscheint in H12 (wie auch in H9, fol. 254vc, Z. 6-12) mit einem - gegenüber H1 (vv. 6,1765-1773; vgl. Christi Hort , vv. 1772-1780) 141 - vereindeutigten Ende: pilatus sprah do wider in Sag an waz ist die warhet [sic] wirt dir von mir die geseit Sprah Jesus so gelaubst dus niht mein red ist gen dir enwicht Pilatus gie do hin zehand do er die iuden sten vand (fol. 186ra, Z. 5-11) Hier lässt der Erzähler Jesus eine definitive Feststellung treffen, dass einem Menschen wie Pilatus die göttliche Wahrheit, auch wenn man sie ihm vermitteln will, verschlossen bleibt. Die Ausgestaltung des Dialogs zeigt Parallelen zur Ausformung des Gesprächs zwischen Kaiphas und Jesus in der Szene, die in den Todesbeschluss ‚der Juden‘ mündet. Wie im Ausgabentext (vv. 6,643-662) ist in H12 das Verhör Mt 26,57-65 entsprechend angelegt. Aber auf die dringende Aufforderung des Kaiphas, Jesus solle beweisen, dass er Gottes Sohn sei, ist hier (wie in H9, fol. 251rb, Z. 31-35) die Antwort Jesu grundsätzlicher als in den anderen Texten: Er sprah sag ich die warheit so habt ir ez fur lugheit Doch sag ich ew waz geschiht ob ir sein gelaubet niht So wil ich ew daz chunt tun […] (fol. 179va, Z. 31-35) 139 Der Text von H9, fol. 251vb, Z. 17-19, hebt an dieser Stelle die Wahrheitskompetenz der Evangelisten hervor: Vnd auch die vier ewangelist / die v ͤ nz sagent auch von christ / Die di warheit schreibent da von . 140 Sie lassen sich nicht auf die Benutzung des Passionals zurückführen, die sich etwa im Namen des Blindgeborenen Cedonius zeigt (H12, fol. 183rb, Z. 18, ebenso in H9, fol. 253rc, Z. 12; vgl. dazu die Erläuterung zu v. 6,1305 bei Shaw / Fournier / Gärtner 2008 mit Verweis auf das Passional , vv. 375,23-28 [Zählung nach Hahn 1845]; entspricht vv. 40 396-40 400 in der Ausgabe von Haase / Schubert / Wolf 2013, die im Folgenden als Zitiergrundlage dient; die Verszählung nach Hahn [1845] ist in Klammern mitgeführt). 141 […] / Pilatus sprach wider in: / ‘sag an, waz ist diu warhait, / daz ich, ob mir die werd gesait, / ho ͤ r.’ da mit gie er von im ze hant / do er die Juden sten vant . (H1, vv. 6,1769-1773). 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 301 Die Tendenz, dass verdeutlichend benannt wird, was Wahrheit und was Lüge ist bzw. wie (nicht an Jesus glaubende) Menschen mit der Wahrheit umgehen, lässt sich auch für die Faktenwahrheit in der Prozessschilderung ausmachen. Sowohl den vermeintlichen Proselyten 142 als auch Pilatus 143 sind Worte in den Mund gelegt, die ,die Juden‘ der Lüge bezichtigen. Sie stehen im Kontext anderer Stellen, an denen das Richtige klar vom Falschen geschieden wird, z. B. der Botschaft der Frau des Pilatus, in der Jesus als unschuldig und - in einer anachronistischen Wendung - als ,guter Christ‘ bezeichnet wird. 144 Juristische Verfahren zur Wahrheitsfindung sind dagegen gegenüber den Kerntexten nicht weiterentwickelt worden. Das Erzählinteresse in H12 scheint - wie in H1 und H15 - neben heilsgeschichtlichen auf moralischen Fragen zu liegen. 145 Dementsprechend sind auch bei den Rechtstermini (wie lantreht , fol. 183vb, Z. 34) 146 oder bei der Schilderung von Verfahrensabläufen gegenüber den Kerntexten keine Veränderungen vorgenommen worden, die man als Aktualisierungen deuten könnte. 147 Wie in H1 sind aber in H12 durch die Art der Kompilation bei der Erzählung vom Prozess gegen Jesus neue Begründungszusammenhänge für das Verhalten des Richters Pilatus geschaffen worden. Die Kompilation entspricht (wie in H9) bis zu fol. 185ra, Z. 42 strukturell der von H1 (bis v. 6,1642), danach im Prinzip der von H9, wie sie Hoffmann (2000) weitgehend aufgeschlüsselt hat. 148 Da sich anhand der bloßen Verszahlen bei Hoffmann nur schwer ein Überblick über den Handlungsverlauf gewinnen lässt, sei er hier skizziert: fol. 185ra, Z. 43 - fol. 185rb, Z. 17: Dialog zwischen Pilatus und Jesus über dessen Königtum; Pilatus schlägt pu ͦ zz vor; ,die Juden‘ sagen, Jesus sei des Todes wert (nach Marienleben , vv. 6718-6739) 142 nu ho ͤ rt durch got vnd seht / Wie manigen weiz si wenkent / vnd waz si lug erdenkent / Daz pezzer wa ͤ r verlorn / wir sein von haiden nîht geporn / Sprachen die gezewgen / ir mu ͤ st hie pa ͤ rleich lewgen (fol. 183vb, Z. 43 - fol. 184ra, Z. 2, entsprechend in H9, fol. 253vb, Z. 18-24). Der letzte Vers stellt eine Verstärkung des auch in H1 (vv. 6,1416-1420) vorhandenen Lügenvorwurfs dar, der an der entsprechenden Stelle von Diu urstende (vv. 714-718) nicht explizit geäußert wird. 143 Am Ende der Rede, in der er ,den Juden‘ Verstocktheit schon gegenüber Moses vorwirft, sagt er: Ir welt Jesu mit vnredleichen sachen / hie gen mir schuldig machen / Daz die warheit niht en ist (fol. 185ra, Z. 23-25; vgl. vv. 6,1624-1626; abweichend H9, fol. 254rc, Z. 11 f. [abgedruckt im Apparat]). 144 da von · von der red dich nim / Wan er vnschuldig ist / er ist ein rechter gotez christ / Vnd ein heilig man / Da von solt du in lazzen gan (fol. 181vb, Z. 20-24). Die ähnlich auch in H9, fol. 252va, Z. 2-6, vorhandenen Verse gehen auf das Marienleben Bruder Philipps (vv. 6962-6964) zurück (vgl. Shaw / Fournier / Gärtner 2008 im Apparat zu v. 6,1056). 145 Für ein Desinteresse am Gerichtsverfahren spricht auch, dass beim Todesbeschluss ( nu ratt wie wir ez an legen / Daz wir achten vmb seinen tot , fol. 175vb, Z. 2 f.; ebenso in H9, fol. 249ra, Z. 2 f.) das Gericht als Institution keine Rolle spielt (vgl. dagegen vv. 5,1014-1016 [angelehnt an Diu urstende , vv. 126 f.] nu ratet wie wir ez an legen, / daz wir von dem gericht umb seinen tot / sicher sein, […]). 146 Vgl. ebenso v. 6,1407 in H1 (vgl. Diu urstende , v. 705); in H9, fol. 253vb, Z. 9, ist lantreht im Plural gebraucht ( Ewrew lantreht sind enwicht , vgl. auch den Apparat zur Stelle). Sowohl in H1 ( nicht recht , v. 6,1415) als auch in H9 und H12 ( chaín reht , fol. 183vb, Z. 42; H9, fol. 253vb, Z. 17) wird Proselyten von ,den Juden‘ die Rechtsfähigkeit im aktuellen Prozess ganz aberkannt, während es in Diu urstende (v. 713) heißt, sie hätten mit uns niht vollez reht . 147 Die Beratung im Fürstenrat über die Verurteilung des Pilatus (fol. 217vb, Z. 43 - fol. 218ra, Z. 27; H9, fol. 269rc, Z. 36 - fol. 269va, Z. 11) ist analog zu der in H15 (vv. 12,1573-1605) gestaltet, bleibt also dicht an der Szene aus Christi Hort (vv. 5235-5267). 148 Vgl. Hoffmann 2000, S. 225. Die Stellenangaben für die Vorlagentexte folgen Hoffmann mit leichten Modifikationen und Ergänzungen. Für die Dornenkrönung und das Todesurteil hat er keine konkreten Stellen angegeben. 302 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen fol. 185rb, Z. 18 - fol. 185va, Z. 42: Pilatus sendet Jesus im Purpurgewand zu Herodes; historische Erklärung der Feindschaft zwischen Pilatus und Herodes, weil Pilatus sich direkt von Rom hatte einsetzen lassen; 149 Ausdeutung ihrer Versöhnung; Schweigen Jesu vor Herodes; dessen Ausdeutung; (nach unbekannter Quelle[? ]: ) Herodes hat Johannes enthaupten lassen, Herodes hätte ihn freigelassen, wenn er ein Wunder getan hätte, Herodes ist unwürdig; Herodes legt Jesus ein weißes Gewand an und setzt ihm ein Schapel aus Stroh auf, so sendet er ihn zurück zu Pilatus (nach Marienleben , v. 6740; Christi Hort , vv. 1731-1739; 1347-1350; 1359-1366; Marienleben , vv. 6748-6759; Christi Hort , vv. 1745-1748; Christi Leiden in einer Vision geschaut , 70,2-6[? ]) fol. 185va, Z. 43 - fol. 185vb, Z. 26: Pilatus setzt sich wieder zu Gericht; fragt, was er mit Jesus anfangen solle, Kreuzigungsforderung der Juden; Pilatus will Jesus freilassen (auch Herodes habe kein Urteil über ihn gegeben); , Juden‘ werfen Jesus Anspruch auf Königtum vor (nach Christi Hort , v. 1751; Marienleben , vv. 6768-6781; 6710 f.; 6904-6907) fol. 185vb, Z. 27 - fol. 186rb, Z. 6: Dialog zwischen Pilatus und Jesus über dessen Königtum und über die Wahrheit; Pilatus bietet Züchtigung an, Kreuzigungsforderung ,der Juden‘; Pilatus will erneut die Vergehen Jesu wissen; Dialog zwischen Pilatus und Jesus über gewalt (nach Christi Hort , vv. 1752-1816) fol. 186rb, Z. 7-35: Pilatus will Jesus gehen lassen, ,die Juden‘ verbieten es ihm schreiend, drohen ihm mit dem Kaiser, Furcht des Pilatus, Besitz und Ansehen zu verlieren; Vorwurf des Pilatus, dass die Drohung mit dem Kaiser nur eine Taktik sei; Furcht des Pilatus; Handwaschung; Blutruf ,der Juden‘; (ohne bekannte Quelle: ) sie bestätigen, dass die Schuld nicht auf Pilatus lasten solle (nach Marienleben , vv. 6938-6941; Christi Hort , vv. 1657-1664; Marienleben , v. 6949; Christi Hort , vv. 1683-1688; Marienleben , vv. 6949-6957) fol. 186rb, Z. 36 - fol. 186vb, Z. 12: Einschub über das Ende des Judas und den Blutacker (nach dem Passional , vv. 34 986-35 028 [318,13-55]) fol. 186vb, Z. 13 - fol. 187ra, Z. 4: Urteilsfrage des Pilatus, Kreuzigungsforderung ,der Juden‘; Forderung des Pilatus, dass ,die Juden‘ Jesus nach ihrer e richten sollten; Misshandlung Jesu durch ,die Juden‘; ,die Juden‘ gehen aus dem abgeschrankten Bereich, um nicht befleckt zu werden; Parallelen für dieses Verhalten in ,heutiger‘ Zeit (nach Christi Hort , vv. 1851-1858; 1711-1730; 1817-1826) 149 Anders als in Christi Hort , dem die Erklärung im Prinzip folgt, heißt es in H12, Pilatus habe disen gewalt (fol. 185rb, Z. 33; H9, fol. 254va, Z. 5) von Rom gewonnen, nicht (ausdrücklich) die Gerichtsgewalt ( Christi Hort , vv. 1345 f.). Auch hier ist also ein das Gerichtliche betonender Zug getilgt, sodass die Erklärung mehr der in der Historia apocrypha (vgl. Knape 1985, Z. 45-60) ähnelt, wo die Funktion des Pilatus bei der Entsendung auf die Insel Pontius zwar als die eines iudex ( richter ) angegeben ist, es aber beim Konflikt mit Herodes im Wesentlichen um die politische Macht über die Bevölkerung geht. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 303 fol. 187ra, Z. 5 - fol. 187va, Z. 8: Geißelung als pu ͦ zz, um Jesus zu ,bessern‘ (fol. 187ra, Z. 10; 12); Dornenkrönung, Verspottung und Misshandlung durch die Knechte des Pilatus; Jesus wird erneut vor Pilatus geführt (nach Marienleben , vv. 6810-6827; Christi Hort , vv. 1881-1894 mit Zusätzen wie in H1, vv. 6,1874-1891; Marienleben , vv. 6860-6866; Christi Hort , vv. 1895-1904; Marienleben , vv. 6868-6879) fol. 187va, Z. 9 - fol. 187vb, Z. 19: Ecce homo ; Verspottung Jesu durch ,die Juden‘; Kreuzigungsforderung; Pilatus will Jesus im Rahmen der Passah-Amnestie freilassen, Erklärung der ,Gewohnheit‘; Urteilsfrage, Forderung ,der Juden‘ nach Todesurteil; Pilatus will nicht über Jesus urteilen; nach Bestechung gibt er dem Willen der lärmenden , Juden‘ nach und lässt Jesus mit urtail kreuzigen (nach Marienleben , vv. 6882-6889; 7366 f.? ; 6892-6897; 150 Christi Hort , vv. 1858-1880; Marienleben , vv. 6976-6985) Die schematische Übersicht lässt erkennen, dass auch in H12 die ,Prozessschlüsse‘ aus mehreren Werken kombiniert sind. Schon vor der hier in ihren Einzelschritten aufgeführten Passage ist (in modifizierter Form) die Tumultszene (fol. 184ra, Z. 8-33, ebenso in H9, fol. 253vb, Z. 30 - fol. 253vc, Z. 1; vgl. vv. 6,1426-1451) integriert, die in Diu urstende den Abschluss des Prozesses bildet. Auffällig ist, wie viele Handlungselemente nach der Handwaschungsszene noch folgen, dass aber das Gespräch zwischen Pilatus und Jesus über gewalt , das nach Johannes (Io 19,9-11) nach der Ecce homo -Szene stattfindet, ,vorverlegt‘ ist. Die Szenen nach der Handwaschung scheinen jedoch nicht willkürlich so angeordnet zu sein; sie weisen die Gemeinsamkeit auf, dass sie jeweils von Versuchen des Pilatus erzählen, die Verurteilung Jesu zu vermeiden: Er will Jesus der Gerichtsbarkeit ,der Juden‘ überantworten; er vollzieht die Geißelung als alternative Bestrafung; er appelliert an das Mitleid ,der Juden‘; er bietet die Freilassung Jesu im Rahmen der Passah-Amnestie an; er weigert sich, über Jesus zu urteilen. 151 Der Umschwung im Verhalten des Pilatus erfolgt (wie in H1) durch Bestechung (so auch in H9, fol. 255vb, Z. 49). Das etwa in Christi Hort vorhandene Motivationsdefizit ist also trotz der von H1 abweichenden Kompilation in ähnlicher Weise ausgeglichen. Doch wird in H12 konsequent eine weitere Motivation für das Handeln des Pilatus mitgeführt: Schon beim ersten Kontakt der jüdischen Ankläger mit Pilatus werfen sie (anders als in H1, vv. 6,824-850, aber in Anlehnung an Lc 23,2) Jesus auch ein politisches Vergehen vor: 150 ‘tolle, tolle, crucifige / tolle, tolle, crucifige. / vüer in und heiz in hân / du solt in an ein kriuze slân.’ ( Marienleben , vv. 6894-6897). An den entsprechenden Versen in H12 zeigt sich, dass der Redaktor dieser Version offenbar auch den lateinischen Text des Johannesevangeliums (19,15) kannte; denn es ist gegenüber den Versen aus dem Marienleben ein eum eingefügt. Auch ist die deutsche Übersetzung von tolle genauer: tolle tolle crucifie [sic] eum / Heb auf vnd haiz in hahen / vnd an ein chrau ͤ tz slahen (fol. 187va, Z. 24-26; ähnlich auch in H9, fol. 255vb, Z. 20-22). 151 Ein systematisierender Umgang mit dem vorgefundenen Material lässt sich auch bei der Darstellung der Reaktion ,der Juden‘ erkennen, da ihre Verhaltensweisen, Verantwortung für das Urteil zu vermeiden (Ablehnen des Richtens nach der e ; Verlassen der Schranken), zusammengeordnet sind. Dass die jüdischen Priester aus kultischen Gründen außerhalb der Schranken blieben, ist in den Erzählablauf an chronologischer Stelle (fol. 180va, Z. 39-41) aufgenommen, liegt aber auf einer anderen Ebene. Im Gegensatz zu H1 (vv. 6,859 f.) wird in H12 (wie in H9, fol. 251vc, Z. 11 f.) nicht zum Ausdruck gebracht, dass die Priester sich auf diese Weise rein halten wollen. 304 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Auch gicht er man su ͤ ll nicht geben dem kaiser znis [sic] von vnserin leben Da von ist er dez todez wert wan er daz lan ( n ) t hat verchert (fol. 180va, Z. 27-30; entsprechend in H9, fol. 251vb, Z. 51 - fol. 251vc, Z. 2) 152 In der Anklage Jesu vor Pilatus argumentieren ,die Juden‘ dann (wie in H1, vv. 6,867-870) damit, dass Jesus durch seinen Königsanspruch die er des Kaisers beeinträchtige (fol. 180vb, Z. 5 f.). Zwar wird in H12 die Scheltrede des Pilatus zur ,Verstocktheit‘ ,der Juden‘ (fol. 185ra, Z. 7-25; H9, fol. 254rb, Z. 47 - fol. 254rc, Z. 12) nicht dadurch ausgelöst, dass sie ihm mit dem Kaiser drohen, sondern durch die Vorhaltung, er habe nindert rechten sin , wenn er Jesus gehen lasse (H12, 185ra, Z. 4-6; H9, fol. 254rb, Z. 44-46), 153 doch ist der in Christi Hort in seiner Rede enthaltene Vorwurf gegenüber ,den Juden‘, dass ihre Drohung mit dem Kaiser eine Taktik sei, effektvoll an die Stelle kurz vor der Handwaschung verlegt. Die oben aufgeschlüsselte Passage zwischen Scheltrede und Handwaschung konzentriert sich auf die politische Dimension des Prozesses - jedenfalls verliehe diese Deutung auch der Aufnahme von zwei Szenen mit einem Dialog zwischen Pilatus und Jesus über dessen Königtum (einmal aus dem Marienleben und einmal aus Christi Hort ) Sinn. Dabei handelt es sich nicht um eine bloße Sinnunterstellung, wie sich mit Indizien aus dem Text erweisen lässt: Dass Pilatus Jesus zu Herodes schickt - in sich eine politisch motivierte Aktion -, wird in H12 nicht allein durch die Erwähnung seiner Herkunft aus Galiläa ausgelöst, sondern auch durch den wiederholten Vorwurf, Jesus habe die lau ͤ t (fol. 185rb, Z. 15; vgl. Lc 23,2; anders H9, fol. 254rc, Z. 46: daz lant bechert ) bzw. daz lan ( n ) t … verchert (fol. 180va, Z. 30; so auch H9, fol. 251vc, Z. 2; vgl. Marienleben , v. 6737). Als Pilatus nach der Rückkehr Jesu von Herodes erneut zu Gericht sitzt, wird sein zweiter Dialog mit Jesus über dessen Königtum durch den erneuten Vorwurf ,der Juden‘, dass Jesus beanspruche, König zu sein, veranlasst, wobei in H12 in der Anklage ‚der Juden‘ verdeutlichende Plusverse (gegenüber den bekannten Quellen) hinzugefügt sind: Daz hab wir dir vor gesait daz ist auch dem kaiser lait Der alain ist v ͤ nser herr er hat im wider sagt verr Do er daz gefraischet daz er sich einen chu ͤ nig haizzet (fol. 185vb, Z. 20-25) Die Szenenreihe kulminiert in der Handwaschungsszene, in der Pilatus zwar einerseits zu erkennen gibt, dass er die Taktik ,der Juden‘ durchschaut habe, sein Verhalten aber andererseits von Furcht um seine Stellung geprägt ist. Seine Reaktion darauf, dass ,die Juden‘ ihm lärmend mit dem Kaiser drohen, wird folgendermaßen geschildert: 152 Vgl. Marienleben , vv. 6708 f.; 6736 f. Auch in der Legenda aurea wird als Anklagepunkt genannt, dass Jesus Steuerzahlungen verhindert habe: De tribus enim iniuste precipue eum accusabant, videlicet quia tributum reddi prohibebat, quia se regem dicebat et quia se filium dei faciebat. (cap. 53,224 [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 704, Z. 8-9] = M., 51,16; „Aus drei Gründen vor allem klagten sie ihn ungerecht an: Weil er verboten habe, die Steuer abzuliefern, weil er sich König genannt und sich zum Sohn Gottes gemacht habe.“; die Übersetzung folgt Häuptli 2014, Bd. 1, S. 705). 153 Vgl. dagegen H1 (vv. 6,1596-1626), basierend auf Christi Hort , vv. 1658-1688. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 305 Ditz waz im vil swa ͤ r vnd ward im vil geua ͤ r Wan er vorcht dez vil ser er verlur gu ͦ t vnd er (fol. 186rb, Z. 15-18) 154 Pilatus ist mit der zukünftigen Gefahr konfrontiert, dass ihm der Kaiser aufgrund der Beschuldigungen ‚der Juden‘ seine Macht entziehen könnte, aber zugleich auch konkret gegenwärtig mit einem lärmenden Mob. Das Lärmen ,der Juden‘ wird in H12 - vielleicht in Anlehnung an das Passional (vv. 5905-5923 [64,66-84]) - auch bei der abschließenden Bestechungsszene noch einmal anzitiert, 155 die durch die Verse zu den materiellen Befürchtungen des Pilatus schon vorbereitet ist. Im Vergleich zu der Zeichnung als starker Richter in H1 erscheint Pilatus in H12 jedoch nicht durchgehend als schwächere Richterfigur, denn es wird an einer Stelle gesagt, dass sich ,die Juden‘ nicht trauen, vor ihm ihren Unwillen zu zeigen (fol. 182vb, Z. 36-39; ähnlich in H9, fol. 253ra, Z. 45-50). 156 Allerdings sind es in der Tumultszene Annas und Kaiphas, die den jüdischen Mob vor Pilatus ‚strafen‘ (fol. 184ra, Z. 27-33; H9, fol. 253vb, Z. 49 - fol. 253vc, Z. 1), während sie in H1 (vv. 6,1445-1451) fürchten, dass die Menge sich vor Pilatus schuldig machen könnte. Was die Verantwortung für den Tod Jesu angeht, so werden in H12 im weiteren Textverlauf sowohl Pilatus als auch ,die Juden‘ von den Römern vor Gericht gestellt. In den Abschnitt, in dem es um die Bestrafung ,der Juden‘ durch Vespasian bzw. Titus geht, sind noch mehr Verse aus dem Schlussexkurs des Evangelium Nicodemi integriert (fol. 261va, Z. 24 - fol. 261vb, Z. 43; H9, fol. 278vb, Z. 21 - fol. 278vc, Z. 27), 157 als das in dem entsprechenden Abschnitt in H1 (vv. 18,334-376) der Fall ist. So ist auch die Aufforderung an die Fürsten übernommen worden, ,die Juden‘ in drukk zu halten (fol. 261vb, Z. 38; ebenso in H9, fol. 278vc, Z. 22; vgl. Evangelium Nicodemi , v. 5246). Dass die Heilsgeschichte letztlich dazu führen wird, dass ,die Juden‘ in drukk leben, war in H12 (wie in H9) schon im Juden-Exkurs innerhalb des Abschnitts zum Prozess Jesu angeklungen. 158 In der Passage über die Bestrafung ,der Juden‘ durch Titus versäumt es der Erzähler aber nicht, deren Notwendigkeit auch aus der erzählten Handlung heraus zu rechtfertigen, indem er darauf verweist, dass ,die Juden‘ die Strafe wegen ihres Verhaltens gegenüber Jesus - wovon er erzählt habe - verdient hätten (vgl. fol. 261rb, Z. 22-25) und noch verdienten (vgl. fol. 261va, Z. 35 - fol. 261vb, Z. 18). 159 Mit der Gestaltung der Geißelungsszene, wonach ,die Juden‘ die Misshandlung Jesu nur zu gern angesehen und den Geschundenen, als Pilatus 154 Die Verse, in denen die Angst des Pilatus um Gut und Ehre thematisiert wird (so auch in H9, fol. 255ra, Z. 9-12), entstammen nicht den bekannten Vorlagentexten. In Diu urstende etwa (vv. 743-747) ist es die Furcht um sein Leben, die ihn bewegt, den Forderungen der lärmenden Menge nachzugeben. 155 si warn laut vnd niht still (fol. 187vb, Z. 19; H9, fol. 255vc, Z. 2). 156 Diese Version erscheint logischer als die in H1 (vv. 6,1234-1236). S. dazu o. S. 289. 157 Auch in H12 findet sich die Bestrafung ,der Juden‘ durch Titus relativ am Ende, da der Text mit der Zerstörung Jerusalems und dem Wiederaufbau unter Hadrian abschließt. 158 In Anlehnung an (verballhornt anzitierte) Worte Mose ( Prophetam susstitauit nobis deus , fol. 184vb, Z. 36; vgl. H1, v. 6,1583, und Act 3,22-25) heißt es dort: Ein weissag von ewrem gesla ͤ cht auf get / der drukt ewch alz geschriben stet (fol. 184vb, Z. 38 f.; entsprechend H9, fol. 254rb, Z. 31 f.; vgl. H1, vv. 6,1585 f.: ‘ein weissag von ewerm gesla ͤ cht got / erchu ͤ khet.’ ). 159 In Versen, die an das Evangelium Nicodemi (vv. 4714-4722; 4744-4763) angelehnt sind, ist als Resümee angefügt: Alz si hewt vnsa ͤ lig sind / weib man vnd auch chind / Die schuldig sind noch dar an / alz ich ew offt gesagt han (fol. 261vb, Z. 15-18). In H9, fol. 278vc, sind diese vier Verse an der entsprechenden Stelle (nach Z. 2) nicht vorhanden. 306 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen ihn ihnen vorgeführt habe, noch verspottet hätten, hat der Erzähler - von der Verteilung der juristischen Verantwortlichkeiten und dem Blutruf einmal abgesehen - den Grund für ein solches Verdikt gelegt. Auch die Beschimpfung ,der Juden‘ durch Jesus ist gegenüber Christi Hort (v. 1816) ausgeweitet, wenn der Erzähler ihn sagen lässt, sie wären besser gar nicht erst geboren worden (fol. 186rb, Z. 4 f.). Durch die für die Kompilation getroffene Auswahl und die ,Zusatzverse‘ sind also in H12 bestimmte thematische Linien wie die Quellenproblematik oder die politische Dimension des Prozesses gegen Jesus herausgearbeitet worden. 160 Womöglich steckt hinter der Aufschlüsselung des Verhältnisses zwischen Zentralgewalt und partiellen Machtbefugnissen ein aktuelles Erzählinteresse. Eine explizite Anpassung an die eigenen kulturellen bzw. juristischen Rahmenbedingungen hat aber nicht stattgefunden, auch nicht bei den verfahrensrechtlichen Details, 161 die allerdings aus den Kerntexten komplett übernommen wurden - inklusive der affirmatorischen Darstellung der Institution ,Gericht‘. Ein ausdrücklicher Gegenwartsbezug ist in H12 vor allem moraldidaktisch wichtig, insofern nach der Logik des Textes die Heilsgeschichte das ,heutige‘ Verhalten gegenüber ,den Juden‘ bestimmen soll. An der Anlage der Prozesshandlung lässt sich weiterhin ein Interesse an der Pilatusfigur und der Motivierung ihrer Handlungen ablesen: Die Wendung am Prozessende ist plausibilisiert, indem auch im Prozessteil problematische Züge des Pilatus (wie seine uneheliche Geburt und seine begrenzte Erkenntnisfähigkeit als Nicht-Christ) und sein timor mundanus präsent gehalten werden. Auf diese Weise erscheint die Figurenzeichnung kohärenter als in den Prätexten. Die größere Schlüssigkeit in der Figurenkonzeption stellt vielleicht, von den inhaltlichen Aspekten abgesehen, auch eine Reaktion auf gewandelte Ansprüche der Rezipienten dar. 162 Inwieweit die Gestaltung der Prozesshandlung in den Weltchronik -Redaktionen auf die Passionskompilation zurückgeht, ist nach der vergleichenden Analyse von H1 und der Zweitredaktion Heinz Sentlingers in H12 noch schwerer zu sagen als zuvor. In H1 ist die Kompilation großräumiger als in H12, in der die Kleinteiligkeit bis zum Ende der Prozesshandlung beibehalten wird; aber letztlich lässt sich nur festhalten, dass für den letzten Abschnitt des Prozesses zwei Versionen nebeneinander stehen, die sich im Ergebnis ähneln, den Weg dorthin aber anders erzählen. 163 160 Dagegen ist die Diskrepanz zwischen Pilatus als menschlichem Richter und Jesus als göttlichem Angeklagten - anders als im Passional (vv. 5832-5845 [63,88-64,6]) - nicht betont. 161 Zwar dürften sich die rechtlichen Rahmenbedingungen gegenüber den Kerntexten nicht grundlegend geändert haben, aber - anders als zum Beispiel in Sankt Stephans Leben (s. dazu u. Kap. 6.5) - hat etwa der mediale Wandel hin zur Schriftlichkeit keinen Niederschlag gefunden. 162 Zur historischen Wandelbarkeit des Kriteriums der handlungspsychologischen Stimmigkeit bei der Figurendarstellung vgl. Stock 2010, S. 194. 163 Hoffmann (2000, S. 238) nimmt an, dass Prozessende und Kreuzigung in der Passionskompilation nach Christi Hort modelliert waren. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 307 6.1.4 Die Neue Ee Die unter dem Titel Die Neue Ee 164 firmierende Prosabearbeitung der Sentlinger-Redaktion der Weltchronik wird in die Zeit um 1400 datiert. 165 Sie ist also noch in etwa demselben kulturellen Umfeld entstanden wie ihr Vorlagentext. Anders als der Redaktor Sentlinger hat der Prosabearbeiter nicht in größerem Umfang neu kompiliert, er hat aber abschnittsweise Übersetzungen aus den Evangelien oder der Liturgie hinzugefügt bzw. passagenweise anstelle von Prosafizierungen der Reimvorlage eingesetzt. 166 Dieses Vorgehen deutet auf die Wertschätzung der kanonischen Evangelien hin; apokryphes Material ist leicht zurückgedrängt, aber nicht ganz getilgt. 167 Bei den Abschnitten, die letztlich auf dem Nikodemusevangelium und der Pilatus-Veronika-Legende beruhen, sind jedoch sämtliche Textteile, so wie sie in H12 vorliegen, in Prosa umgewandelt worden. 168 Die Vorlagentreue, die in Die Neue Ee bei der Umsetzung der Pilatus-Veronika-Legende oder der Bestrafung ,der Juden‘ durch Tiberius zu beobachten ist, muss durch andere Faktoren bedingt sein, aber für den genauen Nachvollzug des apokryphen Prozessverlaufs, wie er in H12 gegeben ist, könnte die Glaubwürdigkeit des Nikodemus mit eine Rolle gespielt haben, denn es ist auch die Quellenkritik vom Beginn des Passionsteils (vgl. fol. 174vb, Z. 6 - fol. 175ra, Z. 1) 169 übernommen, und zwar mit leichten inhaltlichen Transformationen, sodass auch Nikodemus und Eneas ausdrücklich zugestanden wird, dass sie die ,rechte Wahrheit‘ übermitteln: 170 Capitulum XL . Hier hort nu von der marter Christi, und hebt sich an der passion unsers herren und sein marter ganz und gar und gerecht. Johannes, Lucas, Marcus, Matheus, Eneas, Nicodemus, Anselmus et Ambrosius. 171 Aller erst wil ich hie sagen von der marter Jesu Christi, und wie es ergangen ist; das hat geschriben sanctus Johannes, Lucas, Marcus, Matheus. Wes die Juden mit Christo begiengen, das schreibt uns Nicodemus, der was taugen Christi diener und sagt uns die warheit; er was auch an allen orten bei den, die Christum gefangen heten; er sach auch, wie sie mit im umb giengen. Eneas und Nicodemus 164 Das Werk wird nach der Ausgabe von Vollmer 1929 zitiert unter Angabe der überlieferten Kapitelzählung sowie der Seiten- und Zeilenzählung Vollmers. 165 Vgl. Gärtner 2009b, S. 90. Die älteste datierte Handschrift (Wien, ÖNB, Cod. 2862) stammt aus dem Jahr 1434 (vgl. Bodemann 2008, S. 175). 166 Vgl. Gärtner 2009b, S. 92. Wie die vor allem in Drucken überlieferten Zusätze zeigen (vgl. den Apparat Vollmers 1929), die vermutlich auf handschriftliche Vorlagen zurückgehen (vgl. Bodemann 2008, S. 175), müssen noch weitere redaktionelle Bearbeitungen stattgefunden haben. 167 Vgl. Gärtner 2009b, S. 92 f. Die beibehaltenen apokryphen Anteile schafften über Die Neue Ee den Sprung ins Druckzeitalter (vgl. ebd.); die Drucke bieten sogar wieder mehr Kindheitswunder Jesu als die erhaltenen Handschriften (vgl. Vollmer 1929, S. XLI). 168 Selbst die bei Prosabearbeitungen häufig zu beobachtende massive Straffung von Szenen des höfischen Zeremoniells (vgl. dazu z. B. u. S. 326) liegen nicht vor (vgl. die Abschnitte über die Aussendung von Boten zu Joseph von Arimathia [Kap. XLVI, S. 140, Z. 20 - S. 141, Z. 21] oder den Fürstenrat zur Aussendung des kaiserlichen Boten an Pilatus in der Pilatus-Veronika-Legende [Kap. XLVII, S. 155, Z. 21 - S. 156, Z. 5]). 169 S. dazu o. S. 298 f. 170 In H12, fol. 174vb, Z. 24 (wie auch H9, fol. 248va, Z. 9), ist es - wie in Christi Hort (v. 1371) - der Erzähler, der die ,rechte Wahrheit‘ für seinen Bericht über die Textgenese beansprucht. 171 Die Aufzählung von Autoritäten ist vermutlich aus einer Randnotiz entwickelt, wie sie sich in H12 auf fol. 174v findet. Vgl. auch die einleitende Rubrik: Hie hebt sich nu an der passion / von v ͤ nsers herren leiden. vnd / Von seiner marter gantz vnd gar / vnd gereht. vnd auch Marien klag. (fol. 174vb, Z. 2-5). 308 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen tuent uns die rechten warheit kund. Nach Christi marter an dem vierden tag aller erst sagt Nicodemus, wie Jesus gemartert ward; das schreib Eneas, der was ein rechter Jud, und auch die vier ewangelisten, den die warheit durch die vier passion wol kund ist; darnach fand es ein man in ebraischer zung, der pracht es zu latein; und von latein ist es in teutsch zungen pracht nach gerechten worten, das got davon gelobt und geert werd. (Kap. XL , S. 93, Z. 14 - S. 94, Z. 9) Der Textausschnitt lässt verschiedene charakteristische Bearbeitungstechniken erkennen: So ist der Prosatext gegenüber dem Verstext gestrafft; im Vergleich zum Text von H12 ist beispielsweise weggefallen, dass die Übertragung ins Lateinische bald nach der Entstehung der hebräischen Urfassung stattfand; außerdem ist der das Publikum adressierende Überleitungsvers ( nu ho ͤ rt wie sich die [sc. marter ] an vie , fol. 175ra, Z. 1; H9, fol. 248va, Z. 24) 172 ebenso wie der resümierende Vers Daz allez híe geschriben ist (fol. 174vb, Z. 34) 173 in den Prosatext mit seinem grundsätzlich anderen Gestus nicht aufgenommen worden. 174 Außerdem hat eine konsequente inhaltliche Umgestaltung stattgefunden, indem die Verdeutschung der lateinischen Fassung nicht wie in H12 einem Verfasser-Ich zugeschrieben ist, sondern in einer Passivkonstruktion konstatiert wird. 175 Schließlich ist der Vorlagentext punktuell uminterpretiert, wenn im Prosatext gesagt wird, dass den Evangelisten die Wahrheit durch die vier passion bekannt sei, während es in H12 heißt, dass ,uns‘ die vier passion einen wahrheitsgemäßen Bericht übermittelten (fol. 174vb, Z. 30-33). An dieser Stelle wirkt die Umgestaltung wie ein Missverständnis. 176 Jedoch wäre es problematisch, von vornherein das eigene Verständnis des Vorlagentextes als ,richtig‘ anzunehmen, zumal die Prosafassung allein schon durch die aus dem Verstext getroffene Auswahl die Gewichte auch inhaltlich verschiebt. Der Prosatext soll deshalb hier als Resultat einer Auseinandersetzung mit dem Vers-Prätext begriffen werden, d. h., es wird prinzipiell mit der Hypothese gearbeitet, dass die Abweichungen sinnstiftend sind. Was die Rechtsmotive angeht, so sind vor allem die punktuellen Umarbeitungen in den Blick zu nehmen, denn wegen des bewahrenden Zugriffs des Prosabearbeiters auf die einschlägigen Textteile der Weltchronik lassen sich etwa die Beobachtungen zur Konzeption des Prozessverlaufs in H12 auf Die Neue Ee übertragen. Aber Kürzungen, wie sie an dem 172 Publikumsadressierungen und Überleitungsformeln sind aber nicht generell aufgegeben, vgl. z. B. den Beginn der Pilatus-Veronika-Legende: Nu lassen wir die red stân und sagen, wie es Pilato ergie (Kap. XLVII, S. 149, Z. 11). Am Ende des vorangehenden Kapitels heißt es: Wie es aber hernach ergie und wie Pilato geschach, das wil ich euch nu kund tuen (Kap. XLVI, S. 149, Z. 6 f.). 173 In H9 ist dieser Vers nicht vorhanden (s. o. S. 298, Anm. 133). Der Prosatext orientiert sich an dieser Stelle an einer H12 nahestehenden Version, wie die Tatsache zeigt, dass die vier Evangelisten genannt sind. 174 Vgl. dazu Gärtner 1982, S. 18; 2009b, S. 92: „Während der Kompilator der Reimvorlage noch unter den reim- und verstechnischen Zwängen des 14. Jahrhunderts stand, konnte der Prosabearbeiter sich davon frei machen und die reicheren Ausdrucksmöglichkeiten der literarischen Prosa nutzen. Der Prosabearbeiter hat sich daher nicht beschränkt auf die bloße Durchführung der Prosawortfolge, sondern er beseitigt weitgehend die in der literarischen Prosa funktionslos gewordenen Formeln, Wörter und Fügungen, die durch den Reimzwang kultiviert geworden waren.“ 175 Dementsprechend ist auch das subjektive Element der andächtigen Haltung des Übertragenden getilgt, von der in H12 (fol. 174vb, Z. 39: mit so ͤ licher andacht ; ebenso H9, fol. 248va, Z. 18) in einer Weiterentwicklung von v. 1378 in Christi Hort die Rede ist. In H12 war die Ich-Form aus Christi Hort beibehalten worden, sodass die Übertragungsleistung auf den Redaktor der Weltchronik überging. 176 Die Aussage im Prosatext wurde anscheinend auch von mittelalterlichen Bearbeitern als problematisch empfunden; jedenfalls bietet die Handschrift M 1 einen Text, in dem nur von passion und nicht von vier passion die Rede ist (vgl. den Apparat von Vollmer 1929 zur Stelle). 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 309 einleitend betrachteten Text festzustellen waren, finden sich auch hinsichtlich der rechtlichen Details. So ,fehlt‘ gegenüber der Versversion (vgl. H12, fol. 183ra, Z. 2-9; ähnlich H9, fol. 253rb, Z. 5-12; vgl. vv. 6,1245-1252) das letztlich auf Diu urstende (vv. 537-546) zurückgehende Motiv, dass Pilatus durch einen Schergen Ruhe gebieten lässt. 177 Diese Umarbeitung dürfte aber wohl eher auf die grundsätzliche Tendenz zur Straffung zurückzuführen sein als auf eine andere Konzeption des Settings der Gerichtsverhandlung, da auch in Die Neue Ee die Verhandlung innerhalb von Gerichtsschranken stattfindet: Die schalk mochten des gerichtes nicht erpeiten; Annas und Caiphas paten Pilatum, das er sich frue bereitt und in die schrannen kem, sie wollten Jesum gefangen und gepunden für gericht pringen, der het ire recht und ire ee zerstœrt. (Kap. XL , S. 105, Z. 13-16) 178 Das Textbeispiel zeigt weiterhin, dass bei einem entsprechenden Ausdruckswillen auch Zusätze gegenüber dem Verstext vorgenommen wurden, denn in H12 wird nur gesagt, dass Jesus ,gefangen‘ vor Gericht gebracht werden solle, 179 während in Die Neue Ee zusätzlich die schmachvolle Fesselung betont wird. Eine punktuelle Uminterpretation hat an der Stelle stattgefunden, an der es darum geht, dass ,die Juden‘ den abgeschrankten Gerichtsraum verlassen: Damit giengen sie mit greinen und mit zannen von dem gericht, das sie ungemeiligt beliben, wenn Jesus verurteilt würd, das noch oft einer tuet, der ieman geren verurteilen sicht. (Kap. XL , S. 117, Z. 1-3) 180 Der ursprünglich in Christi Hort (vv. 1817-1826) geäußerte Gedanke, dass die mögliche Befleckung durch das Ansehen eines Todesurteils (wie es dort explizit heißt) erfolgt, ist hier aufgegeben zugunsten der Betonung der Inkonsequenz, dass Leute für sich selbst negative Folgen zu vermeiden suchten, auch wenn sie jemanden verurteilt sehen wollten. Der Wunsch nach einer Verurteilung, auf deren Rechtmäßigkeit bzw. Unrechtmäßigkeit es diesen Personen offenbar nicht ankommt, bringt ein Element der Missgunst in die Passage, das gut zur negativen Zeichnung ,der Juden‘ passt. Nicht auszuschließen ist aber, dass die ursprüngliche Überlegung ‚der Juden‘, wie sie sinngemäß noch in H12 beibehalten ist, vom Prosabearbeiter unter veränderten kulturellen Voraussetzungen nicht mehr verstanden wurde. Möglicherweise ist auch die Tatsache, dass das Wunder der bis auf Punkt und Komma identischen schriftlichen Berichte der Simeonsöhne mit keinem Wort Erwähnung findet (Kap. XLVI , S. 144, Z. 22-28; S. 148, Z. 20-26), 177 Do trat ein Jud herfür und pat Pilatum, das er ein still macht und im erlaubt zu reden. Pilatus macht ein still und sprach: Sag an, ich wil dich geren horen. (Kap. XL, S. 109, Z. 19-21). 178 Vgl. auch Kap. XL, S. 105, Z. 26: Do Pilatus die red erhort, do gieng er pald zu der schrann […]. 179 Vgl. fol. 180va, Z. 5 f. (vgl. vv. 6,829 f.). Schon in den Weltchronik -Redaktionen ist der Redebericht, dass Annas und Kaiphas zu Pilatus sagen, sie wollten ihm einen Gefangenen vorführen (vgl. Diu urstende , vv. 267 f.), zu einer Erzählung in der dritten Person umgedeutet. 180 Vgl. H12, fol. 186vb, Z. 41 - fol. 187ra, Z. 4: si giengen auz d ( er ) schranne ( n ) / mit grimin vnd mit zannen / Daz si beliben vngemait / wan Jesus waz do v ͤ ber sait / Si wonten in wa ͤ r v ͤ bel geschehen / ob si in solten an sehen / Alz noch ist manigez mannez sit / daz er sich twingt da mit / Daz er vngern an sih. / wo v ͤ ber iemant ein vrtail geschiht / Also waz auch disen hie . Anders als in H1 (vv. 6,1810-1819) sind ,die Juden‘ hier auch durch Geschrei und ihre Grimassen negativ charakterisiert, sodass eine Anknüpfung an die vorangehende Misshandlung Jesu durch sie gegeben ist. H9, fol. 255rc, Z. 14-24, bietet denselben Text mit Ausnahme von Z. 17 ( wenn Jesus wurd berait ). 310 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen als ein Indiz für ein gewandeltes kulturelles Umfeld zu deuten: 181 Hier ist eine der raren signifikanten inhaltlichen Veränderungen durch Kürzung zu verzeichnen, denn ein für die Vorlagentexte zentrales Element der Beglaubigung der Aussage der Simeonsöhne fehlt. Vielleicht hat das aber auch weniger mit einer veränderten Einstellung zum Schriftmedium zu tun als vielmehr damit, dass die irdischen Formen der Wahrheitssicherung ausreichend erschienen. Die Spuren redaktioneller Bearbeitung an etlichen Stellen lassen den Rückschluss zu, dass auch Motive und Handlungssequenzen, deren Ausgestaltung gegenüber H12 nahezu keine Veränderungen aufweist, nicht ungeprüft übernommen worden sein dürften. Eine Szene wie das Hofgericht über Pilatus, bei dem der Kaiser nach dem Urteil fragt und die künige, fürsten und herren das Urteil finden sollen (Kap. XLVII , S. 165, Z. 18 - S. 167, Z. 4), 182 muss also entweder noch plausibel gewirkt haben, oder aber die Erzähltradition hatte eine solche Autorität entfaltet, dass größere Umgestaltungen nicht in Frage kamen. Gegen Letzteres spricht allerdings der Austausch von Verspartien gegen kanonisches Material, wo es zur Verfügung stand. Dass sich das Rechtsdenken, wie man es aus der Darstellung in der Prosafassung erschließen kann, zumindest in manchen Bereichen nicht grundlegend von dem in den Kerntexten Fassbaren entfernt hatte, zeigt die Transformation von Versen aus dem judenfeindlichen Schlussexkurs des Evangelium Nicodemi . Aus dem dort zur Rechtfertigung des geforderten strengen Vorgehens gegen die Juden verwendeten Argument, dass derjenige, der einen Dieb verstecke, sich genauso schuldig mache wie der Dieb selbst und nur strikte Bestrafung helfe (vv. 5061-5078), 183 ist - wahrscheinlich über die Zwischenstufe der Weltchronik ( Alz schuldig ist der da hilt / alz ainer der da stilt , H12, fol. 261vb, Z. 27 f.) - in Die Neue Ee geworden: Es ist der heler als der steler (Kap. LVI, S. 199, Z. 24 f.). Beide Formulierungen sind sprichwörtlich; 184 das vorgefundene Argument wurde also vor dem Hintergrund kulturellen Wissens jeweils in eine neue Form gebracht, wobei sich der Vorwurf gegenüber der Ursprungsformulierung zu dem der Hehlerei vereindeutigte. 181 Vgl. aber die Schilderung des Schriftwunders in H12, fol. 204va, Z. 9-23 (in leicht anderer Version in H9, fol. 264va, Z. 7-22 [mit fehlender Verneinung in Z. 19: Jetwederr het einez punktez mer ]; vgl. H15, vv. 10,777-792). 182 Erneut verstärkt die Erzählweise die Emotionalisierung, wenn die Gegnerschaft Vespasians zu Pilatus folgendermaßen ausgedrückt wird: Vespasianus der kunig, der Pilato in zoren und von herzen feind was, der sprach (Kap. XLVII, S. 165, Z. 20-22). Vgl. dagegen H12, fol. 217va, Z. 23 f.: Vespasianus der chu ͤ nik do sprah / dem waz mit zorn gen im gah (ebenso H9, fol. 269rb, Z. 27 f.; vgl. H15, vv. 12,1509 f.; vgl. Christi Hort , vv. 5185 f.). 183 S. dazu o. S. 172. 184 Vgl. TPMA, Bd. 12, S. 144 f. Für die Fassung der Weltchronik findet sich eine Parallele in der Predigt Von den fremeden sünden Bertholds von Regensburg. Zur Begründung, warum das Verschweigen einer Sünde eine Sünde sei, heißt es dort: Wan der dâ verhilt der ist ein dieb als wol als jener der dâ stilt (zitiert nach der Ausgabe von Pfeiffer / Ruh 1965 [1862], Bd. 1, Nr. XV, S. 217, Z. 16 f.; vgl. dazu Grimm 1899, Bd. 2, S. 195). Für die Fassung in Die Neue Ee scheint der erste Parallelbeleg in der Zeit um 1460 in Handschriften der ,Traktate, dt. ( Lere und underweisung )‘ des Albertanus von Brescia fassbar zu sein (vgl. zur Überlieferung die Einträge im Handschriftencensus ): es ist der häler als der steler. (zitiert nach dem Druck des Johannes Bämler, Augsburg 1476 [GW M17 724], fol. 44r, Z. 7; digitale Edition von Angus Graham: http: / / www.hs-augsburg.de/ ~harsch/ germanica/ Chronologie/ 15Jh/ Lehre/ ler_un06.html, 15. 08. 2017). Zur weiten Verbreitung des Rechtssprichworts in späterer Zeit vgl. Schmidt-Wiegand / Schowe 1996, S. 170 f. 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 311 Terminologische Anpassungen an die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit sind für den Rechtsbereich (vereinzelt) erst innerhalb der Überlieferung zu konstatieren. 185 So ist beim Proselytenvorwurf der jüdischen Ankläger (Kap. XL , S. 111, Z. 4-6 mit Apparat) in Handschrift M 2 beibehalten worden, dass die jüdischen Ankläger bemängeln, das lantrecht der zwölf Zeugen gelte nichts. Hans Vollmer (1929) hat die Lesart leutrecht in den Ausgabentext gesetzt. 186 In den Frühdrucken L 1 und L 2 steht Juwe recht ist nicht yegen vns . Ein selbstverständlicher Bezug auf ein Landrecht ist offenbar nicht mehr vorhanden; doch ist der Grundgedanke, dass für unterschiedliche Personenkreise unterschiedliches Recht gilt, in allen Varianten präsent. Auf der motivischen Ebene überwiegen ebenfalls Tendenzen zur Verfestigung des Vorgefundenen. So ist etwa die Rede des Pilatus dazu, wie man sich vor Gericht zu verhalten habe (vgl. Kap. XL , S. 108, Z. 18-27), mindestens bis in die Zeit des Frühdrucks weiter tradiert worden. Dass Die Neue Ee sogar in der Reformationszeit noch gelesen wurde, belegen polemische Äußerungen Luthers gegen den ,Narren‘ oder ,Buben‘, der ein Buch mit lügenhaften Geschichten über die Kindheit Jesu geschrieben habe. 187 Die Kritik findet sich im Rahmen eines Kommentars zu Lc 2,40 in der Weihnachtspostille (1522) und bezieht sich deshalb auf die Partien zur Kindheit, deren apokrypher Charakter zudem besonders offensichtlich ist. Auch das Nikodemusevangelium dürfte Luthers Postulat der Beschränkung auf den Kanon nicht genügt haben. 188 Luther beschäftigt sich aber in seinen Predigten ausführlich mit historischen und juristisch-moralischen Aspekten, die mit dem Prozessgeschehen verbunden sind, etwa der Funktion der Geißelung, der Schuld des Pilatus oder dem genauen Wortlaut des Urteils. 189 Insofern ist sein Werk auch ein Beleg dafür, wie aktuell diese Fragen, die in den auf dem Nikodemusevangelium aufbauenden Erzähltexten - also auch in Die Neue Ee - entfaltet werden, in der Exegese zu Beginn des 16. Jahrhunderts weiterhin waren. 190 Möglicherweise ist noch Luthers Interpretation des Pilatus als eines Richters, der um die 185 Die folgenden Überlegungen beruhen ausschließlich auf Vollmers Apparat (1929) und beanspruchen keine Vollständigkeit. Zu den Siglen für die Handschriften und Drucke s. o. S. 281, Anm. 49. 186 Aus der Angabe der abweichenden Lesarten kann man den Rückschluss ziehen, dass leutrecht in W, M 1 und A überliefert ist. Vermutlich ist damit ein für eine bestimmte ständische Gruppe geltendes Recht gemeint, leutding ist allerdings auch in der Bedeutung ,Landgericht‘ belegt, wobei es wiederum auf dessen Besetzung mit landsässigen Bauern anzukommen scheint (vgl. FWB, s. v. [unter 5.]). 187 Vgl. WA, Bd. 10,1,1 (1910), S. 443 f. (mit Anm. 1; vgl. auch S. 446, Anm. 1). Zur Identifizierung des Werks, auf das sich Luther bezieht, als Die neue Ee vgl. Gärtner 2009b, S. 93. 188 Dass das Nikodemusevangelium auch von Reformatoren nicht vollkommen verworfen wurde, zeigt die von Andreas Karlstadt vorgenommene Einordnung in seinem Werk Welche bucher Biblisch seint (Wittenberg, [Lotter], 1520 [VD16 B 6259], fol. 216r; vgl. München, BSB, 4 Exeg. 90, URN: urn: nbn: de: bvb: 12bsb00 021 482-3): Die andere Evangelia (als Nicodemi / das itzt gedruckt vmbher getragen wurt) vnd andere der gleiche ( n ) / ſeint nicht Gotlich odder Biblische / ap ſie gleich gutte ſententz haben. Derwegen ſollen die prediger vnd leſzemeyſter sich furſehen / vnd beſinnen / was ſie den ſchefflin Chriſti fur weyd furgeben / vnnd vnterſcheyd zwuſchen Bibliſchen vnd vnbibliſchen haben. (das Zitat entstammt dem Abschnitt New Testament ). 189 Vgl. Luthers Wochenpredigten zum Johannesevangelium 18 und 19 (zitiert nach WA, Bd. 28 [1903]; zu den Bearbeitungen Andreas Poachs vgl. ebd., S. 34-37): z. B. S. 332 zu Io 19,1 nach Poach 1,2: Das steuppen oder geisseln war bey den Ro ͤ mern eine gemeine straffe, wie bey uns ist die scharffe rechtfertigung in der uhrgicht . Zur ,realistischen Schriftauslegung‘ bei Luther vgl. Felber 2016, S. 75. 190 Zu berücksichtigen ist hier selbstverständlich auch die monastische Tradition der Bibelauslegung, in der auch Luther verwurzelt war (zur theologischen Forschungsdiskussion darüber vgl. Treusch 2016, S. 27 f., mit weiterer Literatur). Apokryphes Material wie die Briefe des Pilatus an Tiberius fanden noch Eingang in Lutherische Handbücher des 16. und 17. Jahrhunderts (vgl. Backus 2002). 312 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Wahrung des Rechts bemüht ist und dessen Entscheidungen politisch bestimmt sind, von der erzählerischen Tradition nicht unbeeinflusst: 191 […] Pilatus hat sich gnug gewehret nach weltlicher gerechtigkeit zu reden, und wolt Gott, das solche eusserliche und weltliche gerechtigkeit in der Welt bey vielen steiff und feste gehalten wu ͤ rde (Denn leider wenig sind so from als Pilatus), Wiewol solche eusserliche gerechtigkeit geringe und gar nicht gnug ist, wie oben gesaget. 192 AB er das wort ‘lessestu diesen los, so bistu des Keisers freund nicht’ schrecket Pilatum, das er das Urteil uber den unschuldigen Jhesum gehen lesset und jn den Ju ͤ den uberantwortet nicht nach dem Recht (denn er war unschuldig wie Pilatus selbs bekennet), Sondern wie Lucas saget, nach jrem willen. Da macht sich Pilatus teilhafftig aller Su ͤ nden der Ju ͤ den und wird schuldig an des Gerechten Blut, ob er wol von seiner Unschuld zeugnis gegeben hat und offt bekand, das keine Schuld des todes an jn zu finden sey. Aber weltliche Gerechtigkeit thut nicht anders, die wehret so lange es on Fahr ist. AL hie ist von dem Urteil etwas zu sagen: ob wol das Urteil so uber Jhesum gangen, nicht ausgedru ͤ ckt ist, dennoch scheinet es, das das Urteil gelautet habe wie der Titel lautet, so uber sein Creutz gehefftet wird, nemlich: dieweil dieser Jhesus von Nazareth sich auffgeworffen hat fur einen Ko ͤ nig der Ju ͤ den und damit wider Keiserliche Maiestat gehandelt als ein widersetziger und Auffrhu ͤ rer und Keiserlich Hoheit und Kron beleidigt, So urteile ich Pilatus und Ro ͤ mischer Landpfleger jn zum tode des Creutzes, das er gestrafft und ans creutz gehenckt werde wie ein Auffrhu ͤ rer. […] 193 6.1.5 Von der Passionskompilation zu Die Neue Ee : Historisierung des Heilsgeschehens Die bei der vergleichenden Lektüre der Texte gewonnenen Ergebnisse liegen auf unterschiedlichen Ebenen. Unter philologischen Gesichtspunkten ist festzuhalten, dass bei dem Versuch, die genaue Gestalt der Passionskompilation zu rekonstruieren, Vorsicht geboten ist, weil die Schlussverfahren für den Umgang mit Abweichungen zwischen den Weltchronik -Redaktionen sehr voraussetzungsreich sind. Damit soll nicht die Existenz des Kompilationswerks angezweifelt werden, aus dessen kleinteiliger Integration aller drei Kerntexte sich sogar eine spezifische Poetologie erschließen lässt: Offenbar wurden die einzelnen Bausteine relativ genau in ihrer Gestalt bewahrt, ihre Neuzusammenstellung jedoch mit großer Freiheit vorgenommen, d. h., der Anspruch dürfte weniger darauf gelegen haben, etwas formal Neues zu schaffen, als darauf, möglichst vollständig von der Passion Jesu und den darauf folgenden Ereignissen zu erzählen. Soweit sich das rekonstruieren lässt, war für die Zusammenstellung einzelner Handlungssequenzen weder der Aufbau der jeweiligen Vorlagentexte noch der des Nikodemusevangeliums leitend, sondern 191 Die Parallelen zwischen der Argumentation in Luthers Predigten und in den Weltchronik -Texten wären unter einer großräumigeren Einbeziehung der exegetischen Traditionen systematisch zu untersuchen. Auffällige Gemeinsamkeiten liegen im inhaltlichen Bereich, z. B. in der Erklärung, der u r s p r ü n g l i c h e Vorwurf ,der Juden‘ habe gelautet, Jesus verbiete es, dem Kaiser den Zins zu geben, oder den Ausführungen, warum der Verlust der Gunst des Kaisers für Pilatus Verlust von Gut und Ehre bedeutet (vgl. WA, Bd. 28 [1903], S. 368-370). ,Mittelalterlich‘ mutet aber auch die Betrachtung des Prozessgeschehens als exemplarisch an; so wird z. B. aus der Antwort Jesu gegenüber Pilatus, woher dieser seine ,Gewalt‘ habe, abgeleitet, dass ,wir‘ Christen für die Wahrheit und das Recht einstehen und ,unsere Pilatos‘ strafen sollten (vgl. ebd., S. 361 f.). 192 Vgl. WA, Bd. 28 (1903), S. 370 f. Zu Luthers Gerechtigkeitskonzeptionen vgl. Schloemann 1961, S. 31-36. 193 Luthers Wochenpredigt zu Io 19,14-16 nach Poach 1,2 (zitiert nach WA, Bd. 28 [1903], S. 378 f.). 6.1 Die Passionskompilation , die Weltchronik Heinrichs von München und Die Neue Ee 313 es wurde - im vorgegebenen Rahmen des Passionsgeschehens - eine eigene Erzähllogik entwickelt, so wie es auch für Passionsharmonien anzunehmen ist. 194 Konkret lässt sich eine solche Kompilationstechnik an den Weltchronik -Redaktionen beobachten, bei denen die Erzählelemente im Sinne einer chronologischen Anordnung in eine übergeordnete Erzählstruktur eingepasst wurden. Die Anteile an (evtl. schon auf die Passionskompilation zurückgehender) ,Eigendichtung‘ beschränken sich darauf, die vorgefundenen Züge zu verstärken (z. B. das gemeine Verhalten ,der Juden‘) bzw. leicht zu modifizieren (etwa die Handlungsmotivation von Pilatus) oder historisch (Verwendung von Halstüchern! ) bzw. moralisch (, Juden‘-Exkurs) zu kommentieren. Das ist ein grundsätzlich anderer Ansatz als der in den Kerntexten, die zwar ebenfalls auf Prätexten aufbauen, das Passionsgeschehen aber vor dem Hintergrund der eigenen Kultur neu fassen. Das gilt auch für Christi Hort : Der Text ist bereits in Kenntnis von Diu urstende als volkssprachigem Verstext entstanden, greift darauf aber nicht kompilatorisch zu, sondern integriert einzelne Bestandteile daraus in ein eigenes Konzept. Vor der Folie der Kompilationswerke zeigt sich eine große Gestaltungsfreiheit, die sich die Autoren der bibelepischen Kerntexte genommen haben. Allerdings wird mit der Verfestigung von Erzähltraditionen in den Weltchronik -Redaktionen und der darauf fußenden Historienbibel nur ein Aspekt ihres Umgangs mit den Kerntexten erfasst, denn allein schon durch die Auswahl und neue Anordnung des vorliegenden Erzählstoffes ergibt sich eine jeweils andere Ponderierung des Passionsgeschehens. Aus der Vielzahl kleiner Änderungen gegenüber den Prätexten (der die ins Einzelne gehende Analyse gerecht zu werden suchte) sind hinsichtlich der Rechtsthematik folgende größere Linien erkennbar: Das grundsätzliche Anliegen der Vorlagentexte, das Ergebnis des Prozesses Jesu von dem Verfahrensablauf in Bezug auf die Bewertung voneinander abzukoppeln, wird beibehalten. Für das Problem, wie dann die letztendliche Entscheidung des weithin positiv beurteilten Richters Pilatus motiviert werden kann, wird eine pragmatische Lösung gefunden, die außerdem im Kontext der Topoi der Richterethik höchst plausibel ist: Pilatus wurde bestochen. Dass die im Marienleben vorgeprägte narrative Lösung die Schlussszenen der Prozesshandlung aus den Kerntexten nicht ersetzte, vielmehr diesen zusätzlich angefügt wurde, verweist darauf, dass die Redaktoren ein Interesse an den dort durchgespielten Wendungen der Verhandlung hatten, sie aber jeweils nicht als vollwertigen Abschluss des Prozesses empfanden. Das Bemühen, Pilatus einen klaren Regelverstoß zuzuweisen, ist repräsentativ für andere Erzählstrategien, die dazu dienen, die moralische Bewertung des Geschehens zu verdeutlichen. Konsequenterweise wurde nicht nur die juristische Aufarbeitung der Schuldfrage durch das vom römischen Kaiser eingeleitete Verfahren aus den Kerntexten komplett übernommen; über die legendarische Erzählung von den Schwierigkeiten mit dem Verbleib der Leiche des Pilatus wurde zusätzlich seine Verdammung herausgestellt. Während ein deutliches Interesse an historischen und politischen Zusammenhängen erkennbar ist (in H12 auch bei der Gestaltung der Prozesshandlung), werden die in den Kerntexten präsenten verfahrensrechtlichen Details mitgetragen, aber kaum weiterentwickelt. Das betrifft sowohl die Prozessszenen im engeren Sinne als auch die in den Kerntexten juristisch geprägten Verfahren zur Wahrheitsfindung. Das dort in einer Engführung 194 Zu deren Harmonisierungsprinzipien und der Verschiedenartigkeit der Komposition vgl. Hörner 2012c, S. 30-37. 314 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen theologischer und juristischer Wahrheitsbegriffe entfaltete Problem, wie Heilswahrheit zu sichern ist, ist in den Weltchronik -Redaktionen in den Hintergrund getreten. Symptomatisch dafür sind die Umorganisationen im Descensus -Bereich. Sie dürften zwar vor allem dem Bemühen um eine chronologisch ,richtige‘ Anordnung geschuldet sein, zeigen aber auch, dass die Simeonsöhne als Vermittler der Heilswahrheit entbehrlich geworden sind. Ihr Zeugnis ist in den Weltchronik -Redaktionen für den Handlungsverlauf und die Demonstration der Reaktion ,der Juden‘ weiterhin wichtig, aber nicht mehr als an den Rezipienten vermittelte Offenbarung. Der Wegfall des Schriftwunders in Die Neue Ee ist ein Indiz dafür, dass der Versuch, die Einmaligkeit des Heilsereignisses einzufangen, einem Fokus auf den Geschehensablauf gewichen ist. 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben Ihre größte Wirkung haben Diu urstende , Christi Hort und das Evangelium Nicodemi über die Passionskompilation in der Weltchronik Heinrichs von München entfaltet, weshalb den in der Weltchronik zu beobachtenden Rezeptionsprozessen hier besondere Aufmerksamkeit gewidmet worden ist. Im Rahmen der umfassenden Kompilationstätigkeit im 14. Jahrhundert dürfte jedoch auch noch in anderen Zusammenhängen auf die drei bibelepischen Texte zugegriffen worden sein. Anhand des heutigen Überlieferungsbestandes lässt sich eine weitere Spur verfolgen: Die Integration von Versen aus dem Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler in das Marienleben Bruder Philipps 195 bzw. die Kombination von Passagen aus beiden Werken. Die genannten Zusammenstellungen bieten einen aufschlussreichen Vergleichspunkt zur Kompilation der Weltchronik , in der ebenfalls Textpartien aus dem Marienleben und dem Evangelium Nicodemi verbunden sind. 6.2.1 Zur Textgrundlage Zwei Handschriften bzw. Handschriftengruppen des Marienleben , die b l o c k h a f t e E x z e r p t e aus dem Evangelium Nicodemi enthalten, sind heute bekannt: In den Text einer in Klosterneuburg aufbewahrten Handschrift (Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 1242), die eine bairisch-österreichische Schreibsprache aufweist und auf den 4. Juli 1338 datiert ist, sind die Verse zur Fußwaschung und Einsetzung des Abendmahls aus dem Evangelium 195 Für die komplizierte Überlieferungsgeschichte des Marienleben Bruder Philipps sind Kompilationen charakteristisch (vgl. Gärtner 2012, bes. S. 337-341 [381-386]). - Ich bin Kurt Gärtner sehr dankbar dafür, dass er mir ein Exemplar seiner unveröffentlichten Habilitationsschrift zur Überlieferungsgeschichte des Marienleben zur Verfügung gestellt hat. Zitiert wird die ergänzte und überarbeitete Fassung von 2012, die Seitenzahlen der ursprünglichen Fassung von 1978, die allgemein zugänglich ist, sind in Klammern beigefügt. - Gärtners Studien haben den Bedarf für eine Neuausgabe des Marienleben aufgezeigt. Da sich seine Ausgabe noch im Stadium der Vorbereitung befindet (vgl. http: / / www.handschriftencensus.de/ editionsbericht/ E_Gaertner1.html, 15. 08. 2017), dient im Folgenden der Text Rückerts (1853) als Referenztext. 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben 315 Nicodemi (vv. 429-481) 196 integriert. 197 Die Passage aus dem Evangelium Nicodemi zur Vorladung Jesu und zum Fahnenwunder (vv. 761-918) findet sich in einer ganzen Gruppe von Handschriften, die die thüringische Rezension des Marienleben überliefern. 198 Entdeckt wurde das Exzerpt zunächst in der Londoner Handschrift (L), einer in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstandenen Handschrift mit bairischer Schreibsprache nach mitteldeutscher Vorlage. 199 Sie soll wegen ihrer forschungsgeschichtlichen Relevanz im Folgenden die Handschriftengruppe repräsentieren, deren Texte für die zu diskutierende Passage nicht signifikant voneinander abweichen. 200 Zu den bisher genannten Überlieferungsträgern hinzu kommt ein in Wien befindliches Handschriftenfragment von 16 Blättern (ÖNB, Cod. Ser. nova 207 [früher Cod. 19 681]), das in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert wird und dessen Schreibsprache nordbairisch (mit mitteldeutschen Spuren) ist. 201 Die Blätter, die aus verschiedenen Lagen stammen, 202 überliefern eine k o m p l e x e r e K o m p i l a t i o n von Versen aus dem Marienleben und dem Evangelium Nicodemi : 203 Der Text setzt mit einem Abschnitt aus dem Marienleben ein, 196 Der Text des Evangelium Nicodemi in der Ausgabe Helms (1902) wird - ebenso wie Rückerts (1853) Ausgabe des Marienleben - hier und im Folgenden als Bezugspunkt und auch als Vergleichsfolie zugrunde gelegt, ohne dass bei Beobachtungen zu Abweichungen der Handschriftentexte von den Ausgabentexten eine Hierarchie, eine Abhängigkeit oder eine bewusste Abgrenzung davon impliziert sein soll. 197 Die Verse befinden sich auf foll. 117v-118v der Handschrift (vgl. dazu den Eintrag im Handschriftencensus mit weiterer Literatur). Zur Einbettung vgl. Gailit 1935, S. 99-101, mit Abdruck der Textstelle (die Klosterneuburger Handschrift ist dort mit der Sigle N bezeichnet, die sie in der Marienleben -Überlieferung zugewiesen bekommen hat; als Überlieferungszeugnis des Evangelium Nicodemi hat sie keine Sigle erhalten). Neben der Passage aus dem Evangelium Nicodemi sind auch Auszüge aus der Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen und der Interrogatio Sancti Anselmi de Passione Domini , dt., in den Marienleben -Text aufgenommen (abgedruckt bei Gailit ebd., S. 64-99). 198 Vgl. Gärtner 1978, S. 215; 2012, S. 278 f. (307 f.); zur thüringischen Rezension des Marienleben vgl. dens. 2008. Es handelt sich um folgende Handschriften (soweit nicht anders angegeben, beziehen sich die Seitenangaben auf Gärtner 2012 [1978]): Gotha, Forschungsbibl., Cod. Membr. II 37 (G), foll. 83va-85vb (S. 77-79 [81-83]); Gotha, Forschungsbibl., Cod. Chart. B 174a (Go), foll. 117r-119v (S. 80-82 [84-86]); Hamburg, Staats- und Universitätsbibl., Cod. 146 in scrin. (Ha), S. 197-202 (S. 84 f. [89 f.]); Köln, Hist. Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 20 (K), foll. 136v-139v (S. 102 [111 f.]); London, British Library, MS Add. 10 432 (L), foll. 96v-99v (vgl. Asseburg 1964, Bd. 1, S. 65; 72-75; Gärtner ebd., S. 114-116 [126 f.], jeweils mit der fehlerhaften Folioangabe 94v-99v). 199 S. o. Anm. 198. Zur sprachlichen Einordnung vgl. Asseburg 1964, Bd. 1, S. 72-75, bestätigend Gärtner 2012, S. 115 (127). 200 Vgl. Gärtner 2012, S. 278-287 (307-318). 201 Vgl. Gärtner 2012, S. 166-168 (189-191). 202 „Bl. 1-8 bildeten die 6. Lage des verstümmelten Kodex, vgl. 8 v Kustode VIus (14. Jh.); daran schließt Bl. 9 unmittelbar an, während zw. 9 und 10 3 Doppelbll. verloren sind. Bl. 11-16 gehörten zur 9. Lage, vgl. 16 v den Kustoden IX; es fehlt daraus das 3. Doppelbl.“ (Menhardt 1961, S. 1443). 203 Angaben zur Textzusammensetzung finden sich bei Haupt 1871, S. 198-203; Helm 1899, S. 96; Menhardt 1961, S. 1442 f. und Gärtner 2012, S. 166 (189) (nur zu den Versbereichen aus dem Marienleben ). Am zuverlässigsten erwiesen sich die Angaben Menhardts; allerdings sind die Verszahlen schwer zuzuordnen, weil die Versbereiche nicht den einzelnen Blättern zugewiesen sind. Zu korrigieren ist Menhardts Aufstellung in folgenden Punkten: Die erste Passage aus dem Marienleben reicht bis v. 6697 (auf fol. 1vb), nicht v. 6694 (v. 6695 [fol. 1vb, Z. 12] weicht vom Ausgabentext ab). Bei den Angaben zur folgenden Passage aus dem Evangelium Nicodemi liegen zwei Druckfehler vor, denn „733-1169“ müsste „733-1159“ heißen (das ist der Versbereich bis zum Ende des Textes auf fol. 5ra); mit „1151-1412“ (als Textpassage direkt im Anschluss) hat Menhardt vermutlich „1171-1412“ gemeint. Der Text auf fol. 5rb beginnt mit v. 1168 aus dem Evangelium Nicodemi , vv. 1169 f. haben jedoch eine gegenüber dem Ausgabentext andere Gestalt. Weiterhin ist (auf fol. 8rb) vor v. 1462 aus dem Evangelium Nicodemi (Z. 4) noch v. 6927 aus dem Marienleben (Z. 2, Z. 1 ist angeschnitten) in abgewandelter Form zu lesen. 316 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen der die Verspottung und Befragung Jesu im Haus des Kaiphas sowie die Verleugnung Jesu durch Petrus und dessen Klage darüber umfasst (vv. 6578-6697; fol. 1ra-vb). 204 Die Klage des Petrus wird mit Versen aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 677 f.) abgeschlossen (fol. 1vb, Z. 16 f.), dann folgt die (mit der Quellenreflexion eingeleitete) Prozesserzählung aus dem Evangelium Nicodemi bis zur Vorführung vor Herodes (vv. 679-1412; foll. 1vb-7ra). Die Herodes-Szene zeigt eine kleinteilige Kompilation mit dem Marienleben . 205 Daran schließen sich, eingeleitet durch Verse aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 1438-1442), die erneute Verhandlung vor Pilatus, Geißelung, Dornenkrönung und die folgende Wiederaufnahme der Verhandlung nach dem Marienleben an (vv. 6768-6783; 6804-6948 [v. 6948 in abgewandelter Form]; foll. 7ra-8rb). 206 Danach wird die Handwaschungsszene nach dem Evangelium Nicodemi erzählt, wo sie am Prozessende angesiedelt ist; auch die dort anschließenden Verse zu Reue und Selbstmord des Judas sind im Wiener Fragment übernommen (vv. 1520-1565; fol. 8rb-vb). Verse zur Erfüllung der alttestamentarischen Prophezeiungen (vv. 1566-1568), die im Evangelium Nicodemi den dort folgenden Abschnitt zur Kreuztragung einleiten, werden im Wiener Fragment zur Überleitung genutzt, um das Prozessende nach dem Marienleben anzuschließen (vv. 6976-6993; fol. 8vb). Markiert durch eine Rubrik verlagert sich der Fokus anschließend - dem Marienleben folgend - auf Maria, und es wird geschildert, wie sie in Bethanien von der Gefangennahme erfährt, in Klagen ausbricht, dann nach Jerusalem kommt und die Kreuztragung mit ansehen muss (vv. 6994-7137; foll. 8vb-9vb). 207 Nach einer größeren Lücke wegen Blattverlusts folgen Verse aus dem Marienleben , die sich auf die Situation nach dem Kreuzestod Jesu beziehen und hauptsächlich Klagereden von Petrus und Maria Magdalena zum Gegenstand haben (vv. 7844-7949 mit Kürzungen; fol. 10ra-b). 208 Nachdem am Ende dieses Abschnitts die Aufnahme Mariens in das Haus Zwischen v. 7903 des Marienleben (vorletzte Zeile von fol. 10ra, letzte Zeile ist angeschnitten) und v. 2267 des Evangelium Nicodemi (fol. 10rb, Z. 6) sind noch vv. 7946-7949 aus dem Marienleben lesbar. - Am oberen oder unteren Blattrand angeschnittene Verse werden hier und im Folgenden als eigene Zeile gezählt. 204 Textlücken, die sich dadurch ergeben, dass die Blätter beschnitten sind, sind bei dem folgenden groben Überblick ebenso wenig aufgeführt wie redaktionell ausgelassene Verse. Vgl. dazu jeweils die detaillierten Angaben bei Menhardt (1961, S. 1442 f.) und ggf. die Einzelinterpretation in Kap. 6.2.2. 205 Marienleben , vv. 6738 f.; Evangelium Nicodemi , vv. 1413-1422; Marienleben , vv. 6748 f.; Evangelium Nicodemi , vv. 1423-1437 (fol. 7ra). 206 In den Dialog des Pilatus mit Jesus über die Macht des Pilatus (auf fol. 8rb) sind zwischen v. 6927 (Z. 2) und v. 6930 (Z. 7) aus dem Marienleben sinnentsprechende Verse aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 1462-1464 mit einem einleitenden Vers) eingeschoben. Der im Wiener Fragment schon zuvor von ,den Juden‘ als Anklagepunkt vorgebrachte Vorwurf (fol. 2ra, Z. 32; vgl. Evangelium Nicodemi , v. 735), dass Jesus die ê zerstöre, ist ausgelassen (vgl. Marienleben , vv. 6784-6803). 207 Vor v. 7116 aus dem Marienleben (auf fol. 9vb, Z. 11) sind Verse aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 641-650) integriert, in denen es darum geht, dass Jesus alles still wie ein Schaf erdulde. 208 Der Text auf fol. 10r setzt mitten in einer Klagerede ein, die im Marienleben (vv. 7814-7887) Petrus zugeordnet ist. Im Fragment ist er nicht namentlich genannt, aber der erste Vers auf fol. 10ra ( mein maist [ er ] han gelassen ; vgl. Marienleben , v. 7844) spricht dafür, dass man auch hier Petrus als Sprecher anzunehmen hat. Das dreimalige Verleugnen (vv. 7846-7875) als Spezifizierung der Schuld des Petrus ist jedoch nicht in den Text des Wiener Fragments aufgenommen. Das korrespondiert mit der Gestaltung der Szene des Verleugnens selbst, in der die Angabe, dass es dreimal geschah (so im Marienleben , v. 6695), im (erhaltenen) Fragmenttext (fol. 1vb, Z. 12) ebenfalls nicht auftaucht. Der Klagerede - soweit das auf der Grundlage des erhaltenen Teils zu beurteilen ist - scheint so ein grundsätzlicher Charakter verliehen worden zu sein, der es den Rezipienten ermöglicht, die Aussagen zu Schuld und Vergebung auch auf sich selbst zu beziehen. 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben 317 des Johannes benannt worden ist, wechselt die Vorlage zum Evangelium Nicodemi , und die Erzählung bewegt sich zu den Aktivitäten ,der Juden‘, die die Bewachung des Grabes verlangen und Joseph von Arimathia gefangen nehmen (vv. 2267-2332; fol. 10rb-vb). Durch Rubriken separiert sind Verse aus dem Marienleben eingeschoben, in denen es um die Trennung von Leib und Seele nach Jesu Tod und um seine Höllenfahrt geht (vv. 7950-7961; fol. 10vb). Dann beginnt die Erzählung von der Auferstehung nach dem Evangelium Nicodemi (vv. 2339 f.; fol. 10vb), doch bricht der Text wegen Blattverlusts ab. Der nach dieser Lücke auf foll. 11ra-16vb überlieferte Text stammt allein aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 3130-4256). 209 Er setzt in der Schilderung der Höllenfahrt ein und reicht bis zum Beginn der Pilatus-Veronika-Legende (bis zur Ankunft der Boten Alban und Volusian bei Pilatus). Das Wiener Fragment ist im Rahmen der Forschungen zum Evangelium Nicodemi behandelt worden, wo es eine eigene Sigle (W) erhalten hat, 210 aber auch im Rahmen der Untersuchung der Überlieferungsgeschichte des Marienleben . 211 Ob das Marienleben „Basis für den Kompilator“ gewesen ist, 212 muss angesichts des fragmentarischen Zustands der Handschrift offenbleiben. Da die Fragmente belegen, dass die Höllenfahrt und zumindest der Beginn der Pilatus-Veronika-Legende nach dem Evangelium Nicodemi erzählt worden sind, enthielt die Handschrift also auf jeden Fall nicht einfach ein punktuell mit Versen aus dem Evangelium Nicodemi angereichertes Marienleben . Trotzdem ist nicht auszuschließen, dass für den Passionsteil das Marienleben dominant war. In der Forschung Interesse gefunden haben die Klosterneuburger und die Londoner Handschrift sowie das Wiener Fragment bisher vor allem unter textgeschichtlichen Gesichtspunkten: Die auf 1338 datierte Klosterneuburger Handschrift ist ein wichtiger Beleg für frühe Bearbeitungsformen des Marienleben -Textes. 213 Die Wiener Fragmente bieten - wie die Londoner Handschrift - den Text der thüringischen Rezension des Marienlebens , die offenbar ihren Weg nach Süden gefunden hat. Die Kompilation mit dem Evangelium Nicodemi könnte jeweils schon im mitteldeutschen Raum stattgefunden haben, denn auch die Sprache der Passagen aus dem Evangelium Nicodemi zeigt eine mitteldeutsche Prägung. 214 Relevant für die hier angestrebte inhaltliche Untersuchung der Kompilationen ist vor allen Dingen die Tatsache, dass die Textfassung 215 des Evangelium Nicodemi im Wiener Fragment mit der in der Londoner Handschrift im Wesentlichen übereinstimmt. 216 Die stemmatologische Einordnung der Überlieferungszeugnisse kann hier nicht im Einzelnen 209 Weil das dritte Doppelblatt der von den Blättern 11 bis 16 gebildeten Lage (s. dazu o. S. 315, Anm. 202) fehlt, sind folgende Verse ausgefallen: vv. 3411-3560 (zwischen dem Text auf fol. 12v und fol. 13r); 3845-3984 (zwischen dem Text auf fol. 14v und fol. 15r). 210 Vgl. bes. Helm 1899, S. 96 f. 211 Vgl. bes. Asseburg 1964, Bd. 1, S. 72-74; Gärtner 2012, S. 166-168 (189-191). 212 So Gärtner 2012, S. 168 (191). Auch sämtliche Handschriftenkataloge klassifizieren das Fragment als Handschrift des Marienleben mit Einschüben aus dem Evangelium Nicodemi (vgl. Menhardt 1961, S. 1442; Mazal / Unterkircher 1965, S. 61; Handschriftencensus ). 213 Vgl. Gärtner 2012, S. 98 f. (106 f.). 214 Vgl. Gärtner 2012, S. 168 (191); 286 (317). 215 Die Zuordnung zu einer ,Fassung‘ erfolgt hier aufgrund gemeinsamer Varianten, unabhängig davon, ob diese durch Bearbeitung zustande gekommen sind oder nicht (vgl. dazu Schiewer 2005, S. 40). 216 Vgl. Asseburg 1964, Bd. 1, S. 72-74; Gärtner 2012, S. 167 (191) (zu Abweichungen zwischen W und der Londoner Handschrift s. u. Kap. 6.2.2). In Textfassung und Schreibsprache ist W außerdem eng mit dem Görlitzer Fragment Γ verwandt (Görlitz, Bibl. der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Cod. A III.1.10 [Beilage], verschollen; vgl. dazu den Eintrag im Handschriftencensus ). 318 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen diskutiert werden, zumal die Vorannahmen hinterfragt werden müssten: Karl Helm (1899), dessen grundlegende Forschungen zu den Überlieferungsverhältnissen des Evangelium Nicodemi immer noch einen Referenzpunkt bilden, 217 behandelte den Text des Wiener Fragments nicht als eigenständige Bearbeitung, sondern versuchte ihn nach den Prinzipien der klassischen Textkritik in die Überlieferung des Evangelium Nicodemi einzuordnen. 218 Helm nahm an, dass der im Wiener Fragment (W) fassbare Text auf zwei unterschiedliche Überlieferungsstränge zurückgehen müsse, da die Lesarten teilweise mit G und teilweise mit s (jeweils gegen die andere Handschrift) übereinstimmten. 219 Auch hinsichtlich der Kompilationstechnik ging Helm von einer strengen Vorlagenbezogenheit aus: Weil es Verse gebe, die sich weder dem Evangelium Nicodemi noch bekannten Handschriften des Marienleben zuordnen ließen, 220 überlegte er, ob vielleicht noch ein drittes Werk als Vorlage gedient haben könnte. Zwar wäre es angesichts der Übereinstimmungen der Lesarten des Wiener Fragments mit denen in anderen Handschriften sicherlich verfehlt, alle Lesarten auf den Redaktor des im Wiener Fragment überlieferten Textes zurückführen zu wollen. Auszuschließen sind redaktionelle Bearbeitungen einzelner Verse aber ebenso wenig wie ,Eigendichtung‘ des Redaktors, wie sie etwa in der Weltchronik Heinrichs von München zu beobachten ist. Vor einer stemmatologischen Einordnung wäre erst einmal zu klären, bei welchen Abweichungen sich textkritische Verfahren überhaupt sinnvoll einsetzen lassen. Im Folgenden werden die Textversionen der Londoner Handschrift und des Wiener Fragments jeweils als redaktionelle Bearbeitungen behandelt, wobei nicht zwischen den einzelnen Schritten der Genese unterschieden wird. Wenn bei der inhaltlichen Untersuchung der Kompilationen hier nur die Londoner Handschrift und das Wiener Fragment Berücksichtigung finden, liegt der Grund darin, dass deren Textversionen für die Rechtsthematik am aufschlussreichsten sind. 221 Die Klosterneuburger Handschrift zeigt gleichwohl, dass das Evangelium Nicodemi bei den mittelalterlichen Kompilatoren auch wegen anderer Aspekte von Bedeutung gewesen ist. Die Auswahl der Passage zu Fußwaschung und Einsetzung des Abendmahls könnte auf ein liturgisches Interesse hindeuten, denn das Evangelium Nicodemi stellt sowohl für die Fußwaschung (vv. 217 S. dazu o. S. 142, Anm. 478. 218 Deshalb sind die Lesarten von W auch in seiner Ausgabe von 1902 im Apparat aufgeführt. 219 Vgl. Helm (1899, S. 107-109), der W z 1 zuordnet. Helm erwägt, dass entweder W selbst auf zwei Vorlagenhandschriften des Evangelium Nicodemi zurückgehen oder dass W von Γ (s. o. S. 317, Anm. 216) abhängig sein könnte. Gärtner (2012, S. 166-168 [190 f.]) unterstützt die Hypothese Asseburgs (1964, Bd. 1, S. 72), dass W auf eine mitteldeutsche Vorstufe zurückgeht, der auch Γ nahesteht. - Zu den Handschriften G und s s. o. S. 142, Anm. 474. 220 Vgl. Helm 1899, S. 108. Bei den Versen, die Helm als Beispiel nennt (fol. 9vb, Z. 11 f.), handelt es sich allerdings um Verse aus dem Marienleben (vv. 7116 f.). Auch scheint die Kompilation kaum ,Zusatzverse‘ enthalten zu haben, sie zeigt aber starke Abweichungen gegenüber den edierten Texten (vgl. z. B. daz er [sc. Pilatus] ander waide / erzurnet wurt uf crist / dar an karten si [sc. ,die Juden‘] ire [ n ] list [fol. 6ra, Z. 8-10] mit dem Ausgabentext des Evangelium Nicodemi : daz er anderweide / beweget worde in zorne: / „so ist Jesus der vorlorne.“ [vv. 1272-1274]). 221 Mit der Höllenfahrtsszene und dem Gespräch zwischen Adrian und Vespasian sind in W auch Abschnitte aus dem Evangelium Nicodemi erhalten, in denen rechtliche Aspekte des heilsgeschichtlichen Rahmens zur Sprache kommen. Allerdings sind beide Szenen von der Überlieferungslücke in der letzten Lage des Fragments (s. o. S. 315, Anm. 202) betroffen, und gerade in der Höllenfahrtsszene sind Verse ausgefallen (vv. 3411-3560), in denen die Heilsgeschichte (vom Höllenvolk) rekapituliert wird. Weil die Überlieferung lückenhaft ist und sich für die Stellen auch durch die Kombination mit dem Marienleben keine neuen Sinndimensionen ergeben, wird im Folgenden nur die Gerichtsverhandlung vor Pilatus näher analysiert. 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben 319 452-456) als auch für das Abendmahl (vv. 457-479) 222 heraus, dass das Handeln Jesu einen Ritus begründet, während bei der Abendmahlsszene im Marienleben (vv. 6346-6445) der Verrat des Judas und die Reden Jesu an seine Jünger im Zentrum stehen. Sichern lässt sich ein solches liturgisches Interesse nur für den Auftraggeber der Klosterneuburger Handschrift, der das bearbeitete Marienleben mit einer Marienmesse zusammenstellen ließ. 223 6.2.2 geriht: Zur Rolle des Richters Wenn sich auch die Londoner Handschrift und das Wiener Fragment bei den aus dem Evangelium Nicodemi übernommenen Versen zur Vorladung Jesu und zum Fahnenwunder hinsichtlich der Textfassung recht nahestehen, ist die Passage doch jeweils grundsätzlich anders funktionalisiert. Im (später noch ausführlicher zu besprechenden) Wiener Fragment steht die Fahnenwunder-Partie zu Beginn der Prozessschilderung, in der Londoner Handschrift hingegen ist sie in die Schlusspartie der dem Text des Marienleben folgenden Prozessszene eingefügt: Nachdem Jesus von Herodes wieder zurück zu Pilatus geschickt wurde, bringen ,die Juden‘ erneut die Kreuzigungsforderung vor (vv. 6768-6793). Die Aufforderung des Pilatus, Jesus nach ihrem Gesetz zu richten, weisen sie zurück (vv. 6794-6801), woraufhin Pilatus dezidiert verkündet: Pylatus sprach ein gerechten man ich nimmer wil zetote slan Daz ich guezze vnschuldig bluet durch ew ( er ) n willen daz wer niht guet (L, fol. 96v, Z. 10-13; Marienleben , vv. 6802-6805) 224 Daran schließen sich in der Londoner Handschrift die Verse an, mit denen ,die Juden‘ im Evangelium Nicodemi Pilatus bitten, überhaupt über Jesus Gericht zu halten: Di iuden furbas baten den richter pylaten Daz er ir lait bedehte vnd iesum fu ͤ r in brehte Daz er doch selbe horte wie er di . e . verstorte (L, fol. 96v, Z. 14-19; Evangelium Nicodemi , vv. 761-766) Die Textpartie aus dem Evangelium Nicodemi in der Londoner Handschrift endet damit, dass Pilatus, beeindruckt von dem Fahnenwunder, anordnet, Jesus gehen zu lassen ( er hiez in ledig lazzen , fol. 99v, Z. 21). 225 Das stellt eine Intensivierung gegenüber dem edierten Text des Evangelium Nicodemi dar, in dem lediglich eine Absicht ausgedrückt ist ( und wold en han lazen , v. 918). Im Anschluss an diese Verse aus dem Evangelium Nicodemi werden vv. 6804 f. aus dem Marienleben (die Worte des Pilatus, dass es Unrecht wäre, wenn er 222 S. dazu o. S. 178. 223 Vgl. Gärtner 2012, S. 97-99 (105-107). 224 Der Text von L wird - ebenso wie der von W - nach einer eigenen Transkription zitiert; die vergrößerten Minuskeln zu Beginn von Verspaaren in der Londoner Handschrift sind dabei als Majuskeln wiedergegeben. 225 Dieser Vers entspricht v. 774 in der Ausgabe des Evangelium Nicodemi ( Er hiez Jesum ledic lazen ), der sich darauf bezieht, dass der ,Läufer‘ - voller Respekt vor Jesus - ‚den Juden‘ befiehlt, Jesus freizugeben (sodass er ihn dann höflich vor Gericht bitten kann). 320 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen unschuldiges Blut vergösse) in abgewandelter Form wiederholt, bevor der Blutruf ‚der Juden‘ - entsprechend dem Marienleben - folgt, auf den hin Pilatus anbietet, den ,guten Mann‘ Jesus mit einer Buße (Geißelung) zu belegen (vv. 6810-6823): Do ditz wunder geschach pylate grozz angste er do von hete Vn ( de ) getorst in niht verwesen er hiez in ledig lazzen Vn ( de ) sprach ez wer niht gut daz ich guzze vnschuldiges blut Durch ev. di iuden sprachen wir biten vber in rachen Herre pylatus sin blut mu ͤ 226 z w ( er ) 227 den auf vns gegozzen auf dirr erden Vn ( de ) auch auf vnser chinder chumen ez chume ( n ) zeschaden oder zefrumen (L, fol. 99v, Z. 18 - fol. 100r, Z. 4; Evangelium Nicodemi , vv. 915-918; Marienleben , vv. 6804-6809) Schon allein die Positionierung des Einschubs aus dem Evangelium Nicodemi zeigt, dass nicht die Vorladung als verfahrenstechnischer Schritt der Prozesseröffnung im Vordergrund stehen kann. 228 Vielmehr soll anscheinend gezeigt werden, dass sich ,die Juden‘ auch von dem Fahnenwunder nicht berühren lassen, sondern uneinsichtig zur Selbstverfluchung schreiten. Pilatus wird als positive Gegenfigur aufgebaut. Dass nach dem Text der Londoner Handschrift eine enge Verbindung zwischen ihm und den als Wunder zu deutenden Ereignissen gesehen werden soll, ist schon aus dem zitierten Vers do ditz wunder geschach pylate ersichtlich, denn im Ausgabentext (und auch in W, fol. 3va, Z. 2) heißt es im entsprechenden Vers Do diz ersach Pilate (v. 915). Dadurch, dass von der Fahnen-Episode erst am Ende des Prozessgeschehens die Rede ist, werden auch Parallelen zur Szene deutlich, in der die Frau des Pilatus ihn von einer Verurteilung Jesu abzubringen versucht. Die Szene ist im Text der Londoner Handschrift (fol. 103r, Z. 3-20) so wie im Marienleben (vv. 6958-6975) nach der Erzählung von der Handwaschung platziert. Das Marienleben folgt einer Tradition, nach der die Frau des Pilatus durch die nächtliche Erscheinung eines Engels geheilt wird. 229 Auf dieses Heilungswunder hin möchte Pilatus Jesus am Leben lassen und kein Urteil aussprechen (fol. 103r, Z. 21-23; vgl. Marienleben, vv. 6976-6978), d. h., er erscheint wiederum als empfänglich für das Wunder. Nimmt man die Passage aus dem Evangelium Nicodemi in der Londoner Handschrift insgesamt in den Blick, wird deutlich, dass durchgehend eine Tendenz zur Nivellierung der im Evangelium Nicodemi gegebenen rechtlichen Nuancen und zur Hervorhebung des Wundercharakters besteht, jedenfalls nach dem Textbefund, wie er heute in der Edition des Evangelium Nicodemi von Karl Helm (1902) als Vergleichsbasis vorliegt . Wie im Wiener 226 Das übergeschriebene e ist ein späterer Nachtrag in hellbrauner Tinte, der durchgestrichen wurde. 227 Auch bei dem er -Strich handelt es sich um einen späteren Nachtrag. 228 Pilatus hat Jesus, nachdem er bei Herodes war, schon wieder gesehen (fol. 96r, Z. 1; vgl. Marienleben , v. 6768). 229 Vgl. dazu Scheidgen (2002, S. 258), der das Motiv als spezifisch für die Gruppe der Marienleben ansieht. 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben 321 Fragment wird nicht zwischen ,Läufer‘ und ,Büttel‘ differenziert, sondern es ist durchgehend von ,Büttel‘ die Rede. 230 Auch sind die Ausführungen zur Funktion der Fahnen weniger spezifisch als im Ausgabentext des Evangelium Nicodemi . 231 Bei den Passagen zur Wahrheitsfindung schließlich sind die Akzente gegenüber dem Ausgabentext leicht verschoben. Die Erläuterungen, die der ,Büttel‘ auf Nachfrage des Pilatus zu seinem Verhalten gibt (vv. 800-819), beziehen sich dort allein darauf, was er gesehen und gehört hat, bzw. bei der Erklärung zur Bedeutung des Wortes Osanne (v. 818) darauf, was er weiß. Die ,Beweiswürdigung‘ erfolgt durch Pilatus, wenn er sagt „Die rede u wol gevalle; / sie ist ein heilige sprache. / […] “ (vv. 820 f.). 232 In der Londoner Handschrift sind diese Verse - in abgewandelter Form - jedoch noch dem ,Büttel‘ zugeordnet: er sprach waz beteutet osanne Herre heilig vns alle di rede ev wolle geualle Er ist ain heilig der butel sprach (L, fol. 97v, Z. 21-24; Evangelium Nicodemi , vv. 818-821) Der ,Büttel‘ bewertet hier das von ihm Beobachtete selbst, indem er aus den Ehrungen, die Jesus beim Einzug nach Jerusalem entgegengebracht wurden, schließt, dass er ain heilig sei. 233 Nicht nur dem heidnischen ,Büttel‘ ist in der Londoner Handschrift unterstellt, dass er die Heiligkeit Jesu erkennt; in die (indirekte) Figurenrede ,der Juden‘ hat sich eine Identifikation von , Jesus‘ mit ,Christus‘ eingeschlichen. 234 Sie läuft der Erzähllogik zuwider, unterstreicht aber für den Rezipienten, dass Jesus tatsächlich der Heiland ist. Auch die Überzeugung des Pilatus, dass es sich bei dem Verneigen der Fahnen um ein zeichen (v. 865) 235 handelt, ist in der Londoner Handschrift (wie auch in W) gegenüber dem edierten Text des Evangelium Nicodemi verstärkt: Wie im Ausgabentext (vv. 884 f.) glaubt Pilatus den heidnischen Trägern, dass sie unschuldig sind. Während Pilatus daraufhin dort verkündet, dass er die Wahrheit ,finden‘ wolle (v. 887), heißt es in der Londoner Handschrift, dass er sie psehen wolle (fol. 99r, Z. 15). 236 Als er dann Jesus bittet, wieder vor das Gericht zu treten (vv. 906 f.), wird diese Bitte nicht wie im Ausgabentext vom Angeklagten her begründet (v. 908), sondern von Pilatus her: vn ( de ) wold baz di wunder spehen (fol. 99v, 230 S. dazu o. S. 191, Anm. 72. 231 Dort ist ausdrücklich davon die Rede, dass im römischen Reich üblicherweise die im Gericht aufgestellten Fahnen demonstrieren sollten, dass sich die kaiserliche Amtsgewalt auch in Fällen von Bestechung (vv. 848 f.: swer da worde bezalt / mit unrehten dingen ) durchsetzen werde. Im Wiener Fragment ist eine Formulierung gewählt, die einen Bezug auf Bestechung nahelegt: w ( er ) dar wurde geualt / von ungerehten digen [sic] (fol. 3ra, Z. 5 f.). In der Londoner Handschrift lauten die Verse dagegen: nemen sinen man gar palt / Von vngerehten dingen (fol. 98v, Z. 1 f.). 232 Diese Lesart liegt auch in W vor (fol. 2vb, Z. 12 f.). 233 Diese Einschätzung findet ihre Parallele in der Schlussfolgerung der Frau des Pilatus: Dar vmb soltu lâzen gân / wa ( n ) ne er ist ain heilig man (fol. 103r, Z. 19 f.; vgl. Marienleben , vv. 6974 f.). Dadurch sind die beiden Wunder-Episoden zusätzlich zueinander in Beziehung gesetzt. 234 ,Die Juden‘ ermahnen die zwölf jüdischen Fahnenträger, daz sich di vannen niht vilden / Oder crist dinest erzaigten (L, fol. 99v, Z. 5 f.; entsprechend W, fol. 3rb, Z. 24 f.). Vgl. dagegen vv. 902 f. des Ausgabentextes: daz sich die vanen iht vielden, / die sper nicht niderneigten . Am Ende der referierten Rede wird allerdings auch dort Jesus als ,Jesus Christus‘ benannt (v. 905). 235 Vgl. entsprechend L, fol. 98v, Z. 18; W, fol. 3ra, Z. 22. 236 In W ist der entsprechende Vers (fol. 3rb, Z. 9) angeschnitten, aber es lässt sich noch das Wort spehen (,prüfend beschauen‘, vgl. BMZ; L exer , s. v.) rekonstruieren. 322 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Z. 11). 237 Hier soll offenkundig weniger die Beweiskraft des Wunders als das Wunder an sich hervorgehoben werden. Dass in der Londoner Handschrift der Wundercharakter der Szene und nicht die Mechanismen zur Wahrheitsfindung im Mittelpunkt stehen, heißt jedoch nicht, dass der Charakter einer Gerichtsszene unwichtig wäre. Das Richtertum des Pilatus ist sogar häufiger benannt als im Ausgabentext des Evangelium Nicodemi . 238 Auch die Institution ,Gericht‘ erscheint personal auf ihn bezogen. 239 Das ,Gericht‘ ist also vor allem insofern von Bedeutung, als es Pilatus die Entscheidungsgewalt verleiht, auf die die Szene zusteuert. Pilatus agiert - wie in den kanonischen Evangelien und im Nikodemusevangelium - als selbsturteilender Richter, der allerdings nicht unabhängig von den Forderungen ,der Juden‘ handelt. Auch im Text des Wiener Fragments ist der ,Richter Pilatus‘ eine feste Größe, 240 doch vermitteln hier die Lesarten der übernommenen Evangelium Nicodemi -Passagen insgesamt den Eindruck eines Erzählinteresses, das nicht allein auf Pilatus als Person, sondern auch auf rechtliche Praktiken gerichtet ist. So verkündet Pilatus, als die jüdischen Ankläger ihn bitten, über Jesus zu Gericht zu sitzen, den allgemeinen Grundsatz, dass niemand ohne rechtliche Grundlage zugrunde gerichtet werden dürfe: ir wizzet wol daz ir ensult / nima ( n ) t vor terben an reht (fol. 2ra, Z. 25 f.). 241 Im Ausgabentext des Evangelium Nicodemi ist die Aussage des Pilatus hingegen auf Jesus bezogen: „ […] / ir wizzet wol, daz ir ensult / in vorteilen wan mit rehte.“ (vv. 726 f.). Eine Tendenz zur Betonung der allgemeinen Ordnung zeigt sich auch bei der Formulierung der Reaktion des Pilatus auf das Schweigen Jesu. Dass die Verse sich in einer vom Text des Marienleben dominierten Passage am Evangelium Nicodemi (vv. 1462-1464) orientieren, ist ein Beleg für eine intensive redaktionelle Tätigkeit an dieser Stelle. Gegenüber dem edierten Text des Evangelium Nicodemi , nach dem Pilatus seine Macht gegenüber Jesus betont ( „ […] / Ich han doch uber dich gewalt, / daz ich dich wol mac lazen gan / oder an daz cruze han.“ , vv. 1462-1464), stehen in der Version des Wiener Fragments generell seine Kompetenzen als Richter im Vordergrund, wie sich trotz des teilweise zerstörten Textbestandes rekonstruieren lässt: […] nu ist ez doch also gesta lt / daz ich doch den gewalt / han daz ich mac lazzen g an / od ( er ) an ein crautz han (fol. 8rb, Z. 3-6). Dass - anders als im Ausgabentext (vv. 713-718) - die Ankläger nicht namentlich genannt sind (fol. 2ra, Z.17 f.), wohl aber die zwölf für Jesus eintretenden Juden (fol. 3vb, Z. 15-20; vgl. vv. 963-968), bei denen die Namensnennung ihren Zeugenstatus unterstreichen dürfte, 242 könnte außerdem auf eine Sensibilität in Rechtsfragen hindeuten. Eindeutig ist eine Bearbeitungsstrategie allerdings nur an der kompilatorischen Tätigkeit des Redaktors zu erkennen. Hier spricht die Tatsache, dass das Verhör durch Kaiphas aus dem Marienleben (vv. 6594-6661) mit weiten Teilen aus der ausführlichen Erzählung von der Verhandlung vor 237 So auch W, fol. 3rb, Z. 30: er wolde bas . daz wu ( n ) d ( er ) s […]. 238 Vgl. Sprach pylatus der rihter (L, fol. 97v, Z. 2; vgl. W, fol. 2va, Z. 26: […] der rithere ) gegenüber sprach er zu dem loufere (v. 799 im Ausgabentext). Die Verwendung des Reimwortes ,Richter‘ an dieser Stelle ist wahrscheinlich auch eine Konsequenz der durchgehenden Tilgung des Wortes ,Läufer‘. 239 Vgl. die Variante Hin fu ͤ r pylatus gerichtë (L, fol. 98v, Z. 10) gegenüber da hin for daz gerihte (v. 857 im Ausgabentext; entsprechend W, fol. 3ra, Z. 14). 240 Vgl. do sp ( ra ) ch ein ander trat / zv de ( m ) rither pilat (W, fol. 5va, Z. 17 f.; ebenso p) gegenüber Do sprach ein ander zu Pilate (v. 1220 im Ausgabentext). Im edierten Text ist die Richterfunktion des Pilatus implizit thematisiert, indem - anders als in W (fol. 5va, Z. 20) - erzählt wird, dass er den Zeugen das Wort erteilt ( „Nu sprich.“ […], v. 1222). 241 Ebenso in p. 242 S. dazu o. S. 86. 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben 323 Pilatus im Evangelium Nicodemi (vv. 679-1412) kombiniert ist, dafür, dass eine möglichst vollständige Darstellung der gegen Jesus vorgebrachten Anklagepunkte angestrebt wurde. Mit der aus dem Marienleben (vv. 6578-6593) übernommenen eindringlichen Schilderung der Verspottung Jesu, die am Anfang des Wiener Fragments steht, ist zugleich ein weiterer Akzent gesetzt, der für den Fragmenttext insgesamt charakteristisch ist: die Integration von Passagen über das Leid Jesu, die eine Einfühlung ermöglichen. Dazu gehört auch die Übernahme der ausführlichen Szene zu Geißelung und Dornenkrönung aus dem Marienleben (vv. 6810-6877; fol. 7rb-vb). Die im Fragment (im Wesentlichen) erhaltenen Klagereden von Maria (vv. 7002-7072; foll. 8vb-9rb), Petrus und Maria Magdalena (vv. 7844-7903 [mit Kürzungen]; fol. 10ra), die ebenfalls dem Marienleben entstammen, unterstreichen die (im Evangelium Nicodemi so nicht vorhandene) Tendenz, dass der Rezipient zum Mitleiden bewegt werden soll. 243 Das ist jedoch nicht das alleinige Kompilationsprinzip, denn in die dem Evangelium Nicodemi folgende Herodes-Szene sind die Verse aus dem Marienleben , in denen die Verspottung Jesu durch Herodes herausgestellt wird (vv. 6762-6767), nicht aufgenommen, wohl aber Verse, die den Ablauf des Geschehens plausibilisieren. 244 Die Gestaltung des Prozessendes lässt sich ebenfalls nicht ausschließlich auf das Bemühen um Vollständigkeit oder das Erregen von Empathie zurückführen. Dass nach der Herodes-Szene das Marienleben (vv. 6768-6948; foll. 7rb-8rb) als Vorlage benutzt wird, könnte zwar damit zusammenhängen, dass die Geißelungsszene aus dem Marienleben übernommen werden sollte, aber die Kompilation zur Darstellung der daran anschließenden Ereignisse ab der Wiederaufnahme der Verhandlung vor Pilatus (im Marienleben ab v. 6878) lässt sich so nicht erklären. Wie die bereits diskutierte Übernahme von Versen aus dem Evangelium Nicodemi (vv. 1462-1464) - mit dem Hinweis des Pilatus, dass er die gewalt habe, Jesus gehen zu lassen oder ans Kreuz zu schlagen - in den nach dem Marienleben (vv. 6918-6937) gestalteten Dialog zwischen Pilatus und Jesus zeigt, wurden für dieses Stadium der Handlung beide Texte herangezogen, die bis zu dem Punkt, dass ,die Juden‘ Pilatus mit dem Kaiser drohen, jeweils im Prinzip mit dem Johannesevangelium (19,8-12) korrespondieren. An die Drohung, die dem Marienleben (vv. 6938-6947; fol. 8rb, Z. 15-24) entlehnt ist, schließen sich jedoch im Wiener Fragment (nach einem am Marienleben [v. 6948] orientierten Übergangsvers in Z. 25) weder die Verse aus dem Marienleben mit der Szene der Handwaschung an (vv. 6950-6957) noch die Verse aus dem Evangelium Nicodemi , nach denen Pilatus auf die Drohung hin Jesus ,den Juden‘ überlässt (vv. 1488-1491). Strukturell richtet sich die Erzählung im Wiener Fragment zwar nach dem Marienleben , denn nach der Drohung wird - wie dort - von der Handwaschung erzählt, aber als Grundlage dafür dient das Evangelium Nicodemi (vv. 1520-1537; fol. 8rb, Z. 26 - fol. 8va, Z. 8). 245 Im Evangelium Nicodemi folgen danach der Abschnitt zu Reue und Selbstmord des Judas (vv. 243 Zur compassio bei der Passionsmeditation vgl. Schuppisser 1993, bes. S. 187-191. 244 Vgl. vv. 6738 f. (W, fol. 7ra, Z. 7 f.) zur Herkunft Jesu aus Galiläa (deshalb ist Herodes zuständig) und vv. 6748 f. (W, fol. 7ra, Z. 19 f.) dazu, dass Pilatus Herodes damit Ehre erweist, dass Jesus diesem gefesselt vorgeführt wird, und dass Herodes sich darüber freut (so wird die Beilegung des im Wiener Fragment mit rede [W, fol. 7ra, Z. 32; vgl. vede in v. 1434 im edierten Text des Evangelium Nicodemi ] umschriebenen Streites verständlich). 245 Möglicherweise hat die im Marienleben an die Handwaschungsszene anschließende Erzählung vom Traum der Frau des Pilatus, der im Text des Wiener Fragments schon an anderer Stelle nach der Version des Evangelium Nicodemi (vv. 919-938) präsent ist (W, fol. 3va, Z. 6-25), mit zu dem Vorlagenwechsel geführt. Dem Kompilator scheinen außerdem alttestamentarische Prophezeiungen wichtig gewesen zu sein, wie sie in die Handwaschungsszene im Evangelium Nicodemi integriert sind (vv. 324 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen 1538-1565), der auch in den Text des Wiener Fragments aufgenommen ist (fol. 8va, Z. 9 - fol. 8vb, Z. 1, mit Fehlstelle), und die Szene der Kreuztragung (ab v. 1566). Im Fragmenttext bildet der Abschnitt zu Judas gleichsam einen Exkurs, bevor die Verurteilung Jesu durch Pilatus nach dem Marienleben (vv. 6976-6993; fol. 8vb, Z. 5-20) geschildert wird. Warum wurde dieser kompilatorische Aufwand getrieben und das Prozessende nicht einfach nach dem Evangelium Nicodemi erzählt? Wie die Aufschlüsselung zeigt, wäre trotz der Aufnahme der Geißelungsszene aus dem Marienleben ein ,Einmünden‘ in das Evangelium Nicodemi möglich gewesen. Dass der abrupte Wechsel vom Selbstmord des Judas zur Verurteilung Jesu in Kauf genommen wurde, zeigt jedoch, dass die Verurteilungsszene aus dem Marienleben auf jeden Fall integriert werden sollte. Durch die Aufnahme dieser Szene wird zweierlei erreicht: Der Prozess wird gegenüber dem im Evangelium Nicodemi Berichteten vervollständigt, indem eine regelrechte Verurteilung erfolgt. Außerdem wird der Verhaltensumschwung des Pilatus psychologisch plausibel gemacht, da als Ursache dafür Bestechung (vv. 6978-6981) genannt wird. 246 Monokausale Begründungen für den Zuschnitt der Kompilation greifen gewiss zu kurz, aber, was das Prozessende angeht, liegt die Vermutung nahe, dass - wie in der Weltchronik Heinrichs von München - ein Begründungsdefizit, wie es sich im Evangelium Nicodemi zeigt, ausgeglichen werden sollte. Stärker als der Redaktor der Weltchronik hat sich der Redaktor des im Wiener Fragment erhaltenen Textes auf das Verfahren der Kompilation beschränkt, sodass sich neue Nuancierungen einzelner Handlungsschritte im Rahmen der Prozessschilderung in Grenzen halten. Signifikant für die Relevanz, die dem Prozessablauf zugemessen wurde, ist aber allein schon die Tatsache, dass die Ausführlichkeit der Prozesserzählung im Evangelium Nicodemi beibehalten wurde, obwohl der Redaktor an anderen Stellen durchaus Kürzungen vorgenommen hat. 247 Auch haben die emotionalisierenden Passagen aus dem Marienleben die Darstellung der rechtlichen Zusammenhänge nicht verdrängt, sondern ergänzt. Was die Rechtsmotivik betrifft, hat eine interpretatorische Arbeit vor allem an der Richterfigur stattgefunden: Aufgrund der Kombination von Passagen aus dem Evangelium Nicodemi und dem Marienleben summieren sich die Stellen, an denen Pilatus Jesus für unschuldig erklärt oder gehen lassen will. 248 Sie ziehen sich von der Fahnenwunder-Szene durch bis zum Ende des Prozesses. 249 Pilatus erscheint so bis zur Bestechungsszene als Hüter der Gerechtigkeit. Er wird zwar nicht als individuelle Richterfigur so deutlich hervorgehoben wie in dem in der Londoner Handschrift gegebenen Text, erscheint aber als Repräsentant einer funktionierenden Rechtsordnung. Umso erklärungsbedürftiger wird deshalb, dass Pilatus ,den Juden‘ letztlich nachgibt, zumal in der Kombination von Passagen aus dem Evangelium Nicodemi und dem Marienleben die verhaltenen deutschrechtlichen Züge des Evangelium Nicodemi nicht so dominant sind, dass der Handlungsspielraum des Richters eingeschränkt erschiene. Mit dem Bestechungsmotiv aus dem Marienleben , wie es sich 1530-1537; im Ausgabentext ist in v. 1537 Isaias genannt, in W ist es elias ). Vgl. dazu die Aufnahme von vv. 641-650 in den Text (s. o. S. 316, Anm. 207). 246 Ein entsprechendes Bemühen, die Handlungsmotivation von Figuren deutlich zu machen, hatte sich auch für die Herodes-Szene zeigen lassen (s. dazu o. S. 323, Anm. 244). 247 Zu den Kürzungen in der Klagerede des Petrus s. o. S. 316, Anm. 208. 248 Umgekehrt ist auch der Blutruf ,der Juden‘ verdoppelt ( Marienleben , vv. 6806-6809; Evangelium Nicodemi , vv. 1527-1529), sodass deren Verantwortlichkeit unmissverständlich deutlich gemacht wird. 249 Angesichts der Häufung fällt es nicht ins Gewicht, dass eine der dahin gehenden Aussagen des Pilatus gegenüber dem Ausgabentext des Marienleben um die Aussage einn rehten man / ich nimmer wil ze tôde erslân (vv. 6802 f.) gekürzt erscheint (vgl. W, fol. 7rb, Z. 21-23). 6.2 Das Evangelium Nicodemi in Kompilationen mit Bruder Philipps Marienleben 325 auch in der Londoner Handschrift und in der Weltchronik findet, wird dann nicht nur das individuelle Verhalten des Pilatus motiviert, sondern zugleich der übergeordnete Rahmen der - nicht erfüllten - Richterethik aufgerufen. Angesichts des fragmentarischen Zustands des Textes lässt sich nicht mehr klären, ob die Richtertugenden auch in Bezug auf das göttliche Richten thematisiert wurden. Als Rezeptionszeugnisse des Evangelium Nicodemi repräsentieren die Texte der Londoner Handschrift und des Wiener Fragments zwei unterschiedliche Zugangsweisen zur Rechtsthematik im Ausgangstext: In der Londoner Handschrift ist mit dem Fahnenwunder diejenige Stelle aus der Prozessschilderung des Evangelium Nicodemi herausgegriffen, an der die Exzeptionalität des Angeklagten besonders deutlich wird. Damit wird der Schwerpunkt auf die Frage gelegt, ob Pilatus als Richter die Heiligkeit Jesu erkennt und ob er danach handelt. 250 Es dürfte kein Zufall sein, dass vor diesem Hintergrund kein erzählerisches Interesse daran bestand, die Prozesserzählung aus dem Marienleben mit Verfahrensdetails aus dem Evangelium Nicodemi anzureichern. Im Text des Wiener Fragments steht bei der Fahnenwunder-Episode zwar auch der Wundercharakter im Vordergrund, dann gewinnt die Verhandlung aber den Charakter eines prototypischen Gerichtsverfahrens. Im Wiener Fragment ist also die dem Evangelium Nicodemi inhärente, aber im Text der Londoner Handschrift unterdrückte Spannung zwischen der Betonung der Göttlichkeit des Angeklagten und dem Bemühen, allgemeingültige Rechtsprinzipien herauszuarbeiten, beibehalten, ja sogar verstärkt, weil neben dem Wunderbaren auch die allgemeingültigen Züge der Rechtsordnung sorgfältig modelliert sind. Durch den Bezug auf die Richterethik spielt im Wiener Fragment die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit indirekt eine größere Rolle als in der Londoner Handschrift. Beide Texte zeigen sich aber nicht an einem Ausbau entsprechender Referenzen interessiert, sondern sie scheinen sich mit einem implizit im Evangelium Nicodemi enthaltenen Grundproblem zu befassen, nämlich wie sich die Rechtsordnung und der geschilderte Prozess gegen ,Gott‘ zueinander verhalten. Darin liegt bei aller Unterschiedlichkeit der gefundenen Lösungen ihre Gemeinsamkeit. 250 Die Alternative, dass es sich bei den Wundern Jesu um Zauberei handeln könnte (vgl. z. B. die Reaktion ,der Juden‘ auf den Traum der Frau des Pilatus nach dem Evangelium Nicodemi, vv. 927-938), ist in den Text der Londoner Handschrift nicht übernommen worden. 326 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen 6.3 Das (Klosterneuburger) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 6.3.1 Das (Klosterneuburger) Evangelienwerk als Rezeptionszeugnis von Christi Hort? In ihre Ausgabe Das Evangelium Nicodemi in spätmittelalterlicher deutscher Prosa haben Achim Masser und Max Siller (1987) auch Auszüge aus dem wohl vor 1330 anzusetzenden ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk 251 aufgenommen, 252 betonen jedoch zu Recht die Sonderstellung der von ihnen mit der Sigle H belegten Prosafassung. In der Tat kann diese ,Übersetzung‘ des lateinischen Nikodemusevangeliums nicht losgelöst vom Kontext des Evangelienwerks betrachtet werden, in dem sie im Passionsteil in der Glosse zu den kanonischen Evangelien erscheint, ab den Geschehnissen nach Jesu Auferstehung dann aber den Charakter eines Haupttextes annimmt. 253 Abgeschlossen wird das Evangelienwerk mit einem kaum glossierten Textblock: der Pilatus-Veronika-Legende. 254 Für diesen Teil sind sowohl im Handlungsablauf als auch auf der Ebene einzelner Formulierungen enge Berührungen mit Christi Hort festzustellen, wie Karl-Ernst Geith (1968a; 2000) im Einzelnen nachgewiesen hat. 255 Während er (2000) eine gemeinsame Prosavorlage für die Legende in Christi Hort und im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk 256 annimmt, halten Kurt Gärtner (1983), Werner J. Hoffmann (1997a), Fritz Peter Knapp (1999), Gisela Kornrumpf (2004) und Manuela Niesner (2005) die Passage im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk für eine Prosabearbeitung der entsprechenden Verse in Christi Hort . 257 Der Vergleichsbefund zeigt, dass in Christi Hort höfische Szenen (Reise und Empfang von Boten, Fürstenrat in Rom) oft breiter ausgestaltet sind; auch ist der Dialoganteil höher. 258 Häufig lassen sich gerade bei den hö- 251 Vgl. dazu Gärtner 1983; Knapp 1999, S. 215-233; Kornrumpf 2004; zur Zielsetzung des Werks vgl. Meyer 2008 mit einer Analyse des Prologs. Gärtner, Knapp und Meyer beziehen sich auf eine Textfassung, die Kornrumpf als Bearbeitung einer Erstfassung identifiziert hat (vgl. dies. ebd., Sp. 1103 f., mit weiterer Literatur; für die Bearbeitung kursiert auch die Bezeichnung ,Redaktion y‘, vgl. Kornrumpf 1991). Zur Erstfassung vgl. auch Niesner 2005, S. 159-163, mit Inhaltsübersichten (S. 173; 196 f.; 234) zu Codex 222 der Stiftsbibliothek Göttweig (Gö). Es ist unklar, welchem Stadium die Jahreszahl 1330 im Text der Bearbeitung zuzuordnen ist (vgl. Kornrumpf 2004, Sp. 1103). 252 Vgl. Masser / Siller 1987 zur Fassung H: S. 34-37; 50 f.; 85-99 (Handschriftenbeschreibungen); 396-444 (Text; S. 428-444 Pilatus-Veronika-Legende mit eigener Zeilenzählung). Die Seiten- und Zeilenangaben im Folgenden beziehen sich auf diese Ausgabe der Bearbeitung (s. dazu u. Kap. 6.3.2). 253 Vgl. Niesner 2005, S. 196 f.; 234. Zur Fassung H im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk vgl. auch Hoffmann 1997a, S. 306-308. Nach dem Prolog werden die Schriften der Erfahrungszeugen Nikodemus und Joseph zur Glossierung der kanonischen Evangelien benutzt (vgl. dazu Hoffmann ebd., S. 307). Der Wahrheitsgehalt des Berichts des Nikodemus wird mehrfach hervorgehoben, z. B. S. 400, Z. 146-153 (zum dort verwendeten Argumentationsmuster der Berufung auf Io 20,30 bzw. 21,25 s. u. S. 384). 254 Für eine Übersicht, in welchen Handschriften die Legende (auch separat, „aber immer zusammen mit Exzerpten aus der Erstfassung“, vgl. Kornrumpf 2004, Sp. 1104) überliefert ist, vgl. Geith 2000, S. 239-241. 255 Vgl. Geith 1968a; 1968b, S. 272-274; 2000. Vgl. auch dens. 1989, S. 287 f. 256 Zunächst hatte Geith (1968a) die These einer Abhängigkeit Gundackers von der Legende im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk vertreten. 257 Vgl. Gärtner 1983, Sp. 1248; Hoffmann 1997a, S. 307; Knapp 1999, S. 224 f.; Kornrumpf 2004, Sp. 1104 f.; Niesner 2005, S. 255 f. Masser / Siller (1987, S. 35 f.) und Mattig-Krampe (2001, S. 125, Anm. 318) legen sich nicht fest. Bisher hat nur Niesner eine detaillierte Argumentation gegen Geith vorgelegt, die hier ergänzt wird. 258 Vgl. Geith 1968a, S. 62 f.; 2000, S. 241-249. 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 327 fischen Szenen in Christi Hort Übernahmen aus Mai und Beaflor nachweisen. 259 Dass diese Übernahmen im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk nicht vorhanden seien, hält Geith für einen schlagenden Beweis dafür, dass die Legende im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk nicht eine Prosabearbeitung von Christi Hort sein könne, denn dann müsse man annehmen, dass der Bearbeiter gezielt die Zitate aus Mai und Beaflor weggelassen habe. 260 Dieser Schluss ist keineswegs zwingend, denn die ,Auslassungen‘ gegenüber Christi Hort beziehen sich auf solche Passagen (Reden, nicht handlungstragende Details), wie sie typischerweise in Prosabearbeitungen von Verstexten gekürzt werden. 261 Die Prosafassung weist jedoch gegenüber Christi Hort auch Überschüsse auf: So steht beispielsweise in Christi Hort unter Verweis auf den Namen Vespasians, dass er unter Wespen ( die wurme vespis ) in der Nase gelitten habe (vv. 4217-4222; 4225). Außerdem wird gesagt, Vespasian sei sehr darüber bekümmert gewesen, dass seine Nase so groß gewesen sei, wobei deren Größe in Zusammenhang mit dem Wespenbefall gebracht ist (vv. 4223-4225). 262 Im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk (S. 430, Z. 65-70), wo ebenfalls der Bezug zum Namen hergestellt ist, wird die Größe der Nase konkret als eine Folge der Aktivität der Wespen beschrieben. Zusätzlich wird gesagt, dass sie darin Junge großgezogen hätten. Geith hält es für unmöglich, dass dieser Zusatz auf einen eventuellen Prosabearbeiter zurückgehen könnte, da dieser dafür keinen Grund gehabt habe. 263 Abgesehen davon, dass das Motiv der in der Nase nistenden Wespen im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk nicht singulär ist, 264 stellt sich die Frage, ob eine steigernde Ausgestaltung des Motivs eines speziellen Grundes bedarf. 265 Möglicherweise ist die Ergänzung durch das Motiv der übergroßen Nase angeregt worden. Auf jeden Fall deutet aber die vereindeutigende Verknüpfung des Wespenmotivs mit dem der Größe der Nase in der Prosafassung darauf hin, dass diese sekundär ist. 266 259 Vgl. Geith 2000, S. 241-249. 260 Vgl. Geith 1989, S. 287 f.; 2000. Niesner (2005, S. 255) hat aber (unter Verweis auf Fechter 1974) gegen Geith zu Recht eingewandt: „Es trifft jedoch nicht zu, daß die Verse aus ›Christi Hort‹, die mit ›Mai und Beaflor‹ übereinstimmen, in der Prosa allesamt keine Entsprechung hätten.“ 261 Vgl. dazu Schnell 1984, S. 220. 262 Möglicherweise liegt bei dieser Vorstellung ein Reflex eines Motivs aus der Vindicta Salvatoris vor, wo es der Fürst Titus ist, der geheilt wird, und zwar von einem großen Nasengeschwür (vgl. dazu Schreckenberg 1977, S. 53 f.; 1984, S. 1174 f.). 263 Vgl. Geith 1968a, S. 62 f. Gundacker als Versbearbeiter dagegen werden von Geith durchaus Erweiterungen zugetraut, wobei er ihm aber lediglich handwerkliches (kein dichterisches) Können zugesteht. 264 Es findet sich auch im Buch der Märtyrer (vv. 5905 f.; 6048-6050, hier 6050; zitiert nach Gierach 1928). Zur Stelle vgl. Schreckenberg 1977, S. 63 f. 265 Eine Verselbstständigung des Wespenmotivs lässt sich in der Schaffhausener Handschrift bereits bei der (gegenüber Christi Hort eigenständigen) Einführung Vespasians (S. 429, Z. 21 f.) beobachten, in der es heißt, Vespasian habe lebendige Hornissen in der Nase gehabt, eine Steigerung der Gefährlichkeit der Insekten, die aber nichts mehr mit dem Versuch einer Namensetymologie zu tun hat. 266 Auch an anderen Stellen zeigt die Prosafassung eine größere Einsträngigkeit: Sowohl in Christi Hort (vv. 4567-4579) als auch im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk (S. 434, Z. 167-171) wird erklärt, warum sich niemand getraut habe, mit Columban über Jesus zu sprechen (Pilatus und ‚die Juden‘ hatten verboten, über Jesus zu reden oder seiner zu gedenken), wobei im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk die negativen Konsequenzen deutlicher benannt werden. In Christi Hort wird dann das Verhalten des ,guten Mannes‘, der Columban an Veronika verweist, damit motiviert, dass er davon ausgeht, dass Veronika mehr über Jesus wisse (vv. 4580-4602, bes. 4588). Seine Angst spielt insofern eine Rolle, als er zu Beginn des Gesprächs mit Columban versucht, von diesem Sicherheit zu erlangen (vv. 4581-4583). Im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk (S. 434, Z. 172-177) wird dagegen die Angst des Mannes in den Vordergrund gestellt und ausdrücklich als Grund dafür angegeben, dass er sich nicht 328 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen An anderen Stellen finden sich in der Prosafassung gegenüber Christi Hort Plusstellen, die erklärenden Charakter haben. So wird in Christi Hort (vv. 4349-4361) erzählt, dass die Nachrichten vom Wunderheiler Jesus nach Rom dringen. In der Prosafassung (S. 432, Z. 115-120) wird dazu erläutert, dass die Leute in Rom, weil sie Heiden gewesen seien, Jesus nur für einen Propheten und Wunderheiler (sc. nicht für den Messias) gehalten hätten. Solche Erklärungen lesen sich wie ein nachträglicher Kommentar und machen die Priorität der Versfassung wahrscheinlich. Größere Beweiskraft haben Unterschiede in der Grobstruktur: Zum einen zeigt die Pilatus-Veronika-Legende in Christi Hort eine größere Nähe zur Historia apocrypha als die im Evangelienwerk , was gegen eine Abhängigkeit Gundackers vom ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk spricht, 267 zum anderen gibt es Elemente im Aufbau des Evangelienwerks , die sich als Bezüge auf Christi Hort erklären lassen: Vom Traum Neros und dem daraus folgenden Bestrafungsauftrag an Vespasian ist in Christi Hort (vv. 3908-3940) nach der Angabe über die Weitersendung der ‚Briefe‘ der Simeonsöhne nach Rom (vv. 3885-3907) und vor der Erzählung der Pilatus-Veronika-Legende (vv. 4045 ff.) die Rede; dazwischen eingeschoben sind die Sieben Vorzeichen der Zerstörung Jerusalems (vv. 3943-4044). In der Prosafassung sind nicht nur die Zeichen an das Ende der Legende versetzt (S. 442-444, Z. 395-448), sondern auch der Traum Neros, den dieser Vespasian erzählt, wird ausführlich erst an einem Punkt der Handlung thematisiert, an dem Vespasian bereits als Figur eingeführt ist und die Rachehandlung beginnt (S. 440, Z. 336-342). Trotz dieses Bemühens um einen ordo naturalis 268 steht vor Beginn der Legendenhandlung (S. 429, Z. 25 f.) ein Vorverweis auf den Traum Neros (Z. 21-24), bei dessen Positionierung es sich um eine Anlehnung an Christi Hort handeln dürfte. Angesichts der hier zusammengetragenen Indizien wird die Pilatus-Veronika-Legende im Folgenden als Rezeptionszeugnis von Christi Hort interpretiert. 269 Wie schon die wenigen Beispiele zeigen, handelt es sich bei der Prosafassung allerdings nicht um eine bloße ,Prosaauflösung‘, vielmehr um eine Bearbeitung der Vorlage in Prosa. 270 Bisher noch nicht grundsätzlich diskutiert worden ist die Frage, ob auch andere Teile des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks in Auseinandersetzung mit Christi Hort zu verstehen seien. Manuela Niesner (2005) hat jedoch darauf aufmerksam gemacht, dass der Österreichische Bibelübersetzer im Passionsteil „Formulierungen über den Quellenwert des getraut habe, selbst mehr zu sagen, d. h., es wird das bereits eingeführte Motiv wieder aufgenommen. Auch die Spekulation des Erzählers, es habe sich bei dem Mann vermutlich um einen Christen gehandelt (S. 434, Z. 172), wirkt wie eine sekundäre Präzisierung. 267 Vgl. Niesner 2005, S. 256. Dass Hoffmann (1997a, S. 294 f.) sie als Vorlage von Christi Hort nachgewiesen hatte, war von Geith (2000) noch nicht rezipiert worden. 268 Niesner (2005, S. 256) hebt dagegen hervor, dass es gegen die Chronologie verstoße, dass die Vorzeichen der Zerstörung Jerusalems erst nach der Erzählung von der Zerstörung folgten. Die Aufzählung der Zeichen lässt sich aber als Vorbereitung der Auslegung der Zerstörung lesen, vgl. die Ausdeutung des Verhaltens ,der Juden‘ in vv. 442-448. In zwei Handschriften, die Exzerpte überliefern, ist die Reihenfolge von Vorzeichen und Zerstörung umgestellt (vgl. Geith 2000, S. 240 f.). 269 Vgl. dagegen Geith 2000, S. 251: „Die Auffassung, ihn [sc. den Österreichischen Bibelübersetzer] als Prosaauflöser von Gundackers Werk zu sehen, kann künftig als erledigt gelten.“ 270 Auch die Prosa-Umsetzung der Kindheit Jesu Konrads von Fußesbrunnen im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk lässt eine gestaltende Bearbeitung der Vorlage erkennen (vgl. Gärtner 1976, S. 20; Ukena-Best 2002, S. 189). Damit argumentiert auch Niesner 2005, S. 256. 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 329 Nikodemusevangeliums aus Gundackers ›Christi Hort‹ übernommen hat“. 271 Darüber hinaus lassen sich vereinzelt weitere Stellen nachweisen, an denen sich das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk an Christi Hort anlehnt: Am offensichtlichsten ist das zu Beginn des ersten dem Nikodemusevangelium folgenden Abschnitts (S. 396, Z. 1-11). Dort werden zunächst (Z. 1-4) die Namen der jüdischen Ankläger nach dem Nikodemusevangelium benannt (cap. I 1), dann folgt die Eingangssequenz in einer Kompilation aus dem Prolog des Nikodemusevangeliums und Christi Hort : Vnd dis sache geschach. in dem ahtzehenden Jare. do der chaiser Tyberius gebieter was gewaltlichleich v ͦ ber Ro ͤ misch reich. vnd in dem Nev ͦ ntzehendem Jare. daz Herodes. des Herodes svn Chv ͦ nich ze Galyle was. vnd Pylatus Rihter was ze Jerusalem. an dem ahtedem tage. in dem abru ͦ llen. Vnd zden selben zeiten. warn der phaffen fv ͦ rsten Annas vnd Cayphas. die selben fv ͦ rsten sazzen ze Rat. vnd namen daz volch der Juden zu sich vnd giengen mit einer grozzen schar. vnd fuerten in hintz Pylato. vnd antwurten im Jesum in sein gewalt. (S. 396, Z. 4-11) 272 Dass Pilatus hier eingeführt wird 273 und der Abschnitt auf ihn zusteuert, stellt ebenso wie die Betonung der Machtfülle der Herrscher (inhaltlich leicht verschoben) eine Anlehnung an Christi Hort dar. Im Folgenden haben die narrativen Passagen aber den Charakter einer Übersetzung des lateinischen Nikodemusevangeliums . Allerdings wird erläutert, warum der ,Läufer‘ des 271 Niesner 2005, S. 256. Die Formulierungen erscheinen in anderen Zusammenhängen als in Christi Hort ; vgl. für die Einzelnachweise von Parallelen zu Christi Hort (vv. 1305-1313; 1372-1380; 2276-2279 [dort nur Affirmierung des Wahrheitsgehalts des Erzählten, obwohl es nicht im Evangelium stehe]) in Gö (s. o. S. 326, Anm. 251) Niesner ebd., S. 217. Die entsprechenden Stellen finden sich in der Ausgabe von Masser / Siller 1987, S. 400, Z. 149-153 und in der Schaffhausener Handschrift (s. u. S. 330, Anm. 277), fol. 244r, Z. 20-22; fol. 257r, Z. 20-24 . Lediglich für die „Bemerkungen zu den außerbiblischen Quellen zu Höllenfahrt und der Passion“, die in Gö vor der Passionsharmonie platziert sind (fol. 287va, vgl. Niesner ebd., S. 196), scheint es in der Schaffhausener Handschrift keine Parallele zu geben. In Gö wird dort wie in Christi Hort (vv. 1372-1380) die Übersetzung aus dem Hebräischen benannt, allerdings nicht eingeschränkt auf das Nikodemusevangelium . 272 Vgl. Nikodemusevangelium , Prolog, Z. 5-14 (Prologue [G / I]): Factum est in anno xviii imperatoris Tyberii Caesaris, imperatoris Romanorum, et Herodis filii Herodis imperatoris Galileae, anno xviiii principatus eius, viii Kal. Aprilis, quod est xxv dies mensis Martii, consolatu Rufini et Rubellionis, in anno quarto ducentesimae secundae Olympiadis, sub principatu sacerdotum Iudaeorum Ioseph et Caifae, et quanta post crucem et passionem Domini historiatus est Nichodemus, acta a principibus sacerdotum et reliquis Iudaeis, mandauit ipse Nichodemus litteris ebraicis („Alles das geschah im 18. Jahr des Kaisers Tiberius, des Herrschers der Römer, und des Herodes (Antipas), Sohn des Herodes (des Großen), des Herrschers von Galiläa, im 19. Jahr seiner Herrschaft, am achten Tag vor den Kalenden des April, das heißt am 25. März, unter dem Konsulat von Rufin und Rubellio, im vierten Jahr der 202. Olympiade, unter der Herrschaft der Hohepriester Joseph und Caiphas. Alles, was Nikodemus nach Leiden und Kreuzestod des Herrn berichtet hat, also alles, was von den Hohepriestern und den anderen Juden getan wurde, hat Nikodemus selbst in hebräischer Sprache niedergeschrieben.“; Übersetzung nach Schärtl 2012, S. 241); Christi Hort , vv. 1381-1399: ez ist geschehen zeware / an dem neunzehentem jare / pi romîschem chaiser Tiberio / unt an dem neuncehentem jare do / Herodes het daz chunchrich / zeGalilea gwaltichlich; / unt du Pilatus richtær was / unt Johannes unt Cayphas / d ie fursten priester [s. dazu o. S. 185, Anm. 38] waren / zeJerusalem pei den jaren / (als uns diu schrift urchund geit) / in des abrullen zeit / des mano ͤ d am ahtem tage: / do geschach ditz, als ich iu sage, / daz Jesus wart gevangen. / do chomen die juden gegangen / zu Pylato dem rihtære / unt sagten im diu mære / um wo ͤ si in heten pracht dar . Zu den abweichenden Datierungen s. o. S. 102, Anm. 225. 273 In der Mehrzahl der von Masser / Siller (1987) edierten deutschen Übersetzungen wird er an der entsprechenden Stelle nicht genannt (nur in D heißt es: ZV den zeiten da Pilatus Annas vnd Cayphas Richter worn Zu Iherusalem, […]; S. 227, Z. 2 f.). 330 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Pilatus ein Tuch um den Hals trägt ( do nam der lâeu ͦ ffel sein hanttuech. daz er vmb seinen hals truech. als noch in manigen landen gewonhait ist , S. 398, Z. 65 f.), eine Erklärung, die aus Christi Hort übernommen worden sein dürfte, 274 wobei das Tuch als ,Handtuch‘ spezifiziert wurde und die ‚fernen‘ Länder zu ‚manchen‘ Ländern geworden sind. Man kann also davon ausgehen, dass auch der Passionsteil des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks in Auseinandersetzung mit Christi Hort geschrieben wurde, selbst wenn Christi Hort dort nicht die Hauptquelle ist. Der Passionsteil ist daher nicht primär als ein Rezeptionszeugnis von Christi Hort zu lesen, schon allein deswegen, weil noch andere Quellen Verwendung gefunden haben, wie die Auslegungsabschnitte zeigen. 275 Der Passionsteil im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk lässt sich aber angesichts der dargelegten Ausgangslage zumindest daraufhin untersuchen, ob sich Reflexe der in Christi Hort thematisierten Rechtsfragen finden. 6.3.2 Zur Textgrundlage Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk ist bisher nicht vollständig ediert. 276 Masser und Siller (1987) wählten bei ihrer Teiledition als Leithandschrift die Handschrift Generalia 8 der Stadtbibliothek in Schaffhausen (S), 277 weil sie zeitlich und textlich dem Original am nächsten stehe. 278 Da dieses ,Original‘ inzwischen als Bearbeitungsstufe identifiziert worden ist, 279 legt Niesner (2005) bei ihrer Analyse den einzig annähernd vollständigen Textzeugen der Erstfassung zugrunde, nämlich die Göttweiger Handschrift (Gö), die sie aber für die von ihr untersuchten Textpassagen mit Codex 4 der Klosterneuburger Stiftsbibliothek (K1) verglichen hat, einer Handschrift, die dieselbe Bearbeitungsstufe repräsentiert wie die Schaffhausener Handschrift. 280 Demnach betreffen die Unterschiede in dem hier interessierenden Passionsteil hauptsächlich Gliederungsfragen. 281 Für die Pilatus-Veronika- Legende hatte Geith (2000) festgestellt, dass kaum Unterschiede zwischen Erstredaktion und Bearbeitung zu beobachten seien. 282 Angesichts der weitgehenden Übereinstimmung schien es gerechtfertigt, die Textgrundlage für die Analyse nach dem Kriterium der Zugänglichkeit auszusuchen, also den Text der Bearbeitung auszuwählen: Neben den bei Masser und Siller abgedruckten Textauszügen 274 er tru ͦ g tu ͤ ch reine wize / umb sinen hals mit fleyze, / als man noch enhalb meres phleget (vv. 1423-1425). 275 S. z. B. u. S. 340 zur Bestechung des Pilatus. Anders als Christi Hort sind die weiteren Quellen jedoch nicht einmal ansatzweise für die narrativen Abschnitte herangezogen worden. 276 Eine Edition wird im 2016 angelaufenen Akademien-Projekt „Österreichischer Bibelübersetzer“ (Gesamtleitung: Prof. Dr. Freimut Löser, Universität Augsburg) vorbereitet. 277 Bei Masser / Siller trägt die Handschrift die Sigle H 1 , in der Forschung zum ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk die Sigle S (vgl. Gärtner 1983). Letztere findet im Folgenden Verwendung. Für Literatur zu dieser Handschrift vgl. den Eintrag im Handschriftencensus . Ein vollständiges Digitalisat der Handschrift ist zugänglich unter http: / / www.e-codices.unifr.ch/ de/ list/ one/ sbs/ 0008 (PURL). 278 Vgl. Masser / Siller 1987, S. 50 f. 279 S. o. S. 326, Anm. 251. 280 Vgl. Niesner 2005, S. 161-163 (bei Masser / Siller 1987 trägt die Klosterneuburger Handschrift die Sigle H 3 ). Der von Kornrumpf (1991, S. 123 f.) angemahnte systematische Vergleich der beiden Textfassungen steht noch aus. Ihren Beobachtungen nach sind in der Bearbeitung häufig didaktisierende Überleitungen weggelassen, außerdem sind Textpassagen umgestellt, sodass eine größere Systematik erreicht wird (z. B. sind die Wunder Jesu zusammengruppiert). 281 Vgl. Niesner 2005, S. 195-199. 282 Vgl. Geith 2000, S. 240 f. 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 331 wird ergänzend auf die digital verfügbare Schaffhausener Handschrift zugegriffen. 283 Die von Niesner (2005) auf anderer Textgrundlage gewonnenen Ergebnisse werden herangezogen mit dem Vorbehalt, dass eine bis ins Einzelne gehende Übereinstimmung der beiden Textversionen für den Passionsteil bisher nicht nachgewiesen ist. 284 6.3.3 Die Pilatus-Veronika-Legende im (Klosterneuburger) Evangelienwerk Ein Vergleich der Prosafassung der Legende im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk mit der Versfassung in Christi Hort ergibt, dass sich die Versionen hinsichtlich der Rechtsmotivik relativ wenig unterscheiden. Insbesondere die Szene, wie Pilatus nach Rom gebracht wird und Tiberius über ihn zu Gericht sitzt (vv. 5205-5266), ist in allen Zügen erhalten (S. 440 f., Z. 351-367), d. h. auch das Verfahren der Urteilsfrage. Lediglich beim Inhalt der wörtlichen Rede sind leichte Modifikationen zu konstatieren. So fragt Tiberius die Fürsten nicht bei der Ehre des Hofes (v. 5230), vielmehr bei ihrem Eid (Z. 357), was einen promissorischen Eid ihrerseits voraussetzt. Vespasian, dessen Motivation, das Wort zu ergreifen, gegenüber der Formulierung in Christi Hort ( Vespasiano was ez ummære , v. 5240) konkretisiert wird ( do was Chv ͦ nich Vespesian. Pylato gram. vnd veint. vnd sprach , Z. 360 f.), erteilt dementsprechend sein Urteil nicht nur pei fronem rehte (Z. 363, vgl. v. 5255), 285 sondern auch pei des reiches hulden (Z. 363 f.). Mag die genaue Übereinstimmung der Szenen auf den ersten Blick wenig aussagekräftig sein, ist sie vor dem Hintergrund zu betrachten, dass die Fürstenratsszene zur Aussendung der Boten zu Pilatus (vv. 4365-4422) in der Prosafassung massiv gekürzt ist (S. 432, Z. 122-129), indem die wörtliche Rede der Fürsten gerafft ist bzw. paraphrasiert wird. 286 Die Frage-Antwort-Struktur bei der Gerichtsszene wurde also offenbar nicht als zeremonielle Ausgestaltung empfunden; sie galt als notwendiger Bestandteil der Handlung. Auch alle Stellen, an denen es um die Verantwortung des Pilatus am Tod Jesu geht, sind in der Prosafassung erhalten, 287 ebenso Veronikas Erklärung zum Verhalten des Pilatus in Christi Hort (vv. 4728-4733), die aber in der Prosafassung stark gekürzt ist (S. 435, Z. 283 Masser / Siller (1987) haben aus der Schaffhausener Handschrift S (s. o. S. 330, Anm. 277) den auf das Nikodemusevangelium zurückgehenden Teil (foll. 248v-296r) und die Pilatus-Veronika-Legende (foll. 299v-304v) ediert. Dabei haben sie bei dem Nikodemusevangelium -Abschnitt die auf anderen Quellen basierenden Textteile ausgelassen, im Pilatus-Veronika-Abschnitt eine Fehlstelle von S (S. 435-439, Z. 214-329) nach Klosterneuburg, Stiftsbibliothek, Cod. 51 (Sigle bei Masser / Siller ebd.: H 2 , Sigle bei Gärtner 1983: K2) ergänzt. Zusätzlich zu dem edierten Text wurden bei den folgenden Überlegungen die von Masser / Siller im Bereich von foll. 248v-296r ausgelassenen Passagen berücksichtigt, außerdem der Text ab fol. 230v bis zum Beginn der edierten Passage: Der Abschnitt umfasst die Weissagungen zur Passion, die Evangelienharmonie zu Verrat und Gefangennahme Jesu (ab fol. 234r) und den Beginn der Glosse (ab fol. 240v). In Kap. 6.3.3 (zur Pilatus-Veronika-Legende) wird mit Seitenzahl und Zeilennummer auf die Ausgabe von Masser / Siller verwiesen. Im Kap. 6.3.4 werden die Verweise auf die Ausgabe zur besseren Orientierung mit den Folioangaben aus S parallel geführt. Bei Zitaten aus S sind die Abkürzungen aufgelöst und die s-Formen vereinheitlicht. 284 Die Vergleichsarbeiten für die neue Ausgabe (s. o. Anm. 275) sind noch nicht abgeschlossen. Nach den bisherigen Erfahrungen erwarten die Herausgeber, dass sich die Textvarianz in engen Grenzen halten und eher Umstellungen und Ähnliches betreffen wird (briefl. Mitteilung von Freimut Löser am 27. 09. 2017). 285 S. dazu o. S. 122, Anm. 351. 286 Vgl. dazu Geith 2000, S. 245-247. 287 Wie in Christi Hort (vv. 4287-4290) weist Adrian als Bote des Pilatus die Schuld komplett ,den Juden‘ zu (S. 431, Z. 88-90), die Aussage Columbans gegenüber Tiberius und dessen Einschätzung, dass Pi- 332 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen 212 f.). Während Veronika in Christi Hort genau beschreibt, in welcher Lage sich Pilatus befunden habe (dass er nämlich um die Missgunst ,der Juden‘ gegenüber Jesus gewusst habe), wird ihre Aussage in der Prosafassung ergebnisorientiert zusammengefasst, dass ,die Juden‘ Jesus nach Pylats verhenchnu ͦ ss chrâev ͦ tzten . Das Verhalten des Pilatus wird so in anderer Weise als in Christi Hort juristisch fassbar, denn verhencnisse bezeichnet eine offizielle Einwilligung. 288 Das Motiv, dass Pilatus wider besseres Wissen gehandelt habe (vv. 4054-4062), ist in der Prosafassung auch zu Beginn der Legendenerzählung getilgt (S. 429, Z. 27-29). Stattdessen ist der knappe Hinweis in Christi Hort , dass Pilatus ungu ͤ tic al sein ceit (v. 4053) gewesen sei, in der Prosafassung dahingehend ausgebaut, dass Pilatus als Richter in Jerusalem noch so manches Unrecht begangen habe. 289 Wiederum ist also ein konkreter Tatbestand benannt, sodass Pilatus in einem noch negativeren Licht als in der Versfassung erscheint. 290 Ebenso wie in Christi Hort wird in der Prosafassung ausgeführt, dass Pilatus im Nachhinein wegen des Prozesses gegen Jesus Angst um sein Leben gehabt habe. Während in Christi Hort (vv. 4063-4070) nur festgestellt wird, dass sich seine Reue nicht auf seine Sünde bezogen habe, wird seine Reue in der Prosafassung ausdrücklich als falsch markiert: So ͤ lh rewe. frumt zder sel hail niht (S. 429, Z. 31). 291 Wie am Schluss von Christi Hort (vv. 5292-5294) dient die Pilatus-Figur hier als Negativexempel für sündiges Verhalten. Insgesamt lassen die Feinjustierungen in der Prosafassung also ein Interesse an der (wie in Christi Hort ) sehr präsenten moralischen Wertung der Geschehnisse erkennen, die auch durch die juristische Aufarbeitung ausgedrückt wird. Sie wurde nicht signifikant umgestaltet, obwohl offenbar eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Prozessszene - zumindest partiell - stattgefunden hat, wie die stärkere Verknüpfung der Rechtsprechung mit dem Reich (S. 441, Z. 363 f.) erkennen lässt. 6.3.4 Aktualisierungen im Passionsteil des (Klosterneuburger) Evangelienwerks: Moralisierung des Heilsgeschehens Dass der Österreichische Bibelübersetzer bei seinem Rückgriff auf das Zeugnis des Nikodemus nicht Christi Hort , sondern das lateinische Nikodemusevangelium (Rezension Lateinisch A) 292 zugrunde gelegt hat, muss angesichts der eingestreuten Referenzen auf latus den Tod verdient habe, entsprechen sich recht genau (vv. 5045-5054; S. 439, Z. 314-318) ebenso wie die Frage des Tiberius, wie der Mord gerächt werden könne (vv. 5177-5184; S. 440, Z. 343-346). 288 Vgl. WMU, s. v. 289 Vgl. dazu Mattig-Krampe 2001, S. 128. 290 Wie in der Weltchronik Heinrichs von München korrespondiert dieses Bild mit einer legendarischen Darstellung des Lebens von Pilatus vor der Passion, das im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk im Rahmen der Judas-Legende (in S auf foll. 223r-224v) thematisiert wird. Zur Pilatus-Figur in der Judas- Legende vgl. Scheidgen 2002, S. 132-143. 291 Vgl. dazu auch Mattig-Krampe 2001, S. 128. 292 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 307; Niesner 2005, S. 215-218. Die Vorlagenhandschrift gehörte einer Redaktion an, nach der Pilatus den jüdischen Fahnenträgern androht, ihnen den Kopf abschlagen zu lassen, sollten sich die Fahnen vor Jesus verneigen (vgl. S. 399, Z. 108-111 [fol. 250r]). Vgl. dazu Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 133 f., Anm. 22. Der von ihnen übersetzte Text zeigt dagegen an der entsprechenden Stelle (Kap. I,6) eine - inhaltlich widersprüchliche - Mischredaktion, nach der Pilatus den heidnischen Trägern androht, er werde ihnen den Kopf abschlagen lassen, wenn sich die Fahnen bei den jüdischen Trägern erneut verneigten. Auch an anderen Stellen muss also mit Differenzen zwischen der Vorlagenhandschrift des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks und der hier als Referenz- 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 333 Christi Hort als bewusste Entscheidung gelten. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Wahrscheinlich hatte die lateinische Fassung eine höhere Autorität, vielleicht weil auch eine größere Nähe zu der (postulierten) hebräischen Urfassung angenommen wurde. 293 Die Art des Umgangs mit der lateinischen Vorlage im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk zeugt jedenfalls von großem Respekt: Die einzelnen Auszüge sind jeweils recht genau übersetzt, Kommentare oder alternative Versionen weitgehend in die auslegenden Passagen verlagert. So entsteht beinahe der Eindruck, die Auslegungen bezögen sich allein auf die Auszüge aus dem Nikodemusevangelium als quasi kanonischem Text, während die Auszüge in der Gesamtanlage des Werks aber ihrerseits auf die vorangestellte Passionsgeschichte nach den kanonischen Evangelien zurückverweisen. In der Passionsharmonie finden sich jedoch auch Versatzstücke aus dem Nikodemusevangelium , 294 was wiederum dessen Quellenwert unterstreicht. Trotz der übersetzenden Wiedergabe des lateinischen Nikodemusevangeliums scheint es gelegentlich Präzisierungen zu geben, wenn es etwa folgerichtig heißt, dass Pilatus nach dem Austausch der Fahnenträger Jesus zum dritten Mal in di schrannen bittet (S. 399, Z. 111 [fol. 250r]), während in den edierten Texten der Rezension Lateinisch A (offenbar im Hinblick auf die Fahnenwunder-Episode) vom zweiten Mal die Rede ist (cap. I 6, Z. 12). 295 Partielle Anpassungen an das ,deutsche‘ Verfahrensrecht, wie sie für Christi Hort charakteristisch sind, lassen sich im Passionsteil des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks bei Handlungsabläufen jedoch nicht beobachten. Allerdings ist es auffällig, dass nicht nur bei den Auslegungen (z. B. S. 396, Z. 21 [fol. 249r]), sondern - im Gegensatz zu den anderen deutschen Prosafassungen des Nikodemusevangeliums - auch bei übersetzten Partien von einer Abschrankung ( schranne [ n ], z. B. S. 397, Z. 44 [fol. 249r]) die Rede ist. 296 Ob es sich aber um ein Rezeptionsphänomen handelt, lässt sich nicht sicher nachweisen. Im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk begegnen die Gerichtsschranken auch bei der Übersetzung aus den kanonischen Evangelien. 297 Daran lässt sich gut beobachten, zu welchen Transferproblemen es kommen kann, wenn die Aktualisierung allein auf der Wortebene stattfindet. Denn wenn das Prätorium konsequent mit dem umschrankten Gerichtsbereich gleichgesetzt wird, ergibt sich bei der kommentierten Übertragung von Io 19,13, dass Pilatus außerhalb der Schranken Gericht hält: Do Pylat ( us ) di / red horte. do gie er fv ͦ r di schranne. vnd saz ze gerihte. an d ( er ) stat. di / da haizzet lythostratos. ab ( er ) hebreysch text benutzten, von Kim (1973) edierten und von Gounelle / Izydorczyk (1997a) übersetzten Version gerechnet werden. 293 Zum Anspruch, direkt aus dem Lateinischen zu übersetzen, vgl. Niesner 2005, S. 216 f. 294 Vgl. z. B. Do stue ( n ) t Pylatus auf. vnd wolde / auz d ( er ) schranne gegange ( n ) sei ( n ) . (fol. 237v, Z. 25 f.; vgl. Nikodemusevangelium , cap. IX 3 [8,1 (G / I)]). Vgl. auch die wörtliche Wiederholung im edierten Text, S. 407, Z. 368 (fol. 254r). Die Formulierung erinnert an Christi Hort , vv. 1689 f. ( damit er uz der schrangen / mit zorn wolt sein gegangen ), muss aber nicht davon abhängig sein. 295 So auch die Zählung im Text der Ausgabe von Tischendorfs (1876 [1853]). Wahrscheinlich geht die Zählung im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk auf Christi Hort (v. 1549) zurück; jedenfalls ist die Übereinstimmung ein weiteres Indiz für die durchgehende Berücksichtigung von Christi Hort. Eine entsprechende Präzisierung findet sich - ebenfalls angelehnt an Christi Hort - auch in der Erstfassung der Weltchronik Heinrichs von München (vv. 6,1020 f.; zitiert nach Shaw / Fournier / Gärtner 2008). 296 Zu alternativen Übersetzungen s. o. S. 188 f. 297 Vgl. z. B.: Do na ( m ) pyla / tus Jesum vnd fuerte in in di schranne ( n ) . vnd di juden beliben / vor der schra ( n ) ne. daz si iht gemailigt w ( ur ) den. sund ( er ) daz si die ost ( er ) n æzze ( n ) . (fol. 236v, Z. 10-12; vgl. Io 18,28). Man müsste also auch die Tradition der Evangelienübersetzung überprüfen. 334 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen haizzet si gabatha. (fol. 238v, Z. 2-4). 298 Hier hat die Aneignung auf der Wortebene zu einer größeren Distanz auf der Inhaltsebene geführt. Denn dass ein Richter die Schranken verlässt, um zu Gericht zu sitzen, muss für einen mittelalterlichen Rezipienten sehr fremdartig gewirkt haben, jedenfalls wenn man annimmt, dass der Terminus schranne auch verfahrensrechtliche Assoziationen aufrief. Dass das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk grundsätzlich mit solchen Assoziationsräumen arbeitet, lässt die Umsetzung der entsprechenden Szene aus dem Nikodemusevangelium (cap. IX 5 [9 (G / I)]) vermuten: Pylatus hiez vnsern herren. fv ͦ r di schranne fu ͦ eren. da er saz. 299 vnd gab vrtail v ͦ ber in. vnd vertailt im. mit disen worten. vnd sprach. (S. 408, Z. 422 f. [fol. 255r]). 300 Denn hier ist zum einen neben der Interpretation, dass Jesus aus den Schranken herausgeführt wird, auch die möglich, dass er vor die Schranke geführt wird, vor der Pilatus (auf einem Richtstuhl) sitzt. 301 Zum anderen wird bei der mehrgliedrigen Umsetzung von his uerbis dicens sententiam im Deutschen das Ausgeben des Urteils ausdrücklich benannt, was ein Zeichen für einen ,deutschrechtlichen‘ Assoziationsraum sein dürfte. 302 Wahrscheinlich ist also bei der Übersetzung der Evangelienstelle das Prinzip der Worttreue über das einer kohärenten Raumlogik gestellt worden, ohne dass das Verfahren der kulturellen Aneignung grundsätzlich aufgegeben wäre. Ansatzweise ist es sogar bei der Übertragung von Evangelienstellen ins Deutsche zu belegen. Eine präzisierende Übersetzung, die auf eine ,deutschrechtliche‘ Betrachtungsweise zurückgehen könnte, findet sich nämlich auch in der Passage zum Verhör Jesu durch Kaiphas im Rahmen der Passionsharmonie. Mt 26,66 ( quid vobis videtur at illi respondentes dixerunt reus est mortis ; „Was scheint euch angebracht? Aber jene sagten in ihrer Antwort: Er ist schuldig und hat den Tod verdient.“) ist dort folgendermaßen umgesetzt: waz dvnchet eu reht. Do ertailten si im allesampt. er wær des to / des wert. (fol. 236r, Z. 1 f.). 303 Die schon im lateinischen Text durch das Wort reus vorhandene juristische Dimension der Stelle ist im Deutschen bereits in der Frage des Kaiphas an ,die Juden‘ verstärkt, die zur Urteilsfrage wird, indem der Erzähler die Antwort in der Redeeinleitung als Urteil markiert. Auf die Vorstellung, dass das Fällen eines Urteils eine Gemeinschaftsaktion ist, deutet außerdem die Stelle hin, an der erzählt wird, wie ,die Juden‘ sich zum Gericht des Pilatus begeben: vnd dar nach lieffen die Juden ze samne. rehte. als da man dieb. oder morder. verterben sol. (S. 396, Z. 19 f. [fol. 249r]). Hier wird der Bezug zur eigenen Erfahrungswirklich- 298 Anders als im Johannesevangelium sind es im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk ,die Juden‘ (nicht Pilatus), die Jesus fv ͦ r di schran ( n ) e führen (Z. 6 f.). 299 Vgl. auch bereits S. 407, Z. 394 f. (fol. 254v). 300 Tunc iussit Pilatus adduci illum ante tribunal suum ubi sedebat et prosecutus est his uerbis dicens sententiam [ Pilatus ] aduersus Iesum: […] (cap. IX 5, Z. 1-3 [9 (G / I)]; „Dann befahl Pilatus, dass er [sc. Jesus] vor sein Tribunal geführt werde, wo er saß, und führte das Urteil, das er gegen Jesus sprach, mit folgenden Worten aus: […]“). 301 Vgl. für die Vorstellung, dass Jesus vor einer Gerichtsschranke bzw. -bank steht, die Beschreibung des Prozessbeginns im Passional : Jesus stunt vor der richte banc, / als die gevangenen tunt (vv. 5832 f. [63,88 f.]). 302 Eine syntaktische Umformung der lateinischen Partizipialkonstruktion findet sich häufig bei mittelalterlichen deutschen Bibelübersetzungen, nicht selten in Verbindung mit einer „semantische[n] Präzisierung des Vorlagensyntagmas“ (Bieberstedt 2004, S. 454). 303 Der Wortlaut weist Parallelen zu Christi Hort auf: er [sc. Pilatus] sprach: ‘wes ist nu Jesus wert? ’ / ‘des to ͤ des! ’ sprachen die juden cehant. (vv. 1876 f.). Sie müssen aber nicht auf einen Einfluss von Christi Hort zurückgehen. 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 335 keit über einen Vergleich hergestellt und zugleich über ein ,heute‘ allgemein verbreitetes Prozedere aufgerufen. Es kann als typisch für das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk gelten, dass Bezüge zur zeitgenössischen Erfahrungswelt eingesetzt werden, um das Passionsgeschehen zu interpretieren, dass aber nicht die erzählten Vorgänge selbst aktualisiert werden, sondern das Erzählte auf die Gegenwart hin ausgelegt wird. Dass kurze Kommentare in die Narration integriert werden, stellt dabei einen Einzelfall dar. Meist sind die Auslegungen in blockhaften Passagen konzentriert. Einige davon sollen hier analysiert werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Christi Hort herauszuarbeiten. Was den Umgang mit einer vergangenen Kultur angeht, so wird in Christi Hort deutlich markiert, dass ein vergangenes Geschehen in einer kulturell fremden Welt erzählt wird; bei der Beschreibung der Rechtsverhältnisse der Römer wird aber auf Kategorien aus der Entstehungszeit des Textes zugegriffen, und diese Aneignung schlägt sich auch in der partiellen ,deutschrechtlichen‘ Transformation des Prozessgeschehens nieder. Die Übernahme der in Christi Hort gegebenen Erläuterungen zum Halstuch des Läufers 304 im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk lässt bereits erkennen, dass auch dort eine Auseinandersetzung mit dem historisch Fremden erfolgt ist. Auf römische Sitten wird im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk zum Beispiel hingewiesen, um die Art der Bestrafung Jesu zu erläutern: Die Verurteilung Jesu durch Pilatus (S. 408, Z. 422-426 [fol. 255r]) stellt eine genaue Übersetzung der entsprechenden Stelle des Nikodemusevangeliums 305 dar, in der Pilatus sich bei der Anordnung der Geißelung auf Bestimmungen früherer ‚Fürsten‘ beruft ( ‘ […] dar vmb gebeu ͦ t ich daz man dich zdem erstem mal. mit gaiseln an slach. als di vordern fv ͦ rsten gesatzt habent.’ ). In der mit Nu seht (Z. 427 [fol. 255r]) eingeleiteten Auslegung der Stelle wird dann erklärt: Pylatus hiez vnsern herren. pei der sâeu ͦ l. e. an slahen. e. daz er in den Jvden antwurte. wande der tot. des chrâeu ͦ tzzens. was zden zeiten gemain den po ͤ sen leu ͦ ten. vnd swen man chrâeu ͦ tzzen wolde. den sluech man. e. mit gaiseln an. daz heten di Romer geboten. Vnd an der sâeu ͦ l. siht man noch heu ͦ t daz pluet. daz von vnsers herren leichnamen floz. (S. 408, Z. 427-432 [fol. 255r]). Für den Erzähler sind die ‚Fürsten‘, denen die Strafregelung, dass vor der Kreuzigung eine Geißelung stattzufinden habe, zuzuordnen ist, ganz eindeutig Römer. Wie in Christi Hort haben in die Ausgestaltung des Geschehens aber zeitgenössische Vorstellungen Eingang gefunden, wenn gesagt wird, dass die steinerne Geißelsäule auf dem Marktplatz von Jerusalem gestanden habe ( dev was / stainen. vnd stuend an dem marchte ze Jer ( usa ) l ( e ) m , fol. 256r, Z. 9 f.). An dieser Stelle mutiert die Sekundärreliquie, an der man das Blut Christi ,noch heute‘ sehen könne (S. 408, Z. 431 f. [fol. 255r]; fol. 256r, Z. 12 f.), 306 kurzfristig zu einem Säulenpranger auf einem mittelalterlichen Markt. 307 Der historisierende Zugang zu den Ereignissen ist im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk mit einer theologischen Auslegung des neutestamentlichen Geschehens als Erfüllung alt- 304 S. o. S. 181. 305 ‘ […] Propterea praecipio te primum flagellari secundum statuta priorum principum’ (cap. IX 5, Z. 4 f. [9 (G / I)]; „ ,[…] Deswegen ordne ich an, dass du zuerst gegeißelt wirst nach den Verordnungen der früheren Herrscher.‘ “). 306 Zum Motiv des Blutes an der Säule vgl. den Kommentar von Vollmer (1929) zur entsprechenden Stelle in Die Neue Ee (ebd., S. 117, zu Z. 20). Zur Geißelsäule als Sekundärreliquie in Rom vgl. Miedema 2001, S. 749: S. Praxedis, Reliquien Nr. 4. 307 Zum Zusammenhang zwischen Staupsäule und Säulenpranger vgl. Schmidt-Wiegand 1984. 336 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen testamentarischer Prophezeiungen verbunden, die auch für die Gesamtanlage des Werkes prägend ist: Im Rahmen weiterer Erläuterungen zur Geißelung wird sie als Erfüllung von Weissagungen interpretiert (fol. 256r, Z. 15-22). Und die zitierten Erklärungen zur Kreuzigungsstrafe stehen sogar im Dienst der Auslegung des Geschehens auf eine alttestamentarische Prophezeiung hin, 308 wie deutlich wird, wenn man den gesamten Passionsteil in den Blick nimmt. Bereits kurz vor der zitierten Stelle war erklärt worden, dass die Kreuzigung damals die schändlichste Todesstrafe gewesen sei ( daz was zden zeiten der schentigist tot , S. 406, Z. 334 f. [fol. 253v]). 309 Diese Erläuterung verweist zurück auf die Passionserzählung nach den kanonischen Evangelien, wo sich im Anschluss an die Aussage, dass die beiden Schächer zur Schande Jesu zu seinen Seiten aufgehängt worden seien, folgende Auslegung findet: vnd da wart erfollet. daz d ( er ) weissag. chv ͦ nich Salo ( mo ) n. gesprochen / hat also. wir schv ͦ len in v ( er ) dampne ( n ) . vnd to ͤ tten. mit dem po ͤ siste ( n ) / tode. 310 Da mit maint er. den tot. des chræu ͦ tzes. d ( er ) zden zeite ( n ) d ( er ) schen / tigist was. Auch sp ( ri ) chet ein and ( er ) weissag. Er ist zden vngerehte ( n ) . vn ( d ) / zden po ͤ sen geleichet. 311 (fol. 239r, Z. 1-5) Die Erläuterungen zur Kreuzigung bei den Römern haben also vor allem die Funktion, eine Verbindung zwischen der Prophezeiung Salomos und der Todesart herzustellen. Dass Jesus wie ein Verbrecher behandelt wird, wird im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk - wie in Christi Hort in der Klage Mariens unter dem Kreuz 312 - an verschiedenen Stellen über die Diebesmotivik deutlich gemacht, wenn etwa gesagt wird, dass Jesu die Augen verbunden werden, als ob er ein Dieb wäre ( sam ob er ein diep wær , fol. 247r, Z. 20). 313 Auch gelten für den Leichnam Jesu die allgemeinen Regeln für den Umgang mit Leichen von unehrenhaft 308 Das dürfte - neben der Vorlagengebundenheit - auch der Grund dafür sein, warum in der Pilatus-Veronika-Legende bei der Beratung über die schlimmste Todesstrafe für Pilatus die Kreuzigung (S. 441, Z. 366 f. [fol. 303v]) keine Rolle spielt. 309 Die Bewertung entspricht der antiken Einschätzung der Kreuzigungsstrafe (vgl. die Belege bei Hengel 1977, S. 7 f.) und wurde - wahrscheinlich unter zusätzlichem Rückbezug auf die Psalmen - in christliches Schrifttum übernommen. So ist im Hebräerbrief 12,2 von der Schändlichkeit der Strafe die Rede, ebenso im Kommentar des Origenes zu Mt 27,22 (Comm. Ser. 124, Text nach der Ausgabe von Klostermann 1976, S. 259, Z. 5-7): nunc autem multiplicaverunt [sc. die Menge, die die Kreuzigung Jesu fordert] impietatis suae mensuram, non solum homicidam postulantes ad vitam, sed etiam iustum ad mortem et ad mortem turpissimam crucis. („Jetzt aber vervielfältigten sie das Maß ihrer Gottlosigkeit, indem sie nicht nur für einen Mörder das Leben, sondern sogar für einen Gerechten den Tod, und zwar den schändlichsten Tod am Kreuz forderten.“). Vgl. dazu Winter 1974, S. 95, Anm. 21. 310 Vgl. die Rede der Frevler ( impii , Sap 1,16) in Sap 2,1-20: […] morte turpissima condemnemus illum […] (Sap 2,20; „ ,[…] Zum schändlichsten Tod wollen wir ihn verurteilen […]‘ “). 311 Auf Is 53,12 wird auch in Kommentaren zu den beiden Schächern in Mc 15,28 und Lc 22,37 zurückverwiesen. Im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk ist das Jesaja-Wort unter den Prophezeiungen zu Beginn des Passionsteils aufgeführt: [ e ] t cum scel ( er ) atis reputat ( us ) est. Et ip ( s ) e p ( e ) cca ( ta ) m ( u ) ltor ( um ) tulit. ( e ) t c ( etera ) . (fol. 231r, Z. 15; „und unter die Verbrecher wurde er gezählt. Und selbst nahm er die Sünde vieler auf sich. Usw.“). Dort ist der erste Satz übersetzt und ausgelegt: Daz sp ( ri ) / chet also. Er ist genozzet den po ͤ sen leu ͦ te ( n ). Daz geschach. wand / er zwische ( n ) zwain schach ( er ) n. anz chræu ͦ tz genagelt wart. (Z. 15-17). Auf die Weissagung wird folgerichtig später bei den Erläuterungen zu den beiden Schächern wieder angespielt (S. 403, Z. 234 f. [fol. 252r]). 312 ‘ […] / der hangt vor mir als ein diep / zwischen schæchern da zwein. / […] ’ (vv. 2130 f.). 313 Zur Verwendung einer Augenbinde bei der für Diebe typischen Strafe des Erhängens vgl. His 1920, S. 492, außerdem Bildbelege, z. B. in der Oldenburger Bilderhandschrift (O) des Sachsenspiegels (Oldenburg, Landesbibl., Cim I 410 [früher Rastede, Großherzogl. Bibl., Cod. A.1.1], foll. 43v2; 66r2; vgl. http: / / www.lb-oldenburg.de/ uberlbo/ bestand/ ssp.htm, 15. 08. 2017). 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 337 Hingerichteten, wie ausgeführt wird, um zu erklären, warum Joseph von Arimathia Pilatus vor der Kreuzabnahme um Erlaubnis fragt. 314 In einem - anders gelagerten - Rückgriff auf die Rechtspraktiken der Zeit werden aber auch die Unterschiede zu den Verbrechern präsent gehalten: Zur Erklärung der großen Angst Jesu vor dem Tod am Ölberg wird angeführt, im Gegensatz zu den zum Tode verurteilten Dieben und Mördern, die erst merkten, was der Tod bedeute, wenn sie der Strick zu würgen beginne, 315 habe Jesus gewusst, was auf ihn zukomme (fol. 241v, Z. 21-26). Da die Kommentare zur historisch fremden Kultur in der Regel Teil einer theologischen Ausdeutung sind, 316 ist es wenig verwunderlich, dass der Fokus nicht auf Fragen der Rechtsordnung liegt. Eine Ausnahme bilden die Erläuterungen zur Passah-Amnestie: Es wird als neue gewonhait charakterisiert, dass der Juden Rihter 317 zu Ostern einen Gefangenen freilasse (S. 405, Z. 303 f. [fol. 253r]). Wie in Christi Hort (vv. 1869-1873), wo die neue Gewohnheit allerdings ausdrücklich Pilatus zugeschrieben ist, wird eine Verbindung zum ehemals freien Status ,der Juden‘ hergestellt, wobei im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk jedoch konkretisiert wird, dass der Brauch an die Befreiung aus Ägypten erinnern solle (Z. 303-305 [fol. 253r]). Die Argumentation steuert hier auf den Vorwurf zu, dass ,die Juden‘ seither (d. h. bis in die Gegenwart des Erzählers), wie man glaube ( wil man ), - wie auf eben dieser ‚Reise‘, wo sie viele erschlugen - zu Ostern immer Christen töteten (Z. 306 f. [fol. 253r]). 318 Und so hätten sie damals auch Jesus mit den beiden Schächern erschlagen (S. 405, Z. 308 f. [fol. 253r-v]). 319 In einer weiteren Erläuterung der ,Gewohnheit‘, dass die Richter zu Ostern einen Gefangenen freilassen, wird diese dann von gesetztem Recht abgegrenzt ( Ez 314 Der edel ma ( n ) Jo / seph vo ( n ) Arimathya. pat Pylatu ( m ) . vmb vns ( er ) s h ( er ) re ( n ) leichname ( n ). wand / ma ( n ) getorste zden zeite ( n ). dehainen erhange ( n ). an vrlaub. niht ab neme ( n ). / als auch noch gewonhait ist. (fol. 268v, Z. 20-23). Die Leichen unehrenhaft Hingerichteter durften nicht bestattet werden (vgl. Meurer 1998, Sp. 266). Aus einem Regensburger Ausgabenbüchlein des 15. Jahrhunderts geht hervor, dass die Stadt für die Ausgaben für die Bestattung ehrenhaft Hingerichteter aufkommen musste (vgl. Kolmer 1997, S. 280). Daraus kann man schließen, dass die Verantwortung für die Leiche bei der Obrigkeit lag. - Dass Joseph Jesus in ein neues Grab legt, wird dann mit go ͤ tleich ( er ) ordenu ( n ) g erklärt: Bei einem bereits in Gebrauch befindlichen Grab hätten ,die bösen Juden‘ sonst behauptet, es sei nicht Jesus, sondern jemand anders auferstanden (fol. 268v, Z. 23-29). An späterer Stelle werden wiederum Implikationen für die Gegenwart diskutiert, wenn es um die Frage geht, ob dieser ,Grabluxus‘ angemessen bzw. nachahmenswert sei: Für Jesus als obersten Herrn, an edelchait nicht zu übertreffen, sei er angemessen (fol. 269v, Z. 11-15). 315 Hier wird das Erhängen als Strafe selbstverständlich vorausgesetzt. 316 Es gibt jedoch auch Auslegungen, die dazu dienen, Irritationsmomente aufzuheben: So wird die Tatsache, dass bei der Marter Jesu Frauen anwesend waren, unter Berufung auf Hieronymus damit erklärt, dass es damals üblich gewesen sei, dass die Frauen von ihrer Habe den Lebensunterhalt von Predigern bestritten, deshalb habe auch Jesus seinen Jüngern Frauen mitgegeben (fol. 264v, Z. 18-24). Vielleicht ist diese Erläuterung tatsächlich von einer Stelle bei Hieronymus ( In Matheum I , zu Mt 10,10; zitiert nach Hurst / Adriaen 1969, S. 67, Z. 1583-1590) angeregt: Dort ist zwar nicht speziell von Frauen die Rede, aber Hieronymus hält es unter Berufung auf Gal 6,6 für richtig, dass Schüler für ihre geistige ‚Ernte‘ ihre Lehrer (im Rahmen des Notwendigen) zu Teilhabern an ihren materiellen Gütern machen. 317 Hier ist damit offensichtlich nicht ein „Richter bei einem jüdischen Gericht mit ausschließlicher Zuständigkeit für Angelegenheiten innerhalb der Judenschaft“ gemeint, sondern ein „Richter bei einem allgemeinen Gericht, zuständig für Angelegenheiten zwischen Christen und Juden“ (vgl. zum Bedeutungsspektrum DRW, s. v.). 318 Zu dieser angeblichen ,Tradition‘ und dem verkappten Ritualmordvorwurf vgl. Niesner 2005, S. 222-224. 319 Dass die beiden Schächer gerade keine Christen sind, wird in S - wahrscheinlich um der Polemik willen - ignoriert. In Gö wird die Tötung Jesu und der beiden Schächer gar nicht erst in die ,Tradition‘ der Tötungen eingeordnet. 338 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen was auch von gewonhait. vnd von gesatzten rehte niht , Z. 310 [fol. 253v]). Durch den Kontext wird klar, dass an dieser Stelle das gesetzte Recht über die Rechtsgewohnheit gestellt wird und dass das Interesse an der Passah-Amnestie weniger auf deren Zustandekommen liegt als auf einer Diffamierung dieser Maßnahme, die mit blutigeren Formen des Gedenkens an die Befreiung aus Ägypten enggeführt ist. Dass ein Motiv aus einem rechtlichen Kontext judenfeindlich umgedeutet wird, ist im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk nicht nur an dieser Stelle zu beobachten. 320 Selbst die sonst als Herrschaftszeichen des Pilatus verstandenen Fahnen, die sich bei der Vorführung Jesu vor Pilatus zur Erde neigen, werden in einem Kommentar auf die ,Hochfahrt‘ ,der Juden‘ zurückgeführt, die sich zwölf Fahnen hätten machen lassen und sie zwölfmal im Jahr zu einer Art Feierstunde in den Tempel getragen hätten (fol. 271r, Z. 26-30). Und die auf das Verhör durch Kaiphas bezogenen Ausführungen dazu, was ein falscher Zeuge sei (fol. 246r, Z. 7-16), 321 stehen nicht nur im Kontext von Psalm 26[27],12 (fol. 245v, Z. 31-33), sondern dienen dazu, ,den Juden‘ vorzuwerfen, dass sie Jesu Worte über das Niederreißen des Tempels (Io 2,19) absichtlich missverstanden hätten. Wenn auch die extrem judenfeindliche Zuspitzung ein Spezifikum des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks darstellt, sind die antijüdischen Auslegungen gleichzeitig Ausdruck eines moraldidaktischen Zugangs zum Passionsgeschehen, 322 wie er sich schon in Christi Hort beobachten lässt: Die handelnden Figuren werden zu Exempeln für richtiges oder falsches Verhalten, das auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit bezogen werden soll. Expressis verbis geschieht das in den Passagen, in denen - wie in Christi Hort - der Verrat von Judas und die Versöhnung zwischen Pilatus und Herodes kommentiert werden. Inhaltlich sind die Akzente im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk jedoch anders gesetzt. Während der Sprecher der Gebete in Christi Hort in dem mit owe, was noch Judas ist (v. 1128) eingeleiteten Abschnitt (vv. 1128-1152) um Vergebung für seine eigenen Sünden (sc. die unwürdig trotz des ,Verkaufs‘ der christlichen Ideale eingenommene Kommunion) bittet, geht es an einer ähnlich eingeleiteten Stelle zum Judaskuss im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk 323 darum, dass die Seelen von Menschen, die sich wie Judas nur nach außen hin freundlich verhalten, wie die seine in die Hölle kommen werden. 324 Die Reue des Judas wird später als mahnendes Vorbild für diejenigen hingestellt, die ,böses Gut‘ behalten: Wucherer, Pfandleiher, in Simonie lebende Geistliche 325 (fol. 255r, Z. 33 - fol. 255v, Z. 3). 326 Was das Verhältnis zwischen Pilatus und Herodes angeht, stellt der Erzähler in Christi Hort das Faktum der Versöhnung 320 Zum negativen Judenbild des Österreichischen Bibelübersetzers vgl. Niesner 2005, S. 51-301. 321 Demnach ist ein falscher Zeuge nicht nur derjenige, der die Unwahrheit spricht oder die Wahrheit verschweigt, sondern auch jemand, der die Bedeutung von Worten eines anderen absichtlich verkehrt. Zur Stelle vgl. auch Niesner 2005, S. 207. 322 Zum Predigtcharakter der Auslegungen im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk vgl. Meyer 2008, S. 244-250. 323 O. Jh ( es ) u Christe. waz nu Judasn. in dis ( er ) w ( er ) lde sint. […] (fol. 242r, Z. 16-19). 324 Vgl. ähnlich fol. 242v, Z. 13-15. Zu solchen Menschen gehört nach dem Wertesystem des Textes auch Pilatus, dem eine valscheu frevntschaft (S. 408, Z. 427 [fol. 255r]) zu Jesus unterstellt wird. 325 Dass bei der Auslegung auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit hin geistliche Ämter eine Rolle spielen, stellt keinen Einzelfall dar. So wird die Tatsache, dass Petrus für sein Schlafen am Ölberg mehr kritisiert worden sei als die anderen Jünger, damit erklärt, dass er sich besser gedünkt habe und von Jesus in besonderer Weise geehrt worden sei. Dementsprechend seien auch Prälaten mehr zu strafen als ihre Untertanen (fol. 241v, Z. 10-15). 326 Dem Verrat des Judas, der aus Geiz gehandelt habe, wird im Folgenden der schlimme Verrat ,der Juden‘ gegenübergestellt, deren Motive Untreue, Falschheit und Missgunst gewesen seien; sie hätten sich 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 339 in den Vordergrund, 327 während im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk beklagt wird, es gebe noch ,heute‘ Leute, die einander feind seien, dann aber durch gegenseitige Unterstützung bei unrechten Taten zu Freunden würden (S. 402, Z. 207-212 [foll. 251v-252r]). Wie wird bei einer solchen moraldidaktischen Betrachtungsweise die Frage reflektiert, wer für die Verurteilung Jesu die Verantwortung trägt, und welche Übertragungen in die Gegenwart werden in diesem Zusammenhang vorgenommen? 328 Wie Christi Hort enthält das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk einen Kommentar dazu, dass ,die Juden‘ es vorziehen, sich außerhalb der Gerichtsschranken aufzuhalten, um eine Befleckung zu vermeiden: In Christi Hort (vv. 1817-1826) verlassen sie den abgeschrankten Bereich; im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk betreten sie ihn gar nicht erst (fol. 236v, Z. 10-12; vgl. Io 18,28). Während in Christi Hort als entscheidendes Moment, das auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit bezogen wird, hervorgehoben ist, dass das Todesurteil nicht mit angesehen werden soll, wird im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk innerhalb der Passionsharmonie die biblische Erklärung gegeben, dass ,die Juden‘ aus rituellen Gründen wegen des bevorstehenden ‚Oster‘mahls nicht in den abgeschrankten Bereich hineingehen. Bei der Auslegung geht es dann nicht mehr um das Faktum des Draußenbleibens, sondern um die Bewertung ihres Verhaltens: Nu seht. vnd merchet. waz rainchait. oder rehtichait . 329 daz an in wâer. daz si in di schranne niht giengen. vnd doch hie auzzen auf vnsern herren rieffen. vnd schrieren. daz man daz vnschuldig pluet 330 verguzze. Ae. herre got, waz ir genoezzen. in diser werlde sint. di mit rat. vnd mit verhenchnu ͦ ss. den lev ͦ ten an schulde. lieb vnd guet wider tailent. wan alain dvrich neit. oder dvrich vorihte. oder dvrch miet. (S. 396, Z. 21-27 [fol. 249r]) 331 Der Kommentar hat wiederum eine Stoßrichtung, die ,den Juden‘ Schuld zuweisen soll. Die rituelle Reinheit, die ‚die Juden‘ bewahren wollen, wird zu einem Streben nach Freiheit von Schuld uminterpretiert; diese Freiheit sieht der Kommentator aber wegen der geäußerten Forderung nach der Todesstrafe als nicht gegeben. 332 Der Vergleichspunkt bei der Parallelisierung mit Vorgängen in ,dieser Welt‘ ist die Verurteilung von Unschuldigen aus niedrigen selbst durch die Reue des Judas nicht zur Erkenntnis ihrer eigenen bösen Tat und zur Umkehr bewegen lassen (fol. 255v, Z. 12-27). Zur Einordnung dieser Argumentation vgl. Niesner 2005, S. 210 f. 327 Erneut ist die Auslegung auf die Kommunion bezogen: nu nemt war: / swer noch hiute veintschaft hat / unt Gotes lichnamen dar um lat, / der ist po ͤ ser sunder wan / dan dise po ͤ se zwene man; / die wurden versunet cehande / du in einer dem anderm sande. (vv. 1360-1366). 328 Dass über die Exempelfunktion der Figuren hinaus die Alltagswirklichkeit auch in die Darstellung der Ereignisse durchaus mit einbezogen werden kann, zeigt sich oft in den Vergleichen, zum Beispiel an der Ausgestaltung der Verspottungsszene bei Herodes, wo gesagt wird, Herodes und seine Leute hätten mist und unflat auf Jesus geworfen und ihn angeschrien wie einen Narren (S. 402, Z. 212-215 [fol. 252r]). 329 rehtichait ist im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk ein positives Leitwort. Das zeigt sich zum Beispiel bei der Auslegung der Worte Jesu am Ölberg, wenn die an die Jünger adressierte Aufforderung Stet auf so interpretiert wird, dass ,wir‘ bereitwillig Mühsal und Angst ertragen sollten dvrich di rehtichait (fol. 242r, Z. 2 f.). 330 Vgl. dazu Mt 27,4. 331 Vgl. die entsprechende Stelle in Gö bei Niesner 2005, S. 206, Anm. 587. Niesner (ebd., S. 206 mit Anm. 588) verweist auf Augustinus als mögliche Quelle für die vorgebrachte Kritik. 332 Das Bemühen, selbst keine Schuld auf sich zu laden, war auch schon - in Bezug auf Kaiphas - anlässlich der Vorführung Jesu vor Annas thematisiert worden: Da vo ( n ) was / Cayphasen lieb. daz ma ( n ) vns ( er ) n h ( er ) re ( n ) . zdem ersten. hintz Anna ( m ) fuer / te. vnd weste auch wol. daz ma ( n ) vns ( er ) m h ( er ) ren vnreht tet. da vo ( n ) was / im lieb ( er ) . daz im ein and ( er ) priest ( er ) . vnd pyscholf v ( er ) tailte. da ( n ) ne er selb. (fol. 243v, Z. 30-33). 340 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Motiven. Wer sie in ,dieser Welt‘ vornimmt, wird nicht klar gesagt. Mit der Beeinflussung durch Missgunst, Furcht oder Bestechung sind klassische Richteruntugenden benannt, die aber im Sachsenspiegel ein Jahrhundert früher auch auf die Urteilsfinder bezogen worden waren. 333 Die Beteiligung am Urteil durch Rat 334 und Einwilligung könnte tatsächlich auf die Gerichtsgemeinde hindeuten. Zwar wird verhenchnu ͦ ss im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk auch Pilatus zum Vorwurf gemacht, aber der Kontext der Stelle, in der das Verhalten ,der Juden‘ als Gruppe negativ beurteilt werden soll, legt es doch nahe, dass der Kommentar auf die Gerichtsgemeinde gemünzt ist. Bestechlichkeit wird im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk auch als mögliche Motivation für das Handeln des Pilatus diskutiert, und zwar in einem Kommentar zum Traum der Frau des Pilatus, der zunächst nach dem heilig ewangeli (S. 399, Z. 117-119 [fol. 250v]), dann aber nach ein ander schrift erzählt wird (Z. 120-125): Seine Frau sei durch den Traum von einer beschwerlichen Schwangerschaft erlöst worden und habe einen Sohn geboren. Pilatus sei darüber sehr froh gewesen und habe Jesus gehen lassen wollen, es aber aus Angst vor ,den Juden‘, die ihn mit der möglichen Feindschaft des Kaisers gedroht hätten, nicht gewagt. Dieser Meinungsumschwung wird noch weiter erläutert: Dar zu sagt ettleich schrift. daz der Juden fv ͦ rsten. ein grozz guet Pylato gaben. daz er Jesum hiez to ͤ tten. wand si vorihten. ob si in leben liezzen. alle ir ere. gienge vnder. vnd daz volche. wurde allez an in gelaubend. Also verlie Pylatus di go ͤ tleichen voriht. dvrich der werlde voriht. vnd nam wider daz reht. daz valsch guet. Nu we allen den. di daz tuent. (S. 399, Z. 125-130 [fol. 250v]) 335 Das im Nikodemusevangelium (und noch stärker in Christi Hort ) vorhandene Motivationsdefizit bei Pilatus ist hier - außerhalb der Erzählung 336 - ausgeglichen. 337 Als Fehlverhalten wird nicht nur die Bestechlichkeit genannt (ein generelles Problem, wie der Autor erkennbar macht), sondern auch, dass Pilatus Furcht vor den Menschen über die gebotene Gottesfurcht stellt. Die Annahme des Bestechungsgeldes wird ausdrücklich als rechtswidrig klassifiziert, ohne dass eine bestimmte Rechtsordnung aufgerufen würde; wichtiger scheint die moralische Quintessenz für alle derartigen Übeltäter zu sein. Innerhalb der Erzählung wird das Verhalten des Richters Pilatus anders erläutert, und zwar im Kontext der Barrabas-Szene (S. 405 f., Z. 303-341 [foll. 253r-254r]), auf die im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk direkt die Handwaschung folgt (S. 406 f., Z. 342-367 [fol. 254r]). 338 Zunächst werden die Intentionen des Pilatus beim Angebot der Passah-Amnes- 333 S. dazu o. S. 208. 334 S. dazu o. S. 207 f.; 215; 221 f. 335 Die Version der Schwangerschaft der Frau des Pilatus findet sich auch in der Vita rhythmica (vv. 4756-4773), wo unmittelbar darauf das Ende des Prozesses vor Pilatus durch dessen Bestechung erzählt wird (vv. 4774-4791; zitiert nach Vögtlin 1888). Hinter ettleich schrift dürfte sich also die - auch bei der Schilderung der Misshandlungen Jesu herangezogene (vgl. Niesner 2005, S. 225-233) - Vita rhythmica verbergen. 336 In der Erzählung selbst wird im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk eine Situation wie in Christi Hort (vv. 1564-1581) zugrunde gelegt, wo von Reaktionen des Pilatus auf die Botschaft seiner Frau keine Rede ist, vielmehr auf die Mitteilung des Traumes gleich die Schmähreden ,der Juden‘ folgen, die den Traum als Beweis für Jesu Zauberei interpretieren (S. 400, Z. 138-140). 337 Vgl. eine entsprechende Auflösung des Motivationsdefizits in der Weltchronik Heinrichs von München und im Wiener Fragment, deren Bestechungsszenen (s. dazu o. S. 290; 303; 324) über die Zwischenstufe von Bruder Philipps Marienleben ebenfalls auf die Vita rhythmica zurückgehen. 338 Die Reihenfolge der Handlungsschritte weicht von der im Nikodemusevangelium (cap. IX 1-4 [7 f. (G / I)]) ab. 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 341 tie deutlich gemacht: Weil Jesus ein gerehter mensch gewesen sei, Barrabas hingegen ein Verbrecher, habe Pilatus gedacht, die Juden würden Jesus dvrich sein rehtichait freilassen (S. 405, Z. 312-316 [fol. 253v]). Daraus folgt, dass Pilatus sich bewusst ist, dass er das Falsche tut, als er der Forderung ,der Juden‘ nachgibt, zumal er die Warnung seiner Frau missachtet, daz er mit dem gerehten menschen niht v ͦ bels ze schaffen hiet (Z. 318-323 [fol. 253v]). Die Handwaschung hält der Kommentator deshalb für unwirksam und führt generalisierend aus, dass man sich mit Worten vor den Leuten nicht unschuldig machen könne, wenn man im Herzen vor Gott nicht unschuldig sei (S. 406, Z. 346-348 [fol. 254r]). 339 In der anschließenden Auslegung der Unschuldserklärung des Pilatus und des Blutrufs (Z. 349-351 [fol. 254r]; vgl. Mt 27,24 f.) wird für ,die Juden‘ deren ewige Sünde benannt (Z. 352-356 [fol. 254r]). Über Pilatus wird gesagt: Pylatus cherte sich an der Iuden geschrai. vnd lie in Barrabam. vnd rihte v ͦ ber den vnschuldigen. vnd da mit viel er in haubtsv ͦ nde. wand an der. e. stet geschriben also: ‘Dv solt niht v ͦ bel tuen. nach der menig willen. vnd solt auch an deinem gerihte. der vnrehten vrtail der menig. niht nach volgen.’ 340 Daz ist laider verchert. wand man der merern menig. nach volget. ob si halt niht reht hat. Swie doch Pylatus vnsern herren dreistunt gegen den Iuden beredt. er hiet niht v ͦ bels getan. dar vmb man in to ͤ tten solde. vnd doch zdem lesten. tet er nach der Iuden willen. Daz merchen herren vnd Rihter. di gewalt habent v ͦ ber des menschen pluet. vnd hu ͦ etten sich. daz si dvrich dehain sache iht gestatten daz mit ir wizzen. vnschuldigez pluet iht vergozzen werde. oder in geschiht pilleich. als Pylato geschehen ist. (S. 406 f., Z. 356-367 [fol. 254r]) Auch das Verhalten des Pilatus wird nicht nach juristischen Kriterien beurteilt, sondern nach dem der Sündhaftigkeit ( haubtsv ͦ nde ) gegenüber Gott, die in einem Verstoß gegen einen der im Bundesbuch 341 formulierten Rechtsgrundsätze begründet liegt. Dadurch, dass Ex 23,2 auf Pilatus bezogen ist, wird der dort formulierte Grundsatz auf richterliches Verhalten eingeschränkt. Das Nachgeben gegenüber der Menge, deren prozessuale Beteiligung nicht näher definiert ist, wird deswegen als problematisch angesehen, weil sie nicht recht haben könnte. Wenn ein Richter erkenne, dass die Menge nicht recht habe, dürfe er ihren Willen nicht erfüllen. Daraus ergibt sich indirekt eine Verpflichtung des Richters zur Wahrheit, deren mangelnde Umsetzung in dem - gegenüber dem Nikodemusevangelium (cap. III 2) modifizierten - Dialog zwischen Pilatus und Jesus über die Wahrheit angeklungen war. 342 339 Das Nachgeben des Pilatus wird hier schon vorausgesetzt, obwohl danach (S. 407, Z. 368-387 [fol. 254r-v]) noch von einem Versuch des Pilatus erzählt wird, durch Herausgehen auz der schrannen die Verhandlung abzubrechen. 340 Vgl. Ex 23,2: non sequeris turbam ad faciendum malum / nec in iudicio plurimorum adquiesces sententiae ut a vero devies . („Du sollst nicht der Menge folgen zum Unrecht-Tun, und du sollst nicht in deinem Urteil der Meinung der meisten beipflichten, sodass du von der Wahrheit abweichst.“). 341 Vgl. dazu Oswald 2005. 342 Während Jesus nach dem Nikodemusevangelium auf die Frage des Pilatus, ob es auf Erden keine Wahrheit gebe, antwortet, er solle sich ansehen, wie von denen, die die Macht hätten, über die, die die Wahrheit sagten, gerichtet werde, wird die Stelle im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk unter ausdrücklichem Verweis auf Nikodemus - Johannes habe ja keine Antwort überliefert (S. 401, Z. 194 f. [fol. 251v]) - folgendermaßen paraphrasiert: Jesus habe gesagt: Die Wahrheit sei von himel . Und auf Pilatus’ weitere Frage: ‘Wie? ist auf dem erdreich niht warhait? ’ habe er geantwortet: ‘Nim der warhait war. di da sprichet: “Wie wirt auf dem erdreich gerihtet. von den de gewalt habent. in der werlde? ” ’ (S. 401 f., Z. 196-200 [fol. 251v]). In der abschließenden Antwort Jesu ist einerseits das Wort warhait zu einer bekannten Tatsachenwahrheit umgedeutet, andererseits wird nahegelegt, dass es auf Erden deshalb keine warhait gebe, weil generell auf Erden schlecht gerichtet werde. 342 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Die Übertragung auf die Gegenwart erfolgt dann für Personen, denen - wie damals Pilatus - die Blutgerichtsbarkeit obliegt. Ihnen wird Pilatus als warnendes Beispiel vor Augen gestellt, jedoch ist der Vorwurf leicht verschoben: Bei der Reformulierung liegt der Akzent nicht auf dem Nachgeben gegenüber der Menge, sondern auf der wissentlichen Einwilligung in ein Unrecht. Die juristisch komplexe Frage, ob ein Richter unter bestimmten Umständen wissentlich einen Unschuldigen verurteilen darf, 343 wird hier generell verneint. Quelle für den Rechtsgrundsatz ist die alte e , der an dieser Stelle eine direkte Verbindlichkeit für die weltliche Gerichtsbarkeit zugeschrieben wird. 344 Die angemessene Bestrafung für richterliches Fehlverhalten wird im letzten Satz des Zitats (S. 407, Z. 366 f. [fol. 254r]) angedeutet, der auf das Ende des Pilatus vorausweist, seinen Selbstmord, den er nach erfolgter Verurteilung durch ein weltliches Gericht als ein verzagter po ͤ swiht begeht (S. 441, Z. 368-375 [fol. 303v]). 345 Die dort vorgenommene Parallelisierung mit Judas verdeutlicht zusätzlich, dass Pilatus auch sein Seelenheil verwirkt hat. Anders als in Christi Hort sind die rechtsethischen Fragen im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk mit seinen auslegenden Passagen ausbuchstabiert. Die Unterschiede zwischen den beiden Texten, etwa in der Bewertung der Versöhnung zwischen Pilatus und Herodes, zeigen, dass man das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk nicht generell als ein Werk ansehen darf, das inhaltlich überall ähnliche Akzentuierungen vornimmt wie Christi Hort . Es bietet aber eine Erklärung für die in Christi Hort offen gelassene Frage an, worin die Schuld des Pilatus bei seinem Nachgeben eigentlich besteht. Wie bereits die Analyse der Pilatus-Veronika-Legende gezeigt hat, findet die im entsprechenden Teil von Christi Hort konzipierte Auffassung von Pilatus als Negativexempel ihre Parallele im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk . Dort dient die Pilatus-Figur spezifischer als Negativbeispiel für einen schlechten Richter. Diese Übertragbarkeit setzt allerdings voraus, dass der Prozess gegen Jesus ein Prozess wie jeder andere gewesen sei, was er jedoch wegen der Notwendigkeit des Heilsgeschehens nicht ist. In Christi Hort scheint dieses Problem nur an der Stelle auf, als Jesus Pilatus auffordert, so mit ihm zu verfahren, wie ihm gegeben sei (v. 1614). Die entsprechende Stelle aus dem Nikodemusevangelium (cap. IV 3) ist auch in das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk übernommen (S. 402 f., Z. 231-233 [fol. 252r]). Zusätzlich wird dort, nachdem Pilatus realisiert hat, dass Jesus der ist, nach dem Herodes suchte, und kurz, bevor die Verurteilung geschildert wird, bewusst gemacht, dass es der Weltenrichter ist, der verurteilt wird: 343 S. dazu o. S. 211 f. 344 Dass das Alte Testament im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk nicht nur als Quelle der Prophezeiungen, sondern auch als ethische Richtschnur einen hohen Stellenwert hat, lässt sich an der Ausdeutung der zwei Schwerter ablesen. Nachdem die Interpretation vorgestellt worden ist, dass die beiden Schwerter geistliches und weltliches Gericht bezeichneten (fol. 240v, Z. 25-27), folgt eine weitere Auslegung: Ez bedæu ͦ tent auch di zwai sw ( er ) t. di newe ( n ) / vnd di alte ( n ) . e. mit den d ( er ) me ( n ) sch vor des tyefels valschait besch ( er ) met wir ( t ). / wa ( n ) d sw ( er ) di redleich vnd reht træit. des ist genuech. wa ( n ) d ma ( n ) m ( it ) ir ler / zdem himelreich chvmt. (Z. 27-30). Bei der Auslegung der Kreuzesinschrift wird die generelle Gültigkeit der alten e insofern eingeschränkt, als von der e gesprochen wird, die Gott ,den Juden‘ gegeben habe. Aber auch hier ist sie positiv konnotiert, denn aus diesem Faktum wird eine besondere Würde der hebräischen Sprache hergeleitet (fol. 260v, Z. 7-9). Der Sprachbezug dürfte auch für die dezidierte Zuordnung der alten e zum Judentum an dieser Stelle ausschlaggebend gewesen sein. 345 Zwar liegt der Akzent in der Pilatus-Veronika-Legende im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk weniger deutlich als in Christi Hort darauf, dass Pilatus wider besseres Wissen gehandelt habe, jedoch ist der Vorwurf der Einwilligung in Unrecht präsent (s. dazu o. Kap. 6.3.3). 6.3 Das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk des Österreichischen Bibelübersetzers 343 Do hiez Pylatus. vnsern herren fv ͦ r di schrannen fveren. da er saz. Zehant wart Jesus fv ͦ r den Rihter praht. daz ist fv ͦ r Pylatum. daz hintz dem gerihtet wurde. der gewalt hat. v ͦ ber alle di werlt ze rihten. der stuent als ein armer chneht. vor seinem herren. der doch herre ist himels vnd erd. vnd aller geschepfte. (S. 407, Z. 394-398 [fol. 254v]) Es dürfte kein Zufall sein, dass der Dialog zwischen Jesus und Pilatus über das Königtum Jesu an diese Stelle verlegt ist (S. 407 f., Z. 398-408 [foll. 254v-255r]). Als handlungslogische Motivation dafür wird - in einer Umkehrung von Io 18,34 (bzw. Nikodemusevangelium , cap. III 2) - angegeben, dass Pilatus fürchte, Jesus nicht eingehend genug befragt, sondern sich auf Gerüchte des Hofes verlassen zu haben (Z. 399 f. [fol. 254v]), 346 aber durch die Anordnung wird vor allem der paradoxe Charakter der weltlichen Gerichtsverhandlung betont. Dieser Eindruck kulminiert in der Urteilsbegründung des Pilatus, dass Jesu geslaehte ihn zum König erkoren habe (Z. 423 f. [fol. 255r]), 347 Jesus zuvor aber deutlich gemacht hatte, dass sein Reich nicht hier sei, was Pilatus allerdings nicht verstanden hatte (Z. 404-407 [foll. 254v-255r]). Pilatus als handelnde Figur hat also keinen Zugang zur heilsgeschichtlichen Dimension der Gerichtsverhandlung. Erneut wird im Zusammenhang mit der Befragung Jesu das Problem diskutiert, ob dieser bei Befragungen Antworten gibt oder nicht und wie das zu interpretieren sei. 348 Dass Jesus Pilatus auf seine Frage, ob er König der Juden sei, antwortet, wird damit erklärt, dass jener nicht gern über ihn gerichtet habe; den jüdischen ,Bischöfen‘ und Pharisäern habe Jesus hingegen keine Antwort gegeben, weil sie unwürdig gewesen seien (Z. 409-412 [fol. 255r]). Für den heilsgeschichtlichen Kontext entscheidend ist die Wiederaufnahme der Frage des Pilatus, warum Jesus nicht auf deren Vorwürfe antworte (Z. 412-414), 349 und die daran anknüpfende Auslegung (Z. 415-421). Die Argumentation folgt zunächst einer auf die Gerichtspraxis bezogenen Logik, indem unter Berufung auf Johannes Chysostomus gesagt wird: Hätte sich Jesus mit seiner Antwort von den Vorwürfen befreit, hätte Pilatus ihn ‚geschlagen‘, möglicherweise als einzige Form der Bestrafung. 350 Jedenfalls hätte Jesus - so wohl die Argumentation - dann sein Leben retten können. Im Hinblick auf die Lebenspraxis wird das Schweigen Jesu als belehrendes Exempel für vns interpretiert, dass man 346 Dass Pilatus konkrete politische Befürchtungen hegt, macht der Erzähler durch die Reformulierung der Frage des Pilatus nach dem Königtum Jesu deutlich, die dahingehend präzisiert wird, dass Pilatus damit auch habe erfahren wollen, ob Jesus sich (sc. als König) weigere, dem Kaiser ‚Zins‘ zu zahlen (S. 408, Z. 402 f. [fol. 254v]). 347 Die Urteilsverkündung ist eine Übersetzung aus dem Nikodemusevangelium , cap. IX 5 (9 [G / I]). Das vermeintliche weltliche Königtum Jesu dient jeweils zur Begründung der Geißelungsstrafe (die Kreuzigung wird als weitere Anordnung angefügt); es bleibt unklar, ob damit auch das ,Hauptvergehen‘ Jesu benannt sein soll. 348 Mit einem ausdrücklichen Bezug zum Dialog zwischen Pilatus und Jesus über das Königtum war diese Frage schon ausführlich anlässlich der Befragung Jesu durch Kaiphas vor dem Hohen Rat (nach Mt 26,57-68) erörtert worden (fol. 246r, Z. 16 - fol. 246v, Z. 22; vgl. dazu Niesner 2005, S. 207 f.). 349 Dass Jesus auf die Vorwürfe ,der Juden‘ auch Pilatus gegenüber mit Schweigen reagiert, war bereits S. 397, Z. 31-40 (fol. 249r), und S. 405, Z. 299-302 (fol. 253r), und mit alttestamentarischen Prophezeiungen (Is 53,7 und Ps 37[38],14) erklärt worden. 350 Sprichet. Chriso stom us: ‘Hiet sich vnser herre mit seiner antwurte beredt. so wold in Pylatus haben geslagen.’ (S. 408, Z. 415 f.). Zur rechtlichen Dimension des Verbs bereden vgl. BMZ; L exer ; MWB; DRW; WMU, s. v. Zu der Referenz auf Johannes Chrysostomus vgl. Adversos Iudaeos 6,5 (zitiert nach PG 48, col. 910). Danach wollte Jesus nicht gegen die falschen Beschuldigungen angehen, obwohl er es ohne Weiteres hätte tun können; mögliche Reaktionen des Pilatus auf Jesu Schweigen sind jedoch nicht thematisiert. 344 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen ungerechte Anschuldigungen geduldig ertragen solle (Z. 415-418). 351 Dann aber wird sein Schweigen mit der besonderen heilsgeschichtlichen Konstellation begründet: Hätte sich Jesus mit seiner Wahrhaftigkeit und Weisheit verteidigt, wäre er freigelassen worden und der Marter entgangen; dann wäre die Menschheit nicht erlöst worden (Z. 418-421). 352 Im Anschluss an diese Auslegung wird von der Verurteilung Jesu berichtet (Z. 422-426). Durch den vorangegangenen Kommentar erscheint zwar nicht Pilatus direkt entlastet, sodass er als negative Exempelfigur erhalten bleibt, aber die verschiedenen Möglichkeiten der Auslegung des Schweigens Jesu zeigen das Bedeutungspotenzial des Prozesses: Er ist ein heilsgeschichtliches Ereignis, aber auch eine Gerichtsverhandlung, die Lehren für das Verhalten in ,dieser Welt‘ bereithält. Insgesamt wird im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk - der Anlage des Werks entsprechend - deutlich zwischen der Ebene der histoire und der Auslegung unterschieden. Verbindungen zur eigenen Kultur werden durch Vergleiche oder direkte Bezüge zu gegenwärtigen Lebensverhältnissen hergestellt, die zwar Gemeinsamkeiten betonen, aber allein durch die Notwendigkeit eines Transfers die Aufmerksamkeit auf das historisch Fremde oder heilsgeschichtlich Bedeutsame lenken. Das Interesse bei der Aneignung liegt dabei - wie in Christi Hort - auf rechtsethischen Fragen. Hinzu kommt eine stark judenfeindliche Ausrichtung der Kommentare. Verfahrensrechtliche Fragen treten in den Kommentaren in den Hintergrund. Innerhalb der erzählenden Passagen sind Ansätze zu einer Übertragung in das zeitgenössische Rechtsleben erkennbar, sie ist aber nicht vollständig durchgeführt, und Brüche werden zugunsten der Vorlagentreue in Kauf genommen. Insofern sind die Techniken der Aktualisierung anders gelagert als in Christi Hort , wo nur an wenigen Stellen ausdrücklich Bezüge zur eigenen Erfahrungswirklichkeit hergestellt, dafür aber rechtliche Verfahrensabläufe anzitiert werden, die das Prozessgeschehen für zeitgenössische Rezipienten besser fassbar machen. Als Vergleichstext zu Christi Hort ist das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk vor allem deshalb von Bedeutung, weil einige in Christi Hort lediglich angerissene Problemkomplexe, die sich aus der Diskrepanz zwischen der heilsgeschichtlichen Notwendigkeit und einer Betrachtung des Prozesses unter irdischen Wertmaßstäben ergeben, explizit gemacht werden. Durch den Fokus auf irdische Wertmaßstäbe wird außerdem ein Blick auf die Heilsgeschichte eröffnet, bei dem der Ausgangspunkt für das Verständnis die eigenen Lebenserfahrungen sind, wie sie der Text für seine Rezeptionsgemeinschaft entwirft (man denke etwa an die Bestechlichkeit von Richtern, den Umgang mit einer falsch urteilenden Menge oder die [unterstellte] Missgünstigkeit ,der Juden‘). Ein solcher Zugang ist - mit inhaltlich anderer Akzentuierung - auch hinter den subtileren Aktualisierungen in Christi Hort zu vermuten. 351 Vgl. eine ähnliche Erklärung für das Schweigen Jesu in Bezug auf sein Verhalten bei der Befragung durch Kaiphas (fol. 246r, Z. 30-33). Dass Jesus dann doch mit dem pyscholf spricht (fol. 247r, Z. 1-5; die Szene folgt dem Dialog mit Annas nach Io 18,19-21), wird damit begründet, dass Jesus die Wahrheit nicht habe verschweigen wollen (Z. 5 f.). Der Kommentator bemüht sich, beide Verhaltensweisen harmonisierend zu deuten, um einen Widerspruch zum Jesuswort, man solle auch die zweite Wange zum Schlag hinhalten, zu vermeiden (Z. 6-18). 352 Die Argumentation ist hier situationsbezogen, denn für sein Schweigen angesichts der falschen Beschuldigungen vor dem Hohen Rat wird unter anderem der Grund angeführt, dass Jesus in seiner göttlichen Weisheit gewusst habe, dass ,die Juden‘, was auch immer er geantwortet hätte, ins Unrecht verkehrt hätten (fol. 246r, Z. 28-30). 6.4 Die Prosafassung E des Nikodemusevangeliums 345 6.4 Die Prosafassung E des Nikodemusevangeliums 6.4.1 Die Prosafassung E als Rezeptionszeugnis von Diu urstende? In einigen Handschriften der Prosafassung E, insbesondere der Handschrift mit der Sigle E 4 , 353 finden sich Verse oder versähnliche Phrasen, die zum Teil wörtlich mit Diu urstende übereinstimmen. 354 Da sich nicht alle dieser Versanteile auf Diu urstende zurückführen lassen, ist auf eine nicht erhaltene Versdichtung *E als eine der Vorlagen für die Prosafassung E geschlossen worden. 355 Während Achim Masser und Max Siller (1987) nachzuweisen versuchten, dass diese Versdichtung die Vorlage für Diu urstende und die Prosafassung E gewesen sei, 356 hat Werner J. Hoffmann (1997a; 2000) umgekehrt argumentiert, dass es sich bei *E um eine Versübersetzung des lateinischen Nikodemusevangeliums gehandelt haben müsse, in die auch Verse aus Diu urstende integriert worden seien. 357 Die Kontroverse dreht sich auch darum, welche Originalität Konrad von Heimesfurt als Autor zukommt. Nach dem Modell von Masser und Siller hätte er vor allem aus der Versdichtung *E geschöpft. In dem Bemühen, Konrad als Autor zu rehabilitieren, bringt Hoffmann Argumente, die nicht stichhaltig sind, etwa wenn er zurückweist, dass Bemerkungen im Prolog von Diu urstende rein topischen Charakter haben könnten. 358 Überzeugend ist aber folgende Überlegung: Die Analyse der Reimpartie E 1007-41 hat mit aller Deutlichkeit den kompilatorischen Charakter auch der in E enthaltenen Versdichtung *E aufgezeigt. Auf der einen Seite enthält die Partie mit der Urst. übereinstimmende Verse, deren Inhalt nur in äußerst lockerer Beziehung zum Text des lat. E. N. steht, auf der anderen Seite Verse ohne Entsprechung in der Urst., die relativ genau nach dem E. N. übersetzt sind. Es ist mehr als unwahrscheinlich, daß Konrad von Heimesfurt die Vers- 353 Engelberg, Benediktinerstift, Cod. 243. Die Handschrift, die nur den Descensus -Teil überliefert, ist zugleich der älteste Überlieferungsträger der E-Fassung; der Descensus -Text wurde nach 1383 eingetragen. Vgl. Masser / Siller 1987, S. 70-72; Hoffmann 1997a, S. 309. Da die anderen Überlieferungsträger weniger Versanteile aufweisen, wird E 4 auch als Repräsentant einer genetisch älteren E-Version angesehen. Zur E-Fassung insgesamt vgl. Masser / Siller ebd., S. 24-33; 46-48; 67-75 (Handschriften); 249-337 (Texte); Hoffmann ebd., S. 309-313; 2000, S. 270-291 (ergänzende Angaben zur Überlieferung auf S. 270-272). Die niederdeutsche Version (W) der Fassung E ist ediert in Masser 1978 (s. ‚ Nikodemusevangelium‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘), S. 61-97. 354 Vgl. dazu Wülcker 1872, S. 51-54; Masser / Siller 1987, S. 24 f.; Hoffmann 2000, S. 273-283. Größere Entsprechungen sind im zweiten Apparat der Ausgabe von Diu urstende von Gärtner / Hoffmann (1989) abgedruckt. 355 Geith (1989, S. 287) gibt jedoch zu bedenken, dass „in bestimmten Fällen das schema homoteleuton [sic] zum ornatus auch deutscher Prosa gehört haben könnte“. Seine Forderung, das Phänomen systematisch zu untersuchen, ist bisher für die Prosafassung E nicht erfüllt worden. Eine solche Untersuchung kann auch hier nicht geleistet werden, zumal man die Entwicklung des Prosastils im 15. Jahrhundert zu berücksichtigen hätte. Dass nicht alle Versionen der Prosafassung E Reimbindungen aufweisen, spricht dagegen, dass sie als wichtiges Stilmittel empfunden wurden. Geiths These, dass die Reimwörter in der Pilatus-Veronika-Legende des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks nicht auf eine Reimvorlage zurückgingen, die er (ebd.) unterstützend anführt, kann inzwischen als widerlegt gelten (s. dazu o. Kap. 6.2.1). 356 Vgl. Masser / Siller 1987, S. 25-31. 357 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 312 f.; 2000, S. 270-291. Bereits Wülcker (1872, S. 51-54) hatte als Vorlage eine umgearbeitete Version von Diu urstende postuliert. 358 Vgl. Hoffmann 2000, S. 287. 346 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen dichtung *E als Quelle benutzte; denn dies würde ja bedeuten, daß er immer wieder ausgerechnet die Verse ausgewählt haben müßte, die ohne direktes Vorbild im E. N. sind. 359 Mit Hoffmann wird deshalb hier angenommen, dass die wörtlichen Parallelen zu Diu urstende in der Prosafassung E letztlich auf Diu urstende zurückgehen. Dass sie indirekt über *E Eingang in die Prosafassung gefunden haben, erscheint dabei nicht zwingend: der Prosateur könnte sowohl auf Diu urstende als auch auf eine (heute verlorene) Versübersetzung des Nikodemusevangeliums zugegriffen haben. Dass sich auch in der Passage zu Seths Bericht von seinem Gang zum Paradies (S. 285, Z. 884-945), 360 die hauptsächlich auf Diu urstende (vv. 1868-2020) basiert, nicht zu Diu urstende gehörige Verse finden, spricht jedoch dafür, dass der Prosateur eine Bearbeitung von Diu urstende benutzt hat, denn die Erzählung Seths hat keine Vorlage im Nikodemusevanglium (cap. XIX 1). 361 Die E-Fassung selbst zeigt jedenfalls eine kompilatorische Arbeitsweise: E orientiert sich in der Grundanlage am Nikodemusevangelium (Rezension Lateinisch A), wobei das Grundgerüst - unter Rückgriff auf andere Quellen - ausgestaltet und um Textbausteine ergänzt wurde. 362 Die Übernahmen aus Diu urstende machen (wie die Versübernahmen insgesamt) nur einen kleinen Teil des Textbestandes von E aus. 363 Da die Prosafassung, deren Entstehung wohl im 14. Jahrhundert anzusetzen ist, 364 vermutlich nicht in direkter Auseinandersetzung mit Diu urstende verfasst wurde, lassen sich aus den vorhandenen Übernahmen aus Diu urstende keine Auswahlkriterien ableiten. 365 Hinsichtlich der Rechtsthematik ist aber festzuhalten, dass mehrere Passagen in der Prosafassung E, die Referenzen zu Diu urstende aufweisen, sich auf die für Diu urstende so zentrale Wahrheitsthematik beziehen. Darüber hinaus lässt die Prosafassung insgesamt ein eigenes Interesse an der Wahrheitsthematik erkennen. Weil sie dem Stoff inhärent ist, wird sich nicht mehr klären 359 Hoffmann 2000, S. 291. 360 Alle Seiten- und Zeilenangaben beziehen sich auf den mit der Sigle E versehenen Abdruck in Masser / Siller 1987, S. 249-305. 361 Vgl. Hoffmann 2000, S. 277 f.; 287. 362 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 310; 2000, S. 272. Er (ebd., S. 273-277) hat kleinteilige Montagen aus Versen, die auf Diu urstende zurückgehen, und aus Partien, die aus dem lateinischen Nikodemusevangelium übersetzt wurden, nachgewiesen. Hinzufügungen gegenüber dem Nikodemusevangelium sind außerdem zum Beispiel die Einführung des Nikodemus nach Io 3,1-5 und die Schilderung der Passionsereignisse (vor der Prozesshandlung) nach den kanonischen Evangelien zu Beginn des Textes (S. 249-253, Z. 1-129). In den Abschnitt sind offenbar auch exegetische Traditionen eingeflossen. So wird erläutert, dass Kaiphas bei seiner Aussage, dass es besser sei, wenn ein Mensch sterbe, als dass das Volk zugrunde gehe, unwissentlich eine Aussage von heilsgeschichtlicher Dimension gemacht habe (Z. 25-27). Das Motiv findet sich auch im Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler (vv. 414-421), war jedoch vermutlich weiter verbreitet. 363 Einzelne Versübernahmen sind über den gesamten Text verteilt; größere Übernahmen konzentrieren sich auf Passagen zum Fahnenwunder, zu der Glaubwürdigkeit der zwölf Zeugen, der Befragung der Simeonsöhne, der Höllenfahrt und der Reaktion der jüdischen Führer (vgl. Hoffmann 2000, S. 273-283). 364 Einen terminus ante quem bildet die Datierung der Handschrift E 4 (s. o. S. 345, Anm. 353), wenn man sie als Repräsentanten einer Version ansieht, die auch den Gesta Pilati -Teil umfasste. Nach Masser / Siller (1987, S. 31 f.) hatten die hypothetische Versdichtung *E und die Urfassung von E nur die Höllenfahrt zum Gegenstand, der Gesta Pilati -Teil sei nachträglich vorgeschaltet worden. Hoffmann (1997a, S. 313; 2000, S. 272-285) konnte jedoch belegen, dass sich (anders als von Masser / Siller ebd. angenommen) die Versübernahmen in E nicht auf den Descensus -Teil beschränken, sodass am Anfang der Textgeschichte vermutlich ein ,vollständiger‘ Text gestanden hat. Verbreitet war die Fassung E vor allem in benediktinischen und in reformierten dominikanischen Frauenklöstern (vgl. Hoffmann ebd., S. 309 f.). 365 Auch ist die Gestalt von *E nicht rekonstruierbar (vgl. Hoffmann 2000, S. 287). 6.4 Die Prosafassung E des Nikodemusevangeliums 347 lassen, ob diese Schwerpunktsetzung durch eine (indirekte) Rezeption von Diu urstende mit angeregt wurde. Wenn im Folgenden der Umgang mit der Wahrheit in der Prosafassung E analysiert wird, steht deshalb nicht primär deren Rezeptionscharakter im Vordergrund. Die Untersuchung ist aber insofern auf Diu urstende als Prätext ausgerichtet, als durch die Analyse der Prosafassung E als Vergleichstext auch der Blick auf Diu urstende geschärft wird. 6.4.2 Zur Textgrundlage Für den bei Masser und Siller (1987) unter der Sigle E abgedruckten Text, der hier zugrunde gelegt ist, dient die am Schweizer Oberrhein in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts angefertigte Handschrift E 6 als Leithandschrift, da sie von den Handschriften mit vollständigem Text die wenigsten Überarbeitungsspuren aufweist. 366 Im Hinblick auf das in dieser Arbeit analysierte Textcorpus könnte noch der Text der Handschrift E 3 aufschlussreich sein, den Masser und Siller auszugsweise ebenfalls ediert haben: 367 Er weist nicht nur im Anfangsteil erhebliche Unterschiede zur E-Fassung auf, sondern umfasst zusätzlich eine Pilatus-Veronika-Legende, die teilweise auf der entsprechenden Passage des Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler basiert. 368 Die stark kürzende Bearbeitung ist jedoch für die Rechtsthematik so wenig aufschlussreich, dass hier auf eine Analyse von E 3 verzichtet wird. 6.4.3 wârheit: Das Verhältnis von heilsgeschichtlicher und juristischer Wahrheit Wie in Diu urstende sind in der Prosafassung E ein heilsgeschichtlicher und ein juristischer Wahrheitsbegriff präsent. Das wird relativ zu Beginn in der Fahnenwunder-Szene (S. 255, Z. 181-200) deutlich: Die zwölf Fahnenträger berufen sich in Reaktion auf die Vorwürfe ,der Juden‘, sie hätten sich absichtlich vor Jesus verneigt, 369 darauf, dass sie Heiden seien, und fügen dann hinzu: die panner hant sich selber geneiget vnd hant erzo ͤ iget die warheit (Z. 186 f.). Bei dieser Aussage, die sich so im Nikodemusevangelium (cap. I 5) nicht findet, aber teilweise an Diu urstende angelehnt ist, 370 ist mit warheit offenbar die Messianität Jesu gemeint, die durch die Fahnen bezeugt wird. 371 Bei dem Wiederholungsexperiment des Pilatus 366 Solothurn, Zentralbibliothek, Cod. S 194. Vgl. dazu Masser / Siller 1987, S. 73 f., den Eintrag im Handschriftencensus und das Digitalisat (http: / / www.e-codices.unifr.ch/ de/ list/ one/ zbs/ S-0194 [PURL]). Eine wohl durch Augensprung entstandene Fehlstelle (S. 271 f., Z. 578-614) ist nach E 2 (St. Gallen, Stiftsbibliothek, Cod. 1142) abgedruckt; ebenso ist der Abschnitt Z. 1189-1210 (S. 302 f.) ein Zusatz zu dem in E 6 überlieferten Text. Zu den Handschriftenverhältnissen vgl. Masser / Siller ebd., S. 46-48 (manche Prämissen sind aufgrund der Erkenntnisse Hoffmanns zu hinterfragen); Hoffmann 1997a, S. 310 f. 367 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 83. Vgl. dazu Masser / Siller 1987, S. 69 f. und den Textabdruck ebd., S. 306-329. 368 Vgl. Hoffmann 1997a, S. 311. Den Anfangsteil bildet eine sonst nicht belegte getreue Übersetzung des Nikodemusevangeliums , die Zuordnung zur E-Fassung beruht auf Übereinstimmungen im Descensus -Teil. 369 Dass sie direkt auf die Vorwürfe ,der Juden‘ antworten, dürfte als eine Anlehnung an Diu urstende (vv. 288-298; vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 279) anzusehen sein, die Redeinhalte sind aber in der Prosafassung E anders verteilt. 370 ob aber si sich neigen / und al der werlt erzeigen / wer dirre guot man sî (vv. 295-297). 371 Die Formulierung weist außerdem auf den Dialog zwischen Jesus und Pilatus über die Wahrheit voraus, der ebenfalls in die Prosafassung E aufgenommen ist (S. 259, Z. 278-282). 348 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen verschiebt sich der Fokus zunächst auf den Gegensatz Wahrheit / Lüge: Pilatus verkündet als eine Alternative, wenn sich die Fahnen bei jüdischen Trägern nicht verneigten, wisse man, dass die heidnischen Träger gelogen hätten (Z. 190-192). Umgekehrt aber will er das eventuelle erneute Verneigen der Fahnen nicht als ein Zeichen dafür gewertet wissen, dass sie die Wahrheit gesagt hätten, sondern nach den Worten des Pilatus müsse man dann das vo r warheit sprechen, das es ein groß zeichen ist (Z. 193 f.), d. h., es geht darum, den Wundercharakter zu beweisen. Die Wahrheitsbegriffe werden also nicht klar voneinander geschieden. Dass Beweistechniken explizit angesprochen werden, ist in der Prosafassung E nicht auf die Fahnenwunder-Szene beschränkt. Bei dem Zeugnis der zwölf Juden dazu, dass Joseph und Maria rechtmäßig verheiratet gewesen seien (S. 256-258, Z. 218-252), ist die Anzahl der Zeugen ausschlaggebend. Nachdem die zwölf sich bereits darauf berufen haben, dass menig hundert Menschen die Heirat gesehen hätten (Z. 219 f.), 372 präzisieren sie auf die Frage des Pilatus, ob das wahr sei (Z. 221 f.), dass mehrere Augenzeugen noch lebten. Pilatus resümiert daraufhin: ‘so ist es war, syd ir zwo ͤ lff gezuge sint […] ’ (Z. 223 f.). Das entscheidende Moment ist hier offenbar die Augenzeugenschaft der zwölf, nicht so etwas wie ein Zwölfereid, denn beschworen werden sie erst im weiteren Handlungsverlauf, bevor sie eine Aussage zu den Wundertaten Jesu, also seiner Messianität, machen (S. 258, Z. 255). 373 Für die Bezeugung der Rechtmäßigkeit der Ehe von Josef und Maria genügt aber ihre Aussage auf der Basis von Augenzeugenschaft als Beweismittel. Auf die Forderung des Pilatus ‘ […] Nu bewisent mich der warheit, wie die gemachelschaft geschach.’ (Z. 224 f.) berichtet einer der zwölf vom Rutenwunder (Z. 226-241), wobei er wiederum hervorhebt, dass ‚Frauen und Männer‘ gesehen hätten, wie eine weiße Taube in den Tempel geflogen sei, und dass die Eheschließung offenlichen vollzogen worden sei. 374 Auf dieser Grundlage zieht Pilatus gegenüber ,den Juden‘ das Fazit, dass deren Beschuldigung, Jesus sei nicht ehrenhaft geboren, keine wahre Grundlage habe ( ‘So hant ir Jn vnwar an geseit.’ , Z. 242). 375 Zwar versuchen ,die Juden‘ die Glaubwürdigkeit der zwölf durch den Proselytenvorwurf zu erschüttern (Z. 242-250), 376 jedoch genügt die bloße Ankündigung der zwölf, ihre jüdische Herkunft beweren 377 zu wollen, um ,die Juden‘ zum Schweigen zu bringen (Z. 250-252). Für Pilatus, der auch nach der beschworenen Aussage der zwölf über Jesu Wirken ihnen Glauben schenkt (S. 258, Z. 266 f.) und sich gegenüber den Führern ,der Juden‘ zur 372 Vgl. dagegen die weniger präzise Angabe in Diu urstende , v. 468: und daz vil manic ouge sach. Zu den Bezügen zu Diu urstende in dieser Szene vgl. Hoffmann 2000, S. 279-281. 373 Das im Nikodemusevangelium (cap. II 5) präsente Problem, dass ,die Juden‘ nicht schwören dürfen, ist in der Prosafassung - vielleicht vor dem Hintergrund der Praxis der Judeneide - getilgt: Pilatus beschwört sie by der judescheit (S. 258, Z. 255). 374 Quelle dafür ist das Kindheitsevangelium des Pseudo-Matthäus (vgl. Hoffmann 1997a, S. 310). Der Einschub des Rutenwunders mag auch durch ein Interesse am legendarischen Stoff motiviert sein, aber in der Erzählung ist er als Beweismittel funktionalisiert. 375 Bereits zu Beginn des Prozesses, als es darum geht, ob die von Jesus vollbrachten Wunder auf göttliche oder teuflische Kräfte hindeuten, sind Pilatus ähnliche Worte in den Mund gelegt ( ‘ir hant ein velsche sache fur mich gebracht, die Jr selb erdacht hant.’ , S. 254, Z. 148), ohne dass ein entsprechendes Schlussverfahren vorausgeht. Offenbar sollte vor allem das Fehlverhalten ,der Juden‘ deutlich benannt werden. 376 In E wird die Qualität ihrer Abkunft in Zweifel gezogen, es geht nicht (wie in Diu urstende , vv. 702-713) um ihren rechtlichen Status. 377 Vgl. insbes. die im FWB (s. v. 1 beweren ) angegebenen Bedeutungen, u. a. (unter 1.) ,etw. (mit Gründen, mit Überlieferungszeugnissen, mit dem Augenschein) beweisen, als wahr nachweisen, erweisen‘. 6.4 Die Prosafassung E des Nikodemusevangeliums 349 Widerlegung von deren Vorwürfen nochmals auf die Aussage der zwölf beruft, 378 hängt die Glaubwürdigkeit der zwölf offenbar an ihrer Ehrenhaftigkeit, der Übereinstimmung ihrer Aussagen und der Öffentlichkeit ( das hant zwo ͤ lff erber man mit gemeinem mund widersprochen vnd hant das offenlich geseit, das er nicht anders habe getan wann das er siech lute gesunt machte , S. 260, Z. 297-299). 379 Die Kriterien für eine wahrheitsgemäße Aussage unterscheiden sich nicht grundlegend von denen in Diu urstende , jedoch haben sich die Gewichte leicht von der Person des Zeugen zu dem, was er sagt, verschoben. Außerdem wird deutlicher als in Diu urstende vor Augen geführt, vor welchen Aufgaben der Richter bei der Wahrheitsfindung steht, denn sowohl die Unterstützer Jesu 380 als auch die Ankläger 381 nehmen für sich Aufrichtigkeit (ebenfalls mit warheit bezeichnet) in Anspruch, und Pilatus ist auch mit falschen Zeugen konfrontiert, die sich auf Jesu Wort über die Zerstörung und den Wiederaufbau des Tempels beziehen (S. 259, Z. 285-288). 382 Die Reaktion des Pilatus darauf wird nur kurz dahingehend zusammengefasst, dass ihm deren Aussage unzuverlässig vorkomme; 383 dann folgen die Unschuldsverkündung des Pilatus und der Blutruf ,der Juden‘ nach Mt 27,24f. 384 Der Zusammenhang dieser grundsätzlichen Versicherung des Pilatus mit dem Auftritt der falschen Zeugen ist nicht ganz einsichtig, jedoch kann man vermuten, dass betont werden soll, dass Pilatus sie nicht anerkennt, ohne dass das jedoch als Gerichtsszene ausgestaltet wäre, zumal vorher gesagt war, dass Pilatus v o r das Richthus gegangen war, wo nach den Vorstellungen des Textes ‚alle Juden‘ versammelt sind (Z. 283). Die Reaktion darauf, dass Nikodemus, der als Zeuge für Jesus offenlich auftritt und auch auf seine früheren öffentlichen Bemühungen verweist (S. 261 f., Z. 337-350), den Drohungen ,der Juden‘ ausgesetzt ist (Z. 351-357), erfolgt jedoch gerichtsspezifisch, indem Pilatus verkündet, vor Gericht solle niemand dem anderen drohen (Z. 357 f.). Diese Ermahnung korrespondiert mit der ausführlicheren Scheltrede des Pilatus in Diu urstende (vv. 494-519, bes. v. 499). Wird dort sinngemäß zum Ausdruck gebracht, dass man Nikodemus in Frieden lassen solle, wenn er belegen könne, die Wahrheit gesagt zu haben (vv. 501-505), beschließt Pilatus seinen Tadel in der Prosafassung E mit den Worten ‘ […] Man wirt noch hutte die warheit wol ho ͤ rende.’ (Z. 358). Die Aussage, die auch im Nikodemusevangelium (cap. V 2) nicht vorgeprägt ist, erinnert an eine vorherige Äußerung Jesu, die in dieser Form ebenfalls 378 Das ist eine Zutat gegenüber dem Nikodemusevangelium (cap. IV 2). 379 Dass der Erzähler Pilatus sich auf eine Aussage der zwölf Männer berufen lässt, die sie in der nicht-öffentlichen Unterredung mit ihm getätigt haben (S. 258, Z. 260-262), macht umso deutlicher, dass es auf den Kriterienkatalog an sich ankommt. 380 Vgl. die Aussage der zwölf in der Unterredung mit Pilatus ‘wir nement das vff vnser warheit, das er nie gelerte enheine velsche lere vnd das siny wort vnd s i ny werch go ͤ tlich sint […] ’ (S. 258, Z. 258 f.). Im Kontext des vorher geleisteten Eides kann warheit hier auch im Sinne von ,gegebenes Wort‘ (vgl. L exer , s. v.) zu verstehen sein. 381 ‘ […] Da von wellen wir, das du in heisest crutzigon als man tu ͦ t schacher vnd mo ͤ rder. das beduncket vns alle vf vnser warheit gu ͦ t.’ (S. 260, Z. 315-317). 382 Sie treten hier ein zweites Mal auf, nachdem von ihnen schon im Rahmen der Szene im Haus des Annas die Rede war (S. 252 f., Z. 91-119). Bei der Schilderung der Befragung Jesu im Haus des Hohepriesters sind Elemente aus Mt 26,57-68, Mc 14,53-65 und Io 18,19-24 kombiniert; der Zug, dass die Falschaussagen unzuverlässig sind, weil sie nicht übereinstimmten (Mc 14,56; 59), ist aber nicht aufgenommen worden. 383 Do dunckte Pylatum vnendelich, das die valschen gezugen haten geseit […] (S. 259, Z. 288 f.). Masser / Siller (1987) haben wunderlich für vnendelich konjiziert. unendelich ist aber in der an dieser Stelle passenden Bedeutung von ,unzuverlässig‘ belegt (vgl. BMZ, L exer , s. v.). 384 Beides wird bei der Schilderung des Prozessendes (S. 264, Z. 421-423) noch einmal wiederholt. 350 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen keine Parallele im Nikodemusevangelium (cap. II 2) hat. Jesus antwortet auf die Frage des Pilatus, warum er sich nicht gegen die Anklagen ‚der Juden‘ zur Wehr setzt: ‘heten sy nicht gewalt ze redenne, so wer ir rede nicht also vil . sy werdent wol sechend die warheit, ob sy vbel ald gu ͦ t hie redent.’ (S. 256, Z. 210-212). Bei den Worten Jesu geht es eindeutig um eine heilsgeschichtliche Wahrheit, die Worte des Pilatus rufen vom Duktus her ( noch hutte ) auch eine solche Wahrheit auf (die in der Rede des Nikodemus zur Messianität Christi [Z. 337-350] präsent ist), sie sind aber eingebunden in eine Serie von Zeugenaussagen vor Gericht. 385 Wie bereits bei der Fahnenwunder-Szene scheinen die Wahrheitsbegriffe ineinander überzugehen. Diese Tendenz lässt sich noch deutlicher am Höllenfahrtsteil der Prosafassung E beobachten. Dort ist die Einführung der Simeonsöhne eng an die Darstellung in Diu urstende angelehnt: 386 Von ihnen kann nach den Worten Josephs die warheit darüber erfahren werden, wer sie zum Leben erweckt hat (S. 278, Z. 753-757, vgl. Diu urstende , vv. 1531-1544); d. h., sie sind im Besitz der Wahrheit über die Messianität Jesu. Die Rede des Nikodemus (S. 279 f., Z. 781-795), in der er die Simeonsöhne beschwört, weist ebenfalls viele Entsprechungen zu Diu urstende (vv. 1606-1667) auf, wobei das Wort warheit in der Prosafassung E eine noch größere Prominenz hat. 387 Die Aussage der beiden Brüder wird in der Prosafassung durch deren Worte als Beweis qualifiziert (S. 280, Z. 803-806). 388 Wie in Diu urstende (vv. 2126-2148) wird bei der Schilderung der Reaktion der Oberen der Juden betont, dass diese darauf aus sind, die warheit zu verschweigen (S. 304 f., Z. 1238-1246). Ihre Intention wird aber von Nikodemus und Joseph durchkreuzt, da sie die Schriftstücke der Simeonsöhne als Zeugnis bewahren (S. 305, Z. 1247-1249). Nikodemus wird so zum Übermittler der heilsgeschichtlichen Wahrheit und zum Garanten des Wahrheitsanspruchs des Textes. Das wird zwar an dieser Stelle nicht explizit gesagt, aber die Identität der handelnden Figur Nikodemus mit dem Verfasser des Evangeliums war eingangs (S. 249, Z. 1-19) und anlässlich seines Auftritts im Rahmen des Prozesses (S. 261, Z. 337 f.) bewusst gemacht worden. Am Schluss des Textes steht jedoch - wie im Nikodemusevangelium (cap. XXVII 5) vorgeprägt - seine Funktion als Übermittler der Geschehnisse an Pilatus im Vordergrund: Joseph und er lassen Pilatus die Schriftstücke sehen und informieren ihn darüber, was passiert ist (S. 305, Z. 1249 f.). Während es nach dem Nikodemusevangelium ein eigener Bericht ist, den Pilatus daraufhin verfasst und im Prätorium aufbewahrt, lässt er in der Prosafassung E den Bericht der Simeonsöhne abschreiben und im Richthus aufbewahren (S. 305, Z. 1250 f.). Auch Pilatus scheint so zum Übermittler heilsgeschichtlicher Wahrheit zu werden, doch wird sein Handeln - anders als im Nikodemusevangelium - gerichtspraktisch motiviert: das alle die Richter, die nach Jm kemmen, das die die rechten warheit wistind vnd den Juden nicht gelo ͧ ben wellent (Z. 1251-1253). Die schriftliche Dokumentation der heilsgeschichtlichen Wahrheit 385 Die Aussagen der Geheilten beginnen in Z. 359 (S. 262). 386 Vgl. dazu Hoffmann 2000, S. 273-277. 387 Dieser Effekt ist sowohl durch Wortersetzung (mit leichten semantischen Verschiebungen) zustande gekommen ( gewizzen , v. 1666, vs. warheit , Z. 794) als auch durch eine größere Explizitheit in der Prosafassung ( ‘ […] / dâ sul wir uns lâzen an’ , v. 1667, vs. ‘ […], das wellen wir fur ein warheit han vnd wellent das gelo ͧ ben.’ , S. 280, Z. 794 f.). 388 An der entsprechenden Stelle in Diu urstende ist von wârheit die Rede (v. 1678), aber nicht von einem Beweis (vgl. einen Parallelabdruck der Stellen bei Hoffmann 2000, S. 276). Nach der Prosafassung E werden die Simeonsöhne vom Erzengel Michael auch aufgefordert, dass sie sich ansehen ließen: ‘ […] ze Einem geweren vrkunde der vrstende […] ’ (S. 303, Z. 1230). 6.4 Die Prosafassung E des Nikodemusevangeliums 351 soll also dazu dienen, den Richtern dabei zu helfen, Wahrheit und Lüge zu unterscheiden, wobei insinuiert wird, dass es ein überzeitliches Charakteristikum ,der Juden‘ sei, dass sie nicht die Wahrheit sagten. 389 Wenn es sich bei dem im Richthaus aufbewahrten Schriftstück auch nicht um ein Prozessprotokoll oder eine Urteilsniederschrift handelt, so deutet die selbstverständliche Annahme, dass sich spätere Richter an Dokumenten im Richthaus orientieren werden, doch auf entsprechende zeitgenössische Praktiken hin. 390 In der diffusen Engführung verschiedener Wahrheitsbegriffe kreist die Prosafassung E zwar um einen ähnlichen Problemkomplex wie Diu urstende , nämlich wie heilsgeschichtliche Wahrheit mit juristischen Methoden zu sichern ist, kehrt aber am Schluss das Verhältnis um, indem Heilsgeschichte als Orientierungspunkt für richterliches Handeln dienen soll. Indem Pilatus eine solche Motivation bei der Überlieferung des Berichts der Simeonsöhne unterstellt wird, gewinnt er am Ende des Textes als Richter noch eine positive Dimension. Bereits vorher war seine richterliche Kompetenz gegenüber dem Nikodemusevangelium stärker positiv konturiert worden, vor allem durch die aus Diu urstende übernommene Grundsatzerklärung zum Verhalten vor Gericht und das Zurückweisen der falschen Zeugen. Zwar gibt Pilatus schließlich ein Urteil aus ( Do gab er vrteile , S. 265, Z. 431), aber diese Urteilsverkündung ist in eine Passage integriert (Z. 424-443), die im Wesentlichen nach Io 19,1-16 gestaltet ist und mit der Ecce homo -Szene (hier nach der Urteilsverkündung! ) einen weiteren Versuch des Pilatus enthält, Jesus freizulassen. Außerdem wird mehrfach die Motivation für den Handlungsumschwung des Pilatus benannt: seine Furcht vor dem Kaiser, die durch die Drohungen ,der Juden‘ geschürt wird (Z. 426-431; 441-443; auch schon S. 263, Z. 392-395). Gegenüber Diu urstende ist ein verstärktes Interesse an Beweistechnik festzustellen, während die Glaubwürdigkeit von Personen nur insoweit thematisiert wird, als es durch das Nikodemusevangelium vorgegeben ist. Die offenkundige Auseinandersetzung mit Fragen der Wahrheitsermittlung hat nicht zu einer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung geführt. Vielmehr wurden autoritative Texte kompiliert - durchaus mit eigener Schwerpunktsetzung, wie das positive Pilatusbild zeigt. Dass bei der Kompilation auch auf die Versdichtung *E oder gar Diu urstende selbst zugegriffen wurde, ist ein Indiz dafür, dass diese Texte als wahrhaftig empfunden wurden. 389 Dafür war möglicherweise der Vorlagentext ausschlaggebend. In Diu urstende schließt jedenfalls eine allgemeine Judenverfluchung das Werk ab (S. 305, vv. 2149-2162). 390 Vgl. z. B. Erler (1990) zur Funktion des Rathauses als „Ort der Rechtspflege“ (Sp. 167) und als Archiv. 352 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben Von den Kerntexten ist in Sankt Stephans Leben Hawichs des Kellners 391 ausschließlich Diu urstende rezipiert worden. Elemente daraus sind dort in einen neuen Erzählzusammenhang integriert: Dem Tod des Heiligen und der Translation seiner Gebeine, 392 für die jeweils eine Erzähltradition existierte, wurden Ereignisse aus seinem Leben vorgeschaltet, indem er als Figur in die Ereignisse nach dem Tod Jesu integriert ist, wie sie in Diu urstende und der Pilatus-Veronika-Legende erzählt werden. Dass Diu urstende als Quellentext benutzt wurde, ist seit der Arbeit von Emil Baumgarten (1925) bekannt 393 und wurde zuletzt von Werner J. Hoffmann (2000) im Einzelnen nachgewiesen, der Korrelationen zwischen Vers- und Motivübernahmen aufzeigte. 394 Zu eventuellen inhaltlichen Umdeutungen gibt es aber bisher kaum Untersuchungen. Zwar machte Andreas Scheidgen (2002) darauf aufmerksam, dass die Rolle des Pilatus „dezidiert in Umkehr der biblisch-apokryphen Passionsüberlieferung gestaltet“ worden sei, 395 er setzte jedoch als Vergleichsfolie das lateinische Nikodemusevangelium an, nicht Diu urstende im Besonderen. Wie gezeigt werden soll, ist Diu urstende nicht nur als Vers- und Motivreservoir genutzt worden, sondern es erfolgte auch eine Auseinandersetzung mit den im Prätext vermittelten Rechtsideen. In Sankt Stephans Leben erscheinen die Übernahmen aus Diu urstende in einem 391 Vgl. dazu grundlegend Geith 1981; Hoffmann 1997a, S. 320 f.; 2000, S. 292-302; Scheidgen 2002, S. 197-2000 (jeweils mit weiterer Literatur). Das Werk ist 1930 von McClean ediert worden. 392 Trotz der liturgischen Bedeutung der Inventio wird die Auffindung der Gebeine nicht thematisiert. Im Gegensatz zur Legendentradition gerät das Grab des Stephanus gar nicht erst in Vergessenheit. Vielmehr wird in direktem Anschluss an die Schilderung der Bestattung (vv. 2796-2858) von Wundern am Grab erzählt (ab v. 2859). 393 Vgl. Baumgarten 1925, S. 30-37; zustimmend Rosenfeld 1935, Sp. 459; von Kraus 1939, S. 254. Schröder (1931, S. 66, Anm. 1) hatte die Ergebnisse Baumgartens jedoch angezweifelt. 394 Vgl. Hoffmann (2000, S. 293-301), der sogar die These verficht, dass Hawich bis v. 1272 ausschließlich Diu urstende als Quelle benutzt habe. Auf motivischer und konzeptioneller Ebene zeigt Sankt Stephans Leben auch Parallelen zum Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler (s. u. S. 362, Anm. 447; S. 365, Anm. 462), ohne dass sich allerdings eine direkte Abhängigkeit nachweisen ließe. Zu den Quellen für das Gesamtwerk vgl. Hoffmann ebd., S. 301 f. Für den Translatio-Teil haben sich lateinische Parallelen ausmachen lassen (vgl. dazu Baumgarten 1925, S. 20-30; Geith 2000, Sp. 562): BHL 7858 ( Translatio Constantinopolim ) und BHL 7878 ( Translatio Romam ). Dabei muss es sich aber nicht um direkte Quellen handeln. Wegen des eigenständigen Zugriffs Hawichs des Kellners ist nicht zu sichern, in welcher Form die Inhalte der Cura Sanitatis Tiberii rezipiert wurden. Für die Disputation des Stephanus mit weisen Meistern und für die Wunder an seinem Grab ließen sich bisher keine möglichen Quellen identifizieren; hier könnten Motive aus anderen Legenden übertragen worden sein (so Hoffmann ebd., S. 302). Dafür, dass Kaiphas und Pilatus, so wie in Sankt Stephans Leben , als aktive Amtsträger zur Zeit des Martyriums des Stephanus konzipiert sind, gibt es eine Parallele in der sogenannten Vita fabulosa (BHL 7849; vgl. zu diesem Text Mikosch 2010, S. 103-107). Die Vita fabulosa wurde aber anscheinend im deutschen Raum nicht rezipiert (vgl. Hoffmann ebd., S. 301 f., Anm. 47). Eine entsprechende Situierung im politischen Kontext kann jedoch unabhängig davon auf der Grundlage der Angaben in der Apostelgeschichte hergestellt worden sein, wo das Martyrium des Stephanus in die Zeit der ersten Ausbreitung des Christentums eingeordnet ist (Act 6,1). In der Legenda aurea (die als Quelle allerdings ausscheidet; vgl. dazu Baumgarten ebd., S. 20 f.) ist der Zeitraum konkretisiert, wenn gesagt wird, dass das Martyrium des Stephanus im Monat nach der Himmelfahrt Christi erfolgt sei (cap. 8,53 [Häuptli 2014, Bd. 1, S. 214, Z. 17 f.] = M., 8,82). Solche Zeitrechnungen könnten es umso plausibler gemacht haben, sich Kaiphas und Pilatus zur Zeit des Stephanus ,noch‘ im Amt vorzustellen. Eine Verbindung der Pilatus-Veronika-Legende mit der Stephanus-Legende könnte auch durch Predigten angeregt worden sein (vgl. Hoffmann ebd., S. 302, Anm. 48). 395 Scheidgen 2002, S. 198. 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 353 neuen Netz von Bezügen, denn der Text lässt ein ausgeprägtes Interesse an einem rechtlich geordneten Gemeinwesen erkennen. Am konkreten Überlieferungskontext des Textes wird außerdem exemplarisch erkennbar, dass diese Bezüge über den Text selbst hinausreichen. 6.5.1 Zur Textgrundlage Sankt Stephans Leben ist unikal in einer wohl im Wiener Umkreis geschriebenen Handschrift (Berlin, SBPK , Mgf 1278) überliefert, in die der Text vermutlich zu Beginn des 15. Jahrhunderts eingetragen wurde. 396 Den Richtlinien der ,Deutschen Texte des Mittelalters‘ gemäß lieferte Reginald J. McClean 1930 einen relativ handschriftengetreuen Abdruck des Textes 397 und wurde dafür sogleich heftig kritisiert. 398 Im Gefolge der New Philology steht man heute den Editionsprinzipien McCleans positiver gegenüber, der Text selbst bietet aber, da manche Stellen verderbt sind, erhebliche Probleme, die eine handschriftennahe Edition besonders sichtbar werden lässt. 399 Die ,Sinnentstellungen‘ sind wohl nicht nur auf die ,Gedankenlosigkeit‘ des Schreibers zurückzuführen, 400 sondern auch darauf, dass er ältere oder gewähltere Wörter nicht (mehr) verstand. 401 Auf einen zeitlichen Abstand der Abschrift zur Entstehungszeit des Textes deutet auch der Befund hin, dass die Vierhebigkeit der Verse an vielen Stellen nicht bewahrt ist. Dass das auf eine spätere Bearbeitung zurückgeht, lässt sich relativ sicher belegen, weil mehrfach im Text ganze Versgruppen wiederholt sind, wobei ,Entstellungen‘ in Rhythmus und Reim jeweils nur an einer der Stellen vorhanden sind. 402 Die rekonstruierbare Reimtechnik spricht für eine Entstehung des Werks im 14. Jahrhundert. 403 Anhand der Person des Verfassers, dessen Name wohl ,Haug (Hugo) der Kellner‘ gelautet hat, 404 haben sich bisher keine weiteren Datierungskriterien gewinnen lassen. 405 396 Zur Handschrift s. u. Kap. 6.5.4. Zur Schreibsprache vgl. Nemes 2005, S. 139 f. 397 Vgl. dazu McClean 1930, S. VI-X. Die Interpunktion geht auf den Herausgeber zurück. 398 Vgl. Schröder 1931, S. 62 f.; Rosenfeld 1935, Sp. 458 f. 399 Vgl. dazu McClean (1930, S. VI), der darauf bereits mit Anmerkungen reagierte. 400 Vgl. McClean 1930, S. VI. 401 Vgl. von Kraus 1939, S. 254. 402 Vgl. dazu Schröder 1931, S. 62 f.; Rosenfeld 1935, Sp. 458 f.; von Kraus 1939, S. 254. Sie nehmen an, dass der Schreiber von Mgf 1278 für die ,Fehler‘ verantwortlich ist, was aber wiederum gegen eine gedankenlose Abschrift spräche. Die einzelnen Bearbeitungsstufen werden sich kaum mehr klären lassen. 403 Rosenfeld (1935, Sp. 459) meinte den Entstehungszeitraum aufgrund der „Reimtechnik“ und der „stilistischen Haltung“ sogar auf das vierte Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts eingrenzen zu können. Darauf beruht die Datierung des Textes „etwa gegen Mitte des 14. Jh.s“ im Verfasserlexikon (Geith 1981, Sp. 561). Tatsächlich machen stilistische Anleihen bei der höfischen Literatur, insbesondere bei Hartmanns Gregorius (vgl. dazu Schröder 1931, S. 66; Rosenfeld ebd., Sp. 459 f.; Hoffmann 2000, S. 292), ebenso wie der zu erschließende Bau der ursprünglichen Verse eine allzu späte Entstehung unwahrscheinlich. Eine genaue Eingrenzung des Entstehungszeitraums aufgrund stilistischer Kriterien scheint meines Erachtens jedoch nicht möglich. 404 Vgl. Schröder 1931, S. 65. Der Handschriftentext liest Havich der Kölner (v. 5226). 405 Nach den - womöglich stilisierten - Angaben im Werk selbst (vv. 10-14; 5224-5239) stammte Hawich aus Passau (vv. 12; 5227) und war ein ar̈ mer dienstman (v. 10) des Stiftes St. Stephan ebendort. Seine Vorfahren seien seit dessen Gründung dort Eigenleute gewesen, nachdem sie vorher dem reich (v. 5236, sc. dem Kaiser) unterstanden hätten. Vgl. dazu Schröder (1931, S. 65 f.), der eine rechtshistorische Aufarbeitung der beschriebenen Abhängigkeitsverhältnisse anmahnt. Nach Schröder (ebd., S. 64 f.) ist auszuschließen, dass mit der Chelnër ( auch hais ich der Chelnër, v. 11) der Stiftskellner gemeint ist, da dieses Amt immer von einem Chorherren versehen worden sei; vielmehr sei die Schreibung als ,Kölner‘ zu lesen. 354 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Für den Umgang mit einem älteren Werk im 15. Jahrhundert ist der Handschriftentext ein aufschlussreiches Zeugnis. Bei der Interpretation steht man jedoch vor dem Dilemma, dass der Handschriftentext des 15. Jahrhunderts an einigen Stellen keinen Sinn ergibt, dass sich aber der ursprüngliche Text des 14. Jahrhunderts nicht sicher rekonstruieren lässt. 406 Um Spekulationen zu vermeiden, ist im Folgenden der Text des 15. Jahrhunderts zugrunde gelegt. 407 An verderbten Stellen wurden jedoch neben den Anmerkungen in der Ausgabe (McClean 1930) die Besserungsvorschläge von Schröder (1931), Rosenfeld (1935) und von Kraus (1939) 408 berücksichtigt. 6.5.2 Transformation von Diu urstende in Sankt Stephans Leben Strukturelle Referenzen zu Diu urstende , die auf motivischer Ebene liegen, finden sich in Sankt Stephans Leben vor allem im Anfangsteil, dessen Handlungsschritte als Grundlage für die Argumentation nachgezeichnet seien: 409 Auf einen Prolog (vv. 1-40) folgen ein Überblick über die Wunder, die nach Jesu Tod geschehen seien, und die Einführung des Stephanus (vv. 41-148): Er, Schüler (vv. 56-64) und später capellan (vv. 71 f.) des Kaiphas, sei Diakon der alten ee (v. 73) gewesen, habe sich dann aber, weil ihm die Marter Jesu so weh getan habe, den Jüngern angeschlossen und sich taufen lassen. Die eigentliche Handlung setzt mit v. 149 ein: Kaiphas hört, dass Jesus in Galiläa lebend gesehen worden ist, woraufhin ,die Juden‘ einen Boten ausschicken, dem Jesus ( Got , v. 154) eine schriftliche Botschaft mitgibt (vv. 149-224). In dieser Botschaft werden der Auftrag der Simeonsöhne (indirekt in vv. 161-175) und die Erlösung der Altväter erwähnt, vor allem wird die Taufe als Möglichkeit zur Erlösung von der Erbsünde, aber - bei wahrer Reue - auch von der Schuld an Jesu Tod charakterisiert. ,Die Juden‘ in Jerusalem vergewissern sich bei dem Boten, ob Jesus wirklich lebendig sei; Kaiphas verliest den Brief, aber ,die Juden‘ sind uneins darüber, ob Jesus der Messias sei (vv. 225-296). Einig ist man sich nur darin, Nikodemus um Rat zu fragen, der empfiehlt, Joseph [sc. von Arimathia] herbeizuholen, und diese Empfehlung bekräftigt, nachdem er die Botschaft Jesu gelesen hat (vv. 297-372). Joseph empfängt die zu ihm gesandten Boten freundlich und gibt ihnen Auskunft über die Himmelfahrt Jesu. Als die Boten wissen wollen, wie er davon erfahren habe, holt er drei Augenzeugen herbei, die 406 Selbst von Kraus (1939), der durch zahlreiche Besserungen dem Verfasser zu dessen Recht zu verhelfen versucht, gibt zu bedenken, dass die ,Wunden‘ (im überlieferten Text) „oft auf verschiedene Weise behandelt und geheilt werden können“ (ebd., S. 255). 407 Zitiergrundlage ist die Ausgabe McCleans (1930); in Zweifelsfällen wurde der Ausgabentext mit Scans der Handschrift abgeglichen. Auch McCleans Umsetzung der diakritischen Zeichen wurde übernommen. Schröder (1931, S. 62) hatte die Wiedergabe dieser Zeichen in der Edition bemängelt, da sie manchmal mit der „Lautgebung“ nichts zu tun hätten, aber das müsste von Fall zu Fall entschieden werden. 408 Bei der Wiedergabe von Konjekturen, die von Kraus (1939) vorgenommen hat, wird dessen normalisierte Schreibweise übernommen. 409 Vgl. auch die knappere Inhaltsangabe für diesen Teil bei Hoffmann 2000, S. 293. Zur Gliederung insgesamt vgl. den Überblick bei Hoffmann (ebd., S. 292): „Das Werk behandelt in seinem Anfangsteil die (aus dem E. N. bekannten) Zeugenanhörungen durch den Hohen Rat nach Christi Tod (V. 149-1272), danach die Legende von der Heilung des Kaisers Tiberius durch das Christusbild der Veronika (V. 1273-2268); in beiden Teilen sind längere Abschnitte über das Wirken des Hl. Stephan eingefügt. Es folgen eine Disputation Stephans mit heidnischen Meistern und seine Steinigung durch die Juden (V. 2269-2800), seine Grablegung und die Wunder an seinem Grab (V. 2801-3334). Den Schlußteil bilden ausführliche Berichte von der Translation der Gebeine des Heiligen nach Byzanz (V. 3335-4471) und von dort nach Rom (V. 4472-5223).“ 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 355 die Himmelfahrt bestätigen und außerdem von den Simeonsöhnen, 410 vom ungläubigen Thomas und vom Pfingstwunder berichten. Ihre Aussage wird aufgeschrieben, bevor Joseph (ohne die Augenzeugen) mit den Boten nach Jerusalem reitet (vv. 373-506). Joseph wird in Jerusalem freundlich empfangen und dann im Tempel befragt, wobei die tumben (v. 530) ausgeschlossen werden (vv. 507-646). Kaiphas verliest Joseph die Botschaft Jesu und will von Joseph wissen, ob es sich bei Jesus wirklich um den Messias ( Krist , v. 540) handele und ob er in den Himmel aufgefahren sei (vv. 535-543). 411 Joseph verweist auf die Boten des Kaiphas (vv. 544-547), die berichten, was die drei Augenzeugen gesagt haben (vv. 555-558). Einer der Boten bekräftigt den Wahrheitsgehalt seiner eigenen Aussage durch Berufung auf seine Anwesenheit bei der Aussage der drei, das Vorliegen von deren Aussage in schriftlicher Form und die Nennung der Namen der drei (vv. 559-569). Der durch die Aussage seiner Boten in Bedrängnis geratene Kaiphas und seine ‚Gefährten in der Not‘ ( not gestalle , v. 571) bestehen jedoch darauf, die drei selbst sehen zu wollen, um von ihnen die Wahrheit zu erfahren, und schicken Boten nach ihnen aus (vv. 570-587). Unterdessen wird Joseph zu den Umständen seiner Befreiung befragt und gibt darüber Auskunft (vv. 588-646). An die Befragung Josephs schließt sich die der drei Augenzeugen an (vv. 647-661). 412 Sie leisten jeweils einen Eid, dass sie die Auferstehung Jesu und die auferstandenen Simeonsöhne gesehen hätten, und bieten ,den Juden‘ eine Möglichkeit zur Überprüfung an: Sie sollten nachsehen, ob die beiden Simeonsöhne noch in ihrem Grab seien. Wenn ja, dürften ,die Juden‘ sie wie Jesus Christus kreuzigen (vv. 662-674). 413 Die drei werden unter Bewachung gestellt (vv. 703 f.), während ,die Juden‘ das Grab in Augenschein nehmen (vv. 677-682). 414 Angesichts der Abwesenheit der Leichname behauptet Kaiphas, sie seien gestohlen worden; Nikodemus hält das jedoch für wenig plausibel (wer solle etwas mit den Toten anfangen können? ) und setzt der These des Kaiphas die Interpretation des Geschehens als eines göttlichen Wunders entgegen (vv. 683-698). Auch die drei im Tempel festgehaltenen Augenzeugen versuchen Kaiphas davon zu überzeugen, dass nur Jesus die Simeonsöhne habe auferstehen lassen können (vv. 699-718). 415 Kaiphas will jedoch nur den vertrauenswürdigen Simeonsöhnen selbst glauben und erkennt die Aussage der drei erst als wahr an, nachdem die Simeonsöhne herbeigeholt worden sind (vv. 719-748). Schließlich werden die Simeonsöhne im Tempel befragt (vv. 749-958). Die Szene wird mit dem Auftreten Stephans eingeleitet, das vom Erzähler damit erklärt wird, dass er zum Tempel gekom- 410 Der Bruder des Carinus wird hier (v. 420) Dobetinus genannt, an späterer Stelle jedoch Lewencius (v. 908) bzw. Leoncius (v. 2500). Vgl. dazu und zu anderen Namensvarianten Schröder 1931, S. 63. 411 In seiner Paraphrase der schriftlichen Botschaft Jesu lässt der Erzähler Kaiphas (wie schon den Boten in vv. 254-256) auch vom Konzept der Trinität (vv. 548 f.) sprechen, das in der wörtlichen Wiedergabe der Botschaft in vv. 157-220 keine Erwähnung gefunden hatte. 412 Sie scheint öffentlich stattzufinden; es heißt nämlich, dass die drei am Tempel von allen Juden empfangen werden (vv. 649-652), und es sind wiederum alle Juden (v. 677), die auf die Aussage der drei reagieren. Später wird das Gespräch zwischen Kaiphas und den dreien im Tempel fortgesetzt ( Sy giengen in den tempel wider / […], vv. 699-701), wo die drei festgehalten worden waren (vv. 702-704). 413 Der Erzähler bekräftigt in einem kurzen Kommentar, dass Kaiphas sehr gut wisse, wo die Simeonsöhne begraben seien, denn er habe sie eigenhändig bestattet (vv. 675 f.). 414 Hoffmann (2000, S. 298) versteht v. 680 ( dy stain würffen sy herab ) so, dass ,die Juden‘ Steine in das Grab geworfen hätten. Als Nächstes wird jedoch gesagt, dass man nur die Kleider der Begrabenen darin gefunden und sie selbst nicht gesehen habe (vv. 681-683). Da das Grab also einzusehen ist, erscheint ein Steinwurf-Test überflüssig. Nach vv. 709 und 808 sind die beiden in einem Sarkophag begraben worden, sodass sich v. 680 auf das Entfernen des steinernen Deckels beziehen dürfte. 415 In v. 708 ( ïr habt sy doch funden paid ) ist mit von Kraus (1939, S. 255) eine Negation zu ergänzen. 356 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen men sei, weil er von dem Disput gehört habe. Stephan wird von allen Anwesenden 416 freundlich begrüßt, auch von Kaiphas, der noch nicht weiß, dass sich Stephan hat taufen lassen (vv. 749-764). Als die Simeonsöhne ihr Schweigen nicht brechen, rät Stephan dazu, dass die Unterredung mit den Simeonsöhnen einem Sprecher übertragen werden soll, woraufhin Nikodemus ausgewählt wird (vv. 765-795). Auf die Bitte des Nikodemus hin zu entscheiden, ob die Wahrheit bei denen liege, die sagten, Jesus sei der Messias, oder bei denen, die sagten, er sei es nicht (vv. 796-817; v. 816: wer nu der rechten warhait gicht ), beginnen die beiden zu sprechen, und zwar aus ainem mund (v. 818). 417 In einem Exkurs, in dem der Erzähler noch einmal die Namen sämtlicher Auferstehungszeugen nennt (vv. 904-918), trägt er nach, dass sie ihre Aussage aufgeschrieben hätten ( dy selben wart scraib ïr hant , v. 909); und der weitere Handlungsverlauf setzt voraus, dass die im Tempel Anwesenden den Inhalt ihres Berichts nicht kennen (vv. 910-914; 966-975). In ihrer Aussage (vv. 819-903) bestätigen die Simeonsöhne die göttliche Natur Jesu als eine Person des trinitarischen Gottes. 418 Ihre Befreiung aus der Hölle sei ein Beleg für die Messianität Jesu, und sie seien in seinem Auftrag in den Tempel gekommen, um ,die Juden‘ davon zu überzeugen. 419 Er habe allen vergeben, die schuldig an seinem Tod seien, vorausgesetzt, sie hätten wahre Reue und ließen sich taufen (vv. 858-861). 420 Die Notwendigkeit zur Taufe wird von den Simeonsöhnen in einem ,die Juden‘ direkt ansprechenden predigtartigen Abschnitt weiter expliziert: Am Jüngsten Tag werde der Messias zurückkommen und zu Gericht sitzen, dann sei die ee ,der Juden‘ vernichtet, weil Gott sie verboten habe. ,Die Juden‘ würden dann zu Recht verurteilt und müssten in die Hölle fahren, wenn Gott mit seinen Wundmalen wiederkehre, Gottes Rache könnten sie aber durch die Taufe entkommen und so sein Erbarmen gewinnen (vv. 862-903). Als die Auferstehungszeugen mit Joseph und Nikodemus den Tempel verlassen, will die Menge davor von Nikodemus die ,Wahrheit‘ (v. 927) darüber wissen, was die Simeonsöhne gesagt hätten, wird jedoch von Carinus auf den besonders vertrauenswürdigen Stephan verwiesen, der vom heiligen Geist erfüllt sei (vv. 919-958). Zunächst tritt jedoch Kaiphas vor die Tür des Tempels und verkündigt dem dort versammelten Volk, die Simeonsöhne hätten gesagt, sie sollten ihre alte ee behalten (vv. 959-965; 993-1006); 421 das Volk gibt sich nicht damit zufrieden, sondern will die Wahr- 416 Mit von Kraus (ebd., S. 255) ist v. 761 ( und mit Jhesu erstanden ) zu lesen als Und < die > mit Iesu erstanden ( en ). 417 Die Rede ist überwiegend in Ich-Form gehalten (vgl. z. B. vv. 834; 862; 902), lediglich von der Erlösung von den Höllenstrafen wird kollektivierend erzählt ( un̈ s , v. 836). 418 Zur Trinitätsformel Got, Jhesus und Christ (v. 819) vgl. Rosenfeld 1935, Sp. 460. Die Lehre von der Trinität wird im Text noch mehrfach aufgenommen, wobei das Augenmerk nicht auf den Spezifika der verschiedenen trinitarischen Personen, sondern auf ihrer Identität liegt (vgl. z. B. vv. 548 f.). Dass Jesus mit dem Schöpfergott identisch ist, wird besonders vehement vom Bischof (vv. 4094-4121) in der Missionsszene (vv. 4070-4173) vertreten, in der ein ,alter Heide‘ (v. 4122) den christlichen Gott als Schöpfergott, an den er schon immer geglaubt habe, erkennt (vv. 4126-4133). Implizit wird in der Szene auch deutlich, dass der Schöpfergott mit dem alttestamentarischen Gott ,der Juden‘ identisch ist, denn das Erschaffen von laub und gras (vv. 4119; 4132), mit dem der christliche Gott charakterisiert wird, ist als formelhafte Wendung aus Judeneiden geläufig (vgl. dazu Schmidt-Wiegand 1977, S. 85-88). 419 In v. 865 ( darumb ïr in nit erchennet wol ) hat von Kraus (1939, S. 256) zu Recht Daz ir in erkennet wol konjiziert. 420 Vgl. eine entsprechende Aussage in der vorherigen Botschaft Jesu (vv. 211-220). 421 Das ,Volk‘ besteht also offenbar auch aus Juden. Vgl. dagegen vv. 922 ( dy juden man all dainn lie ); 963; 1032; 1074, in denen die Leute im Tempel jeweils ausdrücklich als ,die Juden‘ bezeichnet werden. Möglicherweise handelt es sich bei der Unterscheidung der zwei Gruppen um eine soziale Differenzierung, wie sie in Diu urstende (vv. 1574-1576) vorgebildet ist, wo die tumben nicht in den Tempel gelassen werden. Dass es sich in Sankt Stephans Leben bei ,den Juden‘ im Tempel um eine Führungsschicht handele, wird allerdings nicht explizit gesagt; eindeutig ist nur, dass sich vor dem Tempel eine 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 357 heit von Stephan wissen (vv. 1007-1010). Eingeschoben ist die Parallelhandlung, dass Kaiphas die schriftliche Botschaft der Simeonsöhne Stephan übergibt (vv. 966-969) in dem Glauben, dass er in seinem Sinne handeln und den Inhalt nicht öffentlich machen werde. 422 Stephan aber verliest die Botschaft allen im Tempel Anwesenden, die sich schließlich auf das klare Votum Stephans hin (vv. 983-987) taufen lassen wollen (vv. 970-992). 423 Davon ahnt Kaiphas nichts, als Stephan vor die Tempeltür gerufen wird und er ihn bittet, zu der Menge zu sprechen; Stephan schickt Kaiphas in den Tempel zurück und schwört einen Eid: ich pericht sy der rechten warhait (vv. 1011-1034, hier v. 1033). Im Text folgt eine Predigt Stephans an das Volk (vv. 1035-1072, mit eingeschobener Reaktion des Volkes, vv. 1059 f.), in der er die über die Simeonsöhne vermittelte Botschaft als Gots gepot (v. 1038) ankündigt, sie verliest und auslegt. Als die Tempeltüren geöffnet werden, gestehen die herauskommenden Juden die warhait ein, 424 aber Kaiphas und seine Anhänger stoßen Todesdrohungen gegen Stephan aus (vv. 1073-1096). Die danach von Stephan durchgeführte Massentaufe, in deren Zusammenhang auch Heilungswunder geschehen (vv. 1097-1205), 425 können sie jedoch nicht verhindern. Daraufhin sucht Kaiphas Pilatus auf, als dieser zu Gericht sitzt, und versucht, Klage gegen Stephan zu erheben (vv. 1206-1255): ‘durch den chaiser la dïr das und von mir gechlaget sein das unser ee und auch dy dein so vasst wïrt geswachet.’ (vv. 1208-1211) Auf Nachfrage des Pilatus (vv. 1212 f.) benennt Kaiphas Stephan als Verantwortlichen und beschuldigt ihn der Zauberei sowie falscher Lehren zur Messianität Jesu, seiner Himmelfahrt und der Trinität (vv. 1214-1221). Pilatus will wissen, wem Stephan damit ein Leid zugefügt habe und ob es Kaiphas nicht genüge, dass er Jesus (auf die Bitte des Kaiphas hin) unschuldig habe hinrichten lassen. Er werde keinen mehr töten, der nicht schuldig sei (vv. 1222-1230). Ein Christ, der dabeisteht und das hört, sagt daraufhin spontan aus, er sei drei Jahre krank gewesen, habe dann von der Predigt Stephans gehört, sich hintragen und, wie viele andere, taufen lassen, woraufhin er gesundet sei (vv. 1231-1246). In Reaktion darauf verkündet Pilatus dezidiert, er werde Stephan nur töten, wenn schaden von ihm ausgehe (vv. 1247 f.). Der Christ bittet Pilatus, den Christen ihre Religion zu gewähren, bei gleichzeitiger Zusicherung, das recht des Kaisers und von Pilatus selbst zu wahren (vv. 1249-1251). Mit dem recht , das ,gegeben‘ werden soll, sind offenbar Zinszahlungen gemeint, wie auch die Reaktion des Pilatus erkennen lässt: ‘ja, wie du wilt, las ich dich leben, sey christen oder haiden; Volksmenge befindet (vv. 960; 994), zu der auch Frauen und Kinder der im Tempel befindlichen , Juden‘ gehören (vv. 1064-1068). 422 Vgl. auch die Kommentare des Erzählers, dass Kaiphas nur denjenigen, die mit ihm übereingestimmt hätten, den schriftlichen Bericht gezeigt habe (vv. 909-914) und dass er ihn Stephan nicht gegeben hätte, wenn er von dessen Taufe gewusst hätte (vv. 1025-1030). 423 Der Erzählerkommentar, dass Kaiphas darüber sehr traurig gewesen sei, dass Stephan den Inhalt der Schreiben der Simeonsöhne verkündet habe (vv. 991 f.), antizipiert die Reaktion des Kaiphas. 424 Stephan hatte ihnen zuvor Zeugenstatus zuerkannt (vv. 1064 f.). 425 Eingeleitet wird die Serie der Taufen mit Heilungswundern von der Taufe des reuevollen Täuflings Longinus (vv. 1097-1152). Der Taufentschluss des Volkes wird zusätzlich dadurch befördert, dass Nikodemus sich öffentlich zu seiner bereits vor Jesu Tod vollzogenen Taufe bekennt und den Wahrheitsgehalt des von Stephan Gesagten bekräftigt (vv. 1133-1149). 358 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen den zins nym ich von paiden. was verleusst der chaiser daran? ’ (vv. 1252-1255) Nachdem sein Vorstoß bei Pilatus erfolglos geblieben ist, verlässt Kaiphas zornig den Ort der Gerichtsverhandlung. Er lässt sich von ‚den Juden‘ versprechen, dass sie Stephan umbringen werden, und verspricht demjenigen, der die Tat vollbringt, große Reichtümer, was eine intensive Planung ‚der Juden‘ auslöst (vv. 1256-1272). Wie allein die Länge der Inhaltsangabe erkennen lässt, ist die Handlung sehr verschachtelt angelegt. Vorbild für die Verkettung von Zeugenaussagen war sicherlich Diu urstende (ab v. 1225). 426 Die Abläufe sind aber in Sankt Stephans Leben noch komplizierter, und das nicht nur, weil Stephan als Figur eingebaut ist und so zum Beispiel der Befragung der Simeonsöhne durch Nikodemus noch ein Handlungselement vorausgeschickt ist. Hinzu kommt, dass die drei Zeugen für die Himmelfahrt zweimal befragt werden, zunächst von Joseph im Beisein der Boten des Kaiphas (vv. 397-506) 427 und noch einmal von Kaiphas (vv. 647-748), da er der Aussage seiner Boten und der schriftlichen Aufzeichnung der Aussage der drei nicht vertraut (vv. 555-586). Vor allem aber wird mit der vorgeschalteten Botschaft von Jesus selbst (vv. 154-224) eine zusätzliche ,Zeugenaussage‘ eingeführt, die als schriftliches Dokument ( brief , v. 222) im weiteren Handlungsverlauf präsent gehalten wird (z. B. in vv. 323-328). Dadurch sind gegenüber Diu urstende erhebliche inhaltliche und mediale Verschiebungen entstanden, die noch genauer beleuchtet werden sollen: Weder stellt sich angesichts der direkten Äußerung Jesu das für Diu urstende zentrale Problem, wie eine Offenbarungswahrheit überhaupt bezeugt werden kann, noch erscheint Schriftlichkeit hier auratisiert wie beim Zeugnis der Simeonsöhne in Diu urstende . Gleich geblieben ist der hohe Stellenwert der Wahrheit, die in Sankt Stephans Leben vor allem den Charakter der Heilswahrheit hat. 428 Dass Stephan sich nicht davon abbringen lässt, die Wahrheit zu verkünden, und dafür mit dem Tod bedroht wird, ist - abgesehen von den bereits in der Apostelgeschichte vorhandenen Parallelen zwischen Jesus und Stephan 429 - als Referenz auf den Auftritt des Nikodemus im Prozess gegen Jesus in Diu urstende (vv. 425-492) zu verstehen. Die in Diu urstende darauf folgenden Ausführungen des Pilatus zum gerechten Richten (vv. 493-528) sind in Sankt Stephans Leben gespiegelt in der Szene, in der Pilatus sich weigert, Stephan 426 Vgl. Hoffmann 2000, S. 293 f. 427 Nach Hoffmann (2000, S. 300) ist „Hawichs Darstellung […] nichts weiter als eine erzählerische Ausgestaltung dieser in der Urst. [v. 1484] nur angedeuteten Begegnung.“ Das stimmt so nicht, denn bei der ersten Befragung der drei in Sankt Stephans Leben verweist Joseph wiederum auf eine frühere Begegnung (vv. 392-394). 428 Vgl. auch die Szenen zu Stephans Predigttätigkeit und zur Disputation (vv. 2299-2682), in denen er die Heilswahrheit verkündet bzw. auf Prophezeiungen dieser Wahrheit verweist (z. B. vv. 2473-2477). Wenn die weisen ‚Meister‘ (vv. 2385-2399) Kaiphas mit der warhait konfrontieren, dass er von Gott verflucht sei (vv. 2755-2778), scheint warhait zwar eher den Charakter einer Tatsache zu haben, aber die ‚Meister‘ können sie nur erkennen, weil sie einen Zugang zur Heilswahrheit gefunden haben (vv. 2745-2754; vgl. auch vv. 2838-2858). 429 Vgl. dazu Hötzinger 2011. Die Parallelen sind in Sankt Stephans Leben noch verstärkt, indem Kaiphas für Stephan alternativ zur Steinigung die Kreuzigung in Betracht zieht (vv. 2683-2687) und die letzten Worte Stephans (vv. 2715-2717) noch deutlicher als in Act 7,59 f. an die Kreuzesworte Jesu (Lc 23,34; 46) angelehnt sind. Auch die Gerichtsszene vor Pilatus (vv. 1206-1255) trägt zu einer Parallelisierung der Figuren bei, zumal Pilatus rückblickend von einer Kreuzigungsforderung ,der Juden‘ spricht (vv. 1374-1376). 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 359 zu verurteilen, wenn diesem nicht eine Schuld (v. 1230) oder ein schädliches Verhalten (vv. 1247 f.) nachgewiesen werden könne (vv. 1206-1255). Da Pilatus dann seinen Worten entsprechend handelt und die Klage des Kaiphas gar nicht erst annimmt, 430 ist die in Diu urstende vorhandene direkte Konfrontation zwischen Ideal und Wirklichkeit aufgehoben. In Sankt Stephans Leben wird das frühere Verhalten des Pilatus im Prozess gegen Jesus deutlich von seinem Gespräch mit Kaiphas über Stephan abgesetzt. Pilatus selbst sagt, dass er Jesus auf die Bitte des Kaiphas hin unschuldig habe hinrichten lassen (vv. 1225-1227), und auf der Figurenebene wird der frühere Prozess (außer von Kaiphas) 431 deutlich als Unrecht markiert. Das geschieht schon im ersten Teil des Textes, 432 aber auch im Rahmen der Pilatus-Veronika-Legende (vv. 1438-1440; 1462-1464), in der (wie in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi ) die Schuld ,der Juden‘ und von Pilatus rückblickend aufgearbeitet wird. 433 Vermutlich angelehnt an Diu urstende (vv. 396 f.) - aber auch durch die vorher geschilderte Handlung plausibel, die den Autoritätsverlust des Repräsentanten der alten religiösen Ordnung deutlich herausgestellt hat (vgl. vv. 1148-1150) - ist der vor Pilatus erhobene Vorwurf des Kaiphas, Stephan schwäche die jüdische ee (vv. 1208-1211). Wie beim Prozess gegen Jesus in Diu urstende wird von der jüdischen Anklage darüber hinaus versucht, dem Beschuldigten nicht nur die Schwächung der jüdischen ee, sondern auch die Unterminierung kaiserlicher Autorität anzulasten (ebenfalls vv. 1208-1211). Während jedoch in Diu urstende Pilatus damit unter Druck gesetzt wird, dass seine Nachsicht gegenüber einem, der beansprucht, König zu sein, vonseiten des Kaisers persönliche Konsequenzen für ihn haben könnte (vv. 315-318), wird in Sankt Stephans Leben das Konfliktpotential durch Kaiphas’ Unterstellung zwar aufgerufen, aber anders weiterentwickelt. Denn eine (indirekte) Antwort erfolgt erst dadurch, dass der Christ, der Pilatus darum bittet, dass die Christen ihre Religion ausüben dürfen, zugleich die Anerkennung der rechtmäßigen Forderungen des Kaisers und von Pilatus verspricht (vv. 1249-1251). Auf dieser Basis geht der Vorstoß der Anklage ins Leere: In Sankt Stephans Leben scheidet Pilatus mit seiner Zusicherung der Religionsfreiheit, wenn nur der Zins gezahlt werde (vgl. Mt 22,21), klar weltliche von religiösen Aspekten (vv. 1252-1255). Die Gerichtsszene ist ein gutes Beispiel dafür, wie aus Diu urstende Motive übernommen, aber mit der Einbindung in einen neuen Handlungsablauf auch inhaltliche Uminterpretationen vorgenommen werden. Das gilt ebenso für die in Diu urstende zentrale Frage, wie Wahrheit ver- und übermittelt werden kann und um welche Art von Wahrheit es sich dabei handelt. Geht es in Diu urstende zu Beginn der Befragungen vor dem Hohen Rat darum, dass die wundersamen Ereignisse nach Jesu Tod aufgeklärt werden sollen, hat sich das Problem in Sankt Stephans Leben dadurch, dass Jesus vor seiner Himmelfahrt nicht nur mit 430 Die Gerichtsszene ist in Sankt Stephans Leben von vornherein anders angelegt als in Diu urstende , da Pilatus in Sankt Stephans Leben einen turnusgemäßen Gerichtstermin abhält (vv. 1206 f.), in dessen Rahmen Kaiphas seine Klage (vv. 1208 f.) vorbringen will. 431 Er spricht gegenüber den drei Augenzeugen von dem vercherer / der rechtleich hie gekreüczt wart (vv. 656 f.). 432 In der Diskussion ,der Juden‘ über die schriftliche Botschaft Jesu hebt die Partei, die in ihm mehr sieht als einen Menschen (vv. 279-293), die Unangemessenheit des Gerichtsverfahrens hervor: ‘wïr wissen nicht was man rach / an dem vil güten mann. / es fürat in in dy schrann, / als er ein rauber / ye gewesen wer / und gevangen als ein diep. / […] ’ (vv. 280-285). Zum Diebesmotiv s. o. S. 195-198. In Sankt Stephans Leben wird Stephan später dieselbe unwürdige Behandlung zuteil (vv. 2699-2702; 3261 f.). 433 Vgl. dazu auch Scheidgen 2002, S. 198-200. 360 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen besonders Privilegierten, sondern auch mit dem Boten ,der Juden‘ spricht und sogar eine schriftliche Botschaft übermittelt (vv. 149-256), verschoben. Jesus selbst will beweisen ( pewëren , v. 161), 434 dass sein Erlösungsversprechen wahr ist. Dementsprechend wird von ,den Juden‘ auch nicht seine Auferstehung in Zweifel gezogen, sondern allein seine Messianität (vv. 295 f.). Zwar wird in Sankt Stephans Leben - wie in Diu urstende - ein hoher Aufwand getrieben, um ,den Juden‘ die Himmelfahrt Jesu nachzuweisen, aber letztlich steht auch dabei die Frage im Zentrum, ob die Wo r t e Jesu wahr sind. 435 Carinus und Leucius, die das garantieren sollen (vv. 161-183), bestätigen die Messianität Jesu und richten vor allem das mit der Taufe verbundene Erlösungsversprechen aus (vv. 819-903). 436 Während in Diu urstende Mitglieder der Führungsschicht ,der Juden‘ nach Öffnung der Tempeltüren dem Volk verkünden, die Christen hätten mit Zauberei versucht, Irrlehren zu verbreiten (vv. 2128-2148), werden in Sankt Stephans Leben in entsprechender Situation konkrete Handlungsanweisungen ausgegeben, die die Botschaft Jesu verkehren (wenn Kaiphas vor die Tempeltür tritt und zur Volksmenge sagt, sie solle ihre althergebrachte ee behalten, vv. 995-1004) oder bestätigen (wenn Stephan die Tauflehre übermittelt, vv. 1069-1072; 1088-1096). 437 Dass die Heilswahrheit nicht primär an Zeichen, sondern an den Worten Jesu festgemacht wird, geht einher mit - gegenüber von Diu urstende - veränderten Methoden der Wahrheitssicherung. Stellt Schriftlichkeit in Diu urstende einen besonders auratisierten Sonderfall dar, 438 wird die Identität der Schriftstücke der Simeonsöhne in Sankt Stephans Leben nicht als Wunder markiert. Stattdessen wird erzählt, dass die Brüder aus ainem mund (v. 818) gesprochen und die Botschaft hinterher mit eigener Hand aufgeschrieben hätten (v. 909). 439 Damit reiht sich ihre schriftliche Botschaft in eine Serie anderer Botschaften ein: die von Jesus selbst (vv. 221-224) und die der drei Himmelfahrtszeugen (vv. 503; 560-569). Die Eigenhändigkeit dieser Botschaften bleibt bei den drei Zeugen offen, 440 bei Jesus steht sie zumindest nicht im Vordergrund. 441 Für die Vertrauenswürdigkeit der geschriebenen Aussagen ist es jeweils entscheidend, dass es Boten gibt, die zusätzlich als Augen- und 434 Zur rechtlichen Dimension des Wortes s. o. S. 348, Anm. 377. 435 Nach Aussage des Boten hatte Jesus bei ihrem Zusammentreffen gesagt, er werde in vierzehn Tagen in den Himmel zu seinem Vater auffahren (vv. 240 f.), erneut eine Aussage, die in der wörtlich referierten Botschaft Jesu (vv. 157-220) nicht enthalten ist. Den Wahrheitsgehalt dieser Aussage will Kaiphas später zusammen mit der Messianität überprüfen (vv. 537-543). 436 Die Aufforderung zur Buße ist bereits im Nikodemusevangelium (cap. XXVII 2) angelegt. Sie bildet dort den Abschluss der schriftlichen Aussage der Simeonsöhne. Ähnlich wie in Sankt Stephans Leben verkünden sie im Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler ‚den Juden‘ Vergebung für das, was sie Jesus angetan haben, wenn sie sich taufen lassen (vv. 3724-3777). 437 Das, was ‚die Juden‘ sagen, wird jeweils als Lüge und Betrug gebrandmarkt ( Diu urstende , v. 2130; Sankt Stephans Leben , vv. 1005 f.). 438 Vgl. dazu Strohschneider 2005; 2014, S. 101-108. 439 Dass es zwei Schriftstücke sind, lässt sich weithin nur aus den Pluralformen erschließen (vgl. vv. 911; 966; 973; 1029; 1069; 1511; 1519) und wird erst für die Handlung relevant, als Stephan im Rahmen der Disputation verkündet, er habe den einen prief dem Kaiser gesandt und den anderen selbst behalten (vv. 2505-2509). 440 Nach den Worten eines der Boten scheint er deren Aussage aufgeschrieben zu haben: ‘wisset, das ich hört und sach, / das hab ich [fehlt in der Hs.] als gescriben an, / als mïr es sagten dy drey man, / d e n [Dan in der Hs.] gelaubt ich was sy sagten; / […] ’ (vv. 560-563). 441 Bei den Worten Josephs in Bezug auf den ,Brief ‘ Jesu in v. 402 ( ‘ich chenn in wol; in scraib ein hant. / […] ’ ) ist ein hant wahrscheinlich tatsächlich als sein hant zu lesen (vgl. den Vorschlag bei McClean 1930). 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 361 Ohrenzeugen fungieren und die Identität des Urhebers der Botschaft wie auch den zunächst mündlich übermittelten Inhalt bestätigen. 442 Wenn Kaiphas und seine Anhänger sich nicht mit der durch den Bericht des eigenen Boten abgesicherten schriftlichen Aussage der drei Himmelfahrtszeugen begnügen, sondern deren persönliche Anwesenheit für nötig halten, um die Wahrheit ans Licht zu bringen (vv. 574-586), 443 dann dient das zur Charakterisierung der Haltung der Gruppe um Kaiphas. Dass der Text keinen generellen Zweifel an der Gültigkeit des Geschriebenen zum Ausdruck bringen soll, ist an der ausdrücklichen Kritik des Erzählers daran erkennbar (v. 570), dass Kaiphas und seine Anhänger dem widersprechen, was ihr Bote übermittelt (vv. 571-573). Außerdem ist das Problem der Glaubwürdigkeit mit der bloßen Anwesenheit der drei, also der veränderten medialen Situation, keineswegs gelöst; entscheidend ist vielmehr der Beweis, den sie antreten: Die drei leisten zwar zunächst einen Eid (v. 662), wollen aber die Himmelfahrt Jesu mithilfe des Schicksals der Simeonsöhne pehaben (v. 668). Das Verb behaben bezeichnet oft lediglich die eidliche Bekräftigung, hier aber das Angebot eines Beweises durch Augenschein. 444 Wahrgenommen werden kann nur das Verschwinden der Simeonsöhne, sodass der Befund erneut interpretiert werden muss; ihre Leichen könnten ja auch gestohlen worden sein, wie Kaiphas vermutet (vv. 683-718). 445 Die wegen ihrer (auch von Kaiphas anerkannten) Vertrauenswürdigkeit (vv. 719-726) herbeigeholten Simeonsöhne bestätigen in ihrer Aussage (vv. 819-903) letztlich nicht direkt die Himmelfahrt, aber die Messianität Jesu, für die die Himmelfahrt ein Anzeichen ist. Für Sankt Stephans Leben ist es charakteristisch, dass Aussagen mehrfach abgesichert werden: Im weiteren Handlungsverlauf ist es zum Beispiel Tiberius, der einen Eid schwört, dass er über Jesus die Wahrheit sagen werde, sich dann aber unterstützend darauf beruft, alle hätten gesehen, dass dieser an ihm ein Wunder (sc. die Heilung) vollbracht habe (vv. 2095-2126). 446 Selbst Jesus tritt einen Beweis an ( das wil ich in pewëren , v. 161), indem er aus einer rechtlichen Notwendigkeit ( durch rechtes not , v. 170) die Simeonsöhne auferstehen 442 Vgl. den Boten ,der Juden‘ über Jesus (vv. 227-256), einen der Boten des Kaiphas über die drei Auferstehungszeugen (vv. 559-566) und Stephan (unter Berufung auf Nikodemus und weitere Augen- und Ohrenzeugen) über die Simeonsöhne (vv. 1035-1072; 1503-1518). Zur wichtigen Rolle von Boten bei schriftlicher Fernkommunikation vgl. mit medienhistorischer Perspektive Wenzel 1997, S. 86-89 (mit weiterer Literatur). 443 Die Aufgabe der Wahrheitsfindung wird zunächst Boten übertragen (vv. 579-586), ausschlaggebend ist aber dann die Befragung durch Kaiphas (vv. 653-661). 444 Vgl. BMZ; L exer ; MWB; DRW; WMU, s. v. Vgl. dazu auch die im FWB, s. v. (unter 8.) angegebenen Bedeutungen „etw. rechtsförmlich (auch durch einen Eid) beweisen“; „etw. (z. B. die Anklage) belegen, rechtsrelevant begründen“. 445 In Christi Hort (vv. 3470-3476) werden die leeren Gräber dagegen als Bestätigung für die Auferstehung der Simeonsöhne anerkannt. Im Nikodemusevangelium (cap. XVII 2) wird von den Hohepriestern überprüft, dass die Grabstätte leer ist, sie wird aber nicht in gleicher Weise wie in Sankt Stephans Leben als Beweismittel funktionalisiert (anders Hoffmann 2000, S. 298). 446 Trotzdem wollen die ,Könige‘ (v. 2128) sich und die Fürsten nicht taufen lassen, bevor Stephan herbeigeholt worden sei, der lange Zeit mit Christus verbracht habe (vv. 2127-2143; vgl. vv. 2207-2213). Hinweise darauf, dass diese Aktion der Konfliktvermeidung dienen soll (vv. 2129 f.; 2144; 2151 f.), lassen vermuten, dass nicht allein deshalb nach Stephan geschickt werden soll, damit er die Taufe durchführt, sondern dass damit die Aussagen des Tiberius überprüft werden sollen. Für das Heer und die Bürger stellen die Könige keine solchen Bedingungen auf: sie möge Tiberius schon taufen lassen (vv. 2136 f.). 362 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen lässt, von denen er sicher sein kann, dass ,die Juden‘ ihnen glauben werden (vv. 161-178). 447 Umgekehrt pewert (v. 2485) Stephan den Meistern 448 bei der Disputation die Richtigkeit der Prophezeiung Davids, dass ein König in die Hölle fahren werde, 449 damit, dass Carinus als Augenzeuge von der Höllenfahrt Jesu berichtet habe (vv. 2485-2492). 450 Die Auferstehung der Simeonsöhne und ihre Aussage im Tempel beweist Stephan auf Nachfrage ( ‘du solt uns pewarn wol.’ , v. 2493) unter Berufung auf die jüdische Menge als Augenzeugen und auf den noch bei ihm verbliebenen prief der Simeonsöhne (vv. 2494-2509) - beides wird von einem der weisen Meister überprüft (vv. 2510-2514). Die Meister wiederum schenken den Worten Stephans bereits am Ende der Disputation Glauben und erklären sich für argumentativ überwunden (vv. 2669-2682). Nach dem Tod Stephans bestätigt ihnen Gott dann noch direkt, dass Stephan die Wahrheit gesagt habe (vv. 2738-2740). 451 In der mehrgliedrigen Beweiskette sind die (ihrerseits auf Augenzeugenschaft beruhenden) identischen schriftlichen Berichte der Simeonsöhne ein Element unter anderen, dessen Aussagekraft auf der Figurenebene ohne Weiteres anerkannt wird, wobei die Urheberschaft durch Zeugen abgesichert ist. Insgesamt ist in Sankt Stephans Leben der Umgang mit Schriftlichkeit - im Vergleich zu Diu urstende - durch eine größere Selbstverständlichkeit gekennzeichnet, wie sich auch an den zahlreichen weiteren schriftlichen Botschaften im Handlungsverlauf zeigen ließe. 452 Bei den vom Tode Auferstandenen ( Jesus und den Simeonsöhnen), deren Verweildauer auf Erden begrenzt ist, dient die Schrift dazu, ihren Aussagen Dauerhaftigkeit zu verleihen - ein Aspekt, der zur vermuteten Entstehungszeit 447 Das Motiv, dass Jesus Tote auferweckt, um seine eigene Auferstehung zu belegen, begegnet auch im Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler (vv. 3698-3701). 448 Mit ew in v. 2490 ist offenbar die ebenfalls anwesende jüdische Menge angesprochen (vgl. vv. 2495-2497). 449 Wahrscheinlich ist Psalm 23[24],7-10, gemeint, da der dort genannte ,König der Ehren‘ über das Nikodemusevangelium (cap. XXI 2) in der Auslegungstradition mit der Höllenfahrt Jesu verbunden war (für Bezüge der Stelle zu weiteren Psalmen vgl. Gounelle / Izydorczyk 1997a, S. 194). Eine Identifikation von Jesus als ,König der Ehren‘ mit dem von David prophezeiten König, der in die Hölle fahren werde, findet sich in Sankt Stephans Leben bereits in der Aussage der Simeonsöhne (vv. 825-833). 450 Die Argumentationsfigur, dass sich Prophezeiung und Erfüllung gegenseitig legitimieren, begegnet auch in der Predigt Stephans (vv. 2299-2384). Allerdings ist es dort die alttestamentarische Prophezeiung, die als Beleg dafür herangezogen wird, dass alles so geschehen ist, wie es Carinus gesagt hat (vv. 2310-2312). 451 Wie schon bei der Botschaft Jesu zu Beginn der Handlung (vv. 154-224) wird die Kommunikation zwischen Menschen und einer transzendenten Instanz als vollkommen unproblematisch inszeniert. Allerdings werden hier exklusiv die Meister adressiert. Nur ihnen wird Einblick in den Himmel gewährt, sodass sie sehen, wie Stephan dort aufgenommen wird (vv. 2736-2754). Kaiphas bezweifelt in der Folge deren exklusive Augenzeugenschaft, indem er versucht ihre Aussage, dass Stephan im Himmel würdig empfangen worden sei (vv. 2773-2778), auf Hörensagen herunterzustufen, und mit der unmitelbaren Evidenz des Leichnams argumentiert, die ohne Weiteres von mehreren gesehen werden könne (vv. 2782-2786). Angesichts der göttlichen Autorisierung der von den Meistern erkannten Wahrheit wirkt es für den Rezipienten unangemessen, dass Kaiphas den Leichnam als Beweismittel benutzen will. Zweifelhaft erscheint im Erzählzusammenhang allerdings nicht das Verfahren der Evidenzherstellung, sondern die Beschränkung des Kaiphas auf das Innerweltlich-Materielle. 452 Vgl. z. B. die schriftliche Botschaft, die Claudius dem Tiberius durch Boten überbringen lässt (vv. 1744-1755), die bei jenem und seinen Fürsten allerdings den Wunsch erregt, die berichteten Wunder selbst sehen zu wollen (vv. 1756-1759), oder Julianas schriftliches Hilfegesuch an ihren Vater, einem Mitglied im Rat König Konstantins, und die schriftliche Botschaft, die der Vater daraufhin im Namen Konstantins König Gaudein überbringen lässt (vv. 3511-3587; zur Gaudein-Figur s. u. S. 366, Anm. 468). Das Abfassen der schriftlichen Botschaft überlässt Konstantin dem Vater (v. 3583). 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 363 von Sankt Stephans Leben auch im Rechtskontext im Hinblick auf Zeugenaussagen erörtert wurde. 453 Es wird jedoch auch von regelrechten Schriftwundern erzählt: So bringt der ,Kaplan‘ Claudius (vv. 1338 f.), 454 der mit dem Schweißtuch der Veronika per Schiff zu dem kranken Tiberius unterwegs ist, einen Brand auf einem Kaufmannsschiff, das den Weg seines Schiffes kreuzt, zum Erlöschen, indem er das Antlitz Jesu auf dem Tuch in Richtung des brennenden Schiffes blicken lässt; nachdem das Feuer erloschen ist, wachsen die verbrannten Teile nach, u. a. die Tür der Luke, die zur Bilge 455 führt (vv. 1644-1676). Einer der Seeleute bemerkt das Wunder, kann es jedoch nicht erklären (vv. 1677-1698). Claudius entdeckt dann eine rote Inschrift auf den weißen Brettern (v. 1675) der Tür (vv. 1699-1709), die besagt: ‘das ïr lemptig seit peliben, da ist Jhesus schuldig an; der hatz durch pesserung tan und durch sein antlicz hie.’ (vv. 1706-1709) Die Inschrift stellt nicht nur einen kausalen Zusammenhang zwischen dem wundersamen Verlöschen des Brandes und Jesus her, sondern nennt als eine Handlungsmotivation, Jesus habe um seines Antlitzes (sc. des Schweißtuchs der Veronika) willen rettend eingegriffen. Die Wirksamkeit des Tuches, die im Nachhinein als eine indirekte charakterisiert wird, war von Claudius nur vermutet worden (vv. 1649-1654) und ist der heidnischen Besatzung des Kaufmannsschiffes zu dem Zeitpunkt der Handlung noch vollkommen unbekannt. 456 Wenn auch das Erscheinen der Inschrift an sich ein Wunder ist, 457 steht es im Dienst der Interpretation der Rettung des Kaufmannsschiffes, die wiederum die Messianität Jesu sichtbar werden lässt. Anders als die von Menschen (oder auch von Jesus in Menschengestalt) angefertigten Schriftstücke braucht die göttliche Schrift keine weitere Legitimation. In ihrer Funktion ähnelt die Inschrift aber den in anderen Beweisketten verwendeten Schriftstücken, indem sie für ein bestimmtes Phänomen die ,richtige‘ Interpretation sichert. 458 453 Vgl. dazu Wenzel 2004, S. 272. Er verweist auf den Schwabenspiegel , Ldr. 34 (36a): wir sprechenn das prieff pesser sein dann zewgen. wann gezeugen sterbent so pleibent prieff immer stat (zitiert nach Eckhardt 1974, Hs. Kb, s. dazu o. S. 254, Anm. 278). Vgl. dazu Ignor 1998, Sp. 579: „Repräsentativ für das s p ä t e M i t t e l a l t e r sind die Bestimmungen des Schwabenspiegels (um 1275).“ 454 capellan bezeichnet in v. 1238 ein Hofamt; erst im weiteren Handlungsverlauf wird von der Taufe des Claudius erzählt, auf die eine eigene Tauftätigkeit, also so etwas wie ein geistliches Amt, folgt (vv. 2153-2183). 455 Das dürfte wohl mit der sutten tür (v. 1673) gemeint sein, denn sutte bezeichnet den untersten Schiffsraum (vgl. BMZ; L exer , s. v.). 456 Nachdem Claudius dem - nicht lesekundigen - Schiffsführer die Inschrift erklärt hat, ist die gesamte Besatzung zur Taufe bereit (vv. 1710-1730); ihr wird dann ein göttliches Speisewunder zuteil (vv. 1731-1743). 457 Zu Schriftwundern vgl. Strohschneider 2006, S. 36 f.; Lembke / Lieb 2012. Im Gegensatz zu Schriftwundern des Menetekel-Typs ist die Inschrift auf der Lukentür unmittelbar verständlich, was ihren didaktischen Charakter unterstreicht. 458 Das trifft ebenfalls auf das zweite Schriftwunder im Text zu: die goldene Schrift auf dem Schrein des Schweißtuchs der Veronika, die bestätigt, dass das darin befindliche antlicz das des waren herren Jhesu Christ ist (vv. 1881 f.); allerdings ist dort die Schriftoffenbarung selbst auf der Figurenebene als Wunder benannt (vv. 1876-1896). Wie sich göttliche Offenbarung und Schriftlichkeit in Sankt Stephans Leben zueinander verhalten, wäre ein Thema für sich. Bei der Erzählung von der Disputation wird hervorgehoben, dass Stephan, vom Heiligen Geist erfüllt, nicht auf Bücher angewiesen sei. Ste- 364 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Dass das Wunder Beweisfunktion bekommt, wird später im Text deutlich, wenn es heißt, dass (dem inzwischen zum Christen gewordenen) Claudius, als er von Tiberius nach Judäa gesandt wird (vv. 2191-2253), für seine Reise das vom Feuer gerettete Schiff hergerichtet wird (vv. 2254 f.), das auch ein ur̈chund was / und ein geczeug der warhait, / das man im gelaubt das er sait (vv. 2256-2258). Wie in Diu urstende wird also in Sankt Stephans Leben versucht, die Heilswahrheit mit Kategorien zu fassen, die aus dem Recht übernommen sind, obwohl die in Diu urstende durch die Prozesshandlung gegebene Verklammerung von Recht und Wahrheit weggefallen ist. Bei allen Unterschieden im Einzelnen sind sich Diu urstende und Sankt Stephans Leben in der Herangehensweise an den historischen Stoff verwandt. Der gegenüber von Diu urstende deutlich veränderte Umgang mit dem Schriftmedium in Sankt Stephans Leben zeigt, dass auch in Sankt Stephans Leben eine Aneignung des historischen Stoffes unter den Vorzeichen der zeitgenössischen (Rechts)kultur stattgefunden hat. 459 6.5.3 reht und ê : Verschriftlichung und Verweltlichung des Rechts Es ist von Got ein alts̈ recht, welicher herr mag gelaisten chnecht, er sey sein aigen oder frey, das er pey im mit trëwen sey; das ist güt und stet auch wol. wer dem anderen dienen sol, ob er das willeichen tüt, des lö n wïrt von rechte güt. (vv. 1-8) In diesen programmatischen Versen des Prologs von Sankt Stephans Leben wird das Prinzip, dass der Knecht die triuwe -Bindung an seinen Herrn wahren soll, als letztlich auf Gott zurückgehendes 460 alts̈ recht bezeichnet. Im Prolog kommt es zunächst auf die innerweltliche Geltung dieses Prinzips an, indem sich der Verfasser als treuer ‚Dienstmann des Heiligen Stephan‘ einführt und Gehorsam gegenüber dem jeweiligen Bischof und dem Papst einfordert (vv. 9-38). 461 Als Negativexempel wird jedoch am Schluss des Prologs der Fall phan bestätigt die Worte, die Gott den Propheten eingegeben hatte (vv. 2441-2455). Die (sekundäre) Schriftlichkeit der Prophetenworte spielt an dieser Stelle keine Rolle; bei der Erzählung von seiner vorhergehenden Predigttätigkeit (vv. 2299-2384) wird jedoch hervorgehoben, dass Stephan die prophetischen Schriften gelesen hat (vv. 2299-2309). 459 Zum „Vordringen einer gelehrten, auf Schriftlichkeit beruhenden Rechtskultur“ vgl. Kannowski 2007, S. 211 f. (in Bezug auf die Glosse des Johannes von Buch). 460 Gott scheint hier eher als Maßstab für angemessenes Verhalten denn als Gesetzgeber zu fungieren. 461 Der Gedanke der absoluten Loyalität zum Bischof wird im Epilog (vv. 5224-5245) wieder aufgenommen (vv. 5240-5243), wo sogar der Fall benannt wird, dass ein Bischof seine Dienstleute schlecht behandelt. Auf der Handlungsebene steht Stephan zu ,Bischof ‘ Kaiphas nicht in einem Verhältnis der triuwe , sondern der friuntschaft , worauf sich Kaiphas durchaus manipulativ beruft (v. 1024). Dass der Erzähler Kaiphas zweimal ausdrücklich betonen lässt, dass er Stephan erzogen habe (vv. 755 f.; 1013 f.), könnte darauf hindeuten, dass in der Vorstellungswelt des Textes daraus eigentlich ein loyales Verhalten Stephans erwachsen müsste. Das Problem, ob friuntschaft oder die Verpflichtung zur Wahrheit Priorität hat, wird nicht explizit diskutiert, aber durch sein Verhalten entscheidet sich Stephan klar für die Wahrheit. Das wird von ,den Juden‘ als Verrat empfunden (vv. 2275-2298). 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 365 Luzifers genannt (vv. 39 f.), also die Notwendigkeit des Gehorsams gegenüber Gott formuliert. Die Überleitung zur Handlung erfolgt dann über die Interpretation des Verrats des Judas als Treuebruch: nü merkht was da geschach d a man dy recht an Got zeprach, und das sein junger ainer tët: seinen herren er verraten het. (vv. 41-44) Auch der in vv. 6-8 geäußerte Gedanke, dass richtiges Verhalten Belohnung erfährt, kehrt später im Text bei der Beschreibung des Verhältnisses zwischen Gott und den Menschen wieder: In seiner Erläuterung des göttlichen Heilsbeschlusses (vv. 2522-2545) erklärt Stephan, dass es Gottes Erbarmen erregt habe, dass selbst die Patriarchen und Propheten, hätten sie auch ein noch so rechtes leben gehabt, zur Hölle fahren mussten (vv. 2533-2537). Gott habe sich gefragt, wie er denen danken solle, die seinen Willen getan hätten. Sie seien an Adams Verfehlung doch ganz unschuldig (vv. 2540-2545). 462 Die Belohnung von Wohlverhalten ist also als ein Grund für die Erlösung konzipiert, wobei diese Belohnung nach dem Text nicht auf einen Rechtsanspruch des Menschen, sondern auf einen Willensakt Gottes zurückzuführen ist, dem sogar ein Gefühl der ‚Dankbarkeit‘ unterstellt wird. Umgekehrt ahndet Gott, wie Stephan vorher bereits ausgeführt hat (vv. 2367-2376), die Missachtung seiner Gebote: Das betrifft nicht nur Adam, sondern auch ,die Juden‘, deren ee verboten werde, weil sie die Zehn Gebote ( dy gepot / dy euch unser herre Got / Moisy an dy tavel scraib , vv. 2369-2371) gebrochen hätten. 463 Was den Bruch der von einer Autorität erlassenen Regeln angeht, gibt es wiederum Parallelen zwischen dem Verhältnis von Gott und Mensch und dem eines menschlichen Herrschers und seiner Untertanen, wie sich an der Figur des Kaisers Tiberius verdeutlichen lässt: Er wird als aufrichtiger Herrscher eingeführt, der einen Armen so gerecht behandelt, als wäre er reich (vv. 1293-1295). Später wird er als seinem Wort treuer Mann ( warhaft , v. 2057) charakterisiert (vv. 2057-2061), der sich trotz seiner irdischen Macht dem Recht vollkommen untergeordnet habe (vv. 2064-2066). Demjenigen, der sein gepot an im zeprach (vv. 2062 f.), sei es an die ‚Ehre‘ gegangen. 464 Die Gewährleistung einer geregelten und als 462 Dass Gott den Menschen schwach geschaffen hat (vv. 2540 f.), scheint ihm eine gewisse Verantwortung zuzuweisen. So jedenfalls könnte man die selbstreflexiven Überlegungen deuten, die ihm in den Mund gelegt sind. Während diese Vorstellung auch im Evangelium Nicodemi fassbar ist (s. dazu o. S. 164 f.), wirkt die Idee der Unschuld derjenigen, die Gottes Willen tun, angesichts des sonst im Text präsenten Konzepts der Erbsünde (sie kann nur durch die Taufe vollständig abgewaschen werden, vgl z. B. vv. 2380; 3044-3057) ungewöhnlich und bedürfte genauerer Untersuchungen, ebenso wie die folgenden Ausführungen, dass Abraham, als er ihm in menschlicher Gestalt auf einem Berg erschien, Gott dazu bewogen habe, nach Gnade und nicht nach Recht zu handeln (vv. 2546-2646). Zur Übertragung des Wunders des brennenden Dornbuschs von Moses auf Abraham vgl. Schröder (1931, S. 63), der sie auf theologische Unkenntnis zurückführt. Sie könnte aber auch damit zusammenhängen, dass die genealogische Verbindung zwischen Abraham und Maria ( es wir̈ t von deinem chun / hernach ein magt geporen , vv. 2608 f.) herausgestellt werden soll. Für eine planmäßige Umgestaltung des Motivs spricht auch die Auslegung der brennenden ‚Haselstaude‘ auf Maria und Jesus hin (vv. 2599-2642). 463 Zu ähnlichen Vorwürfen im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk vgl. Niesner 2005, S. 244 f. 464 Vgl. auch die entsprechende Drohung des von Tiberius ausgesandten Boten in v. 3094. 366 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen gerecht empfundenen Ordnung (Belohnung der ‚Guten‘, Bestrafung der ‚Bösen‘) ist hier - wie entsprechend bei Gott - an die ethische Qualität dessen, der die Macht hat, gebunden. 465 Ähnlich wie im Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler scheinen also in Sankt Stephans Leben Querverbindungen zwischen göttlicher und menschlicher Rechtssphäre auf, ohne dass die Bezüge systematisch expliziert würden. Ausgeprägter als bei den Kerntexten wird darüber hinaus in Sankt Stephans Leben die irdische Rechtsordnung zum Thema gemacht, wobei zwei Aspekte ineinander verwoben sind: der rechtliche Status einzelner Bevölkerungsgruppen und der Zusammenhang von guter Herrschaft und Recht. Die oben besprochene Gerichtsszene mit Pilatus (vv. 1206-1255) ist für die Konzeption von Herrschaftsautorität insofern typisch, als Pilatus nicht nur in seiner Richterfunktion, sondern auch als Vertreter des Kaisers, der Abgaben eintreibt, charakterisiert wird. Während bei dieser Szene, die deutlich macht, dass der Repräsentant der heidnischen Herrschaft diese von der christlichen Religion nicht unterminiert sieht, wahrscheinlich die Steuerfrage aus Mt 22,15-22 im Hintergrund steht, kommen bei der späteren Schilderung des Verhaltens der römischen (dann als christlich verstandenen) Herrscher Muster ins Spiel, die an zeitgenössische Kontexte anschlussfähig sind: Die in Sankt Stephans Leben von Tiberius angeordnete Bestrafung ,der Juden‘ 466 für ihre ,Untreue‘ gegenüber Gott / Jesus (vv. 2036-2044; vgl. auch vv. 3121-3124) umfasst neben der Aberkennung der Selbstverwaltung und eigenen Gerichtsbarkeit die Einsetzung eines christlichen Richters (vv. 2028-2035; 2045 f.; 2242-2246; 3125-3130). Bei der Umsetzung dieser Bestrafungsmaßnahmen in Jerusalem wird der zum Christentum übergetretene Heide Gaudein auf Vorschlag der Christen, die seine hohe Abkunft und seinen Einfluss herausstellen (vv. 3138-3143), 467 von Claudius, dem Gesandten des Kaisers, zum Richter in Judäa berufen (vv. 3131-3184). 468 465 Die Qualifizierung für moralisch richtiges Handeln ist nach der Logik des Textes vom ,richtigen‘ Glauben abhängig: So ist der einzige König, der in Sankt Stephans Leben (zeitweise vom Teufel geleitet, vv. 3882-3917) böse agiert, der heidnische König Augustus (s. dazu u. S. 370, Anm. 487), der eine christliche Stadt belagert (vv. 3781-3969) und in seinem Land Christen verfolgt hat (vv. 4019-4026). Eine Ausnahme stellt (der Heide) Pilatus dar, wenn er punktuell richtig handelt und angesichts der von Kaiphas gegen Stephan erhobenen Anklage ohne Ansehen der Person fragt, welchen Schaden dieser verursacht habe (vv. 1222-1230). Tiberius ist zwar bis zu seiner Bekehrung auch ein heidnischer Herrscher, sagt sich aber vom Teufel los, sobald er vom Christentum erfährt (vv. 1949-1960). Das Lob seiner Herrscherqualitäten dürfte im Hinblick auf diesen späteren Übertritt zum Christentum zu sehen sein. 466 Vgl. vv. 2002-2046; 2214-2246; 3095-3130. 467 Der in Jerusalem ansässige Gaudein ist reich und mächtig mit vielen Gefolgsleuten (vv. 2894-2897), aber kein Fürst ([…] einem fürsten geleich / in allen seinen dingen , vv. 3140 f.). 468 Der (sonst in der Legendentradition nicht belegten) Figur des Gaudein kommt in Sankt Stephans Leben eine Schlüsselstellung zu, da über sie die verschiedenen Handlungsstränge verknüpft werden: Der besessene Gaudein wird am Grab des Stephanus geheilt und lässt sich daraufhin taufen (vv. 2889-3002). Dass Tiberius einen Boten nach Judäa losschickt, um einen christlichen Richter einzusetzen, steht in Zusammenhang mit seiner eigenen Heilung, denn er fordert, dass alle, die ihm folgen wollen, sich taufen lassen sollten (vv. 2111-2126), die Oberen des Reiches wollen aber, dass Stephanus vorher nach Rom herbeigeholt werde (vv. 2127-2143), was die Entsendung des Boten auslöst (vv. 2144-2269). Mit der Einsetzung Gaudeins als christlichem Richter werden also die Pilatus-Veronika-Legende (mit der Heilung des Tiberius) und die Stephanus-Legende (Wunder am Grab und deren Folgen) zusammengeführt. Später wird über die Gaudein-Figur die Translatio-Handlung angeschlossen: Gaudein bedrängt Juliana, die Witwe des Christen Alexander, unmäßig, seinen neven zu heiraten. Auf Bitten Konstantins (ihr Vater ist Mitglied in dessen Rat) lässt er sie jedoch nach Konstantinopel ziehen, wobei sie in dem Wunsch, die Gebeine ihres Mannes zu überführen, versehentlich die Gebeine des Stephanus mitnimmt, den ihr Mann in der für das Ehepaar vorgesehenen Grabstätte hatte bestatten lassen (vv. 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 367 Seine Kompetenzen umfassen aber nicht nur das Richteramt für Juden (vgl. v. 3125) und für Christen (vv. 3136 f.; 3165-3167); 469 ihm fällt auch militärische Befehlshoheit in Judäa zu, und er bekommt die Güter (wohl auch die Ländereien) von Herodes, Pilatus und Kaiphas 470 übertragen (vv. 3168-3174). Schließlich wird Gaudein von Christen und Heiden zum König gewählt (vv. 3180 f.). Wie sich die Akte der Ernennung und der Wahl zueinander verhalten, bleibt diffus, aber der Text konturiert genau verschiedene Teilbereiche von Herrschaft (die juristische Dimension, die militärische, die territoriale und die ökonomische), wie sie zur Entstehungszeit des Textes relevant gewesen sein dürften. Konkrete Anknüpfungspunkte zu zeitgenössischen Gepflogenheiten sind bei der rechtlichen Stellung ,der Juden‘ vorhanden, die nach der Anordnung des Tiberius in Sankt Stephans Leben Unfreiheit und das Verbot, Land zu besitzen oder auch nur zu bebauen, einschließt; nur Geschäfte mit ,fahrender Habe‘, also auch wücher , sind erlaubt (vv. 2013-2027; 3111-3120). Zwar lassen sich allgemeine Einschränkungen für das Besitzrecht von Juden für das 14. Jahrhundert in Österreich nicht nachweisen (nur Verbote, bestimmte Grundstücke zu erwerben), jedoch lag der Schwerpunkt ihrer geschäftlichen Tätigkeit auf der ihnen zugewiesenen Rolle des Geldhandels, also auf Geschäften mit ,fahrender Habe‘, nicht auf agrarischer Tätigkeit. 471 Den zeitgenössischen Rezipienten vertraut gewesen sein dürften auch Sonderabgaben für Juden, 472 wie sie in Sankt Stephans Leben impliziert sind, denn die Befreiung aller Christen von Abgaben (vv. 2218-2226; 3104-3110) verleiht den Abgaben ,der Juden‘ dort indirekt den Charakter einer Sondersteuer. Die Erläuterung, welcher Art die Abgaben waren, die die Christen vorher dem Kaiser zu leisten hatten (vv. 2227-2236), lässt ein lehnrechtliches Interesse des Textes erkennen, denn das, was dort als römisches Recht beschrieben wird ( es was do pey den zeiten re cht , v. 2227), 473 scheint einer Art Heersteuer zu entsprechen, da die Abgabe als Ersatz für nicht erbrachten Dienst gekennzeichnet wird. 474 Später - im Verlauf der weiteren Erzählung über die Geschichte der Gebeine Stephans - gesteht der in das besiegte Heidenland zurück- 2801-2826; 3479-3720). Die Figurenzeichnung des Gaudein ist nicht konsistent und offen dafür, verschiedene Konzepte zu transportieren wie hier das eines christlichen Richters. 469 Die Vorstellung eines speziellen Judenrichters (für die österreichischen Verhältnisse vgl. Lohrmann 1990, S. 71) wird also nicht evoziert. 470 Bei Kaiphas handelt es sich um eine Übertragung jüdischen Eigentums auf Christen, wie sie Tiberius angekündigt hatte (vv. 2018 f.). 471 Vgl. Lohrmann 1994. 472 Vgl. Lohrmann 1990, S. 113 f.; 281-298. 473 In der Handschrift (fol. 19rb, Z. 15 f.) steht: es was do pey den zeiten nicht, / er w ( er ) ritter oder knecht icht . Die im Apparat der Ausgabe vorgenommenen Besserungen ( nicht zu recht , Streichung von icht ) sind sinnvoll. 474 Allerdings muss diese Abgabe von allen Leuten geleistet werden, hat also den Charakter einer allgemeinen Steuer. Auch wäre es im lehnrechtlichen Kontext eine übertreibende Zuspitzung, dass der Dienst ,täglich‘ zu leisten gewesen wäre. Vergleichbar mit der Heersteuer bleibt der Aspekt der monetären Ersatzleistung. Zum Aufkommen solcher Ersatzleistungen für Kriegsdienste im Europa des Hoch- und Spätmittelalters vgl. Fischer 2013, S. 10-16. Zu Abgaben, die generell im Rahmen feudovasallitischer Bindungen geleistet wurden, vgl. Peters 2017, mit weiterer Literatur. - Es ist auffällig, dass mit einem Goldpfennig (vv. 2231-2236) die Höhe der Abgabe benannt wird, weil sonst solche Details fehlen. Möglicherweise liegt hier eine Anspielung auf den von Ludwig IV. im Jahr 1342 erhobenen goldenen Opferpfennig vor, der von Juden ab einem bestimmten Vermögen jährlich gezahlt werden musste (vgl. dazu Rauscher / Staudinger 2004, S. 320 f.). 368 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen kehrende Herrscher 475 den besiegten Heiden, die sich taufen lassen wollen (vv. 4175-4203), um der ere seines Glaubens willen (v. 4199) sogar zu, dass allen Verwandten oder Nachkommen der Erschlagenen ( es sey maid oder chnecht , v. 4203) Lehnrecht verliehen wird (vv. 4200-4203). Ihre materielle und rechtliche Stellung dürfen die bekehrungswilligen Heiden behalten; das garantiert ihnen der Herrscher (vv. 4190-4196), nachdem ein hoher man (v. 4158) aus ihren Reihen zugesichert hat, dass die Rechtsordnung insgesamt nach christlichen Maßstäben gestaltet wird (vv. 4181-4189). 476 Zwar soll, wie diese Textstelle erkennen lässt, die ideale Rechtsordnung auf christlichen Prinzipien basieren, doch tritt dieser Aspekt gegenüber der Betonung des Zusammenhangs von guter Herrschaft und einem geregelten Gerichtswesen im Gesamttext in den Hintergrund. Das von dem christlichen Herrscher formulierte Ideal, dass sein Gericht, wie vom Anführer der taufwilligen Heiden erwartet (v. 4189), allen slecht (v. 4196) 477 sein solle, wird durch den Erzähler in der Charakterisierung des römischen (christlichen) Kaisers Theodosius wieder aufgenommen: 478 Er sei ohne Ansehen der Person für das Recht eingetreten 479 und habe auch bei seinen ‚Fürsten‘ für die Bewahrung der Rechtsordnung gesorgt (vv. 4472-4500). Sie hätten seinen Zorn gefürchtet. Wie mächtig und adelig jemand auch gewesen sein möge, habe in dessen Land kein guter Friede geherrscht, habe Theodosius das mit der Todesstrafe ( mit der wid , v. 4491) geahndet. Die gewählte Formulierung ruft die Phrase vride bî der wide gebieten auf 480 und damit die Landfriedensbewegung. 481 In diesem Kontext ist die Aussage, dass Theodosius schwachen Fürsten geholfen habe, ihren Machtanspruch durchzusetzen, sodass sie gut hätten richten können ( im half der chaiser schon / umb seine lant verslichten, / das er wol mocht gerichten , vv. 4497-4499), wohl als Ausweis 475 Er muss nach der Handlungslogik mit dem fürsten in v. 4174 gemeint sein. Er war vom heidnischen König Augustus vertrieben worden und hatte bei Konstantin im Land der Griechen Zuflucht gefunden (vv. 4019-4026). Nachdem Augustus mithilfe eines Engels besiegt worden ist, kehrt der Vertriebene in das heidnische Reich zurück und ruft die Heiden an den Hof (vv. 4051-4065). Zum König wird er erst nach den lehnrechtlichen Verhandlungen gewählt (v. 4210), obwohl sie eine entsprechende Befugnis voraussetzen. 476 In der Passage changiert die Bedeutung des Wortes recht zwischen subjektiven Rechten und objektivem Recht. 477 slecht ist hier im Sinne von ,gerecht‘ gebraucht (vgl. DRW, s. v. schlecht ). Als positive Kennzeichnung des Verhaltens gegenüber jedermann war dieser Begriff auch schon für Tiberius verwendet worden (v. 1293). 478 Die Heilung der Tochter des Kaisers Theodosius (meist Eudoxia genannt, in Sankt Stephans Leben aber Concordia, vgl. dazu Baumgarten 1925, S. 28) ist ein fester Bestandteil der Legende von der Überführung der Gebeine des Stephanus nach Rom. Dass Theodosius als guter Herrscher und Richter eingeführt wird (vv. 4472-4500), ist für den Handlungsverlauf nicht unmittelbar relevant und zeigt einmal mehr das Interesse des Textes an Rechtsfragen. 479 Von Kraus (1939, S. 261) hat für v. 4479 die sinnvolle Konjektur nieman (anstatt yemant ) vorgeschlagen: er wolt das nieman tet / mit einem wart wider das recht e. / sein gericht was slecht e / gen jungen und gen alten, / […] (vv. 4479-4482). Die genannten Richterqualitäten haben topischen Charakter. Vgl. etwa Trajan als Positiv-Exempel in der Prosakaiserchronik , Kap. 19 (in der Ausgabe von Eckhardt 1975, S. 269 f.; vgl. dazu Heinzle 1999, S. 275). 480 Vgl. dazu Friedrich 2006, S. 469. 481 Vgl. dazu Seelbach 1987, S. 214 f.; Menke 1993, S. 229 (mit Belegen aus der deutschen Literatur). 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 369 einer erfolgreichen Landfriedenspolitik zu sehen. 482 Die rechtlichen Aspekte sind so in einen politischen Kontext gestellt. 483 Wie die Rechtssetzung durch den Kaiser im Einzelnen funktioniert, wird im Text für die Bestrafung ,der Juden‘ durch Tiberius erzählt: Auf Anraten der ,Reichsfürsten‘ (vv. 1973-1980; 2004) beschließt Tiberius, einen Hoftag einzuberufen, der entscheiden soll, wie die Christen zu ehren und ,die Juden‘ zu bestrafen seien (vv. 2002-2012). In dessen Rahmen sollen die Fürsten hören, was der Herr ihnen zu sagen habe (vv. 2067-2079) - im Text ist bereits nach der ersten Erwähnung des Hoftages eine wörtliche Rede des Tiberius eingeschoben (vv. 2013-2046), für die keine Adressaten benannt sind, die aber die Rezipienten über die Stoßrichtung der Überlegungen des Tiberius informiert mit der Quintessenz: ‘ […] / Jhesum Krist ich rich / und ïr kunichreich ich prich; / si gewinnent nymermer / gewalt, gericht noch er.’ (vv. 2043-2046). Im Bericht über den Fürstenrat werden diese Überlegungen des Tiberius nicht noch einmal ausgeführt, vielmehr geht es nun darum, dass Tiberius die Versammelten zur Taufe bekehren will (vv. 2080-2152), aber später, als Claudius ausgesandt wird, Stephan nach Rom zu bringen, weil die Fürsten von ihm getauft werden wollen, ist davon die Rede, dass Claudius als Bote der fürsten brief […] / und auch ïr ur̈tail (vv. 2248 f.) mit sich führt. Tiberius hatte Claudius wiederum eine schriftliche Botschaft aufgetragen (v. 2201), 484 und Claudius zeigt in Jerusalem den Christen des kaisers brief vor (v. 3095), bevor er mündlich seine Botschaft vorbringt, die inhaltlich großenteils mit den Überlegungen des Tiberius identisch ist (vv. 3096-3130). Die einzelnen Textbausteine sind wahrscheinlich so zusammenzusetzen, dass im Fürstenrat eine Entscheidung getroffen wird, die der Kaiser in einer Urkunde verbriefen lässt. Unter medienhistorischen Gesichtspunkten ist wichtig, dass die Rechte schriftlich verliehen werden. Die politische Willensentscheidung des Kaisers, die religiös motiviert ist, wird durch einen Fürstenrat sanktioniert (ohne dass das formal ausgeführt ist) und bekommt dadurch einen rechtsverbindlichen Charakter. Wie bereits erwähnt, soll auch das gerettete Schiff die Glaubwürdigkeit des Claudius untermauern (vv. 2254-2258). Das Schiff legt jedoch Zeugnis von der Heilswahrheit ab, nicht von der politischen Botschaft, die Claudius übermitteln soll. Dass an dieser Textstelle weltliche und göttliche Legitimationsstrategien enggeführt sind, dürfte damit zusammenhängen, dass das irdische Rechtshandeln bei der Bestrafung ,der Juden‘ heilsgeschichtlich begründet ist. Kennzeichnend für Sankt Stephans Leben ist eine Akkumulation von Begründungen für Rechtshandeln, die auf verschiedenen Ebenen liegen. Zwar wird in der analysierten Bestrafungssequenz nur die heilsgeschichtliche Motivation thematisiert, aber im Pilatus-Ve- 482 Entworfen wird so für die Vergangenheit ein Idealbild, das nicht den Zuständen zur Entstehungszeit des Textes entsprochen haben dürfte (vgl. Menke 1993, S. 233-237 mit literarischen Zeugnissen [ausgehend vom Helmbrecht Wernhers des Gärtners]). 483 Generell besteht in Stankt Stephans Leben ein enger Zusammenhang zwischen Herrschaft und Frieden; vgl. auch den für das geplante Fest der Überführung der Gebeine in das münster von Konstantinopel gebotenen und mit Todesstrafe bewehrten Frieden (vv. 4360-4363). Zum Zusammenhang zwischen Friede und Herrschermacht vgl. Hagenlocher 1992, S. 166-271 (bes. S. 208 zu Trajan; s. dazu auch o. S. 368, Anm. 479); zu den Landfrieden vgl. den Forschungsüberblick bei Wadle 2001 (1996), S. 22-25. 484 Der Ausgabentext lautet: screib von mïr dem landt / und ich hab dïch aus gesant, / das ich der juden veint pin. (vv. 2201-2203). Von Kraus (1939, S. 257) schlägt für vv. 2201 f. folgende Besserung vor: dem lande Daz ich dich ûz gesande, Wan ich . Dann wäre aber die Aussendung des Boten der Inhalt der Botschaft, was nicht plausibel erscheint. Vielmehr scheint in vv. 2201 f. die mediale Doppelung von Mündlichkeit und Schriftlichkeit angesprochen (s. dazu o. S. 360 f.), durch die der Kaiser sicherstellt, dass seine Feindschaft gegenüber ,den Juden‘ ordnungsgemäß übermittelt wird. 370 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen ronika-Teil der Handlung war - in Bezug auf eine mögliche Bestrafung des Verhaltens von Kaiphas und Pilatus - ein anderer Begründungszusammenhang aktiviert worden: Die kristen (v. 1409) erhoffen sich vom Kaiser, dass er die Schuld von Pilatus und Kaiphas an Jesu Tod ahnden werde (vv. 1410-1418), weil diese das gepot des Kaisers gebrochen hätten (vv. 1412 f.). 485 Die Christen argumentieren also mit einem Verstoß gegen das Recht. Zugleich stellen sie politische Überlegungen an, wenn sie daraus, dass Pilatus und Kaiphas beim Kaiser in Ungnade fallen, die Konsequenz ableiten, dass sie damit vor den Drohungen des Kaiphas sicher seien bzw. gerächt würden. Zwar legen sie ihr Schicksal in Gottes Hände (v. 1411), doch erwächst aus den Überlegungen vor allem ein politisch kluger Handlungsplan ihrerseits, dass sie nämlich die Boten des Tiberius aufsuchen und ihnen die Wahrheit sagen wollen (vv. 1415 f.). 486 Selbst bei der Erzählung von der göttlichen Bestrafung des heidnischen Königs Augustus 487 wird der religiösen Dimension des Geschehens ein justiziables Vergehen hinzugefügt: Die Strafe soll Augustus nach den Worten des Engels, der den Christen die Rettung vorhersagt, nämlich gerade dann ereilen, wenn er einen Raub begehen will (vv. 3800 f.). 488 Im Hinblick auf die Kerntexte lässt sich festhalten, dass auch in Sankt Stephans Leben eine Verrechtlichung des Geschehens zu beobachten ist, und zwar nicht nur in den Partien, die mit dem in den Kerntexten Erzählten korrespondieren: Verfahrenstechnisch wird in der Erzählung auf zeitgenössische Muster, vor allem die zunehmende Verschriftlichung des Rechtslebens, zurückgegriffen, wobei Schriftzeugnissen eine hohe Verlässlichkeit zuerkannt wird. Inhaltlich zeigt sich der Text offen für zeitgenössische Diskurse zum Judenrecht und zum Zusammenhang von Recht und guter Herrschaft, wobei die Reflexionen über Herrschaft und Recht sich nicht notwendig aus der Handlung ergeben und deshalb auf ein dezidiertes Interesse an der Darstellung dieses Themenkomplexes schließen lassen. Heilsgeschichtliche Fragen werden berührt und mit rechtlichen Aspekten verknüpft, wenn aus der Erzählung historisch verständlich wird, warum es ein spezielles Judenrecht gibt, wie es den Zeitgenossen vertraut gewesen sein dürfte. Die für die Kerntexte spezifische Verklammerung der Problemkomplexe ist jedoch gelöst: Parallelen zwischen göttlichem und menschlichem Recht klingen zwar an, aber Gott ist als Referenzrahmen für irdisches Recht so gut wie nicht präsent, Jesus selbst scheint sich sogar an Prinzipien der juristischen Be- 485 Worin die Normübertretung besteht, wird nicht explizit gesagt, aber für Pilatus kann man vermuten, dass das unrechte Richten gemeint ist. Vgl. die Aussage Stephans (vv. 1462-1464): ‘daran ist Caypha schuldig an, / und Pylatus durch der juden pet / mit gericht gar unrecht tet.’ 486 Politische Klugheit (verstanden als „Rationalitätstyp des Prudentiellen“, vgl. Hasebrink 2000, S. 262) scheint auch an anderen Textstellen als Handlungsmotivation auf, wenn etwa der Bischof, der auf Bitten ,König‘ Konstantins den Leichnam Stephans herausgeben soll, ausdrücklich formuliert: ‘ es ist güt / das man des chunigs wiln tüt, / wann in seinem chünichreich / sind unsre le̋ wt te̋ gleich. (vv. 3629-3632). 487 Augustus wird in Sankt Stephans Leben als König eingeführt, der die Stadt Calcedonia belagert, weil sie christlich ist (vv. 3785-3799). Die Namen sind aus der Translatio Constantinopolim (BHL 7858; PL 41, col. 820) übernommen, wo Figur und Ort aber anders funktionalisiert sind. Die negative Zeichnung eines Herrschers namens Augustus in Sankt Stephans Leben ist ungewöhnlich. Zum positiven Augustus-Bild in anderen deutschen Texten des Mittelalters vgl. Kern 2003. 488 Aus der Perspektive der zu Schiff verfolgten Christen sind die Leute des Augustus und er selbst Räuber (vv. 3918-3930). Der Teufel hatte Augustus hingegen eingeflüstert, dass die Schreine auf dem Schiff der Christen vor recht ihm zustünden (vv. 3900-3903). Das wird später vom Bischof in seiner Missionsrede an das Volk des Augustus als Lüge entlarvt (vv. 4072-4079). 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 371 weisführung halten zu müssen, wenn er die Simeonsöhne durch rechtes not (v. 170) wieder zum Leben erweckt. Für die vorbildlichen Herrscher ist das Recht offenbar als abstrakte Größe bzw. als schriftlich kodifiziertes Regelwerk Verhaltensmaßstab, denn von Tiberius wird gesagt, dass er dem recht […] undertan (v. 2066) war (ohne dass das Recht weiter legitimiert wird), und von Theodosius, dass unter seiner Herrschaft Rechtsbrüche vor Gericht so geahndet worden seien, als es auch gescriben was (vv. 4484-4486). Nur die triuwe , die einen besonderen ethischen Wert auch für das Verhältnis der Menschen zu Gott hat, ist als auf Gott zurückgehendes recht eingeführt (v. 1). Sonst wird auch auf der Bezeichnungsebene klar zwischen Religion ( ee ) und dem Recht ( recht ) unterschieden, das zwar christlich ausgerichtet sein kann ( christenleich recht , v. 4188), jedoch nicht im Einzelnen von Gott hergeleitet wird. Obwohl die Darstellung der Ereignisse in Sankt Stephans Leben wie die in den Kerntexten die rechtlichen Aspekte des Geschehens besonders gewichtet, bestehen deutliche Unterschiede. Sie sind nicht allein auf die veränderten Inhalte zurückzuführen, wie die Gestaltung der Bestrafung ,der Juden‘ in Sankt Stephans Leben zeigt, bei der herrscherliches Rechtshandeln beinahe ebenso wichtig ist wie der eigentliche Bestrafungsakt. Das Interesse an der Rechtsthematik hat sich von heilsgeschichtlichen Fragen verschoben auf eine gute Regierungsführung, zu der auch gerechtes Richten gehört. Gewiss kann man für die Verschiebung des Schwerpunkts nicht ausschließlich das spätere Entstehungsdatum des Werks verantwortlich machen, aber es hat offenbar Entwicklungen wie die zunehmende Institutionalisierung von Herrschaft 489 in sich aufgenommen. 6.5.4 Ausblick: Der Überlieferungskontext von Sankt Stephans Leben Sankt Stephans Leben ist heute Teil einer in der Berliner Staatsbibliothek befindlichen Handschrift (Mgf 1278,1-4), die zwischenzeitlich getrennt in vier Teilen aufbewahrt wurde, wie die moderne Blattzählung noch erkennen lässt: Foll. 1-50 (ehem. Cheltenham, Bibl. Phillippica, Cod. 11 855) überliefern ,Rechte und Freiheiten der Stadt Wien‘, der nächste Teil, foll. 1-6 (ehem. Cheltenham, Bibl. Phillippica, Cod. 11 857), 490 ,Der Herzöge Wilhelm, Lewpolt, Ernst und Friedrich von Oesterreich Teilung‘ (vom 22. November 1396) und ,Gravamina, vermutlich des Herzogs Friedrich von Österreich gegen seinen Bruder Herzog Ernst den Eisernen‘. Das Ende der ‚Gravamina‘ findet sich auf fol. 1r des dritten ehemals separat gebundenen Teils foll. 1-47 (ehemals Cheltenham, Bibl. Phillippica, Cod. 11 854), der ab fol. 1v ausschließlich Sankt Stephans Leben überliefert. Abgeschlossen wird die Handschrift mit De algorismo (dt. [A]) des Johannes de Sacrobosco, foll. 1-8 (ehemals Cheltenham, Bibl. Phillippica, Cod. 11 856, zwischenzeitlich Privatbesitz Antiquariat Martin Breslauer, Berlin, ohne Sign. [e]). Die einzelnen Teile wurden von verschiedenen Händen geschrieben; über die Lagenstruktur lässt sich jedoch zweifelsfrei nachweisen, dass die drei letzten Teile (ehemals Cod. 11 857, 11 854 und 11 856) ursprünglich zusammengehörten. 491 Der erste Teil 489 Vgl. Willoweit 2013, S. 86-102 (mit weiterer Literatur). 490 Vgl. Degering 1917, S. 63-67. S. auch den Eintrag im Handschriftencensus . Degering (ebd.) gibt für die ,Rechte und Freiheiten‘ jeweils die Initien und verweist in den meisten Fällen auf Tomaschek (1877-1879), der die entsprechenden Texte nach anderen Handschriften, vor allem dem Wiener Eisenbuch , ediert hat. Vgl. aber auch die Ausgabe von Wiener Rechtsquellen, die von Csendes (1986), soweit möglich, auf der Basis von Originalurkunden erstellt worden ist. 491 Vgl. Degering 1917, S. 63 f. 372 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen (ehemals Cod. 11 855) ist lagentechnisch selbstständig, doch ist an Abnutzungsspuren und einem Pergamentfalz erkennbar, dass er den ersten Teil einer Handschrift gebildet hat. Da im heutigen Codex durchgehend italienisches Papier vom Ende des 14. Jahrhunderts verwendet worden ist, 492 ist es wahrscheinlich, dass die ,Rechte und Freiheiten der Stadt Wien‘ auch den ursprünglichen Codex eröffnet haben. Möglicherweise sind die Texte über eine längere Zeitspanne hinweg eingetragen worden; einen terminus post quem für die Aufnahme von Sankt Stephans Leben bietet das in Teil 2 (ehem. Cod. 11 857) genannte Jahr 1396. Besitzvermerke in der Handschrift wurden (zu einem unbekannten Zeitpunkt) absichtlich getilgt, sodass eventuelle Hinweise auf Besitzer aus der oberösterreichischen Adelsfamilie von Stainböck nicht gesichert werden können. 493 Möglicherweise könnte die Zusammenstellung der Texte weitere Indizien liefern: Warum wurden zum Beispiel im ersten Teil der Handschrift (,Rechte und Freiheiten der Stadt Wien‘) zusammen mit einer Verordnung aus dem Jahr 1396 über die jährliche Neuwahl des Bürgermeisters und Rats in Wien ausgerechnet die Ergebnisse der Bürgermeister-, Richter- und Ratswahl am 7. August 1322 nachgetragen? Das Programm der Handschrift - wenn sich denn ein solches ausmachen lässt - bedürfte genaueren Studiums, auch die Auswahl der ,Rechte und Freiheiten‘. Einen offensichtlichen Charakter hat die Fokussierung auf die Stadt Wien, denn einen Bezug zu Wien haben nicht nur die ,Rechte und Freiheiten‘, sondern - wegen des dortigen Stephanuskults - auch Sankt Stephans Leben . Diese beiden Teile der Handschrift zeigen auch inhaltliche Bezüge im Bereich des Rechts, doch ist es angesichts der unsicheren Genese der Zusammenstellung von Texten in diesem Codex insgesamt problematisch, ihn als Sinneinheit zu betrachten. 494 Bei der Rezeption können trotzdem Bezüge zwischen den Texten aktiviert werden. Dass die Texte in der Handschrift in der Praxis so rezipiert wurden, ist zu bezweifeln, denn Sankt Stephans Leben scheint in Mgf 1278 überhaupt nicht gelesen worden sein; jedenfalls wurde keiner der sinnentstellenden Fehler korrigiert. Wenn trotzdem im Folgenden exemplarisch de facto vorhandene Korrespondenzen aufgezeigt werden, geschieht das aus einer anderen Motivation heraus: Die Mitüberlieferung von Sankt Stephans Leben bietet mehr oder weniger zufällig eine Auswahl von Rechtstexten aus dem 13. und 14. Jahrhundert, wie man sie ähnlich auch für die Produktion und Rezeption des Textes im 14. Jahrhundert als ,Hinterland‘ annehmen kann. Wenn Sankt Stephans Leben in Passau entstanden ist - und das ist wegen des dezidierten Bezugs zum dortigen Bischofshof wahrscheinlich (vv. 10-34; 5224-5243) - war das rechtliche Umfeld allerdings dort ein anderes als in Wien. Die Unterschiede dürften zwar bei den im Folgenden herausgegriffenen Punkten zu vernachlässigen sein, doch gebietet die methodische Vorsicht, die Analyse streng auf eine hypothetische Lektüre der Handschrift zu beschränken - mit dem Hintergedanken, dass Sankt Stephans Leben im Entstehungsumfeld in einem entsprechenden Netz von Bezügen gestanden haben könnte. Performativ ist für den Rezipienten in Mgf 1278 zuallererst die Schriftlichkeit des Rechts wahrnehmbar, u. a. in der Form von Abschriften kaiserlicher Verbriefungen (z. B. fol. 37rb im ersten Teil der Handschrift), wie sie in Sankt Stephans Leben aufgerufen werden. Bereits 492 Vgl. Degering 1917, S. 63. Aus seiner Beschreibung ist nicht ersichtlich, ob die Glocken-Wasserzeichen, von denen er spricht, auch im ersten Teil der Handschrift nachzuweisen sind. Hier wäre eine erneute Wasserzeichenuntersuchung geboten. 493 Vgl. Degering 1917, S. 64. 494 Vgl. aber Kranich-Hofbauer (2010) dazu, dass nicht nur bei Sammelhandschriften, sondern auch bei nachträglich zusammengesetzten Handschriften ein Gestaltungswille erschlossen werden kann. 6.5 Hawich der Kellner, Sankt Stephans Leben 373 die Überschriften der einzelnen Einträge der ,Wiener Rechte und Freiheiten‘ 495 lassen ein Spektrum erkennen, das neben dem Wiener Stadtrecht insgesamt die Rechte einzelner Gruppen ( diener , fol. 27vb; chaufflewt , fol. 47ra; vgl. die Rubriken) und Regelungen zu Abgaben, insbesondere Zöllen, umfasst. Es wird also eine Rechtswelt entworfen, in der das Strafrecht nicht im Vordergrund steht, das subjektive Recht einzelner Gruppen und wirtschaftliche Regelungen aber einen großen Raum einnehmen. Vor diesem Hintergrund dürften die (unter religiösen Vorzeichen) detaillierten Ausführungen zu den Zinszahlungen in Sankt Stephans Leben als selbstverständlicher Bestandteil des Rechtslebens erschienen sein. Solche Korrespondenzen liegen auf einer sehr allgemeinen Ebene. Das trifft ebenso für Angaben zum Ort der Gerichtsverhandlung in der Erzählwelt und in den ‚Wiener Rechten und Freiheiten‘ zu: So wird in Sankt Stephans Leben gesagt, Jesus sei in dy schrann (v. 282) geführt worden. Im Ratsbeschluss über die Bezahlung der Heimsteuer vom 22. März 1351 (fol. 26va-b) heißt es, dass sie unter bestimmten Umständen (mit Vorsprecher) in der schranne zwisch ( e ) n den / vier penkchen (fol. 26vb, Z. 2 f.) eingefordert werden müsse. 496 Die Übereinstimmungen signalisieren die mögliche Kontextualisierung des Erzählten im zeitgenössischen Umfeld. Konkretere inhaltliche Berührungspunkte ergeben sich hinsichtlich der Gerechtigkeitsideale, die in Sankt Stephans Leben als Gleichbehandlung aller, der Armen wie der Reichen (vv. 1294 f. über Tiberius), der Jungen wie der Alten (vv. 4481-4487 über Theodosius), formuliert sind. In der Urkunde der Herzöge Wilhelm, Leopold und Albrecht IV . vom 24. Februar 1396, von der sich in Mgf 1278 (fol. 50rb-va) eine Abschrift findet, werden die jährliche Bürgermeisterwahl und die Besetzung des Rates geregelt: Als Ratsmitglieder sollten Leute gewählt werden, die got vor aug ( en ) vnd das recht / lieb haben (fol. 50rb, Z. 21 f.) und die / vns vnd reich ( en ) und armen vn ( ser ) stat hie / zvo wienn nütz vnd guet sein vnd das / auch yedem gelaich vnd recht / geschech (fol. 50vb, Z. 25-29). 497 Während hier die Ratsmitglieder gemeint sind, sind es in Sankt Stephans Leben die römischen Kaiser, die die Ideale verkörpern. 498 Schließlich wird in der Übersetzung des zweiten Privilegs von König Rudolf I. für Wien vom 24. Juni 1278 (foll. 40ra-46ra) bei der Erläuterung des Ämterverbots für Juden ein Begründungszusammenhang skizziert, der in Sankt Stephans Leben narrativ entfaltet ist: wann chayserleich / gewalt von alten zeit ( e ) n zu / rache der begang ( e ) n sund den / selb ( e ) n juden ewig ( e ) n dienst auf / gesatzt hat (fol. 41ra, Z. 8-12; Rubrik nicht mitgezählt). 499 Der 495 Vgl. Degering 1917, S. 64-66. 496 Vgl. auch Csendes 1986, Nr. 23, S. 127 f., hier S. 128. 497 Vgl. Csendes 1986, Nr. 46, S. 199 f., hier S. 199. Die bereits auf das mosaische Gesetz zurückgehende Forderung der Gleichbehandlung von Arm und Reich (Lv 19,15) bzw. des Richtens ohne Ansehen der Person (Dt 16,18-20) begegnet auch häufig in Eidesformularen für Richter und Ratsherren (vgl. dazu Scheyhing 1960, S. 183). 498 Bei dem gewählten (! ) Richter Gaudein spielt auch dessen Christ-Sein eine Rolle, aber in der Erzählung in dem Sinn, dass sein Christentum vom Juden- und Heidentum abgegrenzt wird (vv. 3131-3181). Was Gaudeins Bereitwilligkeit angeht, für das Gemeinwesen tätig zu werden, stellt der Erzähler einen expliziten Gegenwartsbezug her: es was als man noch sicht: / ein weiser man der wert s ich [in der Handschrift steht sy ] nit / davon er güt und ere hat, / wan das wër ein missetat. (vv. 3175-3178). 499 Vgl. Csendes 1986, Nr. 13, S. 82-90, hier Art. 3, S. 83 f.; für die lateinische Version vgl. ebd., Nr. 12, S. 74-82, hier Art. 3, S. 75. Die Zurückführung des Ämterverbots auf eine vom Kaiser vorgenommene Bestrafung für das von ,den Juden‘ begangene Unrecht geht bereits auf das Privileg Kaiser Friedrichs II. vom April 1237 zurück (vgl. Lohrmann 1990, S. 42 f.). Zur grundsätzlichen Orientierung des 374 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Erzähltext schiebt in der Handschrift also in gewisser Weise eine historisch-religiöse Vertiefung dieser Erklärung nach. Wie die Stichproben zeigen, materialisieren sich innerhalb des Codex Formen des Gegenwartsbezugs, wie sie auf der Grundlage des Textes von Sankt Stephans Leben vermutet wurden. Selbst die ,historische‘ Erklärung des Judenrechts kann als Referenz auf das Rechtsleben der Zeit verstanden werden. 6.6 Neukomposition tradierter Textelemente: Zu thematischen und motivischen Gestaltungsspielräumen Wie im Einzelnen dargelegt, stehen die hier unter ,Rezeptionszeugnisse‘ zusammengefassten Texte in einem unterschiedlichen Verhältnis zu den als Kerntexten untersuchten Werken Diu urstende , Christi Hort und Evangelium Nicodemi : Eine direkte Rezeption ist nur beim ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk für Christi Hort und bei Sankt Stephans Leben für Diu urstende zu sichern; bei der Weltchronik Heinrichs von München (sowie der davon abhängigen Neuen Ee ) und wahrscheinlich auch bei der Prosafassung E sind Zwischenstufen anzusetzen. Bedingt durch die Gattungsverschiedenheit der Rezeptionszeugnisse, 500 aber auch durch das jeweilige Erzählinteresse ist das Geschehen - trotz Beibehaltung wesentlicher Elemente aus der Handlung der Kerntexte - teilweise thematisch anders ponderiert worden. Ungeachtet aller Unterschiede ist jedoch als Gemeinsamkeit festzuhalten, dass jeweils Auseinandersetzungen mit den in den Kerntexten aufgeworfenen rechtlichen Fragen wie dem richtigen Verhalten vor Gericht oder der Wahrheitsfindung greifbar sind. Die in diesem Kapitel analysierten Texte dokumentieren damit für das 14. und 15. Jahrhundert insgesamt eine produktive Rezeption der Kerntexte auf die in Kapitel 5 entfalteten Problemkreise hin. Damit soll nicht behauptet werden, dass jede Auseinandersetzung mit Rechtsfragen in den ,Rezeptionszeugnissen‘ von den Kerntexten angestoßen sein muss. Wenn markante Motive aus den Kerntexten wieder auftauchen, besteht jedoch am (möglicherweise indirekten) Rezeptionscharakter dieser Übernahmen kein Zweifel; das gilt zum Beispiel für die Ausführungen des Pilatus zum gerechten Richten in der Weltchronik (und der Neuen Ee ), in der Prosafassung E und in Sankt Stephans Leben , die auf die Darstellung in Diu urstende zurückgehen, oder auch für die Gerichtsverhandlung über Pilatus in der Pilatus-Veronika- Legende des ( Klosterneuburger ) Evangelienwerks , die sich auf die Ausgestaltung in Christi Hort zurückführen lässt. Thematische Korrespondenzen - wie der Schwerpunkt auf wârheit in der Prosafassung E und in Sankt Stephans Leben - könnten durch den Stoff mit bedingt sein; eine, unter Umständen nicht unmittelbare, Auseinandersetzung mit der Wahrheitsthematik in Diu urstende ist jedoch zumindest wahrscheinlich. Für die Rezeptionszeugnisse, zweiten rudolfinischen Privilegs an dem von 1237 vgl. Csendes (ebd., S. 15), der auch dessen Text und die deutsche Übersetzung ediert hat (Nr. 5 f., S. 39-47). 500 Relativ eindeutig ist die Gattungszuordnung bei dem mit dem Namen Heinrich von München verbundenen Werk als Weltchronik, der Neuen Ee als Historienbibel und bei Sankt Stephans Leben als Verslegende (wobei die Schilderung historischer Entwicklungen die legendarischen Elemente streckenweise an den Rand drängt). Die Prosafassung E lässt sich am ehesten als erweiterte Übersetzung klassifizieren und das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk mit seinen übersetzenden und auslegenden Passagen stellt einen Text sui generis dar. 6.6 Zu thematischen und motivischen Gestaltungsspielräumen 375 die von der Anlage der Handlung her mit den Kerntexten übereinstimmen, 501 ergibt sich auf thematischer Ebene, dass die komplexen Modelle von göttlichem und menschlichem Recht, wie sie im Evangelium Nicodemi entfaltet sind, dort weniger Niederschlag gefunden haben als die Wahrheitsproblematik und rechtsethische Aspekte. Dafür ist das in den Kerntexten im Rahmen der Prozessschilderung weitgehend unterdrückte Paradox, dass ,Gott‘ vor Gericht steht, in der Londonder Marienleben -Handschrift und im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk in Zusammenhang mit der Gerichtsverhandlung explizit gemacht worden. Bleibt bei solchen Neuakzentuierungen der Nachweis, dass sie (auch) eine Reaktion auf den Befund in den Kerntexten darstellen, schwierig, gilt das nicht in gleicher Weise für die Gestaltung des Abschlusses der Gerichtsverhandlung gegen Jesus: Die Autoren bzw. Redaktoren scheinen sich an dem Verhaltensumschwung des Pilatus in den Kerntexten abgearbeitet zu haben, wie die Erklärungsversuche in der Weltchronik , im Wiener Fragment und im ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk vermuten lassen. Mit der Bestechlichkeit des Pilatus ist eine in der Erzähltradition bereits präsente ,Lösung‘ aktiviert worden, die das Geschehen - inklusive der aus den Kerntexten übernommenen Handlungselemente - zugleich explizit in den Kontext der Richterethik stellt. Damit ist zwar nicht bewiesen, dass bereits die Kerntexte in diesem Bezugsrahmen zu lesen sind, aber die in den Rezeptionszeugnissen fassbare Zuordnung der Prozesskonstellation zu diesem Problemkreis legt es nahe. Was die Ausgestaltung der Gerichtsverfahren angeht, so sind die in den Rezeptionszeugnissen meistenteils beibehaltenen Motive aus den Kerntexten in der Regel nicht signifikant umgestaltet worden, auch nicht bei den chronologisch späten Texten wie der Neuen Ee . Zwar lassen sich leichte Verschiebungen ausmachen, wenn etwa der Akzent in der Prosafassung E weniger auf der Vertrauenswürdigkeit der Zeugen als auf der Beweiskraft ihrer Aussage liegt, doch sind die Grundkonstellationen aus den Kerntexten erhalten geblieben. Während man versuchen kann, die Verfestigung der verfahrensrechtlichen Motive bei den älteren Rezeptionszeugnissen damit zu erklären, dass die Referenzen auf das zeitgenössische Rechtsleben noch Geltung gehabt haben dürften, scheidet diese Hypothese für die jüngeren Zeugnisse aus. Wahrscheinlich ist die motivische Konstanz auch bei den älteren Rezeptionszeugnissen eher mit der Technik der Kompilation und der Prosafizierung in Verbindung zu bringen. Es dürfte kein Zufall sein, dass Sankt Stephans Leben hinsichtlich des Umgangs mit vorgeprägten Mustern eine Ausnahme bildet: Dort sind selbst die an Diu urstende angelehnten Szenen unter dem neuen Vorzeichen der Schriftlichkeit umgearbeitet worden. Sankt Stephans Leben ist außerdem der einzige Text, bei dem eine konkretere Bezugnahme auf zeitgenössische rechtliche Regelungen (z. B. der rechtlichen Stellung der Juden oder der Abgabenpflicht) nachzuweisen ist. Zwar lässt der Handlungsablauf mehr Freiräume als die Passionsgeschichte selbst, jedoch betreffen die Transformationen auch Szenen aus der Heilsgeschichte, die durch das Nikodemusevangelium eine quasi-kanonische Qualität bekommen hatten. Deshalb ist anzunehmen, dass die Unterschiede zu den anderen Rezeptionszeugnissen nicht zuletzt mit der Textgattung der Heiligenlegende - im Unterschied zu chronikalischen und exegetischen Texten - zusammenhängen. In der relativ freien Verfügung über das Material ist Sankt Stephans Leben mit Diu urstende verwandt. Obwohl Christi Hort und das Evangelium Nicodemi näher am Plot ihrer 501 Dass hinsichtlich der Rechtsthematik bei narrativen Texten ohne kanonische Vorlage mit einer besonderen Produktivität zu rechnen ist, zeigt Sankt Stephans Leben , denn hier werden auch unabhängig von (bekannten) Vorlagen Aspekte der Rechtsordnung thematisiert (z. B. anhand der wohl fiktiven Gaudein-Figur). 376 6 Neuperspektivierung der Rechtsfragen in Rezeptionszeugnissen Quellentexte bleiben, waren dort ebenfalls Freiheiten bei der Ausgestaltung rechtlicher Handlungsabläufe ( Christi Hort ) bzw. von Figurenreden ( Evangelium Nicodemi ) zu konstatieren. Blickt man von den Rezeptionszeugnissen (abgesehen von Sankt Stephans Leben ) zurück auf die Kerntexte, zeigen sich diese Spielräume bibelepischen Erzählens in besonderer Deutlichkeit. Das Resultat dieser gestalterischen Freiheiten, die es erlaubt haben, dass das Gerichtsverfahren gegen Jesus bzw. das gegen Pilatus - über eine bloße aktualisierende Übersetzung hinaus - teilweise an das ,deutsche‘ Recht angepasst wurde, fand offenbar eine solche Akzeptanz, dass die motivische Ausgestaltung der rechtlichen Elemente wie auch die kulturelle Transformation von Einzelzügen aus dem Nikodemusevangelium bei der produktiven Rezeption der Kerntexte übernommen wurden. In den Rezeptionszeugnissen bleibt die hybride Kombination von Aspekten des römischen und des ,deutschen‘ Rechts erhalten, wobei die Weltchronik und das ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk eine verstärkte Erläuterung römischer Sitten zeigen, wie sie in den Kerntexten ebenfalls angelegt war. Die Schwerpunkte haben sich von transformierender Aneignung zu einer expliziten Kommentierung verschoben. Wenn die Rezeptionszeugnisse auch in der Stoßrichtung, das Geschehen für einen zeitgenössischen Rezipienten plausibel zu machen, mit den Kerntexten vergleichbar sind, ist der Zugriff auf die Erzähltradition bei den Kompilationen und Prosafassungen doch ein grundsätzlich anderer als bei den bibelepischen Kerntexten (und Sankt Stephans Leben als Heiligenlegende). Zwar setzen auch diese Rezeptionszeugnisse inhaltlich eigene Schwerpunkte, etwa wenn in der zweiten Sentlinger-Redaktion (H12) die politische Dimension des Prozesses gegen Jesus betont wird oder wenn durch die Ausgestaltung des Bestechungsmotivs das Verhalten des Pilatus vereindeutigt ist, sie erreichen das aber vor allem durch selektive Kompilation 502 autoritativer Quellen, zu denen die Kerntexte offenbar aufgerückt sind. Mit ihrer kompilatorischen Technik bilden die Rezeptionszeugnisse eine Kontrastfolie, vor der im Folgenden die Poetologie der bibelepischen Kerntexte genauer konturiert werden kann. 502 Wie die Einzelanalysen gezeigt haben, sind kleinräumige Umgestaltungen dabei nicht ausgeschlossen. 6.6 Neukomposition tradierter Textelemente: Zu thematischen und motivischen Gestaltungsspielräumen 377 7 Jesus und das Landrecht: Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens „Rechtspraxis und Heilsgeschichte“ - unter diesem Titel veröffentlichte Norbert H. Ott 1983 seine grundlegende Studie zum deutschen Belial , in der er einerseits zeigt, wie Heilsgeschichte im Format eines Prozesses nach kanonischem Recht verhandelt wird, und andererseits, wie der Text in der Überlieferung als ordo iudiciarius eine Orientierungsfunktion für die Rechtspraxis erfüllte. 1 Das Verhältnis von „Rechtspraxis und Heilsgeschichte“ ist für die hier näher betrachteten Kerntexte ebenfalls relevant, da sie für das Erzählen von Heilsgeschichte auf Elemente der zeitgenössischen Rechtspraxis zurückgreifen; allerdings nimmt die Verrechtlichung der Heilsgeschichte im Belial grundsätzlich andere Formen an als in Diu urstende , Christi Hort und im Evangelium Nicodemi : Zwar sind auch für den Belial die im Nikodemusevangelium geschilderten Ereignisse der Ausgangspunkt, 2 doch ist nicht etwa der dort berichtete Prozess gegen Jesus ausgestaltet, sondern es ist ein fiktiver Prozess konstruiert, in dem der Teufel vor dem göttlichen Gericht Jesus wegen des im Rahmen der Höllenfahrt vorgenommenen ,Seelenraubes‘ anklagt. Die Erzählung von diesem fiktiven Prozess weist zeitgenössisch-alltagsweltliche Vereinnahmungen des Göttlichen auf, wie sie sich ähnlich auch in den Kerntexten finden, wenn es etwa im deutschen Belial heißt, dass Gott mit den Vierundzwanzig Alten in seinem ,Rathaus‘ sitze, oder erörtert wird, welchem Bistum Christus angehöre, weil das für die Wahl des Prozessortes relevant sei. 3 Gravierende Unterschiede zu den drei bibelepischen Texten bestehen jedoch in der Darstellung des Verhältnisses von ,Gott‘ und ,Recht‘; denn Gottes Funktion als oberster Richter ist im Belial für die gesamte Prozesshandlung prägend (selbst wenn er sich von Salomon vertreten lässt), 4 da der Belial-Prozess mit einem Schiedsspruch endet, der auf das Jüngste Gericht vorausweist. 5 Außerdem wird die Rolle Jesu im Heilsplan durchgehend präsent gehalten: Sowohl seine Marter als auch sein Eindringen in die Hölle erscheinen als Konsequenzen vorangegangener göttlicher Urteile. 6 Dass die Passion Jesu Folge eines göttlichen Urteils sei, wird zwar auch im Exkurs zu den Kreuzesworten Jesu im Evangelium Nicodemi Heinrichs von Hesler (vv. 2148-2156) zur Sprache gebracht, 7 doch tritt der heilsgeschichtliche Rahmen bei der Schilderung des Prozesses gegen Jesus dort wie auch in Diu urstende und in Christi Hort gegenüber dem Interesse an den innerweltlichen rechtlichen Abläufen ganz in den Hintergrund (obwohl dieser Rahmen für die Gesamttexte jeweils relevant ist). 1 Vgl. Ott 1983a. Für einen Überblick über die lateinischen und deutschen Fassungen vgl. auch dens. 1983b. Zur Einordnung des Belial in das Genre der Teufelsprozesse vgl. Schumann 2011, S. 125-132; 2012. 2 Zum Nikodemusevangelium als Quelle vgl. Ott 1983a, S. 41; Zapf 2011a, Sp. 336. 3 Vgl. Ott 1983a, S. 43; 45. 4 Vgl. Ott 1983a, S. 46-49. 5 Vgl. Ott 1983a, S. 129-133; Schild 1985, S. 10. 6 Vgl. Ott 1983b, S. 95-97 (zur executio des göttlichen Urteils durch Christus); 119-122 (zum Streit der vier Töchter Gottes). 7 S. dazu o. S. 169. 378 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens Auch wird der Zusammenhang zwischen ,Gott‘ und ,Recht‘ in der Prozesshandlung der Kerntexte vordergründig kaum thematisiert, anders als zum Beispiel später in dem Christi Hort rezipierenden ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk , wo der Kontrast zwischen Jesu Position als Weltenrichter und seiner Rolle als Angeklagter vor dem Richter Pilatus betont ist. 8 Die auffällig affirmierende Darstellung des Rechtssystems, die (in Christi Hort und im Evangelium Nicodemi ) durch die spätere Ahndung des Fehlverhaltens des Richters Pilatus ein besonderes Gewicht bekommt, hängt jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach mit der Annahme der göttlichen Legitimation des Rechts zusammen, auf die durch Bezugnahmen auf die entsprechend legitimierte zeitgenössische Rechtsordnung indirekt verwiesen wird. Die rezeptionsorientierte Analyse hat deutlich gemacht, dass die Texte auch als Stellungnahmen zu rechtsethischen Fragen zu lesen sind, die zu deren Entstehungszeit aktuell waren. Darin besteht ihre ,Realitätsreferenz‘, nicht in einer mimetischen Abbildung der zeitgenössischen Rechtspraxis. 9 Das Bedeutungsverhältnis von , Jesus‘ und dem ,Landrecht‘ im Sinne von ,Gott‘ und ,Recht‘ war für die Kerntexte nur unter Rückgriff auf eine andere Lesart des Begriffspaars zu bestimmen: die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit (,Landrecht‘) in ihrer Funktion für den sakralen Stoff (, Jesus‘). Lassen sich die inhaltlichen Implikationen der Realitätsreferenz von Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi klar benennen, sind die poetologischen Implikationen dieser Darstellungsweise wesentlich schwieriger zu fassen, auch wenn sich das implizite Verweisen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit in diesen Texten - im Vergleich mit ihren Rezeptionszeugnissen, die eher kompilierend oder explizit kommentierend auf das Material zugreifen - als Spezifikum der Textgruppe bestimmen ließ. Die zu beobachtende Nähe der Kerntexte zum legendarischen Erzählen (wie sie bei der Rezeption von Diu urstende in Sankt Stephans Leben sinnfällig wird) lenkt den Blick zurück auf die grundsätzliche Frage, inwiefern die Kerntexte mit ihren apokryphen und legendarischen Anteilen unter dem Vorzeichen ,bibelepischen‘ Erzählens betrachtet werden können. 10 Abgesehen davon, dass die Aufnahme solcher Elemente geradezu ein Merkmal bibelepischer Texte im 13. Jahrhundert darstellt, wäre eine zu kategorische Trennung der Komponenten auch insofern problematisch, als in den Kerntexten kein grundsätzlicher Unterschied im Umgang mit kanonischem und apokryphem oder mit legendarischem Material zu konstatieren ist: Bei der Pilatus-Veronika-Legende steht jeweils die Geschichtlichkeit des Geschehens im Mittelpunkt, nicht das Transzendente des Wunders. 11 Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit finden sich nicht nur in ,apokryphen‘ Passagen, sondern auch an Stellen, an denen sich die Erzählung an den kanonischen Evangelien orientiert. 12 Die Zuordnung zur Bibelepik, die ihre Begründung in der durchgehenden Ausrichtung der Texte auf das in der Bibel geschilderte Heilsgeschehen hat, erscheint deshalb 8 S. dazu o. S. 342 f. 9 Dementsprechend verweisen die Versatzstücke aus der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit auch nicht auf einen Realismus-Charakter der Kerntexte. Vgl. dazu King (1999, S. 201) in Bezug auf den sog. ,York realist‘ (s. dazu o. S. 42; 269-271): „His technique is arguably not ‘realism’ so much as a mobilization of selected contemporary social forms and practices extrapolated from the biblical narrative material to locate it in the specific cultural community for which he wrote.“ 10 S. dazu o. S. 13, Anm. 20. 11 So sind die Heilungserzählungen jeweils knapp gehalten, vgl. Christi Hort , vv. 4297-4328; 5001-5030; Evangelium Nicodemi , vv. 4194-4218; 4505-4520. - Zum Spannungsverhältnis von Historisierung und Enthistorisierung in der Legende vgl. Strohschneider 2002, S. 114 f. 12 Vgl. z. B. Christi Hort , vv. 1751-1826, bes. 1817-1826. 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 379 gerechtfertigt. Als repräsentativ für bibelepische Texte überhaupt können die Kerntexte allerdings nicht angesehen werden, da sie durch die Bezugnahme auf die spezifische Historizität des Passionsgeschehens geprägt sind. 13 Die folgenden allgemeineren Überlegungen zur Poetologie, die ihren Ausgangspunkt von den Kerntexten nehmen, gelten also vor allem für bibelepische Texte auf der Basis der Evangelien. Wie zu Beginn dieser Arbeit prinzipiell für bibelepische Texte diskutiert, zeigen Diu urstende , Christi Hort und das Evangelium Nicodemi in der doppelten Bezugnahme sowohl auf die Texttradition als auch auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit strukturell Parallelen zu fiktionalen Texten - mit der Einschränkung, dass die Bezugsfelder nicht frei wählbar sind: 14 Die autoritative Erzähltradition kann nicht vollkommen umgestaltet werden, und dementsprechend kommen nur solche Bezugsfelder in Frage, für die es in der Erzähltradition einen Anknüpfungspunkt gibt. Die zeitgenössische Rechtsordnung als (punktuell berücksichtigter) Bezugsrahmen für den Prozess gegen Jesus ist dafür ein prototypisches Beispiel. Solche Einschränkungen der erzählerischen Freiheit hatten Bruno Quast (2009) zu der Frage veranlasst: Wie fiktional darf Bibeldichtung als besondere Form normativ gebundener Literatur sein? Bibeldichtung hat es stets mit der normierenden Größe des liturgisch-rituell festen Textes zu tun. Zugleich setzt sie sich als Gestalt literarischer Kommunikation vom Ritus ab, konstituiert sich hier allererst literarisches Erzählen. 15 Für eine Beantwortung dieser Frage wären zunächst die einzelnen Pole näher zu bestimmen: Woran lässt sich Fiktionalität festmachen bzw. bedeutet jede Integration außerbiblischen Materials eine Fiktionalisierung? Ist die Gegenüberstellung zwischen ,Ritus‘ und ,literarischer Kommunikation‘ tatsächlich geeignet, die Rahmenbedingungen bibelepischen Erzählens in Absetzung vom Bibeltext zu erfassen; stellt nicht bereits der Bibeltext eine Form literarischer Kommunikation dar? Die komplexen Problemzusammenhänge können hier nur schlaglichtartig beleuchtet werden, weil damit berührte Grundsatzfragen wie die nach der Alterität mittelalterlicher Fiktionalitätskonzepte und der Angemessenheit moderner Theorien für mittelalterliche Texte offen sind. 16 Nähert man sich der Frage nach der Fiktionalität von der modernen Theoriebildung her, so lässt sich in der vielstimmigen Diskussion Übereinstimmung dahingehend feststellen, dass sowohl bei fiktionalen als auch bei faktualen Texten eine Mischung faktischer und fiktiver Elemente konstatiert wird. 17 Auch wenn einige Theoretiker annehmen, dass der Anteil fiktiver Elemente und die Fiktionalität eines Textes in einer 13 Vgl. dagegen z. B. die dichterischen Bearbeitungen der ,Historischen Bücher‘ des Alten Testaments (exemplarisch dazu Feistner / Neecke / Vollmann-Profe 2007). 14 S. o. Kap. 1.3.3. 15 Quast 2009, S. 404. Er bezieht sich auf das Fiktionalitätskonzept Isers. Quast (ebd., S. 403-405) zählt zur Fiktionalisierung die stoffliche Anreicherung biblischer Geschichten, aber auch den Einsatz intertextueller Referenzen auf eindeutig literarische Texte. Zu dem der Bibeldichtung inhärenten „Konflikt zwischen den Verpflichtungen gegenüber den Forderungen des autoritativen Grundtextes und der Freiheit der dichterischen Eigenständigkeit“ vgl. grundlegend Prica (2010, Zitat S. 20), die den Schwerpunkt aber nicht auf den Aspekt der Fiktionalität legt. 16 Vgl. z. B. die unterschiedlichen Positionen von Reuvekamp-Felber 2013 und Glauch 2014 (2015). 17 Vgl. Zipfel 2001, S. 68-114; Blume 2004, S. 78-91; Kablitz 2013, S. 165-170; auch Harshaw (1984, S. 237) folgt dieser Grundannahme. Mit Zipfel (ebd., S. 19) wird zwischen der „ Fiktivität des Dargestellten “ und der „ Fiktionalität eines Textes “ unterschieden (vgl. dazu auch Gertken / Köppe 2009, S. 230 f.; Kablitz ebd.). 380 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens Korrelation stehen, ließen sich dennoch keine taxonomisch bestimmbaren Fiktionalitätssignale finden. 18 Als entscheidend für die Faktualität oder Fiktionalität eines Textes kann vielmehr angesehen werden, ob auf propositionaler Ebene ein Anspruch auf die Beschreibung der ,realen Welt‘ erhoben wird oder nicht bzw. ob dem Text ein solcher zugeschrieben wird. 19 Bibelepische Texte des Mittelalters dürften in ihren zeitgenössischen christlichen Rezeptionsgemeinschaften grundsätzlich als faktuale Texte rezipiert worden sein. 20 Von der Entscheidung über den Gesamtcharakter eines Textes hängt auch der Status der einzelnen Elemente ab: ,Reale Entitäten‘ (wie Orte) werden in einem dezidiert fiktionalen Text fiktionalisiert, auch wenn die Assoziationszusammenhänge aus der ,realen Welt‘ für die Konstruktion der fiktiven Welt relevant sind. 21 Umgekehrt werden sogar faktuale Alltagserzählungen mit fiktiven Dialogen ausgeschmückt, ohne dass sie dadurch ihren Anspruch auf Faktizität verlören. 22 Bei der Bezugnahme auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit in bibelepischen Texten sind die Verhältnisse besonders komplex: Hier werden unter anderem Elemente der zeitgenössischen Alltagswelt in eine autoritativ tradierte Erzählwelt integriert, wodurch die Funktion der unmittelbaren Beschreibung der zeitgenössischen ,realen Welt‘ aufgegeben wird. Die Texte beanspruchen jedoch, dass die darin ausgedrückte Wahrheit auch Geltung in der ,realen Welt‘ hat, 23 und zwar auch hinsichtlich der Historizität der geschilderten Ereignisse. 24 In einem solchen Zusammenhang können Referenzen auf die Erfahrungswirklichkeit in der Entstehungszeit der Texte dazu dienen, den ,Weltbezug‘ der Texte zu untermauern und so indirekt die Historizität zu plausibilisieren. Das scheint jedenfalls bei den hier analysierten Texten der Fall zu sein. Es geht also, wenn man es mit den Kategorien Isidors von Sevilla ausdrücken möchte, 25 nicht allein um eine verax significatio , sondern die bibelepischen Texte sind der Kategorie der historia zuzuordnen. 26 In ihrem deutenden Zugriff auf die Vergangenheit, der auch zu 18 Vgl. Chinca 2003, S. 309-311; Bareis 2008, S. 69-79. 19 Vgl. dazu z. B. (vor allem aus mediävistischer Perspektive) Müller 2004, S. 288; Kablitz 2013, S. 175 f.; Schneider 2013a, S. 63; Braun 2015, S. 92, jeweils mit weiterer Literatur. Zur Einordnung dieses pragmatisch orientierten Fiktionalitätskonzepts vgl. die Überblicke über Fiktionalitätstheorien bei Bareis 2008, S. 86-113; Gertken / Köppe 2009; Jannidis / Lauer / Winko 2009, S. 18 f. 20 Eine solche Klassifikation ist nicht unproblematisch, da der Geltungsanspruch biblischer Texte nicht immer an der propositionalen Ebene festzumachen ist, sondern an tiefere Sinnschichten gebunden sein kann. Zur Angemessenheit der Kategorie der ,Faktualität‘ für biblische Texte und zur Notwendigkeit eines erweiterten Faktualitätsbegriffs vgl. demnächst Manuwald 2018b. 21 S. dazu o. Kap. 1.3.2. 22 Vgl. Tannen 2007, S. 102-132. 23 Bei fiktionalen Texten hat die Entscheidung darüber, was in der fiktiven Welt wahr oder falsch ist, dagegen keine Relevanz für die ,reale Welt‘ (vgl. Bunia 2007, S. 66 [mit weiterer Literatur]; Kablitz 2013, S. 166-168). Zum „Wahrheitsgehalt fiktionaler Sätze“ vgl. auch Kutzer 2006, S. 108-124. 24 Bunias (2007, S. 143-147) bedenkenswerte Kategorie des ,Apologs‘, mit der er Texte (u. a. die Evangelien) erfassen möchte, die weder fiktional noch faktual sind und „zu einem Handeln oder Erkennen“ anleiten wollen, erscheint hier deshalb gerade nicht zutreffend. 25 Sie werden hier zur Klassifizierung herangezogen, ohne dass damit Rückschlüsse auf das Fiktionalitätsverständnis der hochmittelalterlichen Autoren impliziert sein sollen. Vor einer solchen Übertragung warnt zu Recht Reuvekamp-Felber 2013, S. 420. 26 Zu Isidors Kategorien vgl. zusammenfassend Epp 2003, S. 47-50; vgl. auch Knapp 1997. - Dass die Kerntexte als historia verstanden wurden, belegt auch ihre Integration in die Weltchronik Heinrichs von München, wobei darin auch Texte historisiert wurden, die nach modernem Verständnis eher dem fiktionalen Erzählen zuzuweisen wären oder zumindest trotz der historischen Verankerung des Stoffs eine solche Lektüremöglichkeit bieten (z. B. der Willehalm Wolframs von Eschenbach; vgl. dazu Kiening 1998; Shaw 2002). 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 381 Hybridisierungen von Vergangenheit und Gegenwart führt, fügen sie sich in das chronikalische Erzählen des Mittelalters ein. 27 Wie die neuere theologische Forschung herausgearbeitet hat, sind auch Teile der Bibel unter dem Vorzeichen chronikalischen Erzählens zu betrachten. 28 Unter Berufung auf Konzepte der ,hellenistisch reichsrömischen Geschichtsschreibung‘ 29 und ,Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion‘ 30 wurde die These aufgestellt, dass insbesondere die Evangelien als Geschichtserzählungen Vergangenheit rekonstruierten, indem sie Fakten auswählten, in einen Erzählzusammenhang brächten (,emplotment‘) und interpretierten. 31 Damit sei ihre historische Referentialität jedoch nicht aufgehoben, 32 zumal das Vorgefundene nicht hätte radikal verändert werden können. 33 Abgesehen vom chronikalischen Charakter der Evangelien wird in literaturwissenschaftlich geprägten Strömungen der theologischen Forschung auch hervorgehoben, dass biblische Texte als adressatenbezogene Erzähltexte zu lesen seien: 34 Poetisch sind sie [sc. die biblischen Texte] insofern, als es ihnen nie nur darum geht, Vergangenes zu beschreiben. Deshalb konnten die fiktionalen Texte, bei denen diese Funktion von vornherein aufgehoben ist, ihren besonderen Beitrag bei der Klärung dessen leisten, um welche „Wahrheit“ es in den Texten geht. Die biblischen Schriften sind auf die jeweilige Gegenwart der Lektüre ausgerichtet und gewinnen ihre Funktion darin, faktisch Gegebenes einer Überprüfung zu unterziehen, Orientierung zu geben und Möglichkeiten der Identifikation bereitzustellen. Dies trifft, wie gezeigt wurde, auch auf die nicht-biblischen poetischen Texte zu. Die unterscheidende Besonderheit der biblischen Texte jenen gegenüber besteht darin, dass sie der Dynamik des Transzendierens des Vorhandenen ein Ziel geben, dass sie Gott nennen und dass sie sie in den verschiedenen Textwelten vorstellbar machen. Als Teil des biblischen Kanons liest die christliche Gemeinschaft sie nicht als freie Imaginationen und Kompensierungen eines menschlichen Sicherheits- und Orientierungsbedürfnisses. Vielmehr werden sie als Reaktion auf den geschichtlich wirksamen Anruf Gottes verstanden, den die Texte deuten und darin die Welt wie die eigene Existenz in Beziehung zu diesem Gott setzen. 35 27 Aus der breiten Forschungsliteratur zum chronikalischen Erzählen im Mittelalter vgl. Epp 2003, bes. S. 49; Goetz 2003, bes. S. 242; Müller 2004, S. 286 f. 28 Nicht diskutiert wird im Folgenden, wie mittelalterliche Autoren die Bibel als „Paradigma der Geschichtsschreibung“ (Epp, 2003, S. 48) verstanden. 29 Vgl. Backhaus 2007. Lincoln (2000) liest das Johannesevangelium als antike Biographie (S. 369-378, vgl. auch 2015, S. 159 f.) bzw. als „history-like narrative“ (2000, S. 389-397), in der es vor allem auf Plausibilität ankomme, und sieht es als unnötig an, die Schicht der Fakten von der der narrativen Tradition zu trennen. 30 Vgl. Kutzer 2006, S. 152-156; Häfner 2007b. 31 Vgl. Häfner 2007a. 32 Vgl. Häfner 2007a, S. 108; Müllner 2008; Irsigler 2015, S. 28-30. Irsigler (ebd., S. 29) sieht gleichwohl (bezogen auf das Lukasevangelium ) in der „Evangeliumserzählung fiktionale Züge , Erzählverfahren und Inhalte impliziert“. Dass er auch einzelnen Textelementen einen fiktionalen Charakter zuschreibt, widerspricht dem eingangs (S. 23) formulierten Ansatz, dass Faktualität und Fiktionalität Kategorien seien, die sich „auf den textpragmatisch-kommunikativ vorausgesetzten Geltungsanspruch des Erzählten“ bezögen. 33 Vgl. Kutzer 2006, S. 152-156. 34 Vgl. z. B. Sternberg 1985; Frey 1992, S. 281-284; Irsigler 2015, S. 26-28. Zur Rezipientenorientierung der kanonischen Evangelien s. auch o. S. 11 f. 35 Kutzer 2006, S. 317. Bei ihren grundsätzlichen Ausführungen zur Konstruktion von Textwelten bezieht sich Kutzer (ebd., S. 140-177) u. a. auf das Mimesis-Konzept Ricœurs und Isers Überlegungen zur Referentialität und Rezeption fiktionaler Texte. 382 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens Bei einer solchen, durch postmoderne Theoriebildung geprägten Betrachtungsweise steht nicht die rituelle Verwendung biblischer Texte im Vordergrund, vielmehr ihre kommunikative Funktion. Vor diesem Hintergrund scheinen bibelepische Texte keinen Gegenpol zur Bibel zu bilden, sondern eher dort bereits angelegte narrative Verfahren weiterzuentwickeln. Die Integration von Verweisen auf außerbiblische Bezugsfelder könnte dann als interpretierendes ,emplotment‘ verstanden werden, das den Anspruch auf historische Geltung nicht tangiert. 36 Gewiss mutet die Annahme, Unterschiede zwischen den kanonischen Evangelien und bibelepischen Texten hätten im Mittelalter konzeptionell nivelliert werden können, anachronistisch an. Allein schon die Diskussionen über den Wahrheitsgehalt der Apokryphen 37 verweisen auf die Sonderstellung der kanonischen Evangelien. Allerdings lassen sich in bibelepischen Texten auch Selbstinszenierungen finden, bei denen das tihten über das Leben Jesu dezidiert in die Nachfolge der Evangelisten gestellt wird: In Avas Leben Jesu werden die Evangelisten nach dem Pfingstereignis von Petrus beauftragt, das Leben Jesu aufzuschreiben ( tihten unt scrîben / die christenheit lêren / de vita unseres herren , vv. 2196-2198) und das Evangelium zu predigen (vv. 2194-2208; 2253-2260). 38 Diese Verkündigung setzt Ava, so suggerieren es die gesammelten Dichtungen, mit ihrer eigenen Tätigkeit fort, denn diese ist im Jüngsten Gericht (vv. 393 f.) ebenfalls mit tihten bezeichnet. 39 Da im Leben Jesu die Schwerpunktsetzungen der einzelnen Evangelisten (vv. 2209-2252) benannt werden und gleichzeitig ein Bemühen erkennbar ist, in der eigenen Dichtung eine chronologische Lückenlosigkeit zu erreichen, 40 vermittelt sich insgesamt der Eindruck, die Evangelisten hätten aus einem Geschehenskontinuum zur Verkündung der Botschaft bestimmte Aspekte ausgewählt. Dass ein Bewusstsein von der Selektivität und Adressatenbezogenheit der Bibel keine Errungenschaft der modernen Forschung ist, lässt sich für die Evangelien auch an dem in der Spätantike erbittert geführten Streit über deren Widersprüchlichkeit 41 ablesen. Augustinus stellte Zweifeln an der Zuverlässigkeit der Evangelien seine Schrift De consensu 36 Zu entsprechenden Spielräumen der mittelalterlichen Heiligenlegende vgl. Vollmann 2003, S. 72: „Die Legende bezieht ihren Geltungsanspruch aus ihrer „historischen Wahrheit“. Die fest geglaubte historische Existenz des / der Heiligen verbietet jedoch nicht, zur Illustrierung des heiligmäßigen Lebens Züge aus anderen Heiligenviten oder auch aus der Erzählliteratur einzuflechten, die in der Verbindung mit der historischen Existenz des Heiligen selbst zur historia werden.“ Vgl. außerdem Glauch (2014 [2015], S. 105) zur ,funktionalen fictio ‘, die fiktionalitätsneutral sei (ähnlich Müller 2014, S. 213-216). Zu unterscheiden ist das Konzept des ,emplotment‘ als Einbettung des historischen Geschehens von dem des integumentum , bei dem der ,eingekleidete‘ wahre Kern vom Rezipienten über allegorische Interpretationsverfahren zu erschließen ist (zu den verschiedenen Ausformungen des integumentum -Konzepts vgl. grundlegend Bezner 2005; zusammenfassend Huber 2000). 37 Vgl. dazu z. B. Masser 1969, S. 16-31. 38 Die Dichtungen Avas werden nach der Ausgabe von Claußnitzer und Sperl (2014) zitiert. 39 Vgl. dazu Prica 2010, S. 211; 219; zustimmend Claußnitzer / Sperl 2014, S. XVII. Man wird die über das Verb tihten geschaffene Parallelisierung mit den Evangelisten zwar nicht überbewerten dürfen, da Avas Autorschaft spezifische Züge hat, wenn sie (als Autor-Ich) sagt, dass ihre Söhne ihr den sin vermittelt hätten, aber es scheint trotzdem gerechtfertigt, die Beziehung zu den Evangelisten herzustellen, weil das implizite Programm der Dichtungen Avas das auch den Evangelisten zugeschriebene tihten vom Leben Jesu ist. 40 Vgl. Quast 2005, S. 95-98; Prica 2010, S. 210 f.; 220 f. 41 Vgl. dazu Merkel 1971; 1978. 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 383 evangelistarum 42 entgegen, in der er sich in einer Betrachtung secundum historiam 43 unter anderem mit dem Problem auseinandersetzt, wie die Zeitstruktur der einzelnen Evangelien zu harmonisieren sei. 44 Seine Erklärungen sind theologisch geprägt, wenn er zum Beispiel argumentiert, dass die Reihenfolge der Ereignisse in den Evangelien von der tatsächlichen Reihenfolge abweiche, da die Evangelisten sie so erzählt hätten, wie Gott sie ihnen ins Gedächtnis gerufen habe (2,21,51). 45 Die beschriebenen Phänomene betreffen jedoch Grundbedingungen des Erzählens. 46 Das gilt auch für die Selektivität des Erzählten, auf die Augustinus in dem Bemühen zu sprechen kommt, die Widersprüche zwischen den Angaben bei Markus (15,25: hora tertia ) und Johannes (19,14: hora quasi sexta ) zum Zeitpunkt der Kreuzigung aufzuheben. 47 Augustinus argumentiert, es sei zwischen der ,Kreuzigung‘ durch die Forderung ,der Juden‘, Jesus zu kreuzigen, zur dritten Stunde und deren Ausführung durch die Hände der Soldaten zur sechsten Stunde zu differenzieren. Dazwischen sei ein über zwei Stunden währender Zeitraum des von ,den Juden‘ veranstalteten Tumults anzunehmen, während dessen Pilatus versucht habe, das Leben Jesu zu retten, indem er wiederholt nach dessen Schuld gefragt habe: Iam itaque conruat impia pertinacia et credat dominum Iesum Christum et tertia hora crucifixum lingua Iudaeorum et sexta manibus militum, quia in tumultu Iudaeorum et Pilati aestibus duae adque amplius horae praeterierunt a uoce, qua dixerunt: c r u c i f i g e . sed ipse Marcus, qui maxime breuitatis sectator est, breuiter uoluit intimare Pilati uoluntatem et conatum pro domini uita. cum enim dixisset: a t i l l i i t e r u m c l a m a u e r u n t : c r u c i f i g e e u m , ubi ostendit, quod iam clamauerant, cum uellent sibi dimitti Barabban, adiunxit: P i l a t u s u e r o d i c e b a t e i s : q u i d e n i m m a l i f e c i t ? hoc modo breuiter insinuauit quod diu gestum est. memor tamen etiam iste quid uellet intellegi, non ait ‘Pilatus uero dixit eis’, sed ait: P i l a t u s u e r o d i c e b a t e i s : q u i d e n i m m a l i f e c i t ? quia, si diceret ‘dixit’, quasi semel dictum intellegeremus; quia uero ait: d i c e b a t , satis intimauit intellegentibus multis modis et saepe dictum esse, quo usque inciperet hora sexta. cogitemus ergo, quam breuiter hoc dixerit Marcus in conparatione Matthei, quam breuiter Mattheus in conparatione Lucae, quam breuiter Lucas in conparatione Iohannis, cum tamen alia adque alia quisque commemoraret, et quam denique breuiter ipse Iohannes in conparatione rerum, quae gestae sunt, et morarum, cum illa gererentur: et sine insania resistendi credamus duas horas et quiddam illo interuallo transire potuisse. (Augustinus, De consensu evangelistarum 3,13,47) „Deshalb möge es nunmehr mit der gottlosen Rechthaberei ein Ende haben und möge man glauben, dass der Herr Jesus Christus in der dritten Stunde durch die (böse) Zunge der Juden und in 42 Vgl. dazu Merkel 1971, S. 218-261; Fitzgerald 1999 (mit weiterer Literatur). Dazu, dass die Schrift des Augustinus streckenweise selbst den Charakter einer Evangelienharmonie (zur Definition vgl. Hörner 2000, S. 24-42; Schmid 2004a, S. 2-8; 2004b, S. 30-39) annimmt, vgl. Vial 2004, S. 52. Im Folgenden ist die Ausgabe von Weihrich 1904 zugrunde gelegt. 43 Vgl. Merkel (1971) dazu, dass Augustinus nicht den Ansatz gewählt hat, die Widersprüche durch eine allegorische Deutung aufzuheben. 44 Vgl. dazu Pesch 1886, S. 230-233. 45 Vgl. dazu Merkel 1971, S. 234. 46 Merkel (1971, S. 229 f.) warnt (in Bezug auf die Aussage, Markus sei Matthäus gefolgt und habe dessen Text kürzend bearbeitet, vgl. 1,2,4) davor, Augustinus als „Vorläufer unserer literarkritischen Anschauungen“ zu betrachten, dagegen spräche dessen Grundannahme von der Inspiriertheit der Evangelien. Wenn man zwischen der Beschreibung und der Erklärung der Phänomene differenziert, lässt sich auf der Beschreibungsebene aber durchaus so etwas wie ein literaturwissenschaftliches Denken beobachten. 47 Vgl. dazu Merkel 1971, S. 244. 384 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens der sechsten durch die Hände der Soldaten gekreuzigt wurde, weil in dem Aufruhr der Juden und durch die aufgeregte Besorgnis des Pilatus zwei und mehr Stunden vergingen seit dem Ruf, mit dem sie gesagt haben , K r e u z i g e i h n ! ‘ . Aber selbst Markus, der ganz besonders nach Kürze strebt, wollte kurz den Wunsch des Pilatus zu erkennen geben und seinen Versuch zugunsten des Lebens des Herrn. Denn als er (sc. Markus) gesagt hatte , A b e r j e n e r i e f e n w i e d e r u m : , K r e u z i g e i h n ‘‘, wobei er deutlich macht, dass sie das bereits gerufen hatten, als sie wollten, dass ihnen Barrabas freigelassen werde, fügte er hinzu , P i l a t u s a b e r s a g t e z u i h n e n : W a s f ü r e i n Ü b e l h a t e r d e n n g e t a n ? ‘ Auf diese Weise will er - kurz gefasst - mitteilen, dass lange agiert wurde. Im Bewusstsein dessen jedoch, was er verstanden wissen wollte, sagt er nicht ‚Pilatus aber hat zu ihnen gesagt‘, sondern sagt , P i l a t u s a b e r s a g t e [sc. immer wieder] z u i h n e n : ,W a s f ü r e i n Ü b e l h a t e r d e n n g e t a n ? ‘‘, weil, wenn er [sc. Markus] sagte ‚er [sc. Pilatus] hat gesagt‘, wir das gleichsam als eine einmalige Aussage verstünden; weil er [sc. Markus] aber sagt, , e r [sc. Pilatus] s a g t e ‘, gab er den Verständigen hinreichend zu erkennen, dass es auf vielfältige Weise und oft gesagt worden ist, bis die sechste Stunde anfing. Bedenken wir also, wie knapp das Markus gesagt hat im Vergleich zu Matthäus, wie knapp Matthäus im Vergleich zu Lukas, wie knapp Lukas im Vergleich zu Johannes, wobei indes jeder von ihnen teils dies, teils jenes erwähnte, und wie knapp schließlich selbst Johannes im Vergleich zu den Dingen, die stattfanden, und den Zeiträumen, als jenes geschah: Und ohne uns unsinnig zu widersetzen, wollen wir glauben, dass zwei Stunden und etwas (sc. mehr) in jener Zwischenzeit vergangen sein konnten.“ Augustinus stellt die Fülle und Dauer der Ereignisse der Kürze des Erzählten bei den einzelnen Evangelisten gegenüber, dessen Ausschnitthaftigkeit zum Beispiel im Markusevangelium selbst signalisiert sei, wie er an der lateinischen Fassung im Einzelnen demonstriert. Augustinus begründet damit nicht nur den zeitlichen Ablauf, sondern auch die Tatsache, dass die Evangelien jeweils Eigengut enthalten. Das Argumentationsmuster - bei Augustinus auf die Ausgestaltung einer Szene bezogen - ähnelt dem, mit dem im Hochmittelalter die Hinzufügung ganzer Szenen apokryphen Charakters zu dem in den kanonischen Evangelien geschilderten Geschehen gerechtfertigt wurde: Johannes (20,30; vgl. auch 21,25) habe schließlich selbst gesagt, dass Jesus noch weitere Wunder vollbracht habe. Wenn also in einem apokryphen Text etwas stehe, das in den kanonischen Evangelien nicht enthalten sei, müsse es nicht notwendig falsch sein. 48 Relevanz für den Spielraum bibelepischer Texte hat auch die auf sorgfältiger sprachlicher Analyse des Tempusgebrauchs von dixit bzw. dicebat beruhende Schlussfolgerung des Augustinus, Pilatus habe ,auf vielfältige Weise und oft‘ ( dicebat, iteratives Imperfekt) gefragt, was Jesus Schlimmes verbrochen habe, denn sie impliziert, dass wörtlicher Rede von Figuren in den Evangelien ein repräsentativer, kein abbildender Charakter zukommt. Dass Augustinus tatsächlich nicht nur für Pilatus davon ausgeht, dass Reden von Figuren vom Erzähler ,gefiltert‘ sind, lässt sich mit seinen Ausführungen zur Taufe Jesu belegen ( De consensu evangelistarum 2,14,31). 49 Hier geht es ihm darum zu erklären, warum die vom Himmel kommende Stimme nach Matthäus (3,17) hic est Filius meus dilectus […] („das ist mein geliebter Sohn […]“) gesagt habe, nach Markus (1,11) und Lukas (3,22) hingegen 48 Vgl. z. B. den Prolog zum zweiten Buch der Vita rhythmica (vv. 1478-1497). Vgl. dazu Gay-Canton 2009, S. 47 f. 49 Vgl. dazu Merkel 1971, S. 237. 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 385 tu es Filius meus dilectus […] („du bist mein geliebter Sohn […]“). 50 Für Augustinus transportieren beide Formulierungen denselben Sinn, bei der Version hic est Filius meus dilectus sei es die Intention des Evangelisten gewesen auszudrücken, dass sich die Äußerung Gottes an die umstehenden Hörer gerichtet habe, nicht an Jesus selbst (dem das Faktum schließlich schon bekannt gewesen sei). Augustinus rechnet mit einer Übermittlung des historischen Geschehens durch die Evangelien, die sich nicht notwendig am Wortlaut, sondern gegebenenfalls am Sinn ausrichtet, der für die Rezipienten herausgearbeitet werden soll. Die Evangelisten sieht Augustinus offenkundig auch als Historiker ( temporum praeteritorum narrator , 2,17,38), die von ihrem Standpunkt in der Geschichte aus schrieben, wenn sie etwa die Jünger proleptisch auch schon zu einem Zeitpunkt der Handlung als solche bezeichneten, als sie noch nicht dazu geworden seien, weil sie zur Abfassungszeit der Evangelientexte Jünger gewesen seien. Zum Vergleich verweist er auf den Sprachgebrauch seiner Zeit, dass ,wir‘ davon sprächen, dass der ‚Apostel Paulus‘ in Tarsus geboren sei, obwohl er da noch nicht Apostel war (2,17,38). Schließlich geht er davon aus, dass sie sich gängiger sprachlicher Formeln bedienten, die bestimmte kulturelle Konzepte implizierten (2,20,49). 51 Aus Überlegungen, wie sie sich in der Abhandlung des Augustinus finden, ließen sich Rechtfertigungen von Spielräumen bibelepischen Erzählens entwickeln: Wenn die kanonischen Evangelien nur einen Ausschnitt des Geschehens bieten, aber zugleich weitere Handlungsschritte andeuten, könnte es durchaus legitim erscheinen, die Handlung im Sinne der Evangelien auszugestalten. Und wenn selbst die Evangelisten adressatenbezogen schreiben, indem sie Situationen und Äußerungen der Figuren interpretierend verdeutlichen, warum sollte man dann beim Wiedererzählen der für die Heilsbotschaft wesentlichen Ereignisse nicht entsprechende Transformationen vornehmen? Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass sich die mittelalterlichen Autoren bibelepischer Texte tatsächlich auf diese Schrift des Augustinus bezogen oder entsprechend argumentiert hätten, 52 aber manche Befunde in bibelepischen Texten - so auch die gegenwartsbezogene Ausgestaltung des Prozessgeschehens in den Kerntexten - deuten darauf hin, dass der Literalsinn über eine kommentierende Umsetzung erschlossen werden sollte. 53 Auch die oben diskutierte Anpassung der Rede heiliger Figuren an zeitgenössische Redemuster in Otfrids Evangelienbuch 54 wäre dann nicht unbedingt ein Akt der ,Fiktion‘, vielmehr eine interpretierende Transformation 50 Augustinus (ebd.) diskutiert auch die Abweichungen in der Fortführung des Satzes. 51 Bei seiner Argumentation mit der ,Alltagssprache‘ ( uulgo ), durch die er Widersprüche zwischen den Berichten auszugleichen sucht, berücksichtigt Augustinus allerdings weder die zeitliche Differenz zwischen der Abfassungszeit der Evangelien und seiner eigenen Zeit noch die unterschiedlichen Sprachen (anders 2,66,128). 52 Um zu klären, wie bekannt De consensu evangelistarum war, müsste die Forschung zu Evangelienharmonien (vgl. dazu Schmid 2004a) weiter intensiviert werden. Nach Wünsch (1982, S. 630) war „Augustins Schrift […] für Jahrhunderte das entscheidende Wort in Sachen Evangelienharmonie. Bis ins ausgehende Mittelalter hinein gab es weder eine vergleichbare theoretische Arbeit über die harmonia evangelica noch auch nur eine einigermaßen verbreitete praktische Ausführung des consensus evangelistarum in Form einer Evangelienharmonie.“ Schmid (2004b, S. 24) gibt jedoch im Hinblick auf eine andere generelle Aussage von Wünsch zu bedenken, dass viele Evangelienharmonien nicht ediert und kaum erforscht seien. De consensu evangelistarum scheint allerdings kein Werk gewesen zu sein, das in der deutschen Literatur des Mittelalters breit rezipiert wurde (vgl. Ruh 1978, Sp. 541-543; Weigand 2009). Wie viele andere authentische Schriften des Augustinus wurde es im Mittelalter nicht ins Deutsche übertragen (vgl. Ruh ebd., Sp. 531-533). 53 Zur ,textinternen Kommentierung‘ vgl. - in Bezug auf den Heliand - Gantert (1998, S. 163-171), der dazu auch in den Erzählzusammenhang integrierte kurze explizite Erläuterungen rechnet. 54 S. o. S. 39 f. 386 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens des Bibeltextes. 55 Voraussetzung dafür wäre, dass der Literalsinn nicht am Wortlaut, sondern an einer szenischen Konstellation festgemacht wurde. Eine solche Betrachtungsweise scheint nicht ausgeschlossen, sobald nicht die rituelle Funktion des Bibeltextes im Vordergrund steht, die eine minutiöse Bewahrung des Wortlautes erfordert. Angesichts ausgefeilter exegetischer Modelle zur Erschließung der vielschichtigen Sinndimensionen des Bibeltextes scheint die hier vorgenommene Differenzierung zwischen Wortlaut und Handlungsebene zu kurz zu greifen. In der Tat bezieht sie sich allein auf den sensus historicus , aber für Umformungen des Bibeltextes ist gerade die Unterscheidung zwischen Wortlaut und (historischem) Sinn von grundlegender Bedeutung, wie sich anhand der übersetzungstheoretischen Äußerungen des Hieronymus belegen lässt. Herausgegriffen sei hier nur sein Brief an Pammachius, in dem er (im Einklang mit antiken Theoretikern) für eine sinngemäße Übersetzung plädiert, die ,heiligen Schriften‘ aber ausdrücklich davon ausnimmt, da bei ihnen auch die Wortfolge ein Mysterium sei. 56 Nachgewirkt hat insbesondere die Aussage zur Sonderstellung der ,heiligen Schriften‘. 57 Im weiteren Argumentationsgang des Briefes (57,7-10) rechtfertigt Hieronymus sein Eintreten für eine sinngemäße Übersetzung jedoch damit, dass die Übersetzer der Septuaginta, die Evangelisten und die Apostel bei der Übersetzung alttestamentarischer Verse aus dem Hebräischen ebenso verfahren seien (z. B. beim Zitieren alttestamentarischer Prophezeiungen). 58 Hier begegnet das für die narrative Umsetzung oben nur hypothetisch skizzierte Argumentationsmuster der Evangelisten als Vorbild. Dass die Zeichen, also auch der Wortlaut der Bibel, nur Verweischarakter hätten und das Bezeichnete das Entscheidende sei, ist ein zentraler Gedanke in der Schrift De doctrina christiana des Augustinus, 59 die neben ihrer Funktion als ars praedicandi Einfluss auf mittelalterliche artes poetriae hatte. 60 Rezipiert wurde insbesondere die hermeneutische Auffassung der inventio , 61 die sich bereits im ersten Kapitel der Schrift andeutet, wenn betont 55 Haubrichs (2001) diskutiert das Phänomen unter der Fragestellung „Heilige Fiktion? “, hatte aber selbst in einer umfassenderen Studie zum Evangelienbuch (1996) Verschmelzungen zwischen Narration und Exegese aufgezeigt, die u. a. über Bezüge zu zeitgenössischen „Text- und Lebenswelten“ (1996, S. 44) erreicht werden. Haubrichs (ebd., S. 44 f.) vermutet, dass die karolingischen Dichtungen in Orientierung an spätantiker Bibeldichtung zu einer gewissen Freiheit gegenüber dem Wortlaut der Bibel gefunden hätten. Zu den „rhetorisch sanktionierten Mittel[n] von amplificatio und abbreviatio “ als Keimzelle der Bibeldichtung vgl. Kartschoke 1975, S. 173. 56 Epist. 57,5,2 (zitiert nach Hilberg 1996): Ego enim non solum fateor, sed libera uoce profiteor me in interpretatione Graecorum, absque scripturis sanctis, ubi et uerborum ordo mysterium est, non uerbum e uerbo, sed sensum exprimere de sensu. („Ich gestehe nicht nur, sondern bekenne in aller Offenheit, dass ich bei der Übersetzung griechischer Texte, abgesehen von den heiligen Schriften, wo selbst die Anordnung der Worte ein Geheimnis ist, nicht Wort für Wort, sondern sinngemäß übertrage.“). Vgl. auch die deutsche Übersetzung eines längeren Auszugs in Störig 1969, S. 1-13. 57 Vgl. dazu z. B. Gipper 2014. 58 Als Quintessenz formuliert Hieronymus, dass es bei den ,heiligen Schriften‘ auf den Sinn und nicht auf die Worte ankomme ( Epist . 57,10,4). In anderen Schriften tritt er sogar explizit dafür ein, bei Bedarf auch biblische Texte sinngemäß zu übersetzen (vgl. Hennings 1994, S. 117 f.). 59 Für eine differenziertere Darstellung der hier nur grob anzitierten Zeichenlehre des Augustinus in De doctrina christiana vgl. Pollmann 1996, S. 147-196; 247. Als Textgrundlage dient im Folgenden die Ausgabe von Green 1963. 60 Vgl. Copeland 1991, S. 159 f.; vgl. auch Schmitz 2007, S. 246-249. 61 Copeland (1991, S. 159) spricht von „Augustine’s move to redefine invention as a textual hermeneutic“, er transformiere den modus inveniendi zum modus interpretandi (ebd., S. 156). 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 387 wird, dass erst ein Verständnis der Heiligen Schrift erlangt werden müsse, bevor das Verstandene verkündet werden könne: Duae sunt res quibus nititur omnis tractatio scripturarum, modus inveniendi quae intellegenda sunt et modus proferendi quae intellecta sunt. (Augustinus, De doctrina christiana 1,1,1) 62 Zwei Dinge sind es, von denen die gesamte Auslegung der Hl. Schrift abhängt: erstens die Methode, wie man diejenigen Dinge entdeckt, die man verstehen muß, und zweitens die Methode, wie man die Dinge, die man verstanden hat, weitergibt. 63 Die unendliche Interpretationsbedürftigkeit der Heiligen Schrift rührt nach Augustinus nicht daher, dass die göttliche Lehre ( res ) zweideutig wäre, sondern ist darin begründet, dass die signa einen Deutungsspielraum lassen. 64 Zu den zahlreichen interpretatorischen Herausforderungen, die in De doctrina christiana genannt sind, gehört unter anderem der Umstand, dass - in heutiger Terminologie ausgedrückt - die im Bibeltext geschilderten kulturellen Gebräuche nicht mehr verstanden werden bzw. sich die Wertmaßstäbe verschoben haben (3,12,20). 65 Für die ,Weitergabe‘ könnte man daraus den Schluss ziehen, dass die kulturellen Differenzen entweder kommentiert werden sollten oder dass - in einem Akt der narrativen Exegese - die Darstellung des biblischen Geschehens einer vereindeutigenden kulturellen Adaptation zu unterziehen sei. Im vierten Buch von De doctrina christiana , das die Weitergabe der gewonnenen Erkenntnisse zum Gegenstand hat ( Liber quartus de proferendis rebus agit ), stehen jedoch, gemäß der predigtbezogenen Zielsetzung des Werks, andere Fragen im Mittelpunkt, zum Beispiel die unterschiedlichen Stillagen, die wiederum unter Verweis auf biblische Vorlagen gerechtfertigt werden. Wegen der Ausrichtung von De doctrina christiana auf die Predigt sind punktuelle Übertragungen auf bibelepische Texte mit Vorsicht vorzunehmen, da deren Zweck nicht auf eine predigtartige Vermittlung des biblischen Geschehens reduziert werden kann. Jedoch finden sich in De doctrina christiana grundlegende hermeneutische Prozesse bei der exegetischen Erschließung des sensus historicus beschrieben, die eben auch für das Wiedererzählen biblischer Geschichten relevant sind. 66 62 Vgl. dazu Pollmann 1996, S. 177. 63 Die Übersetzung folgt Pollmann 2002, S. 15. 64 Vgl. zusammenfassend Copeland 1991, S. 158; Schmitz 2007, S. 247 f. 65 Es geht an dieser Stelle vor allem um das als lüstern misszuverstehende Verhalten einiger alttestamentarischer Figuren (vgl. dazu auch Copeland 1991, S. 157), aber zur Illustration greift Augustinus auf ein Beispiel aus der materiellen Kultur zurück: Was in der Mode der ,alten Römer‘ als unzüchtig gegolten habe, gelte jetzt als züchtig, und umgekehrt. 66 Nach Köbele (2017, S. 167) „bezieht sich Bibelepik auf den unhintergehbaren Wahrheitsanspruch eines ,heiligen‘ Prätexts, andererseits und zugleich auf dessen historisch variable Auslegung, weswegen die mittelalterlichen Autoren in der Regel kaum zwischen ,heiligen‘ und exegetischen Texten differenzieren ( die heiligen Schriften)“. Tatsächlich waren die Autoren wahrscheinlich in der exegetischen Tradition so verwurzelt, dass eine Auseinandersetzung mit dem ,nackten‘ Bibeltext als Grundlage für das bibelepische Erzählen kaum vorstellbar ist. Trotzdem dürfte das Handlungsgerüst der biblischen Geschichten für das Wiedererzählen den Ausgangspunkt gebildet haben. Dafür sprechen jedenfalls bei den in dieser Arbeit analysierten Kerntexten die Berufungen auf die Evangelisten (und ergänzend Nikodemus! ), die jeweils als Garanten für das Geschehen fungieren (vgl. aber den Verweis auf theologische Autoritäten in einer Handschrift der Weltchronik Heinrichs von München [H12], s. o. S. 298, Anm. 134). Dementsprechend wird hier die Aufnahme exegetischer Traditionen in der Bibelepik als Mittel verstanden, sich dem Heilsgeschehen anzunähern, wie es in den biblischen Schriften niedergelegt ist. Insofern werden modellhaft hermeneutische Prozesse bei der Auslegung des Bibeltextes skizziert, die aber vor dem Hintergrund der exegetischen Tradition zu denken sind. 388 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens Was lässt sich aus den vorangegangenen allgemeinen Überlegungen für die Poetologie von Diu urstende , Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi gewinnen? Allein schon die Tatsache, dass die Verfasser jeweils mehrere Quellen, die sie als zuverlässig ansahen (d. h. die kanonischen Evangelien und das Nikodemusevangelium ), herangezogen und zu einem je eigenen Text verarbeitet haben, lässt vermuten, dass es ihnen um die heilsgeschichtlichen Geschehnisse ging, nicht um den Wortlaut der Evangelientexte. Das ist bei Erzähltexten, die keinen Übersetzungscharakter haben, nicht überraschend, verdient aber trotzdem festgehalten zu werden, da die Bezugsgröße damit nicht die Bibel als ,liturgisch-rituell fester Text‘ 67 ist, sondern als Zeugnis für ein dahinterliegendes Geschehen. 68 Damit verschiebt sich die Einschätzung von Transformationen und Erweiterungen des Bibeltextes, denn sie wären dann nicht primär als Abweichungen zu lesen, sondern unter Umständen als Erläuterungen, die eine Annäherung an die Geschehensebene erleichtern, indem sie zum Beispiel kulturelle Differenzen als Verstehenshemmnis überbrücken. Die relativ freien szenischen Ausgestaltungen unter Bezug auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit, mit deren Hilfe Heilsgeschichte in den Kerntexten nachvollziehbar dargestellt wird, dürften dann als das Ergebnis exegetischer Arbeit und zugleich als ein Mittel der christlichen Unterweisung zu verstehen sein. 69 Explizite Überlegungen zu den Spielräumen des Erzählens finden sich in den Kerntexten nicht, aber die Selbstinszenierungen der Autorfiguren in den jeweiligen Prologen lassen Rückschlüsse auf die poetologischen Konzepte zu. Alle drei Autorfiguren erbitten - mit gängigen Formeln - göttliche Unterstützung ihres Vorhabens: In Diu urstende (vv. 1-18) und im Evangelium Nicodemi (vv. 301-343) wird jeweils der Heilige Geist 70 um Hilfe bei der Abfassung des Werkes angerufen, wobei im Evangelium Nicodemi noch der trinitarische Gott um Beistand gegen den Teufel gebeten wird (vv. 344-361). In Christi Hort bittet das Sprecher-Ich Gottvater und dann Jesus um dessen Gnade, die es ihm ermöglichen soll, Gott gebührend zu loben (vv. 171-250; vgl. auch vv. 1305-1326). Bereits dieses Anliegen lässt erkennen, dass die Funktion des Werks nicht auf eine erläuternde Wiedergabe des Vorgefundenen eingeschränkt werden darf, 71 aber die Texte konturieren auch diesen Aspekt jeweils sehr sorgfältig, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Die Topik der Gebetsprologe 72 ist genau auf die jeweils spezifische Ausrichtung der Texte zugeschnitten. So soll in Diu urstende die erbetene göttliche Unterstützung dazu dienen, dass der Autor mit seinem Werk vor potenziellen Kritikern (vv. 1-18) bestehen kann; der Inhalt der Erzählung wird - gemäß der hohen Bedeutung, die Überlieferungsketten im 67 S. o. S. 379 das Zitat aus Quast 2009, S. 404. 68 Dass der biblische sermo humilis für bibelepische Texte zum Maßstab werden kann (vgl. dazu Köbele 2017, bes. S. 167), liegt auf einer anderen Ebene. 69 Wenn hier den Texten eine unterweisende Funktion unterstellt wird, geschieht das auf der Basis der noch zu diskutierenden Prologaussagen. Dass dem Wiedererzählen ,heiliger‘ materia grundsätzlich eine belehrende Funktion zugestanden werden konnte, lässt sich auch daraus ableiten, dass sich das Autor-Ich der Vita rhythmica ausdrücklich dagegen verwahrt, dass sein Werk belehren wolle, und betont, es solle allein zum Lobe Mariens dienen (vv. 8002-8011, zit. nach Vögtlin 1888; vgl. entsprechend Bruder Philipp, Marienleben , vv. 10 094-10 103; vgl. dazu Gay-Canton 2009, S. 47; Köbele 2017, S. 168, Anm. 5). 70 Vgl. dazu Thelen 1989, S. 389. 71 Zum Aspekt des Lobens s. o. S. 108, Anm. 272. 72 Zur Einordnung vgl. Thelen 1989, S. 314 f. (zu Diu urstende ), 332 f. (zu Christi Hort und zum Evangelium Nicodemi ), 393 f. (zum Evangelium Nicodemi ). 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 389 Werk insgesamt haben - durch das latînisch buoch 73 legitimiert, das geistlîchiu mære enthält (vv. 44-52). 74 Die Aufgabe des Autors liegt nicht nur in der dichterischen Gestaltung, 75 sondern er will dem Publikum das lateinische Werk ze diute (v. 46) bringen. Im Kontext der Nennung des lateinischen Werks ist damit vermutlich in erster Linie die Übertragung ins Deutsche gemeint, aber die Formel könnte auch implizieren, dass eine erläuternde Umsetzung vorgenommen werden soll. 76 Auf jeden Fall wird durch den Verweis auf die lateinische Vorlage implizit ihr die Verantwortung für den Inhalt der gesamten Erzählung zugewiesen; an der kritischen Stelle am Prozessende, als Pilatus aus Furcht um sein Leben ,den Juden‘ nachgibt, wird das buoch als Beleg noch einmal explizit in Erinnerung gerufen (vv. 743-749). Aus der Bedeutungsvielfalt des Wortes mære , 77 das in poetologischen Zusammenhängen den Stoff, 78 aber auch die mündlich erzählte oder schriftlich fixierte Geschichte 79 bezeichnen kann, scheint im Prolog von Diu urstende vor allem die Bedeutung ,Erzählung über ein Ereignis‘ 80 aktiviert zu sein: geistlîchiu mære können (in dem buoch , v. 46) gelesen werden (vv. 48 f.), 81 Eneas vernimmt mære (v. 62), und das Resultat von deren 73 Hier bedeutet buoch wohl ,konkrete Vorlage‘ (vgl. dazu MWB, s. v., 3; Grubmüller 1995; Lenerz 2006, S. 39), also das Nikodemusevangelium (vgl. vv. 53-68). 74 Der konventionelle Gegenstand des Gebets fügt sich also in das Gesamtkonzept des Werkes ein, wie Strohschneider (2005, S. 333-344; ähnlich 2014, S. 113-126) für den Zusammenhang von ‚Reden und Schreiben‘ gezeigt hat. Kritisch ist wegen der biographischen Fixierung hingegen Thelens Deutung (1989, S. 314 f.) zu sehen, die Prologtopik in Diu urstende sei deshalb so konventionell, weil der Dichter Angst gehabt habe, etwas falsch zu machen. 75 Dass dichterisches Können als Voraussetzung für die Abfassung des Textes angesehen wird, lässt sich aus den Versen erschließen, in denen das Autor-Ich konstatiert, dass ihm diese Fähigkeit beinahe abhanden gekommen sei (vv. 35-41). Insofern richtet sich die in den vv. 23-31 vorgebrachte Kritik nicht gegen den „Kunstsinn der Rezipienten“ (Quast 2001b, S. 71), sondern dagegen, dass sie ihr Können demonstrieren wollten und so das Werk verfälschten. Das Autor-Ich hatte den Heiligen Geist gebeten, ihm zu helfen, sein Werk richtig zu ‚beschneiden‘ (v. 13); zum Bedeutungsspektrum des ,Beschneidens‘ vgl. Quast ebd., S. 70 f.; Strohschneider 2005, S. 340; Becker 2015, S. 38. Quast macht zu Recht darauf aufmerksam, dass mit einer konkreten Bedeutung gespielt werde, wenn in den folgenden Versen von Korrekturen mit dem Messer die Rede ist (vv. 14-18). Aus diesem Verweis auf die Handschriftenkultur lässt sich meines Erachtens jedoch nicht folgern, dass das werc in Diu urstende nicht losgelöst von der Handschrift zu denken sei (so aber Quast ebd.; vgl. dazu auch die Kritik bei Strohschneider 2005, S. 340-344; 2014, S. 124-126; abwägend Becker 2015, S. 43 f.). 76 „[…] in diesem ze diute bringen fallen […] die Kategorien von Wiedererzählen und Übersetzen zusammen“ (Strohschneider 2005, S. 337, mit Parallelstellen in Anm. 73; ähnlich 2014, S. 120 mit Anm. 63). 77 Vgl. dazu Lenerz 2006, S. 41-47. Vgl. auch BMZ; L exer , s. v. 78 Vgl. Huber 1979, S. 292-295; 2006, S. 270 f. 79 Vgl. Huber 2006, S. 267 f.; 272 f. 80 Lenerz 2006, S. 42. Becker (2015, S. 41-44) betont den mündlichen Charakter von mære im Prolog von Diu urstend e. 81 Das Attribut geistlîchiu bezieht sich wahrscheinlich - wie in analogen Fällen - auf eine „ethischinhaltliche T e x t qualität“ (vgl. Huber 2006, S. 267 f. zum Prolog des Willehalm von Orlens Rudolfs von Ems; Hervorhebung H. M.). Dementsprechend ist das lesen (vgl. dazu BMZ; L exer , s. v.) an dieser Stelle wohl nicht nur als Aufsammeln der Ereignisse, sondern als Rezeption sprachlich geformter Erzählungen zu verstehen (auch Quast [2001b, S. 70] bezieht die Verse auf „lateinisch geformte materia“, Becker [2015, S. 37 f.] hingegen direkt auf die materia ). Wenn mit geistlîchiu mære das Passions- und Auferstehungsgeschehen gemeint wäre und nicht die Ausformung im Nikodemusevangelium , wäre die Argumentation, dass die mære der Veröffentlichung bedürften (vv. 50-52), kaum plausibel (anders Becker ebd., S. 42). 390 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens Verschriftlichung ist ihre Bewahrung (v. 68). 82 mære bezieht sich aber im Prolog von Diu urstende auch auf den inhaltlichen Kern des Erzählten, denn die Identität der mære verändert sich durch die Umsetzung ins Deutsche und die dichterische Gestaltung nicht, 83 vielmehr wird der Anspruch erhoben, dass das deutsche werc (v. 10) 84 die mære , deren Wahrheitsgehalt durch Eneas garantiert ist, 85 übermittelt (vv. 53-73). Akzeptiert man diese Selbstbeschreibung im Prolog, sind auch die Anpassungen an die Kultur zur Entstehungszeit des Textes als Strategie des ze diute bringen aufzufassen. In Christi Hort reiht sich das Autor-Ich zwar am Ende des Gebetsteils bzw. Beginn des auf dem Nikodemusevangelium fußenden Teils ebenfalls in die Überlieferungstradition ein (vv. 1305-1326; 1367-1380), aber schon die Formulierung, es habe die lateinische Vorlage zetiusche i n d i e a n d a h t (v. 1378, Hervorhebung H. M.) gebracht, 86 zeigt, dass hier - wie bereits im Gebetsprolog (vv. 171-250) - die besonderen Anforderungen des heiligen Gegenstandes im Vordergrund stehen. Zwar beziehen sich die Darlegungen des Autor-Ich auch auf etwaige missgünstige Reaktionen, 87 doch wird die Gnade Gottes 88 nicht für dichterische Perfektion, vielmehr für eine angemessene Gestaltung des tiefgründigen Stoffes erbeten. 89 Das poetologische Leitwort materi ( e ) ruft zusammen mit der Forderung nach Angemessenheit (v. 1317) den Kontext der Rhetorik auf. Die Heterogenität des Werks kann als ein Versuch gedeutet werden, der Vielschichtigkeit des Stoffes rhetorisch gerecht zu werden. 90 Wie die gebethaften Passagen des Werks zeigen, gehört dazu die Integration verschiedener Sprechhaltungen, aber die Frage nach einer angemessenen Behandlung der materi ( e ) wird auch für das berichten von der Passion Christi gestellt, und zwar in einem Zusammenhang, in dem der Bericht des Nikodemus genannt ist (vv. 1305-1319). Damit ergeben sich für den Passionsteil des Textes (ab v. 1327) relativ konkrete Anknüpfungspunkte zu Dichtungslehren, auch wenn sich nicht mehr ermitteln lässt, auf welche Konzepte genau sich Gundacker bezogen haben mag. Nach der Terminologie der Ars versificatoria des Matthäus von Vendôme handelt es sich bei der im Passionsteil verarbeiteten materia um eine materia executa oder pertractata , 91 wobei die bereits vorliegenden Realisationen der materi ( e ) eine hohe Autorität besitzen. Für 82 Gleichzeitig birgt die schriftliche Speicherung der mære grundsätzlich die Gefahr des Vergessens (so Strohschneider 2005, S. 337-339; 2014, S. 120 f.; vgl. dazu auch Becker 2015, S. 42). 83 Vgl. dazu Huber 1979, S. 294: „Die rhetorische Neugestaltung ist dabei keine Äußerlichkeit, erschöpft sich auch nicht in den Effekten einer publikumsfixierten Wirkungsästhetik, sondern bleibt grundsätzlich gehaltsorientiert.“ 84 Vgl. Becker 2015, S. 44: „Das Werk umgreift die Rede und Schrift […]. In ihm vereinen sich die Macht der mære und die Aura des Buchs […]“. 85 nû hœret waz disiu mære sint / diu von dem selben guoten man / uns für wâr sint chomen an, / sô mir daz buoch verjehen hât. (vv. 70-73). Zur Rolle des Eneas s. o. S. 252, Anm. 268. 86 Vgl. dazu auch Quast 2009, S. 390. 87 Zum spot -Motiv in vv. 190-196 s. auch o. S. 103 f. mit Anm. 239. 88 Die Inszenierung des Autor-Ich als eines sündigen Menschen, der umkehrt und sich Gott zuwendet (bes. vv. 205 f.; 227-236), unterstützt die entsprechende Appellstruktur des Textes insgesamt. 89 swer von tı ͤ ffer materi sol / sprechen, der bedarffe wol / genade unde sinne / unt gotlicher minne (vv. 197-200). Ein paar Verse später wird die materi als sinnereiche / unt so gar ernstliche (vv. 207 f.) bezeichnet. 90 S. dazu o. S. 107-109. 91 Matthäus von Vendôme, Ars versificatoria 4,3 und 15 (vgl. die Ausgabe von Munari 1988). Im möglicherweise auf Galfrid von Vinsauf zurückgehenden Documentum de modo et arte dictandi et versificandi (vgl. Schmitz 2007, S. 219 mit Anm. 4 zur Editionslage) ist entsprechend von materia communis die Rede (vgl. ebd., S. 274). 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 391 den ,Normalfall‘ einer materia executa gibt die Dichtungslehre des Matthäus von Vendôme (4,3-14) vor, dass nicht jedes einzelne Wort des Ausgangstextes berücksichtigt werden sollte, sondern es sollten Verbesserungen vorgenommen werden (Erweiterungen, Kürzungen, Verdeutlichungen, Einhaltung der chronologischen Reihenfolge der Ereignisse). 92 Christi Hort bleibt im Passionsteil zwar in den Formulierungen oft sehr dicht an den Vorlagentexten, zeichnet sich jedoch durch eine streng chronologische Erzählweise aus (etwa bei den Ausführungen zum Konflikt zwischen Pilatus und Herodes). 93 Außerdem sind Szenen aus den Vorlagentexten gestrafft oder Handlungselemente weggelassen; 94 andere Szenen sind dafür ausgestaltet worden, und es wurde dem Nikodemusevangelium großräumig kanonisches Material hinzugefügt. 95 Angesichts dieses Befundes ist es wahrscheinlich, dass das tichten (v. 1305) auch den ordnenden Zugriff auf das Vorgefundene meint, der wiederum nur möglich ist, wenn Gott dem Autor die sinne ordnet (vv. 1321-1326). 96 Dieses tichten ist eine klar adressatenbezogene Tätigkeit, denn sie soll dazu dienen, ,die Leute‘ über die Passion Jesu zu informieren, und zwar umfassend (vv. 1305-1308). Der relativ freie Umgang mit den Vorlagentexten erscheint durch dieses Ziel legitimiert. Wie in Christi Hort (vv. 237-245) beschreibt sich auch das Autor-Ich im Evangelium Nicodemi (vv. 301-319) als nicht ,weise‘ genug, um über Gott zu sprechen, 97 und bittet um Erleuchtung und göttliche minne . Jedoch trägt das Gebet im Evangelium Nicodemi - im Unterschied zu dem in Christi Hort - deutliche Züge einer Bitte um Inspiration: 98 Das Autor-Ich bittet den Heiligen Geist darum, vom ,Feuer seiner Minne‘ ( fure diner minne ) 99 entzündet zu werden, um ,die wahre Schrift‘ schreiben zu können (vv. 312-315), setzt sich also an die Stelle der Evangelisten. Mit dieser Bitte ist der implizite Anspruch verbunden, zu den Auserwählten zu gehören, die dafür belohnt werden, dass sie sich Gott zuwenden (vv. 316-328). Explizit angesprochen ist der Heilige Geist, jedoch verschiebt sich im Verlauf des Gebets an ihn der Fokus von dessen spezifischen Inspirationsgaben (vv. 316-319) zu allgemein göttlichen Qualitäten wie Trost und Lenkung der Gläubigen (vv. 320-328). Schließlich wird durch die Bitte um einen ,Minnetrank‘ (vv. 329-333) und den Nachvollzug von Heilungswundern, wie sie Jesus vollbracht hat, am Autor-Ich (vv. 334 f.) eine exklusive Beziehung zum christologischen Gott eingefordert. 100 Poetologisch relevant ist es, dass das Autor-Ich nicht nur darum bittet, vom Stummen zum Sprechenden zu werden, sondern 92 Vgl. dazu Schmitz (2007, S. 48 f.), die die Kleinräumigkeit der geforderten Veränderungen hervorhebt. Das Documentum (s. o. S. 390, Anm. 91) macht gerade zur Zeitstruktur andere Vorgaben (vgl. Schmitz ebd., S. 274-278). In Bezug auf einen biblischen Gegenstand ist die dort vorgebrachte Forderung wichtig, die neue Behandlung müsse der alten adäquat sein (ebd., S. 276 f.). 93 Zur Beachtung des ordo naturalis in Christi Hort s. o. S. 110; 128 f. 94 Das betrifft sogar die kanonische, auch im Nikodemusevangelium (cap. IX 4 [8,2 (G / I)]) überlieferte Handwaschungsszene. 95 Z. B. in der Prozessschilderung ab v. 1705. - Zum Umgang mit den Vorlagentexten s. o. S. 110. 96 Im Kontext der vorangegangenen Passage verschiebt sich die Bedeutung von berichten von ,unterweisen‘, ,informieren‘ (vv. 1306; 1310) hin zu einer angemessenen Gestaltung des Stoffes, denn die Fähigkeit dazu ( ob ich ez nith wol berichten chan, / als ez der materie zimt , vv. 1316 f.) wird von der (rhetorischen) Ausbildung und dem Können des Autor-Ich abhängig gemacht (vv. 1314-1319). S. dazu auch o. S. 108, Anm. 273. 97 In Diu urstende (vv. 1-9) drückt das Autor-Ich dagegen seine Furcht aus, wegen mangelnder ,Weisheit‘ nicht vor dem Publikum bestehen zu können. 98 Vgl. Thelen 1989, S. 393 f. 99 Vgl. auch vv. 330 f.: trenke mich vil dorstigen / mit diner minne tranke . 100 Zum Motiv des Minnetranks vgl. (in Bezug auf Christus und die minnende Seele ) Gebauer 2010, S. 218-220 (mit weiterer Literatur). 392 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens auch darum, für die göttliche Lehre aufnahmebereit zu sein (vom Tauben zum Hörenden zu werden). Ein Verständnis der göttlichen Wunder ist die Voraussetzung, um sie ,den Leuten‘ erklären ( beduten ) zu können (vv. 336-343). Hier ist also ein hermeneutisch-didaktischer Impetus formuliert, wie er sich auch einleitend in De doctrina christiana für die Behandlung der Heiligen Schrift findet. Welche Rolle der Bibeltext bei dem im Evangelium Nicodemi entworfenen Modell des Vermittlungsvorgangs spielt, bleibt jedoch unklar. Wie bereits oben ausgeführt, scheint sich die Bitte des Autor-Ich mache wis mich tummen / an diner heiligen schrift (vv. 336 f.) im Kontext der im nächsten Vers genannten wunder und der Betonung der Menschengemachtheit der Evangelien eher auf eine Werkoffenbarung als auf die Wortoffenbarung in den Evangelien zu beziehen. 101 Das heißt nicht, dass im Textverlauf nicht sorgfältige Quellenarbeit betrieben und die Historizität des Erzählten gerechtfertigt würde. Durch die vorgeschaltete Inspirationsbitte ist aber ein Rahmen gesetzt, nach dem es auf den Sinn der Heilsgeschichte und dessen Vermittlung an das Publikum ankommt, nicht auf eine Quellentreue, die sich am Wortlaut festmacht. Trotz der unterschiedlichen Akzentsetzung lässt sich für die Kerntexte als Gemeinsamkeit der poetologischen Inszenierung festhalten, dass es der heilsgeschichtliche Stoff ist, der dem Publikum in angemessener Weise nahegebracht werden soll. 102 Das gilt selbst für Diu urstende , wenn auch der sprachlich geformten Vorlage dort noch der größte Stellenwert zukommt. Der inszenatorische Charakter der Selbstaussagen der Autorfiguren wird erkennbar, wenn man den tatsächlichen Umgang mit den Vorlagen betrachtet: Hier zeigt Diu urstende die größten Freiheiten, während das Evangelium Nicodemi Handlungsabläufe und Formulierungen am getreuesten bewahrt. Trotzdem ist in den Gebetsprologen mehr zu sehen als eine Anhäufung von Topoi, sie setzen vielmehr den pragmatischen Rahmen, in dem die Erzählungen gelesen werden wollen: Die Wahrheit des Erzählten ist unzweifelhaft und wird nicht zuletzt durch die Argumentation mit dem Augenzeugen Eneas bzw. Nikodemus argumentativ abgesichert. 103 Aber auch diese Wahrheit bedarf der rhetorischen Formung. 104 Was das tatsächliche Vorgehen angeht, lassen sich bei der Bearbeitung des Materials für alle drei Bibelepen die für Christi Hort schon kurz skizzierten Prinzipien der Auswahl und Neuordnung von Handlungselementen ausmachen. Diese Technik setzt sich - vermittelt über die Passionskompilation - in der Weltchronik Heinrichs von München fort. 105 Anders als diese kompilatorischen Texte beschränken sich die Kerntexte jedoch nicht allein auf eine interpretierende Neuordnung des Vorgefundenen, sondern sie verdeutlichen Zusammenhänge auch durch die Ausgestaltung von Szenen. Dort, wo bereits Muster aus anderen Erzähltexten zur Verfügung standen, wird auf sie zurückgegriffen, so zum Beispiel bei den Botenszenen nach der Schilderung der Auferstehung Jesu in Diu urstende und Christi Hort . 101 S. o. S. 153-155. 102 Das schließt nicht aus, dass der Wortlaut der Bibel sorgfältig bewahrt ist, etwa bei den Dialogen zwischen Pilatus und Jesus ( Christi Hort , vv. 1751-1816; Evangelium Nicodemi , vv. 1452-1470), oder punktuell zur Argumentation herangezogen wird, so z. B. die alttestamentarische Prophezeiung vom Lamm, das sich schweigend zur Schlachtbank führen lässt ( Diu urstende , vv. 374-388; s. dazu o. S. 80). 103 S. dazu o. Kap. 3.2.3; 3.3.3; 3.4.3. 104 Insofern hat das ,Wiedererzählen‘ auch bei diesen bibelepischen Texten eine ästhetische Dimension (vgl. dazu grundlegend Köbele 2017; zum Wiedererzählen allgemein Hasebrink 2009, bes. S. 209 mit Anm. 16); gleichzeitig ist es jedoch für den Geltungsanspruch der Texte konstitutiv, dass eine Identität mit den autoritativen Ausformungen des Stoffes reklamiert wird. 105 Dabei erfolgt zusätzlich eine Orientierung an den signa der Kerntexte. S. dazu o. Kap. 6.1. 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 393 Das Wiedererzählen biblischer Stoffe erfordert aber auch eine Auseinandersetzung mit Bereichen der Lebenswelt, für die nicht unbedingt schon Muster in anderen Erzähltexten vorgeprägt waren, gerade wenn diese Bereiche - im Sinne des Augustinus - als erklärungsbedürftig für die zeitgenössischen Rezipienten angesehen wurden. Das mag mit ein Grund sein für eine Tendenz zu Bezugnahmen auf die Alltagswelt, wie sie oben auch für andere bibelepische Werke konstatiert wurde. 106 Dass sich in Diu urstende , Christi Hort und im Evangelium Nicodemi solche Referenzen gerade im Bereich des Rechts finden, dürfte damit zusammenhängen, dass der Ablauf des Prozesses vor dem Hintergrund zeitgenössischer Konzepte einer göttlich legitimierten Rechtsordnung einer besonderen Plausibilisierung bedurfte. Die Referenzen auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit, so konstruiert sie im Einzelnen sein mögen, lassen die geschilderten Situationen für zeitgenössische Rezipienten nachvollziehbar werden und unterstreichen dadurch den Wahrheitsanspruch des Erzählten. Außerdem werden kulturelle Differenzen abgebaut, indem das Geschehen etwa in bekannte Wertesysteme eingeordnet wird, wie bei den Kerntexten insbesondere in Bezug auf die Richterethik gezeigt werden konnte. Auch wenn sich die Ausgestaltungen auf den sensus historicus beziehen, scheint durch die Referenzen auf Wertesysteme stellenweise so etwas wie ein sensus moralis auf, ohne dass Verhaltensanweisungen für den Einzelnen immer ausbuchstabiert wären. Kommentiert werden aber nicht nur die Heilsereignisse, sondern auch die herangezogenen Bezugsfelder (wenn zum Beispiel die Verlässlichkeit von bestimmten Methoden der Wahrheitssicherung demonstriert wird), sodass sich insgesamt eine Austauschbewegung zwischen sakralem Stoff und der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit ergibt. Darüber hinaus trägt die Realitätsreferenz auch dazu bei, dass in den Texten selbst semantische Aufladungen erfolgen, die nicht für den Stoff, sondern für dessen jeweilige narrative Ausformung Gültigkeit haben. 107 Auch die Selektivität des Zugriffs auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit verweist auf die Gemachtheit der Texte, lenkt also die Aufmerksamkeit letztlich auf ihren Status als literarische Rede. 108 106 S.o. Kap. 1.3.3. Vgl. auch Müller (2009) dazu, dass die Erfordernisse der Bibelübersetzung dazu geführt haben, dass bestimmte Bereiche der Alltagswelt Eingang in die verschriftlichte Volkssprache fanden. Dass eine Aktualisierung als exegetisches Mittel dienen kann, wenn der Sinn des Bibeltextes nicht auf der Wortebene angesiedelt wird, zeigen im Kontext der Aufklärung Johann Salomo Semlers Arbeiten, der ausgehend von seiner Akkommodationstheorie Jesus und seine Jünger so reden lässt, als hätten sie im 18. Jahrhundert gelebt (vgl. dazu Hornig 1961, S. 211-236). 107 Gut beobachten lässt sich das am Beispiel der Zeugenschaft in Diu urstende : Bereits textimmanent sind dort Aspekte juristischer Zeugenschaft, des Bezeugens von Heilswahrheit und Autorschaft, die auf Zeugnissen gründet, in besonderer Weise enggeführt. Dabei ist - stärker als in Christi Hort und dem Evangelium Nicodemi - herausgearbeitet, dass eine Zeugenaussage mit Gefahr verbunden sein kann. Dieser Aspekt gewinnt durch die impliziten Bezüge zu entsprechenden Bedrohungssituationen in der zeitgenössischen Erfahrungswirklichkeit noch einmal an Gewicht (s. dazu o. Kap. 3.5.2 und S. 232). Dadurch werden semantische Querbezüge zu anderen Situationen gestärkt, die der Text skizziert, in denen es um das Verschweigen oder das riskante Aussprechen von Wahrheit geht, sei es das Bekenntnis zu Jesus, das Petrus vermeidet (vv. 231-236), oder die geistlîchiu mære , die das Autor-Ich trotz zu erwartender missgünstiger Kritiker eben nicht verschweigt (vv. 44-52). 108 Vgl. dazu Kablitz 2013, S. 197-204 (vgl. auch das Zitat o. S. 35, Anm. 171). Er konstatiert, dass das Verfahren der ,impliziten Kohärenzbildung‘ (S. 149) kein Alleinstellungsmerkmal literarischer Texte sei, dass sie aber eine spezifische Fiktionalität besäßen, indem sie durch keine „externe Konditionierung“ (S. 197) bestimmt seien (zum umstrittenen Verhältnis von Fiktionalität und Literarizität vgl. Winko 2009, S. 374-377). Das gilt zwar, wie dargelegt, für bibelepische Texte gerade nicht, aber bei der Aus- 394 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens Auf der Inhaltsebene kann sich ebenfalls eine Eigendynamik entwickeln, die neue Probleme aufwirft bzw. sichtbar macht. So werben Diu urstende , Christi Hort und das Evangelium Nicodemi implizit für die zeitgenössische Rechtsordnung, indem sie ein positives Bild des Rechtssystems zur Zeit des Pilatus zeichnen, das deutliche Ähnlichkeiten mit der zeitgenössischen Rechtsordnung aufweist. Sogar positive Möglichkeiten richterlichen Handelns werden aufgezeigt, bevor dann Pilatus als Individuum versagt. Angesichts des appellativen Charakters der Texte, die gerade wegen ihrer Bezüge auf zeitgenössische Rechtskonzepte nahelegen, dass ein Eintreten für das Recht gottgewollt ist, stellt sich jedoch zugespitzt die Frage, warum Gott ein Unrechtsurteil als notwendigen Bestandteil der Heilsgeschichte vorgesehen hat. Nur das Evangelium Nicodemi , das die Heilsgeschichte insgesamt als Rechtsvorgang deutet, hat darauf eine Antwort, indem die Verurteilung Jesu als Konsequenz göttlichen Urteilens über die Menschen dargestellt wird. In Diu urstende (vv. 743-747) und in Christi Hort (v. 1880) zeigen sich dagegen am Prozessende jeweils Erklärungsnöte der Erzähler. 109 Dass die Verantwortung des Pilatus für die Kreuzigung Jesu beibehalten werden musste, selbst wenn sich daraus erzähllogische Spannungen ergeben, verweist auf die klaren Grenzen der interpretierenden Umsetzung des Heilsgeschehens in bibelepischen Texten. Offenbar war es aber für die Autoren möglich, sich bei einzelnen Handlungsschritten für eine Variante zu entscheiden, wenn mehrere autoritative Versionen existierten, so wie es etwa bei der Handwaschung des Pilatus der Fall ist, bei der die kanonischen Evangelien Differenzen zeigen, aber offensichtlich auch bei der Gefangennahme bzw. Vorladung Jesu, bei der das Nikodemusevangelium gegen die kanonischen Evangelien steht. Formuliert man die obige Frage nach den Lizenzen bibelepischen Erzählens um und fragt, wie weit eine kommentierende Adaptation beim Erzählen von Heilsgeschichte gehen darf, dann wäre die vorläufige Antwort: Die Grenze liegt da, wo die sinngemäße Äquivalenz nicht mehr gewährleistet ist, wo die narrative Exegese, wie sie für Apokryphen typisch ist, 110 umschlägt in ein Erzählen, das nicht mehr streng auf den autoritativen Hypotext bezogen ist. Die erzählerischen Spielräume sind also untrennbar mit exegetischen Fragen verbunden. 111 Die konkreten Spielräume bibelepischen Erzählens im Hoch- und Spätmittelalter ließen sich nur durch eine Verbreiterung der Analysebasis ermessen. 112 Auch wenn die narrativen Lösungen im Einzelnen unterschiedlich ausfallen, dürften sie - abgesehen von den ästhetischen Ansprüchen der Texte 113 - jeweils Reaktionen auf das Grundproblem darstellen, wie die Kernbotschaft bewahrt und doch für Adressaten in sich verändernden kulgestaltung des Gegenwartsbezugs herrscht doch eine gewisse Freiheit in der Auswahl der Referenzrahmen. 109 S. dazu o. S. 82; 117. 110 Das gilt auch für ,Apokryphen zweiten Grades‘, wenn sie die kommentierende Ausgestaltung ihrer apokryphen Vorlagen fortsetzen (s. dazu o. S. 12-14). 111 Prica (2010, S. 240-244) begreift das Verhältnis von Poetik und Exegese als „Konflikt“, auch für die Erlösung (S. 242), sieht aber gleichwohl die „Dialektik poetischer und exegetischer Dynamiken“ (S. 243) dokumentiert und stellt die Erlösung in den Kontext eines ,Prozesses‘, „der aus der Exegese in die Poetik führt“. Ohne dass hier das komplexe poetologische Programm der Erlösung im Einzelnen diskutiert werden kann, sei darauf verwiesen, dass das Schlüsselwort betûten (v. 80, zitiert nach Bartsch 1858; vgl. dazu Prica ebd., S. 241 f.) auch die narrative Exegese mit umfassen könnte. 112 Für die frühmittelalterliche christliche Literatur betont Kiening (1992, S. 411), dass der „Balanceakt zwischen heilsgeschichtlichem Basisgehalt und literarischer Neuformung“ in jedem Einzelfall neu bestimmt werden müsse. 113 Vgl. dazu Köbele 2017. 7 Aspekte einer Poetologie bibelepischen Erzählens 395 turellen Umfeldern zugänglich gemacht werden kann. Für den modernen Interpreten sind die mittelalterlichen bibelepischen Texte zugleich kulturhistorische Quellen, weil damalige kulturelle Konstellationen punktuell aufscheinen, so zum Beispiel bei dem in Diu urstende geschilderten Streit darüber, ob das Landrecht der zwölf, die für Jesus aussagen, vor dem Gericht des Pilatus gilt oder nicht. Diese, noch bis in die Lutherzeit tradierte, ,Momentaufnahme‘ bildet nicht die Realität ab, aber sie ist Dokument einer Zeit, in der das Landrecht für das Erzählen von Jesus relevant war. Bibliographische Abkürzungen 397 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis Bibliographische Abkürzungen BHL Bibliotheca Hagiographica Latina : http: / / bhlms.fltr.ucl.ac.be/ (15. 08. 2017). BMZ Georg Friedrich B eneCke , Wilhelm M üLLer u. Friedrich Z arnCke (Hgg.): Mittelhochdeutsches Wörterbuch , Leipzig 1854-1866; Nachdruck Stuttgart 1990 (Online-Version: http: / / mwv.uni-trier.de/ de/ , 15. 08. 2017). DLL MA Deutsches Literatur-Lexikon - Das Mittelalter. Autoren und Werke nach Themenkreisen und Gattungen , hg. von Wolfgang a ChnitZ , Berlin 2011-2013. DRW Deutsches Rechtswörterbuch. Wörterbuch der älteren deutschen Rechtssprache , hg. von der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Weimar 1914 ff. (Online-Version: https: / / www.rzuser.uni-heidelberg.de/ ~cd2/ drw/ , 15. 08. 2017). D u C ange Glossarium mediæ et infimæ Latinitatis conditum a Carolo du Fresne Domino D u C ange . Auctum a Monachis Ordinis S. Benedicti cum supplementis integris D. P. Carpenterii adelungii, aliorum, suisque digessit G. A. L. Henschel, sequuntur Glossarium Gallicum, Tabulæ, Indices Auctorum et Rerum, Dissertationes. Editio nova aucta pluribus verbis aliorum scriptorum a Léopold F avre . Unveränderter Nachdruck der Ausgabe von 1883-1887, Graz 1954. FWB Frühneuhochdeutsches Wörterbuch , begr. von Robert R. a nDerson , Ulrich g oeBeL u. Oskar r eiChMann , hg. von Ulrich g oeBeL , Anja L oBenstein -r eiChMann u. Oskar r eiChMann , Berlin 1986 ff. (vgl. auch FWB -online: https: / / www.fwbonline.de/ , 15. 08. 2017). G / I L’Évangile de Nicodème ou Les Actes faits sous Ponce Pilate ( recension latine A ) suivi de Le lettre de Pilate à l’empereur Claude . Introduction et notes par Rémi g ouneLLe et Zbigniew i ZyDorCZyk . Traduction par Rémi g ouneLLe , à partir d’un texte mis au point par Zbigniew i ZyDorCZyk , Turnhout 1997 (Apocryphes 9). GW Gesamtkatalog der Wiegendrucke : http: / / www.gesamtkatalogderwiegen drucke.de/ (15. 08. 2017). Handschriftencensus Handschriftencensus. Eine Bestandsaufnahme der handschriftlichen Überlieferung deutschsprachiger Texte des Mittelalters : http: / / www.handschriftencensus.de/ (15. 08. 2017). HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte , begr. von Wolfgang s taMMLer , Adalbert e rLer u. Ekkehard k auFMann , hg. von Adalbert e rLer , Ekkehard k auF - Mann u. Dieter W erkMüLLer unter philologischer Mitarbeit von Ruth s ChMiDt - W ieganD , [Berlin] 1971-1998. 2 HRG Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte . 2., völlig überarb. u. erw. Aufl., hg. von Albrecht C orDes , Hans-Peter h aFerkaMp , Heiner L üCk , Dieter W erk - MüLLer u. Ruth s ChMiDt -W ieganD , ab 9. Lieferung Christa B erteLsMeier -k ierst als philologischer Beraterin, Berlin 2008 ff. 398 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis HWP h Historisches Wörterbuch der Philosophie . Völlig neubearb. Ausg. des „Wörterbuchs der philosophischen Begriffe“ von Rudolf Eisler , hg. von Joachim r itter u. Karlfried g rünDer , [Basel] 1971-2007. k iLLy Killy Literaturlexikon: Autoren und Werke des deutschsprachigen Kulturraumes . 2., vollständig überarbeitete Aufl., hg. von Wilhelm k ühLMann in Verbindung mit Achim a urnhaMMer u. a., Berlin / New York bzw. Berlin / Boston 2008-2012. LCI Lexikon der christlichen Ikonographie , begr. von Engelbert k irsChBauM , hg. von Wolfgang B raunFeLs , Rom / Freiburg 1968-1976. L exer Matthias L exer : Mittelhochdeutsches Handwörterbuch , Leipzig 1869-1878 (Online-Version: http: / / mwv.uni-trier.de/ de/ , 15. 08. 2017). LexMa Lexikon des Mittelalters , hg. von Robert a uty u. a., München 1977-1999. LT hK Lexikon für Theologie und Kirche , hg. von Walter k asper u. Michael B uChBerger , 3. Auflage, Freiburg 1993-2001. M aigne / M igne Lexicon manuale ad scriptores mediae et infimae Latinitatis, ex glossariis Caroli Dufresne, D. Ducangii, D. P. Carpentarii, Adelungii et aliorum, in compendium accuratissime redactum; ou Recueil de mots de la basse Latinité, dressé pour servir a l’intelligence des auteurs, soit sacrés, soit profanes, du moyen age par W.- H. M aigne D’Arnis , publié par M. L’Abbé M igne , Paris 1890. Mittelniederdeutsches Handwörterbuch Mittelniederdeutsches Handwörterbuch , begr. von Agathe L asCh u. Conrad B orChing , hg. (nach anderen) von Ingrid s ChröDer , Neumünster 1956 ff. MWB Mittelhochdeutsches Wörterbuch , im Auftr. der Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen hg. von Kurt g ärtner , Stuttgart 2006 ff. (vgl. auch MWB Online: http: / / www. mhdwb-online.de/ , 15. 08. 2017). OLD Oxford Latin Dictionary , hg. von Peter G. W. g Lare , 2., überarb. Auflage, Oxford 2012. PG Patrologiae cursus completus / Series Graeca , Vol. 1-161, hg. von Jacques-Paul M igne , Paris 1857-1866. PKSW Hermann p auL : Mittelhochdeutsche Grammatik , 25. Aufl., neu bearb. von Thomas k Lein , Hans-Joachim s oLMs u. Klaus-Peter W egera . Mit einer Syntax von Ingeborg s ChöBLer , neubearb. u. erw. von Heinz-Peter p reLL , Tübingen 2007 (Sammlung kurzer Grammatiken germanischer Dialekte, A. Hauptreihe 2). PL Patrologiae cursus completus / Series Latina , Vol. 1-221, Suppl. Vol. 1-5, hg. von Jacques-Paul M igne , Paris 1844-1855; 1862-1865. RGA Reallexikon der germanischen Altertumskunde , 2. völlig neu bearb. u. stark erw. Auflage, hg. von Johannes h oops u. a., Berlin / New York 1973 ff. TPMA Thesaurus proverbiorum medii aevi. Lexikon der Sprichwörter des romanischgermanischen Mittelalters , hg. vom Kuratorium Singer der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften, begr. von Samuel s inger [Wiss. Leitung: Ricarda L iver …], Berlin 1995-2002. TRE Theologische Realenzyklopädie , hg. von Gerhard M üLLer , Horst B aLZ u. Gerhard k rause , Berlin 1976-2004. Siglen für Handschriften und Drucke 399 VD 16 Verzeichnis der im deutschen Sprachbereich erschienenen Drucke des 16. Jahrhunderts : https: / / www.bsb-muenchen.de/ kompetenzzentren-und-landesweitedienste/ kompetenzzentren/ vd-16/ (15. 08. 2017). 2 VL Die deutsche Literatur des Mittelalters - Verfasserlexikon , begr. von Wolfgang s taMMLer , fortgeführt von Karl L angosCh . 2., völlig neu bearbeitete Auflage unter Mitarbeit zahlreicher Fachgelehrter hg. von Kurt r uh (ab Band 9: Burghart W aChinger ) zusammen mit Gundolf k eiL , Werner s ChröDer , Burghart W aChinger (ab Band 9: Kurt r uh ) u. Franz Josef W orstBroCk . Redaktion: Christine s töLLinger -L öser , Berlin bzw. Berlin / New York 1978-2008. WA D. Martin Luthers Werke. Kritische Gesamtausgabe , Weimar 1883-2009. WiBiLex Stefan a Lkier , Michaela B auks u. Klaus k oenen (Hgg.): Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet , 2007 ff.: http: / / www.wibilex.de (15. 08. 2017). WMU Wörterbuch der mittelhochdeutschen Urkundensprache. Auf der Grundlage des „Corpus der altdeutschen Originalurkunden bis zum Jahr 1300“ unter Leitung von Bettina k irsChstein u. Ursula s ChuLZe erarb. von Sibylle o hLy u. Peter s ChMitt , Berlin 1986 ff. (Veröffentlichungen der Kommission für Deutsche Literatur des Mittelalters der Bayerischen Akademie der Wissenschaften). Siglen für Handschriften und Drucke A GW 9248: Augsburg 1476, Antonius Sorg ( Die Neue Ee ) B1 s. ,H18‘ E Erlangen, Universitätsbibl., Ms. B 2 (Heinrich von Hesler: Erlösung ) E 2 St. Gallen, Stiftsbibl., Cod. 1142 ( Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung E) E 3 Karlsruhe, Badische Landesbibliothek, Cod. St. Georgen 83 ( Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung E) E 4 Engelberg, Benediktinerstift, Cod. 243 ( Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung E) E 6 Solothurn, Zentralbibl., Cod. S 194 ( Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung E) Fr Frankfurt, Universitätsbibl., Mgq 55 ( Bremer Evangelistar ) G Görlitz, Bibl. der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Cod. A III .1.10 [verschollen] (Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) G Gotha, Forschungsbibl., Cod. Membr. II 37 (Bruder Philipp: Marienleben ; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) G s. ,H15‘ G 1 München, BSB , Cgm 7240 ( Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung G) Go Gotha, Forschungsbibl., Cod. Chart. B 174a (Bruder Philipp: Marienleben ; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) Go1 s. ,H15‘ 400 Abkürzungs- und Siglenverzeichnis Gö Göttweig, Stiftsbibl., Cod. 222 ([ Klosterneuburger ] Evangelienwerk ) Gr Graz, UB , Ms. 1314 [früher 37 / 45-4º] ( Historia apocrypha der Legenda aurea ) Gr1 s. ,H11‘ Gz s. ,H11‘ Γ Görlitz, Bibl. der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften, Cod. A III .1.10 [Beilage], [verschollen] (Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) H 1 s. ,S‘ (Schaffhausen, Stadtbibl., Cod. Gen. 8) H1 Wolfenbüttel, HAB , Cod. 1.5.2 Aug. 2° (Heinrich von München: Weltchronik , Erstfassung) [= Wo1, W] H 2 s. ,K2‘ H 3 s. ,K1‘ H9 München, BSB , Cgm 7330 (Cim 314) (Heinrich von München: Weltchronik , Redaktion β, Sentlinger-Redaktion von 1394) [= M3, Ms] H11 Graz, Universitätsbibl., Ms. 470 (Heinrich von München: Weltchronik , Redaktion β, Sentlinger-Redaktion von 1394) [= Gr1, Gz] H12 Wolfenbüttel, HAB , Cod. Guelf. 1.16 Aug. 2° (Heinrich von München: Weltchronik , Redaktion β, Sentlinger-Redaktion von 1399) [= Wo2, Ws] H15 Gotha, Forschungsbibl., Cod. Chart. A 3 (Heinrich von München: Weltchronik , Redaktion β) [= Go1, G] H18 Berlin, SBPK , Mgf 1107 (Heinrich von München: Weltchronik , Redaktion β) [= B1] Ha Hamburg, Staats- und Universitätsbibl., Cod. 146 in scrin. (Bruder Philipp: Marienleben ; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) K Köln, Hist. Archiv der Stadt, Best. 7020 (W*) 20 (Bruder Philipp: Marienleben ; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) K1 Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 4 ([ Klosterneuburger ] Evangelienwerk ; Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung H) [= H 3 ] K2 Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 51 ([ Klosterneuburger ] Evangelienwerk ; Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung H) [= H 2 ] Kb Berlin, SBPK , Mgf 1097 ( Schwabenspiegel , Kurzform [Klasse Ia]) L London, British Library, MS Add. 10 432 (Bruder Philipp: Marienleben ; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) L 1 GW 9253: Lübeck 1476, Lukas Brandis ( Die Neue Ee ) L 2 GW 9254: Lübeck 1482: sog. Calderinus-Drucker, Matthäus Brandis ( Die Neue Ee [Historienbibel]) M München, BSB , Cgm 5249 / 55b (Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) M München, BSB , Cgm 5249 / 61b (Konrad von Heimesfurt: Diu urstende ) M 1 München, BSB , Cgm 370 ( Die Neue Ee [Historienbibel]) M 1 München, BSB , Clm 23 390: ( Historia apocrypha der Legenda aurea ) M 2 München, BSB , Cgm 522 ( Die Neue Ee [Historienbibel]) Siglen für Handschriften und Drucke 401 M3 s. ,H9‘ Ms s. ,H9‘ N Klosterneuburg, Stiftsbibl., Cod. 1242 (Bruder Philipp: Marienleben ; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) O Oldenburg, Landesbibl., Cim I 410 [früher Rastede, Großherzogl. Bibl., Cod. A.1.1] (Eike von Repgow: Sachsenspiegel ) p Heidelberg, Universitätsbibl., Cpg 342 (Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) S Schaffhausen, Stadtbibl., Cod. Gen. 8: ([ Klosterneuburger ] Evangelienwerk ; Nikodemusevangelium , deutsche Prosafassung H) [= H 1 ] S Schwerin, Landesbibl., ohne Sign. (1) (Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) s Stuttgart, Landesbibl., Cod. theol. et phil. 4° 98 (Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) Se Colmar, Archives Départementales du Haut-Rhin, Fragments de Ms. no. 332 [früher Sennheim, Stadtarchiv, G. G. 1537] (Heinrich von Hesler: Apokalypse ) V Wien, ÖNB , Cod. 2696 (Konrad von Heimesfurt: Diu urstende ) W Wien, ÖNB , Cod. 2862 ( Die Neue Ee [Historienbibel]) W Wien, ÖNB , Cod. Ser. nova 207 [früher Cod. 19 681] (Bruder Philipp: Marienleben ; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ) W s. ,H1‘ W13 Wolfenbüttel, HAB , Cod. 404.9 (13) Novi (Heinrich von Hesler: Erlösung ) W19 Wolfenbüttel, HAB , Cod. 404.9 (19) Novi (Heinrich von Hesler: Erlösung ) Wo1 s. ,H1‘ Wo2 s. ,H12‘ Ws s. ,H12‘ Ausgaben und Übersetzungen 403 Literaturverzeichnis Für die Auflösung von Abkürzungen von Handbüchern s. S. 397-399; die Abkürzungen für Reihen- und Zeitschriftentitel folgen der Systematik des Verfasserlexikons ( 2 VL ). Ausgaben und Übersetzungen (nach Autoren und Werken geordnet; wenn mehrere Ausgaben und Übersetzungen desselben Werks angegeben sind, ist die Referenzausgabe oder -übersetzung durch einen Asterisk markiert) Albertus Gandinus (de Gandino) Hermann k antoroWiCZ : Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik . Bd. 2: Die Theorie , Berlin / Leipzig 1926. Albertus Magnus B. Alberti Magni Ratisbonensis episcopi, Ordinis Praedicatorum, opera omnia, ex editione Lugdunensi religiose castigata, et pro auctoritatibus ad fidem vulgatae versionis accuratiorumque Patrologiae textuum revocata auctaque B. Alberti vita ac bibliographia operum a PP . Quétif et Echard exaratis. Etiam revisa et locupletata cura ac labore Augusti B orgnet . Bd. 24: Enarrationes in Johannem , Paris 1899. Augustinus Sancti Aurelii Augustini opera. 3.4. De consensu evangelistarum libri quattuor . Recensuit et commentario critico instruxit Franciscus [Franz] W eihriCh , Wien / Leipzig 1904 ( CSEL 43); Nachdruck: Wien 1963. Sancti Aurelii Augustini opera. 6.6. De doctrina christiana libri quattuor. Recensuit et praefatus est Guilelmus M. [William McAllen] g reen , Wien 1963 ( CSEL 80). Sancti Aurelii Augustini opera. 8. In Iohannis Evangelium tractatus CXXIV , hg. von Radbodus W iLLeMs , 2. Aufl., Turnhout 1990 ( CC 36, Aurelii Augustini opera Pars VIII ). Sancti Aurelii Augustini opera. 5. Quaestionum in Heptateuchum libri VII . Locutionum in Heptateuchum libri VII . De octo quaestionibus ex veteri testamento , hg. von J. F raipont u. D. D e B ruyne , Turnhout 1958 ( CC 33). Aurelius Augustinus: Die christliche Bildung . Übers., Anm. u. Nachwort von Karla p oLLMann , Stuttgart 2002 ( RUB 18 165). Ava Ava: Geistliche Dichtungen , hg. von Maike C LaussnitZer u. Kassandra s perL , Stuttgart 2014 (Relectiones 3). Benediktbeurer Weihnachtsspiel s. ‚ Carmina Burana ‘ 404 Literaturverzeichnis Bruder Berthold (von Freiburg) Die ›Rechtssumme‹ Bruder Bertholds. Eine deutsche abecedarische Bearbeitung der »Summa Confessorum« des Johannes von Freiburg. Synoptische Edition der Fassungen B, A und C , Bd. 1: Einleitung, Buchstabenbereich A-B , hg. von Georg s teer u. a., Tübingen 1987 (Texte und Textgeschichte 11); Bd. 6: Quellenkommentar. Buchstabenbereich A-H , hg. von Marlies h aMM u. Helgard u LMsChneiDer , Tübingen 1991 (Texte und Textgeschichte 16). Berthold von Regensburg Berthold von Regensburg. Vollständige Ausgabe seiner Predigten mit Anmerkungen von Franz p FeiFFer . Mit einem Vorwort von Kurt r uh . Bd. 1, Berlin 1965 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Texte des Mittelalters); urspr. Wien 1862. Berthold von Regensburg. Vollständige Ausgabe seiner deutschen Predigten mit Einleitungen und Anmerkungen von Franz p FeiFFer und Joseph s troBL . Mit einer Bibliographie und einem überlieferungsgeschichtlichen Beitrag von Kurt r uh . Bd. 2, Berlin 1965 (Deutsche Neudrucke, Reihe: Texte des Mittelalters); urspr. Wien 1880. Bremer Evangelistar Das Bremer Evangelistar. Unter Mitarbeit von Marion B oCkeLMann und Andreas k erstan eingeleitet und herausgegeben von Jochen s pLett , Berlin / New York 1996 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker, N. F. 110 [234]). Buch der Märtyrer Das Märterbuch. Die Klosterneuburger Handschrift 713 , hg. von Erich g ieraCh , Berlin 1928 ( DTM 32). Buch’sche Glosse s. , Johannes von Buch‘ Carmina Burana Carmina Burana. Texte und Übersetzungen. Mit den Miniaturen aus der Handschrift und einem Aufsatz von Peter und Dorothea Diemer , hg. von Benedikt Konrad v oLLMann , Frankfurt a. M. 1987 (Bibliothek deutscher Klassiker 16, Bibliothek des Mittelalters 13) [= Benediktbeurer Weihnachtsspiel ]. Catena aurea -Übersetzung s. ,Thomas von Aquin‘ Christi Leiden in einer Vision geschaut ‘Christi Leiden in einer Vision geschaut’ (A German Mystic Text of the Fourteenth Century). A critical account of the published and unpublished manuscripts, with an edition based on the text of MS . Bernkastel-Cues 115 by F[rederick] P. p iCkering , Manchester 1952. Corpus iuris civilis Corpus iuris civilis. Vol. II : Codex Iustinianus. Recensuit Paulus k rueger (Paul k rüger ), Berlin 1877; zahlreiche Nachdrucke, zuletzt: Hildesheim 2008. Curtius Rufus, Quintus Quintus Curtius Rufus: Historiae Alexandri Magni. Geschichten Alexanders des Großen . Lateinisch / Deutsch. Übersetzt von Felicitas o LeF -k raFFt . Hg., kommentiert u. mit einem Nachwort versehen von F. O.-K. u. Peter k raFFt , Stuttgart 2014 ( RUB 19 813). David von Augsburg Franz p FeiFFer : Bruder David von Augsburg, in: ZfdA 9 (1853), S. 1-67. Decretum Gratiani s. ,Gratian‘ Ausgaben und Übersetzungen 405 Deutschenspiegel Studia iuris Teutonici. Deutschenspiegel. Tractavit Karl August e CkharDt . Index, Prolegomena, Augsburger Sachsenspiegel, Deutschenspiegel , Aalen 1971 (Bibliotheca rerum historicarum, Studia 3). Eike von Repgow * Des Sachsenspiegels erster Theil oder das Sächsische Landrecht nach der Berliner Handschrift v. J. 1369 , hg. von Carl Gustav h oMeyer , 3., umgearb. Ausg., Berlin 1861. Sachsenspiegel. Landrecht und Lehnrecht , hg. von Karl August e CkharDt , 3. Bearbeitung, Göttingen 1973 ( MGH , Fontes iuris Germanici antiqui, N. S. 1.1-2 = Bibliotheca rerum historicarum, Land- und Lehnrechtsbücher 1) [2 Teile in einem Bd.]. Erlösung Die Erlösung mit einer Auswahl geistlicher Dichtungen , hg. von Karl B artsCh , Quedlinburg / Leipzig 1858 (Bibliothek der gesammten deutschen National-Literatur von der ältesten bis auf die neuere Zeit 37). Evangelienharmonien s. ,Passionsharmonien‘ Evangelium Nicodemi s. ‚ Nikodemusevangelium ‘ Flores temporum Hermanni Gygantis ordinis fratrum minorum Flores temporum, seu chronicon universale, ab orbe condito ad annum Christi MCCCXLIX . Et abhinc ad annum MDXIII . continuatum a Michaele e ysenhart , Presbyt. Erythropolitano, Ex ipso hujus MS to Autographo editum, Et parmeisso ad Hermanni Illustrationem proprio suo Glossario Latinitatis ferreæ a Joh. Gerhardo M eusChenio , Leiden 1750; urspr. 1743. Freidank Fridankes Bescheidenheit , hg. von H. E. B eZZenBerger , Halle 1872. Geiler, Johannes, von Kaysersberg Johannes Geiler von Kaysersberg. Sämtliche Werke. Erster Teil: Die deutschen Schriften. Erste Abteilung: Die zu Geilers Lebzeiten erschienenen Schriften , Bd. 3, hg. von Gerhard B auer , Berlin / New York 1995 (Ausgaben deutscher Literatur des XV . bis XVIII . Jahrhunderts). Gratian Decretum magistri Gratiani. Editio Lipsiensis secunda post Aemilii Ludovici Richteri curas ad librorum manu scriptorum et editionis Romanae fidem recognovit et adnotatione critica instruxit Aemilius F rieDBerg , Leipzig 1879 (Corpus iuris canonici 1) [zitiert nach der Online-Ausgabe: http: / / geschichte.digitale-sammlungen.de/ decretum-gratiani/ online/ angebot , 10. 08. 2017]. Gundacker von Judenburg Gundackers von Judenburg Christi Hort aus der Wiener Handschrift hg. von J. J aksChe , Berlin 1910 ( DTM 18). Hawich der Kellner Havich der Kellner, Sankt Stephans Leben. Aus der Berliner Handschrift hg. von Reginald J. M C C Lean , Berlin 1930 ( DTM 35). Heinrich von Hesler Die Apokalypse Heinrichs von Hesler aus der Danziger Handschrift hg. von Karl h eLM , Berlin 1907 (Dichtungen des Deutschen Ordens I); Nachdruck: Hildesheim 2005. Otto von h eineMann : Aus zerschnittenen Wolfenbüttler Handschriften, in: ZfdA 32 (1888), S. 69-123 [= Fragmente der Erlösung Heinrichs von Hesler]. 406 Literaturverzeichnis *Arno M entZeL -r euters : Die ‘Erlösung’ des Heinrich von Hesler, in: Grundlagen. Forschungen, Editionen und Materialien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit , hg. von Rudolf B entZinger , Ulrich-Dieter o ppitZ und Jürgen W oLF , Stuttgart 2013 (ZfdA, Beihefte 18), S. 73-85. Die geistliche Dichtung des Mittelalters, Teil 2: Die Legenden und die Deutschordensdichtung , hg. von Paul p iper , Berlin / Stuttgart 1888 (Deutsche National-Litteratur 3.2); Nachdruck: Zürich 1986 [= Evangelium Nicodemi (G)]. * Das Evangelium Nicodemi von Heinrich von Hesler , hg. von Karl h eLM , Tübingen / Paris / New York 1902 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 224). Heinrich von München Die Weltchronik Heinrichs von München. Neue Ee , hg. von Frank s haW , Johannes F ournier u. Kurt g ärtner , Berlin 2008 ( DTM 88). Hermann von Sachsenheim Hermann von Sachsenheim: Die Mörin . Nach der Wiener Handschrift ÖNB 2946 hg. u. kommentiert von Horst Dietrich s ChLosser , Wiesbaden 1974 (Deutsche Klassiker des Mittelalters 3). Hieronymus, Sophronius Eusebius S. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars I: Opera Exegetica, 6: Commentarii in prophetas minores , Bd. 1, hg. von Marc a Driaen , Turnhout 1969 ( CC 76). S. Hieronymi Presbyteri Opera, Pars I: Opera Exegetica, 7: Commentariorum in Matheum libri IV , hg v. David h urst u. Marc a Driaen , Turnhout 1969 ( CC 77). Sancti Eusebii Hieronymi Opera. Sect. I: Epistulae. Pars I: Epistulae I- LXX . Recensuit Isidorus (Isidor) h iLBerg , editio altera supplementis aucta, Wien 1996 ( CSEL 54); urspr. Wien / Leipzig 1910. Historia apocrypha der Legenda aurea Joachim k nape : Die Historia apocrypha der Legenda aurea (dt.), in: Zur Deutung von Geschichte in Antike und Mittelalter. Plinius d. J. „Panegyricus“, „Historia apocrypha“ der „Legenda aurea“ , hg. von DeMs . u. Karl s troBeL , Bamberg 1985 (Bamberger Hochschulschriften 11), S. 113-172. Isidor von Sevilla Isidorus Hispalensis. Sententiae , hg. von Pierre C aZier , Turnhout 1998 ( CC 111). Jacobus a (de) Voragine Iacopo da Varazze: Legenda aurea con le miniature del codice Ambrosiano C 240 inf. Testo critico riveduto e commento a cura di Giovanni Paolo M aggioni . Traduzione italiana di Gianfranco a gosti et al. coordonati da Francesco s teLLa con la revisione di G. P. M . Premessa di Claudio L eonarDi , Florenz 2007 (Edizione nazionale dei testi mediolatini). * Legenda aurea . Einleitung, Edition, Übersetzung und Kommentar, hg. von Bruno W. h äuptLi , 2 Bde, Freiburg / Basel / Wien 2014. Die „Lombardische Heilsgeschichte“ (Legenda aurea) des Jacobus a Voragine. Aus dem Lateinischen übersetzt und mit Kommentaren versehen von Gerhard J ehLe , Bd. 21, Furtwangen 2012. Ausgaben und Übersetzungen 407 Johannes von Buch Glossen zum Sachsenspiegel-Landrecht. Buch’sche Glosse , hg. von Frank-Michael k auFMann . 3 Bde, Hannover 2002 ( MGH , Fontes iuris Germanici antiqui, N. S. 7.1-3). Der Richtsteig Landrechts nebst Cautela und Premis , hg. von Carl Gustav h oMeyer , Berlin 1857. Johannes von Frankenstein Der Kreuziger des Johannes von Frankenstein , hg. von Ferdinand k huLL , Tübingen 1882 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 160); Nachdruck: Hildesheim 2005. M. Reinhildis F erBer : Die Quelle des „Creuziger“ des Johannes von Frankenstein , München 1935. Pfaffe Konrad Das Rolandslied des Pfaffen Konrad. Mittelhochdeutsch / Neuhochdeutsch , hg. von Dieter k artsChoke , durchges. u. bibl. aktual. Ausg., Stuttgart 2011 ( RUB 2745). Konrad von Ammenhausen Das Schachzabelbuch Kunrats von Ammenhausen, Mönchs und Leutpriesters zu Stein am Rhein. Nebst den Schachbüchern des Jakob von Cessole und des Jakob Mennel. Mit einem Exkurs über das mittelalterliche Schachspiel von v. Heydebrand und der Lasa , hg. von Ferdinand v etter , Frauenfeld 1892 (Bibliothek älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, Ergänzungsbd.). Konrad von Fußesbrunnen Konrad von Fußesbrunnen. Die Kindheit Jesu. Kritische Ausgabe , hg. von Hans F roMM u. Klaus g ruBMüLLer , Berlin / New York 1973. Konrad von Heimesfurt * Konrad von Heimesfurt: »Unser vrouwen hinvart« und »Diu urstende«. Mit Verwendung der Vorarbeiten von Werner Fechter hg. von Kurt g ärtner u. Werner J. h oFFMann , Tübingen 1989 ( ATB 99). Konrad von Heimesfurt: »Diu urstende« , hg. von Kurt g ärtner u. Werner J. h oFFMann Tübingen 1991 ( ATB 106). Legenda aurea s. , Jacobus a (de) Voragine‘ Mai und Beaflor Mai und Beaflor. Minneroman des 13. Jahrhunderts , hg. von Christian k iening u. Katharina M ertens F Leury , Zürich 2008 (http: / / www. ds.uzh.ch/ kiening/ Mai_und_Beaflor/ MaiundBeaflor.pdf, 10. 08. 2017). Pseudo-Matthäusevangelium Libri de nativitate Mariae , Bd. 1: Pseudo-Matthaei evangelium. Textus et commentarius , hg. von Jan g iJseL , Turnhout 1997 (Corpus Christianorum, Series Apocryphorum 9). Matthäus von Vendôme Mathei Vindocinensis Opera. Vol. III : Ars versificatoria , hg. von Franco M unari , Rom 1988 (Storia e letteratura, Raccolta di studi e testi 171). Meißner Rechtsbuch Míšeňská právní kniha. Historický kontext, jazykový rozbor, edice (Das Meißner Rechtsbuch) , hg. von Vladimír S páčil u. Libuše S páčilová , Olomouc 2010. Die Neue Ee (Historienbibel) Die Neue Ee. Eine neutestamentliche Historienbibel , hg. von Hans v oLLMer , Berlin 1929 (Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters 4). 408 Literaturverzeichnis Nikodemusevangelium Evangelia apocrypha, adhibitis plurimis codicibus Graecis et Latinis maximam partem nunc primum consultis atque ineditorum copia insignibus, collegit atque recensuit Constantinus De (Konstantin von ) t isChenDorF , 2., verm. Aufl., Leipzig 1876; 1. Aufl. 1853; 2. Nachdruck der 2., verm. Aufl.: Hildesheim / Zürich / New York 1987 [= Nikodemusevangelium ]. * The Gospel of Nicodemus: Gesta Salvatoris , hg. von H[ack] C[hin] k iM , Toronto 1973 (Toronto medieval Latin texts 2). Dat ewangelium Nicodemi van deme lidende vnses heren Ihesu Christi. Zwei mittelniederdeutsche Fassungen , hg. von Achim M asser , Berlin 1978 (Texte des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit 29). Das Evangelium Nicodemi in spätmittelalterlicher deutscher Prosa. Texte , hg. von Achim M asser u. Max s iLLer , Heidelberg 1987 (Germanische Bibliothek, Reihe 4: Texte und Kommentare). *L’Évangile de Nicodème ou Les Actes faits sous Ponce Pilate (recension latine A) suivi de Le lettre de Pilate à l’empereur Claude . Introduction et notes par Rémi g ouneLLe et Zbigniew i ZyDorCZyk . Traduction par Rémi g ouneLLe , à partir d’un texte mis au point par Zbigniew i Zy - DorCZyk , Turnhout 1997 (Apocryphes 9) [1997a]. Felix s CheiDWeiLer : Nikodemusevangelium. Pilatusakten und Höllenfahrt Christi, in: Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung , Bd. 1: Evangelien , hg. von Wilhelm s ChneeMeLCher , 6. Aufl. der von Edgar h enneCke begründeten Sammlung, Tübingen 1999, S. 395-424. Monika s ChärtL : A. III .2: Das Nikodemusevangelium, die Pilatusakten und die „Höllenfahrt Christi“, in: Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung , hg. von Christoph M arksChies u. Jens s Chröter in Verbindung mit Andreas h eiser . 7. Aufl. der von Edgar h enneCke begründeten und von Wilhelm s ChneeMeLCher fortgeführten Sammlung der neutestamentlichen Apokryphen. I. Band: Evangelien und Verwandtes. Teilband 1, Tübingen 2012, Einleitung: S. 231-240; Übersetzung: S. 240-261. Origenes Origenes Werke. XI . Origenes Matthäuserklärung. II . Die lateinische Übersetzung der Commentariorum series , hg. von Erich k LosterMann , unter Mitwirkung von Ernst B enZ . 2., bearbeitete Aufl., hg. von Ursula t reu , Berlin 1976 (Die griechischen Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte 38). Österreichischer Bibelübersetzer s. ‚( Klosterneuburger ) Evangelienwerk ‘ Passional Das alte Passional , hg. von Karl A. h ahn , Frankfurt a. M. 1845. * Passional , hg. von Annegret h aase , Martin s ChuBert u. Jürgen W oLF . Bd. 1: Buch I: Marienleben, Bd. 2: Buch II : Apostellegenden, Berlin 2013 ( DTM 91.1-2). Passionsharmonien Passionsharmonien des Mittelalters. Texte und Untersuchungen , hg. von Petra h örner , Berlin 2012 [h örner 2012c]. Ausgaben und Übersetzungen 409 Bruder Philipp Bruder Philipps des Carthäusers Marienleben , hg. von Heinrich r üCkert , Quedlinburg / Leipzig 1853 (Bibliothek der deutschen National- Literatur 34); Nachdruck: Amsterdam 1966. Rechtsquellen der Stadt Wien Die Rechtsquellen der Stadt Wien , hg. von Peter C senDes , Wien / Köln / Graz 1986 (Fontes rerum Austriacarum, Abt. 3: Fontes iuris 9). Richtsteig Landrechts s. , Johannes von Buch‘ Rudolf von Ems Rudolf von Ems. Alexander. Ein höfischer Versroman des 13. Jahrhunderts. Zum ersten Male hg. von Viktor J unk . Erster Teil: Buch 1-3 , Leipzig 1928 (Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart CCLXXII ); Nachdruck: Darmstadt 1970. Sachsenspiegel s. ,Eike von Repgow‘ Der Sälden Hort Der Saelden Hort. Alemannisches Gedicht vom Leben Jesu, Johannes des Täufers und der Magdalena. Aus der Wiener und Karlsruher Handschrift , hg. von Heinrich a Drian , Berlin 1927 ( DTM 26). Schwabenspiegel Studia iuris Suevici I: Urschwabenspiegel. Tractavit Karl August e Ck harDt . Index, Prolegomena, Textus: Freiburger Handschriften , Aalen 1975 (Bibliotheca rerum historicarum, Studia 4). Der Schwabenspiegel oder Schwäbisches Land- und Lehen-Rechtbuch, nach einer Handschrift vom Jahr 1287 hg. von Dr. Friedrich Leonhard Anton Freiherrn von L assBerg . Mit einer Vorrede von Dr. A. L. Reyscher , Tübingen 1840. * Schwabenspiegel. Kurzform. I. Landrecht. II . Lehnrecht , hg. von Karl August e CkharDt , Zweite, neubearb. Ausg., Hannover 1974 ( MGH , Fontes iuris Germanici antiqui, N. S. 4.1-2 = Bibliotheca rerum historicarum, Abteilung Land- und Lehnrechtsbücher 4) [zitiert nach Kb, wenn nicht anders angegeben]. Studia iuris Suevici V: Schwabenspiegel, Normalform. Tractaverunt Karl August e CkharDt , Irmgard e CkharDt , geb. r auCh . Index. I. E.: Heidelberger Handschrift Uh; K. A. E.: Witzenhäuser Handschrift Uw , Aalen 1972 (Bibliotheca rerum historicarum, Studia 8). Spiegel deutscher Leute s. ‚ Deutschenspiegel ‘ Tankred von Bologna Pillii, Tancredi, Gratiae Libri de iudiciorum ordine , hg. von Fridericus B ergMann , Göttingen 1842; Nachdruck: Aalen 1965. Tertullian Tertullian. Apologeticum. Verteidigung des Christentums. Lateinisch und deutsch , hg., übers. u. erl. v. Carl B eCker , 2., durchges. Aufl., München 1961. Thomas von Aquin S. Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P. M. edita , t. 4-5: Pars prima Summae theologiae , Rom 1888-1889 [= Editio Leonina ]. S. Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P. M. edita , t. 8-10: Secunda secundae Summae theologiae , Rom 1895 / 1897 / 1899 [= Editio Leonina ]. S. Thomae Aquinatis Opera omnia iussu impensaque Leonis XIII P. M. edita , t. 11-12: Tertia pars Summae theologiae , Rom 1903 / 1906 [= Editio Leonina ]. 410 Literaturverzeichnis Summa Theologica. Recht und Gerechtigkeit, II - II , 57-79 , übers. von D o - Minikanern unD B eneDiktinern Deutschlands und Österreichs, komm. von A. F. u tZ OP , Graz / Wien / Salzburg 1953. Catena aurea deutsch. Die ostmitteldeutsche Übersetzung des Katenenkommentars des Thomas von Aquin , hg. von Petra h örner . Bisher 2 Bde, Berlin / New York 2008 / 2012 [h örner 2012a]. Der Passionsbericht nach Matthäus aus der Catena aurea des Thomas von Aquin in bairischer Übersetzung. Text und Untersuchung , hg. von Petra h örner , Berlin 2012 [h örner 2012b]. Summa Theologica. Des Menschensohns Leiden und Erhöhung, III , 46-59 , übers. von D oMinikanern und B eneDiktinern Deutschlands und Österreichs, komm. von Adolf h oFFMann OP , Graz / Wien / Köln 1956. S. Thomae Aquinatis doctoris angelici Super Evangelium S. Ionnis Lectura , hg. von P. Raphael C ai , O. P., Rom 1972 (zuerst 1952). The Passion of Christ (3a, 46-52). Latin text and English translation, Introductions, Notes, Appendices and Glossaries , hg. von Richard T. A. M urphy , Cambridge 1965 (St. Thomas Aquinas: Summa Theologiae 54); Nachdruck: Cambridge 2006. Thomas von Aquins Kommentar zum Johannesevangelium , hg. von Paul W eingartner , Michael e rnst u. Wolfgang s Chöner . Teil 2, Göttingen 2016. Tilo von Kulm Dichtungen des Deutschen Ordens, Bd. II : Tilos von Kulm Gedicht Von siben Ingesigeln aus der Königsberger Handschrift , hg. von Karl k oChenDörFFer , Berlin 1907 ( DTM 9). Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg Urkundenbuch des Hochstifts Naumburg. Teil 2 (1207-1304). Herausgegeben von Hans K. s ChuLZe . Auf der Grundlage der Vorarbeiten von Felix Rosenfeld und Walter Möllenberg bearbeitet von Hans Patze und Josef Dolle , Köln / Weimar / Wien 2000 (Quellen und Forschungen zur Geschichte Sachsen-Anhalts 2). Väterbuch Das Väterbuch aus der Leipziger, Hildesheimer und Straßburger Handschrift , hg. von Karl r eissenBerger , Berlin 1914 ( DTM 22). Vinzenz von Beauvais Vincentius Bellovacensis: Speculum doctrinale, mit Privileg, Venedig 1494.01.13 [ BSB -Ink V-200 - GW M50 566] (urn: nbn: de: bvb: 12bsb00 057 445-2). Vita beate virginis Marie et salvatoris rhythmica Vita beate virginis Marie et salvatoris rhythmica , hg. von Adolf v ögtLin , Stuttgart 1888 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 180). Vulgata Biblia Sacra iuxta vulgatam versionem adiuvantibus B. Fischer, I. Gribomont, H. F. D. Sparks, W. Thiele recensuit et brevi apparatu critico instruxit Robert W eBer . Editionem quintam emendatam retractatam praeparavit Roger g ryson , Stuttgart 2007. Walther von der Vogelweide Walther von der Vogelweide. Leich, Lieder, Sangsprüche. Aufgrund d. 14., von Christoph Cormeau bearb. Ausgabe neu hg., mit Erschließungshilfen und textkritischen Kommentaren versehen von Thomas B ein , 15., veränd. u. um Fassungseditionen erw. Aufl. der Ausg. Karl Lachmanns, Berlin / Boston 2013 (De Gruyter Texte). Ausgaben und Übersetzungen 411 Priester Wernher Priester Wernher: Maria. Bruchstücke und Umarbeitungen , hg. von Carl W esLe , 2. Aufl. besorgt durch Hans F roMM , Tübingen 1969 ( ATB 26). Wolfram von Eschenbach Wolfram von Eschenbach: Willehalm. Nach der Handschrift 857 der Stiftsbibliothek St. Gallen , hg. von Joachim h einZLe , Tübingen 1994 ( ATB 108). York Trial Plays * The York plays. A critical edition of the York Corpus Christi Play as recorded in British Library Additional MS 35 290. Volume One: The Text , hg. von Richard B eaDLe , Oxford 2009 (Early English Text Society 23). * The York Corpus Christi plays , hg. von Clifford D aviDson , Kalamazoo, MI 2011 (Middle English Texts). 412 Literaturverzeichnis Sekundärliteratur a BBott , H. Porter: Narrativity, in: the living handbook of narratology , hg. von Peter h ühn u. a., Hamburg 2011 / 2014 (13. 08. 2011, überarbeitet 20. 01. 2014) (http: / / www.lhn.uni-hamburg.de/ article/ narrativity, 10. 08. 2017). a hLers , Michael: Die Stimme des Menelaos. Intertextualität und Metakommunikation in Texten , Würzburg 1993 (Epistemata: Reihe Literaturwissenschaft 83). a LForD , John A. u. Dennis s eniFF (Hgg.): Literature and Law in the Middle Ages. A Bibliography of Scholarship , New York / London 1984 (Garland reference library of the humanities 378). a LgaZi , Gadi: Herrengewalt und Gewalt der Herren im späten Mittelalter. Herrschaft, Gegenseitigkeit und Sprachgebrauch , Frankfurt a. M. / New York 1996 (Campus Historische Studien 17). a MersBaCh , Karl: Über die Identität des Verfassers des gereimten Evangeliums Nicodemi mit Heinrich Hesler dem Verfasser der gereimten Paraphrase der Apokalypse , Konstanz 1883 (Beilage zum Programm [Nr. 549] des Großh. Gymnasiums zu Konstanz für das Schuljahr 1882 / 83). von a Mira , Karl: Die Handgebärden in den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, in: Abhandlungen der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Philologische und Historische Klasse / Bayerische Akademie der Wissenschaften 23.2 (1905), S. 161-263. a nDritsCh , Johann: Rechtsquellen zur Geschichte der Stadt Judenburg , Graz 2001 (Quellen zur geschichtlichen Landeskunde der Steiermark 16). a shLey , Kathleen M.: The Guiler Beguiled: Christ and Satan as Theological Tricksters in Medieval Religious Literature, in: Criticism 24.2 (1982), S. 126-137. a sseBurg , Günter: Bruder Philipps Marienleben , 2 Bde, Hamburg 1964. a ustin , J. L., P. F. s traWson u. D. R. C ousin : Symposium: Truth, in: Proceedings of the Aristotelian Society. Supplementary Volumes 24 : Physical Research, Ethics and Logic (1950), S. 111-172. B aChMann -M eDiCk , Doris: Kulturanthropologie und Übersetzung, in: Übersetzung - Translation - Traduction , 1. Teilband, hg. von Harald k itteL u. a., Berlin / Boston 2004 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 26), S. 155-165. B aCkes , Martina u. Barbara F Leith : De- und Rekontextualisierungen biblischer Erzählstoffe am Beispiel der Samson-Geschichte, in: Daphnis 40 (2011), S. 115-164. B aCkhaus , Knut: Spielräume der Wahrheit: Zur Konstruktivität in der hellenistisch-reichsrömischen Geschichtsschreibung, in: D ers . / h äFner 2007, S. 1-29, Literaturverzeichnis auf S. 137-157. B aCkhaus , Knut u. Gerd h äFner : Historiographie und fiktionales Erzählen. Zur Konstruktivität in Geschichtstheorie und Exegese , Neukirchen-Vluyn 2007 (Biblisch-theologische Studien 86). B aCkus , Irena: Les apocryphes néo-testamentaires et la pédagogique latérienne des XVI e - XVII e siècles. Les recueils de Michael Nander (1564, 1567) et de Nicolas Glaser (1614), in: Apocryphité. Histoire d’un concept transversal aux religions du livre. En hommage à Pierre Geoltrain , hg. von Simon Claude M iMouni , Turnhout 2002 (Bibliothèque de l’ecole des haute études sciences religieuses 113), S. 263-276. B aisCh , Martin: Alterität und Selbstfremdheit. Zur Kritik eines zentralen Interpretationsparadigmas in der germanistischen Mediävistik, in: Die Aktualität der Vormoderne. Epochenentwürfe zwischen Alterität und Kontinuität , hg. von Klaus r iDDer u. Steffen p atZoLD , Berlin 2013 (Europa im Mittelalter 23), S. 185-206. B aLDWin , John W.: The crisis of the ordeal: literature, law and religion around 1200, in: The Journal of Medieval and Renaissance Studies 24 (1994), S. 327-353. B aLkin , J. M.: The Domestication of Law and Literature, in: Law and Social Inquiry 14 (1989), S. 787-822. B aMMeL , Ernst: The trial before Pilate, in: Jesus and the Politics of His Day , hg. von DeMs . u. C. F. D. M ouLe , Cambridge 1984, S. 415-451. B anta , Frank G.: Berthold von Regensburg, in: 2 VL , Bd. 1, 1978, Sp. 817-823. Sekundärliteratur 413 B areis , Alexander: Fiktionales Erzählen. Zur Theorie der literarischen Fiktion als Make-Believe , Göteborg 2008 (Göteborger Germanistische Forschungen 50). B areis , Alexander: Science Fiction vs. Fiction Science: On the ›Principle of Genre Convention‹ as an Exploration Rule for Fictional Worlds, in: The Aesthetics and Politics of Cultural Worldmaking , hg. von Ansgar n ünning , Vera n ünning u. Birgit n euMann , Trier 2010 ( GCSC 3), S. 119-130. B aron , Jane B.: Law, Literature and the Problem of Interdisciplinarity, in: Yale Law Journal 108 (1999), S. 1059-1085. B arthes , Roland: L’effet de réel, in: Communications 11 (1968), S. 84-89; wieder abgedruckt in: B arthes , Roland: Œuvres complètes. Tome III . 1968-1971 , nouvelle édition revue, corrigée et présentée par Éric M arty , Paris 2002, S. 25-32; deutsche Übersetzung: Der Wirklichkeitseffekt, in: B arthes , Roland: Das Rauschen der Sprache (Kritische Essays IV ) , aus dem Französischen von Dieter h orning , Frankfurt a. M. 2006 (es 1695), S. 164-172. B asse , Michael: Der Traktat ,De legibus et praeceptis‘ der Summa Halensis und sein kulturgeschichtlicher Kontext, in: s peer / g uLDentops 2014, S. 298-315. B attenBerg , Friedrich: Jüdisches Recht, Judenrecht, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 1414-1420. B auCkhaM , Richard: Jesus and the Eyewitnesses. The Gospels as Eyewitness Testimony , 2., erw. Aufl., Grand Rapids, MI , 2017 [1. Aufl. 2006]. B auMgarten , Emil: Lateinische und deutsche Stephanuslegenden , Diss. Halle-Wittenberg 1925. B ažil , Martin: IN THEUTONICO EADEM SUNT . Zur Variabilität der Beziehung zwischen Latein und Volkssprache in den zweisprachigen geistlichen Spielen bis zum Anfang des 14. Jahrhunderts, in: ZfdA 141 (2012), S. 173-189. B eCker , Anja: Poetik der wehselrede . Dialogszenen in der mittelhochdeutschen Epik um 1200 , Frankfurt a. M. u. a. 2009 (Mikrokosmos 79). B eCker , Anja: Das Problem der Interpretation alteritärer Texte. Responsivität als Antwort? , in: Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren , hg. von Ders . u. Jan M ohr , Berlin 2012 (Deutsche Literatur, Studien und Quellen 8), S. 73-101. B eCker , Anja: Mittelalterliches Textwissen in Metaphern. Bemerkungen zu Konrads von Heimesfurt Diu urstende , in: Höfische Textualität. Festschrift für Peter Strohschneider , hg. von Beate k eLLner , Ludger L ieB u. Stephan M üLLer unter Mitarbeit von Jan h on u. Pia s eLMayr , Heidelberg 2015, S. 21-44. B eCker , Anja u. Jan M ohr : Alterität. Geschichte und Perspektiven eines Konzepts. Eine Einleitung, in: Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren , hg. von Dens ., Berlin 2012 (Deutsche Literatur, Studien und Quellen 8), S. 1-58. B eCker , Christoph: Billigkeit, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 587-592. B ehrenDs , Okko: Die Gewohnheit des Rechts und das Gewohnheitsrecht. Die geistigen Grundlagen des klassischen römischen Rechts mit einem vergleichenden Blick auf die Gewohnheitsrechtslehre der Historischen Rechtsschule und der Gegenwart, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem , hg. von Dietmar W iLLoWeit , München 2000 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 45), S. 19-135. B ergann , Johanna: Von Recht und Literatur. Zur ‚Law and Literature‘-Bewegung in den USA (Rezension zu L aChenMaier 2008), in: IASL online (31. 10. 2009) (http: / / www.iaslonline.de/ index. php? vorgang_id=3085, 10. 08. 2017). B erLiner , Rudolf: Das Urteil des Pilatus, in: Rudolf Berliner (1886-1967), „The freedom of medieval art“ und andere Studien zum christlichen Bild , hg. von Robert s uCkaLe , Berlin 2003, S. 43-59; urspr. in: Die christliche Kunst 30 (1933 / 34), S. 128-147. B ernDt , Rainer: »Tuet dies zu meinem Gedächtnis«. Die Eucharistie als Grundlage christlicher Memoria in Kirche und Theologie des Mittelalters, in: Wider das Vergessen und für das Seelenheil. Memoria und Totengedenken im Mittelalter , hg. von DeMs ., Münster 2013 (Erudiri sapientia 9), S. 21-40. 414 Literaturverzeichnis B eZner , Frank: Vela veritatis. Hermeneutik, Wissen und Sprache in der Intellectual History des 12. Jahrhunderts , Leiden / Boston 2005 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 85). B iDese , Ermenegildo: Das Naturgesetz als dialogische Emergenz des Ethischen. Zum Verhältnis zwischen lex aeterna, lex naturalis, und motus rationalis im De-lege -Traktat der Summa Theologiae Thomas von Aquins, in: Gregorianum 86 (2005), S. 776-805. B ieBersteDt , Andreas: Übersetzungsstrategien spätmittelalterlicher Bibelverdeutschungen. Das Bremer Evangelistar als Beispiel, in: Brücke zwischen den Kulturen. „Übersetzung“ als Mittel und Ausdruck kulturellen Austauschs , hg. von Hans Jürgen W enDeL , Rostock 2002 (Rostocker Studien zur Kulturwissenschaft 7), S. 1-29. B ieBersteDt , Andreas: Die Übersetzungstechnik des Bremer Evangelistars. Eine syntaktisch-stilistische Analyse unter Einbeziehung von Vergleichsübersetzungen des 14. bis frühen 16. Jahrhunderts , Berlin / New York 2004 (Studia linguistica Germanica 73). B inDer , Guyora: The Law-as-Literature Trope, in: Law and Literature , hg. von Michael F reeMan u. Andrew L eWis , Oxford 1999, S. 63-89. B Laas , Valentin: Überlegungen zu einer Codierung der Emotion ,Zorn‘ im ,Willehalm‘ Wolframs von Eschenbach, in: Furor, zorn, irance. Interdisziplinäre Sichtweisen auf mittelalterliche Emotionen , hg. von Bele F reuDenBerg , Berlin 2009 (Das Mittelalter 14.1), S. 50-66. B LaZoviCh , László: Die Bibel und der Schwabenspiegel, in: ZRG Kanon.Abt. 97 (2011), S. 384-389. B LeuMer , Hartmut: Schemaspiele - ,Biterolf und Dietleib‘ zwischen Roman und Epos, in: Text und Kontext. Fallstudien und theoretische Begründung einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik , hg. von Jan-Dirk M üLLer , München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 64), S. 191-218. B LeuMer , Hartmut: Einleitung, in: LiLi 41.163: Recht und Literatur (2011), S. 5-17 [2011a]. B LeuMer , Hartmut: Vom guten Recht des Teufels. Kasus, Tropus und die Macht der Sprache beim Stricker und im Erzählmotiv ,The Devil and the Lawyer‘ ( AT 1186; Mot M 215), in: LiLi 41.163: Recht und Literatur (2011), S. 149-173 [2011b]. B LeuMer , Hartmut: Geschichtsschreibung zwischen Redaktion und Kompilation: Zum Textstatus der mittelhochdeutschen Reimchronistik in der Erstausgabe der ‚Neuen Ee‘ Heinrichs von München, in: Historische Zeitschrift 293 (2011), S. 439-445 [2011c]. B LeuMer , Hartmut: Teuflische Rhetorik vor dem Gericht des Herrn. Verhandlungen zwischen Recht und Literatur am Beispiel von Ulrich Tenglers ‚Laienspiegel‘, in: Wissen, maßgeschneidert. Die Geburt des Experten in der Vormoderne , hg. von Björn r eiCh , Frank r exroth u. Matthias r oiCk , München 2012 (Historische Zeitschrift, Beiheft 57), S. 156-182. B LeuMer , Hartmut: Historische Narratologie, in: Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch , hg. von Christiane a CkerMann u. Michael e gerDing , Berlin / Boston 2015 (De Gruyter Reference), S. 213-274. B LoCh , Howard: Medieval French Literature and Law , Berkeley 1977. B LuMe , Peter: Fiktion und Weltwissen. Der Beitrag nichtfiktionaler Konzepte zur Sinnkonstitution fiktionaler Erzählliteratur , Berlin 2004 (Allgemeine Literaturwissenschaft - Wuppertaler Schriften 8). B LuMenBerg , Hans: Wirklichkeitsbegriff und Möglichkeit des Romans, in: Nachahmung und Illusion , hg. von Hans Robert J auss , 2. durchges. Aufl., München 1969, S. 9-27. B oCk , Dennis: Die erste Europäisierung der Strafrechtswissenschaft. Das gemeine Strafrecht auf römischrechtlicher Grundlage, in: Zeitschrift für internationale Strafrechtsdogmatik 1 (2006), S. 7-16. B oDeMann , Ulrike: Historienbibeln , München 2008 (Katalog der deutschsprachigen illustrierten Handschriften des Mittelalters 7.1-2). B onD , Helen K.: Pontius Pilate in history and interpretation , Cambridge 1998 (Society for New Testament Studies, Monograph Series 100). Sekundärliteratur 415 De B oor , Helmut: Stilbeobachtungen zu Heinrich von Hesler, in: Vom Werden des deutschen Geistes. Festgabe Gustav Ehrismann zum 8. Oktober 1925, dargebracht von Freunden und Schülern , hg. von Paul M erker u. Wolfgang s taMMLer , Berlin / Leipzig 1925, S. 125-148. De B oor , Helmut: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. Zerfall und Neubeginn. Erster Teil: 1250 bis 1350 , München 1962 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart III .1). De B oor , Helmut: Der Osterbericht in ‚Christi Hort‘ des Gundacker von Judenburg, in: Sprache und Bekenntnis: Hermann Kunisch zum 70. Geburtstag, 27. Oktober 1971 , hg. von Wolfgang F rühWaLD u. Günter n iggL , Berlin 1971 (Sonderband des Literaturwissenschaftlichen Jahrbuchs), S. 7-21. B orMann , Lukas: Recht, Gerechtigkeit und Religion im Lukasevangelium , Göttingen 2001 (Studien zur Umwelt des Neuen Testaments 24). B oxLer , Madeleine: „ich bin ein predigerin und appostlorin“. Die deutschen Maria Magdalena-Legenden des Mittelalters (1300-1550). Untersuchungen und Texte , Bern u. a. 1996 (Deutsche Literatur von den Anfängen bis 1700 22). B ranDt , Rüdiger: ‘erniuwet’ . Studien zu Art, Grad und Aussagefolgen der Rolandsliedbearbeitung in Strickers ‘Karl’ , Göppingen 1981 ( GAG 327). B raun , Manuel: Alterität als germanistisch-mediävistische Kategorie: Kritik und Korrektiv, in: Wie anders war das Mittelalter? Fragen an das Konzept der Alterität , hg. von Manuel B raun , Göttingen 2013 (Aventiuren 9), S. 7-40. B raun , Manuel: Der Glaube an Heroen und Minnende als ‚Glaube der anderen‘. Zugleich ein Beitrag zur mediävistischen Fiktionalitätsdiskussion, in: Interpassives Mittelalter? Interpassivität in mediävistischer Diskussion , hg. von Silvan W agner , Frankfurt a. M. u. a. 2015 (Bayreuther Beiträge zur Literaturwissenschaft 34), S. 83-111. B renDeL , Raphael: Rezension zu s ChärtL 2010, in: H-Soz-u-Kult (07. 11. 2011) (http: / / hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ rezensionen/ 2011-4-093, 10. 08. 2017). B renner , Peter: Das Problem der Interpretation. Eine Einführung in die Grundlagen der Literaturwissenschaft , Tübingen 1998 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 58). B rettsChneiDer , Nina: Die ‘vier Töchter Gottes’ bei Reinmar von Zweter und Tilo von Kulm, in: Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden , hg. von Bernhart J ähnig u. Arno M entZeL -r euters , Stuttgart 2014 (ZfdA, Beihefte 19), S. 169-176. B ruCkauF , Julius: Fahnlehen und Fahnenbelehnung im alten Deutschen Reiche , Leipzig 1907 (Leipziger historische Abhandlungen 3). B runner , Otto: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter , 6. Aufl., Reprogr. Nachdr. der 5. Aufl. 1965, Darmstadt 1970 (1. Aufl. 1939). B uMke , Joachim: Mäzene im Mittelalter. Die Gönner und Auftraggeber der höfischen Literatur in Deutschland 1150-1300 , München 1979. B uMke , Joachim: Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der höfischen Epik im 13. Jahrhundert. Die Herbort-Fragmente aus Skokloster. Mit einem Exkurs zur Textkritik der höfischen Romane, in: ZfdA 120 (1991), S. 257-304. B unia , Remigius: Faltungen. Fiktion, Erzählen, Medien , Berlin 2007 (Philologische Studien und Quellen 202). B urger , Christoph, August Den h oLLanDer u. Ulrich s ChMiD (Hgg.): Evangelienharmonien des Mittelalters , Assen 2004 (Studies in Theology and Religion 9). B uriDant , Claude: Esquisse d’une traductologie au Moyen Âge, in: Translation médiévales. Cinq siècles de traductions en français au Moyen Âge ( XI e- XV e). Étude et Répertoire. Volume 1: De la translatio studii à l’étude de la translatio, hg. von Claudio g aLDerisi , Turnhout 2011, S. 325-381. B urnsiDe , Jonathan: God, Justice, and Society. Aspects of Law and Legality in the Bible , Oxford 2011. B urret , Gianna: Der Inquisitionsprozess im Laienspiegel des Ulrich Tengler. Rezeption des gelehrten Rechts in der städtischen Rechtspraxis , Köln / Weimar / Wien 2010 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 27). 416 Literaturverzeichnis B ushey , Betty C.: Das Leben Christi in Gebetsform in Gundacker von Judenburgs ‚Christi Hort‘, in: Die mittelalterliche Literatur in der Steiermark , hg. von Alfred e BenBauer , Fritz Peter k napp u. Anton s ChWoB , Bern u. a. 1988 ( Jahrbuch für internationale Germanistik, Reihe A, Kongressberichte 23), S. 49-85. B ynuM , Caroline Walker: Das Blut und die Körper Christi im späten Mittelalter. Eine Asymmetrie, in: Vorträge aus dem Warburg-Haus 5 (2001), S. 75-119. van C aenegeM , Raoul C.: Reflexions on Rational and Irrational Modes of Proof in Medieval Europe, in: Tidschrift voor Rechtsgeschiedenes 58 (1990), S. 263-279. C arDeLLe De h artMann , Carmen: Die ‚Processus Satanae‘ und die Tradition der Satansprozesse, in: Mittellateinisches Jahrbuch 40 (2005), S. 417-430 [2005a]. C arDeLLe De h artMann , Carmen: Satan vor Gericht. Die ,Processus Satanae‘ als Inszenierung juristischer Rhetorik, in: Pontes III . Die antike Rhetorik in der europäischen Geistesgeschichte , hg. von Wolfgang k oFLer u. Karlheinz t öChterLe , Innsbruck 2005, S. 191-202 [2005b]. C aviness , Madeline H.: Giving “The Middle Ages” a Bad Name. Blood Punishments in the Sachsenspiegel and Town Law Books, in: Studies in Iconography 34 (2013), S. 175-235. C hinCa , Mark: Mögliche Welten: Alternatives Erzählen und Fiktionalität im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg, in: Poetica 35 (2003), S. 307-333. C Lassen , Albrecht: ,Detail-Realismus‘ im deutschen Spätmittelalter. Der Fall des Strickers Daniel von dem Blühenden Tal und Konrads von Würzburgs Turnier von Nantes , in: Studia Neophilologica 64 (1992), S. 195-220. C ohn , Chaim: Der Prozeß und Tod Jesu aus jüdischer Sicht. Aus dem Englischen von Christian W iese und Hannah L iron , Frankfurt a. M. 1997; urspr.: The Trial and Death of Jesus , New York 1977. C ohn , Marcus: Beweis, in: Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden , Bd. 1, Berlin 1927, Sp. 948-952. C ohn , Marcus: Eid, in: Jüdisches Lexikon. Ein enzyklopädisches Handbuch des jüdischen Wissens in vier Bänden , Bd. 2, Berlin 1928, Sp. 286-298. C opeLanD , Rita: Rhetoric, Hermeneutics, and Translation in the Middle Ages. Academic Traditions and Vernacular Texts , Cambridge 1991 (Cambridge Studies in Medieval Literature 11). C orDes , Albrecht: Deutsches Recht, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1003-1007. C senDes 1986: s. ,Rechtsquellen der Stadt Wien‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ C urtius , Ernst Robert: Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter , Bern 1948. C ZapLa , Ralf Georg: Bibeldichtung, in: Enzyklopädie der Neuzeit , hg. von Friedrich J aeger , Bd. 2, Stuttgart / Weimar 2005, S. 134-138. C ZapLa , Ralf Georg: Das Bibelepos in der Frühen Neuzeit. Zur deutschen Geschichte einer europäischen Gattung , Berlin / Boston 2013 (Frühe Neuzeit 165). D aguet -g agey , Anne: Le procès du Christ dans les Acta Pilati. Étude des termes et realia institutionnels, juridiques et administratifs, in: Apocrypha. Revue internationale des littératures apocryphes / International Journal of Apocryphal Literatures 16 (2005), S. 9-34. D aviDs , Tobias: Wahrheit als Korrespondenz und Adäquation. Überlegungen zur Wahrheitskonzeption des Thomas von Aquin, in: Philosophisches Jahrbuch 113.1 (2006), S. 63-77. D aviDson , Clifford: The Realism of the York Realist and the York Passion, in: Speculum 50 (1975), S. 270-283. D egering , Hermann: Neue Erwerbungen der Handschriftenabteilung. II : Die Schenkung Sir Max Wächters 1912 , Berlin 1917 (Mitteilungen aus der Königlichen Bibliothek 3). D egering , Hermann: Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek. I: Die Handschriften in Folioformat , Leipzig 1925 (Mitteilungen aus der Preußischen Staatsbibliothek 7). D eManDt , Alexander: Hände in Unschuld. Pontius Pilatus in der Geschichte , Köln / Weimar / Wien 1999. D eManDt , Alexander: Pontius Pilatus , München 2012 (Beck’sche Reihe 2747). Sekundärliteratur 417 D ésiLLes -B usCh , Margrit: „Doner un don“ - „Sicherheit nehmen“. Zwei typische Elemente der Erzählstruktur des höfischen Romans , Pau 1970. D eutsCh , Andreas: Büttel, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 798 f. D iCke , Gerd, Manfred e ikeLMann u. Burkhard h aseBrink : Historische Semantik der deutschen Schriftkultur. Eine Einleitung, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter , hg. von Dens ., Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 1-12. D ieFenBaCh , Lorenz: Glossarium latino-germanicum mediae et infimae aetatis, e codicibus manuscriptis et libris impressis concinnavit , Frankfurt a. M. 1857 (Supplementum lexici mediae et infimae latinitatis); Nachdruck: Darmstadt 1997. D iLCher , Gerhard: Mythischer Ursprung und historische Herkunft als Legitimation mittelalterlicher Rechtsaufzeichnungen zwischen Leges und Sachsenspiegel, in: Herkunft und Ursprung. Historische und mythische Formen der Legitimation. Akten des Gerda-Henkel-Kolloquiums, veranstaltet vom Forschungsinstitut für Mittelalter und Renaissance der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf vom 13. bis 15. Oktober 1991 , hg. von Peter W unDerLi , Sigmaringen 1994, S. 141-155. D iLCher , Gerhard, Heiner L üCk u. Reiner s ChuLZe (Hgg.): Gewohnheitsrecht und Rechtsgewohnheiten im Mittelalter , Berlin 1992 (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 6). D inkLer , Erich: Das Bema zu Korinth - Archäologische, lexikographische, rechtsgeschichtliche und ikonographische Bemerkungen zu Apostelgeschichte 18,12-17, in: D ers .: Signum Crucis. Aufsätze zum Neuen Testament und zur Christlichen Archäologie , Tübingen 1967, S. 118-133; urspr. in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 13 (1944), S. 12-22. D jorDević , Ivana: Original and Translation: Bevis’s Mother in Anglo-Norman and Middle English, in: Cultural Encounters in the Romance of medieval England , hg. von Corinne s aunDers , Cambridge 2005 (Studies in Medieval Romance 12), S. 11-26. von D oBsChütZ , Ernst: Christusbilder. Untersuchungen zur christlichen Legende , Leipzig 1899 (Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur 18 = N. F., Bd. 3). von D oBsChütZ , Ernst: Der Process Jesu nach den Acta Pilati, in: Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde des Urchristentums 3 (1902), S. 89-114. D oering , Pia Claudia u. Caroline e MMeLius : Zum Verhältnis von Novellistik und Recht in der Vormoderne. Eine Einleitung, in: Rechtsnovellen. Rhetorik, narrative Strukturen und kulturelle Semantiken des Rechts in Kurzerzählungen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit , hg. von Dens ., Berlin 2017 (Philologische Studien und Quellen 263), S. 9-26. D onahue , John R.: Are you the Christ? The Trial Narrative in the Gospel of Mark , Missoula, MT 1973 (Dissertation Series 10). D rüppeL , Hubert: Iudex Civitatis. Zur Stellung des Richters in der hoch- und spätmittelalterlichen Stadt des deutschen Rechts , Köln / Wien 1981 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 12). D unthorne , Judith: Anselm and Hugh of St Victor on Freedom and the Will, in: Saint Anselm of Canterbury and His Legacy , hg. von Giles E. M. g asper u. Ian L ogan , Durham 2012 (Durham Medieval and Renaissance Monographs and Essays 2), S. 114-132. e BeL , Friedrich: Der griesgrimmige Löwe. Einige Bemerkungen zu den Aufgaben von Richtern und Urteilern und zur Überwindung von deren Rollenverteilung im deutschen Spätmittelalter, in: Unseren fruntlichen grus zuvor. Deutsches Recht des Mittelalters im mittel- und osteuropäischen Raum. Kleine Schriften , hg. von Andreas F iJaL , Hans-Jörg L euChte u. Hans-Jochen s ChieWer , Köln / Weimar / Wien 2004, S. 325-349; urspr.: Juge, jurisdiction et procédure dans l’Allemagne médiévale. Quelques observations sur la distinction des fonctions de juge et d’échevins et sur sa régression dans l’Allemagne du bas Moyen Age, in: Le juge et le jugement dans les traditions juridiques européennes , hg. von Robert J aCoB , Paris 1996 (L. G. D. J. 17), S. 117-133. e Ckert , Christian: Der Fronbote im Mittelalter. Nach dem Sachsenspiegel und den verwandten Rechtsquellen. Ein Beitrag zur deutschen Rechtsgeschichte , Leipzig 1897. 418 Literaturverzeichnis e hLen , Oliver: Leitbilder und romanhafte Züge in apokryphen Evangelientexten. Untersuchungen zur Motivik und Erzählstruktur (anhand des Protevangelium Jacobi und der Acta Pilati Graec. B) , Stuttgart 2004 (Altertumswissenschaftliches Kolloquium 9). e hriCh , Susanne: Die ,Apokalypse‘ Heinrichs von Hesler in Text und Bild. Traditionen und Themen volkssprachiger Bibeldichtung und ihre Rezeption im Deutschen Orden , Berlin 2010 (Philologische Studien und Quellen 223). e MMeLius , Caroline: Der Fall des Märe. Rechtsdiskurs und Fallgeschehen bei Heinrich Kaufringer, in: LiLi 41.163: Recht und Literatur (2011), S. 88-113. e MMeLius , Caroline: Intertextualität, in: Literatur- und Kulturtheorien in der Germanistischen Mediävistik. Ein Handbuch , hg. von Christiane a CkerMann u. Michael e gerDing , Berlin / Boston 2015 (De Gruyter Reference), S. 275-315. e MMott , Catherine u. Marc a LexanDer : Schemata, in: the living handbook of narratology , hg. von Peter h ühn u. a., Hamburg 2011 / 2014 (22. 01. 2011, überarbeitet 22. 04. 2014) (http: / / www.lhn.unihamburg.de/ article/ schemata, 10. 08. 2017). e pp , Verena: Von Spurensuchern und Zeichendeutern. Zum Selbstverständnis mittelalterlicher Geschichtsschreiber, in: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung , hg. von Johannes L auDage , Köln / Weimar / Wien 2003 (Europäische Geschichtsdarstellungen 1), S. 43-62. e rLer , Adalbert: Zeitstil und Rechtsstil, in: Studium generale 7 (1954), S. 612-628. e rLer , Adalbert: Zeitstil und Rechtsstil, in: Festschrift Hans Lentze. Zum 60. Geburtstag dargebracht von Fachgenossen und Freunden , hg. von Nikolaus g rass u. Werner o gris , Innsbruck u. a. 1969 (Forschungen zur Rechts- und Kulturgeschichte 4), S. 133-168. e rLer , Adalbert: Nüchternheit, nüchtern, in: HRG , Bd. 3, 1984, Sp. 1102-1104. e rLer , Adalbert: Rathaus, in: HRG , Bd. 4, 1990, Sp. 166-168. e rLL , Astrid u. Simone r oggenDorF : Kulturgeschichtliche Narratologie: Die Historisierung und Kontextualisierung kultureller Narrative, in: Neue Ansätze der Erzähltheorie , hg. von Ansgar n ünning u. Vera n ünning , Trier 2002 ( WVT -Handbücher zum literaturwissenschaftlichen Studium 4), S. 73-113. e rnst , Ulrich: Literarische Ausgrenzungsstrategien gegenüber Ketzern im Spätmittelalter. Versuch einer Systematisierung, in: Exil, Fremdheit und Ausgrenzung in Mittelalter und früher Neuzeit , hg. von Andreas B ihrer , Sven L iMBeCk u. Paul Gerhardt s ChMiDt , Würzburg 2000 (Identitäten und Alteritäten 4), S. 15-33. e rtL , Thomas: Religion und Disziplin. Selbstdeutung und Weltdeutung im frühen Franziskanertum , Berlin / New York 2006 (Arbeiten zur Kirchengeschichte 96). e sCh , Arnold: Wahre Geschichten aus dem Mittelalter , München 2010. e sDers , Stefan u. Thomas s CharFF : Die Untersuchung der Untersuchung. Methodische Überlegungen zum Studium rechtlicher Befragungs- und Weisungspraktiken in Mittelalter und früher Neuzeit, in: Eid und Wahrheitssuche. Studien zu rechtlichen Befragungspraktiken in Mittelalter und früher Neuzeit , hg. von Stefan e sDers u. Thomas s CharFF , Frankfurt a. M. u. a. 1999 (Gesellschaft, Kultur und Schrift, Mediävistische Beiträge 7), S. 11-47. e vans , G[illian] R[osemary]: Law and Theology in the Middle Ages , London / New York 2002. F ärBer , Roland: Römische Gerichtsorte. Räumliche Dynamiken vom Jurisdiktion im Imperium Romanum , München 2014 (Vestigia: Beiträge zur Alten Geschichte 68). F eChter , Werner: Eine Sammelhandschrift geistlicher Dichtungen des 12. und 13. Jahrhunderts (Wien 2696), in: Festgabe für Friedrich Maurer zum 70. Geburtstag am 5. Januar 1968 , hg. von Werner B esCh , Siegfried g rosse u. Heinz r upp , Düsseldorf 1968, S. 246-261. F eChter , Werner: Gundacker von Judenburg und ‚Mai und Beaflor‘, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 7 (1974), S. 187-208. F eChter , Werner: Zum Text der ‚Urstende‘ Konrads von Heimesfurt, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 99 (1977), S. 78-98. Sekundärliteratur 419 F eChter , Werner: Gundacker von Judenburg, in: 2 VL , Bd. 3, 1981, Sp. 303-306 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 568). F eChter , Werner: Konrad von Heimesfurt, in: 2 VL , Bd. 5, 1985, Sp. 198-202 (Korrektur: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 879) [1985a]. F eChter , Werner: ‚Mai und Beaflor‘, in: 2 VL , Bd. 5, 1985, S. 1163-1166 [1985b]. F ehr , Hans: Das Recht im Bilde , Erlenbach-Zürich / München / Leipzig 1923 (Kunst und Recht 1). F ehr , Hans: Das Recht in der Dichtung , Bern [1931] (Kunst und Recht 2). F ehr , Hans: Die Dichtung im Recht , Bern 1936 (Kunst und Recht 3). F eistner , Edith, Michael n eeCke u. Gisela v oLLMann -p roFe : Krieg im Visier. Bibelepik und Chronistik im Deutschen Orden als Modell korporativer Identitätsbildung , Tübingen 2007 (Hermaea, N. F. 114). F eLBer , Stefan: Kommunikative Bibelübersetzung. Eugene A. Nida und sein Modell der dynamischen Äquivalenz , Stuttgart 2013. F eLBer , Stefan: „Hoc est in Christo ad literam factum“: Realistische Schriftauslegung bei Martin Luther, in: Auslegung und Hermeneutik der Bibel in der Reformationszeit , hg. von Christine C hrist von W eDeL u. Sven g rosse , Berlin / Boston 2016 (Historia Hermeneutica, Series Studia 14), S. 69-110. F eLDMan , Louis H.: Flavius Josephus Revisited: the Man, His Writings, and His Significance, in: Hellenistisches Judentum in römischer Zeit: Philon und Josephus [Forts.] , hg. von Wolfgang h aase , Berlin / New York 1984 (Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung II: Principat , 21.2 ), S. 763-862. F erBer 1935: s. ,Johannes von Frankenstein‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ F errari , Fulvio: L’Apocalisse di Heinrich von Hesler: parafrasi, interpretazione, divagazioni, in: L’Apocalisse nel Medioevo. Atti del convegno internazionale dell’Università degli Studi di Milano e della Società Internazionale per lo Studio del Medioevo Latino (S. I. S. M. E. L). Gargnano sul Garda, 18-20 maggio 2009 , hg. von Rossana E. g ugLieLMetti , Florenz 2011 (Millenio medievale 90, Atti di convegni 27), S. 473-488. F isCher , Carsten: Schildgeld und Heersteuer. Eine vergleichende Studie zur Entwicklung lehnsrechtlicher Strukturen durch die Umwandlung vasallitischer Kriegsdienste in Geldabgaben im normannisch-frühangevinischen England und staufischen Reich , Frankfurt a. M. 2013 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 279). F itZgeraLD , Allan D.: Consensu evangelistarum, de (on the agreement among the evangelists), in: Augustine through the ages. An encyclopedia , hg. von Allan D. F itZgeraLD , o. s. a., Grand Rapids, MI 1999, S. 232 f. F LuDernik , Monika: Towards a ‘Natural’ Narratology , London / New York 1996. F oiDL , Sabina: Konrad von Heimesfurt, in: DLL MA , Bd. 1: Das geistliche Schrifttum von den Anfängen bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts , Berlin 2011, Sp. 636-638. F ourquet , Jean: Der Text und sein beiderseitiges Hinterland. Schöpfung und Nachschöpfung, in: Studien zur Texttheorie und zur deutschen Grammatik. Festgabe für Hans Glinz zum 60. Geburtstag , hg. von Horst s itta u. Klaus B rinker , Düsseldorf 1973, S. 113-120. F rey , Jörg: Der implizite Leser und die biblischen Texte, in: Theologische Beiträge 23 (1992), S. 266-290. F rey , Jörg: Die johanneische Eschatologie II : Das johanneische Zeitverständnis , Tübingen 1998 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 110). F rey , Jörg: Das Bild ,der Juden‘ im Johannesevangelium und die Geschichte der johanneischen Gemeinde, in: Israel und seine Heilstraditionen im Johannesevangelium. Festgabe für Johannes Beutler SJ zum 70. Geburtstag , hg. von Michael L aBahn , Klaus s ChoLtissek u. Angelika s trotMann , Paderborn / München / Wien / Zürich 2004, S. 33-53. F rey , Jörg: Heil und Geschichte im Johannesevangelium. Zum Problem der ‚Heilsgeschichte‘ und zum fundamentalen Geschichtsbezug des Heilsgeschehens im vierten Evangelium, in: Heil und 420 Literaturverzeichnis Geschichte , hg. von Jörg F rey , Stefan k rauter u. Hermann L iChtenBerger , Tübingen 2009 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 248), S. 459-510. F rey , Jörg, Stefan k rauter u. Hermann L iChtenBerger : Einführung. Zum Thema Heil und Geschichte und zum Problem der ,Heilsgeschichte‘ in der biblischen Tradition und in der theologischen Interpretation, in: Heil und Geschichte , hg. von Jörg F rey , Stefan k rauter u. Hermann L iChtenBerger , Tübingen 2009 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 248), S. XI - XXVIII . F rieDriCh , Hans-Edwin: Neue Studien zum Verhältnis von Recht und Literatur, in: KulturPoetik 11.2 (2011), S. 286-292. F rieDriCh , Jesko: Phraseologisches Wörterbuch des Mittelhochdeutschen. Redensarten, Sprichwörter und andere feste Wortverbindungen in Texten von 1050-1350 , Tübingen 2006 (Reihe Germanistische Linguistik 264). F rieDriCh , Udo: Diskurs und Narration. Zur Kontextualisierung des Erzählens in Konrads von Würzburg ,Trojanerkrieg‘, in: Text und Kontext , hg. von Jan-Dirk M üLLer , München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 64), S. 99-120. F rieDriCh , Udo: Menschentier und Tiermensch. Diskurse der Grenzziehung und Grenzüberschreitung im Mittelalter , Göttingen 2009 (Historische Semantik 5). F urrer , Christiane: Du récit au drame: Passion évangélique et Actes de Pilate , in: Intertextualités. La Bible en échos , hg. von Daniel M arguerat u. Adrian C urtis , Genf 2000 (La Monde de la Bible 40), S. 305-318. F urrer , Christiane: La Passion dans les Acta Pilati, in: Gelitten. Gestorben. Auferstanden. Passions- und Ostertraditionen im antiken Christentum , hg. von Tobias n iCkLas , Andreas M erkt u. Joseph v erheyDen , Tübingen 2010 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 273), S. 69-96. g aDaMer , Hans-Georg: Was ist Wahrheit? , in: Hermeneutik II . Wahrheit und Methode. Ergänzungen, Register , hg. von Hans-Georg g aDaMer , Tübingen 1986 (Gesammelte Werke 2), S. 44-56; urspr. in: Zeitwende. Die neue Furche 28 (1957), S. 226-237. g aiLit , Lydia: Philipps Marienleben nach den Wiener Handschriften 2709 und 2735 sowie nach der Klosterneuburger Handschrift 1242 , Riga 1935. g antert , Klaus: Akkommodation und eingeschriebener Kommentar. Untersuchungen zur Übertragungsstrategie des Helianddichters , Tübingen 1998 (ScriptOralia 111). g arLoFF , Peter: Die Literaturwissenschaft ‚muß romantisiert werden‘. Law-and-Literature und die Poesie im Recht, in: Athenäum 14 (2004), S. 69-107. g ärtner , Kurt: Zur neuen Ausgabe und zu neuen Handschriften der ‚Kindheit Jesu‘ Konrads von Fußesbrunnen, in: ZfdA 105 (1976), S. 11-53. g ärtner , Kurt: Neue Fragmente von Heinrichs von Hesler ‚Evangelium Nicodemi‘, in: ZfdA 107 (1978), S. 206-215. g ärtner , Kurt: Die Reimvorlage der ,Neuen Ee‘. Zur Vorgeschichte der neutestamentlichen deutschen Historienbibel, in: Was Dolmetschen fur Kunst und Erbeit sey: Beiträge zur Geschichte der deutschen Bibelübersetzung , hg. von Heimo r einitZer , Hamburg 1982 (Vestigia Bibliae: Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg 4), S. 12-22. g ärtner , Kurt: ‚Klosterneuburger Evangelienwerk‘, in: 2 VL , Bd. 4, 1983, Sp. 1248-1258 (Korrektur: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 855). g ärtner , Kurt: Die Neue Ee, in: 2 VL , Bd. 6, 1987, Sp. 907-909. g ärtner , Kurt: Die thüringische Rezension von Bruder Philipps ‚Marienleben‘, in: Mittelalterliche Sprache und Literatur in Eisenach und Erfurt. Tagung anlässlich des 70. Geburtstags von Rudolf Bentzinger am 22. 8. 2006 , hg. von Martin s ChuBert , Jürgen W oLF u. Annegret h aase , Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Kultur, Wissenschaft, Literatur: Beiträge zur Mittelalterforschung 18), S. 178-187. g ärtner , Kurt: Der ‚Streit der Töchter Gottes‘ in der ‚Weltchronik‘ Heinrichs von München, in: Historia vero testis temporum. Festschrift für Václav Bok zum 70. Geburtstag , hg. von Hana a n - Drášová , Wien 2009 (Schriften zur diachronen Sprachwissenschaft 20), S. 19-45 [2009a]. Sekundärliteratur 421 g ärtner , Kurt: Die Neue Ee in der ,Weltchronik‘ Heinrichs von München und das Neue Testament, in: Von lon der wisheit. Gedenkschrift für Manfred Lemmer , hg. von Kurt g ärtner u. Hans-Joachim s oLMs , Sandersdorf 2009, S. 79-94 [2009b]. g ärtner , Kurt: Die Überlieferungsgeschichte von Bruder Philipps Marienleben , überarb. u. erg. Fassung, Marburg 2012 [Typoskript, urspr. Marburg 1978; zitiert nach der überarb. Fassung, Seitenzahlen der urspr. Fassung in Klammern]. g ärtner , Kurt u. Werner J. H oFFMann : Einleitung, in: Konrad von Heimesfurt: »Unser vrouwen hinvart« und »Diu urstende«. Mit Verwendung der Vorarbeiten von Werner Fechter hg. von Dens ., Tübingen 1989 (Altdeutsche Textbibliothek 99), S. IX - CII . g ay -C anton , Réjane: Zwischen Zensur und Selbstzensur. Verbesserungsappelle in der ‚Vita beate Marie et Salvatoris Rhythmica‘ und ihre mittelhochdeutschen Bearbeitungen, in: Kulturtopographie des deutschsprachigen Südwestens im späteren Mittelalter. Studien und Texte , hg. von Barbara F Leith u. René W etZeL , Berlin / New York 2009, S. 41-60. g eBauer , Amy: „ Christus und die minnende Seele“. An analysis of circulation, text, and iconography , Wiesbaden 2010 (Imagines medii aevi 26). g eBauer , Roland: ‚Aletheia‘ im Johannesevangelium. Exegetische Anmerkungen zur theologischen Wahrheitsfrage, in: Theologische Wahrheit und die Postmoderne. Bericht von der 11. Studienkonferenz des Arbeitskreises für Evangelikale Theologie (AfeT) 5.-8. Sept. 1999 in Bad Blankenburg , hg. von Herbert H. k LeMent , Wuppertal 2000 (Monographien und Studienbücher 439), S. 233-254. g eBert , Bent: Mythos als Wissensform. Epistemik und Poetik des Trojanerkriegs Konrads von Würzburg , Berlin / Boston 2013 (Spectrum Literaturwissenschaft 35). g eerarD , Mauritius (Maurice): Clavis apocryphorvm Novi Testamenti , Turnhout 1992 (Corpus Christianorum). g eith , Karl-Ernst: Eine Quelle zu Gundackers von Judenburg Christi Hort, in: ZfdA 97.2-3 (1968), S. 57-68 [1968a]. g eith , Karl-Ernst: Zu einigen Fassungen der Veronika-Legende in der mittelhochdeutschen Literatur, in: Festgabe für Friedrich Maurer zum 70. Geburtstag am 5. Januar 1968 , hg. von Werner B esCh , Siegfried g rosse u. Heinz r upp , Düsseldorf 1968, S. 262-288 [1968b]. g eith , Karl-Ernst: Enikel, Jans, in: 2 VL , Bd. 2, 1980, Sp. 565-569 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 412). g eith , Karl-Ernst: Hawich der Kellner, in: 2 VL , Bd. 3, 1981, Sp. 561-563. g eith , Karl-Ernst: Rezension zu M asser / s iLLer 1987 (s. ‚ Nikodemusevangelium‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘), in: Arbitrium 7 (1989), S. 286-289. g eith , Karl-Ernst: Die Pilatus-Veronika-Geschichte im ,Klosterneuburger Evangelienwerk‘, in: Als das wissend die meister wol. Beiträge zur Darstellung und Vermittlung von Wissen in Fachliteratur und Dichtung in Mittelalter und früher Neuzeit. Walter Blank zum 65. Geburtstag , hg. von Martin e hrenFeuChter u. Thomas e hLen , Frankfurt a. M. u. a. 2000, S. 237-251. g ertken , Jan u. Tilmann k öppe : Fiktionalität, in: Grenzen der Literatur. Zum Begriff und Phänomen des Literarischen , hg. von Simone W inko , Fotis J anniDis u. Gerhard L auer , Berlin / New York 2009 (Revisionen: Grundbegriffe der Literaturtheorie 2), S. 228-266. g iChteL , Paul: Die Weltchronik Heinrichs von München in der Runkelsteiner Handschrift des Heinz Sentlinger , München 1937 (Schriftenreihe zur bayerischen Landesgeschichte 28). g ipper , Andreas: Vertikales Übersetzen. Vom translatorischen Umgang mit Sakralsprache, in: Die Welt des Orients 44 (2014), S. 251-262. g LauCh , Sonja: Fiktionalität im Mittelalter; revisited, in: Poetica 46 (2014 [2015]), S. 85-139. g oetZ , Hans-Werner: Geschichte des mittelalterlichen Alltags. Theorie - Methoden - Bilanz der Forschung, in: Mensch und Objekt im Mittelalter und in der frühen Neuzeit , hg. von Gerhard J aritZ , Wien 1990 (Österreichische Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-historische Klasse, Sitzungsberichte 568; Veröffentlichungen des Instituts für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit 13), S. 67-101. 422 Literaturverzeichnis g oetZ , Hans-Werner: ‚Konstruktion der Vergangenheit‘. Geschichtsbewusstsein und ‚Fiktionalität‘ in der hochmittelalterlichen Chronistik, dargestellt am Beispiel der ‚Annales Palidenses‘, in: Von Fakten und Fiktionen. Mittelalterliche Geschichtsdarstellungen und ihre kritische Aufarbeitung , hg. von Johannes L auDage , Köln / Weimar / Wien 2003 (Europäische Geschichtsdarstellungen 1), S. 225-258. g oetZ , Hans-Werner: Die Wahrnehmung anderer Religionen und christlich-abendländisches Selbstverständnis im frühen und hohen Mittelalter (5.-12. Jahrhundert) , 2 Bde, [Berlin] 2013. g osMan , Martin: L’Historia malmenée: L’idéalisation du pouvoir dans les ‘romans antiques’, in: Bien dire et bien aprandre 10 (1992), S. 51-63. g össMann , Elisabeth: Metaphysik und Heilsgeschichte. Eine theologische Untersuchung der Summa Halensis (Alexander von Hales) , München 1964 (Mitteilungen des Grabmann-Institutes der Universität München, Sonderband). g ouneLLe , Rémi: Pourquoi, selon l’Évangile de Nicodème, le Christ est-il descendu aux enfers? , in: Le Mystère apocryphe. Introduction à une littérature méconnue , hg. von Jean-Daniel k aestLi u. Daniel M arguerat , 2., erw. Aufl., Genf 2007 (Essais bibliques 26), S. 95-111. g ouneLLe , Rémi u. Zbigniew i ZyDorCZyk : Introduction, in: L’Évangile de Nicodème ou Les Actes faits sous Ponce Pilate (recension latine A) suivi de Le lettre de Pilate à l’empereur Claude . Introduction et notes par R. g. et Z. i . Traduction par R. g. , à partir d’un texte mis au point par Z. i., Turnhout 1997 (Apocryphes 9), S. 17-119 [1997a]. g ouneLLe , Rémi u. Zbigniew i ZyDorCZyk : Thematic Bibliography of the Acts of Pilate , in: i ZyDorCZyk 1997, S. 419-519 [1997b]. g ouneLLe , Rémi u. Zbigniew i ZyDorCZyk : Thematic bibliography of the Acts of Pilate. Addenda and corrigenda, in: Apocrypha. Revue internationale des littératures apocryphes / International Journal of Apocryphal Literatures 11 (2000), S. 259-292. g ravDaL , Kathryn: Ravishing Maidens. Writing Rape in Medieval French Literature and Law , Philadelphia 1991 (New Cultural Studies Series). g reen , D[ennis] H[oward]: The Beginnings of Medieval Romance. Fact and Fiction, 1150-1220 , Cambridge 2002 (Cambridge studies in medieval literature 47). g reiner , Bernhard: Das Forschungsfeld ‚Recht und Literatur‘, in: Recht und Literatur. Interdisziplinäre Bezüge , hg. von Bernhard g reiner , Barbara t huMs u. Wolfgang g raF v itZthuM , Heidelberg 2010 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Folge 3, 270), S. 7-26. g reisenegger , Wolfgang: Die Realität im religiösen Theater. Ein Beitrag zur Rezeptionsforschung , Wien 1978 (Wiener Forschungen zur Theater- und Medienwissenschaft 1). g riMBert , Joan Tasker: Testimony and ‚truth‘ in Joseph d’Arimathie, in: Romance Philology 44.4 (1991), S. 379-401. g riMM , Jacob: Von der Poesie im Recht, in: Zeitschrift für geschichtliche Rechtswissenschaft 1 (1816), S. 25-99; Nachdruck: Darmstadt 1957 (Libelli 34). g riMM , Jacob: Deutsche Rechtsalterthümer. Vierte vermehrte Ausgabe besorgt durch Andreas Heusler und Rudolf Hübner , 2 Bde, Leipzig 1899; Nachdruck: Hildesheim 1992. g rosse , Rudolf: Schwabenspiegelhandschriften im Sachsenspiegelland, in: Recht - Idee - Geschichte. Beiträge zur Rechts- und Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth anläßlich seines 80. Geburtstags , hg. von Heiner L üCk u. Bernd s ChiLDt , Köln / Weimar / Wien 2000, S. 185-199. g rosse , Siegfried: Zur Frage des ‚Realismus‘ in den deutschen Dichtungen des Mittelalters, in: Wirkendes Wort 22 (1972), S. 73-89. g rossFeLD , Bernhard: Poesie und Recht - Rechtsvergleichende Zeichenkunde , Paderborn u. a. 2005 (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Geisteswissenschaften, Vorträge G400). g ruBMüLLer , Klaus: Das buoch und die Wahrheit. Anmerkungen zu den Quellenberufungen im Rolandslied und in der Epik des 12. Jahrhunderts, in: bickelwort und wildiu mære . Festschrift für Eberhard Nellmann zum 65. Geburtstag , hg. von Dorothee L inDeMann , Berndt v oLLMann u. Klaus- Peter W egera , Göppingen 1995 ( GAG 618), S. 37-50. Sekundärliteratur 423 g ruBMüLLer , Klaus: Verändern und Bewahren. Zum Bewusstsein vom Text im deutschen Mittelalter, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450 , hg. von Ursula p eters , Stuttgart / Weimar 2001 (Germanistische Symposien, Berichtsbände 23), S. 8-33. g ruBMüLLer , Klaus: Historische Semantik und Diskursgeschichte . zorn, nît und haz , in: Codierung von Emotionen im Mittelalter , hg. von C. Stephen J aeger u. Ingrid k asten , Berlin / New York 2003 (Trends in Medieval Philology 1), S. 47-69. g rünepütt , Katrin: Realität der Außenwelt, in: HWP h , Bd. 8, 1992, Sp. 206-211. g ünther , Jörn-Uwe: Die illustrierten mittelhochdeutschen Weltchronikhandschriften in Versen. Katalog der Handschriften und Einordnung der Illustrationen in die Bildüberlieferung , München 1993 (Tuduv-Studien, Reihe Kunstgeschichte 48). h aFerLanD , Harald: Das Vertrauen auf den König und das Vertrauen des Königs. Zu einer Archäologie der Skripts, ausgehend von Hartmanns von Aue ‚Iwein‘, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 335-376. h äFner , Gerd: Das Ende der Kriterien? Jesusforschung angesichts der geschichtstheoretischen Diskussion, in: B aCkhaus / h äFner 2007, S. 97-130, Literaturverzeichnis auf S. 137-157 [Häfner 2007a]. h äFner , Gerd: Konstruktion und Referenz: Impulse aus der neueren geschichtstheoretischen Diskussion, in: B aCkhaus / h äFner 2007, S. 67-96, Literaturverzeichnis auf S. 137-157 [Häfner 2007b]. h agenLoCher , Albrecht: Der „guote vride“. Idealer Friede in deutscher Literatur bis ins frühe 14. Jahrhundert , Berlin / New York 1992 (Historische Wortforschung 2). h ageMann , Hans-Rudolf: Erbrecht, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1370-1384. h aLLeBeek , Jan: ‚Nam ad cor respicit Deus‘. De wijze van eedaflegging volgens enige dertiendeeeuwse juridische handschriften, in: Millennium. Tijdschrift voor middeleeuwse studies 5 (1991), S. 3-13. h aMMer , Andreas: Erzählen vom Heiligen. Narrative Inszenierungsformen von Heiligkeit im Passional, Berlin / Boston 2015 (Literatur - Theorie - Geschichte. Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik 10). h aMMerLe , Matthias: Das Bild der Juden im Johannes-Kommentar des Thomas von Aquin. Ein Beitrag zu Bibelhermeneutik und Wissenschaftsgeschichte im 13. Jahrhundert , Stuttgart 2012 (Stuttgarter Biblische Beiträge 71). h arshaW (h rushovski ), Benjamin: Fictionality and Fields of Reference. Remarks on a Theoretical Framework, in: Poetics Today 5.2 (1984), S. 227-251. h aseBrink , Burkhard: Prudentiales Wissen. Eine Studie zur ethischen Reflexion und narrativen Konstruktion politischer Klugheit im 12. Jahrhundert , Habilitationsschrift Göttingen 2000 ( URN : urn: nbn: de: bsz: 25-freidok-113082, DOI : 10.6094/ UNIFR / 11308). h aseBrink , Burkhard: Die Ambivalenz des Erneuerns. Zur Aktualisierung des Tradierten im mittelalterlichen Erzählen, in: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters. Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag , hg. von Ursula p eters u. Rainer W arning , München 2009, S. 205-218. h aseBrink , Burkhard: Rezension zu M üLLer 2007b, in: Arbitrium 28.2 (2010), S. 145-155. h aseBrink , Burkhard: Entbehrung des Anderen. Leiden als Paradigma der Alterität im Trostbuch Meister Eckharts, in: Alterität als Leitkonzept für historisches Interpretieren , hg. von Anja B eCker u. Jan M ohr , Berlin 2012 (Deutsche Literatur, Studien und Quellen 8), S. 103-117. h auBriChs , Wolfgang: Otfrid von Weißenburg - Übersetzer, Erzähler, Interpret. Zur translativen Technik eines karolingischen Gelehrten, in: Übersetzen im Mittelalter. Cambridger Kolloquium 1994 , hg. von Joachim h einZLe , L. Peter J ohnson u. Gisela v oLLMann -p roFe , Berlin 1996 (Wolfram- Studien 14), S. 13-45. h auBriChs , Wolfgang: Heilige Fiktion? Die Gestaltung gesprochener Sprache in Otfrids von Weißenburg Liber evangeliorum . Vier Fallbeispiele zur inneren Sprachreflexion des karolingischen Dichtertheologen, in: Vox Sermo Res. Beiträge zur Sprachreflexion, Literatur- und Sprachgeschichte 424 Literaturverzeichnis vom Mittelalter bis zur Neuzeit. Festschrift Uwe Ruberg , hg. von Wolfgang h auBriChs , Wolfgang k LeiBer u. Rudolf v oss , Stuttgart / Leipzig 2001, S. 99-112. h aupt , Joseph: Bruder Philipps Marienleben, in: Sitzungsberichte der phil.-hist. Classe der kaiserl. Akademie der Wissenschaften (Wien) 68 (1871), S. 157-218. h ausMann , Albrecht: Mittelalterliche Überlieferung als Interpretationsaufgabe. ‚Laudines Kniefall‘ und das Problem des ganzen Textes, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450 , hg. von Ursula p eters , Stuttgart / Weimar 2001 (Germanistische Symposien, Berichtsbände 23), S. 72-95. h ausMann , Albrecht: Das Bild zu Süßkind von Trimberg in der Manessischen Liederhandschrift, in: Kulturen des Manuskriptzeitalters. Ergebnisse der Amerikanisch-Deutschen Arbeitstagung an der Georg-August-Universität Göttingen vom 17. bis 20. Oktober 2002 , hg. von Hans-Jochen s ChieWer u. Arthur g roos , Göttingen 2004 (Transatlantische Studien zu Mittelalter und Früher Neuzeit 1), S. 87-112. h austein , Jens: Die Höllenfahrtsszene in der Erlösung. Zur Umsetzung typologischer Geschichtsauffassung in literarische Struktur, in: Die Funktion außer- und innerliterarischer Faktoren für die Entstehung deutscher Literatur des Mittelalters und der frühen Neuzeit: Tagung Greifswald, 18.9. bis 20. 9. 1992 , hg. von Christa B auFeLD , Göppingen 1994 ( GAG 603), S. 77-90. h eDWig , Klaus: Confiteri circa seipsum. Über Wahrheit und Wahrhaftigkeit bei Thomas von Aquin, in: Wahrheit auf dem Weg. Festschrift für Ludwig Hödl zu seinem fünfundachzigsten Geburtstag , hg. von Manfred g erWing u. Heinrich F. J. r einharDt , Münster 2009, S. 116-135. h eger , Hedwig: Johannes von Frankenstein, in: 2 VL , Bd. 4, 1983, Sp. 596-599. h eiDingsFeLDer , Franz: Die Regesten der Bischöfe von Eichstätt (bis zum Ende der Regierung des Bischofs Marquard von Hagel 1324) , Erlangen 1938 (Veröffentlichungen der Gesellschaft für Fränkische Geschichte, 6. Reihe: Regesten fränkischer Bistümer 1). von h eineMann 1888: s. ,Heinrich von Hesler‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ h einZLe , Joachim: Der gerechte Richter. Zur historischen Analyse mittelalterlicher Literatur, in: Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche , hg. von Joachim h einZLe , Leipzig / Frankfurt a. M. 1999 (Insel-Taschenbuch 2513), S. 266-294. h eiser , Ines: Autorität Freidank. Studien zur Rezeption eines Spruchdichters im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit , Tübingen 2006 (Hermaea, N. F. 110). h eLBig , Jörg: Intertextualität und Markierung. Untersuchungen zur Systematik und Funktion der Signalisierung von Intertextualität , Heidelberg 1996 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte, Folge 3, 141). h eLLeBranD , Johannes: Augustinus als Richter. Dargestellt anhand von Zitaten aus dem augustinischen Gesamtwerk, in: Augustinus - Recht und Gewalt. Beiträge des V. Würzburger Augustinus- Studientages am 15./ 16. Juni 2007. Mit einer kommentierten Quellensammlung zur Richtertätigkeit Augustins , hg. von Cornelius M ayer , Würzburg 2010 (Cassiciacum / Res et Signa 39 / 7), S. 147-264. h eLM , Karl: Untersuchungen über Heinrich Heslers Evangelium Nicodemi, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 24 (1899), S. 85-187. h eLM , Karl: Einleitung, in: Das Evangelium Nicodemi von Heinrich von Hesler , hg. von DeMs ., Tübingen / Paris / New York 1902 (Bibliothek des Litterarischen Vereins in Stuttgart 224), S. I-C. h eLM , Karl u. Walther Z ieseMer : Die Literatur des deutschen Ritterordens , Gießen 1951 (Gießener Beiträge zur deutschen Philologie 94). h engeL , Martin: Crucifixion in the ancient world and the folly of the message of the cross , London / Philadelphia 1977 (Translated by John Bowden from the German Mors turpissima crucis : Die Kreuzigung in der antiken Welt und die „Torheit“ des „Wortes vom Kreuz“, published in: Rechtfertigung. Festschrift für Ernst Käsemann zum 70. Geburtstag , ed. by Johannes F rieDriCh , Wolfgang p öhLMann and Peter s tuhLMaCher , Tübingen / Göttingen 1976, with substantial later additions by the author). Sekundärliteratur 425 h enkeL , Nikolaus: Religiöses Erzählen um 1200 im Kontext höfischer Literatur. Priester Wernher, Konrad von Fußesbrunnen, Konrad von Heimesfurt, in: Die Vermittlung geistlicher Inhalte im deutschen Mittelalter. Internationales Symposium, Roscrea 1994 , hg. von Timothy R. J aCkson , Nigel F. p aLMer u. Almut s uerBauM , Tübingen 1996, S. 1-21. h enkeL , Nikolaus: Inszenierte Höllenfahrt. Der ‚Descensus ad inferos‘ im geistlichen ‚Drama‘ des Mittelalters, in: Höllen-Fahrten. Geschichte und Akualität eines Mythos , hg. von Markwart h erZog , Stuttgart 2006 (Irseer Dialoge, Kultur und Wissenschaft interdisziplinär 12), S. 87-108. h ennings , Ralph: Der Briefwechsel zwischen Augustinus und Hieronymus und ihr Streit um den Kanon des Alten Testaments und die Auslegung von Gal. 2,11-14 , Leiden u. a. 1994 (Vigiliae Christianae Supplements 21). h erBeriChs , Cornelia: ‘Der Erzähler ist uns keineswegs durchaus gegenwärtig’. Zu Benjamins Aura-Konzept in narratologischer Perspektive und zur Auratisierung legendarischen Erzählens im Väterbuch, in: Aura und Auratisierung. Mediologische Perspektiven im Anschluss an Walter Benjamin , hg. von Ulrich J. B eiL , Cornelia h erBeriChs u. Marcus s anDL , Zürich 2014 (Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 27), S. 85-115. h erMan , David: Scripts, Sequences, and Stories: Elements of a Postclassical Narratology, in: Publications of the Modern Language Association of America 112.5 (1997), S. 1046-1059. h erMan , David: Story Logic. Problems and Possibilities of Narrative , Lincoln / London 2002 (Frontiers of Narrative). h erMan , David: Cognitive Narratology, in: the living handbook of narratology , hg. von Peter h ühn u. a., Hamburg 2011 / 2013 (07. 07. 2011, überarbeitet 24. 12. 2013) (http: / / www.lhn.uni-hamburg. de/ article/ cognitive-narratology-revised-version-uploaded-22-september-2013, 10. 08. 2017). h erMan , Luc: Realismus, Literaturtheorien des, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe , hg. von Ansgar n ünning , 5., aktual. u. erw. Aufl., Stuttgart, Weimar 2013, S. 638-640. h eusLer , Erika: Kapitalprozesse im lukanischen Doppelwerk. Die Verfahren gegen Jesus und Paulus in exegetischer und rechtshistorischer Analyse , Münster 2000 (Neutestamentliche Abhandlungen, N. F. 38). h iLDBranD , Thomas: Aktualisierung von Recht im Spannungsfeld von Eid und Schriftbeweis. Überlegungen zum rechtspraktischen Handeln im 15. Jahrhundert, in: Eid und Wahrheitssuche. Studien zu rechtlichen Befragungspraktiken in Mittelalter und früher Neuzeit , hg. von Stefan e sDers u. Thomas s CharFF , Frankfurt a. M. u. a. 1999 (Gesellschaft, Kultur und Schrift, Mediävistische Beiträge 7), S. 163-190. h is , Rudolf: Das Strafrecht des Mittelalters. Erster Teil: Die Verbrechen und ihre Folgen im allgemeinen , Leipzig 1920; Nachdruck: Aalen 1964. h oFFMann , Ernst: Naumburg a. S. im Zeitalter der Reformation. Ein Beitrag zur Geschichte der Stadt und des Bistums , Leipzig 1901 (Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte 7.1). h oFFMann , Werner J.: The Gospel of Nicodemus in High German Literature of the Middle Ages, in: i ZyDorCZyk 1997, S. 287-336 [1997a]. h oFFMann , Werner J.: The Gospel of Nicodemus in Dutch and Low German Literatures of the Middle Ages, in: i ZyDorCZyk 1997, S. 337-360 [1997b]. h oFFMann , Werner J.: Konrad von Heimesfurt. Untersuchungen zu Quellen, Überlieferung und Wirkung seiner beiden Werke ,Unser vrouwen hinvart‘ und ,Urstende‘ , Wiesbaden 2000 (Wissensliteratur im Mittelalter 37). h oFFMann , Werner [J.]: Genelun, der verrâtaere , in: ZfdPh 120 (2001), S. 345-360. h oLenstein , André: Die Huldigung der Untertanen. Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800-1800) , Stuttgart / New York 1991 (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte 36). h oLenstein , André: Rituale der Vergewisserung: Rituale der Wahrheitsfindung und der Erwartungsstabilisierung im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Riten, Gesten, Zeremonien. Gesell- 426 Literaturverzeichnis schaftliche Symbolik in Mittelalter und Früher Neuzeit , hg. von Edgar B ierenDe , Sven B retFeLD u. Klaus o sCheMa , Berlin / New York 2008 (Trends in medieval philology 14), S. 229-250. H oLZ , Hans Heiner: Realität, in: Ästhetische Grundbegriffe , Bd. 5: Postmoderne - Synästhesie , hg. von Karlheinz B arCk u. a., Stuttgart 2003, S. 197-227. h oneMann , Volker: Die ‚Apokalypse‘ des Heinrich von Hesler, in: Literaturlandschaften. Schriften zur deutschsprachigen Literatur im Osten des Reiches , hg. von Volker h oneMann u. Rudolf s untrup , Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Medieval to Early Modern Culture 11), S. 47-84; urspr. in: Heinrich von Hesler. Die Apokalypse. ‹Königsberger Apokalypse›. Mikrofiche-Edition der Handschriften Torún, Biblioteka Uniwersytetu Mikołaja Kopernika, ms. Rps. 64 und ms. Rps. 44. Einführung zum Werk und Beschreibung der Handschriften , hg. von Volker h oneMann , München 2000 (Codices illuminati medii aevi 27), S. 7-29; 47-57. h oneMann , Volker: Regionalität und Interregionalität am Beispiel der Apokalypse des Heinrich von Hesler, in: Literaturlandschaften. Schriften zur deutschsprachigen Literatur im Osten des Reiches , hg. von Volker h oneMann u. Rudolf s untrup , Frankfurt a. M. u. a. 2008 (Medieval to Early Modern Culture 11), S. 85-93; urspr. in: Regionale Literaturgeschichtsschreibung. Aufgaben, Analysen und Perspektiven , hg. von Jens h austein u. Helmut t ervooren , Berlin 2003 (Sonderheft zur Zeitschrift für deutsche Philologie 122), S. 134-142. h onneFeLDer , Ludger: Naturrecht und Geschichte. Historisch-systematische Überlegungen zum mittelalterlichen Naturrechtsdenken, in: Naturrecht im ethischen Diskurs , hg. von Marianne h eiMBaCh -s teins , Münster 1990, S. 1-27. H oops , Wiklef: Fiktionalität als pragmatische Kategorie, in: Poetica 11 (1979), S. 281-317. h örner , Petra: Zweisträngige Tradition der Evangelienharmonie. Harmonisierung durch den „Tatian“ und Entharmonisierung durch Georg Kreckwitz u. a. , Hildesheim / Zürich / New York 2000 (Germanistische Texte und Studien 67). h örner 2012b: s. ,Thomas von Aquin‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ h örner 2012c: s. ,Passionsharmonien‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ h ornig , Gottfried: Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie. Johann Salomo Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther , Göttingen 1961 (Forschungen zur systematischen Theologie und Religionsphilosophie 8). h ötZinger , Heike: Stephanus, in: WiBiLex Sept. 2011. van h outs , Elisabeth: Gender and Authority of Oral Witnesses in Europe (800-1300), in: Transactions of the Royal Historical Society 9 , 6th series (1999), S. 201-220. h uBer , Christoph: Wort-Ding-Entsprechungen. Zur Sprach- und Stiltheorie Gottfrieds von Straßburg, in: Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft , hg. von Klaus g ruBMüLLer u. a., Tübingen 1979, S. 268-302. h uBer , Christoph: Integumentum, in: RLW , Bd. 2, 2000, S. 156-160. h uBer , Christoph: Wort- und Bildnetze zum Textbegriff im nachklassischen mittelhochdeutschen Romanprolog (Rudolf von Ems, Konrad von Würzburg), in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter , hg. von Gerd D iCke , Manfred e ikeLMann u. Burkhard h aseBrink , Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 263-285. h uBer , Christoph: Gundacker von Judenburg, in: Killy , Bd. 4, 2009, S. 520. h üBner , Gert: evidentia. Erzählformen und ihre Funktionen, in: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven , hg. von Harald h aFerLanD u. Matthias M eyer , Berlin u. a. 2010 (Trends in Medieval Philology 19), S. 119-147. h uCk , Thomas Sergej: Beobachtungen zur Einleitung des Strafverfahrens in fränkischer Zeit. Am Beispiel von handhafter Tat, Inquisition und Rügeverfahren, in: Hoheitliches Strafen in der Spätantike und im frühen Mittelalter , hg. von Jürgen W eitZeL , Köln / Weimar / Wien 2002 (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas: Symposien und Synthesen 7), S. 191-210. Sekundärliteratur 427 h yaMs , Paul R.: Was There Really Such a Thing as Feud in the High Middle Ages? , in: Vengeance in the Middle Ages. Emotion, Religion and Feud , hg. von Susanne t hroop u. Paul R. H h yaMs , Farnham 2010, S. 151-175. i gnor , Alexander: Urkundenbeweis, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 577-581. i gnor , Alexander: Wahrheit und Gerechtigkeit als Ziele des Strafverfahrens in Geschichte und Gegenwart, in: Ungerechtes Recht , hg. von Ulrike M üssig , Tübingen 2013, S. 1-21. i ngarDen , Roman: Vom Erkennen des literarischen Kunstwerks , Tübingen 1968. i rsigLer , Hubert: Erzählen in biblischer Literatur: konfessorisch - faktual und fiktional, in: Faktuales und fiktionales Erzählen. Interdiszplinäre Perspektiven , hg. von Monika F LuDernik , Nicole F aLken hayner u. Julia s teiner , Würzburg 2015 (Faktuales und fiktionales Erzählen 1), S. 23-46. i ser , Wolfgang: Die Wirklichkeit der Fiktion. Elemente eines funktionsgeschichtlichen Textmodells der Literatur, in: Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis , hg. von Rainer W arning , 2. Aufl., München 1979, S. 277-324 (1. Aufl. 1975). i ser , Wolfgang: Das Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie , Frankfurt a. M. 1991. i ser , Wolfgang: Der Akt des Lesens , 4. Aufl., München 1994 ( UTB 636) (1. Aufl. 1976, 2. durchges. u. verb. Aufl. 1984). i shii , Mikiko: A Spoon and the Christchild, in: The Dramatic Tradition of the Middle Ages , hg. von Clifford D aviDson , New York 2005 ( AMS Studies in the Middle Ages 26), S. 128-139. i ZyDorCZyk , Zbigniew: The unfamiliar Evangelium Nicodemi , in: Manuscripta 33.1 (1989), S. 169-191. i ZyDorCZyk , Zbigniew: Manuscripts of the „Evangelium Nicodemi“. A Census , Toronto 1993 (Subsidia mediaevalia 21). i ZyDorCZyk , Zbigniew (Hg.): The Medieval Gospel of Nicodemus . Texts, Intertexts, and Contexts in Western Europe , Tempe, AZ 1997 (Medieval & Renaissance Texts & Studies 158) [1997a]. i ZyDorCZyk , Zbigniew: Introduction, in: i ZyDorCZyk 1997, S. 1-19 [1997b]. i ZyDorCZyk , Zbigniew: The Evangelium Nicodemi in the Latin Middle Ages, in: i ZyDorCZyk 1997, S. 43-101 [1997c]. J aCk , Alison M.: The Bible and Literature , London 2012 ( SCM Core Text). J aeger , Stephen: Der Schöpfer der Welt und das Schöpfungswerk als Prologmotiv in der mittelhochdeutschen Dichtung, in: ZfdA 107 (1978), S. 1-18. J ahn , Bruno: Gundacker von Judenburg, in: DLL MA , Bd. 1, 2011, Sp. 988-990. J ahn , Manfred: Cognitive Narratology, in: Routledge Encyclopedia of Narrative Theory , hg. von David h erMan , Manfred J ahn u. Marie-Laure r yan , London / New York 2005, S. 67-71. J aksChe , J.: Einleitung, in: Gundackers von Judenburg Christi Hort aus der Wiener Handschrift hg. von DeMs ., Berlin 1910 ( DTM 18), S. V- XVIII . J äneCke , Karin: „Der spiegel des lidens cristi“. Eine oberrheinische Handschrift aus dem Beginn des XV . Jahrhunderts in der Stadtbibliothek zu Colmar (Ms. 306) , Hannover 1964. J anniDis , Fotis: Autor, Autorbild und Autorintention, in: Editio 16 (2003), S. 26-35. J anniDis , Fotis, Simone W inko u. Gerhard L auer : Radikal historisiert. Für einen pragmatischen Literaturbegriff, in: Grenzen der Literatur. Zum Begriff und Phänomen des Literarischen , hg. von Fotis J anniDis , Simone W inko u. Gerhard L auer , Berlin / New York 2009 (Revisionen: Grundbegriffe der Literaturtheorie 2), S. 3-37. J anota , Johannes u. Helmut De B oor : Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. 1250-1350. Erster Teil: H. de B.: Epik, Lyrik, Didaktik, geistliche und historische Dichtung. Neubearbeitet von J. J. , 5., neubearb. Aufl., München 1997 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart III / 1). J anZ , Brigitte: Rechtssprichwörter im Sachsenspiegel. Eine Untersuchung der Text-Bild-Relation in den Codices picturati , Frankfurt a. M. u. a. 1989 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 13). 428 Literaturverzeichnis J auss , Hans Robert: Alterität und Methode, in: D ers .: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976 , München 1977, S. 9-47. J auss , Hans Robert: Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft, in: Rezeptionsästhetik. Theorie und Praxis , hg. von Rainer W arning , 2. Aufl., München 1979 ( UTB 303), S. 126-162; urspr. 1975. J auss , Hans Robert: Die Theorie der Rezeption. Rückschau auf ihre unerkannte Vorgeschichte , Konstanz 1987 (Konstanzer Universitätsreden 166). J auss , Hans Robert: Rezeption, Rezeptionsästhetik, in: HWP h , Bd. 8, 1992, Sp. 996-1004. J auss , Hans Robert: Hermeneutische Moral: der moralische Anspruch des Ästhetischen, in: D ers .: Wege des Verstehens , München 1994, S. 30-48. J ehLe 2012: s. ‚Jacobus a (de) Voragine‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ J ensen , Uffa: Rezension zu: a ssMann , Aleida; Heidrun F riese (Hgg.): Identitäten. Frankfurt am Main 1998, in: H-Soz-u-Kult (19. 11. 2000) (http: / / hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/ rezensionen/ id=3959, 10. 08. 2017). J ohanek , Peter: Rechtsschrifttum, in: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter. 1250-1370. Zweiter Teil: Reimpaargedichte, Drama, Prosa , hg. von Ingeborg g Lier , München 1987 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart III / 2), S. 396-431. J ohanek , Peter: ‚Schwabenspiegel‘, in: 2 VL , Bd. 8, 1992, Sp. 896-907. J ohanek , Peter: ‚Spiegel aller deutschen Leute‘, in: 2 VL , Bd. 9, 1995, Sp. 94-100. J uLius , Anthony: Introduction, in: Law and Literature , hg. von Michael F reeMan u. Andrew D. E. L eWis , Oxford 1999 (Current legal issues 2), S. xi-xxv. J ungMann , Josef Andreas: Missarum Sollemnia. Eine genetische Erklärung der römischen Messe , Bd. 2, 5., verb. Aufl., Wien / Freiburg / Basel 1962; Nachdruck: Bonn 2003. k aBLitZ , Andreas: Alphonse de Lamartines „Méditations poétiques“. Untersuchungen zur Bedeutungskonstitution im Widerstreit von Lesererwartung und Textstruktur , Stuttgart 1985 (Text und Kontext 1). k aBLitZ , Andreas: Die Zeichen des Alltags und die Zeichen der Hölle: Dantes Inferno und der mittelalterliche ‚Realismus‘, in: Sprachlicher Alltag. Linguistik - Rhetorik - Literaturwissenschaft. Festschrift für Wolf-Dieter Stempel , hg. von Annette s aBBan , Tübingen 1994, S. 145-199. k aBLitZ , Andreas: Kunst des Möglichen. Theorie der Literatur , Freiburg / Berlin / Wien 2013 (Litterae 190). k aestLi , Jean-Daniel: Les Écrits apocryphes chrétiens. Pour une approche qui valorise leur diversité et leurs attaches bibliques, in: Le Mystère apocryphe. Introduction à une littérature méconnue , hg. von Jean-Daniel k aestLi u. Daniel M arguerat , 2., erw. Aufl., Genf 2007 (Essais bibliques 26), S. 29-44. k aLB , Herbert: Rechtswissenschaften, Rechtsgeschichte und der Gesetzesbegriff im Mittelalter, in: s peer / g uLDentops 2014, S. 3-18. k annoWski , Bernd: Rechtsbegriffe im Mittelalter. Stand der Diskussion, in: Rechtsbegriffe im Mittelalter , hg. von Albrecht C orDes u. Bernd k annoWski , Frankfurt a. M. u. a. 2002 (Rechtshistorische Reihe 262), S. 1-27. k annoWski , Bernd: Die Umgestaltung des Sachsenspiegelrechts durch die Buch’sche Glosse , Hannover 2007 (Monumenta Germaniae Historica, Schriften 56). k annoWski , Bernd: Die Rechtsgrundlagen von Königtum und Herrschaft in der Gegenüberstellung von «Sachsenspiegel» und «Buch’scher Glosse», in: Verso la costruzione del diritto pubblico tra medioevo e modernità / Auf dem Wege zur Etablierung des öffentlichen Rechts zwischen Mittelalter und Moderne , hg. von Gerhard D iLCher u. Diego q uagLioni , Bologna / Berlin 2011 (Gli inizi del diritto pubblico / Die Anfänge des öffentlichen Rechts 3; Annali dell’Istituto storico italo-germanico in Trento / Jahrbuch des italienisch-deutschen historischen Instituts in Trient, Contributi / Beiträge 25), S. 89-110. Sekundärliteratur 429 k annoWski , Bernd: Wieviel Gelehrtes Recht steckt im Sachsenspiegel und war Eike von Repgow ein Kanonist? , in: ZRG Kanon.Abt. 99 (2013), S. 382-397. k annoWski , Bernd: Zum Beweisrecht des Schwabenspiegels, in: Schwabenspiegel-Forschung im Donaugebiet. Konferenzbeiträge in Szeged zum mittelalterlichen Rechtstransfer deutscher Spiegel , hg. von Elemér B aLogh , Berlin / Boston 2015 (Ius saxonico-maideburgense in Oriente 4), S. 35-48 [redaktionell bearbeitete Fassung der Erstveröffentlichung in: Acta juridica et politica 71, Fasc. 17.5 (2008), S. 555-569]. k apriev , Georgi: … ipse vita et veritas. Der „ontologische Gottesbeweis“ und die Ideenwelt Anselms von Canterbury , Leiden / Boston / Köln 1998 (Studien und Texte zur Geistesgeschichte des Mittelalters 61). k arLstaDt , Andreas: Welche bucher Biblisch seint , Wittenberg 1520 (http: / / bildsuche.digitale-sammlungen.de/ index.html? c=viewer&bandnummer=bsb00021482&pimage=17&v=150&nav=&l=de, 10. 08. 2017). k artsChoke , Dieter: Bibeldichtung. Studien zur epischen Bibelparaphrase von Juvencus bis Otfrid von Weißenburg , München 1975. k artsChoke , Dieter: Bibelepik, in: RLW , Bd. 1, 1997, S. 218-221. k artsChoke , Dieter: Rezension zu M attig -k raMpe 2001, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 126.2 (2004), S. 336-340. k aser , Max u. Karl h aCkL : Das römische Zivilprozessrecht von M. K., neu bearb. von K. H. , 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl., München 1996 (Handbuch der Altertumswissenschaften X.3.4). k ästner , Hannes: ,Fride und reht‘ im ,Helmbrecht‘. Wernhers Maere im Kontext zeitgenössischer franziskanischer Gesellschafts- und Ordnungsvorstellungen, in: Wernher der Gärtner: ,Helmbrecht‘. Die Beiträge des Helmbrecht-Symposions in Burghausen 2001 , hg. von Theodor n oLte u. Tobias s ChneiDer , Stuttgart 2001, S. 25-43. k auFMann , Ekkehard: Teilnahme, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 138-141 [1998a]. k auFMann , Ekkehard: Urteilsfindung - Urteilsschelte, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 619-622 [1998b]. k auFMann , Frank-Michael u. Peter n euMeister (Hgg.): Glossar zur Buch’schen Glosse , 3 Bde, Wiesbaden 2015 ( MGH , Fontes iuris Germanici antiqui, N. S. 10.1-3). k auFMann , Matthias: Göttliches Recht, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 500-504. k eLhoFFer , James A.: ‘Gospel’ as a Literary Title in Early Christianity and the Question of What Is (and Is Not) a ‘Gospel’ in Canons of Scholarly Literature, in: Jesus in apokryphen Evangelienüberlieferungen. Beiträge zu außerkanonischen Jesusüberlieferungen aus verschiedenen Sprach- und Kulturtraditionen , hg. von Jörg F rey u. Jens s Chröter , Tübingen 2010 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 254), S. 399-422. k eLLer , Hildegard Elisabeth: losendt obenthv̈r. Weltgerichtsspiele als Aktualisierungsmedien der Zeit. Am Beispiel des ,Berner Weltgerichtsspiels‘ und des ,Churer Weltgerichtsspiels‘, in: Ritual und Inszenierung. Geistliches und weltliches Drama des Mittelalters und der Frühen Neuzeit , hg. von Hans-Joachim Z iegeLer , Tübingen 2004, S. 49-70. k eLLner , Beate: ,Wort‘ - ,Wortzeichen‘ - ,Schrift‘. Formen von Herrschaftssicherung, Sicherheitsleistung und Rechtsbindung im ‚Friedrich von Schwaben’, in: Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter , hg. von Horst W enZeL , Berlin 1997 (Philologische Studien und Quellen 143), S. 154-173. k eMper , Tobias A.: Die Kreuzigung Christi. Motivgeschichtliche Studien zu lateinischen und deutschen Passionstraktaten des Spätmittelalters , Tübingen 2006 ( MTU 131). k éry , Lotte: Gottesfurcht und irdische Strafe. Der Beitrag des mittelalterlichen Kirchenrechts zur Entstehung des öffentlichen Strafrechts , Köln / Weimar / Wien 2006 (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas: Symposien und Synthesen 10). k iBLe , Brigitte u. Tobias t rappe / Red.: Realität, formale / objektive, in: HWPh , Bd. 8, 1992, Sp. 193-200. 430 Literaturverzeichnis k iening , Christian: Reflexion - Narration. Wege zum „Willehalm“ Wolframs von Eschenbach , Tübingen 1991 (Hermaea, N. F. 63). k iening , Christian: Freiräume literarischer Theoriebildung. Dimensionen und Grenzen programmatischer Aussagen in der deutschen Literatur des 12. Jahrhunderts, in: DV js 66.3 (1992), S. 405-449. k iening , Christian: Der ›Willehalm‹ Wolframs von Eschenbach in karolingischem Kontext. Formen narrativ-historischer Aneignung eines ›Klassikers‹, in: Studien zur ›Weltchronik‹ Heinrichs von München, hg. von Horst B runner , Bd. 1: Überlieferung, Forschungsbericht, Untersuchungen, Texte , Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter 29), S. 522-568. k iening , Christian: Zwischen Körper und Schrift. Texte vor dem Zeitalter der Literatur , Frankfurt a. M. 2003. k iening , Christian: Alterität und Methode. Begründungsmöglichkeiten fachlicher Identität, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 52.1 (2005), S. 150-166. k iening , Christian: Gegenwärtigkeit. Historische Semantik und mittelalterliche Literatur, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur 10 (2006), S. 19-46. k iening , Christian: Versuchte Frauen. Narrative Muster und kulturelle Konfigurationen, in: Text und Kontext. Fallstudien und theoretische Begründungen einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik , hg. von Jan-Dirk M üLLer , München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 64), S. 77-98 [2007a]. k iening , Christian: Präsenz - Memoria - Performativität. Überlegungen im Blick auf das Innsbrucker Fronleichnamsspiel, in: Transformationen des Religiösen. Performativität und Textualität im geistlichen Spiel , hg. von Ingrid k asten u. Erika F isCher -L iChte , Berlin / New York 2007 (Trends in Medieval Philology 11), S. 139-168 [2007b]. k iening , Christian: Un heilige Familien. Sinnmuster mittelalterlichen Erzählens , Würzburg 2009 (Philologie der Kultur 1). k iening , Christian: Mitte der Zeit. Geschichten und Paradoxien der Passion Christi, in: Wiederkehr und Verheißung. Dynamiken der Medialität in der Zeitlichkeit , hg. von DeMs ., Aleksandra p riCa u. Benno W irtZ , Zürich 2011 (Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 16), S. 121-137. k inDig , Werner: Das literarische Judenburg. Eine Studie , Judenburg 1976 ( Judenburger Museumsschriften 7). k ing , Pamela M.: Contemporary Cultural Models for the Trial Plays in the York Cycle, in: Drama and Community: People and Plays in Medieval Europe , hg. von Alan h inDLey , Turnhout 1999 (Medieval Texts and Cultures of Northern Europe 1), S. 200-216. k isCh , Guido: Forschungen zur Rechts- und Sozialgeschichte der Juden in Deutschland während des Mittelalters. Nebst Bibliographien , 2., erw. Aufl., Sigmaringen 1978 (Guido Kisch, Ausgewählte Schriften, Bd. 1). k LauCk , Hans-Josef: Die apokryphe Bibel. Ein anderer Zugang zum frühen Christentum , Tübingen 2008 (Tria Corda 4). k LausnitZer , Ralf: Literatur und Wissen. Zugänge - Modelle - Analysen , Berlin / New York 2008 (De Gruyter Studienbuch). k Lein , Dorothea: Studien zur ,Weltchronik‘ Heinrichs von München , Bd. 3.1: Text- und überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen zur Redaktion β , Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter 31.1) [1998a]. k Lein , Dorothea: Studien zur ,Weltchronik‘ Heinrichs von München , Bd. 3.2: Die wichtigsten Textfassungen in synoptischer Darstellung , Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter 31.2) [1998b]. k Lein , Dorothea: Heinrich von München und die Tradition der gereimten deutschen Weltchronistik, in: Studien zur ,Weltchronik‘ Heinrichs von München, hg. von Horst B runner , Bd. 1: Überlieferung, Forschungsbericht, Untersuchungen, Texte , Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter 29), S. 1-112 [1998c]. Sekundärliteratur 431 k Lein , Dorothea: Rezension zu s haW / F ournier / g ärtner 2008 (s. ,Heinrich von München‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘), in: ZfdA 139 (2010), S. 516-519. k Lein , Klaus: Beobachtungen zur Überlieferung der ‘Apokalypse’ Heinrichs von Hesler, in: Neue Studien zur Literatur im Deutschen Orden , hg. von Bernhart J ähnig u. Arno M entZeL -r euters , Stuttgart 2014 (ZfdA. Beihefte 19), S. 127-135. k Lein , Thomas: Niederdeutsch und hochdeutsch in mittelhochdeutscher Zeit, in: Die deutsche Schriftsprache und die Regionen. Entstehungsgeschichtliche Fragen in neuer Sicht , hg. von Raphael B ertheLe u. a., Berlin / New York 2003 (Studia linguistica Germanica 65), S. 203-229. k LeinMayr , Hugo von: Handschriftliches zur Pilatus-Legende, in: ZfdA 62 (1925), S. 241-250. k LiBansky , Erich: Gerichtsszene und Prozeßform in erzählenden deutschen Dichtungen des 12.-14. Jahrhunderts , Berlin 1925 (Germanische Studien 40). k nape 1985: s. ‚ Historia apocrypha‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ k nape , Joachim: ‚Pilatus‘, in: 2 VL , Bd. 7, 1989, Sp. 669-682 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 1242). k nape , Joachim: Was ist Rhetorik? , Stuttgart 2000 ( RUB 18 044) [bibl. erg. Ausg. 2012]. k napp , Fritz Peter: Historie und Fiktion in der mittelalterlichen Gattungspoetik. Sieben Studien und ein Nachwort , Heidelberg 1997 (Beiträge zur älteren Literaturgeschichte). k napp , Fritz Peter: Historische Wahrheit und poetische Lüge. Die Gattungen weltlicher Epik und ihre theroretischen Rechtfertigungen im Hochmittelalter, in: D ers . 1997, S. 9-64; urspr. in: DV js 54 (1980), S. 581-635 [Knapp 1997 (1980)]. k napp , Fritz Peter: Die Literatur des Spätmittelalters in den Ländern Österreich, Steiermark, Kärnten, Salzburg und Tirol von 1273-1439. I. Halbband: Die Literatur in der Zeit der frühen Habsburger bis zum Tod Albrechts II . 1358 , Bd. 2 / 1, Graz 1999 (Geschichte der Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart). k napp , Fritz Peter: Rezension zu g reen 2002, in: Arbitrium 21.1 (2003), S. 21-26. k nothe , Hans-Georg: Der Prozess Jesu - rechtshistorisch betrachtet, in: Orbis Iuris Romani 10 (2005), S. 67-101. k öBeLe , Susanne: »iemer niuwe«. Wiederholung in Gottfrieds »Tristan«, in: Der »Tristan« Gottfrieds von Straßburg. Symposion Santiago de Compostela, 5. bis 8. April 2000 , hg. von Christoph h uBer u. Victor M iLLet , Tübingen 2002, S. 97-115. k öBeLe , Susanne: Die Illusion der ›einfachen Form‹. Über das ästhetische und religiöse Risiko der Legende, in: PBB 134.3 (2012), S. 365-404. k öBeLe , Susanne: Wiedererzählen, bibelepisch ( Der Saelden Hort , Die Erlösung , Lutwins Adam und Eva ), in: q uast / s preCkeLMeier 2017a, S. 167-202. k öBLer , Gerhard: Richten - Richter - Gericht, in: ZRG German.Abt. 87 (1970), S. 56-113. k öBLer , Gerhard: Das Recht im frühen Mittelalter. Untersuchungen zu Herkunft und Inhalt frühmittelalterlicher Rechtsbegriffe im deutschen Sprachgebiet , Köln / Wien 1971 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 7). k oCh , Elke: triuwe , trôst und helfe . Divergenzen und Konvergenzen geistlicher und weltlicher Konzeptionen in den Marienbüchern des Bruders Philipp und des ,Passionals‘, in: Fides / triuwe , hg. von Susanne L epsius u. Susanne r eiChLin , Berlin / Boston 2015 (Das Mittelalter. Perspektiven mediävistischer Forschung 20.2), S. 344-361. k oCher , Gernot: Kreuz, in: 2 HRG , Bd. 3, 2016, Sp. 228-230. k oLLer , Werner (unter Mitarbeit von Kjetil Berg h enJuM ): Einführung in die Übersetzungswissenschaft , 8., neubearb. Aufl., Tübingen u. a. 2011 ( UTB : Sprachwissenschaft, Translationswissenschaft 3520); urspr. 1979. k oLMer , Lothar: Zur städtischen Kriminalität im späten Mittelalter, in: ZRG German.Abt. 114 (1997), S. 261-295. k onersMann , R.: Semantik, historische, in: HWP h , Bd. 9, 1995, Sp. 593-598. k öppe , Tilmann: Literatur und Erkenntnis. Studien zur kognitiven Signifikanz fiktionaler literarischer Werke , Paderborn 2008 (Explicatio: Analytische Studien zur Literatur und Literaturwissenschaft). 432 Literaturverzeichnis k öppe , Tilmann: Literatur und Wissen: Zur Strukturierung des Forschungsfeldes und seiner Kontroversen, in: Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge , hg. von Tilmann k öppe , Berlin / New York 2011 (Linguae & litterae 4), S. 1-28. k öppe , Tilmann u. Simone W inko : Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung , 2., aktual. u. erw. Aufl., Stuttgart / Weimar 2013. k ornruMpF , Gisela: Die ,Weltchronik‘ Heinrichs von München. Zu Überlieferung und Wirkung, in: Festschrift für Ingo Reiffenstein zum 60. Geburtstag , hg. von Peter K. s tein , Andreas W eiss u. Gerold h ayer , Göppingen 1988 ( GAG 478), S. 493-509. k ornruMpF , Gisela: Das ‚Klosterneuburger Evangelienwerk‘ des österreichischen Anonymus. Datierung, neue Überlieferung, Originalfassung, in: Deutsche Bibelübersetzungen des Mittelalters. Beiträge eines Kolloquiums im Deutschen Bibel-Archiv , hg. von Heimo r einitZer , Bd. 9 / 10 (1987 / 88), Bern u. a. 1991 (Vestigia Bibliae: Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg), S. 115-131. k ornruMpF , Gisela: Sentlinger, Heinz, in: 2 VL , Bd. 8, 1992, Sp. 1102-1105. k ornruMpF , Gisela: Österreichischer Bibelübersetzer (um 1330), in: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 1097-1110. k osChorke , Albrecht: Die Heilige Familie und ihre Folgen. Ein Versuch , 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2000 (Fischer: Forum Wissenschaft, Kultur & Medien 14 765). k össinger , Norbert: Pilatus im deutschen Mittelalter (Rezension zu M attig -k raMpe 2001), in: IASLonline (06. 07. 2004) (http: / / www.iaslonline.de/ index.php? vorgang_id=294, 14.08.2017). k öster , Heinrich: Urstand, Fall und Erbsünde. In der Scholastik , Bd. II .3b, Freiburg / Basel / Wien 1979 (Handbuch der Dogmengeschichte). k osto , Adam J.: Hostages in the Middle Ages , Oxford 2012. k raniCh -h oFBauer , Karin: Zusammengesetzte Handschriften - Sammelhandschriften. Materialität - Kodikologie - Editorik, in: Materialität in der Editionswissenscahft , hg. von Martin s ChuBert , Berlin / New York 2010 (Beihefte zu editio 32), S. 309-321. von k raus , Carl: Zu Haugs Stephansleben, in: ZfdA 76 (1939), S. 253-263. k reusCh , Irina Maria: Der Eid zwischen Schwurverbot Jesu und kirchlichem Recht. Verehrung oder Missbrauch des göttlichen Namens , Berlin 2005 (Kanonistische Studien und Texte 49). k riMphove , Dieter: „Wir haben ein Gesetz …! “. Rechtliche Anmerkungen zum Strafverfahren gegen Jesus , 2., völlig überab. Aufl., Münster 2006 ( IUS VIVENS / Abteilung B: Rechtsgeschichtliche Abhandlungen 5). k roesCheLL , Karl: Rechtsaufzeichnung und Rechtswirklichkeit. Das Beispiel des Sachsenspiegels, in: Recht und Schrift im Mittelalter , hg. von Peter C Lassen , Sigmaringen 1977 (Vorträge und Forschungen 23), S. 349-380. k roesCheLL , Karl: Wahrheit und Recht im frühen Mittelalter, in: Sprache und Recht. Beiträge zur Kulturgeschichte des Mittelalters. Festschrift für Ruth Schmidt-Wiegand zum 60. Geburtstag , hg. von Karl h auCk u. a., Bd. 1, Berlin / New York 1986, S. 455-473. k roesCheLL , Karl: Von der Gewohnheit zum Recht. Der Sachsenspiegel im späten Mittelalter, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. I. Teil. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1994 bis 1995 , hg. von Harmut B ooCkMann u. a., Göttingen 1998 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge 228), S. 68-92. k üenZLen , Franziska: Verwandlungen eines Esels. Apuleius’ Metamorphoses im frühen 16. Jahrhundert , Heidelberg 2006 (Germanisch-Romanische Monatsschrift, Beihefte 25). k uhn , Eva-Maria: Rechtsprechung durch den Bischofsrichter. Augustin und die Umsetzung der göttlichen Gerechtigkeit in der Praxis, in: Augustinus als Richter , hg. von Johannes h eLLeBranD , Würzburg 2009 (Res et signa: Augustinus-Studien 5), S. 106-157; urspr.: Justice applied by the Episcopal Arbitrator: Augustine and the Implementation of Divine Justice, in: Etica & Politica / Ethics & Politics 9 (2007), S. 71-104; auf Deutsch erschienen in: Die christlich-philosophischen Sekundärliteratur 433 Diskurse der Spätantike. Texte, Personen, Institutionen , hg. von Therese F uhrer , Stuttgart 2008, S. 143-173. k üMper , Hiram: Sachsenrecht. Studien zur Geschichte des sächsischen Landrechts in Mittelalter und früher Neuzeit , Berlin 2009 (Schriften zur Rechtsgeschichte 142). k unZe , Konrad: Jacobus a (de) Voragine (Varagine), in: 2 VL , Bd. 4, 1983, Sp. 448-466 (Korrektur: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 755). k üper , Wilfried: Die Richteridee der Strafprozessordnung und ihre geschichtlichen Grundlagen , Berlin 1967 (Münsterische Beiträge zur Rechts- und Staatswissenschaft 11). k uttner , Stephan: Kanonistische Schuldlehre von Gratian bis auf die Dekretalen Gregors IX . Systematisch auf Grund der handschriftlichen Quellen dargestellt , Città del Vaticano 1935 (Studi e Testi 64). k utZer , Mirja: In Wahrheit erfunden. Dichtung als Ort theologischer Erkenntnis , Regensburg 2006 (ratio fidei: Beiträge zur philosophischen Rechenschaft der Theologie 30). L aChenMaier , Birgit Maria: Die Law-as-Literature-Bewegung. Entstehung, Entwicklung und Nutzen , Berlin 2008 (Schriften zur Rechtswissenschaft 98). L aMpe , G. W. H.: The trial of Jesus in the Acta Pilati, in: Jesus and the Politics of His Day , hg. von Ernst B aMMeL u. C. F. D. M ouLe , Cambridge 1984, S. 173-182. L anDau , Peter: Der Entstehungsort des Sachsenspiegels. Eike von Repgow, Altzelle und die anglonormannische Kanonistik, in: Deutsches Archiv für Erforschung des Mittelalters 61.1 (2005), S. 73-101. L anDWehr , Götz: ‚Urteilfragen‘ und ‚Urteilfinden‘ nach spätmittelalterlichen, insbesondere sächsischen Rechtsquellen, in: ZRG German.Abt. 96 (1979), S. 1-37. L au , Viktor: Erzählen und Verstehen. Historische Perspektiven der Hermeneutik , Würzburg 1999 (Epistemata, Reihe Philosophie 271). L eitZMann , Albert: Zu Gundacker von Judenburg, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 43 (1918), S. 540-544. L eitZMann , Albert: Bemerkungen zu Konrad von Heimesfurt, in: ZfdA 67 (1930), S. 273-282. L eMBke , Astrid u. Ludger L ieB : Magie der Inschrift. Die sinnliche Art der Informationsübermittlung, in: Ruperto-Carola 1 (10. 04. 2012) (http: / / www.uni-heidelberg.de/ presse/ ruca/ 2012-1/ 04medi. html, 10. 08. 2017). L enerZ , Jürgen: Zum Beispiel mære . Bedeutung und Bedeutungsvielfalt aus sprachwissenschaftlicher Sicht, in: Im Wortfeld des Textes. Worthistorische Beiträge zu den Bezeichnungen von Rede und Schrift im Mittelalter , hg. von Gerd D iCke , Manfred e ikeLMann u. Burkhard h aseBrink , Berlin / New York 2006 (Trends in Medieval Philology 10), S. 25-47. L eonharD , Clemens: The Jewish Pesach and the origins of the Christian Easter: open questions in current research , Berlin 2006 (Studia Judaica: Forschungen zur Wissenschaft des Judentums 35). L epsius , Susanne: Der Richter und die Zeugen. Eine Untersuchung anhand des Tractatus testimoniorum des Bartolus von Sassoferrato , Frankfurt a. M. 2000 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 158). L epsius , Susanne: Von Zweifeln zur Überzeugung. Der Zeugenbeweis im gelehrten Recht, ausgehend von der Abhandlung des Bartolus von Sassoferato , Frankfurt a. M. 2003 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 160). L epsius , Susanne: Wissen = Entscheiden, Nichtwissen = Nichtentscheiden? Zum Dilemma richterlicher Beweiserhebung im Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit, in: Urteilen / Entscheiden , hg. von Cornelia v isMann u. Thomas W eitin , Paderborn 2006 (Literatur und Recht), S. 119-142. L epsius , Susanne: Prätor und Prokonsul - Übersetzungsleistungen und Neuschöpfungen der mittelalterlichen Legisten im Umgang mit den römischen Ämtern, in: Science politique et droit public dans les facultés de droit européennes ( XIII e- XVIII e siècle) , hg. von Jacques k rynen , Frankfurt a. M. 2008 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte 229), S. 223-250. 434 Literaturverzeichnis L ieBerWirth , Rolf: Die Sachsenspiegelvorrede von der herren geburt, in: Der Sachsenspiegel als Buch. Vorträge und Aufsätze , hg. von Ruth s ChMiDt -W ieganD u. Dagmar h üpper , Frankfurt a. M. u. a. 1991 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 1), S. 1-18. L ieBreCht , Johannes: Gutes altes Recht, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 624-626. L ienert , Elisabeth: Deutsche Antikenromane des Mittelalters , Berlin 2001 (Grundlagen der Germanistik 39). L ienert , Elisabeth: Die ‚historische‘ Dietrichepik. Untersuchung zu ‚Dietrichs Flucht‘, ‚Rabenschlacht‘ und ‚Alpharts Tod‘ , Berlin / New York 2010 (Texte und Studien zur mittelhochdeutschen Heldenepik 5). L inCoLn , Andrew T.: Truth on Trial. The Lawsuit Motif in the Fourth Gospel , Peabody, MA 2000. L inCoLn , Andrew T.: A life of Jesus as Testimony: The Divine Courtroom and the Gospel of John, in: The Divine Courtroom in Comparative Perspective , hg. von Ari M erMeLstein u. Shalom E. H oLtZ , Leiden / Boston 2015 (Biblical Interpretation Series), S. 145-166. L inDen , Sandra: Biographisches und Historisches. Eine Spurensuche zu Ulrich von Liechtenstein, in: Ulrich von Liechtenstein. Leben - Zeit - Werk - Forschung , hg. von Sandra L inDen u. Christopher y oung , Berlin / New York 2010 (De Gruyter Lexikon), S. 45-98. L inDorFer , Bettina: ,Zungensünden‘ und ewiges Strafgericht. Zur Performativität der Rede im moraltheologischen Diskurs des späten Mittelalters, in: Blutige Worte. Internationales und interdisziplinäres Kolloquium zum Verhältnis von Sprache und Gewalt in Mittelalter und Früher Neuzeit , hg. von Jutta e Ming u. Claudia J arZeBoWski , Göttingen 2008 (Berliner Mittelalter- und Frühneuzeitforschung 4), S. 53-74. L ink , Jürgen u. Ursula L ink -h eer : Diskurs / Interdiskurs und Literaturanalyse, in: LiLi 20.77: Philologische Grundbegriffe (1990), S. 88-99. L ippert , Stefan: Recht und Gerechtigkeit bei Thomas von Aquin. Eine rationale Rekonstruktion im Kontext der Summa Theologiae , Marburg 2000 (Marburger theologische Studien 15). L isska , Anthony J.: Aquinas’s Theory of Natural Law. An Analytic Reconstruction , Oxford 1996. L iteWski , Wiesław: Der römisch-kanonische Zivilprozeß nach den älteren ordines iudicarii. Unter dem Lektorat und mit dem Geleitwort von Andreas Wacke , 2 Bde, Krakau 1999. L ohrMann , Klaus: Judenrecht und Judenpolitik im mittelalterlichen Österreich , Wien / Köln 1990 (Handbuch zur Geschichte der Juden in Österreich, Reihe B 1). L ohrMann , Klaus: Überlegungen zur vermögensrechtlichen Stellung der Juden im Mittelalter, in: Studien zur Geschichte der Juden in Österreich , hg. von Martha k eiL u. Klaus L ohrMann , Wien 1994, S. 11-40. L öser , Freimut: Literatur im Deutschen Orden. Vorüberlegungen zu ihrer Geschichte, in: Mittelalterliche Kultur und Literatur im Deutschordensstaat in Preußen: Leben und Nachleben , hg. von Jarosław W enta , Sieglinde h artMann u. Gisela v oLLMann -p roFe , Torun 2008 (Sacra Bella Septentrionalia 1), S. 331-354. L oWe , M[alcolm]: Ἰουδαῖοι of the Apocrypha. A Fresh Approach to the Gospels of James, Pseudo- Thomas, Peter, and Nicodemus, in: Novum Testamentum 23.1 (1981), S. 56-90. L üCk , Heiner: Banner, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 436-438 [2008a]. L üCk , Heiner: Bannleihe, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 439-441 [2008b]. L üCk , Heiner: Feme, Femgericht, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1535-1543 [2008c]. L üCk , Heiner: Freier Himmel, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1734-1736 [2008d]. L üCk , Heiner: Fronbote, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1856-1859 [2008e]. L üCk , Heiner: Gerichtslaube, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 162-165 [2012a]. L üCk , Heiner: Herrschaftszeichen, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 982-987 [2012b]. L üCk , Heiner: Hochgerichtsbarkeit, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 1055-1059 [2012c]. L üCk , Heiner: Nüchternheit, nüchtern, in: 2 HRG , Bd. 4 (25. Lieferung), 2017, Sp. 1 f. Sekundärliteratur 435 L utZ , Eckart Conrad: Rhetorica divina. Untersuchungen zu Inhalt und Aufbau mittelhochdeutscher Prologgebete , Berlin / New York 1984 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 82 [206]). M agin , Christine: „Wie es umb der iuden recht stet“. Der Status der Juden in spätmittelalterlichen deutschen Rechtsbüchern , Göttingen 1999. M aihoLD , Harald: Die Sippenhaft: Begründete Zweifel an einem Grundsatz des ‚deutschen Rechts‘, in: Mediaevistik 18 (2005), S. 117-144. M aLM , Mike: Heinrich von Hesler, in: DLL MA , Bd. 1, 2011, Sp. 972-977. M anDreLLa , Isabelle: Vernunftrecht versus göttliches Gebot: Das Isaak-Opfer als naturgesetzlicher Konfliktfall, in: De usu rationis. Vernunft und Offenbarung im Mittelalter , hg. von Günther M ensChing , Würzburg 2007 (Contradictio 9), S. 170-184. M anuWaLD , Henrike: Zeugen der Anklage? Konzepte von Zeugenschaft in mittelhochdeutschen Dichtungen über den Prozess Jesu, in: Zeugnis und Zeugenschaft. Perspektiven aus der Vormoderne , hg. von Wolfram D reWs u. Heike s ChLie , München 2011 (Trajekte), S. 53-75. M anuWaLD , Henrike: The prologue to the gloss on the Sachsenspiegel. A bilingual poem as a document of transition, in: ZRG German.Abt. 130 (2013), S. 355-370. M anuWaLD , Henrike: Gott ,vor dem Gesetz‘. Göttliches und menschliches Recht im ,Evangelium Nicodemi‘ Heinrichs von Hesler, in: s peer / g uLDentops 2014, S. 663-690. M anuWaLD , Henrike: In der selben wile dar … Gleichzeitigkeit in verbalen und piktoralen Erzählungen vom Christusereignis, in: Gleichzeitigkeit. Narrative Synchronisierungsmodelle in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit , hg. von Susanne k öBeLe u. Coralie r ippL , Würzburg 2015 (Philologie der Kultur 14), S. 351-386. M anuWaLD , Henrike: Mediale Inszenierungen von Geschichtsmodellen in den Codices picturati des «Sachsenspiegels», in: Geschichtsentwürfe und Identitätsbildung am Übergang zur Neuzeit , Bd. 1: Paradigmen personaler Identität , hg. von Ludger g renZMann , Burkhard h aseBrink u. Frank r exroth , Berlin / Boston 2016 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen. N. F. 41 / 1), S. 114-157. M anuWaLD , Henrike: Der Heilige Rock - gestrickt. ,Magischer Realismus‘ in Bruder Philipps Marienleben ? , in: q uast / s preCkeLMeier 2017a, S. 203-220. M anuWaLD , Henrike: râche zwischen ,Vergeltung eines Unrechts‘ und ,Strafe‘: Semantische Spielräume im Alexander Rudolfs von Ems, in: Punishment and Penitential Practices in Medieval German Writing , hg. von Sarah B oWDen u. Annette v oLFing , Woodbridge 2018 (King’s College London Medieval Studies), S. 19-42 [2018a]. M anuWaLD , Henrike: Der Drache als Herausforderung für Fiktionalitätstheorien. Mediävistische Überlegungen zur Historisierung von ,Faktualität‘, erscheint in: Geschichte der Fiktionalität. Diachrone Perspektiven auf ein kulturelles Konzept , hg. von Johannes F ranZen u. a., Würzburg 2018 (Faktuales und fiktionales Erzählen), S. 65-87 [2018b]. M arquarD , Odo: Realitätsprinzip, in: HWP h , Bd. 8, 1992, Sp. 211 f. M arsChLer , Thomas: Der Vergleich von Altem und Neuem Gesetz im Spiegel ausgewählter scholastischer Kommentierungen von 3 Sent., d. 40, in: s peer / g uLDentops 2014, S. 334-349. M artiMort , Aimé-Georges (Hg.): Handbuch der Liturgiewissenschaft. Bd. I: Allgemeine Einleitung. Die Grundelemente der Liturgie. Die Theologie der liturgischen Feier , Freiburg / Basel / Wien 1963. M arx , C. William: The Devil’s Right and the Redemption in the Literature of Medieval England , Cambridge 1995. M asser , Achim: Bibel, Apokryphen, Legenden. Geburt und Kindheit Jesu in der religiösen Epik des deutschen Mittelalters , Berlin 1969. M asser , Achim: Bibel- und Legendenepik des deutschen Mittelalters , Berlin 1976 (Grundlagen der Germanistik 19). M asser , Achim: Heinrich von Hesler, in: 2 VL , Bd. 3, Sp. 749-755 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 624 f.). 436 Literaturverzeichnis M asser , Achim u. Max s iLLer : Einleitung, in: Das Evangelium Nicodemi in spätmittelalterlicher deutscher Prosa. Texte , hg. von Dens ., Heidelberg 1987 (Germanische Bibliothek, Reihe 4: Texte und Kommentare), S. 9-117. M attig -k raMpe , Bettina: Das Pilatusbild in der deutschen Bibel- und Legendenepik des Mittelalters , Heidelberg 2001 (Germanistische Bibliothek 9). M atZinger -p Fister , Regula: Paarformel, Synonymik und zweisprachiges Wortpaar. Zur mehrgliedrigen Ausdrucksweise der mittelalterlichen Urkundensprache , Zürich 1972 (Rechtshistorische Arbeiten 9). M auZ , Andreas: In Gottesgeschichten verstrickt. Erzählen im christlich-religiösen Diskurs, in: Wirklichkeitserzählungen. Felder, Formen und Funktionen nicht-literarischen Erzählens , hg. von Christian k Lein u. Matías M artíneZ , Stuttgart / Weimar 2009, S. 192-216. M aZaL , Otto u. Rosemary h iLMar : Katalog der abendländischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek. „Series nova“ (Neuerwerbungen), Teil 5: Cod. Ser. n. 4801-4851 und Ser. n. 9249-9999 , Wien 1997 (Museion, N. F. 4,2,5). M aZaL , Otto u. Franz u nterkirCher : Katalog der abendländischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek: „Series nova“ (Neuerwerbungen): Teil 1: Cod. Ser. n. 1-1600 , Wien 1965 (Museion, N. F. 4.2.1). M C g rath , Alister E.: Iustitia Dei. A History of the Christian Doctrine of Justification , 2. Aufl., Cambridge 2005. M enharDt , Hermann: Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften der Österreichischen Nationalbibliothek , Bd. 3, Berlin 1961 (Veröffentlichungen des Instituts für deutsche Sprache und Literatur 13). M enke , Petra: Recht und Ordo-Gedanke im Helbrecht , Frankfurt a. M. u. a. 1993 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 24). M entZeL -r euters , Arno: Die ‘Erlösung‘ des Heinrich von Hesler. In: Grundlagen. Forschungen, Editionen und Materialien zur deutschen Literatur und Sprache des Mittelalters und der Frühen Neuzeit , hg. von Rudolf B entZinger , Ulrich-Dieter o ppitZ u. Jürgen W oLF , Stuttgart 2013 (ZfdA, Beihefte 18), S. 73-85. M entZeL -r euters , Arno: Heinrich von Hesler - von Thüringen nach Preußen. Facetten deutschsprachiger Bibeldichtung 1250-1350. In: Der deutsche Orden und Thüringen. Aspekte einer 800-jährigen Geschichte , hg. von Thomas T. M üLLer , Petersberg 2014 (Mühlhauser Museen, Forschungen und Studien 4), S. 43-74. M erBaCk , Mitchell: The Thief, the Cross and the Wheel. Pain and the Spectacle of Punishment in Medieval and Renaissance Europe , Chicago 1999. M erkeL , Helmut: Die Widersprüche zwischen den Evangelien. Ihre polemische und apologetische Behandlung in der Alten Kirche bis zu Augustin , Tübingen 1971 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 13). M erkeL , Helmut: Die Pluralität der Evangelien als theologisches und exegetisches Problem in der Alten Kirche , Bern u. a. 1978 (Traditio Christiana 3). M ette -D ittMann , Angelika: Die Ehegesetze des Augustus. Eine Untersuchung im Rahmen der Gesellschaftspolitik des Princeps , Stuttgart 1991 (Historia Einzelschriften 68). M eurer , Dieter: Todesstrafe, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 264-270. M eyer , Elisabeth: Klosterneuburger Evangelienwerk (um 1330), in: Literarische Performativität. Lektüren vormoderner Texte , hg. von Christian k iening u. Cornelia h erBeriChs , Zürich 2008 (Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 3), S. 241-258. M eyer , Tim: Gefahr vor Gericht. Die Formstrenge im sächsisch-magdeburgischen Recht , Köln / Weimar / Wien 2009 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 26). M ieDeMa , Nine Robijntje: Die römischen Kirchen im Spätmittelalter nach den „Indulgentiae ecclesiarum urbis Romae“ , Tübingen 2001 (Bibliothek des Deutschen Historischen Instituts in Rom 97). M ikat , Paul: Zweischwerterlehre, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 1848-1859. Sekundärliteratur 437 M ikat , Paul: Prozeß Jesu, II . Rechtsgeschichtlich, in: LT hK , Bd. 8, 1999, S. 676-678. M ikosCh , Gunnar: Von alter ê und ungetriuwen Juden . Juden und Judendiskurse in den deutschen Predigten des 12. und 13. Jahrhunderts , München 2010. M iLLer , Matthias u. Karin Z iMMerMann : Die Codices Palatini germanici in der Universitätsbibliothek Heidelberg (Cod. Pal. germ. 304-495) , Wiesbaden 2007 (Kataloge der Universitätsbibliothek Heidelberg VIII ). M iMouni , Simon Claude: Le concept d’apocryphité dans le christianisme ancien et médiéval: réflexions en guise d’introduction, in: Apocryphité. Histoire d’un concept transversal aux religions de livre. En hommage à Pierre Geoltrain , hg. von DeMs ., Turnhout 2002 (Bibliothèque de l’ecole des hautes études sciences religieuses 113), S. 1-30. M inDa , Gary: Law and Literature at Century’s End, in: Cardozo Studies in Literature and Law 9 (1997), S. 245-258. M oMMsen , Theodor: Die Pilatus-Acten, in: Zeitschrift für neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde des Urchristentums 3 (1902), S. 198-205. M üLLer , Henning Ernst: Falsche Zeugenaussage und Beteiligungslehre , Tübingen 2000. M üLLer , Jan-Dirk: Der Widerspenstigen Zähmung. Anmerkungen zu einer mediävistischen Kulturwissenschaft, in: Nach der Sozialgeschichte. Konzepte für eine Literaturwissenschaft zwischen Historischer Anthropologie, Kulturgeschichte und Medientheorie , hg. von Martin h uBer u. Gerhard L auer , Tübingen 2000, S. 461-481. M üLLer , Jan-Dirk: Sage - Kultur - Gattung - Text. Zu einigen Voraussetzungen des Verständnisses mittelalterlicher Literatur am Beispiel des Nibelungenliedes, in: Nibelungenlied und Nibelungenklage. Neue Wege der Forschung , hg. von Christoph F asBenDer , Darmstadt 2005, S. 122-140; urspr. in: 800 Jahre Nibelungenlied: Rückblick - Einblick - Ausblick. 6. Pöchlarner Heldenliedgespräch , hg. von Klaus Z atLoukaL , Wien 2001 (Philologica Germanica 23), S. 115-133. M üLLer , Jan-Dirk: Literarische und andere Spiele. Zum Fiktionalitätsproblem in vormoderner Literatur, in: Poetica 36 (2004), S. 281-311. M üLLer , Jan-Dirk: Einleitung, in: Text und Kontext. Fallstudien und theoretische Begründung einer kulturwissenschaftlich angeleiteten Mediävistik , hg. von Jan-Dirk M üLLer , München 2007 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 64), S. VII - XI [2007a]. M üLLer , Jan-Dirk: Höfische Kompromisse. Acht Kapitel zur höfischen Epik , Tübingen 2007 [2007b]. M üLLer , Jan-Dirk: Die Freiheit der Fiktion, in: Zwischen Fakten und Fiktionen. Literatur und Geschichtsschreibung in der Vormoderne , hg. von Marle Marie s Chütte , Kristina r Zehak u. Daniel L iZius , Würzburg 2014 (Religion und Politik 10), S. 211-231. M üLLer , Stephan: ‚Schwabenspiegel‘ und ‚Prosakaiserchronik‘. Textuelle Aspekte einer Überlieferungssymbiose am Beispiel der Geschichte Karls des Großen (mit einem Anhang zur Überlieferung der ‚Prosakaiserchronik‘), in: Text und Text in lateinischer und volkssprachiger Überlieferung des Mittelalters. Freiburger Kolloquium 2004 , hg. von Eckart Conrad L utZ , Berlin 2006 (Wolfram- Studien 19), S. 233-252. M üLLer , Stephan: Vom Klippdachs zum Murmeltier. Transformation und Akkulturation der Bibel im Mittelalter an einem Beispiel aus Notkers Psalter (Ps. 103,18), in: Inszenierungen der Heiligen Schrift. Jüdische und christliche Bibeltransformationen vom Mittelalter bis in die Moderne , hg. von Marion k euChen , Paderborn 2009, S. 31-39. M üLLner , Ilse: Fiktion, in: WiBiLex Sept. 2008. M ünkLer , Marina: 7 Alterität und Interkulturalität, a) Ältere deutsche Literatur, in: Germanistik als Kulturwissenschaft. Eine Einführung in neue Theoriekonzepte , hg. von Claudia B enthien u. Hans Rudolf v eLten , Reinbek bei Hamburg 2002, S. 323-344. M unZeL -e verLing , Dietlinde: Deutschenspiegel, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 971 f. [2008a]. M unZeL -e verLing , Dietlinde: Eid, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1249-1261 [2008b]. M urphy 1965: s. ,Thomas von Aquin‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ n asChert , Guido: Referenz, in: RLW , Bd. 3, 2003, S. 239-241. 438 Literaturverzeichnis n ehLsen von s tryk , Karin: Die Krise des ‚irrationalen‘ Beweises im Hoch- und Spätmittelalter und ihre gesellschaftlichen Implikationen, in: ZRG German.Abt. 117 (2000), S. 1-38. n eMes , Balázs J.: Die Budapester Handschrift des Fließenden Lichts der Gottheit Mechthilds von Magdeburg und ihre Verbindungen zum Benediktinerkloster Millstatt, in: Jahrbuch der ungarischen Germanistik (2005), S. 119-142. n eMeth , Charles Paul: Aquinas in the Courtroom. Lawyers, Judges and Judicial Conduct , Westport / London 2001 (Contributions in Philosophy 82). n euser , Peter-Erich: Zum sogenannten ,Heinrich von Melk‘. Überlieferung, Forschungsgeschichte und Verfasserfrage der Dichtungen „ Vom Priesterleben “ und „ Von des todes gehugde “ , Köln / Wien 1973 (Kölner germanistische Studien 9). n euss , Erich: Kloster Haeseler, in: Provinz Sachsen-Anhalt , hg. von Berent s ChWineköper , 2., überarb. u. erg. Aufl., Stuttgart 1987 (Handbuch der historischen Stätten Deutschlands 11), S. 242 f. n iChoLson , R. H.: The trial of Christ the sorcerer in the York Cycle, in: The Journal of Medieval and Renaissance Studies 16.2 (1986), S. 125-169. n iCkLas , Tobias: Semiotik - Intertextualität - Apokryphität. Eine Annäherung an den Begriff ‚christlicher Apokryphen‘, in: Apocrypha. Revue internationale des littératures apocryphes / International Journal of Apocryphal Literatures 17 (2006), S. 55-78. n ieFanger , Dirk: Realitätsreferenzen im Gegenwartsroman. Überlegungen zu ihrer Systematisierung, in: Realitätseffekte in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Schreibweisen nach der Postmoderne? , hg. von Brigitta k ruMrey , Ingo v ogLer u. Katharina D erLin unter Mitarbeit von Tim-Florian g osLar , Heidelberg 2014 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 325), S. 35-62. n iesner , Manuela: „Wer mit juden well disputiren“. Deutschsprachige Adversus-Judaeos-Literatur des 14. Jahrhunderts , Tübingen 2005 ( MTU 128). n öDing , Arnulf: ‚min sicherheit si din‘. Kriegsgefangenschaft im christlichen Mittelalter, in: In der Hand des Feindes. Kriegsgefangenschaft von der Antike bis zum zweiten Weltkrieg , hg. von Rüdiger o verMans , Köln / Weimar / Wien 1999, S. 99-117. n örr , Knut Wolfgang: Zur Stellung des Richters im gelehrten Prozess der Frühzeit: Iudex secundum allegata non secundum conscientiam iudicat , München 1967 (Münchner Universitätsschriften, Reihe der Juristischen Fakultät 2). n örr , Knut Wolfgang: Romanisch-kanonisches Prozessrecht. Erkenntnisverfahren erster Instanz in civilibus, Berlin / Heidelberg 2012 (Enzyklopädie der Rechts- und Staatswissenschaft). o’g orMan , Richard: The Gospel of Nicodemus in the Vernacular Literature of Medieval France, in: i ZyDorCZyk 1997, S. 103-131. o estMann , Peter: Formstrenge, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1626-1630 [2008a]. o estMann , Peter: Fürsprecher, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1883-1887 [2008b]. o hLy , Friedrich: Die Trinität berät über die Erschaffung des Menschen und über seine Erlösung, in: PBB 116 (1994), S. 242-284. o Lson , Greta: De-Americanizing Law and Literature Narratives: Opening Up the Story, in: Law & Literature 22.2 (2010), S. 338-364. o Lson , Greta: Futures of Law and Literature - A Preliminary Overview from a Culturalist Perspective, in: Recht und Literatur im Zwischenraum / Law and Literature In-Between: Aktuelle inter- und transdisziplinäre Zugänge / Contemporary Interand Transdisciplinary Approaches , hg. von Christian h ieBauM , Susanne k naLLer u. Doris p iChLer , Bielefeld 2015, S. 37-69. o MerZu , Heike: Der Prozeß des Paulus. Eine exegetische und rechtshistorische Untersuchung der Apostelgeschichte , Berlin / New York 2002 (Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche, Beihefte 115). o ppitZ , Ulrich-Dieter: Deutsche Rechtsbücher des Mittelalters , Bd. 1: Beschreibung der Rechtsbücher , Köln / Wien 1990. o stWaLDt , Lars: Aequitas und Justitia. Ihre Ikonographie in Antike und Früher Neuzeit , Halle 2009 (Signa Iuris 3). Sekundärliteratur 439 o sWaLD , Wolfgang: Bundesbuch, in: WiBiLex Dez. 2005. o tt , Norbert H.: Rechtspraxis und Heilsgeschichte. Zu Überlieferung, Ikonographie Gebrauchssituation des deutschen „Belial“ , München 1983 ( MTU 80) [1983a]. o tt , Norbert H.: Jacobus de Theramo, in: 2 VL , Bd. 4, 1983, Sp. 441-447 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 755) [1983b]. o tt , Norbert H.: Bispel und Mären als juristische Exempla. Anmerkungen zur Stricker-Überlieferung im Rechtsspiegel-Kontext, in: Kleinere Erzählformen im Mittelalter. Paderborner Colloquium 1987 , hg. von Klaus g ruBMüLLer u. a., Paderborn 1988 (Schriften der Universität-Gesamthochschule-Paderborn 10), S. 243-252. o tt , Norbert H.: Kompilation und Offene Form - Die Weltchronik Heinrichs von München, in: Handbuch Chroniken des Mittelalters , hg. von Gerhard W oLF u. Norbert H. o tt , Berlin / Boston 2016, S. 181-196. o tte , Gerhard: ‚Got is selve recht‘: Recht oder gerecht? , in: Von den leges barbarorum bis zum ius barbarum des Nationalsozialismus. Festschrift für Hermann Nehlsen zum 70. Geburtstag , hg. von Hans-Georg h erMann u. a., Köln / Weimar / Wien 2008, S. 163-172. p aLMer , Nigel F.: Das ,Einsiedeln-Zürcher Lektionar‘. Untersuchungen zur spätmittelalterlichen Bibelübersetzung im südwestdeutschen Raum, in: Metamorphosen der Bibel. Beiträge zur Tagung ,Wirkungsgeschichte der Bibel im deutschsprachigen Mittelalter‘ vom 4. bis 6. September 2000 in der Bibliothek des Bischöflichen Priesterseminars Trier , hg. von Ralf p Late u. Andrea r app , Bern u. a. 2004 (Vestigia Bibliae: Jahrbuch des Deutschen Bibel-Archivs Hamburg 24 / 25 [2002 / 2003]), S. 123-154. p anCaro , Severion: The Law in the Fourth Gospel. The Torah and the Gospel, Moses and Jesus, Judaism and Christianity according to John , Leiden 1975 (Novum Testamentum Supplements 42). p anoFsky , Erwin: Early Netherlandish Painting. Its Origins and Character , Cambridge, MA 1953. p esCh , Christian: Über Evangelienharmonien. Erste Abhandlung, in: Zeitschrift für katholische Theologie 10.2 (1886), S. 225-244. p eters , Julie Stone: Law, Literature and the Vanishing Real. On the Future of an Interdisciplinary Illusion, in: Publications of the Modern Language Association of America 120 (2005), S. 442-453. p eters , Ursula: Text und Kontext: Die Mittelalter-Philologie zwischen Gesellschaftsgeschichte und Kulturanthropologie , Wiesbaden 2000 (Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Geisteswissenschaften, Vorträge, G 365). p eters , Ursula: ,Texte vor der Literatur‘? Zur Problematik neuerer Alteritätsparadigmen der Mittelalter-Philologie, in: Poetica 39 (2007), S. 59-88. p eters , Ursula: Postkoloniale Mediävistik? Überlegungen zu einer kulturwissenschaftlichen Spielart der Mittelalter-Philologie, in: Scientia Poetica. Jahrbuch für Geschichte der Literatur und der Wissenschaften 14 (2010), S. 205-237. p eters , Ursula: Das sozialhistorische Verständnis höfischer Dichtung - eine unendliche Geschichte der Wiedergängerei? , in: LiLi 43.172: Turn, Turn, Turn? Oder: Braucht die Germanistik eine germanistische Wende. Eine Rundfrage zum Jubiläum der LiLi (2013), S. 119-123. p eters , Ursula: zins und gülte . Zur Ökonomie der Landleihe in der höfischen Dichtung, in: Internationales Archiv für Sozialgeschichte der deutschen Literatur 42 (2017), S. 1-50. P etersen , Christoph: Mythische Variante. Die narrative Soteriologie des Descensus Christi, in: Präsenz des Mythos. Konfigurationen einer Denkform in Mittelalter und Früher Neuzeit , hg. von Udo F rieDriCh u. Bruno q uast , Berlin / New York 2004, S. 59-82. p FeiFFer 1853: s. ,David von Augsburg‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ p FeiFFer , Helmut: Rezeption, in: RLW , Bd. 3, 2003, S. 282-285. p Fister , Manfred: Konzepte der Intertextualität, in: Intertextualität. Formen, Funktionen, anglistische Fallstudien , hg. von Manfred p Fister u. Ulrich B roiCh , Tübingen 1985 (Konzepte der Sprach- und Literaturwissenschaft 35), S. 1-30. 440 Literaturverzeichnis p iChLer , Doris : Law and Literature: Some Reflections upon the Nature of its Interdisciplinarity, in: Recht und Literatur im Zwischenraum / Law and Literature In-Between: Aktuelle inter- und transdisziplinäre Zugänge / Contemporary Interand Transdisciplinary Approaches , hg. von Christian h ieBauM , Susanne k naLLer u. Doris p iChLer , Bielefeld 2015, S. 15-33. p iCkering , Frederick P.: Literature & Art in the Middle Ages , London 1970; urspr.: Literatur und darstellende Kunst im Mittelalter , Berlin 1966. p iCkering , Frederick P.: Christi Leiden in einer Vision geschaut, in: 2 VL , Bd. 1, 1978, Sp. 1218-1221 (Korrektur: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 317). p iLCh , Martin: Der Rahmen der Rechtsgewohnheiten. Kritik des Normensystemdenkens entwickelt am Rechtsbegriff der mittelalterlichen Rechtsgeschichte , Köln / Weimar / Wien 2009. p iper 1888: s. ,Heinrich von Hesler‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ von p LanCk , Johann Julius Wilhelm: Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter. Nach dem Sachsenspiegel und den verwandten Rechtsquellen , 2 Bde, Braunschweig 1879. p Lasger , Georg: Die Not-Wendigkeit der Gerechtigkeit. Eine Interpretation zu „Cur Deus homo“ von Anselm von Canterbury , Münster 1993 (Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters, N. F. 38). p oLLMann , Karla: Doctrina Christiana. Untersuchungen zu den Anfängen der christlichen Hermeneutik unter besonderer Berücksichtigung von Augustinus, De doctrina christiana, Freiburg / Schweiz 1996 (Paradosis 41). p oLLMann , Karla: Das lateinische Epos in der Spätantike, in: Von Göttern und Menschen erzählen. Formkonstanzen und Funktionswandel vormoderner Epik , hg. von Jörg r üpke , Stuttgart 2001 (Potsdamer altertumswissenschaftliche Beiträge 4), S. 93-129. p osner , Richard A.: Law and literature , 3. Aufl., Cambridge, MA 2009; urspr.: Law and literature. A misunderstood relation , Cambridge, MA 1988. p riCa , Aleksandra: Heilsgeschichten. Untersuchungen zur mittelalterlichen Bibelauslegung zwischen Poetik und Exegese , Zürich 2010 (Medienwandel - Medienwechsel - Medienwissen 8). p runč , Erich: Entwicklungslinien der Translationswissenschaft. Von den Asymmetrien der Sprachen zu den Asymmetrien der Macht , 3., erw. u. verb. Aufl., Berlin 2012 (Trans ÜD . Arbeiten zur Theorie und Praxis des Übersetzens und Dolmetschens 43). p üLtZ , Otto: Die deutschen Handschriften der Universitätsbibliothek Erlangen , Wiesbaden 1973 (Katalog der Handschriften der Universitätsbibliothek Erlangen, Neubearbeitung 4). q uast , Bruno: Der feste Text. Beobachtungen zur Beweglichkeit des Textes aus der Sicht der Produzenten, in: Text und Kultur. Mittelalterliche Literatur 1150-1450 , hg. von Ursula p eters , Stuttgart / Weimar 2001 (Germanistische Symposien, Berichtsbände 23), S. 34-46 [2001a]. q uast , Bruno: Hand-Werk. Die Dinglichkeit des Textes bei Konrad von Heimesfurt, in: PBB 123 (2001), S. 65-77 [2001b]. q uast , Bruno: Vom Kult zur Kunst. Öffnungen des rituellen Textes in Mittelalter und Früher Neuzeit , Tübingen 2005 (Bibliotheca Germanica 48). q uast , Bruno: Ereignis und Erzählung. Narrative Strategien der Darstellung des Nichtdarstellbaren im Mittelalter am Beispiel der virginitas in partu , in: ZfdPh 125 (2006), S. 29-46. q uast , Bruno: Von den ewangelien wil ich tihten. Spielräume des Narrativen in Gundackers von Judenburg Christi Hort und in Der Saelden Hort , in: Fiktion und Fiktionalität in den Literaturen des Mittelalters: Jan-Dirk Müller zum 65. Geburtstag , hg. von Ursula p eters u. Rainer W arning , Paderborn 2009, S. 387-406. q uast , Bruno: Differentielle Verkündigung. Säkularisierung als Effekt in Priester Wernhers Maria , in: Literarische Säkularisierung im Mittelalter , hg. von Susanne k öBeLe u. DeMs ., Berlin 2014 (Literatur - Theorie - Geschichte. Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik 4), S. 311-327. Sekundärliteratur 441 q uast , Bruno: Inkulturation als diskursive Entdifferenzierung. Konversionen in Konrads von Fußesbrunnen Kindheit Jesu zwischen Evidenz und Rhetorik, in: q uast / s preCkeLMeier 2017a, S. 153-166. q uast , Bruno u. Susanne s preCkeLMeier , unter Mitarbeit von Fridtjof B igaLke (Hgg.): Inkulturation. Strategien bibelepischen Schreibens in Mittelalter und Früher Neuzeit , Berlin / Boston 2017 (Literatur - Theorie - Geschichte. Beiträge zu einer kulturwissenschaftlichen Mediävistik 12) [2017a]. q uast , Bruno u. Susanne s preCkeLMeier : Literarische Inkulturation. Zur Einführung, in: q uast / s pre - CkeLMeier 2017a, S. 1-13 [2017b]. r auMann , Rachel: Fictio und historia in den Artusromanen Hartmanns von Aue und im „Prosa-Lancelot“ , Tübingen / Basel 2010 (Bibliotheca Germanica 57). r ausCher , Peter u. Barbara s tauDinger : Widerspenstige Kammerknechte. Die kaiserlichen Maßnahmen zur Erhebung von ‚Kronsteuer‘ und ‚Goldenem Opferpfennig‘ in der Frühen Neuzeit, in: Aschkenas. Zeitschrift für Geschichte und Kultur der Juden 14 (2004), S. 313-363. r einLe , Christine: Einleitung, in: Fehdeführung im spätmittelalterlichen Reich. Zwischen adeliger Handlungslogik und territorialer Verdichtung , hg. von Julia e uLenstein , Christine r einLe u. Michael r othMann , Affalterbach 2013 (Studien und Texte zur Geistes- und Sozialgeschichte des Mittelalters 7), S. 9-24. r enner , Kaspar: Wie poetisch ist das Recht? Jacob Grimm zwischen Etymologie und Topik, in: Recht und Literatur im Vormärz , hg. von Claude D. C onter , Bielefeld 2010 (Forum Vormärz Forschung, Jahrbuch 15), S. 173-188. r entsCh , Thomas: Welt. I. Vorgeschichte und Ausdifferenzierung des W.-Begriffs, in: HWP h , Bd. 12, 2004, Sp. 407-412. r epgen , Tilman: Unfreiheit ist wider die Menschenwürde. Eine rechtshistorische Miniatur, in: Der Appell des Humanen. Zum Streit um das Naturrecht , hg. von Hans t hoMas u. Johannes h attLer , Frankfurt a. M. [i. e.] Heusenstamm u. a. 2010, S. 125-152. r etteLBaCh , Johannes: Studien zur ,Weltchronik‘ Heinrichs von München , Bd. 2.1: Von der ,Erweiterten Christherre-Chronik‘ zur Redaktion α , Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter 30.1). r euvekaMp -F eLBer , Timo: Zur gegenwärtigen Situation mediävistischer Fiktionalitätsforschung. Eine kritische Bestandsaufnahme, in: ZfdPh 132.3 (2013), S. 417-444. r exroth , Frank: Wissen, Wahrnehmung, Mentalität: Ältere und jüngere Ansätze in der Geschichtswissenschaft, in: Wechselseitige Wahrnehmung der Religionen im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit. I. Konzeptionelle Grundfragen und Fallstudien (Heiden, Barbaren, Juden) , hg. von Ludger g renZMann u. a., Berlin / New York 2009 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen, Berichte über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters, N. F. 4), S. 1-22. r hein , Reglinde: Die Legenda aurea des Jacobus de Voragine. Die Entfaltung von Heiligkeit in „Historia“ und „Doctrina“ , Köln / Weimar / Wien 1995 (Beihefte zum Archiv für Kulturgeschichte 40). r ieger , Reinhold: Doppelte Wahrheit über die ‚doppelte Wahrheit‘? Bemerkungen zum Verhältnis von Philosophie und Theologie im 13. Jahrhundert, in: Befreiende Wahrheit. Festschrift für Eilert Herms zum 60. Geburtstag , hg. von Wilfried h ärLe , Matthias h eesCh u. Reiner p reuL , Marburg 2000 (Marburger theologische Studien 60), S. 95-119. r itZer , Monika: Realismus 1 , in: RLW , Bd. 3, 2003, S. 217-221. r oCkWooD , Bruce L.: Introduction: On Doing Law and Literature, in: Law and Literature Perspectives , hg. von Bruce L. r oCkWooD , New York 1996 (Critic of Institutions 9), S. 1-38. r öDer , Jörg: Evangelium nach Nikodemus, in: WiBiLex Juni 2010. r oMMeL , Florian: ob mann jm unrehtt thutt, so wollenn wir habenn sein blutt. Judenfeindliche Vorstellungen im Passionsspiel des Mittelalters, in: s ChuLZe 2002, S. 183-207. r osen , Klaus: Rom und die Juden im Prozess Jesu (um 30 n. Chr.), in: Macht und Recht. Große Prozesse der Geschichte , hg. von Alexander D eManDt , München 1990, S. 39-58. 442 Literaturverzeichnis r osenau , Peter-Udo: Wehrverfassung und Kriegsrecht in der mittelhochdeutschen Epik. Wolfram von Eschenbach, Hartmann von Aue, Gottfried von Straßburg, Der Nibelungen Not, Kudrunepos, Wolfdietrichbruchstück A, König Rother, Salman und Morolf , Bonn 1959. r ösener , Werner: Hufe, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 1146-1150. r osenFeLD , Hans-Friedrich: Rezension zu M C C Lean 1930 (s. ,Hawich der Kellner‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘), in: Deutsche Literaturzeitung 3. Folge 6 (56) (1935), Sp. 456-460. r osenWein , Barbara H. (Hg.): Anger’s Past. The Social Uses of an Emotion in the Middle Ages , Ithaca, NY / London 1998 (European History, Medieval and Renaissance Studies). r ouZiès , Etienne: Les Faits Des Romains: Première traduction de Salluste en langue vernaculaire, in: The Medieval Translator. Traduire au Moyen Âge , hg. von Jacqueline J enkins u. Olivier B ertranD , Turnhout 2007 (The Medieval Translator 10), S. 223-239. r uh , Kurt: Augustinus. Heiliger und Kirchenvater, in: 2 VL , Bd. 1, 1978, Sp. 531-543 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 188 f.). r uh , Kurt: David von Augsburg, in: 2 VL , Bd. 2, 1980, Sp. 47-58. r uh , Kurt: Überlieferungsgeschichte mittelalterlicher Texte als methodischer Ansatz zu einer erweiterten Konzeption von Literaturgeschichte, in: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung. Beiträge der Würzburger Forschergruppe zur Methode und Auswertung , hg. von Kurt r uh , Tübingen 1985 (Texte und Textgeschichte 19), S. 262-272. r uMMeL , Mariella: Die rechtliche Stellung der Frau im Sachsenspiegel-Landrecht , Frankfurt a. M. u. a. 1987 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 10). r usterhoLZ , Peter: Hermeneutische Modelle, in: Grundzüge der Literaturwissenschaft , hg. von Heinz Ludwig a rnoLD u. Heinrich D etering , München 1996, S. 101-136. r uth , Rudolf: Zeugen und Eideshelfer in den deutschen Rechtsquellen des Mittelalters. I. Teil: Klagen wegen strafbarer Handlungen , Breslau 1922 (Untersuchungen zur Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte 133). r yan , Marie-Laure: Fiction, Non-Factuals and the Principle of Minimal Departure, in: Poetics 9 (1980), S. 403-422. r yan , Marie-Laure: Possible Worlds, in: the living handbook of narratology , hg. von Peter h ühn u. a., Hamburg 2012 / 2013 (02. 03. 2012, überarbeitet 01. 07. 2013) (http: / / www.lhn.uni-hamburg.de/ article/ possible-worlds, 10. 08. 2017). s aar , Stefan Chr.: Rügeverfahren, in: RGA , Bd. 25, 2003, S. 427-429. s ahM , Heike: Fate and God, Gallows and Cross, Sword and Spear. The Variation of Counterconcepts as Part of the Poetic Diction in the Old Saxon Heliand, in: Narration and Hero: Recounting the Deeds of Heroes in Literature and Art of the Early Medieval Period , hg. von Ders . u. Victor M iLLet , Berlin / Boston 2014, S. 95-112. s ahM , Heike: Srîƀan, settian endi singan endi seggean forð . Textgenese und Tradierung in der Fiktion des Heliand , in: q uast / s preCkeLMeier 2017a, S. 41-72. s aLevsky , Heidemarie: Übersetzungstyp, Übersetzungstheorie und Bewertung von Bibelübersetzungen (Ein Beitrag aus übersetzungstheoretischer Sicht), in: Bibelübersetzung heute: Geschichtliche Entwicklungen und aktuelle Anforderungen, Stuttgarter Symposion 2000. In Memoriam Siegfried Meurer , hg. von Walther g ross , Stuttgart 2001 (Arbeiten zur Geschichte und Wirkung der Bibel 2), S. 119-150. s aLMon , Pierre: Les “tituli psalmorum” des manuscrits latins , Rom / Città del Vaticano 1959 (Collectanea Biblica Latina 12). s arat , Austin, Matthew a nDerson u. Cathrine O. F rank (Hgg.): Law and the humanities. An introduction , Cambridge / New York 2010. s ChäFFter , Otfried: Modi des Fremderlebens. Deutungsmuster im Umgang mit Fremdheit, in: Das Fremde. Erfahrungsmöglichkeiten zwischen Faszination und Bedrohung , hg. von Otfried s ChäFFter , Opladen 1991, S. 11-44. Sekundärliteratur 443 s ChanZe , Frieder: Rezension zu s haW / F ournier / g ärtner 2008 (s. ,Heinrich von München‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘), in: Germanistik 51 (2010), S. 729 f. s ChärtL , Monika: „Nicht das ganze Volk will, dass er sterbe! “ Die Pilatusakten als historische Quelle der Spätantike , Frankfurt a. M. u. a. 2011 (Apeliotes 8). s ChärtL 2012: s. ‚ Nikodemusevangelium ‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ s CheiDgen , Andreas: Die Gestalt des Pontius Pilatus in Legende, Bibelauslegung und Geschichtsdichtung vom Mittelalter bis in die Frühe Neuzeit. Literaturgeschichte einer umstrittenen Figur , Frankfurt a. M. u. a. 2002 (Mikrokosmos 68). s CheLB , Albert: Evangelium Nicodemi, in: 2 VL , Bd. 2, 1980, Sp. 659-663. s Cherner , Maximilian: Sprache als Text. Ansätze zu einer sprachwissenschaftlich begründeten Theorie des Textverstehens. Forschungsgeschichte - Problemstellung - Beschreibung , Tübingen 1984 (Reihe Germanistische Linguistik 48). s Cherner , Maximilian: ‚ TEXT ‘. Untersuchungen zur Begriffsgeschichte, in: Archiv für Begriffsgeschichte 39 (1996), S. 103-160. s Cherner , Maximilian: Kognitionswissenschaftliche Methoden in der Textanalyse, in: Text- und Gesprächslinguistik. Linguistics of Text and Conversation. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. An International Handbook of Contemporary Research , hg. von Klaus B rinker u. a., 1. Halbband / Volume 1, Berlin / New York 2000 (Handbuch zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft / Handbook of Linguistics and Communication Science 16.1), S. 186-195. s Cheyhing , Robert: Eide, Amtsgewalt und Bannleihe. Eine Untersuchung zur Bannleihe im hohen und späten Mittelalter , Köln / Graz 1960 (Forschungen zur deutschen Rechtsgeschichte 2). s ChieWer , Hans-Jochen: Fassung, Bearbeitung, Version und Edition, in: Deutsche Texte des Mittelalters zwischen Handschriftennähe und Rekonstruktion: Berliner Fachtagung, 1.-3. April 2004 , hg. von Martin J. s ChuBert , Tübingen 2005, S. 35-50. s ChiLD , Wolfgang: Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der modernen Rechtsprechung , 2., korrigierte Aufl., München 1985. s ChiLD , Wolfgang: Verrat, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 793-795. s ChiLD , Wolfgang: Handhafte Tat, in: 2 HRG , Bd. 2, 2012, Sp. 741-748. s ChLoeMann , Martin: Natürliches und gepredigtes Gesetz bei Luther. Eine Studie zur Frage nach der Einheit der Gesetzesauffassung Luthers mit besonderer Berücksichtigung seiner Auseinandersetzung mit den Antinomern , Berlin 1961 (Theologische Bibliothek Töpelmann 4). s ChMiD , Elisabeth: Schneidende Wörter in Wolframs ,Willehalm’, in: Blütezeit. Festschrift für L. Peter Johnson zum 70. Geburtstag , hg. von Mark C hinCa , Joachim h einZLe u. Christopher y oung , Tübingen 2000, S. 349-362. s ChMiD , Rainer H.: Raum, Zeit und Publikum des geistlichen Spiels. Aussage und Absicht eines mittelalterlichen Massenmediums , München 1975. s ChMiD , Ulrich: Evangelienharmonien des Mittelalters: Forschungsgeschichtliche und systematische Aspekte, in: B urger / Den h oLLanDer / s ChMiD 2004, S. 1-17 [2004a]. s ChMiD , Ulrich: Lateinische Evangelienharmonien: Die Konturen der Abendländischen Harmonietradition, in: B urger / Den h oLLanDer / s ChMiD 2004, S. 18-39 [2004b]. s ChMiDt , Annette: so dir got helfe. Die Judeneide, in: s ChuLZe 2002, S. 87-105. s ChMiDt , Christine D.: Die Hegung des Gerichts - Formen und Funktionen eines rituellen Aktes, in: Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit , hg. von Reiner s ChuLZe , Berlin 2006 (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 51), S. 225-249. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Historische Onomasiologie und Mittelalterforschung, in: Frühmittelalterliche Studien 9 (1975), S. 49-78. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Eid und Gelöbnis, Formel und Formular im mittelalterlichen Recht, in: Recht und Schrift im Mittelalter , hg. von Peter C Lassen , Sigmaringen 1977 (Vorträge und Forschungen 23), S. 55-90. 444 Literaturverzeichnis s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Eike von Repgow, in: 2 VL , Bd. 2, 1980, Sp. 400-409 (Korrektur: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 397). s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Pranger, in: HRG , Bd. 3, 1984, Sp. 1877-1884. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Prozeßform und Prozeßverlauf im ‚Rolandslied‘ des Pfaffen Konrad. Zum Verhältnis von Dichtung und Recht im Mittelalter, in: Recht, Gericht, Genossenschaft und Policey. Studien zu Grundbegriffen der germanistischen Rechtshistorie. Symposion für Adalbert Erler , hg. von Gerhard D iLCher u. Bernhard D iesteLkaMp , Berlin 1986, S. 1-12. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Reht und ewa. Die Epoche des Althochdeutschen in ihrer Bedeutung für die Geschichte der deutschen Rechtssprache, in: Althochdeutsch , hg. von R. B ergMann , H. t ieFenBaCh und L. v oetZ , Bd. 2: Wörter und Namen. Forschungsgeschichte , Heidelberg 1987 (Germanische Bibliothek, N. F. 3, 11-12), S. 937-958. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Prozeß Ganelons (Geneluns), in: HRG , Bd. 4, 1990, Sp. 18-21 [1990a]. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Recht und Dichtung, in: HRG , Bd. 4, 1990, Sp. 232-249 [1990b]. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Der Sachsenspiegel. Überlieferungs- und Editionsprobleme, in: Der Sachsenspiegel als Buch , hg. von Ruth s ChMiDt -W ieganD u. Dagmar h üpper , Frankfurt a. M. u. a. 1991 (Germanistische Arbeiten zu Sprache und Kulturgeschichte 1), S. 19-56. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Recht und Gesetz im Spannungsfeld zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit im Mittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 147-166. s ChMiDt -W ieganD , Ruth (unter Mitarbeit von Ulrike s ChoWe ): Deutsche Rechtsregeln und Rechtssprichwörter. Ein Lexikon , München 1996; Neuausgabe, durchges. u. aktual., München 2002 (Beck’sche Reihe 1470). s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Der Rechtswortschatz im Sachsenspiegel, in: Fachsprachen - Languages for Special Purposes. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft , hg. von Lothar h oFFMann , Hartwig k aLverkäMper u. Herbert Ernst W ieganD , Berlin / New York 1998 (Handbuch zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 14: 2), S. 2341-2348 [1998a]. s ChMiDt -W ieganD , Ruth: Deutsche Sprachgeschichte und Rechtsgeschichte bis zum Ende des Mittelalters, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung , hg. von Werner B esCh u. a., Bd. 1, 2., vollst. neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin / New York 1998, S. 72-87 [1998b]. s ChMitt , Stefanie: Inszenierungen von Glaubwürdigkeit. Studien zur Beglaubigung im späthöfischen und frühneuzeitlichen Roman , Tübingen 2005 ( MTU 129). s ChMitt , Stefanie: Zwischen Heilsgeschichte und höfischer Literatur. Erzählen von der Kindheit Jesu beim Priester Wernher und bei Konrad von Fußesbrunnen, in: Text und Normativität im deutschen Mittelalter. XX . Anglo-German Colloquium , hg. von Elke B rüggen u. a., Berlin / Boston 2012, S. 421-435. s ChMitZ , Silvia: Die Poetik der Adaptation. Literarische inventio im ,Eneas‘ Heinrichs von Veldeke , Tübingen 2007 (Hermaea, N. F. 113). s ChMitZ -e Mans , Monika: Lesen und Verwandlung, in: Lesen und Verwandlung. Lektüreprozesse und Transformationsdynamiken in der erzählenden Literatur , hg. von Steffen g rosCurth u. Thomas u LriCh , Berlin 2011, S. 19-39. s ChMoLinski , Sabine: Heinrich von Hesler, in: Killy , Bd. 5, 2009, S. 164 f. s ChMoLinsky , Sabine: Historische Evidenz und Augenzeugenschaft. Überlegungen zum «verschleierten» Gedächtnis in mittelalterlicher Historiographie, in: Zeugnis und Zeugenschaft. Perspektiven aus der Vormoderne , hg. von Wolfram D reWs u. Heike s ChLie , München 2011 (Trajekte), S. 301-310. s ChnaBeL , Eckhard J.: Part. 2. The Roman Trial before Pontius Pilatus, in: The Trial and Crucifixion of Jesus. Texts and Commentary , hg. von David W. C hapMan u. Eckhard J. s ChnaBeL , Tübingen 2015 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 344), S. 153-298. Sekundärliteratur 445 s ChneiDer , Christian: Fiktionalität, Erfahrung und Erzählen im ,Lanzelet‘ Ulrichs von Zatzikhoven, in: Fiktionalität im Artusroman des 13. bis 15. Jahrhunderts. Romanistische und germanistische Perspektiven , hg. von Martin p rZyBiLski u. Nikolaus r uge , Wiesbaden 2013 (Trierer Beiträge zu den historischen Kulturwissenschaften 9), S. 61-82 [2013a]. s ChneiDer , Christian: Narrationis contextus . Erzähllogik, narrative Kohärenz und das Wahrscheinliche in der Sicht der hochmittelalterlichen Poetik, in: Erzähllogiken in der Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Akten der Heidelberger Tagung vom 17. bis 19. Februar 2011 , hg. von Florian k ragL u. Christian s ChneiDer , Heidelberg 2013, S. 155-186 [2013b]. s ChneiDer , Karin: Gotische Schriften in deutscher Sprache. I. Vom späten 12. Jahrhundert bis um 1300. Text- und Tafelband , Wiesbaden 1987; II . Die oberdeutschen Schriften von 1300 bis 1350. Textband und Tafelband , Wiesbaden 2009. s ChneiDer , Karin: Die Fragmente mittelalterlicher deutscher Versdichtung der Bayerischen Staatsbibliothek München (Cgm 5249 / 1-79) , Stuttgart 1996 (ZfdA Beihefte 1). s ChneiDer , Karin: Die deutschen Handschriften der Bayerischen Staatsbibliothek München. Die mittelalterlichen Fragmente Cgm 5249-5250. Beschrieben von K. S. Mit vier Beschreibungen von Elisabeth Wunderle , Wiesbaden 2005 (Catalogus codicum manu scriptorum Bibliothecae Monacensis 5,8). s ChneLL , Rüdiger: Die Rezeption der Antike, in: Neues Handbuch der Literaturwissenschaft , hg. von Henning k rauss , Bd. 7: Europäisches Hochmittelalter , Wiesbaden 1981, S. 217-242. s ChneLL , Rüdiger: Prosaauflösung und Geschichtsschreibung im deutschen Mittelalter. Zum Entstehen des frühneuhochdeutschen Prosaromans, in: Literatur und Laienbildung im Spätmittelalter und in der Reformationszeit , hg. von Ludger g renZMann u. Karl s taCkMann , Stuttgart 1984 (Germanistische Symposion, Berichtsbände 5), S. 214-248. s ChneLL , Rüdiger: Abaelards Gesinnungsethik und die Rechtsthematik in Hartmans Iwein , in: DV js 65.1 (1991), S. 15-69. s ChneLL , Rüdiger: Rechtsgeschichte, Mentalitäten und Gattungsgeschichte. Zur literarischen Autonomie im Mittelalter, in: Literarische Interessenbildung im Mittelalter. DFG -Symposion 1991 , hg. von Joachim h einZLe , Stuttgart / Weimar 1993 (Germanistische Symposien, Berichtsbände 14), S. 401-430. s ChneLL , Rüdiger: Recht und Dichtung: Funktionen und Fiktionen. Beobachtungen zur höfischen Literatur des Mittelalters, in: LiLi 41.163: Recht und Literatur (2011), S. 18-41. s ChönBaCh , Anton E.: Rezension zu von t isChenDorF 1876 (s. ‚ Nikodemusevangelium‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘), in: Anzeiger für Deutsches Altertum und Deutsche Literatur 20 (1876), S. 149-212. s Chott , Clausdieter: Die Sitzhaltung des Richters, in: Symbolische Kommunikation vor Gericht in der Frühen Neuzeit , hg. von Reiner s ChuLZe , Berlin 2006 (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 51), S. 153-187. s ChreCkenBerg , Heinz: Die Flavius-Josephus-Tradition in Antike und Mittelalter , Leiden 1972 (Arbeiten zur Literatur und Geschichte des hellenistischen Judentums 5). s ChreCkenBerg , Heinz: Rezeptionsgeschichtliche und textkritische Untersuchungen zu Flavius Josephus , Leiden 1977 (Arbeiten zur Literatur und Geschichte des hellenistischen Judentums 10). s ChreCkenBerg , Heinz: Josephus und die christliche Wirkungsgeschichte seines ‘Bellum Judaicum’, in: Hellenistisches Judentum in römischer Zeit: Philon und Josephus [Forts.] , Berlin / New York 1984 (Aufstieg und Niedergang der römischen Welt. Geschichte und Kultur Roms im Spiegel der neueren Forschung II: Principat , 21.2 ), S. 1106-1217. s ChreCkenBerg , Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (13.-20. Jahrhundert) , Frankfurt a. M. u. a. 1994 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie 497). s ChreCkenBerg , Heinz: Die christlichen Adversus-Judaeos-Texte und ihr literarisches und historisches Umfeld (1.-11. Jahrhundert) , 4., überarb. u. erg. Aufl., Frankfurt a. M. u. a. 1999 (Europäische Hochschulschriften, Reihe 23: Theologie 174). 446 Literaturverzeichnis s Chreiner , Klaus: Laienfrömmigkeit - Frömmigkeit von Eliten oder Frömmigkeit des Volkes? Zur sozialen Verfaßtheit laikaler Frömmigkeitspraxis im späten Mittelalter, in: Laienfrömmigkeit im späten Mittelalter. Formen, Funktionen, politisch-soziale Zusammenhänge , hg. von Klaus s Chreiner , München 1992, S. 1-78. s Chreiner , Klaus: Das Buch im Nacken. Bücher und Buchstaben als zeichenhafte Kommunikationsmedien in rituellen Handlungen der mittelalterlichen Kirche, in: Audiovisualität vor und nach Gutenberg. Zur Kulturgeschichte der medialen Umbrüche , hg. von Horst W enZeL , Wilfrid s eipeL u. Gotthart W unBerg , Wien / Mailand 2001 (Schriften des Kunsthistorischen Museums 6), S. 73-95; wieder abgedruckt in: s Chreiner , Klaus: Rituale, Zeichen, Bilder. Formen und Funktionen symbolischer Kommunikation im Mittelalter , hg. von Ulrich M eier , Gabriela s ignori u. Gerd s ChWerhoFF , Köln / Weimar / Wien 2011 (Norm und Struktur 40), S. 283-322 [2001a]. s Chreiner , Klaus: ‚Got is selve recht‘. Angewandte Theologie in Rechtsordnungen und Rechtsverfahren des späten Mittelalters, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. II . Teil. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1996 bis 1997 , hg. von Hartmut B ooCkMann u. a., Göttingen 2001 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge 239), S. 335-368 [2001b]. s Chreiner , Klaus: strengkeit des gerichts und der straffe mit sunderlichen gnaden gelyndert. Theologische Grundlegung, gedankliche Durchdringung und geschichtliche Praxis hoch- und spätmittelalterlicher Gnadenjustiz, in: Gerechtigkeit im gesellschaftlichen Diskurs des späteren Mittelalters , hg. von Petra s ChuLte , Gabriele a nnas u. Michael r othMann , Berlin 2012 (Zeitschrift für Historische Forschung, Beiheft 47), S. 111-148. s ChröDer , Edward: Fragmente aus Gundacker von Judenburg und Heinrich von Hesler. Mitgeteilt von Ferdinand Menčik, in: ZfdA 50 (1908), S. 386-391. s ChröDer , Edward: Rudolf von Ems und sein Litteraturkreis, in: ZfdA 67 (1930), S. 209-251. s ChröDer , Edward: Rezension zu M C C Lean 1930 (s. ,Hawich der Kellner‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘), in: Göttingische Gelehrte Anzeigen 193 (1931), S. 61-66. s Chröter , Jens u. Ralph B ruCker (Hgg.): Der historische Jesus. Tendenzen und Perspektiven der gegenwärtigen Forschung , Berlin / New York 2002 (Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche). s ChuLZ , Armin: Fremde Kohärenz. Narrative Verknüpfungsformen im Nibelungenlied und in der Kaiserchronik , in: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven , hg. von Harald h aFerLanD u. Matthias M eyer , Berlin / New York 2010 (Trends in Medieval Philology 19), S. 339-360. s ChuLZ , Monika: ‚Was bedürfen wir nu rede mere? ‘ Bemerkungen zur Gerichtsszene im Rolandslied, in: Amsterdamer Beiträge zur älteren Germanistik 50 (1998), S. 47-72. s ChuLZe 2000: s. ‚Urkundenbuch‘ unter ,Ausgaben und Übersetzungen‘ s ChuLZe , Ursula (Hg.): Juden in der deutschen Literatur des Mittelalters. Religiöse Konzepte - Feindbilder - Rechtfertigungen , Tübingen 2002. s ChuMann , Eva: Seltsame Gerichtshändel. Fiktive Prozesse als Bestandteil der juristischen Praktikerliteratur, in: LiLi 41.163: Recht und Literatur (2011), S. 114-148. s ChuMann , Eva: Wissensvermittlung leicht gemacht. Die Vermittlung gelehrten Rechts an ungelehrte Rechtspraktiker am Beispiel der volkssprachigen Teufelsprozesse, in: Wissen, maßgeschneidert. Experten und Expertenkulturen im Europa der Vormoderne , hg. von Björn r eiCh , Frank r exroth u. Matthias r oiCk , München 2012 (Historische Zeitschrift, Beiheft 57), S. 182-213. s ChuMann , Kurt: Über die Quellen der Apokalypse Heinrichs von Hesler , Gießen 1912. s Chuppisser , Fritz Oskar: Schauen mit den Augen des Herzens. Zur Methodik der spätmittelalterlichen Passionsmeditation, besonders in der Devotio Moderna und bei den Augustinern, in: Die Passion Christi in Literatur und Kunst des Spätmittelalters , hg. von Walter h aug u. Burghart W aChinger , Tübingen 1993 (Fortuna vitrea 12), S. 169-210. Sekundärliteratur 447 s ChWarZ , Reinhard: Die spätmittelalterliche Vorstellung vom richtenden Christus - ein Ausdruck religiöser Mentalität, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 32 (1981), S. 526-553. s eeBoLD , Elmar: Etymologie. Eine Einführung am Beispiel der deutschen Sprache , München 1981 (Beck’sche Elementarbücher). s eeLBaCh , Ulrich: Kommentar zum ,Helmbrecht‘ von Wernher dem Gartenaere , Göppingen 1987 ( GAG 469). s eLLert , Wolfgang: Rügegericht, Rügeverfahren, in: HRG , Bd. 4, 1990, Sp. 1201-1205. s eLLert , Wolfgang: Zur Rezeption des römischen und kanonischen Rechts in Deutschland von den Anfängen bis zum Beginn der frühen Neuzeit: Überblick, Diskussionsstand und Ergebnisse, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. I. Teil. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1994 bis 1995 , hg. von Harmut B ooCkMann u. a., Göttingen 1998 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge 228), S. 115-166. s eLLert , Wolfgang u. Andreas B auer : Verfestung, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 718 f. s enner , Walter: Wahrheit bei Albertus Magnus und Thomas von Aquin, in: Die Geschichte des philosophischen Begriffs der Wahrheit , hg. von Markus e nDers u. Jan s ZaiF , Berlin / New York 2006, S. 103-148. s eyBoLD , Steffen: Dass jemand des anderen solle sein: Unfreiheit im Sachsenspiegel, in: ZRG German.Abt. 132 (2015), S. 479-494. s hapiro , Barbara: The Beyond Reasonable Doubt Doctrine: ‘Moral Comfort’ or Standard of Proof ? , in: Law and Humanities 2.2 (2008), S. 149-173. s haW , Frank: Willehalm as history in Heinrich von München’s Weltchronik , in: Wolframs „Willehalm“. Fifteen Essays , hg. von Timothy M C F arLanD u. Martin H. J ones , Rochester, NY 2002, S. 291-306. s haW , Frank u. Kurt g ärtner : Einleitung, in: Die Weltchronik Heinrichs von München. Neue Ee , hg. von Frank s haW , Johannes F ournier u. Kurt g ärtner , Berlin 2008 ( DTM 88), S. IX - LXIII . s hiMaDa , Shingo: Identitätskonstruktion und Übersetzung, in: Identitäten , hg. von Aleida a ssMann u. Heidrun F riese , 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1999 (Erinnerung, Geschichte, Identität 3; suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1404), S. 138-165. s igisMunD , Marcus: Bestechung, in: WiBiLex Sept. 2009. s öDing , Thomas: Was ist Wahrheit? Theologischer Anspruch und historische Wirklichkeit im Neuen Testament, in: Jahres- und Tagungsbericht der Görres-Gesellschaft (2003), S. 32-62. s öhngen , Gottlieb: Rectitudo bei Anselm von Canterbury als Oberbegriff von Wahrheit und Gerechtigkeit, in: Sola ratione. Anselm-Studien für Pater Dr. h. c. Franciscus Salesius Schmitt OSB zum 75. Geburtstag am 20. Dezember 1969 , hg. von Helmut K. k ohLenBerger , Stuttgart-Bad Cannstatt 1970, S. 71-77. s onDeregger , Stefan: Geschichte deutschsprachiger Bibelübersetzungen in Grundzügen, in: Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung , hg. von Werner B esCh , Bd. 1, 2., vollständig neu bearb. u. erw. Aufl., Berlin / New York 1998 (Handbücher zur Sprach- und Kommunikationswissenschaft 2.1), S. 229-283. s peer , Andreas: Doppelte Wahrheit? Zum epistemischen Status theologischer Argumente, in: De usu rationis. Vernunft und Offenbarung im Mittelalter , hg. von Günther M ensChing , Würzburg 2007 (Contradictio 9), S. 73-90. s peer , Andreas: Dekalog und Naturgesetz bei Thomas von Aquin, in: s peer / g uLDentops 2014, S. 350-370. s peer , Andreas u. Guy g uLDentops (Hgg.): Das Gesetz - The Law - La Loi , Berlin / Boston 2014 (Miscellanea Mediaevalia 38). s pieLBerger , Andrea: Die Überlieferung der ,Weltchronik‘ Heinrichs von München, in: Studien zur ,Weltchronik‘ Heinrichs von München , hg. von Horst B runner , Bd. 1: Überlieferung, Forschungsbericht, Untersuchungen, Texte , Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter 29), S. 113-198. 448 Literaturverzeichnis s poerhase , Carlos: Dramatisierungen und Entdramatisierungen der Problemgeschichte, in: Eine Typologie der Formen der Begriffsgeschichte , hg. von Riccardo p oZZo und Marco s garBi , Hamburg 2010 (Archiv für Begriffsgeschichte. Sonderheft 7), S. 107-123. s poerhase , Carlo u. Lutz D anneBerg : Wissen in Literatur als Herausforderung einer Pragmatik von Wissenszuschreibungen: sechs Problemfelder, sechs Fragen und zwölf Thesen, in: Literatur und Wissen. Theoretisch-methodische Zugänge , hg. von Tilmann k öppe , Berlin / New York 2011 (Linguae & litterae 4), S. 29-76. s pranDeL , Rolf: Neuralgische Punkte in der Strafrechtswirklichkeit des Mittelalters, in: Die Entstehung des öffentlichen Strafrechts. Bestandsaufnahme eines europäischen Forschungsproblems , hg. von Dietmar W iLLoWeit , Köln / Weimar / Wien 1999 (Konflikt, Verbrechen und Sanktion in der Gesellschaft Alteuropas: Symposien und Synthese 1), S. 177-208, 209-213 (Zusammenfassungen auf Franz. u. Engl.). s preCher , Thomas: Literatur und Recht. Eine Bibliographie für Leser , Frankfurt a. M. 2011. s täDtLer , Michael: ‚Von Gottes Willen können wir zweifach sprechen.‘ Naturrecht, positives Gesetz, Vernunft und Wille bei Thomas von Aquin, in: „Radix totius libertatis“. Zum Verhältnis von Willen und Vernunft in der mittelalterlichen Philosophie; 4. Hannoveraner Symposium zur Philosophie des Mittelalters , hg. von Günther M ensChing , Würzburg 2011, S. 194-218. s teer , Georg: Der Laie als Anreger und Adressat deutscher Prosaliteratur im 14. Jahrhundert, in: Zur deutschen Literatur und Sprache des 14. Jahrhunderts. Dubliner Colloquium 1981 , hg. von Walter h aug , Timothy R. J aCkson und Johannes J anota , Heidelberg 1983 (Reihe Siegen 45), S. 354-367. s teLZer , Winfried: Gelehrtes Recht in Österreich. Von den Anfängen bis zum frühen 14. Jahrhundert , Wien / Köln / Graz 1982 (Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungsband 26). s ternBerg , Meir: The Poetics of Biblical Narrative. Ideological Literature and the Drama of Reading , Bloomington, IN 1985 (Indiana Literary Biblical Series). s tierLe , Karlheinz: Was heißt Rezeption bei fiktionalen Texten? , in: Poetica 7 (1975), S. 345-387. s tierLe , Karlheinz: Werk und Intertextualität, in: Das Gespräch , hg. von Karlheinz s tierLe u. Rainer W arning , München 1984 (Poetik und Hermeneutik), S. 139-150; urspr. in: Dialog der Texte. Hamburger Kolloquium zur Intertextualität , hg. von Wolf s ChMiD u. Wolf-Dieter s teMpeL , Wien 1983 (Wiener slawistischer Almanach, Sonderband 11), S. 7-26. s tierLe , Karlheinz: Für eine Erweiterung des hermeneutischen Zirkels, in: Ästhetische Rationalität. Kunstwerk und Werkbegriff , hg. von Karlheinz s tierLe , München 1997 (Bild und Text), S. 65-77. s toCk , Markus: Figur: Zu einem Kernproblem historischer Narratologie, in: Historische Narratologie. Mediävistische Perspektiven , hg. von Harald h aFerLanD u. Matthias M eyer , Berlin / New York 2010 (Trends in Medieval Philology 19), S. 187-203. s toCkMeier , Peter: Die Übernahme des Pontifex-Titels im spätantiken Christentum, in: Konzil und Papst. Historische Beiträge zur Frage der höchsten Gewalt in der Kirche. Festgabe für Hermann Tüchle , hg. von Georg s ChWaiger , München / Paderborn / Wien 1975, S. 75-84. s toLZe , Radegundis: Übersetzungstheorien. Eine Einführung , 6., überarb. u. erw. Aufl., Tübingen 2011 (Narr Studienbücher). s törig , Hans Joachim: Das Problem des Übersetzens , 2. durchges. u. veränderte Aufl., Darmstadt 1969 (Wege der Forschung 8). s törMer -C aysa , Uta: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters , Berlin / New York 1998 (Quellen und Forschungen zur Literatur- und Kulturgeschichte 14 [248]). s trauB , Jürgen: Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs, in: Identitäten , hg. von Aleida a ssMann u. Heidrun F riese , 2. Aufl., Frankfurt a. M. 1999 (Erinnerung, Geschichte, Identität 3; suhrkamp taschenbuch wissenschaft 1404), S. 73-104. Sekundärliteratur 449 s troBeL , August: Die Stunde der Wahrheit. Untersuchungen zum Strafverfahren gegen Jesus , Tübingen 1980 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 21). s trohsChneiDer , Peter: Ritterromantische Versepik im ausgehenden Mittelalter. Studien zu einer funktionsgeschichtlichen Textinterpretation der »Mörin« Hermanns von Sachsenheim sowie zu Ulrich Fuetrers »Persibein« und Maximilians I. »Teuerdank« , Frankfurt a. M. u. a. 1986 (Mikrokosmos 14). s trohsChneiDer , Peter: Textheiligung. Geltungsstrategien legendarischen Erzählens im Mittelalter am Beispiel von Konrads von Würzburg ‚Alexius‘, in: Geltungsgeschichten. Über die Stabilisierung und Legitimierung institutioneller Ordnungen , hg. von Gert M eLviLLe u. Hans v orLänDer , Köln / Weimar / Wien 2002, S. 109-147. s trohsChneiDer , Peter: Reden und Schreiben. Interpretationen zu Konrad von Heimesfurt im Problemfeld vormoderner Textualität, in: Retextualisierung in der mittelalterlichen Literatur , hg. von Joachim B uMke u. Ursula p eters , Berlin 2005 (Zeitschrift für deutsche Philologie, Sonderheft 124), S. 309-344. s trohsChneiDer , Peter: Sternenschrift. Textkonzepte höfischen Erzählens, in: Text und Text in lateinischer und volkssprachiger Überlieferung des Mittelalters , hg. von Eckart Conrad L utZ , Berlin 2006 (Wolfram-Studien 19), S. 33-58. s trohsChneiDer , Peter: Höfische Textgeschichten. Über Selbstentwürfe vormoderner Literatur , Heidelberg 2014 (Germanisch-romanische Monatsschrift, Beihefte 55). s trothMann , Friedrich Wilhelm: Die Gerichtsverhandlung als literarisches Motiv in der deutschen Literatur des ausgehenden Mittelalters , Jena 1930 (Deutsche Arbeiten der Universität Köln 2); Nachdruck: Darmstadt 1969 (Libelli 1995). s trotMann , Angelika: Der historische Jesus. Eine Einführung , Paderborn 2012 (Grundwissen Theologie, UTB 3553). s tüBinger , Kurt: Untersuchungen zu Gundacker von Judenburg , Berlin 1922 (Germanische Studien 15). s uerBauM , Almut: Caesar als Integrationsfigur im Mittelalter? , in: Praktiken europäischer Traditionsbildung im Mittelalter. Wissen - Literatur - Mythos , hg. von Manfred e ikeLMann u. Udo F rieDriCh , Berlin / Boston 2013, S. 229-244. s uLLivan , Robert G.: Justice and the social context of Early Middle High German Literature , New York 2001 (Studies in Medieval History and Culture 5). t aMás , Antal: The Legal Status of Judges in the German ‘Spiegels’ and in the Medieval English Common Law, in: Schwabenspiegel-Forschung im Donaugebiet. Konferenzbeiträge in Szeged zum mittelalterlichen Rechtstransfer deutscher Spiegel , hg. von Elemér B aLogh , Berlin / Boston 2015 (Ius saxonico-maideburgense in Oriente 4), S. 73-83. t aMBurr , Karl: The Harrowing of Hell in Medieval England , Cambridge 2007. t annen , Deborah: Talking voices. Repetition, dialogue, and imagery in conversational discourse , 2. Aufl., Cambridge 2007 (Studies in interactional sociolinguistics 25). t eusCher , Simon: Erzähltes Recht. Lokale Herrschaft, Verschriftlichung und Traditionsbildung im Spätmittelalter , Frankfurt a. M. / New York 2007 (Campus Historische Studien 44). t heLen , Christian: Das Dichtergebet in der deutschen Literatur des Mittelalters , Berlin / New York 1989 (Arbeiten zur Frühmittelalterforschung 18). t iMMerMann , Waltraud: ‚Streit der vier Töchter Gottes‘, in: 2 VL , Bd. 9, 1995, Sp. 396-402 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 1461). t iner , Elza: English Law in the York Trial Plays, in: The Dramatic Tradition of the Middle Ages , hg. von Clifford D aviDson , New York 2005 ( AMS Studies in the Middle Ages 26), S. 140-149; überarbeitetete Fassung von: English Law in the York Trial plays, in: Early Drama, Art, and Music Review 18.2 (1996), S. 103-112. t oMasek , Stefan: Das Kind im Heiland. Konrads von Fußesbrunnen Kindheit Jesu , in: Jesus in der Literatur. Tradition, Transformation, Tendenzen. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart , hg. von Yvonne n iLgers , Heidelberg 2016 (Beiträge zur neueren Literaturgeschichte 362), S. 1-19. 450 Literaturverzeichnis t rappe , Tobias: Wirklichkeit, in: HWP h , Bd. 12, 2004, Sp. 829-846. t rauDen , Dieter: Gnade vor Recht? Untersuchungen zu den deutschsprachigen Weltgerichtsspielen des Mittelalters , Amsterdam / Atlanta, GA 2000 (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 142). t reusCh , Ulrike: Martin Luther und die mittelalterlich-monastische Bibelauslegung am Beispiel seiner Auslegung von Lukas 10, in: Auslegung und Hermeneutik der Bibel in der Reformationszeit , hg. von Christine C hrist von W eDeL u. Sven g rosse , Berlin / Boston 2016 (Historia Hermeneutica, Series Studia 14), S. 27-43. t rusen , Winfried: Die Rechtsspiegel und das Kaiserrecht, in: ZRG German.Abt. 102 (1985), S. 12-59. t rusen , Winfried: Gewohnheitsrecht, in: LexMa , Bd. 4, 1989, Sp. 1426 f. u kena -B est , Elke: ‚Domine, memento mei - herre, nû erbarme dich‘. Die Lebensgeschichte des rechten Schächers in Konrads von Fußesbrunnen ‚Kindheit Jesu‘ zwischen lateinischer Quelle, lateinischer Adaptation und deutscher Prosaauflösung, in: Scripturus vitam. Lateinische Biographie von der Antike bis in die Gegenwart. Festgabe für Walter Berschin zum 65. Geburtstag , hg. von Dorothea W aLZ , Heidelberg 2002, S. 185-206. u kena -B est , Elke: wehselrede in der Hölle. Der Descensus-Bericht in der Urstende Konrads von Heimesfurt, in: Sprechen mit Gott. Redeszenen in mittelalterlicher Bibeldichtung und Legende , hg. von Nine M ieDeMa , Monika u nZeitig u. Angela s Chrott , Berlin 2012 (Historische Dialogforschung 2), S. 307-327. u LLMann , Walter: Medieval Principles of Evidence, in: Law and Jurisdiction in the Middle Ages , hg. von George g arnett , London 1988 (Variorum collected studies series 283), Part XII , S. 77-87; urspr. in: The Law Quarterly Review 62 (1946), S. 77-87. u rBanek , Ferdinand: Die Tribunalszene in der ‚Erlösung‘ als Beispiel rhetorischer Textsublimierung, in: Euphorion 74 (1980), S. 287-311. v iaL , Marc: Zur Funktion des Monotessaron des Johannes Gerson, in: B urger / Den h oLLanDer / s ChMiD 2004, S. 40-72. v iLLanueva , Darío: Theories of Literary Realism. Translated by Mihai I. Spariosu and Santiago García- Castañón. Revised, with a new preface by the author , Albany, NY 1997 (Suny series, the margins of literature); urspr.: Teorías del realismo literario , Madrid 1992. v iZkeLety , Andràs: Beschreibendes Verzeichnis der altdeutschen Handschriften in ungarischen Bibliotheken, Bd. 1: Széchényi-Nationalbibliothek , Wiesbaden 1969. v oLLharDt , Friedrich: Von der Rezeptionsästhetik zur Historischen Semantik, in: Wissenschaft und Systemveränderung. Rezeptionsforschung in Ost und West - eine konvergente Entwicklung? , hg. von Wolfgang a DaM , Holger D ainat u. Gunter s ChanDera , Heidelberg 2003 (Beihefte zum Euphorion 44), S. 189-209. v oLLMann , Benedikt Konrad: Der Strafprozeß im VIII . Fragment des ‚Ruodlieb‘, in: Befund und Deutung. Zum Verhältnis von Empirie und Interpretation in Sprach- und Literaturwissenschaft. Hans Fromm zum 26. Mai 1979 von seinen Schülern , hg. von Klaus g ruBMüLLer u. a., Tübingen 1979, S. 193-227. v oLLMann , Benedikt Konrad: Erlaubte Fiktionalität: die Heiligenlegende, in: Historisches und fiktionales Erzählen im Mittelalter , hg. von Fritz Peter k napp u. Manuela n iesner , Berlin 2002 (Schriften zur Literaturwissenschaft 19), S. 63-72. v oLLMer , Hans: Ober- und mitteldeutsche Historienbibeln , Berlin 1912 (Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters 1). v oLLMer , Hans: Einleitung, in: Die Neue Ee. Eine neutestamentliche Historienbibel , hg. von DeMs ., Berlin 1929 (Materialien zur Bibelgeschichte und religiösen Volkskunde des Mittelalters 4), S. XI - LXIV . v oorWinDen , Norbert: Die Heilige Familie in einigen Leben-Jesu-Dichtungen des 13. Jahrhunderts. Zum intendierten Publikum im deutschen und niederländischen Sprachraum, in: Queeste 4 (1997), S. 27-41. Sekundärliteratur 451 v orMBauM , Thomas: Die Produktivität der Spiegelung von Recht und Literatur, in: Diagonale. Beiträge zum Verhältnis von Rechtswissenschaft und Literatur , hg. von Thomas v orMBauM , Berlin 2011 (Humaniora 2), S. 4-18; leicht gekürzter Nachdruck in: Produktive Spiegelungen. Recht in Kunst, Literatur und Film , hg. von Klaus L üDerssen , 2., erweiterte Aufl., Baden-Baden 2002 ( Juristische Zeitgeschichte, Abteilung 6, Band 12), S. XI - XXVII . W aDLe , Elmar: Gottesfrieden und Landfrieden als Gegenstand der Forschung nach 1950, in: Funktion und Form. Quellen- und Methodenprobleme der mittelalterlichen Rechtsgeschichte , hg. von Karl k roesCheLL u. Albrecht C orDes , Berlin 1996 (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 18), S. 63-91; wieder abgedruckt in: Landfrieden, Strafe, Recht. Zwölf Studien zum Mittelalter , hg. von Elmar W aDLe , Berlin 2001 (Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte 37), S. 11-39 [zitiert nach dem Wiederabdruck]. W aLDenFeLs , Bernhard: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden , Frankfurt a. M. 2006. W aLLiCZek , Wolfgang: Rudolf von Ems, in: 2 VL , Bd. 8, 1992, Sp. 322-345 (Nachtrag: 2 VL , Bd. 11, 2004, Sp. 1344 f.). W aLtenBerger , Michael: Hermeneutik des Verdacht-Seins. Über den interpretativen Zugang zu mittelalterlichen Erzählwelten, in: Mitteilungen des Deutschen Germanistenverbandes 49.2 (2002), S. 156-170. W aLter , Peter: Zeremonialgesetz III . Historisch-theologisch, in: LT hK , Bd. 10, 3., völlig neu bearb. Aufl. 2001, S. 1436 f. W aLton , Kendall L.: Mimesis as Make-Believe. On the Foundations of the Representational Arts , Cambridge, MA 1990. W an , Marco: Introduction, in: Reading the Legal Case. Cross-Currents between Law and the Humanities , hg. von Marco W an , Abingdon 2012, S. 1-8. W eBer , Christoph Friedrich: Zeichen der Ordnung und des Aufruhrs. Heraldische Symbolik in italienischen Stadtkommunen des Mittelalters , Köln / Weimar / Wien 2011 (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne). W eDekinD , Gregor: Die Entdeckung der Wirklichkeit. Ein geistesgeschichtliches Pradigma und Jan van Eycks Londoner Doppelbildnis der sogenannten Arnolfini, in: Realität und Projektion. Wirklichkeitsnahe Darstellung in Antike und Mittelalter , hg. von Martin B üChseL u. Peter s ChMiDt , Berlin 2005 (Neue Frankfurter Forschungen zur Kunst 1), S. 171-189. W ehrLi , Max: Sacra Poesis: Bibelepik als europäische Tradition, in: D ers .: Formen mittelalterlicher Erzählung , Zürich 1969, S. 51-71. W eiganD , Rudolf Kilian: Rechtsprobleme in den Erzählungen Hartmanns von Aue. Die Bedeutung des Rechts in der ritterlichen Lebensform, in: Literarische Leben. Rollenentwürfe in der Literatur des Hoch- und Spätmittelalters. Festschrift für Volker Mertens zum 65. Geburtstag , hg. von Matthias M eyer u. Hans-Jochen s ChieWer , Tübingen 2002, S. 829-852. W eiganD , Rudolf Kilian: Wissen von Augustinus deutsch? Die Rezeption der Schriften des Kirchenlehrers in deutscher Literatur des Spätmittelalters. Ein kursorischer Überblick, in: Augustinus. Spuren und Spiegelungen seines Denkens , hg. von Norbert F isCher , Bd. 1: Von den Anfängen bis zur Reformation , Hamburg 2009, S. 177-194. W einhoLD , Karl: Über den Antheil Steiermarks an der deutschen Dichtkunst des dreizehnten Jahrhunderts. Ein Vortrag gehalten in der feierlichen Sitzung der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften am XXX . Mai MDCCCLX , in: Almanach der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 10.2 (1860), S. 203-237. W eisBerg , Richard u. Jean-Piere B arriCeLLi : Literature and Law, in: Interrelations of Literature , hg. von Jean-Piere B arriCeLLi u. Joseph g iBaLDi , New York 1982, S. 150-175. W eitZeL , Jürgen: Dinggenossenschaft und Recht , 2 Bde, Köln / Wien 1985 (Quellen und Forschungen zur höchsten Gerichtsbarkeit im Alten Reich 15). W eitZeL , Jürgen: Deutsches Recht, in: LexMa , Bd. 3, 1986, S. 777-781. W eitZeL , Jürgen: Umstand, in: HRG , Bd. 5, 1998, Sp. 437-442. 452 Literaturverzeichnis W eitZeL , Jürgen: Recht und Spruch der Laienurteiler - zumindest eine Epoche der europäischen Rechtsgeschichte, in: Recht - Idee - Geschichte. Beiträge zur Rechts- und Ideengeschichte für Rolf Lieberwirth anläßlich seines 80. Geburtstags , hg. von Heiner L üCk u. Bernd s ChiLDt , Köln / Weimar / Wien 2000, S. 53-78 [2000a]. W eitZeL , Jürgen: Der Grund des Rechts in Gewohnheit und Herkommen, in: Die Begründung des Rechts als historisches Problem , hg. von Dietmar W iLLoWeit , München 2000 (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 45), S. 137-152 [2000b]. W eitZeL , Jürgen: Eideshelfer, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1261-1263 [2008a]. W eitZeL , Jürgen: Erfolgshaftung, in: 2 HRG , Bd. 1, 2008, Sp. 1395-1405 [2008b]. W eLtin , Max: Das österreichische Landrecht des 13. Jahrhunderts im Spiegel der Verfassungsentwicklung, in: Recht und Schrift im Mittelalter , hg. von Peter C Lassen , Sigmaringen 1977 (Vorträge und Forschungen 23), S. 381-424. W eLtin , Max: ‚Österreichisches Landrecht‘, in: 2 VL , Bd. 7, 1989, Sp. 117-119. W enZeL , Edith: „Do worden die Judden alle geschant“. Rolle und Funktion der Juden in spätmittelalterlichen Spielen , München 1992 (Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 14). W enZeL , Horst: Boten und Briefe. Zum Verhältnis körperlicher und nichtkörperlicher Nachrichtenträger, in: Gespräche - Boten - Briefe. Körpergedächtnis und Schriftgedächtnis im Mittelalter , hg. von Horst W enZeL , Berlin 1997 (Philologische Studien und Quellen 143), S. 86-105. W enZeL , Horst: Vom Körper zur Schrift. Boten, Briefe, Bücher, in: Performativität und Medialität , hg. von Sybille k räMer , München 2004, S. 269-291. W erLe , Dirk: Modelle einer literaturwissenschaftlichen Problemgeschichte, in: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 50 (2006), S. 478-498. W hitMan , James Q.: The Origins of Reasonable Doubt. Theological Roots of the Criminal Trial , New Haven, CT / London 2008 [2008a]. W hitMan , James Q.: Response to Shapiro, in: Law and Humanities 2.2 (2008), S. 175-189 [2008b]. W iDMaier , Sigrid: Das Recht im „Reinhart Fuchs“ , Berlin / New York 1993 (Quellen und Forschungen zur Sprach- und Kulturgeschichte der germanischen Völker 102). W ieDMer , Peter: Sündenfall und Erlösung bei Heinrich von Hesler , Bern 1977 (Basler Studien zur deutschen Sprache und Literatur 53). W iesinger , Peter: Zur Problematik der Wiedergabe von Begriffen und Sachbezeichnungen in aktuellen deutschen Bibelübersetzungen, in: Wissenschaften im Kontakt. Kooperationsfelder der deutschen Sprachwissenschaft , hg. von Sandra r eiMann , Tübingen 2007, S. 509-545. W iessner , Heinz: Das Bistum Naumburg, Bd. 1: Die Diözese , Berlin / New York 1997 (Germania Sacra, NF : Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg 35.1). W iLCkens , Ulrich: Der Brief an die Römer. 1. Teilband: Röm 1-5 , Köln / Neukirchen-Vluyn 1978 (Evangelisch-Katholischer Kommentar zum Neuen Testament 6.1). W iLLoWeit , Dietmar: Vertragen, Klagen, Rügen. Reaktionen auf Konflikt und Verbrechen in ländlichen Rechtsquellen Frankens, in: Strukturen der Gesellschaft im Mittelalter. Interdisziplinäre Mediävistik in Würzburg , hg. von Dieter r öDeL u. Joachim s ChneiDer , Wiesbaden 1996, S. 196-224. W iLLoWeit , Dietmar: Die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Rationales und traditionales Rechtsdenken im ausgehenden Mittelalter, in: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. II . Teil: Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1996 bis 1997 , hg. von Hartmut B ooCkMann u. a., Göttingen 2001 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Philologisch-Historische Klasse, Dritte Folge 239), S. 369-385. W iLLoWeit , Dietmar: Deutsche Verfassungsgeschichte. Vom Frankenreich bis zur Wiedervereinigung Deutschlands. Ein Studienbuch. Mit einer Zeittafel und einem Kartenanhang , 7., überarb. u. wiederum erw. Aufl., München 2013 (Kurzlehrbücher für das juristische Studium). W inko , Simone: Auf der Suche nach der Weltformel. Literarizität und Poetizität in der neueren literaturtheoretischen Diskussion, in: Grenzen der Literatur. Zum Begriff und Phänomen des Sekundärliteratur 453 Literarischen , hg. von Fotis J anniDis , Simone W inko u. Gerhard L auer , Berlin / New York 2009 (Revisionen: Grundbegriffe der Literaturtheorie 2), S. 374-395. W inter , Paul: On the Trial of Jesus. Second Edition , 2. Aufl., Berlin / New York 1974 (Studia Judaica: Forschungen zur Wissenschaft des Judentums 1). W oLF , Jürgen: Rezension zu: Studien zur Weltchronik Heinrichs von München, hg. von Horst B runner , 5 Bde., Wiesbaden 1998 (Wissensliteratur im Mittelalter 29-31), in: ZfdA 130 (2001), S. 474-479. W oLF , Jürgen: Zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit. Die frühen deutschen Judeneide im 13. Jahrhundert, in: Magister et amicus. Festschrift für Kurt Gärtner zum 65. Geburtstag , hg. von Václav B ok u. Frank s haW , [Wien] 2003, S. 839-874. W oLF , Philipp: Referenz, in: Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze - Personen - Grundbegriffe , hg. von Ansgar n ünning , 5., aktual. u. erw. Aufl., Stuttgart, Weimar 2013, S. 642 f. W oLter , Michael: ‚Zeremonialgesetz‘ vs. ‚Sittengesetz‘. Eine Spurensuche, in: Recht und Ethos im Alten Testament - Gestalt und Wirkung. Festschrift für Horst Seebass zum 65. Geburtstag , hg. von Stefan B eyerLe , Günter M ayer u. Hans s trauss , Neukirchen-Vluyn 1999, S. 339-356; wieder abgedruckt in: Theologie und Ethos im frühen Christentum: Studien zu Jesus, Paulus und Lukas , hg. von Michael W oLter , Tübingen 2009 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament 236), S. 453-470. W onisCh , Othmar: Wer war Gundaker [sic] von Judenburg? , in: Siedlung, Wirtschaft und Kultur im Ostalpenraum. Festschrift für Fritz Popelka 1960 , hg. von Fritz p osCh , Graz 1960, S. 287-291. W orstBroCk , Franz Josef: Matthäus von Krakau (Matheus de Cracovia), in: 2 VL , Bd. 6, 1987, Sp. 172-182. W üLCker , Richard Paul: Das Evangelium Nicodemi in der Abendländischen Literatur , Diss. Marburg 1872. W ünsCh , Dietrich: Evangelienharmonie, in: TRE , Bd. 10, 1982, S. 626-636. W yss , Ulrich: Religiöse Epik im österreichischen Spätmittelalter, in: Die österreichische Literatur. Ihr Profil von den Anfängen im Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert (1050-1750). Teil 1 , hg. von Herbert Z eMan u. Fritz Peter k napp , Graz 1986 (Die österreichische Literatur. Eine Dokumentation ihrer literarhistorischen Entwicklung), S. 295-309. Z apF , Volker: Evangelium Nicodemi (Apokryphe ‘Acta’ oder ‘Gesta Pilati’), in: DLL MA , Bd. 2, 2011, Sp. 335-338 [2011a]. Z apF , Volker: Johannes von Frankenstein, in: DLL MA , Bd. 1, 2011, Sp. 986-988 [2011b]. Z erWeCk , Bruno: Der cognitive turn in der Erzähltheorie. Kognitive und ,natürliche‘ Narratologie, in: Neue Ansätze in der Erzähltheorie , hg. von Ansgar n ünning u. Vera n ünning , Trier 2002 ( WVT - Handbücher zum Literaturwissenschaftlichen Studium 4), S. 219-242. Z iMMerMann , Volker: Die Entwicklung des Judeneids. Untersuchungen und Texte zur rechtlichen und sozialen Stellung der Juden im Mittelalter , Bern / Frankfurt a. M. 1973 (Europäische Hochschulschriften, Reihe I: Deutsche Literatur und Germanistik 56). Z ioLkoWski , Theodore: The Mirror of Justice. Literary Reflections of Legal Crises , Princeton 1997. Z ipFeL , Frank: Fiktion, Fiktivität, Fiktionalität. Analysen zur Fiktion in der Literatur und zum Fiktionsbegriff in der Literaturwissenschaft , Berlin 2001 (Allgemeine Literaturwissenschaft - Wuppertaler Schriften 2). 1 Autoren und Texte 455 Register Aus technischen Gründen (wegen der E-Book-Version) können im Folgenden nur Seitenzahlen angegeben werden, auch wenn sich Verweise lediglich auf die Fußnoten beziehen. 1 Autoren und Texte 1.1 Bibel Altes Testament 11, 154, 209, 289, 342, 379 Ex23,2 341 Lv 5,1 232 19,15 373 24,16 267 Dt 12-27 256 16,18-20 373 17,6 226 18,18 f. 209 19,15 226, 247 Ps 7,12-14 94 7,15 f. 94 17[18],26 172 21[22] 139, 153 23[24],7-10 83, 362 26[27],12 338 30[31],6 155 37[38],14 343 50[51],10-12 109 84[85],11 101 106[107],17 192 Sap1,16 336 2,1-20 336 2,20 336 Is 1,3 41 53,7 80, 154, 343 53,12 195, 336 Dn13,44-64 238 13,51 ff. 212 Hab 3,2 41 Neues Testament Mt3,17 384 5,33-37 242 10,10 337 11 187 19,27 f. 132 22,15-22 366 22,21 359 25 131 26,57-68 343, 349 26,57-65 300 26,59-61 212 26,63 241 26,65 111, 267 26,66 334 26,67 111 26,73 181 27,2 187 27,4 339 27,15 266 27,16-23 117 27,18 119 27,19 114, 167 27,22 336 27,24 f. 150, 341, 349 27,24 145 27,25 150 27,27 63 27,44 195 27,46 155 27,62-66 110 456 Register Mc 11, 384 1,11 384 3,1-6 42 6,14 129 14 230 14,53-65 349 14,56-59 238 14,63 f. 113, 267 14,65 111 15,6-15 117 15,6 131, 266 15,13 117 15,16 63, 187 15,25 383 15,27 195 15,28 336 15,34 155 Lc 11, 381 2,29 88 2,40 311 3,1 f. 187 3,1 129 3,2 185 3,22 384 14,23 171 15,21 192 16,19-31 142 22,37 336 22,61 113 22,62 113 22,63 111 22,71 267 23,2 303, 304 23,6 f. 130 23,7 116 23,11 116 23,12 129 23,14 116 23,16 116 23,17 266 23,18-25 117 23,22 f. 77 23,22 116 23,34 213, 358 23,39 195 23,46 155, 358 23,47 95 24,15 f. 131 24,36-43 124, 252 Io 11, 12, 51, 226, 254, 261, 265, 381 Prolog 225 2,13-16 42 2,19 338 3,1-21 94 3,1-9 155 3,1-5 346 3,11 96 3,20 f. 96 4-6 77 6,64 128 7,32-36 261 7,34 260 7,40-51 260 7,50-52 261 7,52 260 8 226 8,12 f. 226 8,13 225, 226, 380 8,14 f. 226 8,16-18 226, 252 8,19 226 8,47 128 10,31-33 131 11,47-50 147 11,47 186 13,12-15 178 13,30 180 14,6 225 14,17 128 15,26 f. 128 16,13 128 17,17 225 18 311 18,12 197 18,13 185 18,19-24 349 18,19-21 344 18,28-19,15 63 18,28 113, 187, 286, 333, 339 18,30 f. 116 18,31 92, 131, 223 18,33-38 113 18,34 343 18,35 214 18,37 f. 128, 226 18,37 122 18,38 65 18,39 131, 266 19 311 1 Autoren und Texte 457 19,1-16 351 19,1 77 19,8-12 323 19,8-11 145 19,9-11 113, 303 19,10 f. 93, 149 19,10 117, 223 19,11 212, 213, 221 19,12 116 19,13 63, 333 19,14 186, 383 19,15 117, 303 20,24-29 250 20,30 326, 384 21,25 326, 384 Act 358 1,8 128, 231 2,14-36 133 2,32 124 3-5 92 6,1 352 7,59 f. 358 Rm2,1 f. 225, 227 11,26 164 Gal 6,6 337 Hbr 12,2 336 1. Io 5,6 128 458 Register 1.2 Autoren, Werke (außer Rechtstexten im engeren Sinne), Gattungen Die ,Kerntexte‘ (Konrad von Heimesfurt: Diu urstende , Gundacker von Judenburg: Christi Hort , Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi ), die durchgängig thematisiert sind, sind nicht mit Einzelbelegen in das Register aufgenommen. Beim lateinischen Nikodemusevangelium ist die Differenzierung zwischen den einzelnen Rezensionen erfasst, die Einzelstellen sind jedoch nicht verzeichnet. Bei den weiteren Primärtexten ist für diejenigen, die Hauptgegenstand eines Kapitels sind oder dort öfter vorkommen, jeweils der Seitenbereich des ganzen Abschnitts angegeben; Stellenangaben sind dann nicht im Einzelnen aufgeführt. Mit den Gattungsbezeichnungen wird auf Passagen verwiesen, in denen allgemeine Züge dieser Gattung thematisiert werden, nicht auf Einzelwerke, die der jeweiligen Gattung zuzuordnen wären. Albertanus von Brescia Lere und underweisung 310 Albertus Magnus In Johannem , cap. 18,37 229 Alexander von Hales Summa theologica 213, 257 Ambrosius Autpertus Apokalypsekommentar 138 Das Anegenge 97, 104 Anselm von Canterbury 93, 167, 234, 262, 264 Cur deus homo 2,17 166 Antikenroman 13, 199 Augustinus 228, 257, 339 Confessiones 10,43,68 178 De consensu evangelistarum 1,2,4 383 2,14,31 384 2,17,38 385 2,20,49 385 2,21,51 383 2,66,128 385 3,13,47 383 De doctrina christiana 386, 392 1,1,1 387 3,12,20 387 4 387 In Evangelium Ioannis tractatus 115,5 225 Quaestionum in Heptateuchum libri septem lib. 3, Quaestio Levitici, q. 1 232 Sermo 82 cap. 7 232 Ava 15 Johannes 142 Leben Jesu 142 2194-2208 382 2196-2198 382 2209-2252 382 2253-2260 382 Sieben Gaben des Hl. Geistes 142 Antichrist 142 Jüngstes Gericht 142 393 f. 382 Beda 189 Explanatio apocalypsis 138 In Lucae evangelium expositio 213 In Marci evangelium expositio 230 Befreiung der Altväter 276 Benediktbeurer Weihnachtsspiel (CB, 227) 73-77 263 Bernhard von Clairvaux In festo annuntiationis beatae Mariae virginis, Sermo I 234 Bruder Berthold (von Freiburg) Rechtssumme 46 B 36 241 Berthold von Regensburg Predigt Nr. XV 310 Predigt Nr. XVII 255, 262 Predigt Nr. XLIX 255 Bibelepik 12, 13, 14, 15, 17, 18, 38, 42, 44, 54, 109, 184, 199, 254, 378, 379, 380, 382, 384, 385, 386, 387, 392, 393, 394 Bibelübersetzung 179, 183, 184, 190, 386, 393 Bonaventura 139 Buch der Könige ( alter ê ) 210, 255 Buch der Märtyrer 142 5905 f. 327 6048-6050 327 1 Autoren und Texte 459 Catena aurea -Übersetzung s. ,Thomas von Aquin‘ Chanson de Roland 79 Christi Leiden in einer Vision geschaut 284, 295 69,35-70,6 288 70,2-6 302 Christus und die minnende Seele 391 Chronistik 102, 108, 129, 133, 253, 375, 381 Cum rex gloriae 74 Cura sanitatis Tiberii 58, 103, 139, 140, 352 Curtius Rufus, Quintus Historiae Alexandri Magni 6,9,36 200 David von Augsburg 255, 256, 262 Duns Scotus, Johannes 257 Epistola Pilati ad Claudium 58, 102, 140 Erlösung 41, 42, 234, 254, 394 80 394 Evangelienharmonien s. ,Passionsharmonien‘ Evangelium Nicodemi s. , Nikodemusevangelium ‘ Exegetik 11, 13, 59, 109, 135, 138, 184, 185, 223, 229, 311, 312, 346, 375, 386, 387, 388, 393, 394 Flores temporum 26 292 Frauenlob (Heinrich v. Meißen) Leiche 1082 Freidank Bescheidenheit 98, 107 46,23 f. 172 46,25-47,1 172 47,19 196 48,5-8 172 Galfrid von Vinsauf Documentum de modo et arte dictandi et versificandi 390 Geiler, Johannes, von Kaysersberg 223 Seelenparadies 216 Geistliches Spiel 13, 40, 42, 108, 179, 199, 200, 276 Gérard d’Abbeville 213 Glossa ordinaria zu Io 18,31 223 Gottfried von Straßburg Tristan 141 Grazer Marienleben 99 Gundacker von Judenburg Christi Hort passim , bes. 98-135 Hartmann von Aue Erec 277 Gregorius 353 Iwein 49, 71 Hawich der Kellner Sankt Stephans Leben 306, 352-376, 378 Heinrich der Gleißner (der Glichesaere) Reinhart Fuchs 49 Heinrich von Hesler Apokalypse 17, 135, 137, 138, 140 2961-2964 172 12 884-12 898 166 12 903 f. 178 13 055 178 13 068 f. 178 Erlösung 17, 135, 171 Evangelium Nicodemi passim , bes. 135-174 Heinrich von Kröllwitz Vaterunser-Auslegung 142 Heinrich von München Weltchronik 15, 53, 73, 94, 100, 121, 186, 234, 277-314, 324, 332, 340, 374-376, 380, 387, 392 6,844 186 6,1020 f. 333 6,1873 117 12,1593 122 Sentlinger-Redaktion 100, 279, 287, 288, 293, 294-312, 374-376 Helbling, Seifried II. Gedicht 136 Heldenepik 28, 44, 175, 199 Heliand 39, 60, 183, 385 Hermann von Sachsenheim Die Mörin 1177-1379 77 Hieronymus, Sophronius Eusebius 221, 234 Epist. 57 (Brief an Pammachius) 386 5,2 386 7-10 386 10,4 386 In Amos 3,4,12 / 15 209 In epistulas Pauli apostoli ad Titum et ad Philemonem cap. I 230 In Matheum I 337 Historia apocrypha der Legenda aurea 102, 105, 119, 120, 129, 140, 292, 302, 328 Höfischer Roman 15, 16, 26, 28, 37, 38, 43, 44, 108, 109, 254, 281, 327, 353 Hugo von St. Viktor 264 460 Register Interrogatio Sancti Anselmi de Passione Domini , dt. 315 Isidor von Sevilla 221, 253, 380 Sententiae 3,54,7 209 Jacobus a (de) Voragine Legenda aurea 102, 110, 205, 278, 283 cap. 1,10 210 cap. 8,53 352 cap. 53,224 304 cap. 53,225 f. 225-229 cap. 53,231-235 102 cap. 53,231 f. 282 cap. 53,232 283 cap. 53,233 f. 291 cap. 53,234 292 cap. 57 260 Jacobus de Cessolis Liber de ludo scaccorum 231 Jacobus de Theramo Belial , dt. 377 Jans von Wien ( Jans Enikel) Weltchronik 104, 282 19 853-19 958 282 Johannes Chrysostomus Adversos Iudaeos 6,5 343 De prophetiarum obscuritate 1,3 213 In Ioannem homilia 84,1 225, 228, 229 Johannes von Frankenstein Der Kreuziger 184, 197 144-432 186 4313-4322 197 5217 185 5257-5304 241 5257 185 5882-5886 189 5911-5942 189 5943-5960 198 5943-5947 189 6745-6774 266 7005-7034 213 7035-7154 213 7783-7804 189 Josephus, Flavius 259, 292 Bellum Iudaicum 2,9,2 187 Das Jüdel 97 Kaiserchronik 80 Karlstadt, Andreas Welche bucher Biblisch seint 311 ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk 17, 99, 122, 131, 181, 188, 196, 242, 266, 326-344, 345, 365, 374-376, 378 Pfaffe Konrad Rolandslied 28, 37, 77, 79, 175 Konrad von Ammenhausen Schachzabelbuch 4281-4283 231 Konrad von Fußesbrunnen Kindheit Jesu 13, 16, 38, 40, 42, 97, 315, 328 12 43 722-726 41 763-771 40 844-869 42 1060-1063 40 1102-1126 41 1373-1410 42 1798-1818 43 1819-1866 43 2172-2209 43 2443-2449 254 2695-2808 42 Konrad von Heimesfurt Diu urstende passim , bes. 71-97 Unser vrouwen hinvart 71 Konrad von Würzburg Goldene Schmiede 108 Trojanerkrieg 271 Legenda aurea s. , Jacobus a (de) Voragine‘ Legendarik 13, 42, 109, 254, 352, 368, 375, 378, 382 Le jeu d’Adam 192, 199 Luther, Martin Weihnachtspostille 311 Wochenpredigten 311, 312 Magdalenenklage 98, 107 Mai und Beaflor 99, 105, 110, 192, 327 Pseudo-Matthäusevangelium 86, 348 18,1 40 Matthäus von Vendôme Ars versificatoria 4,3-14 391 4,3 390 4,15 390 Meditationes vitae Christi 107 Die Neue Ee (Historienbibel) 277, 281, 293 307-312, 335, 374-376 1 Autoren und Texte 461 Nibelungenlied 29, 289 Nikodemusevangelium passim , bes. 55-66 Descensus Christi ad Inferos 17, 55, 58, 59, 74 deutsche Prosafassungen 17, 184, 188, 190, 276, 326, 329, 333 Prosafassung E 17, 72, 188, 194, 195, 345-351, 374-376 Gesta Pilati 55, 56, 58, 60, 62, 65, 74, 84, 346 Rezension Griechisch A 56, 57, 60, 64, 68, 70 Rezension Griechisch B 57, 59, 62, 74 Rezension Lateinisch A 55, 57, 58, 68, 70, 74, 102, 110, 140, 332, 333, 346 Rezension Lateinisch B 56, 57, 59, 74 Wiener Palimpsest 56 Notker III. von St. Gallen 183 Origenes Commentarius in Matthaeum Comm. ser. 110 241 Comm. ser. 124 336 Österreichischer Bibelübersetzer s. , ( Klosterneuburger ) Evangelienwerk‘ Otfrid von Weißenburg Evangelienbuch 40, 385, 386 Passional 40, 279, 295, 296 5832-5845 306 5832 f. 334 5905-5923 305 34 986-35 028 302 40 396-40 400 300 Passionsharmonien 72, 313, 329, 331, 333, 334, 339 Passionskompilation 99, 100, 103, 277, 278-281, 282, 283, 287, 290, 295, 296, 306, 312, 314, 374-376, 392 Petrus Comestor Historia Scholastica Historia Evangelica cap. 97 260, 261 cap. 147 186 Bruder Philipp Marienleben 40, 42, 191, 279, 283-294, 302-306, 313, 314-325, 340 3638-3653 41 3906-3911 41 4468-4487 41 6718-6739 299 6894-6897 303 6918-6937 323 6962-6964 301 10 094-10 103 388 Philon von Alexandria 292 Legatio ad Gaium 299 187 Pilatus-Veronika-Legende 13, 16, 17, 99, 100, 101, 102, 103, 105, 106, 118, 122, 127, 129, 132, 138, 139, 140, 142, 150, 219, 224, 254, 260, 273, 278, 279, 281, 282, 291, 294, 295, 296, 297, 307, 308, 317, 326, 328, 330, 331 f., 336, 342, 345, 347, 352, 359, 366, 374, 378 ,Probate spiritus‘-Kompilation 30 Prosakaiserchronik 255 Kap. 19 368 Prosa-Passio (Vorlage von Johannes von Frankenstein, Der Kreuziger ) 184, 241, 242, 249 Rather von Verona Praeloquia 1,27 214 Pseudo-Regenbogen ,Veronika‘ 224 Reinbot von Durne Georg 71 Reinmar von Zweter ,Frau-Ehren-Ton‘ 1,1-12 234 Robert de Boron Joseph d’Arimathie 224, 254 Rothe, Johannes Passion 224 Rudolf von Ems Alexander 3189-3191 71 19 563-19 594 200 Willehalm von Orlens 389 Ruodlieb 48 Sächsische Weltchronik 140 Der Sälden Hort 18, 38 Seuse, Heinrich Büchlein der Ewigen Weisheit 142 Signa in eversione Iherusalem 102 Somnium Neronis 102, 120, 121 Speculum ecclesiae , dt. 15. Predigt 164 Spiegel des Leidens Christi 188 Stephanus-Legende 352, 366 Translatio Constantinopolim (BHL 7858) 352, 370 Translatio Romam (BHL 7878) 352 Vita fabulosa (BHL 7849) 352 462 Register Der Stricker Der Richter und der Teufel 231 Karl 372 Tacitus, Publius Cornelius Annales 15,44,3 187 Tertullian Apologeticum 32,2 70 Thietmar von Merseburg 253 Thomasin von Zerklære Der welsche Gast 104 Thomas von Aquin 215, 224, 230, 257, 262, 264 Catena aurea 228 cap. 18, l. 11 225 Catena aurea- Übersetzung 185 Summa Theologiae 256 Iª q. 75 a. 5 co. 50 Iª q. 75 a. 6 co. 50 Iª-IIae q. 6 a. 8 IIª-IIae q. 64 a. 6 ad 3 212 II a -IIae q. 67 211 IIª-IIae q. 67 pr. 227 IIª-IIae q. 67 a. 2 227 IIª-IIae q. 67 a. 2 ad 1 227 IIª-IIae q. 67 a. 2 ad 2 227 IIª-IIae q. 67 a. 4 co. 213 IIª-IIae q. 90 a. 1 240 IIª-IIae q. 90 a. 1 arg. 1 241 IIª-IIae q. 90 a. 1 arg. 3 240 IIª-IIae q. 90 a. 1 co. 240, 241 IIª-IIae q. 90 a. 1 ad 3 240 III a q. 47 212 IIIª q. 47 a. 6 arg. 1 213 IIIª q. 47 a. 6 arg. 2 212 IIIª q. 47 a. 6 s. c. 213 IIIª q. 47 a. 6 co. 213 IIIª q. 47 a. 6 ad 1 213 IIIª q. 47 a. 6 ad 2 214 IIIª q. 80 a. 5 213, 219 Super Ioannem cap. 18, l. 6, XI (2364) 229 cap. 18, l. 6, XII (2369) 130 Tilo von Kulm Von siben ingesigeln 234 4448 218 Ulrich von Liechtenstein Frauendienst 99 Väterbuch 50-55 263 Vindicta Salvatoris 152, 260, 327 Vinzenz von Beauvais Speculum doctrinale l. 9, c. 103 232 (Ps.-)Vinzenz von Beauvais Speculum morale 214 Vita beate virginis Marie et salvatoris rhythmica 18, 290, 340 1478-1497 384 4756-4791 340 8002-8011 388 Vorauer Genesis 104 Walther von der Vogelweide L 8,32 f. 110 Die Warnung 97 Priester Wernher Driu liet von der maget 39, 42 D, v. 2355 41 Wernher der Gärtner Helmbrecht 369 Wiener Genesis 104 Wolfram von Eschenbach Parzival 71 Willehalm 106, 284, 380 307,23 f. 186 York Trial Plays 42, 68, 217, 269, 271 1 Autoren und Texte 463 1.3 Rechtstexte im engeren Sinne Albertus Gandinus (de Gandino) De maleficiis 222 Bartolus de Saxoferrato Tractatus testimoniorum 230, 238, 247 Brachylogus 258 Buch’sche Glosse s. , Johannes von Buch‘ Corpus iuris civilis Cod. 2,6,2 206 3,1,9 206 3,1,14 205 9,46,9 217 Inst. 258 constitutio „Imperatoriam“ § 7 206 4,17 pr. 206 Nov. 82 pr. 206 82,13 206 Decretum Gratiani s. ,Gratian‘ Deutschenspiegel 49, 210, 215, 217, 255, 258 Ldr. 77 210 78 233 80 231 108 219 110 196 Eike von Repgow Sachsenspiegel 19, 45, 48, 49, 50, 67, 78, 81, 145, 208, 214, 233, 236, 237, 239, 246, 336, 340 Prologus 14, 208, 217, 262 Textus prologi 255 Ldr. I 15 250 18,2 237 50,1 217 62,7 132 62,9-10 145 63,1 85 Ldr. II 12,9 214 13,1 172, 196 13,5 172 13,6 172 Ldr. III 7,3 259 23 214 30,2 205, 206 37 251 39,3 69 42 170, 259 78,1 207 88,3 235 Freiberger Stadtrecht 87, 238 Glossa ordinaria zu Dig. 22,5,21 239 Gratian 234 Decretum Gratiani 207, 208, 209, 214 C. 1 q. 7 c. 26 251 C. 11 q. 3 c. 78 206, 209 q. 3 c. 79 205, 209 q. 3 c. 80 230 q. 3 c. 83 230 q. 3 c. 84 231 Johannes von Buch Glosse 49, 205, 216, 218, 219, 221, 246, 250, 364 Reimvorrede 258 cap. XXVIII (zu Ldr. III 30) 205-216 cap. XXXV (zu Ldr. III 37) 251 cap. LXX (zu Ldr. III 78,1) 207 Richtsteig Landrechts 49 35,6 158 Leipziger Schöffenspruchsammlung 238 Lex Baiuvariorum 209 Meißner Rechtsbuch 236 IV 37,32 234 IV 37,33 234 ordines iudiciarii 238, 240 Österreichisches Landrecht 49 Rechtsbücher 19, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 67, 81, 147, 152, 210, 221, 233, 236, 245, 258 Richtsteig Landrechts s. , Johannes von Buch‘ Sachsenspiegel s. ,Eike von Repgow‘ Schwabenspiegel 49, 50, 152, 159, 205, 231, 236, 255, 259, 262, 265, 266, 267, 268, 269 Vorwort 254-262, 268 Ldr. 1b 258 34 (36a) 363 44 258 71 210 464 Register 101 260 116 219 139 258 145 49 148 258 170a 240 174a 196 201 258 201v 258 260 259 261 259 263 260 308 259 Soester Gerichtsordnung 244 Tankred von Bologna Ordo iudiciarius 238, 239 P. 3, t. 9 § 1 238 P. 3, t. 9 § 2 238 Wiener Rechte und Freiheiten 371, 373 Zweites Privileg Rudolfs I. 233, 373 2 Handschriften und Drucke 465 2 Handschriften und Drucke 2.1 Handschriften Ein Verzeichnis der Siglen befindet sich auf S. 399 -401 . Berlin SBPK Mgf 33 281 Mgf 1097 [Kb] 254 Mgf 1107 [H18, B1] 281 Mgf 1278 353-374 Budapest Széchényi-Nationalbibl. Cod. Germ. 54 99, 278 Colmar Archives Départementales du Haut-Rhin Fragments de Ms. no. 332 [Se] 136 Bibliothèque municipale Ms. 306 188 Engelberg Benediktinerstift Cod. 243 [E 4 ] 345 Erlangen Universitätsbibl. Ms. B 2 [E] 136 Frankfurt Universitätsbibl. Mgq 55 [Fr] 185 Gießen Universitätsbibl. Cod. 777 102 Görlitz Bibl. der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften Cod. A III.1.10 [G] 142, 143, 164, 165, 191, 192, 293 Cod. A III.1.10, Beilage [Γ] 317 Gotha Forschungsbibl. Cod. Chart. A 3 [H15, Go1, G] 279, 281-294, 295, 296, 299, 301 Cod. Chart. B 174a [Go] 315 Cod. Membr. II 37 [G] 315 Göttweig Stiftsbibl. Cod. 222 [Gö] 181, 326, 329, 330, 337, 339 Graz Universitätsbibl. Ms. 470 [H11, Gr1, Gz] 279, 281 Ms. 1314 [früher 37 / 45-4º] [Gr] 102 Hamburg Staats- und Universitätsbibl. Cod. 146 in scrin. [Ha] 315 Heidelberg Universitätsbibl. Cpg 53 159 Cpg 342 [p] 142, 158, 191 Karlsruhe Badische Landesbibl. Cod. St. Georgen 83 [E 3 ] 188, 374 Klosterneuburg Stiftsbibl. Cod. 4 [K1, H 3 ] 330 Cod. 51 [K2, H 2 ] 331 Cod. 1242 [N] 142, 314-319 Köln Hist. Archiv der Stadt Best. 7020 (W*) 20 [K] 315 London British Library MS Add. 10 432 [L] 191, 315-325, 375 Madrid Bibl. nat. Vitr. 23-8, vol. II 188 München BSBCgm 370 [M 1 ] 281, 308, 311 Cgm 522 [M 2 ] 281, 293, 311 Cgm 4997 109 Cgm 5249 / 55b [M] 136 Cgm 5249 / 61b [M] 73 Cgm 7240 [G 1 ] 188 Cgm 7330 (Cim 314) [H9, M3, Ms] 100, 186, 279, 280, 281, 287, 288, 289, 293, 294-306, 307 Clm 23 390 [M 1 ] 102 466 Register Oldenburg Landesbibl. Cim I 410 [O] 336 Salzburg Erzabtei St. Peter Cod. a V 27 74, 95 Schaffhausen Stadtbibl. Cod. Gen. 8 [S, H 1 ] 181, 188, 197, 326-344, 330 Schwerin Landesbibl. ohne Sign. (1) [S] 142, 143 Solothurn Zentralbibl. Cod. S 194 [E 6 ] 347 St. Gallen Stiftsbibl. Cod. 1142 [E 2 ] 347 Stuttgart Landesbibl. Cod. theol. et phil. 4° 98 [s] 142, 191 Wien ÖNB Cod. 563 (Wiener Palimpsest) 56 Cod. 2696 [V] 16, 73, 84, 97 Cod. 2862 [W] 281, 307, 311 Cod. 15 225 98, 100 Cod. Ser. nova 207 [W] 191, 315-325, 340, 375 Cod. Ser. nova 4818 99, 100, 278 Wolfenbüttel HAB Cod. 404.9 (13) Novi [W13] 135 Cod. 404.9 (19) Novi [W19] 135 Cod. Guelf. 1.5.2 Aug. 2° [H1, Wo1, W] 279, 280, 281-294, 295, 300, 301, 303, 304, 305, 309 Cod. Guelf. 1.16 Aug. 2° [H12, Wo2, Ws] 186, 279, 281, 287, 293, 294-306, 307, 376, 387 2 Handschriften und Drucke 467 2.2 Drucke GW 9245 Lübeck 1482, sog. Calderinus-Drucker, Matthäus Brandis, Die Neue Ee [L 2 ] 281, 311 GW 9248 Augsburg 1476, Antonius Sorg, Die Neue Ee [A] 281, 311 GW 9253 Lübeck 1476, Lukas Brandis, Die Neue Ee [L 1 ] 281, 311 GW M50 566 Venedig 1494 (BSB-Ink V-200), Vinzenz von Beauvais, Speculum doctrinale 232 468 Register 3 Rechtliche Aspekte Aufgenommen sind nur die wichtigsten Stellen, sowohl solche, an denen die genannten rechtlichen Aspekte im Haupttext ausführlicher diskutiert werden, als auch solche, an denen das Vorkommen der rechtlichen Aspekte in einem der Primärtexte benannt ist. Beweise Beweisverfahren 69, 91, 158, 234, 235, 246, 249, 250, 254, 350, 351, 360, 361 Urkundenbeweis 234, 251 Beweiswürdigung 89, 116, 227, 237, 239, 247, 250, 321, 348, 349, 355, 361 Büttel, Fronbote, Gerichtsbote 69, 79, 80, 114, 146, 190, 193, 217, 284, 289, 321 Dingpflicht 77, 81, 91, 194, 284 Eid 209, 331 als Mittel der Wahrheitsfindung 65, 70, 123, 125, 157, 234 Beschwören eines anderen 133, 157, 158, 241, 247, 249, 348, 350 Eidesformel 70, 122, 123, 158, 162, 209, 221, 234, 249 Eideshelfer 70, 78, 87, 236, 237, 245 Eidritual 157, 158, 249 Judeneid 70, 123, 157, 158, 260, 348, 356 Meineid 123, 232, 233, 235, 239 spirituelles Risiko 240, 249 Zeugeneid 65, 70, 85, 124, 125, 157, 158, 234, 239, 246, 249, 355, 361 Fesselung des Angeklagten 69, 77, 121, 151, 152, 197, 309 Gerichtsbann s. ,Richter‘ Gerichtsfrieden 80, 81, 82, 115, 116, 151, 193, 195, 217, 284, 288, 303 Gerichtsorte 69, 188 Abschrankung (unter freiem Himmel) 50, 76, 112, 144, 190, 284, 285, 286, 288, 289, 302, 309, 333, 334, 339, 373 Prätorium 56, 58, 63, 112, 144, 187, 286, 333, 350 Rathaus 188, 351 Heilsgeschichte und Recht 93, 97, 104, 139, 153, 164, 166, 234, 254, 259, 261, 264, 267, 272, 293, 325, 342, 344, 351, 365, 370, 377, 394 Juden Blutruf 111, 150, 151, 152, 170, 171, 222, 260, 282, 290, 302, 305, 320, 324, 341, 349 Judenbischof 186 Judenrecht (und dessen Herleitung) 20, 49, 70, 173, 179, 259, 260, 268, 272, 305, 367, 370, 373 Judenrichter 367 jüdisches Recht s. ,Rechtsordnungen‘ Kammerknechtschaft 51, 169, 259 Verurteilung ‚der Juden‘ 121, 152, 169, 170, 268, 282, 305, 366 Jüngstes Gericht 94, 95, 132, 133, 134, 167, 171, 172, 173, 199, 207, 215, 220, 230, 231, 257, 259, 262, 263, 266, 268, 270, 293, 356, 377 Passah-Amnestie 63, 111, 115, 130, 218, 228, 266, 285, 303, 337, 338, 341 Rat und Tat 149, 151, 206, 207, 215, 221, 222, 224, 340 Rechtsbegründung 14, 46, 171, 256, 263, 264, 265, 268, 272, 364, 378 Rechtsordnungen ‚deutsches‘ Recht 13, 19, 45, 47, 50, 67, 76, 111, 120, 130, 145, 175, 216, 218, 219, 334 ‚deutsches‘ vs. römisches Recht 68, 285, 335 ‚deutsches‘ vs. römisch-kanonisches Recht 45, 47, 206, 208, 224, 233, 234, 237, 238, 242 gesetztes Recht vs. Gewohnheitsrecht 45, 131, 172, 208, 258, 266, 268, 269, 337 göttliches Recht 122, 131, 154, 167, 263, 266, 292, 293 göttliches vs. menschliches Recht 14, 44, 122, 133, 160, 167, 168, 169, 173, 230, 233, 256, 257, 259, 262, 263, 266, 272, 294, 357, 359, 365, 369, 375, 394 Judenrecht s. , Juden‘ jüdisches Recht 63, 70, 92, 116, 131, 161, 265, 267 jüdisches vs. römisches Recht 70, 265, 319, 359 kanonisches Recht 45, 47, 152, 211, 219, 220, 230, 270 Schuldlehre 214, 223 kanonisches vs. weltliches Recht 68, 258, 270 3 Rechtliche Aspekte 469 Landrecht 49, 79, 205, 236, 255, 258, 301 Beweisverfahren 236, 250 Erfolgshaftung 214 Personalitätsprinzip 13, 81, 194, 200, 284, 311 Lehnrecht 367 lex naturalis 257, 259, 264, 265, 266 lex vetus vs. lex nova 46, 92, 162, 258, 264, 267, 356, 365 objektives vs. subjektives Recht 44, 45, 46, 93, 169, 171, 233, 259, 368, 373 römisches Recht 45, 47, 59, 130, 211 Stadtrecht 49, 69, 70, 77, 79, 81, 87, 115, 122, 129, 211, 236, 238, 286 Beweisverfahren 235, 237 Zweischwerterlehre 20, 161, 170, 258, 264, 268, 293, 342 Richter Bestechlichkeit 206, 207, 209, 210, 231, 233, 285, 290, 293, 294, 303, 305, 313, 324, 340, 344, 375, 376 Furcht 82, 207, 209, 217, 290, 297, 302, 304, 305, 340, 351 Gerichtsbann 93, 119, 129, 161, 187, 283, 285 Judenrichter s. , Juden‘ Nüchternheit 49, 193 Privatwissen 211, 218, 220, 227, 247, 332, 342 Richtertugenden 82, 206, 207, 209, 210, 217, 325, 340, 365, 368, 373, 375 selbsturteilender Richter 63, 68, 78, 82, 118, 150, 152, 206, 211, 322 Sitzen (während der Verhandlung) 69, 82, 112, 145, 146, 147, 149, 161, 231, 286, 289, 302, 304, 333, 334 Verantwortung 115, 116, 134, 147, 151, 205, 207, 210, 211, 215, 216, 218, 221, 222, 227, 288, 292, 303, 311, 322, 332, 341, 349, 359, 394 Schriftlichkeit Fixierung von Zeugenaussagen 58, 87, 102, 125, 158, 238, 251, 291, 350, 355, 357, 358, 360, 362 Kodifizierung des Urteils 152, 351 Prozessaufzeichnungen 57, 160, 182, 351 Rechtsaufzeichnung 47, 49, 369, 371, 372, 373 Strafe Erhängen 78, 196 Geißelung 68, 75, 77, 78, 82, 83, 117, 118, 151, 198, 218, 224, 289, 290, 291, 303, 311, 320, 335, 336, 343 Kreuzigung 11, 68, 70, 77, 78, 83, 111, 116, 117, 118, 149, 170, 195, 196, 213, 218, 222, 224, 267, 289, 290, 302, 303, 319, 335, 336, 343, 358 Umstand 68, 77, 115, 121, 148, 195, 287 Urteil Ausgabe 82, 116, 117, 118, 149, 206, 208, 218, 289, 290, 320, 334 Todesurteilproblematik 117, 121, 180, 211, 219, 220, 232, 286, 302, 309, 339 Urteiler, Urteilergremium 67, 76, 82, 115, 116, 121, 149, 150, 206, 207, 217, 219, 292, 331, 334 Urteilsfrage 68, 116, 117, 121, 194, 207, 284, 289, 292, 302, 303, 310, 331, 334 Urteilsschelte 78, 205, 208 Verfahren Handhaftverfahren 77, 158, 198 Koerzitionsverfahren 11 Rügeverfahren 77, 114 Vorsprecher 77, 79, 162, 174, 233, 373 Zeugen 231, 254 Augenzeugenschaft 65, 70, 84, 85, 87, 122, 123, 125, 155, 157, 234, 236, 237, 238, 243, 245, 247, 248, 249, 252, 307, 321, 348, 355, 361 falsche Zeugen 211, 230, 233, 245, 338, 349 Gefahr für Zeugen 78, 125, 148, 156, 232, 233, 243, 244, 246, 358, 393 getrennte Befragung 65, 88, 125, 158, 238, 247, 251, 291 Glaubwürdigkeit 85, 87, 123, 124, 158, 239, 246, 247, 248, 249, 348, 361 Mehrzeugenregelung 87, 88, 124, 125, 157, 158, 226, 238, 245, 247, 248, 251, 253, 348, 356, 360 namentliche Nennung 74, 79, 86, 87, 148, 245, 248, 284, 288, 322, 355, 356 schriftliche Fixierung von Zeugenaussagen s. , Schriftlichkeit‘ Zeugeneid s. ,Eid‘ Zeugnisfähigkeit 64, 70, 81, 87, 152, 239, 245, 246 4 Gegenstand der Studie sind mittelhochdeutsche Versbearbeitungen des Nikodemusevangeliums (Konrad von Heimesfurt: Diu urstende; Gundacker von Judenburg: Christi Hort; Heinrich von Hesler: Evangelium Nicodemi) und deren Rezeptionszeugnisse. Ausgehend von der darin erfolgten partiellen Umgestaltung des Prozesses gegen Jesus nach Konventionen des 'deutschen Rechts' wird die grundsätzliche Frage nach der Funktion solcher Bezüge auf die zeitgenössische Erfahrungswirklichkeit gestellt. Eine umfassende Analyse der komplexen Vernetzungen von Text und Kontext erschließt deren inhaltliche Implikationen für die narrative Sinnkonstitution wie auch die Stellung der Erzähltexte im Rechtsdiskurs: Wie lässt sich davon erzählen, dass in der Gestalt Jesu Gott vor Gericht steht, den die Texte zugleich als Legitimationsgrund allen Rechts inszenieren? Über die Analyse des Verhältnisses von 'Literatur' und 'Recht' werden außerdem die Möglichkeiten und Grenzen der kulturellen Aneignung eines heilsgeschichtlichen Stoffes erkundet. Die Studie leistet damit einen Beitrag zur Poetologie bibelepischen Erzählens. ISBN 978-3-7720-8593-2 Manuwald Jesus und das Landrecht BIBL. GERM. 67 Henrike Manuwald Jesus und das Landrecht Zur Realitätsreferenz bibelepischen Erzählens in Hoch- und Spätmittelalter