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Das Duell – Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne

2012
978-3-8649-6270-7
UVK Verlag 
Barbara Krug-Richter
Ulrike Ludwig
Gerd Schwerhoff

Der Band präsentiert aktuelle Forschungsergebnisse zur Geschichte des Duells aus verschiedenen Disziplinen, Epochen und Ländern. Auf diese Weise gelingt es, das Besondere des Duells als kulturelle Praktik im Kontext sich wandelnder Wertesysteme vorzustellen. Deutlich werden die räumliche Uneinheitlichkeit des Phänomens und seine zeitliche Dynamik, die es im Ergebnis als weit weniger traditional erweist als bislang angenommen. Sichtbar wird darüber hinaus die Bedeutung unterschiedlicher (Elite)Kulturen für die Herausbildung unterschiedlicher Duellpraktiken ebenso wie die spezifisch ständische Rationalität des Duells, die sich insbesondere innerhalb korporativer Schutzräume wie beispielsweise im Militär, seit dem späten 18. Jahrhundert dann auch verstärkt im akademischen Milieu, ausbilden konnte.

Konflikte und Kultur - Historische Perspektiven Herausgegeben von Martin Dinges · Joachim Eibach · Mark Häberlein Gabriele Lingelbach · Ulinka Rublack · Dirk Schumann · Gerd Schwerhoff Band 23 Wissenschaftlicher Beirat: Richard Evans · Norbert Finzsch · Iris Gareis Silke Göttsch · Wilfried Nippel · Gabriela Signori · Reinhard Wendt Ulrike Ludwig, Barbara Krug-Richter, Gerd Schwerhoff (Hg.) Das Duell Ehrenkämpfe vom Mittelalter bis zur Moderne UVK Verlagsgesellschaft mbH Gedruckt mit den Mitteln der DFG im Rahmen des Dresdner DFG-Projektes »Das Duell als kulturelle Praktik in der Frühen Neuzeit. Vergleichende Untersuchung zu Kursachsen, Mecklenburg und Schweden«. Zum Umschlagmotiv: Jean-Léon Gérôme: Duell nach dem Maskenball (ca. 1857-1859, 39,1 × 56,3 cm) Das Gemälde aus dem Frühwerk Gérômes (1824-1904), der als einer der wichtigsten französischen Vertreter des Klassizismus und der Historienmalerei gilt, zeigt eine doppelte Inszenierung: ein Theater des wahren Lebens im Bild. Das Duell, zur Entstehungszeit des Gemäldes in Frankreich gerade auch unter Intellektuellen weit verbreitet, wird durch den prominent in Szene gesetzten Tod des Pierrots in seiner Tragik betont. Die Kostümierung der Protagonisten verleiht dem tragischen Geschehen aber dennoch einen absurden Zug. Die Verkleidung der Duellanten als Pierrot und Harlekin stellt die Szenerie in die Tradition der Commedia dell’arte, in der beide Figuren als Rivalen agieren. Zugleich erscheint es zwangsläufig, dass dem Pierrot, der im frühen 19. Jahrhundert zur bemitleidenswerten, sympathischen, unglücklich verliebten aber zugleich zur naiven und melancholischen Figur umgedeutet wurde, die Rolle des Verlierers zukam. Die Inszenierung des Bildes erzählt damit eine Geschichte von Rivalität, der Liebe zu einer Frau und einer spontanen Eskalation der Situation. Das Geschehen erscheint sowohl als unausweichlicher Teil einer feststehenden Aufführung wie auch als tragisch-komische, dem eigentlichen Leben entrückt Szenerie, der jeder Heroismus fehlte. Allerdings wird über die erzählte Geschichte zugleich auf eine Inszenierung zurückgegriffen, die in der Darstellung des Duells spätestens im 19. Jahrhundert zum Topos geworden war, die jedem Betrachter aus zahlreichen Theaterstücken und Romanen, Zeitungsartikeln und moralischen Betrachtungen vertraut gewesen sein dürfte. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http: / / dnb.d-nb.de abrufbar. ISSN 1437-6083 ISBN 978-3-86496-270-7 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2012 Einbandgestaltung: Susanne Fuellhaas, Konstanz Druck: Bookstation GmbH, Anzing UVK Verlagsgesellschaft mbH Schützenstr. 24 · D-78462 Konstanz Tel. 07531-9053-0 · Fax 07531-9053-98 www.uvk.de Vorwort Der vorliegende Band geht auf die Tagung ‚Das Duell vom Mittelalter bis zur Moderne. Interdisziplinäre und internationale Perspektiven’ zurück, die aus einer Zusammenarbeit des Dresdener Forschungsprojektes ‚Das Duell als kulturelle Praktik in der Frühen Neuzeit. Vergleichende Untersuchung zu Kursachsen, Mecklenburg und Schweden’ und des Teilprojektes C2 ‚Symbole, Rituale und Gesten in frühneuzeitlichen Konflikten und alltäglichem Handeln’ am Münsteraner SFB 496 ‚Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution’. Gefördert und veranstaltet wurde diese Konferenz durch das Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung wurde. Darüber hinaus hat das Team des ZiF - hier vor allem Trixi Valentin - für eine reibungslose und umsichtige Tagungslogistik gesorgt, dafür sei ihr und ihren Kolleginnen und Kollegen an dieser Stelle nochmals ausdrücklich gedankt. Neben den Beiträgerinnen und Beiträgern des Bandes wirkten an der Bielefelder Tagung Ronald G. Asch, Franz-Josef Arlinghaus, Stephan Geifes, Reinhard Zöllner und Pieter Spierenburg mit. Wir danken ihnen herzlich für ihr Engagement und ihre Debattenbeiträge. Ein besonderer Dank geht an Friederike Jung, durch deren umsichtige und unermüdliche Lektoratsarbeit hoffentlich nahezu alle eingeschlichenen Fehler beseitigt werden konnten. Sie, Annemarie Hagmayer, Franziska Neumann und Inga Schneider besorgten zudem die Register, auch hierfür herzlichen Dank. Die Betreuung des Bandes von Verlagsseite lag in den bewährten Händen von Uta C. Preimesser, der wir für die angenehme und unkomplizierte Zusammenarbeit herzlich danken. Dresden und Münster, im Februar 2012 Ulrike Ludwig, Barbara Krug-Richter und Gerd Schwerhoff Inhalt U LRIKE L UDWIG , G ERD S CHWERHOFF UND B ARBARA K RUG -R ICHTER Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung 11 I. Ansichten zum Duell - Disziplinäre Zugänge U LRIKE L UDWIG UND G ERD S CHWERHOFF Ansichten zum Duell. Geschichtswissenschaftliche Zugänge 29 M ICHAEL M EUSER Distinktion und Konjunktion. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb 39 A HMET T OPRAK UND A LADIN E L -M AFAALANI Eine Frage der Männlichkeit. Duelle bei muslimischen Jugendlichen in Deutschland 49 S IXT W ETZLER Überlegungen zur europäischen Fechtkunst 61 M ONNIKA M OMMERTZ Wissen vom Zweikampf. Transdisziplinäre und transepochale Überlegungen 77 II. Vor- und Frühgeschichten des Duells? S ARAH N EUMANN Vom Gottesurteil zur Ehrensache? Deutungsvarianten des gerichtlichen Zweikampfes im Mittelalter 93 M ALTE P RIETZEL Schauspiele von Ehre und Tapferkeit. Zweikämpfe in Frankreich und Burgund im späten Mittelalter 105 U WE I SRAEL Vor- und Frühgeschichten des Duells? - Ein Kommentar 125 III. Diskursfelder R ICHARD C RONIN Duelling and English Literature 131 A LEXANDER K ÄSTNER Unzweifelhaft ein seliger Tod! Überlegungen zur Darstellung des Sterbens von Duellanten in protestantischen Leichenpredigten 141 U LRIKE L UDWIG Das Recht als Medium des Transfers. Die Ausbreitung des Duells im Alten Reich 159 M ARC B ORS Duell und juristischer Ehrenschutz. Zur Rolle des Duells in der Literatur zum Ehrverletzungsrecht im 19. Jahrhundert 175 K ARL H ÄRTER Duelldiskurse. Das Duell als kommunikativ-mediales Konstrukt 187 IV. Praktiken im ständischen Kontext: Fürsten und Adel B IRGIT E MICH Körper-Politik? Die Duellforderungen Karls V. 197 M ARKKU P ELTONEN The Duel, Law and Honour in Early Modern England 213 S ILKE M ARBURG Duell und ständische Identität im Wandel. König Johann von Sachsen (1801-1873) deutet den Duellverzicht 221 J OSEF M ATZERATH Duellpraktiken im ständischen Kontext: Fürst und Adel - Ein Kommentar 235 V. Praktiken im ständischen Kontext: Militärs, Handwerker und Studenten M AREN L ORENZ Duell oder Balgerey? Bewaffnete Auseinandersetzungen vor norddeutschen Militärgerichten des 17. Jahrhunderts 241 G UNDULA G AHLEN Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert 259 B ARBARA K RUG -R ICHTER Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern. Anmerkungen zum Duell in der studentischen Kultur 275 A NDREAS M EIER Handwerkerduelle im frühneuzeitlichen Kursachsen als (außer)gewöhnliche Gewaltrituale 289 M ARIAN F ÜSSEL Ständisch-korporative Duellkulturen - Ein Kommentar 301 VI. Darstellungskonventionen P ETER W ETTMANN -J UNGBLUT Zweikampf als Muster (vor)moderner Jugendkultur. Männlichkeitsritual, regulierte Aggression, Gewaltlust 313 T ERESA E NDE UND J ÜRGEN M ÜLLER En garde! Duelldarstellungen in der bildenden Kunst und im Film 325 Anhänge Abbildungsverzeichnis 349 Ortsregister 353 Personenregister 355 Sachregister 358 Ulrike Ludwig, Gerd Schwerhoff und Barbara Krug-Richter Zugriffe auf das Duell Zur Einleitung Im Jahre 1665 erklärte der Dresdner Superintendent Martin Geier in einem theologischen Gutachten zu der Frage, Ob eine Christliche hohe Landesobrigkeit ihren Vasallen verstatten könne, in wichtigen streitigkeiten oder Injurienhändeln durch ein duell die sache beizulegen? , dass das Duell des Teufels sei und eine von Fremden übernommene schlechte Angewohnheit, denn solche Ehrenrettung durch duell stamme ja bekanntlich von barbarischen völckern […], alß von Lombarden, Moscowitern, Rußen, Ungern etc. 1 Knapp einhundert Jahre später verfolgte der namentlich nicht genannte Autor des Artikels zum ‚Zweykampf, Selbst-Kampf, Balgen und Rauffen oder Duell’ in Zedlers Universallexikon das Duell hingegen bis zu seinen ‚Ursprüngen’ in biblischer Zeit und Antike zurück - die Duellanten des späten 18. Jahrhunderts traten nun als jüngere Brüder von Kain und Abel, König David und Kämpfern aus römischer Zeit auf. 2 Im Jahre 1794 erklärte dann der Göttinger Philosophieprofessor Christoph Meiners, dass die Griechen und Römer nie etwas von Zweikämpfen mit ihren Mitbürgern gewusst hätten. Doch dieser Umstand wird ihnen keineswegs als besondere Tugend angerechnet. Vielmehr sei den Griechen und Römern selbst in ihren besten Zeiten […] das hohe Gefühl von Ehre, wodurch sich von jeher die unverdorbenen Germanier ausgezeichnet hätten, einfach nicht zu eigen gewesen. 3 Ganz in diesem Sinne wird von Meiners dann auch der germanische Ehrbegriff als der eigentliche Urquell des Duells ausgemacht. Dabei ging er sogar soweit, dass er den Italienern, Spaniern und Franzosen bis in die neuere Zeit hinein die Fähigkeit zu einem ‚ehrlichen’ Duell absprach und ihnen statt dessen einen Hang zum Meuchelmord in Ehrenangelegenheiten bescheinigte. 4 In seiner Sicht der Dinge wurde das Duell nun zu einer dem Wesen nach urdeutschen Angelegenheit - ein Standpunkt, dem freilich bereits zeitgenössisch vehement widersprochen wurde. 5 Teuflische Erfindung, biblisch-antike Ursprünge oder germanisch-mittelalterliche Sitte - diese drei so radikal unterschiedlichen Herkunftserzählungen zeigen deutlich, dass sich parallel zur Aus- und Umgestaltung der kulturellen Praktik Duell als einer spezifischen Form des Zweikampfes unter Männern immer auch verschiedenste Histori- 1 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (künftig: SächsHStADresden), 10024, Loc. 9992/ 7 (ohne Zählung), Schreiben Geiers v. 17. Juli 1665. 2 [Art.] Zweykampf, Selbst-Kampf, Balgen und Rauffen oder Duell, in: Johann Heinrich Z EDLERS Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Bd. 64, Leipzig/ Halle 1750, Sp. 1330-1430, hier Sp. 1338. 3 [Christoph M EINERS ]: Kurze Untersuchung der Ursachen, um welcher willen der Zweykampf fast allein unter den Germanischen Nationen herrschende Sitte war, in: Neues Göttingisches historisches Magazin 3 (1794), S. 311-384, hier S. 362 f. 4 Ebd., S. 371 f. 5 Am eindrücklichsten sicherlich durch: Georg von B ELOW : Das Duell in Deutschland. Geschichte und Gegenwart, Kassel 1896; DERS .: Das Duell und der germanische Ehrbegriff, Kassel 1896. 11 Ludwig, Schwerhoff und Krug-Richter sierungen des Phänomens ausbildeten. Das Duell wurde so bereits frühzeitig zu einer gemeinschaftlichen, wenngleich in der (moralischen) Bewertung durchaus umstrittenen, kulturellen Erinnerung, die mit wechselnden mythischen Ursprungserzählungen ausgestattet war. 6 Bis heute hat sich die historische Deutung des Phänomens Duell mit diesen Mythen auseinanderzusetzen. Deren Bedeutung erschöpft sich eben nicht darin, ein mehr oder minder gut abgrenzbarer diskursiver Strang historischer Beschäftigung mit dem Duell zu sein; zugleich waren diese Mythen über die Jahrhunderte immer auch fester Bestandteil der unterschiedlichen Selbst- und Fremddeutungen der Protagonisten von Ehrzweikämpfen und der sie umgebenden Gemeinschaften. Damit gewinnen sie zentrale Bedeutung für die Logiken des Phänomens Duell als kultureller Praktik. Nicht nur in früheren ‚Duellgeschichten’, sondern auch in der jüngeren Forschung lässt sich ein Zeitgeist der jeweiligen historischen Deutungen des Duells ausmachen. So ist die Eliassche Verortung des Duells im Kontext seines ‚Prozesses der Zivilisation’ Teil einer der letzten historischen Großerzählungen und modernisierungstheoretischen Entwürfe. Gewaltpraktiken werden hier im Kontext eines umgreifenden historischen Trends vom Fremdzum Selbstzwang gedeutet. Mit dem Aufstieg moderner Staatlichkeit wird ein Rückgang interpersonaler Gewalt und zugleich eine Intensivierung staatlicher Gewalt nach ‚innen’, also gegenüber den Untertanen konstatiert. 7 Dieser Prozess der Zivilisation ist ganz der idealisierten Idee von Aufklärung und Modernisierung als positiv-fortschrittlichen Prozessen verpflichtet, 8 die unberührt ist von Massenmord und ‚Zivilisationsbruch’ und einer zeitgenössischen Erfahrung, die diese Sicht empirisch in Frage zu stellen begann. Francois Billacois hingegen entwirft sein Panorama einer Geschichte des französischen Duells in der Hochzeit der ‚Absolutismusforschung‘. Der Fokus seiner Untersuchung liegt dann auch auf dem exzessiven Duellwesen des 16. und 17. Jahrhunderts, das an der Wende zum 18. Jahrhundert - getragen von der Idee einer sich nun durchsetzenden souveränen Staatlichkeit - normativ so weit eingehegt und zurückgedrängt 6 Zum Konzept der kulturellen Erinnerung in Abgrenzung zum kommunikativen Gedächtnis: Jan A SS - MANN : Religion und kulturelles Gedächtnis: Zehn Studien, 3. Aufl., München 2007, bes. S. 11-44; DERS .: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, 6. Aufl., München 2007, S. 34-59; zum Nebeneinander von ‚Ereignis’ und dessen Erinnerung siehe auch: Natalie K RENTZ : Auf den Spuren der Erinnerung. Wie die „Wittenberger Bewegung“ zu einem Ereignis wurde, in: Zeitschrift für historische Forschung 36 (2009), S. 563-595. 7 Vgl. dazu: Gerd S CHWERHOFF : Vom brutalen Mittelalter zur Zivilisierung der Umgangsformen? Formen und Wandlungen der Gewaltkriminalität in der Frühen Neuzeit, Leipzig 2001, bes. S. 19 f. u. 24. 8 Norbert E LIAS : Die höfische Gesellschaft: Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie; mit einer Einleitung: Soziologie und Geschichtswissenschaft, 9. Aufl., Frankfurt a. M. 1999, hier v. a. S. 355 f.; DERS .: Die satisfaktionsfähige Gesellschaft, in: DERS .: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Schröter, Frankfurt a. M. 1989, S. 61-158. Vgl. auch die kritische Würdigung der Eliasschen Arbeiten mit Blick auf das Duell: Ronald G. A SCH : Hof, Adel, Monarchie: Norbert Elias’ Höfische Gesellschaft im Lichte der neuren Forschungen, in: Claudia O PITZ (Hg.): Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozess. Norbert Elias’ Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln/ Weimar/ Wien 2005, S. 119-142, hier bes. S. 128 f.; weiterhin: Gerd S CHWERHOFF : Zivilisationsprozess und Geschichtswissenschaft. Norbert Elias‘ Forschungsparadigma in historischer Sicht, in: Historische Zeitschrift 266 (1998), S. 561-605. 12 Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung worden sei, dass es zur klandestinen Praktik wurde. 9 Inzwischen hat nicht nur das Konzept ‚Absolutismus’ seinen selbstverständlichen Geltungsanspruch weitgehend eingebüßt, sondern auch die von Billacois ausgemachte Zurück- und Abdrängung des Duells im 18. Jahrhundert ist für Frankreich eindrucksvoll widerlegt. 10 Ebenso dürfte es mit Blick auf die damaligen Trends in der Forschung zur deutschen Geschichte kein Zufall sein, dass Ute Frevert und Kevin McAleer gerade Anfang der 1990er Jahre noch einmal öffentlich darüber diskutierten, ob die Wandlung des Duells zum bürgerlichen Phänomen im deutschen Kaiserreich nun Beleg für eine Rückwärtsgewandtheit, eine Feudalisierung des deutschen Bürgertums sei und damit Ausdruck jenes deutschen Sonderwegs, der letztlich bis hin zum Nationalsozialismus geführt habe (McAleer). Im Unterschied zu dieser Lesart stellte Frevert die These auf, dass das Duell des 19. und frühen 20. Jahrhundert nicht nur genuiner Bestandteil der bürgerlichen Sozialisation war, sondern auch eine bürgerliche Institution und daher keineswegs Zeichen defizitärer Bürgerlichkeit. 11 Die Duellforschung der letzten Jahre ist längst nicht mehr mit Fragen nach einem deutschen Sonderweg beschäftigt. Vielmehr werden zunehmend kulturgeschichtliche Ansätze in den Blick genommen: Das Duell wird als Teil von sich wandelnden Kulturen der Gewalt analysiert und dabei wird z. B. nach der Bedeutung von Ehrkulturen und emotionalen Gemeinschaften gefragt. Wichtige Impulse kamen hierbei zweifellos auch von den medial seit einigen Jahren sehr präsenten Diskussionen über zeitgenössische Phänomene von Ehr- und Gewaltpraktiken, die zu Fragen nach der raumzeitlichen Verortung und kulturellen Bedingtheit von Ehre und Ehrkämpfen anregten. Hinzu treten aktuelle Forschungen, die Gewaltphänomene im Kontext geschlechtergeschichtlicher Ansätze neu diskutieren und bewerten. Gerade das Duell in der Moderne steht als männlich besetzte kulturelle Praktik dabei im Schnittpunkt der Debatten um homosoziale Vergemeinschaftungsformen, ‚hegemoniale‘ oder in die Krise geratene Männlichkeit(en). 12 Überlagert werden die strukturellen Faktoren Ehre und Männlichkeit gerade in der Vormoderne von der ständischen Zugehörigkeit. Ständische Zuge- 9 Francois B ILLACOIS : Le duel dans la société francaise des XVIe-XVIIe siècles. Essai de psychosociologie historique, Paris 1986, zum Ausklang hier bes. S. 277-317. 10 Vgl. hierzu: Pascal B RIOIST / Hervé D REVILLON / Pierre S ERNA : Croiser le fer. Violence et culture de l'épée dans la France moderne, XVI-XVIIIe siècles, Paris 2002, zum 18. Jahrhundert bes. S. 239-370. Zur Diskussion um das Absolutismuskonzept zuletzt: Lothar S CHILLING (Hg.): L’absolutisme - un concept irremplaçable? Der Absolutismus - ein unersetzliches Forschungskonzept? , München 2008. 11 Hierzu: Kevin M C A LEER : What Price Glory? , in: WerkstattGeschichte 11 (1995), S. 55-63; Ute F RE - VERT : Bürger, Duellanten und andere Kleinigkeiten. Über die enttäuschte Liebe eines Historikers - oder wie schreibt man das Drehbuch zum falschen Film? , in: WerkstattGeschichte 13 (1996), S. 82-89. Wenngleich in der neueren Duellforschung vor allem auf Frevert verwiesen wird und die Arbeit McAleers eher eine untergeordnete Rolle spielt, ist dessen Annahme, dass bürgerlichen Duellanten nur die Imitation und im 19. Jahrhundert dann bestenfalls die Adaption eines zuallererst adlig gedachten Verhaltens zuzuweisen sei, doch noch recht präsent. 12 Siehe exemplarisch: Jürgen M ARTSCHUKAT / Olaf S TIEGLITZ : „Es ist ein Junge! “ Einführung in die Geschichte der Männlichkeit in der Neuzeit, Tübingen 2005; Martin D INGES (Hg.): Männer - Macht - Körper. Hegemoniale Männlichkeit vom Mittelalter bis heute, Frankfurt a. M./ New York 2005; Raewyn C ONNELL : Der gemachte Mann: Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, 3. Aufl., Wiesbaden 2006. 13 Ludwig, Schwerhoff und Krug-Richter hörigkeit, Ehr- und Männlichkeitskonzepte verweisen dabei auf die Bedeutung von Gruppenkulturen und Verkehrskreisen für die kulturelle Praxis des Duells. Verknüpft damit ist die Frage nach der Bedeutung des Duells als Instrument der Ex- und Inklusion aus bzw. in gesellschaftliche Teilformationen und dem Stellenwert, den das Duell innerhalb eines größeren Ensembles von derartigen Instrumenten einnahm. Zugleich werden zunehmend literarische, publizistische und theologische Texte, aber auch Gerichtsakten und Selbstzeugnisse auf subjektive Konzeptionen dieses gesellschaftlichen Phänomens hin untersucht. 13 Wenn überhaupt noch die rechtlich-normativen Entgegnungen auf das Duell betrachtet werden, so sind diese immer nur eine unter vielen zeitgenössischen Sichtweisen - für ein Abbild ‚realer Verhältnisse‘ werden normative Texte ohnehin schon lange nicht mehr gehalten, vielmehr wird die wechselseitige Bedingtheit von Normen und den diesen Normsetzungsprozessen zugrunde liegenden gesellschaftlichen ‚Problemlagen’ betont. 14 Ganz in diesem Sinne ist auch dieser Sammelband als ein Kind seiner Zeit zu verstehen. Ziel ist es, die Spezifik des Duells als kultureller Praktik im Kontext sich wandelnder Wertesysteme zu erfassen. Hierfür bietet sich ein zeitlich übergreifendes Vorgehen an. Der vorliegende Band versammelt entsprechend Beiträge vom Mittelalter bis zur Moderne. Zugleich war es unser Anliegen, eine stärker interdisziplinäre Betrachtung des Phänomens voranzutreiben. Daher finden sich neben den Überlegungen von Historikerinnen und Historikern auch Beiträge aus der Kunst- und Rechtsgeschichte, der Ethnologie/ Volkskunde, Soziologie, Literaturwissenschaft und Pädagogik. Nicht nur, aber auch diesem interdisziplinären Zugriff ist es zu verdanken, dass der Band einer doppelten Blickrichtung verpflichtet ist: Gegenstand der Betrachtung sind einerseits die Praktiken des Duells und andererseits dessen Re-Präsentationen und damit die Sinn stiftenden ‚Verarbeitungen’ der Praktiken. Räumlich ist ein Schwerpunkt im deutschsprachigen Raum auszumachen, wenngleich dieser geografische Rahmen auch immer wieder überschritten wird. Programmatisch lassen sich in der aktuellen Forschung und damit auch in diesem Band zwei konzeptionelle Zugangsweisen auf das Duell erkennen. Zum einen wird mit einem phänomenologischen Zugriff nach Bedeutung und Sinn von Zweikämpfen als räumlich und zeitlich übergreifenden Erscheinungen gefragt. Im Fokus stehen dabei Praktiken des Konfliktaustrags in ihrem konkreten Vollzug. Zum anderen werden in einem Zugriff, der sich stärker an Befunden der historischen Semantik orientiert, die temporalen Schichten der Bedeutungen und die damit verbundenen Konzepte und Sinnstiftungen des Duells betont. D. h., es wird danach gefragt, was das Duell von 13 Vgl. etwa: Jennifer L OW : Manhood and the Duel: Masculinity in Early Modern Drama and Culture, New York NY 2003; Irina R EYFMAN : Ritualized violence Russian style. The duel in Russian culture and literature, Stanford CA 1999. 14 Hierbei handelt es sich um eine umfassende Neubewertung der Bedeutung und Wirkungslogiken von Normsetzungen, die natürlich auch und v. a. jenseits der Duellforschung verankert ist. Lothar S CHIL - LING : Gesetzgebung als Kommunikation. Zu symbolischen und expressiven Aspekten französischer ‚ordonnances de réformation’ des 16. und frühen 17. Jahrhunderts, in: Helmut N EUHAUS / Barbara S TOLLBERG -R ILINGER (Hg.): Menschen und Strukturen in der Geschichte Alteuropas. Festschrift Johannes Kunisch zur Vollendung seines 65. Lebensjahres, Berlin 2002, 133-165 14 Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung anderen Praktiken des Ehrenkampfes unterschied. In diesem Sinne wird das Duell als raumzeitlich begrenztes Phänomen konzeptionalisiert; anstelle der zeitlich übergreifenden Praktiken stehen hier die diskursive Bedingtheit dieser Praktiken und deren jeweilige Deutung als Duell im Blickpunkt. Gerade in einer zeitlich übergreifenden Perspektive liegen die Chancen, die der erstgenannte, praxeologische Zugriff bietet, treten doch hier die Bedeutung von Ehr- und Jungmännerkulturen für die Ausformungen von letztlich immer ähnlichen, stark ritualisierten Gewaltpraktiken hervor. Ausgehend von diesen Ähnlichkeiten lässt sich das Duell (im Sinne eines analytisch konstruierten Idealtyps) als eine immer wiederkehrende Grundform eines ritualisierten Zweikampfes begreifen. Die in dieser Perspektive ausgemachte Vielfalt ‚duellähnlicher’ Gewaltphänomene ist dabei nicht nur in Gegenwartsgesellschaften zu beobachten, sondern sie bestand auch in der Vormoderne. Hier kann ihnen ein entsprechend vielfältiges semantisches Feld (Balgerei, Schlagen, Hauen etc.) zugeordnet werden. Deutlich wird damit, dass in diesem praxeologisch ausgerichteten Verständnis des Duells eine klare Abgrenzung zwischen den Begrifflichkeiten in den Forschungskonzepten (hier wird dann von Duell gesprochen) und den bearbeiteten Quellen (hier wird eine entsprechende Handlung nicht zwingend als Duell bezeichnet) nötig ist. Im Sinne einer klareren analytischen Unterscheidung wäre allerdings die Verwendung des Überbegriffes ‚ritualisierter Zweikampf‘ als Kategorie für einen bestimmten Typus von Gewalt denk- und nutzbar, ist dieser doch unabhängig davon, ob in den entsprechenden Untersuchungsräumen und -zeiten ein entsprechendes Gewalthandeln als Duell bezeichnet wurde oder auch nicht. 15 Grundsätzlich möglich bleibt aber auch ein analytisch als Idealtypus vorgestellter Terminus technicus ‚Duell’. Für einen solchen Terminus technicus ließe sich ein Bündel von Merkmalen bestimmen. Mögliche Merkmale könnten etwa die Zweierkonstellation, die distinguierende Funktion des Handlungsmusters, die grundsätzliche Erlaubnis zum Töten oder auch spezifische Ritualisierungen im Konfliktverlauf sein, z. B. eine öffentliche Ausforderung zum Kampf. Die einzelnen Merkmale in ihrer Gesamtheit können dabei mit Blick auf die räumliche und zeitliche Weite des Analyseinstruments kaum als zwingend notwenig für die Zuordnung eines Konfliktes zum Typus des ritualisierten Zweikampfes angesehen werden. Die definitorische Basis eines derartig konzeptionalisierten analytischen Duellbegriffes bildet vielmehr gerade die Vielfalt an Merkmalen, von denen im Einzelfall jeweils eine kritische Masse, aber eben nicht alle zutreffen müssen. Auf diese Weise könnten einerseits die Varianzen zwischen Phänomenen innerhalb eines spezifischen raumzeitlichen Settings erfasst werden, aber andererseits sind auch übergreifende Vergleiche möglich. Das historisch begrenzte Phänomen Duell, das an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert aufkam, sich von Italien aus über Europa ausbreitete und im frühen 20. Jahrhundert schließlich weitgehend ausklang, ist im Kontext eines solchen, weiten Duellverständnisses dann nur als eine ‚spezifische Form’ eines deutlich umfassender angelegten phänomenologischen Duellkonzepts zu begreifen. Um die Differenz zwischen einem weiten Duellbegriff im Sinne einer analytischen Kategorie und dem Duell als einer spezifischen Form kenntlich zu machen, schlägt 15 So auch der Vorschlag von Monika M OMMERTZ in ihren Beitrag in diesem Band. 15 Ludwig, Schwerhoff und Krug-Richter Pieter Spierenburg vor, formal zwischen ‚ordentlichen’ und ‚populären’ Spielarten zu unterscheiden. 16 Den populären Formen des Duells werden bei Spierenburg dabei Phänomene zugeschlagen, die nach dem jeweiligen zeitgenössischen Verständnis nicht als Duell begriffen wurden. Zu ergänzen wären diese vormodernen populären Formen dann um Phänomene der Gegenwartsgesellschaft, in denen ehrbetonte Formen von Zweikämpfen (wieder vermehrt) auftreten. Angesichts dieser ‚weichen’ Begrenzung des Phänomens tritt im Kontext eines praxeologischen Zugriffs die Frage nach dem Aufkommen, der Aneignung und Anwendung eines raumzeitlich spezifischen Phänomens Duell zurück, einem Duell also, das sich nicht nur durch ein Bündel von Merkmalen des Gewaltaustrags auszeichnete, sondern bei dem dieser Gewaltaustrag auch mit einer spezifischen Idee vom Duell verbunden war. Gerade im Vergleich mit anderen Formen des Konfliktaustrags begegnet das Duell hier als etwas Anderes, als etwas Besonderes. Diese spezifische ‚Idee‘ vom Duell steht im Zentrum der zweiten konzeptionellen Zugangsweise: Ausgangspunkt ist hier die Annahme, dass nur dann von Duellen gesprochen werden sollte, wenn ein spezifischer Handlungszusammenhang von den Zeitgenossen überlicherweise als Duell bezeichnet wurde und man diese Bezeichnung auch verstand - also eine Idee vom Wesen des Duells als etwas Besonderes greifbar wird. 17 D. h. aber, dass in dieser Perspektive ein mit den Degen ausgetragener Ehrkonflikt zwischen zwei Adligen in der Mitte des 16. Jahrhunderts in Italien durchaus als Duell begriffen und gemeint sein konnte - ein gleichzeitiger und vom Handlungsablauf vergleichbarer Gewaltakt zwischen Adligen im Alten Reich oder Schweden aber nicht, weil die Beteiligten vor der Rezeption und Adaption des Begriffs keine Vorstellung davon hatten, was ein Duell sein sollte. Für sie war die Auseinandersetzung im Zweifel eine Schlägerei, ein Kampf oder eine Herausforderung. Die zeitlich übergreifende Präsenz und Bedeutung von bestimmten Zweikampfpraktiken und -formen oder von gewaltsam ausgetragenen Ehrkonflikten stehen dabei nicht in Frage. Aber die Subsumierung all dieser Phänomene unter einen analytischen Duellbegriff i. S. eines idealen Typs würde verdecken, dass in bestimmten Gemeinschaften erst in bestimmten Phasen ein weitgehender Konsens über eine spezifische Idee des Duells herrschte, die sich in ihrer Bedeutung von anderen Formen interpersonaler Gewalt unterschied. Aus dieser Perspektive ist ein Zweikampf damit nur dann ein Duell, wenn die daran unmittelbar oder mittelbar Beteiligten ein wie auch immer geartetes Konzept vom Duell besaßen, wenn es aus ihrer Sicht also eine Differenz gab zwischen einem mehr oder weniger ritualisierten Gewalthandeln zweier Personen einerseits und dem Duell als einer mit einem spezifischen Sinn, einer eigenen Logik ausgestatteten Form eines solchen Gewalthan- 16 Peter Spierenburg subsumiert unter popular duels mehr oder weniger unterschiedslos alle Zweikämpfe; formal duels seien hingegen durch elaborate ruels of conduct geprägt. Peter S PIERENBURG : A History of Murder. Personal Violence in Europe from the Middle Ages to the Present, Cambridge MA 2008, S. 71- 96, Zitat S. 72. 17 Gemeint ist hiermit, dass das einzelne ‚Duell’ als konkrete Handlung in diachron vor- und nachgelagerte Rahmenbedingungen - das sind bestimmte Regeln, Vorstellungen und Deutungsmuster - eingebettet war, die das Duell als Duell erst stifteten und hervorbrachten. Zu dem hier zugrunde liegenden Konzept des ‚Begriffes’: Reinhart K OSELLECK : Begriffsgeschichten. Studien zur Semantik und Pragmatik der politischen und sozialen Sprache, Frankfurt a. M. 2010, hier S. 9-31, bes. S. 26. 16 Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung delns andererseits. 18 Zugleich blendet ein analytischer Duellbegriff tendenziell aus, dass die Idee des Duells räumlichen und zeitlichen Wandlungsprozessen unterlag. Die Idee des Duells im Frankreich des 17. Jahrhunderts unterschied sich also von der zeitgleich in Schweden anzutreffenden und ebenso von dem, was in Frankreich im späten 19. Jahrhundert unter einem Duell verstanden wurde. Der semantisch ausgerichtete Zugriff auf das Duell als historisches Phänomen schärft damit den Blick auf das Duell als einer spezifischen, wandelbaren und diskursiv bestimmten Form des Zweikampfes. Auf diese Weise rücken raumzeitlich begrenzte Deutungen von Handlungsweisen als Duell in den Fokus, 19 die einzelnen Praktiken als überzeitliche Konstanten treten hingegen zurück. Zugleich stellt sich die Frage nach den Spielarten, nach den Differenzen zwischen populären und ordentlichen Duellformen gar nicht erst, denn in dieser Perspektive gibt es keinen Idealtypus des Duells, sondern nur räumlich, zeitlich und damit immer auch kulturell variierende Ausformungen von Gewalt, die von der Gesellschaft bzw. von gesellschaftlichen Teilformationen in einer bestimmten Phase als Duell wahrgenommen, beschrieben und gedeutet wurden. 20 Der Befund, dass sich die Praktiken von den als Duell etikettierten Handlungsweisen und von anders bezeichneten Formen von Ehrenkämpfen mit Zweierkonstellation ähnelten, führt hier also zu der Frage, mit welchen Strategien das Duell trotz ähnlicher Handlungsmuster als etwas ‚Anderes’ konzeptionalisiert wurde und warum dies geschah. Beide hier skizzierten Zugangsweisen stehen in keinem generellen Gegensatz, sie kennzeichnen aber verschiedene Erkenntnisinteressen der Forschenden. Allerdings gilt es gerade bei der Verwendung der Begriffe ‚Duell’, ‚duellartig‘ etc. zur Kennzeichnung der jeweils betrachteten Phänomene die Differenzen der beiden Konzepte im Blick zu behalten. Besonders deutlich wird dies bei Phänomenen in Gegenwartsgesellschaften, bei denen der Begriff ‚Duell’ nur noch als Metapher Verwendung findet, etwa beim Fernseh- oder Rededuell oder bei stark ritualisierten Zweikampfformen zwischen Jugendlichen. Deren Bedeutung für die verschiedenen Betrachtungsweisen des Duells als Langzeitphänomen wurde bislang kaum hinreichend diskutiert. Gleichwohl zeigen 18 Dass sich in den Quellen dabei durchaus ‚Vertuschungsversuche‘ der Beteiligten finden konnten, steht nicht in Abrede. Allerdings gilt es zu bedenken, dass in den jeweiligen, gesellschaftlich verankerten Rechtspraxen die Etikettierung eines Duells als Schlägerei oder - im Falle eines tödlichen Verlaufs - als Totschlag keine Vorteile brachte, ganz im Gegenteil. Gerade mit Blick auf die ausgesprochen umfassende Gnadenpraxis im Fall von Duellen lohnten sich derartige Umetikettierungen zu unspezifischeren Gewaltformen nicht - was den Zeitgenossen nicht entgangen sein dürfte. Vgl. zur Gnadenpraxis den Beitrag von Ulrike L UDWIG in diesem Band. 19 Das Duell wird also historisiert und als räumlich (auf Europa und ausgehend von hier auf Nordamerika und die europäischen Kolonien) und zeitlich (von etwa 1500 bis zum ersten Drittel des 20. Jahrhunderts) begrenztes Phänomen verstanden. 20 Wenn also im 17. Jahrhundert unter Duellen - etwa im Alten Reich - Gewalthandeln verstanden wurde, das in seiner Form nur bedingt festen Regeln folgte und den daran Beteiligten die Idee einer sozialen Zugangsbeschränkung für Duellanten im Sinne der Existenz von satisfaktionsfähigen Gruppen fehlte, dann heißt das nicht, dass die Duelle des 17. Jahrhunderts noch keine richtigen Duelle waren. Vielmehr waren sie für die Beteiligten ganz selbstverständlich die einzig mögliche Form des Duells. Im 19. Jahrhundert war dann das, was man unter einem Duell verstand, etwas ganz Anderes. Es gab inzwischen gedruckte Duellcodices und auch das Konzept einer satisfaktionsfähigen Gesellschaft, das freilich punktuell immer durchlässig blieb. 17 Ludwig, Schwerhoff und Krug-Richter gerade solche modernen Phänomene an, dass es sich verbietet, ältere Formen einfach als fremd, archaisch und ‚unzivilisiert‘ zu etikettieren, vielmehr eröffnet sich hier die Möglichkeit, über zeitlich übergreifende Praktiken der In- und Exklusion in besondere Gruppenzusammenhänge nachzudenken. Der Band ist in fünf Sektionen unterteilt, die im Folgenden kurz präsentiert werden sollen. Durch die Aufnahme von Sektionskommentaren wurde den Beiträgen ein Element der Diskussion hinzugefügt, das zumindest einen Teil der Debatten einzufangen vermag, die auf der diesem Band zugrunde liegenden Tagung am Zentrum für interdisziplinäre Forschung in Bielefeld intensiv geführt wurden. In der Duellforschung kamen bisher erst ansatzweise disziplinär übergreifende Forschungsansätze zum Tragen. 21 Gleichwohl bietet der gegenwärtige Stand der Forschung genügend Stoff für interdisziplinär ausgerichtete Frageperspektiven auf das Thema. Die Beiträge der e r s t e n S e k t i o n vermessen und diskutieren aus verschiedenen fachlichen Perspektiven heraus Potentiale, Herangehensweisen und Fragehorizonte der Ehr- und Gewaltforschung mit Blick auf Aspekte einer Geschichte des Duells. Die erste Sektion liefert damit quasi vier disziplinär kontextualisierte Einleitungen in das Thema, die ihrerseits kommentiert werden. U LRIKE L UDWIG und G ERD S CHWERHOFF geben in ihrem Beitrag zu bedenken, dass gerade in einer historisch vergleichenden Perspektive der bislang zumeist vertretene Ansatz einer ‚klassischen’, quasi idealtypischen Duelldefinition zu überdenken sei. 22 Denn dieser Ansatz geht vor der Schablone eines idealen Handlungsablaufes, der i. d. R. eng an Duelldefinitionen des 19. Jahrhunderts angelegt ist, von der Idee einer wesenskonstituierenden Regelhaftigkeit des Duells aus. 23 Auf diese Weise werden aber die Variabilitäten der unter dem Etikett Duell firmierenden Gewaltpraxen verdeckt. Um das Duell gerade auch in räumlich und zeitlich vergleichender Perspektive angemessen zu erfassen, ist es daher sinnvoll, die sich wandelnde diskursive Verfasstheit des Phänomens systematisch zu berücksichtigen. Es gelte also, Duelle als Ergebnis kollektiver Zuschreibungen und Imaginationen an eigenes und fremdes Gewalthandeln zu analysieren. Ludwig und Schwerhoff unterstreichen damit die Fruchtbarkeit der zweiten der beiden gerade skizzierten konzeptionellen Zugangsweisen. 21 Vgl. hierzu v. a. die Beiträge in: Ludgera V OGT / Arnold Z INGERLE (Hg.): Ehre. Archaische Momente in der Moderne, Frankfurt a. M. 1994; Uwe S CHULTZ (Hg.): Das Duell. Der tödliche Kampf um die Ehre, Frankfurt a. M./ Leipzig 1996. 22 Klassische Duelle seien, so Frevert, verabredete, regelhafte und mit tödlichen Waffen ausgefochtene Zweikämpfe gewesen, in denen man […] seine Ehre unter Beweis stellte. Ute F REVERT : [Art.] Duell, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2005, Sp. 1165-1168, hier Sp. 1165. Spierenburg nutzt die Beschreibung eines schottischen Adligen aus dem Jahre 1790, um das formale Duell zu definieren und hebt ebenso die ehrgeleitete Logik, die Regelhaftigkeit der Kämpfe und die Todesbereitschaft hervor. S PIERENBURG : A History of Murder (Anm. 16), S. 71 f. 23 Zur definitorischen Offenheit des vormodernen Duells und der sukzessiven Ausformulierung einer eng begrenzten Duelldefinition in rechtshistorischer Perspektive vgl. auch den Beitrag von Marc B ORS in diesem Band. 18 Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung In ihrem einleitenden Impuls zur Tagung betonte B ARBARA K RUG -R ICHTER dagegen aus der Perspektive der Volkskunde/ Europäischen Ethnologie die Parallelen zwischen historischen und gegenwärtigen Gewaltpraxen. Sie wählte mithin eher die erste der beschriebenen Zugangsweisen. Bei Diskussionen in Internet-Foren wie dem ‚kampfkunstboard’, bei jugendlichen Massenschlägereien in modernen Städten, bei Beleidigungsritualen unter Kindern und Jugendlichen und insbesondere bei der Karriere der Mutterbeleidigung (‚Verpiss Dich, Du Hurensohn! ’ - ‚Fick Deine Mutter’) machte Krug-Richter deutliche Parallelen zu Ehrvorstellungen und Verhaltensweisen in der europäischen Vormoderne aus. Hier wie da gehe es um soziale Distinktion, sei es zwischen Hauptschülern und Gymnasiasten, sei es zwischen Vertretern verschiedener Migrantengruppen bzw. zwischen ‚ausländischen‘ und ‚deutschen‘ Jugendlichen. 24 Insbesondere der HipHop operiere gezielt mit Konzepten wie Ehre und Respekt. 25 Die aktuelle Volkskunde/ Europäische Ethnologie, so Krug-Richter, nehme insbesondere die modernen Formen des männlichen Kampfes in den Blick. Doch sei gerade ein komparativer Ansatz beim Studium vergangener und moderner Gewaltpraxen weiterführend. Ansätze dafür habe bereits die sogenannte rechtliche Volkskunde geboten, die sich unter anderem mit Rauf- und Ehrenhändeln und der Bedeutung der Ehre in der vormodernen Gesellschaft beschäftigt habe, heute jedoch im Fach keine große Rolle mehr spiele. Eine moderne europäische Ethnologie habe gerade auf diesem Feld des Vergleichs ihre besondere Aufgabe. 26 Mit Bezugnahme auf geschlechtertheoretische Ansätze betont der Soziologe M ICHAEL M EUSER , dass der ‚duellartige’ Konfliktaustrag in den von ihm betrachteten Jungmännergruppen immer auch als Modus zur Darstellung von Männlichkeit zu begreifen ist und dem Austrag von ‚ernsten Spielen des Wettbewerbs’ 27 grundsätzliche Bedeutung als Strategie homosozialer Vergemeinschaftung zukommt. 28 Als zentrales Wesensmerk- 24 Exemplarisch: Christian P FEIFFER : Friedlich nach innen - die Faust dem Fremden. Eine neue Untersuchung zur Jugendgewalt in Deutschland zeigt Positives und Bedrohliches, siehe unter: URL: http: / / www.kfn.de/ versions/ kfn/ assets/ jugendgewalt101105.pdf (zuletzt am 20. September 2011). Eine gekürzte Fassung des Artikels findet sich unter dem Titel ‚Der Macho als Vorbild’ in: Die ZEIT Nr. 46 vom 10.11.2005, S. 4. 25 Vgl. etwa: Gabriele K LEIN / Malte F RIEDRICH : Is this real? Die Kultur des HipHop, Frankfurt a. M. 2003; Sebastian K REKOW : Bei uns geht einiges. Die deutsche HipHop-Szene, Berlin 2000. 26 Grundlegend dazu und nach wie vor breit rezipiert werden: Karl-Siegmund K RAMER : ‚Ehre’, in: DERS ., Grundriß einer rechtlichen Volkskunde, Göttingen 1974, S. 46-60; sowie: Ruth-Elisabeth M OHRMANN : Volksleben in Wilster im 16. und 17. Jahrhundert, Neumünster 1977, hier insbes. S. 218-239. Die jüngeren Tendenzen zusammenfassend siehe: Barbara K RUG -R ICHTER : Vom Rügebrauch zur Konfliktkultur. Rechtsethnologische Perspektiven in der Europäischen Ethnologie, in: Jahrbuch für Volkskunde 2006, S. 27-40. 27 Dieser Zugriff auf das Phänomen stützt sich auf Überlegungen Pierre Bourdieus. Vgl. dazu: Pierre B OURDIEU : Die männliche Herrschaft, in: Irene D ÖLLING / Beate K RAIS (Hg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis, Frankfurt a. M. 1997, S. 153-217, hier S. 203. 28 Vgl. dazu auch: Michael M EUSER : Ernste Spiele. Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb der Männer, in: Nina B AUER / Jens L UEDTKE (Hg.): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit. Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland, Opladen/ Farmington Hills 2008, S. 33- 44; DERS .: It’s a Men’s World. Ernste Spiele männlicher Vergemeinschaftung, in: Gabriele K LEIN / Michael M EUSER (Hg.): Ernste Spiele. Zur politischen Soziologie des Fußballs, Bielefeld 2008, S. 113-134. 19 Ludwig, Schwerhoff und Krug-Richter mal dieser Wettkämpfe hat dabei die Gleichzeitigkeit von Assoziation und Konkurrenz zu gelten. Gewalt fungiere damit als Exklusions- und Inklusionsmechanismus, ein Aspekt, der gerade für die Frage nach den Funktionen von Zweikämpfen für die Her- und Darstellung von Anwesenheits-Gruppen interessant ist. Aus der Perspektive einer interkulturell verorteten Pädagogik verweisen A HMET T OPRAK und A LADIN E L -M AFAALANI darauf, dass für die Konzeptionalisierung von Ehre parallel bestehende Deutungs- und Handlungssysteme stärker berücksichtigt werden müssen. Aus der (Zusammen-)Arbeit mit Jugendlichen mit einem türkisch geprägten Migrationshintergrund sei etwa bekannt, dass neben der Ehre auch dem Ansehen und der Freundschaft zentrale Bedeutung für das individuelle Handeln zukommen. Im Anschluss daran lässt sich die Frage stellen, ob der enge Konnex zwischen Ehrkonzepten und Duellen als Handlungsmuster nicht um andere Aspekte ergänzt werden müsste. S IXT W ETZLER wendet sich in seinem Beitrag 29 der Bedeutung von Fechtformen als habituellem Gestus zu. Gerade mit Blick auf die Ausbildung bestimmter Kampfformen im Duell gilt es, den Wandel der Waffen zu beachten, der im Verlauf des 16. und 17. Jahrhunderts zunächst dem Ideal der sprezzatura, der Leichtigkeit geschuldet war und zur Ausbildung von Kampfformen nach den Idealen der Geometrie führte. Damit löste sich der Fechtstil aber von der genuinen Logik des Kämpfens, die letztlich im Sieg liegt, und zielte zunehmend auf die Einhaltung ästhetischer Codes, die den Idealen des Tanzes nicht unähnlich waren. 30 Im 19. Jahrhundert folgte dann eine neuerliche Abkehr von der artifiziellen Zierlichkeit und eine Begeisterung für das Säbelfechten. Gerade diese Rückbindung der Kampfpraktiken an Ideologien der angemessenen Bewegung zeigt dabei die enge Verzahnung zwischen Gewaltpraktiken und dem Einfluss von Bedeutungszuweisungen an die Praktiken, die diese entscheidend verändern konnten. Die Zusammenschau der verschiedenen Beiträge der Sektion macht deutlich, so auch M ONIKA M OMMERTZ in ihrem Kommentar, wie wichtig es ist, über die diskursive Bedingtheit des Phänomens Duell einerseits und die Bedeutung von Zuschreibungen an das Phänomen durch die Betrachter und die medialen Auslöser einer gesteigerten Wahrnehmung andererseits nachzudenken. Zugleich schlägt sie vor, unter dem Label des ‚ritualisierten Zweikampfes’ in einem vergleichenden Zugriff nach zeitlich, räumlich und kulturell übergreifenden Aspekten der Ehr- und Gewaltkultur zu fragen. Im Anschluss daran und im Ergebnis der gesamten Diskussion zur Sektion ist festzuhalten, dass sich letztlich die Frage nach der diskursiven Bedingtheit der untersuchten Phänomene mit besonderer Dringlichkeit stellt, um der Gefahr der Stilisierung der Praktiken als ontologisch und einer damit verknüpften unzulässigen Verkürzung zu entgehen. Als das Duell im 15. Jahrhundert auftrat, war es als Handlungsmuster und in seiner strafrechtlichen Konstruktion ein Novum. Gleichwohl kann es nicht losgelöst von Vorformen und Vorbildern betrachtet werden, zumal diese seit dem 16. Jahrhundert Teil der Eigengeschichtsschreibung wurden. 31 Daraus ergibt sich die Frage, welche Bezüge 29 Dieser Beitrag kam für den Sammelband ergänzend hinzu. 30 Vgl. dazu auch: Dmitri Z AKHARINE : Von Angesicht zu Angesicht. Der Wandel direkter Kommunikation in der ost- und westeuropäischen Neuzeit, Konstanz 2005, hier bes. S. 282-313. 31 Exemplarisch sei hier lediglich verwiesen auf: [Art.] Zweykampf (Anm. 2). 20 Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung zwischen dem Duell und den zuvor bestehenden Formen der männlichen Konfliktaustragung bestanden. Die Beiträge der z w e i t e n S e k t i o n befassen sich daher mit der Frage, in welcher Weise sich aus dem mittelalterlichen Kampfordal (S ARAH N EUMANN ) und den ritterlichen Zweikampfformen (M ALTE P RIETZEL ) das frühneuzeitliche Duell entwickelte. In den Beiträgen wird dabei deutlich, dass es besonders gewinnbringend ist, Inszenierungen ritualisierter Gewalt in Zweikampfdarstellungen auf ihre Wirkmächtigkeit hin zu befragen. Denn in diesen Darstellungen findet sich mit dem Zusammenhang zwischen Zweikampf und Ehre ein entscheidendes integratives Moment, durch das die Zweikampfpraktiken als gruppenspezifische Formen des Gewalthandelns präsentiert werden. Gerade in diesen Darstellungsmustern ist aber ein entscheidendes, zeitlich übergreifendes Moment erkennbar, an dem entlang Verknüpfungen zwischen mittelalterlichen Zweikampfidealen und dem frühneuzeitlichen Duell sinnvoll zu diskutieren sind. Zugleich können gerade Ehrenzweikämpfe vor Kampfgerichten als Übergangsform zwischen mittelalterlichen Formen des Zweikampfes und dem Duell begriffen werden. 32 Allerdings ist hier nicht von einer linearen Entwicklung auszugehen, vielmehr sollte von Phasen der phänomenologischen Überlappung gesprochen werden. Zugleich sind diese Zwischenformen - so auch U WE I SRAEL in seinem Kommentar - besonders interessant für die Diskussion um Kontinuität und Neubeginn. Spezifische Medien und damit verknüpfte Diskursfelder waren auch für die Verbreitung, Etablierung sowie die Um- und Neuformung des Duells in der Frühen Neuzeit und frühen Moderne zentral. Die Beiträge der d r i t t e n S e k t i o n beschäftigen sich in einem exemplarischen Zugriff mit den Deutungen des Duells in der Literatur (R I - CHARD C RONIN ), in theologischen (A LEXANDER K ÄSTNER und U LRIKE L UDWIG ) und juristischen Texten bzw. Rechtsnormen (M ARC B ORS und U LRIKE L UDWIG ). Diese Diskursfelder waren für die Verbreitung und vor allem die konkrete Ausformulierung des Duellverständnisses innerhalb bestimmter Gesellschaften von zentraler Bedeutung. 33 Gerade der Vergleich zwischen den Beiträgen dieser Sektion macht deutlich, dass die Repräsentationen des Duells innerhalb verschiedener Diskurse ganz unterschiedliche Funktionen hatten: Sie konnten sowohl einer legitimierenden wie einer delegitmierenden Stoßrichtung folgen, Fragen des Seelenheils und religiöser Zugehörigkeit konnten diskutiert und ebenso Männlichkeitskonzepte über das Duell verhandelt werden. Hier ergaben sich zeitgleich durchaus widerstreitende Deutungsangebote - etwa zwischen seelsorgerisch und im Ergebnis häufig positiv ausgerichteten Deutungen individueller Duellfälle oder deren literarischen Verklärungen einerseits und der deutlich restriktiveren theologischen und juristischen 32 Siehe hierzu auch: Marco C AVINA : La fornalizzazione del duello nel Rinascimento, in: Uwe I SRAEL / Gherado O RTALLI (Hg.): Il duello fra Medioevo e età moderna. Prospettive storico-culturali, Rom 2009, S. 63-70. 33 Mit Blick auf die Literatur als Medium des Transfers und der Etablierung des Duells innerhalb der Gesellschaft vgl. den Beitrag von Markku P ELTONEN in diesem Band; für den russischen Fall: R EYFMAN : Ritualized violence (Anm. 13); Dmitrij Z ACHAR ’ IN (= Dmitri Z AKHARINE ): Russische ‚Ehrenmänner’ und ‚Degenkavaliere’. Ein Beispiel erfundener Tradition und fiktiver Kontinuität, in: Die Welt der Slaven XLVI (2001), S. 259-282. 21 Ludwig, Schwerhoff und Krug-Richter Ablehnung des Duells andererseits. Letztere wurde jedoch wiederum durch eine umfassende Gnadenpraxis konterkariert. Angesichts dieser vielfältigen und widersprüchlichen Deutungsangebote dürfte es daher - wie K ARL H ÄRTER in seinem Kommentar betont - besonders gewinnbringend sein, künftig verstärkt nach den Rückwirkungen der Diskurse auf die Praktiken zu fragen und zu untersuchen, inwieweit von einer Dialektik zwischen (bestimmten) Diskursen und Praktiken auszugehen ist. Dabei gilt es auch, die Bedeutung von Diskursgemeinschaften der Textproduzenten und Rezipientenkreise im Blick zu behalten, deren soziale Zugehörigkeit möglicherweise entscheidend für die Wahrnehmung des Duells als elitäre Praxis war. Ausgehend von der Duellpraxis der Frühen und Späten Neuzeit wird in den Beiträgen der vierten und fünften Sektion nach Formen ständisch begründeter Teilhabe und damit verknüpften Praktiken des Duells gefragt. Eine territorial vergleichende Betrachtung der Duellkulturen liegt dabei erst in Anfängen vor, eine Lücke, die dieser Band allein nicht zu schließen vermag. Mit Blick auf die gegenwärtige Forschung zeigt sich allerdings, dass gerade die Frage nach Varianten der ständisch ausgerichteten Teilhabe neue Perspektiven auf das Duell eröffnet. So kann zwar räumlich und zeitlich übergreifend davon ausgegangen werden, dass Konzepte der Satisfaktionsfähigkeit eng mit der Zugehörigkeit oder zumindest der Nähe zu den Eliten der jeweiligen Gesellschaften verknüpft waren. Welche Gruppen dabei zur gesellschaftlichen Elite gerechnet wurden, unterlag aber stetigen Wandlungen. Allerdings waren die jeweiligen berufsbzw. geburtsständisch begründeten Elitenkonzepte lange an einem klar adligen Entwurf der Satisfaktionsfähigkeit ausgerichtet. Die Beiträge von Birgit Emich, Silke Marburg und Markku Peltonen, ergänzt um den Kommentar von Josef Matzerath - die gemeinsam die v i e r t e S e k t i o n bilden -, widmen sich dann auch dem Zusammenhang des Duells und seiner Deutung mit Blick auf Aneignungs- und Abgrenzungspraktiken durch Fürsten und Adel. Wie entscheidend die ‚Idee’ des Duells für die Wahrnehmung der angewandten Praktiken war, zeigt in besonderer Weise der Beitrag von B IRGIT E MICH . Am Beispiel der Duellforderungen zwischen Karl V. und Franz I. (in den Jahren 1526, 1528 und 1536) kann sie zeigen, dass eigene Handlungsweisen und die des Gegenübers je nachdem, ob die neue Idee vom Duell schon bei den Protagonisten verankert war oder auch nicht, ganz unterschiedlich gedeutet und bewertet wurden. Zugleich verdeutlicht das von Emich untersuchte Beispiel exemplarisch die zwischen verschiedenen europäischen Regionen phasenversetzte Herausbildung des Duells als kulturelles Muster und die zeitgleich anzutreffende Überlagerung verschiedener Deutungsmuster innerhalb unterschiedlicher gesellschaftlicher Formationen einer Region, die sich als Momentaufnahme eines Kulturtransfers in Sachen Duell erweisen. Für England waren die Transferprozesse, wie M ARKKU P ELTONEN überzeugend herausstellt, eng mit gelehrten Schriften über das Duell verknüpft, die einen wichtigen Anstoß für die Deutung eines spezifischen und damit auch stärker abgrenz- und unterscheidbaren Sets an Praktiken als Duell lieferten. Zugleich verweist Peltonen auf einen Prozess der innergesellschaftlichen Konversion des Duells: Denn dessen Wahrnehmung und Deutung als fremdkulturelle Praktik wurde am Ende des 17. Jahrhun- 22 Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung derts von neuen Geschichtskonstruktionen überlagert, die das Duell nun als typisch britisch kennzeichneten. In der Umdefinition des Fremden zum Bestandteil der eigenen Kultur zeigt sich besonders markant eine Neuerfindung der eigenen Duelltradition. S ILKE M ARBURG führt am Beispiel der Novelle ‚Der Entehrte’, die der sächsische König Johann 1872 verfasst hatte, ein prominentes Beispiel der Duellgegnerschaft am Ende des 19. Jahrhunderts vor. Die Novelle verweist auf einen geänderten Ehrbegriff dieser Zeit, der auf dem Fundament moraltheologischer Erklärungsmuster den Duellverzicht als Zeichen einer höheren Ehre deutete - wenngleich natürlich anzumerken ist, dass diese Neukonzeptionalisierung angesichts der anhaltenden Verbreitung des Duells nur als ein möglicher und keineswegs als der einzige oder dominante Standpunkt zu betrachten ist. Gerade der Vergleich dieser drei Beiträge sehr unterschiedlichen Zuschnitts macht zwei Aspekte deutlich: Zum einen ging es bei den Auseinandersetzungen um Duelle und Duellanten zwischen Fürsten und Adel immer auch um das Aushandeln verschiedener Herrschaft- und Machtstrategien. Noch weitgehend offen ist dabei allerdings, inwieweit bestimmte Elitekulturen zur Ausprägung spezifischer Muster der Satisfaktionsfähigkeit beitrugen 34 und wann sich Wandlungsprozesse bei der Ausprägung bestimmter Duellkonzepte mit Veränderungen in der Zusammensetzung der gesellschaftlichen Eliten erklären lassen. Zum anderen gilt es aber - wie J OSEF M ATZE - RATH in seinem Kommentar besonders betont - hinsichtlich der Konstituierung von Ehre und der Selbstvergewisserung ständischer Zugehörigkeit im Blick zu behalten, dass das Duell der Extremfall im ‚distinktiven Wettbewerb’ gewesen sei. Die f ü n f t e S e k t i o n vereint Beiträge, die sich den berufsständischen Gruppen der Militärs, Handwerker und Studenten zuwenden. Auf die Bedeutung von Gruppenkulturen und Verkehrskreisen für das Phänomen einer Duellkultur muss dabei kaum eigens hingewiesen werden. Von Interesse ist allerdings die Frage, in welcher Weise sich die Partizipation einzelner Gruppen bzw. von Einzelpersonen in größeren Gruppen an den Duellkulturen in den verschiedenen Gemeinschaften erklärt. In besonderer Weise stellt sich diese Frage für die geburtsständisch gemischten Gruppen des Militärs und der Studentenschaft. So kann M AREN L ORENZ am Beispiel des Militärs in den norddeutschen Territorien des Alten Reiches aufzeigen, dass das Duell hier als sozial übergreifendes Phänomen erkennbar wird. Zugleich stellt sie mit Blick auf die Duellpraktiken heraus, dass sich diese von anderen Formen gewaltsam ausgetragener Ehrkonflikte kaum unterschieden. Auch G UNDULA G AHLEN stellt für das von ihr untersuchte bayerische Offizierskorps im 19. Jahrhundert eine weitgehend offene soziale Teilhabe an der Praxis des Duells fest. Ihre Befunde konterkarieren dabei in gewisser Weise das in der Duellforschung bislang zumeist herangezogene preußische Beispiel; so war das bayerische Korps nicht nur von einem phasenweise erheblichen Anteil bürgerlicher 34 Erste Ansätze hierzu liefert: Ronald G. A SCH : „Honour in all parts of Europe will be ever like itself“. Ehre, adlige Standeskultur und Staatsbildung in England und Frankreich im späten 16. und im 17. Jahrhundert: Disziplinierung oder Aushandeln von Statusansprüchen? , in: DERS ./ Dagmar F REIST (Hg.): Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2005, S. 353-379; DERS .: Staatsbildung und adlige Führungsschichten in der Frühen Neuzeit: Auf dem Weg zur Auflösung der ständischen Identität des Adels? , in: Geschichte und Gesellschaft 33.3 (2007), Themenheft: Adel in der Neuzeit, S. 375-397. 23 Ludwig, Schwerhoff und Krug-Richter Offiziere geprägt, sondern diese wiesen auch eine deutlich heterogene soziale Herkunft auf. Besonders Offiziere aus mittleren und unteren Gesellschaftsschichten nutzten dabei in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts das Duell als Zugangsstrategie zur satisfaktionsfähigen Gesellschaft. Auch mit Blick auf die Ausbildung eines Duellzwangs verlief die bayerische Entwicklung nicht parallel zur preußischen, da hier die Etablierung eines Duellzwangs erst ab den 1880er Jahren einsetzte. Für die Gruppe der Studenten verweist B ARBARA K RUG -R ICHTER unter Berücksichtigung einer weiter zu fassenden studentischen Konflikt- und Gewaltkultur darauf, dass innerhalb des studentischen Milieus vor allem im 16. und 17. Jahrhundert ständische Grenzen kaum Einfluss auf die Bereitschaft hatten, Konflikte über Duelle oder duellähnliche Auseinandersetzungen auszutragen. Zugleich betont sie mit Blick auf die Strukturierung der Gewaltpraktiken, dass auch die sogenannten Rencontres keinesfalls so regellos abliefen wie allgemein angenommen. Dass sich die Existenz des Duells in berufsständischen Gruppen nicht mit einem pauschalen Hinweis auf die vermittelnde Bedeutung von (männlichen) Angehörigen des Adels in diesen Gruppen erledigt hat, macht schließlich der Beitrag von A NDREAS M EIER deutlich. Am Beispiel von Handwerkerduellen zeigt er, dass diesen scheinbar so untypischen Duellanten, aber auch den Vertretern der Gerichte und den Zeugen offenbar die Vorstellung einer auf die später so genannten satisfaktionsfähigen Gruppen 35 beschränkte Berechtigung zum Duell unbekannt war, wenngleich die Handwerkerduelle im Reich letztlich ein Randphänomen blieben. Insgesamt machen die Beiträge dieser Sektion deutlich, dass die soziale Teilhabe an der Duellkultur bereits in der Frühen Neuzeit weit gefasst werden muss, ein Befund, der im Übrigen nicht auf das Alte Reich zu beschränken ist. So zeigt sich etwa für Frankreich im 18. Jahrhundert eine soziale Offenheit der Praktik Duell, das hier kein Vorrecht für Adlige und Offiziere war, sondern gerade auch unter einfachen Soldaten weit verbreitet gewesen ist. 36 M ARIAN F ÜSSEL betont in seinem Kommentar den Zusammenhang von korporativen Schutzräumen und der Ausprägung jeweils spezifisch ständischer Rationalitäten, die eng verknüpft waren mit der Ausbildung spezifischer Gewaltkulturen. Zugleich sei zu vermuten, so Füssel, dass gerade durch die Teilformation der Adligen unter den Studenten bzw. Militärs ein Trickle-down-Effekt des Duells als genutzter Gewaltpraktik vorangetrieben wurde. Insgesamt sei innerhalb der berufsständischen Gesamtformation 35 Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass sich vor der Wende zum 19. Jahrhundert die Wortbedeutung von ‚Satisfaktion‘ keineswegs auf das Duell beschränkte, sondern viel allgemeiner als Vergeltung begriffen wurde. Vgl. dazu den Beitrag von Ulrike L UDWIG in diesem Band. 36 So kommt Pierre Serna bei der Untersuchung der ständischen Zugehörigkeit französischer Duellanten des 18. Jahrhundert zu dem Ergebnis, dass etwa 71% von denen, deren ständische Herkunft bestimmt werden kann, bürgerlich waren. Dabei dürfte der Anteil bürgerlicher Militärs erheblich gewesen sein, da nur 40 % der von ihm erfassten Duellanten Zivilisten waren. Allerdings betont er die soziale Offenheit auch unter den sich duellierenden Zivilisten. Vgl. dazu: B RIOIST / D RÉVILLON / S ERNA : Croiser le fer (Anm. 10), hier: Troisème Partie: La République des Duellistes, S. 239-370, zu den Befunden S. 362 ff. Für das 19. Jahrhundert stellte Stephan Geifes auf der Tagung ganz ähnliche Befunde vor. Von einer Verschriftlichung des Beitrages musste aus zeitlichen Gründen leider abgesehen werden. Vgl. aber auch: Stephan G EIFES : Le duel à l’époque Dreyfus, in: Laurent G ERVERAU / Christophe P ROCHASSON (Hg.): L’affaire Dreyfus et le tournant du siècle (1894-1910), Nanterre 1994, S. 169-171. 24 Zugriffe auf das Duell. Zur Einleitung frühzeitig eine große Dynamik und soziale Akzeptanz des Duells als kultureller Praktik zu verzeichnen. Zugleich mahnte er aber an, dass für eine vergleichende Perspektive terminologische Unklarheiten zu benennen und gemeinsam zu diskutieren seien. Die beiden abschließenden Beiträge einer kleinen s e c h s t e n S e k t i o n wenden sich schließlich noch einmal der Frage nach Kontinuität und Wandel sowie der Bedeutung von Darstellungskonventionen zu. P ETER W ETTMANN -J UNGBLUT fragt in seinem Beitrag nach der Bedeutung von Zweikämpfen als Element einer männlichen Jugendkultur. Problematisch sei letztlich, dass die Archive in vielen Fällen schweigen. Jungmänner könnten zwar als ‚Hüter der Unordnung’ (Norbert Schindler) gelten, doch diese Unordnung wurde häufig nur dann gerichtsnotorisch, wenn die innere Logik der Konfliktpraktiken die Einhegung des Gewaltanwendung gerade nicht sicherstellen konnten. In einer zeitlich übergreifenden Perspektive ist zugleich festzuhalten, dass die zahlreichen Konfrontationslinien sozialer Differenz unter männlichen Jugendlichen und Jungmännern ein Zufälligkeitsprinzip bei der Wahl potenzieller Konfliktgegner begünstigte und Gewalt innerhalb der Gruppe der Jungmänner als Phänomen langer Dauer anzusehen ist und bis weit in das 20. Jahrhundert hinein in der umgebenden Gesellschaft weitgehend akzeptiert war. T ERESA E NDE und J ÜRGEN M ÜLLER untersuchen in ihrem Beitrag die ästhetischen Strukturen der Darstellung des Duells in Bild und Film. Sie schließen mit ihren Überlegungen dabei noch einmal an die ganz grundsätzlichen Fragen zur Definition des Duells an. Denn die Frage, wieso ein Motiv als Duell erkannt wird, verdeutlicht den grundsätzlichen Einfluss spezifischer Deutungsmuster auf die Wahrnehmung der dargestellten Praktiken als Duell. Das Duell avancierte dabei relativ spät zum Bildmotiv, fungierte dann aber geradezu als Epochenmetapher der Sattelzeit; ein Umstand, der sowohl die zeitgenössischen Diskurse und Repräsentationen als auch deren spätere Rezeption beeinflusst hat. Wobei noch zu klären wäre, inwieweit sich im Ergebnis der ästhetischen Inszenierung des Duells (in bildlichen und literarischen Darstellungen) auch eine Änderung und entscheidende Vereinheitlichung der Formensprache in der Duellpraxis abzeichnete. Eine Antwort auf diese Frage muss indes künftigen Diskussionen und Untersuchungen vorbehalten bleiben. 25 I. Ansichten zum Duell - Disziplinäre Zugänge Ulrike Ludwig und Gerd Schwerhoff Ansichten zum Duell Geschichtswissenschaftliche Zugänge Am 14. Mai 1707 saßen etliche von Adel nach einem gemeinsamen Mittagessen auf dem Gut des Friedrich Wenzel von Gersdorff im sächsischen Niemitzsch beim Wein. Ziemlich unvermittelt, so scheint es, fragte einer der Gäste, Carl Rudolf von Nostitz, den Gastgeber, wieso dieser erklärt habe, dass er, von Nostitz, seine Ehefrau nicht werth sey. Gersdorff versuchte abzuwiegeln: Die bereits vor zwei Jahren gefallene Bemerkung sei von ihme zur Kurzweile auch gegen keine Frembden gesaget worden und in keiner Weise übel gemeint gewesen. Von Nostitz aber ließ sich weder vom Gastgeber noch von dessen Frau und Tochter beruhigen. Er zerschmiss sein Glas und forderte wütend, Gersdorff solle ihm beweisen, warum er seiner Frau nicht wert sei. Gersdorff bat ihn, sich zu setzen, ließ sogar ein zweites Glas für ihn kommen, um ihme eins aus guter Freundschafft zu [zu] trincken. Als von Nostitz auch noch das zweite Glas zertrümmerte, trat von Gersdorff vom Tisch zurück und verbat sich ein derartiges Benehmen. Trotz der Schlichtungsbemühungen eines weiteren Gastes, des Hofrichters zu Sommerfeld, eskalierte daraufhin der Streit. Von Nostitz ergriff den Degen und schlug ihn Gerßdorff durch den Huth bis auf die Hirnschale […] daß das bluth nur so hinunterfloss. Gersdorff ließ sich daraufhin in ein anderes Gemach bringen und von Nostitz ritt Hals über Kopf davon. Der Konflikt hatte ein gerichtliches Nachspiel; nicht zuletzt aufgrund der Adelsqualität der beiden Beteiligten wurde er bis vor den Geheimen Rat in Dresden getragen. 1 Handelte es sich bei dem skizzierten Streit um ein Duell? Die Zeitgenossen waren sich einig: ja! Ganz selbstverständlich verhandelten die Konfliktgegner, ebenso die Gerichte und die Behörden die Angelegenheit als ein solches. Kontrastieren wir damit eine moderne Forschungsdefinition, wie sie sich in der wegweisenden Arbeit von Ute Frevert findet: Klassische Duelle seien verabredete, regelhafte und mit tödlichen Waffen ausgefochtene Zweikämpfe gewesen, in denen man […] seine Ehre unter Beweis stellte. 2 Dabei sei es nicht darauf angekommen, wer am schnellsten zog oder die kräftigsten Hiebe austeilte; wichtig war allein die Tatsache, daß sich beide Gegner einem vielleicht tödlichen Kampf stellten und auf diese Weise zu erkennen gaben, daß sie ihre ‚Ehre’ höher schätzten als ihr Leben. 3 Ganz offensichtlich trifft die Frevert’sche Begriffsbestimmung den Streit der beiden sächsischen Adligen höchstens zu einem Teil: Sicher kreiste der Konflikt um einen point d’honneur, wenngleich schon hier Einwände auf der Hand liegen: Der zeit- 1 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (künftig: SächsHStADresden), 10024, Loc. 9993/ 2: Duell Mandata und wieder die Selbstrache ergangene Verordnungen 1525-1700, o. Pag. Dieser Fall ist zwischen die Beratungen zu den rechtlichen Bestimmungen gebunden, da er offensichtlich Anlass zu einer entsprechenden Beratung gegeben hatte. 2 Ute F REVERT : [Art.] Duell, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2005, Sp. 1165-1168, hier Sp. 1165. 3 D IES .: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 11. 29 Ludwig und Schwerhoff liche Abstand zwischen der ehrenrührigen Bemerkung und der gereizten Reaktion betrug immerhin zwei Jahre, so unausweichlich kann also die Ehrverteidigung kaum gewesen sein, zumal man zuvor scheinbar völlig einvernehmlich zusammen gespeist hatte. Um einen verabredeten, regelhaften Kampf handelte es sich keinesfalls. Tödliche Waffen kamen zwar zum Einsatz, aber doch nicht in gleichberechtigter Form, da es von Gersdorff nicht einmal gelang, seinen Degen zu ziehen. Um ein ‚klassisches‘ Duell gemäß der Definition handelte es sich mithin nicht. Dann also vielleicht um eine weniger klassische, unorthodoxe Variante des Duells? Welche Varianten aber gab es überhaupt? Oder ganz grundsätzlich gefragt: Was überhaupt ist ein Duell? Mit diesem Definitionsproblem im Hinterkopf sei sehr kurz und holzschnittartig ein Blick in die historische Forschungslandschaft vorausgeschickt. Lange Zeit gehörte das Duell, jedenfalls in Deutschland, ins Arsenal wissenschaftlicher Kuriositätenkabinette. Bemerkenswert sind die Umstände, die zu den ersten Publikationen eines profilierten preußischen Historikers in den 1890er Jahren führten: Aus der westfälischen Provinz befehdete Georg von Below viele Kollegen in schneidenden Rezensionen derart aggressiv, dass er sich schließlich eine Duellforderung des Berliner Privatdozenten Robert Hoeniger einhandelte. Der sehbehinderte von Below musste ablehnen und verfasste stattdessen eine Reihe kleinerer Abhandlungen zur Geschichte des Duellwesens. Erstrebtes Ziel all dieser publizistischen Kompensationsleistungen für den erzwungenen Duellverzicht war es dabei, so Hans Cymorek, das Duell-Unwesen mit der Autorität des Historikers als ‚undeutsche‘, nämlich romanische ‚Erfindung‘ zu entlarven und damit zugleich seine Ablehnung in der Gegenwart […] vom Makel zivilisatorischer Verächtlichkeit zu befreien; gerade der Duellgegner beweise wahre germanisch-deutsche Staats- und Rechtsgesinnung. 4 So befremdend, ja abstoßend von Belows von nationalstaatlichen Ressentiments geprägte Sichtweise sich heute liest, so scharfsinnig und hellsichtig waren manche seiner Beobachtungen. Es dauerte sehr lange, bis 1989, bevor ein anderer etablierter Außenseiter über das Duell publizierte: Norbert Elias, der große Soziologe und Menschenwissenschaftler. Für eine ‚Geschichte der Duellforschung‘ ist Elias in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Einerseits grundieren seine Forschungen zur Hofgesellschaft und zum Zivilisationsprozess bis heute die Debatten der Duellhistoriker; zum anderen wurde das Duell selbst in seinem Spätwerk über die gesellschaftlichen Eliten des Wilhelminischen Deutschland zum zentralen Gegenstand. 5 Den ritualisierten Zweikampf sah Elias als ein zentrales Integrationsmoment der ‚satisfaktionsfähigen Gesellschaft‘ des Kaiserreichs, als Verein- 4 Hans C YMOREK : Georg von Below und die deutsche Geschichtswissenschaft um 1900, Stuttgart 1998, S. 46. 5 Norbert E LIAS : Die satisfaktionsfähige Gesellschaft, in: ders.: Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Schröter, Frankfurt a. M. 1989, S. 61-158. Zu jüngeren, sehr stark von Forschungen zum französischen Hof geprägten Diskussionen zum Elias’schen Hofmodell und dessen Implikationen: Leonhard H OROWSKI : Hof und Absolutismus. Was bleibt von Norbert Elias’ Theorie? , in: Lothar S CHILLING (Hg.): Absolutismus, ein unersetzliches Forschungskonzept? Eine deutsch-französische Bilanz, München 2008, S. 143-172; siehe zudem die Beiträge in: Claudia O PITZ (Hg.): Höfische Gesellschaft und Zivilisationsprozeß. Norbert Elias’ Werk in kulturwissenschaftlicher Perspektive, Köln/ Weimar/ Wien 2005. 30 Ansichten zum Duell heitlichungsfaktor der heterogenen deutschen Oberschichten, aber auch als Indikator für eine problematische Durchbrechung des staatlichen Gewaltmonopols. 1991 legte dann Ute Frevert ihre inzwischen bereits klassische Studie zum ‚Duell in der bürgerlichen Gesellschaft‘ vornehmlich des 19. Jahrhunderts vor. Auch sie fokussierte also, wie Elias, die Spätzeit des Duells und revidierte so die vorher dominierende Sicht, es habe sich um einen Anachronismus gehandelt. Und auch sie stellte das Duell als soziales Distinktionsmittel im Schnittpunkt von Adel und Bürgertum, von Militär und Studentenkultur in den Mittelpunkt. Freilich ging sie weit über Elias‘ etwas holzschnittartige Perspektive einer Feudalisierung des Bürgertums hinaus 6 und zeigte sich überdies sehr stark interessiert an den Sinnzuschreibungen des Duellrituals und deren genderspezifischen Konnotationen. Natürlich gibt es jenseits der drei genannten Arbeiten eine Fülle von wertvollen Einzelstudien, etwa zur universitären Duellkultur, zum Militär oder zu einzelnen Regionen wie z. B. Bayern. 7 Eine zentrale Leerstelle bleibt aber das Fehlen systematischer Arbeiten zur deutschen Frühneuzeit. Analog zur deutschen ließe sich nun auch die Forschung zu anderen europäischen Ländern regional aufschlüsseln. In der letzten Generation hat sich insgesamt die Geschichte des Duells als Forschungsgegenstand breit etabliert, wenn auch der Eindruck einer großen Uneinheitlichkeit überwiegt. Dabei scheint die Intensität der Forschung keineswegs mit der Bedeutung des jeweiligen Gebietes für eine Geschichte des Duells zu korrespondieren. Zwar liegen zu Frankreich als einem Kerngebiet eine Reihe wichtiger Studien vor, 8 Italien als ein anderes wichtiges Mutterland des Duells dagegen wird bislang vor allem durch ältere bzw. stark rechtshistorisch geprägte Studien erschlossen. 9 6 Vgl. F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 3), S. 274, Anm. 12. 7 Stefan B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1990, hier S. 169-213; Martin B IASTOCH : Duell und Mensur im Kaiserreich am Beispiel der Tübinger Corps Franconia, Rhenania, Suevia und Borussia zwischen 1871 und 1895, Schernfeld 1995; Peter D IENERS : Das Duell und die Sonderrolle des Militärs. Zur preußisch-deutschen Entwicklung von Militär- und Zivilgewalt im 19. Jahrhundert, Berlin 1992; Wolfgang W ALTER : Das Duell in Bayern. Ein Beitrag zur bayerischen Strafrechtsgeschichte, Frankfurt/ Berlin 2002; Holger Z AUNSTÖCK : Das Milieu des Verdachts: Akademische Freiheit, Politikgestaltung und die Emergenz der Denunziation in Universitätsstädten des 18. Jahrhunderts, Berlin 2010, hier bes. Kap. 1. 8 François B ILLACOIS : Le Duel dans la société française de XVI e -XVII e siècles. Essai de psychosociologie historique, Paris 1986; Pascal B RIOIST / Hervé D REVILLON / Pierre S ERNA : Croiser le fer. Violence et Culture de l’épée dans la France moderne (XVI e -XVII e siècle), Champ Vallon 2002; Stuart C ARROLL : Blood and Violence in Early Modern France, Oxford 2006; Jean Noël J EANNENEY : Le Duel. Une Passion française 1789-1914, Paris 2004; Hélène R OMANN : De „point d'honneur“ à point d'honneur. Le Duel en France aux XVI e aux XVII e sciecles, in: Martin W REDE / Horst C ARL (Hg.): Zwischen Schande und Ehre. Erinnerungsbrüche und die Kontinuität des Hauses. Legitimationsmuster und Traditionsverständnis des frühneuzeitlichen Adels in Umbruch und Krise, Mainz 2007, S. 287-297. 9 Zentral war lange Zeit: Frederick R. B RYSON : The Sixteenth-Century Italien Duell. A Study in Renaissance Social History, Chicago 1938. Allerdings kann angesichts einiger, v. a. kleinerer Arbeiten von einer gewissen Zunahme des Interesses an der Geschichte des Duells in Italien gesprochen werden. Vgl. dazu: David Q UINT : Duelling and Civility in Sixteenth-Century Italie, in: I Tatti Studies 7 (1997), S. 231-275; Giancarlo A NGELOZZI : Das Verbot des Duells - Kirche und adliges Selbstverständnis, in: Paolo P RODI / Wolfgang R EINHARD (Hg.): Das Konzil von Trient und die Moderne, Berlin 2001, S. 211-240. Von Interesse sind ohne Frage auch die rechtswissenschaftlich orientierten Arbeiten von: Marco C AVINA : Il duello giudiziario per punto d’onore. Genesi, apogeo e crisi nell’alaborazione dottrinale 31 Ludwig und Schwerhoff Ein fruchtbares Feld der Duellforschung war in den letzten Jahren das Vereinigte Königreich. 10 Und auch zu Spanien, Dänemark oder Schweden liegen inzwischen wichtige Fallstudien vor. 11 Das alles kann hier nicht weiter ausgeführt werden. Wichtiger erscheint ein Blick auf die internationale Forschungslandschaft in systematischer und epochenspezifischer Hinsicht. Hier dominieren seit längerem Arbeiten zur Frühen Neuzeit als der scheinbar ‚klassischen‘ Epoche des Duells, wie etwa die wegweisende Studie von Billacois zeigt. Ganz selbstverständlich steht dort wie vielfach statt des Bürgertums jene Sozialformation im Zentrum, zu dessen habituellem Grundrepertoire das Duell gerechnet wird: der Adel. Das Duell, so der Grundton bei Billacois, kann als Ressource des adligen Widerstandes gegen den monarchischen ‚Absolutismus‘ verstanden werden; und es ging unter, als der Staat entschlossen mit dem Gewaltmonopol Ernst machte und den Adel domestizierte. Bereits Elias hatte übrigens in seiner ‚höfischen Gesellschaft‘ das Duell als eine Enklave der französischen Adligen betrachtet und auf das Fanal der demonstrativen Hinrichtung des notorischen hochadligen Duellanten Montmorency-Bouteville durch Ludwig XIII. 1627 hingewiesen. 12 Freilich hat auch für Frankreich die neuere Forschung mehr und mehr festgestellt, dass das Duell ein Thema für die bürgerliche Gesellschaft des 19. Jahrhunderts blieb bzw. erneut wurde. 13 Davon abgesehen bleibt natürlich die Analyse der sozialhistorischen Dimension zentral, die Frage danach, wie das Duell im Adel und im Bürgertum bzw. in den intermediären Sphären des Militärs und der Universität ausgestaltet war. Neben der im weitesten Sinne sozialgeschichtlichen Perspektive können, wiederum sehr grob, in der neueren Forschung vielleicht zwei weitere Dimensionen dingfest gemacht werden, die ergänzend hinzutreten. Versteht man das Duell als ein Instrument sozialer und kultureller Distinktion von Eliten, als eine gruppen- oder auch geschlechtsspezifische symbolgeladene Handlungssequenz und als Ritual der Gewalt, dann ist mit diesen Stichworten seine Attraktivität für eine historisch-anthropologische Forschungsrichtung angesprochen. Insbesondere im Kontext einer seit einiger Zeit sehr intensiven Debatte um Gewalt und Ehre bildet das Duell ein wichtiges Studienobjekt. Dabei ge- italiana (sec. XIV-XVI), Turin 2003; DERS .: Il sangue dell'onore. Storia del duello, Roma-Bari 2005; zum Duell in der Moderne: Steven C. H UGHES : Politics of the Sword. Dueling, Honor, and Masculinity in Modern Italy, Columbus OH 2007. 10 Donna A NDREW : The code of honour and its critics: the opposition to duelling in England, 1700-1850, in: Social History 5 (1980), S. 409-434; Roger B. M ANNING : Swordsmen. The Martial Ethos in the Three Kingdoms, Oxford 2003, bes. S. 193-244; Markku P ELTONEN : The Duel in Early Modern England. Civility, Politiness and Honour, Cambridge 2003; Robert B. S HOEMAKER : The Taming of the Duel: Masculinity, Honour and Ritual Violence In London, 1660-1800, in: The Historical Journal 45 (2002), S. 525-545. 11 Zu Spanien: Claude C HAUCHADIS : La loi du duel. Le code du point d’honneur dans l’Espagne des XVI e - XVII e siècles, Toulouse 1997; Scott K. T AYLOR : Honor and Violence in Golden Age Spain, New Haven/ London 2008; zu Dänemark: Sune Christian P EDERSEN : På Liv og Død. Duellens historie i Danmark, Københaven 2003; zu Schweden: Christopher C OLLSTEDT : Duellanten och Rättvisan. Duellbrott och synen på manlighet i stormaktsväldets slutskede, Lund 2007. 12 Norbert E LIAS : Die höfische Gesellschaft: Untersuchungen zur Soziologie des Königtums und der höfischen Aristokratie, 7. Aufl., Frankfurt a. M. 1994, S. 355. 13 Vgl. hierzu: Stephan P. G EIFES : Savoir vivre - savoir survivre. Das Duell im Frankreich des ausgehenden 19. Jahrhunderts (1870-1914), Bielefeld 1996. 32 Ansichten zum Duell hen die Interpretationen bis heute weit auseinander. Peter Spierenburg, der wichtigste Elias-Schüler unter den Historikern, erblickt im Duell eine Form der Domestizierung und mithin Zivilisierung von Gewalt, etwa durch das affektdämpfende Auseinandertreten von Herausforderung und eigentlichem Kampf. 14 Stuart Caroll dagegen glaubt in seiner Studie zu Frankreich nicht so recht an eine Zivilisierung und betont die Koexistenz von brutaler Gewalt und Verhöflichung beim Kriegerstand des Adels. 15 Eine zweite Erweiterung der Duellforschung ergibt sich durch die Konzentration auf die zeitgenössischen Diskurse und ihre mediale Verfasstheit. Seit jeher wurden kirchliche Duellkritik und staatliche Verbotspolitik thematisiert, 16 aber die neuesten Forschungen über die Genese und die Transformationen des Duells stellen doch in unvergleichlicher Weise die Frage, inwieweit das Duell nicht phasenweise eine eher kollektive bzw. gruppenspezifische Imagination darstellte als eine tatsächlich ausgeübte Praxis. 17 Die hier skizzierte Forschungslage macht die Beantwortung der scheinbar so einfachen Eingangsfrage nicht einfacher, was ein Duell ist bzw. wann ein Zweikampf ein Duell ist oder zum Duell erklärt wird bzw. wie und ob sich verschiedene Varianten des Duells voneinander unterscheiden lassen. Näher besehen kann man diese Frage wiederum auf verschiedenen Ebenen stellen. Einige dieser Ebenen seien hier, in einer Mischung von thesenhafter Zuspitzung und offenen Fragen, für die weiteren Diskussionen benannt. Eine e r s t e Ebene betrifft die historische Entstehung des Duells an der Wende vom Mittelalter zur Neuzeit, konkret das Verhältnis des Duells zum gerichtlichen und militärischen Zweikampf, zum Turnier, zur Fehde oder zu Formen der Blutrache - um nur die wichtigsten Kandidaten zu nennen. Unabhängig von deren Gewichtung im Einzelnen scheint doch weitgehend Einigkeit darüber zu bestehen, dass es, sieht man von möglichen Vorbildwirkungen ab, kein organisches Herauswachsen des Duells aus mittelalterlichen Traditionen gegeben hat; eine Tatsache, die übrigens schon von Below klar gesehen hatte. 18 Wenn sich das Duell in Deutschland nach Erkenntnissen des Dresdner Projektes im Alten Reich kaum vor dem Ende des 17. Jahrhunderts wirklich zu einem breiter fassbaren Phänomen verdichtete, 19 dann können Traditionsüberhänge für seine Entstehung kaum geltend gemacht werden. Allenfalls für die Mutterländer des Duells ließe sich sinnvoll nach Übergangsformen älterer und jüngerer Zweikämpfe fragen. 20 14 Pieter S PIERENBURG : A History of Murder. Personal Violence in Europe from the Middle Ages to Present, Cambridge 2008, S. 71-81. 15 C ARROLL : Blood and Violence (Anm. 8), S. 331 f. 16 So bspw. bei: A NGELOZZI : Das Verbot des Duells (Anm. 9); Dieter P ROKOWSKY : Die Geschichte der Duellbekämpfung, Bochum 1965. 17 Vgl. hierzu die Beiträge von Jürgen M ÜLLER / Teresa E NDE und Ulrike L UDWIG in diesem Band. 18 Georg von B ELOW : Das Duell in Deutschland. Geschichte und Gegenwart, Kassel 1896, S. 1. 19 Siehe hierzu den Beitrag von Ulrike L UDWIG in diesem Band. 20 Für Frankreich hat dies in Ansätzen Prokowsky geliefert, der vor allem eine Kontinuität über den Strang rechtlicher Verbote betont. P ROKOWSKY : Die Geschichte der Duellbekämpfung (Anm. 16); vgl. auch: C ARROLL : Blood and Violence (Anm. 8); zu Italien: Marco C AVINA : Il duello giudiziario per punto 33 Ludwig und Schwerhoff Damit rückt z w e i t e n s die Ebene der raumzeitlichen Verortung des Duells ganz besonders in das Zentrum des Interesses. Es ist hinlänglich bekannt, dass das Duell zunächst an der Wende zum 16. Jahrhundert für Italien und Frankreich greifbar wird. Von dort setzte seine sukzessive Ausbreitung ein, wobei in zeitlicher Perspektive neben diesen beiden Ländern der ersten Generation drei weitere Generationen auszumachen sind: In den Ländern der zweiten Generation, etwa Spanien oder England, wird das Duell seit dem frühen bzw. späteren 16. Jahrhundert erkennbar, in denen der dritten Generation, wie den skandinavischen Ländern und den Territorien des Alten Reichs, seit dem Beginn des 17. Jahrhunderts. Als ‚Nachzügler’ und vierte Generation sind schließlich Russland und die nordamerikanischen Kolonien bzw. die diesen nachfolgenden Staaten anzusehen, in denen sich das Duell erst im Laufe des 18. Jahrhundert etablierte. Diese schlichte Aufzählung zeigt die sukzessive Ausbreitung des Duells als gemeineuropäische, ja sogar über den Okzident hinausweisende kulturelle Praktik. Damit stellt sich die Frage nach den Formen des kulturellen Transfers, der sich hinter dieser Genealogie verbergen könnte. Es ist davon auszugehen, dass dieser Transfer an bestehende, gleichsam ‚indigene’ Zweikampfpraktiken anschließen konnte, ja sogar musste. Das aber ist bislang noch kaum thematisiert worden. 21 Eng verbunden mit der Frage des Transfers ist d r i t t e n s das Problem der möglicherweise je spezifischen Formen und Funktionen des Duells in den unterschiedlichen Gesellschaften. Sieht man genauer hin, so werden in der neueren Forschung sehr verschiedene Akzente hinsichtlich der Bedeutung des Duells gesetzt: Die raumzeitliche Gebundenheit solcher Deutungsangebote ist dabei ebenso einflussreich, wie die Frage des Betrachters: So wird das Duell in der Vormoderne zugleich als Ausdruck adliger Widerständigkeit gegen den entstehenden Staat, als Form höfischer Etikette oder aber als integrative Kraft, gerade für die Offizierskorps der stehenden Heere gedeutet. 22 Welche Gemeinsamkeiten und Differenzen zwischen den Duellkulturen zu verschiedenen Zeiten in den verschiedenen Ländern bestanden, gilt es dabei erst noch zu klären. 23 d'onore. Genesi, apogeo e crisi nell'elaborazione dottrinale italiana (secc. XIV-XVI), Torino 2003; vgl. übergreifend: S PIERENBURG : A History of Murder (Anm. 14), S. 81-96. 21 Für England liegt mit den Arbeiten von Peltonen hierzu zumindest eine einschlägige Arbeit vor, in der die Bedeutung medialer Transfers für die Etablierung des Duells auf der Insel betont wird. P ELTONEN : The Duel in Early Modern England (Anm. 10). Für die Etablierung des Duells als kulturelle Praktik der einheimischen Eliten in Russland wurde hingegen betont, dass hier v. a. das Duell als Motiv in der Literatur eine entscheidende Rolle gespielt habe. Irina R EYFMAN : Ritualized violence Russian style. The duel in Russian culture and literature, Stanford CA 1999; Dmitrij Z ACHAR ’ IN : Russische ‚Ehrenmänner’ und ‚Degenkavaliere’. Ein Beispiel erfundener Tradition und fiktiver Kontinuität, in: Die Welt der Slaven XLVI (2001), S. 259-282. 22 B IASTOCH : Duell und Mensur im Kaiserreich (Anm. 7); D IENERS : Das Duell und die Sonderrolle des Militärs (Anm. 7); mit einem differenzierteren Deutung der Befunde für Bayern: Gundula G AHLEN : Das bayrische Offizierskorps 1815-1866, Paderborn u. a. 2011, S. 506-517; hierzu auch der Beitrag von Gundula G AHLEN in diesem Band. 23 Für einen ersten Vorstoß in Sachen Vergleich sei verwiesen auf den vorzüglichen Aufsatz von Ronald G. A SCH : „Honour in all parts of Europe will be ever like itself“. Ehre, adlige Standeskultur und Staatsbildung in England und Frankreich im späten 16. und im 17. Jahrhundert: Disziplinierung oder Aushandeln von Statusansprüchen? , in: DERS ./ Dagmar F REIST (Hg.): Staatsbildung als kultureller Prozess. Strukturwandel und Legitimation von Herrschaft in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 2005, S. 353-379. 34 Ansichten zum Duell V i e r t e n s wird das klassische Verständnis dessen, was wir unter einem Duell verstehen, durch die notwendige Revision der epochalen Zuordnung herausgefordert. Frevert hat das Duell vom Ruch des Anachronismus befreit und als Phänomen der longue durée erwiesen, das weit in die Moderne hineinragt. Zugleich stellte sie aber die zeitliche Verortung des ‚klassischen Duells‘ in der Vormoderne nicht in Frage. 24 Nun zeigt sich mehr und mehr, dass dieses klassische Duell weniger ein Phänomen der Vormoderne als der (beginnenden) Moderne war. Erst im 18. Jahrhundert, als das Duell sich von seinem ‚wilden, von Affekten bestimmten Charakter’ löste und stärker durch Regelgebundenheit und den Einsatz körperlich distanzierterer Gewaltformen gekennzeichnet war, wurde es offenbar zu dem, was man heute landläufig darunter versteht. ‚Klassisch‘ wurde das Duell erst nach etwa 200 Jahren. 25 Ist es aber sinnvoll, die End- oder späte Form eines Phänomens zum Normalfall zu erheben? Zu diskutieren wäre daher, inwieweit die Erhebung der späten Duellform zum Idealtypus und zur Definitionsgrundlage womöglich dem Umstand geschuldet war, dass gerade der Anfang der Duellgeschichtsforschung um 1900 auch das Produkt einer Eigengeschichtsschreibung darstellte. 26 Methodisch stellt sich daher die Frage, ob die Erhebung dieser späteren Variante zum Klassiker, zur definierten Idealform, nicht den Blick auf die Vielfalt des Duells verdeckt. Müsste man nicht die Idee einer wesenskonstituierenden Regelhaftigkeit des Duells und die Fokussierung auf Handlungsablauf und Ehrenschutz als Definitionsbasis aufgeben, um die Wandelbarkeit des Duells als diskursives Konstrukt einerseits und kulturelle Praxis andererseits besser in den Blick zu bekommen? Neben der Analyse der raumzeitlichen Variabiltät des Duells ist f ü n f t e n s die Unterscheidung verschiedener Diskursstränge und Diskursgemeinschaften zentral. Beide Aspekte hängen eng zusammen, denn es gibt dramatische Unterschiede in der Bedeutung verschiedener Diskurse in einzelnen Ländern, aber auch zwischen verschiedenen Zeitphasen. So findet sich etwa in den Ländern der Mittelmeerregion oder in England eine sehr ausdifferenzierte Duellliteratur, in der anfangs vor allem Hofmannstraktate, ‚Benimm-Bücher‘ und dergleichen einen prominenten Platz einnahmen; Passagen über 24 Auch von Below ging bei allem historischen Revisionismus von einer verhältnismäßigen Blüte des Duells in Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert aus, wogegen im 19. Jh. die allgemeinen Voraussetzungen zu dieser Blüte verschwunden seien. B ELOW : Das Duell in Deutschland (Anm. 18), S. 33. 25 Diese Entwicklungslinie scheint auf den ersten Blick eine gesamteuropäische zu sein, sie findet sich für Frankreich ebenso wie für England oder Irland, vgl. dazu: C ARROLL : Blood and Violence (Anm. 8); S HOEMAKER : The Taming of the Duel (Anm. 10); James K ELLY : „That Damn’d Thing Called Honour“ Duelling in Ireland 1570-1860, Cork 1995. Interessant sind aber zugleich die Gegenbeispiele oder zumindest weniger typischen Verläufe: So verlor sich das Duell zum Ende des 18. Jahrhunderts in Schweden weitgehend. Für Schweden wurden im Rahmen des Dresdner Projektes sowohl Klagen vor den verschiedenen Hofgerichten aufgenommen als auch vertiefend die Bestände in Schwedisch-Pommern gesichtet. Von den ca. 130 Verfahren fanden lediglich zehn nach 1750 statt. Von diesen zehn wiederum waren neun in Schwedisch-Pommern anzutreffen. Im schwedischen Kernland spielten Duelle zu dieser Zeit praktisch bereits keine Rolle mehr. In Italien war das Duell um 1800 nahezu verschwunden, bis die Duellkultur mit dem Einzug französischer Truppen im frühen 19. Jahrhundert erneut aufblühte. H UGHES : Politics of the Sword (Anm. 9), S. 22 f. Interessant ist zudem die russische Entwicklung, denn hier kam das Duell im 18. Jahrhundert gleich in seiner ‚zivilisierten’ Form auf. 26 Hier sei exemplarisch nur verwiesen auf: B ELOW : Das Duell in Deutschland (Anm. 18). 35 Ludwig und Schwerhoff Notwendigkeit und Formen des Duellierens waren ein fester inhaltlicher Bestandteil solcher Schriften. 27 Dieser Textgattung wird dann auch ein entscheidender Einfluss auf das gesellschaftliche Verständnis des Duells in den genannten Ländern zugewiesen. 28 In den adligen Verhaltenslehren des Alten Reiches dagegen spielten Duelle als Teil einer höfischen oder ritterlichen Lebensart keine Rolle, stattdessen dominierte das Ideal des christlichen, frommen Ritters. 29 Damit fehlt im Reich aber gerade der mediale Strang, in dem die Zusammenführung von Ehrenkodex und sozialer Duellpraxis inszeniert und initiiert wurde. Bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts war das Duell im Reich medial vornehmlich als verdammungswürdiges, unchristliches und gegen rechtliche Grundsätze gerichtetes Unwesen in juristischen und theologischen Schriften präsent. 30 Ein ähnlicher Befund kann für Schweden geltend gemacht werden. 31 In Russland waren es hingegen Literaten, die sich duellierten und dem Duell in ihren Texten zugleich zum Durchbruch verhalfen. 32 Angesichts dieser - in Anbetracht der hier nötigen Kürze etwas kursorisch bleibenden - Beobachtungen kann zweifellos davon ausgegangen werden, dass die Wirkmächtigkeit einzelner Diskursstränge grundsätzlich außer Frage steht. Aber es fehlt bisher an Studien für Länder, in denen es gerade keine idealisierenden Duellschriften gab, und es fehlt an Vergleichen. 33 Zu berücksichtigen ist zugleich, dass die unterschiedlichen Diskursfelder zumindest in der Vormoderne meist von personell eng begrenzten Diskursgemeinschaften geprägt waren. Zu diskutieren wäre im Anschluss daran, inwieweit Duelle als Phänomen unterschiedlicher kollektiver Imaginationen 34 der jeweiligen Diskursgemeinschaften zu verstehen sind und inwieweit das Duell damit jeweils neu und unterschiedlich erschaffen 27 Einen Überblick über die entsprechenden Traktate liefert: Markku P ELTONEN : Francis Bacon, the Earl of Northampton, and the Jacobean Anti-Dueling Campaign, in: The Historical Journal 44 (2001), S. 1-28. 28 Ebd. 29 Vgl. Klaus B LEECK : Adelserziehung auf deutschen Ritterakademien. Die Lüneburger Adelsschulen 1655- 1850, 2 Bde., Frankfurt am Main u. a. 1977; Andreas W ANG : Der Miles Christianus im 16. und 17. Jahrhundert und seine mittelalterliche Tradition: ein Beitrag zum Verhältnis von sprachlicher und graphischer Bildlichkeit, Bern u. a. 1975. In diese Richtung weisen auch zahlreiche Leichenpredigten auf adlige Militärs. Hier nur ein Beispiel unter vielen: Johannes S TRALIUS : Miles Christianus, das ist/ Einfältige beschreibung eines Christliche Ritters/ oder frommen Christen [...] in unterschiedlichen predigten angeführet, Halle 1646. 30 Vgl. auch den Beitrag von Alexander K ÄSTNER in diesem Band. 31 C OLLSTEDT : Duellanten och Rättvisan (Anm. 11), S. 135-148; zu den Bildungsidealen des schwedischen Adels: Simone G IESE : Studenten aus Mitternacht. Bildungsideal und peregrinatio academica des schwedischen Adels im Zeichen von Humanismus und Konfessionalisierung, Stuttgart 2009. 32 R EYFMAN : Ritualized violence Russian style (Anm. 21); Z ACHAR ’ IN : Russische ‚Ehrenmänner’ und ‚Degenkavaliere’ (Anm. 21). 33 Zu Italien: Q UINT : Duelling and Civility (Anm. 9), bes. S. 265 f.; zu England: P ELTONEN : The Duel in the Early Modern England (Anm. 10), bes. S. 17-79; pointiert und mit vergleichendem Ansatz auch: A SCH : Honour in all parts of Europe (Anm. 23); DERS .: Zwischen defensiver Legitimation und kultureller Hegemonie. Strategien adliger Selbstbehauptung in der Frühen Neuzeit, in: Zeitenblicke 4.2 (2005), URL: http: / / www.zeitenblicke.de/ 2005/ 2/ Asch/ index_html (zuletzt am 12. Januar 2011). 34 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 3), S. 10. 36 Ansichten zum Duell wurde. Wie steht es um die Vielschichtigkeit dieser kollektiven Imaginationen, wie um ihre Konkurrenzen? Dabei ist z. B. die mögliche Differenz zwischen alltagsgebundenen und gelehrten Deutungen des Duells zu berücksichtigen. So dokumentieren die Gerichtsakten - wie das eingangs geschilderte Beispiel zeigt - häufig ein deutlich unspezifischeres Verständnis von Duellen als dies gleichzeitig in Benimm-Büchern, theologischen Traktaten oder Rechtstexten der Fall war. Dass es sich bei der Auseinandersetzung der beiden sächsischen Adligen nicht um einen verabredeten und regelhaften Kampf handelte, erscheint letztlich lediglich vor dem Hintergrund anderer Texte - etwa von Verhaltenslehren, in denen das Duell als regelhaft und verabredet beschrieben wird - als problematisch für die Etikettierung des Ereignisses als Duell. S e c h s t e n s , und eng mit den Diskursen verknüpft, bleibt die Deutung des Duells als Instrument zur Her- und Darstellung von Ehre zu diskutieren. Auch dieser Gesichtspunkt bringt keineswegs ein klares und eindeutiges Verständnis des Duells, sondern weitet das diffuse Feld in anderer Weise noch weiter aus. Vor dem Hintergrund einer blühenden historischen Ehrforschung drängt sich schnell der Eindruck auf, dass das Duell lediglich ein mögliches Instrument aus einem viel reichhaltigeren Werkzeugkasten war. Als Frage gewendet: In welchem Verhältnis stand das Duell zu anderen Formen der Her- und Darstellung von Ehre? Interessant ist in diesem Zusammenhang der von Scott Tylor gemachte Vorschlag, Ehre als Rhetorik oder Diskurs zu verstehen, in dem eine Vielfalt von Phrasen, Gesten und Handlungen bewusst zum Einsatz kam, um die eigene Position in der Auseinandersetzung öffentlich zum Ausdruck zu bringen und zugleich die (gewaltsame) Konfrontation zu befördern. 35 Das Duell kann so zwar als eine mögliche Strategie des Ehrerwerbs und -erhalts angesehen werden, aber umgekehrt muss Ehre nicht zwingend über Duelle verteidigt und präsentiert werden. Forschungsstrategisch bedeutet das, die häufig zu beobachtende isolierte Betrachtung des Duells durch eine integrierte Analyse der sozialen und rechtlichen Ehrstrategien zu ersetzen. In gesteigertem Maß gilt diese Forderung s i e b e n t e n s natürlich für die bereits angesprochene Charakterisierung des Duells als Gewaltritual. Nur durch eine Einbettung des Duells in eine viel breitere Betrachtung gewaltsamer Formen des Konfliktaustrags, wie sie Pieter Spierenburg beispielhaft vorgenommen hat, können seine kulturellen Wurzeln ebenso wie seine Spezifik besser herausgearbeitet werden. 36 A c h t e n s verweisen, zum Schluss, die Aspekte Ehre und Gewalt zurück auf den Themenkomplex der sozialspezifischen Ausprägung des Duells. Kann aus dem Umstand, dass Duelle in erster Linie von Adligen und Militärs ausgetragen wurden, tatsächlich geschlossen werden, dass für die Formation des Adels oder das Offizierskorps insgesamt der rituelle Ehrenzweikampf eine prominent genutzte Strategie war? Oder ist das Duell bei näherem Hinsehen möglicherweise weniger als Ausdruck einer geburtsbzw. berufsständisch definierten Gruppenkultur sonder eher als spezifische Form einer Jungmännerkultur zu verstehen? Vielleicht wäre es hier interessant, stärker zwischen situationsgebundenen, unmittelbaren Deutungen und Handlungsmustern einerseits, nachträglichen - etwa gerichtlichen oder in Tagbüchern festgehaltenen - Erklärungen des 35 Scott K. T AYLOR : Honor and Violence in Golden Age Spain, London 2008, bes. S. 20 f. 36 S PIERENBURG : A History of Murder (Anm. 14). 37 Ludwig und Schwerhoff eigenen Verhaltens andererseits und schließlich drittens den Argumentationen in den verschiedenen Formen der Duellliteratur zu unterscheiden. Mit einem solchen Vorgehen ließe sich nicht nur die Gleichzeitigkeit ganz unterschiedlicher Deutungen erfassen, sondern auch fragen, welche Rolle die Inszenierung gewalttätigen Verhaltens als Duell spielte. Hält man an dieser Stelle des sehr gedrängten Überblicks inne, so zeigt sich, dass klare Definitionen und Abgrenzungen wohl nicht ohne weiteres zu erlangen sind. Aber zugleich dürfte deutlich geworden sein, wie sehr eine Betrachtung der vielfältigen rituellen Praktiken und medialen Debatten rund um das Duell ins Zentrum der politischen, sozialen und kulturellen Geschichte Europas über die Sattelzeit hinweg führt. 38 Michael Meuser Distinktion und Konjunktion Zur Konstruktion von Männlichkeit im Wettbewerb 1. Einleitung Georg Simmel bemerkt zu Beginn seiner Abhandlung über den Streit, der gewöhnlichen Anschauung müsse die Frage paradox vorkommen, ob nicht der Kampf selbst schon, ohne Rücksicht auf seine Folge- oder Begleiterscheinungen, eine Vergesellschaftungsform ist. 1 Im Weiteren begreift er Assoziation und Konkurrenz als Kategorien von Wechselwirkungen, die beide völlig positiv auftreten. 2 Simmel beleuchtet in dieser Abhandlung verschiedene Formen des Streits. Eine davon ist das Kampfspiel. Hierzu führt er aus, dass beim Kampfspiel, anders als bei anderen Formen des Streits, der Reiz des Kampfes und Sieges an und für sich […] das ausschließliche Motiv bildet; es finde ohne einen, außerhalb des Spieles selbst gelegenen Siegespreis statt. 3 Das Kampfspiel enthalte in seiner soziologischen Motivierung absolut nichts als den Kampf selbst; und weiter schreibt Simmel: man vereinigt sich, um zu kämpfen, und man kämpft unter der beiderseitig anerkannten Herrschaft von Normen und Regeln. 4 In einer der klassischen Studien des Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies (CCCS) findet sich die folgende Sequenz aus einem Interview mit einem männlichen Jugendlichen: Was macht ihr so an einem normalen Sonntagabend? Fred: Ich geh raus zum Bahnhof, weißte, raus in die Innenstadt, und dann fahr’n wir nach Newcy, eine ganze Bande. Dann laufen wir in Newcy rum und suchen Streit. Wir treffen auf ein paar Maggie-Anhänger und verdreschen sie. Ja, mal `ne nette kleine Rauferei. Was für Raufereien? Fred: Na, eigentlich keine echten Raufereien, weil, ein paar von denen könnten ganz nett sein, aber immerhin, wenn du hinlangst, langste eben hin, aber danach sind wir meistens ganz gute Freunde. 5 Bei dem hier zitierten Jugendlichen handelt es sich um einen Angehörigen der englischen Arbeiterklasse. Ein homologes Muster finden wir am anderen Ende des sozialen Stratifikationsgefüges, z. B. in der Welt schlagender studentischer Verbindungen. Allerdings begegnet uns dieses Muster hier in einer, dem bürgerlichen Habitus entsprechenden, verfeinerten Form. Die ‚nette kleine Rauferei‘ ist nun das streng geregelte Fechtduell, und diejenigen, mit denen man kämpft, können ebenfalls ‚ganz nett‘ sein: Trotz- 1 Georg S IMMEL : Soziologie, in: Gesamtausgabe, Bd. 2, Frankfurt a. M. 1992, S. 284. 2 Ebd., S. 286. 3 Ebd., S. 304. 4 Ebd. 5 John C LARKE u.a.: Jugendkultur als Widerstand, Frankfurt a. M. 1979, S. 179. 39 Meuser dem ‚langt man hin‘, man verletzt den Gegner an der Wange. Der Gegner ist zugleich ein Freund bzw. genauer: Er wird durch den Kampf in die Gemeinschaft der Burschen inkludiert. So heißt es im Jenaer Comment von 1809: Durch ein Duell sind die Schlagenden näher miteinander verbunden und per se in Bruderschaft. 6 Man kennt diesen Mechanismus auch aus diversen ethnologischen Studien über männliche Initiationsrituale, in denen über den Kampf der Status einer erwachsenen Männlichkeit und die Mitgliedschaft in der Männergemeinschaft erworben werden. 7 Bei Norbert Elias findet sich, in seinem Buch ‚Studien über die Deutschen‘, folgende knappe, aber prägnante Beschreibung der von Verbindungsstudenten praktizierten Trinkrituale: man trank mit- und gegeneinander um die Wette. 8 Mit- und gegeneinander, oder, in der Simmelschen Terminologie, Assoziation und Konkurrenz finden in ein- und derselben Bewegung statt. Von dieser spannungsreichen Beziehung handelt der vorliegende Beitrag. Er verfolgt die These einer wettbewerbsförmigen Konstruktion von Männlichkeit und begreift den unter Männern ausgetragenen Wettbewerb als von einem Ineinander von Distinktion und Konjunktion geprägt. 2. Homosoziale Vergemeinschaftung Den Beispielen ist eines augenscheinlich gemeinsam. Sie entstammen diversen homosozialen Männerwelten. Homosozialität meint the seeking, enjoyment, and/ or preference for the company of the same sex, 9 also eine wechselseitige Orientierung der Angehörigen eines Geschlechts aneinander. Homosozialität hat eine physische und eine symbolische Dimension. Homosozialität meint zunächst die räumliche Separierung geschlechtsexklusiver Sphären, d. h. im Falle männlicher Homosozialität die Konstitution von Orten, zu denen Frauen der Zutritt verwehrt wird. Das allein reicht aber nicht aus, bedeutsamer ist die symbolische Dimension, die darin besteht, dass die Ausbildung von Einstellungen, moralischen Orientierungen und Wertsystemen primär im wechselseitigen Austausch der Geschlechtsgenossen untereinander geschieht und dass die Geschlechtsgenossen sowohl die signifikanten als auch die generalisierten Anderen sind 10 , an denen der einzelne Mann sich orientiert. Typische homosoziale Männergemeinschaften sind der Stammtisch, die freiwillige Feuerwehr, eine Fußballmannschaft, die Freimaurer, der Rotary Club, das Militär, der katholische Klerus, die Mafia, studentische Verbindungen, street gangs u. v. m. 6 Zitiert in: Ute F REVERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 141. 7 David D. G ILMORE : Mythos Mann. Rollen, Rituale, Leitbilder, München 1991. 8 Norbert E LIAS : Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1989, S. 125 ff. 9 Jean L IPMAN -B LUMEN : Toward a Homosocial Theory of Sex Roles, in: Signs 1 (1976), S. 15-31, hier S. 16. 10 George Herbert Mead bezeichnet mit dieser Unterscheidung die Übernahme der Perspektive der konkreten Interaktionspartner (signifikanter Anderer) bzw. derjenigen der sozialen Gruppe, der Haltung der ganzen Gemeinschaft (generalisierter Anderer). Vgl.: George Herbert M EAD : Geist, Identität und Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1968. 40 Distinktion und Konjunktion Die physische und symbolische Grenzziehung zwischen männlichen und weiblichen Räumen fundiert und stützt die habituelle Sicherheit von Männern. This security manifests itself in a naturally performed, taken for granted positioning in the gender-relation - as opposed to a positioning brought about in discourse, by reflecting on the male role. [...] Habitual security [...] is grounded in the everyday order of the taken-for-granted and obvious. 11 In homosozialen Settings versichern Männer einander, was ein (normaler) Mann ist. Gewöhnlich geschieht dies nicht in Gestalt eines expliziten Redens darüber, sondern eingelassen in den üblichen Handlungs- und Kommunikationsfluss. Es ist gewissermaßen der Subtext z. B. eines Wetttrinkens oder einer Kommunikation über Fußball, Frauen, Autos. Homosozialität trägt zur Grenzziehung zwischen den Geschlechtern bei. Die homosoziale Männergemeinschaft kann als ein kollektiver Akteur der Konstruktion der Geschlechterdifferenz und von Männlichkeit verstanden werden. Insbesondere in einer Epoche, in welcher männliche Dominanz vermehrt in Frage gestellt wird, trägt die homosoziale Männergemeinschaft zu einer Bekräftigung hegemonialer Männlichkeit 12 bei. Sie wird von ihren Mitgliedern als ein Ort männlicher Authentizität erfahren, an dem es möglich ist, unverstellt man(n) selbst zu sein. 13 3. Homosozial-kompetitive Konstruktion von Männlichkeit Bei Pierre Bourdieu finden wir, in seiner Abhandlung über die männliche Herrschaft, eine These, die, obschon nicht darauf bezogen, an das Simmelsche Verständnis von Streit und Konkurrenz erinnert. Bourdieu zufolge wird der männliche Habitus konstruiert und vollendet [...] nur in Verbindung mit dem den Männern vorbehaltenen Raum, in dem sich, unter Männern, die ernsten Spiele des Wettbewerbs abspielen. 14 Bourdieu streicht zwei miteinander verbundene Aspekte heraus: die kompetitive Struktur von Männlichkeit und den homosozialen Charakter der sozialen Felder, in denen der Wettbewerb stattfindet. Er findet unter Männern und in dem den Männern vorbehaltenen Raum statt. Die Männer stehen einander, so Bourdieu weiter, als Partner-Gegner gegenüber. 15 Der Wettbewerb trennt die Beteiligten nicht (oder nicht nur), er ist zugleich, in ein und derselben Bewegung, ein Mittel männlicher Vergemeinschaftung. Wettbewerb und Solidarität bzw. Distinktion und Konjunktion gehören untrennbar zusammen. Geschlecht ist eine relationale Kategorie nicht nur in dem Sinne, dass Männlichkeit in Relation zu Weiblichkeit gesehen werden muss und vice versa, sondern ebenso in der 11 Cornelia B EHNKE / Michael M EUSER : Gender and Habitus. Fundamental Securities and Crisis Tendencies Among Men, in: Helga K OTTHOFF / Bettina B ARON (Hg.): Gender in Interaction. Perspectives on Femininity and Masculinity in Ethnography and Discourse, Amsterdam 2001, S. 153-174, hier S. 159 f. 12 Raewyn C ONNELL : Gender and Power. Society, the Person and Sexual Politics, Cambridge 1987; DIES .: Der gemachte Mann. Männlichkeitskonstruktionen und Krise der Männlichkeit, Opladen 1999; Martin D INGES (Hg.): Männer − Macht − Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt a. M./ New York 2005. 13 Michael M EUSER : Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster, 3. Aufl., Wiesbaden 2010. 14 Pierre B OURDIEU : Die männliche Herrschaft, in: Irene D ÖLLING / Beate K RAIS (Hg.): Ein alltägliches Spiel. Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis, Frankfurt a. M. 1997, S. 153-217, hier S. 203. 15 Pierre B OURDIEU : Die männliche Herrschaft, Frankfurt a. M. 2005, S. 83. 41 Meuser Hinsicht, dass der geschlechtliche Status eines Individuums auch in den Beziehungen zu den Mitgliedern der eigenen Genusgruppe bestimmt wird. Das wird, auch in der Geschlechterforschung, nicht selten übersehen. Was die Seite der Männer betrifft, so ist Männlichkeit durch eine kompetitive, auch intern durch Distinktionen geprägte Struktur bestimmt. Dies umfasst in großer Häufigkeit auch Prozesse sozialer Schließung. Nicht jeder Mann ist zu jedem ernsten Wettbewerbsspiel gleichermaßen zugelassen. Im Kreis der Inkludierten allerdings kommt es zu dem erwähnten Wechselspiel von Distinktion und Konjunktion. Zur Plausibilisierung dieser These eignet sich ein Blick auf die Institution des Duells - ein historisches Beispiel, das den heuristischen Vorzug hat, in einer Epoche angesiedelt zu sein, in der ‚gender troubles‘ und eine Auflösung der Geschlechtergrenzen noch wenig bekannte Phänomene waren. Ute Frevert hat, in ihrem Buch mit dem Titel ‚Ehrenmänner‘, hierzu eine sehr instruktive Analyse vorgelegt. 16 Am Beispiel des Duells und der darin zu verteidigenden ‚männlichen Ehre‘ lässt sich exemplarisch ablesen, wie in den - hier hinsichtlich der möglichen Folgen für Leib und Leben mitunter dramatisch ernsten - Spielen des Wettbewerbs der männliche Habitus geformt wird. Einer Ehrverletzung durch eine satisfaktionsfähige Person nicht mit einer Duellforderung zu begegnen bzw. sich einer solchen Forderung zu entziehen kam einem Männlichkeitsverlust gleich. Entscheidend im Sinne der Verteidigung der Ehre war nicht, zu obsiegen, sondern standzuhalten. Die Männlichkeit, die es im Duell unter Beweis zu stellen galt, war freilich keine ungeteilte, keine, an der alle Männer unabhängig von Stand und Klasse teilhatten. Nicht nur die Frauen waren ausgeschlossen, sondern ebenso nicht ‚satisfaktionsfähige‘ Männer niederen sozialen Standes. Wirkliche Ehre kann - so Bourdieu mit Blick auf die kabylische Gesellschaft - nur die Anerkennung bringen, die von einem Mann gezollt wird, der als ein Rivale im Kampf um die Ehre akzeptiert werden kann. 17 In der bürgerlichen Gesellschaft war die Standeszugehörigkeit das Kriterium, das darüber entschied, wer als Rivale und damit als ‚Ehrenmann‘ in Frage kam. Und auch in dem durchaus lebensbedrohlichen Wettbewerbsspiel des Duells fehlt der Aspekt der Konjunktion nicht. George Mosse bemerkt zur Praxis des Duells in Frankreich am Ende des 19. Jahrhunderts: Männer, die ihre Degen kreuzten, formten […] eine Art ‚Freimaurerschaft‘ des gegenseitigen Respekts. 18 Man darf sich das Duell durchaus als eine Form männlicher Vergemeinschaftung vorstellen, auch dann, wenn einer der Duellanten auf der Strecke blieb: Die Aufnahme in die Männergemeinschaft kann oder konnte auch posthum erfolgen. 16 Vgl. F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 6). Für Soziologen ist diese Studie auch in der Hinsicht interessant, dass man etwas über Max Weber als Duellanten erfährt, zu dem er wurde, als er die Ehre seiner Frau Marianne, und damit seine eigene, in Frage gestellt sah. 17 B OURDIEU : Die männliche Herrschaft (Anm. 14), S. 204. 18 George L. M OSSE : Das Bild des Mannes. Zur Konstruktion der modernen Männlichkeit, Frankfurt a. M. 1997, S. 32 f. 42 Distinktion und Konjunktion 4. Ritualisierter Wettbewerb Beim Duell ist es angesichts der festen Regeln des Komments offenkundig, dass es sich um eine hochgradig ritualisierte Form der ernsten Spiele des Wettbewerbs handelt oder handelte. Ritualisierung kennzeichnet in modifizierter Form allerdings ebenso zahlreiche andere Wettbewerbsspiele, u. a. solche männlicher Jugendlicher. So sind die unter Hooligans oder Ultras ausgetragenen Kämpfe keineswegs durch eine spontane, unvorhersehbare Erregung motiviert, sie werden vielmehr geplant und abgesprochen. Eine typische Form des Wettbewerbs, die es in vielfachen Variationen in zahlreichen Jugendkulturen gibt, sind Beleidigungsrituale. Mediale Bekanntheit hat vor allem das ‚Dissen‘ in der HipHop-Kultur erlangt. ‚Dissen‘ meint, dem anderen seinen Respekt zu verweigern (dis-respect), ihn selber, aber auch dessen Familie, insbesondere seine Mutter, zu beleidigen. 19 ‚I fucked your mama‘ ist eine geläufige Form des Beleidigens. Homologe Formen gibt es auch in anderen Jugendkulturen. In einer ethnographischen Studie über eine Gruppe adoleszenter türkischer Migranten der zweiten Einwanderungsgeneration, die Turkish Power Boys, beschreibt Hermann Tertilt, wie in ritualisierten Rededuellen unter den Gruppenmitgliedern auf spielerische Weise die männliche Ehre verteidigt wird. 20 In diesen Duellen beleidigen sich die Akteure wechselseitig. Die Rededuelle werden in Reimform ausgetragen, und jeder versucht, den anderen an verbaler Virtuosität zu überbieten. Das Beleidigungsrepertoire umfasst vor allem Ausdrucksformen einer sexualisierenden Abwertung des anderen. Obwohl dieser symbolisch in die Position eines ‚Schwulen‘ gebracht wird, der anal penetriert wird, sind diese Wortgefechte gewöhnlich kein Ausdruck von Feindseligkeiten. 21 In der Gruppe riefen diese Beleidigungsrituale immer große Begeisterung hervor, weil sie für Spannung und Unterhaltung sorgten. Wenn zwei Jungen ein solches Duell begannen, waren in der Regel immer auch andere Jungen als Zuschauer und Zuhörer beteiligt. Sie übernahmen die Schiedsrichterrolle. 22 Das Publikum hat mithin eine entscheidende Funktion in den Wettbewerbsspielen. Die Dynamik dieser Spiele bringt es allerdings mit sich, dass die Unterscheidung von aktiv in den Wettbewerb Involvierten und Zuschauern eine temporäre ist. Wer gerade noch die Beleidigungsrituale der anderen kommentiert hat, kann in der nächsten Situation selbst 19 Vgl.: Gabriele K LEIN / Malte F RIEDRICH : Is this real? Die Kultur des HipHop, Frankfurt a. M. 2003. 20 Vgl.: Hermann T ERTILT : Turkish Power Boys. Ethnographie einer Jugendbande, Frankfurt a. M. 1996, S. 198 ff. 21 Die symbolische Homosexualisierung des anderen ist offensichtlich ein weit verbreitetes Phänomen in den Beleidigungsritualen von Jungen und männlichen Jugendlichen. Es kommt nicht nur in abweichenden jugendlichen Milieus wie dem der Turkish Power Boys vor, sondern auch im ganz ‚normalen’ Schulalltag. Vgl.: Georg B REIDENSTEIN / Helga K ELLE : Geschlechteralltag in der Schulklasse. Ethnographische Studien zur Gleichaltrigenkultur, Weinheim/ München 1998, S. 168 ff.; Mary Jane K EHILY / Anoop N AYAK : ‚Lads and Laughter‘: Humour and the Production of Heterosexual Hierarchies, in: Gender & Education 9.1 (1997), S. 69-87. 22 T ERTILT : Turkish Power Boys (Anm. 20), S. 200 f. 43 Meuser zum ‚Opfer‘ einer Beleidigung werden oder auch die Initiative für die nächste Runde des Spieles übernehmen. 23 Zwar sind die Akteure bemüht, aus dem Beleidigungsduell als Sieger hervorzugehen und damit eine situative Dominanz zu erlangen, doch hat eine Niederlage im verbalen Wettstreit nicht den Ausschluss aus der homosozialen Gemeinschaft zur Folge. Fatal wäre es allerdings, sich dem Wettbewerb nicht zu stellen. Die Mitglieder (nicht nur) dieser Gruppe wissen jedoch genau, was sie tun müssen, und stellen sich dem Wettbewerb. Durch die Ritualisierung ist der Wettbewerb von persönlichen Motiven entkoppelt. Dies ist beim ‚Kampftrinken‘ ebenso der Fall wie bei den zahlreichen Formen ritualisierter Gewalt, sei es in Gestalt des Mensurschlagens unter Verbindungsstudenten, sei es in Gestalt des Kampfes unter Hooligans, sei es in den wiederkehrenden Auseinandersetzungen zwischen gewaltaffinen männlichen Jugendlichen und der Polizei. Jörg Hüttermann zeigt in einer ethnographischen Studie über eine Polizeiinspektion, die in einem sozial benachteiligten Duisburger Stadtteil angesiedelt ist, dass die skizzierte ritualisierte Wettbewerbslogik auch die Interaktionen zwischen Polizisten und denen bestimmt, deren Handeln zu kontrollieren Aufgabe der Polizei ist: Beide Seiten suchen den ‚Kick’ des Risikos und der Verschmelzung mit einem übergeordneten Ethos, - dem Ethos der Männlichkeit und der Männersolidarität. Beide Seiten setzen auch auf das archaische und zugleich männliche Konzept der Akkumulation symbolischen Kapitals (in Form von Ehre) durch Platzhirschgebaren und Charakterwettkämpfe, welche das Bis-an-die-Schwelle-zur-Eskalation-Gehen einschließen. Und beide Seiten brauchen die jeweils andere Seite, um das, was sie sind, zu reproduzieren. 24 Dieses aufeinander Verwiesensein konstituiert einen wechselseitig gezollten soldatischritterlichen Respekt, mithin einen geschlechtlich konnotierten Respekt, und macht es für die Mitglieder der von der Polizei kontrollierten Subkultur prinzipiell vorstellbar, auf die andere Seite zu wechseln und dort ihr Bemühen um den Erwerb symbolischen Kapitals fortzusetzen. Die Ritualisierung des Wettbewerbs scheint eine historische Konstante männlicher Wettbewerbsspiele zu sein. Für das studentische Milieu Mitte des 19. Jahrhunderts zeigt Georg Objartel, wie sich eine Kunst des Beleidigens ausbildet, die unbeeinflusst von der Affektgeladenheit der Streitsituation in kühler Berechnung Beleidigungen austeilt oder über- 23 Eine triadische Konstellation kennzeichnet auch eine reziprok strukturierte homosoziale Gewalt unter Männern, wie sie für Fights der Hooligans ebenso typisch ist wie für Prügeleien auf Schulhöfen. Es gibt Täter, Opfer und Zuschauer. Damit sind aber keine klaren Positionen verbunden; vielmehr ist es für solche Gewaltinteraktionen typisch, dass Täter-, Opfer- und Zuschauerrollen [...] ineinander verschwimmen, miteinander ausgewechselt oder vollkommen unkenntlich werden können. So: Brigitta N EDELMANN : Gewaltsoziologie am Scheideweg. Die Auseinandersetzungen in der gegenwärtigen und Wege der künftigen Gewaltforschung, in: Trutz von T ROTHA (Hg.): Soziologie der Gewalt, Opladen/ Wiesbaden 1997, S. 59-85, hier S. 67. 24 Jörg H ÜTTERMANN : Polizeialltag und Habitus: Eine sozialökologische Fallstudie, in: Soziale Welt 51 (2000), S. 7-24, hier S. 21. 44 Distinktion und Konjunktion trumpft. 25 Eine ähnliche Virtuosität verbalen Wettstreits im Rahmen eines vorstrukturierten und mithin erwartbaren Ablaufschemas findet sich, wie zuvor am Beispiel der Turkish Power Boys erläutert und mit Blick auf die Szene der HipHoper erwähnt, auch in manchen männlichen Jugend(sub)kulturen bzw. Szenen der Gegenwart. 5. Inkorporierter Spielsinn und fragile Sicherheit Sowohl die ethnographischen Studien zu zeitgenössischen Wettbewerbskulturen als auch die historischen Studien machen eines sehr deutlich: Der Wettbewerb, das Beleidigen wie das Prügeln, macht Spaß. Im Akt des Prügelns überwiegen positive Gefühle. Die Schlägerei wird als ‚prickelnd‘ erlebt, ähnlich wie ein illegales Autorennen auf öffentlichen Straßen, eine weitere Variante der ernsten Spiele des Wettbewerbs. Dann macht’s sogar noch Spaß. […] das muß man miterlebt haben, der Adrenalinspiegel da, ist ein einmaliges Gefühl, wie so Bungeespringen, auf jeden Fall. 26 Ein Hooligan vergleicht den Kick, den die Gewalt auslöst, mit dem ‚Bauchkribbeln‘, das man verspüre, wenn man frisch verliebt ist. 27 Das positive Gefühl kann noch dann das Gewalterleben bestimmen, wenn man selbst weitaus mehr ‚einsteckt‘ als ‚austeilt‘. In den Worten eines Hooligans: Vor mir Braunschweiger, hinter mir die Bullen. Ich dazwischen, ganz alleine. Ich hab’ die Prügel meines Lebens bekommen: ein Wahnsinnserlebnis! 28 ‚Gewalt ist geil.‘ Diese Beschreibung des Gewalterlebens ist ernst gemeint und durchaus wörtlich zu nehmen. Sie ist Ausdruck einer als authentisch erfahrenen Körperlichkeit. 29 Und dies ist insofern von eminenter Bedeutung, als es, gerade in der Phase der Adoleszenz, nicht nur darum geht, die Spielregeln des Wettbewerbs anzueignen, sondern darüber hinaus einen Spielsinn dergestalt auszubilden, dass man den Wettbewerb als solchen lieben lernt. Das hilft dann auch später im Leben, vor allem in beruflichen Konkurrenzen, sei es auf dem Finanzmarkt, sei es auf wissenschaftlichen Kongressen. Eine andere Lesart des männlichen Wettbewerbs finden wir in pädagogischen Diskursen. Im pädagogischen Männlichkeitsdiskurs und auch in den Men’s Studies ist das Deutungsmuster einer fragilen Männlichkeit weit verbreitet. Es wird insbesondere be- 25 Georg O BJARTEL : Die Kunst des Beleidigens. Materialien und Überlegungen zu einem historischen Interaktionsmuster, in: Dieter C HERUBIM / Helmut H ENNE / Helmut R EHBOCK (Hg.): Gespräche zwischen Literatur und Alltag. Beiträge zur germanistischen Gesprächsführung, Tübingen 1984, S. 94-122, hier S. 104. 26 Roland E CKERT / Christina R EIS / Thomas A. W ETZSTEIN : „Ich will halt anders sein wie die anderen.“ Abgrenzung, Gewalt und Kreativität bei Gruppen Jugendlicher, Opladen 2000, S. 125. 27 Ebd., S. 381. 28 Gunter A. P ILZ : Fußball ist unser Leben! ? Zur Soziologie und Sozialgeschichte der Fußballfankultur, in: Holger B RANDES / Harald C HRISTA / Ralf E VERS (Hg.): Hauptsache Fußball. Sozialwissenschaftliche Entwürfe, Gießen 2006, S. 49-69, hier S. 57. 29 Gewalt ist eine Wirklichkeit der Gefühle, der Emotionen, der sinnlichen Erfahrung und der Phantasie. So: Trutz von T ROTHA : Zur Soziologie der Gewalt, in: DERS .: Soziologie der Gewalt (Anm. 23), S. 9-56, hier S. 26. Einen plastischen Eindruck der sinnlichen Qualität, die Gewalt zumindest für männliche Akteure haben, wie der Faszination, die davon ausgehen kann, vermittelt die Reportage Bufords über die Welt der Hooligans. Sie verdeutlicht des Weiteren, wie der kompetitive Charakter der von ihm dokumentierten homosozialen Gewaltinteraktionen die sinnliche Qualität wie die Faszination der Gewalt befördert. Vgl. dazu: Bill B UFORD : Geil auf Gewalt. Unter Hooligans, München/ Wien 1992. 45 Meuser müht, wenn es gilt, eine Erklärung für die im Vergleich zu Frauen deutlich höhere Affinität zu Risikohandeln und die stärkere Verbreitung von Gewalthandeln unter Männern und vor allem männlichen Jugendlichen zu finden. Michael Kaufman zufolge ist Männlichkeit ungeheuer zerbrechlich, 30 Männer seien sich ihrer eigenen (biologischen und sozialen) Männlichkeit permanent unsicher. 31 Ein Weg, die permanenten Zweifel an der eigenen Männlichkeit zu bekämpfen, sei Gewalt. Jon Swain beschreibt in einer ethnographischen Studie über die Rolle des Körpers bei der Konstruktion von Männlichkeit die häufigen Schlägereien unter männlichen Schülern als tägliche Verteidigung einer herausgeforderten Männlichkeit. Diese müsse immer wieder unter Beweis gestellt werden. 32 Unsicher ist die Männlichkeit insofern, als sie den männlichen Jugendlichen nicht als unverbrüchlicher Besitz zu eigen ist, sondern durch bestimmte Wettbewerbspraktiken, zu denen das Riskieren der Unversehrtheit des eigenen Körpers und Gewalthandeln gehören, situativ hergestellt werden muss. In diesem Sinne sind die männlichen Jugendlichen gewissermaßen prinzipiell verunsicherte Wesen; ihr Leben ist in einem sehr handfesten, z. B. ein blaues Auge und eine blutende Nase in Kauf nehmenden, Sinne riskant. Zugleich, in ein und derselben Bewegung, ist es ein von Sicherheiten geprägtes Leben. Die homosoziale Männergemeinschaft vermittelt eine habituelle Sicherheit, indem sie keinen Zweifel lässt hinsichtlich der angemessenen Performanz einer anerkannten Männlichkeit. Die Akteure wissen, was sie zu tun haben, um in ihrer Männlichkeit bestätigt zu werden. Sie müssen sich den ernsten Spielen des Wettbewerbs stellen, in denen Männlichkeit sich formt; und die homosoziale Gemeinschaft sorgt dafür, dass die Spielregeln und der Spielsinn in das inkorporierte Geschlechtswissen der männlichen Akteure eingehen. Sie wissen, dass sie sich ihrer Männlichkeit im Modus des Wettbewerbs vergewissern müssen. Die häufigen Prügeleien zwischen Jungen und männlichen Jugendlichen, von diesen selbst als ‚Spaßkloppe‘ bezeichnet, sind zu sehen als tägliche Verteidigung einer herausgeforderten Männlichkeit (das ist die eine Seite), und sie sind zu sehen als in den Bewegungen des Körpers fundiertes praktisches Erkennen des kompetitiven Modus der Herstellung und Darstellung von Männlichkeit (das ist die andere, wenn man so will, habitustheoretische Seite). Der kompetitive Modus wird in die Körper eingeschrieben, die als reale Akteure, so eine Formulierung Bourdieus, 33 habitualisierte Handlungsweisen, welche die Voraussetzung für Handlungssicherheit sind, in Gang setzen. Der praktische Glaube ist kein ‚Gemütszustand’ und noch weniger eine willentliche Anerkennung eines Korpus von Dogmen und gestifteten Lehren (‚Überzeugungen’), sondern […] ein Z u s t a n d d e s L e i b e s . 34 30 Michael K AUFMAN : Die Konstruktion von Männlichkeit und die Triade männlicher Gewalt, in: B AU - S TEINE M ÄNNER (Hg.): Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie, Berlin/ Hamburg 1996, S. 138-171, hier S. 152. 31 Ebd., S. 153. 32 Vgl. Jon S WAIN : How Young Schoolboys Become Somebody: The Role of the Body in the Construction of Masculinity, in: British Journal of Sociology of Education 24 (2003), S. 299-314. 33 Pierre B OURDIEU : Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt a. M. 2001, S. 171. 34 D ERS .: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a. M. 1993, S. 126; Hervorhebung im Original. 46 Distinktion und Konjunktion Gäbe es diesen sicheren Boden habitualisierter und inkorporierter Routinen nicht, wäre schnell ‚Schluss mit lustig’. Dann wäre Gewalt vermutlich nicht mehr so ‚geil‘. Das paradoxe ist gewissermaßen, dass es Spaß macht, die herausgeforderte Männlichkeit zu verteidigen. Die Männlichkeit ist in dem Sinne fragil, dass sie im Wettbewerb fundiert ist und damit auch verfehlt werden kann. Insofern ist sie eine prinzipiell riskante Männlichkeit. Dem eignet freilich eine doxische Qualität, der Wettbewerb ist ein Modus, in dem Männlichkeit mit der alltäglichen Ordnung des Ungefragten und Selbstverständlichen gewohnheitsmäßig verwurzelt ist. 35 Männlichkeit ist mithin durch eine fragile Sicherheit gekennzeichnet. Fragilität und Sicherheit sind auf der Ebene elementarer sozialer Interaktion ineinander verwoben. Die trotz aller Fragilität gegebene habituelle Sicherheit gründet in der vorreflexiven Intentionalität der sozialisierten Körper. Interessanterweise scheint dies auch denjenigen Pädagogen und Therapeuten zumindest präreflexiv oder vortheoretisch bewusst zu sein, die die Wettbewerbsspiele als Dokument einer grundlegenden männlichen Fragilität oder gar einer Krise des Mannes begreifen. In der Jungenarbeit und in der Männertherapie 36 ist in den letzten zwei Jahrzehnten das Boxen als eine Form der Stärkung der männlichen Identität entdeckt worden, unter anderem als Modus, in dem sich Nähe unter Männer erfahren lässt. Das Göttinger Männerbüro hat ein Seminar mit dem Titel Sich durchs Leben boxen® entwickelt, 37 das von zahlreichen Institutionen der Jungenarbeit angeboten wird. In diesem Seminar finden rituelle Boxkämpfe statt. Es geht darum, so die Seminarbeschreibung, herauszufinden, welche Kraft im männlichen Körper steckt und wie sie, ohne anderen Schaden zuzufügen, eingesetzt werden kann. 38 Dieser positive Bezug auf die Wettbewerbslogik von Männlichkeit ist Teil einer Suche nach einer vorreflexiven Basis männlicher Authentizität, die im Körper vermutet wird. Eine Figur, die in diesem Diskurs immer wieder bemüht wird, ist des ‚Kriegers‘. Der Krieger gilt als eines von zwei Prinzipien der Männlichkeit, das zweite wird durch den Phallus symbolisiert. Der Hauptprotagonist dieses Diskurses in Deutschland, Götz Haindorff, beschreibt dies folgendermaßen: Im Spannungsfeld dieser beiden tiefen Prinzipien des Kriegers und des Liebhabers entwickeln junge Männer Kraft und Kreativität, Neugier und Experimentierlust. Sie werden lebendig. In diesem Kontext wird die unzerstörbare Essenz von Männlichkeit anerkannt und gefeiert. 39 Hier wird das Prinzip einer Vergemeinschaftung im und durch den Wettbewerb pädagogisch-therapeutisch gewendet. Man kann dies als ein Bemühen um eine homosozial- 35 D ERS .: Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a. M. 1987, S. 668. 36 Hier gibt es durchaus einen Markt, auf dem sich Geld verdienen lässt, vor allem dann, wenn man das Angebot auf Coachings für Manager erweitert. 37 Götz H AINDORFF : Auf der Suche nach dem Feuervogel. Junge Männer zwischen Aggression, Eros und Autorität, in: Kurt M ÖLLER (Hg.): Nur Macher und Macho? Geschlechtsreflektierende Jungen- und Männerarbeit, Weinheim/ München 1997, S. 109-149, hier S. 131. 38 Ebd., S. 132. 39 Ebd., S. 135. 47 Meuser agonale Vergemeinschaftung begreifen. Diese Form von Vergemeinschaftung ist durch die unauflösliche Gleichzeitigkeit von Distinktion und Konjunktion gekennzeichnet - oder, in den Worten Bourdieus, dadurch, dass die Männer einander als Partner-Gegner gegenüberstehen. In diesem Sinne fungiert der Wettbewerb als generatives Prinzip des männlichen Habitus. 48 Ahmet Toprak und Aladin El-Mafaalani Eine Frage der Männlichkeit Duelle bei muslimischen Jugendlichen in Deutschland 1. Einleitung Der Anteil der jugendlichen Gefangenen mit Migrationshintergrund ist fast dreimal so hoch wie ihr Bevölkerungsanteil. Dies gilt in besonderer Weise für jene, die aus arabischen Ländern oder der Türkei stammen. Diese Unverhältnismäßigkeit lässt sich zu großen Teilen mit der sozialen und wirtschaftlichen Lage erklären, in der diese muslimischen Jugendlichen in Deutschland aufwachsen, denn es handelt sich fast vollständig um Nachkommen der traditionellen Arbeitsmigranten, welche schon innerhalb ihrer Herkunftsregion den bildungsbenachteiligten und konservativen Milieus angehörten. Der überwiegende Anteil der inhaftierten Jugendlichen ist männlichen Geschlechts. Zudem fällt auf, dass sich ein hoher Anteil der Straftaten von Jungen auf Gewaltdelikte erstreckt. Ebenso kann gezeigt werden, dass Gewalttaten an Schulen häufiger von Schülern mit Migrationshintergrund ausgeübt werden. 1 Dabei haben viele Gewalttaten den Charakter eines ‚klassischen‘ Duells, d. h., es muss geklärt werden, wer ‚im Recht‘ ist. Genau diese gewalttätigen Austragungen werden zu einem überwiegenden Teil polizeilich nicht erfasst, da sich beide Seiten zu diesem ‚Kampf‘ bereiterklärt haben und dadurch öffentliche Stellen gar nicht informiert werden. Dabei ist hervorzuheben, dass aus der Perspektive der Akteure keine andere Form der Konfliktaustragung in Betracht gezogen wird und damit eine juristische Verfolgung der jeweiligen Ziele in der Praxis nahezu ausgeschlossen wird. Wenn die Polizei eingeschaltet wird, handelt es sich meist um Hinweise von Dritten, also nicht unmittelbar an dem Konflikt beteiligten Personen. Das Duell ersetzt hier in gewisser Hinsicht gesellschaftlich anerkannte Formen der Konfliktbewältigung (Gericht, Polizei oder Diskurs). Im Folgenden sollen ausgehend von den Sozialisationsbedingungen muslimischer Kinder und Jugendlicher und den sich daraus etablierenden Denk- und Handlungsmustern die Ursachen für eine allgemeine Gewaltneigung rekonstruiert werden. Daraufhin werden Formen und Auslöser von (kollektiven) Duellen erläutert, um abschließend pädagogische Schlussfolgerungen zu ziehen. 2 2. Sozialisationsbedingungen Murat, ein heute 21-jähriger Berufsschüler, der in seiner frühen Jugendphase häufig auffällig geworden war, erzählt rückblickend über seine Orientierungsprobleme: Meine Familie lebte in ihrer eigenen Welt. Wenn man zu Hause nicht gemacht hat, was mein Vater gesagt hat, gabs richtig Ärger. Wir lebten wie in der Türkei. [...] Da 1 Marek F UCHS u. a.: Gewalt an Schulen - 1994-1999-2004, Wiesbaden 2009. 2 Grundsätzlich hierzu auch: Aladin E L -M AFAALANI / Ahmet T OPRAK : Muslimische Kinder und Jugendliche in Deutschland, St. Augustin/ Berlin 2011 (im Druck). 49 Toprak und El-Mafaalani wurde viel gebrüllt, da gabs immer Action. Aber da war ich eigentlich immer nur zum Essen und Schlafen. Sonst war ich in der Schule oder mit meinen Jungs unterwegs. [...] Mein Vater hat immer gefragt, ob alles in der Schule gut läuft, ich habe gesagt: Klar, läuft alles. Das wars. Meine Eltern fanden Schule wichtig, aber die hatten überhaupt keine Ahnung, was in der Schule los war. [...] In der Schule war das immer so komisch, ich wusste gar nicht, was die von mir wollten. [...] Wir haben eigentlich nie das gemacht, was wir sollten. Die Lehrer wussten auch nicht, was die mit uns machen sollten. Das war so, wir sind da einfach so hingegangen, zu den Deutschen, und nach der Schule waren wir in unserer Straße und haben nur Scheiße gemacht. [...] Und später, so mit 15 oder 16, waren wir ne richtige Gang. Wenn einer Probleme hatte, haben alle mitgemacht. Da hat man sich richtig stark gefühlt, keiner konnte einem was. Das war für uns das echte Leben, das hatte ne Bedeutung für uns. [...] Aber wir hatten zu oft Stress mit der Polizei [...]. 3 Alle Kinder und Jugendlichen wachsen im Wesentlichen in den vier Lebenswelten Familie, Schule, Peergroup und Medienlandschaft auf. Diese vier Bezugspunkte stellen Jugendliche mit Migrationshintergrund - insbesondere türkischer und arabischer Herkunft - vor besonders widersprüchliche Erwartungen und Handlungsoptionen. Denn das deutsche Schulsystem ist nachweislich kaum in der Lage, soziale Unterschiede auszugleichen. Die Nachkommen der ehemaligen Arbeitsmigranten sind dadurch nachweislich benachteiligt. Sie machen seltener als ihre Altersgenossen hochwertige Schulabschlüsse und verlassen das Schulsystem deutlich häufiger ohne Abschluss. Das liegt neben der Schulstruktur und wenig lernförderlichen Unterrichtsformen auch daran, dass in der Schule Werte wie Selbstständigkeit, Selbstdisziplin und Selbstreflexion innerhalb vorgegebener Regeln notwendigerweise eine besondere Rolle spielen. Denn viele dieser Jugendlichen wachsen in autoritären Familienstrukturen auf, in denen Gehorsam, Unterordnung und vielfach auch Gewalt den Alltag begleiten. Ihnen fehlt oft die Intimsphäre, die Heranwachsende in Deutschland benötigen, um ein selbstbestimmtes Leben zu üben (wie beispielsweise ein eigenes Zimmer). Zusätzlich führen inkonsistente Erziehungsstile, die sie häufig in ihren Familien, aber auch in der Schule (unterschiedliche Lehrertypen) erleben, zu Irritationen und Orientierungslosigkeit. Diese Widersprüchlichkeiten im Verhältnis von Schule und Familie, denen sich diese Jugendlichen gegenüber sehen, werden dadurch verschärft, dass ihre Eltern sowohl Loyalität gegenüber den traditionellen Werten als auch Erfolg in der Schule und später im Arbeitsleben erwarten 4 - eine typische Erwartungshaltung von Migranten der ersten Generation gegenüber ihren Kindern. Dabei können die Eltern den Kindern kaum Hilfestellungen geben, auch weil sie traditionsbedingt die Erziehungs- und Bildungsverantwortung vollständig an die Schule abgeben. Insbesondere für junge Männer ergeben sich daraus strukturelle Konflikte in den Passungsverhältnissen von schulischer und fa- 3 Ebd. 4 Vera K ING : Aufstieg aus der bildungsfernen Familie? Anforderungen in Bildungskarrieren am Beispiel junger Männer mit Migrationshintergrund, in: Angelika H ENSCHEL u.a. (Hg.): Jugendhilfe und Schule - Handbuch für eine gelingende Kooperation, Wiesbaden 2009, S. 333-346. 50 Eine Frage der Männlichkeit milialer Lebenswelt. Eine Gruppe von Bildungsforschern formulierte es folgendermaßen: Für Kinder aus ‚bildungsfernen‘ Milieus stellt sich damit beim Eintritt in die Schule die mehr oder minder ausgeprägte Alternative, sich entweder auf den Versuch des Bildungsaufstiegs einzulassen und dabei das eigene Selbst schutzlos den schulischen Zuweisungen von Erfolg und Misserfolg preiszugeben, oder sich den Anforderungen zu verweigern und ihnen die in den Peers und im eigenen Herkunftsmilieu ausgebildeten Bildungsstrategien und Anerkennungsmodi entgegen zu halten, die das eigene Selbst zu stützen und anzuerkennen vermögen. 5 Dieses Problem verschärft sich für Jugendliche mit Migrationsgeschichte zusätzlich, denn sie leben sowohl mit sozialen Unterschieden aufgrund ihrer Schichtzugehörigkeit als auch mit kulturellen Unterschieden aufgrund der Migrationssituation. Für sie bestehen keine ‚vorgeprägten Laufbahnen‘, an denen sie sich in Schule und Arbeitsmarkt orientieren könnten. Sie fühlen sich nicht als Deutsche und nicht als Türken. Sie distanzieren sich in gewisser Hinsicht sowohl von der Mehrheitsgesellschaft als auch von der Familie und der traditionellen türkischen Community. Sie suchen nach Orientierungspunkten, die Sicherheit bieten und Identität ermöglichen. Genau dieser Effekt wird durch das Kollektiv von Peers mit gleichartiger sozialer und kultureller Herkunft ermöglicht. Die Ausbildung der Hauptschule als Restschule - eine Entwicklung, die nicht zuletzt PISA unbeabsichtigt zugespitzt hat - und die messbare Benachteiligung von Schülern mit Migrationshintergrund bei der Überweisung auf eine Förderschule haben dazu geführt, dass sich dort junge Männer mit Zuwanderungsgeschichte konzentrieren, die keine Vorbilder mehr kennen, die zeigen könnten, dass man Achtung und Respekt auch ohne Gewaltanwendung erfahren kann. Im Gegenteil: Sie finden eine Art Ersatzfamilie bzw. eine zweite Familie, bestehend aus wenigen - in der Regel nur eine Hand voll - Freunden, die füreinander beinahe alles tun, unter Umständen bis zur Inkaufnahme, das eigene Leben zu gefährden. So werden Gewalt und Machterfahrung zu einem effektiven Mittel der Selbststabilisierung. 6 Diese vermeintlichen ‚Tugenden‘ werden durch die Medien unterstützt - zumindest bei Betrachtung der für diese Jugendlichen bevorzugten Bereiche der Medienlandschaft. 3. Denk- und Handlungsmuster benachteiligter muslimischer Jugendlicher Der Begriff der Ehre spielt bei Gewalttaten von muslimischen Jugendlichen eine zentrale Rolle. Er bildet gewissermaßen die Basis der Denk- und Handlungsmuster der Jugendlichen. Insbesondere in problematischen Kontexten, also bei benachteiligten und kriminellen Jugendlichen, wird aggressives Verhalten mit der Ehre gerechtfertigt. Dabei hängt der Ehrbegriff mit der familiären Erziehung zusammen. Muslimische Familien betonen Werte wie Loyalität, Solidarität und Kollektivität, wobei diese Werte ge- 5 Matthias G RUNDMANN u.a.: Bildung als Privileg und Fluch - Zum Zusammenhang zwischen lebensweltlichen und institutionalisierten Bildungsprozessen, in: Rolf B ECKER / Wolfgang L AUTERBACH (Hg.): Bildung als Privileg, Wiesbaden 2008, S. 47-74, hier S. 58. 6 Wilhelm H EITMEYER : Gesellschaftliche Integration, Anomie und ethnische Konflikte, in: DERS . (Hg.): Was treibt die Gesellschaft auseinander? , Frankfurt a. M. 2004, S. 629-653, hier S. 647. 51 Toprak und El-Mafaalani schlechtsspezifisch differenziert werden. Hinzu kommt eine extreme Form der Freundschaft. Im Folgenden werden die jugendspezifischen Charakteristika dieser Begriffe skizziert: Nicht selten wird von Jugendlichen ihr Verhalten mit ihrem Verständnis von Freundschaft gerechtfertigt. Sie setzen sich für den Freund ein, auch auf die Gefahr hin, selbst verletzt zu werden. Diese bedingungslose Solidarität bedeutet auch, dem Freund, ohne die Situation zu hinterfragen, Hilfe zu leisten. Sie ist eine tief verankerte Verhaltensnorm, über die nicht nachgedacht und die auch nicht in Frage gestellt wird. Es wird also nicht lange darüber gesprochen, was passiert ist und wie man das Problem lösen könnte. Wenn nachgedacht und nachgefragt würde, wäre nicht nur die Freundschaft, sondern auch die Ehre und Männlichkeit des Jugendlichen in Frage gestellt. Ehre und Männlichkeit sind Begriffe, die türkei- und arabischstämmige jugendliche Straftäter immer wieder artikulieren. Die Solidarität und Loyalität innerhalb der Familie wird also bei Jugendlichen auf ihren Freundeskreis ausgeweitet. Loyalität in der Gruppe bzw. unter Freunden spielt eine große und ganz zentrale Rolle und dem Begriff der Freundschaft wird eine entscheidende Bedeutung zugesprochen. Freunde tun alles füreinander: Es wird geteilt, was man hat, wie z. B. Geld, Essen, Kleidung etc. Massenschlägereien können deshalb zu Stande kommen, weil der Freund nicht allein gelassen werden darf. Die Freundschaft gilt dann als verletzt, wenn die Mutter und andere weibliche Familienmitglieder beschimpft, beleidigt oder auch nur ‚unsittlich‘ angeschaut werden (Ehre) oder wenn die Männlichkeit oder die Potenz angezweifelt werden. Der Begriff Ehre (namus) klärt ursprünglich die Beziehung zwischen Mann und Frau sowie die Grenzen nach innen und außen. 7 Ein Mann gilt als ehrlos, wenn seine Frau, Familie oder Freundin beleidigt oder belästigt wird und er nicht extrem und empfindlich darauf reagiert. Derjenige Mann gilt als ehrenhaft, der seine Frau verteidigen kann, Stärke und Selbstbewusstsein zeigt und die äußere Sicherheit seiner Familie garantiert. 8 Gelingt ihm das nicht, dann ist er ehrlos (namussuz). Eine Frau, die fremdgeht, befleckt damit nicht nur die eigene Ehre, sondern auch die ihres Partners, weil der Mann nicht Mann genug war, sie davon abzuhalten. Ein ehrenhafter Mann steht zu seinem Wort (‚erek adam sözünü tutar‘ = ‚ein Mann hält sein Wort‘). Er muss dies klar und offen tun und darf niemals mit ‚vielleicht‘ oder ‚kann sein‘ ausweichen, weil diese Antworten nur von einer Frau zu erwarten sind. Darüber hinaus muss ein ehrenhafter Mann in der Lage und willens sein, zu kämpfen, wenn er dazu herausgefordert wird. Die Eigenschaften eines ehrenhaften Mannes sind Virilität, Stärke und Härte. Er muss in der Lage sein, auf jede Herausforderung und Beleidigung, die seine Ehre betrifft, zu reagieren und darf sich nicht versöhnlich zeigen. Der Begriff der Ehre ist dabei nicht nur auf die Familie beschränkt, sondern wird auf den Freundeskreis ausgeweitet. Ehre wird in der Peergroup zu einem Gemeinschaftsprojekt. Für das Verständnis der Denk- und Handlungsmuster der Heranwachsenden spielt zuletzt auch der Begriff der Männlichkeit eine hervorzuhebende Rolle. Muslimische 7 Werner S CHILFFAUER : Die Gewalt der Ehre. Erklärungen zu einem türkisch-deutschen Sexualkonflikt, Frankfurt a. M. 1983. 8 Ebd. 52 Eine Frage der Männlichkeit Jungen werden zu körperlicher und geistiger Stärke, Dominanz und selbstbewusstem Auftreten, insbesondere im Hinblick auf die Übernahme von männlichen Rollenmustern, erzogen. Wenn ein Jugendlicher diese Eigenschaften nicht zeigt, wird er als ‚Frau’ und ‚Schwächling’ bezeichnet. Wenn ein Mann zu homosexuellen Männern Kontakt aufnimmt, wird er als unmännlich und Schande begriffen, weil er - aus diesem Geschlechtsbegriff heraus - eine Frauenrolle übernommen hat, die sich mit der traditionellen Männerrolle nicht vereinbaren lässt. Auch freundschaftliche Beziehungen zu homosexuellen Männern werden nicht toleriert. Jungen treten im Gegensatz zu Mädchen sehr dominant und selbstbewusst auf. Ein Junge muss in der Lage sein, zu entscheiden, was für die später gegründete Familie das ‚Richtige‘ und ‚Vorteilhafte‘ ist. Dies kann er u. a. dadurch unter Beweis stellen, dass er seine Position selbstbewusst verteidigt und auf Meinungen, die von außen an ihn herangetragen werden, keine Rücksicht nimmt. Dies könnte ihm sonst als Schwäche ausgelegt werden, was als zutiefst weiblich gilt. Ausgeprägte Männlichkeit, bezogen auf Solidarität und Loyalität innerhalb des Freundeskreises, und die bedingungslose Verteidigung der weiblichen Familienmitglieder werden gerade dann rigide gehandhabt, wenn die gesellschaftliche Anerkennung ausbleibt. Insbesondere gewaltbereite Jugendliche verfolgen ein Lebenskonzept, das einen speziellen Werte- und Normenkodex betont. Männliche Jugendliche türkischer und arabischer Herkunft, insbesondere in der dritten Generation, wachsen mit bestimmten Vorstellungen von ‚Männlichkeit‘, ‚Freundschaft‘ und ‚Ehre‘ sowie ‚Solidarität‘ und ‚Loyalität‘ auf und definieren über diese Begriffe ihre Identität. 9 Der Begriff der Ehre ist dabei zentral und überlagert alle anderen. So ist man nur als ehrenhafter Mann ein ‚richtiger‘ Mann, nur als solidarischer und loyaler Freund ein ehrenhafter Mann und nur dann ein ehrenhafter Mann, wenn die weiblichen Familienmitglieder verteidigt und ggf. kontrolliert werden. Bei straffälligen Jugendlichen wird immer wieder festgestellt, dass sie aufgrund ihres Ehrbegriffes zu Straftaten bereit sind. Ehre impliziert in dieser orthodoxen Ausprägung, dass die Männer die Sexualität ihrer Freundinnen, Ehefrauen, Töchter und Schwestern kontrollieren, dass diese Kontrolle ‚erfolgreich‘ ist und damit die Ehre der Familie gewahrt bleibt. Dementsprechend werden Beleidigungen der Mutter, Schwester oder Freundin sowie Andeutungen bezüglich einer homosexuellen Orientierung zu gereiztem, unter Umständen aggressivem Verhalten des Beleidigten sowie seiner Freunde führen. Ähnliches ist zu erwarten, wenn abfällige Äußerungen gegenüber der nationalen Herkunft oder der Religion, aber auch gegenüber dieser Vorstellung von Männlichkeit gemacht würden. Diese Reaktionen sind umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass diese Jugendlichen der dritten und vierten Generation weder ihre Herkunftsländer noch ihre Religion gut kennen und zudem vielfach weder in der Lage noch willens sind, klassische autoritäre Familienernährer zu sein. Jugendliche mit geringer Bildung, wenig beruflichem Prestige und mangelndem Selbstwertgefühl klammern sich an diese Verhaltensnormen deutlich stärker als beruflich und sozial etablierte Migranten. Wenn man die Jugendlichen mit den Wel- 9 Ahmet T OPRAK : Jungen und Gewalt. Die Anwendung der konfrontativen Pädagogik in der Beratungssituation mit türkischen Jugendlichen, Herbolzheim 2006. 53 Toprak und El-Mafaalani ten konfrontiert, die zwischen Anspruch (selbst Familienernährer zu sein) und Realität (Arbeitsbzw. Ausbildungslosigkeit) liegen, führt das nicht selten zu massiver Gereiztheit. Das Zusammenkommen von einem geringen Selbstwertgefühl und eingeschränkten sozialen Fähigkeiten führt auch dazu, dass ein ‚schiefes‘ oder ‚doofes‘ Angucken zu einer Schlägerei führen kann. Aus den Ausführungen wird deutlich, dass die Verteidigung der weiblichen Familienmitglieder als eine wichtige Anforderung an die männlichen Familienmitglieder herangetragen wird. Während selbstbewusste und offene Jugendliche in der dritten und vierten Generation sich von diesen spezifischen Normen befreien und sich beispielsweise über ihr Studium oder ihren Beruf definieren, klammern sich Jugendliche mit wenig Selbstwertgefühl und geringer Bildung bzw. Prestige in extremer Weise an diese Werte und betonen diese rigider und aggressiver als beispielsweise noch die Elterngenerationen. Denn sie wollen Stärke zeigen, etwas Besonderes sein, hohe Anerkennung und einen guten Status haben. Dieses Erziehungsideal kollidiert mit der Realität, wie sie diese Jungen bereits früh erfahren. Wenn sie weder in der Schule noch in Bereichen wie Sport oder Musik ‚besondere‘ Fähigkeiten attestiert bekommen, werden andere Formen der Anerkennung gesucht, die dann häufig mit der Intention der Eltern wenig gemeinsam haben. Diejenigen, die keine andere ‚ehrende‘ Aufgabe haben und keine anderen Formen von Anerkennung erleben, können und werden diese letzte Möglichkeit ergreifen: empfindlich und gewalttätig ihre Ehre verteidigen. 4. Gewalt und Gewaltsozialisation Gewalt zeichnet sich im Vergleich zu anderen Konfliktlösungen dadurch aus, dass ein subjektiv empfundener verkürzter Zeithorizont und ein verengter Pool von Handlungsoptionen vorliegen. Oder andersherum: Für friedliche Konfliktlösungen braucht man Zeit und Kompetenz (insbesondere sprachliche Kompetenz). Und: Man muss etwas zu verlieren haben. Nimmt man an, Menschen handeln rational, würde jeder Entscheidung für oder gegen Gewalt ein Abwägen von Kosten und Nutzen einer Gewalttat vorausgehen: Was bringt mir eine gewalttätige Auseinandersetzung und was setze ich aufs Spiel? Nun leuchtet unmittelbar ein, dass ein rein rationales Menschenbild seine Tücken hat. Es soll nur zu dem Zweck bemüht werden, zu zeigen, welche entscheidenden Faktoren gewaltbereites Verhalten aus einer subjektiven Perspektive begünstigen: (1) wenig Zeit für Handlungsspielraum, (2) eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten und fehlende soziale bzw. kognitive Kompetenzen für kommunikative Konfliktlösungen und (3) kein Risikobewusstsein, weil die Gewaltanwendung rational erscheint. Diese drei Faktoren können nicht über längere Zeit vollständig ausgeschaltet werden, weshalb auch in insgesamt friedlichen Gesellschaften Gewalt regelmäßig auftritt. Beispielsweise kann Alkoholbzw. Drogenkonsum zu einer kurzfristigen Verschärfung aller drei Faktoren führen. Besonders problematisch wird ein Zustand dann, wenn eine mehr oder weniger große Gruppe von Menschen unter Sozialisationsbedingungen aufwächst, die langfristig alle Faktoren kritisch erscheinen lassen. Zusammenfassend können Perspektivlosigkeit aufgrund eines niedrigen Bildungsniveaus und eingeschränkter sozialer und kognitiver Fähigkeiten, das einseitige Wahrnehmen aggressiver Aspekte in ‚ambivalen- 54 Eine Frage der Männlichkeit ten Botschaften‘ und das spezifische Kommunikationsverhalten in einem Konfliktfall als Nährboden für Gewalt benannt werden. Diese Perspektivlosigkeit teilen in den meisten Jugendgangs alle Mitglieder. Sie verfügen über ein sehr geringes formales Bildungsniveau und restriktive verbale Fähigkeiten. Daher herrschen in diesen Jugendgruppen ein sehr aggressiver und einfacher Sprachstil sowie grobe Umgangsformen. Es wird gewissermaßen aus der Not eine Tugend gemacht: Alle Merkmale, die die Perspektivlosigkeit begründen, werden besonders betont. Die jungen Männer wechseln permanent zwischen den beiden Extremen ‚Langeweile‘ und ‚Action‘: Einerseits wird viel ‚abgehangen‘ und Zeit totgeschlagen, andererseits wird schlagartig, bei der kleinsten Provokation, aggressiv gehandelt. Ein ‚falscher‘ Blick, eine ironische Aussage oder ein lautes Lachen - also ambivalente Botschaften - können scharfe Reaktionen hervorrufen. Die Jugendlichen sehen in solchen Aktionen persönliche Angriffe, fühlen sich unwohl, wissen nicht, wie sie darauf reagieren sollen und haben im Laufe der Zeit gelernt, sofort (also präventiv) darauf zu reagieren - mit Gewalt. Sie lernen dabei, dass Gewalt ‚funktioniert‘, denn, wer sie einmal ‚schief‘ angeguckt hat, wird dies nicht wieder tun, und das Unwohlgefühl wird nicht wiederholt erfahren. Und was ihnen sonst selten gelingt, nämlich kurzfristig zu ‚agieren‘ und unmittelbar ‚Erfolge‘ zu erleben, kann in diesen Jugendgruppen relativ ‚einfach‘ gelingen. Sie haben nicht viel zu verlieren - im Prinzip nur die Ehre und den Respekt, den andere ihnen zeigen. Diese Form von Respekt basiert auf Gewalt und kann entsprechend auch nur durch Gewalt aufrechterhalten werden. Diese massive Gewaltneigung entwickelt sich im Kontext mit Gleichaltrigen und wird zu einer wichtigen Instanz für Status und Anerkennung innerhalb bestimmter Peergroups. Peergroups spielen bei der Sozialisation im Jugendalter die größte Rolle. Problematisch wird es, wenn ein großes Machtgefälle innerhalb der Gruppe herrscht. Dann erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Jugendlichen in die Rolle als Opfer oder Täter von Gewalt kommen. Wer sich nicht konsequent zur Wehr setzt, wird immer wieder von demjenigen geschlagen, der seine Stärke und Macht demonstrieren will. Jeder muss sich in einer neuen Gruppe bewähren. Gewaltausübung ist dann häufig die anerkannte Demonstration der Stärke und Dominanz. Das wichtigste Prinzip in der Gruppe spiegelt sich im Begriff der ‚Anmache‘ wider: Jemanden ‚anmachen’ oder selbst ‚angemacht’ zu werden, gehört zu den Grundmustern, mit denen die Jugendlichen die Entstehung gewaltförmiger Konfliktsituationen beschreiben. […] Zu den Formen der ‚Anmache’ gehört etwa ‚der Blick’, wenn jemand ‚schief’ oder ‚dumm’ angeguckt wird. Ein ‚falscher Blick’, d. h. ein Blick, der fixiert oder durchbohrt und sich so des Gegenübers ‚bemächtigt’, zählt bereits als ‚Anmache’. 10 Jedes neue Mitglied in der Gruppe wird zunächst in der von Tertilt beschriebenen Form provoziert, um herauszufinden und zu testen, ob er oder sie in der Lage und Position ist, sich gegen die ‚Anmache‘ zu wehren. In diesem Kontext bedeutet dies die kör- 10 Hermann T ERTILT : Türkish Power Boys. Ethnographie einer Jugendbande, Frankfurt a. M. 1996, S. 206 f. 55 Toprak und El-Mafaalani perliche Auseinandersetzung mit Kontrahenten - ein Duell. Sich in körperliche Auseinandersetzungen zu begeben, bedeutet nicht nur Gewaltanwendung, sondern vor allem Gewalterfahrung. Wer sich entschieden und selbstbewusst verteidigt und auch Gewalt anwendet, wird in der Gruppe hoch angesehen und seine Stellung in der Gruppe steigt - selbst dann, wenn er das Duell verliert. Deviantes und delinquentes Verhalten innerhalb von Peergroups kommt besonders dadurch zustande, dass die Jugendlichen häufig zu spät zu verantwortungsvollen Aufgaben in unserer Gesellschaft herangezogen werden. 11 Ohne Aufgaben, die ihr Selbstwertgefühl und ihre Anerkennung steigern können, müssen sie sich Herausforderungen schaffen: So lässt sich auch die Beobachtung erklären, dass es Jugendliche gibt, die gewalttätige Auseinandersetzungen aktiv suchen. Sie stellen sich in den Weg, provozieren, beschimpfen und demonstrieren Macht und Überlegenheit - und sie generieren dadurch entweder unmittelbar ‚Respekt‘ (wenn nämlich der von ihnen Provozierte nachgiebig ist) oder sie können sich in einem Kampf - also in einem Duell - bewähren. 5. Formen des Duells Duelle entstehen also meist dadurch, dass innerhalb einer Situation zwei bzw. mehrere Akteure die dominante Position beanspruchen. Es kann aber auch sein, dass ein nicht explizit ‚respektvolles‘ Verhalten als Problem wahrgenommen wird. In beiden Fällen wird der Dominanzanspruch durch klare Worte und eine aggressive Körpersprache untermauert. Nun ist die andere Seite herausgefordert. Gibt der Angesprochene nach, wird er meist weiter verbal angegriffen und weggestoßen, um ihn aufgrund der wahrgenommenen Respektlosigkeit weiter zu erniedrigen und gewissermaßen ein langfristiges Zeichen zu setzen. Der Angesprochene wird sich nun unterordnen oder dem Provokateur aus dem Weg gehen - beides Formen, die als respektvolles Verhalten anerkannt werden. Sollte der Angesprochene nicht nachgeben, sollte er also verbal und durch die Körpersprache die beanspruchte Position des Anderen anzweifeln, gibt es kaum noch eine Möglichkeit, ein unmittelbares Duell zu vermeiden. Sollte der Ort (beispielsweise wegen einer nahegelegenen Polizeiwache) ungünstig sein, ist es möglich, dass die Austragung des Konflikts um einige Stunden verschoben wird - allerdings setzt dies voraus, dass sich die beiden Parteien kennen und die Emotionen noch nicht hochgekocht sind. Wenn ein ungleiches Personenverhältnis vorliegt - beispielsweise einer gegen vier - wird die in der Minderheit befindliche Partei darauf drängen, dass das Duell an einem anderen Ort ausgetragen wird. Denn anders als in der romantischen Vorstellung eines Duells, geht es den Jugendlichen um die Demonstration von Stärke, ohne dass dabei eine faire Ausgangslage vorherrschen muss. Es geht also nicht zwingend um ein ‚Augeum-Auge‘, sondern häufig um kollektive Angelegenheiten. Insbesondere bei jüngeren Jugendlichen kann eine extreme Gewaltneigung festgestellt werden, die sich darin ausdrückt, dass auch dann noch weitergeprügelt wird, wenn der Gegner regungslos am Boden liegt. Es ist daher Dritten davon abzuraten, sich alleine in solche Auseinander- 11 Terrie M OFFITT : Adolescence-limited and life-course-persistent antisocial behavior: A developmental taxonomy, in: Psychological Review 100 (1993), S. 674-701. 56 Eine Frage der Männlichkeit setzungen einzumischen oder den Jugendlichen ‚respektlos‘ bzw. ‚provozierend‘, im oben erläuterten Sinne, gegenüberzutreten. In solchen Jugendgruppen hat jeder seinen Platz. Es gibt meist einen ‚Besonnenen‘, der darauf achtet, dass sich der langfristige Schaden einer gewalttätigen Auseinandersetzung in Grenzen hält. Dieser führt meist auch die Gespräche (beispielsweise mit der Polizei). Ein ganz anderer Typus ist der des ‚Unberechenbaren‘. Dieser zeichnet sich durch extrem aggressives, theatralisches und teilweise cholerisches Verhalten aus. Auch wenn es regelmäßig zu Spannungen innerhalb einer Gruppe kommt, halten alle Gruppenmitglieder im ‚Notfall‘ bedingungslos zusammen. Im Laufe der Zeit entstehen in Problembezirken stabile Strukturen, die sich nicht selten an der Straßenzugehörigkeit und der Verwandtschaft ausrichten. Man weiß, mit wem man sich nicht anlegen sollte bzw. wie viele Personen ‚hinter‘ einer Person stehen. Durch diese Strukturen etablieren sich auch ‚neue‘ Spielregeln in diesen Bezirken: Wer sich nicht organisieren kann, wer also keine Gruppe hinter sich hat, der wird ‚angemacht‘ und ‚abgezogen‘. ‚Abziehen‘ bedeutet hierbei, dass ihm Wertsachen (Brieftasche, Handy, Jacke etc.) unter Androhung von Gewalt abgenommen werden. In manchen Kontexten sind die Opfer deutsche Kinder und Jugendliche. Daher sehen sich führende Politiker/ innen veranlasst, rassistische Motive zu unterstellen, die sich in dem Begriff der ‚Deutschenfeindlichkeit‘ ausdrücken. Dabei wird außer Acht gelassen, dass es sich hier um Machtverhältnisse handelt. Minderheiten laufen immer Gefahr, einer benachteiligten Mehrheit als Projektionsfläche zu dienen und dann diskriminiert zu werden. Dies kann unabhängig von der Herkunft geschehen, also auch dann, wenn deutsche Jugendliche in der Minderheit sind. Daher sollte das Phänomen der ‚Deutschenfeindlichkeit‘ eher als Form des Mobbings und weniger als rassistische Tendenz kategorisiert werden. Diese Strukturen können aber auch ins Gegenteil umschwenken und dann zu Kollektivduellen bzw. Massenschlägereien führen. Der Einsatz von Waffen (meist Messer, Schlagringe oder Schlagstöcke) ist bei Auseinandersetzungen von großen Jugendgruppen möglich. 6. Massenschlägerei als kollektives Duell: Ein Fallbeispiel Im Januar des Jahres 1998 ereignete sich eine Massenschlägerei in der Münchner Fußgängerzone (Stachus) zwischen Jugendlichen türkischer und albanischer Herkunft. An dieser verabredeten Schlägerei nahmen nach offiziellen Angaben 35, nach inoffiziellen Angaben weit über 50 Jugendliche teil. Obwohl die Polizei das erfuhr und die Polizeizentrale nur wenige hundert Meter von dem Ort der Schlägerei entfernt war, konnte nicht verhindert werden, dass ein Jugendlicher starb und mehrere zum Teil schwer verletzt wurden. Die damaligen Schlagzeilen reichten von Bandenkrieg zwischen rivalisierenden Gruppen, Krieg in München bis zu Macht um die bessere Position in München. Darüber hinaus wurde neben härteren Strafen für die Täter auch über ausländerrechtliche Konsequenzen nachgedacht. Was war aber wirklich passiert? Man mag nicht glauben, dass diese Massenschlägerei einen sehr simplen und gleichzeitig absurden Grund hatte, nämlich den Wetteinsatz eines Kickerspiels: Zwei Jugendliche, einer türkischer, der andere albanischer Abstammung, spielten in der Münchner Volkshochschule in der Pause 57 Toprak und El-Mafaalani Tisch-Kicker. Der Verlierer dieses Spiels sollte dem Gewinner ein Bier spendieren. Der Verlierer löste seinen Wetteinsatz nicht ein, und es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, bei der sich beide Kontrahenten massiv beleidigten. Die Betreuerin ging dazwischen und beruhigte die Gemüter. Da aber die beiden danach das Problem wie ‚richtige Männer‘ lösen wollten, verabredeten sie sich an dem oben genannten Ort. Wie dieser kleine Disput zwischen zwei Jugendlichen so enden konnte, wurde anhand von mehreren Gerichtsverhandlungen, die ausführlich analysiert wurden, sowie zahlreicher Interviews rekonstruiert. 12 Alle beteiligten Jugendrichter haben in den Verhandlungen darauf Wert gelegt, den wahren Grund dieser Schlägerei zu erfahren. Viele Jugendliche haben zu Protokoll gegeben, dass sie eigentlich nicht so genau wussten, um was es sich handelte. Sie haben lediglich erfahren, dass ein Freund von einem guten Freund Hilfe brauchte, und dass die Albaner Probleme machen würden. Dazu auch zwei Interviewausschnitte: Ich weiß nicht mehr genau wer, aber einer hat gesagt, dass die Albaner den Osman angemacht haben. Ich hab auch gehört, ne, dass sie sich am Stachus verabredet haben. [... ] Alle haben gesagt, wir müssen auch hingehen. [...] Ja, weil die Albaner kommen doch nicht alleine, ne. Man muss doch den Freund helfen. [...] Nein, ich wusste auch nicht, was der Grund war. Ich hab gehört, er braucht Hilfe. Ich hab nicht gefragt. [...] Ja, weil wie soll ich sagen, man wird ausgelacht. Freunden muss man helfen, egal was passiert ist. (Suat). Ich war auch in dieser Schule. Ich habe das im Unterricht erfahren, dass der Osman sich mit dem Albaner treffen will. [...] Wir haben alle Türken in der Schule gefragt, ne. Danach haben wir die Leute angerufen. Alle sollten kommen. [...] Warum, warum? Du kennst die Albaner, die kommen nicht allein. Wenn man sich am Stachus treffen will, dann will man doch nicht reden. Da fliegen die Fetzen. [...] Der Grund war egal. Wenn du Freund hast, ja, ne, musst nicht fragen, sondern helfen. (Bilal) 13 Diese blinde Solidarität und der ausgeprägte Wille, dem Freund helfen zu wollen, haben sich bei beiden Parteien in der Stadt so schnell verbreitet, dass sich etwa 50 Jugendliche im Münchner Innenstadtgebiet getroffen haben. Das Missverständnis, die kleine Diskussion und das Verabreden am Stachus wurden von beiden Seiten so sehr hochgepuscht, dass die beiden Kontrahenten nicht einmal den Hauch einer Chance hatten, das ‚Problem‘ mit anderen Mitteln zu lösen - denn kaum jemand wusste überhaupt, was der eigentliche Auslöser war. Daher wurde aus dem Duell zweier Kontrahenten eine regelrechte Massenschlägerei mit Todesopfer. 7. Schlussfolgerungen Im Jugendalter müssen verschiedene Herausforderungen bewältigt werden: ein Schulabschluss, Berufs- und Partnerwahl und der Abnabelungsprozess vom Elternhaus. Viele benachteiligte Jugendliche fühlen sich dabei überfordert und suchen nach Sicherheit und Orientierung. Insbesondere in der Sozialisation muslimischer Jugendlicher haben gruppen- und sozialorientierte Werte (Gruppenharmonie und Anpassung an Gruppen- 12 Ahmet T OPRAK : „Ich bin eigentlich nicht aggressiv.“, Freiburg 2001. 13 Ebd., S. 29 ff. 58 Eine Frage der Männlichkeit ziele) einen besonderen Stellenwert. Bereits die Erziehung der Kinder in der Familie ist in der Regel auf kollektive Orientierungen ausgerichtet: Übernahme von Geschlechts- und Familienrollen, soziale Normen sowie Vermittlung von Autoritätsbeziehungen. Daher suchen die Kinder und Jugendlichen Kollektive und weisen eine ausgeprägte Neigung zur Gruppenbildung auf. Wenn sowohl im familiären Kontext als auch in der Peergroup die Erfahrung gemacht wird, dass Konflikte mit Gewalt gelöst werden, kann sich sehr schnell ein Zustand etablieren, bei dem alternative Konfliktlösungsstrategien, die auf Konsens oder Meinungsaustausch basieren, kategorisch abgelehnt werden, weil diese als Ausdruck von Schwäche wahrgenommen werden. Dann hilft es häufig auch nicht, in der pädagogischen Arbeit mit Appellen und Argumenten gegen Gewalt zu intervenieren. Solche Belehrungen prallen an der Oberfläche ab und werden die tief verankerten Verhaltensnormen nicht tangieren. Der allgemein bekannte (pädagogische) Leitsatz in der Arbeit mit Menschen, nämlich ‚sie dort abzuholen, wo sie stehen‘, wurde und wird in der pädagogischen Arbeit mit interkulturellen Klienten extrem vernachlässigt. Gerade benachteiligte Jugendliche aus muslimischen Familien erwarten Konfrontation und Entschiedenheit. Der pädagogische Mainstream setzt die erzieherische ‚Vorleistung‘ einer deutschen Mittelschichtfamilie voraus, in der Autorität, Kollektivität und Unterordnung weitgehend durch Verständigung, Individualität und Selbstbestimmtheit ersetzt wurden. Wer diese freiheitlichen Werte weitergeben möchte, muss bedenken, welche komplexen Anforderungen für Kind und Fachkraft damit einhergehen, und darf nicht zu viele Basics voraussetzen. Um nicht falsch verstanden zu werden: Diese Werte sind wichtig, um sich in einer offenen Gesellschaft platzieren zu können. Aber: Diese Werte müssen gelehrt, vorgelebt und selbst erfahren werden. Sie sind das Ziel und nicht der Weg. Der Weg fängt mit dem Abholen an. Es geht also nicht um ein Nachahmen der elterlichen Erziehung, sondern um ein anschlussfähiges Vorgehen, aus dem die Jugendlichen gestärkt hervorgehen. Denn auch Pädagoginnen und Pädagogen lassen sich durch das selbstbewusste und manchmal auch sympathische Auftreten der Jugendlichen blenden und übersehen dabei, welche Ängste, Orientierungsprobleme und Unsicherheiten dahinter verborgen werden. Wer gewalttätige Jugendliche migrationssensibel, also unter Berücksichtigung ihrer spezifischen Lebensumstände und besonderen Ressourcen, fördern will, damit sie ihr Leben und ihre Zukunft im Sinne des Gesetzes und einer liberalen Gesellschaft gestalten können, kommt nicht umhin, eine Brücke zu schlagen zwischen den migrationsspezifischen Rahmenbedingungen und den Zielen der Institutionen. Die Konfrontation und Autorität sollten also als Sprungbrett für Verständigung gesehen werden. 59 Sixt Wetzler Überlegungen zur europäischen Fechtkunst 1. Einleitung [T]he rapidly expanding modern literature on duelling has managed to ignore fighting altogether. The relevance of systematical personal combat training, wholly aggressive and homicidal in purpose, has not even been recognized let alone studied. The intellectual atmosphere has become so rarified that nobody asks how duellists studied the arts of killing, who taught them, and where. 1 So harsch diese Worte sind, so treffend sind sie auch. Wer das Duell in Europa verstehen will, kommt nicht umhin, auch die Entwicklung der Fechtkunst in Europa zu betrachten. In den gängigen Abhandlungen des Themas geschieht dies bestenfalls am Rande. Dabei ist das Duell nur ein Spezialfall innerhalb der Handlungsoptionen, die eine bewaffnete Kultur bereithält - ‚bewaffnet‘ in zweierlei Hinsicht: mit Waffen ausgestattet einerseits, im Umgang mit diesen Waffen ausgebildet andererseits. Während nun die materielle Seite der europäischen Waffengeschichte sehr gut aufgearbeitet wurde, 2 ist es um die Auseinandersetzung mit der Geschichte der europäischen Fechtkunst ganz anders bestellt. Der vorliegende Artikel will keine umfassende chronologische Entwicklung des Fechtens schreiben. Stattdessen soll er einige gängige Missverständnisse erläutern und auf Punkte hinweisen, die für das Thema ‚Duell‘ von Bedeutung sind. 2. Evolution und Perfektion? Die meisten der (wenigen) ausführlichen Werke zum Thema entstanden lange vor der Mitte des 20. Jahrhunderts; trotz ihres Alters und ihrer - teilweise offensichtlichen - Mängel prägen sie bis heute das wissenschaftliche Verständnis nachhaltig. Als Beispiel sei Egerton Castles ‚Schools and Masters of Fencing‘ 3 von 1885 behandelt. Castle, selbst ein begeisterter Fechter, versuchte, einen umfassenden Überblick über die Entwicklung des Fechtens zu bieten. Aber er entpuppt sich als Kind seiner Zeit: Selbstverständlich war für ihn die europäische Moderne die Krone der menschlichen Entwicklung, ein Zustand der Perfektion, der über generationenlange Eliminierung von Unverstand und Irrtum erreicht wurde. 4 Dies galt für ihn insbesondere auch für das Fechten. Im Mittelalter bestimmten laut Castle rohe Kraft und Brutalität den Ausgang eines Kampfes: The rough untutored fighting of the Middle Ages represented faithfully the 1 Sidney A NGLO : The Martial Arts of Renaissance Europe, New Haven/ London 2000, S. 2. 2 Als Standardwerk in deutscher Sprache kann immer noch gelten: Heribert S EITZ : Blankwaffen. Ein waffenhistorisches Handbuch, 2 Bde., Braunschweig 1965/ 1968. 3 Egerton C ASTLE : Schools and Masters of Fencing from the Middle Ages to the Eighteenth Century, London 1885. 4 J. Christoph A MBERGER : The Secret History of the Sword. Adventures in ancient martial arts, Burbank CA 1999, S. 2. 61 Wetzler reign of brute force in social life as well as in politics. Those were the days when strength was lauded more than skill. 5 Das 19. Jahrhundert hingegen hatte für Castle eine kulturelle Feinheit erreicht, die sich in der elaborierten Verfassung seiner Fechtkunst widerspiegelte: [...] the best fencers have indulged in a play which is artificial, though [...] much more perfect. Foil practice may in fact be looked upon as ‘diagrammatic‘ fencing, freed of most extraneous, disturbing elements. 6 In dieser Perspektive ist der Beginn der Fechtkunst im Spätmittelalter zu suchen, von wo aus sie sich in einem mühsamen Weg von trial and error zu ihrer perfekten Form im 19. Jahrhundert entwickelte. Entscheidendes Kriterium war dabei für Castle die Gewichtung im Gebrauch von Hieb auf der einen und Stich auf der anderen Seite. Der Hieb galt ihm als primitiv und als fechterischer Irrweg, und erst mit der Verlagerung zum Stichfechten konnte in einem process of evolution 7 eine echte, systematische Fechtkunst entstehen. Wendepunkt war das 18. Jahrhundert, in dem the use of the small sword was carefully and almost exclusively cultivated, and the refinements introduced were in due course applied to the other weapons. That was the birth-time of our modern swordsmanship, correct, precise, and elegant, and none the less effective for being less flowery than the rapier-play. 8 Man erkennt das Selbstverständnis des viktorianischen Gentleman wieder - korrekt, präzise, elegant, aber effektiv durch den Verzicht auf unnötigen Zierrat. Und auch in Deutschland war die Meinung über die frühe Fechtkunst nicht anders: Das Schwert wird wohl geschwungen, aber den Meister macht nicht die Geschicklichkeit und Kunst, sondern die Kraft. 9 Es soll hier nicht darum gehen, das Selbstbild des 19. Jahrhunderts im Spiegel seiner Fechthistoriker zu beleuchten. 10 Wichtig ist aber festzuhalten, dass das eben skizzierte Verständnis seinen Nachhall nicht nur bei den Autoren des 20. Jahrhunderts fand - so schrieb z. B. ein Wiener Diplomfechtmeister: Es kann also festgestellt werden, dass das europäische Rittertum während seiner gesamten militärisch dominierenden Epoche fechterische Übungen oder Überlegungen niemals benötigt, betrieben oder gefördert hat. Und zur Fechtkunst im Hochmittelalter: Zu dauerhaften Fortschritten auf diesem engeren Gebiete waren ja auch noch die primitivsten Voraussetzungen nicht gegeben und der Mangel einer verständnisvollen, aufnahmebereiten Öffentlichkeit musste zwangsläufig auch die kühnsten wie begabtesten Neuerungsbestrebungen zum Scheitern verurteilen. 11 5 C ASTLE : Schools and Masters (Anm. 3), S. 5. 6 Ebd., S. 6 f. 7 Ebd., S. 5. 8 Ebd., S. 5 f. Als small sword wird hier ein ausschließlich zum Stich geeigneter Degen verstanden, als rapier eine Hieb- und Stichwaffe. 9 Gustav H ERGSELL : Entwicklung der Fechtkunst im XV. und XVI. Jahrhundert, in: DERS . (Ed.): Talhoffers Fechtbuch aus dem Jahre 1467. Gerichtliche und andere Zweikämpfe darstellend, Prag 1887, S. 3-18, hier S. 5. 10 Eine kurze, aber sehr gute Betrachtung hierzu bei: Ken M ONDSCHEIN : Daggers of the mind. Towards a historiography of fencing, in: Journal of Western Martial Art 2001, URL: http: / / ejmas.com/ jwma/ jwma frame.htm (zuletzt am 31. Januar 2011). 11 Karl E. L OCHNER : Die Entwicklungsphasen der europäischen Fechtkunst, Wien 1953, S. 10 f. 62 Überlegungen zur europäischen Fechtkunst Dieses Vorurteil ist bis heute in akademischen Publikationen anzutreffen. So lesen wir in einem 2009 erschienenen Artikel: Die Kampfweise des Mittelalters unterschied sich grundlegend von dem, was heute unter „Fechten“ verstanden wird. Diese Fechtweise erforderte wenig Geschicklichkeit und war geprägt von relativ langsamen, wuchtigen Bewegungen. Schnelle Reaktionen waren dem Kämpfer in seiner schweren Rüstung gar nicht möglich. 12 Diese Einschätzung vorneuzeitlicher Fechtkunst und ihre Gleichsetzung mit dem Kampf in schwerer Rüstung ist umso erstaunlicher, als die Autorin nur eine Seite weiter das sogenannte Towerfechtbuch I.33 erwähnt, das älteste überlieferte Fechtbuch, das ungefähr auf das Jahr 1300 datiert und wohl im Würzburger Raum entstanden ist. 13 Auf 64 Seiten stellt diese Handschrift ein funktionables System für den Kampf mit (einhändig geführtem) Schwert und Buckler 14 dar. Das System ist komplex, zu komplex, um die Erfindung eines einzelnen Autors zu sein, und offensichtlich für den Kampf ohne Rüstung gedacht. Und dass auch dann die richtige Fechttechnik eine Rolle spielte, wenn die Kombattanten gerüstet waren, beweist eindrucksvoll das drittälteste überlieferte Fechtbuch Europas, Fiore dei Liberis Flos duellatorum. 15 Dennoch scheint für einen Großteil der Autoren die europäische Fechtkunst erst dann zu beginnen, als sich in Italien und später Frankreich ein reines Stichfechten entwickelt. Diese Einschätzung ist schlichtweg falsch. Im Folgenden soll deshalb der Begriff der Fechtkunst neu gefasst und tatsächliche Gründe für ihre Transformationen über die Jahrhunderte gezeigt werden. Dabei wird es sich erweisen, dass ein ‚Neu‘ nicht zwangsweise mit einem ‚Besser‘ gleichzusetzen ist. Es sei noch eine Bemerkung vorangestellt: Die Begriffe ‚Fechten‘ und ‚Fechtkunst‘ sind in sich schon problematisch, neigen sie doch - im modernen Sprachgebrauch - dazu, uns voreingenommen die historischen Gegebenheiten betrachten zu lassen. Wenn man im Deutschland des 21. Jahrhundert vom Fechten spricht, impliziert man leicht eine Reduktion des Waffenkampfes, wie wir sie aus dem olympischen Fechtsport kennen, und in der, beispielsweise, Schläge mit der linken Hand, die Entwaffnung des Gegners oder Ringkampftechniken keine Rolle spielen, ja sogar verboten sind. Vielleicht sollte man von ‚europäischer Kampfkunst‘ sprechen, um diese Voreingenommenheiten zu vermeiden; und für weite Teile dieser europäischen Kampfkunst wäre es besser, eher die asiatischen Kampfsysteme 16 als Vergleichsfolie heranzuziehen denn das heutige olympische Fechten. All die genannten Manöver galten über Jahrhunderte als selbstverständlicher Teil der Fechtkunst ebenso wie der Umgang mit allen Waffengattungen, vom Dolch bis zu Hellebarde und Spieß. 12 Elke L IERMANN : Mit Mantel und Degen. Studentisches Fechten im frühneuzeitlichen Freiburg Br., in: Barbara K RUG -R ICHTER / Ruth-E. M OHRMANN (Hg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa. Köln/ Weimar/ Wien 2009, S. 31-51, hier S. 36 f. 13 Royal Armouries MS I.33. 14 Der Buckler ist ein kleiner Rundschild von ca. 30 cm Durchmesser. 15 Fiore dei L IBERI : Flos Duellatorum Il Fior di Battaglia. Duellatorum in armis - sine armis - equester - pedester, Oberitalien 1410. 16 Besonders die japanischen und philippinischen Klingenkampfsysteme. 63 Wetzler 3. Omnipräsenz der Kampfkunst und historische Spurensuche Wie entsteht Kampfkunst? Die Erkenntnis, dass er mit Hilfe eines längeren Hebels größere Kräfte freisetzen kann als mit seinem Arm allein, ist einer der wesentlichen Schritte der Entwicklung des Menschen, 17 die Entdeckung des Prinzips der Klinge ein weiterer. Es ist notwendiger Teil menschlicher Kultur, dass bewährte Methoden an Mitglieder der eigenen Gruppe weitergegeben werden. Insofern scheint es berechtigt, den Beginn von Kampfkunst als zivilisatorischer Leistung an dem Zeitpunkt zu verorten, da a) die Fähigkeit zur Kommunikation bestand und b) Konflikte gewalttätig gelöst wurden - mit anderen Worten: sehr früh in unserer Geschichte. Die Annahme, dass eine Kultur zwar über Waffen verfügt, sich aber keine weiteren Gedanken über die möglichst effektive (und damit das eigene Überleben sichernde) Handhabung derselben macht, scheint nicht plausibel. Aufwand und Know-how, die in Europa seit der Bronzezeit in die Produktion von Metallwaffen fließen, deuten auf eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ihre Träger auch mit ihnen trainierten. Sowohl in der europäischen als auch in der asiatischen Tradition entwickeln sich komplexere Kampfsysteme dann häufig als Frage-und-Antwort-Spiel: Bewegung z kontert Schlag y, der die Riposte zu Angriff x war. ‚Schaut her, erst hab ich getan, als wollte ich ihm zum Knie schlagen, und ihm dann gegen den Kopf gehauen - probiert das auch mal! ‘ Für den mediterranen Raum lässt sich eine (allerdings sportlich bzw. kultisch zu verortende) Ring- und Stockkampfkunst bereits im alten Ägypten belegen; 18 berühmt sind die hoch entwickelten Ringkampftechniken, die auf den Grabmalereien von Beni Hasan (um 2000 v. Chr.) zu sehen sind. Dass der Zweikampf in komplexen Systemen gefasst und vermittelt werden kann, wusste auch das antike Griechenland mit seinen drei waffenlosen olympischen Kampfsportarten Ringen, Boxen und Pankration, das Schläge, Tritte und Ringertechniken zum beinahe regellosen ,Allkampf' vereinte. In den doctores der Gladiatoren begegnen wir dann in der Römischen Republik Fechtmeistern, die den Umgang mit den verschiedenen Waffen lehrten; und nach der einige Jahrhunderte jüngeren Aussage des Vegetius überschnitten sich deren Trainingsmethoden teilweise mit denen des römischen Militärs. 19 Für die Völkerwanderungszeit lässt sich eine gleichwie geartete, organisierte Fechtkunst nur schwierig fassen, für das Frühmittelalter darf man sie eventuell annehmen: Dort nämlich, wo bei gerichtlichen Zweikämpfen berufsmäßige campiones antraten. 20 Im Zusammenhang mit gerichtlichen Zweikämpfen begegnen uns auch im Hochmittelalter professionelle Fechter, oder besser, Fechtlehrer, bei denen man Unterricht nahm, 17 Historisch wohl nicht ganz korrekt, aber schön zusammengefasst zu Beginn von Stanley Kubricks „2001: A space odyssey“. 18 Michael B. P OLIAKOFF : Kampfsport in der Antike. Das Spiel um Leben und Tod, Zürich/ München 1989. 19 Alf Ö NNERFORS (Ed.): P. Flavii Vegeti Renati Epitoma Rei Militaris. Stuttgart u. Leipzig 1995, Lib. 1 xi u. Xii, S. 24-26. 20 Dagmar H ÜPPER -D RÖGE : Der gerichtliche Zweikampf im Spiegel der Bezeichnungen für „Kampf“, „Kämpfer“, „Waffen“, in: Frühmittelalterliche Studien 18 (1984), S. 607-661, hier S. 641. Es sei an dieser Stelle ins Gedächtnis gerufen, dass unser Wort „Kampf“ ja erst von diesen frühmittelalterlichen Zweikämpfen auf dem campus herrührt. 64 Überlegungen zur europäischen Fechtkunst um seine Chancen im Kampf zu verbessern. 21 In London erlässt man 1189 ein Verbot, das den Betrieb öffentlicher Fechtschulen innerhalb der Stadtgrenzen untersagt. 22 Dabei ist das planmäßige Trainieren mit den Waffen kein Phänomen allein der Ballungszentren Europas. Saxo Grammaticus lässt seinen Helden Gram von Fechtmeistern die Handhabung des Schwertes in Angriff und Verteidigung lernen. 23 Solches Training skandinavischer Adliger spiegelt sich auch in der nicht-fiktionalen Literatur des mittelalterlichen Norwegens wider: Der konungs skuggsjá (Königsspiegel) von ca. 1250, ein pädagogisches Werk aus adligem Umfeld, rät jungen Kriegern, sich nicht nur im Lanzenreiten, sondern auch zweimal täglich mit einem Partner im Schwertkampf zu üben: Denn es geziemt sich für alle Männer das Königs, dieses Spiel zu beherrschen. 24 Und kurz darauf heißt es: Im Gefecht kämpfe mit angemessenen und effektiven Hieben, die du zuvor gelernt hast. 25 Wir können also mit Sicherheit festhalten, dass im Hochmittelalter Fechten programmatisch trainiert wurde mit dem Ziel, sich für den Ernstfall zu wappnen. Wie genau diese mittelalterliche Kampfkunst allerdings aussah, lässt sich bis ca. 1300 nur sehr schwer fassen. 26 Dann erscheint das bereits erwähnte Towerfechtbuch I.33 und gibt den Startschuss für die europäische Fechtliteratur, die den umfangreichsten und wichtigsten Schatz an Quellen für das hier behandelte Thema darstellt. 4. Fechtbücher und die Lust am Fechten Heidemarie Bodemer zählt einen Bestand von etwa 330 illustrierten Fechtbüchern aus dem mediterranen und westeuropäischen Raum bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, hinzu kommen weitere Texte ohne Illustrationen. 27 Als Exponate mittelalterlicher und frühneuzeitlicher Fachliteratur versuchen die Fechtbücher, die Prinzipien und Techniken des bewaffneten wie unbewaffneten Kampfes für den Leser nachvollziehbar aufzuarbeiten, bzw. dem trainierten Fechter als Gedächtnisstütze zu dienen. Grundsätzlich kann man sie sich als altertümliche Versionen der Kampfsport- und Selbstverteidigungslehr- 21 A NGLO : Martial Arts (Anm. 1), S. 7. 22 Ebd. Das Verbot im Wortlaut unter: URL: http: / / www.british-history.ac.uk/ report.aspx? compid=33054 #n2 (zuletzt am 01. Mai 2011), Calendar of letter books of the City of London, Letter book C, fol. 15 d. 23 S AXO G RAMMATICUS : Gesta Danorum, I, 13. (Zählung nach Edition: Jørgen O LRIK / Hans R ÆDER : Saxonis Gesta Danorum, Kopenhagen 1931.). 24 Oscar B RENNER (Ed.): Speculum regale. Ein altnorwegischer Dialog nach Cod. Arnamagn. 243 Fol. B und den ältesten Fragmenten, München 1881, Kap. 37, S. 100. [Übersetzung S.W.]. 25 Ebd., S. 101. 26 Der Versuch, sie aus narrativen Quellen zu rekonstruieren, muss sich für weite Teile der europäischen Literatur schwierig gestalten, zu holzschnittartig sind die dargestellten Kampfszenen. Vgl. Wilhelm G IESE : Waffen nach der spanischen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts, Hamburg 1925. Eine wichtige Ausnahme bilden die Isländersagas, die, mit der gebotenen methodologischen Vorsicht, auf den Realismus ihrer Kampfszenen untersucht werden können. Leider ohne dieselbe erfolgt durch: William R. S HORT : Viking Weapons and Combat Techniques, Yardley PA 2009. 27 Umfangreich und mit dezidiert kunstgeschichtlicher Perspektive: Heidemarie B ODEMER : Das Fechtbuch. Untersuchungen zur Entwicklungsgeschichte der bildkünstlerischen Darstellung der Fechtkunst in den Fechtbüchern des mediterranen und westeuropäischen Raumes vom Mittelalter bis Ende des 18. Jahrhunderts, 2008, URL: http: / / elib.uni-stuttgart.de/ opus/ volltexte/ 2008/ 3604/ pdf/ Fechtbuch.pdf (zuletzt am 31. Januar 2011). 65 Wetzler bücher vorstellen, wie sie heute zuhauf in den Buchhandlungen stehen (auch wenn heute der Fokus meist mehr auf waffenlosem Kampf als auf Langschwert und Mordaxt liegt). 28 Kern der Bücher ist die Vermittlung von Bewegungsabläufen bzw. Kampfsequenzen in Bild und Schrift, die vom Leser im Training nachempfunden werden können. Zumeist verläuft dies nach dem oben beschriebenen Frage-Antwort-Schema: Auf den Angriff x reagiere mit dem Konter y. Angesichts der begrenzten Darstellungsmöglichkeiten waren die Autoren gezwungen, die Zeit, die bei einem tatsächlichen Kampf verstreicht, in ausgewählten Positionen zu kondensieren, d. h., die für sie entscheidenden Momente eines Bewegungsablaufes herauszufiltern. Diese didaktische Aufbereitung und die Verbindung mit den den Illustrationen zugeordneten Instruktionen gelingen mal mehr, mal weniger gut. 29 Genau daraus ergibt sich die Schwierigkeit beim Lesen und Interpretieren der Schriften, und oft ist eine gehörige fechterische Vorbildung nötig, um den Sinn einer Sequenz auf Anhieb zu verstehen (ganz zu schweigen von den sprachlichen Problemen, die sich im Umgang mit dem fechterischen Spezialvokabular ergeben können). Wirklich nachvollziehbar wird die alte europäische Fechtkunst erst in dem Moment, da die Fechtbücher nicht als voneinander unabhängige Entitäten, sondern als zusammenhängendes Geflecht von Text gelesen werden. [O]ur knowledge of unarmed combat in medieval and renaissance Germany depends more on the accumulation of a massive dossier of overlapping evidence than on the clarity of any single treatise. 30 Einzelne Fechtbücher können zwar von bemerkenswerter Klarheit sein, insgesamt kann man diese Einschätzung aber auf die Gesamtheit der Gattung beziehen. Über die technischen Einzelheiten hinaus zeigen die Fechtbücher noch etwas anderes ganz deutlich: die Faszination nämlich, die man jahrhundertelang in Europa für die Kampfkunst hegte. Natürlich war es potentiell überlebenswichtig, sich mit oder ohne Waffen gegen einen Angriff zur Wehr setzen zu können. Konnte man diese Fertigkeit aber aus einem Fechtbuch lernen? Höchstens mit den allergrößten Schwierigkeiten; 31 und wer dieses Ansinnen hatte, der wandte sich sinnvollerweise an einen Fechtmeister, statt an ein totes Stück Papier. Die Bücher waren weit weniger für den unbeleckten Laien als für den bereits Eingeweihten gedacht. Sie sind Ausdruck einer Begeisterung für die Perfektionierung von Gewaltausübung; sie bestätigen das technische Repertoire des Autors, indem sie es systematisch darlegen; sie versuchen den Leser von der Effektivität dieses Repertoires zu überzeugen. Nach der Logik der Selbstverteidigung, die sie sich als Ziel auf die Fahnen geschrieben haben, dürften die Fechtbücher eigentlich gar nicht existieren - denn jedes Stück Fechtkunst, dass den Paukboden verlässt, birgt die Gefahr, dass es gegen den Fechtmeister eingesetzt wird. Letzten Endes ging es den Autoren darum, die eigene Kunst als richtig und wahrhaftig darzustellen, als Wissenschaft, die über das Handwerk 28 Wobei sich der Kreis schließt: In den letzten zwei Jahrzehnten sind vermehrt moderne Lehrbücher zur historischen Kampfkunst erschienen; sozusagen alte Schwerter in neuen Scheiden. 29 A NGLO : Martial Arts (Anm. 1), S. 40-44. 30 Ebd., S. 184. 31 Auch wenn die Fechtbücher selbst bisweilen anderes behaupten. Vgl. ebd., S. 30. 66 Überlegungen zur europäischen Fechtkunst von Mord und Totschlag weit hinausgeht. Der ahnungslose Fechtlaie, der oft als Adressat genannt wurde, war letztlich nur Projektionsfläche der Verfasser. Das tatsächliche Publikum dürfte wohl eher unter den Ausübenden der Fechtkunst zu suchen gewesen sein, die in der Lektüre des Textes ihr eigenes Handeln intellektuell absichern wollten - stets in der Furcht, ihnen könnte ein Kunstgriff entgehen, der dem (realen oder imaginierten) Gegner zur Verfügung steht. Es ist bezeichnend, dass wir aus der Fechtliteratur nicht ansatzweise so gut über die Trainingsmethoden der Meister unterrichtet sind wie über ihr technisches Repertoire. Im modernen Kampfkunsttraining hört man manchmal, dass es nicht auf die Technik ankommt, sondern darauf, wie die Technik dem Schüler vermittelt wird - und eine noch so genaue bildlich dargestellte Technik wird ohne das Wissen, wie sie zu trainieren ist, kaum zu verinnerlichten Bewegungsgewohnheiten führen. Die Einsicht, dass Kampfkunst im Europa früherer Jahrhunderte (genau wie heute) nicht nur Mittel, sondern eben auch Zweck an sich ist, ist von großer Bedeutung im weiteren Kontext dieses Bandes: Denn sie bringt, überspitzt formuliert, die Frage mit sich, ob man fechten lernte, weil man sich duellierte, oder ob man sich duellierte, weil man fechten lernte. Notwendigkeit oder Lust am Fechten: Die praktische Auseinandersetzung mit den Waffen schien die Gesellschaft gänzlich durchdrungen zu haben. In den Darstellungen der Geschichte des Fechtens besteht die Tendenz, die Formen und Wandlungen der Kunst jeweils durch diejenige soziale Schicht zu erklären, die sich ihrer zu einem gewissen Zeitpunkt am meisten bediente. Es sei aber die Frage gestellt, ob man diese Formen und Wandlungen nicht besser als Mosaik abwechselnder, gleichzeitiger, überlappender Hoch- und Tiefphasen bestimmter Ansätze und Methoden fassen kann, die sich orthogonal zur gesellschaftlichen Stratographie ereigneten. Die europäische Kultur war über die längste Zeit eine Waffen tragende, und, wie zuvor schon beschrieben, solange Waffen verbreitet genug sind, ist auch ein Training mit ihnen anzunehmen. Diese praktische Auseinandersetzung begann an der Spitze der sozialen Hierarchie und erstreckte sich von dort in ihre Teilbereiche: Kaiser Maximilian I. ließ sich im Freydal abbilden beating up the opposition with virtually every weapon known to man, 32 Christian IV. von Dänemark ließ sich vom Fechtmeister Salvator Fabris an der Waffe unterrichten. Der Adel focht, sei es in der Ausbildung zum Knappen 33 oder später an den Ritterakademien: 34 [Ich bin] der Ansicht, dass der Hofmann der Wesenheit und Hauptsache nach im Waffenhandwerk tüchtig bestehen muss, heißt es im Libro del Cortegiano. 35 Die Bürger fochten, aus Lust an der Kampfkunst in den städtischen Fechtgesellschaften (Friedrich III. erteilte 1487 das erste dahingehende Privileg den Fechtern in Nürnberg), oder aus militärischer Notwendigkeit zur Verteidigung der Städte (1507 beschloss der 32 Ebd., S. 158. 33 Vgl. zur Beziehung der Fechtmeister zum mittelalterlichen Adel: Martin W IERSCHIN : Meister Johann Liechtenauers Kunst des Fechtens, München 1965, S. 55. 34 Norbert C ONRADS : Ritterakademien der Frühen Neuzeit. Bildung als Standesprivileg im 16. und 17. Jahrhundert, Göttingen 1982, S. 33. 35 Baldassare C ASTIGLIONE : Der Hofmann. Lebensart in der Renaissance, Berlin 2004, S. 28. 67 Wetzler bayerische Landtag, die Bürger im Umgang mit dem Spieß ausbilden zu lassen). 36 Die Studenten fochten, lange Zeit trotz Verbot der Universitäten, dann als Teil des universitären Unterrichts. 37 Die Soldaten fochten als Teil ihrer Ausbildung, z. B. an der 1616 von Johann VII. von Nassau-Siegen in Siegen gegründet Kriegsschule. Selbst die Kleriker fochten (man erinnere sich an das Towerfechtbuch) und galten in gewissen Zeiten gar als Meister im Ringkampf. 38 Die Fechtkunst ‚gehörte‘ also nicht einer einzelnen Schicht, sie ist eine Kulturtechnik, an deren Entwicklung über die Jahrhunderte ganz unterschiedliche Menschen teilhaben, sie ist ein diskursiver Raum, in dem man sich über Standesgrenzen hinweg verständigt, verständigen muss - weil dem Fechter die Optionen seiner potentiellen Gegner niemals gleichgültig sein können. 5. Hieb und Stich Die Entwicklung der Fechtkunst in Europa ist keine geradlinige Evolution hin zu einem maximal effektiven Bewegungssystem. Tatsächlich ist eher das Gegenteil der Fall. Oder, um es genauer zu sagen: Die Fechtkunst verliert über die Jahrhunderte viele derjenigen Attribute, die sie zu einem vollständigen Selbstverteidigungssystem gemacht hatten, um sich einer neuen kulturellen Nische optimal anzupassen: dem Duellfechten. Es wurde zu Beginn bereits darauf verwiesen, dass die markante Demarkationslinie in der Geschichte der europäischen Kampfkunst von den meisten Autoren im Wechsel vom Hiebzum Stichfechten gesehen wird, meist mit der Konnotation ‚plump und primitiv contra raffiniert und technisch überlegen‘. Dass die Sache so einfach nicht ist, zeigt ein weiterer Blick in die Fechtbücher. Bereits die erste technische Anwendung in MS I.33 - und somit der erste schriftlich niedergelegte Fechtkonter überhaupt - gibt Anweisung für einen stichslach (die lateinische Handschrift verwendet den deutschen Begriff), also eine Aktion, bei der die Klinge mit der Spitze ins Ziel gebracht werden soll. 39 Dass der anonyme Autor es nicht für nötig hält, den Stich selbst abzubilden, aber mehrfach darauf Bezug nimmt (tunc debet duci stich sicut generaliter in libro continetur, quamuis non sint ymagines de hoc) 40 zeigt, dass dieser bereits um 1300 zur Selbstverständlichkeit im Fechten gehört haben muss. Dreihundert Jahre später wies Joachim Meyer darauf hin, dass nach dem gebrauch der Alten Teutschen Fechter [...] das Stechen so wol als das Hauwen mit dem langen Schwert zugelassen waren. 41 Er macht deutlich, dass nicht das Prinzip des Stichs eine Neuerung war, sondern dessen Betonung im Umgang mit dem Rapier, also der schlanken, stichlastigen Form des Schwertes, die aus Italien nach Deutschland gekommen war: obwol 36 Martin H OBOHM : Machiavellis Renaissance der Kriegskunst, 2 Bde., Berlin 1913, Bd. 2, S. 391. 37 Tina B RAUN / Elke L IERMANN : Feinde, Freunde, Zechkumpane. Freiburger Studentenkultur in der Frühen Neuzeit, Münster/ München/ Berlin 2007, S. 105. 38 A NGLO : Martial Arts (Anm. 1), S. 23. 39 MS I.33 (Anm. 13), S. 3. 40 Ebd., S. 6. 41 Joachim M EYER : Gründtliche Beschreibung der freyen Ritterlichen und Adelichen Kunst des Fechtens in allerley gebreuchlichen Wehren mit schönen und nützlichen Figuren gezieret und fürgestellet, Augsburg 1600 (1. Aufl. 1570), Bl. I iii v. 68 Überlegungen zur europäischen Fechtkunst bey unsern voreltern in ernstlichen sachen/ gegen dem gemeinen feinde/ das stechen auch zugelassen/ so haben sie doch solches in schimpflichen uebungen nicht allein nit zugelassen. 42 Es scheint also, dass bei sportlichen Vergleichskämpfen, z. B. den sogenannten Fechtschulen, Stiche zwar aus Gründen der Sicherheit verboten, im Ernstfall aber durchaus gebräuchlich waren. Anhand des Rapiers wollte Meyer erklären, wie mann die Haeuw in Stich und die Stich in Haeuw verwandeln kann. 43 Dies beschreibt das gleiche grundlegende Konzept, das in MS I.33 in der Vokabel stichslach kondensiert war: In der Fechtkunst gehören Hieb und Stich zusammen. Der englische Fechter George Silver schrieb 1599 in seiner Streitschrift gegen das reine italienische Stichfechten: there is no perfection in the true fight, without both blow and thrust, nor certain rule to be set down for the point only. 44 Das lange Schwert, das zumindest seit dem deutschen Meister Johannes Liechtenauer 45 und bis zum Siegeszug des Rapiers als die Fechtwaffe schlechthin angesehen wurde, ist trotz seiner Dimensionen alles andere als ungeeignet für dieses Zusammenspiel von Hieb und Stich. Die zweihändige Führung macht die Waffe extrem schnell und präzise, das Schwungmoment eines Hiebes lässt sich leicht in einen Stich umlenken, und bei Klingenbindung kann nicht nur nach visuellen, sondern auch nach taktilen Reizen gefochten werden. 46 All dies sind Elemente, die der Umgang mit dem langen Schwert und dem Rapier gemeinsam haben, ebenso wie sich auch viele Huten bzw. Leger, also Ausgangspositionen, gleichen. Noch zur Zeit Meyers kann man das Fechten also als universelles System begreifen, das sich bemühte, Bewegungsmuster zur Verfügung zu stellen, die sich auf eine Mehrzahl von Waffen übertragen ließen. Vor dem Hintergrund einer Selbstverteidigungskunst ist das konsequent: Was zur Hand ist, wird benützt, um Leib und Leben zu schützen, und natürlich sind auch Methoden des Ringkampfes (d. h., generell waffenlosen Kämpfens) integriert - Paul Hector Mair lässt in seinem Fechtbuch die Kämpfer sogar mit Sicheln und Sensen aufeinander losgehen. 47 Eine Fechtkunst, die sich immer mehr darauf verlegt, dem Stich mit dem Rapier den Vorzug vor allen anderen Angriffen zu geben, muss im Vergleich dazu einseitig scheinen, zu Zwecken der Selbstverteidigung sogar weniger tauglich. Es ist eine Sache, den Gegner zu verletzen, und eine andere, selbst nicht verletzt zu werden, und George Silvers Kritik an den italienischen Meistern seiner Zeit who teach us Offence, not De- 42 Ebd., Bl. III l r. Diese Textstelle bestätigt auch den oben genannten Zwang, sich mit der Fechtkunst des Anderen zu beschäftigen: ist nun mehr auch von noeten gewesen / das uns nicht allein solche außlendiche und frembde gewonheit der voelcker offenbar unnd bekandt seyen / sondern das wir uns deroselbigen nicht weniger als sie [...] ueben und geschickt machen / auff das wir ihnen […] uns zu beschirmen desto fuglich begegnen und obsigen koennen. 43 Ebd., Bl. III li r. 44 George S ILVER : Paradoxes of Defence, London 1599, Bl. D3 v. In der philippinischen Kampfkunst sagt man: Panabas y puntadas, Hieb und Stich, sind wie Geschwister - man darf sie nicht trennen. 45 Zur Bedeutung und Überlieferung Liechtenauers siehe: W IERSCHIN : Meister Johann Liechtenauers Kunst (Anm. 33); Hans-Peter H ILS : Meister Johann Liechtenauers Kunst des langen Schwertes, Frankfurt a. M./ Bern/ New York 1985. 46 Es sei noch einmal auf das japanische Fechten mit dem katana hingewiesen, das sich in vielen Bereichen bemerkenswert parallel zum langen Schwert entwickelt hat. 47 Paulus Hector M AIR : In hoc libro […], Augsburg ca. 1542, Bl. 204 r u. 226 r. 69 Wetzler fence 48 ist nicht aus der Luft gegriffen. Die gerade Linie findet schnell ihr Ziel, aber sie bietet kaum Schutz vor der Waffe des Gegners. Und während anfangs Buckler, Linkhanddolch oder der um den linken Arm gewickelte Mantel noch gängig sind, um bei der Parade der gegnerischen Waffe zu helfen, werden auch diese Methoden nach und nach eliminiert - mit Ergebnissen, die dem modernen Sportfechten nicht unähnlich gewesen sein dürften, wo der gleichzeitige Treffer beider Kontrahenten alles andere als eine Ausnahme ist. Auch auf dem Schlachtfeld hätten die langen neumodischen Stichwaffen nach Einschätzung Silvers keinen Sinn, 49 was sich in einer zeitgleichen Verordnung aus Valencia spiegelt, die derlei Klingen als mörderisch und nutzlos im Kriege ansieht. 50 6. Ideologische Abhängigkeiten Wir stehen also vor einem Rätsel. Was brachte die italienischen Fechtmeister des 16. Jahrhunderts wie Camillo Agrippa 51 dazu, dem Stich immer größeres Gewicht zu geben? Was veranlasste die französischen Fechtmeister wie Charles Besnard 52 im 17. Jahrhundert, alle Manöver mit der linken Hand endgültig aus ihrem Stil zu verbannen, obwohl sie sich jahrhundertelang als effektiv erwiesen hatten? Was David Nicolle für die Entwicklung der Waffen und Rüstungen formuliert hat, kann mutatis mutandis auch für den Umgang mit ihnen angenommen werden: [...] some, perhaps many, changes in arms, armour and other items of military equipment may have resulted from the whims of fashion rather than a determinist process of supposed technological progress. 53 Gleiches gilt beispielsweise auch für den Festungsbau der Frühen Neuzeit, der in der Literatur fast ausschließlich unter den Aspekten einer militärischen Zweckrationalität gesehen [wurde], die nicht selten strategische, taktische und technische Erwägungen unserer Zeit in die Vergangenheit zurückprojezierte, und dies, obwohl vielfach nicht die militärische Empirie die Argumentation in der fortifikatorischen Literatur [beherrschte], sondern die abstrakte mathematische Regel, der Hinweis auf die „Invention“ einer anerkannten Autorität, die geometrische Proportion. 54 Genau so wenig entwickelt sich die Fechtkunst zwangsläufig zu einem Maximum an Effektivität und Anwendersicherheit. Auch ihre Prinzipien, Ziele und Trainingsmethoden sind Prämissen unterworfen, die außerhalb des Rahmens der kämpferischen Nahziele liegen können. Unabhängig vom sozialen Stand des Fechters galt sie als ‚ritterliche Kunst‘, als Möglichkeit also, über die eigene Körperlichkeit einen Anspruch auf 48 S ILVER : Paradoxes (Anm. 44), Epistle Dedicatorie. 49 Ebd. 50 A NGLO : Martial Arts (Anm. 1), S. 100. 51 Camillo A GRIPPA : Trattato di scientia d’arme con un dialogo de filosofia, Rom 1553. Vgl. C ASTLE : Schools and masters (Anm. 3), S. 45. 52 Charles B ESNARD : Le maistre d’armes libéral traittant de la théorie de l’art et exercise de l’espée seule, ou fleuret, Rennes 1653; Siehe Lochner: Entwicklungsphasen (Anm. 11), S. 26. 53 David N ICOLLE : Arms and armour of the crusading era, 1050-1350, Bd. 2, White Plains NY 1988, S. X. 54 Henning E ICHBERG : Geometrie als barocke Verhaltensnorm. Fortifikation und Exerzitien, in: Zeitschrift für Historische Forschung 4 (1977), S. 17-50, hier S. 17 u . 22. 70 Überlegungen zur europäischen Fechtkunst gesellschaftliches Prestige anzumelden. 55 Um diese Möglichkeit aufrechtzuerhalten, musste sie aber die Flexibilität besitzen, sich neuen gesellschaftlichen Strömungen und kulturellen Vorlieben anzupassen. Agrippas Fechtbuch ist ein gutes Beispiel dafür. Camillo Agrippa stammte aus Mailand, kam aber 1535 nach Rom, wo er sich wohlgemerkt nicht als Fechtlehrer, sondern als Architekt, Ingenieur und Mathematiker betätigte. Es ist dieser Hintergrund, vor dem sein Trattato entstand, der exemplarisch ist für die damalige Suche nach geometrischer Verankerung der Erscheinungen der Natur. Agrippa widmete zwei Kapitel seines Buches der geometrischen Darlegung der Winkel, in denen der Körper den Stich ausführen kann. Sich selbst ließ er als vertieft in einen gelehrten Disput abbilden, den Zirkel in der Hand, die Armillarsphäre vor sich auf dem Tisch, den Fuß auf der Weltkugel ruhend. An seiner Seite aber hat er das Schwert gegürtet, zwei Dolche und ein Panzerhandschuh liegen anbei. The meaning is clear: The author - a distinguished mathematician and engineer - is using both pure and applied mathematicas to place personal combat upon a scientific basis. 56 Agrippa verwarf die alten, bildreichen Namen für die Garden 57 und führte ein Nummernsystem von eins bis vier ein, und natürlich war für einen Mathematiker wie ihn der Stich als scheinbar kürzester Weg zum Gegner das einzig richtige Mittel im Kampfe . Interessant, dass gerade diese so weithin rezipierten Neuerungen von einem Mann eingebracht wurden, der das Fechten anscheinend als Hobby betrieb und im Vergleich zu vielen früheren Autoren wohl über weniger praktische Kampferfahrung verfügte. Er sollte aber nicht der letzte bleiben, der das Fechten in dieser Art mathematisch zu verankern suchte und damit dem Primat des Stichs folgte. So heißt es im Vorwort zu Nicoletti Gigantis Fechtbuch von 1606, 58 man könne die Fechtkunst nur durch mathematisches Verständnis erlernen. Für ihn sollten vorfindliche Gegenstände und Prozesse […] den abstrakten Modellen des Verstandes soweit unterworfen werden, daß der Umgang mit ihnen nicht mehr der Naturwüchsigkeit anheimfiel, sondern den Möglichkeiten der Kalkulation und Disposition erschlossen wurde, die der Verstand, ,spekulativ´, innerhalb der von ihm selbst autonom hervorgebrachten Formen zu beherrschen vermochte. […] Sie [die Fechtkunst] bestehe in der mathematischen Kenntnis von Linien, Zahlen und Maßen; man müsse die Mannigfaltigkeit von Linien, Kreisen, Winkeln und Flächen so beherrschen, wie gelehrte Kenner diese vor ihm dargelegt hätten - gemeint ist Camillo Agrippa. 59 55 Die Schaufechter als Teil des fahrenden Volkes seien hiervon explizit ausgenommen, vgl. Ernst S CHU - BERT : Fahrendes Volk im Mittelalter, Bielefeld 1995, S. 235. 56 A NGLO : Martial Arts (Anm. 1), S. 25. 57 Lochner spricht von den bizarren Garden, wobei in vielen Fällen nur ihre Namen bizarr scheinen, die Positionen selbst aber weiterhin unterrichtet werden. L OCHNER : Entwicklungsphasen (Anm. 11), S. 13. 58 Nicoletti G IGANTI : Scola overò teatro nel quale sono rappresentate diverse maniere e modi di parare, e di ferire di spada sola, e di spada e pugnale; dove ogni studioso portrà essersitarsi e farsi prattico nella professione dell’armi, Venedig 1606. 59 Rudolf zur L IPPE : Naturbeherrschung am Menschen, Bd. 2: Geometrisierung des Menschen und Repräsentation des Privaten im französischen Absolutismus, Frankfurt a. M. 1974, S. 160 f. 71 Wetzler Geometrische Schemata gehörten von nun an zum gängigen Repertoire der Fechtliteratur. Besonders die spanischen Meister und ihre Anhänger begeisterten sich für solch ein mathematisches Verständnis des Fechtens, was schließlich in Girard Thibaults monumentaler Académie de l'espée mündete, 60 die die im Kampf anzuwendende Schrittarbeit anhand geometrischer Muster von schwindelerregender Komplexität darstellen wollte. Wer diese Muster verinnerlicht, davon war Thibault offensichtlich überzeugt, kann nicht mehr verlieren - beinahe beiläufig, mit hängender linker Hand, in perfekter Distanz und perfektem Winkel setzen die Figuren seines Buches ihre tödlichen Stiche. Während die spanische Schule zum Aussterben verurteilt war, trat das italienische Fechten seinen Siegeszug durch Europa an, 61 trotz solcher Kritiker wie Silver. Vielleicht war es die richtige Balance zwischen praktischer Umsetz- und Anwendbarkeit und mathematischem Anstrich, die seine Attraktivität ausmachte. Denn während es natürlich auch ohne geometrisch-theoretische Unterfütterung problemlos möglich gewesen wäre zu lernen, wie man andere Menschen ersticht, erhob in der Renaissance erst dieser wissenschaftliche Kontext das Fechten zur Kunst, durch deren Ausübung man sich als ‚ritterlich‘ fühlen durfte. Und dann kommt dieses neue Stichfechten mit seinen kleinen, ansatzlosen Bewegungen einem weiteren Ideal der nachmittelalterlichen europäischen Kultur entgegen: Dem der sprezzatura, der Leichtigkeit des Handelns. Baldassare Castigliones Ratschlag wird zumindest von den Verfassern der Fechtbücher in immer stärkerem Maße befolgt: Man muss […] eine gewisse Nachlässigkeit zur Schau tragen, die die angewandte Mühe verbirgt und alles, was man tut und spricht, als ohne die geringste Kunst und gleichsam absichtslos hervorgebracht erscheinen lässt. 62 Der Fechter beweist, indem er seinen Körper auf eine bestimmte Art und Weise kontrolliert und bewegt, dass er am dominierenden ästhetischen Diskurs teilhat. Menschen tendieren unter Stress zu grobmotorischen Bewegungen. So ist es kein Zufall, dass in der deutschen Langschwert-Tradition der Hieb von der rechten Schulter diagonal nach links unten - d. h., die Art von Angriff, auf die adrenalingeladene und auch untrainierte Menschen instinktiv zurückgreifen - ‚Zornhau‘ genannt wurde. 63 Diese animalische Seite des Kämpfens suchte man zu verdrängen, die erwähnte Beiläufigkeit eines Thibault war das angestrebte Ziel. In der Anspannung eines Waffengangs nicht auf die per Evolution angelegten, grobmotorischen Bewegungen zurückzugreifen, erforderte ein hohes Maß an Selbstkontrolle. Diese galt als erstrebenswert in einer 60 Girard T HIBAULT : Académie de l’espée de Girard Thibault, d’Anvers, où se demonstrent par reigles mathématiques, sur le fondement d’un cercle mystérieux, la théorie et pratique des vrais et jusqu’à présent incognus secrets du maniement des armes à pied et à cheval, Leiden 1628. 61 Es sind vor allem die deutschen Fechter, die bis ins 17. Jahrhundert am Training mit dem langen Schwert festhalten, parallel dazu aber auch mit dem Rapier trainieren, bis er schließlich die Oberhand gewinnt. Vgl. C ASTLE : Schools and Masters (Anm. 3), S. 76. 62 C ASTIGLIONE : Der Hofmann (Anm. 35), S. 35 u. 36. 63 Eindrucksvolle osteoarchäologische Nachweise für erfolgreich ins Ziel gebrachte, mittelalterliche Zornhäue finden sich bei: Shannon A. N OVAK : Battle-related trauma, in: Veronica F IORATO / Anthea B OYL - STON / Christopher K NÜSEL (Hg.): Blood Red Roses. The archaeology of a mass grave from the Battle of Towton AD 1461, Oxford 2000, S. 90-102. 72 Überlegungen zur europäischen Fechtkunst Gesellschaft, die die Ideen eines Justus Lipsius propagierte, der seine Zeitgenossen [ermutigte], nicht nur ihre Emotionen, sondern auch ihre Haltungen und Bewegungen zu kontrollieren. 64 Gleichzeitig erlaubte das Stichfechten, polemisch formuliert, mit weniger Training besser auszusehen. Natürlich kann auch eine auf Hieb und Stich basierende Fechtkunst elegant aussehen - der japanische Schwertkampf ist das wohl prominenteste Beispiel - aber die Kombination kleinräumiger Bewegungen, immer leichter werdender Waffen und artifizieller Körperhaltungen entsprach im idealen Maße dem, was man sich im Laufe des 17. Jahrhunderts als angemessen und schön, als ‚zierlich‘ vorstellte. Die tiefen, breitbeinigen Fußstellungen, die die Kämpfer noch bei Joachim Meyer einnehmen, fanden sich nicht mehr. Außer im Ausfallschritt, der den mathematisch begründeten Prinzipien des Stichs geschuldet war, standen die Fechter nun in engen, aufrechten Positionen, die an Stellungen aus dem Tanz erinnerten. 65 Es ist bezeichnend, wenn es Ende des 19. Jahrhundert heißt: Das Stoßfechten bietet auch für ältere Herren eine ausgezeichnete Leibesbewegung, ohne große körperliche Anstrengung. 66 Das Fechtbuch Besnards ist in vielen Punkten hervorragendes Beispiel für diese zierliche Fechtkunst. Er scheint der Erste gewesen zu sein, der den formalisierten Fechtgruß, réverénce, unterrichtete, 67 er präferierte das extrem leichte, einzig zum Stich taugliche Florett, eliminierte den Gebrauch der linken Hand komplett und verwarf den direkten Konterstich in den Angriff des Gegners zugunsten des Parade-Riposte-Systems, das auch heute noch das Reglement des Florettfechtens bestimmt. 68 Einsatzgebiet einer solchen Fechtweise war naturgemäß weder das Schlachtfeld noch die Selbstverteidigung auf der Straße, sondern das Duell - die ritualisierte Fechtkunst suchte sich einen ritualisierten Rahmen, um in einem echten Kampf verwirklicht zu werden. Wer ein Duell focht, bewies seine Ehre nicht allein dadurch, dass er sich einer tödlichen Gefahr aussetzte (dies hätte auch ein Kampf mit, z. B., Holzfälleräxten gewährleistet). Es ging nicht nur darum, dass man focht, sondern wie man focht. Man inszenierte sich und seinen Körper gemäß dem Codex gesellschaftlich verordneter, ästhetischer Normen. Indem man sich durch Selbstkontrolle und Beherrschung der Waffe zum Teil eines weithin verstandenen symbolischen Systems machte, wurde man umgekehrt durch dieses System in seiner eigenen gesellschaftlichen Position bestätigt. Im 19. Jahrhundert musste das Stichfechten wiederum einer Begeisterung für das Säbelfechten Platz machen. 69 In einer Liste öffentlich bekannt gewordener Duelle aus den Jahren 1884 bis 1894 finden die Pistole und vor allem der Säbel Erwähnung, einmal 64 Harald K LEINSCHMIDT : Posituren im Wandel. Beobachtungen zur Geschichte der Körperhaltung und -bewegung vornehmlich im frühneuzeitlichen Europa, in: Jahrbuch für Europäische Geschichte 10 (2009), S. 121-148, hier S. 140. 65 E ICHBERG : Geometrie (Anm. 53), S. 27. 66 Josef S CHMIED -K OWARZIK / Hans K UFAHL : Fechtbüchlein, Leipzig 1894, S. 178. 67 C ASTLE : Schools and Masters (Anm. 3), S. 139. 68 L OCHNER : Entwicklungsphasen (Anm. 11), S. 26. 69 Ebd., S. 29. 73 Wetzler auch das Stilett - der Degen hingegen kein einziges Mal. 70 Diese Rückkehr vom reinen Stichzum Stich- und Hiebfechten lässt sich am besten begreifen, wenn man in ihr nicht, wie häufig geschehen, Degeneration der Kampftechnik erblickt, sondern eine bewusste Abkehr einerseits von der artifiziellen Zierlichkeit früherer Zeit, andererseits von der Dominanz der Geometrie. Die Veränderungen, die der Zusammenbruch dieser Dominanz um 1800 für diverse Lebensbereiche mit sich brachte, lässt sich nicht sinnvoll isoliert aus s p e z i f i s c h e n B e d i n g u n g e n [Hervorhebung H.E.] herleiten. Dazu gehört zum Beispiel, wenn das Verschwinden des Exerzitienfechtens auf behördliche Verordnungen gegen das gefährliche Duellieren und Stoßfechten oder auf die technische Entwertung der Schlag- und Stichwaffen im Krieg zurückgeführt wurde […]. 71 Die neuerliche Etablierung eines Hieb- und Stichfechtens ist dennoch nicht mit einer Rückkehr zu den ‚Alles ist erlaubt‘-Systemen eines Joachim Meyer oder George Silver gleichzusetzen. Auch wenn Teile des allgemein anerkannten ästhetischen Codes zusammenbrachen, galten bestimmte Aspekte des Verhaltenscodex der ‚Ritterlichkeit‘ weiterhin. So blieb z. B. auch mit dem Säbel der Einsatz der linken Hand ausgeschlossen, bisweilen mit direktem Verweis auf die französische Tradition: Charles Besnard schrieb bereits 1653 gegen den Gebrauch der linken Hand; er bezeichnete diese Parade als ‚verabscheuungswürdig‘. [...] Die Verletzung dieser Duellregel ist eine der schwersten, und die damit in Verbindung gebrachte Verwundung oder Tödtung des Gegners käme einem Meuchelmorde gleich. 72 Auch eine Entwaffnung des Gegners durfte nicht für den entscheidenden Treffer genutzt werden, schließlich leben wir nicht mehr in dem Zeitalter, wo man bei allen Kämpfen und Duellen […] nur allein von dem Gedanken geleitet wurde, [...] seinen Gegner zu entwaffnen. Erst im sechzehnten Jahrhundert wurde durch die Höflichkeit der Sitten diesen Gebräuchen ein Ende gesetzt. 73 Sogar bei Kurzsichtigkeit durfte man auf die Ritterlichkeit hoffen: [...] ist beim Gebrauche einer Brille diese zerbrochen worden, so ist gleichfalls der Kampf einzustellen. 74 7. Fechten um des Fechtens willen Das Training von Kampfkunst besitzt die Tendenz, eine Eigendynamik zu entwickeln, die auf der schlichten Frage beruht: Funktioniert denn auch, was ich da lerne? Und vor allem: Wie gut ist mein System im Vergleich zu anderen? Für viele Kämpfe in der Geschichte der Fechtkunst mag es keinen anderen Grund gegeben haben als den, dass beide Kontrahenten zu fechten gelernt hatten, und nun aneinander die Überlegenheit ihrer jeweiligen Techniken beweisen wollten. Samuraischulen traten gegeneinander zu Vergleichskämpfen an, philippinische Kampfsysteme begegneten sich in sogenannten deathmatches mit Eisenholzknüppeln, und in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts entstanden in den USA die Ultimate Fighting Championships, in denen die Vertreter 70 Hans K UFAHL / Josef S CHMIED -K OWARZIK : Duellbuch. Geschichte des Zweikampfes nebst einem Anhang enthaltend Duellregeln und Paukcomment, Leipzig 1896, S. 127. 71 E ICHBERG : Geometrie (Anm. 53), S. 40 u. 45. 72 Gustav H ERGSELL : Duell-Codex, Wien/ Pest/ Leipzig 1891, S. 77. 73 Ebd., S. 67. 74 Ebd., S. 61. 74 Überlegungen zur europäischen Fechtkunst unterschiedlicher Kampfsportarten gegeneinander kämpften. Aus den gleichen Gründen forderte George Silver im ausgehenden 16. Jahrhundert italienische Fechtmeister zum Duell. 75 Selbst Goethe schreibt von den Rivalitäten, die zu seiner Jugendzeit zwischen den Anhängern seines französischen Fechtmeisters und denen eines deutschen Konkurrenten herrschten: Diese verschiedenen Arten eine so wichtige Übung zu behandeln, die Überzeugung eines Jeden, daß sein Meister der bessere sei, brachte wirklich eine Spaltung unter die jungen Leute, die ohngefähr von einem Alter waren, und es fehlte wenig, so hätten die Fechtschulen ganz ernstliche Gefechte veranlaßt. Denn fast ward eben so sehr mit Worten gestritten als mit der Klinge gefochten. 76 Womöglich hätten wir weder Urfaust noch Werther je kennen gelernt, wenn Goethe sich für seinen französischen Meister auf ein Duell eingelassen hätte und durchbohrt worden wäre - als Opfer nicht eines übertriebenen Ehrgefühls oder gesellschaftlicher Konventionen, sondern der Fechtkunst selbst. 75 S ILVER : Paradoxes (Anm. 44), Bl. K3 v. 76 Johann Wolfgang von G OETHE : Aus meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, Frankfurt a. M. 1986, S. 162. 75 Monika Mommertz Wissen vom Zweikampf Transdisziplinäre und transepochale Überlegungen Bürger, Studenten und Professoren im wilhelminischen Deutschland, US-amerikanische Hip-Hop-Sänger des 21. Jahrhunderts, sächsische Adelige des frühen 18. Jahrhunderts, arabischbzw. türkischstämmige Jugendliche im Ruhrgebiet: Bereits die zeitliche und räumliche Bandbreite der Beiträge der einleitenden Sektion einer Tagung zum ‚Duell’ führt vor Augen, dass bestimmten Formen des ritualisierten Zweikampfes auch heute gesellschaftliche Bedeutung zukommt. 1 Der Kampf um Ehre zwischen zwei Kontrahent/ inn/ en, oft in Verbindung mit körperlicher Gewalt - dieses Muster scheint nahezu ubiquitär: Ganz unterschiedliche Kulturen und Epochen bringen und brachten diese spezifische Gewaltform offenbar immer wieder hervor. Auf der im vorliegenden Band dokumentierten Konferenz kamen die Sozialpädagogik und die Geschlechterforschung, die europäische Ethnologie und die Geschichtswissenschaften mit verschiedenen ihrer Teildisziplinen zu Wort - entsprechend variierten bereits im relativ kleinen Disziplinenkreis die Interpretationsansätze. Lassen sich trotz fachlicher Prägungen und Frageinteressen in diesem Feld transdisziplinäre Perspektiven entwickeln? Ist gar ein einheitlicher Erklärungsrahmen absehbar oder doch wünschenswert? Solche Fragen stellen sich, sind jedoch im Moment kaum befriedigend zu beantworten. Versteht man mit Jürgen Mittelstraß unter Transdisziplinärität all jene Forschung, die sich aus ihren disziplinären Grenzen löst, […] ihre Probleme disziplinenunabhängig definiert und disziplinenunabhängig löst, 2 dann darf man die Erwartungen mit Blick auf den ritualisierten Zweikampf bzw. das ‚Duell’ (zur Begrifflichkeit weiter unten) im Moment nicht allzu hoch schrauben. Zwar dürfte sich gerade eine relativ umgrenzte Gewaltpraxis als Problemfeld transdisziplinärer Forschung durchaus eignen und in zahlreichen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen wurden bereits Fallbeispiele bzw. Analysen vorgelegt. 3 Dass vielfach bemerkt wurde, in welchem Maße soziale Verhaltensweisen und kulturelle Deutungsmuster anderer Gesellschaften mehr oder weniger dichte ‚Familienähnlichkeiten’ mit dem europäischen 1 Vgl. auch die Beiträge von Ulrike L UDWIG / Gerd S CHWERHOFF , Michael M EUSER und Ahmet T OPRAK und Aladin E L -M AFAALANI in diesem Band. 2 Jürgen M ITTELSTRAß : Interdisziplinarität oder Transdisziplinarität? , in: DERS .: Die Häuser des Wissens. Wissenschaftstheoretische Studien, Franfurt a. M. 1998, S. 29-48, S. 44. 3 Recherchiert man in diesen und anderen Fächern, so ergibt sich eine Vielzahl kaum zu überschauender Möglichkeiten des diszplinären Zugriffs in den kulturwissenschaftlich interessierten Disziplinen wie den Philologien, der Ethnologie bzw. Anthropologie, aber auch in der Psychologie und Biologie. Allerdings wird die Suche nach Schnittfeldern durch den Umstand erschwert, dass die Disziplinen unterschiedliche Begrifflichkeiten präferieren, um Phänomene zu beschreiben, die sich in Kernelementen zu überschneiden scheinen. Die Tatsache, dass wichtige europäische Sprachen zwischen ‚Duell’ und ‚Zweikampf’ begrifflich nicht unterscheiden, macht es nicht leichter, einen realistischen Eindruck von Umfang und Art der Erforschung der hier interessierenden Phänomene zu gewinnen. 77 Mommertz ‚Duell’ und seinen Varianten aufweisen, hat eine gezielt transdiziplinäre Bearbeitung bisher kaum befördert. Von gemeinsamer Theoriebildung zum ‚ritualisierten Zweikampf’ kann nicht die Rede sein. Auch dieser Beitrag kann nicht Sinn und Ziele einer Erforschung von Duell bzw. Zweikampf im Sinne Mittelstraß’ für mehrere Disziplinen zugleich entwerfen. Er wird sich vielmehr auf einige Überlegungen dazu beschränken, wie die deutschsprachige historische Forschung von den Ergebnissen und Herangehensweisen anderer Fächer profitieren kann. Der Geschichtswissenschaft bieten sich neben transdisziplinären zudem transepochale Perspektiven, die bisweilen eigener Vermittlungsanstrengungen bedürfen. Dennoch wird im Folgenden nicht aus einer über den Fachbereichen bzw. institutionalisierten Zeitenschwellen sozusagen schwebenden Position heraus argumentiert, sondern aus einer durch bestimmte Forschungsschwerpunkte im Rahmen der Geschichte der Frühen Neuzeit und des 19. Jahrhunderts geprägten Sicht. Ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit scheint eine gewisse Erweiterung wissenschaftlicher Wahrnehmungsfähigkeit durchaus möglich - für Mittelstraß und andere immerhin ein wichtiges Teilziel transdisziplinärer Arbeit. 4 Im Einzelnen möchte ich begründen, in welchen Zusammenhängen und unter welchen Voraussetzungen Brückenschläge über Zeit und Raum hinweg mit dem Konzept des ‚ritualisierten Zweikampfes’ möglich und sinnvoll scheinen. Im Rahmen von Fallstudien oder bestimmten Fragestellungen wird es natürlich immer Gründe geben, sich auf konkrete Räume, Epochen und daran geknüpft auf einen mehr oder minder eng gefassten Duellbegriff zu beziehen. Für die hier vorzuschlagenden Perspektiverweiterungen hat sich dieser jedoch als recht unflexibel erwiesen. So möchte ich unter dem Stichwort des ‚Zweikampfes‘ in einem weiteren Abschnitt einen Blick über den europäischen ‚Tellerrand‘ hinaus anregen. Einige Möglichkeiten von Vergleich und Transferanalyse sowie Probleme des zeitlichen Wandels und der Transformation von Bedeutungen des Zweikampfes sind hier ebenfalls anzuschneiden. Daran anschließend wird die Frage nach der Relevanz von scheinbar fremden sozialen und kulturellen Kontexten aufgeworfen - bzw. nach den mit solchen Kontexten verknüpften ‚Epistemologien‘, Wahrnehmungen von Welt und Wirklichkeiten. Welche Wahrnehmungspräferenzen der Untersuchungsgegenstand ‚ritualisierter Zweikampf‘ durch seine Fokussierung auf das Moment des dramatisch Performativen generiert und warum es weiterführen kann, die dem Zweikampf oft inhärenten Relevanzinszenierungen nicht immer für bare Münze zu nehmen, ist Thema eines weiteren Abschnitts. Abschließend sind einige Gedanken zur Bedeutung der Kategorie Geschlecht im Kontext des ritualisierten Zweikampfes zu skizzieren. 1. Auch mit Blick auf eine mögliche transdisziplinäre bzw. transepochale Perspektiverweiterung drängt sich zuerst die Frage auf, ob es eines vorweg und eindeutig definierten Untersuchungsgegenstandes ‚Duell‘ bzw. einer übergreifenden ‚Duellforschung‘ über- 4 Jürgen M ITTELSTRAß : Erfüllt die Naturforschung ihren Auftrag, in: DERS .: Die Häuser des Wissens. (Anm. 2), S. 159-178, S. 140. 78 Wissen vom Zweikampf haupt bedarf. 5 Verfolgt man das ‚Duell‘ über verschiedene (Zeit-)Räume hinweg, so fallen Begriff und Phänomen nicht immer in eins - Ulrike Ludwig und Gerd Schwerhoff haben in ihrem einleitenden Beitrag darauf bereits hingewiesen. Grundsätzlich sind Ungleichzeitigkeiten zwischen Begriffen und den damit je verbundenen Erscheinungen in der Geschichtswissenschaft nicht außergewöhnlich: Begriffswandel und Bedeutungswandel verlaufen selten kongruent, zumal, wenn man längere Perioden betrachtet; bestimmte Phänomene ähneln sich, ohne dass sämtliche damit zu einer Zeit verknüpften Bedeutungselemente in spätere Kontexte hinein übernommen werden. So offenbar auch beim europäischen ‚Duell‘: Zwar ist - um zunächst noch einmal an Beispiele aus dem Tagungsprogramm anzuknüpfen - etwa den von Krug-Richter, Meuser, Toprak und El-Mafaalani untersuchten Jugendlichen deutscher, türkischer oder arabischer Herkunft der Begriff der ‚Ehre‘ durchaus geläufig, also ein nicht nur für das europäische Duell der Vormoderne und des 19. Jahrhunderts tragendes Konzept (und dies trotz der unterschiedlichen Herkunft der Mitglieder dieser Gruppen). Dennoch würden diese Jugendlichen das in der Vormoderne und im 19. Jahrhundert bzw. darüber hinaus gebräuchliche Wort ‚Duell’ wohl kaum ins Spiel bringen, um ihre eigenen Auseinandersetzungen zu charakterisieren. Dennoch erweisen sich die Vorträge der Sektion zu heutigen duellartigen Verhaltensweisen für die historisch arbeitenden Fächer als hochinteressant: Die von Gewalt begleitete Auseinandersetzung zwischen zwei Jugendlichen bezieht sich in den verschiedenen sozialen und kulturellen ‚Settings’ nach wie vor auf Ehre und Männlichkeiten; die ritualisierte Herausforderung und der Druck zur Beantwortung dieser Herausforderung begründet Gruppen bzw. Kollektive und festigt soziale Positionierungen bzw. Hierarchien; Worte schlagen in Gewalt um; gleichzeitig ist die gesamtgesellschaftliche Situierung der Gewalttäter bzw. Teilnehmer/ inn/ en der Rituale ambivalent, ihr Auftreten wird von der Gesellschaft u. U. als Transgression wahrgenommen; die durch die Auseinandersetzung wiederherzustellende Ehre wird in und durch Kollektive garantiert, welche nicht immer gesellschaftlich akzeptiert sind bzw. auf legalem Boden agieren; verlorene Ehre muss wieder hergestellt werden. Diese Aspekte (und möglicherweise weitere) verweisen auf die wichtigsten Merkmale des ‚Duells‘, wie wir es kennen, also auf hohe Vergleichbarkeiten. Bereits diese wenigen Beispiele lassen eine epochale Ausweitung der bisher üblichen, lediglich bis in den Beginn des 20. Jahrhunderts hineinreichenden historischen Forschung vielversprechend erscheinen. 6 Die erwähnten sowie andere kultur- und sozialwissenschaftlich orientierte Disziplinen könnten unter dem Übergriff des ‚rituellen Zweikampfes’ solche Parallelitäten problemlos fassen - Gemeinsamkeiten, die unter dem Stichwort des ‚Duells‘ vermutlich Widerstände auf allen Seiten hervorrufen würden. Auf den ‚Zweikampf‘ abzuheben, würde erlauben, etwa auch die Geschichte der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts oder die Zeitgeschichte anzusprechen. Tatsächlich lassen sich auch in der Geschichte der Vormoderne immer wieder Verhaltensbzw. Gewaltformen beobachten, die zwar von den Akteur/ inn/ en nicht als 5 Die Beiträge von Ulrike L UDWIG , Maren L ORENZ , Barbara K RUG -R ICHTER und Peter W ETTMANN - J UNGBLUT in diesem Band diskutieren ebenfalls diese Frage. 6 Zum Forschungsstand vgl. die Beiträge von: Ulrike L UDWIG / Gerd S CHWERHOFF und Ulrike L UDWIG in diesem Band. 79 Mommertz ‚Duell’ bezeichnet werden, als mit physischer Gewalt ausgetragener Kampf zwischen zwischen zwei Gegnern um der ‚Ehre’ willen aber dennoch die wichtigsten Elemente dessen aufweisen, was als zentral für das ‚klassische’ Duell des 19. Jahrhunderts gilt. Ludwig und Schwerhoff ist deshalb ebenfalls zuzustimmen, wenn sie als Eckpunkt gemeinsamer Diskussionen zwischen den Disziplinen die für das 19. Jahrhundert entworfene(n) Definition(en) des ‚Duells’ ablehnen. ‚Familienähnlichkeiten’ auf der Erscheinungsebene bestimmter Praktiken jenseits der Differenzen in den Benennungen sind natürlich gerade das, was die transdisziplinäre und transepochale Arbeit überhaupt erst begründen kann. Die transepochale Kontinuität der Verwendung des Duellbegriffs trotz damit verknüpfter Bedeutungsmodifikationen über lange Zeiten hinweg spricht m. E. ebenso wie der Verlust des Begriffs trotz Kontinuitäten in den damit verbundenen Phänomenen dafür, die Erforschung des Duells im engeren, zeitgenössischen Sinn in ein weiteres Konzept einzubinden. Unter dem Oberbegriff des ‚rituellen Zweikampfes’, der sich über einen offenen ‚Merkmalspool’ umreißen ließe, wären neben dem europäischen Duell weitere, in vieler Hinsicht ähnliche Erscheinungen zusammenzufassen. Unabhängig von der Selbstbenennung der Akteure und Akteurinnen und trotz in der Regel vorhandener Differenzen auf der Ebene der sozialen und kulturellen Kontexte wären so unterschiedliche Varianten des Zweikampfes in einer übergreifenden Diskussion zusammenführen. Als Merkmale zu diskutieren wären neben dem Aspekt der Zweierkonstellation und des Agonalen etwa auch die Ritualisierung durch Wiederholung und Wiedererkennbarkeit; die Verknüpfung mit Konzepten wie Ehre oder ‚Männlichkeit’; Ab- und Ausgrenzungsfunktionen für sozial und/ oder kulturell definierte Gruppen; eventuell gesellschaftliche Kompensationsfunktionen - eine unabgeschlossene Liste verbindender Gemeinsamkeiten ließe sich in engerer Zusammenarbeit gegebenenfalls präzisieren bzw. verlängern. 2. Doch nicht nur forschungsstrategische oder heuristische Gründe sprechen für die Diskussion des ‚Duells’ im Rahmen des ‚Zweikampfes’. Denn die Rede vom ‚Duell’ erfolgte im Laufe der Jahrhunderte meist nicht in wertneutralen Kategorien. Dass es zu Zeiten keineswegs allen Mitgliedern einer Gesellschaft möglich war, sich legitimerweise zu ‚duellieren’, ist bekannt. Bereits die Verschränkung von Beschreibung und Wertung in einem einzigen Begriff könnte Grund genug sein, das ‚Duell’ im Hinblick auf die Grenzen einer strikt definitorischen Herangehensweise stärker als bisher zu reflektieren. Betrachten wir hierzu einen wichtigen Einwurf: However, historians have by and large related honor to the duel among members of elite classes; few have tried to connect it to plebeian or peasant violence. There seems to be a paradox: ethnographers have studied honor among peasants but did not discern notable manifestations of interpersonal violence; historians have studied interpersonal violence among elites and found it to be intimately connected to honor. One element of this paradox has been that historians have not studied honor among the lower orders, and they have been reluctant to accord the same ritual status to plebeian violence as they do to upper-class dueling, even though they been more than 80 Wissen vom Zweikampf willing to see other forms of plebeian behavior as rooted in culturally constructed rituals. 7 Nun ist der deutschsprachigen Forschung zur Frühen Neuzeit heute kaum vorzuwerfen, dass sie bäuerliche Ehrkonzepte oder daraus abgeleitete Gewaltpraxen nicht ausreichend berücksichtigt habe. In einer Hinsicht scheint Thomas W. Gallants auf das 19. Jahrhundert gemünzte Kritik jedoch durchaus bedenkenswert: Zu einer Verbindung von ‚Duellforschung’ und Erforschung etwa bäuerlicher Raufhändel, Ehrkonflikte oder Fehdepraktiken ist es bisher für keine Epoche gekommen. Wenn man vom ‚bäuerlichen Duell’ bei solchen Verhaltensmustern vielleicht mit guten Gründen nicht sprechen möchte, so sucht man einen ‚bäuerlichen Zweikampf’, der sich als Brückenkonzept durchaus eignen würde, in der einschlägigen Literatur jedenfalls vergebens. Obwohl ein guter Teil der für die ländlichen Gesellschaften relativ breit untersuchten Konfliktaustragungspraktiken sich in den Kontext ‚ritualisierter Zweikampf’ stellen ließe, bleiben auch für die Frühe Neuzeit wichtige Vergleichsmöglichkeiten ungenutzt und wechselseitige Bezüge zwischen adeligem und nicht adeligem Zweikampf weitgehend unerforscht. Um fruchtbare Diskussionen zwischen den Epochen bzw. (Teil-)Disziplinen zu führen, wäre also deutlicher als bisher zu fragen, wann, wo und warum historische Akteur/ inn/ en eine bestimmte Praxis als ‚Duell’ bezeichneten - andere hingegen nicht. Und auch die Frage, warum und mit welchen Implikationen Forscher und Forscherinnen den Duellbegriff gebrauchten, sollte in der Erforschung des ritualiserten Zweikampfes nicht ganz vernachlässigt werden. Bezeichnenderweise scheinen bestimmte Interpretamente bzw. Diskurse zum ‚Duell’ dem historiographischen Gedächtnis entfallen. Im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verband man den Duellbegriff z. B. mit ‚rassischen’ Unterscheidungen, die eine weitere Ebene impliziter Hierarchisierung erkennen lassen. So differenzierte die zwischen 1908 und 1926 von Hastings und Selbie in London herausgegebene ‚Encyclopedia of Religion and Ethics’ unter dem Stichwort Duelling zwischen einem Punkt 1. [Duelling] under civilisation und einem Punkt 2. [Duelling] among primitive peoples. 8 Die von Zeitgenossen empfundene Spannung zwischen der wachsenden Erkenntnis weltweiter Verbreitung bestimmter, bis dahin für das europäische Duell reservierter Merkmale und dem Bedürfnis nach Erhalt der im Duellbegriff damals eingeschlossenen spezifischen Distinktionsbzw. Überlegenheitsansprüche europäischer (Ober-)Schichten wurde also hier in kolonialem Gestus in eine hierarchisch geordneten Zweiteilung des ‚duels’ aufgelöst. Selbst wenn man also eine ‚Duellforschung’ begründen wollte, die sich auf Fälle beschränkt, in denen die Zeitgenoss/ inn/ en selbst ihre Praxis so benannten - die forschende Wahrnehmung wäre dennoch auszudehnen auf jene Kriterien, die historische bzw. soziale Akteur/ inn/ en bemühten, um exklusive Partizipationsansprüche am ‚zivilisierten’ oder wie immer herausgehobenen Duell genannten Zweikampf zu vertei- 7 Thomas W. G ALLANT : Honour, Masculinity, and Knife fighting in nineteenth-Centura Greece, in: The American Historical Review 105 (2000), S. 359-382. 8 James H ASTINGS / John B. S ELBIE : [Art.] Duelling, in: Encyclopedia of Religion and Ethics, Bd. 9, London 1908, S. 114-116. 81 Mommertz digen. Versuche der Privilegierung der in Europa als Duell akzeptierten Gewaltformen etwa entsprechend sozialer, religiöser, ethnischer, Geschlechter- oder anderer Zugehörigkeiten - man denke insbesondere an das Konzept der ‚Satisfaktionsfähigkeit’ -, sind denn wohl auch als konstitutive Momente der seit dem 16. Jahrhundert und später kanonisierten Formen des Duells zu verstehen. Indem Zeitgenoss/ inn/ en das über diese Begriffsverwendung legitimierte ‚Duell’ von anderen Gewaltformen implizit oder explizit abhoben, trafen sie weniger eine Aussage über dessen Phänomenologie, als eine zu dessen Bewertung. Illegitimisierung anderer Gewaltbzw. Kommunikationpraxen scheint dem Duell jedenfalls inhärent. Nicht zuletzt deshalb liegt es nahe, mit dem neutraleren und zugleich umfassenderen Konzept des ‚ritualisierten Zweikampfes’ gezielt und vergleichend die Praxen und Verhaltensmuster in unterschiedlichen Schichten bzw. abweichenden Benennungstraditionen zu untersuchen. Eine konzeptionelle Erweiterung der ‚Duellforschung’ hin zu einer Erforschung des ‚ritualisierten Zweikampfes’ scheint geeignet, die mit dem Begriff des ‚Duells’ verknüpften sozialen und kulturellen Hierarchisierungen jedenfalls auf der Ebene ihrer Erforschung zu hintergehen. 3. Dass eine solche Erweiterung der Geschichtswissenschaft neue Perspektiven eröffnet, bestätigt sich, wenn man den in sich immer schon unabgeschlossenen Raum der ‚europäischen Geschichte’ sozusagen von seinen offenen Rändern her betrachtet. Insbesondere mit Bezug auf Transfers und Verflechtung scheint das offenere Konzept des ‚ritualisierten Zweikampfes’ vielversprechend. Erweisen sich lokale bzw. zeitgenössische Benennungen von Gewaltpraxen oft als ungeeignet zur Beschreibung plurilokaler bzw. plurikultureller Prozesse, so gilt dies vermutlich ebenso häufig für den im europäischen Kontext entwickelten Begriff des ‚Duells’. Beispielhaft ist in dieser Hinsicht der folgende Fall, in dem das formale und von Zeitgenossen so genannte ‚Duell’ zwar als eine Art europäischer Import erkennbar bleibt, dieser aber im Prozess des Transfers seinen Namen verliert. Jack K. Williams hält fest, welche Durchmischungen und Verschiebungen sich zwischen verschiedenen Formen des Zweikampfes im nordamerikanischen ‚Old South’ des 18. Jahrhunderts ergaben: The duel [gemeint ist an dieser Stelle das europäische formale Duell! ] traveld with low-country Southerners into the hill country and beyond, but fontiersmen and mountain people were disinclined to accept the trappings of written codes of procedure for their personal affrays. They improvised and substituted. In place of the formal duel at ten paces, with its exchanges of notes, employment of seconds, and restrictions on weapons, they adopted knife fighting (sometimes while tied to each other, arm to arm), quick-draw shootouts, eye gouging, nose biting, and informal, generalized bushwhacking. 9 Zwar wird man hier von einem definitorisch klar umrissenen ‚Duell’ unter den mountain people kaum sprechen können, doch ist die Nähe europäischer Duellformen zu den im Aufnahmeland lokal bereits vorhandenen zweikampfartigen Formen der Auseinandersetzung gut zu erkennen. Andererseits sind wechselseitige Einflüsse zwischen 9 Jack K. W ILLIAMS : Dueling in the Old South. Vignettes of Social History, Tamu TX 2000, S. 7. 82 Wissen vom Zweikampf Einwanderern und locals in deren Auffassungen von und Formen der Auseinandersetzung greifbar: Improvisation und Substitution bilden die zentralen Vorgänge ab. Will man solche Prozesse jedoch jenseits des hier immerhin noch erkennbaren europäischen Horizontes beschreiben, dann erlaubt nur eine offene Formulierung des Untersuchungsgegenstandes als ‚ritualisierter Zweikampf’, die Praxen und Deutungen von Zuwanderer/ inn/ en und Bergbewohner/ inn/ en als sozial möglicherweise äquivalent, jedenfalls als gleichermaßen relevant für die Forschung zu konzipieren. Allgemein sind Beziehungen und Verhältnisse zwischen unterschiedlichen Auseinandersetzungsformen im Kulturkontakt zu thematisieren, auch ohne dass von Zeitgenossen der Begriff des ‚Duells’ fallen muss: Selektive, schichtbzw. gruppenspezifische Rezeptions- und Umdeutungsprozesse sind als Aspekt einer Geschichte des Transfers und der Transkulturalität des ‚ritualisierten Zweikampfes’ durchaus zu erfassen. Selbstverständlich wird man dabei auch auf Unübersetzbares, auf schlichte Differenz stoßen - doch dürfte dies eine unvermeidliche Implikation nahezu jeder auf Vergleich basierenden Herangehensweise sein. Nicht unmittelbar bzw. nicht in allen Aspekten vergleichbare Typen des Zweikampfes in anderen Weltregionen wegen Unübersetzbarkeiten vom Vergleich auszuschließen scheint wenig sinnvoll. Studien, die sich etwa auf den Vergleich von Regeln und Abläufen des Zweikampfes, von sozialen Kontexten oder auf Vorstellungsweisen zwischen kulturell oder räumlich weit entfernten Entitäten stützen, könnten ein womöglich schiefes Bild vermeintlicher europäischer Besonderheiten gerade rücken. Wie sich auch im letzten Fallbeispiel bereits zeigte, ist die Europäizität einer auch in Europa anzutreffenden Duellpraxis jedenfalls nicht ohne Weiteres vorauszusetzen. Dem Stand der aktuellen transdisziplinären Zusammenarbeit beim ‚Duell’ entsprechend, zentrieren die deutschsprachigen Sozial- und Geschichtswissenschaften allerdings räumlich stark auf Europa. Ich möchte daher an einem weiteren Beispiel entwickeln, welcher Art der Erkenntniszuwachs sein kann, den die Einbeziehung anderer Weltregionen bietet: [...] a controlled violent performance to make a claim to power (for the present and future) by showing age mates their defiance and courage (preferably with lasting scars) and symbolically showing their bravery to the females and their relatives among the onlookers. 10 Diese knappe Zusammenfassung, die Beschreibung eines ritualisierten Zweikampfes, bezieht sich anders, als man meinen könnte, nicht etwa auf uns bekannte Varianten des Duells. Das Zitat stammt von dem Ethnologen und Afrikanisten Jon G. Abbink, der mit diesen Worten soziale Ambitionen eines Rituals zusammenfasst, welches in der Sprache der in Südäthiopien lebenden Surma Sagine genannt wird. Eine allein auf das ‚Duell’ sich begrenzende Geschichtswissenschaft hätte die Surma bzw. vergleichbare Gesellschaften von der transdisziplinären Erforschung wohl auch in Zukunft auszuschließen. Der Verlust an Möglichkeiten des Vergleichs und folglich der Erkenntnis von Variationen und deren Bedingungsfaktoren dürfte erheblich sein. Unverkennbar ähnelt die Sagine auch in anderer Hinsicht jenem europäischen Gewaltritual, welches wir als Duell zu bezeichnen gewohnt sind. So ist in diesem Kontext 10 Jon G. A BBINK : Violence, Ritual, and Reproduction: Culture and Context in Surma Duelling, in: Ethnology 38 (1999), S. 227-242, S. 233. 83 Mommertz ‚Ehre’ ebenfalls ausschlaggebendes Motiv der Auseinandersetzung, eine Art von gruppenspezifischer ‚Öffentlichkeit’ deren Adressat; die körperliche Gewalt zwischen zwei Männern ist in besonderen Situationen erlaubt bzw. zwingend; für den eigentlichen Kampf liegen Regeln vor; bestimmte Typen der Schlagführung, bestimmte Kampfstile bzw. Waffen sind zugelassen, andere nicht. Wir haben es also einmal mehr mit unvermuteten Schnittmengen in den Phänomenen zu tun, die gerade weil sie aus spezifischen sozialen, kulturellen und politischen Rahmenbedingungen hervorgehen, zum Vergleich einladen. Doch sind in diesem Fall ebenso die Unterschiede aufschlussreich. Trotz seines hoch agonalen und körperlich-aggressiven Charakters endet der traditionelle Zweikampf in Südäthiopien nur sehr selten tödlich. Zwar wird ein solcher Ausgang nicht völlig ausgeschlossen - was den Gewaltcharakter der Sagine und die damit verbundende Herausforderung noch unterstreicht - doch ist er keineswegs vorgesehen, wird vielmehr als Unfall oder gar als Transgression eingeordnet. Der faktisch seltene Tod eines Kämpfers wird auf unvermutete Weise beurteilt: The death of a contestant is unacceptable; it is out of place, it shows a break in the Surma peace. With such a misfortune, the dueling arena becomes a lethal battle ground, which should be reserved for real enemies only [...]. In der Gesellschaft der Surma gilt deshalb (oder dennoch): displaying courage in figthing is said to be more important than winning. Wounds and scars are shown with pride. 11 Wie kann nun eine derart fundamentale Differenz zwischen Kulturen im Umgang mit dem rituellen Zweikampf anregend für die Geschichtswissenschaft sein? Handelt es sich nicht um eine Praxis, mit der sich trotz vergleichbarer Bedeutungselemente (gewaltsames ‚duelling’ um Ehre unter Männern usw.) ganz andere Zielsetzungen als in Europa verknüpfen? Um dies zu entscheiden, ist der Aspekt des zeitlichen Wandels im Umgang der Surma mit dem Zweikampf einzubeziehen. Denn auch die diachrone Entwicklung des Gewaltphänomens der Sagine während der letzten Jahrzehnte entspricht nicht der für Europa seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts zu beobachtenden. In Äthiopien kam es nicht nur nicht zu einem Rückgang des ritalisierten Zweikampfes als Auseinandersetzungsform unter Männern bestimmter Schichten bzw. Altersgruppen. Es zeigt sich vielmehr, dass das Ausmaß der im Zweikampf frei gesetzten Gewalt im Verlaufe der jüngsten Geschichte sogar noch zunahm. Greifen in dem afrikanischen Land also schlicht jene Mechanismen der ‚Modernisierung’ oder ‚Zivilisierung’ von Gewalt nicht, die wir in der longue durée des Duells in Europa zu erkennen meinen? Ist es womöglich kennzeichnend für bestimmte Weltregionen, dass sich archaische Gewaltformen dort länger erhalten haben, als anderswo? Bei genauerem Hinsehen erweisen sich solche Vermutungen als unzutreffend, ja von irreführenden Vorannahmen geleitet: Der zu beobachtende rapide Anstieg von Todesfällen im Rahmen ritueller Zweikämpfe in dem afrikanischen Land hat offenbar gerade nicht mit einem Verharren der Surma in Traditionen zu tun. Abbink zu Folge geht er auf die Einführung neuer automatischer Waffen zurück, die dazu führte, dass Inzidenz wie Intensität der im rituellen Zweikampf ausgeübten Gewalt in dieser Gesellschaft signifikant anstiegen: 12 Der für einen 11 Ebd., S. 233. 12 Ebd., S. 236. 84 Wissen vom Zweikampf der Kontrahenten tödliche Ausgang des ritualisierten Zweikampfes ist in dieser Region Afrikas offenbar erst in jüngster Zeit zur - neuen - Normalität geworden. Forschungsresultate wie dieses aus der Ethnologie in den Horizont der Geschichtswissenschaften einzubeziehen, kann festgefahrene Vorannahmen mit einem Fragezeichen zu versehen; sie lassen erhellende Zweifel aufkommen an den Ergebnissen einer allein auf Europa bezogenen Duellforschung. Zwar hat die allgemeine Gewaltforschung bestimmte Modernisierungstheorien kritisiert bzw. widerlegt, die einen langfristig stetigen Rückgang interpersonaler Gewalt voraussetzen. Doch gilt gerade das Duell mit tödlichem Ausgang bis auf marginale Fälle als schon um die Wende zum 20. Jahrhundert überwunden. Der in der Ethnologie erarbeitete Befund, dass in anderen Weltregionen erst die technische Modernisierung bei rituellen Gewaltpraxen wie der Sagine einen Anstieg von Todesfällen bedingte, nähert diese dem europäischen ‚Duell’ nun in gewisser Weise wieder an. Er verkehrt indes die mehr oder weniger lineare bzw. endliche Zeitlinie, die wir dem ‚Duell’ bisher unterstellten. Im transdisziplinären Blick, der sich nicht auf vertraute Kulturkreise beschränkt, sind mithin die am europäischen Beispiel gewonnenen Forschungsergebnisse über das Verhältnis von Tradition, historischem Wandel und Verschiebung der Gewaltformen neu zu befragen. Deutlich wird wiederum, dass transdisziplinäre Arbeit im Zeichen des ‚ritualisierten Zweikampfes’ diesen zugrunde liegende Prozesse der Verflechtung und des Transfers überhaupt erst bewusst machen kann. 4. Ergebnisse verschiedener Disziplinen konfrontieren die in westlichen wissenschaftlichen Institutionen betriebene Forschung mit ‚fremden’ Konzepten und Vorstellungen im Zusammenhang mit Gewalt. Eine transdisziplinäre Erforschung des ritualisierten Zweikampfes kann davon ebenfalls profitieren. Die Geschichtswissenschaft hat sich in nahezu allen Gebieten von der Ethnologie anregen lassen, sich im letzten Jahrzehnt zudem stärker den kritischen Interventionen von Philosoph/ inn/ en, Historiker/ inn/ en oder Sozialwissenschaftler/ inn/ en aus nicht westlichen Weltregionen geöffnet. Wenn wir z. B. ernst nehmen, was Arindam Chakrabarti und Bilal Matilal hinsichtlich der westlichen rationalistischen Tradition und ihrer impliziten Vorannahmen (etwa über Religion und Glauben) als eine cultivated irreverence toward ones own cultural patrimony 13 bezeichnet haben, so stellt sich heute eine doppelte Herausforderung: Die Aufmerksamkeit der Forschung hat sich sowohl auf die in der eigenen Kultur wirkungsvollen Wahrnehmungstraditionen als auch auf die vergleichende Konfrontation mit anderen kulturellen Prägungen zu richten. Dies gilt für das hier behandelte Thema - m. E. sogar in besonderem Maße. Zwar ist uns die historische ‚Gewordenheit’ und damit Begrenztheit eigener Wahrnehmungsweisen als Historiker/ innen grundsätzlich bewusst, aber wie diese sich etwa auch in unseren heutigen Auffassungen von Gewalt niederschlagen, wird in der deutschsprachigen Geschichtswissenschaft oder auch Sozio- 13 Bimal Krishna M ATILAL / Arindam C HAKRABARTI : Introduction, in: DIES . (Hg.): Knowing from words: Western and Indian philosophical analysis of Understanding and Testimony, New York 1993, S. 1-23, S. 2. 85 Mommertz logie noch kaum reflektiert. Zum wissenschaftlichen Verständnis von ‚Gewalt’ gehört etwa die ebenso grundlegende wie unhintergehbare Prämisse, dass diese lediglich als physisch-körperliche existent ist. Wenn wir im Zusammenhang mit dem ritualisierten Zweikampf von ‚Gewalt’ sprechen, dann scheint also zunächst selbstevident, dass wir auf handfest-körperliche, womöglich mit materiellen Mitteln, etwa durch Waffen unterstützte Feindseligkeiten zielen. 14 Sieht man von metaphorischen Verwendungsweisen des Begriffs des ‚Zweikampfes’ für einen Moment ab, so geht ‚Gewalt’ in der westlichen säkularisierten Wahrnehmung zudem immer von lebenden menschlichen Personen aus. Warum überhaupt diese eigenartigen Hervorhebungen? In globaler transkultureller Perspektive, aber eben auch mit Blick auf die europäische Geschichte selbst, sind derartige Annahmen keineswegs selbstverständlich. Zahlreiche Kulturen kennen menschliche oder nicht menschliche Wesen, Tote oder Lebende mit übernatürlichen Kräften und Fähigkeiten, die in ‚Zweikämpfe’ miteinander oder mit Menschen verwickelt sein können. Und nicht zuletzt in von christlichen Religionen geprägten Gesellschaften personifizierte man über den größten Teil der geschichtlichen Zeit Auseinandersetzungen zwischen ‚Gut’ und ‚Böse’ in binär gedachten Gestalten wie Gott und Satan, Dämon und Engel, Schadenszauberin und Heiler etc. In europäischen magischen bzw. religiösen Traditionen wird der in solchen Konfigurationen negativ konnotierte Part - das bösartige Wesen oder auch das personalisierte Tier - mit eigenem Willen ausgestattet und als real handlungsfähig verstanden: Das Böse wurde und wird offenbar z. T. heute noch als in weltliche Belange eingreifender und persönliche Widersacher jener Menschen vorgestellt, die sich mit ihm in persönlicher Auseinandersetzung befinden. Wenn man akzeptiert, dass nicht allein die Eigenbenennung einer Praktik als ‚Duell’ durch zeitgenössische Akteur/ inn/ en dessen Relevanz für die transkulturelle Erforschung bestimmt; wenn man zugleich und mit der neueren Kulturgeschichte die Eigendeutungen und Sinngebungen von Zeitgenoss/ inn/ en als gesellschaftsbzw. geschichtsrelevant anerkennt, so wird man kaum umhin kommen, solche Voraussetzungen und Implikationen in die Gewaltforschung einzubeziehen. Die Tatsache, dass für historische wie z. T. auch heute lebende Menschen Kämpfe mit oder zwischen imaginierten Gestalten, Wesen oder Figuren Wirklichkeitscharakter hatten oder haben, dass ihrer Wahrnehmung andere als für uns verbindliche Epistemen zugrundeliegen - sollte Eingang auch in das Forschungsfeld des ‚ritualisierten Zweikampfes’ finden. 15 Uns näher liegende Beispiele aus der europäischen Frühen Neuzeit zeigen, dass die vorgestellte, dabei als aktiv wirklichkeitsmächtig gedachte Gewalt - ich habe diese an anderer Stelle als i m a g i n a t i v e Gewalt, d. h. i m a g i n ierte, aber als a k t i v wirkungsvoll wahrgenommene Gewalt konzeptionalisiert - ihrerseits Abwehrmechanismen und andere Verhaltensweisen erzeugte, in denen man der Logik der Zeitgenoss/ inn/ en nach auf solche 14 Vernachlässigbar ist in diesem Zusammenhang der von der Gewaltforschung als unpräzise und nicht operationalisierbar abgelehnten Begriff der ‚strukturellen Gewalt’. 15 Auch solche Auseinandersetzungen wurden von kulturellen ‚Insidern’ nicht notwendig als ‚Duell’ bezeichnet - wie gezeigt wurde, kann dieser Aspekt für sich nicht den Ausschlag dafür geben, diese Gewaltformen nicht im hier behandelten Zusammenhang zu diskutieren. 86 Wissen vom Zweikampf Angriffe reagieren konnte oder musste. 16 Nicht selten folgte das Muster von vermeintlicher Aktion im Übernatürlichen und Reaktion durch menschliche Akteur/ inn/ en exakt dem Muster eines Zweikampfes: Herausforderung und Widerstand, Kampf auf Leben und Tod, Sieg des standhafteren, moralisch gerechtfertigten und/ oder mit den besseren Waffen ausgestatteten Parts - je nach Zeit und Umständen variierten die Deutungen. Nicht nur das vergängliche irdische Leben sondern oft auch die ‚ewige Glückseligkeit’ stand im menschlichen Zweikampf gegen solche Kräfte und Wesen auf dem Spiel. Entsprechend kannten frühneuzeitliche Gesellschaften ganze Arsenale von Mechanismen und Verhaltensweisen - imaginierte und andere ‚Waffen’ - mit denen man sich schützen konnte bzw. einem solchen Angriff begegnete. Und nicht zuletzt auf dieser Ebene der Verteidigungshaltungen und Praktiken der Gefahrenabwehr im Zweikampf gegen ‚bloß’ vorgestellte Angreifer wurden derart ‚fremde’ Epistemen geschichtsmächtig. Wenn wir also den Gewaltbegriff nicht unreflektiert an moderne Vorstellungswelten bzw. an moderne Vorstellungen vom Duell binden, ist das Konzept des ‚ritualisierten Zweikampfes’ für die historiographische Forschung auch in transkultureller Perspektive fruchtbar zu machen. Dass Zweikämpfe zwischen menschlichen und nicht menschlichen Kombattanten in vielen Kulturen in Parallelität zum physischen Zweikampf zwischen Menschen imaginiert wurden; dass man Intentionen, Praktiken oder der Ablauf solcher Kämpfen aus der Wahrnehmung menschlicher Beziehungsweisen aufs Übersinnliche übertragen wird, spricht dafür, diese Ebene in einem Forschungsfeld ‚ritualisierter Zweikampf’ zu berücksichtigen. Transepochal gesehen lässt sich im Übrigen auch das Duell im engeren Sinne auf Implikationen bestimmter Wirklichkeitswahrnehmungen befragen: Religiöse Motive, sich dem Kampf um Ehre auszusetzen (oder sich ihm zu entziehen) lassen sich nicht bloß für das verhältnismäßig gut untersuchte mittelalterliche Ordal oder den Gottesbeweis ausmachen, der oft als Vorläufer des europäischen Duells angeführt wird. Sie wandelten sich in der langen Dauer zwar stark, blieben aber in ganzen gesellschaftlichen Schichten bzw. Gruppen auch im 19. oder um die Wende zum 20. Jahrhundert noch virulent. Erwarteten katholische oder protestantische Duellanten nicht immer wieder auch in späteren Zeiten im Ausgang eines Duells das Zeichen Gottes? Wurden moralische Wertungen, die man damit verband, auf religiöse Überzeugungen zurückgeführt? Hoffte man auf die Unterstützung aus dem Jenseits, auf Gottes Hilfe oder die von Heiligen - wie lange genau versuchte man sich durch magische Mittel zu schützen? Entkleidete man umgekehrt als Atheist das Duell tatsächlich jeder über das Agieren der Duellanten selbst hinausweisenden moralischen oder spirituellen Bedeutung? Klammern wir ‚imaginative Gewalt’ nicht als unwirklich aus unseren Forschungen aus und untersuchen, wie aus kulturell codierten Erfahrungen dieser Gewalt spezifische Befürchtungen erwuchsen, in sich logische Formen des (Selbst-)schutzes oder besondere 16 Monika M OMMERTZ , „Imaginative Gewalt“ - praxe(m)ologische Überlegungen zu einer vernachlässigten Gewaltform, in: Claudia U LBRICH / Claudia J ARZEBOWSKI / Michaela H OHKAMP (Hg.): Gewalt in der Frühen Neuzeit: Beiträge zur 5. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Frühe Neuzeit im VHD, Berlin 2005, S. 243-258. 87 Mommertz Reaktionen von Öffentlichkeiten und Beteiligten sich entwickelten, so können wir der Untersuchung des ‚rituellen Zweikampfes’ neue Dimensionen hinzufügen. Historische bzw. kulturelle Kontexte bestimmen in hohem Maße, welche Handlungen von welchen Personen oder Gruppen in welchen Situationen überhaupt als Gewalt wahrgenommen werden können oder müssen. Um dieses Postulat abschließend noch einmal zu unterstreichen, möchte ich ein weiteres historisches Beispiel allerdings aus der Literaturwissenschaft anführen. Im Elisabethanischen England waren sowohl physische als auch Wort-Duelle um Ehre weit verbreitet. Üblicherweise wurde die ernsthafte verbale Auseinandersetzung ebenfalls als duel bezeichnet. Durchaus anders als heute wurde der Begriff in den führenden Schichten der Gesellschaft aber nicht bloß metaphorisch benutzt. Das unter Gebildeten ausgetragene ‚Wortduell’ konnte vielmehr das körperlich ausgetragene Duell nicht nur vorbereiten, sondern dieses sogar ersetzen. Nähe bzw. Äquivalenz von mit Worten und in Taten geführten Auseinandersetzungen verweisen hier auf historisch ‚eigenkulturelle’, uns heute durchaus fremde Dispositionen der Gewaltakteur/ inn/ en und ihrer Umgebungen: [...]during the seventeenth century, one could win honour through the use of wit as well as violence, schreibt Michael Cichon. Shakespears Titus Andronicus, so der Literaturwissenschaftler, reflects a late Elizabethan penchant for violent vindication and a delight in the deception which could faciltate it. 17 Gerade die wechselseitige Abhängigkeit und - folgt man Cichon - sogar Austauschbarkeit von diskursiven und physischen Praktiken des Duells begründete in diesem Fall Funktionen wie Distinktion bzw. Zusammenhalt jener sozialen Gruppen, für die sich beide Ebenen untrennbar miteinader verschränkten. Deutlich wird hier wiederum, in welchem Maße die Wahrnehmung der Grenze zwischen gewalttätigen und nicht gewalttätigen Praktiken von kulturellen Faktoren abhängig war: Duelling, an outward manifestation of both the quest for honour and the need to defend it, occupied the imagination of the Elizabethan gentility. 18 5. Über viele Jahrhunderte hinweg erscheint das Duell eine Angelegenheit ‚unter Männern’. Die meisten Studien sind sich denn auch einig darin, dass die Konstruktion und Legitimation von Männlichkeiten eine wesentliche Interpretationsachse der sozialen und kulturellen Funktionen dieser Variante des Zweikampfes darstellt. In diesem Sinne und zu Recht berücksichtigen sie die Kategorie Geschlecht. Doch vor der Folie der oben entwickelten Postulate, etwa einer stärker transkulturellen bzw. transepochalen Ausrichtung und darin der Reflexion kulturspezifischer Wirklichkeitsvorstellungen bzw. Epistemen lässt sich für ein stärker relationales Verständnis der Kategorie Geschlecht argumentieren. So schloss die im letzten Abschnitt skizzierte ‚imaginative Gewalt’ bzw. das mit Worten ausgetragene, als geradezu physisch empfundene Wortduell entsprechende Aktivitäten von Frauen ebenso wie von Männern ein. Unter jenen Wesen und Kräften, mit denen man in der Frühen Neuzeit so selbstverständlich gefährliche Kämpfe 17 Michael C ICHON : ‘Tis policy and stratagem must do’: Rape, Deception, and Vendetta in The Most Lamentable Tragedy of Titus Andronicus, in: Margaret R EEVES / Richard R AISWELL / Mark C RANE (Hg.): Shell games: studies in scams, frauds, and deceits (1300-1650), Toronto 2004, S. 105-122, hier S.106. 18 Ebd. 88 Wissen vom Zweikampf führte, waren immer auch solche, die man als weiblich dachte. Im Streit gegen ‚imaginative Gewalt’ wurden auch Frauen abwehrende Fähigkeiten zugeschrieben, häufig galten diese als geschlechtsspezifisch. Während das ‚Duell’ im engeren Sinne als männliche Gewaltform untersucht wird, zeichnet sich für den ‚ritualisierten Zweikampf’ im bisher umrissenen Sinne also vielfältige Beteiligung von Frauen ab. Anders gesagt: Der ‚ritualisierte Zweikampf’ ist nicht notwendig monobzw. homogeschlechtlich besetzt. Eine wie hier skizziert transdisziplinär und transepochal informierte Geschichtswissenschaft kann damit eruieren, wie Frauen und Männer in welcher Kultur und auf welcher Wirklichkeitsebene als gewaltfähig, gewaltbereit oder gewalttätig konstruiert wurden. Sie kann danach fragen, welche Vorstellungen von der Gewalthaltigkeit von Worten oder Taten sich an solche Geschlechterkonstrukte anschlossen und welche Handlungsmöglichkeiten sich daraus jeweils ableiteten; wie, wann und wo es zu mit Geschlecht verbundenen Epistemenwandel im Kontext von Gewaltbedeutungen kam. Geschlecht als Kategorie spielt schließlich auf einer letzten Ebene eine in der Forschung noch zu wenig thematisierte Rolle. Wer vom Zweikampf und seinen Bedeutungen spricht - ich beziehe mich im Folgenden wieder auf den im heutigen Sinne physischen Zweikampf - der richtet seine Aufmerksamkeit zunächst ganz selbstverständlich auf die beiden Kontrahenten selbst. Doch vielleicht führt es weiter, sich auch in dieser Hinsicht vom Offensichtlichen ein Stück zu lösen. Per definitionem hat der ritualisierte Zweikampf immer auch performative Aspekte und Effekte. Häufig agieren deshalb die zwei Protagonisten vor einem anwesenden oder abwesenden Publikum - was mit sich bringt, dass jene zwei Personen im Mittelpunkt stehen, auf die gewissermaßen das Rampenlicht fällt. Häufig bedeutet Performativität also Lenkung der Aufmerksamkeiten: die in der Aufführung hervorgehobene ‚Szene’ wird als die für das Ritual oder die Praktik ausschlaggebende zunächst einmal nur dargestellt. Die geschichtswissenschaftliche Analyse sollte solchen Effekten nicht unbedingt nachgeben. Wie ethnologische Studien zeigen, kann für die Zuerkennung von Ehre u. U. die agnatische oder kognatische Gruppe bedeutsamer sein, als die soziale oder ökonomische Stellung einzelner Personen, die um Ehre miteinander ringen. 19 In vielen Gesellschaften greifen Alters- und Peergroups, Gruppen mit vergleichbarem Erfahrungshintergrund oder sozialen Merkmalen in den Zweikampf ein. In der europäischen Frühen Neuzeit kann das von Zeitgenoss/ inn/ en so benannte Duell - Ludwig und Schwerhoff gehen in diesem Band auf ein einschlägiges Beispiel ein - sich über die Dauer von mehreren Jahren hinziehen - Zeit genug, um zahlreiche Betroffene und Beteiligte zu involvieren. In der Metaphorik des Theaters ausgedrückt, lässt sich auch hier der Kampfakt oft nur als einzelnes Bild in einer tatsächlich sehr viel umfangreicher besetzten Aufführung verstehen. Zu untersuchen wäre daher, ob nicht beim Ehrangriff wie bei der Verteidigung von Ehre dritte und vierte, im Zweikampf selbst nicht greifbare bzw. präsente Personen wichtige, vielleicht sogar die ausschlaggebenden Rollen einnehmen und somit Sinn und 19 Vgl. z. B. Frank Henderson Stewart über Ehre unter Beduinen der Sinai-Halbinsel, der damit gegen die verbreitete Annahme argumentiert, dass Ehre und Ehrverletzung letztlich immer soziale Stratifizierung voraussetze, Frank Henderson S TEWART : Honor, Chicago 1994, u. a. S. 132 f. 89 Mommertz Zweck der Auseinandersetzungen wesentlich gestalten. Wenn wir das Duell mit der neueren kulturgeschichtlich orientierten Gewaltforschung als performative Praktik untersuchen, dann müssen wir einbeziehen, dass Rituale immer auch eine Relevanzinszenierung beinhalten. 20 Nicht nur mit Blick auf Geschlecht als relationale Kategorie ist deshalb stärker als bisher üblich ‚hinter’ bzw. ‚neben’ die zu ritueller Sichtbarkeit gelangende Aufführung zu blicken. Familiäre Beziehungen der Kontrahenten; ihre Unterstützer/ inn/ en und Gegner/ inn/ en; Verhandlungs- und Vermittlungsbemühungen; Versuche der alternativen Konfliktlösung - derartige Aktivitäten sind wohl nur selten allein auf ein Geschlecht zu beschränken. Umgekehrt wäre die im Zweikampfritual hervorgebrachte Zentrierung der Außenwahrnehmung auf genau zwei und nur diese zwei Kontrahenten selbst genau zu untersuchen: Ist nicht gerade diese Lenkung ein wesentlicher Aspekt der denkbaren kulturellen Bedeutungsgebung des Duells als ‚Angelegenheit unter Männern’? Welche Handlungen und welche Handelnden werden durch die im Drama des Zweikampfes Agierenden möglicherweise gerade verdeckt? Welche im Zweikampf selbst nicht sichtbaren oder sogar unsichtbar gehaltenen Interaktionen und Kommunikationen generiert dieser? Welche Vor- und Nachgeschichten, welche Beteiligungen, aber auch: welche Ausschlüsse von Frauen wie Männern unterschiedlicher Zugehörigkeiten, welche Rollenzuweisungen und Verhaltensmuster erzeugt die Rede von oder die Praxis des ritualiserten Zweikampf in unterschiedlichen Zeiten, Kontexten und Kulturen? . 20 Dieser Aspekt wird offenbar in der aktuellen historiographischen Ritualforschung oft viel zu wenig berücksichtigt. 90 II. Vor- und Frühgeschichten des Duells? Sarah Neumann Vom Gottesurteil zur Ehrensache? Deutungsvarianten des gerichtlichen Zweikampfes im Mittelalter 1. Einleitung Jeder Gegner hat wahrscheinlich eine Schwäche. Um diese Schwäche herauszufinden, muß die Methode des Fechtens analysiert werden. [...] Vom Anfang bis zum Ende der Begegnung muß der Gegner durch ständige Drohungen gezwungen werden, sich zu verteidigen. Jede Aktion sollte ihn verunsichern, sein Wille zum Widerstand gebrochen werden. 1 So lauten einige taktische Hinweise aus einem Lehrbuch, das Interessierten den Fechtsport nahebringen will - oder besser: Einblick gibt, in eine höchst diffizile Angelegenheit, die sich dem Betrachter unter sportlichen Vorzeichen allein nicht erschließt. Denn bereits die eben zitierten Sätze klingen so, als verhandelten die Kombattanten im Fechtsport nicht nur über Sieg und Niederlage, sondern auch über zutiefst menschliche Angelegenheiten: über Stärken und Schwächen, über Widerstandsfähigkeit und Unterwerfung, über Aggressionspotentiale und Ängste. Was für das moderne Fechten gilt, lässt sich auch für andere Zeiten bzw. für andere Zweikampfformen konstatieren. Die Zweikampffigur ist offenbar bestens geeignet, existenzielle Fragen zu transportieren. Die Antworten auf diese Fragen sind jedoch nicht allein anthropologischer, sondern auch historischer Art. Jede Zeit schafft sich ihre Zweikämpfe; ihr Stellenwert in der und Bedeutung für die jeweilige/ n Gesellschaft und Kultur erschließen sich somit durch ihre Rückbindung an den jeweiligen historischen Kontext. Dies gilt auch für ein Phänomen des mittelalterlichen Verfahrensrechts: den gerichtlichen Zweikampf (auch: duellum oder iudicium pugnae). 2 a. Der Untersuchungsgegenstand: Der mittelalterliche Gerichtszweikampf Die Charakteristika dieses Phänomens lassen sich zunächst auf folgende Punkte reduzieren: 3 Stand ein besonders schwerwiegendes Delikt in Rede, konnte innerhalb des mittelalterlichen Gerichtsverfahrens eine physische Auseinandersetzung der Streitparteien bzw. der von ihnen nominierten Stellvertreter (auch: campiones, Kämpen) anberaumt werden. Dieser Zweikampf war jedoch nicht als Fortsetzung der Justiz mit an- 1 William M. G AUGLER : Fechten für Anfänger und Fortgeschrittene, München 1983, S. 96. 2 Zu den unterschiedlichen Bezeichnungen für den gerichtlichen Zweikampf, die auch seine verschiedenen Bedeutungselemente akzentuieren siehe die Belege in: Charles du Fresne Sieur D U C ANGE : Glossarium mediae et infimae latinitatis, 10 Bde., Paris 1883-1887 (ND Graz 1954), hier Bd. 2, s. v. duellum, S. 203-213; siehe auch die Analyse von: Dagmar H ÜPPER -D RÖGE : Der gerichtliche Zweikampf im Spiegel der Bezeichnungen für „Kampf“, „Kämpfer“, „Waffen“, in: Frühmittelalterliche Studien 18 (1984), S. 607-616. 3 Die folgenden Ausführungen basieren auf : Sarah N EUMANN : Der gerichtliche Zweikampf: Gottesurteil - Wettstreit - Ehrensache, Ostfildern 2010. Zu den einschlägigen Arbeiten zu diesem Phänomen vgl. den Forschungsbericht: ebd., S. 12-23. Eine konzise Annäherung an das Phänomen liefert: Robert B ARTLETT : Trial by Fire and Water. The Medieval Judicial Ordeal, Oxford 1986, S. 103-126. 93 Neumann deren Mitteln gedacht, sondern sollte der Beweiserhebung dienen: Der Sieg im duellum sollte als Unschuldsbeweis gelten und lieferte somit die rechtliche Grundlage für das sich anschließende Endurteil im Verfahren. Legitimation und Glaubwürdigkeit des duellum gründeten dabei auf seiner beweisrechtlichen Klassifikation als so genanntes Gottesurteil (auch: Ordal oder iudicium dei). 4 Zentral für die Rechtfertigung dieser Gruppe von Beweismitteln ist die grundsätzliche Frage nach Wesen und Wirken göttlicher Gerechtigkeit. Sie wird hier so beantwortet, dass ein Verbrechen nicht allein gegen weltliche Rechtsnormen verstößt, sondern immer auch die von Gott gesetzte Rechtsordnung verletzt. Folgerichtig kann in den Fällen, in denen die menschliche Urteilskraft an ihre Grenzen gelangt, Gott selbst als Zeuge angerufen und um eine klare Stellungnahme gebeten werden. Diese Anfrage erfolgt in einem Gottesurteil: Dies war entweder ein so genanntes Elementordal, bei dem der Delinquent der Macht der Naturgewalten ausgesetzt wurde, oder aber eine direkte Konfrontation der Streitparteien im gerichtlichen Zweikampf. 5 Die Entscheidung über die geeignete Form des Ordals war dabei jedoch keineswegs den Betroffenen anheimgestellt oder einzig von dem jeweils verhandelten Delikt abhängig. Vielmehr bestimmten vor allem Geschlecht und sozialer Status die Wahl des geeigneten Gottesurteils: So sollten Frauen und Unfreie den Unschuldsbeweis in der Regel in einem Elementordal erbringen, während das duellum Freien zu Gebote stand, was bereits eine Sonderstellung des Zweikampfes im System der Gottesurteile andeutet. 6 Gemeinsam ist jedoch Elementordalen und Zweikampf, dass sie als Sakralbzw. Ritualhandlungen gleichermaßen einem strikten Reglement unterliegen. Das duellum sollte im Idealfall kein wildes Hauen und Stechen sein, sondern ein mit zahlreichen Sicherungsmechanismen umgebener Wettkampf zwischen in jeder Hinsicht ebenbürtigen Gegnern. Dies bezog sich sowohl auf die Forderung nach physischer Ebenbürtigkeit und entsprechender Chancengleichheit im Kampf als auch auf das Kriterium sozialer Ebenbürtigkeit, das zunehmend an Gewicht gewann und somit Zweikampfrecht und gesellschaftliches Prestige unauflöslich miteinander verknüpfte. Insgesamt klingt dies recht einfach, doch bei genauerem Hinsehen schwinden viele Sicherheiten und vermeintliche Eindeutigkeiten. Die eben gelieferte Definition zeigt bereits an, dass drei Bedeutungskomplexe im gerichtlichen Zweikampf miteinander verwoben sind: Gewalt, göttliche Gerechtigkeit und persönliche Rechtsansprüche gehören hier von Beginn an zusammen; das eine entsteht nicht aus dem anderen, wie es im Laufe der Forschungsgeschichte mitunter skizziert wurde. 7 Ein lineares Entwicklungs- 4 Siehe dazu: B ARTLETT : Trial (Anm. 3) und auch die älteren, an Quellenbelegen reichen Arbeiten von: Hermann N OTTARP : Gottesurteilstudien, München 1956; Federico P ATETTA : Le ordalie. Studio di storia del diritto e scienza del diritto comparato, Turin 1890; Jacob G RIMM : Deutsche Rechtsalter thümer, 2 Bde., 4. Aufl., Leipzig 1899 (ND Darmstadt 1989), hier Bd. 2, S. 588-593. 5 Siehe: N EUMANN : Gerichtlicher Zweikampf (Anm. 3), S. 163-214. 6 Zu dieser Sonderstellung bzw. zur Problematik der Klassifikation des Zweikampfes als Gottesurteil siehe: ebd., bes. S. 19-21. 7 Siehe dazu: Robert B ALDICK : The Duel. A History of Duelling, London 1965; Marco C AVINA : Il duello giudiziario per punto d’onore. Genesi, apogeo e crisi nell'elaborazione dottrinale italiana (sec. XIV-XVI), Turin 2003, S. 5-50; Victor G. K IERNAN : The Duel in European History. Honour and the Reign of 94 Vom Gottesurteil zur Ehrensache? modell vom gern als irrational eingestuften Gottesurteil des Frühmittelalters hin zur adligen Ehrensache des Spätmittelalters, das den Weg zum Duell der Neuzeit bahnt, kann die Komplexität des gerichtlichen Zweikampfes nicht adäquat fassen. Dynamik und Integrationskraft des duellum liegen vielmehr in seiner Mehrdeutigkeit, denn sie ermöglicht seine Rückbindung an religiöse Vorstellungen, an politisch-administrative Zielsetzungen und an gesellschaftliche Differenzierungsprozesse. Und damit ist der Grundstein gelegt für die weit über den rechtlichen Rahmen hinausweisende Bedeutung des gerichtlichen Zweikampfes als kulturelle Praxis. 8 Um die Dimensionen dieser Praxis angemessen ausloten zu können, ist es unabdingbar, sich abzuwenden von einer rein normativen Annäherung an das duellum und die Quellengrundlage entsprechend zu erweitern: Während rechtsgeschichtliche Duell-Belege in zahlreichen Studien minutiös ausgewertet wurden - erwähnt seien hier beispielhaft die Zweikampfvorschriften des Sachsenspiegels oder die Konstitutionen von Melfi Friedrichs II. -, fanden erzählende Quellen überwiegend als bloße Illustration der Rechtsgeschichte und nicht als systematisch erschlossenes Corpus Verwendung. Es sind jedoch gerade chronikalische und literarische Zeugnisse, die weiterführende Einblicke in die Kulturgeschichte des gerichtlichen Zweikampfes liefern und erlauben, statt der wie auch immer gearteten Wirklichkeit des duellum die Wirkmächtigkeit des gerichtlichen Zweikampfes in den Blick zu nehmen. Zu fragen ist also, wie Chronisten und Dichter das duellum deuten, welche Zweikampfgeschichten sie tradieren, variieren, entwerfen oder auch verwerfen. Für die erzählerische Sinnstiftung birgt das Zweikampfmotiv zunächst einen großen Vorteil: Es ist ungemein griffig. Der gerichtliche Zweikampf ist ein Stück ritualisierte Gewalt und als solches von hoher Bildhaftigkeit; 9 er ist eine Inszenierung, deren konkrete Bestandteile abstraktere gesellschaftliche Ordnungsvorstellungen transportieren. Das ‚Reden über den Zweikampf‘ folgt daher klaren dramaturgischen Vorgaben. Dies soll im Folgenden an einem Fallbeispiel verdeutlicht werden, das einerseits Charakteristika eines typischen Zweikampfberichtes bietet, andererseits jedoch in vielerlei Hinsicht Grenzen ab- und auch überschreitet. So mag dem Historiker auf den ersten Blick die Historie und dem Mediävisten das Mittelalter zu kurz kommen, handelt es sich doch um eine literarische Quelle aus dem 16. Jahrhundert, die jedoch gerade aufgrund der eben genannten Punkte ausgesprochen aussagekräftig für die Deutungsvarianten und mögliche Deutungsverschiebungen des duellum ist: Georg Wickrams Roman ‚Ritter Galmy‘. 10 Aristocracy, Oxford 1988; Wolfgang W ALTER : Das Duell in Bayern. Ein Beitrag zur bayerischen Straf rechtsgeschichte, Frankfurt a. M. 2002, S. 12-19. - Eine der wenigen Ausnahmen, in der keine tele ologische Geschichtserzählung geliefert wird, ist die Arbeit von Markku P ELTONEN : The Duel in Early Modern England: Civility, Politeness and Honour, Cambridge 2003. 8 Siehe dazu die einschlägigen Studien von Uwe Israel und den Ansatz des von ihm geleiteten DFG- Projektes „Der mittelalterliche Zweikampf als agonale Praktik zwischen Recht, Ritual und Leibesübung“. 9 Siehe zum Ritualcharakter des Zweikampfes: Udo F RIEDRICH : Die symbolische Ordnung des Zwei kampfs im Mittelalter, in: Manuel B RAUN / Cornelia H ERBERICHS (Hg.): Gewalt im Mittelalter. Reali täten - Imaginationen, München 2005, S. 123-158. 10 Jörg W ICKRAM : Ritter Galmy, hrsg. v. Hans-Gert Roloff, Berlin 1967. 95 Neumann b. Die Quelle: Georg Wickrams ‚Ritter Galmy‘ Zunächst der Inhalt des Romans in Kürze: 11 Der schottische Ritter Galmy versieht am Hof des Herzogs von Britania seinen Dienst und verliebt sich dort in die Frau seines Herren. 12 Diese aussichtslose Liebe zur Herzogin weiß Galmy jedoch zu ertragen und bewährt sich überdies als gleichermaßen vorbildlich in Frauendienst und Vasallenpflicht, was ihm zahlreiche Neider einbringt. 13 Einer dieser Neider ist der Marschall des Herzogs, der im Gegensatz zu Galmy weniger tugendhaft ist und eindeutige Annäherungsversuche bei der Herzogin startet, die harsch zurückgewiesen werden. 14 Der Marschall tritt daraufhin die Flucht nach vorne an und beschuldigt die Herzogin nun seinerseits des Ehebruchs mit einem Küchenjungen. 15 Die Falle schnappt zu; die Herzogin wird inhaftiert und soll verbrannt werden, sofern nicht ein duellum ihre Unschuld erweist. 16 Ein Kämpe ist zunächst nicht in Sicht, gleichwohl wird eine Frist für den Kampf festgelegt. Rettung naht erst im letzten Moment, und zwar durch Galmy, der sich in einer frommen Verkleidung, getarnt als Mönch, Zugang zum Gefängnis der Herzogin verschafft, ihr die Beichte abnimmt, sich so von ihrer Unschuld überzeugt und abschließend im gerichtlichen Zweikampf den Sieg für die Sache der Herzogin erringt. 17 Dieser Zweikampf ist der dramatische Höhepunkt der Geschichte, der im Erstdruck des Werkes von 1539 auch im Bild festgehalten wurde. 18 In der Tradition spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Ritterhistorien erschien dieser Roman zunächst anonym, als Verfasser lässt sich doch nahezu unbestritten einer der produktivsten Literaten des 16. Jahrhunderts, der in Colmar geborene Georg Wickram (1505 - vor 1562), ausmachen. 19 Seine Arbeitsweise kennzeichnet bis in die 1550er Jahre vor allem der Rückgriff auf Figuren und Motive, die weithin bekannt sind und ihre Adaption an zeittypische 11 Siehe dazu auch die knappe Inhaltsangabe auf dem Titelblatt des Erstdrucks, die das Interesse des Lesers mit dem Verweis auf die Höhepunkte und Illustrationen des Romans zu wecken sucht: Ebd.: EIn sch ne und liebliche History/ von dem edlen und theüren Ritter Galmien/ vnd von seiner züchtigen liebe/ So er z einer Hertzogin getragen hat/ welche er in eines Münches gestalt/ von dem feür/ und schendtlichen todt erl ßt hat/ z letst z eim gewaltigen hertzogen in Britanien erw lt/ mit sch nen figuren angezeygt. 12 Ebd., Kap. 1-6, S. 3-21. - Die Liebe Galmys bildet den Auftakt der Geschichte: ES was ein Hertzog in Britannia/ an desse hoff wonet ein Ritter/ mit namen Galmy auß Schottenland geboren. Der selb gewan ein solche grosse liebe z des Fürsten Hertzogin/ also das er weder essen noch drincken mochte [...] (Kap. 1, S. 3). 13 Ebd., Kap. 7-21, S. 31-86. - Ein großer Teil der Geschichte gilt also der Darstellung der Neider und der Komplotte, die sie gegen Galmy ins Werk setzen wollen. Wichtig erscheint dabei auch der Nationalitätengegensatz; dass ein Fremder - Galmy ist Schotte - in der Gunst des Herzogs höher steigen kann als die einheimischen Ritter, ist diesen ein besonderer Dorn im Auge; siehe z. B.: Kap. 7, S. 32: Als nu die b sen und argen neydler/ die beden gsellen gen hoff kummen sahen/ Wernhardt [...] also sprach: ‚Sehendt ir nit/ mein allerliebsten gsellen und g ten günner/ mit was betrug der schantlich ungetrew Schott umbgon th t? . 14 Ebd., Kap. 36, S. 140-142. 15 Ebd., Kap. 37-38, S. 143-148. 16 Ebd., Kap. 44, S. 165-168. 17 Ebd., Kap. 55, S. 207-213 (Zweikampf Galmy vs. Marschall). 18 Ebd., Kap. 54-55, S. 203-213, Abb. siehe: S. 204, 206 u. 208. 19 Siehe zu Autor und Werk: Xenja von E RTZDORFF : Romane und Novellen des 15. und 16. Jahrhunderts in Deutschland, Darmstadt 1989; Maria E. M ÜLLER / Michael M ECKLENBURG (Hg.): Vergessene Texte - Verstellte Blicke. Neue Perspektiven der Wickram-Forschung, Frankfurt a. M. 2007. 96 Vom Gottesurteil zur Ehrensache? Vorlieben. D. h. ‚Ritter Galmy‘ ist als sein frühester Roman stark an Konventionen und traditionelle Erzählmuster gebunden. 20 Entsprechend ist Wickram also nicht als Erfinder der Fabel um den im Mönchskostüm kämpfenden Ritter anzusehen. Vielmehr reicht die literarische Tradition der Geschichte um Galmy weit ins Mittelalter, und zwar auch in die mittelalterliche Chronistik, zurück: Nach den um 835 entstandenen ‚Gesta Hludowici‘ wird Judith, die Gattin Ludwigs des Frommen, im Jahre 831 des Ehebruchs mit dem Grafen Bernhard bezichtigt und ins Kloster geschickt; Bernhard kann sich erfolgreich vom Vorwurf des Ehebruchs reinigen, da niemand willens ist, gegen ihn im gerichtlichen Zweikampf anzutreten. 21 Ein Mönchskostüm und anderes sucht man hier zwar noch vergebens, gleichwohl sind bereits in dieser knappen Notiz wichtige Erzählbausteine enthalten, die in den literarischen Adaptionen des Stoffes - beispielsweise in dem mittelenglischen Versepos ‚The Erle of Tolous‘ aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, 22 an dem sich auch Wickram orientiert - aufgegriffen und sukzessive weiterentwickelt wurden. Georg Wickrams ‚Ritter Galmy‘ kann daher als Beleg für traditionales Erzählen und für die beständige Arbeit an der Tradition gelten. Und diese Arbeit an der Tradition ist auch dem historischen Kontext geschuldet. Es bleibt also zu fragen, wie die Darstellung des duellum in Wickrams ‚Ritter Galmy‘ von Tradition und Wandel geprägt ist und inwiefern dies als symptomatisch für die kollektiven Deutungsmuster des gerichtlichen Zweikampfes begriffen werden kann. Als Bedeutung tragende Komplexe verdienen dabei insbesondere der Kampfplatz, der Verlauf des duellum, die Kombattanten und der dem Kampf zugrunde liegende Konflikt genauere Betrachtung. 2. Positionszuweisungen und Bedeutungsverschiebungen a. Der Schauplatz des gerichtlichen Zweikampfes Erste Aufschlüsse für die Frage nach dem geeigneten Schauplatz für den Zweikampf bietet bereits die bildliche Umsetzung des dramatischen Höhepunktes des Romans. 23 Hier fallen dem Betrachter neben dem Ritter im Mönchsgewand vor allem die Gerichtsschranken im vorderen Bildbereich ins Auge. Der Kampfplatz ist also ein klar umgrenzter Raum; das Geschehen, das sich dort vollzieht ist in jeder Hinsicht exklusiv. 24 Gleichwohl, und auch das deutet sich sowohl in Bild und Text an, ist es notwendig, dass diese Exklusivveranstaltung vom öffentlichen Interesse entsprechend gewürdigt wird. Das Rechtsspektakel Zweikampf braucht ein Publikum; der Kampfplatz ist eine 20 Siehe: Elisabeth W ÅGHÄLL N IVRE : Women and Family Life in Early Modern German Literature, Rochester 2004, bes. Kap. 2: The Novels of Georg Wickram, S. 92-125, hier S. 95. 21 Theganus Gesta Hludowici imperatoris, in: Ernst T REMP (Ed.): Theganus Gesta Hludowici imperatoris - Astronomus Vita Hludowici imperatoris, Hannover 1995, Kap. 36-38, S. 167-277. 22 Friedrich H ÜLSMANN (Ed.): The Erle of Tolous, Essen 1987. 23 W ICKRAM : Galmy (Anm. 10), Kap. 55, S. 207-213, hier S. 208. 24 Siehe dazu: G RIMM : Rechtsalterthümer (Anm. 4), S. 433-438; Michael P FEFFER : Die Formalitäten des gottesgerichtlichen Zweikampfs in der altfranzösischen Epik, in: Zeitschrift für romanische Philologie 9 (1885), S. 1-74, bes. S. 61-62. 97 Neumann juristische Größe, vor allem aber ist er eine Bühne! 25 Und deren Verortung und Ausgestaltung liefern entscheidende Hinweise, auf welche Größen das duellum zu beziehen, wie es zu deuten ist. Im Falle Galmys findet der Zweikampf nach einer festgesetzten Frist am herzoglichen Residenzort statt; alle Großen des Landes sind zum Kampftag einbestellt worden, es gibt also reichlich Publikum für das folgende Rechts- oder vielleicht besser Polit-Spektakel. Denn die Errichtung des Kampfplatzes bei der herzoglichen Residenz ist auch ein Versuch des Herzogs, sich in einer Krisensituation vor den Augen der politischen Eliten als Herr der Lage zu erweisen. Denn der Vorwurf des Ehebruchs berührt nicht allein die Herzogin; vielmehr ist die vermeintliche Liaison der Gattin des Herrschers als direkter Angriff auf den Herzog zu werten, mit dem seine Herrschaftskompetenz offen in Frage gestellt wird. 26 Es handelt sich also im wahrsten Sinne des Wortes um eine Staatsaffäre, die nicht allein die persönliche Integrität der Dame, sondern vor allem die politische Handlungsfähigkeit ihres Ehemannes empfindlich trifft. Entsprechend soll auf dem Kampfplatz also nicht nur Schuld oder Unschuld der Herzogin erwiesen, sondern auch ein politischer Befreiungsschlag für den Herzog erbracht werden. Diese Verknüpfung zwischen dem Schauplatz des Kampfes und der Frage, wer im eigentlichen Sinne Herr des Verfahrens ist, gehört zu den zentralen Bestandteilen jeder Zweikampferzählung: Besonders beliebt ist der Rückgriff auf die Vorladung der Streitparteien an das Königsgericht, wo ein gerechter Herrscher einem fairen Zweikampf präsidiert; 27 möglich ist aber auch die hinterhältige Vorladung eines unschuldig Beklagten durch einen ungerechten Herrscher 28 oder aber der Austrag des Zweikampfes in unmittelbarer Nähe einer geistlichen Institution, die den passenden Rahmen abgibt für den göttlichen Richterspruch im duellum. 29 Mit der Verortung des Kampfplatzes stellt der Erzähler also die Weichen für alles Folgende und verdeutlicht, wer in seiner Zweikampfgeschichte der Regisseur ist: der gefährdete, der gerechte oder auch der ungerechte Herrscher; und nicht zuletzt Gott selbst, der als höchster Richter eingreift. Erzählintention und institutionelle Rückbindung des jeweiligen Autors verpflichten ihn auf bestimmte Aussagen; 25 Dass es sich dabei nicht allein um Sensationslust, sondern auch um den für jeden öffentlichen Rechtsakt - jedes spectaculum - nötigen Umstand handelt, der das Geschehen bezeugt, deutet sich auch in anderen Quellen an, wie beispielsweise im Bericht Galberts von Brügge; siehe dazu: G ALBERTUS NOTARIUS B RU - GENSIS : De multro, traditione et occisione gloriosi Karoli comitis Flandriarum/ Histoire du meurtre de Charles le Bon, Comte de Flandre (1127-1128) par Galbert de Bruges suivie de Poésies Latines Contemporaines, hrsg. v. Henri Pirenne, Paris 1891, Kap. 58, S. 94. 26 Dies lässt sich an zahlreichen Quellen, die das Motiv der unschuldig beklagten Königin resp. Herrscherin zum Gegenstand haben, nachweisen; dazu: N EUMANN : Gerichtlicher Zweikampf (Anm. 3), S. 130-137. 27 Siehe dazu beispielsweise den Zweikampfbericht in den Chroniques de Normandie: A. H ELLOT (Ed.): Les Cronicques de Normendie (1223-1453), Rouen 1881, Kap. 3, S. 3-5 u. 182-186. 28 Siehe dazu die Darstellung der Auseinandersetzung zwischen Heinrich IV. und Herzog Otto von Nort heim im Jahr 1070 insbesondere bei Lampert von Hersfeld: Oswald H OLDER -E GGER (Ed.): Lamperti monachi Hersfeldensis Opera, Hannover/ Leipzig 1894, S. 113-116; siehe dazu: Gerd A LTHOFF : Heinrich IV., Darmstadt 2006, S. 175-181; N EUMANN : Gerichtlicher Zweikampf (Anm. 3), S. 144-147. 29 Siehe dazu beispielsweise den Bericht über Henry von Essex in der Chronik des Jocelin von Brakelond: Harald E. B UTLER (Ed.): Cronica Jocelini de Brakelonda de rebus gestis Samsonis, Abbatis Monasterii Sancti Edmundi, London u. a. 1949, S. 68-71. 98 Vom Gottesurteil zur Ehrensache? die Bandbreite der Deutungsmöglichkeiten für das duellum erlaubt ihm, diesen Verpflichtungen problemlos nachzukommen. Neben der Verortung verdient die Ausgestaltung des Kampfplatzes gesonderte Betrachtung: So werden in Wickrams ‚Ritter Galmy‘ am Kampftag nicht allein die Schranken aufgebaut, sondern es wird auch ein Scheiterhaufen errichtet, auf dem die Herzogin verbrannt werden soll, sofern sich kein siegreicher Kämpe für sie findet. Neben die Stätte der Beweiserhebung wird also die Stätte des Strafvollzugs gesetzt. Dieser enge räumliche Bezug impliziert auch eine Bedeutungsverschiebung: Zu fragen bleibt, ob das duellum hier nur ein Beweismittel oder durchaus eine Art oder auch einen Teil des Strafgerichts darstellt. Eine klare Trennung fällt hier meines Erachtens schwer. Bezeichnend ist, dass dieses Kompositionsprinzip vor allem in späteren Zeugnissen begegnet, was durchaus als Hinweis auf eine Erweiterung des Bedeutungsspektrums des Zweikampfes um den Aspekt der Strafe verstanden werden kann. 30 Und dieser letztgenannte Punkt steht bereits in unmittelbarem Bezug zu der zweiten Frage, nämlich: Wie verläuft der Kampf? b. Der Verlauf des gerichtlichen Zweikampfes Die Auswertung erzählender Quellen belegt, dass sich Chronisten und Dichter im Wesentlichen aus dem Arsenal dreier typischer Zweikampf-Verlaufsformen bedient haben, die auch auf die rechtlichen Positionsbestimmungen des duellum bezogen sind. Der gerichtliche Zweikampf wird zum einen als Sakralhandlung dargestellt, in der dem Gerechten getreu dem Gottesurteilsgedanken auch in vermeintlich auswegloser Lage Hilfe von oben zuteil wird. Großen Raum nehmen in solchen Schilderungen die Betonung bedingungslosen Gottvertrauens und entsprechend spirituelle Kampfesvorbereitungen der gerechten Streitpartei ein, während ihr Widerpart häufig als reiner ‚Haudrauf‘ dargestellt wird, der den wahren Gehalt des Kampfes als Gottesurteil verkennt. 31 In vielen anderen Berichten wird jedoch der Charakter des duellum als Rechtsritual betont: Der Weg, den die Streitparteien bis zum Tag des Zweikampfes zurückzulegen haben, erscheint hier als langwieriges Hin und Her. Es gilt, ein umfassendes Reglement zu befolgen und vor allem in Verhandlungen einzutreten. Häufig endet ein derartiger Bericht als bloßes Wortgefecht mit einer gütlichen Einigung der Streitparteien oder aber der Kampf wird nach den ersten Streichen umgehend beendet. Ein erfolgreicher Kampf muss also nicht bis zum Letzten ausgefochten werden; der Ritualcharakter des duellum kann und soll auch der Vermeidung des Kampfes dienen. 32 Während die Darstellung der Sakral- und Ritualhandlung des Zweikampfes immer auch auf Sicherungsmechanismen Bezug nimmt, stellt eine dritte Gruppe von Zweikampfberichten gerade deren Versagen in den Vordergrund. Das duellum eskaliert hier 30 Siehe dazu auch die Darstellung in: N EUMANN : Gerichtlicher Zweikampf (Anm. 3), S. 100-105. 31 Siehe dazu die Fallstudie bei: ebd., S. 92-95. 32 Dieses langwierige Procedere wird besonders in normativen Quellen, wie beispielsweise dem Sachsenspiegel oder in so genannten Kampfsummen, fixiert. Erzählende Quellen nehmen in der Regel nicht auf alle idealtypisch vorgesehenen Details Bezug, sondern akzentuieren einzelne Aspekte, die zur Entschleunigung des Verfahrens beitragen und einer gütlichen Einigung Vorschub leisten; siehe dazu die Analyse bei: ebd., S. 85-91. 99 Neumann zu einer beispiellosen Gewaltorgie, die minutiös geschildert wird und in der Regel mit dem Tod einer Streitpartei endet. 33 Wendet man den Blick zurück zu ‚Ritter Galmy‘, wird deutlich, dass sich Wickram nur bedingt einer dieser typischen Zweikampf-Verlaufsformen angeschlossen hat. Er greift vielmehr auf Bausteine aller drei skizzierten Schemata zurück und arrangiert sie ganz in der Tradition spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Zweikampferzählungen: Galmys Pose in der bildlichen Umsetzung seines Triumphes - auf seinem Gegner kniend, das Schwert an dessen Kehle gesetzt - wirkt martialisch, ist jedoch immens stilisiert und nicht das, was man sich unter einer Gewaltorgie vorstellt. Gleichwohl ist dieser eben genannte Typus der Zweikampfdarstellung auch für ‚Ritter Galmy‘ relevant. Wichtig ist nämlich, dass die physische Vernichtung des Gegners nach zeitgenössischer Vorstellung nicht in jedem Falle negativ zu werten ist: Es gibt zweifellos Schilderungen, die verdeutlichen wollen, dass im gerichtlichen Zweikampf einzig und allein der Stärkere oder auch der Listigere siegt. 34 Vor allem ab dem späten Mittelalter sind jedoch Berichte zu verzeichnen, die bestrebt sind, ihrem Publikum den Vollzug gerechter und in jeder Hinsicht gerechtfertigter Gewalt vor Augen zu führen. Der Gerechte darf, ja muss den Bösewicht niedermachen, ihm beispielsweise die verräterische Zunge herausreißen oder den meineidigen Arm abschlagen. In diesen Fällen geht es also nicht mehr allein um die Beweiserbringung, sondern darum, dem Missetäter das Urteil auf den Leib zu schreiben. 35 Der Unschuldige wird in diesem Zweikampf zum strafenden Vollstrecker. Auch hier wird das Bedeutungsspektrum des duellum um den Aspekt der Strafe erweitert - eine Feststellung, der das Fallbeispiel von ‚Ritter Galmy‘ bereits mit der Darstellung des Schauplatzes Vorschub geleistet hat und die sich bei einem weiteren Blick auf das Werk noch erhärten lässt: Galmy lässt es nämlich mit der bloßen Überwindung seines Gegners nicht genug sein. Er setzt ihm das Schwert an die Kehle, erzwingt ein Geständnis und sobald dies erfolgt ist, verkündet er das Urteil, lässt den 33 Eines der drastischsten Beispiele liefert wiederum der bereits angeführte Fall bei Galbert von Brügge: G ALBERTUS : De multro (Anm. 25), Kap. 58, S. 93-95; siehe dazu auch: N EUMANN : Gerichtlicher Zweikampf (Anm. 3), S. 100-105. 34 In rechtlichen und theologischen Schriften findet sich dieser Kritikpunkt übrigens sehr häufig und wird als ein zentrales Argument gegen den gerichtlichen Zweikampf ins Feld geführt. So stellt Friedrich II. in den Konstitutionen von Melfi fest, dass im seltensten Falle die für den Zweikampf theoretisch geforderte Chancengleichheit der Kämpfer auch in der Praxis bestehe; Wolfgang S TÜRNER (Ed.): Die Konstitutionen Friedrichs II. für das Königreich Sizilien, Hannover 1996, S. 340: Vix enim aut numquam duo pugiles inveniri poterunt sic equales, ut vel in totum non sit alter altero fortior vel quod in aliqua parte sui vigore maiori et potiori virtute vel saltim ingeniis alterum non excedat. - Dieser Erfahrungswert wird bereits früh von Kritikern aus dem Kreis der gelehrten Theologie angesprochen, vor allem von Avitus von Vienne und Atto von Vercelli; siehe dazu: N EUMANN : Gerichtlicher Zweikampf (Anm. 3), S. 66-72. 35 Siehe zum leiblichen Rechtsverständnis: Wolfgang S CHILD : Verwissenschaftlichung als Entleiblichung des Rechtsverständnisses, in: Norbert B RIESKORN u. a. (Hg.): Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Bedingungen, Wege und Probleme der europäischen Rechtsgeschichte, Paderborn 1994, S. 247-260 und die Überlegungen zum mentalitätsgeschichtlichen Hintergrund der mittelalterlichen Hinrichtungspraxis, die auch für das Verständnis des gerichtlichen Zweikampfes hilfreich sind bei: Esther C OHEN : Symbols of Culpability and the Universal Language of Justice: The Ritual of Public Executions in Late Medieval Europe, in: History of European Ideas 11 (1989), S. 407-416. 100 Vom Gottesurteil zur Ehrensache? Scheiterhaufen anfachen und schleift den Marschall an seinem Barte zum Henker, der den Schuldigen den Flammen übergibt. 36 Galmy ist als siegreicher Kämpe also derjenige, der im Kampf Beweise für Schuld und Unschuld erbringt und auf dieser Grundlage auch das Urteil ausspricht und - zumindest zum Teil - vollstreckt. Es bleibt also auch hier der changierende Status des duellum als Beweis und als Strafgericht. Auffällig ist, dass neben diesem Strafgericht der eigentliche Zweikampf im ‚Ritter Galmy‘ kaum Erwähnung findet. Das Gefecht von Galmy und dem Marschall wird in nur zwei Sätzen abgehandelt. 37 Es sind die Ereignisse vor und nach dem duellum, die detailliert geschildert werden. Während das Geschehen unmittelbar im Anschluss an den Zweikampf in dem eben skizzierten Geständnis und der Hinrichtung des Marschalls besteht, lassen sich im Vorfeld des Zweikampfes Rückgriffe auf zwei weitere Deutungsoptionen für das duellum nachweisen: So lagert Wickram dem Zweikampf die erwähnte Beichtszene vor und deutet damit einerseits den religiösen Impetus des iudicium pugnae an - nur der Unschuldige kann bestehen - und weist andererseits dem Ritter im Mönchskostüm eine quasi-religiöse Funktion zu. 38 Der Gottesurteilsgedanke ist also durchaus präsent. Im unmittelbaren Vorfeld des Zweikampfes findet sich darüber hinaus aber auch ein Verweis auf seinen Charakter als Rechtsritual, denn: Galmy und der Marschall liefern sich ein wirklich langes Wortgefecht mit wechselseitigen Anschuldigungen und Schmähworten - hier reicht es als Zweikampfvermeidungsstrategie nicht aus; gleichwohl wird deutlich, dass die rhetorische Komponente, planvolles und regelgeleitetes Handeln und Sprechen, einen wesentlichen Teil des duellum ausmacht. 39 Wickram greift also auf bewährte Darstellungsmuster zurück, modifiziert sie jedoch gemäß spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Vorgaben und rückt verbale und körperliche Gewalt in das Zentrum seines Zweikampfberichtes. Somit bleiben noch zwei letzte Fragen zu beantworten, die aufgrund ihrer engen Verbindung gemeinsam behandelt werden können, nämlich: Wen lässt Wickram aus welchen Gründen auf der Bühne des Zweikampfes agieren? 36 W ICKRAM : Galmy (Anm. 10), Kap. 55, S. 207-213, hier S. 211: Der Münch darauff dem hencker gebot/ das holtz an z zünden/ den schandtlichen Marschalck bey seinem bart nam/ in z den schrancken hinauß schleyffet. [...] Der hencker den Marschalck nam/ in inn seinem harnasch inn das feür werffen thett. 37 Ebd., Kap. 55, S. 207-213, hier S. 207 f.: Der Marschalck dem münch mit grossen sorgen begegnet. Deß der Edel unnd unverzagt Ritter bald warnam/ den Marschalck so züchtigklichen treffen thet/ das er von stund an seinen sattel raumet [...]. 38 Es mag sicherlich auch Wickrams Gespür für erbaulich-unterhaltende Szenen mitschwingen; es scheint mir jedoch zu weit gegriffen, hier Satire auf ein überlebtes Rechtsmittel zu attestieren. So verknüpft der katholisch geborene und geprägte Wickram in seinen Arbeiten Glaubens- und Erziehungslehren eng miteinander und akzentuiert beispielsweise in seinen Bibeldramen die heilsnotwendige Bereitschaft zur Buße. Insofern erscheint es durchaus passend, dass er die Beichtszene, die man ebenfalls in den Kontext der Bußthematik einordnen kann, einbaut; siehe dazu: Wolfgang W ASHOF : Die Bibel auf der Bühne. Exempelfiguren und protestantische Theologie im lateinischen und deutschen Bibeldrama der Reformationszeit, Münster 2007, S. 209 f. 39 Siehe dazu: N EUMANN : Gerichtlicher Zweikampf (Anm. 3), S. 17-19 u. 96-100. 101 Neumann c. Konflikte und Kombattanten Die Konstellation, die Wickram einführt, ist durchaus typisch für viele Zweikampfberichte. Angesiedelt ist die Geschichte im Milieu des hohen Adels: Gute und schlechte Vasallen konkurrieren miteinander um die Gunst ihres Herren. Dessen Ehefrau stellt einen besonderen Angriffspunkt für ihre Rivalitäten dar, was sicher die gefährdete Position der Frau in der Gesellschaft illustriert, jedoch auch dem erzählerischen Zweck dient: Ohne die Herzogin fehlte zum einen die Möglichkeit, den guten und den schlechten Vasallen vorzuführen; ohne die Angriffe auf die Gattin des Herrschers bedürfte auch dessen Position nicht der Konsolidierung. Und ohne die Dame wäre der Kämpendienst Galmys und damit seine Qualifikation für eine Schlüsselposition innerhalb der Herrschaftsordnung unmöglich. 40 Galmys Rettungsaktion ist nämlich kein reiner Liebesdienst. Dies wird vor allem im Anschluss an den Zweikampf deutlich: Zum einen ist es nicht der Herzog, sondern Galmy, der als eine Art Richter fungiert; die Führungsrolle scheint durch das duellum also dem Ritter im Mönchskostüm zugewachsen zu sein. Zum anderen zeitigt der Sieg im Zweikampf langfristig weit reichende Konsequenzen, denn Galmy heiratet nach dem Tod des Herzogs, dem er trotz der Zuneigung zu dessen Ehefrau immer ein loyaler Gefolgsmann war, die Herzogin. Das duellum hat offenbar alle sozialen Unterschiede zwischen Herrscherin und Vasall nivelliert und auch Galmys politisch-herrschaftliches Potential bewiesen, so dass er am Ende des Romans selbst zum Exponenten der Herrschaftsordnung aufsteigen kann. 41 Was zunächst als altbekannte Geschichte über Liebe und Verrat daherkommt, entpuppt sich also bei genauerem Hinsehen als Auseinandersetzung mit grundsätzlichen Aspekten von Herrschaft und Gesellschaft. Die Kernaussage des Romans besteht gerade nicht in der Gleichung, dass der tugendhaft Liebende letztlich Erfüllung seiner Träume findet, sondern in der Botschaft, dass dem loyalen Vasall sozialer Aufstieg und dem schlagkräftigen Ritter politische Herrschaft zukommt. Das Figurenprogramm, auf das Wickram zurückgreift, besteht also weniger aus Charakteren denn aus Typen; und die Auseinandersetzung dieser Typen findet ihre Begründung weniger in eindeutig definierten Delikten, sondern in einer komplexen Konfliktstruktur, in der rechtliche Aspekte durch persönlich-gesellschaftliche überformt und unmittelbar auf die Herrschaftsordnung bezogen werden. Doch ‚Ritter Galmy‘ ist nicht einzig der Tradition verpflichtet; es findet sich auch ein ausgesprochen originelles Element, nämlich die fromme Verkleidung des Ritters als Mönch. In der Stoffgeschichte begegnet dieser Aspekt erstmals in dem bereits erwähn- 40 Geschlechterbeziehungen sind Gegenstand von nahezu allen Werken Wickrams; im ‚Ritter Galmy‘ ist das Spektrum im Vergleich zu seinen späteren Arbeiten noch nicht besonders breit gefächert - die Frau erscheint hier als Objekt und Opfer, durch die der Held gleichwohl sozialen Aufstieg verzeichnen kann; siehe dazu: W ÅGHÄLL N IVRE : Women (Anm. 20), S. 95. 41 W ICKRAM : Galmy (Anm. 10), Kap. 59, S. 223-228, hier S. 226: [...] nit lang darnach mit verwilligung aller Landtsherren/ die Hertzogin dem Ritter vermehelt ward […]. - Die Hochzeit selbst spielt im Roman bezeichnenderweise keine Rolle; die knappe Information über die damit begründete Besiegelung des sozialen Aufstiegs des Helden reicht offenkundig aus; zur Liebe als Mittel sozialen Aufstiegs siehe: W ÅG - HÄLL N IVRE : Women (Anm. 20), S. 122; Armin S CHULZ : Texte und Textilien. Zur Entstehung der Liebe in Wickrams ‚Goldfaden‘ (1557), in: Daphnis 30 (2001), S. 53-70. 102 Vom Gottesurteil zur Ehrensache? ten Versepos über den ‚Erle of Tolous‘, an das sich Wickram anlehnt. Das Moment der Verkleidung ist also wiederum ein spätmittelalterlicher Zusatz und als solcher symptomatisch für veränderte oder besser: erweiterte Darstellungsmöglichkeiten des duellum. Klerikern ist der Austrag eines Zweikampfes grundsätzlich verwehrt. Wickram spielt also mit dieser Konvention, indem er seinen Ritter in einer frommen Kostümierung antreten lässt. Er erprobt damit die Grenzen des Denk- und Sagbaren und liefert seinem Publikum eine wirklich überraschende Wendung. Die Aussage, die diese unkonventionelle Wendung transportiert, ist jedoch durchaus der Tradition verpflichtet: Es ist der gute Vasall, der hier als Gottesmann erscheint und der gerechten Sache gleichsam als Gotteskrieger im Zweikampf zum Sieg verhilft. Wickrams Neuerung bietet also eine Variation des Gottesurteilsgedankens, der auch in Spätmittelalter und Früher Neuzeit noch lange nicht passé ist. 3. Fazit Die Beispielanalyse von Wickrams ‚Ritter Galmy‘, eines literarischen Werkes aus der Frühen Neuzeit, führt also Deutungsvarianten des gerichtlichen Zweikampfes vor Augen, die bereits die mittelalterlichen Erzähltraditionen prägten, zeigt jedoch auch Verschiebungen in der Wahrnehmung dieses Phänomens an. Der Roman vom Ritter Galmy fügt sich damit ein in die Ergebnisse einer Reihe derartiger Musteranalysen und erhellt wesentliche Aspekte für das Verständnis des mittelalterlichen Gerichtszweikampfes. Festzuhalten ist dabei zunächst, dass die Trias von Gewalt, göttlicher Gerechtigkeit und persönlichen Rechtsansprüchen den Rechtscharakter des gerichtlichen Zweikampfes bestimmt. Er ist also eher einem Konzept der Mehrdeutigkeit als der Eindeutigkeit verpflichtet und dies kann im erzählerischen Entwurf im Sinne der Verfasser genutzt werden. Sie liefern selten schlichte Rechtsgeschichten, sondern deuten den Zweikampf im weiteren Kontext der Herrschaftsordnung: In Erzählungen über das duellum wird die abstrakte Größe Herrschaft in einer Art Momentaufnahme konkretisiert und visualisiert. Teil dieser Momentaufnahme sind nicht allein die dramatis personae, sondern auch ihre im wahrsten Sinne des Wortes umkämpften Beziehungen zueinander. Im erzählerischen Entwurf werden also weniger rechtlich definierte Delikte verhandelt, sondern soziale Koalitionen und Konfliktpotentiale aufgezeigt. Zweikampfberichte liefern somit auch eine Momentaufnahme der Gesellschaft und tragen zur Selbstvergewisserung ihres exklusiveren Teils, des Adels, bei. Die Tatsache, dass in Zeugnissen des späten Mittelalters verstärkt Gegenentwürfe zum idealen Adelszweikampf begegnen, ist indes nicht als Absage an das duellum zu werten. Die Darstellung des Unerhörten dient vielmehr dazu, soziale und kulturelle Grenzverläufe festzuschreiben, denn im erzählerischen Entwurf zum gerichtlichen Zweikampf wird immer auch das Eigene vom Fremden geschieden. Das Bemühen um stimmige Herrschaftsbilder und Gesellschaftsporträts ist die Konstante, der das ‚Reden über den Zweikampf‘ verpflichtet bleibt. Die Art und Weise, wie diese Bilder gezeichnet werden, birgt jedoch reichlich dynamisches Potential: Dichter und Chronisten komponieren zunehmend Gewalt- und Gerechtigkeitsszenarien, in denen dem Schuldigen das Urteil im Zweikampf auf den Leib geschrieben wird. Doch 103 Neumann auch der Aspekt der Tarnung und Verkleidung oder allgemeiner das Verhältnis von Schein und Sein werden verstärkt diskutiert. Insgesamt rückt also der Körper als Bedeutungsträger ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Parallel dazu gewinnt jedoch auch das gesprochene und geschriebene Wort an Gewicht: Chronistik und Literatur verzeichnen als Auslöser des Zweikampfgebotes verstärkt Schmähworte, auf die nicht minder formvollendete Zweikampfforderungen folgen. Dennoch lässt sich daran nicht der Bedeutungsverlust des duellum festmachen. Im Formelhaften liegt seit jeher ein großer Teil seiner Schlagkraft; die verstärkte Konzentration auf das, was gesagt wird, belegt also eher eine Modifikation des Rituals, das deshalb nicht weniger Geltung beansprucht. Insgesamt lässt sich also ein lineares Entwicklungsmodell vom Gottesurteil zur Ehrensache anhand der erzählenden Quellen nicht belegen - vielmehr erlaubt die Mehrdeutigkeit des duellum Freiheit in der Tradition und sichert seinen Bestand über viele Jahrhunderte. 104 Malte Prietzel Schauspiele von Ehre und Tapferkeit Zweikämpfe in Frankreich und Burgund im späten Mittelalter Von den Zweikämpfen des späten Mittelalters, so hat man plausibel gezeigt, führt ein Weg zu den Duellen der Frühen Neuzeit. 1 Es wäre müßig, dies bestreiten zu wollen. Zweifellos aber hatten Zweikämpfe für die spätmittelalterlichen Zeitgenossen eine eigenständige Bedeutung. Sie müssen innerhalb der sozialen Strukturen und der kulturell verankerten Denkmuster sinnvoll erschienen sein. Ebenso ist das frühneuzeitliche Duell nur aus spezifischen Dispositionen der damaligen Gesellschaft wirklich zu erklären. Wenn die Funktionen des Zweikampfes in der spätmittelalterlichen Gesellschaft umrissen werden, dürfte sich daher der Wandel von diesen Zweikämpfen zu frühneuzeitlichen Duellen in seinem ganzen Umfang zeigen. Welche Bedeutung also hatten Zweikämpfe im späten Mittelalter, insbesondere in Frankreich und im burgundischen Staat, d. h. in einem Kernraum der adlig-ritterlichen Kultur? 1. Zweikämpfe als Turnier Seit seiner Entstehung im 11. und 12. Jahrhundert stellte das Turnier eine Übung für den militärischen Kampf dar und war diesem daher möglichst weit angenähert. Man kämpfte wie im Krieg: mit scharfen Waffen und in Gruppen, die sich aus den Vasallen eines Fürsten zusammensetzten. Zweikämpfe gab es selten. Seit ungefähr 1350 aber verlor das Turnier seine Bedeutung als unmittelbare Vorbereitung auf den Krieg. Der Gruppenkampf (Buhurt) kam nur noch selten vor, man bevorzugte jetzt den Zweikampf (Tjost). Häufig benutzte man nicht scharfe, sondern stumpfe Waffen, um die Verletzungsgefahr zu minimieren. Aus demselben Grund kamen seit dem Ende des 14. Jahrhunderts spezielle Turnierrüstungen auf, die so sehr auf die Kampfformen des Turniers abgestimmt waren, dass sie für den Krieg gar nicht mehr taugten. 2 Seit dem Beginn des 15. Jahrhunderts entwickelte sich ferner eine neue Art des Turniers, die so 1 Marco C AVINA : Il duello giudiziario per punto d’onore. Genesi, apogeo e crisi nell’alaborazione dottrinale italiana (sec. XIV-XVI), Turin 2003, S. 2 u. 5-12; François B ILLACOIS : Le duel dans la société française des XVIe-XVIIe siècles. Essai de psychosociologie historique, Paris 1986, S. 31-33. 2 Zur Entwicklung des Turniers: Werner P ARAVICINI : Die ritterlich-höfische Kultur des Mittelalters, 2. Aufl., München 1999, S. 11-14; Juliet B ARKER : The Tournament in England, 1100-1400, 2. Aufl., Woodbridge 2003, S. 4-16; Martina N EUMEYER : Vom Kriegshandwerk zum ritterlichen Theater. Das Turnier im mittelalterlichen Frankreich, Bonn 1998, S. 25-79; Maurice K EEN : Chivalry, New Haven 1984, S. 83-101 u. 200-212; Philippe C ONTAMINE : Les tournois en France à la fin du moyen âge, in: Josef F LECKENSTEIN (Hg.): Das ritterliche Turnier im Mittelalter. Beiträge zu einer vergleichenden Formen- und Verhaltensgeschichte des Rittertums, Göttingen 1986, S. 425-449; Malcolm V ALE : War and Chivalry. Warfare and Aristocratic Culture in England, France and Burgundy at the End of the Middle Ages, London 1981, S. 66-87 u. 96-99. Zu den Kampfformen und -praktiken in Burgund vgl.: Claude G AIER : Technique des combats singuliers d’après les auteurs „bourguignons“ du XV e siècle, in: Le Moyen Age 91 (1985), S. 415-457 und 92 (1986), S. 5-40. 105 Prietzel genannten ‚Pas d’armes’. Hier waren die Auseinandersetzungen der Kontrahenten in eine mythisch und literarisch inspirierte, mit Symbolik geradezu überladene Rahmenhandlung eingebunden, die mit Hilfe von Bühnenbild, Kostümen und Requisiten präsentiert wurde. 3 Welchen Zwecken das so veränderte Turnier diente, lässt sich gut an einem Zweikampf nachvollziehen, den der Hennegauer Jacques de Lalaing gegen Giovanni di Bonifacio, einen Adligen aus dem Königreich Neapel, 1445 in Gent führte. Drei Quellen berichten darüber. Am frühesten entstand ein Bericht über einige von Jacques‘ Taten, den Jean Lefèvre, der Wappenkönig Goldenes Vlies, nach dem Tod des Helden für dessen Vater verfasste. Der Autor war selbst bei den Ereignissen anwesend, zum Teil in tragender Rolle, so dass sein Bericht die Abläufe ganz zuverlässig darbieten dürfte, sie freilich in seinem Sinne interpretiert. 4 Diesen Text nahm ein bislang nicht identifizierter Autor wohl zwischen 1470 und 1472 als Grundlage, als er über den Genter Zweikampf in seinem ‚Buch von den Taten des guten Ritters Herrn Jacques de Lalaing‘ schrieb, in dem er Jacques als Beispiel für vorbildliches ritterliches Verhalten am Hof, im Turnier und im Krieg darstellte. 5 Nochmals mehrere Jahre später äußerte sich auch Olivier de La Marche in seinen ‚Mémoires’ über den Genter Zweikampf. 6 Sein Text ist von den beiden früher entstandenen ganz unabhängig. Wahrscheinlich war La Marche ein Augenzeuge des Zweikampfes; jedenfalls schreibt er aus der Perspektive eines Zuschauers. Vor allem zum Kampf selbst bietet er viele Details, die Lefèvre und der Autor der ‚Taten des Jacques de Lalaing‘ nicht erwähnen. Doch angesichts des Umstands, dass er lange nach den Ereignissen schrieb und wohl auf keine andere Schrift zurückgriff, dürften seine Erinnerungen nicht immer zuverlässig sein. Auch mag sich manches, was La Marche bei anderen Turnieren erlebte, mit dem vermischt haben, was er beim Zweikampf Lalaings 3 Zu einem Pas d’armes, den Jacques de Lalaing durchführte: Gerd M ELVILLE : Der Held - in Szene gesetzt. Einige Bilder und Gedanken zu Jacques de Lalaing und seinem ‚Pas d’armes de la Fontaine des Pleurs’, in: Jan-Dirk M ÜLLER (Hg.): „Aufführung“ und „Schrift“ in Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart/ Weimar 1996, S. 253-286, hier S. 264-277; Alice P LANCHE : Du tournoi au théâtre en Bourgogne. Le Pas de la Fontaine des Pleurs à Chalon-sur Saône 1449-1450, in: Le Moyen Age 81 (1975), S. 97-128. 4 (Jean L EFEVRE : ) Epître de Jean le Fèvre, seigneur de Saint-Rémy, contenant le récit des faits d’armes, en champ clos, de Jacques de Lalain, ed. von François Morand, in: Annuaire-bulletin de la Société de l’histoire de France 21 (1884), S. 177-239. 5 Le livre des faits du bon chevalier messire Jacques de Lalaing, in: Georges C HASTELLAIN : Œuvres, Bd. 8, hrsg. von Kervyn van Lettenhove, Brüssel 1866, S. 1-259, hier S. 84. Das Werk wurde früher dem burgundischen Hofchronisten Chastellain zugeschrieben; dies wird jedoch heute mit guten Gründen bezweifelt. Zum ‚Livre des Faits‘ und zu den möglichen Autoren: Elisabeth G AUCHER : La biographie chevaleresque. Typologie d’un genre (XIIIe-XVe siècle), Paris 1994, bes. S. 629-632; M ELVILLE : Held (Anm. 3), S. 281-283. Zum Leben des Protagonisten vgl.: Paul DE W IN : [Art.] Jacques de Lalaing, in: Raphaël D E S MEDT (Hg.): Les chevaliers de l’Ordre de la Toison d’or au XV e siècle, 2. Aufl., Frankfurt a. M. 2000, S. 117-120; auch: Elisabeth G AUCHER : La confrontation de l’idéal chevaleresque et de l’idéologie politique en Bourgogne au XV e siècle. L’exemple de Jacques de Lalaing, in: Rencontres médiévales en Bourgogne (XIV e -XV e siècles) 2 (1992), S. 3-24. 6 Olivier de L A M ARCHE : Mémoires, ed. von H. Beaune/ J. d’Arbaumont, Bd. 2, Paris 1884, S. 94 u. 96- 104. 106 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit gesehen hatte. Sollte er nach 30 oder 40 Jahren wirklich noch gewusst haben, dass die Gegner exakt 27 Mal gegeneinander anritten und was dabei genau geschah? Sehr präzise beschreibt er ferner die Waffen der Kontrahenten sowie ihre Kleidung, die Schabracken ihrer Pferde, die Gewänder der Pagen. 7 Auch hier regen sich Zweifel an der Zuverlässigkeit seiner Erinnerungen. Aber unabhängig davon, inwieweit die - scheinbaren - Details den Tatsachen entsprechen, zeigen seine Worte doch sehr deutlich, dass er als Zuschauer seinerzeit nur mitbekommen hatte, was offensichtlich war: die Zurschaustellung von Tapferkeit und Prunk. Viele Zuschauer, welche die vorbereitenden Gespräche nicht kannten, werden es naheliegender Weise ähnlich gesehen haben. Darüber, wie der Kampf zustande kam, äußert La Marche sich fast gar nicht, da er damit nicht befasst war. Ganz anders stellt sich die Lage bei den beiden anderen Quellen dar. Lefèvre und der Autor der ‚Taten‘ widmen innerhalb der Abschnitte, die sich mit dem Genter Zweikampf befassen, nur den geringeren Teil des Textes dem eigentlichen Aufeinandertreffen der Kontrahenten. Der Löwenanteil - bei Lefèvre 75 Prozent, in den ‚Taten‘ sogar 85 Prozent des Textes - entfällt auf die Arrangierung des Kampfes, die Wiedergabe der Regeln und die sonstigen Geschehnisse an den Kampftagen. 8 Beiden Autoren kommt es also keineswegs hauptsächlich auf den eigentlichen Zweikampf an, vielmehr sind auch die Vorkommnisse in seinem Umfeld sehr wichtig. Lefèvre beginnt seine Schilderung mit der Bemerkung, dass der Ritter Giovanni di Bonifacio am 26. September 1445 in Antwerpen angekommen und am nächsten Tag zur Messe in die große Kirche (die heutige Kathedrale Unserer Lieben Frau) gegangen sei, und zwar in Begleitung eines Persevanten, dessen Rock das Wappen des Ritters zeigte. Außerdem habe Giovanni am linken Bein eine Fessel getragen, wie sie bei Sklaven üblich sei. Jacques de Lalaing habe von dem Vorfall gehört und daraufhin den Wappenkönig Goldenes Vlies, also Lefèvre selbst, zu sich gerufen. 9 Für die meisten heutigen Leser ist das Geschehen wohl unverständlich, denn was es bedeutet, erklärt Lefèvre nicht, ebenso wenig wie der Autor der ‚Taten‘. Die Fessel ist Hinweis auf ein Gelübde des fremden Ritters; er hat gelobt, sie erst wieder abzulegen, wenn ihn jemand davon erlöst - indem er nämlich in einem Zweikampf gegen ihn antritt. Sein Auftreten in der größten Kirche der Stadt ist also eine öffentliche Aufforderung zum Kampf. 10 Dies jedoch müssen die Verfasser aus ihrer Sicht gar nicht erklären, denn sie schreiben für ein Publikum im Umkreis des burgundischen Hofes, das solche Vorgänge einzuordnen weiß. 7 Ebd., S. 102 f. (Kampf zu Pferd). u. 101 (Pagen). 8 Lefèvre widmet den Vorgängen insgesamt acht Druckseiten, von denen nur je knapp eine den tatsächlichen Kampf zu Fuß und Pferd betrifft. Im ‚Livre des faits’ umfasst die gesamte Schilderung 20 Druckseiten. Aber nur je anderthalb Seiten gelten dem Kampf zu Pferd und demjenigen zu Fuß. 9 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 182; Livre des faits (Anm. 5), S. 70 f. 10 Zu solchen ‚emprises‘ vgl.: Johan H UIZINGA : Der Herbst des Mittelalters. Studien über die Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, 11. Aufl., Stuttgart 1975, S. 122. 107 Prietzel Bis der Zweikampf stattfindet, ist es freilich noch ein langer Weg für die Kontrahenten - und für die Leser, denn Lefèvre beschreibt die folgenden Vorgänge eingehend. Zunächst sucht Jacques den Rat des Wappenkönigs, also eines Mannes, der weiß, wie in einem solchen Fall zu verfahren ist. Er legt ihm dar, dass der Fremde einen Zweikampf führen wolle und dass er, Jacques, mit ihm zu kämpfen beabsichtige, um Ruhm und Ansehen zu erwerben, vorausgesetzt, Herzog Philipp der Gute von Burgund stimme zu. 11 Der Wappenkönig gibt allerdings zu bedenken, dass der Fürst sich nicht in der Stadt befinde, aber bald zurückerwartet werde. Für das Erste solle sich Jacques an den herzoglichen Kanzler wenden. Der junge Adlige sucht diesen Amtsträger auf und sendet auf dessen Rat Lefèvre zum fremden Ritter. Gleich im Anschluss muss dieser wieder zum Kanzler gehen, der Jacques nun ausrichten lässt, er solle möglichst viele Ritter und Edelknappen um sich versammeln und um Rat fragen. Dies geschieht. Als Folge des Treffens wird Lefèvre ein zweites Mal zum Fremden gesandt, diesmal in Begleitung zweier Adliger. Giovanni erklärt sich bereit, bis zur Ankunft des Herzogs in der Stadt zu warten. Als Philipp der Gute wieder in Antwerpen eingetroffen ist, geht Jacques mit vielen verwandten und befreundeten Adligen zu ihm, bittet um die Erlaubnis zum Kampf und erhält sie. Giovanni seinerseits ersucht Philipp den Guten um die Erlaubnis, ihm seine Aufwartung zu machen, wie es sich gehöre. Als er dann vor den Herzog tritt, ist auch Jacques anwesend, berührt die Fessel und fordert damit den Neapolitaner zum Kampf heraus. Lefèvre hätte anstelle dieses detaillierten Berichts einfach einen kurzen Satz einschieben können, um die Verzögerung im Ablauf durch die Abwesenheit des Herzogs zu erklären, er hätte auch auf diesen Hinweis verzichten können, ohne dass seine Erzählung unverständlich geworden wäre. Denn diese Gespräche haben kaum Auswirkung auf das weitere Geschehen. Doch sind sie dem Verfasser wichtig, denn schon die bloße Abfolge der Gespräche belegt, dass ein Zweikampf eine schwerwiegende Angelegenheit ist, die man sorgfältig bedenken muss, damit alles so abläuft, wie es sich gehört. Aus diesem Grund bedarf es des Rats erfahrener Männer (des Wappenkönigs, des Kanzlers, der Verwandten und Freunde), der ausführlichen Kommunikation mit dem Gegner und nicht zuletzt der Zustimmung des Herzogs. Hier werden den Lesern also soziale Beziehungen und deren vorbildliches Funktionieren vor Augen gestellt. Außerdem legt Lefèvre Worte, die ihm wichtig sind, den Gesprächsteilnehmern in den Mund und schreibt sogar ähnliche Aussagen mehreren Personen zu. 12 Durch diesen Kunstgriff erscheinen die betreffenden Sätze nicht als Meinung des Autors, sondern als jene der Beteiligten, ja durch die Wiederholung als selbstverständliche Auffassung in höfischen und adligen Kreisen. 11 Et pour ce (…) que tout mon désir est d’acquérir bon los et renommée, je seroie et voudroie estre prêt de délivrer le chevalier, pourvu que ce soit le plaisir et vouloir de mon très-redoubté seigneur et prince monseigneur le duc. Livre des faits (Anm. 5), S. 71. 12 Zum Beispiel die Versicherung, dass die Zustimmung des Herzogs zum Zweikampf nötig sei: L EFÈVRE : Épître (Anm. 4), S. 182 f. (Jacques zu Toison d’or; dann dieser zu Jacques; dann Jacques zu Toison d’or, damit dieser es Giovanni berichte; Auftrag an Toison d’or und zwei Adlige, es Giovanni zu sagen); vgl.: Livre des faits (Anm. 5), S. 71-73 u. 76. 108 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit Wie wichtig diese Gespräche sind, erweist auch der Text der ‚Taten‘, denn dessen Autor übernimmt die Darstellung aus dem Bericht Lefèvres, ändert aber einiges. Hatte dieser die Gespräche in indirekter Rede wiedergegeben, so formt der Autor der ‚Taten‘ diese Passagen großenteils in wörtliche Rede um. Dadurch wird der Text anschaulicher. Auch tritt deutlicher hervor, dass die Beteiligten ganz formvollendet miteinander sprechen; ihr Verhalten erscheint dadurch noch vorbildlicher. 13 Zum höflichen Umgang miteinander zählt auch, dass der fremde Ritter seinen Gegner Jacques bei beiden Gesprächen, die dessen Abgesandte mit ihm führen, ausdrücklich als Mann von großen Tugenden und sehr gutem Ruf bezeichnet. Außerdem beschreibt Giovanni eindrucksvoll das Verhältnis zwischen sich selbst und Jacques: Er betrachte ihn als Bruder und danke ihm für die Ehre, die er ihm erweise. 14 Der Kampf gegeneinander beruht also nicht auf Rivalität oder Feindschaft, sondern wird als gemeinsame Unternehmung zum Zweck des Ehrerwerbs aufgefasst. Lefèvre und der Autor der ‚Taten‘ vermitteln also durch die Wiedergabe dieser Vorgeschichte und, was den Letzteren angeht, auch durch die Gestaltung der Dialoge, ihren Lesern in sehr geschickter, weil indirekter Weise, dass das anstehende Ereignis weit mehr als nur ein martialischer Wettkampf ist. Vor allem geht es nicht vorrangig um den Sieg, sondern um das demonstrative Bekenntnis zu ritterlichen Normen - von Seiten der Kontrahenten, aber auch aller, die an den vorbereitenden Gesprächen beteiligt sind. Nach der Herausforderung kommt aber immer noch nicht der Zweikampf - weder im tatsächlichen Ablauf noch in der Schilderung. Zunächst gibt Lefèvres Bericht in aller Länge (nämlich auf immerhin zwei Druckseiten) wörtlich die Regeln für den Kampf zu Pferd wie zu Fuß wieder, die Giovanni aufgestellt hat. 15 Diese Regeln übernimmt der Autor der ‚Taten‘ aus dem Bericht Lefèvres, obwohl sie begreiflicherweise sprachlich wenig attraktiv sind und auch nicht unmittelbar Jacques‘ Ruhm dienen. Er fügt interessanterweise noch eine Bemerkung an: Jacques habe diese Regeln mit denjenigen, die ihn berieten, genau geprüft und Punkt für Punkt akzeptiert, keine Klausel hinzugefügt, keine abgelehnt. 16 Für den Kampf an sich wie für den Bericht darüber waren die Regeln also von größter Bedeutung. Sie erhoben die gewalttätige Auseinandersetzung zu einer prestigeträchtigen Demonstration von Tapferkeit und Fairness. Der Kampf zu Pferd sollte beendet sein, wenn ein Kontrahent vom Lanzenstoß seines Gegners aus dem Sattel geworfen werde. Dieser musste sich dann dem Sieger gefangen geben und sich dadurch freikaufen, dass er einer der anwesenden Damen, die der erfolgreiche Streiter auswählte, seinen Helm schenkte. In ähnlicher Weise sollte der Kontrahent, der als Erster an seinem Gegner sechs Lanzen zerbrach, von diesem ein Kleinod erhalten und dieses einer Dame oder einem Fräulein aus dem Hofstaat Herzogin Isabellas von Burgund verehren. 17 13 Ebd., S. 71-77. 14 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 182-184; Livre des faits (Anm. 5), S. 74 u. 77. 15 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 184-186; Livre des faits (Anm. 5), S. 79-82. 16 Ebd., S. 82. 17 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 185; Livre des faits (Anm. 5), S. 79. 109 Prietzel Beim Kampf zu Fuß gab es hingegen eine Trophäe zu erringen, wenn auch keine besonders wertvolle. Wer mit der Hand, dem Knie oder dem ganzen Körper den Boden berührte oder aufgab, hatte verloren und musste seine Freiheit erkaufen, indem er dem Sieger das Schwert überließ, mit dem er gekämpft hatte. 18 Der Sieg sowie der besonders spektakuläre Beweis von Tapferkeit und Geschick bringen also dem jeweiligen Kämpfer keinen unmittelbaren materiellen Profit ein, sondern nur den Ehrgewinn. Dieser ist allerdings umso größer, als zugleich die Verehrung der Damen zelebriert wird, die bekanntlich ein zentrales Element der ritterlichadligen Kultur war. Durch den demonstrativen Verzicht auf materiellen Gewinn wird auch der Zweikampf als Praktik aufgewertet, da er als reine Zurschaustellung von Tapferkeit um ihrer selbst willen erscheint. Auf die Wiedergabe der Regeln folgt der Bericht vom Zweikampf. Er beginnt mit der Nachricht, der Herzog habe festgelegt, das Ereignis solle auf einem Platz in der Stadt Gent am 15. Dezember 1445 stattfinden. Seit der Ankunft Giovannis in Antwerpen vergingen bis zum Kampf also zweieinhalb Monate, zum Teil, weil die beiden Kontrahenten eine Weile auf Philipp den Guten warten mussten, vor allem aber, weil die Vorbereitungen Zeit brauchten. Auf Details geht Lefèvre jedoch nicht ein, wichtig ist ihm nur festzuhalten, dass der Kampfplatz gut und in ehrenwerter Weise vorbereitet worden sei. 19 Während Giovanni schon einen Monat vor dem Kampf in Gent weilte, ritt Jacques erst am Abend vor dem Ereignis in die Stadt ein - mit großem Gefolge, das nicht weniger als 500 Pferde zählte. Unter Jacques Begleitern befanden sich der Graf von Saint- Pol und dessen Bruder (also zwei Mitglieder der einflussreichen Familie Luxembourg), und viele weitere große Herren, sowohl vom Hof des Herzogs wie vom Blut und vom Geschlecht des Jacques de Lalaing. 20 Jacques mobilisierte also abermals seine Familie, die Verwandten und die befreundeten Adligen. Am folgenden Nachmittag fand der Kampf zu Pferd statt. Lefèvre und nach ihm der Autor der ‚Taten‘ nennen die ranghöchsten Zuschauer, um die Bedeutung des Ereignisses hervorzuheben. Herzog Philipp sollte als Schiedsrichter agieren. 21 Den Ablauf des Kampfes fasst Lefèvre zusammen, wobei er darauf achtet, das Verhalten der Kontrahenten als tapfer zu kennzeichnen. Der Autor der ‚Taten‘ übernimmt seine Worte weitgehend, unterstreicht am Anfang seines Berichts über den Kampf jedoch kurz und ein- 18 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 186; Livre des faits (Anm. 5), S. 81. 19 Et là furent les lices à faire les armes à cheval et à pié bien et honorablement préparées et mises à point. L E - FEVRE : Épître (Anm. 4), S. 187; Livre des faits (Anm. 5), S. 82. 20 Et, la nuyt devant que lesdictes armes se devoient faire, il entra en ladicte ville de Gand, atout bien V c chevaux en sa compaignie, où estoit monseigneur le conte de Saint Pol, monseigneur de Fiennes et pluseurs aultres grans seigneurs, tant de la court comme de ceulz du sang et linaige dudit de Lalain. L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 187; Livre des faits (Anm. 5), S. 82 f. 21 Lesquelles armes se firent devant mondit seigneur de Bourgoingne, leur juge, où estoit présent monseigneur le duc d’Orléans, monseigneur de Charolais, et pluseurs autres grands seigneurs. L EFÈVRE : Épître (Anm. 4), S. 187; Livre des faits (Anm. 5), S. 83. Der Herzog von Orléans war als Enkel König Karls V. von Frankreich ein Fürst von Geblüt und zugleich ein Schwager Herzog Philipps; der Graf von Charolais war Philipps einziger legitimer Sohn Karl der Kühne. 110 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit drucksvoll dessen Härte: Sie trafen einander mit ihren Lanzen, die sehr starr und schwer waren, mit solcher Wucht, dass es schien, als müssten sie sich gegenseitig niederstrecken. 22 Am Ende der Schilderung fügt er noch einige Sätze hinzu, welche die vorzügliche Kampfführung beider Kontrahenten unterstreichen. Jacques habe zwar nicht so schön und elegant gekämpft wie der Neapolitaner, doch habe er bei den Zusammenstößen dafür gesorgt, dass sich dessen Leib weit nach hinten beugen musste, so viel Kraft lag mithin in seinem Stoß. Beiden Autoren sind also nicht die konkreten Handlungen der Gegner wichtig, sondern deren Wertung im Sinne des adligen Publikums: Hier wurden mustergültiger Umgang mit den Waffen und heldenhafte Tapferkeit vorgeführt. In seinem Bericht über den Kampf zu Fuß, der am folgenden Tag stattfand, folgt der Autor der ‚Taten‘ noch enger seiner Vorlage. Beide Texte führen zunächst Sachverhalte an, die sie schon anlässlich des Kampfes zu Pferd erwähnt haben. Offensichtlich aber sind sie so wichtig, dass sie wiederholt werden sollen. Wieder werden die ranghöchsten Anwesenden genannt. Wieder wird betont, dass eine große Anzahl von großen Herren, Rittern und Edelknappen Jacques zum Kampfplatz begleiteten und dass er den Herzog ehrfürchtig begrüßte. 23 Zwei ungewöhnliche Vorkommnisse gibt es jedoch auch zu berichten. Zum einen erschien Jacques zu spät auf dem Kampfplatz, weil er auf Herzog Johann I. von Kleve gewartet hatte, der sehr bald in Gent eintreffen sollte. Beide Autoren erwähnen diese Unhöflichkeit gegenüber dem Publikum, nicht zuletzt dem Herzog von Burgund, weil ihnen die enge Bindung Jacques zum Herzog von Kleve, einem Neffen Philipps des Guten, wichtig ist. Jacques war als Heranwachsender in Johanns Hofstaat aufgenommen worden und die große Vertrautheit zu diesem Fürsten ehrte ihn. 24 Zum anderen trat Jacques in Begleitung des gerade angekommenen Herzogs von Kleve und weiterer Herren vor Philipp den Guten und bat ihn, dass er ihm die Ritterwürde verleihe. Da die Zeremonie des Ritterschlags zu Jacques‘ Ruhm beitrug, beschreibt Lefèvre sie verständlicherweise detailliert; es ist eine der genauesten Beschreibungen dieses Vorgangs, die es überhaupt gibt. Der Verfasser erwähnt sogar den Umstand, dass der Herzog den neuen Ritter auf den Mund küsste (was zum Ritual stets dazugehörte) und sich dabei die Stirn an Jacques‘ Visier stieß. 25 Der eigentliche Kampf wird wieder mit Formeln zusammengefasst, welche die Härte des Kampfes und die Kraft der Kontrahenten betonen. 26 Diesmal aber erwähnt Lefèvre zwei Einzelheiten: Einmal schlug Jacques dem Neapolitaner die Streitaxt aus der Hand, aber es gelang diesem, sie wieder aufzuheben. Danach entwaffnete Jacques seinen Kontrahenten ein zweites Mal und Giovanni geriet in ernste Bedrängnis. Diese zwei Details sind wichtig, weil sie Jacques‘ Können hervorheben und schließlich zum Ende des 22 Sy s’atteignirent eux deux des lances, qui estoient moult roides et pesantes, par telle vertu qu’il sembloit qu’ils se dussent foudroyer l’un l’autre. Vgl.: Livre des faits (Anm. 5), S. 84. 23 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 188; Livre des faits (Anm. 5), S. 86. 24 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 188; Livre des faits (Anm. 5), S. 86. Zu Johann I. von Kleve vgl.: Paul DE W IN : [Art.] Jean I er , duc de Clèves, in: D E S MEDT : Chevaliers (Anm. 5), S. 109-112. 25 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 188 f.; Livre des faits (Anm. 5), S. 86 f. 26 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 189; Livre des faits (Anm. 5), S. 87 f. 111 Prietzel Kampfes führen. Lefèvre berichtet nur, Philipp der Gute habe seinen Stab geworfen, was das übliche Zeichen zum Abbruch des Kampfes war, und den Gegnern bestätigt, dass sie gut und ehrenwert gekämpft hätten und er ihren Zweikampf für vollendet betrachte. Der Autor der ‚Taten‘ schmückt die Szene zugunsten seines Helden noch etwas aus: Der Herzog von Orléans habe angesichts von Giovannis Lage Philipp den Guten gebeten, den Kampf abzubrechen, und dieser habe es getan. Das Urteil des Schiedsrichters und des zweiten ranghohen Fürsten ehrte beide Kontrahenten und nahm sie zugleich vor dem Verdacht in Schutz, dass sie nicht lange oder nicht hart genug gekämpft hätten. Nach dem Kampf veranstaltete Philipp der Gute mehrere Feste zu Ehren des fremden Ritters und beschenkte ihn reich mit Bargeld, Geschirr aus Edelmetall und Seidenstoff. Der Autor der ‚Taten‘ fügt noch hinzu, dass auch Jacques seinen Kontrahenten durch ein Fest und ein sehr schönes Geschenk ehrte. 27 Wieder einmal wird betont, dass zwischen den Kontrahenten keine Feindschaft besteht, dass sie vielmehr einander demonstrativ Ehre erweisen. Bezeichnenderweise folgt der Autor der ‚Taten‘, wenn er die Kämpfe und die unmittelbaren Vorbereitungen darstellt, seiner Vorlage getreulicher als bei der Beschreibung der vorbereitenden Gespräche. Offenbar reichte ihm die durchaus heroisierende, aber doch relativ nüchterne Darstellung Lefèvres. Nur ab und zu verschönerte er seinen Text zugunsten seines Helden. Er fügte z. B. der Beschreibung von Jacques‘ Einritt in Gent die Bemerkung hinzu, dass der junge Adlige auch später am Tag noch pomphaft auftrat: Er lud mittags und abends zum Bankett ein. 28 Außerdem lässt sich der Verfasser näher über Jacques‘ Ritt zum Kampfplatz am ersten Tag aus: Damen, Fräulein, Bürgerinnen und Mädchen 29 hätten an Fenstern und Türen gestanden, den vorbei reitenden, reich gekleideten Jacques bewundert und für ihn gebetet. Nicht nur der Zweikampf war jedoch von großer Wichtigkeit, wie sich an der Länge und den Eigenarten beider Berichte deutlich zeigt. Das Aufeinandertreffen der Gegner ist nur der - recht kurze - Höhepunkt einer langen Abfolge von erwähnenswerten Vorgängen. Wie der Kampf zustande kam, welchen Regeln er folgte, wer ihm zusah, was danach geschah - dies wird allenfalls zum geringeren Teil deswegen erzählt, weil diese einzelnen Schritte für den Ablauf wichtig waren. Vor allem dient die Schilderung dieser Phasen dem Zweck, den eigentlichen Zweikampf zu überhöhen, aus dem konkreten Waffengang ein bedeutungsvolles Geschehnis zu machen. Der eigentliche Kampf stellte zur Schau, was der Adel als seine ureigene Aufgabe betrachtete und was seine Stellung in der Gesellschaft legitimierte. Nach ihrem eigenen Selbstverständnis war es die Pflicht von Adligen, Gewalt auszuüben - zur Verteidigung des Christentums, der Gerechtigkeit, der Frauen, der eigenen Ehre und des eigenen Besitzes. Junge Adlige erlernten deswegen den Umgang mit Waffen. Zwar zog im späten Mittelalter bei weitem nicht jeder Adlige in jeden Krieg, an dem er hätte teilnehmen 27 L EFEVRE : Épître (Anm. 4), S. 189; Livre des faits (Anm. 5), S. 89. 28 Sy s’en vint descendre en son hostel qu’il trouva préparé et ordonné, où en ce jour il fit grands disners et soupers. Ebd., S. 83. 29 Ebd. 112 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit können. Mancher kämpfte vielleicht nie in einem Krieg oder in einem Turnier. Aber keiner dürfte sich offen vom Anspruch distanziert haben, dass Adlige grundsätzlich bereit sein mussten, in legitimen Fällen zur Waffe zu greifen. Der Zweikampf war zudem in eine umfangreiche Inszenierung eingebettet, auf die Lefèvre und mehr noch der Autor der ‚Taten‘ viel Wert legen. Ein Schauspiel, das vor der adligen Gesellschaft ein musterhaftes Bild ihrer selbst entwarf, wurde in Szene gesetzt und durch die Berichte in Erinnerung gehalten. Die beiden Kämpfer spielten darin eine Hauptrolle. Sie traten zwar gegeneinander an, aber sie gingen respektvoll miteinander um und verstanden sich sogar als Brüder. Sie waren Partner im Ehrerwerb und konnten Ehre nur dann erwerben, wenn sie während des Kampfes dessen Regeln beachteten sowie davor und danach die Normen adligen Verhaltens wahrten. Auch dem Fürsten kam eine wichtige Rolle zu, wie es der politischen Weltsicht des höfischen Adels entsprach. Er erlaubte den Kampf, legte den Termin fest, wachte dann als Schiedsrichter über die Einhaltung der Regeln und erkannte am Ende den Kontrahenten formal Ehre zu. Seine Autorität wird stets betont, zugleich wird von ihm aber auch erwartet, dass er als Fürst die Zurschaustellung ritterlicher Tapferkeit tatkräftig unterstützt und für den normenkonformen Ablauf sorgt. Die Adligen ordneten sich nicht nur dem Fürsten unter, sondern ordneten sich auch in Gruppen ein. Wenn Jacques Rat brauchte, in die Stadt einzog, von seiner Unterkunft zum Kampfplatz ritt oder vom Herzog die Verleihung der Ritterwürde erbat - immer waren Verwandte, Freunde, Verbündete dabei, die ihn durch ihren Rat, ihre Fürsprache und ihre bloße Anwesenheit unterstützten. Dass der einzelne Adlige über solche Verwandte, Freunde, Verbündete verfügte, erscheint geradezu als selbstverständlich. Oft nennen die Autoren auch die Namen einzelner Adliger, denn sie schreiben für eine Leserschaft, die diese Namen kennt und einzuordnen weiß. Die zentralen Teile der Inszenierung - Jacques‘ Einritt in Gent, sein Weg zum Kampfplatz, der Kampf selbst - fanden vor der gesamten Bevölkerung Gents statt, ja mehr noch: geradezu vor der europäischen Öffentlichkeit. Denn wenige Tage zuvor hatte in Gent das Kapitel des Ordens vom Goldenen Vlies getagt, fast die gesamte Elite des burgundischen Staats war anwesend gewesen, dazu viele Abgesandte aus anderen Ländern, und die meisten dieser Personen weilten gewiss noch immer in der Stadt. 30 Um ihnen ein Schauspiel zu bieten, war der Zweikampf sicherlich auf diesen Termin und in dieser Stadt angesetzt worden. Interessanterweise erwähnen Lefèvre und der Autor der ‚Taten‘ dieses Ordenskapitel und dessen Einfluss auf Orts- und Terminwahl nicht, obwohl diese Umstände zumindest dem Erstgenannten bewusst gewesen sein müssen. Offensichtlich wollten sie die Würde des Zweikampfes nicht von solchen praktischen Erwägungen beeinträchtigt sehen. 30 Zum Genter Ordenskapitel: Die Protokollbücher des Ordens zum Goldenen Vlies, Bd. 1: Sonja D ÜN - NEBEIL (Hg.): Herzog Philipp der Gute 1430-1467. Mit den Aufzeichnungen des Wappenkönigs Toison d’or, Regesten und dem Text der Ordensstatuten, unter Verwendung der Vorabeiten von Wilko O SSO - BA , Stuttgart 2001, S. 90-104; L A M ARCHE : Mémoires 2 (Anm. 6), S. 83-96 ; Françoise de G RUBEN : Les chapitres de la Toison d’or à l’époque bourguignonne (1430-1477), Löwen 1997, S. 229-248. 113 Prietzel Der ganze Aufwand bei der Inszenierung und in den Berichten darüber wäre überflüssig gewesen, wenn es sich um häufige oder gar alltägliche Ereignisse gehandelt hätte. Solche Zweikämpfe waren ganz im Gegenteil selten, schon wegen der aufwendigen Vorbereitungen und der hohen Kosten. Auch nahm sicherlich nur eine Minderheit der Adligen jemals an einem solchen einzelnen Zweikampf oder an einem Turnier teil, denn die Teilnehmer mussten für ihre teure Ausrüstung viel Geld investieren. Obendrein mussten sie viel Zeit aufwenden, um sich im Umgang mit Waffen zu üben - Zeit, die ihnen für andere Tätigkeiten am Hof oder im Heer fehlte und die sie insofern auch Geld kostete. Die beiden Teilnehmer am Genter Zweikampf waren sogar seltene Ausnahmen, denn beide führten im Laufe ihres Lebens viele Zweikämpfe durch. Giovanni ging sogar auf eine weite Reise, um solche Auseinandersetzungen zu suchen. Jacques sollte es ihm einige Jahre später nachmachen und schließlich sogar auf einer Insel in der Saône einen berühmten Pas d’armes durchführen. 31 Das Geld zu alledem brachten sie gewiss nicht aus ihrem Vermögen auf, sondern zum Teil aus den Geschenken, die sie nach den Kämpfen erhielten. Diese Ehrung der Tapferen war also ganz pragmatisch nötig, damit man diese Schauspiele auf Dauer durchführen konnte. Die Geschenke bezahlte der Herzog, vor dem der Zweikampf stattfand, ebenso wie die Kosten, welche bei dieser Veranstaltung anfielen, z. B. für die Herrichtung des Kampfplatzes und den Aufbau der Tribünen. Für den Fürsten lohnte sich das finanziell nicht, aber er konnte hoffen, an Prestige zu gewinnen, indem er sich tatkräftig zu den adlig-ritterlichen Normen bekannte. Alle diese Eigenarten, die sich am Zweikampf zwischen Jacques und Giovanni gezeigt haben, bestimmten auch andere turnierähnliche Zweikämpfe im 14. und 15. Jahrhundert. 32 Der Zweikampf wurde durch die Art, wie er inszeniert wurde, geradezu überhöht, ja er erschien fast als eine Art kultischer Handlung. Das gewalttätige Aufeinandertreffen zweier Adliger wurde zu einer Zurschaustellung ritterlich-adliger Tugenden, in dem sich die Beteiligten und die Zuschauenden die Gültigkeit ihrer standesspezifischen Normen bestätigten. 31 Martín de R IQUER : Les chevaleries de Jacques de Lalaing en Espagne, in: Comptes-rendus de l’Académie des Inscriptions et Belles-lettres 2 (1991), S. 351-364. Zum Pas d’armes siehe: Anm. 3. Zwei aufschlussreiche Studien zu einem anderen „chevalier errant“: Werner P ARAVICINI : Nobles hennuyers sur les chemins du monde: Jean de Werchin et ses amis autour de 1400, in: Campin in Context. Peinture et société dans la vallée de l’Escaut à l’époque de Robert Campin (1375-1445), Tournai 2007, S. 163-181; DERS .: Jean de Werchin, sénéchal de Hainaut, chevalier errant, in: Françoise A UTRAND / Claude G AU - VARD / Jean-Marie M OEGLIN (Hg.): Saint-Denis et la royauté. Études offertes à Bernard Guenée, Paris 1999, S. 125-144. 32 Malte P RIETZEL : Kriegführung im Mittelalter. Handlungen, Erinnerungen, Bedeutungen, Paderborn 2006, S. 271-282 u. 312-318; DERS .: „Letzter Ritter“ und „Vater der Landsknechte“. Fürstliche Gewaltausübung als Praxis und Inszenierung, in: Ursula K OCHER u. a. (Hg.): Maximilians Welt. Kaiser Maximilian I. im Spannungsfeld zwischen Innovation und Tradition, Göttingen, erscheint 2011 (im Druck); vgl. auch: G AIER : Technique (Anm. 2) sowie die Titel in Anm. 31. 114 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit 2. Gottesurteile Am Ende seines Lebens ließ der französische Adlige Jean de Bueil ein Werk zusammenstellen, in dem er jungen Adligen darlegen wollte, wie man sich als Ritter und Heerführer richtig verhält - vor allem, aber nicht nur im Krieg. Der Urheber des Buchs ist nicht bekannt; Jean de Bueil selbst war es wohl nicht. Die Hauptfigur des Werks ist ein Adliger, der nur ‚Jouvencel’ (junger Mann) genannt wird. Seine Laufbahn vom jungen, unerfahrenen Kämpfer zum Heerführer wird im Buch beschrieben. Sie lehnt sich an diejenige Jean de Bueils an, so dass einige Passagen in Bezug zu dessen Erlebnissen stehen. Das Werk ist jedoch keine Biografie oder gar Autobiografie, sondern der Autor hat bewusst die Form eines Romans gewählt. Zum Beispiel wird die Identität von Personen und Orten verschleiert, indem sie erfundene Namen erhalten. In weiten Teilen lehnt sich der Verfasser auch stark an andere Texte an, z. B. von Aristoteles und Christine de Pizan, so dass man eher von einer Kompilation als von einem eigenständigen Werk sprechen kann. Vor allem aber stellen die Erlebnisse der Hauptfigur in weiten Teilen nur einen Anlass dar, um die didaktischen Ziele zu verfolgen. Dies gilt auch für einen Abschnitt, in dem der Jouvencel als Heerführer ein Gottesurteil, eine ‚gage de bataille’, durchführen lässt. 33 Anlass war ein Streit zwischen zwei Adligen, von denen der eine im Heer des Jouvencel diente. Der andere zählte zu den Truppen eines gegnerischen Fürsten, der als Herzog Balduin bezeichnet wird. Unbestritten war, dass dieser letztgenannte Adlige den erstgenannten in einem Gefecht gefangen genommen hatte. Nun kam der Kriegsgegner zum Jouvencel und behauptete, dass er den Gefangenen auf Ehrenwort freigelassen hätte; dadurch hätte er das Recht auf ein Lösegeld gehabt. Sein Kontrahent hingegen erklärte, er sei von den eigenen Leuten wieder befreit worden und habe keineswegs sein Ehrenwort gegeben. Es folgte ein ergebnisloses Hin und Her, in dem beide Widersacher nur bestätigten, dass unvereinbar Aussage gegen Aussage stand. Der Engländer forderte schließlich seinen Gegner zum Gottesurteil heraus. Die wörtliche Wiedergabe des langen Wortwechsels war aus Sicht des Autors wohl nötig, damit die nun folgende Entscheidung den Lesern als unvermeidlich erschien: Wegen dieses Problems hielt der Jouvencel eine Ratsversammlung ab und es wurde entschieden, dass das Gottesurteil zulässig sei, weil es auf beiden Seiten keinen Beweis gebe - 33 Jean de B UEIL : Le Jouvencel, suivi du commentaire de Guillaume Tringant, ed. von Camille F AVRE / Léon L ECESTRE , 2 Bde., Paris 1887-1889, hier Bd. 2, S. 104-111; ebd., Bd. 1, S. I-CCLXXXVII, zum Leben des Jean de Bueil. Zur historischen Bedeutung des Werks: Philippe C ONTAMINE : Une expérience romancée et personelle de la guerre au XVe siècle: le „Jouvencel“ de Jean de Bueil, in: Hans H ECKER (Hg.): Krieg in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 2005, S. 195-210; Christopher A LLMAND : Entre honneur et bien commun: le témoignage du Jouvencel au XVe siècle, in: Revue historique 611 (1999), S. 463-481. Zu Aufbau und Struktur des Textes: Michelle S ZKILNIK : Figure exemplaire et personnage de roman: Le Jouvencel de Jean de Bueil, in: Jean-Christophe C ASSARD / Elisabeth G AUCHER / Jean K ERHERVE (Hg.): Vérité poétique, vérité politique. Mythes, modèles et idéologies politiques au moyen âge, Brest 2007, S. 405-418; Joël B LANCHARD : Écrire la guerre au XVe siècle, in: Le Moyen Français 24- 25 (1989), S. 7-21; George William C OOPLAND : Le Jouvencel (revisited), in: Symposium 5 (1951), S. 137-186. Zum Werk auch: Stefanie J AUERNICK : Studien zu Jean de Bueils „Le Jouvencel“, Wiesbaden 1975. 115 Prietzel außer durch ihre Körper. 34 Diese Formulierung nahm ganz konkret auf die königliche Gesetzgebung Bezug, die ein Gottesurteil nur unter bestimmten schweren Auflagen erlaubte. Insbesondere musste ein Beweis für die Behauptung des Klägers wie des Angeklagten nicht möglich sein, so dass nur die ‚gage de bataille’ als Kampfbeweis Klarheit schaffen konnte. 35 Die Versammlung entschied daher tatsächlich, dass ein Termin für den gerichtlichen Zweikampf festgelegt werden sollte. Beiden Kontrahenten stellte der Jouvencel Männer an die Seite, die sie beraten sollten; dabei achtete er streng darauf, dass er als Schiedsrichter unparteiisch agierte, und verweigerte daher dem Adligen aus seinem Heer jeden Rat. Vor dem Zweikampf traten dann die beiden Gegner vor den Jouvencel, um - wie es üblich war - auf die geweihte Hostie zu schwören, dass ihre Aussage der Wahrheit entsprach. Wie der Autor schreibt, habe jedoch der Jouvencel beim Anblick des Leibes Christi voller Angst eingesehen, dass einer der beiden in diesem Moment einen Meineid ablegen müsse und damit der Verdammung anheimfalle. Er redete den Kontrahenten ins Gewissen, dass sie auf den Eid verzichten sollten. Doch müssten sie auch die Schande fürchten, wenn sie vom Zweikampf zurückträten. Der Jouvencel setzte daher einen Siegespreis von 500 Écus aus. Beide gingen darauf ein, der Mann aus dem Heer des Jouvencel allerdings unter der Bedingung, dass er auch in diesem Kampf als Herausgeforderter angesehen werde. 36 Im nun folgenden Bericht über den Zweikampf wird immer wieder betont, dass fast alles so war, wie es bei einem Gottesurteil üblich und vorgeschrieben war. Gleich zu Beginn wird festgehalten, dass die beiden Gegner mit scharfen Waffen kämpften, dass nichts außer dem Eid weggelassen wurde und dass lediglich der Siegespreis von 500 Écus ungewöhnlich war. 37 Dann werden nacheinander die einzelnen Elemente des Rituals erwähnt: Der Zweikampf wurde durch Ausruf am Kampfplatz angekündigt, die Gegner wurden mit Namen aufgerufen, den Zuschauern wurde verboten, durch Zurufe oder Zeichen in den Kampf einzugreifen. Danach versicherten die Kontrahenten durch einen Eid, dass sie keine Zettel mit Zaubersprüchen und keine anderen Dinge, denen man Zauberwirkung zuschrieb, bei sich trugen und keine andere Waffe als die offen getragenen und akzeptierten benutzen würden. Schließlich wurden noch vier Adlige 34 Sur ce, le Jouvencel tint conseil et fut jugié que le gaige y estoit pour ce qu’il n’y avoit point de preuve ne d’ung costé ne d’autre, sinon de leurs corps. B UEIL : Jouvencel (Anm. 33) Bd. 2, S. 106. 35 Zur ‚gage de bataille’ im 14. und 15. Jh.: Torsten H ILTMANN / Uwe I SRAEL : „Laissez-les aller“. Die Herolde und das Ende des Gerichtskampfes in Frankreich, in: Francia 34 (2007), S. 65-84; Claude G AUVARD : „De grace especial.“ Crime, État et société en France à la fin du Moyen Age, 2 Bde., Paris 1991, hier Bd. 1, S. 172-179; Monique C HABAS : Le duel judiciaire en France, XIII e -XVI e siècles, Paris 1978; Henri M OREL : La fin du duel judiciaire en France et la naissance du point d’honneur, in: Revue historique de droit français et étranger, 42.4 (1964), S. 574-639. - Zu Spanien: Claude C HAUCHADIS : La loi du duel. Le code du point d’honneur dans l’Espagne des XVI e -XVII e siècles, Toulouse 1997, S. 67- 79. Zu Italien: C AVINA : Duello giudiziario (Anm. 1); Nacherzählung eines berühmten gerichtlichen Zweikampfes: Eric J AGER : The last duel. A true story of crime, scandal and trial by combat in medieval France, London 2005, französische Übersetzung: Le dernier duel. Paris, 29 décembre 1386, Paris 2010. 36 B UEIL : Jouvencel (Anm. 33), Bd. 2, S. 108. 37 Ainsi combatirent à tout oultrance et n’y eust riens reservé, fors le serement et que l’ung ne l’aultre ne payeroit que sinon les cincq cents escus que le Jouvencel donnoit. Ebd. 116 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit bestimmt, die als Gehilfen des Richters agieren sollten. Dann rief ein Herold die weithin bekannten Worte, die das Signal für den Beginn des Kampfes darstellten: Laissez-les aller; faictes voz devoirs. 38 In der Beschreibung des Zweikampfes fallen drei Dinge auf. Zum Ersten betont der Autor, dass die erste Aktion vom Mann des Jouvencel ausging, obwohl dieser als Verteidiger kämpfte, und er fügte erläuternd hinzu, dass keineswegs feststehe, dass der Verteidiger nicht als Erster angreifen dürfe. 39 Offensichtlich gab es also Zweifel, dass ein solches Verhalten statthaft sei, und der Verfasser legte Wert darauf, den Angriff zu rechtfertigen und die rechtliche Lage zu klären. Zum Zweiten geriet der Herausforderer so dicht an den Rand des Kampfplatzes, dass es schien, er hätte einen Fuß schon außerhalb desselben aufgesetzt. Der Kampf wurde unterbrochen, die vier Kampfrichter trennten die Gegner, und es wurde das Urteil gefällt, dass der Fuß genau auf der Begrenzung des Kampfplatzes gewesen sei. Dazu wird Folgendes erläutert: Hätte der Fuß des Adligen sich außerhalb befunden, hätte dieser ihm abgeschnitten werden müssen oder er hätte den Kampf aufgeben müssen. 40 Wieder nimmt der Autor also einen Vorfall während des Kampfes zum Anlass, sich allgemein über die Rechtslage zu äußern. Zum Dritten wird der Ablauf des Zweikampfes recht detailliert beschrieben: Nach einiger Zeit hatte der Herausforderer nur noch sein Schwert zur Verfügung, sein Gegner kämpfte mit der Streitaxt. Der Erstgenannte war stärker, der Letztgenannte kämpfte taktisch geschickt. Er wich dem Gegner aus, drängte ihn dann wieder zurück, sparte seine Kraft. Diese Informationen stellen zum einen beide Gegner als wackere Kämpen dar und betonen besonders das Geschick des Adligen des Jouvencel, zum anderen erklären sie das Ende des Zweikampfes, was wiederum vor allem dem Mann des Jouvencel zugutekommt. Durch die Ausweichtaktik des Herausgeforderten wurde es Nacht. Seine Unterstützer behaupteten nun, er habe als Verteidiger gefochten und sei daher als Gewinner zu betrachten, da es seinem Gegner nicht gelungen sei, ihn zu besiegen. Der Jouvencel folgte dieser Argumentation, auch eine Beratung mit anderen führte zu demselben Ergebnis, ja sogar der Herzog Balduin, bei dem sich der Herausforderer später beschwerte, schloss sich dieser Meinung an. 41 In allen drei Fällen geht es also darum, die rechtliche Lage zu schildern - und zwar offensichtlich mit dem Ziel, die Leser mit den Feinheiten des Vorgehens vertraut zu machen. Auch die eingehende Schilderung der Rituale vor dem eigentlichen Kampf dienen dem Zweck, das Wissen um das Gottesurteil zu verbreiten und zu verstärken. Das Kapitel zeigt damit den ausgesprochen didaktischen Impetus, der das ganze Werk auszeichnet. Für den Autor war es also von großer Bedeutung, dass die Adligen seiner Zeit wussten, wann ein Gottesurteil zulässig war und wie genau es ablief. Auch wird an keiner 38 Ebd., S. 109. 39 (…) et getta l’homme du Jouvencel sa lance le premier, combien qu’il se tenist pour deffendeur. Mais il n’est pas dit que ung deffendeur ne puisse bien frapper le premier, s’il y voit son avantaige. Ebd. 40 Ebd., S. 110. 41 Ebd., S. 110 f. 117 Prietzel Stelle des Abschnitts bestritten, dass es im Prinzip richtig und wichtig sei, die eigene Ehre notfalls in einem formalisierten Kampf zu verteidigen. Das Gottesurteil stellt für den Autor kein moralisches und kein rechtliches, aber doch ein religiöses Problem dar. Wenn beide Kontrahenten auf sich widersprechenden Aussagen beharren und jeder schwört, dass er Recht hat, muss zwangsläufig einer von ihnen einen Meineid ablegen. Der Ausweg, der dem Jouvencel für dieses Problem einfällt, ist allerdings inkonsistent. Das Gottesurteil soll ja gerade gewährleisten, dass Recht geschieht, indem Gott als Richter angerufen wird. Diese Anrufung wird rituell durch den Schwur manifestiert. Ohne ihn mangelt es dem Zweikampf nach der Logik, die dem Gottesurteil als solchem zugrunde liegt, am Beweischarakter. Die Auseinandersetzung ist nur ein normaler Zweikampf, auch wenn dieser, wie beim Jouvencel, in den Äußerlichkeiten einem richtigen Gottesurteil vollkommen ähnelt. Tatsächlich geht es in diesem Text auch gar nicht darum, die Schuld eines Kontrahenten zu beweisen. Der Unterlegene reitet ungeschoren davon, er wird sogar reich beschenkt, seine Tapferkeit wird gelobt. 42 Der ganze Ablauf ähnelt damit einem Turnier-Zweikampf, wie ihn Jacques de Lalaing und Giovanni di Bonifacio durchführten. Die Gegner beweisen durch den Kampf ihre Ehre, die damit intakt bleibt - ungeachtet der Tatsache, dass einer von beiden nicht die Wahrheit gesagt haben kann. An die Stelle der Logik des Gottesurteils ist hier jene des frühneuzeitlichen Duells getreten. Gegen das Gottesurteil gab es auch grundsätzlichere und stringentere Argumente als jenes, das der Autor des Jouvencel benutzt. Philippe de Mézières z. B., ebenfalls ein welterfahrener französischer Adliger, vertrat um 1400 eine Überzeugung, die ähnlich bereits im 12. Jahrhundert formuliert worden war: Das Gottesurteil sei eine Beleidigung Gottes, denn diesem allein stehe es zu, Urteile in solchen Fällen zu sprechen, in denen ein Beweis durch Zeugen oder Fakten nicht möglich sei. Wer an einem Ordal teilnehme, riskiere daher Leben und Seelenheil. 43 Neben religiöse und moralische Argumente traten die Interessen der Könige und Fürsten, die ihre Macht ausweiten wollten - nicht zuletzt dadurch, dass sie die Beachtung ihrer Gerichte gegen die Ansprüche der Adligen durchzusetzen trachteten, die ihr Recht notfalls mit Gewalt erlangen wollten. So schränkten die französischen Könige die Zulässigkeit von Gottesurteilen langfristig immer mehr ein, auch wenn zwischendurch in einigen Fällen Restriktionen zurückgenommen wurden. Gleichzeitig und auf ganz ähnliche Weise versuchte man auch eine andere Art autonomer adliger Gewaltausübung einzudämmen: jene gewalttätige Form der Konfliktaustragung, die in der deutschsprachigen Forschung traditionell als ‚Fehde’ bezeichnet wird. 44 42 Nonobstant le Jouvencel fit grant honneur à l’homme du duc Baudouyn pour ce qu’il estoit venu combatre devant luy et le mena soupper avec luy et luy donna ung très bon cheval; car il avoit combatu bien et vaillament. Ebd., S. 111. 43 Philippe de M EZIERES : Le songe du vieil pelerin, hrsg. von George William C OOPLAND , 2 Bde., Cambridge 1969, hier Bd. 2, S. 278-281; vgl. auch: Uwe I SRAEL : Wahrheitsfindung und Grenzsetzung. Der Kampfbeweis in Zeugenaussagen aus dem frühstaufischen Oberitalien, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 88 (2008), S. 120-147, hier S. 122 f. 44 Raymond C AZELLES : La réglementation royale de la guerre privée de Saint Louis à Charles V et la précarité des ordonnances, in: Revue historique de droit français, 38.4 (1960), S. 530-548. 118 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit Außer diesen konkreten Tendenzen trug eine allgemeine Rationalisierung der gerichtlichen Verfahren, nicht zuletzt durch den Einfluss des gelehrten, also insbesondere des Römischen Rechts, dazu bei, dass das Gottesurteil als Form rechtlicher Entscheidungsfindung immer mehr zurückgedrängt wurde. Gottesurteile waren aus allen diesen Gründen in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Frankreich und im niederländischen Raum wie in ganz Europa sehr selten, im 15. Jahrhundert kamen sie kaum noch vor. 45 Trotz dieses Vorgangs entstand im 15. Jahrhundert eine beachtliche Zahl von Abhandlungen, welche die Normen, die beim Gottesurteil durch Zweikampf zu beachten waren, detailliert aufzeichneten. 46 Der gerichtliche Zweikampf nimmt außerdem einen beachtlichen Platz in vielen Heroldshandbüchern ein, d. h. in Aufzeichnungen, die versuchen, alles für einen Herold nötige Wissen zu sammeln. 47 Die Verfasser dieser Werke konnten ebenso wenig wie ihre Leser umhin, festzustellen, dass Gottesurteile gar nicht mehr oder nur noch sehr selten stattfanden. Olivier de La Marche z. B. gibt in seinem Traktat über den gerichtlichen Zweikampf offen zu, dass er, der mittlerweile rund 80 Jahre alt sei, nie einen solchen Kampf zwischen Adligen gesehen habe. Auch habe es im Herrschaftsbereich seines Herrn, des Herzogs von Burgund, seit 70 Jahren kein Ordal gegeben. 48 Er schreibt also ganz bewusst einen Text, der als Handreichung bei einer gar nicht mehr ausgeübten Praktik dienen soll. Es kann ihm folglich gar nicht um die faktische Rolle dieser Praktik im Rechtsleben gehen. Vielmehr ist für ihn die Vorstellung unverzichtbar, dass es für einen adligen Mann wenigstens die Möglichkeit geben muss, für sein Recht und seine Ehre durch einen Kampf einzutreten. Bezeichnenderweise ist es nach La Marche eine unverzichtbare Bedingung für einen gerichtlichen Zweikampf, dass beide Gegner von Adel sind. Ein Nicht-Adliger dürfe nur in einem Gewand aus Leder und mit stumpfer Waffe in einem Ordal kämpfen. Der Fürst könne ihn allerdings adeln und auf diese Weise schützen. 49 Die Auffassung, der gerichtliche Zweikampf stehe nur Adligen zu, findet sich in den letzten Jahrzehnten des Mittelalters öfter; vorher hingegen durfte grundsätzlich jeder freie Mann in einem Ordal antreten. 50 Das Gottesurteil wird jedoch nicht nur auf den Adel begrenzt, sondern in der Bedeutung für den Adel überhöht. Falls der Unterlegene den Kampf überlebt und nicht hingerichtet wird, sollen die Herolde ihm den Waffenrock, auf dem sich sein Wappen befindet, vom Leib reißen, ihm außerdem den Harnisch ausziehen und auf die Kampfbahn werfen. Außerdem dürften der Verlierer und seine Nachfahren nie mehr ein Wap- 45 Vgl. Anm. 35. 46 Bernard P ROST (Hg.): Traités de la forme et devis comme on faict les tournois, Paris 1878. 47 Torsten H ILTMANN : Spätmittelalterliche Heroldskompendien. Referenzen adliger Wissenskultur in Zeiten gesellschaftlichen Wandels (Frankreich und Burgund, 15. Jahrhundert), München 2011, S. 305-336. 48 Olivier de L A M ARCHE : Le livre de l’advis de gaige de bataille, in: P ROST : Traités (Anm. 46), S. 1-54, hier S. 2. 49 Ebd., S. 43 f.; Catherine E MERSON : Olivier de La Marche and the Rhetoric of Fifteenth-Century Historiography, Rochester NY 2004, S. 205. 50 C HABAS : Duel judiciaire (Anm. 35), S. 157. 119 Prietzel pen führen, ja sie müssten sogar ihren Familiennamen ändern. 51 Die Niederlage führt also zum Verlust der Ehre und die Zeichen der adligen Ehre - Wappen und Rüstung - werden demonstrativ vernichtet. Solche Auffassungen finden sich in älteren Schriften über das Gottesurteil nicht, z. B. weder in der königlichen Ordonnanz von 1306, welche die Durchführung eines gerichtlichen Zweikampfes regelt, noch in jenem Traktat über das Gottesurteil aus der Feder von L’Isle-Adam, das La Marche komplett in seinen eigenen Text übernimmt. 52 Dass manche Adligen zumindest in ihrer Vorstellungswelt so sehr am Gottesurteil hingen, änderte nichts daran, dass der Kampfbeweis im Gerichtswesen immer weniger praktiziert wurde. Doch die Rituale, die bei ihm beachtet wurden, prägten auch andere Zweikämpfe. Wenn es z. B. beim Genter Zweikampf von 1445 einen Schiedsrichter gab, der Kampfplatz abgegrenzt war und auf ihm in entgegengesetzten Ecken jeweils ein Pavillon für die beiden Kontrahenten stand, dann waren dies Übernahmen aus dem gerichtlichen Zweikampf. Dieselben Rituale fanden sich auch bei solchen Zweikämpfen, bei denen es - anders als in Gent - um eine Ehrenangelegenheit ging. 53 Auf diese Weise wirkte das Gottesurteil noch nach, als es längst ungebräuchlich geworden war. 3. Zweikämpfe im Krieg Danach kamen zu ihm zwei Edelleute, die von ihm die Erlaubnis zu Kämpfen erbaten, der eine zu Pferd, der andere zu Fuß; diese Erlaubnis lehnte er ab. 54 Diese Worte eröffnen einen Abschnitt im ‚Jouvencel’, der unmittelbar vor jenem über den gerichtlichen Zweikampf steht. Auch diese Episode soll anhand eines Beispiels darlegen, wie ein Ritter und Heerführer sich angemessen verhält. Dieses Mal geht es freilich nicht um ein Gottesurteil, sondern um einen turnierähnlichen Zweikampf, dessen Zweck nur im Kräftemessen und im Ehrgewinn liegt. Doch es herrscht Krieg, die beiden Edelleute aus dem Heer des Jouvencel wollen gegen zwei Adlige aus dem englischen Heer antreten - in einem Turnier. Solche Kämpfe, die einzelne Adlige außerhalb des eigentlichen Aufeinandertreffens der Heere gezielt herbeiführten, kamen im Hundertjährigen Krieg immer wieder vor. Auch wird oft erzählt, dass zwei Adlige im Kampf zufällig aufeinander getroffen seien und gegeneinander gekämpft hätten. Häufig lässt sich gar nicht mehr feststellen, ob der Vorgang, auf den sich die Chronisten beziehen, ursprünglich eher als Reihe von Zweikämpfen, als Gruppenkampf oder als Scharmützel zu bezeichnen gewesen wäre. Die Berichte über solche Zweikämpfe im Krieg, verabredete wie zufällige, erklären sich nicht zuletzt daraus, dass Schilderungen von Zweikämpfen für Autoren wie für Leser attraktiv waren. Kompliziertes, unübersichtliches Geschehen wurde auf einen Einzelfall konzen- 51 L A M ARCHE : Livre (Anm. 48), S. 46 f.; C HABAS : Duel judiciaire (Anm. 35), S. 203. 52 Jean de V ILLIERS , seigneur de l’ Isle-Adam: Le livre du seigneur de Isle-Adam, in: P ROST : Traités (Anm. 46), S. 28-41, hier S. 40 f. 53 C HABAS : Le duel judiciaire (Anm. 35), S. 189-197. 54 Et aprez vindrent devers lui deux gentilzhommes qui lui demanderent congé de faire armes, l’ung à cheval, l’autre à pié; lequel congé il refusa. B UEIL : Jouvencel (Anm. 33), Bd. 2, S. 99. 120 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit triert und die Darstellung damit spannender. Hinzu kommt, dass in diesen Auseinandersetzungen Angehörige beider Kriegsparteien gegeneinander antraten und die Berichte darüber meist Partei für den Kämpfer der eigenen Seite ergreifen, so dass dessen glorreiches Verhalten zugleich dem Ruhm des eigenen Heeres zugutekam. Ganz allgemein vermittelte eine solche Erzählung den Lesern außerdem den Eindruck, dass die Anstrengung und das Können des Einzelnen im Kampf von praktischer Wichtigkeit waren und dass andere diese tapferen Taten wahrnahmen, die Teilnehmer also Ruhm ernteten. Auf diese Weise wurde ein Bild von Krieg und Kampf entworfen, in dem die Anstrengungen des Einzelnen wichtig schienen. 55 Doch in diesem Fall geschieht etwas Ungewöhnliches: Der Jouvencel verweigert seine Zustimmung. Zweikämpfe seien verboten und dürften auch nicht unternommen werden, meint er. Erstens dienten sie dazu, einem anderen dessen Besitz zu nehmen, nämlich seine Ehre, und sich selbst eitlen Ruhm zu verschaffen. Zweitens sei mit einem Zweikampf niemandem gedient. Der Zweikämpfer riskiere sein Leben, um einem anderen das Leben oder die Ehre zu nehmen, er vernachlässige seine Pflicht im Krieg und den Dienst für König und Gemeinwesen. Es gelte vielmehr: Niemand darf seinen Körper einer Gefahr aussetzen, es sei denn, bei verdienstvollen Werken. 56 Während die erste Begründung konventionell ist, formuliert der Jouvencel in der zweiten ganz neue Auffassungen, die man ein halbes Jahrhundert zuvor nicht gehört hätte. Das Streben der Adligen nach Mehrung und Verteidigung ihrer Ehre soll den Interessen des Königs sowie des - von ihm beherrschten und repräsentierten - Gemeinwesens untergeordnet werden, so wie sich der Adel allgemein in den entstehenden frühmodernen Staat einordnen muss. Hier finden sich in den Einstellungen gegenüber dem Turnierzweikampf also ähnliche Tendenzen wie bei der Zurückdrängung des Gottesurteils durch die königliche Gesetzgebung und Rechtsprechung. Interessanterweise aber stimmt der Jouvencel den Zweikämpfen doch zu - mit aufschlussreicher Inkonsequenz. Er sei von Rittern, Edelknappen, Damen und Fräulein bestürmt worden und habe dem nachgeben müssen. Die Ablehnung des Zweikampfes stößt also auf starken Protest bei adligen Männern wie Frauen, welche auf diese Praktik nicht verzichten wollen. Außerdem erklärt der Jouvencel, ein Zweikampf sei kategorisch abzulehnen - außer wenn man herausgefordert werde, wie es bei den Adligen aus seinem Heer der Fall war. Denn wer eine Herausforderung ablehne, könne deswegen einen schlechten Ruf bekommen. 57 Auch der Jouvencel selbst ist also der Meinung, dass eine solche Beeinträchtigung der Ehre nicht hinzunehmen ist, auch wenn der Dienst für den König eigentlich Vorrang hätte. Mehr noch: Kaum hat er sich die Zustimmung abringen lassen und seine grundsätzliche Ablehnung von Zweikämpfen formuliert, gibt er den beiden Herausgeforder- 55 P RIETZEL : Kriegführung (Anm. 32), S. 266-318. 56 Et nul ne doit exposer son corps, sinon en euvres meritoires. B UEIL : Jouvencel (Anm. 33), Bd. 2, S. 100. 57 Mais, par force de requeste de chevaliers, escuiers, dames et damoiselles, il fut contraint de leur donner, et dist que c’est une chose qui n’est point à faire, sinon sur soy deffendant; et se n’eust esté que ces deulx gentilzhommes estoient requiz de ce faire de leurs ennemis, pour rien ne s’i fust accordé; car on pourroit donner aucune folle oppinion à ung homme, quant il est requiz, s’il ne respondoit. Ebd., S. 99. 121 Prietzel ten auf nicht weniger als drei Druckseiten Tipps für den richtigen Umgang mit den Waffen. Danach weist er abermals klar darauf hin, dass diese Zweikämpfe keinen legitimen Grund hätten und weder Gott noch den Menschen dienten. 58 Über den Ablauf der Zweikämpfe heißt es nur, alle Beteiligten seien ehrenvoll aus ihnen hervorgegangen - dank der Bemühungen des Jouvencel, die nicht näher beschrieben werden. 59 Die Kämpfe an sich sind also für den Autor gar nicht wichtig, er nimmt sie nur zum Anlass, um diejenigen Auffassungen über arrangierte Zweikämpfe im Krieg niederzulegen, die nach seiner Meinung richtig sind. Der ‚Jouvencel’ behandelt also an einem Beispiel ein tiefgreifendes, strukturelles Problem im Verhältnis zwischen dem entstehenden frühmodernen Staat und dem Adel. Die Fürsten sowie ihre Verwaltungs- und Rechtsprechungsinstitutionen strebten danach, sich den Adel unterzuordnen, doch bestanden große Teile der Eliten, die jene Politik trugen, aus Adligen, die an den althergebrachten ständischen Normen festhalten wollten. Beim Autor des ‚Jouvencel’ führte diese Konstellation - ebenso wie im Fall der Gottesurteile - im Fall der Zweikämpfe im Krieg zu einer pragmatischen, aber inkonsequenten Haltung, und wie der gerichtliche Zweikampf, so wurden auch die verabredeten Zweikämpfe im Krieg seltener. Schon ab der Mitte der 1430er-Jahre kamen sie kaum noch vor. 60 Die Bestrebungen, die Adligen der militärischen Disziplin unterzuordnen, setzten sich in diesem Punkt durch. 4. Schluss Im späten Mittelalter kam der Zweikampf in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen vor: während des Krieges und im Frieden, spontan und als sorgfältig vorbereitetes Schauspiel, mit scharfen und stumpfen Waffen. Turniere und Pas d’armes waren oft in ganz ähnlicher Weise und in ebenso hohem Grad rituell ausgestaltet wie die ‚gage de bataille’. Die Varianzbreite wie die Ähnlichkeiten sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen, dass Waffenführung und Kampf in der Vorstellungswelt des Adels einen hohen Rang besaßen. Der Zweikampf war nur eine unter den unterschiedlichen Formen des Kampfes, besaß allerdings einen besonders auffälligen Platz. Da nur zwei Männer gegeneinander antraten, wurden die Tapferkeit und Gewandtheit des Einzelnen - oder der Mangel daran - deutlich sichtbar. Dementsprechend war klar zu entscheiden, ob der Einzelne sich so verhielt, dass er an Ehre gewann. Denn stets war der Zweikampf in besonderem Maß mit der Ehre des Einzelnen verbunden. Weiterhin ist festzuhalten, dass Zweikämpfe gleich welcher Art im 14. und 15. Jahrhundert gravierenden Veränderungen ausgeliefert waren, die insgesamt in dieselben 58 Mais ces armes de plaisance que voullez faire ne sont fondees sur aucune bonne querelle ne pour faire service à Dieu ne à homme. Ebd., S. 104 mit Anm. 3. 59 Ces armes furent faictes et acomplies, la mercy Dieu, tellement que chascun en saillist à son honneur, tant amiz que ennemiz, par la bonne conduicte du Jouvencel. Ebd., S. 104. 60 La Marche erwähnt Zweikämpfe bei der Belagerung von Amiens 1471, doch ist aus seinen Worten nicht zu erschließen, ob es sich um verabredete Zweikämpfe oder um ein zufälliges Aufeinandertreffen bei einem Scharmützel handelt. L A M ARCHE : Mémoires (Anm. 6), Bd. 2, S. 72; P RIETZEL : Kriegführung (Anm. 32), S. 291 f. 122 Schauspiele von Ehre und Tapferkeit Richtungen tendierten. Der König von Frankreich und der Herzog von Burgund versuchten, ihre Kontrolle über die Gewaltausübung in ihren Machtbereichen auszuweiten. Gottesurteile, Fehden, Zweikämpfe im Krieg wie im Frieden wurden eingeschränkt, reglementiert oder ganz verboten. Außerdem wurden Zweikämpfe wie Gruppenkämpfe durch literarische Anleihen überhöht, ihre Regeln wurden enger gefasst, der mögliche Ehrgewinn vom regelgerechten Verhalten abhängig gemacht. Erfolgreich im Zweikampf zu sein, hieß nicht mehr nur, den Sieg über einen Gegner davonzutragen. Vielmehr musste der Einzelne sich durch den Kampf und sein Verhalten darin demonstrativ in Vorstellungen und Normen der adligen Gesellschaft einordnen. Diese wurde damit als (zumindest intendiertes) Publikum für den Ehrerwerb unabdingbar. Anders als die Duelle der Frühen Neuzeit waren daher die Zweikämpfe im späten Mittelalter stets öffentlich. Doch nicht nur die beiden Kämpfer brauchten ein Publikum. Auch das Publikum, zumindest die Adligen darunter, benötigten die beiden Kämpfer und ihren Versuch, im Zweikampf Ehre zu erwerben. Denn diese Auseinandersetzung bestätigte jene adlig-ritterlichen Normen, die ihr Zustandekommen erst ermöglicht hatten. Der Zweikampf war also weit mehr als eine Praktik, die zwei gegeneinander antretende Männer betraf. Er war unlösbar verbunden mit den Denkmustern der adligen Gesellschaft. 123 Uwe Israel Vor- und Frühgeschichten des Duells? - Ein Kommentar Der Sektionstitel endet mit einem Fragezeichen - sollte aber besser mit einem Ausrufezeichen enden! Schon der Tagungstitel verweist darauf, dass die Geschichte des Duells nur recht zu verstehen ist, wenn man sie vom Mittelalter bis zur Moderne zeichnet. Unabhängig davon, wie man die Wandlungen der Zweikampfpraxis und der sie begleitenden Bemühungen um ihre geistige Durchdringung im Einzelnen beurteilt, lagen bereits im Mittelalter die wesentlichen Elemente dessen vor, was dann das Duell ausmachen sollte: die agonale Konstellation zweier Kämpfer, die regelgeleitet und mit tödlichen Waffen um den Erhalt oder die Wiederherstellung ihrer Ehre fochten. Selbst die forensische Gebundenheit und die obligatorische Öffentlichkeit des Gerichtskampfs, die beim Duell gewöhnlich keine Rolle spielten, konnte bei ernsten Formen des Pas d’armes zurücktreten - während Ehrfragen in den Vordergrund traten, womit sie den Übergang zum Point d’honneur bildeten. Die praktischen wie theoretischen Wurzeln des Duells liegen meines Erachtens im Mittelalter, wenn auch die Vielfalt und Veränderbarkeit der Formen keinen eindeutigen Umschlagspunkt vom Zweikampf zum Duell festmachen lassen. Mit dieser Mehrdeutigkeit und Wandelbarkeit des Zweikampfs sowie insbesondere mit seinen performativen Funktionen in Politik und Gesellschaft beschäftigen sich die beiden Autoren dieser Sektion. Sarah Neumann, die erst jüngst eine Dissertation zum mittelalterlichen Gerichtskampf vorlegte, erweitert die übliche Quellenbasis der Historiker und stellt einen literarischen Text von 1539 in den Mittelpunkt ihrer Untersuchung: Georg Wickrams Roman „Ritter Galmy“, dessen Handlung um die Wiederherstellung der befleckten Ehre der Herzogin von Britania durch einen gottesgerichtlichen Stellvertreterkampf sie als Rechtspektakel (S. 98) interpretiert. Malte Prietzel, der zuletzt wiederholt mit Arbeiten zum Krieg im Mittelalter hervorgetreten ist, betrachtet die machtpolitisch motivierten Reglementierungen von kämpflichen Auseinandersetzungen wie Turnier, Gottesurteil und Krieg im Kernraum der adlig-ritterlichen Kultur (S. 105), Frankreich und Burgund, während der entscheidenden Phase des 14. und 15. Jahrhunderts. Die Wandlungen der Zweikampfformen erklärt Prietzel aus ihren sozialen Funktionen und gibt als Beispiel das Turnier, das zunächst als Übung für den militärischen Kampf entstand. In seinem Untersuchungszeitraum nach 1350 kam es kaum mehr zum ursprünglichen Gruppenkampf als Teil militärischer Ausbildung, sondern vorherrschend wurde der Tjost Mann gegen Mann, bei dem die Rangzugehörigkeit und der Ehrgewinn eindeutiger feststellbar waren. Um aber den durch solche und ähnliche Formen des Gewaltaustrags beförderten Autonomisierungstendenzen des Adels entgegenzuwirken, versuchten die französischen Könige und die burgundischen Herzöge, die Zweikämpfe im Reglement wie in der Praxis an sich zu ziehen: Gottesurteile, Fehden, Zweikämpfe im Krieg wie im Frieden wurden eingeschränkt, reglementiert oder ganz verboten. (S. 123) Dies galt insbesondere für die gottesgerichtlichen Zweikämpfe, die in der 125 Israel zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Frankreich und im niederländischen Raum wie in ganz Europa sehr selten wurden, im 15. Jahrhundert kamen sie kaum noch vor (S. 119). Diese Beobachtung ist insofern interessant, als die verschwindende Praktik in andere Formen wie den turnierlichen Ernstkampf oder den gerichtlichen Ehrenkampf überging und gleichzeitig quasi als Ausgleich für ihren Bedeutungsverlust ein neues Leben in der Traktatliteratur fand, die im 15. und 16. Jahrhundert eine Blüte erlebte: Gerade hier werden dann aber die gedanklichen Grundlagen für die ehrbewahrende Form des außergerichtlichen Duells gelegt. Neumann lehnt zu Recht ein lineares Entwicklungsmodell vom Gottesurteil zur Ehrensache (S. 104) ab. Tatsächlich kann beobachtet werden, wie bei den fortwährenden Versuchen der geistlichen und weltlichen Macht, die schillernden Erscheinungsformen des Zweikampfs zu reglementieren und zu limitieren, sowie in der diese Versuche häufig genug konterkarierenden sozialen Praxis gottesurteilhafte und ehrbestimmte Momente einmal vor- und dann wieder zurücktraten. Überhaupt spielten bei der zweiseitigen Auseinandersetzung Mann gegen Mann, insbesondere in der Adelswelt, Ehrfragen schon lange eine Rolle, ein spezifisches Konzept der ritterlichen Standesehre trat seit dem Hochmittelalter hinzu. Umgekehrt betrachtete man in christlich bestimmter Zeit den Ausgang der Kämpfe, die, wenn sie mit scharfen Waffen ausgefochten wurden, prinzipiell tödlich enden konnten, unabhängig von einer konkreten Klassifizierung meist auch als Wille Gottes. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Gottesurteil und Ehrenkampf. So kommt Prietzel bei der Interpretation des Jouvencel, einer Lehrschrift für den heranwachsenden Adel aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, in Bezug auf den dort entworfenen, im Ablauf einem Pas d’armes ähnelnden Gage de bataille, bei dem auf Eide verzichtet wird und am Ende beide Kontrahenten die Ehre behalten, zu dem Fazit: An die Stelle der Logik des Gottesurteils ist hier jene des frühneuzeitlichen Duells getreten. (S. 118) Hier ist schön zu erkennen, wie die Formen, Regeln und Resultate ineinander übergehen. Während der Gage de bataille eigentlich mit einem in der Tradition und den königlichen Erlassen festgelegten komplizierten Regelwerk und scheinbar festen Rahmenbedingungen zu einem Beweis vor einem Richter führen soll, zeigt ein genaueres Hinsehen, wie unter diesem Namen auch ein Waffenspiel zur Ehrsteigerung verabredet werden konnte. Es verschwimmen die Grenzen zwischen Gerichtskampf und Turnier. Während des Hundertjährigen Krieges kommt es im Kampf der Adligen untereinander zu Abgrenzungsschwierigkeiten der Kampfformen, die wohl die Zeitgenossen schon nicht richtig zuordnen konnten und die heute überhaupt nicht mehr klassifizierbar sind, wie Prietzel anführt: Oft lässt sich gar nicht mehr feststellen, ob der Vorgang, auf den sich die Chronisten beziehen, ursprünglich eher als Reihe von Zweikämpfen, als Gruppenkampf oder als Scharmützel zu bezeichnen gewesen wäre. (S. 120) Es verschwimmen die Grenzen zwischen Turnier und Krieg. Es sind aber gerade diese Unschärfen und Übergänge der sich in Fehde, Krieg, Turnier, Gerichtskampf und schließlich im Duell zeigenden Formen kämpflicher Auseinandersetzung, die den Zweikampf einerseits einer klaren Systematisierung und damit 126 Vor- und Frühgeschichten des Duells? - Ein Kommentar normativen oder judikativen Beherrschung entzogen und ihn andererseits - trotz gewalttätiger, blutiger und damit doch eigentlich unchristlicher Grundtendenz und von den Kirchen vehement angefochtener Existenz - über die Jahrhunderte am Leben erhielten. Einer der Gründe für dieses Beharrungsvermögen liegt wohl auch darin, dass die Zweikampffigur offenbar bestens geeignet war, existenzielle Fragen zu transportieren. Die Antworten auf diese Fragen sind jedoch nicht allein anthropologischer, sondern auch historischer Art, wie Sarah Neumann meint. (S. 93) Für sie liegen darüber hinaus die Dynamik und Integrationskraft des duellum gerade in seiner Mehrdeutigkeit, denn sie ermöglicht seine Rückbindung an religiöse Vorstellungen, an politisch-administrative Zielsetzungen und an gesellschaftliche Differenzierungsprozesse, womit die Grundlage gegeben sei für eine weit über den rechtlichen Rahmen hinausweisende Bedeutung des gerichtlichen Zweikampfes als kulturelle Praxis: Gewalt, göttliche Gerechtigkeit und persönliche Rechtsansprüche gehören hier von Beginn an zusammen. (S. 95, 94) Prietzel arbeitet für die höfische Welt heraus, dass der Zweikampf mehr war als bloß eine kämpfliche Auseinandersetzung: Nicht der Kampf sei das Wesentliche gewesen, sondern das Drumherum, also das performative Moment: Das gewalttätige Aufeinandertreffen zweier Adliger wurde zu einer Zurschaustellung ritterlich-adliger Tugenden, in dem sich die Beteiligten und die Zuschauenden die Gültigkeit ihrer standesspezifischen Normen bestätigten. (S. 114) Es brauchte also eine Bühne und ein Medium, mit deren Hilfe sich zum einen die Dazugehörigen von den Ausgeschlossenen vor aller Augen scheiden und dann die feinen Rangunterschiede zwischen den aktiv Beteiligten klar herausbilden konnten. Demgegenüber hat das duellum nach den Ergebnissen Neumanns für die literarische Welt, die Wickram in Zeiten ständischer Verfestigung entwirft, offenbar alle sozialen Unterschiede zwischen Herrscherin und Vasall nivelliert, denn der Held kann am Ende des Romans selbst zum Exponenten der Herrschaftsordnung aufsteigen: Der tapfere Ritter Galmy, der im Zweikampf um die Ehre der Herzogin siegt, heiratet schließlich die Witwe. Hierin liegt für Neumann der Schlüssel zum Verständnis des Romans: Die Kernaussage des Romans besteht gerade nicht in der Gleichung, dass der tugendhaft Liebende letztlich Erfüllung seiner Träume findet, sondern in der Botschaft, dass dem loyalen Vasall sozialer Aufstieg und dem schlagkräftigen Ritter politische Herrschaft zukommt. Schon bei der Ausrufung des Zweikampfs durch den Herzog sei es weniger um Ehre oder Gerechtigkeit als um handfeste Politik eines in die Enge getriebenen Herrschers gegangen: Entsprechend soll auf dem Kampfplatz also nicht nur Schuld oder Unschuld der Herzogin erwiesen, sondern auch ein politischer Befreiungsschlag für den Herzog erbracht werden. (S. 102, 98) Die Sprengkraft des Stückes lag vielleicht gerade darin, dass der Zweikampf hier nicht nur zur Selbstbespiegelung und Differenzierung eines Standes diente, sondern zum Überspringen der Standesgrenzen - dabei ging es im Ritter Galmy nicht um ein Waffenspiel, sondern um einen Gerichtskampf, der zu Zeiten Wickrams kaum mehr praktiziert wurde. Mit Neumann kann man den politischen Interpretationsansatz des Romans durchaus favorisieren. Interessant sind aber auch ihre Überlegungen zum rechtlichen Charakter des im Ritter Galmy entworfenen gottesgerichtlichen Zweikampfs. Verkompliziert wird der Vorgang dadurch, dass der Kämpe der Herzogin kein anderer ist als ihr Verehrer und späterer herzoglicher Gemahl Galmy, der im Mönchsgewand in die Schranken 127 Israel tritt. Dieses zunächst amüsant anmutende Detail wird handlungslogisch dadurch motiviert, dass der Stellvertreter sich vor seinem Einsatz verständlicherweise von der Unschuld der Herzogin überzeugen will. Dies kann er am sichersten, indem er ihr als vermeintlicher Priester die Beichte abnimmt. Jenseits des Plots ist darin auch eine subtile Religiosenkritik des Protestanten Wickram zu vermuten - wurden doch Gottesurteile seit dem IV. Laterankonzil von 1215 von kirchlicher Seite abgelehnt, später Geistlichen jegliche Beteiligung am Zweikampf untersagt und durften doch Kleriker und Mönche keinesfalls persönlich Zweikämpfe durchführen, während im Roman kein Anstoß daran genommen wird, dass ein Tonsurierter das Schwert ergreift. Neumann geht im Weiteren der Frage nach, ob die Nähe des Scheiterhaufens zum Kampffeld bedeuten soll, dass der Zweikampf weniger als Beweismittel, wie seit dem Hochmittelalter, insbesondere durch den Einsatz von Stellvertretern, verstanden wurde, als vielmehr als Teil des Strafgerichts anzusehen sei, ob hier also eine Erweiterung des Bedeutungsspektrums des Zweikampfes um den Aspekt der Strafe (S. 99) vorliege. Tatsächlich zwingt der Ritter den Unterlegenen regelwidrig mit dem Schwert an der Kehle zum Geständnis, verkündet selbst das Urteil - als sei er schon der Herzog selbst - und schleift den Verleumder persönlich zum Henker, der ihn dem Scheiterhaufen übergibt: Galmy ist als siegreicher Kämpe also derjenige, der im Kampf Beweise für Schuld und Unschuld erbringt und auf dieser Grundlage auch das Urteil ausspricht und - zumindest zum Teil - vollstreckt. Es bleibt also auch hier der changierende Status des d u e l l u m als Beweis und als Strafgericht. (S. 101) Es verschwimmen die Grenzen zwischen Zweikampfbeweis und Urteil resp. Strafe. In beiden Beiträgen wird betont, wie wichtig die beim Kampf anwesende Öffentlichkeit für das Gelingen der intendierten Absicht der Schauspiele von Ehre und Tapferkeit (S. 105) war. Sei es nun die Öffentlichkeit der Gerichtsgemeinde oder die des höfischen Publikums, die nicht nur in dem gegebenen Beispiel vom Ritter Galmy in eins zusammenfielen. Hier liegt ein wesentlicher Unterschied zum späteren Duell, das auch klandestin zum Ziel führte. Für Prietzel ist der Übergang vom Zweikampf zum Duell unbestritten, was für die nordfranzösisch-burgundische Welt sicher leichter zu belegen ist als für das Reich, wo das Duellwesen sich erst später ausbreitete und Zwischenformen wie Fechterkämpfe oder Studentenmensur näher betrachtet werden müssten, um Kontinuitätslinien belegen zu können. 128 III. Diskursfelder Richard Cronin Duelling and English Literature Duels have a long history in England and in English literature. In Richard II Shakespeare has a trial by combat, and in Twelfth Night and As You Like It he treats the topic of duelling comically. His contemporary Ben Jonson himself fought a duel with a fellow actor, and was convicted for his manslaughter. But it was in the eighteenth century that the fashion for duelling was at its height both in literature and in life. Fielding’s Tom Jones risks being hanged after he takes part in a duel. Richardson’s Clarissa is avenged when Lovelace, the man who has raped her, is killed in a duel. Tobias Smollett in Humphrey Clinker even introduces a clergyman who proves himself a cool and determined duellist. In The Rivals, Sheridan makes great play of the especial fondness for duelling of Irishmen. He had every reason to have noticed that fondness. He was Irish himself, Dublin-born, and fought two duels with a rival for the hand of Elizabeth Linley, the famous singer. In the first he disarmed his opponent, but after the second he nearly died of his wounds. By the beginning of the nineteenth century the fashion was on the wane. The change from duelling with swords to pistols may have had something to do with it. Pistols are less exclusive but also more unpredictable, more likely to result in a fatality. But the decisive factor was the increasing social and economic prominence of a newly professionalised middle class. The lawyers, manufacturers, clergymen, and tradesmen who dominated the cultural and economic life of Britain in the nineteenth century were not inclined to settle their differences with pistols at twelve paces. They were far more likely to have recourse to the courts of law. Until the middle of the nineteenth century, duelling was tolerated in the armed services because refusing a challenge was believed to compromise the honour of the regiment, and until the 1820s it was common, too, amongst politicians, presumably because the professional status of politicians is inseparable from their private reputations. But as early as 1809, George Canning and Lord Castlereagh, both at the time members of the Cabinet, were widely criticised when they met in a duel that was terminated only after Canning had been wounded in the thigh. Their behaviour, it was widely felt, was less a demonstration of their courage than of their irresponsibility. In the early decades of the nineteenth century there was only one professional group apart from soldiers and politicians who regularly fought duels, and it was a rather surprising one. In these years, a remarkable number of the most distinguished members of the literary profession received, issued, or threatened to issue a challenge. The most enthusiastic duellist was probably the Irish poet, Thomas Moore, closely followed by Lord Byron, although Byron, despite rather often challenging or being challenged, seems never actually to have fought. But some of the names are much less expected. From Scotland there was Sir Walter Scott, his humble protégé, James Hogg, his son-in-law, John Gibson Lockhart, and Lockhart’s closest associate, the poet and professor of moral philosophy at Edinburgh University, John Wilson. In England there was Samuel Taylor Coleridge, the poet John Keats, the essayist William Hazlitt, and Keats’s friend, the 131 Cronin poet and newspaper editor, Leigh Hunt. In 1821 and in 1822 two writers even died in duels. John Scott, the editor of the London Magazine, was killed at Chalk Farm in London as a direct consequence of articles that he had written attacking J. G. Lockhart, one of the principal writers for a rival publication, Blackwood’s Edinburgh Magazine. Alexander Boswell, a minor poet, and the son of Samuel Johnson’s great biographer, was killed in Scotland in a duel with James Stuart of Dunearn, a political opponent whom he had ridiculed in various squibs in verse and prose. It seemed strange that literary men should be so bellicose even to the literary men themselves. John Scott, who was very soon to become a victim of the fashion that he ridiculed, observed in the London Magazine that the idea of changing “ink for blood” had become so prevalent that reviewers nowadays needed unusual qualifications: when able to snuff a candle at ten paces, any reviewer might safely enough, we apprehend, undertake the works of the most irascible of our writers. 1 Scott’s quarrel with Blackwood’s was to end in his own death. It seems worth asking the question why literary men should have taken to fighting or threatening to fight duels in such numbers at exactly the time when their contemporaries in other professions were turning against the practice. The duels in which John Scott and Sir Alexander Boswell received their deathwounds marked a particular moment in the growth of the print industry. Lockhart and John Scott, as principals of two of the leading British magazines, were competing for their share of a rapidly expanding market, and yet both men remained wedded to a notion of themselves as literary men and literature as a kind of writing produced disinterestedly by gentlemen rather than writing produced for money. John Scott died because the profession of letters occupied an uncertain position: it neither guaranteed, like the church, the higher ranks of the armed services, and the higher branches of the law and medicine, the gentlemanly status of its members, nor did it preclude that status. Print had once been the preserve of gentlemen, a medium produced and consumed primarily by a group who shared a gender, an education, and a certain social standing. When two members of such a group fell out they might have recourse to pistols. If the offence was given by someone whose entitlement to gentlemanly status was not recognised then the proper recourse was to the horsewhip. The distinction between the two weapons was a primitive attempt to organise those who worked within the new and rapidly expanding print industry into two categories. Duelling in the Romantic period was, then, a means by which writers sought to assert or to defend their status as gentleman, but it was also, more generally, a practice that permitted them flamboyantly to assert their manliness. Duelling was a practice restricted to men. Occasionally, it is true, women fought duels. Most famously there was the ‘petticoat duel’ of 1792 in which Lady Almeria Braddock challenged Mrs Elphinstone, who had, Lady Almeria believed, made an insulting reference to her age. The two women fired at ten paces and survived unscathed, although a ball passed through Lady Almeria’s hat. They then took to swords, and the 1 A remark Scott makes in a comparison between the actor, Elliston, and the Emperor Nero. See: The London Magazine 1 (June 1820), p. 610. 132 Duelling and English Literature dispute was resolved only after Mrs Elphinstone was wounded in the arm. 2 But this was exceptional. It was men who duelled. Women, nevertheless, as a contributor to the British Lady’s Magazine insisted, had a crucial role to play, but only because it was their responsibility to put an end to the practice, which would not be eradicated until it became a mark of infamy in woman to admit a duellist to her bosom. 3 Duelling, I want to suggest, became attractive to so many writers in the early decades of the nineteenth century precisely because it was an exclusively masculine activity. Duelling was an aggressive response to what many male writers seem to have perceived as a threat that their profession was at risk of being feminised. By 1800 the novel seemed to have become an almost entirely feminine form, and not only because women formed the most important market for novels. In that year a male novelist, when he identified the three leading exponents of the form in Britain, named three women; Francis Burney, Ann Radcliffe and Charlotte Smith. 4 Twenty years later women seemed to be establishing a similar hold over poetry, and some male poets responded aggressively. At the last minute Keats revised one of the stanzas of his poem, The Eve of St Agnes. He had come to the decision that he had not made it clear enough what happened when his hero, Porphyro, intruded into Madeline’s bedroom and woke her up. As he explained to a friend, he would despise a man who would be such an eunuch in sentiment as to leave a maid, with that Character about her, in such a situation. 5 But his publisher, John Taylor, made it clear that if Keats insisted on the revision he could no longer act as his publisher. Taylor took a moral stand, but it was a stand that also made good commercial sense. If Keats’s volume was thought to be unfit for ladies its sale would be seriously damaged, because by 1820 women were the principal readers of poetry just as they were of the novel. They were in addition becoming increasingly important as practitioners. Byron had once admired Felicia Hemans, but, by September, 1820, as her popularity grew, his comments on her become ever more grudging: I do not despise Mrs. Heman [the missing ‘s is, I fear, a joke, rather than, as Byron’s editor, Leslie Marchand, charitably imagines, an oversight] - but if [she] knit blue stockings instead of wearing them it would be better. A month earlier he had begged his publisher, John Murray, not to send him any more poesy by Mrs. Hewoman or any other female or male Tadpole of Poet Turdsworth’s. 6 The growing irritation prompted in Byron by the increasing prominence of women writers was vented at last in an elaborate squib, The Blues, which was published in the third number of The Liberal. Keats, for all that Byron thought him an effeminate producer of piss-a-bed poetry, 7 had already discovered that there was nothing in the poetry of Mary Tighe that he had once admired, that the Dress 2 For more on this and other duels involving women, see: ‘Women Duellists’, in: Robert B ALDICK : The Duel. A History of Duelling, London 1965, pp. 169-178. 3 British Lady’s Magazine 4 (July 1816), p. 3. 4 Robert B ISSET : Douglas; or, the Highlander. A Novel in four volumes, London 1800, vol. 3, chapter 9. 5 Hyder Edward R OLLINS (ed.): The Letters of John Keats, vol. 2, Cambridge 1958, pp. 18-19 and 163. Woodhouse adds that in his revisions to ‘The Eve of St Agnes’ Keats affected the “Don Juan” style of mingling up sentiment & sneering. 6 Leslie A. M ARCHAND (ed.): Byron’s Letters and Journals, vol. 7, London 1977, pp. 182 and 158. 7 Ibid., p. 200. 133 Cronin Maker, the blue Stocking and the most charming sentimentalist differ but in a Slight degree and are equally smokeable, and was announcing to his friend Richard Woodhouse that he wished to write only for men. 8 By 1825 Hemans’s success was rivalled by another woman poet, Letitia Landon, who published under the initials, L. E. L. After the death of Byron these two women seem to have outsold any of their male contemporaries. Male writers in the early nineteenth century seem many of them to have thought of themselves as a beleaguered sex, marooned in the feminised cultural modernity of the early nineteenth century, and they responded by aggressively asserting their own masculinity. Their penchant for duelling was one of the ways in which they did so. In these years two men were recognised by almost everyone as holding an unchallenged place at the head of the literary profession, Sir Walter Scott and Lord Byron. Scott had first won fame as a poet, as the author of the Lay of the Last Minstrel, Marmion, and The Lady of the Lake, but in 1814 he published the first of his novels, Waverley, and began an extraordinary second career as a novelist, in the course of which he sold, by one astonishing calculation, more copies of his novels than the sales of all other novelists of the period put together. 9 In other words, in Britain in the 1820s, one of every two novels sold was a novel by Sir Walter Scott, or rather, because until 1826 Scott published his novels anonymously, one of every two novels sold was a novel by the Great Unknown. In that early sequence of what became known as the Waverley novels, most of which were set in Scotland, Scott revolutionised the novel. He did so, we are told by Georg Lukacs and all those who have followed his lead, by inventing the historical novel. But that was not the achievement that struck most of Scott’s contemporaries. Scott, it was rather generally felt, had saved the novel, once the chosen form of writers such as Defoe, Smollett and Fielding, from colonization by women. As Charles Lamb put it, Scott’s happier genius had expelled forever the kind of novel that had until recently supplied the scanty intellectual viands of the whole female reading public. 10 He means novels of the kind published by William Lane for the Minerva Press. That press and others like it, according to Lamb, had killed the novel by catering for an exclusively female readership. The novel had been drained of all life by the women who had appropriated it both as authors and as readers, until, as one reviewer put it, the author of the Scotch novels first appeared, like a giant refreshed with sleep, 11 and brought the form to life again. For its reviewers, the very first of Scott’s novels, Waverley was revolutionary in its manliness. The Monthly Review marvelled at how it stood out from sundry tomes of Emmeline, Castel Gandolfo, Elegant Enthusiasts, and Victims of Sensibility: 12 it stood out, that is, from novels written by women. Waverley had an unexampled variety, that revealed the masculine breadth of its author’s experience; its allegiance was to the masculine world of fact, to history; and its learning too proved the novel to be a truly mascu- 8 R OLLINS (ed.): The Letters of John Keats (note 5), vol. 2, pp. 18-19 and 163. 9 William S T C LAIR : The Reading Nation in the Romantic Period, Cambridge 2004, p. 257. 10 Charles L AMB : Popular Fallacies. That great wit is allied to madness, in: New Monthly Magazine 16 (May 1826), p. 519. In The Last Essays of Elia the essay was re-published under the title ‘Sanity of True Genius’. 11 ‘On the Living Novelists’, in: Gold’s London Magazine 2 (1820), p. 265. 12 Monthly Review 75 (November 1814), pp. 279-280. 134 Duelling and English Literature line production. It showed no moderate acquaintance with the arcana of the law and it kept up a perpetual allusion to the English and Latin classics. 13 According to Scott’s namesake, the journalist, John Scott, who was very soon to demonstrate his own masculinity by dying in a duel, the Scotch novels offered the nation precisely the therapy of which it was most in need. As we read them, health and manliness are made to circulate through our frames. The reader is excited by [Scott’s] inspiring tally-ho: reading him is almost like engaging in a field sport. 14 Scott’s extraordinary success clearly had much to do with his ability to produce novels that male readers did not feel ashamed to read. Byron’s enthusiasm is representative. Novels by Scott were the books he most coveted. In the years that he lived in Italy Byron was reliant for the provision of reading matter on his publisher, John Murray, who sent him regular book parcels. In the book parcel he received from Murray in October 1820, Byron was irritated to find not just a volume of ‘Johnny Keats’s piss-a-bed poetry’, but Warbeck of Wolfenstein by Margaret Holford, a spinster whom I thought we had sent back to her spinning, and Felicia Hemans’s The Sceptic. The absence of the book that he most wanted provoked him into a couplet: I’m thankful for your books dear Murray But why not send Scott’s Monastery? 15 Walter Scott never felt impelled to fight a duel, although in his last years he expected a challenge from a Frenchman who felt himself defamed in Scott’s Life of Napoleon, but no writer of the period took a greater interest in the topic. 16 Duels are fought in Guy Mannering, The Antiquary, St Ronan’s Well, and The Surgeon’s Daughter, and threatened in almost every novel he wrote. In a lengthy introduction to The Duel of Wharton and Stuart in Minstrelsy of the Scottish Border, Scott traces the history of the institution and denies that it is even yet obsolete: duels long continued, they even yet continue, to be appealed to, as the test of truth; since, by the code of honour, every gentleman is still bound to repel a charge of falsehood with the point of his sword, and at the peril of his life. 17 The frequency with which Scott’s heroes engage in duels is a principal means by which Scott asserts the masculine character of his novels. Scott’s novels offered refuge in a masculine past to all those male readers of his who felt themselves at times rather uncomfortably trapped in a feminine modernity. From the first, Scott’s heroes, like Edward Waverley, are enlisted into plots that oblige them to reconcile themselves with modern civility and to consign to history the fierce masculine codes that have seduced them, but one reason the novels were so successful was surely that in reading them the male reader of the early 13 British Critic 2 (August 1814), p. 209. 14 London Magazine 1 (January 1820), p. 13. On Scott’s masculine re-colonisation of the novel, see: Ina F ERRIS : The Achievement of Literary Authority. Gender, History, and the Waverley Novels, Ithaca/ London 1991, pp. 79-104. 15 M ARCHAND (ed.): Byron’s Letters 7 (note 6), p. 200. 16 General Gaspar Gourgaud issued threats which, in the event, came to nothing. The episode is described in: Edgar J OHNSON : Sir Walter Scott, vol. 2, London 1970, pp. 1025-1026. There were personal reasons for Scott’s interest in duelling. He disowned his own brother, Daniel, when he believed him guilty of act of cowardice which may have involved his refusing a challenge. 17 Walter S COTT : Minstrelsy of the Scottish Border, vol. 3, Edinburgh 1803, pp. 123-124. 135 Cronin nineteenth century is allowed painlessly to yield to precisely the seduction that Scott’s heroes must repent after much suffering. Scott led a concerted attempt in these years to masculinise the novel, but the novel can be masculinised only if it is admitted to be feminine, and the femininity of the novel in the early nineteenth century was all but guaranteed by a readership that included in its numbers so many women. Scott himself sometimes registers an amused sense that in writing novels he has strayed into a literary area more properly inhabited by women. At the end of Old Mortality, for example, he acknowledges in the guise of Peter Pattieson, the supposed author of the tale, that he had thought to waive the task of a concluding chapter until he was honoured with an invitation to drink tea with Miss Martha Buskbody, the Gandercleugh mantua-maker. Miss Buskbody speaks with the benefit of the experience which she must have acquired in reading through the whole stock of three circulating libraries in Gandercleugh and the two next market-towns, and she insists on a glimpse of sunshine in the last chapter, and full particulars of the marriage of Morton and Edith, and what became of the other personages of the story, from Lady Margaret down to Goose-Gibbie. Pattieson humbly complies. 18 This seems urbanely self-mocking, but Scott’s suavity conceals, I suspect, a consciousness that in writing novels he is engaged in women’s business more embarrassed than he cares to admit. For all the surface masculinity of his novels, Scott often registers his awareness they take their place within a female tradition. His young heroes such as Roland Graeme in The Abbot are naive, often awkward and embarrassed, and, despite their prickliness, are much given to blushing. They seem in a more direct line of descent from Frances Burney’s Evelina than from Henry Fielding’s Tom Jones. 19 In Rob Roy, for example, Frank Osbaldistone parts, he fears for ever, from Diana Vernon: At length tears rushed to my eyes [...] I wiped them mechanically, and almost without being aware that they were flowing, but they came thicker and thicker - I felt the tightening of the throat and breast, the hysterica passio of poor Lear; and sitting down by the wayside, I shed a flood of the first and most bitter tears which had flowed from my eyes since childhood. 20 The feminised heroes are sometimes brought into confrontation with unusually masculine heroines. In Rob Roy, Frank Osbaldistone’s taste for poetry and his distaste for trade seem to his father equally effeminate postures and the novel’s heroine, Diana Vernon, agrees. When Frank wonders whether his bent is for original poetry or translation she assures him that he might employ [his] time to far better purpose than in either. He has to 18 Walter S COTT : The Tale of Old Mortality, ed. by Douglas M ACK , Edinburgh 1993, pp. 349-350. 19 Ina Ferris suggests a similar lineage when she observes that a hero such as Edward Waverley is best understood as a Gothic heroine in male form. See: F ERRIS : The Achievement of Literary Authority (note 14), S. 100. Fiona Wilson argues that Scott’s heroes of this kind - Frank Osbaldistone of Rob Roy is her preferred example - should be understood as male hysterics. See: Fiona W ILSON : He’s come undone: Gender, Territory, and Hysteria in Rob Roy, in: Claire L AMONT / Michael R OSSINGTON (eds.): Romanticism’s Debatable Lands, Basingstoke 2007, pp. 52-63. 20 Walter S COTT : Rob Roy, ed. by David H EWITT , Edinburgh 2008, p. 285. Subsequent page references are included in the text. 136 Duelling and English Literature concede not only the childishness of his own conduct but the superior manliness of Miss Vernon’s. (132) Diana Vernon does not just on occasion don masculine dress, she insists on being treated as a man. Call me Tom Vernon, she suggests to Frank, irritated by his empty compliments. (46) It is her habit to talk to him in the style one gentleman uses to another. (106) Diana is intended never to be less than delightful - she is after all the woman that Frank will marry. Her baleful counterpart is Helen MacGregor, the wife of Rob Roy. Helen, it seems, though Scott mumbles the matter, has been raped by her husband’s persecutors (211), an experience which has rendered her more savage than any man. After a skirmish, Frank notes the specks of blood on her brow, her hands, and naked arms, as well as on the blade of the sword which she continued to hold in her hand, (260) and it is Helen who orders the killing of the craven English double-agent, Morris, who is drowned in the loch like an unwanted puppy: The victim was held fast by some, while others, binding a large heavy stone in a plaid, tied it around his neck, and others again eagerly stripped him of some parts of his dress. Half-naked, and thus manacled, they hurled him into the lake, there about twelve feet deep, drowning his last death-shriek with a loud halloo of vindictive triumph, above which, however, the yell of mortal agony was distinctly heard. (267) There is no more savage scene in all of Scott, and it is orchestrated by a woman. Helen MacGregor inspires in Scott a holy terror. Scott set out confidently to masculinise the novel, but his novels seem haunted by a suspicion that the masculine novel may simply be the novel in drag. It may be this rather than a simple admiration for Shakespeare that underlies Scott’s curious interest in cross-dressing. In Redgauntlet Darsie Latimer’s acknowledgement that his love for Alan Fairford surpasses the love of woman 21 serves only to underwrite his masculinity, but can the same be said of the oddity that Darsie travels to the final rendezvous with Charles Stuart disguised, at his uncle’s insistence, as a woman, his face hidden by one of those silk masks which ladies frequently wore to preserve their complexions when exposed to the air during long journeys on horseback? Despite his remonstrances, his uncle insists that he also wear a riding-skirt. (322) In The Abbot, even more surprisingly, the young hero, Roland Graeme, is unable to distinguish the young woman he loves, Catherine Seyton, from her brother, Henry, an odd incapacity for which he has at least the excuse that, when he first meets Catherine’s brother, Henry Seyton is dressed as a woman. This seems surprising behaviour in a young nobleman, but his sister reports that it is one of the mad pranks for which he is well known. 22 Rather oddly, Scott writes as if he is just as unable to penetrate Henry’s disguise as his her, and persists when he is wearing woman’s dress in referring to him by feminine pronouns. The Abbot is set at a time when both England and Scotland are ruled by Queens, though Mary’s rule is contested, and 21 Walter S COTT : Redgauntlet, ed. by G. A. M. W OOF with David H EWITT , Edinburgh 1997, p. 113. Subsequent page references are included in the text. 22 Walter S COTT : The Abbot, ed. by Christopher J OHNSON , Edinburgh 2000, p. 326. Subsequent page references are included in the text. 137 Cronin Scott can reasonably claim that at such a period genders will be unusually fluid and confusing. 23 Times which make men out of women, are least of all fitted for men to become women, says Henry Seyton, but he says it to Roland while wearing female dress and while he is still being mistaken by Roland for his sister. Immediately afterwards Seyton breaks into song: Oh, some do call me Jack, sweet love, And some do call me Gill; But when I ride to Holyrood, My name is Wilful Will. (257) Cross-dressing, it may be, offers Scott a device that allows him at once to register and make light of an anxious sense that in writing novels he is himself cross-dressing. Byron’s status as the most popular poet of the day had been secured in the early stages of his career by his women readers. It was women who had made of Childe Harold, The Giaour, The Corsair, and the other eastern tales the best-selling poems of the day. In 1815 the British Ladies Magazine observed that the compositions of Lord Byron appear, by the tone of their versification, the novel softness of their subjects, and the peculiarities of their language, to have captivated ladies’ hearts with a success far above all other productions of the present day. 24 Some of Byron’s male contemporaries were inclined to mock him for his popularity amongst women, J. G. Lockhart, Scott’s son-in-law, amongst them. The heroes of the early poems, humbug Harolds as Lockhart calls them, may have converted many into becoming devout believers in the amazing misery of the black-haired, highbrowed, blue-eyed, bare-throated, Lord Byron, but the majority of those so beguiled are members of the class best represented by Jane Austen: Now, tell me, Mrs Goddard, now tell me, Miss Price, now tell me, dear Harriet Smith, and dear, dear, Mrs. Elton, do tell me, is not this just the very look, that one would have fancied for Childe Harold? They are women, and only middling women at that. 25 Lockhart says this in the course of some remarks on the poem that he believes to be Byron’s masterpiece, Don Juan. His implication is that Don Juan establishes its superiority to Byron’s earlier poems precisely because it is not written for an audience of women. Indeed, by admitting into the poem a frank account of Juan’s sexual escapades, and some scarcely disguised references to Byron’s own adventures, Don Juan established itself as a poem that respectable women could not admit to having read. When John Keats made those revisions to The Eve of St Agnes, he had insisted, his friend explained to his publisher, that he does not want ladies to read his poetry: that he writes for men. In writing Don Juan Byron took up the same 23 Judith Wilt persuasively argues that in the Waverley novels both men and women must journey through the experience of the other, the outlawed, gender, before either one can choose and re-fix the male or female identity appropriate to the new age. See: Judith W ILT : Secret Leaves. The Novels of Walter Scott, Chicago 1985, p. 117. 24 British Lady’s Magazine 1 (January-June 1815), p. 175. 25 J. G. L OCKHART : John Bull’s Letter to Lord Byron, ed. by Alan Lang S TROUT , Norman 1947, p. 80. It is a point that Lockhart reiterates in his novel, Reginald Dalton, when Reginald observes a small circle of blue-stockings that were gathered round a certain lyrical poet, who sat in an ottoman among them, with something of the air of a little Turkish Bashaw luxuriating in the seclusion of his own haram, evidently considering every whisper of his as a compliment - every smile as a seduction. (vol. 3, p. 85). 138 Duelling and English Literature position still more emphatically, and almost all the early reviewers of the poem noted as much. The British Critic, reviewing the poem’s first two cantos, warned that it would have the worst opinion indeed of any man, upon whose family table this volume were to lie exposed. 26 It was poetry, according to the Eclectic such as no brother could read aloud to his sister, no husband to his wife. 27 Even in its obituary notice of Byron the Literary Gazette insisted that no man of the least experience could have been unconscious, that many passages, not only in Don Juan, but in other of Lord Byron’s poems, must, of necessity, sully that native purity, and impair that instinctive delicacy, which are among the greatest charms, and the surest safe-guards of the sex. 28 The Examiner was edited by Byron’s friend and admirer, Leigh Hunt, but even he mildly suggested of Don Juan that poems of this kind may not be the best things to put abruptly into the hands of young ladies. 29 Constable’s Edinburgh Magazine more robustly described it as a poem such as no man of pure taste can read a second time, and such as no woman of correct principles can read the first. 30 Byron, the leading poet of the period, seems as intent as Walter Scott, its leading novelist, on asserting his masculinity, and yet, again like Scott, he allows gender indeterminacies to infiltrate his text. His Don Juan is, after all, a feminised hero, not the heartless seducer of tradition but a passive prey to predatory women. He even, when he enters the Sultan’s harem dressed as a woman proves himself, like some of Scott’s heroes, capable of cross-dressing, Male writers in the late teens and early twenties of the nineteenth century register anxieties that have to do with a nervous sense of their emergent professional status. The production of literature was no longer securely a gentlemanly vocation: it had become an employment for which a writer expected and required payment. The increasing importance of women writers, first as novelists, but more recently as poets too, threatened this new status because writers could scarcely claim to be professional if the profession of letters, unlike any other profession, admitted women. It was a situation that left male writers anxious to assert their own masculinity, as John Scott did by engaging in the duel in which he died, as Walter Scott did by writing the kind of novel that men need not be ashamed to admit reading, and as Keats and Byron did by insisting on their wish to write for men rather than for women. In the early decades of the nineteenth century, the increasing importance of women both as consumers and producers of literature provoked a cultural anxiety that revealed itself in the production of writing that aggressively advertised its masculinity, writing best exemplified by Scott’s novels and by Byron’s Don Juan. A secondary symptom was the unusual and at first sight inexplicable willingness of writers in this period to engage in, or threaten to engage in, duels. It was a short-lived episode in cultural history. John Scott died in a duel in 1821, Alexander Boswell died in 1822, but I can find no record of any British writer meeting a similar fate thereafter. Fifty years later, in 1871, D. G. Rossetti’s poems were 26 British Critic n. s. 12 (August 1819), p. 204. 27 Eclectic Review 16 (October 1821), p.118. 28 Literary Gazette and Journal of Belles Lettres 416 (January 8, 1825), p. 39. The Gazette is re-printing remarks from the Annual Obituary for 1825. 29 The Examiner 708.14 (July, 29, 1821), p. 473. 30 Edinburgh Magazine and Literary Miscellany 9 (August 1821), p. 106. 139 Cronin viciously attacked by a reviewer called Robert Buchanan, and Rossetti thought for a moment of challenging Buchanan to a duel, but it was a passing moment. By 1871 men did not demonstrate their masculinity by fighting duels: they did so by displaying their self-discipline, by showing their ability to overcome their atavistic instincts. A man best showed his masculinity by recognising his obligations to his family, his religion, and his nation, not to any archaic warrior code. It is, I think, not coincidental that by then literature had established itself as the single profession that women might enter on a condition of equality with men. D. G. Rossetti was not threatened that his sister, Christina, was herself a poet: he admired her talent and helped her to publish her poems. But in the early decades of the nineteenth century masculinity, it was still felt, was best demonstrated not by self-discipline but by self-assertion. Scott’s novels and Byron’s Don Juan are one symptom of that cultural moment, the deaths of John Scott and Sir Alexander Boswell who chose to take part in what already seemed to many of their contemporaries the outmoded masculine ritual of the duel are another. 140 Alexander Kästner Unzweifelhaft ein seliger Tod! Überlegungen zur Darstellung des Sterbens von Duellanten in protestantischen Leichenpredigten* 1. Der Tod des Duellanten als Thema der Duellforschung Eigene Unbeholfenheit und ein im Kampf geschickter Gegner, Überraschung oder fehlende Kampferfahrung, nicht selten reichlich Alkohol, Übermut und Unachtsamkeit; ein Hieb, ein Stich, ein Stoß, ein Schuss - kurzum: bewaffnete Balgereien, Händel und Duelle konnten rasch tödlich enden. 1 Solch ein Tod war zumindest einzukalkulierende Folge eines Verhaltens, welches die durchaus mehrdeutigen Vorstellungen und Anforderungen von Ehre und Männlichkeit, Standhaftigkeit und agonaler Geselligkeit erfüllte. 2 Der Tod im Duell war so einerseits Resultat der (mitunter erzwungenen) Erfüllung relevanter sozialer Rollenerwartungen und Verhaltenscodes, die zwar nicht auf einem allgemeinen Konsens, aber doch immerhin auf übergreifenden und geteilten Wertvorstellungen beruhten. Postmortal konnten Hinterbliebene daher beanspruchen, der in der bewaffneten Auseinandersetzung Getötete habe diesen Erwartungen auch tatsächlich entsprochen und habe mit seinem Verhalten keineswegs die geltenden Spielregeln der Gemeinschaft verletzt. Andererseits standen dieses potenziell tödliche Konfliktverhalten und die diesem zugrunde liegenden lebensweltlich fundierten Verhaltensanforderungen in einem Spannungsverhältnis und im Widerspruch sowohl zu moraltheologischen als auch zu strafrechtlichen und policeylichen Normen. Diese geißelten das Duell und mithin den Tod im Duell als Bruch christlicher Moral- und obrigkeitlicher Herrschaftsansprüche. Predigten und Antiduellmandate drohten Duellwilligen für den Todesfall die Verwei- * Ich danke Susanne Hehenberger, Ulrike Ludwig, Eveleyne Luef und Klaus Wolf jr. für die Diskussion einer früheren Version dieses Beitrags. 1 Körperliche Unbeholfenheit wurde bspw. 1607 dem Erbmarschall des Fürstbistums Münster Gerhard Morrien zu Nordkirchen in einem Degengefecht auf dem Domplatz in Münster zum Verhängnis. Siehe: Frank D IERKES : Galen contra Morrien. Drama eines Adelskonflikts im Münsterland um 1600, in: Mechthild Siekmann (Hg.): Tatort Domplatz. Der Münster-Plan von 1609 und seine Geschichte(n), Dokumentation und Faksimile, Bielefeld 2009, S. 105-125; DERS .: Streitbar und ehrenfest. Zur Konfliktführung im münsterländischen Adel des 16. und 17. Jahrhunderts, Münster 2007, S. 105-180. 2 Zur notwendigen Voraussetzung des Ehrdenkens für die frühneuzeitliche Duellpraxis allgemein Ute F RE - VERT : [Art.] Duell, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2005, Sp. 1165-1168; DIES .: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991; ferner: James K ELLY : „That Damn’d Thing Called Honour“. Duelling in Ireland 1570-1860, Cork 1995, insbesondere S. 11-24; Christopher C OLLSTEDT : Duellanten och rättvisan. Duellbrott och synen på manlighet i stormaktsväldets slutskede, Lund 2007, S. 76-110. Zu(r) Fluidität und strategischen Verwendung des Begriffs ‚Ehre’ siehe DERS .: The Morality Tale of a Duellist. Narratives of Duelling in Early Modern Swedish Courts, The Duel in Stralsund 1712, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 12 (2008), S. 153-173. 141 Kästner gerung einzelner ritueller und liturgischer Elemente beim Begräbnis oder gar eine schimpfliche Beisetzung an. 3 Dies sanktionierte den Normbruch nicht nur real und symbolisch, sondern markierte diesen und die Reaktion der Obrigkeiten im Fall der Umsetzung auch dauerhaft durch eine räumliche, begräbnistopografische Separierung und Marginalisierung. Daher konnte der Tod im Duell das soziale Gefüge einer Gemeinschaft erheblich erschüttern. Es verwundert daher, dass trotz intensiver Erforschung frühneuzeitlicher Duellpraktiken der Tod im Duell bislang nicht systematisch in seiner Bedeutung ausgeleuchtet wurde. 4 Dieser Tod im Duell forderte die hinterbliebenen Gemeinschaften in ganz besonderer Weise heraus, denn diese vergewisserten sich ihrer inneren Zugehörigkeit nach dem Tod eines ihrer Mitglieder in Ritualen einer ‚ehrlichen Bestattung‘, die jene Unverfügbarkeitskonstruktionen sichtbar machte, die diese Gemeinschaften fundierten. 5 Der Tod eines Duellanten und mithin die drohende Schmälerung oder Verweigerung eines ehrlichen Begräbnisses konfrontierte nun all jene, die die Werte teilten, welche die Duellpraxis fundierten, mit einem für sie ebenso denkbaren und möglichen Ende. Überdies stellte die Sanktionsandrohung eines unehrenhaften Begräbnisses mindestens drei zentrale Anforderungen der Trauergemeinschaft der Hinterbliebenen in Frage. Die rituellen Akte der Trauer und Memoria im Begräbnis dienten erstens der emotionalen Aufarbeitung des Geschehenen. 6 Zweitens kreisten die Begräb- 3 Claus Heinrich B ILL : Duellkultur des norddeutschen Adels. Zweikampfnorm und -topologie als Bestandteil adeliger Ehrauffassung 1580 bis 1945 (Teil 1), in: Nobilitas Folge 6 (1999), S. 293-310, hier S. 304- 310; Reinhold Friedrich von S AHME : De sepulture denegatione, Von Versagung des Begräbnüsses, Regensburg/ Leipzig 1712, S. 51-53; Wilhelm T HÜMMEL : Die Versagung der kirchlichen Bestattungsfeier, ihre Geschichte und gegenwärtige Bedeutung, Leipzig 1902, S. 113 u. 130-131. Vgl. für die durchaus ambivalente Ächtung des Duells durch das Konzil von Trient sowie entsprechende päpstliche Erlasse und mittelalterliche Summae den Beitrag von Giancarlo A NGELOZZI : Das Verbot des Duells. Kirche und adeliges Selbstverständnis, in: Paolo P RODI / Wolfgang R EINHARD (Hg.): Das Konzil von Trient und die Moderne, Berlin 2001, S. 211-240. Zur vorhergehenden Sanktionierung der Turniere siehe: Richard B ARBER / Juliet B ARKER : Die Geschichte des Turniers, Zürich 2001, S. 181-194. 4 Gleiches gilt m. W. für die Frage des Umgangs mit Verwundungen in Duellen und daraus resultierenden bleibenden körperlichen oder geistigen Schäden. Siehe dazu jetzt für das Spätmittelalter und die beginnende Frühe Neuzeit: Oliver A UGE : „So solt er im namen gottes mit mir hinfahren, ich were doch verderbt zu einem kriegsmann“. Durch Kampf und Turnier körperlich versehrte Adelige im Spannungsfeld von Ehrpostulat und eigener Leistungsfähigkeit, in: Medizin, Gesellschaft und Geschichte 28 (2009), S. 21-46. Grundsätzlich galt das Postulat der körperlichen Unversehrtheit, die für die Anforderungen des (adligen) Lebens unabdingbar war, woraus u. a. kosmetisch-chirurgische ‚Lösungen’ resultierten. Vgl. Mariacarla G ADEBUSCH B ONDIO : Medizinische Ästhetik. Kosmetik und plastische Chirurgie zwischen Antike und früher Neuzeit, München 2005. 5 Vgl. aus der Fülle an Literatur exemplarisch: Uwe D ÖRK : Memoria und Gemeinschaft. Städtische Identitätskonstruktion im Totenkult, Drei Bestattungen in Bern und Ulm, in: Rudolf S CHLÖGL (Hg.): Interaktion und Herrschaft. Die Politik der frühneuzeitlichen Stadt, Konstanz 2004, S. 517-561; Craig K OSLOFSKY : Honour and Violence in German Lutheran Funerals in the Confessional Age, in: Social History 20 (1995), S. 315-337; DERS .: Von der Schande zur Ehre. Nächtliche Begräbnisse im lutherischen Deutschland (1650-1700), in: Historische Anthropologie 5 (1997), S. 350-369. 6 Hierbei ist auch die apotropäisch motivierte Loslösung von den Toten nicht zu vernachlässigen, wenngleich dies im vorliegenden Beitrag nicht akzentuiert wird. Vgl. Eva H ORN : Düsterer Pomp und stiller Schmerz. Trauer-Texte zwischen Barock und Goethezeit, in: Jan A SSMANN / Rolf T RAUZETTEL (Hg.): 142 Unzweifelhaft ein seliger Tod! nisrituale um die kollektive und individuelle Sorge um das Seelenheil der Verstorbenen und bekämpften so die Angst, das Sterben könne nicht den gesellschaftlichen Normen der Kontingenz- und Todesbewältigung entsprochen haben. 7 Drittens sollten die Tradition und Kontinuität des Status des Verstorbenen und seiner Familie angemessen repräsentiert werden, um so die kollektive Identität der Gemeinschaft zu inszenieren und die soziale Ordnung der ständischen Gesellschaft zu beglaubigen. Die Verweigerung einzelner Begräbniszeremonien oder gar ein schimpfliches Begräbnis beglaubigten zwar ex negativo die soziale und moralische Ordnung einer Gemeinschaft durch fein abgestufte Formen einer entweder marginalen Inklusion oder einer eindeutigen Exklusion. Allerdings war die moralische Diskreditierung des Duelltods zumindest für die Duellanten und ihre Familien bedrohlich, denn entweder nahm der verstorbene Duellant einen randständigen Begräbnisplatz ein, der eigentlich den ohnehin randständigen Personen (etwa Armen und Fremden) der frühneuzeitlichen Gesellschaft zukam. Oder aber er wurde aus der im Prinzip auf die Ewigkeit ausgerichteten Gemeinschaft der Christen symbolisch wie real ausgeschlossen und behandelt wie ein ‚freventlicher Selbstmörder‘, wie ein unehrenhaft Verstorbener, wie ein öffentlich bekannter Sünder oder konfessioneller Abweichler oder einfach wie ein überführter Kapitalverbrecher, für den der symbolische und reale Weg zurück in die Gemeinschaft nur über ein gelungenes Hinrichtungsritual 8 oder einen landesherrlichen Gnadenakt führen konnte. Zudem war der Zugang zu den zentralen Orten in der Begräbnistopografie, d. h. jenen Orten, die symbolisch auf die dies- und jenseitigen Zentren einer Gemeinschaft verwiesen, erheblich eingeschränkt. 9 Diese Einschränkungen waren aber ihrerseits wiederum mehrfach gebrochen - Spielräume ergaben sich zwangsläufig, wenn verstorbene adlige Duellanten zugleich Patronatsherren waren. Tod, Jenseits und Identität. Perspektiven einer kulturwissenschaftlichen Thanatologie, München 2002, S. 332-345. 7 Bspw. Werner Friedrich K ÜMMEL : Der sanfte und selige Tod. Verklärung und Wirklichkeit des Sterbens im Spiegel lutherischer Leichenpredigten des 16. bis 18. Jahrhunderts, in: Rudolf L ENZ (Hg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 3, Marburg a. d. Lahn 1984, S. 199-226; Rudolf M OHR : Der unverhoffte Tod. Theologie- und kulturgeschichtliche Untersuchungen zu außergewöhnlichen Todesfällen in Leichenpredigten, Marburg 1982, S. 195. Der Tod war zwar eine alltägliche, aber deswegen noch lange nicht als selbstverständlich akzeptierte Erscheinung. Vielmehr wurde der Tod selbst in Krisenzeiten und damit Zeiten vermehrten Sterbens als einschneidend empfunden. Vgl. Benigna von K RUSENSTJERN : Seliges Sterben und böser Tod. Tod und Sterben in der Zeit des Dreißigjährigen Krieges, in: DIES ./ Hans M EDICK (Hg.): Zwischen Alltag und Katastrophe. Der Dreißigjährige Krieg aus der Nähe, Göttingen 1999, S. 469-496. 8 Nach wie vor eingängig: James A. S HARPE : „Last Dying Speeches“. Religion, Ideology and Public Execution in Seventeenth-Century England, in: Past & Present 107 (1985), S. 144-167; vgl. ferner: James M. B OYDEN : The Worst Death Becomes a Good Death. The Passion of Don Rodriguo Calderón, in: Bruce G ORDON / Peter M ARSHALL (Hg.): The Place of the Dead. Death and Remembrance in Late Medieval and Early Modern Europe, Cambridge 2000, S. 240-265; James R. F ARR : The Death of a Judge. Performance, Honor, and Legitimacy in Seventeenth-Century France, in: Journal of Modern History 75 (2003), S. 1-22. 9 Vanessa H ARDING : Burial on the Margin. Distance and Discrimination in Early Modern London, in: Margaret C OX (Hg.): Grave concerns. Death and burial in England 1700 to 1850, York 1998, S. 54-64. 143 Kästner Vereinzelte Beispiele belegen, dass die Strafandrohungen der Antiduellmandate auch umgesetzt wurden. Der preußische Unteroffizier Johann Müller wurde 1719 im brandenburgischen Teltow still am Rande der äußeren Kirchhofsmauer eingescharrt, nachdem er in einem Duell vom Feldscher seiner Kompanie mit dem Degen erstochen worden war. 10 Den Obrigkeiten war durchaus bewusst, dass die Durchsetzbarkeit einer rigiden Begräbnissanktionierung nach tödlichen Duellen latent gefährdet war. Deshalb wurden die Leichen mitunter bewacht, um gegebenenfalls die Begräbnisbestimmungen der Antiduellmandate durchsetzen zu können. Das half aber beispielsweise 1698 auf dem Territorium des Hamburger Domkapitels ebensowenig wie nach einem tödlich verlaufenen Duell in der Dresdner Heide 1715. Im ersten Fall wurde die Leiche wie selbstverständlich und scheinbar ohne Widerstand der Wachleute durch einen Obristen abgeholt; im zweiten Fall wurde die Leiche heimlich entwendet und begraben, bevor überhaupt die Personalien des Toten und der übrigen an dem Duell Beteiligten festgestellt werden konnten. 11 Neben solch spektakulärer Widersetzlichkeit stand Anverwandten oder Freunden das Mittel der Supplikation um Gnade offen, um ein drohendes schimpfliches Begräbnis zu verhindern. 12 Als eine Schnittstelle und, wie in diesem Beitrag zu zeigen ist, gleichsam als ein Medium der Vermittlung und Aushandlung der widerstreitenden normativen Handlungs- und Deutungsressourcen können Leichenpredigten auf im Duell Verstorbene verstanden werden. Zwar tauchen in der älteren und neueren Literatur einzelne Hinweise auf entsprechende Leichenpredigten auf. 13 Systematisch wurde diese Quellengattung 14 für 10 Gaby H UCH (Hg.): Die Teltowgraphie des Johann Christian Jeckel, Köln u. a. 1993, S. 379. Ich verdanke den Hinweis auf diesen Fall Franziska Neumann. 11 Claus Heinrich B ILL : Duellkultur des norddeutschen Adels. Zweikampfnorm und -topologie als Bestandteil adeliger Ehrauffassung 1580 bis 1945 (Teil 3), in: Nobilitas Folge 9 (1999), S. 456-473, hier S. 461- 462; SächsHStADresden, 10024, Loc. 9702/ 4 Acta Das in der Hayde ohnweit hier von Zweyen Chevaliers von der Guarde gehabte Duell und einer dabey beschehenen Entleibung betr. 1715; zu diesem Fall jetzt auch Ulrike Ludwig: Die verschwundene Leiche. Ein Duell in der Dresdner Heide und dessen Deutung, in: Dresdner Hefte 107 (2011), S. 52-59. 12 Bspw. SächsHStADresden, 10024, Loc. 9700/ 48 George Scheinfußes Entleibung im Duell, und deßen erhaltene öffent. Sepultur betr. 1678, Bl. 1-4. Zur Argumentation in Suppliken in gerichtlichen Verfahren wegen Totschlags nach Duellen siehe: C OLLSTEDT : Duellanten (Anm. 2), S. 207-256. Zur Konstruktion situationsbedingter Ausnahmefälle vom sonst christlichen Leben in Suppliken siehe: Ulrike L UDWIG : Das Herz der Justitia. Gestaltungspotentiale territorialer Herrschaft in der Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548-1648, Konstanz 2008, S. 182-187. 13 Bspw. Claus Heinrich B ILL : Duellkultur des norddeutschen Adels. Zweikampfnorm und -topologie als Bestandteil adeliger Ehrauffassung 1580 bis 1945 (Teil 2), in: Nobilitas Folge 8 (1999), S. 403-413, hier S. 409, Anm. 64 und 65. M OHR : Tod (Anm. 7), S. 146, Anm. 351. Zeitgenössisch schon: Michael F REUD : Antimonomaxia, Oder Gewissensfragen […], Frankfurt a. M. 1699 (zuerst 1680), Bl. d3 f. Für den vorliegenden Beitrag wurden systematisch 23 Leichenpredigten erhoben, die auf Opfer gewaltsamer Ehrenhändel gehalten und/ oder gedruckt wurden. Darüber hinaus wurde eine Vielzahl weiterer Leichenpredigten in die Überlegungen einbezogen, so bspw. auf im Krieg gefallene Offiziere, auf die hier nicht immer im Einzelnen verwiesen werden kann. 14 Zur Quellengattung Heike D ÜSELDER : [Art.] Leichenpredigt. 1. Inhaltliche und soziale Aspekte, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 7, Stuttgart 2008, Sp. 821-823; Eberhard W INKLER : [Art.] Leichenpredigt. 2. Theologische Aspekte, in: ebd., Sp. 823-825; aber auch schon Rudolf L ENZ : Leichenpredigten. Eine bislang vernachlässigte Quellengattung. Geschichte, Forschungsstand, methodologische Probleme, Bib- 144 Unzweifelhaft ein seliger Tod! die Duellforschung bislang aber nicht herangezogen. Die Darstellung des gewaltsamen Todes in Leichenpredigten kann überdies als Desiderat der Forschung gelten. 15 2. Die Sorge um das Seelenheil und die Unseligkeit des Duelltods Das Gravitationszentrum der Diskussionen in den hier untersuchten Leichenpredigten ist die in der Duellforschung und den Forschungen zum gewaltsamen Tod in der Vormoderne bislang wenig beachtete Sorge um Status und Seelenheil der getöteten Duellanten. Insofern es sich bei den Ehrenhändeln nicht um mehr oder weniger spontane Auseinandersetzungen gehandelt hatte, waren überdies sowohl eine an der ars moriendi und der Vorstellung eines guten, begleiteten Sterbens 16 geschulte Dramaturgie des Duelltods als auch die Vorbereitungen zum Duell Bestandteil der Schilderungen in den Personalia der Leichenpredigten. Daher dokumentieren die Leichenpredigten nicht nur die Sorge der Hinterbliebenen, für die der ‚unverhoffte’ Duelltod eines Mitglieds ihrer Gemeinschaft den ohnehin bestehenden ‚performativen Ernstfall‘ (Uwe Dörk) zusätzlich dramatisierte, weil der Status des Verstorbenen und seiner Familie im Begräbnisritual gegen moraltheologische und juristische Einsprüche ausgewiesen und verteidigt werden musste. Vielmehr dokumentieren einige Leichenpredigten auch die Sorge der Duellanten um ihr Seelenheil im Vorfeld der Duelle. Zu diesen Vorbereitungen könnte, wenngleich die Leichenpredigten dies aus naheliegenden Gründen nicht explizit erwähnen, auch das Hinzuziehen eines Seelsorgers gehört haben, wenn man bedenkt, wie rasch Geistliche nach schweren Verwundungen an Ort und Stelle waren oder wenn man sich die unablässige Kritik theologischer Autoren am Vollzug von Beichte und Abendmahl vor gewaltsam ausgetragenen Ehrenhändeln vor Augen hält. Ludolph Lorenz von Krosigk, kurbrandenburgischer Kriegsrat und Mitglied der ‚Fruchtbringenden Gesellschaft‘, hatte am Morgen vor dem Duell, in dem er 1674 erschossen wurde, erst fleissig gebethet, auch jede Pistol mit einer Kugel selbst geladen. 17 Der fürstlich-sächsisch-gothaische Kammerjunker Christian liographie, in: Archiv für Kulturgeschichte 56 (1974), S. 296-312; zur katholischen Leichenpredigt: Franz M. E YBL : Leichenpredigten, in: Josef P AUSER / Martin S CHEUTZ / Thomas W INKELBAUER (Hg.): Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.-18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch, Wien/ München 2004, S. 916-926. 15 Der Schwerpunkt der bisherigen Duellforschung liegt eindeutig auf sozial- und diskursgeschichtlichen Analysen des Duellaustrags. Vgl. zur Forschung die weiterführenden Literaturhinweise in der Einleitung dieses Bandes. Zum hier behandelten Thema bislang einzig: M OHR : Tod (Anm. 7), S. 146-194; ferner: Martin K ÜGLER : Der gewaltsame Tod. Görlitzer Leichenpredigten auf Mordopfer und Täter, in: Rudolf L ENZ (Hg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 4, Stuttgart 2004, S. 417-425. Einen Überblick über die aktuelle Forschung zum gewaltsamen Tod verschaffen die Beiträge in Historical Social Research/ Historische Sozialforschung 34, 4 (2009) [Themenheft/ Special Issue: Premature Death/ Vorzeitiger Tod]; Traverse 15, 2 (2008) [Themenheft: Der gewaltsame Tod in der Vormoderne]. Vgl. aber statt dessen Richard B ELL : The Double Guilt of Dueling. The Stain of Suicide in Anti-Dueling Rhetoric in the Early Republic, in: Journal of the Early Republic 29 (2009), S. 383-410, hier bspw. 397 f. 16 Anstatt vieler: Heike D ÜSELDER : [Art.] Ars moriendi, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 1, Stuttgart 2005, Sp. 678-681. 17 Daniel M ÜLLER : Kurtzer Trauer=Sermon […] Köthen 1674, Bl. Hii r. 145 Kästner Friedrich Carl Bose fastete nach Auskunft seiner Leichenpredigt vor dem Duell einen Tag lang, besorgte sich noch rasch ein Gebetbuch und betete. Zwei Stunden vor seinem Tod verfasste er zudem für den Fall seines Ablebens einen an seine Familie adressierten Trostbrief. 18 Auch über die Vorbereitungen von Boses Duellgegner erfahren wir etwas aus der Leichenpredigt. Boses Gegner, den die Leichenpredigt als professionellen Duellanten schildert, hatte nicht nur das Feuer eröffnet, bevor Bose die zum Duell auf Pistolen erforderliche Position einnehmen konnte, sondern sich auch magischer Mittel bedient, um den Erfolg zu gewährleisten. Hierzu hatte dieser seine Pistolenkugel in ein Blatt Papier eingewickelt, auf dem ein Trauergedicht stand, welches die Würckung haben solte, daß die Kugel, so darein gewickelt würde, treffen und tödlich verwunden solte. 19 Trotz oder gerade wegen derartiger Vorbereitungen war das Seelenheil der Duellanten bedroht. Beispielhaft illustriert dies der dramaturgische Höhepunkt der 1670 unter dem Pseudonym Friedlieb Ireneäus Pomeranus publizierten Duell-Tragaedi: Ich habe meinen Theil. Ade J[ungfer] Lisigen zu tausend guter Nacht, 20 seufzt ein Edelmann, nachdem ihn sein Duellgegner tödlich traf. Ungünstig nur, dass dieser unverhofft jähe Abschied vom Leben und der Welt nicht den gebotenen Normen eines guten Todes entsprach und der sterbende Edelmann im finalen Moment 21 auch noch seiner Angebeteten gedachte, anstatt sich im Glauben allein seinem Schöpfer zuzuwenden. Der elende Tod des Edelmanns erschüttert dessen Duellgegner unmittelbar, der daraufhin verzweifelt: Du verfluchter Degen hast meines Nechsten und MitChristen Blut vergossen. Diese erste schwere Sünde verursacht sogleich die zweite: du solst meines auch vergiessen. Hiermit steche ich dich in mein verfluchtes Hertz, spricht der Student, sticht zu und stirbt. In diesem Tod, so will es die Moral des Textes, werden die Seelen der Duellgegner wieder vereint. Der Teufel nimmt beide mit sich. Nach zeitgenössischer Auffassung galt der Edelmann, der im Duell leichtfertig und vorsätzlich sein Leben aufs Spiel gesetzt und verloren hatte, als ‚subtiler Selbstmörder‘. Sein Duellgegner, der sich den eigenen Degen ins Herz ge- 18 Johann August O LEARIUS : Der glückseelige Zustand der Gerechten im ewigen Leben nach dem Tode […]. Erfurt 1717, S. 55. 19 Ebd., Anhang Bl. 5. Vgl. zum magischen Gebrauch von Alltagsgegenständen in Waffengängen: Nikolas F UNKE : ‚Naturali legitimâque Magica’ oder ‚Teufflische Zauberey’? Das ‚Festmachen’ im Militär des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 13 (2009), S. 16-32; Ulrike L UDWIG : Der Zauber des Tötens. Waffenmagie im frühneuzeitlichen Militär, in: ebd., S. 33-49. 20 Friedlieb Irenaeus P OMERANUS : Duell-Tragaedi/ was von Außsfodern [sic! ] und Balgen zu halten sey […], Leipzig 1670, S. 47. Mit dem Pseudonym Friedlieb Irenäus Pomeranus inszenierte sich der Autor als Botschafter des göttlichen Friedenswillens, der in der Streitschrift durch die Friedensgöttin Irene und einen Prediger verkörpert wird. Als deren Antagonisten führt das Exordium den Teufel Belial, wie im Übrigen auch schon in Zächäus Fabers ‚Antimonomachia‘ von 1625, und die Kriegsgöttin Bellona bzw. die Göttin der Zwietracht Eris ein. Allzu bereitwillig folgen im Text ein Edelmann und ein Student, als Vertreter der zentralen Trägergruppen des Duells, den Einflüsterungen des Teufels, der beide in ihrer Ehrmanie bestärkt und so in den tödlichen Zweikampf treibt. 21 Zum finalen Moment des Todes als funktionalem Äquivalent und diesseitiger Verdichtung des jüngsten Gerichts siehe: Richard W UNDERLI / Gerald B ROCE : The Final Moment before Death in Early Modern England, in: The Sixteenth Century Journal 20 (1989), S. 259-275. 146 Unzweifelhaft ein seliger Tod! rammt hatte, galt als verzweifelter und damit vorsätzlicher und ‚ruchloser Selbstmörder’, der unehrenhaft zu verscharren war. 22 Die moraltheologisch aufgeladene Antiduelldebatte verortete private Gewalthandlungen gegen Christen innerhalb des schreckenerfüllenden Kampfes zwischen Gut und Böse, Gott und Teufel. 23 Auch Pomeranus’ Duell-Tragaedi ist Teil dieser Debatte, in der die christliche Morallehre gegen eine fehlgeleitete und verderbliche, weltliche Ehrsucht verteidigt wurde. Pomeranus wollte seine Leser über die dramatischen Folgen eines Duells für Leib und Seele belehren und zur Reflexion ermahnen. In der Todesszene wird die emotionale Erregung des Lesers durch die ‚exclamationes‘ der todeswilligen und sterbenden Protagonisten sowie durch das Frohlocken des Teufels gesteigert, der beide Seelen mit sich führt. Die ‚peroratio‘ legt durch das rhetorische Mittel der wiederholten Anrufungen Gottes (‚invocationes’) und flehentlichen Bitten (‚obsecrationes’) nahe, dass allein eine demütige Glaubenshaltung den jähen und bösen Tod der beiden Duellanten hätte verhindern können - gleichsam das geistige Heilmittel gegen die weltliche Duellsucht. Weitere Antiduellschriften und Bußpredigten, in denen der Tod von Duellanten als ein Tod in Sünde beschrieben wurde, waren für die Debatte wichtig. Zu nennen sind hier exemplarisch eine Bußpredigt des Torgauer Pastors und späteren kursächsischen Hofpredigers Johann Andreas Gleich (1666-1734) über die Unchristlichkeit der Selbstrache und den Sündenfall des Duells; 24 ferner eine zunächst dreiteilige, später dann zu sechs Teilen erweiterte gedruckte Predigtreihe über die Unchristlichkeit und Unvernunfft des Duellirens, die der Rektor der Frankfurter Viadrina, Samuel Strimesius (1648-1730), verfasste. In dieser perhorreszierte Strimesius das Duell noch vor dem ‚freventlichen Selbstmord’ als schrecklichste Mörderei überhaupt, weil der Duellant sich in seiner künstlichen Befleißigung zu tödten nicht nur an der göttlichen und obrigkeitlichen Strafgewalt, sondern auch an sich selbst und seinem Duellopfer vergehe und versündige. 25 Vergleichbare Aussagen finden sich auch an entlegeneren Stellen: Ist nun aber das Duelliren eine unchristliche Sache […,] so irre ich wohl in meinem Urtheil nicht, wenn 22 Walchs Philosophisches Lexikon fasste die juristische Literatur zusammen, die das Duell als Form des sogenannten ‚subtilen Selbstmords’ verhandelte und damit als ein Verbrechen, bei dem ein Mensch den eigenen Tod zwar nicht an sich beabsichtigt, sein Leben aber dennoch durch eigene Überlegung wissentlich und wollend oder aber unüberlegt so anlegt, dass seine Vernichtung notwendigerweise unmittelbare Folge seines Handelns sein musste, wie bspw. Christian R ÖHRENSEE (Praes.)/ Johann Erdmann B IECK (Resp.): Ex doctrina morum autocheiria subtil. annuente divina clementia, Wittenberg 1702, Bl. A3 r argumentieren: § VII. Subtilis avtochiria est crimen, quo homo mortem qvidem per se non intendit, vitae tamen suae rationem sciens ac volens aut temerarie ita institutur, ut interitus necessario subseqvatur (kursiv i. O.); vgl. O. A.: [Art.] Selbst=Mord, in: Johann Georg W ALCH (Hg.): Philosophisches Lexicon […], Leipzig 1726, Sp. 2351-2361, hier Sp. 2358; dies wurde übernommen in: O. A.: [Art.] Selbst=Mord, in: Johann Heinrich Z EDLER (Hg.): Grosses vollständiges Universal=Lexicon aller Wissenschafften und Künste […], Bd. 36, Leipzig/ Halle 1734, Sp. 1595-1614, hier Sp. 1600 f. 23 C OLLSTEDT : Duellanten (Anm. 2), S. 148. 24 Johann Andreas G LEICH : Der klägliche und erbärmliche Fall eines Unfruchtbaren Baumes […], Torgau 1694. 25 Samuel S TRIMESIUS : Die Unchristlichkeit und Unvernunfft des Duellirens. In Dreyen Predigten […], Frankfurt a. d. Oder 1681; DERS .: Die Unchristlichkeit und Unvernunfft des Duellirens […]. Jn sechs Predigten, Frankfurt a. d. Oder 1689, insbes. S. 35-72, Zitate auf S. 7 und 47. 147 Kästner ich des bewusten Duellanten Todt einen recht unchristlichen und unseeligen nenne, 26 urteilte beispielsweise Carl Samuel Senff (1666-1729), Pastor im sächsischen Stolpen. Senff verglich 1694 in einer Parentation den seligen Tod eines ehrbaren Gemeindemitglieds mit dem jähen und gewaltsamen Tod, den ein nicht genannter Duellant zur gleichen Zeit vor den Toren der Stadt Stolpen ereilt haben soll. Für diese zeitgenössische Diskussion sind überdies Kompilationen unterschiedlicher Texte (beispielsweise Consilien und exemplarische Predigtsammlungen, 27 Bußpredigten, 28 Traktate und Strafgesetze) gegen den privaten Zweikampf von Bedeutung, grundlegend etwa aus der Feder des Chemnitzer Superintendenten Zachäus Faber d. J. (1583-1632) oder des Wismarer Pastors Michael Freud (1621-1692). 29 Diese Kompilationen bündelten für die Zeitgenossen heterogene Texte und konstruierten zugleich so etwas wie einen Kanon der (Anti-)Duelldebatten. Der Tod im Duell wurde zum unehrenhaften Tod in Sünde erklärt und nicht selten mit einem ‚Selbstmord‘ und damit mit einer Tat verglichen, die gemeinhin als verabscheuungswürdigste Gottlosigkeit überhaupt galt. 30 Späte Ausläufer dieser Antiduelldebatte lassen sich für die Vereinigten Staaten von Amerika beobachten, wo sich nach dem tödlichen Duell zwischen Alexander Hamilton und Aaron Burr im Juli 1804 eine starke und einflussreiche Antiduellbewegung organisierte, welche die aus der europäischen Diskussion bekannten Argumente in neuem Gewand vortrug, um die moralischen Werte der noch jungen Republik zu verteidigen. Der amerikanische Historiker Richard Bell hat darauf hingewiesen, dass das Suizid-Argument dieser Debatte den Graben zwischen den Moralvorstellungen der Duellbefürworter und der Duellgegner verdeutliche und mithin wichtig war, um diesen Graben argumentativ überbrücken zu können. 31 3. Die Konstruktion des seligen Todes von Duellanten in Leichenpredigten Mit dieser in der Publizistik hegemonialen Deutung setzten sich Leichenpredigten auseinander, die auf Personen gehalten wurden, welche bei privaten gewaltsamen Auseinandersetzungen ums Leben gekommen waren. Einige gemeinsame Elemente der Zuschreibung und Deutung waren über den engen Rahmen der Bezeichnung einer gewaltsamen Auseinandersetzung als Duell hinaus anschlussfähig, denn im 17. Jahrhundert 26 Carl Samuel S ENFF : Erster Theil Stolpischer Cypressen […], Leipzig 1699, S. 308. 27 Mindestens für Kursachsen bedeutsam: Abraham C ALOV u. a.: Consilia Theologica Witebergensia […], Frankfurt a. M. 1664, S. 117 a-b und 121 a-124 b. Zu dieser Sammlung siehe Udo S TRÄTER : Wittenberger Responsen zur Zeit der Orthodoxie. Eine Quelle zur Fakultätsgeschichte, in: Stefan O EHMIG (Hg.): 700 Jahre Wittenberg. Stadt-Universität-Reformation, Weimar 1994, S. 289-302. Als ein umfassendes Beispiel einer Predigtsammlung, die auch die in den Consiliensammlungen kanonisierten Texte erneut abdruckt und deren Geltung so fortschreibt, kann Nicolaus H AAS : Der allezeit fertige Geistliche Redner […], Leipzig 1701, hier insbes. S. 789-919 gelten. 28 Bspw. Johann S CHMIT : Mordspiegel […], Rostock 1644; Michael S IRCK : Warnungs Predigt […], Lübeck o. J. (um 1680, zuerst 1645). 29 Zachäus F ABER : Antimonomachia. Das ist: Was von dem mörderischen provociren, Außfordern, Balgen, Stechen und Kugelwechseln […] zu halten? […], Leipzig 1625; F REUD : Antimonomaxia (Anm. 13). 30 So auch schon C OLLSTEDT : Duellanten (Anm. 2), S. 127-129; einführend zur Geschichte der Selbsttötung in der Frühen Neuzeit: Alexander K ÄSTNER : [Art.] Selbsttötung, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 11, Stuttgart 2010, Sp. 1072-1075. 31 B ELL : Double Guilt (Anm. 15). 148 Unzweifelhaft ein seliger Tod! konnten vergleichbare Auseinandersetzungen noch mit unterschiedlichen Begriffen umschrieben werden. Erst nach und nach differenzierte sich die Zuschreibung gewaltsamer Händel als Duell aus. 32 Im Weiteren sind einige Elemente der Komposition guten Sterbens und eines seligen Todes in Leichenpredigten auf Opfer in gewaltsam ausgetragenen Ehrenhändeln genauer zu untersuchen: Erstens, der christliche Lebenswandel des Verstorbenen und die häufig unklaren Ursachen der gewalttätigen Auseinandersetzungen. Zweitens, die Bestandteile der Dramaturgie eines verzögert eintretenden gewaltsamen Todes. Hierzu zählten zentral das Vergeben der Schuld des Duellgegners, das christozentrische Glaubensbekenntnis des Sterbenden, die bereitwillige und geduldige Annahme des Todes sowie die Rolle des toten Körpers als Mittel der Beglaubigung. a. Der christliche Lebenswandel und die häufig unklaren Ursachen der gewalttätigen Auseinandersetzungen Das Grundelement der Schilderung in den untersuchten Leichenpredigten bildete, gemäß dem Augustinuswort mala mors putanda non est, quam bona vita praecesserit, 33 der christliche Lebenswandel der Verstorbenen. Christlichkeit und Frömmigkeit des Lebenswandels waren positives Rollenmodell und Voraussetzung, um die Dramaturgie des Sterbens an die ars moriendi anlehnen und die Charakteristika von Leben und Sterben in Einklang bringen zu können. 34 Dieser generalisierbare Befund verwundert vor dem Hintergrund der gebräuchlichen Rhetorik und Argumentation in Leichenpredigten wenig und soll hier auch nicht detaillreich illustriert werden. Im Grundsatz unterschieden sich Leichenpredigten auf Opfer gewaltsamer Händel hierin nicht. In jähen Todesfällen war es aber dringlicher, den Schrecken eines latent unseligen Todes im Duell durch die Erklärung einzuhegen, ein ehrbarer Christ könne nicht unselig sterben - und ob der Verstorbene ein ehrbarer Christ gewesen war, war entweder klar oder doch zumindest verhandelbar. Entsprechende Argumente bildeten ein funktionales Äquivalent zu den Narrativen in Suppliken verurteilter Duellanten. Die Erzählung vom christlichen Lebenswandel strich die Friedfertigkeit der Verstorbenen heraus und behauptete innerhalb eines moraltheologisch wie strafrechtlich relevanten Schuldursachendiskurses deren Unschuld. Die Darstellung christlichen Wohlverhaltens in den Leichenpredigten erklärte, dass der Tote zu Lebzeiten religiös-normativen Ansprüchen entsprochen hatte, kennzeichnete diesen als gläubigen und rechtschaffenen Untertanen und griff dem Todesmoment vor, in dem sich dann ein letztes Mal erwies, dass der Duellant christlichen Lebensprinzipien treu geblieben war. Gleichwohl musste die Argumentation hier 32 Siehe hierzu und zur Forschung den Beitrag von Ulrike L UDWIG in diesem Band. 33 De civitate Dei, I.11. 34 Indirekt wurde so auch angedeutet, dass ein Verhalten im Angesicht des Todes eventuell als Heuchelei entlarvt werden konnte. Auf die Frage, ob die Leichenpredigten auf Duellanten eventuell Lügenpredigten gewesen sind (M OHR : Tod (Anm. 7), S. 148-152), ist hier nicht näher einzugehen, denn es interessiert allein die narrative Verarbeitung des Duelltods. 149 Kästner bisweilen - und mitunter durch finanzielle Anreize motiviert - 35 arg strapaziert werden. In der 1614 vom Mecklenburger Herzog persönlich initiierten Leichenpredigt auf seinen Geheimen Rat Tessen von Parsow ging dies sogar so weit, dass der gepriesene christliche Lebenswandel des Verstorbenen hinreichende Indizien dafür liefern konnte, dass von Parsow vielleicht doch kein Calvinist und ‚Sakramentierer’ gewesen sei, wie allgemein vermutet und von demselben auch bekannt. 36 Weitere Beispiele finden sich etwa in der Leichenpredigt auf Daniel Schütze, Handwerker und Sohn eines Mühlhausener Bürgermeisters, der in einem Streit während eines Hochzeitsfestes niedergestochen wurde, sowie in der Leichenpredigt auf Philip Adolff von Münchhausen auf Leitzkaw, der 1641 ebenfalls auf einer Hochzeit mit einem anderen Adligen in Streit geriet und niedergestochen wurde. In beiden Fällen erklärten die Leichenprediger die Seligkeit der Verstorbenen allein aus deren vorherigen christlichen Lebenswandel. 37 Misslicher Umstand für die Leichenprediger war nun aber im Fall gewaltsamer Ehrenhändel, dass es überhaupt zu einem gottvergessenen privaten Zweikampf gekommen war. Einige Leichenprediger umschifften dieses Hindernis, indem sie sich kaum oder überhaupt nicht zu den Umständen des Vorfalls äußerten, der häufig auch einfach als tragischer Unglücksfall bezeichnet wurde. In der Leichenpredigt auf Hans von Selwitz, Student der Jenaer Salana, wird lediglich erwähnt, dass von Selwitz in einem ‚rechtlichen Tumult‘ sein Leben gelassen hatte. 38 Der Altendreßdner Pfarrer Johann Samuel Zimmermann (1626-1681), der 1668 über den Duelltod des Kammerjagdpagen Günther predigte, verwies lapidar darauf, dass ohnehin alle Anwesenden über den Vorfall informiert wären. 39 Zimmermann hatte mit einigen besonderen Umständen zu kämpfen: Erst 1665 war in Kursachsen die Antiduellgesetzgebung eingeschärft worden. Als in einem verpönten Ehrenhändel Getöteter hätte Günther eigentlich in keine Kirche, noch auf dem Kirch=Hof oder Gottes=Acker geleget [werden dürfen], sondern [hätte] ohne Klang und Gesang, und einiger Ceremonien begraben werden müssen. 40 Kurfürst Johann Georg II. (reg. 1656-1680) war vom Tod seines 35 Gert-Rüdiger K ORETZKI : Leichenpredigten und ihre Druckherstellung. Ein Beitrag zur Untersuchung der materiellen Voraussetzungen einer gesellschaftlichen Modeerscheinung, in: Rudolf L ENZ (Hg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 2, Marburg 1979, S. 333-359. 36 Lukas B ACKMEISTER : Leichpredigt […], Rostock 1614, Bl. F r. 37 Johannes K EHR : Christliche Leichpredigt […], Rinteln 1641; Liborius G ALLUS : Erörterung Zweyer Hochnotigen und nützlichen Fragen, Erfurt 1615, insbes. Bl. D r f. Gallus ergänzte (ebd., Bl. Eiii v), dass man auf diese Weise auch Selbsttötungen bußfertiger Christen bewerten würde, womit er an das zentrale wenngleich prekäre Argument von Leichenpredigten auf Opfer zweifelhafter Unfälle anschloss. Exemplarisch: Christoph M ÜLLER : Sonderbare Aspectus oder Anblick […], Jena 1634; vgl. allgemein: Alexander K ÄSTNER : Experten für ein gutes Leben. Zur Rolle von lutherischen Pfarrern in Untersuchungsverfahren nach Selbsttötungen (Kursachsen 1700-1815), in: DERS ./ Sylvia K ESPER -B IERMANN (Hg.): Experten und Expertenwissen in der Strafjustiz von der Frühen Neuzeit bis zur Moderne, Leipzig 2008, S. 85-98. 38 David V OIT : Eine Predigt Vber der Leiche […], Jena 1581. 39 Johann Samuel Z IMMERMANN : Lebendig=machender Trost Höchst=bekümmerter Hertzen […], Dresden 1668, Bl. F3 v f. 40 Zwey Mandata Churf. Johann Georgens des II. zu Sachsen wider die Injurien und Duelle, den 19. Julii und 20. Sept. Anno 1665, in: Johann Christian L ÜNIG : Codex Augusteus, oder Neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici […], Leipzig 1724, Sp. 1621-1628, Zitat Sp. 1624. 150 Unzweifelhaft ein seliger Tod! Kammerjagdpagen Günther indes so betroffen gewesen, dass er persönlich intervenierte und eine ehrliche Beisetzung erlaubte. Damit durfte Zimmermann zwar eine Leichenpredigt halten, aber auf keinen Fall das Verhalten Günthers gegen die Bestimmungen geltender Landesgesetze rechtfertigen. Hinzu kam, dass sich erst kurz zuvor der Dresdner Oberhofprediger Martin Geier (1614-1680) in einem Gutachten dagegen ausgesprochen hatte, es zu erlauben, Streitigkeiten mit Hilfe von Duellen auszutragen, welche er in seinem Gutachten im Einklang mit der moraltheologischen Publizistik als eine schwere Sünde und verpönte Straftat charakterisierte. 41 In der zeitgenössisch häufig zitierten Leichenpredigt auf Tessen von Parsow, die Lukas Backmeister (1570-1638), Superintendent im Mecklenburgischen Güstrow, 1614 hielt, zeigt sich eine ähnliche Szenerie. Herzog Johann Albrecht II. von Mecklenburg (reg. 1611-1628, 1632-1638) war bei der Predigt sogar persönlich anwesend gewesen. Er hatte diese und deren Druck unter anderem befördert, indem er persönlich bezeugt hatte, von Parsow habe legitimerweise auf eine Ausforderung reagiert, die seine Ehre erheblich geschmäht hätte. Über die Ausforderung und deren Hintergründe erfahren wir allerdings nichts. Backmeister schrieb lediglich, dieses gehöret nicht an diesen orth. 42 Auch im Titel verzichtete Backmeister auf Anspielungen zum Tod von Parsows, was umso auffälliger ist, als viele Titel bereits die Seligkeit der Verstorbenen und die Ruchlosigkeit ihrer Ermordung vorwegnehmen. Der Druck der Leichenpredigt ist wohl im Zusammenhang mit den Bemühungen der Mecklenburger und Pommernherzöge zu sehen, zu Beginn des 17. Jahrhunderts Antiduellgesetze zu implementieren. 43 Backmeister agierte hier wohl als ‚Sprecher’ des Herzogs und forderte nicht nur, Duellvergehen unnachgiebig zu strafen, sondern sprach der Obrigkeit in diesen Fällen sogar das landesherrliche Gnadenrecht ab. Der Landesherr müsse als Wahrer der göttlich gewollten Ordnung auf Erden die Blutschuld, die durch ein tödliches Duell auf dem Land laste, durch das Blut des Mörders begleichen, um den Zorn Gottes, der sonst das gesamte Land treffen könne, abzuwenden. Im Anhang wurden dieser Leichenpredigt weder Epicedien noch Carmina beigegeben, dafür aber ein Auszug aus dem Antiduell-Mandat des französischen Königs Heinrichs IV. (reg. 1594-1610), auf das in den Verhandlungen auf dem Pommerschen Landtag von 1616 Bezug genommen wurde und das in mehreren Ausgaben übersetzt im Druck vorlag. Auch Martin Hammer (1560-1626), Schönburgischer Superintendent in Glauchau, äußerte sich über die genauen Umstände der Ausforderung und Auseinandersetzung nicht, bei der Wolff Dietrich von Dobeneck 1606 sein Leben ließ. Streitauslöser war ein Umtrunk und Hammer schloss hieran eine generelle Kritik an der sittlichen Verwahrlosung des Adels an. 44 Immerhin erwähnte Hammer überhaupt, dass es sich um 41 Das Gutachten Geiers in: SächsHStADresden, 10024, Loc. 9992/ 7 Acta das Duell-Mandat und Das Duelliren betreffend 1665-1706, o. Pag. 42 B ACKMEISTER : Leichpredigt (Anm. 36), Bl. F v. 43 Hierzu und zum Folgenden Anm. 2 bei: Ulrike L UDWIG : Das Recht als Medium des Transfers, in diesem Band. 44 Martin H AMMER : Abner Transfossus. Trawriger Leichs=Sermon […], Leipzig 1609, Bl. F4 v. Die zeitgenössische Kritik am Adel, dem insgesamt mangelnde Religiosität und untugendhaftes Verhalten vorgehal- 151 Kästner ein Duell gehandelt hatte. Als er einige Jahre später eine Leichenpredigt auf Ott Wilhelm von Schönburg hielt, der unglücklicherweise in seiner Funktion als Schiedsmann von seinem eigenen Bruder getötet wurde, fehlte der Hinweis auf das Duell des Bruders in der Leichenpredigt. 45 Der Leichenprediger auf Liborius von Löben auf Döbernitz, der von einem Vetter erstochen wurde, war wiederum so auffällig bemüht zu behaupten, dass von Löben auf keinen Fall trunksüchtig gewesen sei, dass allein schon deswegen die Vermutung nahe liegt, auch in diesem Fall könnte Alkohol den tödlich endenden Streit mit dem Verwandten befördert haben. 46 Entsprechende Einlassungen finden sich häufig und waren für die Charakterisierung von Vertretern des Adels bzw. obrigkeitlicher Amtsträger von enormer Bedeutung. Immerhin betonten zeitgenössische Kommentatoren des Rechts und der Moral eine unheilvolle Kausalbeziehung zwischen (übermäßigem) Alkoholkonsum und Gewaltverbrechen. Mitglieder der Funktions- und Herrschaftseliten durften daher in der publizistischen Öffentlichkeit umso weniger trunken erscheinen, als ihr nüchterner Zustand die Legitimität und gute Ordnung des ständischen Gemeinwesens verbürgte. Mit anderen Worten drohte das Bild des alkoholisiert gewalttätigen Adligen oder Amtsträgers die sozialen, politischen und religiösen Konzeptionen von Herrschaft, Stand, Autorität und Hierarchie zu unterminieren. 47 Im Entwurf eines vorbildlichen Rollenmodels war Derartiges auszusparen. Alternativ sprachen einige Leichenprediger die Duellgegner zweifelsfrei schuldig. Der Tod Cuno von Hahns (1646) war nach Auskunft der Leichensowie einer Gedächtnispredigt Folge einer unrechtmäßigen Nötigung zum Duell gewesen: 48 Beide Predigten geben an, dass der selige Junker am Rande eines Landtags in Halle durch eine Gruppe Magdeburger Hofjunker ohne einige rechtmässige ursache zu einem Duel genötiget 49 worden sei. Auch der gothaische Kammerjunker Bose war zu dem für ihn tödlichen Duell genötigt worden, das er ausweislich seiner Leichenpredigt bis zum letzten Moment nicht austragen wollte, ja sich sogar öffentlich bei seinem Duellgegner, ohne dass es dafür einen gerechtfertigten Anlass gegeben hätte, entschuldigt haben soll. 50 Da die Bewertung des Todes stets den Grad der Freiwilligkeit und/ oder des Vorsatzes zum Duell berücksichtigte, waren solche Angaben wichtig. Bose war zudem, wie schon erwähnt, das arglose Opfer des unehrenhaften Verhaltens seines Kontrahenten und hatte sich bis zuletzt um eine friedliche Lösung bemüht. Sein Vertrauen auf die Ehrenhaftigkeit seines Gegners hatte ihm einen schmählichen Tod ten wurde, findet sich auch schon in früheren Leichenpredigten, bspw. B ACKMEISTER : Leichpredigt (Anm. 36), Bl. E r-Eii v. 45 Martin H AMMER : Threni Threnorum […], Leipzig 1618, Bl. Jiiii v. 46 Paul F END : Leichpredigt […], Frankfurt a. d. Oder 1602. 47 Dana R ABIN : Drunkeness and Responsibility for Crime in the Eighteenth Century, in: The Journal of British Studies 44 (2005), S. 457-477, hier S. 459 u. 463. 48 Heinrich T ILEKING : Dolosa ac Tristis […], Leipzig 1646; Balthasar Wilde: Homicidium Dolosum […], Leipzig 1646. 49 Ebd., Bl. Eii r. 50 O LEARIUS : Zustand (Anm. 18), S. 55. Vgl. auch: Adam F US : Des gerechten Habels jämmerliche Entleibung […], Leipzig 1628, Bl. Aiiii v. 152 Unzweifelhaft ein seliger Tod! bereitet. ‚Ehrvergessene‘ Mordgeschichten - zur ‚illustratio‘ diente sehr häufig der Mord Joabs an Abner im zweiten Buch Samuel (2. Sam. 3.27) - präsentieren uns auch weitere Leichenpredigten, so beispielsweise die auf Barthold von Bülow d. J. Dieser hatte sich 1620 im mecklenburgischen Boizenburg ein Duell auf Degen mit seinem Vetter Baltzer von Zülow geliefert, in dessen Verlauf er den von Zülow niederstreckte, aber nicht erstach. Im Moment der Niederlage von Zülows sprang dessen Bruder heran, warf von Bülow nieder und erstach den am Boden liegenden und wehrlosen von Bülow auf äußerst unehrenhafte Weise. 51 Solche Mordgeschichten reihten sich in eine Vielzahl ähnlicher Schilderungen ‚ehrvergessener Schlägereien, Balgereien und Morde‘ ein, die auch zeigen, dass sich Konflikte mitunter so dynamisch entwickelten, dass eine Gruppe auf einen Einzelnen losging und diesen erschlug bzw. erstach. 52 Daneben ist in wenigen Fällen erkennbar, dass die Leichenprediger die soziale Norm, die eigene Ehre gegen erlittene Schmähung verteidigen zu müssen, nicht in Abrede stellten. Hierbei ließ sich durchaus an militärständisch geprägte Männlichkeitsvorstellungen anschließen, die aus Leichenpredigten auf Adlige bekannt waren. 53 Auch der Umstand, dass je nach Stand und Person im Lebenslauf der Leichenpredigt vom Militärdienst berichtet wurde, widersprach nicht der Behauptung, bei den Verstorbenen habe es sich um grundsätzlich friedfertige Männer gehandelt. Schließlich war der rechtschaffene Dienst im Militär legitimer christlicher Obrigkeiten ein ehrenhaftes Amt und der rechtmäßige Einsatz von Gewalt im Krieg zu unterscheiden von privaten Gewalthändeln, die in die Herrschaftsgewalt eben dieser Obrigkeiten eingriffen. b. Die Dramaturgie eines verzögert eintretenden gewaltsamen Todes In der Dramaturgie der gewaltsamen Todesfälle galt es als ein Zeichen der Gnade Gottes gegenüber rechtschaffenen und bußfertigen Christen, dass der Tod verzögert eintrat. Diese Verzögerung erlaubte es, einige Elemente der ars moriendi in die Leichenpredigten einzuflechten. Zentrales Element war hierbei unverkennbar das christliche Glaubensbekenntnis. Wichtiger Bezugspunkt entsprechender Textstellen der Leichenpredigten war die Offenbarung des Johannes, wo es in 14.13 heißt: Selig sind die Toten, die in dem Herrn sterben von nun an. 54 Die knappe Schilderung der Todesszene in der Lei- 51 Matthias H ÖVISCH : Exequiae Bulovianae […], Rostock 1621, S. 46. Diese Leichenpredigt lässt sich gut vergleichen mit Hövischs Leichenpredigt auf von Bülows älteren Bruder, der ebenfalls 1621 verstarb; Matthias H ÖVISCH : Adelicher Ehrenpreiß […], Rostock 1621. 52 Friedrich B ALDUIN : Christlicher Unterricht Vom Balgen […], Wittenberg 1620; David M EDER : Christliche Leichpredigt […], Leipzig 1613; Albinus S EYFRIED : Christi et Christianorum in Casibus Tragicis Judicium […], Chemnitz 1663. Von Kameraden im Militär wurde 1682 Bernhard Friedrich von Buttlar auf Herleshof hinterrücks nachts ermordet; Johann Georg M OLTER : Christliche Leich- und Trost-Predigt […], Nürnberg 1682. 53 Auf die vor allem standesabhängige Konstruktion von Männlichkeitsbildern in Leichenpredigten verweist: Heike T ALKENBERGER : Konstruktion von Männerrollen in württembergischen Leichenpredigten des 16.-18. Jahrhunderts, in: Martin D INGES (Hg.): Hausväter, Priester, Kastraten. Zur Konstruktion von Männlichkeit in Spätmittelalter und Früher Neuzeit, Göttingen 1998, S. 29-74. 54 Allerdings nutzten nicht alle Prediger diese Option der Argumentation: bspw. Friedrich B ALDUIN : Christlicher Leichsermon […], Wittenberg 1614, der den Tod Albrechts von Leipzig auf Gaditz schildert, der 1614 während einer Musterung mit einem anderen Adligen in Streit geraten war. 153 Kästner chenpredigt auf Tessen von Parsow ist hierfür musterhaft: Von Parsow soll seinem Gegner unmittelbar nach dem tödlichen Stich vergeben haben, Anwesende bezeugten sein Sündenbekenntnis und seinen Trost in Jesus Christus. Unter andächtigem Gebet seiner Familie legte er ein letztes Bekenntnis seines Glaubens ab, versöhnte sich mit der Welt und starb. 55 Auch die Schilderung des Duelltods des kursächsischen Kammerjagdpagen Günther erweckt den Eindruck, dieser habe gleichsam im Moment des tödlichen Stoßes, die Klinge noch im Leib, seinem Duellgegner vergeben und wäre mit zum Gebet gefalteten Händen zusammengesunken. 56 Die Reihenfolge der Elemente der Sterbensdramaturgie in dieser Leichenpredigt lässt ebenso wie in der auf Tessen von Parsow erkennen, welchen Wert die Prediger auf die Feststellung legten, dass dem Duellgegner vergeben worden war. Aufgrund der unterschiedlichen Umstände der Duelle, wurde die Vergebung der Schuld des Duellgegners in den Leichenpredigten verschieden gewichtet. Wurde der Tod im Duell als Mord bzw. das Duell selbst als aufgezwungen dargestellt, entfiel sie. 57 In den Fällen, in denen das Duell von den Predigern als notwendige Konsequenz ehrenvollen militärständischen Handelns vorgestellt wurde, wies die Schuldvergebung den Ehrenstand der Sterbenden aus. Diese aufrichtige Geste der Versöhnung mit der Welt - das Ablegen der Rachgier 58 - war Voraussetzung der göttlichen Sündenvergebung. Dass die realen Duellsituationen Brechungen dieser Norm aufwiesen, belegt der Umstand, dass ein sterbender anhaltinischer Leutnant 1632 ausweislich der auf ihn gehaltenen Leichenpredigt nachdrücklich zur Vergebung der Schuld seines Gegners aufgefordert werden musste. 59 Mit Abstand am ausführlichsten beschreibt die Leichenpredigt auf Ludolph Lorenz von Krosigk, die aufgrund seines Status ohnehin sehr prächtig ausgeschmückt wurde, die Ereignisse unmittelbar nach der tödlichen Verwundung im Duell: Von Krosigk wurde gleich nach dem ersten abgefeuerten Schuss mit drey Kugeln, die alle in den Unter=Leib gegangen, keine aber durchgedrungen sondern im Leib stecken blieben, von seinen Gegentheil tödtlich verletzet. 60 Von Krosigk wollte daraufhin schmerzdurchdrungen das Duell abbrechen: Er gesagt, Jch habe genug und sich sofort zu Gott gewendet und denselben seinen Geist befohlen, auch gen Himmel sehende die Wort Ach HERR JESU gesprochen. 61 Anstatt also wie Günther zuerst seinem Gegner zu vergeben, bekräftigte von Krosigk sein Glaubensbekenntnis - das lag nach Auskunft des Predigers vor allem am Verhalten seines Gegners, der das Duell fortsetzte und trotz beschwörender Worte 55 Allerdings verlangte von Parsow (bekennender Calvinist im Dienste eines lutherischen Herzogs) nicht nach einem Geistlichen. Das wird aber nicht zum Anlass für einen größeren Kommentar genommen. In den ‚Personalia defuncti’ heißt es lapidar: Deß Predigers Trost hat er zwar nicht begehret, welches wir auch dahin stellen; B ACKMEISTER : Leichpredigt (Anm. 36), Bl. F v. 56 Z IMMERMANN : Trost (Anm. 39), Bl. F4 r. 57 Bspw. F US : Entleibung (Anm. 49); T ILEKING : Dolosa (Anm. 48); W ILDE : Homicidium (Anm. 48). 58 Siehe: V OIT : Predigt (Anm. 38), Bl. Fii r: Ego eiecti ex animo omnem vindictae cupiditatem. 59 Johann L UDWIG : Miles Christianus […], Eisleben 1632, Bl. Hiiii v. 60 M ÜLLER : Trauer=Sermon (Anm. 17), Bl. Hii r. Es war durchaus üblich, mehrere Kugeln in den Lauf zu stopfen. Dies würde erklären, dass nach einem einzigen Schuss von Krosigk bereits von drei Kugeln getroffen worden war. 61 Ebd., Bl. Hii v. Dort auch die folgenden Zitate. 154 Unzweifelhaft ein seliger Tod! von Krosigks eine zweite Pistole auf diesen abfeuerte. Damit noch nicht genug soll von Krosigks Gegner auch des entblösten Degens sich gebrauchen wollen, durch die beystehenden aber inne zuhalten erinnert worden. Aufgabe dieser ‚Beistehenden’ war es unter anderem, Exzesse zu verhindern. Erst nach weiteren Anweisungen und nachdem ein Feldscher ihn verbunden hatte, vergab von Krosigk seinem Duellgegner mit Christ=versöhnlichen Gemüthe, nachdem dieser den Sterbenden persönlich um Verzeihung gebeten hatte. Die Schuldvergebung wiederholte von Krosigk kurz darauf auf Anfrage eines herbeigeeilten Archidiakons. Die bisherigen Beispiele belegen, dass trotz der Bedeutung, die der Vergebung des Duellgegners zukam, im Zentrum der Argumentation der Tathergangsschilderungen in den Leichenpredigten das christozentrische Glaubensbekenntnis der Sterbenden stand. Das kann an dieser Stelle summarisch darsgestellt werden, denn die Narrationen der Texte ähneln sich sehr stark. Den Standard der Aussagen bildeten die Grundbzw. Stoßgebete: ‚Herr Jesu, dir leb ich, dir sterb ich’ oder ‚Herr Jesu, in deine Hände befehl ich meinen Geist.’ Selbst der heimtückisch niedergeschossene Bose soll noch mit starck=gläubigen Geschrey ach JEsus! ach JEsus! seine Seele GOtt befohlen haben. 62 Das - im besten Fall mehrfach wiederholte - Bekenntnis des christlichen Glaubens, das sich auch in der Schilderung von frommen Sprüchen, geistlichen Liedern und Gebeten ausdrücken konnte, die der Sterbende rezitierte, bestätigte die vorherigen Schilderungen des christlichen Lebenswandels im finalen Moment größtmöglicher Anfechtung. Glaubensbekenntnisse erschienen somit nicht allein als Ausdruck einer singulären und situativen Reaktion auf die tödliche Verwundung, sondern fungierten als zentraler Beleg einer lebenslangen Frömmigkeit - einer schweren Verwundung trotzend konnte nur frei zitieren, wer fromme Texte auch kannte. Nur in absoluten Ausnahmefällen konnten allerdings bezeugte letzte Worte als ersatzweise Notlösung für eine Schilderung der ‚praeparatio ad mortem’ dienen, denn diese war integraler Bestandteil guten christlichen Sterbens. 63 Höchst problematisch wurde es deshalb, wenn beides nicht bezeugt werden konnte. Zeugen für das Glaubensbekenntnis, im besten Fall ein anwesender Pastor, waren also eminent wichtig. Zur Not taten es auch weitere am Duell beteiligte Personen. Die ‚bezeugten’ Schilderungen der entweder kurzen oder mehrfach wiederholten Glaubensbekenntnisse drückten die bereitwillige Annahme des göttlichen Ratschlusses aus, dessen Beurteilung und Hinterfragung den Menschen nicht zustehe. Fehlten Zeugen, verlagerte sich das ganze Gewicht der Argumentation entweder auf die Darstellung des christlichen Lebenswandels oder aber die Deutung der letzten Lebensminuten verlagerte sich in den Bereich der mit pastoraler Autorität vergewisserten Spekulation: Gewiß aber wird die obgleich kurtze Zeit […] vor diesem tödlichen Stich Ihm manchen guten Gedancken ins Hertz gebracht und er sich seines Erlösers erinnert haben, 64 meinte beispielsweise der Chemnitzer Diakon Albinus Seyfried (1622-1686) in seiner Leichenpredigt auf den 1662 in Leipzig von mehreren Kommilitonen gemeuchelten Zachaeus Faber. 62 O LEARIUS : Zustand (Anm. 18), S. 55. 63 So K ÜMMEL : Tod (Anm. 7), S. 213-214; M OHR : Tod (Anm. 7), S. 49. 64 S EYFRIED : Christi (Anm. 52), Bl. H v f. 155 Kästner c. Die bereitwillige und geduldige Annahme des Todes und die Rolle des toten Körpers als Mittel der Beglaubigung Den erwähnten Zeugen kam in der Dramaturgie des seligen Sterbens noch eine weitere Funktion zu. Sie begleiteten den Sterbenden auf seinem letzten Weg und bestärkten ihn im Glauben, um so den Anfechtungen der Ungeduld und Verzweiflung bzw. der Gefahr der Gotteslästerung im Sterben zu widerstehen. 65 Neben rituellen Verhaltensweisen (frommen Gebeten, Reden und Gesängen im Angesicht des Todes) galt auch das Verhalten des Körpers der Sterbenden in allen Einzelheiten als unmittelbarer Ausdruck der Einstellung gegenüber dem Tod. 66 Ein vom nachvollziehbaren Schmerz der Verwundung zur Fratze entstelltes Gesicht konnte dem Anspruch bereitwilligen Sterbens nicht genügen. Die Metapher des ‚sanften Einschlafens’ machte dieses Problem beherrschbar. Sie rückte das Sterben in eine Unschärfe, die eine klare Trennung zwischen Schlaf und Tod, aber auch von Leben und Tod sprachlich vermied. 67 So heißt es etwa in der Leichenpredigt auf Hanß-Paul Walther von Sangerhausen, er sei aber gar sanfft, als wenn er eingeschlaffen […] in Gottselig [sic! ] verschieden. 68 Ähnlich wird der letzte Moment im Leben von Krosigks geschildert. Nach mehrstündigen Vorbereitungen auf seinen Tod legte er sein Haupt gar sanfft auf seinen rechten Arm im Bette und fing ein wenig an zuschnarchen, da Jhn der Prediger aber einst zugeruffen, Herr Jesu, dir lebe ich, dir sterbe ich und Jhn noch einsten gefraget, ob Er seinen Herren Jesum noch habe, da dann der Seel. Mann gantz leis mit Ja geantworttet und gleichsam schlaffend unter dem Gebeht der Umbstehenden von dieser Welt abgeschieden. 69 Mit der Schlafmetapher wollten die Prediger eine körperlich unverkrampfte und angstfreie Haltung im Angesicht des Todes illustrieren. Dadurch sollte den Hinterbliebenen der Schrecken vor diesem Tod genommen werden. 70 Die Schlafmetapher diente ferner dazu, mithilfe des friedlichen Körperausdrucks zu belegen, dass der Sterbende keine Wut, keinen Zorn, keine Rachgier mehr im Herzen getragen hätte, sondern mit der Welt und Gott ausgesöhnt, im festen Glauben an den christlichen Erlöser seinen 65 Peter A SSION : Sterben nach tradierten Mustern. Leichenpredigten als Quelle für die volkskundliche Brauchtumsforschung, in: Rudolf L ENZ (Hg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 3, Marburg 1984, S. 227-247; geschlechtergeschichtliche Perspektiven bei: Elizabeth A. H ALLAM : Turning the Hourglass. Gender Relations at the Deathbed in Early Modern Canterbury, in: Mortality 1 (1996), S. 61-82. 66 K ÜMMEL : Tod (Anm. 7), S. 207. 67 Romana van H OOF : Bezeichnungen für das Sterben und Todesmetaphorik in Leichenpredigten, in: Rudolf Lenz (Hg.): Leichenpredigten als Quelle historischer Wissenschaften, Bd. 3, Marburg 1984, S. 249- 267, hier S. 253. Auf die gesellschaftsstabilisierende Norm des sanften und seligen Sterbens, die durch stereotype Wiederholung eine stabilisierende Kraft entwickelt habe, hat wiederholt Arthur E. I MHOF hingewiesen. Vgl. aus der Vielzahl an Beiträgen: Arthur E. I MHOF : Normen gegen die Angst des Sterbens, in: ebd., S. 271-285. 68 L UDWIG : Miles (Anm. 59), Bl. Ji r. 69 M ÜLLER : Trauer=Sermon (Anm. 17), Bl. Jii v. 70 Diese Haltung korrespondiert m. E. mit der Beobachtung Benigna von Krusenstjerns, der gewaltsame und böse Tod wäre, obgleich alltägliche Erfahrung, in Selbstzeugnissen in der Regel nicht geschildert worden; K RUSENSTJERN : Sterben (Anm. 7). 156 Unzweifelhaft ein seliger Tod! Abschied genommen hatte. In diesem finalen Moment verwies so auch das körperliche Verhalten des Sterbenden darauf, dass das Exempel dem geforderten Ideal entsprochen hatte. Neben der Metaphorik des körperlichen Zustandes wird in der Leichenpredigt auf von Krosigk dessen friedliches Angesicht und christgläubige Haltung anhand der aufgebahrten Leiche auch bildlich in einem Kupferstich des in Leipzig tätigen Zeichners und Kupferstechers Christian Romstet (1640-1721) präsentiert (Abb. 1). Neben dem friedlichen Gesichtsausdruck und den am Sarg befindlichen Leichtexten verweist das private Cubachsche Gebetbuch, 71 das von Krosigk zeitlebens und in seinen letzten Stunden verwendet hatte - und im Bild in den Händen hält - auf seine Frömmigkeit. Abb. 1 Christian Romstet: Ludolph Lorenz von Krosigk aufgebahrt. Kupferstich 390 x 490 mm (Plattenrand). 71 Michael Cubach (gest. 1680), Lüneburger Buchhändler, hatte ein 1616 Seiten starkes Gebetbuch zusammengestellt, das 1654 erstmals veröffentlicht wurde. Vgl. u. a.: Johannes W ALLMANN : Frömmigkeit und Gebet, in: Hartmut L EHMANN (Hg.): Glaubenswelt und Lebenswelten, Göttingen 2004, S. 80-101. 157 Kästner 4. Fazit Dieser Beitrag hat untersucht, wie der Status eines in einem Duell Verstorbenen und der Status seines Sippschaftsverbandes gegen moraltheologische und rechtliche Einsprüche ausgewiesen und verteidigt werden musste. Leichenpredigten bieten Einblicke in entsprechende Versuche, soziale, moralische, theologische und rechtliche Normen auszutarieren. Wie wichtig den Hinterbliebenen die Rituale einer ehrlichen Bestattung waren, die es gegen anderslautende begräbnisrechtliche Vorschriften durchzusetzen galt, zeigt sich bereits in der mantraartigen Formel aller Leichenpredigten, diese wären vor ‚volkreicher Menge’ verlesen worden. Erst in der Anwesenheit oder Konstruktion einer hinreichend großen sozialen Gemeinschaft konnte die eigene Stellung im ständischen Gefüge bestätigt und bekräftigt werden. Von Vorteil war es, dass die - wenngleich ritualisierten, so doch aber nicht unverrückbar festgefügten - Ehrenhändel unterschiedliche Konfliktverläufe annahmen und so Spielräume für Interpretation und Deutung eröffneten. Leichenprediger auf im Duell oder in anderen gewaltsamen Auseinandersetzungen Verstorbene lehnten sich grundsätzlich an Inhalt und Topoi ‚normaler’ Leichenpredigten an. Die Schilderung des christlichen und frommen Lebens, mithin Ausdruck der Sorge um den Zustand der Seele, nahm noch vor der Dramaturgie des verzögerten Todeseintritts den größten Raum in den Personalia ein. Im Teil der christlichen Leichenpredigt wurde diese Schilderung vorbereitet. Die Personalia fungierten dann als Beglaubigungsmittel für die exegetische Herleitung eines seligen Todes. Hierfür war es wesentlich, den moraltheologischen und rechtlichen Standpunkt zu verteidigen sowie private Zweikämpfe und Selbstrache als schwere Sünde und Straftat zu bezeichnen. Dies war notwendig, um die Bußpredigerfunktion des Exempels nicht infrage zu stellen und um die moraltheologischen wie rechtlichen Normen und Bedenken aufrechtzuerhalten. Zugleich sollten die besonderen Umstände des Einzelfalls aber erweisen, dass für genau diesen Fall die an sich nicht in Frage zu stellenden Verdikte nicht unmittelbar zuträfen. Die Verstorbenen blieben so Teil des Sozialverbands und der christlichen Wertegemeinschaft: Wenn sich die Seligkeit des Verstorbenen verkünden ließ, dann konnte auch der postmortale Anspruch auf Ehre durchgesetzt werden. 158 Ulrike Ludwig Das Recht als Medium des Transfers Die Ausbreitung des Duells im Alten Reich In der Landtagsproposition vom 18. März 1616 erklärte Philipp II., Herzog von Pommern-Stettin gegenüber den Landständen, dass er gewillt sei, denen häufigen Todtschlägen so aus denen duellen entstehen, abzuhelfen. 1 Dieser Vorstoß des Pommernherzogs ist einer der ersten Versuche, im Alten Reich ein Edikt zu erlassen, das darauf zielte, gewaltsames Handeln als Duell zu kennzeichnen und zu sanktionieren. 2 Diese etwas umständliche Formulierung steht hier ganz bewusst. Denn auf dem Landtag wurde nicht darüber diskutiert, ein neues Phänomen zu sanktionieren, vielmehr wurde ein altbekannter Tatbestand erstmals als Duell etikettiert. Dass das Phänomen an sich nicht neu war, zeigt ein Hinweis in der Proposition, in der es heißt, man habe schon auf dem Landtag 1608 über dieses Problem verhandelt. Auf dem Landtag von 1608 war dann auch wirklich beklagt worden, dass die Todtschlage und entleibungen […] trefflich überhandt genommen hätten und gerade unter denen von Adel in den letzten vier oder fünf Jahren, über zwantzig öffentliche Todtschläge ohne die, so noch nicht kundt worden vorgefallen wären. Angesichts dieser Zustände forderte Philipp II. 1608, die bestehende pommersche Halsgerichtsordnung von 1588 erneut einzuschärfen und zu prüfen, ob nicht einschlägige Verordnungen aus andern Chur und Fürstenthümbern übernommen werden könnten. 3 Die Klagen ähneln sich, aber von Duellen war 1608 noch nicht die Rede. Was hatte sich also zwischen 1608 und 1616 geändert? Geändert hatte sich offenbar nicht das Problem, geändert hatte sich aber vielleicht das Vorbild und mit dem Vorbild die Terminologie. 1 Stadtarchiv Stralsund (künftig: StAHST), Rep. 13, Bd. 357, Landtagsabschied zu Alten-Stettin vom 18. März 1616 (eigene Zählung, Bl. 15 a). 2 Früher liegt nach meiner bisherigen Kenntnis nur das Burg-Friedens-Patent Landgraf Moritz von Hessens vom 1. Januar 1611. Darin wurde verboten, einander ad duellum zu fordern. Das Patent ist abgedr. in: Christoph Ludwig K LEINSCHMIDT (Hg.): Sammlung kurhessischer Landes-Ordnungen und Ausschreiben nebst dahin gehörigen Erläuterungs- und anderen Rescripten, Resolutionen, Abschieden, gemeinen Bescheiden und dergleichen, T. 1, Cassel 1767, Nr. CXXXVII (S. 513 f.), hier S. 513. Bemerkenswert ist, dass auch in Mecklenburg zu diesem frühen Zeitpunkt ein entsprechender Versuch unternommen wurde, ein entsprechendes Edikt wurde allerdings nicht verabschiedet. Vgl. dazu: Landeshauptarchiv Schwerin, Gesetze und Edikte, Best. Sign.: 2.12-2/ 3, Nr. 1628 Edikt der Herzöge Adolph Friedrich und Hans Albrecht vom 22. Januar 1618. Nicht berücksichtigt wurden all die normativen Regelungen, in denen der Begriff ‚Duell’ nicht fällt. 3 StAHST, Rep. 13, Bd. 351, Landtagsabschied zu Treptow an der Rega vom 8. März 1608 (eigene Zählung Bl. 17 b-21 a). Die Übernahme anderer Ordnungen wurde gerade für das so viel Streit verursachende Injurieren gefordert. Darüber hinaus wurde auch noch festgesetzt, bei Totschlägen künftig keine gütlichen Einigungen zwischen den Parteien mehr zuzulassen und auch sonst fleißig [zu] erwegen […], wie solchen Unrath zu steuren sei. 159 Ludwig Und so stellte Philipp den Ständen 1616 als probates Mittel zur Bekämpfung der überhandnehmenden Tötungsdelikte auch wirklich etwas Neues vor Augen, nämlich das exempel des Königs in Franckr[eich] Hinr[ich] IV. und deßen löbl[iche] anordnung gegen das Duellieren von 1609. Heinrich der IV. hätte seinen Frantzosen das Ausfordern zum balgen und combatieren verboten und dies obwohl - so Philipp - Heinrich selbst ein außbund von cavaliern und Soldaten sei. Wie hertiglich das Duellieren in Frankreich bestraft werde, sollten die anwesenden Herren Stände schließlich einer der Proposition beiliegenden deutschen Übersetzung besagten französischen Gesetzes von 1609 entnehmen. 4 Diese Beilage ist leider nicht mehr in den Landtagsakten vorhanden. Wahrscheinlich handelt es sich aber entweder um ein Exemplar eines bereits um 1610 erschienenen Flugblatts mit einer deutschen Version des französischen Gesetzes 5 oder aber um ein Exemplar einer Bußpredigt des Tübinger Theologen Matthias Hafenreffer, die auf Befehl des Pommernherzogs 1615 gemeinsam mit besagtem Edikt Heinrichs IV. gedruckt worden war. 6 Gerade diese auf Befehl des Pommernherzogs publizierte Druckschrift legt nahe, dass sich Philipp und seine Berater im Vorfeld des Landtages eingehender mit dem französischen Duelledikt befasst hatten. Mit diesem Vorstoß war der Pommernherzog zwar sicherlich innovativ, aber dann doch nicht erfolgreich. Seine Initiative scheiterte an den pommerschen Ständen: Im Landtagsabschied hieß es lapidar: daß bey jetzigem weltlauff solches [d. i. das Edikt, U. L.] nicht beizubringen sei. Zum Scheitern trug sicher bei, dass Philipps Gesetzesinitiative besonders auf die Gruppe des Adels zielte, die bis dahin einen geradezu exemten Rechtsstatus bei Gewaltdelikten genoss. 7 Einschlägige Gesetze gegen das Duell tauchten dann im Alten Reich vermehrt erst um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf. 8 Und das 4 StAHST, Rep. 13, Bd. 357, Landtagsabschied zu Alten-Stettin vom 18. März 1616 (eigene Zählung, Bl. 15 a-16 a). 5 Edict Königlicher Majestat in Franckreich und Navarren/ [et]c. Den Hochschedlichen/ Unchristlichen Mißbrauch deß Kämpffens und Balgens, Mann gegen Mann/ betreffendt: So bey dem Parlament zu Pariß/ den 27. Iunii 1609 eröffnet und publicirt worden [...] Geben zu Fontainebleau im Monat Junio/ im Jahr des Gnaden 1609. 6 Matthias H AFENREFFER : Fried Bott/ Das ist: Ernstliche Erinnerung auß Gottes Wort, daß wir Christen vnd Kinder Gottes, friedlich vnd einig miteinander leben, vnd keiner den andern mit Worten oder Waffen freventlich verletzen solle/ enth. Edict, den hochschädlichen, unchristliche Mißbrauch des Kämpffens und Balgens, Mann gegen Mann, betr., so bey dem Parlament zu Pariß, den 27. Junij anno 1609 eröffnet u. publ. worden/ Heinricus IV. König in Franckreich, Stettin 1615. 1613 war bereits eine erste Ausgabe von Hafenreffers Predigt in Tübingen selbst erschienen, der allerdings nur eine Zusammenfassung des französischen Ediktes beigegeben war. Matthias H AFENREFFER : Fried-Bott, das ist ernstliche Erinnerung auß Gottes Wort: daß wir Christen und Kinder Gottes friedlich und einig miteinander leben und keiner den andern mit Worten oder Waffen freventlich verletzen solle, Tübingen 1613. 7 An einer Umsetzung derartiger Normen, die ihre rechtliche Position längerfristig und über den konkreten Normierungsgegenstand hinaus verschlechterte, hatten die adligen Stände verständlicherweise kein Interesse. 8 So bspw. Churfürst Friedrich Wilhelms zu Brandenburg Edict wider die Duelle, Ein- und Überfälle, Rumor- und Rauff-Händel (1652), in: Johann Christian L ÜNIG : Corpus juris militaris Des Heil. Röm. Reichs, Anderer Theil, oder Pars Specialis, vom Reichs=Kriegs=Rechte insonderheit, Leipzig 1723, S. 160 Das Recht als Medium des Transfers erste Mandat gegen das Duell in Pommern wurde sogar erst 1662, nun schon unter schwedischer Ägide, erlassen. 9 Das genannte Beispiel besitzt aber trotz des Misserfolges der Initiative exemplarischen Charakter. Zugleich führt es mich zu der Frage, wie das Duell ins Alte Reich kam. Denn der Vorstoß des Pommernherzogs von 1616 zeigt deutlich, dass mit dem geplanten Duellgesetz nicht auf eine genuin neue Form von Gewalt reagiert werden sollte, sondern eine alte Sache einen neuen Namen erhielt. Zudem wird erkennbar, dass das Aufkommen dieses neuen Etiketts ‚Duell’ für bestimmte Formen von Gewalthändeln das Ergebnis eines Rechtstransfers war. Das Duell hielt - so ist zu betonen - in den Territorien des Alten Reiches also nicht als neue Gewaltpraxis Einzug, sondern war zunächst das Ergebnis einer Umetikettierung bereits bestehender Gewaltpraktiken. Erst nach dieser Phase der Umetikettierung erfolgte in einer zweiten Etappe die Etablierung des Duells als eigenständigem Straftatbestand. In einer dritten Phase kann dann schließlich von einer Ausformung des Duells als singulärer kultureller Praxis gesprochen werden. Der Darstellung dieses Entwicklungsprozesses, in dem Normen und anfangs auch Normentransfers eine zentrale Rolle spielten, widmen sich die folgenden Ausführungen. Als Quellenbasis dienen einschlägige Rechtssetzungsprozesse und Gerichtsakten, die schwerpunktmäßig für Kursachsen, Mecklenburg und Schwedisch-Pommern untersucht wurden. 10 Zeitlich erstreckt sich die Untersuchung von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum ausgehenden 18. Jahrhundert. Die folgenden Ausführungen sind in sechs Schritte unterteilt, mit denen jeweils wichtige Etappen der Entwicklung und die daraus gezogenen Schlussfolgerungen gekennzeichnet werden. Und damit zurück zu den Anfängen der Duellgesetzgebung. Es wurde bereits darauf verwiesen, dass die Bezeichnung ‚Duell‘ als neues Etikett einem bestehenden Tatbestand übergestülpt wurde und dies nicht nur im pommerschen Vorstoß von 1616, sondern auch noch bei der erst dreißig Jahre später in Gang kommenden Duellgesetzgebung im Alten Reich. Dies zeigt sich ganz zentral daran, dass in 857 f.; Hertzogs Ernsts zu Sachsen-Gotha Duell-Mandat (1646), in: ebd., S. 1092-1094; Hertzogs Augusti zu Braunschweig-Lüneburg-Wolffenbüttel Edict wider das Ausfordern, Rauffen, Balgen und Kugelnwechseln (1646), in: ebd., S. 1138-1141; Mandat Churf. Johann Georgens des I. zu Sachsen, das unhöffliche Umbreuthen, üppige Leben, auch unchristliche Ausfordern und Balgen betreffend (1653), in: Johann Christian L ÜNIG : Codex Augusteus, Oder Neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici, Worinnen Die in dem Churfürstenthum Sachsen und dazu gehörigen Landen, auch denen Marggrafthümern Ober- und Nieder-Lausitz, publicirte und ergangene Constitutiones, Decisiones, Mandataund Verordnungen enthalten […], Bd. 1, Leipzig 1724, Sp. 1545-1548. 9 Kongl. May.s Placat Och Förbudh / angående allahanda Dueller, och Otwungne Slagzmåhl Anno M. DC. LXII.; in dt. Übersetzung für Schwedisch-Pommern: Königliches auch in Pommern publiciertes Duell-Verbot. Vom 23. December 1662, in: Johann Carl D ÄHNERT : Sammlung gemeiner und besonderer Pommerscher und Rügischer Landes-Urkunden, Gesetze, Privilegien, Verträge, Constitutionen und Ordnungen: zur Kenntniß der alten und neueren Landes-Verfassung, insonderheit des Königlich-Schwedischen Landes-Theils, Bd. 3, Stralsund 1769, S. 338-340. 10 Die Bearbeitung erfolgte im Rahmen des am Institut für Geschichte, Lehrstuhl für Geschichte der Frühen Neuzeit angesiedelten DFG-Projektes Das Duell als kulturelle Praktik in der Frühen Neuzeit. Vergleichende Untersuchung zu Kursachsen, Mecklenburg und Schweden. 161 Ludwig den Rechtsnormen nicht zwischen Schlagen, Ausfordern, Kämpfen, Raufen oder Duellieren unterschieden wurde. Bis in die 1660er Jahre wird in den Gesetzen also nur oder doch in erster Linie die Übernahme des Wortes ‚Duell’ fassbar. Hier ließe sich von einem Begriffstransfer sprechen. Zentral für diesen Begriffstransfer waren v. a. französische Rechtstexte. 11 Dementsprechend wurde zunächst nur die Bezeichnung von Konflikten als Duell in bestehende Gesetze integriert und hier - wie übrigens auch in den Gerichtsakten - synonym neben anderen Begriffen gebraucht. So heißt es etwa im ersten einschlägigen Gesetz für Kursachsen aus dem Jahre 1653 ganz allgemein, man wolle gegen ärgerliche Excesse in Worten und Wercken, wie auch das unchristliche Rauffen und Balgen insgemein vorgehen. Die Bezeichnung eines solchen Verhaltens als Duell findet sich nur ganz beiläufig. 12 Zugleich wurde das Duell offenbar noch nicht als spezifische Austragungsform von Ehrkonflikten verstanden, zumindest fehlen entsprechende Verweise darauf in den Normen. Im genannten kursächsischen Edikt von 1653 sorgte man sich vielmehr, dass in den Städten und auf dem Land bey vielen alle Zucht, Erbarkeit und Respect gäntzlich dahin gefallen und ein gantz Cyclopisches und üppiges Leben eingerissen sei. Vor allem Friedhässige von Adel würden ungeladen auf Hochzeiten und anderen Festen erscheinen und die Gäste aber auch einander durch allerley Schand-Worte, ärgerliche Zothen, und unschambare Discurse bedrängen. Sie würden Fenster und Öfen einschlagen, Degen und Pistolen zücken. Aus derlei leichtfertigen Zanckhändeln ergäben sich aber - so der Text 11 Bemerkenswert ist hierbei, dass sich dies auf Rechtsnormen beschränkte und keine systematische Rezeption der in den Ländern des Mittelmeerraumes geführten rechtlichen Diskussionen - die etwa im Nachklang der Bestimmungen auf dem Konzil von Trient geführt wurden - festzustellen ist. Neben der Übersetzung von Duelledikten, die in gedruckter Form im Reich Verbreitung fanden, können als ein zweiter Strang Artikelsbriefe ausgemacht werden, die Frankreich für Truppen im Reich erließ. So bspw.: Articuls-Brief und Kriegs-Gerichts-Ordnung vor Jhrer Königl. Maj. in Franckreich und derer mit derselben vereinigten Chur- und Fürsten des H. Röm. Reichs-Armee, unterm Commando höchstgedachter Herrn Alliirten bestelten General-Lieutenants Herrn Grafens Wolffgangs Julii von Hohenlohe (1658), in: Johann Christian L ÜNIG : Corpus juris militaris Des Heil. Röm. Reichs, Worinn das Kriegs=Recht sowohl der Röm. Kayserl. Majestät, als auch desselben Reichs und desen Creisse insgemein ingleichen Aller Churfürsten, und derer mächtigsten Fürsten und Stände in Teutschland insonderheit, enthalten ist, Nebst einem Elencho, dienlichen -summarien und Marginalien, auch vollkommenen Register, Leipzig 1723, S. 670-681. 12 Wenn es etwa heißt, dass den Ausforderungen, Zuschickung derer Kartelle oder AbsagsBrieffen, und was sonsten zu Anstellung eines Duelli, Kampffs, oder vorsetzlichen Balgerey zu Roß und zu Fuß vorgenommen werden möchte, mit Ernst gesteuret und gewehret werden sollte. Codex Augusteus (Anm. 8), Bd. 1, Sp. 1543-1548, hier Sp. 1546. Dass diese Breite der Formulierungen durchaus typisch für diese Zeit ist, zeigt z. B.: Edikt Churfürst Friedrich Wilhelms zu Brandenburg Edict wider die Duelle, Ein- und Überfälle, Rumor- und Rauff-Händel, Cleve, am 17. Sept. 1652, in: Lünig: Corpus juris militaris […] Anderer Theil (Anm. 8), S. 857 f. So wollen Wir durch dieses unser Churf. Mandat alle eigenthätige Ein- und Überfälle, Rumor- und Rauff-Händel, Balgereyn und Schlägereyen, alle Ausforderungen, Duella, Zuschickung der Cartelle, und insgemein allen Frevel und Gewalt, daraus nicht allein gefährliche Leibes-Verwundung und Beschädigung, sondern auch offtmals, inmassen solches die tägliche Erfahrung mit sich bringt, fürsetzliche Todtschläge, mit Verlust der ewigen Seeligkeit, erfolgen, ernstlich bey Leibesdu Lebens-Strafen verbothen haben. 162 Das Recht als Medium des Transfers im Mandat weiter - nur zu leicht Schlägereien, gewalttätige Angriffe, Balgereien, Ausforderungen und Duelle. 13 Hält man hier inne und sieht an dieser Stelle von dem Umstand ab, dass derartige Beschreibungen immer auch als Legitimierungsstrategien in den Gesetzen zu begreifen sind, so dürfte doch ausreichend klar geworden sein, dass bei den genannten Gewaltmustern noch eine deutliche Nähe zum Hausfriedensbruch und zur Schlägerei bestand. 14 Ein weiterer ‚einheimischer’ Anknüpfungspunkt dieser Art war das so genannte ‚Ausfordern’, das immerhin durch Zweierkonstellationen (Ausforderer und Ausgeforderter) und eine mehr oder weniger formalisierte verbale Verabredung zum Kampf gekennzeichnet war. Wie eng die Verbindungslinien zwischen Duell und dem ‚Ausfordern’ war, zeigen Verweise in späteren Duellmandaten, die entsprechende Rechtsregelungen als Vorläufer benennen. So wurde etwa im kursächsischen Mandat Wider die Selbst=Rache, Frieden=Stöhrungen und Duellen vom 15. April 1706 festgestellt, dass wir erinnert sind, daß Unsere in GOtt ruhende Vorfahren darwider [d. i. das Duell, U. L.] bereits unterschiedene Verordnungen gestellet, Inmassen Chur=Fürst Augustus in der Anno 1572. promulgirten Landes=Ordnung P. 4. in der 9. und 10. Constitution. Bei den genannten Artikeln aus dem vierten Teil der Kursächsischen Konstitutionen handelt es sich um die Bestimmungen für die Frage IX. Waser gestalt diejenigen, so andere provociren und ausfordern, zu bestraffen? und X. Welcher Gestalt der zu straffen, so auf vorgehende Ehren-verletzliche Ausforderung verbrochen. 15 In beiden Artikeln wurde das Strafmaß für Ehrverletzungen festgesetzt und die aus Ehrverletzungen resultierenden gewaltsamen Formen der Ehrverteidigung thematisiert. 16 13 Codex Augusteus (Anm. 8), Bd. 1, Sp. 1543-1548, hier Sp. 1145. 14 Besonders markant zeigt sich dies in einem Gerichtsverfahren, in dem unter dem Label ‚Duell’ ein Gewaltakt verhandelt wurde, der mit Blick auf die Handlungsmuster zwischen Hausfriedensbruch und Fehde changiert. Dabei gerieten der als Verwalter eines Rittergutes bei Langendorf tätige Georg Ernst Wollmann und der Dresdner Postmeister Voigt aneinander. Wollmann schuldete Voigt Geld und Letzterer gedachte seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, indem er mit einigen Gefährten das Rittergut überfiel, Wollmann verprügelte, verschleppte und ihn schließlich in ‚Privathaft’ festhielt. Wollmann klagte später beim Geheimen Rat in Dresden und dieser verhandelte die Angelegenheit nach dem Duellmandat. Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (künftig: SächsHStADresden), 10024, Loc. 9709/ 30. Für die Parallelen im Vergleich mit frühneuzeitlichen ‚Fehdepraktiken’ siehe: Monika M OMMERTZ : Von Besen und Bündelchen, Brandmahlen und Befehdungsschreiben. Semantiken der Gewalt und die historiographische Entzifferung von „Fehde“-Praktiken in einer ländlichen Gesellschaft, in: Magnus E RIKSSON / Barbara K RUG -R ICHTER (Hg.): Streitkulturen. Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft (16.-19. Jahrhundert), Köln 2003, S. 197-248. 15 Vgl. hierzu: Churfürst Augusti Verordnungen und Constitutiones, Pars Quarta: Criminalia, in: Codex Augusteus (Anm. 8), Sp. 117-132, hier Sp. 119 f. Das Edikt von 1706 ist abgedr. in: Codex Augusteus (Anm. 8), Sp. 1731-1745, hier Sp. 1732. 16 Wenngleich der Hinweis auf diese beiden Konstitutionen in erster Linie als Ausdruck einer für Normsetzungsprozesse typischen Form der Legitimation über die Stilisierung einer Rechtstradition zu verstehen ist und als Zeichen einer in dieser Zeit neu anzutreffenden Historisierung des Phänomens Duell, so ist dies zugleich auch eine Verweis darauf, dass noch im frühen 18. Jahrhundert strukturelle Ähnlichkeiten zwischen Duell und Ausfordern gesehen wurden. Derartige Zuschreibungen müssen jedoch als Deutungen ihrer Zeit verstanden werden. Denn erklärte man die im Duellmandat von 1706 aufgenommenen Verweise auf die älteren rechtlichen Bestimmungen zum Ausfordern als Hinweis auf eine bereits im 16. Jahrhundert bestehende Duellkultur, hieße das, dass mehr oder weniger jede Form des Zweikampfes im 163 Ludwig Das bisher Gesagte zusammenfassend kann in einem e r s t e n Schritt festgehalten werden, dass in dieser frühen Phase zunächst nur der Begriff ‚Duell‘ aufkam. Mit dem Begriff war dabei noch kein abgrenzbares Verständnis der bei Duellen, Kämpfen, Schlägereien oder Balgereien auftretenden Handlungsweisen verbunden. Das Duell ist in dieser Zeit nicht vom Wesen her etwas Neues, sondern nur etwas neu bzw. auf andere Art Bezeichnetes. Ab den 1660er Jahren wird dann ganz allmählich ein inhaltlich umfassenderer Normentransfer greifbar, d. h., es finden nach und nach neue Elemente - etwa Sekundanten - Erwähnung. Anfänglich geschieht dies wohl einfach durch die Übernahme entsprechender Bestimmungen aus französischen Gesetzen. 17 Wobei mitunter das Prinzip von ‚trial and error’ durchscheint, wenn etwa plötzlich in den Gesetzen professionelle Kämpfer auftauchen, unter denen sich bereits die gerichtlichen Instanzen auf regionaler und lokaler Ebene, die die Normen anzuwenden hatten, nichts vorstellen konnten. 18 Zugleich blieb der synonyme Gebrauch der Begriffe ‚Duellieren‘, ‚Balgen‘, ‚Kugeln wechseln‘ auch weiterhin bestehen. Aber immerhin rückte das ‚Duellieren‘ gegen Ende des 17. Jahrhunderts bei der Beschreibung des Phänomens in den Normen von einem der hinteren Ränge weiter nach vorn. 19 Kontext von Ehrkonflikten als Duell gedeutet werden könnte. Ein solches Vorgehen würde aber letztlich auf die Konstruktion eines anthropologisch-sozialen Langzeitphänomens Duell zielen. Doch dies wird m. E. der frühneuzeitlichen und neuzeitlichen Erscheinung des Duells als einem diskursiv zunehmend von anderen Formen der Ehrkonflikte unterscheidbaren Konflikttyps nicht gerecht. Dessen ungeachtet zieht sich eine solche, hier dezidiert abgelehnte Deutung, bis heute durch die Forschung. Siehe etwa: Dieter P ROKOWSKY : Geschichte der Duellbekämpfung, Diss. masch. Bonn 1965, S. 39 f.; mit Blick auf die Reiterbestallung Kaiser Maximilians II. von 1570 kommt Wolfgang W ALTER : Das Duell in Bayern. Ein Beitrag zur bayerischen Strafrechtsgeschichte, Frankfurt/ Berlin 2002, S. 22 f. ebenfalls zu dem Schluss, dass das Duell bereits zu dieser Zeit im Reich bekannt war. 17 Zum Nachweis inhaltlich und wörtlich identischer Passagen zwischen dem französischen Duelledikt von 1651 und dem häufig wortgleichen Edikt von 1679 einerseits und dem Reichsgutachten zum Duell von 1668 (hierzu weiter unten) andererseits siehe: Siegfried B ODENHEIMER : Die Geschichtliche Genesis der strafrechtlichen Bedrohung der Vorbereitungshandlungen zum Zweikampf im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, Würzburg 1891, S. 25-33. 18 Besonders intensiv wurde das Mandat Wider die Selbst=Rache, Frieden=Stöhrungen und Duellen von 1706 diskutiert. Abgedr. in: Codex Augusteus (Anm. 8), Bd. 1, Sp. 1731-1744. So wurde etwa in § 6 von Personen gesprochen, die vom duellieren keine profession machen. Ebd., Sp. 1734. Eine Formulierung, die auf Verwunderung stieß, so dass u. a. der Leipziger Rat bei der Landesregierung nachfragte, wer dies denn sein sollte. Vgl. dazu: SächsHStADresden, 10024, Loc. 9992/ 7, Schreiben des Rates vom 26. Juli 1706. Beim nächsten einschlägigen Duelledikt von 1712 vermied man diese Formulierung dann und die gemeinten Personen wurden ex negativo als diejenigen beschrieben, die nicht von Adel und Rittermäßigen, auch höhern Standes, worunter auch […] würcklich und andere Räthe, zuverstehen, ingleichen bey der Militz, sowohl alle in würcklichen Diensten stehende als honeste dimittirte Ober=Officiers, biß auf den Adjutanten, Cornet und Fähndrich, inclusive, so lange nicht die dimittirte gemeine Bürgerliche und Bauer=Nahrung treiben. Vgl.: Ejusdem Erneuert und geschärfftes anderweit eröffnetes Mandat Wider die Selbst=Rache, Injurien, Friedens=Stöhrungen und Duelle (1712), abgedr. in: Codex Augusteus (Anm. 8), Sp. 1785-1804, hier § 1, Sp. 1787. 19 Wenngleich diese Verschiebung nicht immer einheitlich verlief. So wurden 1665 zwei Duellmandate in Kursachsen erlassen. Das eine hieß ganz einfach (W)ider die Injurien und Duelle. Im Titel des anderen Duell-Mandats war dann allerdings wieder von Injurien=Händel und […] Tumultuien, Degenblossen, Aus- 164 Das Recht als Medium des Transfers Zudem finden sich nun statt pauschaler Sanktionsdrohungen ausdifferenziertere Strafkataloge. Dabei wurde einerseits zwischen Formen der Beteiligung, also zwischen Duellanten, Sekundanten, Mitwissern oder Zuschauern, unterschieden. Andererseits trat nun die Unterteilung des Konfliktes in Ausforderung, Annahme der Ausforderung, Erscheinen zum Kampf und dem eigentlichen Kampf auf. In dieser Phase kam es damit in den Normen sowohl zu einer endgültigen begrifflichen Etablierung des Duells als auch zu einer zunehmenden inhaltlichen Separation des Duells im Feld der Gewaltdelikte. Ein Blick in die Gerichtsakten des 17. und auch des frühen 18. Jahrhunderts zeigt jedoch überdeutlich, dass diese Unterscheidung zwischen Duellen und anderen Gewaltformen, wie etwa Schlägereien oder Realinjurien, häufig noch nominell war. Die in den Gerichtsakten als Duell bezeichneten Konflikte sind in den meisten Fällen in ihrer Austragungsform nicht von den Delikten zu unterscheiden, in denen Gewalt zwischen Männern gerichtlich als Schlägerei, Ausforderung oder Balgerei verfolgt wurde. 20 Ansätze ritualisierter Gewalt und die Motivik der Ehrverteidigung finden sich zudem in vielen Gewaltdelikten und können keineswegs als Spezifikum des Duells gelten. 21 In einem z w e i t e n Schritt kann damit konstatiert werden, dass circa fünfzig Jahre nach dem gescheiterten Vorstoß des Pommernherzogs das Duell als eigenständiger Straftatbestand im Alten Reich angekommen war, auch wenn in der Gerichtspraxis die Markierung eines Konfliktes als Duell nach wie vor Ergebnis einer inhaltlich weitgehend unspezifischen Zuschreibung war. Duelle waren also noch nicht durch eine klar abgrenzbare Handlungslogik gekennzeichnet. Seit dem ausgehenden 17. Jahrhundert trat neben den Rechtstransfer über Sprachgrenzen hinweg ein verstärkter Austausch sowie eine damit verknüpfte Ausbreitung und Ausdifferenzierung von einschlägigen Landesgesetzen innerhalb des Reiches. Zwei Ebenen des Transfers sind hierbei zu unterscheiden: Zum einen dienten Gesetzesinitiativen fordern, Balgen und Duelliren die Rede. Beide Mandate sind abgedr. in: Codex Augusteus (Anm. 8), Bd. 1, Sp. 1621-1624 u. 1624-1628. 20 Besonders markant zeigt sich dieser Umdeutungsprozess bei einem Schweriner Fall aus dem Jahre 1645, der 1667 nochmals aufgerollt und der Rostocker Juristenfakultät vorgelegt wurde. Hintergrund des Konfliktes war ein Erbschaftsstreit zwischen Heinrich Schröder und Joachim Reimer, die miteinander verschwägert waren. Als es schließlich zur gewalttätigen Auseinandersetzung kam, war Heinrich Schröder noch nicht einmal bewaffnet, bis sein Widerpart einem der Umstehenden kurzerhand den Degen abnahm und ihm diese Waffe reichte. Mit dieser geborgten Waffe erstach Schröder seinen Schwager im Kampf. 1645 wurde Schröder mit dem Hinweis auf Notwehr entlastet. Von einem Duell war hier noch nicht die Rede. Auch 1667 wird mit Blick auf diese Tötung mit Notwehr und durchaus im Sinne Schröders argumentiert, wenngleich die Tötung nun als im duell […] beschehen charakterisiert wird. Universitätsarchiv Rostock (künftig UAR), SA 1411.2, (Nr. 29), S. 9-16, hier S. 15. 21 Exemplarisch sei hierfür nur verwiesen auf: Gerd S CHWERHOFF : Köln im Kreuzverhör. Kriminalität, Herrschaft und Gesellschaft in einer frühneuzeitlichen Stadt, Bonn/ Berlin 1991, bes. S. 312-322; Barbara K RUG -R ICHTER : Du Bacchant, quid est grammatica? Konflikte zwischen Studenten und Bürgern im frühneuzeitlichen Freiburg/ Br., in: DIES ./ Ruth-E. M OHRMANN (Hg.): Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 79-104, Tafeln I-VII; mit einem weiteren Fokus siehe auch: Marian F ÜSSEL : Riten der Gewalt. Zur Geschichte der akademischen Deposition und des Pennalismus in der frühen Neuzeit, in: Zeitschrift für Historische Forschung 32 (2005), S. 605-648. 165 Ludwig auf Reichsebene als Vorbild und Vorlage für territoriale Erlasse. Zum anderen ist ein steter Austausch zwischen einzelnen Territorien festzustellen. Ein wichtiger Bezugspunkt auf Reichsebene war das 1668 auf dem Reichstag in Regensburg eingebrachte, am 22. September 1668 auch von Kaiser Leopold I. bestätigte, aber nie in Kraft getretene Reichsgutachten zum Duell. Dieses Reichsgutachten führte zentrale Bestimmungen der bis dahin bestehenden Gesetzgebung im Reich mit Elementen der französischen Duellgesetze zusammen. Es diente in der Folgezeit häufig als Vorlage und wichtiger Bezugspunkt für territoriale Edikte. So wurde etwa in Mecklenburg, nachdem - wie es im landesherrlichen Schreiben an die Kanzlei heißt - wieder einige Schlägereien und Duelle vorgekommen wären, 1681 überlegt, die Delinquenten künftig dem Regensburgischen Reichsschluss entsprechend abzustrafen und - da noch nicht vorhanden - nun ein entsprechendes Gesetz zu erlassen. 22 Auf einer zweiten Ebene ist ein verstärkter Austausch zwischen einzelnen Territorien festzustellen, der vor allem über die Reichskreise als Binnenraum des Normenaustauschs verlief. 23 Zentrales Argument für den Austausch, die Übernahme und Aneignung von Gesetzen zwischen einzelnen Territorien des Reiches, war die Auffassung, dass die Vereinheitlichung der Gesetzgebung vor allem in benachbarten Territorien notwendig sei, um erfolgreich gegen das Duell vorgehen zu können. So erklärte etwa der Brandenburger Kurfürst Friedrich III. in einem Schreiben vom 16. August 1688 an den sächsischen Kurfürsten, dass der intendirte heilsahme zweck des jüngst erlassenen brandenburgischen Duellediktes vom 6. August 1688 nicht füglich noch völlig zu erhalten seyn wird, wann nicht durch zusammensetzung der benachbahrten hohen obrigkeiten [das Übel] mit gleichen rigeur gesteuret werde. 24 Um diese Zusammenarbeit zu befördern, war dem Schreiben das Brandenburger Edikt dann auch gleich beigefügt. Das Vorgehen der Brandenburger war keineswegs singulär. Vielmehr ist festzustellen, dass es allgemein üblich war, nach dem Erscheinen eines Gesetzes, dieses vornehmlich 22 Landesarchiv (künftig: LA) Schwerin, 2.12-2/ 3 Gesetze und Edikte, Nr. 1634 Weitere Einschärfungen des Verbots gegen die Duelle (1681-1683, Geh. Rat Güstrow), ohne Zählung, hier Schreiben vom 28. September 1682 (sic). 23 Reichskreise werden hier auch abseits von den Kreistagen und den dort verhandelten klassischen Themen, Türkensteuer und Münzwesen, als struktureller Rahmen einer territorial vernetzten Diskussion über Normen greifbar. Bisherige Untersuchungen haben vornehmlich die Bedeutung der Reichskreise als Grundstruktur militärischer Hilfen, v. a. in den Türkenkriegen, sowie die Verwaltungsstruktur der Kreis- (tag)e untersucht. So etwa: Peter Claus H ARTMANN : Der Bayerische Reichskreis (1500 bis 1803). Strukturen, Geschichte und Bedeutung im Rahmen der Kreisverfassung und der allgemeinen institutionellen Entwicklung des Heiligen Römischen Reiches, Berlin 1997; Thomas N ICKLAS : Macht oder Recht. Frühneuzeitliche Politik im obersächsischen Reichskreis, Stuttgart 2002; Michael M ÜLLER : Die Entwicklung des Kurrheinischen Kreises in seiner Verbindung mit dem Oberrheinischen Kreis im 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. a. 2008; Max P LASSMANN : Krieg und Defension am Oberrhein. Die vorderen Reichskreise und Markgraf Ludwig Wilhelm von Baden (1693-1706), Berlin 2000. Einen weit gespannten Überblick liefert: Winfried D OTZAUER : Die deutschen Reichskreise (1383-1806). Geschichte und Aktenedition, Stuttgart 1998. 24 SächsHStADresden, 10024, Loc. 9992/ 7 (ohne Zählung), Schreiben Friedrich III. an Johann Georg III. vom 16. August 1688. 166 Das Recht als Medium des Transfers an die benachbarten Herrschaften zu versenden und im Begleitschreiben um eine entsprechende Aktualisierung der dortigen Landesgesetze zu bitten. In der Regel wurden die übersandten Gesetze auch auf ihre Brauchbarkeit hin geprüft und häufig in Teilen oder sogar nahezu vollständig übernommen, wenngleich hier mitunter zwischen Übersendung und eigenem Erlass einige Jahre lagen. 25 In der Tendenz wurden die Transfers im Alten Reich von den politisch einflussreichen Territorien dominiert, im protestantischen Machtbereich v. a. durch Brandenburg und Kursachsen. 26 Als Gegenstrategie gegen ihre mächtigen Nachbarn wichen die ‚Kleinen’ daher mitunter auf die Gesetzesinitiativen der Reichsebene aus, um so ihre Eigenständigkeit zu markieren. So schärften etwa die Mecklenburger Herzöge, anstatt ein eigenes Duellmandat zu verfassen, 1716 und 1737 erneut das Kaiserliche Duellpatent von 1668 ein, obwohl in der Zwischenzeit v. a. Brandenburg eine Vielzahl von Duellmandaten zur Prüfung übersandt hatte. 27 Beide Ebenen des Rechtstransfers innerhalb des Reiches führten - so ist in einem d r i t t e n Schritt festzuhalten - über den beständigen Austausch und das gegenseitige Abschreiben der Duellgesetze zu deren flächendeckender Ausbreitung. Zugleich erfolgte durch diesen länderübergreifenden Austausch die sukzessive Weiterentwicklung der Duellgesetze. 28 Besonders folgenreich war hierbei die Integration von Strafandrohungen für Verbal- und Realinjurien in die Duellmandate, auf die gleich noch einzugehen ist. Zuvor soll aber wiederum ein Blick auf die Gerichtspraxis geworfen werden: Denn von dieser flächendeckenden Ausbreitung und der regelmäßigen Erneuerung der Duellgesetze im Reich sollte nicht vorschnell darauf geschlossen werden, dass auch Duelle selbst in größerer Zahl anzutreffen waren. Über den Austausch und die Übernahme von 25 Umgehende Übernahme blieb die Ausnahme. So wurde das Brandenburger Edikt von 1688 zwar durch die kursächsische Kanzlei auf seine Verwendbarkeit hin geprüft, ein direkter kursächsischer Erlass schloss sich aber nicht an. In Teilen tauchte dieses Gesetz dann aber im 1706 erlassenen kursächsischen Mandat Wider die Selbst=Rache, Frieden=Stöhrungen und Duellen wieder auf. Auf ähnliche Prozesse des Austauschs, wenngleich auch vornehmlich zwischen Kursachsen und den ernestinischen Herzogtümern im 18. Jahrhundert verweist für die ‚Lebensrettungsmandate‘ auch: Alexander K ÄSTNER : Tödliche Geschichte(n). Selbsttötung und Suizidversuche in Kursachsen 1547-1815, Diss. masch. Dresden 2010, S. 327- 345. Zur Bedeutung der Reichskreise für den Normentransfer vgl. auch: Karl H ÄRTER : Policey und Strafjustiz in Kurmainz. Gesetzgebung, Normdurchsetzung und Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat, 2 Bde., Frankfurt a. M. 2005, hier Bd. 1, S. 198. 26 Für den sächsischen Raum kam zudem das stete Bemühen um eine einheitlich sächsische Gesetzgebung hinzu - hier war es häufig (wenngleich auch nicht immer) der Dresdner Hof, der darauf drängte, dass die kleineren sächsischen Herzogtümer die kursächsischen Mandate übernahmen. So zum Beispiel die entsprechende kursächsische Initiative nach dem Erlass des großen Duellmandats von 1706: SächsHStA Dresden, 10024, Loc. 9992/ 9: Acta Die wegen des Duell Mandats und andern Angelegenheiten geschehenen Absendung des Herrn von Mezsch nacher Dreßden, ingl. die Erneüerung des Duellmandats betr. de Anno 1706 usq. 1713 (ohne Zählung). 27 Vgl. dazu: LA Schwerin, 2.11-2/ 1: Auswärtige Beziehungen, Nr. 1685. 28 Der Austausch und die daran anschließende Adaption und Anpassung von Rechtstexten an die eigenen Gegebenheiten kann als ein Kennzeichen vormoderner Normsetzung gelten. Vgl. dazu: Alexander W AG - NER : Konzepte der Armenfürsorge und Bettelbekämpfung und ihre Rezeption zu Beginn des 16. Jahrhunderts, in: Vanessa D USS u. a. (Hg.): Rechtstransfer in der Geschichte, München 2006, S. 225-251, hier S. 244. 167 Ludwig Rechtstexten erfolgte zunächst nur eine Verbreitung des Wissens über Duelle. Den Gesetzen kam hier eine zentrale Rolle als Kulturvermittler zu. Aber im Unterschied zu der großen Präsenz von Duellgesetzen war die Zahl der in den Quellen greifbaren Duelle noch bis zum ausgehenden 17. Jahrhundert - und in Teilbereichen sogar darüber hinaus - ausgesprochen gering und dies auch, wenn man berücksichtigt, dass bei Duellen wohl immer mit einer gewissen Dunkelziffer zu rechnen ist. Die Unterschiede in diachroner Perspektive werden allerdings ebenso bei der Betrachtung der Fälle augenscheinlich, die den Gerichten bekannt wurden. So stehen in Kursachsen etwa drei Dutzend Duelle bis 1700 deutlich mehr als zweihundert im 18. Jahrhundert gegenüber. In Mecklenburg blieb die Zahl der insgesamt bis 1800 gerichtlich verhandelten Fälle sogar unter dreißig und bei den Akademischen Gerichten der Universitäten Rostock und Bützow wurden von 1650 bis 1800 gerade einmal zehn Duelle aktenkundig. 29 Dass dies nicht mit einer generell zurückhaltenden Strafverfolgung zu erklären ist, lässt sich am Beispiel der Universitäten Rostock und Bützow exemplarisch zeigen: Denn hier standen den zehn Duellen im Zeitraum von 1650 bis 1800 sechzehn Verfahren wegen Totschlags, 134 Verfahren wegen Gewalttaten ohne Todesfolgen und immerhin 133 Injurienprozesse gegenüber. 30 Für die von mir untersuchten Territorien des Reiches ist insgesamt festzustellen, dass mindestens bis zur Wende zum 18. Jahrhundert vergleichsweise geringe Fallzahlen sehr intensiven Normendiskussionen gegenüberstanden, die durchaus den Eindruck erweckten, als ob Duelle zu den drängenden Problemen im Lande gehören würden. Auch dies soll kurz am Beispiel der Universitäten verdeutlicht werden. Denn, obwohl die Zahl der Duelle hier bis zum Ende des 18. Jahrhunderts minimal war, was neben Rostock und Bützow auch auf Wittenberg 31 oder Greifswald 32 zutraf, fand zugleich ein 29 Beide Universitäten werden hier gemeinsam betrachtet, da die Akten der Akademischen Gerichte auch gemeinsam abgelegt wurden. Bützow war eine kurzfristige Konkurrenzgründung zu Rostock und hatte nur von 1760-1788 Bestand. Vgl. hierzu: Matthias A SCHE : Von der reichen hansischen Bürgeruniversität zur armen mecklenburgischen Landeshochschule. Das regionale und soziale Besucherprofil der Universitäten Rostock und Bützow in der Frühen Neuzeit, Stuttgart 2000, S. 72-77. Zu den aktenkundigen Duellen siehe: UAR, Akademisches Gericht, Nr. 1253 (1666); Nr. 1547 (1687/ 88); Nr. 1787 A (1715); Nr. 2076 (1748); Nr. 2476 (1770); Nr. 2531 (1771); Nr. 2587 (1772); Nr. 3319 (1791/ 92); Nr. 3473 (1797). Hinzu kommt noch ein Fall, der vor dem Wismarer Tribunal geführt wurde. Einer der Duellanten, der Student Thomas Mevius, war nach dem für seinen Konterpart tödlich verlaufenen Duell aus Rostock geflohen. UAR, Akademisches Gericht, Nr. 1529 und Stadtarchiv Wismar (künftig: SAW), Prozessakten des Tribunals, Nr. 1594. 30 Siehe hierzu die Akten in: UAR, Akademisches Gericht. 31 Hier sind mir bislang nur zwei Fälle bekannt, in denen auch wirklich zum Duell geschritten wurde und dieses auch in Wittenberg: SächsHStADresden, 10024, Loc. 9992/ 7; Universitätsarchiv Halle-Wittenberg, Rep. 1, Nr. 1924. 32 Auch für die Universität Greifswald fällt der Befund sehr mager aus. Hier ist jedoch einschränkend zu berücksichtigen, dass größere Teile der Aktenbestände des Akademischen Gerichts verloren gegangen sind, so dass nur auf das Verzeichnis über die Revision des alten Universitätsarchivs ao 1867/ 68 cassierten Acten zurückgegriffen werden konnte. Hier ist allerdings kein einziges Duell verzeichnet, allerdings finden sich relativ viele Injurienfälle, Gewaltdelikte und auch Totschläge. Damit zeichnet sich in der Tendenz durchaus ein ähnlicher Befund ab wie für Rostock. Der Zeitpunkt der Verzeichnung legt zudem nahe, dass eher mehr als weniger Auseinandersetzungen als Duelle bezeichnet wurden - insofern ist davon auszu- 168 Das Recht als Medium des Transfers bemerkenswert reger, reichsweiter Austausch von immer neuen Gesetzesentwürfen statt, mit denen - getrennt nach konfessionellen Lagern - eine Vereinheitlichung der Bestimmungen angestrebt und auch erreicht wurde. Gerade im Fall der universitären Gesetzgebung gegen Duelle lässt sich bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts ein bemerkenswertes Nebeneinander von nur wenigen Duellfällen einerseits und sehr regen Austauschprozessen verschiedener Normierungsbestrebungen andererseits beobachten. Hier dürften die bereits eingespielten Transferprozesse - die etwa bei den Bestrebungen um eine übergreifende Gesetzgebung gegen das Pennalismus etabliert worden waren - dazu geführt haben, dass die Duellgesetzgebung ganz selbstverständlich in gleicher Weise ausgetauscht und verbreitet wurde. 33 Und auch wenn in den Normen stetig betont wurde, dass Duelle unter den Studenten nun überhandt zu nehmen drohten, so waren die konkreten Anlässe für einzelne Gesetzesinitiativen doch zumeist Einzelfälle. Dies zeigt etwa die Diskussion um eine Erneuerung des kursächsischen Duellmandats für die Universitäten im Land, die zwischen 1686 und 1695 geführt wurde. Ausgangspunkt war hier eine Initiative aus Sachsen-Eisenach, mit der man auf ein jüngst vorgefallenes Duell an der Universität Jena reagiert hatte. Dieses Gesetz sollte nun u. a. auch in Kursachsen erlassen werden, damit möglichst an allen Teutschen Universitäten die gleichen Mittel zur Abstellung der Duelle angewandt würden. Die Diskussion tröpfelte jedoch zunächst über Jahre ergebnislos vor sich hin, bis 1694 wiederum ein einzelnes Duell, aber diesmal in Wittenberg, eine Belebung der Diskussion mit sich brachte. Nun sollte ein neuerlicher Erlass immerhin auf dem nächsten Landtag diskutiert werden, allerdings kam es zu einem solchen Erlass erst im Zuge des großen sächsischen Duellmandats von 1706. Zwei Jahre nach der Publikation dieses Mandats erklärte dann der Rektor der Universität Leipzig auf Nachfrage, dass Duelle in Leipzig praktisch keine Rolle spielten, viel problematischer wären hingegen die vielfältigen Injurien, die aber nach Aussage des Rektors nur im Ausnahmefällen zu Duellen führten. 34 Vor dem Hintergrund der bis hierher vorgestellten Ergebnisse, die für die Zeit bis zum Beginn des 18. Jahrhunderts auf eine nur mäßig ausgeprägte Duellpraxis hinwei- gehen, dass hier wirklich keine Verfahren gegen Duellanten geführt wurden. Einzig bislang bekannter Fall, der auch räumlich in Greifswald angesiedelt war: Landesarchiv Greifswald (künftig: LAGw), Rep. 10, Nr. 243, Bl. 55 a-58 b u. 59-62 b. Daneben waren in Stralsund zwei, wahrscheinlich in Greifswald studierende, aber ihre Familien in Stralsund besuchende junge Männer in ein Duell verwickelt: StAHST, Rep. 3, Nr. 603. 33 In einem Schreiben von Rektor und Consilium der Universität Rostock an ihre Greifswalder Kollegen vom 28. Januar 1686 wird dieser Vergleich sogar unmittelbar gezogen. UAG Altes Rektorat, Hbg. Nr. 411, Bl. 1 a-2 a. Zur chronologischen Darstellung der entsprechenden Gesetze gegen den Pennalismus: Christian S CHÖTTGEN : Historie der ehedem auf Universitäten gebräuchlich gewesenen Pennal-Wesens, Dresden/ Leipzig 1747. Vgl. auch: F ÜSSEL : Riten der Gewalt (Anm. 21), hier S. 636-640. 34 Zu der Diskussion und dem Wittenberger Fall siehe: SächsHStADresden, 10024, Loc. 9722/ 3: Acta das Duelliren und Balgen auf der Universität zu Jena und darwider ausgelaßenes Fürstl. Sachsen=Eisenachsches Duellmandat 1689; zur Stellungnahme des Rektors der Universität Leipzig: Sächs HStADresden,10024, Loc. 10531/ 6: Abstellen des Duellirens auf Universitäten ao. 1701 ff. (beide ohne Zählung). 169 Ludwig sen, und der von Frevert vorgelegten Befunde für das 19. Jahrhundert 35 stellt sich die Frage, was zu einem Wandel und damit zu einem Anstieg der Duellfälle führte und wann dieser einsetzte. Zu einem Wandel und zu einer langfristigen Popularisierung des Duells im Alten Reich trug - so meine These - ein besonderer Aspekt in den Gesetzen bei, der nachhaltig in die Gesellschaft zurückwirkte. Gemeint ist die Integration von Sanktionsbestimmungen für Verbal- und Realinjurien in die Duellgesetze: Denn in den Duellgesetzen wurden seit dem späten 17. Jahrhundert nicht mehr nur Strafbestimmungen für Duelle bzw. Herausforderungen zum Duell festgesetzt. Daneben finden sich nun auch zunehmend ausdifferenzierte Bestimmungen zur Sanktionierung von Verbal- und Realinjurien, die in den Rechtstexten als gerichtliche Satisfaktion bezeichnet wurden. Dabei waren entsprechende Rechtsnormen für das Deliktfeld der Verbal- und Realinjurien keineswegs neu. Und neu war auch nicht die Erkenntnis, dass Beleidigungen und Duelle in einem genuinen Zusammenhang standen. Neu war allerdings, dass über die Einbindung entsprechender Sanktionsdrohungen für Verbal- und Realinjurien in die Duelledikte, die Injurien in einen unmittelbaren und als unumgänglich gedachten Wirkungszusammenhang mit Duellen gestellt wurden. Ausgangspunkt dieser Entwicklung war die Idee, dass durch eine gerichtliche Ahndung von Beleidigungen die gewaltsame Ehrverteidigung im Duell effektiv ersetzt und damit verhindert werden könne. Eingeführt wurde diese Verknüpfung innerhalb der Gesetze wiederum durch die Übernahme entsprechender Bestimmungen aus einem französischen Duelledikt von 1651 und deren sukzessive Adaption, zunächst im Reichsgutachten von 1668 und später dann auch in Normen der Partikulargewalten. 36 Das brandenburgische Duellmandat von 1688 kann hier wohl als eines der ersten einschlägigen Gesetze auf landesherrlicher Ebene gelten, in dem ausführliche Bestimmungen zur gerichtlichen Satisfaktion im Fall von Injurien integriert worden waren. 37 Dass das Brandenburger Duellmandat offenbar ein genuin neuer Vorstoß war, zeigt eine Anordnung des sächsischen Kurfürsten Johann Georg III. Dieser wies Kanzler und Räte 1690 an, vor einer Übernahme der entsprechenden Passagen des Ediktes zu prüfen, ob der Passus reparationis honoris, worauf das werck am meisten ankommt im Reich überhaupt üblich sei und eine Integration entsprechender Strafbestimmungen in ein neues kursächsisches Duellmandat sinnvoll wäre. 38 In Kursachsen kam man zu einem positiven Bescheid in der Sache und langfristig setzte sich überall im Alten Reich die 35 Ute F REVERT : Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991. 36 Edict Du Roy, Contre Les Duels Et Rencontres: Verifié en Parlement le Roy y seant le septiéme Septembre 1651. Zu den Übernahmen aus dem französischen Edikt von 1651 vgl. den Textvergleich bei B ODENHEIMER : Vorbereitungshandlungen zum Zweikampf (Anm. 17), S. 25-33. 37 Churfürstlich-Brandenburgisches Edictum Wider die Duella, 6. August 1688, Art. XI, B3 a-B5 b. In Artikel IV wird zugleich eine eng aufeinander bezogene Verbindung zwischen Injurien und Duellen deutlich. Hier heißt es, dass es verboten sei wegen vorgebrachter Plauderey/ verächtlichen Reden/ schimpfflichen Worten/ Minen und Geberden oder anderen Thätlichkeiten/ den Andern zum Duell außzufordern. Ebd., Bl. A7 a. 38 SächsHStADresden, 10024, Loc. 9992/ 7: Acta das Duell-Mandat und Das Duelliren betreffend 1665- 1706 (ohne Zählung), Schreiben v. 25. März 1690. 170 Das Recht als Medium des Transfers Aufnahme der gerichtlichen Satisfaktion, also von speziellen Strafbestimmungen für Injurienfälle, als Teil der Duellgesetzgebung durch. Entscheidend für die weitere Entwicklung des Duells im Alten Reich war dabei zweierlei: Zum einen sollten die ausgesprochen rigiden Strafandrohungen für Verbal- und Realinjurien nur dann angewandt werden, wenn die Konfliktparteien Adlige, höhere Offiziere oder aber Spitzenbeamte im Dienste der Krone waren. 39 Die Bestimmungen zur gerichtlichen Satisfaktion galten also im Unterschied zu den übrigen Paragrafen der Duellgesetze nur für ausgewählte Sozialformationen der Gesellschaft. Das heißt: Zwei Kaufleute oder Handwerker, die sich duellierten, wurden nach dem Duellmandat bestraft. 40 Im Fall, dass sich dieselben Kaufleute oder Handwerker nur beschimpften und es zu keinem Duell kam, war eine Verurteilung mit dem Verweis auf das Duellmandat aber nicht möglich, nun griff die Policeyordnung. Einzig und allein Adlige, höhere Offiziere, Spitzenbeamte und später auch noch Studenten konnten für Verbal- oder Realinjurien nach den Bestimmungen für diese Delikte in den Duellgesetzen bestraft werden. Über diesen Nebenweg etablierte sich im Kontext der Duellgesetze und der gerichtlichen Praxis eine separate Behandlung von Gruppen, die - in Anlehnung an die hierfür entscheidende Berechtigung zur gerichtlichen Satisfaktion - als satisfaktionsfähige Gruppen bezeichnet werden. Durch diese Besonderheit der Strafbestimmungen konnten Injurienklagen von den Angehörigen der ‚satisfaktionsfähigen Gruppen’ als wirkungsvolles Instrument sozialer Distinktion genutzt werden. Und dies war dann auch der Fall. Besonders eindrucksvoll wird das etwa in den Verfahren deutlich, die der nobilitierte Stralsunder Rat gegen verschiedene pommersche Adlige führte. Hier stand nicht einmal im Ansatz eine Duellforderung im Raum. Vielmehr nutzten die Angehörigen des Rates die Bestimmungen der Duelledikte sehr geschickt, um Beleidigungen oder eine aus ihrer Sicht nicht standesgemäße Behandlung durch die Adligen zur Anklage zu bringen. Ein Vorgehen, mit dem sie außerordentlich erfolgreich waren, was sich nicht zuletzt in 39 Unter den Offizieren sollten allerdings nur die Chargen biß auf den Adjutanten, Cornet und Fähndrich Berücksichtigung finden. Einbezogen waren schließlich auch ehrenhaft aus dem Dienst entlassene Offiziere (honeste dimittirte), solange sie keine bürgerliche oder bäuerliche Nahrung trieben. Vgl. dazu: Ejusdem Erneuert und geschärfftes anderweit eröffnetes Mandat Wider die Selbst=Rache, Injurien, Friedens=Stöhrungen und Duelle, den 2. Julii, Anno 1712, § 1, in: Codex Augusteus (Anm. 8), Bd. 1, Sp. 1785-1804, hier Sp. 1787 (§1). 40 Dass das Duell keineswegs auf Vertreter der später so genannten satisfaktionsfähigen Gruppen beschränkt waren, zeigen einschlägige, wenn auch quantitativ nicht schwer ins Gewicht fallende Beispiele, z. B.: SächsHStADresden, 10026, Loc. 1404/ 2, Bl. 13 a u. 39 a-42 b (Duellforderung zwischen zwei Leipziger Bürgern, 1714); SächsHStADresden, 13749, Nr. 97 (Duell zwischen Handwerksgesellen, 1673); Sächs HStADresden, 10026, Loc. 1405/ 1 (Duell zwischen einem Handwerksgesellen und einem Feldscher, 1738); LA Schwerin, Ratzeburger Regierung (4.2.-1.), Nr. 263 (Duell zwischen dem Lübecker Kaufmann Hermann Focke und Leutnant Willerandt, 1705). Vgl. auch den Beitrag von Andreas M EIER in diesem Band. 171 Ludwig entsprechenden Beschwerden des vorpommerschen und rügener Adels an den schwedischen König spiegelt. 41 In Anschluss an die Integration von Strafbestimmungen für Injurien in die Duellgesetze wird nun eine zunehmende Zahl an Strafprozessen aktenkundig, in denen Verstöße gegen die Duellmandate geahndet werden sollten. Allerdings dominierten hier bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts nicht Verfahren gegen Duellanten, sondern Verfahren gegen Injurianten. So befassten sich bspw. zwischen 1685 und 1745 von den 95 Verfahren in Duellsachen, in denen gegen Adlige in der (brandenburgischen) Provinz Pommern prozessiert wurde, nicht einmal ein Drittel mit gewalttätigen Auseinandersetzungen, die auch als Duell bezeichnet wurden. In den meisten Verfahren hatte eine Partei die andere wegen Verbal- oder Realinjurien verklagt. 42 Mit diesen Injurienklagen nach den Duellmandaten konnten die Kläger die für sich beanspruchte Zugehörigkeit zu den satisfaktionsfähigen Gruppen auf dem Rechtsweg wirkungsvoll bestätigen lassen. Zugleich wurde der Konfliktgegner zu einer Anerkennung des Ehrenstatus des Klägers verpflichtet und dies hatte im ungünstigsten Fall für den Beklagten auch noch öffentlich, auf den Knien und mit einer Kerze in der Hand zu erfolgen. In einem v i e r t e n Schritt ist also festzuhalten, dass das Prinzip einer abgegrenzten, sozial definierten Satisfaktionsfähigkeit bis weit in das 18. Jahrhundert hinein ausschließlich ein Phänomen der gerichtlichen Satisfaktion bei Injurien war. 43 Die große Zahl der Injurienklagen mit Verweis auf die Duellmandate zeigt zudem deutlich an, dass dieser Rechtsweg von den satisfaktionsfähigen Gruppen auch gezielt für die Umsetzung eigener Interessen und hier v. a. als Distinktionsmittel genutzt wurde. Aber die neuen Bestimmungen zu Verbal- und Realinjurien in den Duellgesetzen führten nicht nur dazu, dass die Klagen mit Verweis auf diese Bestimmungen für distinktive Zwecke genutzt werden konnten. Vielmehr führte gerade die Integration der Bestimmungen für Realinjurien zu einer genaueren Unterscheidung zwischen verschiedenen Formen der Gewalt. Denn nun war es Aufgabe des Gerichtes, genau herauszuarbeiten, ob es sich um einen eher einseitigen gewaltsamen Übergriff, eine Schlägerei oder aber um ein Duell handelte. 41 Einschlägige Klagen gegen die Nobilitierung des Stralsunder Rates und dessen Vorgehen, die bis nach Stockholm gelangten: u. a. RAS, Gadebuschska Samlingen, Nr. 115, Bl. 203 a-204 a; StAHST, Rep. 3, Nr. 1371. 42 Hier führe ich der Einfachheit halber nur die positiven Befunde auf: vollzogene Duelle: LAGw, Rep. 7, Nr. 5676; Nr. 2109; Nr. 762; Nr. 5098; Nr. 525; Nr. 5084; 5567; Nr. 862; Nr. 3184; Duellprovokationen: Nr. 4422; Nr. 4855; Nr. 4359; Nr. 4360; Nr. 1336 und 2387; Nr. 4359; Nr. 4360. Folgende Akten konnten nicht überprüft werden, da sie für die Einsicht angesichts ihres desolaten Zustandes nicht zur Verfügung standen: LAGw, Rep. 7, Nr. 1932; Nr. 3536 ; Nr. 1322; Nr. 3285; Nr. 2008; Nr. 3952; Nr. 1093; Nr. 764; Nr. 289. 43 Und wenngleich unbestritten ist, dass das Duell in der Praxis sehr stark von Adeligen und Offizieren dominiert war, so fehlen doch in den rechtlichen Bestimmungen zum Duell Verweise auf dessen ständische Beschränkung. Damit korrespondiert die große Selbstverständlichkeit, mit der die seltenen Fälle von Duellen unter Handwerkern, Kaufleuten oder kleineren Beamten von den Beteiligten und den Gerichten als Duelle verhandelt wurden. 172 Das Recht als Medium des Transfers Damit kann in einem f ü n f t e n Schritt konstatiert werden, dass besonders im Gefolge der Integration der Bestimmungen für Realinjurien in die Duellgesetze ein Prozess einsetzte, der sukzessive zur Herausbildung eines Verständnisses des Duells als einer spezifischen, abgrenzbaren Form von Gewalt führte. Paradoxerweise führte die Nutzung der gerichtlichen Satisfaktion als Distinktionsmittel aber zugleich dazu, dass sie keine konfliktlösende Wirkung erzielen konnte: Das Ritual von Schuldeingeständnis, symbolischer Unterwerfung unter den Gegner, gegenseitiger Vergebung und Versöhnung der Kontrahenten wurde mit seiner normativen Festschreibung zum Mindestmaß, das der beleidigte Kläger - gerade weil er unter permanenter öffentlicher Beobachtung stand - auch einfordern musste, damit seine verletzte Ehre allseits anerkannt wiederhergestellt wurde. Aus Sicht des beklagten Beleidigers stellten aber gerade diese, in der gerichtlichen Satisfaktion vorgesehenen, hochgradig ritualisierten Entschuldigungspraktiken den eigenen Ehrenstatus infrage und machten den Rechtsweg selbst zur Ehrkränkung. Die gerichtliche Satisfaktion kannte damit Sieger und Verlierer. Dieses Dilemma sollte parallel zu den immer stärker ausdifferenzierten Bestimmungen zur gerichtlichen Satisfaktion in den Duelledikten im Laufe des 18. Jahrhunderts zunehmend virulent werden und bis weit in das 19. Jahrhundert ohne wirkliche Lösung bleiben. 44 Auf diese Weise leistete die Dysfunktionalität der neu in die Duellmandate integrierten Bestimmungen zur gerichtlichen Satisfaktion der endgültigen Etablierung des Duells als Satisfaktionsstrategie und kultureller Praxis gerade für die satisfaktionsfähigen Gruppen ganz entscheidenden Vorschub. Denn im Gegensatz zu den letztlich ehrenrührigen Bestimmungen der gerichtlichen Satisfaktion war im Duell die Bestätigung der Statusgleichheit der Kontrahenten ebenso eingeschrieben, wie eine beiderseitige konfliktlösende Wirkung intendiert war. Die Integration der gerichtlichen Satisfaktion von Injuriensachen in die Duellgesetze - so ließe sich als abschließende These formulieren - führte damit letztlich zu einer inhaltlichen Abgrenzung, entscheidenden Aufwertung und endgültigen Etablierung des Duells als spezifischer Handlungsform und kultureller Praxis im Alten Reich. Und in der Sattelzeit setzte dann auch - so kann auf der Basis meiner Untersuchungen zu Kursachsen, Pommern und Mecklenburg als s e c h s t e r und letzter Schritt festgehalten werden - die eigentliche Hochphase des Duells ein. 44 Vgl. hierzu den Beitrag von Marc B ORS in diesem Band. 173 Marc Bors Duell und juristischer Ehrenschutz Zur Rolle des Duells in der Literatur zum Ehrverletzungsrecht im 19. Jahrhundert 1. Fragestellung Welche Rolle spielte das Duell in der juristischen Literatur zum Ehrverletzungsrecht im 19. Jahrhundert? Um Missverständnissen vorzubeugen, wird zunächst der hier verwendete Duellbegriff dargestellt und der Unterschied zwischen Duell und juristischem Ehrenschutz erläutert. Der Begriff des Duells ist schillernd. Zu den Problemen der Duellgeschichtsschreibung gehört deshalb immer auch die Frage, was eigentlich als ‚Duell‘ zu betrachten sei. Besonders schwierig zu beantworten ist diese Frage für die Zeit der Vormoderne. 1 Das zeigt schon ein Blick auf die verschiedenen, in unterschiedlichen Territorien seit dem 17. Jahrhundert erlassenen ‚Duellmandate‘. 2 Darin befassten sich die Gesetzgeber mit einer heterogenen Vielzahl von Friedens-Stöhrungen, die von Raufhändeln über Injurien bis zu bewaffneten Zweikämpfen reichten. 3 Im 19. Jahrhundert bildete sich - nicht zuletzt unter dem Einfluss der Strafrechtsgesetzgebung 4 - ein wesentlich engerer Duellbegriff heraus. Danach galt als Duell jeder zwischen zwei Personen verabredete, ernstliche Kampf mit gleichen, tödlichen Waffen, der nach vereinbarten oder hergebrachten Regeln durchgeführt wurde. 5 Noch enger fiel 1 Vgl. Ute F REVERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 19 ff. 2 Vgl. m. w. H. Dieter P ROKOWSKY : Die Geschichte der Duellbekämpfung, Bonn 1965, S. 17 ff. 3 Vgl. etwa das preußische Duellmandat (Mandat wieder die Selbst-Rache, Injurien, Friedens-Stöhrungen und Duelle) vom 28. Juni 1713. Siehe auch: Martin D INGES : Die Ehre als Thema der Stadtgeschichte. Eine Semantik im Übergang vom Ancien Régime zur Moderne, in: Zeitschrift für Historische Forschung 16 (1989), S. 409-440, hier S. 410 f.; Norbert E LIAS : Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, hrsg. von Michael Schröter, 3. Aufl., Frankfurt a. M. 1990, S. 68 ff.; Christoph F ÜRBRINGER : Metamorphosen der Ehre. Duell und Ehrenrettung im Jahrhundert des Bürgers, in: Richard van D ÜLMEN (Hg.): Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen Kulturforschung, Frankfurt a. M. 1988, S. 186-224 u. 291-298, hier S. 186 ff.; Friedhelm G UTTANDIN : Das paradoxe Schicksal der Ehre. Zum Wandel der adeligen Ehre und zur Bedeutung von Duell und Ehre für den monarchischen Zentralstaat, Berlin 1993, S. 159 ff.; Karsten G ARSCHA : Die Unterwerfung des Adels. Das königliche Duellverbot und der Streit um Pierre Corneilles Drama Le Cid, in: Uwe S CHULTZ (Hg.): Das Duell. Der tödliche Kampf um die Ehre, Frankfurt a. M./ Leipzig 1996, S. 34-51; Reinhard Z IMMERMANN : The law of obligations. Roman foundations of the civilian tradition, Cape Town/ München 1990, S. 1085; Friedrich Z UNKEL : Ehre, Reputation, in: Otto B RUNNER / Werner C ONZE / Reinhart K OSELLECK (Hg.): Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, 3. Aufl., Stuttgart 1995, S. 1-63, hier S. 41 ff. 4 Vgl. F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 1), S. 65 ff. 5 Vgl. Anton B AUER : Lehrbuch des Strafrechtes, 2. Aufl., Göttingen 1833, S. 506 (§ 359); Albert Friedrich B ERNER : Lehrbuch des Deutschen Strafrechtes, 5. Aufl., Leipzig 1871, S. 543 (§ 214); Karl B INDING : Lehrbuch des Gemeinen Deutschen Strafrechts. Besonderer Teil, Bd. 1, 2. Aufl., Leipzig 1902, S. 68 ff. 175 Bors die Definition des Zweikampfes aus, wenn diese bei den Duellanten außerdem ein spezifisches Motiv voraussetzte. Nach verbreiteter 6 - aber nicht unbestrittener 7 - Ansicht lag ein Duell nämlich nur dann vor, wenn der Zweikampf eine Reaktion auf eine (vermeintliche) Ehrverletzung darstellte. Begriffsnotwendig war nach dieser Ansicht somit der Beweggrund des Herausforderers, sich durch ein Duell Genugtuung für eine Beleidigung zu verschaffen. Das so verstandene Duell präsentierte sich als eine förmliche Reaktion auf eine Ehrverletzung, die ohne den Richter auskam. Mit dem juristischen Ehrenschutz hatte das Duell gemein, dass es ein regelgeleitetes Verfahren darstellte, in dem sich der Beleidigte gegen den Beleidiger zur Wehr setzen konnte. Der Zweikampf unterschied sich vom Injurienprozess allerdings sowohl durch die Art der anwendbaren Regeln als auch durch das Verfahren bei der Durchsetzung dieser Normen: Die Duellregeln beruhten - anders als beim Injurienrecht - nicht auf obrigkeitlichem Willen und ihre Anwendung wurde von der Justiz nicht kontrolliert. Die Tatsache, dass im 19. Jahrhundert zwei verschiedene, normativ bestimmte Verfahren nebeneinander existierten, mit denen auf Ehrverletzungen reagiert werden konnte, wirft die Frage auf, wie sich diese beiden Verfahrenstypen zueinander verhielten. Konkret: Beeinflusste das Injurienrecht das Duellwesen (oder umgekehrt)? Stand der Beleidigte vor der freien Wahl zwischen zwei möglichen Reaktionsformen? Und wenn ja: Gab es Präferenzregeln bei der Wahl zwischen den Verfahren? Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden, und zwar anhand der Äußerungen, die sich in der Injurienliteratur zu diesem Thema finden. (§ 18); Franz von L ISZT : Lehrbuch des Deutschen Strafrechts, 9. Aufl., Berlin 1899, S. 340 (§ 93); Johann Christian Edler von Q UISTORP : Grundsätze des deutschen Peinlichen Rechts, Erster Theil, 6. Aufl., Deutschland 1796, S. 536; Jodocus Deodatus Hubertus T EMME : Lehrbuch des Preußischen Strafrechts, Berlin 1853, S. 823 (§ 194). Zur reichsgerichtlichen Definition des ‚Zweikampfes‘ nach §§ 201 ff. RStGB siehe: RGSt 4, 409; 7, 31. 6 Vgl. Julius Friedrich Heinrich A BEGG : Lehrbuch der Strafrechtswissenschaft, Neustadt Orla 1836, S. 587 (§ 458); B ERNER : Lehrbuch (Anm. 5), S. 543 (§ 214); Paul Johann Anselm Ritter von F EUERBACH : Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 9. Aufl., Gießen 1826, S. 166 (§ 189); Karl Ludwig Wilhelm von G ROLMAN : Grundsätze der Criminalrechtswissenschaft, 3. Aufl., Gießen 1818, S. 392 (§ 346); Hugo Philipp Egmont H ÄLSCHNER : System des Preußischen Strafrechts, Zweiter Theil: Die Verbrechen gegen das Recht der Privatperson, Bonn 1868, S. 212 f.; August Wilhelm H EFFTER : Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechtes mit Rücksicht auf ältere und neuere Landesrechte, 5. Aufl., Braunschweig 1854, S. 293; Eduard H ENKE : Handbuch des Criminalrechts und der Criminalpolitik, Dritter Theil, Berlin und Stettin 1830, S. 598 (§ 202); Carl Ernst J ARCKE : Handbuch des gemeinen deutschen Strafrechts mit Rücksicht auf die Bestimmungen der preußischen, österreichischen, baierischen und französischen Strafgesetzgebung, Bd. 2, Berlin 1828, S. 226 (§ 17); Christoph M ARTIN : Lehrbuch des Teutschen gemeinen Criminal-Rechts, mit besonderer Rücksicht auf das im Jahre 1813 publicirte Strafgesetzbuch für das Königreich Baiern, 2. Aufl., Heidelberg 1829, S. 607 (§ 249); Carl Joseph Anton M ITTERMAIER : Bemerkungen über Duellgesetze und den Zusammenhang derselben mit den Gesetzen über Ehrenverletzungen, in: Neues Archiv des Criminalrechts 3 (1819), S. 445; T EM - ME : Lehrbuch (Anm. 5), S. 823 f. (§ 194); Carl August T ITTMANN : Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Strafgesetzkunde, Bd. 2, 2. Aufl., Halle 1823, S. 80 f. (§ 263). Das preuß. ALR von 1794 setzt voraus, dass Privatzweykämpfe Reaktionen auf Beleidigungen darstellen (siehe §§ 667 ff. II 20 ALR). 7 Vgl.: B AUER : Lehrbuch (Anm. 5), S. 507, Anm. d § 359; B INDING : Lehrbuch (Anm. 5), S. 71 (§ 18); L ISZT : Lehrbuch (Anm. 5), S. 340 (§ 93). Zur Rechtsprechung vgl.: RGSt 7, 31 f. u. 63, 7 f. 176 Duell und juristischer Ehrenschutz 2. Die Verbindungsthese Im Zeitraum zwischen dem späten 18. und dem frühen 20. Jahrhundert wurde immer wieder die These formuliert, wonach es einen evidenten Zusammenhang zwischen dem Injurienrecht und dem Duellwesen gäbe. Die Autoren, die diesen Zusammenhang behaupteten, gingen dabei von zwei Bewertungen aus: Zum einen hielten sie das Duell für einen ‚Missstand‘. Die Rede war typischerweise vom ‚Duellunwesen‘, das zu bekämpfen sei. Die Gründe für diesen Kampf waren unterschiedlich. 8 Das Duell wurde etwa als ‚unerlaubte Selbsthilfe‘ verurteilt, als ‚unchristlich‘ verdammt, als veraltete, von Standesdünkeln beherrschte Unsitte verschmäht oder als irrationale und somit ungerechte Form der Streitentscheidung abgelehnt. Zum anderen waren die Autoren, die zwischen dem ‚Duellunwesen‘ und dem Injurienrecht eine Verbindung ausmachten, der Meinung, dass der juristische Ehrenschutz ‚mangelhaft‘ sei. Sie bedauerten, dass das Recht die Ehre nicht angemessen zu schützen verstand. Diese Rechtskritik wurde seit dem späten 18. Jahrhundert in zahlreichen Abhandlungen zum Ehrverletzungsrecht geäußert. Immer wieder wurde über die Nachlässigkeit 9 geklagt, mit der die Lehre von den Injurien behandelt werde. Allenthalben bedauerte man die Verunstaltung, die diese Lehre durch die Wissenschaft und die Praxis erfuhr. 10 Unablässig wurde konstatiert, dass sich die Injurienlehre vor allem durch grenzenlose Verwirrung, 11 große Unbestimmtheit 12 und Verschiedenheit und Schwankung der Ansichten 13 auszeichnete. Man hielt die Inju- 8 Zur Darstellung der Argumente der aufgeklärten Duellkritik siehe: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 1), S. 37 ff. 9 Karl Ludwig Wilhelm von G ROLMAN : Ueber Ehre und guten Namen, in: DERS . (Hg.): Magazin für die Philosophie und Geschichte des Rechts und der Gesetzgebung, Bd. 1, Gießen/ Darmstadt 1798, S. 1-55, hier S. 6; siehe auch Ludwig Harscher von A LMENDINGEN : Grundzüge zu einer neuen Theorie über Verletzungen des guten Namens und der Ehre, in: Karl Ludwig von G ROLMAN (Hg.): Magazin für die Philosophie und Geschichte des Rechts und der Gesetzgebung, Bd. 2, Gießen/ Darmstadt 1807, hier S. 167; Christian Gotthelf H ÜBNER : Ueber Ehre, Ehrlosigkeit, Ehrenstrafen und Injurien. Ein Beytrag zur Berichtigung der positiven Rechtswissenschaft, Leipzig 1800, S. 8. 10 Ferdinand W ALTER : Ueber Ehre und Injurien nach Römischem Recht, in: Neues Archiv des Criminalrechts 4 (1820), S. 108-140, hier S. 108; siehe auch: Carl Joseph Anton M ITTERMAIER : Beiträge zur Lehre von den Ehrenkränkungen und Prüfung der Vorschriften der bisherigen Gesetzgebungen über Injurien, in: Neues Archiv des Criminalrechts 13 (1833), S. 502-539, hier S. 503. 11 Theodor M AREZOLL : Ueber die bürgerliche Ehre, ihre gänzliche Entziehung und theilsweise Schmälerung. Eine historisch-dogmatische Abhandlung, Gießen 1824, S. 348, Anm. 2; Gallus Aloys Kaspar K LEINSCHROD : Grundzüge der Lehre von den Injurien, in: Archiv des Criminalrechts, Bd. 1.4 (1799), S. 1-37, hier S. 10; Ottomar H AKEN : Ueber den Begriff der Ehre, deren Verletzung und Wiederherstellung, Dorpat 1850, S. 6. 12 Carl Joseph Anton M ITTERMAIER : Ueber die gesetzliche Feststellung des Begriffs der Ehrenkränkung und den Unterschied von Verleumdung und einfacher Ehrenkränkung, in: Neues Archiv des Criminalrechts 14 (1834), S. 65-92, hier S. 71; siehe auch: Christian Reinhold K ÖSTLIN : Die Ehrverletzung nach deutschem Rechte, in: Zeitschrift für deutsches Recht und deutsche Rechtswissenschaft 15 (1855), S. 151-236 u. 364-435, hier S. 152 f. 13 Heinrich L UDEN : Ehrlosigkeit und Ehrenschmälerung, in: Julius W EISKE (Hg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, Bd. 3, Leipzig 1841, S. 607- 632, hier S. 609; siehe auch: Carl Joseph Anton M ITTERMAIER : Injurien, in: Julius W EISKE (Hg.): Rechtslexikon für Juristen aller teutschen Staaten enthaltend die gesammte Rechtswissenschaft, Bd. 5, Leipzig 1844, S. 863-904, hier S. 863; Carl Theodor W ELCKER : Infamie, Ehre, Ehrenstrafen, in: Carl 177 Bors rienlehre für eine der dunkelsten und verworrensten des ganzen Rechtssystems […] 14 - eine Lehre mit schwankenden Grundsätzen 15 und schwankenden Begriffen. 16 Die Verbindung zwischen der Klage über das Duellunwesen und der Kritik am mangelhaften Ehrverletzungsrecht folgte nun dergestalt, dass das eine als Folge des anderen dargestellt wurde: Die Verbreitung und Unausrottbarkeit des Duells wurde als Ergebnis des ungenügenden juristischen Ehrenschutzes präsentiert. Kurz: Der unbefriedigende Rechtszustand erklärte das unerwünschte soziale Phänomen. Zu diesem Befund kam etwa Carl Joseph Anton Mittermaier in einer 1819 publizierten Untersuchung mit dem Titel Bemerkungen über Duellgesetze und den Zusammenhang derselben mit den Gesetzen über Ehrenverletzungen. 17 Der badische Rechtsgelehrte argumentierte rechtspolitisch und rief den zeitgenössischen Gesetzgebern zu: Will man […] dem traurigen Uebel der Duelle vorbeugen, so muß man auf der andern Seite für sichere zweckmäßige Gesetze gegen Beleidigungen Sorge tragen. 18 Am Beispiel des bayerischen Strafgesetzbuches von 1813 illustrierte Mittermaier den rechtlichen Missstand. Dieses Gesetz habe, so bedauerte Mittermaier, die Verleumdung nur dann für strafbar erklärt, wenn der Täter sein Opfer fälschlicherweise eines Verbrechens oder Vergehens beschuldigt hatte; andere Formen der Verleumdung und übrige Injurien seien nur als Polizeisachen verfolgt worden. 19 Mittermaier kommentierte diese Rechtslage mit der lakonischen Feststellung: Kaum dürften solche Strafgesetze hinreichende Schutzmittel der Ehre genannt werden. 20 Die Kritik galt aber nicht nur den (straf-)rechtlichen Tatbeständen, sondern auch dem Verfahren in (zivilen) Ehrverletzungsprozessen und den dabei möglichen Anspruchszielen. Mittermaier führte aus: Auf einer Seite führen alle im Civilwege eingeleiteten Injurienprozesse, besonders wenn Rechtsanwälte sich gegenüberstehen, zu Erörterungen, welche von dem Ehrliebenden gehaßt, gewöhnlich neue Kränkungen erzeugen, zugleich aber den Bruch zwischen dem Geschmähten und dem Beleidiger unheilbar machen. Auf der andern Seite empört sich ein natürliches Gefühl gegen die Anstellung einer Klage, bei welcher von R OTTECK / Carl Theodor W ELCKER (Hg.): Das Staats-Lexikon. Encyklopädie der sämmtlichen Staatswissenschaften für alle Stände, 2. Aufl., Bd. 7, Altona 1847, S. 377-404, hier S. 377. 14 Johann Friedrich B UDDE : Ueber Rechtlosigkeit, Ehrlosigkeit und Echtlosigkeit. Eine Abhandlung aus dem deutschen Rechte, Bonn 1842, S. III. 15 K LEINSCHROD : Grundzüge (Anm. 11), S. 1; siehe auch: Ludwig Harscher von A LMENDINGEN : Grundzüge zu einer neuen Theorie über Verletzungen des guten Namens und der Ehre. Ein philosophischjuridischer Versuch, in: Karl Ludwig von G ROLMAN (Hg.): Magazin für die Philosophie und Geschichte des Rechts und der Gesetzgebung, Bd. 1, Gießen/ Darmstadt 1800, S. 1-68, hier S. 4; Ludwig Harscher von A LMENDINGEN : Rezension zu: Gallus Aloys Kaspar Kleinschrod, Grundzüge der Lehre von den Injurien (in: Archiv des Criminalrechts, Bd. 1, Heft 4, Halle 1799, S. 1-34), in: DERS ./ Paul Johann Anselm F EUERBACH / Karl Ludwig Wilhelm von G ROLMAN (Hg.): Bibliothek der peinlichen Rechtswissenschaft und Gesetzeskunde, Zweyter Band erstes Stück, Göttingen 1800, S. 483-485, hier S. 483; A LMEN - DINGEN : Grundzüge 2 (Anm. 9), S. 167; M ITTERMAIER : Beiträge (Anm. 10), S. 505. 16 Karl Friedrich H ÄBERLIN : Ueber das dem Freyherrn Moriz von Brabeck angeschuldigte Verbrechen der beleidigten Majestät, Braunschweig 1800, S. 112. 17 M ITTERMAIER : Bemerkungen (Anm. 6). 18 Ebd., S. 446; siehe auch: M ITTERMAIER : Beiträge (Anm. 10), S. 505. 19 D ERS .: Bemerkungen (Anm. 6), S. 446 f. 20 Ebd., S. 447. 178 Duell und juristischer Ehrenschutz man die Ehre zu Geld anschlagen soll, oder wobei man doch so erscheint, als wenn man es gethan hätte. 21 Bei dieser Lage der Dinge war Mittermaier bereit, das traurige Uebel der Duelle hinzunehmen, und er schloss seine Abhandlung mit leiser Melancholie, indem er konstatierte: […] und es ist weiser, wenn die Gesetzgebung ein Uebel oft duldet, um dadurch andere zu vermindern. 22 Ähnlich argumentierte Mittermaiers Landsmann und Kollege Carl Welcker um die Jahrhundertmitte. Allerdings bezeichnete Welcker das Duell nicht als trauriges Uebel, sondern als die einzige taugliche Form der Ehrverteidigung. Vom Zweikampf versprach sich Welcker nämlich eine bessere Aussöhnung als von einem Injurienproceß mit seiner stets neuen und oft jahrelangen Kränkung und seinen einem Lostopfe ähnlichen unsicheren Entscheidungen […]. 23 Rudolf von Jhering sah 1872 im Institut des Duells den Beweis dafür, daß die Strafen, welche der Staat über die Ehrverletzung verhängt, dem empfindlichen Ehrgefühl gewisser Klassen der Gesellschaft kein Genüge leiste, 24 und Hermann von Bülow präzisierte den gleichen Gedanken am Ende des Jahrhunderts mit den Worten: Es kann wohl keinem Zweifel unterliegen, daß die für schwere Fälle der Beleidigung ganz ungenügenden Strafandrohungen des Gesetzes und dazu dann noch die energielose Anwendung der Strafbestimmungen durch die Gerichte einer der Gründe ist, weshalb der Zweikampf nach der Anschauung großer, gebildeter Kreise, die sonst keineswegs ihren Anschauungen und ihrer Lebensführung nach irreligiös, unsittlich oder Gesetzesverächter sind, noch immer unentbehrlich ist. 25 In die gleiche Kerbe schlug der Strafrechtler Franz von Liszt und brachte den Zusammenhang zwischen Duell und Injurienrecht mit dem folgenden Satz auf den Punkt: In der Unausrottbarkeit des Zweikampfes liegt der unwiederbringliche Beweis für die Unzulänglichkeit unserer Gesetzgebung. 26 Heinrich Lammasch konnte diesem Satz nur wortreich beipflichten. 27 Und auch Hans Helfritz blieb zu Beginn des 20. Jahrhunderts nur die Wiederholung des immer gleichen Gedankens. Er hielt fest: Das Bestehen der Sitte des Duells weist nicht nur die wichtige Bedeutung der Sühne von Ehrverletzungen nach, 21 Ebd., S. 448. 22 Ebd., S. 452. 23 W ELCKER : Infamie (Anm. 13), S. 388. Zu Welckers Verteidigung des Duells siehe: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 1), S. 217 f. 24 Rudolf von J HERING : Der Kampf um’s Recht, Wien 1872, S. 70. 25 Herrmann von B ÜLOW : Ueber den Schutz der Ehre und das Recht freier Meinungsäußerung, in: Der Gerichtssaal 46 (1892), S. 261-298, hier S. 264 f. 26 L ISZT : Lehrbuch (Anm. 5), S. 352. 27 Heinrich L AMMASCH : Bericht über strafrechtliche und strafprozessuale Änderungen zum Zwecke eines erhöhten Schutzes der Ehre, in: Franz K LEIN / Heinrich L AMMASCH : Die Verbesserung des Ehrenschutzes. Berichte, erstattet der konstitutionierenden Generalversammlung der allgemeinen Anti-Duell- Liga für Österreich. Mit einem Anhange: Bericht über die konstituierende Generalversammlung und Statut für den Ehrenrat, Wien 1903, S. 11 ff. 179 Bors sondern es verlangt diese Thatsache auch eine gesetzliche Regelung des Beleidigungswesens, die zur Verhütung der Zweikämpfe beiträgt. 28 3. Kritik der Verbindungsthese Die dargestellte These, wonach das mangelhafte Ehrverletzungsrecht die Duellsitte im 19. Jahrhundert befördert haben soll, kann bei näherer Betrachtung kaum überzeugen. Diese These geht nämlich von der Annahme aus, dass die beiden Ehrenschutzverfahren dazu bestimmt waren, im Grunde das gleiche Problem zu lösen und insofern funktionale Äquivalente waren. Geht man von dieser Gleichheit des zu lösenden Problems aus, so leuchtet die These ein, dass die defizitäre Problemlösung des einen Verfahrens zu einer Konjunktur des anderen führte. In Wirklichkeit wurden aber mit Duell und Injurienprozess keineswegs die gleichen Zwecke verfolgt. Zwar zielten die beiden Verfahren auf den Schutz der verletzten Ehre. Dieses abstrakte, gemeinsame Verfahrensziel verdeckt aber die Tatsache, dass mit dem Duell ganz andere konkrete Absichten realisiert wurden als mit dem Injurienprozess. Diese wirklichen Duellzwecke hat die historische Duellforschung bereits ausführlich dargestellt. 29 Im Wesentlichen konzentrierten sich die spezifischen Ziele, die mit dem Duell verfolgt wurden, auf drei Punkte: Distinktionsgewinn, Selbstdarstellung und Autonomiebeweis. a. Das Duell war ein wirksames Mittel zur Darstellung sozialer Distinktion. Wer zum Duell forderte oder eine Duellforderung annahm, demonstrierte damit seine Zugehörigkeit zum exklusiven Kreis der satisfaktionsfähigen Gesellschaft. 30 Dieses Zelebrieren des sozialen Status war im Injurienprozess von vornherein ausgeschlossen: Wer auf eine Ehrverletzung mit einer Klage reagierte, trat als gewöhnlicher Rechtssuchender vor den Richter und nahm damit eine Position ein, die jedem anderen Bürger ebenfalls zugänglich war. Das Problem des juristischen Ehrenschutzes bestand weniger in der Tatsache, dass das Recht die Ehre mangelhaft schützte; der Nachteil des Injurienrechts lag vielmehr in dem Umstand, dass die satisfaktionsfähigen Kreise vor dem Richter ihr Bedürfnis nach Darstellung ihrer herausgehobenen sozialen Stellung nicht befriedigen konnten. Der Aufklärer Woldemar Friederich Graf von Schmettow hatte auf diesen Punkt in einer 1795 erschienen Abhandlung hingewiesen. 31 Schmettow gehörte zur Gruppe jener Duellgegner, die die Duellsitte zwar nicht rechtfertigen, wohl aber erklären wollten. Schmettow konstatierte: Die vornehmsten Herren führen wohl unter sich Processe in Civil, nur nicht gerne in Injurien-Sachen. 32 Den Grund für diese schichtspezifische Abneigung 28 Hans H ELFRITZ : Der geschichtliche Bestand und die legislative Verwertbarkeit von Widerruf, Abbitte und Ehrenerklärung, Diss. Greifswald 1905, S. 150. 29 Siehe: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 1), S. 179 ff., 196 ff., 237 u. 241 und Rudolf P ANTENBURG : Ueber die Zusammenhänge von Duell und staatlichem Ehrenschutz. (Unter Berücksichtigung des Entwurfes eines Allgemeinen Deutschen Strafgesetzbuches, 1927), Köln-Kalk 1928, S. 42. 30 Zur satisfaktionsfähigen Gesellschaft im 19. Jh. (Adel, gehobenes Bürgertum, Militärs, Studenten) siehe: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 1), S. 76 ff., 89 ff. u. 133 ff. 31 Woldemar Friederich Graf von S CHMETTOW : Ueber das Duell, in: DERS ., Kleine Schriften, 1. Teil, Altona 1795, S. 111-148. 32 Ebd., S. 112. 180 Duell und juristischer Ehrenschutz gegen den Injurienprozess sah Schmettow nicht in einem Mangel des Injurienrechts, der dem Gesetzgeber vorgeworfen werden konnte. Vielmehr hielt er eine Gesetzgebung, die allen Differenzierungen schichtspezifischer Ehrgefühle und Genugtuungsbedürfnisse Rechnung trüge, von vornherein für ausgeschlossen. Schmettow begnügte sich deshalb mit der Feststellung, dass die Duelle ein nothwendiges Uebel sind, welches der Gesetzgeber so viel möglich entkräften muss, aber nicht ganz abschaffen kann, weil unendlich viele damit verbundene Vorurtheile der Geburt, der Ehre und Unehre, des militairischen Point d’honneur etc. nicht wohl abzuschaffen sind; vielleicht nicht vor dem Jahre 2240. 33 Damit hatte Schmettow das Duell als Funktion eines sozialen Differenzierungsbedürfnisses gedeutet und das Verschwinden des Duells vom Verschwinden dieses Begehrens abhängig gemacht. Blickt man auf die heute rekonstruierbaren Gründe für den Untergang der Duellsitte, 34 so kann man feststellen, dass sich Schmettow weder mit seiner Analyse noch mit seiner Prognose des Verschwindens des sozialen Phänomens - vom Datum abgesehen - getäuscht hatte. b. Das Duell bot dem Opfer einer Ehrverletzung weiter die Möglichkeit, das Gewicht seines Anspruchs auf Achtung seiner Ehre unter Beweis zu stellen. Dies geschah, indem die in ihrer Ehre verletzte Person im Zweikampf Genugtuung suchte und dabei ihr Leben aufs Spiel setzte. 35 Es muss nicht weiter ausgeführt werden, dass ein solcher Tatbeweis des eigenen Ehrverständnisses durch eine simple Ehrverletzungsklage nicht erbracht werden konnte. Auch hier zeigt sich, dass die Selbstdarstellung als unerschrockener Ehrenmann ein unnachahmlicher Teil des Duell-Verfahrens war. Der Tübinger Philosoph Carl August Eschenmayer fasste diesen Aspekt des Unterschieds zwischen Duell und Injurienprozess mit den folgenden Worten besonders drastisch zusammen: Es ist bei dem Duell weit weniger die Frage, auszumachen, wer Recht habe, weit weniger die Absicht, den Beleidiger zu strafen, als blos zu zeigen, dass uns die Ehre lieber ist als das Leben. Man beurtheilt das Duell ganz falsch, wenn man ihm eine rechtliche Genugthuung unterlegt; diese kann ihrer Natur nach gar nicht Statt finden, weil der Beleidigte auch zugleich der Beschädigte werden kann, was dem Recht nach nie seyn dürfte. Ein Duell ist blos eine Genugthuung seiner selbst, dem eigenen Gefühl will man Genüge leisten, und darum ist bei Duellanten zwischen dem beleidigenden und dem beleidigten Theil völlige Gleichstellung. 36 Damit wies Eschenmayer auf die Duellmentalität hin, in deren Zentrum das Anliegen stand, zu demonstrieren, daß uns die Ehre lieber ist als das Leben. Diese Mentalität und ihre - scheinbar ungerechten und willkürlichen - Konsequenzen hatten mit der Rationalität des juristischen Ehrenschutzes nichts gemein. Und die Feststellung, wonach die 33 Ebd., S. 122 f. 34 Zum Ende des Duells im 20. Jahrhundert siehe: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 1), S. 233 ff. 35 Vgl. ebd., S. 206. 36 Carl August E SCHENMAYER : System der Moralphilosophie, Stuttgart/ Tübingen 1818, S. 332. 181 Bors Duellsitte Beweis für die Unzulänglichkeit des Ehrverletzungsrechts sei, erscheint mit Blick auf diese von Eschenmayer dargestellte Duelllogik geradezu als absurd. c. Schließlich bot das Duell auch Gelegenheit, den Anspruch der Duellanten auf ‚autonome‘ Konfliktbewältigung in Szene zu setzen. 37 Dieser Anspruch war Ausdruck der Ablehnung des omnipotenten Staates im Allgemeinen und Abwehr des obrigkeitlichen Anspruches auf das Streitschlichtungsmonopol im Besonderen. Duellbefürworter unterstrichen den Wert der selbstgeschützten Ehre, indem sie sich vom Ehrenzweikampf eine bessere Aussöhnung als von einem Injurienprozess versprachen. 38 Aber den Duellanten ging es nicht nur um die Effizienz der Beilegung des Ehrkonflikts, sondern auch um die demonstrative Negation der Kompetenz des staatlichen Injurienrichters. Gerade dieser in jedem einzelnen Duell manifestierte Autonomiebeweis der Duellanten mobilisierte die Duellgegner, die in der Zweikampfsitte eine verwerfliche Insubordination witterten. Der preußische Hofrat Johann Daniel Friedrich Rumpf sprach sich aus diesem Grund gegen das Duell aus: Bei einem vollkommen gesicherten Rechtszustande kann also der Zweikampf nicht geduldet werden, denn, wo das Richteramt des Staates alle Güter der Einzelnen, mithin auch die Ehre schützt […], da bedarf es nicht der Privatgewalt. Deshalb kam Rumpf zu dem Ergebnis: Die Duellanten beleidigen […] den Staat, denn sie umgehen seine richterliche Gewalt. 39 Die Entschiedenheit, mit der hier das Duell abgelehnt wurde, verweist auf einen wunden Punkt, der im Autonomie-Reservat der Duellanten bestand. Es liegt auf der Hand, dass jenes Reservat, das sich auf den Anspruch der Selbstregulierung von Ehrkonflikten beschränkte, in keinem Zusammenhang mit ‚Mängeln‘ des juristischen Ehrenschutzes stand. 4. Injurienrechtspolitik Fasst man die dargestellten Duellzwecke zusammen, so ergibt sich unzweifelhaft, dass die in der Injurienliteratur des 19. Jahrhunderts verbreitete Verbindungsthese, wonach Defizite des Ehrverletzungsrechts für den Fortbestand der Duellsitte (mit)verantwortlich gewesen sein sollten, unhaltbar ist. 40 Es stellt sich deshalb die Frage, was hinter jener Verbindungsthese steckt. Um einen schlichten Irrtum 41 wird es sich wohl nicht gehandelt haben. Das macht schon die große Zahl und die Prominenz der Ehrverletzungsrechtler unwahrscheinlich, die eine Verbindung zwischen dem mangelhaften Zustand des Ehrverletzungsrechts und der Duellsitte behaupteten. Außerdem ist nicht davon auszugehen, dass den Spezialisten des juristischen Ehrenschutzes die geschilderten Besonderheiten der Duellmotive unbekannt gewesen waren. Wieso wurde also in der Injurienliteratur jener Zusammenhang zwischen Injurienrecht und Duellwesen 37 Vgl. F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 1), S. 186. 38 W ELCKER : Infamie (Anm. 13), S. 388. 39 Johann Daniel Friedrich R UMPF : Preußens bewaffnete Macht. Eine Darstellung ihrer äußern und innern Verfassung mit einem Nachtrage über das Duell und Injurien, Anhang, 2. Aufl., Berlin 1830, S. 6. 40 Zu diesem Befund gelangt P ANTENBURG : Zusammenhänge (Anm. 29), S. 44, schon im Jahre 1928. Allerdings begnügt sich Pantenburg mit der Feststellung, dass die Verbindungsthese ein ‚Irrtum‘ sei und lässt die Frage offen, weshalb jener Irrtum eine so bemerkenswerte Karriere gemacht hat. 41 S. o. Anm. 40. 182 Duell und juristischer Ehrenschutz gleichwohl so hartnäckig behauptet? Die Antwort auf diese Frage hat mit dem Duell- Phänomen wenig, mit dem Injurienrecht jedoch viel zu tun. Seit dem späten 18. Jahrhundert gehörte das Ehrverletzungsrecht zu den umstrittensten Rechtsmaterien. Dabei galten die Kontroversen in erster Linie dem Verbalinjurienrecht. Diese Materie zog die Aufmerksamkeit von Juristen und Rechtspolitikern auf sich, weil auf dem Gebiet des juristischen Ehrenschutzes das Problem der Grenzen der Meinungsfreiheit verhandelt wurde. Im frühen 19. Jahrhundert war in den deutschen Territorien - anders als etwa in Frankreich seit der Déclaration des Droits de l‘Homme et du Citoyen vom 26. August 1789 42 - ein selbständiges Grundrecht auf freie Meinungsäußerung rechtlich nicht verankert - unbekannt war dieses ‚Menschenrecht‘ freilich nicht. Seit den späten 70er Jahren des 18. Jahrhunderts gingen nämlich die Gerichte dazu über, in Rechtsstreitigkeiten um ehrverletzende Äußerungen Positionen wie die Preßfreyheit, die Freyheit, sein Urtheil über Werke des Geschmacks fällen zu dürfen oder die Freyheit zu denken zu berücksichtigen. 43 In der Injurienliteratur des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts wurde die Freiheit, seine Meinungen und Urtheile mitzutheilen, es sei öffentlich, oder insgeheim, es sei mündlich, oder schriftlich als unveräußerliches Recht des Menschen entwickelt. 44 , 45 Dieser Bezug des Ehrverletzungsrechts zur Debatte um die 42 Art. 11 a. a. O: La libre communication des pensées et des opinions est un des droits les plus précieux de l‘homme: tout citoyen peut donc parler, écrire, imprimer librement, sauf à répondre de l’abus de cette liberté, dans les cas déterminés par la loi. 43 Vgl. etwa: Königl. Kammergericht zu Berlin, Entscheidung in Sachen des Fürstlich Hessen-Darmstädtischen Oberhofpredigers, Consistorial-Raths, und Definitor D. Johann August Stark, Kläger, wider den Preuß. Ober-Consistorial-Rath Gedicke, und den Bibliothekar D. Biester, als Verfasser der Berliner Monatsschrift; Beklagte: wegen angeschuldigten Jesuitismus, heiml. Katholicismus, Proselytenmacherey, und daraus entstandenen Injurien-Klage mit Gründen, Berlin 1787, S. 22; Königl. Kammergericht zu Berlin, Urteil vom 4. August 1779, in: Johann Wilhelm Bernhard von H YMMEN : Beyträge zu der juristischen Litteratur in den Preußischen Staaten, Bd. 6, Berlin 1780, S. 33; Königl. Kammergericht zu Berlin, Erkenntnis vom 19. Dezember 1788 in der D. Heinrich Würzerschen Untersuchungssache nebst dem Bestätigungs-Rescript, in: Ernst Ferdinand K LEIN (Hg.): Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den preußischen Staaten, Bd. 4, Berlin/ Stettin 1796, S. 135-158, hier S. 153. 44 Vgl. A LMENDINGEN : Grundzüge 1 (Anm. 15), S. 22 ff.; DERS .: Grundzüge 2 (Anm. 9), S. 53 f.; G ROL - MAN : Ehre (Anm. 9), S. 12; H ÄBERLIN : Majestät (Anm. 16), S. 118; H ÜBNER : Ehre (Anm. 9), S. 156; Ernst Ferdinand K LEIN : Ueber Denk- und Drukfreiheit. An Fürsten, Minister, und Schriftsteller, in: Berlinische Monatsschrift 3 (1784), S. 312-330, hier S. 323 ff.; M ITTERMAIER : Beiträge (Anm. 10), S. 502; DERS .: Ehrenkränkung (Anm. 12), S. 67; Christoph Friedrich N ICOLAI : Einige Zweifel über die Gesetze, wodurch die Befugniß über die moralische Beschaffenheit Anderer zu urtheilen, eingeschränkt wird, in: DERS .: Philosophische Abhandlungen. Größtentheils vorgelesen in der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Bd. 1, Nr. 3, Berlin/ Stettin 1808, S. 97-146, hier S. 112; Adolph Dieterich W EBER : Ueber Injurien und Schmähschriften, Zweite Abtheilung, 1. Aufl., Schwerin/ Wismar 1794, S. 210; Carl Theodor W ELCKER (Hg.): Vorträge des Geheimrath Dr. Duttlinger und des Hofrath Dr. Welcker zur Vertheidigung des letzteren, gegen die Anklage wegen eines angeblichen Preßvergehens der Ehrenkränkung des Badischen Ministeriums. Ein Beitrag zur Lehre von den Injurien, Freiburg 1832, S. 116. 45 In der Sekundärliteratur zur Geschichte der Meinungsfreiheit werden Urteile und Literatur zum Injurienrecht als Orte der konkreten Auseinandersetzung mit dem Grundrecht der Meinungsfreiheit oft gänzlich ignoriert. Vgl. etwa: Dorothee M UßGNUG : Zur Diskussion über Preßfreyheit und Menschenrecht am Ende des 18. Jahrhunderts, in: ZNR 30 (2008) S. 20-44; Walter G RAB : Die Kontroverse über die Menschenrechte in Deutschland im Zeitalter der Französischen Revolution, in: Gustav S TEIN (Hg.): 183 Bors rechtlichen Rahmenbedingungen des öffentlichen Meinungskampfes erklärt, weshalb das (Verbal-)Injurienrecht im 19. Jahrhundert im Fokus der Rechtspolitik stand und Anlass zu zahlreichen Kontroversen gab. Die Vorzeichen, unter denen um das Injurienrecht gestritten wurde, änderten sich allerdings im Laufe des 19. Jahrhunderts. Bis um die Jahrhundertmitte stand der Kampf um die Anerkennung straffreier, ehrverletzender Meinungsäußerungen im Vordergrund. Liberale, den freien Diskurs fördernde Maximen wie Wahrheiten sind nie Injurien 46 beherrschten die Literatur zum Äußerungsrecht. Nach 1850 verlor dieser Kampf an Bedeutung; an die Stelle der liberalen Injurientheorien traten nun repressivere Strömungen, die mit dem Mittel des Ehrverletzungsrechts in erster Linie einen Beitrag zur Herstellung von Ruhe und Ordnung in der Bürgerlichen Gesellschaft anstrebten. Wie und weshalb sich der rechtspolitische Hintergrund des Injurienrechts im 19. Jahrhundert änderte, soll an dieser Stelle nicht weiter ausgeführt werden. Wichtig ist hier nur die Feststellung, dass das Ehrverletzungsrecht im gesamten 19. Jahrhundert Gegenstand unterschiedlicher Rechtspolitiken war. Dabei fällt auf, dass die Aussage, die Beliebtheit des Duells sei den Mängeln des Injurienrechts geschuldet, von Vertretern der unterschiedlichsten rechtspolitischen Lager vorgetragen wurde. Dieser Befund legt nahe, dass die verbreitete Betonung der Mängel des Injurienrechts, die das ‚Duellunwesen‘ gefördert hätten, nicht das Ergebnis einer Analyse von Tatsachen, sondern ein Instrument zur Rechtfertigung von Reformen auf dem Gebiet des juristischen Ehrenschutzes darstellte. Wer mit anderen Worten evident und überzeugend vortrug, dass das Ehrverletzungsrecht für den Missstand des Duells verantwortlich war, der legitimierte damit seine Forderung nach Reformen auf dem Gebiet des juristischen Ehrenschutzes. Zugespitzt könnte man daher zusammenfassen, dass der Verweis auf das Duell-Phänomen im ehrverletzungsrechtlichen Diskurs einen instrumentellen Charakter hatte: Mit dem perhorreszierenden Hinweis auf das ‚Duellunwesen‘ sollte rechtspolitisch Druck erzeugt werden, um Veränderungen im Ehrverletzungsrecht zu erreichen. Augenfällig wird diese Argumentationsstrategie namentlich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Nachdem in den deutschen Territorien der Kampf gegen die Zensur erfolgreich gewesen war und die Meinungsfreiheit spätestens nach den Märzrevolten auf Menschenrechte in Israel und Deutschland, Köln 1978, S. 27-39; Eckhart H ELLMUTH : Zur Diskussion um Presse- und Meinungsfreiheit in England, Frankreich und Preußen im Zeitalter der Französischen Revolution, in: Günter B IRTSCH (Hg.): Grund- und Freiheitsrechte im Wandel von Gesellschaft und Geschichte. Beiträge zur Geschichte der Grund- und Freiheitsrechte vom Ausgang des Mittelalters bis zur Revolution von 1848, Göttingen 1981, S. 205-226; Franz S CHNEIDER : Pressefreiheit und politische Öffentlichkeit. Studien zur politischen Geschichte Deutschlands bis 1848, Neuwied 1966; Jürgen W ILKE : Die Entdeckung von Meinungs- und Pressefreiheit als Menschenrechte im Deutschland des späten 18. Jahrhunderts, in: Otto D ANN / Diethelm K LIPPEL (Hg.): Naturrecht - Spätaufklärung - Revolution, Hamburg 1995, S. 121-139; DERS ., Leitideen in der Begründung der Pressefreiheit, in: Publizistik 28 (1983), S. 512-524. 46 Adolph Dieterich W EBER : Ueber Injurien und Schmähschriften, Erste Abtheilung, 1. Aufl., Schwerin/ Wismar 1793, S. 119. Siehe auch: M ARTIN : Lehrbuch (Anm. 6), S. 418 f.: Es läßt sich nämlich dem Menschen, schon als solchem, die Befugnis, Wahrheiten, welche er kennt, weiter zu verbreiten, eben so wenig bezweifeln, so wenig irgend ein allgemeines Recht auf Verheimlichung dessen, was wirklich geschehen ist, erwiesen werden kann. 184 Duell und juristischer Ehrenschutz Verfassungsstufe verankert worden war, konnte das politische Problem der Meinungsfreiheit, das Mitte des 18. Jahrhunderts formuliert worden war, […] als gelöst gelten. 47 Der Erfolg der politischen Emanzipation des Bürgertums äußerte sich in der sinkenden Aufmerksamkeit, die dem - nun nicht mehr umkämpften - Grundrecht der Meinungsfreiheit in der staatsrechtlichen Literatur zuteil wurde. Dort interessierte jenes Grundrecht nur noch unter dem Gesichtspunkt seiner polizeilichen und strafrechtlichen Beschränkungen. 48 Entsprechend verlor auch der Konflikt zwischen dem Schutz der Ehre und der freien Rede an Aktualität. Eine Folge dieser Verschiebung der rechtspolitischen Aufmerksamkeit bestand in der Kritik an den Fundamenten des liberalen Äußerungsrechts des frühen 19. Jahrhunderts. So wurde etwa das Prinzip bestritten, wonach wahre, aber ehrverletzende Tatsachenbehauptungen immer straffrei sein sollten. Stattdessen forderten verschiedene Autoren, dass die Einrede der Wahrheit in Ehrverletzungsprozessen in bestimmten Fällen gar nicht mehr, in anderen Fällen nur bei Vorliegen eines ‚öffentlichen Interesses‘ vorgebracht werden konnte. 49 Der Ausbau des juristischen Ehrenschutzes, der im Zeichen des bürgerlichen Interesses nach Ruhe, Ordnung und Schutz der ‚Privatsphäre‘ stand, wurde nicht zuletzt mit dem Hinweis motiviert, dass ein liberales Ehrverletzungsrecht dem ‚Duellunwesen‘ Vorschub leisten würde. Der instrumentelle Charakter des Duell-Arguments in der Injurienliteratur zeigte sich aber nicht nur im Zusammenhang mit den Bemühungen um einen restriktiveren Ehrenschutz. Die Tatsache, dass der Verweis auf das Duell im Grunde nichts anderes als ein argumentatives Vehikel war, das mit der Duellrealität wenig zu tun hatte, erlaubte den Zugriff auf das Duell-Phänomen auch unter ganz anderen Vorzeichen. Gemeint ist jene Strömung im Injurienrecht des frühen 19. Jahrhunderts, die die Aufgabe des Rechts nicht in erster Linie im Schutz von Ehransprüchen, sondern in der Garantie der Bedingungen der Möglichkeit von Ehre sahen. Das (Verbal-)Injurienrecht sollte sich nach Ansicht dieser Autoren auf die Verfolgung der Verleumdung und der Formalinjurien beschränken. Im Übrigen sollte der freie Kampf um die Ansichten des Publikums entscheiden, wer welche Achtungsansprüche erheben konnte. 50 Diese Konzeption des Ehrverletzungsrechts, deren wichtigster Vertreter Ludwig Harscher von Almendingen war, nahm auch auf das Duell-Phänomen Bezug. Sie sah in diesem Phänomen allerdings kein Übel, das mit einem wirkungsvolleren Ehrverletzungsrecht zu bekämpfen war. Vielmehr bediente sie sich des Zweikampfes als Inspirationsquelle für die Neugestaltung des juristischen Ehrenschutzes. Ziel des Äußerungsrechts war danach die Ermöglichung von ‚Rededuellen‘, in denen um Ehransprüche gekämpft 47 Dieter G RIMM : Soziale Voraussetzungen und verfassungsrechtliche Gewährleistungen der Meinungsfreiheit, in: DERS .: Recht und Staat der bürgerlichen Gesellschaft, Frankfurt a. M. 1987, S. 232-263, hier S. 258. 48 Ebd., S. 262; siehe auch: Michael S TOLLEIS : Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, Bd. 2 (Staatsrechtslehre und Verwaltungswissenschaft 1800-1914), München 1992, S. 371 ff. 49 Vgl. H AKEN : Ehre (Anm. 11), S. 40; H ÄLSCHNER : System (Anm. 6), S. 255 u. 264 ff.; B ÜLOW : Ehre (Anm. 25), S. 269; Walter S PIECKER : Beiträge zur Lehre von der Beleidigung, Straßburg 1895, S. 57 ff. 50 Vgl. A LMENDINGEN : Grundzüge 2 (Anm. 9), S. 54: Der Staat muß [bei Ehrkonflikten] nicht blos Publicität dulden und ehren; er muß sie b e f ö r d e r n , und wenn es Noth thut erzwingen. Und der Beweis von dem Allem liegt in der bisher so äußerst vernachlässigten Lehre von den Injurien. 185 Bors wurde. Die Kontrahenten sollten bei diesen Duellen alles äußern dürfen, außer Verleumdungen und Beschimpfungen. Die Rolle des Injurienrichters erschöpfte sich in der Schiedsrichtertätigkeit eines Sekundanten, der die Einhaltung der Verfahrensregeln im ‚Rededuell‘ überwachte, und der eigentliche Richter sollte das Publikum sein, das das ‚Rededuell‘ oder den ‚Federkrieg‘ verfolgte und sich eine Meinung über die vorgetragenen Argumente bildete. Der Streit um Ehransprüche vollzog sich damit auf der Grundlage einer rechtlichen Basis, die eine ‚Diskurshygiene’ garantierte - im Übrigen präsentierte er sich aber als autonome Auseinandersetzung zwischen den Beteiligten. Das reale Duell-Phänomen war für die Vertreter dieser Injurienlehre freilich kein Vorbild für ihre Konzeption, sondern lediglich ein selektiver Orientierungspunkt. Das Duell wurde somit auch in diesem Zusammenhang instrumentalisiert, allerdings hier mit Blick auf ein Injurienrecht, das die Rolle des staatlichen Richters begrenzen und die Bedeutung der öffentlichen Debatte um Ehransprüche betonen sollte. 5. Schluss Die eingangs gestellte Frage nach den Einflüssen des Duellwesens auf die juristischen Debatten um das Ehrverletzungsrecht im 19. Jahrhundert lässt sich abschließend mit der Feststellung beantworten, dass die historische Duellrealität - d. h. die sozialen Hintergründe, die Duell-Logiken und die spezifischen Zweikampfmentalitäten - für die Spezialisten des Injurienrechts uninteressant war. Das Duell-Phänomen, auf das sich jene Fachleute gleichwohl immer wieder bezogen, war ein argumentatives Konstrukt, das zur Verfolgung bestimmter rechtspolitischer Anliegen diente. Die Stellungnahmen zum Duell schwankten deshalb zwischen der Beschwörung eines Duellmissstandes auf der einen Seite und dem Verweis auf eine positiv konnotierte, staatsferne und effiziente Konfliktlösungsform auf der anderen Seite. Beide Bezugnahmen auf das Duell hatten insofern einen instrumentellen Charakter, als sie auf die Rechtfertigung bestimmter Reformvorstellungen zielten. Je nach angestrebter Neuordnung des Ehrverletzungsrechts warnten Juristen entweder vor dem ‚Duellgespenst’ oder bezogen sich auf das ‚Duellfaszinosum’. Das Verschwinden der Duellsitte im frühen 20. Jahrhundert bedeutete für die Spezialisten des Ehrverletzungsrechts insofern einen Verlust, als damit ein Argument in der fortwährenden Debatte um die Verbesserung des juristischen Ehrenschutzes verloren ging. Es drängt sich deshalb die Frage auf, ob Juristen im 20. Jahrhundert dazu übergegangen sind, auf andere Missstände zu verweisen, um damit bestimmte rechtspolitische Positionen im Ehrverletzungsrecht zu rechtfertigen. In diesem Zusammenhang legt die Konjunktur des Duell-Arguments in den juristischen Diskussionen im 19. Jahrhundert nahe, dass solche ‚Missstände‘ - zum Beispiel bestimmte Entwicklungen der Massenmedien - mit Zurückhaltung und Skepsis zu betrachten sind. Missstände, von denen Juristen sprechen, sind letztlich immer Interpretationen von Missständen, die nicht um ihrer selbst willen unternommen werden, sondern mit Blick auf bestimmte normative Ziele. Die injurienrechtlichen Bezugnahmen auf das ‚Duell(un)wesen‘ machen dies deutlich. 186 Karl Härter Duelldiskurse Das Duell als kommunikativ-mediales Konstrukt Das Duell als performativer Akt eines regelhaften ritualisierten Zweikampfs konnte sich auf zahlreichen Bühnen vollziehen und avancierte seit der Frühen Neuzeit in Europa zu einem bedeutenden Thema unterschiedlicher Kommunikationen und Medien, wie die hier zu kommentierenden Beiträge exemplarisch demonstrieren. Seit dem 16. Jahrhundert thematisieren Druckmedien das Duell bzw. gewaltsame Zweikämpfe (in allen Formen), darunter normative Texte - Gesetze und juristische Schriften -, aber auch populäre Gattungen wie Bühnenstücke, Flugschriften, Gedichte, Romane oder Leichenpredigten. Mit Autoren wie Paris de Puteo (Duello, libro de re, imperatori, principi, signori, gentilhomini et tutti armigeri, 1518), Diego del Castillo (Tractatus de duello, 1525), Andrea Alciati (De duello, 1544), Antonio Massa (Contra usum duelli, 1554) und anderen mehr erschienen zudem spezifische ‚Duelltraktate‘, deren Zahl stetig zunahm und die es teilweise auf über zehn Ausgaben und mehrere Übersetzungen brachten. In Frankreich lag 1611 eine Gesetzessammlung über Les Loix Militaires Touchant Le Duel vor, und seit 1600 erschienen im Alten Reich zunehmend juristische und theologische Dissertationen oder Traktate wie die Disputatio iuridica tractans duelli (Straßburg 1609), die Christ-Ernstliche Erinnerung von den Duellis oder fürsetzlichen mutwilligen Ausforderungen und blütigen Mord-Kämpffen (Basel 1629) oder der Discursus academicus historico-politicus de duello (Leipzig 1649). Über solche Formen indirekter ‚massenmedialer‘ Kommunikationen hinaus boten auch andere Kommunikationsräume wie Bestattungen oder Gerichtsverfahren ein begrenztes öffentliches Forum, um vor allem nach einem Zweikampf über das Duell zu kommunizieren. Unterscheiden lassen sich damit folgende Kommunikationen und ‚Öffentlichkeiten‘, welche auch die vier Beiträge (mit unterschiedlichem Gewicht) untersuchen: das Duell als direkte Interaktion und interpersonale Kommunikation unter weiteren Anwesenden, die eine unmittelbare Teilöffentlichkeit formierten; Räume und begrenzte Öffentlichkeiten unmittelbarer interpersonaler Kommunikation (wie Begräbnisse oder Gerichtsverfahren) über konkrete (vorangegangene) Duelle; massenmediale Kommunikationen mittels Druckmedien über das ‚Duell‘, die eine prinzipiell unbegrenzte Öffentlichkeit erreichen konnten. In diesem medialen Kontext formten sich normative wie populäre, spezifische wie öffentliche ‚Duelldiskurse‘ aus, in denen dieses verschiedene Bedeutungen gewinnen konnte - auch wenn es in der Regel um den gewaltsamen Zweikampf von Männern in einem Ehrkonflikt ging: Konflikte, Ehre, Gewalt, Ritual, Inszenierung, Geschlecht/ Männlichkeit, sozialer Status/ Reputation unterlagen ebenso ambivalenten normativen und populären Interpretationen wie die im Kontext des Duells auftauchenden, und mit diesem teils kollidierenden Konfliktlösungs- und Ordnungsmodelle. Der im Zweikampf 187 Härter mehr oder weniger öffentlich ausgetragene (Ehr-)Konflikt u n d die Differenz zwischen diesem als einem spezifischen, bedingt legitimen Mittel des regelhaften Konfliktaustrags und dem Ordnungssystem Recht begründen die paradoxe Gestalt wie die mediale bzw. diskursive Attraktivität des Duells. Reden und Schreiben über das Duell bedeuteten nicht nur, den ursprünglichen Ehrkonflikt bzw. die diesem zugrunde liegenden normativen Ehr- und Ordnungsvorstellungen als performativen Akt vor Publikum gleichsam (massen-)medial zu vervielfachen. Vielmehr ging es damit auch um eine grundsätzliche Interpretation, Bewertung und Vergewisserung durch andere Ordnungssysteme - Recht, Religion, Herrschafts- und Geschlechterordnung - in Abgrenzung zum Ordnungsmodell und Konfliktlösungsverfahren ‚Duell‘, das dadurch letztlich medialdiskursiv vermittelt und z. T. auch konstruiert wurde. Dieses Spannungsverhältnis unterschiedlicher Ordnungsmodelle thematisieren auch die hier zu kommentierenden Beiträge über das Duell als Gegenstand spezifischer Diskurse und medialer Vermittlung: Reglementierung und Kriminalisierung in der Ordnungsgesetzgebung und dem Strafrecht des frühneuzeitlichen Alten Reiches (Ulrike Ludwig), das Sterben von Duellanten in protestantischen Leichenpredigten (Alexander Kästner), die Debatte über das Verhältnis von Duell und juristischem Ehrenschutz in der Rechtswissenschaft des 19. Jahrhunderts (Marc Bors) und die Duelle der Literaten im England des 19. Jahrhunderts (Richard Cronin). Der obrigkeitlich-rechtliche Duelldiskurs, dem Ulrike Ludwig nachspürt, manifestierte sich im Alten Reich seit dem frühen 17. Jahrhundert insbesondere in der vormodernen Ordnungs- und Policeygesetzgebung. Sie konfigurierte und kriminalisierte bestehende Praktiken gewaltsamen (Zwei-)Kampfs allmählich normativ (und keineswegs widerspruchsfrei) als Ordnungsstörung bzw. Delikt. Dieser Prozess wurde nach Ludwig weniger durch eine ‚reale‘ Virulenz von Duellen initiiert, sondern kann als Rechts-, Normen- und Begriffstransfer (insbesondere französischer Rechtstexte bzw. Gesetze) beschrieben werden. Der Begriff bzw. das Delikt ‚Duell‘ formiert dabei zunächst als eine Sammelkategorie, die unterschiedliche Gewaltpraktiken im Hinblick auf deviantes Verhalten, Störung der ‚guten Ordnung‘ und ‚Gewaltprävention‘ zusammenfasste. Erst allmählich formte sich - insbesondere in der Wechselwirkung der verschiedenen Ebenen des Reichssystems - eine Duellgesetzgebung aus, die ‚neue‘ bzw. zentrale Elemente des Duellierens (Ehrkonflikt, Sekundanten, Ausfordern, ritualisierter Ablauf) beschrieb und einen eigenen, von anderen Gewaltdelikten mehr oder weniger unterscheidbaren Straftatbestand normativ fixierte. Dieser inkorporierte schließlich auch die Sanktionierung von Verbal- und Realinjurien, um die gewaltsame Ehrverteidigung präventiv zu verhindern. Die von Ludwig exemplarisch einbezogene Gerichtspraxis zeigt allerdings ein anderes Bild: Im Gegensatz zur diskursiven Bedeutung des Duells bleiben die Fallzahlen bis weit ins 18. Jahrhundert hinein niedrig. Die Gerichtspraxis kann der Beitrag allerdings nur kursorisch quantitativ aufhellen. Das Reden (und Schreiben) über das Duell vor Gericht bedarf noch intensiverer Erforschung, vor allem im Hinblick darauf, ob die Elemente und Argumente des normativen Diskurses in qualitativer Hinsicht für die Konstruktion des Duells auf der Bühne des Gerichts Bedeutung gewannen oder besaßen. 188 Duelldiskurse Weder die ‚reale‘ Duellpraxis noch deren gerichtliche Verfolgung, sondern die Duellgesetzgebung formte auf dem Wege des Rechtstransfers (aus Frankreich und zwischen den Reichsebenen) das Duell normativ-diskursiv als Verbrechen mit spezifischen Tatbestandsmerkmalen aus, vermittelte dieses einer breiteren allgemeinen Öffentlichkeit und trug so langfristig zu dessen Popularisierung bei. Die Duellpraxis (und gerichtliche Verfolgung) folgten dem nach; die Duellgesetzgebung stimulierte insofern eine kulturelle Praxis, die sie verhindern und sanktionieren wollte. Dieses von Ludwig entwickelte Modell der diskursiv-normativen Formierung des Duells im Alten Reich besitzt gerade im Hinblick auf Ansätze der Historischen Kriminalitäts- und Policeyforschung durchaus Überzeugungskraft, misst allerdings rechtlichen Diskursen/ Kommunikationen eine erhebliche (sozusagen negative) Wirkungskraft im Hinblick auf kulturelle Praxis zu. Die hervorgehobene Funktion des Rechtstransfers als zentrales Medium von Kulturvermittlung könnte mit Blick auf andere Diskurse und Kommunikationen hinterfragt werden: So lässt sich noch vor der Rezeption französischer Duellgesetze seit dem 16. Jahrhundert eine erhebliche Zunahme italienischer und französischer Duellliteratur feststellen, die auch im Alten Reich verbreitet und insbesondere von der Herrschaftselite rezipiert wurde. Diese ordnet sich auch in den auf die Herrschafts- und Funktionseliten abstellenden Disziplinierungs- und Zivilisierungsdiskurs ein, den insbesondere Norbert Elias beschrieben hat. In dieser Perspektive vollzog sich der Kulturtransfer des Duells auch in anderen Medien und Diskursen, die Rechtstransfer und Ordnungsgesetzgebung angeregt, zumindest aber verstärkt haben. Und eine damit zusammenhängende zweite Wurzel der Duellgesetzgebung bzw. rechtlichen Duelldiskurse verdient stärkere Beachtung: das Fehdeverbot bzw. die Landfriedensbewegung, die im Alten Reich in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts parallel zur Ordnungs- und Policeygesetzgebung zu einem normativen Ordnungsmodell verdichtet wurde, das den ritualisierten, gewaltsamen und rechtlich zulässigen Konfliktaustrag des Adels nachhaltig kriminalisierte. In dieser Perspektive erscheint die Duellgesetzgebung auch als eine konsequente Ausdifferenzierung der Delegitimierung und Kriminalisierung gewaltsamer Praktiken eines zuvor legitimen und in das Recht eingebundenen Konfliktaustrags privilegierter Gruppen. Damit stellt sich abschließend die nicht geklärte Frage nach den Motiven der Obrigkeiten und deren Funktionsgewinnen: Duellgesetzgebung und rechtliche Duelldiskurse bildeten womöglich nur ein Feld, auf dem die frühneuzeitlichen Obrigkeiten und Gesetzgeber die ‚Zivilisierung‘ der Herrschafts- und Funktionseliten vorantrieben, um insbesondere auf älteren normativen Ordnungsmodellen aufruhende Formen legitimen gewaltsamen Konfliktaustrags zu delegitimieren und ihr Ordnungsmodell rechtlicher Konfliktlösung - wenn man so will: ein ‚staatliches‘ Gewaltmonopol - durchzusetzen. Die damit einhergehenden Paradoxien, Ambivalenzen und nicht-intendierten Wirkungen machen die von Alexander Kästner analysierten evangelischen Leichenpredigten, die in gedruckter Form und in durchaus beachtlicher Auflagenhöhe verbreitet wurden, exemplarisch deutlich. Gemäß den normativen Vorgaben der Duellgesetze galten Duellanten als Verbrecher, die im Fall des Duelltodes auch mit einer Verweigerung oder Einschränkung der ehrlichen bzw. christlichen Bestattung bestraft werden sollten. Das Begräbnis und die mediale Kommunikation darüber in Form der Leichenpredigten 189 Härter avancierten damit zu einer öffentlichen Bühne, auf der das Duell bewertet wurde: sowohl im Hinblick auf die dem Zweikampf zugrunde liegenden Ehr- und Normkonflikte (gleichsam eine Fortsetzung des Duells) als auch bezüglich normativer (religiöser, rechtlicher) Ordnungsmodelle. Aus der Perspektive der letzteren galten Duell und Duelltod als Verstoß gegen christlich-moraltheologische und rechtliche Normen, als Sünde und Verbrechen, die immerhin die Tötung eines Menschen umfassen konnten. Anderseits konnten den Duellanten aber unter Umständen ‚ehrenhafte‘ Motive nicht abgesprochen werden, hatten sie doch die ‚Ehre‘ von Familien oder sozialen Gruppen - und damit traditionelle soziale Ordnungsmuster - verteidigen wollen. In dieser Perspektive konnte ein schimpfliches Begräbnis nicht nur den Duellanten wie einen Selbstmörder stigmatisieren, sondern die Ehre der Betroffenen weiter schädigen. Die Bestattung von ‚Duellanten‘ und deren Leichenpredigten lagen folglich am Schnittpunkt unterschiedlicher, teils entgegengesetzter normativer Ordnungsvorstellungen, die im Rahmen dieses begrenzten Forums Kommunikations- und Aushandlungsprozesse stimulierten, die sich im Medium der Leichenpredigten niederschlugen. Diese kreisten um den sozialen Status des getöteten Duellanten (bzw. seines sozialen Umfelds) und sein Seelenheil und versuchten nachträglich über den guten christlichen Lebenswandel, das aufgezwungene Duell, die gerechte Verteidigung der Ehre, das rechte christliche Sterben (mit Sündenbekenntnis, Vergebung, Anwesenheit eines Priesters, Demonstration des Glaubensbekenntnisses) und die bereitwillige Annahme des Todes, einen seligen Tod und christliche Bestattung eines Duellanten zu rechtfertigen. Ohne die Verdammung und Kriminalisierung des Duells als solches in Frage zu stellen, boten sie damit doch die Möglichkeit einer Reintegration von Duelltoten, deren postmortaler Anspruch auf Ehre derart zumindest gewahrt wurde. Das Medium der Leichenpredigten lässt folglich ebenfalls den frühneuzeitlichen Ordnungskonflikt und die ambivalente Bewertung von Duellen erkennen und kommuniziert basale Rechtfertigungsmuster wie Optionen eines ‚reintegrativen‘ sozialen Umgangs mit Duellanten. Ob sich solche Optionen und Muster auch in anderen Medien und Diskursen finden, steht zu vermuten, bleibt bei Kästner aber offen. Andere Kommunikationsformen - wie beispielsweise Supplikationen - könnten dazu mehr und womöglich ‚objektivere‘ Aufschlüsse geben; handelt es sich doch bei der gedruckten Leichenpredigt um eine absichtsvolle, durch die Interessen des sozialen Umfelds des Duellanten geformte und auf die ‚öffentliche Meinung‘ zielende Rechtfertigungsschrift, die das Idealbild eines ‚ehrenhaften‘ Duellanten bzw. Duells konstruiert und vermittelt. Über die Bewertung des anderen Duellanten - des Duellmörders - erfahren wir darin ebenso wenig etwas wie über die tatsächliche Bestattungspraxis (und damit einhergehende Konflikte). Dennoch bieten sie einen wichtigen Einblick in die medial-diskursive Konstruktion akzeptabler Duellmomente und entsprechender Legitimationsmuster, die das mehrdeutige Bild der Duellanten bzw. des Duells noch im 19. Jahrhundert prägen sollten. Die ambivalente Rolle des Duellanten steht auch bei Richard Cronin im Zentrum, der die Duelle englischer Literaten im 19. Jahrhundert untersucht. Diese schrieben nicht nur über Duelle und waren damit Protagonisten der medialen Konstruktion, sondern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts stellten sie auch einen beträchtlichen Teil der 190 Duelldiskurse Duellanten: Duellpraxis und mediale Kommunikation fallen folglich in der Figur des sich duellierenden Schriftstellers zusammen. Wird damit ebenfalls die Wirkmächtigkeit der medial-diskursiven Konstruktion und Vermittlung des Duells bestätigt und folgen die Autoren gleichsam dem von ihnen produzierten und kommunizierten Bild und wollten ihre Fiktion praktisch leben? Cronin spürt diesem Zusammenhang vor allem aus der Perspektive von Ökonomie und Geschlecht (bzw. Geschlechterehre) nach und situiert den männlichen Zweikampf um Ehrkonflikte in einem breiteren Kontext konkurrierender und kollidierender Ordnungsdiskurse, die in diesem Fall um die Geschlechterordnung kreisen. Die Frage, warum gerade die englischen Literaten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Ehre als Männer und Schriftsteller vergleichsweise häufig im Duell behaupten wollten, führt er auf die Gefährdung der exklusiven männlichen Literaturwelt durch Feminisierung zurück: Eine zunehmende Zahl weiblicher Leserinnen und auch Autorinnen brachte nicht nur einen erhöhten Konkurrenzdruck und ökonomische Einbußen, sondern stellte grundsätzlich die Männlichkeit bzw. männliche Geschlechterehre der Schriftstellerei und Schriftsteller in Frage. In dieser Perspektive erscheinen die Duelle der Literaten - und im Grunde auch das literarische Sujet des Duells - als Rituale zur Bestätigung einer spezifischen Männlichkeit und als Ersatzhandlungen für den nicht austragbaren Zweikampf der Geschlechter bzw. das Geschlechterduell. Diese These kann Cronin zwar plausibel begründen, ihre empirische Basis erscheint jedoch schwach: Die ökonomische und soziale Bedrohung der Schriftsteller wie die Duellaktivitäten bewegen sich auf der Ebene von Einzelbeispielen. Wie groß waren der Anteil der weiblichen Autorinnen und ihr ökonomisches Potential? Gibt es Selbstzeugnisse der schreibenden Männer zur drohenden Feminisierung und verfügten sie nicht auch über andere Möglichkeiten der Inszenierung (und Behauptung) ihrer Männlichkeit? Und wie verhalten sich die Literatenduelle quantitativ und qualitativ zu den sonstigen Duellaktivitäten in England und wie wurden in diesem Kontext die Duellaktivitäten der Schriftsteller von den Zeitgenossen wahrgenommen? In einem allgemeineren historischen Zusammenhang und vor dem Hintergrund des komplexen Zusammenhangs zwischen ‚Duellpraxis‘ und ‚Duelldiskursen‘ erscheint es über die Geschlechterthese hinaus als durchaus wahrscheinlich, dass Duellanten über Duelle schreiben und vice versa. In dieser Hinsicht bestätigt Cronin freilich ebenfalls, dass in dem komplexen Wechselspiel zwischen Diskurs und Praxis den Akteuren und ihren Rollen - die durchaus zusammenfallen konnten - mehr Beachtung geschenkt werden muss: Der schreibende Duellant bzw. der sich duellierende Schreiber könnte auch für die weitere Erforschung des frühneuzeitlichen Duells eine interessante Perspektive eröffnen. Auch wenn im 19. Jahrhundert als Ergebnis der Strafgesetzgebung bzw. rechtlichnormativer Diskurse ein engerer Duellbegriff vorherrschte, beschäftigte sich die juristische Literatur weiterhin (und womöglich intensiver) mit dem Duell - und zwar insbesondere im Kontext des Ehrverletzungsrechts, wie Marc Bors in seinem Beitrag zeigt. Stellte doch die juristische Definition des Duells wesentlich auf das Moment der Ehrverletzung ab, das dem darauf reagierenden regelhaften Zweikampf zugrunde lag oder liegen musste. In dieser Perspektive konkurrierte und kollidierte das außergerichtliche Konfliktlösungsverfahren ‚Duell‘ mit dem rechtlichen Verfahren des Injurienprozesses 191 Härter und eröffnete unterschiedliche Optionen der Nutzung von rechtlichen und außergerichtlichen Verfahren des Konfliktaustrags. Der paradoxe Zusammenhang zwischen Duell und Injurienrecht irritierte die Rechtswissenschaft, lud den Duelldiskurs neu auf und aktualisierte die Diskussion über die Kriminalisierung des Duellunwesens und die ambivalente Rolle des Rechts: Die Mängel des Injurienrechts bzw. adäquater rechtlicher Konfliktlösungsmechanismen - so eine von Bors nachgezeichnete und als ‚Verbindungsthese‘ apostrophierte Variante des Diskurses - beförderten die unerlaubte Selbsthilfe mittels des Duells und damit das Duellunwesen. Diese Konstellation ist nicht neu und gehört im Grunde zu den vormodernen Entstehungsbedingungen des (Zwei-) Kampfs als legitime Handlung zum (mehr oder weniger) autonomen Austrag von Konflikten und zur Durchsetzung von (Rechts-)Ansprüchen privilegierter Gruppen, die das jeweils existierende Rechtssystem nicht ausreichend gewährleisten konnte. Im 19. Jahrhundert stieß ein solcher Zusammenhang freilich auf Widerspruch, denn ein Injurienprozess konnte kaum den Duellzwecken Distinktionsgewinn, Selbstdarstellung und Autonomiebeweis dienen, wie Bors hervorhebt, der dieser Variante des zeitgenössischen Diskurses auch im Hinblick auf die realhistorische Deutung folgt. Abgesehen davon, dass es bei dem komplexen Verhältnis von Duell und Recht im medialdiskursiven Kontext methodisch eigentlich nicht darum gehen kann, die im Hinblick auf ‚historische Realität‘ richtige Argumentation zu bestätigen, scheinen auch die medial-kommunikativen Funktionen des Rechts und insbesondere des Gerichts als einem öffentlichen Forum eher unterschätzt zu werden. Wenn es freilich um die Demonstration von Autonomie gegenüber dem staatlichen Rechtssystem ging, bot das Duell ein erhebliches Potential. Ausgehend von dieser treffenden Beobachtung könnte der zeitgenössische juristische Diskurs über Duell und Injurienrecht auch als eine rechtspolitische Positionierung der Juristen gegenüber Staat und Rechtssystem gelesen werden. Bors folgt diesem Ansatz immerhin partiell, den Zusammenhang zwischen rechtlichem Ehrenschutz und Meinungsfreiheit herausarbeitend, in dem das Duell bzw. Duellunwesen nur instrumentellen Charakter besaß und bestenfalls als Inspirationsquelle für die Reform des Ehrenrechts (‚Rededuelle‘ und ‚Federkriege‘) fungierte. Dass das Duell als argumentatives Konstrukt im juristischen Diskurs dazu diente, sich auf anderen rechtspolitischen Feldern zu positionieren, soll hier keinesfalls bestritten werden. Aber auch wenn sich der juristische Diskurs kaum für die ‚Duellrealität‘ interessierte (was freilich noch genauer zu belegen wäre), so scheint seine Beschäftigung mit dem Duell doch über diesen, von Bors betonten Zusammenhang hinauszugehen. Als historisch verwurzeltes, teilweise legitimes und vor allem autonomes Verfahren regelhaften außergerichtlichen Konfliktaustrags irritierte das Duell die Protagonisten oder Skeptiker des im 19. Jahrhundert noch ‚jungen‘ staatlichen Justiz- und Gewaltmonopols grundlegend. In der Zusammenschau arbeiten sich alle Beiträge an dem Beziehungsdreieck ‚Duell - Medien/ Diskurs - Ordnung/ Recht‘ ab und betonen die Wechselwirkungen: Das Duell gewann Gestalt, Funktion und Wirkung nicht allein aus dem unmittelbaren performativen Akt oder aus der Duellpraxis, sondern wurde diskursiv-medial ausgeformt, diente als Argument und wurde wiederum einem breiteren Publikum bzw. einer (wie auch immer konfigurierten) Öffentlichkeit kommuniziert. In dieser Hinsicht konnten Diskurs und mediale Vermittlung die Duellpraxis beeinflussen oder kam dessen Protagonisten 192 Duelldiskurse wie in den Leichenpredigten oder im Fall der englischen Literaten (und womöglich der Juristen? ) selbst die Rolle der Duellanten zu (und umgekehrt). Die jeweilige historische Praxis bleibt freilich in den Beiträgen mehr oder weniger obskur; die historischen Duelldiskurse kommen nahezu ohne die Duellpraxis aus. Diese (meist normativen) historischen Diskurse bedienen sich des Duells, um Ordnungen zu konstruieren, zu bestätigen und womöglich auch durchzusetzen: Das ‚Duellunwesen‘ erscheint als diskursiv-mediale Konstruktion von Ordnungsgefährdung und Devianz und wird zu anderen Zwecken - Disziplinierung, soziale Kontrolle, Gewaltmonopol, gute Ordnung, Rechtspolitik, Rechtsreform (Injurienrecht), christliches Sterben/ Begräbnis, Geschlechterehre - instrumentalisiert. Freilich entfalteten gerade die Duelldiskurse nicht intendierte Wirkungen, welche Attraktivität und Potential des Duells sogar verstärken konnten. Insofern bildete gerade das paradoxe und ambivalente Verhältnis des Duells als regelhaftes außerrechtliches Verfahren des Konfliktaustrags zu anderen normativen Ordnungssystemen - Recht, Religion, Geschlecht - eine Konstante der Duelldiskurse. Das Schreiben und Reden über das Duell beinhaltete eine Positionierung, Bewertung und Abgrenzung im Hinblick auf Geschlecht, Religion und vor allem Recht. Denn historisch konnte dem Duell vom Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert durchaus eine bedingte Legitimität als regelhaftes autonomes Verfahren des Konfliktaustrags (privilegierter/ spezifischer Gruppen um Ehre) zukommen. Damit standen immer auch die Funktionalität des Rechtssystems und dessen Anspruch auf Vergeltung (im Sinne des Talionsprinzips), Konfliktlösung und ein entsprechendes Monopol zur Debatte. Auch wenn Ludwig, Kästner, Cronin und Bors diesem Modell unterschiedliches Gewicht geben: Duelldiskurse waren (und sind) immer auch Ordnungsdiskurse. Auch von daher mag die enorme Wirkungsmacht resultieren, die alle Beiträge den Duelldiskursen im Hinblick auf Ehrvorstellungen und soziale Praxis zubilligen, wenn auch (wie bereits moniert) die Duellpraxis und ihre Protagonisten eher diffus bleiben. Vor allem aber fehlt es noch an einer präziseren Analyse der Diskursakteure - von den Produzenten bis zu den Rezipienten - und damit an einer Präzisierung der jeweiligen theoretischen Modelle der Diskurs- und Medienanalyse. Publikum und Öffentlichkeit sowie insbesondere die Wirkungsmechanismen bedürfen einer systematischeren Berücksichtigung: Wen erreichten Ordnungsgesetze, Leichenpredigten, Literaten, Juristen? Wie lassen sich die Interessen und Bedürfnisse dieses Publikums im Hinblick auf das Duellthema beschreiben? Und vor allem: Lassen sich Wirkungen und Funktionen der Duelldiskurse zu umfassenderen Erklärungsmodellen historischen Wandels in Bezug setzen? Einiges scheint darauf hinzudeuten: Eine stärkere Konturierung diskurs- und medientheoretischer Modelle wie auch eine intensivere Auseinandersetzung mit Erklärungsmodellen wie Verrechtlichung, Gewaltmonopol/ Staatsbildung, (soziale) Disziplinierung und der damit eng zusammenhängenden Zivilisationstheorie könnten dem komplexen Zusammenhang zwischen Duelldiskursen, Duellpraxis, Ordnungsdiskursen und Recht mehr historische Tiefenschärfe und weiter reichendere Erklärungskraft verleihen. 193 IV. Praktiken im ständischen Kontext: Fürsten und Adel Birgit Emich Körper-Politik? Die Duellforderungen Karls V. Bereits der Titel des Beitrags wirft eine Frage auf: Hat Kaiser Karl V. überhaupt jemals irgendwen zu einem Duell herausgefordert? Fest steht, dass der Habsburger Kaiser seinem europäischen Erzrivalen, Franz I. von Frankreich, gleich mehrfach einen Kampf Mann gegen Mann angeboten hat: 1526, 1528 und schließlich in einer berühmten Rede vor dem Papst am Ostermontag 1536. Aber kann man diese Offerten, die nie umgesetzt wurden, als Duellforderungen bezeichnen? Diese Frage sollte sich am Ende des Beitrags beantworten lassen. Um eine vorschnelle Klassifizierung der Kampfofferten gekrönter Häupter als Duell zu vermeiden, wähle ich zunächst den Begriff, der in der Forschung seit dem grundlegenden Aufsatz von Werner Goez aus dem Jahr 1967 dominiert: ‚Über Fürstenzweikämpfe im Spätmittelalter‘, so der Titel, unter dem Goez ein auf den ersten Blick merkwürdiges Phänomen beschreibt 1 : Ein Herrscher fordert den anderen zum Zweikampf auf, in der Regel, um einen Krieg oder eine Schlacht zu verhindern. Solche Forderungen werden zuweilen angenommen, aber niemals, und das ist der Clou, umgesetzt. Über dreißig dieser geplanten, doch nicht realisierten Herrscherzweikämpfe hat Goetz ermittelt - wenn es im Umfeld unseres Themas eine Variante des Zweikampfs gibt, die man als Phänomen kollektiver Imaginationen 2 bezeichnen kann, dann sicher diese geplanten, aber nie ausgeführten Fürstenzweikämpfe. Den Anfang sieht Goez im ersten spektakulären Fall dieser Art aus dem Jahr 1282, als Endpunkt nennt er das Jahr 1536 mit der zweiten Zweikampfforderung Karls V. an Franz I. von Frankreich. Nach Karl V. kamen, so Goez, nur noch anachronistische Nachzügler. Der Kaiser selbst setzte aber nicht nur den Schlusspunkt hinter eine lange Tradition. Seine Forderungen waren ein letzter, aber spektakulärer Höhepunkt in dieser Reihe. Und mit diesen Forderungen möchte ich mich im Folgenden befassen. Begreift man diese Fürstenzweikämpfe als kollektive Imagination, drängt sich vor allem eine Frage auf: Wie kann es sein, dass diese Zweikämpfe zwar niemals umgesetzt wurden, aber doch Wirkung entfalteten? Dass sie es taten, wird zu zeigen sein, warum sie es tun konnten, ist die Kernfrage des Beitrags. Klären will ich dies durch einen Blick auf die Denkmuster, aus denen sich diese kollektive Imagination speiste, konkret: auf das Denkmuster der Körper-Politik. Dabei wird sich zeigen, dass zur gleichen Zeit und mitunter gar am gleichen Ort durchaus unterschiedliche Vorstellungen von dem existierten, was man landläufig als ‚Duell‘ bezeichnet: Die Figur des Zweikampfs entpuppt sich als ein kulturelles Muster, das verschiedene Traditionsstränge aufnimmt, unter- 1 Werner G OEZ : Über Fürstenzweikämpfe im Spätmittelalter, in: Archiv für Kulturgeschichte 49 (1967), S. 135-163. 2 So die Einleitung zum vorliegenden Band nach Ute F REVERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 10. 197 Emich schiedliche Botschaften transportieren und daher auch von verschiedenen Seiten in der politischen Kommunikation für ihre je eigenen Zwecke genutzt werden kann. Meine Ausführungen gliedern sich in zwei große Blöcke: Im ersten Teil werde ich in einer historischen Narration das Bild vom Ablauf der Geschehnisse skizzieren, das die dichte Quellenlage zu erkennen gibt. Im zweiten Teil werde ich unter dem Stichwort der Körper-Politik nach der Wirkmächtigkeit dieser fiktiven Zweikämpfe fragen. Am Ende ist kurz zu bilanzieren, was das alles für die Deutung des Zweikampfs als kulturellem Muster zu bedeuten hat. Ich beginne mit meiner historischen Narration. 3 1526 - wir befinden uns in der frühen, aber heftigen Phase eines Konfliktes, der die politische Geschichte Europas bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts prägen sollte 4 : Gerungen wurde um die Vorherrschaft in Europa, gegenüber standen sich die Häuser Habsburg und Valois; konkret: Karl V., König von Spanien, Herzog von Burgund, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, und Franz I., König von Frankreich, das durch Hochzeiten und Todesfälle nunmehr vollständig von habsburgischen Besitzungen umgeben war. Weil es zwar auch um die Herrschaft über Burgund, aber vor allem um Mailand und Neapel ging, fanden die Kriege zwischen Habsburg und Frankreich in Italien statt. Und der erste dieser Italienkriege war soeben mit einem Paukenschlag zu Ende gegangen: König Franz I. wurde in der Schlacht bei Pavia in Oberitalien 1525 gefangen genommen. Damit war er ein Gefangener des Kaisers, und zum Kaiser, der in Spanien weilte, wurde er auch physisch gebracht. 5 In den nächsten Monaten in Madrid festgehalten, lehnte Franz die Forderungen Karls zunächst rundum ab: Ich will lieber tot sein, als dem zuzustimmen, ließ er ihm ausrichten. 6 Und auch wenn Karl nicht müde wurde zu betonen, dass er den Gefangenen mit allen ihm zustehenden Ehren behandeln ließ, 7 wäre es beinahe soweit gekommen. Nach schwerer Krankheit und innerer Krise gab der französische König schließlich zermürbt nach: 1526 stimmte er im Frieden von Madrid den Forderungen Karls zu. Der Kaiser entließ seinen Rivalen in die Freiheit, verlangte dafür aber eine Si- 3 Diese Narration kann sich weitgehend stützen auf: G OEZ : Fürstenzweikampfe (Anm. 1), S. 152 f. FN 79, der die wichtigsten Schritte samt Quellen angibt. 4 Zur Forderung von 1526 vgl.: Karl B RANDI : Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches, Bd. 1, München 1937, S. 209; Hermann B AUMGARTEN : Geschichte Karls V., Bd. 2, Stuttgart 1888, S. 636 f. Die wichtigsten Quellen bietet: Charles W EISS (Ed.): Papiers d’État du Cardinal de Granvelle, d'après les manuscrits de la Bibliothèque de Besançon, Bd. 1, Paris 1841, S. 310- 340 u. 405-408. 5 Zum Frieden von Madrid mit allen Belegen: Arno S TROHMEYER : Friedensverträge im Wandel der Zeit. Die Wahrnehmung des Friedens von Madrid 1526 in der deutschen Geschichtsforschung, in: Heinz D U - CHHARDT / Martin P ETERS (Hg.): Kalkül - Transfer - Symbol. Europäische Friedensverträge der Vormoderne, Mainz 2006-11-02, Abschnitt 132-143. URL: http: / / www.ieg-mainz.de/ vieg-online-beihefte/ 01-2006.html (zuletzt am 22. Mai 2010). 6 Im Anhang eines Briefes, den Karl V. wohl im April 1525 an die Herzogin von Angoulème als Antwort auf deren Nachfrage nach dem Befinden ihres Sohnes Franz I. schrieb, finden sich zunächst die Demandes que l’empereur faict au Roy de France, sowie der folgende Nachsatz: L’on dict que de toutes ces demandes ledict roy a fait refus, et ceux de Lyon dient qu’il avoit répondu: Plustót mourir en prison que ce faire. W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 263-265, hier S. 264 f. 7 Im gleichen Brief hatte Karl der Mutter seines Kontrahenten zugesagt: le feray traicter comme l’honnesteté et grandeur avec l’affinité d’entre luy et moy le requiert, ebd., S. 263. 198 Körper-Politik? cherheit: Franz I. musste seine beiden ältesten Söhne als Geiseln nach Spanien ausliefern. In einem kunstvoll ausgeklügelten Zeremoniell auf einer Insel im spanisch-französischen Grenzfluss Bidasoa in den Pyrenäen wurde der französische König gegen seine Söhne ausgetauscht. Die Kinder sollten erst freikommen, wenn Franz seine Versprechen eingehalten und Karls Forderungen umgesetzt hätte. 8 Davon aber war Franz I. weit entfernt: Kaum in Frankreich, widerrief er seine Zusagen, wenig später, 1526, schloss er sich sogar mit den Gegnern des Kaisers zur antihabsburgischen Liga von Cognac zusammen. Als ihm der französische Botschafter im August 1526 die Forderungen dieser Liga vortrug, übermannte, so ein Augenzeuge, den Kaiser der Zorn: ‚Wenn Euer König sein Versprechen gehalten hätte‘, sagt er den Herren [ich zitiere den Augenzeugen], ‚könnten wir uns diese Verhandlungen sparen. [...] Er hat mich betrogen, er hat nicht ritterlich, nicht wie ein Edelmann gehandelt, sondern niederträchtig. Ich fordere, daß der allerchristlichste König sein Wort hält und wieder mein Gefangener wird, wenn er seinen Vertrag nicht erfüllen kann: Besser wäre, diesen Streit zwischen uns persönlich auszufechten, als soviel Christenblut zu vergießen.‘ 9 Ich glaube, Gott würde seine Gerechtigkeit erweisen. 10 Wie reagierte Franz? Gar nicht, angeblich deswegen, weil der Botschafter die Worte des Kaisers nicht weiterleitete. 11 Aber auch Karl insistierte nicht. Noch nicht: Als nämlich im Februar 1528 die Herolde Frankreichs und Englands bei ihm in Burgos erschienen, um ihm im Namen ihrer Monarchen offiziell den Krieg zu erklären, kam Karl auf seine erste Herausforderung zurück. 12 Zunächst drückte er sein Erstaunen darüber aus, dass Franz, der seine Versprechen nicht gehalten habe und daher noch immer sein Gefangener sei, ihn herausfordere (d’etre défié par le roi de France) - wo doch ein Gefangener solche Forderungen weder stellen noch annehmen könne, und nachdem er jahrelang ohne jede Herausforderung Krieg gegen ihn geführt habe. Dann ließ er Franz über den Herold daran erinnern, was er damals gesagt hatte. Und um sicherzugehen, dass die Botschaft dieses Mal auch wirklich den König erreichte, gab er es dem Herold bald darauf auch noch schriftlich: Franz habe sein Wort gebrochen und damit feige und nichtswürdig gehandelt. Diese Anschuldigung werde er, Karl, auch Mann gegen Mann vertreten. 13 8 Hierzu knapp und mit Hinweis auf die Quellen: S TROHMEYER : Friedensverträge (Anm. 5), Abschnitt 132. 9 Soweit die Aussage des päpstlichen Nuntius Castiglione in seinem Bericht vom 8. September 1526, zitiert nach: B RANDI : Kaiser Karl V., Bd. 1 (Anm. 4), S. 209. 10 Der letzte Satz zitiert nach: B AUMGARTEN : Geschichte Karls V., Bd. 2 (Anm. 4), S. 636, ebenfalls nach dem Bericht Castigliones vom 8. September 1526. 11 Vgl. ebd. 12 Einen Bericht über diese Audienz samt Kriegserklärung, Antwort des Kaisers, Gegenrede der Herolde und erneute Antwort des Kaisers bietet: W EISS : Papiers d’État (Anm. 4), S. 310-346. Vgl. auch die knappe Zusammenfassung bei: Claude C HAUCHADIS : La loi du duel. Le code du point d’honneur dans l’Espagne des XVI e -XVII e siècles, Toulouse 1997, S. 138-142. 13 Der Ablauf wird knapp geschildert bei: Ernest L AVISSE : Histoire de France depuis les origines jusqu‘à la Révolution, Bd. 5, Teil II, Paris 1904, S. 56 f., der auf S. 56 auch den Kernsatz im Brief Karls an den Botschafter vom 18. März 1528 zitiert: que le dit Roy son maitre avait agi lachement et méchamment. Der vollständige Brief bei: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 349 f. Eine deutsche Fassung bietet: 199 Emich Nun musste Franz reagieren: Als Granvelle, damals Botschafter Karls in Paris, wegen des bevorstehenden Kriegs seinen Abschied nahm, gab ihm Franz folgende Nachricht mit: Er habe dem Kaiser nie sein Wort gegeben, denn wie jeder Kriegsmann wisse, hätten Zusagen von Gefangenen keinen Wert. Um seine Ehre zu wahren, übergebe er dem Botschafter eine Schrift für Karl. 14 Jetzt weigerte sich der kaiserliche Vertreter, die Nachricht zu überbringen. 15 Per Boten erreichte das Kartell (Cartel de desafío, cartel de défy), wie die Schrift in den Quellen heißt, dann aber doch den Kaiser. Der las darin: Wenn der Kaiser behaupte, Franz habe je etwas getan, das einem ehrliebenden Edelmanne nicht zukomme, so lüge er in seinen Hals; er, Franz, werde seine Ehre gegen ihn bis zum letzten Atemzuge verteidigen. Er fordere ihn auf, nicht mehr zu schreiben, sondern den Ort zu wählen. Die Waffen würde er auswählen und mitbringen. 16 Mit der Wahl der Waffen hatte sich Franz zwar die Rolle des Geforderten gesichert - was dazu führte, dass in der Forschungsliteratur die Angaben, wer denn nun wen gefordert habe, auseinandergehen. 17 Aber Karl zeigte sich bereit, über diesen Schachzug ebenso hinwegzugehen wie über den Umstand, dass der französische König als Gefangener eigentlich unwürdig für einen Zweikampf sei. Mit solchen und anderen Provokationen versehen, nahm er die Forderung an, und tatsächlich ließ er sich die Dienste eines Augsburger Waffenschmieds sichern, falls es denn zum Kampf käme. 18 Er selbst glaube das nicht, 19 und damit sollte der Kaiser recht behalten. Das nun folgende Hin und Her der Boten und Botschaften währte so lange, dass der Krieg wieder aufflammte und die Frage des Zweikampfs zunächst von der Tagesordnung verschwand. 1529 folgte der Damenfrieden von Cambrai, flankiert wie so oft von einem Eheprojekt, das auch tatsächlich zustande kam: Im August 1530 heiratete Franz die ältere Schwester des Kaisers, Eleonore, verwitwete Königin von Portugal - ganz ausdrücklich zur Stabilisierung des Friedens. Der Frieden zwischen den Schwägern sollte indes nicht B AUMGARTEN : Geschichte Karls V., Bd. 2 (Anm. 4), S. 642: Ich habe Euch damals gesagt, Euer Herr habe feige und nichtswürdig gehandelt, da er mir sein Wort nicht gehalten, und wenn er das Gegenteil behaupten wollte, würde ich es Mann gegen Mann aufrecht erhalten. Es sind dieselben Worte, die ich dem König, Eurem Herrn, in Madrid sagte, dass ich ihn für feig und nichtswürdig halten würde, wenn er das mir gegebene Wort nicht erfüllte. 14 Der Bericht über die Audienz ist ediert bei: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 350-359, hier S. 353, die deutsche Fassung eng angelehnt an die Übersetzung bei: B AUMGARTEN : Geschichte Karls V., Bd. 2 (Anm. 4), S. 642. 15 Zu diesem Hin und Her der Herolde vgl. knapp: L AVISSE : Histoire (Anm. 13), S. 57. 16 W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 373, eng angelehnt an die Übersetzung bei: B AUMGARTEN : Geschichte Karls V., Bd. 2 (Anm. 4), S. 643. 17 So heißt es etwa bei: Uwe I SRAEL : Der vereitelte Zweikampf. Wie Karl I. von Anjou und Peter III. von Aragon am 1. Juni 1283 in Bordeaux aneinander vorbeiritten, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 57,7 (2006), S. 396-411, hier S. 403, unter Bezugnahme auf Alfred Kohler: Im Jahre 1528 forderte Franz I. Karl V. zum Zweikampf heraus: Karl solle ihm einen ‚sicheren Kampfplatz nennen‘. In der Fußnote wird jedoch auch die abweichende Meinung Karl Brandis wiedergegeben. 18 Zum Augsburger Schmied vgl. den Nachsatz Karls V. zu einem Schreiben vom 19. Juli 1528 bei: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 426: N’obliez d’amener Colman avec estouffe et ouvriers, si d’avanture il me falloit combattre, ce que crois que non. Die Identifizierung von Colman nach: B RANDI : Kaiser Karl V., Bd. 1 (Anm. 4), S. 191. 19 Das wenigstens deutet Karls Nachsatz an, vgl. die vorherige Anmerkung. 200 Körper-Politik? lange halten. So konnte Karl V. 1535 zwar seinen überaus erfolgreichen und ebenso medienwirksamen Tunis-Feldzug gegen die Osmanen in Nordafrika durchführen. Aber als er 1536 triumphal in Rom einzog, rechnete jeder mit dem offenen Ausbruch eines neuen Krieges mit Frankreich. In dieser Situation platzierte Karl das, was als Ostermontagsrede oder als die zweite Zweikampfforderung an Franz I. bekannt geworden ist: 20 Er hielt eine annähernd zweistündige Rede vor dem Papst, der Kurie und den dort akkreditierten Botschaftern, die in folgendem Angebot mündete: Wenn Franz I. nicht den vom Kaiser wieder und wieder gebotenen Frieden wählen wolle, dann stünde unendliches Blutvergießen und am Ende die Übernahme der geschwächten Christenheit durch die Türken zu befürchten. Um das zu vermeiden, böte sich der Kaiser an: Und in diesem Fall wären wir nicht aus Ruhmsucht oder Feindschaft gegen den besagten König, sondern, wie Gott weiß, ganz allein zur Vermeidung der Übel und Mißhelligkeiten, die bei einem Rückfall in den Krieg ebenso die besagte Christenheit treffen würden wie die Untertanen der einen wie der anderen Seite, damit einverstanden, dass der Krieg ganz persönlich zwischen mir und ihm zu Ende geführt werde [...] sei es zu Wasser oder zu Lande, mit gleichen Waffen und gleichen Garantien, wie in der Vergangenheit oftmals solche Zweikämpfe zwischen Fürsten ausgetragen worden seien, um Kriege zu verhindern oder zu beenden. 21 Er wolle Frieden, Frieden, nichts als Frieden - so endete die Rede, und damit endete auch die Geschichte der Zweikampfforderungen zwischen Karl und Franz. Damit komme ich zum zweiten Teil, zur Frage, warum Zweikämpfe, an deren Durchführung selbst die beteiligten Fürsten offenbar nicht glaubten, Wirkung entfalten konnten. Dass sie das überhaupt taten, dass nicht ausgeführte Zweikämpfe eine Wirkung hatten, wird vor allem an zwei Punkten deutlich: am publizistischen Erfolg dieser Forderungen und an ihren politischen Folgen. Als eine besondere Form ritterlicher Fiktion zum Zweck politischer Reklame hatte schon Johan Huizinga im ‚Herbst des Mittelalters‘ das immer wieder angekündigte und niemals verwirklichte Fürstenduell bezeichnet. 22 So sah es auch Karl V.: Systematisch und mit erkennbarem Eifer sorgte er sowohl 1528 als auch 1536 dafür, dass die wichtigsten Dokumente - der Briefwechsel der Könige, das Kartell, Audienzberichte von Botschaftern und natürlich die frei gehaltene, von Karl 20 Zu dieser zweiten Forderung von 1536 vgl.: B RANDI : Kaiser Karl V., Bd. 1 (Anm. 4), S. 323-327; sowie: DERS .: Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches, Bd. 2, München 1941, S. 255-261; Peter R ASSOW : Die Kaiser-Idee Karls V. dargestellt an der Politik der Jahre 1528- 1540, Berlin 1932, S. 243-268, mit allen Einzelheiten; Ludwig C ARDAUNS : Paul III., Karl V. und Franz I. in den Jahren 1535 und 1536, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 11 (1908), S. 147-244; Walter F RIEDENSBURG : Zur Rede Karls V. in Rom vom 17. April 1536, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 11 (1908), S. 365-370. 21 Die Ostermontagsrede ist überliefert in einem Bericht Karls V. an Hannart aus Rom vom 17./ 18. April 1536, der in der französischen Fassung ediert ist bei: Karl L ANZ (Ed.): Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 2, Leipzig 1845, ND 1966, S. 223- 229. Eine deutsche Übersetzung findet sich bei: Alfred K OH - LER (Ed.): Quellen zur Geschichte Karls V., Darmstadt 1990, S. 211- 218, das Zitat S. 215 f. Über die Überlieferung der Rede zu Rom informiert: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), hier im gleichnamigen Exkurs II, S. 379-393. Zur Denktradition der den Krieg ersetzenden Fürstenzweikämpfe vgl. auch: Nicolas O FFENSTADT : Faire la paix au Moyen Âge. Discours et gestes de paix pendant la guerre de Cent Ans, Paris 2007, S. 99-106. 22 Johan H UIZINGA : Herbst des Mittelalters. Studien über Lebens- und Geistesformen des 14. und 15. Jahrhunderts in Frankreich und in den Niederlanden, 11. Aufl., Stuttgart 1975, S. 130. 201 Emich höchstselbst verschriftlichte Ostermontagsrede, zügig in alle Sprachen seines Reiches übersetzt und veröffentlicht wurden. 23 Jeder, der sich für das Herrscherbild des Kaisers, seine Inszenierung, die habsburgische Propaganda, das Mediensystem der Zeit, ihre politische Semantik und ähnliches interessiert, muss ihm dankbar sein. Welche Wirkung diese Medienoffensiven hatten, ist indes schwerer zu sagen. Aber Auflagen und Medienecho zufolge gelang es ihm auf diese Weise tatsächlich, die politische Propaganda der Zeit auf einen neuen Stand zu führen. 24 Umgekehrt sollte man aber auch die Rolle der Öffentlichkeit für den Zweikampf nicht unterschätzen: Dass Schweigen eine Taktik sein konnte, hatten Franz I. 1526 und sein Botschafter mit dem ‚Vergessen‘ der ersten Forderung unter Beweis gestellt. Und auch deswegen dürfte Karl 1528 und 1536 neben der höfischen Öffentlichkeit der Audienzen auch die breitere Öffentlichkeit der Publizistik gesucht haben. Die nie realisierten Forderungen hatten aber auch, und das ist das zweite Argument für die Wirksamkeit der imaginierten Kämpfe, Folgen für die konkrete Politik. Dass der Krieg im Umfeld der Forderungen von 1528 mit einem Damenfrieden, d. h. einem von Karls Tante Margarete und Franzens Mutter Louise von Savoyen ausgehandelten Frieden beendet wurde, war kein Zufall. So schrieb Margarete am Beginn der Gespräche an Louise, dass die Bitterkeit der Vorwürfe, von beiden Seiten geschrieben und gesprochen, die Folge gehabt hätte [...], dass keiner von den zwei Monarchen, ohne seine Ehre zu kompromittieren, als erster über eine Versöhnung hätte sprechen können. [...] Wie einfach ist es auf der anderen Seite für uns Damen […] den ersten Schritt bei einem solchen Unternehmen zu machen! 25 Verweist dieses Zitat auf die Bedeutung der Kategorie Gender für die Ehrdiskussion, sprechen andere Beobachtungen für einen gewissen Einfluss der nicht durchgeführten Duelle auf politische wie militärische Entscheidungen. So lässt sich nachweisen, dass Karls mantraartig wiederholte politische Kernaussage - dem König von Frankreich ist nicht zu trauen - auch bei anderen politischen Akteuren auf der internationalen 23 Zur Veröffentlichung der Dokumente aus dem Jahr 1528 vgl.: B AUMGARTEN : Geschichte Karls V., Bd. 2 (Anm. 4), S. 643; B RANDI : Kaiser Karl V., Bd. 2 (Anm. 20), S. 191. Der Kaiser schrieb darüber eigens an König Ferdinand, seinen Bruder: Karl L ANZ (Ed.): Correspondenz des Kaisers Karl V., Bd. 1, Leipzig 1844, ND 1966, S. 291, Nr. 112. Dass die Ostermontagsrede auch an lutherische Fürsten geschickt und bereits in ganz Deutschland bekannt geworden sei, berichtet der Bischof von Lund am 10./ 11. Mai in einem Schreiben an den Kaiser, ediert bei: L ANZ (Ed.): Correspondenz, Bd. 2 (Anm. 21), S. 233-236, hier S. 235. Einen Überblick über die gedruckten Flugschriften zur Ostermontagsrede gibt: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), S. 390-392, der auf S. 392 ausdrücklich auf die bislang noch nicht aufgefundene, aber belegte von der kaiserlichen Kanzlei veröffentlichte Druck-Veröffentlichung hinweist. Ein spanischer Text wird als offizielle Version der ja auf Spanisch gehaltenen Rede angeboten bei: F RIEDENSBURG : Rede Karls V. (Anm. 20), S. 365-370. Gegenargumente hierzu bei: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), S. 387. 24 Zum Medienecho vgl.: Alfred K OHLER : Karl V. 1500-1558. Eine Biographie, 3. Aufl., München 2001, S. 192; sowie B RANDI : Kaiser Karl V., Bd. 2 (Anm. 20), S. 190 u. 258-260. Zu kastilischen Druckschriften, die den Herausforderungen v. a. von 1528 zu einer publicité exceptionelle verhalfen: C HAUCHADIS : La loi du duel (Anm. 12), S. 148. Zu 1536 siehe: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), S. 379-392, v. a. S. 390-392 über die gedruckten Flugschriften. 25 Zitiert nach Maike V OGT -L ÜERSSEN : Margarete von Österreich: Die burgundische Habsburgerin und ihre Zeit, Norderstedt 2004, S. 388 f., S. 388-399 allgemein zum Damenfrieden. 202 Körper-Politik? Bühne Spuren hinterließ. 26 Und schließlich dürfte Karls militärisch fataler und weitreichender Entschluss zum Frontalangriff auf Frankreich mit dem Ziel Paris noch 1536 unter dem Eindruck der eigenen Zweikampfforderung in der Ostermontagsrede gefallen sein. 27 Beides, die Eignung des Zweikampfs für politische Propaganda und wohl auch deren Wirkung sowie die konkreten politischen Folgen solcher Forderungen, werfen aber eine grundlegende Frage auf: Wie können solche Vorstellungen Wirkung in Propaganda und Politik entfalten, wenn doch wohl die meisten Beobachter davon ausgingen, dass es nicht zur Umsetzung kommen würde? Auf der Suche nach einer Antwort gehe ich von folgender Prämisse aus: Die Figur des Zweikampfs ist ein kulturelles Muster, das verschiedene Traditionsstränge aufnimmt, eine Reihe verschiedener Botschaften transportieren und von mehreren Seiten im Kommunikationsprozess genutzt werden kann. 28 Funktionieren kann das alles nur, und das ist zunächst zentral, wenn und solange das konkrete kulturelle Muster in den Denkmustern der Zeit verankert ist. Welche Denkmuster das sind, ist ein weites Feld. Es können stets mehrere sein, und ich greife nun lediglich eines heraus: die Körper-Politik. Mein Erklärungsansatz für die Wirkmächtigkeit der Zweikampffigur ist daher eher exemplarisch gemeint als exklusiv. Zufällig ist die Wahl aber nicht: Ich glaube, dass sich hinter dem Label der Körper-Politik, um die es mir hier gehen wird, ein zentrales Denkmuster verbirgt: zentral für die Wirkungsmacht des imaginierten Zweikampfs, aber auch bestens geeignet, um die Geschichte des Duells als einen Prozess der Herausbildung kultureller Muster zu thematisieren. Zunächst: Was heißt Körper-Politik? Dass der Herrscher mit dem Einsatz seines Körpers Politik machen kann, dass er stellvertretend und mit massiven Folgen für Völker und Territorien handeln kann, setzt ganz grundsätzlich ein körperliches Politikverständnis voraus. Darauf hat schon Goez hingewiesen: Zu erklären seien die Fürstenzweikämpfe im Spätmittelalter mit drei Elementen: mit literarischen Vorbildern, mit der Verschmelzung von Königtum und Ritterschaft sowie mit dem Verständnis der Herr- 26 Dass der König von Frankreich noch niemals erfüllte was er versprach, betonte Karl etwa im September 1528 in einer Rede vor seinen Räten, ediert bei K OHLER (Ed.): Quellen zur Geschichte Karls V. (Anm. 21), Nr. 37, S.136-138, hier S. 137; ähnlich in einem Brief an seinen Bruder Ferdinand vom 11. Januar 1530: ebd., Nr. 41, S.146-156, hier S. 154. Franz I. verwahrte sich gegen solche Verleumdungen etwa in seinem Brief an die Reichsstände vom Februar 1535, der mit einem Wunsch beginnt: Ich wollte, daß Fürsten und andre hohe Stände Wahrheit und Ehrbarkeit so lieb hätten [...]. Wo dem also, würde man mich nicht also dermaßen bei euch an allen Orten, wo man zusammenkömmt, und, wie ich höre, in allen Puncketen verunglimpfen. Ebd., Nr. 56, S. 194-198, hier S. 194. 27 So, gestützt auf die Akten des Kriegsrates: B RANDI : Kaiser Karl V., Bd. 1 (Anm. 4), S. 326. Dass auch Karls Ritterideal konkrete politische Entscheidungen beeinflussen konnte, betont: S TROHMEYER : Friedensverträge (Anm. 5), Abschnitt 140: Gegen den Rat vor allem Gattinaras wollte der Kaiser auch im Frieden von Madrid ritterlich gegenüber Franz auftreten, anstatt Frankreich nach Möglichkeit zu zerschlagen. 28 Zum Duell als kulturellem Muster: Udo F RIEDRICH : Die symbolische Ordnung des Zweikampfs im Mittelalter, in: Manuel B RAUN / Cornelia H ERBERICHS (Hg.): Gewalt im Mittelalter. Realitäten - Imaginationen, München 2005, S.123-158, für unseren Zusammenhang v. a. Abschnitt 3: Der Köper des Königs: Fürstenzweikämpfe, S. 135-138. 203 Emich scher als persönliche Repräsentanten der widerstreitenden Reiche oder Rechtsansprüche. 29 Allerdings, und das wäre meine Ergänzung, geht das körperliche Politikverständnis über den Körper des Königs hinaus: So wird nicht nur der gefangene Körper des Königs wie ein politisches Pfand nach Spanien geschafft, er kann auch gegen die Kinder des Monarchen als Geiseln ausgetauscht werden. Geiseln stellen aber auch die Hochadligen, zumal die, die in der Schlacht in Kriegsgefangenschaft geraten, aber auch andere, die zur Sicherheit bei den geplanten Zweikämpfen der jeweils anderen Seite überlassen werden sollten. 30 Botschafter werden im Kriegsfall an der Grenze interniert und, wenn alle da sind, Zug um Zug gegeneinander ausgetauscht. 31 Die Behandlung der eigenen Landsleute, die im Herrschaftsgebiet des Gegners lebten, wird zum Verhandlungsgegenstand. 32 Und nicht zuletzt die Eheprojekte, die regelmäßig und ausdrücklich die Bemühungen um den Frieden flankieren, sprechen für die Bedeutung von Körpern im konkreten, leiblichen Sinn. 33 Mit Körpern konnte man Politik machen - ob sie nun verheiratet oder vergeiselt wurden oder sich im Zweikampf anboten, Land und Volk mit dem eigenen Fleisch und Blut zu verteidigen. 29 G OEZ : Fürstenzweikampfe (Anm. 1), S. 151. 30 Dass der König und auch seine Kinder als Geiseln benutzt wurden, zeigte sich bereits im Umfeld des Friedens von Madrid, vgl. dazu etwa die Erinnerung an die erzwungene Auslieferung der Kinder in der Kriegserklärung Franz’ I. von 1528: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 310-314, hier S. 313. Die Vergeiselung französischer Hochadliger nach der Schlacht bei Pavia und deren Austausch gegen hochadlige Kaiserliche, die schon länger in französischer Haft saßen, spricht kein Geringerer als Karl V. in seinem Brief an die Mutter des französischen Königs wenige Wochen nach der Schlacht an, ediert in: ebd., S. 263 f. Auch und gerade bei der Planung der Zweikämpfe war Sicherheit ein zentraler Begriff: die Sicherheit des Ortes, und die Sicherheit, dort nicht einfach gefangen genommen oder gar umgebracht zu werden. Geschaffen wurde diese Sicherheit wiederum durch Geiseln. So hörten die französischen Botschafter 1536 aus Karls Ostermontagsrede und seinen allgemeinen Hinweisen auf wechselseitige Garantien für den Fall des Zweikampfs heraus, der Kaiser habe vorgeschlagen, man solle sich gegenseitig Geiseln stellen, um die Erfüllung der Bedingungen zu sichern. Zitiert nach: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), S. 252. 31 Vgl. z. B.: B AUMGARTEN : Geschichte Karls V., Bd. 2 (Anm. 4), S. 642 f., über die Internierung der Gesandten Frankreichs und seiner Verbündeten in der Nähe von Burgos, nach deren Freilassung erst Karls Botschafter Granvelle in der Krise von 1528 aus Frankreich abreisen durfte. Zur Diskussion der entsprechenden Regelungen im Hin und Her von 1528 vgl.: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 358 f. 32 So etwa in der Kriegserklärung von 1528, in der - falls Karl seinerseits dazu bereit war - die Könige von Frankreich und England den in ihrem Herrschaftsbereich lebenden Untertanen des Kaisers den freien Abzug mit Hab und Gut binnen 40 Tagen zusicherten, vgl.: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 310-314, hier S. 314. 33 So beginnen die Demandes de l’Empereur au Roi de France von Ende 1525 mit dem Satz: Pour mieux etablir la paix, se traictera du mariaige du dauphin et de la fille de Portugal. W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 270-273, hier S. 270. Als Beispiel für die auch nach 1525 zahlreichen Anläufe zu einem solchen Eheprojekt zwischen Habsburg und Valois vgl. etwa die Französische Antwort auf die Vorschläge Karls V. vom Juli/ September 1534 bei: K OHLER (Ed.): Quellen zur Geschichte Karls V. (Anm. 21), Nr. 55, S. 192-194, hier v. a. S. 192 f. Dass Franz I. sogar gefordert habe, que sa majesté deust bailler hostaiges pour le mariage de sa fille, erwähnt der offenbar darüber wenig erfreute Kaiser Karl V. in seiner Entgegnung vom Juni 1528, vgl.: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 394-405, hier S. 398. 204 Körper-Politik? Angesichts dieser Körper-Politik spricht der Germanist Peter Czerwinski von der Logik edler Körper im Mittelalter. 34 Die vorbürgerliche Adelskultur sieht er geprägt von der Abwesenheit von Abstraktionen in zentralen Feldern der Wahrnehmung: im Raum- und Zeitbewusstsein, im Textbegriff und eben im Körperkonzept. Charakteristisch für das feudale Körperkonzept war die Ungeschiedenheit von Person und Herrschaft. Eben weil Person und Herrschaft nicht geschieden waren, konnte mit der Niederlage der Person die Herrschaft verloren gehen: Deswegen konzentrierten sich die Zweikampfforderungen laut Goez ganz generell auf Erbmonarchien, und deswegen konnte Karl V. zwar nie die ihm als Kaiser qua Wahl zugefallenen Reichsgebiete als Kampfpreis aussetzen, wohl aber 1536 vorschlagen, mit dem Zweikampf die dann erblichen Besitzverhältnisse über Mailand und Burgund zu klären. 35 Der körperlich-leibliche Politik-Begriff liefert aber nicht nur eine Erklärung für die Funktionsweise von fiktiven Herrscherduellen. Hier setzt auch der gängige Erklärungsansatz für das Verschwinden der Herrscherzweikämpfe seit dem 16. Jahrhundert an. Wie schon Ernst Kantorowicz gezeigt hat, tritt seit dem 12. Jahrhundert neben den physischen Körper des Königs ein zweiter Körper: der abstrakte Staatskörper. 36 Mit anderen Worten: Die Abstraktion hält Einzug, der abstrakte Staatskörper überlagert den älteren, körperlichen Politikbegriff. Dementsprechend kann der Körper des Königs auch nicht mehr das Land darstellen, der Zweikampf der Herrscher wird obsolet. 37 Quasi als Kompensation für diese Verschiebungen in der politischen Theorie wird der Herrscherzweikampf zunächst zu einem beliebten Motiv in der höfischen Dichtung - und vielleicht ist die Häufung der Zweikampfforderungen gerade im 15. Jahrhundert ja auch als letztes Aufbäumen dieses körperlichen Politikbegriffs und der Herrscher als seiner führenden Vertreter zu verstehen. 38 Langfristig jedenfalls kann sich der Fürstenzweikampf nicht behaupten: Wenn Politik und Herrschaft nicht mehr an 34 Peter C ZERWINSKI : Kampf als ‚materiale Kommunikation’. Zur Logik edler Körper im Mittelalter (Das Fließen von Kräften und Dingen II), in: Mediaevistik 9 (1996), S. 39-76. 35 Vgl. G OEZ : Fürstenzweikampfe (Anm. 1), S. 151-153. 36 Ernst H. K ANTOROWICZ : The King’s Two Bodies, Princeton 1957. 37 So etwa: G OEZ : Fürstenzweikampfe (Anm. 1), S. 162 f. 38 Dies legt die Deutung bei: F RIEDRICH : Symbolische Ordnung (Anm. 28), S. 135-138, nahe, der ich hier folge. Dass noch Erasmus von Rotterdam einen Zweikampf zwischen Karl V. und Franz I. für das kleinere Übel, den Einsatz des Lebens für das Volk für eine Pflicht des Herrschers und eine solche Körper- Politik mithin für nicht gänzlich undenkbar gehalten hat, belegen die Zitate bei: Reinhard S CHNEIDER : Zweikampf von Königen - statt blutiger Kriege? , in: Peter T HORAU / Sabine P ENTH / Rüdiger F UCHS (Hg.): Regionen Europas - Europa der Regionen. Festschrift für Kurt-Ulrich Jäschke zum 65. Geburtstag, Köln/ Weimar/ Wien 2003, S. 21-32, hier S. 26. Dass die Ankündigung und ritualisierte Vorbereitung eines Zweikampfs bereits genügten, um die Mechanismen des Imaginären in Gang zu setzen und auf diese symbolische Weise der Pflicht des Herrschers zum Kampf Genüge zu tun, betont: Ludwig V ONES : Un mode de résolution des conflits au bas Moyen Age: le duel des princes, in: Philippe C ONTA - MINE / Olivier G UYOTJEANNIN (Hg.): La guerre, la violence et les gens au Moyen Âge, Bd. 1: Guerre et Violence, Paris 1996, S. 321-332, am Beispiel von 1283. Mit: Royall T YLER : Kaiser Karl V., Stuttgart 1959, S. 30-32, bleibt zu betonen, dass auch im 16. Jahrhundert die Vorverhandlungen und das Reden z. B. darüber, wer Herausforderer und Geforderter ist, wichtiger als das eigentliche Duell waren. Zu beobachten ist dies sowohl in den aufblühenden Duell-Handbüchern als auch in der Praxis, d. h. konkret bei Karl V. und Franz I., die beide letztendlich wohl davon ausgingen, dass ein Duell nicht zustande kommen würde, diese Debatte aber gleichwohl für ihre politische Propaganda nutzten. 205 Emich konkreten Körpern haften, müssen politische Fragen eben auch anders als mit dem Körper entschieden werden. Fragen der Ehre können hingegen weiter auf dem Wege des Zweikampfes geklärt werden: Wenigstens gilt das 16. Jahrhundert als die Zeit, in der die alten Gerichtszweikämpfe und die ritterlichen Zweikämpfe vom modernen Ehrkonflikt abgelöst werden. 39 Und genau diesen Umbruch dürften die Forderungen zwischen Karl V. und Franz I. deutlich machen. Denn wenn man die Standpunkte und Argumentationsweisen der beiden Helden vergleicht, wird doch eines augenfällig: Karl V. argumentiert mit dem Wohl der Christenheit, Franz I. mit seiner persönlichen Ehre. Karl vertritt im Ansatz schon 1526 und 1528, voll entwickelt dann 1536 das alte Modell des Schlachten ersetzenden und Kriege entscheidenden Herrscherzweikampfs, in dem Gott den Sieger bestimmt. Franz hingegen verkörpert das neue, das moderne Duell. 40 Fragt man nach den Gründen für diese unterschiedlichen Vorstellungen vom Zweikampf, sind zunächst die Personen in den Blick zu nehmen. Ich werde mich auf den Kaiser konzentrieren - Franz I. von Frankreich, der als Inbegriff des Renaissance- Fürsten gilt und mit seinen ‚modernen‘ Vorstellungen von Kämpfer- und Mäzenatentum zweifellos eine ebenfalls lohnendes Objekt wäre 41 , kann hier nicht behandelt werden. Warum also hielt Karl an der alten Vorstellung vom Fürstenzweikampf fest? Dass sich Karl V. in und mit seinen Forderungen als Kaiser in Szene setzt, der die Welt befriedet, ist klar zu erkennen und unschwer auf sein Verständnis des Kaiseramtes zurückzuführen. 42 Aber auch andere Faktoren dürften dazu beigetragen haben, dass sich der Habsburger der Tradition des frommen christlichen Ritters weit mehr verpflichtet fühlte als sein französisches Gegenüber: Die burgundische Herkunft und Familientradition (sein Ururgroßvater Philipp der Gute soll zur Klärung territorialer Streitfragen ja quasi am laufenden Band Zweikämpfe angeboten haben), 43 seine Erziehung im Geiste des christ- 39 Allgemein zu dieser Entwicklung: Marco C AVINA : Il duello giudiziario per punto d’onore. Genesi, apogeo e crisi nell’alaborazione dottrinale italiana (sec. XIV-XVI), Turin 2003; DERS .: La fornalizzazione del duello nel Rinascimento, in: Uwe I SRAEL / Gherado O RTALLI (Hg.): Il duello fra Medioevo e età moderna. Prospettive storico-culturali, Rom 2009, S. 63-70; Steven C. H UGHES : Soldier and Gentlemen: The Rise of the Duel in Renaissance Italy, in: The journal of medieval military history 5 (2007), S. 99-152. Vgl. auch die Beiträge von Sarah N EUMANN und Malte P RIETZEL in diesem Band. 40 Diese m. E. zutreffende Deutung schon bei: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), etwa S. 258. Dass das Grabmal Franz’ I. und seiner Gattin in St. Denis das erste und berühmteste Doppeldeckergrabmal mit den beiden Körpern des Königs, dem lebenden wie dem toten, ist, passt gut in dieses Bild. 41 Maßgeblich vertreten wird diese Lesart von: Robert J. K NECHT : Renaissance Warrior and Patron: The Reign of Francis I, Cambridge 1994. Aus kunsthistorischer Warte vgl. auch: Christine T AUBER : Manierismus und Herrschaftspraxis. Die Kunst der Politik und die Kunstpolitik am Hof von François Ier, Berlin 2009, zu den Duellverhandlungen mit Karl V. v.a. S. 112, 118 u. 130. 42 Zu diesem klassischen Thema der Literatur über Karl V. vgl. etwa: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), der auf S. 252-262 v. a. die Zweikampfforderung in der Ostermontagsrede von 1536 in diesem Horizont interpretiert. 43 Vgl. hierzu die Übersicht bei: G OEZ : Fürstenzweikampfe (Anm. 1), S. 154 f. sowie ebd., S. 162, zu Maximilian I. 206 Körper-Politik? lichen Ritterideals, 44 seine Freude an Ritterromanen und Turnieren (bei denen er sich wacker geschlagen haben soll), 45 seine Prägung durch den Orden vom Goldenen Vlies und dessen christliche Ritterideologie. 46 Ritterlich war er gegenüber Franz, den man auch als Gefangenen behandeln sollte wie ihn selbst, christlich sollte sein Werben für den Kreuzzug sein, auf den jede der Forderungen im Grunde hinauslief. Aber natürlich haben wir es hier nicht nur mit Familientraditionen und persönlichen Vorlieben zu tun. Es unterschieden sich auch die politischen Kulturen im Hintergrund der jeweiligen Herrscher, und in diesen politischen Kulturen mit ihrem divergierenden Zweikampfverständnis zeigten sich auch die politischen Eliten im Umfeld der Herrscher verwurzelt. So wird der Unterschied in der Auffassung, worum es im Kampf der Herrscher geht, nirgends deutlicher als in den Verständnisschwierigkeiten der französischen Diplomaten, die in Rom der Ostermontagsrede beigewohnt hatten. Vermittelt vom Papst, der das Missverständnis offenbar kommen sah, durften sie eine Nachfrage zum Inhalt der Rede an den Kaiser richten: Ob er ihren König denn nun herausgefordert hätte oder nicht, wollten sie wissen, und wenn ja, wie das gehen solle ohne ehrabschneidende Beleidigung im Vorfeld. Karl entgegnete, dass er den König von Frankreich weder beleidigen noch herausfordern wolle, schon gar nicht vor dem Papst, der die Idee mit dem Zweikampf ja auch sofort nach der Rede abgelehnt hatte. Er habe lediglich signalisieren wollen, dass er für einen solchen Kampf bereitstünde: für den Frieden in Europa, im Interesse des Kreuzzugs und damit zum Wohle der gesamten Christenheit. 47 Auf den Punkt gebracht hatte Karl das Problem schon in der Rede selbst: Nicht für die Ehre wolle er kämpfen, sondern für den Frieden sich opfern. 48 Das aber wurde ihm nicht nur in Frankreich nicht geglaubt. So mutmaßten auch italienische Beobachter, der Kaiser wolle den Krieg - warum sonst habe er ein duello, 44 Zu Karls Erziehung vgl.: K OHLER : Karl V. (Anm. 24), S. 49-54. 45 Laut: T YLER : Karl V. (Anm. 38), S. 38, war Karls Lieblingsautor der burgundische Edelmann Olivier de la Marché und sein Lieblingsbuch dessen Werk ‚Le Chevalier Deliberé’, das ritterliche Zweikämpfe im Allgemeinen und Karls Großvater Karl den Kühnen und dessen Tapferkeit im Besonderen behandelte. Über Karls eigene Fertigkeiten berichtet der Venezianer Gasparo Contarini in einer vor dem Senat Venedigs verlesenen Relation aus dem Jahre 1525: Im Umgang mit Turnierwaffen und im Lanzenstechen ist er ebenso geschickt wie irgendein Kavalier seines Hofes. Ediert bei: K OHLER (Ed.): Quellen zur Geschichte Karls V. (Anm. 21), S. 114. 46 Zur Bedeutung dieses Ordens für Karl V. vgl.: DERS .: Karl V. (Anm. 24), S. 49 f. 47 Über die Nachfrage der französischen Vertreter berichten alle Überlieferungen der Rede, so auch Karl selbst in einem Postskriptum, etwa zur deutschen Fassung bei: DEMS . (Ed.): Quellen zur Geschichte Karls V. (Anm. 21) auf S. 217. Detailliert zur Nachfrage der Franzosen und zu den unterschiedlichen Vorstellungen auf kaiserlicher bzw. französischer Seite: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), S. 258-262. 48 In der Rede heißt es: Und in diesem Falle wären wir nicht aus Ruhmsucht oder Feindschaft gegen den besagten König, sondern, wie Gott weiß, ganz allein zur Vermeidung der Übel und Mißhelligkeiten, die bei einem Rückfall in den Krieg ebenso die besagte Christenheit treffen würden wie die Untertanten der einen wie der anderen Seite, damit einverstanden, dass der Krieg ganz persönlich zwischen mir und ihm zu Ende geführt werde. Zitat nach: K OHLER (Ed.): Quellen zur Geschichte Karls V. (Anm. 21), S. 215. In der französischen Version beteuerte Karl V., er biete dem König einen combat: […] non point par gloire ny pour inimite contre ledit s.r roy. Vgl.: L ANZ : Correspondenz, Bd. 2 (Anm. 21), S. 227. 207 Emich das ja nur den endgültigen Bruch darstellen könne, vorgeschlagen? 49 Offenbar lag den Urteilen der Italiener und Franzosen das Bild vom modernen Ehrenduell zugrunde. Im Heiligen Römischen Reich verweisen die Reaktionen auf Karls Rede hingegen auf das alte Modell des Fürstenzweikampfs: Mit Lanzen wolle man gegeneinander reiten, war in einer Flugschrift zu lesen. 50 Das Vorbild des Turniers war hier also noch gut in der Lage, die politischen Vorgänge in ein Bild zu fassen. Und in den iberischen Reichen des Kaisers? Dort ist zu besichtigen, was mutmaßlich überall gilt, in Spanien aber dank eines glücklichen Zufalls mit Händen greifbar wird: Nicht nur zwischen den Ländern und ihren jeweiligen politischen Kulturen gingen die Meinungen auseinander, auch innerhalb eines Landes verliefen verschiedene Diskurse parallel, und mit viel Glück kann man den verschiedenen Diskursen auch bestimmte Trägergruppen zuordnen. Deutlich wird dies in den Antworten, die Karl auf seine Umfrage erhielt, wie mit der Forderung des französischen Königs umzugehen sei. 51 Vielleicht auch, weil er mit der politischen Kultur seiner neuen Heimat noch nicht hinreichend vertraut war, hatte Karl die politische Elite seiner spanischen Teilkönigreiche - Hochadlige, Amtsträger, Prälaten, Vertreter der Städte - um eine Stellungnahme in der Zweikampffrage gebeten. Das Ergebnis der Befragung macht zunächst vor allem eines klar: wie stark in Spanien die Tradition des gerichtlichen Zweikampfs noch immer war. Ein Zweikampf sei durchzuführen, so nicht wenige der Antworten, wenn die Rechtslage unklar und auf anderem Wege auch nicht zu ermitteln sei. Hier aber liege doch klar am Tage, dass Karl im Recht und Franz im Unrecht sei. Ein Zweikampf komme folglich nicht in Betracht. 52 Zu einem körperlichen Politikverständnis gesellte sich also das, was der Rechtshistoriker Wolfgang Schild als sinnlich-leibliches Rechtsverständnis bezeichnet: Nicht nur politische Fragen, auch Fragen nach Recht und Unrecht werden über 49 So heißt es in einem bei: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20) als Beilage 5, S. 421-430, edierten Bericht eines italienischen, wahrscheinlich venezianischen, Gesandten in Rom an seine Regierung, der das Zweikampfangebot stets mit duello wiedergibt (hier S. 428): tutti gli prudenti universalmente giudicono, che Sua Maestà habbbia piu voglia di far la guerra per finirla una volta, che far la pace et haver sempre la guerra; et che Sua Maestà non si saria messa in un tale theatro ad esponere et protestare quello che ha esposto et protestato senza certo fondamento di poter mantenere quello ch’ha detto et di venire alla guerra. Schließlich müsse Karl alles Versprochene einhalten, et quando non li mantenesse, ci lasciaria quell’honore, del quale egli fa tanta stima. Vgl. hierzu auch: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), S. 259. 50 Unter den möglichen Kampfarten führt das Flugblatt ‚Copia Ains sendbrieffs/ Kay. Maye. Red vor Bäbstlicher H. vnd dem gantzen Collegio wider den Künig von Franckreich gethon’ entgegen der sonstigen, auf Handwaffen für den Nahkampf konzentrierten Überlieferung die Möglichkeit auf, mit spiessen ainander anzulaffen. Bayerische Staatsbibliothek München, Res/ 4 Eur. 334,35, (ohne Zählung), fol. 4 (eigener Zählung). Zu dieser Schrift vgl. auch: R ASSOW : Kaiser-Idee (Anm. 20), S. 391. 51 Dokumentiert in der Relation de l’avis demandé par l’empereur aux Grands d’Espagne au sujet du Cartel, ediert bei: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 391 f. Eine auf eine breitere Quellengrundlage gestützte Auswertung dieser Befragung, die sich laut ebd., S. 391, an pluseurs principaulx grands de ses royaulmes de Castille en grant nombre, comme aussi de ses royaulmes d’Arragon, Vallance et Cathelongne et d’autres royaulmes et nations à luy subjectes richtete, bietet: C HAUCHADIS : La loi du duel (Anm. 12), S. 143-148. 52 So etwa Diego de Mendoza, Duque del Infantado, an den sich Karl ratsuchend gewandt hatte. Die Anfrage bei: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 381-383, Mendozas Antwort: ebd., S. 384-387, hier S. 386. Auch zitiert bei: B RANDI : Kaiser Karl V., Bd.1 (Anm. 4), S. 230. 208 Körper-Politik? und am Körper entschieden. 53 Auch diese Tradition näherte sich ihrem Ende: Der letzte gerichtliche Zweikampf, der stets vor dem Herrscher stattzufinden hatte, spielte sich 1522 ab, vor keinem anderen als Karl V. 54 Als spanischer Landesherr trug Karl seinen Teil dazu bei, dass das juristische Duell wie überall so auch in Spanien aus der Übung kam: Nicht zuletzt gedrängt von seinen Räten, entschied er sich wiederholt gegen diese traditionelle Praxis, die nicht nur von der Kirche als Gottesurteil bekämpft wurde, sondern auch und vor allem der im Gang befindlichen Modernisierung des Rechts entgegenstand. 55 Auf eine solche Entleiblichung des Rechtsverständnisses 56 drängten die königlichen Räte denn auch bei der Befragung von 1528: Da sie auch die Forderung aus Frankreich im Lichte dieser juristischen Debatte sahen, mussten sie Karl zwangsläufig davon abraten, hier in alte Muster zurückzufallen und damit ein schlechtes Beispiel zu geben. 57 Es gab aber auch Befürworter des Herrscherzweikampfs: Seine Ehre stünde zur Disposition, hieß es in diesen Stellungnahmen, und auch wenn er ein großer Herrscher sei, müsse er doch zugleich ein Ritter (caballero) bleiben. 58 Verbreitet war die Ansicht, dass es hier um die Ehre ging und der Zweikampf daher im Sinne eines modernen Duells auszutragen sei, vor allem bei denjenigen spanischen Adligen, die für Karl in Italien gekämpft oder Besitzungen verwaltet hatten. Offenbar spiegelte sich der Entwicklungsvorsprung Italiens bei der Entstehung des modernen Duells auch in der innerspanischen Debatte: Weil das Duell als privater Ehrenstreit in den Italienkriegen boomte, mussten die spanischen Italienkämpfer diese neue kulturelle Praxis vor Ort fast zwangsläufig kennen lernen - und offenbar auch übernehmen: 1528 riefen sie ihren König auf, seine Ehre zu verteidigen, in den folgenden Jahrzehnten sorgten sie mit Übersetzungen aus dem Italienischen für die Verbreitung der dort blühenden Duellratgeber in Spanien. 59 Hier entpuppen sich also Krieg und Militär als Medium des Transfers. Und nicht zuletzt deswegen gesellen sich zu den kulturellen Unterschieden und Zeitverschiebungen etwa zwischen Italien und Spanien damit auch parallele Diskurse innerhalb der politischen Elite Spaniens. Wer welchen Standpunkt vertrat, hing wesentlich von Status und Funktion der Autoren ab. Die Krieger waren für den Zweikampf, die Politiker dagegen - auf diese Faustformel lässt sich der Frontverlauf in der Debatte in etwa bringen. 60 Er- 53 Vgl. etwa Wolfgang S CHILD : Verwissenschaftlichung als Entleiblichung des Rechtsverständnisses, in: Norbert B RIESKORN u. a. (Hg.): Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft. Bedingungen, Wege und Probleme der europäischen Rechtsgeschichte, Paderborn u. a. 1994, S. 247-260. 54 Vgl. T YLER : Karl V. (Anm. 38), S. 17, der auch auf die literarische Verarbeitung dieses letzten Duells bei Calderón eingeht. 55 Zur Entwicklung des Duells in Kastilien allgemein: ebd., S. 21-22. Zur Ablehnung der Gerichtszweikämpfe durch Karl und seine Räte vgl.: C HAUCHADIS : La loi du duel (Anm. 12), S. 146 f. 56 Wie Wolfgang Schild das nennt, vgl.: S CHILD : Verwissenschaftlichung (Anm. 53), S. 247-260. 57 C HAUCHADIS : La loi du duel (Anm. 12), S. 147. 58 So befand der Konnetabel von Kastilien: [...] vuestra magestad, aunque sea tan gran príncipe no dexa de ser cabballero, zitiert nach: C HAUCHADIS : La loi du duel (Anm. 12), S. 144. 59 Ausführlich hierzu: T YLER : Karl V. (Anm. 38), S. 21-26. Zur Bedeutung der Italienkriege für die Verbreitung dieser Variante des Duells vgl. auch: Giancarlo A NGELOZZI : Das Verbot des Duells - Kirche und adeliges Selbstverständnis, in: Paolo P RODI / Wolfgang R EINHARD (Hg.): Das Konzil von Trient und die Moderne, Berlin 2001, S. 211-240, hier S. 219. 60 C HAUCHADIS : La loi du duel (Anm. 12), S. 147. 209 Emich gänzen könnte man einen weiteren Faktor, der schon des Öfteren im Raum stand: das Alter. Wäre ich dreißig Jahre jünger, würde ich mich viel lieber selbst in die Gefahr stürzen, als einen Ratschlag zu geben, so ein spanischer Ritter in seinem Votum gegen den Fürstenzweikampf. 61 Das hier angesprochene Motiv der aktiven Waffenhilfe verweist indes nicht nur auf den generationellen Faktor, sondern auch auf eine weitere Dimension der Körper-Politik: Den Körper des Königs umgibt im politischen Denken der Zeit ein weiterer Körper, den ich hier den politischen Körper des Staatswesens nennen will. Der Blick fällt auf diesen politischen Körper, wenn man nach dem integrierenden Effekt fragt, den Herausforderungen zum Fürstenzweikampf durchaus haben konnten: Indem Karl V. in seiner Umfrage nicht nur Adel und Klerus um ihre Meinung bat, sondern auch die Städte, die v. a. in Kastilien in den Cortes, d. h. den Ständeversammlungen und damit bei der Finanzierung aller Kriege, eine zentrale Rolle spielten, zeigte Karl als spanischer König, dass er den gesamten politischen Körper einzubinden gedachte. 62 Umgekehrt wiesen selbst diejenigen, die gegen den Fürstenzweikampf votierten, auf ihre Bereitschaft zur Waffenfolge hin. 63 Letztendlich unterstrichen damit beide Seiten, dass der herausgeforderte Körper nicht nur der Körper des Königs war, sondern auch der politische Körper des Staatswesens. Die Gegenprobe finden wir in Frankreich: Ranke zufolge soll Franz I. die Generalstände um die Erlaubnis zum schon zugesagten Duell mit Karl gebeten haben. Die Antwort der Stände auf das Ansinnen des Königs, zur Verteidigung seiner persönlichen Ehre französische Interessen aufs Spiel zu setzen: Du bist nicht Frankreich! 64 Mit anderen Worten: Ob es darum ging, dem um Rat suchenden Monarchen den Rücken zu stärken oder darum, das politische Ganze vor Alleingängen des Königs zu schützen - in beiden Fällen ist um den Körper des Königs ein zweiter Kreis auszumachen: der politische Körper des Reichs, konkret: die Stände, die gemeinsam mit dem König das Reich waren. 65 Während es Karl V. in Spanien gelang, die Forderung seiner Person zur Mobilisierung und Solidarisierung des politischen Staatskörpers zu nutzen, stieß er mit dieser Strategie andernorts an Grenzen, man könnte sagen: an die Außengrenzen des politischen Körpers. Wohl unter dem Eindruck seines Erfolges in Spanien legte er noch 1528 61 Vgl. die Antwort des bereits zitierten Duque del Infantado an Karl V. vom 20. Juni 1528 bei: W EISS (Ed.): Papiers d’État (Anm. 4), S. 384-387, hier S. 384: si me edad lo sufriera, quisiera mas tomar el presente peligro que dar el consejo. Sein inhaltlich gleiches Schreiben an Karls Sekretär Covos: ebd., S. 389, enthält die Präzisierung si me tornasse de unos treinta años. 62 Zur Befragung der Städte vgl.: C HAUCHADIS : La loi du duel (Anm. 12), S. 148. 63 So neben einer Reihe hoher Adliger wie dem mit beiden Aussagen bereits zitierten Duque de Infantado auch die Masse der befragten Städte, vgl.: ebd., S. 145. 64 Leopold von R ANKE : Französische Geschichte, vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, Bd. 1, 4. Auflage Leipzig 1876, S. 81, zitiert nach: G OEZ : Fürstenzweikampfe (Anm. 1), S. 161, FN 113. 65 Es passt ins Bild, dass sowohl in den spanischen als auch in den französischen Quellen der Begriff für die Kriegserklärung der gleiche ist wie der Begriff für die Duellforderung (desafío, défy): Die Forderung zum persönlichen Zweikampf galt genauso dem König wie die Kriegserklärung, aber, so ist zu ergänzen, bei beiden Varianten war auch der politische Körper des Staatswesens betroffen bzw. wollte beteiligt sein. Diese Rolle der Stände betont auch: G OEZ : Fürstenzweikampfe (Anm. 1), S. 161. 210 Körper-Politik? seinem Botschafter im Heiligen Römischen Reich die gleiche Strategie ans Herz: Um bei den Reichsfürsten und auf dem Reichstag Mittel für den bevorstehenden Krieg gegen Frankreich zu erlangen, sollte er den Großen des Reiches Folgendes darlegen: Weil man ihn, Karl, der ihr Chef sei, herausgefordert habe, müssten auch sie sich herausgefordert fühlen (und, so der gedachte Nachsatz: begeistert Steuern bewilligen). Die Reaktion: keine. 66 Im Heiligen Römischen Reich, einer Wahlmonarchie, führte der Hinweis auf den bedrohten Körper des Königs bzw. Kaisers keineswegs zu einer Mobilisierung des politischen Körpers. Damit komme ich zum Schluss: Ich hoffe, Folgendes gezeigt zu haben: Die Herrscherzweikämpfe, die nie stattfanden, sind ein Phänomen kollektiver Imagination par excellence. Aber sie entfalteten Wirkung, und das konnten sie nur, weil und solange sie in gültigen Denkmustern der Zeit verankert waren. Ein prominentes Denkmuster im politischen Denken dieser Zeit war das körperliche Verständnis von Politik: Fiel diese Grundüberzeugung weg, musste der Herrscherzweikampf seinen Sinn verlieren. Eine Etappe im Prozess dieser langsamen Ablösung markieren die Zweikampfforderungen Karls V. an Franz I.: Während Karl sich voll in die Tradition der alten, Kriege ersetzenden Fürstenzweikämpfe stellte, scheint in den Reaktionen des französischen Königs bereits das moderne Duell als Ehrkonflikt durch. Dass dies möglich war, verweist auf die phasenversetzte Entwicklung zwischen den Regionen. Aber wie der Blick nach Spanien zeigt, überlagerten sich auch innerhalb der Länder verschiedene Diskurse darüber, um was es in einem Zweikampf gehe. Unterschiedlich waren auch die politischen Positionen und Inszenierungen, die sich in der Rhetorik des Zweikampfs transportieren ließen. Und unterschiedlich waren schließlich die Möglichkeiten, wie sich die zum politischen Körper des Staatsganzen erweiterte Denkform vom Monarchen wie von den Ständen nutzen ließ. Wenn man in diesem Sinne den Zweikampf als ein elastisches, verschieden nutz- und deutbares kulturelles Muster versteht, wird es auch möglich, die Eingangsfrage zu beantworten: Die Zweikampfforderungen Karls als Duell im modernen Sinn zu begreifen, war aus französischer und italienischer Sicht mühelos möglich. Karl V. hingegen hätte Stein und Bein geschworen, niemals irgendwen zum Duell gefordert zu haben. 66 So zitiert B RANDI : Kaiser Karl V., Bd. 2 (Anm. 20), S. 191 aus den Instruktionen des Kaisers für seine Gesandten im Reich: Karl verlangte von Ferdinand, daß er sich seinen Feinden gegenüber erkläre als deffié d’eulx; gut wenn sich dasselbe auch erreichen ließe par les electeurs et par les estatz impériaulx, disans, puisque l’on nous a deffié, que sommes leur chief, ceulx qui sont membres principaulx de l’empire se tiennent aussi pour desaffiéz. Zum Misserfolg dieses Werbens vgl. DERS .: Kaiser Karl V., Bd. 1 (Anm. 4), S. 230 f. 211 Markku Peltonen The Duel, Law and Honour in Early Modern England 1. Tell anyone that you are working on the history of duelling and sooner rather than later you are bound to be asked: when was duelling made illegal; when was it prohibited; when were laws made against it? Such simple questions can of course be very easy to answer. In the English case, for instance, the answer would be February 1614; for it was then that James I issued his proclamation against priuate Challenges and Combats. 1 But underlying such questions is a more general assumption that the relationship between the duel and the law was simple and straightforward: either the law banned duelling or it did not; in other words, as soon as laws were made against duelling, the habit became illegal. In which case the primary question was whether these laws were obeyed and efficiently enforced; and if not, why not. Yet, what I would like to suggest in this paper is that such simple questions belie a much more complicated situation; that the relationship between the duel and the law was much more intricate and tangled than these questions assume, and that this complication was mainly the result of the concepts of honour. Let me begin however by offering a tentative explanation as to why many scholars find this relationship (between the law and the duel) so unambiguous. This is so, I would like to suggest, because the history of duelling and honour in early modern Europe is still far too often written as a straightforward developmental story. Duelling is habitually depicted as a neo-feudal and neo-chivalric residue from the middle ages, whose social and cultural origins are to be found from the medieval knightly world, and whose ideological origins are located in the honour culture and violent ethos of that same world. At the same time, opposition to duelling is also seen in very similar terms. Whereas duelling was a left-over from the old culture of violence, the attempts to suppress it formed an integral part of rising absolutism and the modern state. 2 Nevertheless, the story is much more complicated than such accounts suggest. The modern duel of honour had medieval origins but to write its history as a slow but steady decline does not do justice to its many-sided nature. Nor are these accounts helpful when we examine the relationship between the duel and the law in the early modern period. It is misleading, that is to say, to portray duelling and its notion of honour as gradually dwindling away during this period. On the contrary, they both remained widespread and, if anything, gained more ground by the late seventeenth and early eighteenth century. In what follows I intend to substantiate these claims by examining the precise relationship between the duel and honour on the one hand and the law on 1 James F. L ARKIN / Paul L. H UGHES (eds.): Stuart Royal Proclamations, vol. 2, Oxford 1973, p. 303. For the circumstances of the proclamation see: Markku P ELTONEN : The Duel in Early Modern England. Civility, Politeness and Honour, Cambridge 2003, pp. 87-90. 2 See: ibid., pp. 6-10. 213 Peltonen the other in early modern England. I will do this by tracing two parallel, but distinct, lines of arguments in early modern anti-duelling discourse. First, I begin by examining the arguments based on the common law. This customary law allowed the use of the trial by combat in certain strictly limited cases. This fact (that the indigenous common law allowed combat as a trial in certain cases) was initially used as an argument against the duel of honour, which was depicted as a foreign habit. Yet, the common lawyers’ perception of the trial by combat also as a means to defend one’s honour was ultimately turned into an argument in favour of duelling. This occurred when the duel was no longer seen as a foreign vice but was in its stead depicted as a particular virtue of the liberty-loving Britons. Second, I also briefly examine royal attempts to suppress duelling and seek to argue that they were never simple attempts of peace-making. In their proclamations and other legal documents against duelling, monarchs had to pay careful attention to the aristocratic concept of honour. Therefore, rather than simply imposing their authority, absolutist or otherwise, on their noble subjects, monarchs always had to negotiate with these subjects. The royal opposition to duelling, in other words, was a curious mixture of peace-making and the aristocratic concept of honour. These two notions, I contend, were pulling the royal will to opposite directions, and the emphasis on honour was prone to frustrate peace-making. 2. The duel of honour ultimately derived from various medieval forms of single combat - most importantly from the judicial duel. By the late sixteenth century, when the duel of honour, had reached England, trial by combat, whilst practically obsolete, was a legal possibility both in the common law courts and in the High Court of Chivalry (which was a civil law court established in the fourteenth century). 3 So when several legal writers and antiquarians explored the judicial duel in the early seventeenth century, their main aim was not only to defend the judicial combat and their own indigenous past more generally. At the same time they also questioned the import of foreign, especially Italian habits into England. 4 As one of them noted, such combats as are done for foolish defence, as they term it, of their honour, when they are affected with verbal injury, as to fight for the lye and such like were utterly unlawful. 5 Yet, the common lawyers were clearly aware that defending the trial by combat whilst condemning the private duel might strike someone as inconsistent. They therefore freely admitted that because of the trial by combat, the common law had a little taste of barbarism, but insisted that it was compatible with legal reason. 6 Nevertheless, in defending the trial by combat, some common lawyers depicted it very much like a duel. As one of them explained the logic of this form of trial, the very law of nature allowed man 3 G. D. S QUIBB : The High Court of Chivalry. A Study of the Civil Law in England, Oxford 1959, chs. 1 and 2; George N EILSON : Trial by Combat, Glasgow 1890, pp. 31-74 and 147-206. 4 P ELTONEN : The Duel (note 1), pp. 99-105. 5 Thomas H EARNE (ed.): A Collection of Curious Treatises, 2 vol., London 1771, vol. 1, pp. 209 f. 6 Ibid., pp. 181-182 and 190-194; Robert C OTTON : Cottoni Post huma, in: James H OWELL (ed.), London 1651, p. 62. 214 The Duel, Law and Honour in Early Modern England to deffend his life with his life, when he was accused of any capitall crime, as treason, murder, or robbery and had noe other proofe to clear him. This was so because in an equall combat [...] the strength, the spirits, and the powers of nature do decide the controversy. 7 This sounds very much like a defence of the duel. Moreover, early-seventeenth-century common lawyers acknowledged the utmost importance of defending one’s honour. Of course, they could sneer at such combats as are done for foolish defence [...] of their honour, yet, they also argued that our credit and good name were as important as our life and living, 8 which again sounds very much like an argument in favour of the private duel. The contradiction in the common lawyers’ position is most evident in the fact that, whilst they ridiculed some Italian authors of duelling, they praised some native English authors whose works were in fact largely based precisely on Italian treatises on il duello, and who wrote that the Cause of all Quarrell is Iniurie and reproach, but the matter of content, is Iustice and Honor. 9 If we now move from the early seventeenth century to the early eighteenth century (and surely further away from the chivalric culture of the middle ages), the link between the trial by combat and the private duel of honour has become even stronger. As a matter of fact, there was no longer any contradiction between these two forms of combat; on the contrary, they had both become integral parts of Britishness. Underlying this new confidence and assertiveness was, as I have argued elsewhere, the fact that during the latter part of the seventeenth century, the private duel was transformed from a foreign vice to a British virtue. What had always been seen (both by its supporters and opponents) as an epitome of Italian and French polite and delicate manners, was now suddenly an epitome of the brave and honest, firm and upright British gentleman. At the same time, duelling was defended by the notion of the warlike and valorous British past. Whereas Elizabethan common lawyers had still distinguished between the duel and the trial by combat, numerous authors in the early eighteenth century simply conflated them. 10 To endeavour to suppress duelling was, for these writers, to imitate the absolutism of Louis XIV. The eradication of single combats, in other words, required arbitrary government, under which the subjects were mere ‘Slaves’. Such a despicable form of government was sharply contrasted with a free British constitution, which greatly enhanced the virtue of courage. A free and brave gentleman was always ready to defend honour - both public and private. Hence duelling was part and parcel of the ancient free British constitution, which had a history of more than a thousand years. Duelling was thus equated (rather than contrasted) with trial by combat, which was said to have been brought to the British Isles by the Saxons. It followed that single combats, both as a judicial process and as a private means of settling points of honour, were an absolutely 7 H EARNE (ed.): A Collection (note 5), pp. 180-181. 8 Ibid., pp. 209-210. 9 [A NON .]: The Booke of Honour and Armes, London 1590, sig. A2 r-v; P ELTONEN : The Duel (note 1), pp. 49-50 and 104-108. 10 Ibid., S. 178-200, for the conflation of the trial by combat and the duel of honour see: pp. 194 and 198. 215 Peltonen necessary part of British freedom. Indeed, duelling was for some the only guarantee for British liberty and therefore their ultimate superiority. 11 3. The second judicial solution to the duel was sought, not from the common law and the ancient constitution but from the contrasting tradition of the civil law. 12 The High Court of Chivalry, established in the fourteenth century, was a civil law court where the trial by combat could be used for the trial of treason and homicide committed abroad. 13 It was this court that James I planned to use as a solution to duelling when he issued the first legal document specifically directed against the private duel in England - the ‘Proclamation against private Challenges and Combats’ in February 1614. What is interesting in this solution, however, is that it wholeheartedly embraced the notion of honour and reputation which underlay duelling. Thus the proclamation stated that its aim was to relieve men that are sensitive of honor - men that were offended by disgrace. Little wonder then that it also acknowledged that giving the lie was matched with those wrongs that are reputed to be most exorbitant. 14 The proclamation, in other words, was as much concerned with the gentleman’s honour and reputation as it was with peace-making. The message of the proclamation was strengthened by a separate treatise published in conjunction with it. This treatise dwelled on the utter seriousness of small insults to the gentleman’s honour at much greater length than the actual proclamation. It explained that no matter how small and negligible an insult in itself was, if there was even the slightest chance that it could question a gentleman’s honour, it had to be taken seriously. As the treatise put it, wheninsoeuer reputation is agreeued, though it be but in the weight of one graine, it ought to be repaired. 15 These small insults of the weight of one grain included the trip of a foote, the thrust of an elbow, the making with the mouth or hand an uncivill signe. All such insults, so the king explained, resulted in serious malice [...] disgrace [...] and scorne. 16 To take even tiny insults seriously implied, of course, that the king would avenge them by restoring the honour and reputation of those who had been insulted. The king proclaimed: And if any man should finde himselfe grieved with any whisperings, or rumours spread abroad, [...] he may resort to our [...] Marshall, who shall right him in his Reputation. 17 11 [A NON .]: Some Considerations upon the Necessity of Making a New Law to Prevent Duels, London 1720, pp. 6-9. For a more thorough discussion see: P ELTONEN : The Duel (note 1), pp. 196-200. 12 Sections III and IV of the present essay are an abbreviated and revised version of my ‘Monarchy and the Opposition to Duelling in Early Modern England’, in: Paolo B ROGGIO / Maria Pia P AOLI (eds.): Stringere la pace. Teorie e pratiche della conciliazione nell’Europa moderna (secoli XV-XVIII), Rom 2011, pp. 119-127. 13 S QUIBB : The High Court of Chivalry (note 3), pp. 22-28. 14 L ARKIN / H UGHES (eds.): Stuart Royal Proclamations (note 1), pp. 304 and 306-307. 15 Henry H OWARD , Earl of Northampton: A Pvblication of His Majesties Edict, and Severe Censure against Private Combats and Combatants, London 1613, pp. 43-44. 16 Ibid, p. 57. 17 L ARKIN / H UGHE (eds.): Stuart Royal Proclamations (note 1), p. 297. 216 The Duel, Law and Honour in Early Modern England He also insisted that the only lawful means to seeke satisfaction was by the Lawes of the Kingdome, or the Court of Honour. 18 It would be possible to argue, of course, that by avenging every insult, no matter how small and negligible, in a Court of Honour, the king could not only restore a gentleman’s reputation but could also maintain peace - in other words, that a court of honour would be the best peace-maker. Yet, there are two factors which must lead us to question such a neat interpretation. First, as some contemporaries pointed out, the entire idea of a court of honour, implied a complete acceptance of the notions of honour and insults of the duelling ideology. Therefore, rather than being an efficient means of suppressing duels, a court of honour, according to this view, in fact encouraged them. Some critics of the court of honour maintained that in order to eradicate duelling as a social and cultural custom and to maintain peace amongst the aristocracy and the gentry, the underlying ideology of duelling had to be discredited. And since a court of honour embraced (rather than eradicated) such a theory, it singularly failed to act as a peace-maker. 19 Second, a careful reading of King James’s proclamation and the concomitant treatise reveals precisely the extent to which the King seemed to accept duelling. This emerges from a passage where the royal treatise explained that all men that conuerse in the world had to giue account to the world for all their actions that are visible. Therefore if their reputation was questioned by an insult, the point of reputation demanded that they must seek satisfaction. And since the state of the world was what it was, it followed, the treatise explained, that it was almost impossible to avoid duels - or in the words of the treatise itself, it will be found almost impossible to stay the current of quarrelling. 20 So, far from simply maintaining the peace, King James seemed to be occupied with the gentlemen’s honour, so much so in fact that he found it almost a necessity to accept dueling. As we move to the latter part of the seventeenth century, we encounter exactly the same concern with the aristocrat’s honour. In 1668, James, duke of York (and the future James II) and the younger brother of Charles II introduced a bill for preventing of duels in the House of Lords. This bill, just like James I’s proclamation, saw that tiny insults were seriously undermining gentlemen’s reputation. It described such tiny insults as pernicious acts and pointed out that every man believes himselfe injured by those who value him lesse then he doth himselfe. That is to say, as soon as someone values you less than you do yourself, you have a right to feel insulted. It is of course Bernard Mandeville who would use this very idea as an essential part of his argument in favour of duelling in the 1720s. And the duke of York’s view was strikingly similar. Rather than eradicating such concepts (of insult and honour), the bill insisted that something should be done to avenge them. As the bill put it, disgraceful and provoking words, gestures, and actions, the contending about place and precedency, and usurpations of arms and other ensign of honour, have and will, unless prevented, occasion duels and other mischievous acts of force. The 18 Ibid., p. 304. 19 P ELTONEN : The Duel (note 1), pp. 139-145. 20 N ORTHAMPTON : A Pvblication (note 15), p. 14. 217 Peltonen solution the bill offered was that, instead of issuing challenges, gentlemen should seek redress from the Earl Marshal and thus from the High Court of Chivalry. 21 Again the royal opinion seemed to be that the point of honour was at least as important as the maintenance of peace. The contradiction inherent in the royal position was so obvious that it evoked critical comments from contemporaries. When Charles II issued a proclamation against duels in 1680, one contemporary noted the king’s hypocrisy and wrote that there was an absurd and incongruous contradiction in the king’s actions. This was so because at the same time as the king was the Lawgiver (and hence issued these proclamations against duelling), he was also the Fountain of Honour, which bound him to the honour group of the nobility and the gentry. 22 Similarly, Thomas Hobbes had noted in 1651 that, on the one hand the Law condemneth Duells; the punishment is made capitall, yet, on the other, he that refuseth Duell, is subject to contempt and scorne, without remedy; and sometimes by the Soveraign himselfe thought unworthy to have any charge, or preferment in Warre. 23 4. Perhaps the most striking example of the fact that the early modern rulers’ willingness to countenance the aristocrat’s honour in fact meant that they were willing to support duelling, despite speaking publicly against it, comes from the early eighteenth century. As we have seen, many authors saw by this time duelling as a central part of the ancient constitution and thus of British liberty. It is difficult to say whether Queen Anne shared this view, but at least she was ready to support duelling. The most famous duel of British history was fought in Hyde Park in November 1712 between the whig Lord Mohun and the tory duke of Hamilton. Mohun had challenged Hamilton ostensibly for personal reasons, but there was clearly a political motivation as well. Hamilton accepted the challenge; he was already fifty-four years old, but he was a known fencer, who had been involved in many duels. He wounded Mohun fatally in the chest, but Mohun still managed to give a fatal blow to Hamilton as well. Thus, both principals died on the spot. 24 This sensational duel caused a furious debate whether it in fact had been Mohun’s second who had killed Hamilton. Yet, the duel also produced a fresh anti-duelling campaign, which culminated in spring 1713 when a campaign against duelling was launched in parliament. Opening a new parliamentary session in April 1713, Queen Anne declared that the impious practice of Duelling requires some speedy and effectual remedy, and she went on to compare duelling with foreign wars: 21 Huntington Library, Ellesmere Manuscripts, no. 405, fol. 1 r-v; Historical Manuscripts Commission, 8th Report, Appendix I, p. 122. For Bernard Mandeville see: P ELTONEN : The Duel (note 1), pp 268- 298. 22 [A NON .]: Honours Preservation without Blood: Or a Sober Advice to Duellists, London 1680, pp. 19- 20. 23 Thomas H OBBES : Leviathan, 1651, in: Richard T UCK (ed.), Cambridge 1991, p. 211. For some concrete examples see: Stephen B ANKS : A Polite Exchange of Bullets. The Duel and the English Gentleman 1750- 1850, Woodbridge 2010, p. 16. 24 Victor S TATER : Duke Hamilton is Dead! A Story of Aristocratic Life and Death in Stuart Britain, New York 1999, pp. 203-238. 218 The Duel, Law and Honour in Early Modern England Now we are entering upon Peace abroad; let me conjure you all, to use your utmost endeavours for calming men’s minds at home, that the arts of Peace may be cultivated. Let not groundless jealousies, contrived by a faction, and fomented by party rage, effect that which our foreign enemies could not. 25 It seems clear, and all scholars (including myself) have thought that Queen Anne was unequivocally against duelling. Yet, things were not as simple as that. Three weeks before the fatal duel, the duke of Hamilton had been appointed and invested a KG - a membership of the Most Noble Order of the Garter. However, he had not been installed as a KG at the time of the duel, where he was killed. It followed, according to the rules of the Order, that since he died before his installation, he could not be numbered amongst the Founders of the Order. So, technically speaking, Hamilton’s name was not to appear on the membership rolls of the Order; in other words, although he was appointed and invested a KG, because he was not installed as such, he was not a member of the Order. 26 Nevertheless, following an earlier precedent, 27 Queen Anne declared Hamilton installed by a special dispensation in August 1713. This means of course that we have Queen Anne speaking in Parliament against duelling when, at the same time, she not only appointed a known duellist (Hamilton had been involved in many duels before) a KG, but also installing him as a KG, after his death in a duel, by a special dispensation. This casts her comments in Parliament into new light. Perhaps when she required some speedy and effectual remedy for duelling, she was above all thinking in terms of satisfying the point of honour by other means than swords. What is clear, however, is that despite her speech against duelling in parliament, Anne was quite happy to embrace a death in duel as an honourable way to die. 5. The relationship between the duel and the law was thus much more complicated than simply issuing anti-duelling proclamations or passing anti-duelling legislation, and guaranteeing their enforcement. The fact that the English common law formally accepted the use of the trial by combat until 1819 gave clear credibility to the legality of the private duel. The idea that this form of combat was part of the indigenous legal tradition made it much more difficult to discredit the private duel. At the same time, the royal attempts to eradicate duelling were much less endeavours of peace-making than specific forms of maintaining aristocratic honour. At the centre of all this seems to have been a distinctive concept of honour. As long as even the opponents of duelling subscribed to the reflexive nature of honour - that the aristocrat’s honour would be tarnished and lost by the tiniest insult, unless he was ready to defend it - there was little prospect that the private duel of honour would be abolished. 25 William C OBBETT et al.: The Parliamentary History of England from the Earliest Period to the Year 1803, 36 vols., London 1806-1820, vol. 6, 1702-1714, p. 1173. 26 Antti M ATIKKALA : The Orders of Knighthood and the Formation of the British Honours System 1660- 1760, Cambridge 2008, pp. 55-58. 27 John George IV, Elector of Saxony who died in 1694 before his installation was posthumously given all rights of an installed KG, see: ibid., p. 366. 219 Silke Marburg Duell und ständische Identität im Wandel König Johann von Sachsen (1801-1873) deutet den Duellverzicht 1. ‚Der Entehrte‘ - Entstehung und Kontext einer Novelle Schwächer werdend und zunehmend von asthmatischen Anfällen geplagt, verbrachte König Johann von Sachsen den ausgehenden Sommer des Jahres 1873 im Pillnitzer Hoflager und starb dort am 29. Oktober. In diesen letzten Lebenswochen engagierte er einen Privatsekretär, den jungen Rechtsreferendar Oskar Stübel (1846-1921). Dessen Bericht über diese besondere Zeit mit dem alten Monarchen schildert auch die häufigen Lesestunden, in denen Stübel dem König u. a. auch dessen eigene Werke zu Gehör brachte, etwa seine Dante-Übersetzungen 1 oder seine Lebenserinnerungen. 2 Auch die Novelle ‚Der Entehrte‘ gehörte dazu. 3 Stübel schreibt darüber: Es blieb nicht bei einem Male, daß ich dem König diese Novelle vorgelesen habe. Als er im Oktober immer kränker wurde, als ihn fast jede andere Lectüre immer mehr angriff, besonders in den langen schlaflosen Nächten, da verlangte er immer wieder, ich möchte ihm aus seiner Novelle vorlesen u. so oft ich sie fertig gelesen hatte mußte ich sie von vorn wieder anfangen. 4 Bei dieser Novelle dürfte es sich um den letzten Prosatext aus der Feder des Königs handeln. Denn ‚Der Entehrte‘ entstand im Frühjahr 1872 während eines Urlaubs in Riva am Gardasee. 5 Das Ereignis, das die Novelle verarbeitete, lag zu diesem Zeitpunkt bereits ein knappes Jahrzehnt zurück. Im Jahr 1864 waren die drei katholischen Offiziere, die Brüder Franz Xaver (1838-1910), Clemens August (1839-1913) und Adolf (1841-1907) Grafen von Korff genannt Schmising-Kerssenbrock, per Kabinettsorder aus der preußischen Armee ausgeschlossen worden, nachdem Franz Xaver sich unter Berufung auf christliche Moralvorstellungen geweigert hatte, eine Duellforderung aus- 1 Bis heute maßgebliche Gesamtausgabe des zwischen 1828 und 1849 in Teilen erschienen Werkes: P HI - LALETHES : Dante Alighieris Göttliche Comödie, Gesamtausgabe, neu durchgesehen und berichtigt, Leipzig 1865/ 1866. 2 Hellmut K RETZSCHMAR (Hg.): Lebenserinnerungen des Königs Johann von Sachsen. Eigene Aufzeichnungen des Königs über die Jahre 1801 bis 1854, Göttingen 1958. Die Lesung dürfte nach den überlieferten Abschriften erfolgt sein, vgl.: Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (künftig: SächsHStADresden), 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 7c. 3 SächsHStADresden, 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 12a Poetica, Heft XIX. Diese einzige überlieferte Abschrift stammt aus der Feder von General Wolf Dietrich Benno von Witzleben (1808-1873). Er war Adjutant König Johanns und einer der wenigen, die die Handschrift des Monarchen zu entziffern in der Lage waren. Korrekturen von Johanns Hand zeigen, dass der Autor die Abschrift noch einmal durchgesehen hat. Später wurden 40 Exemplare gedruckt: Der Entehrte. Eine Novelle von Philalethes (König Johann von Sachsen), Dresden 1885. Eine Neuausgabe durch die Autorin dieses Beitrages ist in Vorbereitung. 4 SächsHStADresden, 12829 Familiennachlass Stübel, Nr. 197: Erinnerungen aus Pillnitz, die letzten Monate mit dem kranken König Johann (Oskar Stübel), pag. 30. 5 Ebd., pag. 29. 221 Marburg zusprechen und stattdessen ein Ehrengericht hatte anrufen wollen. 6 Die Resonanz des Falles war gewaltig. Der westfälische Adel unter Leitung des Erbdrosten Clemens Heidenreich (1832-1923) startete eine direkte Eingabe an den preußischen Monarchen Wilhelm I. (1797-1888, reg. 1858). Die katholischen Diözesanbischöfe nahmen Stellung. Die Zeitungen liefen Sturm. 7 Die Brüder Kerssenbrock, die schließlich in österreichische Dienste traten, wurden zu nichts weniger als zu einem nationalen Präzedenzfall des sog. Kulturkampfes aufgebaut. Vor allem der Vater der drei Dissidenten, Clemens August Graf von Korff-Schmising-Kerssenbrock (1806-1880), selbst eine der prominentesten katholischen Gallionsfiguren des Kulturkampfes - Geheimer Kämmerer des Papstes und ein wichtiger Exponent der Zentrumspartei - tat hierzu das Seine. Insbesondere jener Duellverweigerer Franz Xaver von Kerssenbrock also stand Johann beim Entwurf seines Protagonisten vor Augen, dessen prekäre Ehre die Novelle verhandelt. Obwohl die Quellen dies nicht explizit machen, muss man für die späte Rückkehr zum Thema einen konkreten Anlass annehmen. Während König Johann an seinem Text arbeitete, waren in Preußen die Vorbereitungen zu einer Revision der Ehrengerichte angelaufen, die 1874 dann in ein neues Militärstrafgesetz einflossen. 8 Da auch die sächsische Militärstrafgesetzgebung bereits seit 1866 in direkter Abhängigkeit von der preußischen stand, war von vornherein klar, dass die Berliner Reform auch für die königlich sächsischen Truppen wie für das gesamte Militär des Reiches Geltung erlangen würde. 9 Johann sah nur allzu deutlich voraus, dass die anstehende Entwicklung sein eigenes wie auch das Vermächtnis seines Bruders Friedrich Augusts II. in der Duellfrage nun auf Dauer zur Disposition stellte. Denn beide hatten sich jahrzehntelang für die gänzliche Abschaffung der Duelle in Sachsen engagiert. Doch ein sächsischer König konnte dem in Berlin angelaufenen Gesetzgebungsprozess nun keinen nennenswerten Einfluss mehr entgegensetzen. Stattdessen versuchte Johann mit seiner Novelle ‚Der Entehrte‘, seine anders lautende Position wenigstens auf literarischer Ebene zum Ausdruck zu bringen. Man kann annehmen, dass der Greis dabei eine posthume Öffentlichkeit adressierte und ihr seinen Kommentar zur aktuellen Entwicklung des Militärstrafrechts zur Kenntnis gab. 10 6 Horst C ONRAD : Stand und Konfession. Der Verein der katholischen Edelleute, Teil 1: Die Jahre 1857- 1918, in: Westfälische Zeitschrift 158 (2008), S. 125-186, zum Fall Kerssenbrock: S. 143 ff. Ute F RE - VERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991. 7 Vereinigte Westphälische Adelsarchive, C.Bri.N.XVI, Franz Xaver (1838-1910) Sammlung von Zeitungsartikeln. 8 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 6), S. 138. 9 Zur Einführung in Sachsen vgl.: SächsHStADresden, 11322, Oberkriegsgericht, Nr. 5: Geheime Bestimmungen über das Personal und die Tätigkeit der Militärgerichte sowie über die Bildung von Ehrengerichten für Offiziere 1868-1878, Mitteilung des Königlichen Befehls vom 10. August 1874, pag. 23. 10 Zu Johanns Anteil an der Publikation von dramatischen Werken seiner Schwester Amalie (1794-1870) vgl. etwa: Silke M ARBURG : Europäischer Hochadel. König Johann von Sachsen (1801-1873) und die Binnenkommunikation einer Sozialformation, Berlin 2008, S. 11. Vieles deutet darauf hin, dass der Monarch auch mit der posthumen Veröffentlichung von einigen seiner eigenen Werke rechnete. Er bereitete einige bislang unpublizierte Manuskripte sogar noch selbst für eine solche Veröffentlichung vor. In diesen Fällen liegen im Fürstennachlass Johann (SächsHStADresden, 12561) bzw. lagen bis zum Verlust 222 Duell und ständische Identität im Wandel 2. Die Duellgesetzgebung im Königreich Sachsen unter den Duellgegnern Friedrich August II. und Johann Ebenso wie im gesamten deutschen Raum war das zivile Duell auch in Sachsen im 19. Jahrhundert generell verboten. Alle Strafgesetzbücher des Königreichs enthielten besondere Strafvorschriften gegen den so genannten Zweikampf. Im ersten konstitutionellen Kriminalgesetzbuch von 1838 waren dies die §§ 206-210. 11 Das folgende Strafgesetzbuch von 1855 enthielt in nunmehr elf Paragrafen weitergehende Bestimmungen, 12 die im Revidierten Strafgesetzbuch 1868 unverändert fortgeschrieben wurden. 13 Entsprechend dem Gesetz über die Aufhebung der privilegierten Gerichtsstände von 1835 14 erfolgten parallel zu dieser zivilen Strafgesetzgebung auch jeweils Gesetzgebungen für die Universität Leipzig sowie für die Angehörigen des sächsischen Militärs. Für die Studierenden der Universität Leipzig hatte ein 1822 erlassenes Gesetzes im dritten Teil Von Vergehungen der Studirenden und deren Bestrafungen 15 insbesondere auch Bestimmungen zum Vorgehen in Ehrensachen formuliert, die Duelle gänzlich erübrigen sollten. Hinsichtlich des Strafmaßes erfolgte 1825 noch einmal ein verschärfender Nachtrag. 16 Als der universitäre Gerichtsstand 1848 in der unteren Instanz aufgehoben wurde, 17 ging die Verfolgung von Studentenduellen auf die zivilen Gerichte über. Der in Prinz Johanns Novelle entwickelte Fall einer Duellverweigerung war - wie auch der Vorbildfall Kerssenbrock - im Offizierskorps angesiedelt und fiel damit unter das Militärstrafrecht. Im Königreich Sachsen erhielt das Militär 1822 ein erstes eigentliches Militärstrafgesetzbuch, 18 das 1835 revidiert wurde. 19 Im Jahr 1838 wurde dann des Privatarchivs des Hauses Wettin Albertinischer Linie im Februar 1945 Abschriften vor, die der König von einer Person mit leserlicher Handschrift anfertigen ließ und dann selbst noch einmal durchsah. Auf das mit dem Privatarchiv verlorene Manuskript der Novelle ‚Der Entehrte‘ weist das Findbuch 12561: Fürstennachlass Johann im SächsHStADresden, S. 30 unter 3.) hin. 11 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Königreich Sachsen (im Folgenden: GVBl) 1838, 6. Stück, No. 31: Verordnung die Publication des Criminalgesetzbuchs betreffend; vom 30sten März 1838, S. 114- 187, hier Zehntes Capitel: Von der Selbsthülfe und dem Zweikampfe, S. 163 f. 12 GVBl 1855, 13. Stück vom Jahre 1855, No. 64: Verordnung, die Publication des Strafgesetzbuchs und zweier damit in Verbindung stehender Gesetze betreffend; vom 13ten August 1855, S. 177-291, hier Zehntes Capitel: Von der Selbsthülfe und dem Zweikampfe, §§ 248-258, S. 246-248. 13 GVBl 1868, 24. Stück, No. 137: Verordnung, die Publication eines Revidirten Strafgesetzbuchs und einiger Erläuterungen zweier damit in Verbindung stehender Gesetze, auch den Erlaß einiger polizeilicher Bestimmungen betreffend; vom 1. Oktober 1868, S. 903-1017, hier Zehntes Capitel: Von der Selbsthülfe und dem Zweikampfe, §§ 248-258, S. 975-977. 14 GVBl 1835, 3. Stück, No. 19: Gesetz über privilegirte Gerichtsstände und einige damit zusammenhängende Gegenstände; vom 28. Januar 1835, S. 75-87. 15 Gesetzsammlung für das Königreich Sachsen 14 (1822), 24.) Rescript an die Universität zu Leipzig, die Gesetze für die Studirenden daselbst betr. vom 29sten März 1822, S. 291-329. 16 Gesetzsammlung für das Königreich Sachsen 4 (1825), 5. Rescript aus dem Kirchenrathe an der Universität zu Leipzig, vom 31sten Januar 1825; einen Zusatz zu den Gesetzen für die Studirenden auf der Universität Leipzig betreffend; vom 29sten März 1822, S. 25-27. 17 GVBl 1848, 25. Stück, No. 102: Gesetz, die Umgestaltung der Untergerichte nebst einigen damit in Verbindung stehenden Bestimmungen, sowie die dem Gerichtsverfahren künftig unterzulegenden Hauptgrundsätze betreffend; vom 23sten November 1848, S. 295-301. 18 Strafgesetzbuch für die Truppen 4.2.1822. 223 Marburg ein gänzlich neues Militärstrafgesetzbuch publiziert. 20 Zeitgleich mit dem zivilen Strafgesetzbuch erschien auch 1855 wiederum ein neues Militärstrafgesetzbuch. 21 Gesetzgeberisches Ziel war es sowohl 1838 als auch 1855, eine weitgehende Übereinstimmung zwischen zivilem Strafrecht und Militärstrafrecht herzustellen. 22 Nachdem Sachsen dem Norddeutschen Bund beigetreten war, erfolgte gemäß § 61 der Bundesverfassung auch die Angleichung des Militärstrafrechts. Indem gemeinsam mit dem entsprechenden Militärstrafgesetzbuch und der Militärstrafgerichtsordnung von 1867 in Sachsen erstmals zwei Verordnungen zu den Ehrengerichten erschienen, 23 hielten die preußischen Regelungen auch im sächsischen Militär Einzug, dem nunmehrigen XII. Korps der Bundesarmee. Das Duell galt auch in sächsischen Regierungskreisen vorwiegend als mittelalterliches Relikt, sein völliges Verschwinden wurde als zeitgemäß und erstrebenswert angesehen. Allein der Kriegsminister vertrat einen speziellen Ehrbegriff des Militärs in der öffentlichen Debatte gegen parlamentarische Anwürfe. 24 Ebenso forderte er auf Ministerebene eine strenge Verfolgung von Verletzungen der Militärehre wie etwa durch einen Pressebeitrag über einen Duellmord in Dresden. 25 Da das Duellwesen ebenso wie in den anderen deutschen Staaten auch in Sachsen fest zur Rechts- und Standeskultur des Offizierskorps gehörte, war die Fortexistenz ehrengerichtlicher Verfahren dennoch lange Zeit praktisch unstrittig gewesen. Allein mit Hilfe der Ehrengerichte, so die auch hier vorgetragene Argumentation, sei es immerhin möglich, wenn schon nicht das Duell gänzlich zu substituieren, so doch die Duellpraxis zu regulieren und damit die Anzahl der Duelle zu vermindern. Um dabei jedoch die den Ehrengerichten prinzipiell bestrittene Rechtsbasis nicht mittelbar im Militärstrafrecht anzuerkennen, bemühte sich Mitregent/ König Friedrich August (II.) (1797-1854) ausdrücklich darum, die entsprechende Normative möglichst auf den Rahmen des Dienstreglements zu beschränken. 26 Als der bereits Ende 1829 vorgelegte Entwurf für 19 GVBl 1835, 4. Stück, No. 25: Revidirtes Militair-Strafgesetzbuch, vom 14ten Februar 1835, S. 101-265. 20 GVBl 1838, 7. Stück, No. 37: Verordnung die Publication des neuen Militärstrafgesetzbuchs betreffend, vom 5ten April 1838, S. 222-265. 21 GVBl 1855, 17. Stück, No. 81: Verordnung, die Publication des Militärstrafgesetzbuchs betreffend; vom 13. August 1855, S. 531-590. Es galt ab 1.10.1856. Vgl.: GVBl 1856, No. 65: Verordnung, die Einführung des neuen Militärstrafgesetzbuchs betreffend; vom 12ten September 1856, S. 288. 22 O. S CHUSTER / F. A. F RANCKE : Geschichte der Sächsischen Armee von deren Errichtung bis auf die neueste Zeit. Dritter Theil, Leipzig 1885, S. 33 u. 75. 23 GVBl 1867, No. 142: Verordnung, die Publication einer Verordnung über die Ehrengerichte und über das Verfahren der Ehrengerichte bei Untersuchungen der zwischen Offizieren vorfallenden Streitigkeiten und Beleidigungen, sowie über die Bestrafung des Zweikampfes der Offiziere betreffend; vom 4. November 1867, S. 499-518. 24 SächsHStADresden, 11248 Sächsisches Kriegsministerium, 407 Korrespondenzen: Vermischte Gegenstände Bd. 1, 1831-1835, pag. 121-123. Zur Rolle des sächsischen Kriegsministers 1849 vgl. auch: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 6), S. 118 f. 25 Im Jahre 1850 galt dies dann zumindest teilweise für das sächsische Kriegsministerium, von dessen Seite Standesehre u[nd] Standesrücksichten nicht mehr als legitime Grundsätze des Militärstrafrechts angesehen wurden, vgl. unten Abschnitt 6. 26 SächsHStADresden, 12557 Fürstennachlass Friedrich August II., Nr. 35e: Eigenhändige Aufzeichnungen des Prinzen über Duelle und Ehrengerichte bei der Armee 1829 f., pag. 3 r-3 v. 224 Duell und ständische Identität im Wandel das Dienstreglement entsprechend der 1831 verabschiedeten Verfassung nochmals revidiert wurde, erfuhr dabei auch das 19., den Ehrengerichten gewidmete Kapitel eine Überarbeitung. 27 Das resultierende, durch Reskript vom 8. April 1833 erlassene Reglement trat am 1.7.1833 vorläufig in Kraft. Nach einer zweijährigen Erprobungsphase erfolgten wiederum Überarbeitungen. Das Kapitel über die Ehrengerichte erhielt in § 4 einen dahingehenden Zusatz, daß indessen der Antrag zu Ehrengerichten so selten als möglich erfolgen möchte, um nicht den in dem Corps Offiziere vor allen selbstständig zu bewachenden Geist der Aufrechthaltung der Ehre jedes Einzelnen mit dem der Cameradschaft verbundenen zu beeinträchtigen. 28 Trotz der Bemühungen, das Thema auf die Ebene des Dienstreglements zu beschränken, erwähnte das Militärstrafgesetzbuch von 1838 in § 44d immerhin die Institution des Ehrengerichts und erkannte sie damit an. 29 Entsprechend verwies 1855 der entsprechende § 46c dann auf das nunmehr zuständige Disziplinargericht. 30 Denn bereits 1850, im Zuge der Reorganisation des sächsischen Militärs, war die Zuständigkeit der Disziplinargerichte auf die Offiziere ausgedehnt worden, so dass die Ehrengerichte damit de facto abgeschafft waren. Im Unterschied zu den Ehrengerichten verhandelten die Disziplinargerichte nicht mehr eine fragliche Verletzung der Standesehre, sondern beschäftigten sich ausschließlich mit dem aus dem Verhalten eines Offiziers folgenden möglichen Vertrauensverlust, der seine Führungsfunktion in Frage stellte. 31 Diese Übertragung der einschlägigen Probleme auf die Disziplinargerichte war letztlich die Folge der Dysfunktionalität der Ehrengerichte, die in den vorangegangenen Jahren offenbar eine Reihe von Urteilen gefällt hatten, denen aus rechtlichen u[nd] rationellen Gründen die Allerhöchste Bestätigung versagt wurde. 32 Der König selbst hatte die fraglichen Urteile also mehrfach boykottiert, so dass den Ehrengerichten ihre Wirksamkeit praktisch bereits entzogen war. Nunmehr verzichtete der König gänzlich darauf, Ehrengerichte überhaupt zu genehmigen und § 44d des Militärstrafgesetzbuches wurde suspendiert. 33 Ehrengerichte waren 1850 also in Sachsen de facto abgeschafft. Erst die durch den Norddeutschen Bund erzwungene Militärstrafgesetzgebung führte sie 1867 erneut ein. Was die Duellpraxis im Offizierskorps des Königreiches Sachsen betrifft, der bislang noch keine Studie gewidmet wurde, so lässt sich im Rahmen des vorliegenden Beitrags 27 SächsHStADresden, 11248 Kriegsministerium, 515: Das neue Dienstreglement für die Armee betr., Bd: 1, 1832-1850, pag. 9 r-33 v. 28 Ebd., Note Clemens v. Cerrinis an das Kriegsministerium vom 12. Februar 1835, pag. 97. 29 § 44 behandelte die Entlassung eines Offiziers ohne ehrenvollen Abschied und sah diese vor d) wegen einer der Ehre zuwiderlaufenden Handlung, wenn darüber nach dem Dienstreglement der Ausspruch eines Ehrengerichts stattgefunden hat. Vgl.: GVBl 1838 (Anm. 20), S. 235. 30 In § 46 heißt es nun, die Entlassung eines Offiziers ohne ehrenvollen Abschied sei möglich c) In Folge des Ausspruchs eines nach den Vorschriften des Dienstreglements niedergesetzten Disciplinargerichtes. Vgl.: GVBl 1855 (Anm. 21), S. 547. 31 SächsHStADresden, 11248 Kriegsministerium, Nr. 515: Das neue Dienstreglement für die Armee betr., Bd. 1, 1832-1850, Vortrag Alexander v. Abendroth bei König Friedrich August II. vom 4. März 1850, pag. 233 v-234 r. 32 Ebd., pag. 234. 33 Ebd., pag. 235. 225 Marburg weder klären, ob dieser gesetzlichen Unterbindung des Ehrengerichts auch der erwünschte Erfolg beschieden war, die Duelle nach Möglichkeit gänzlich auszuschalten, noch lässt sich feststellen, in welcher quantitativen Relation die hiesigen Duellbzw. Ehrengerichtsfälle zu denen in anderen deutschen Staaten standen. 34 Allerdings war es keineswegs unüblich, dass sich auch Monarchen bereits seit der Frühen Neuzeit als Speerspitzen im Kampf gegen Duelle begriffen. Auch Friedrich August II. von Sachsen (Mitregent 1830, König 1836-1854) gehörte zu den entschiedenen Duellgegnern. Seine grundsätzliche Position in der Sache orientierte er auch an Friedrich Wilhelm IV. von Preußen. 35 Sie war also noch keineswegs konfessionell markiert, wie dies für Johanns weit später entstandene Novelle zu zeigen sein wird. Anders als sein preußischer Schwager aber vertrat er auch für den Militärstaat dieselbe Linie wie für den zivilen Bereich und sprach dem Offizierskorps damit die Legitimität eines eigenen Ehrbegriffs, der sich auf Duelle stützte, ab. Aber trotz aller von Friedrich August aufwändig entwickelten Argumente, die sich gegen die Rechtsprinzipien der Ehrengerichte ebenso richteten wie gegen die Duelle selbst, war sich der fürstliche Reformer zunächst darüber im Klaren, nicht bis zu einer Abschaffung der Ehrengerichtsbarkeit durchdringen zu können. Johann (1801-1873, König 1854) teilte die ablehnende Position seines älteren Bruders voll und ganz. Dies bestätigt auch ein überliefertes Schauspielfragment aus seiner Feder, das auf die Zeit vor der Thronbesteigung zu datieren ist und u. a. einen Duellfall im Studentenmilieu thematisiert. In diesem Zusammenhang nennt Prinz Johann den Ehrbegriff des Duells schnöde und auf einem schaalen Vorurtheil basierend. Den Duellanten selbst bezeichnet er gar als Mörder. 36 Als Johann 1854 dann selbst an die Regierung gelangte, blieb ihm - wie oben dargelegt - auf der gesetzgeberischen Ebene kaum mehr etwas gegen das Duell zu tun übrig. Allenfalls hatte er die zeitgemäße Formulierung der strafrechtlichen Bestimmungen abzusegnen. Johann fasste Gesetzgebungsfragen generell als Gewissenssachen auf. Dies galt für das Duell in besonderer Weise. Der Monarch Johann stellte sich einer ganz besonderen persönlichen letztinstanzlichen Verantwortlichkeit für alle in Sachsen staatlich sanktionierten Tötungsvorgänge. Hierzu gehörte neben der Todesstrafe, um deren Abschaffung er sich ebenfalls bemühte, auch der Zweikampf, der zwangsläufig mit einer möglichen Todesfolge kalkulierte. Die Kehrtwende von 1866, die die Wiedereinführung der Todesstrafe ebenso betraf wie die ehrengerichtliche Regelung der Duellfrage, belastete sein Gewissen, das ihm dazu diente, sich unausgesetzt der Übereinstimmung auch seines Regentenhandelns mit Vorschriften und Moralvorstellungen seiner Kirche zu vergewissern. 37 34 Aktenmäßig überliefert sind aus der Periode von 1800-1850 sechs Duellvergehen, vgl.: SächsHStADresden, 11321 Generalkriegsgericht, Nr. 11786 bis 11794; sowie ein ehrengerichtliches Verfahren, vgl.: SächsHStADresden, 11335 Ehrengerichte, Nr. 308. Vgl. auch: Gundula G AHLEN : Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert, im vorliegenden Band. 35 SächsHStADresden, 12557 Fürstennachlass Friedrich August II., Nr. 35e: Eigenhändige Aufzeichnungen des Prinzen über Duelle und Ehrengerichte bei der Armee 1829 f., pag. 2. 36 SächsHStADresden, 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 12a: Poetica, Heft VI, Der Atheist, Schauspiel in zwei Aufzügen, pag. 4-25 (zu dem Duell selbst pag. 14 v-15 r) sowie Heft VII, pag. 18 r-18 v. 37 M ARBURG : Europäischer Hochadel (Anm. 10), S. 109-131; sowie eingehender: DIES .: „Johann der Ultramontane“ und „Johann der Kirchliche“. Das konfessionelle Image eines Fürsten der katholischen 226 Duell und ständische Identität im Wandel 3. Die Handlung der Novelle Die Novelle wurde 1885 in einer vermutlich privaten Auflage von 40 Stück gedruckt, von denen derzeit nur noch vier Exemplare nachweisbar sind. Da der Text also zum jetzigen Zeitpunkt kaum zugänglich ist, sei im Folgenden zunächst die Handlung skizziert: Ein pensionierter General von Steinau lässt sich mit seinen beiden Töchtern auf dem Rittergut Gründorf nieder. Die Bekanntschaft mit dem Besitzer des Nachbarguts Merwitz, Schulz, bringt ein erfreuliches Miteinander. Schulz leistet dem General nötige Hilfe bei den Wirtschaftseinrichtungen, erweist sich als angenehmer Umgang und schließlich keimt eine Herzensneigung zwischen Schulz und einem der Fräulein von Steinau. In diese Situation hinein bringt ein Neffe des Generals die Kunde von der unrühmlichen Vergangenheit Schulz‘. Unter dem Namen von Wendheim habe dieser als Offizier gedient und sich einer Duellforderung verweigert, die sich aus einem Streit mit einem untreuen Liebhaber seiner Schwester ergab. Noch bevor das Ehrengericht sich mit der Angelegenheit hatte beschäftigen können, hatte von Wendheim seinen Abschied vom Militär genommen. Seine Kameraden zogen sich von ihm zurück. Von Wendheim reiste aus der Residenz ab und ließ sich unter dem Namen Schulz auf einem Rittergut nieder. Der General empört sich sowohl über den Betrug durch den falschen Namen als auch über die Duellverweigerung und bricht den Kontakt zu Schulz per Brief ab. Schulz wiederum erklärt die Motive seiner Verweigerung in einem Antwortbrief, dem wichtigsten Teil des Kapitels ‚Die Erklärung‘. Überdies, so legt er dar, sei ‚Schulz‘ sein Geburtsname, den er bei der Adoption durch seinen Onkel in ‚von Wendheim‘ geändert habe. Der Rückgriff auf seinen ersten Namen falle also - anders als von Steinau annimmt - nicht unter Betrug. Im Übrigen akzeptiert Schulz den Abbruch des Umgangs ohne weiteres Argument. Das letzte Kapitel der Novelle - überschrieben mit ‚Die Rechtfertigung‘ - bringt dann eine gefährliche Situation auf dem Rittergut des Generals, heraufbeschworen durch dessen mangelndes Verhandlungsgeschick mit den ländlichen Untertanen. Truppen, die den angreifenden Pöbel zurückschlagen könnten, sind noch weit. Und so rettet allein Schulz seinen Nachbarn vor dem sicheren Tod - trotz aller Querelen. Unter Einsatz von Leib, Leben, vor allem seiner militärischen Kunst, aber auch seiner Argumentationskompetenz überwindet er die Angreifer. Trotzdem geht ein Nebengebäude in Flammen auf. Die dort versteckten Töchter des Generals drohen zu verbrennen, was Schulz die Gelegenheit gibt, sie schließlich sowohl aus als auch unter Lebensgefahr zu retten. Der General spricht spontan die Verlobung zwischen seiner Tochter Marie und Schulz aus, so dass mit der bevorstehenden Hochzeit dessen Dasein als ‚Entehrter‘ ein für alle Mal endet. Diaspora im 19. Jahrhundert, in: Ulrich R OSSEAUX (Hg.): Konfession und Konflikt. Religiöse Pluralisierung in Sachsen im 18. und 19. Jahrhundert, im Erscheinen. 227 Marburg 4. Soziale Identitäten und Gesellschaftsstruktur Zeichnet man zunächst die sozialen Identitäten der Protagonisten nach, dann ergibt sich für Schulz-von Wendheim durch den Namenswechsel eine mehrfache Häutung unterschiedlicher ständischer Zugehörigkeiten. 38 Die Zuordnungen lauten hier demnach: geborener Schulz, Bürgerlicher mit adliger Mutter, Offizier, später dann Adoptivsohn seines Onkels und als solcher mit adligem Namen ausgestattet, nach seinem Abschied schließlich unter seinem ersten Namen als Gutsbesitzer erfolgreich tätig, wenn auch aus den Führungskreisen jedes staatlichen Apparats und aus dem gesellschaftlichen Leben ausgeschieden. Noch bevor in der Novelle jedoch der Familie von Steinau und auch dem Leser Ehrenrühriges bekannt wird, ist Schulz bereits bestens eingeführt. Von Beginn an versäumt der Autor keine Gelegenheit, Schulz‘ positive Eigenschaften zu betonen: Mut, Tatkraft, Selbstbeherrschung, Großzügigkeit, Frömmigkeit, karitative Einstellung, ökonomisches Wissen und Können, militärische Gewandtheit, politische Weitsicht und Engagement für das Gemeinwohl, Natursinn, Kinderliebe, Prinzipientreue, Empfindsamkeit - kaum lässt sich eine Figur besser ausstatten. Und soweit dies nicht im Rahmen der Novelle selbst geschildert wird, ist es der Pastor des Ortes, der dem jungen Nachbarn einen exzellenten Ruf im Dorf attestiert: Er ist zwar erst seit einem Jahre hier, aber allgemein beliebt, er thut unendlich viel Gutes und Alles mit größter Umsicht, betheiligt sich bei allen öffentlichen Angelegenheiten und ist besonders ein großer Kinderfreund. Neulich hat er einen Knaben mit eigener Lebensgefahr aus dem Wasser gerettet. 39 General von Steinau dagegen verkörpert den alten Adel, allerdings nicht als extremes Klischee, sondern in einer sich explizit offen gebenden Spielart. Über eine mögliche Verbindung zwischen seiner Tochter Marie und Schulz etwa sagt von Steinau: Je nun, der Mann ist brav; ich bin zwar ein alter Aristokrat, aber doch kein verrosteter, daß ich das Glück meiner Tochter wegen eines Standesvorurtheils auf’s Spiel setzen möchte; […]. 40 Darüber hinaus repräsentiert von Steinau den Militärstaat samt dessen überliefertem Ehrenkodex, demzufolge die Verweigerung eines Duells unehrenhaft ist. Seine Worte über die vorgebrachten moralischen Argumente des Duellverweigerers lauten: so Etwas kann Jeder vorschützen, der sich den Gesetzen der Ehre entziehen will; auch glaube ich immer, daß hinter dergleichen angeblichen Gewissensbedenken etwas Anderes, nämlich Mangel an persönlichem Muth, steckt. 41 Damit ist von Steinau der Antagonist, der die Positionen der Duellbefürworter vertritt. Die Konturen zwischen den Ständen werden also einerseits durch Schulz-von Wendheims Doppelbzw. Dreifachidentität, andererseits durch die Offenheit des Generals für ein adlig-bürgerliches Konnubium als teils verwischt und nur mühsam rekonstruier- 38 Anders als die Quellen, die unter ‚Stand‘ oft den Militär- oder Offiziersstand verstehen, wird im vorliegenden Beitrag zwischen geburtsständischen, d. h. über Familie und primäres soziales Umfeld vermittelten Prägungen einerseits und berufsständischen Zuschreibungen andererseits, in der sich die Logik der Funktionsapparate und Tätigkeitsfelder niederschlug, unterschieden. 39 SächsHStADresden, 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 12a: Poetica, Heft XIX, pag. 6. 40 Ebd., pag. 21. 41 Ebd., pag. 29. 228 Duell und ständische Identität im Wandel bar, teils als durchlässig gezeichnet. Die gemeinsamen Interessen und Diskursebenen sieht Autor Johann auf zwei Ebenen: Zunächst geht es um das agrarökonomische Interesse, das für beide Gutsbesitzer natürlich dasselbe ist. Hier ist Schulz klar im Vorteil, und erst seine Nachhilfe ermöglicht dem Gutsnachbarn von Steinau ein sinnvolles Wirtschaften. Bei einer Tischeinladung etwa gestaltet sich die Konversation so: Der junge Mann […] begann mit dem General ein langes Gespräch über landwirthschaftliche Gegenstände, Stallfütterung, Fruchtwechsel, Guanodüngung u. s. w., das bis zur Beendigung der Mahlzeit fortdauerte, an deren Schlusse der General den Vorschlag machte, den Kaffee im Garten unter der Linde zu trinken, wo ein Tisch und einige Bänke standen. Hier nahm die ganze Gesellschaft Platz. ‚Ich wäre doch begierig zu wissen‘, sagte der General, ‚was Sie von der Feldeintheilung und dem Wirthschaftsturnus denken, den mir ein ökonomischer Rathgeber vorgeschlagen hat […]. 42 Als eine diesen i. e. S. landwirtschaftlichen Fragen verwandte - an der sich jedoch die Geister von Schulz und von Steinau scheiden -, ist die Ablösung der Feudallasten zu bezeichnen. 43 An diesem Problem baut sich im Laufe der Novelle eine revolutionäre Stimmung auf. Der weitsichtige Schulz hat jedoch auf seinem Gut die Sache rechtzeitig gelöst: Schulz hatte das längst kommen sehen und gleich in dem ersten Jahre seines Besitzes mit seinen Gutsunterthanen ein billiges Abkommen getroffen, in der Ueberzeugung, daß nach Entfernung solcher veralteter Einrichtungen Gutsherr und Gutsunterthanen sich besser befinden würden. Der General hatte beim Ankaufe von Gründorf bereits im Gange befindliche Ablösungsverhandlungen übernommen. Zwar war auch er keineswegs einem billigen Vergleiche abgeneigt, aber theils aus minderer Kenntniß der Sache theils aus einer gewissen angeborenen Zähigkeit nicht gewillt zu rasch nachzugeben. Es hatten daher die Verhandlungen noch zu keinem endlichen Resultate geführt, als die erwähnte Sturmperiode begann. Von seinem Oekonomieverwalter bekam derselbe drängende Briefe, welche die Umstände sehr bedenklich schilderten und zu alsbaldigen Concessionen riethen. Der General war jedoch entschlossen, sich Nichts abtrotzen zu lassen und da er sich bewußt war, immer als ein gütiger wenn auch fester Herr gegen seine Unterthanen verfahren zu sein, so hoffte er durch seine persönliche Autorität der Sache am Beßten ein Ende zu machen. 44 Dieser Weg der persönlichen Autorität aber scheitert und führt, nachdem von Steinau den Vorschlag, den bereits geschassten Schulz zu den schwierigen Verhandlungen hinzuzuziehen, abgeschlagen hat, geradewegs in den Aufruhr. Der Spalt, den der Ehrverlust des einen zwischen die beiden treibt, steht einem Zusammenwirken entgegen - angesichts der Gefahr eine verhängnisvolle Trennung. 42 Ebd., pag. 9. 43 Katrin K ELLER : Landesgeschichte Sachsen, Stuttgart 2002, S. 298-300; Reiner G ROSS : Die bürgerliche Agrarreform in Sachsen in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Untersuchung zum Problem des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus in der Landwirtschaft, Weimar 1968; Axel F LÜGEL : Bürgerliche Rittergüter. Sozialer Wandel und politische Reform in Kursachsen (1680-1844), Göttingen 2000. 44 SächsHStADresden, 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 12a: Poetica, Heft XIX, pag. 47. 229 Marburg 5. Die Duellverweigerung Vorleser Oskar Stübel konnte die persönliche Meinung des Autors Johann klar dem Protagonisten der Novelle zuordnen: Ich glaube mich nicht zu täuschen, wenn ich behaupte, daß der König […] Schulz seinen eigensten Gedanken über das Duell entwickeln lässt, es war wohl auch dieselbe Quelle, die Lehre der christlichen Religion, aus denen die katholischen Offiziere und aus denen der König ein u. dieselbe Überzeugung gewonnen hatten. 45 Stübel weist also in zurückhaltender, aber klarer Formulierung darauf hin, dass zeitgenössische konfessionelle Prämissen für die Entstehung des Textes von entscheidender Bedeutung waren. Die Duellverweigerung begründet Schulz dann dem Wortlaut der Novelle nach mit der Unsittlichkeit und Unchristlichkeit des Zweikampfes. 46 Sein Brief zeigt die Selbstverständlichkeit, mit der er sich diese Position im Gang seiner Erziehung angeeignet hat: Von streng religiösen Aeltern geboren, bin ich von denselben in dergleichen Grundsätzen erzogen worden. Zu diesen gehörte es ins Besondere, daß man dem Gebote der christlichen Sittenlehre mit Hintansetzung aller Rücksicht auf zeitliche Ehre gehorchen müsse und daß der Zweikampf eine mit dieser Sittenlehre im schneidendsten Widerspruche stehende Handlung sei. Und in der That konnte ich diese Meinung bei unbefangener Prüfung nur als eine vollkommen richtige erkennen. 47 Daraus leitet von Wendheim(-Schulz) folgende Überlegungen ab: Ich sagte mir, entweder ist der bei einem Zweikampfe Betheiligte der Beleidigte, oder der Beleidiger. Im ersten Falle ist der Zweikampf Nichts als eine Rache und zwar eine blutige Rache, also mit dem christlichen Gebote der Versöhnlichkeit und Feindesliebe unvereinbar. Im zweiten Falle ist es aber noch unverzeihlicher, zu der Beleidigung noch Beschädigung an Leib und Leben hinzuzufügen. Daß nur diese Ueberzeugung und kein anderes Motiv, am Wenigsten ein Motiv der Feigheit mich bewogen hat, den Zweikampf mit Graf Kronberg abzulehnen, darüber gebe ich Ihnen meine heiligste Versicherung und glaube durch meine Handlungsweise einen größeren Beweis von Muth gegeben zu haben, als wenn ich mich den Pistolen meines Gegners gestellt hätte, insofern der moralische Muth, seiner Ueberzeugung Spott und Hohn gegenüber treu zu bleiben, höher anzuschlagen ist als die blos persönliche Tapferkeit. 48 Dazu kam, dass der Verweigerer die Frage von Gewinnen oder Verlieren des Duells als von vornherein bereits entschieden ansah: Graf Kronberg war mein persönlicher Freund und der Geliebte meiner Schwester, die unerachtet seiner Untreue ihm immer noch von Herzen zugethan war. Auch, was ich nur nebenbei bemerke, hatte ich im Zweikampfe nicht viel zu wagen, denn ich bin ein sehr geübter Pistolenschütze, indeß Graf Kronberg gar keine Uebung in dieser Beziehung besitzt. Sollte ich nun zu den übereilten Worten, die ich mir zu 45 SächsHStADresden, 12829 Familiennachlass Stübel, Oskar Wilhelm Stübel (1846-1921), Nr. 197: 1873- 1947 Erinnerungen aus Pillnitz, die letzten Monate mit dem kranken König Johann, pag. 30. 46 Dabei setzte Johann das Wort Unchristlichkeit an die Stelle von Unehrenhafftigkeit, womit er allerdings einen Lesefehler des Abschreibers korrigiert. 47 SächsHStADresden, 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 12a: Poetica, Heft XIX, pag. 40. 48 Ebd., pag. 40. 230 Duell und ständische Identität im Wandel Schulden gebracht hatte, noch das Unrecht hinzufügen, meinen alten Freund zu tödten und meiner Schwester einen namenlosen Schmerz zu bereiten? 49 Von Wendheim verzichtete demnach auf einen klaren Sieg. Damit hat der Autor fast den gesamten denkbaren Begründungskatalog durchgearbeitet, der die Verweigerung zu einer moralischen Unausweichlichkeit macht. Aus moralischer Perspektive ist der etwa in Ludwig Renns ‚Adel im Untergang‘ beschriebene Ausweg, dass sich die Gegner bei einem Pistolenduell absichtlich verfehlen und damit dem Gebot des alten Ehrenkodex zwar Folge leisten, ohne dieses aber als Frage von Leben und Tod abzuhandeln, keine diskutierenswerte Option. Denn Johanns Novelle verfolgt das Anliegen, zu einer Umformung des Ehrbegriffs beizutragen, nicht etwa pragmatische Lösungen zu zeigen, die an ebendieser Frage vorbei lavieren. 50 Ebenso erstaunt wie die anderen Offiziere auf die Ausführungen von Wendheims reagieren, ebenso natürlich wird die folgende soziale Ausgrenzung von den ehemaligen Kameraden praktiziert. Ihre Ansicht über sein Verhalten lautet wie bei General von Steinau fehlender Mut. 51 Über den sonderbaren Moralisten 52 wird allgemein gespottet. Allein Marie von Steinau bringt später in die Debatte ein, dass bereits wohlbegründete Zweifel über die Moralität des Zweikampfes öffentlich geäußert werden. Die soziale Ausgrenzung weist den Entehrten vom Ort seiner vormaligen sozialen Bindungen. Er geht in einen neuen Kontext über und wechselt den Namen: Er wird zum bürgerlichen Rittergutsbesitzer. 6. Rechtfertigung und Vision: Ehre in der modernen Gesellschaft Im Novellentext wird die Revision des überkommenen Ehrbegriffs abschließend durch General von Steinau vollzogen. Die Worte, die er in der Abschlussszene an Schulz richtet, müssen als Fazit eines Geläuterten gelesen werden: Retter meiner Tochter und auch mein Retter! Sie haben mich überzeugt, daß es noch eine höhere Ehre giebt als was die Welt so nennt, noch einen höheren Muth als den, welcher auf der Degenspitze schwebt. 53 Damit wird der von Schulz gezeigte Mut auf eine neue Ebene gehoben. Der Wortlaut höherer Mut und höhere Ehre, in der das Höhere in Opposition zur Welt gestellt wird, verweist nochmals auf die moraltheologische Begründung der Duellverweigerung. Solchen höheren Mut beweist Schulz, indem er die moralischen Argumente den gesellschaftlichen Konventionen vorzieht. Die Duellgesetzgebung - in der Möglichkeit des Ehrengerichts lediglich angedeutet - beansprucht in dieser Version also allenfalls die Rolle des Reflexes gesellschaftlicher Ehrvorstellungen. Den weltlichen Mut hingegen, die bloß persönliche Tapferkeit, weist Schulz nach, indem er sich aktiv für die Durchsetzung eines Herrschaftsmodells engagiert, das wirtschaftlich erfolgreich ist, auf einer konsensorientierten und dennoch patriarchalen Be- 49 Ebd., pag. 41. 50 Ludwig R ENN : Adel im Untergang, Berlin 2001. 51 SächsHStADresden, 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 12a: Poetica, Heft XIX, pag. 29. 52 Ebd. 53 Ebd., pag. 70. 231 Marburg ziehung zu den ländlichen Untertanen fußt. Der Einsatz von Leib und Leben gilt dabei durchaus als positiv ehrrelevant. Immerhin vermeidet es Johann, Schulz einen der Angreifer erschlagen zu lassen, ein tiefer Hieb in den Arm ist die maximale Gewalthandlung seitens des Protagonisten. Legitime Gewalt dient nunmehr konsequent ausschließlich dem Schutz des gefährdeten Individuums - des Nächsten - oder in umfassenderem Sinn der Konservierung gesellschaftlicher Ordnung. Der militärische Kontext und dort anstehende Veränderungsszenarien hingegen werden von Johann nicht thematisiert oder allenfalls insofern angedeutet, dass der Neffe des Generals - die Figur vertritt ja die Militärkameraden - auf der bevorstehenden Hochzeit die Ehrenhaftigkeit des Dissidenten anerkennen und ihn so öffentlich rehabilitieren soll. Damit wird gleichzeitig die Sicherheitslücke anerkannt, die das Militär auf dem Land lassen musste, und in die der Entehrte rettend eingesprungen ist. Die unbedingte Notwendigkeit, nicht allein zeitgemäße Wirtschafts- und Herrschaftsformen zu finden, sondern - als einen ideellen Kern dieser Anpassungsprozesse - auch den Ehrbegriff zu adaptieren, begründet Johann mit einem Bedrohungsszenario durch die revolutionäre Situation. Deren Bilder entnimmt der Autor den Jahren 1848/ 49, in die auch die in der Novelle thematisierte Ablösungsfrage zu datieren ist. Ähnliches Bedrohungspotenzial lässt sich zum Zeitpunkt der Niederschrift nicht ausmachen. Der propagandistische Impetus der Novelle verweist eher allgemein in eine potenziell gefahrenbringende Zukunft. Ohne eine gründliche Reinvention überkommener Ehrbegriffe wird - so König Johann - die ohnehin in mancher Beziehung bereits in der Amalgamierung begriffene Führungsschicht ihren Führungsanspruch nicht verteidigen können. Seiner Meinung nach muss eine solche Reinvention zu einer Homogenisierung des Ehrbegriffs innerhalb der höheren Stände führen. Die Duellpflicht aber - so nun Johanns These im Hinblick auf das Duell - wirkt auf die Integration der Führungsschicht nicht etwa befördernd, da sie überholte Ehrbegriffe zu modernen in offenen und unversöhnlichen Widerspruch setzt. Der moderne Staat darf seine Funktionen nicht auf einen solchen, potenziell irreleitenden Ehrbegriff stützen und muss ihn daher auch im Militär gänzlich zu tilgen suchen. Das wird bereits bei der Suspendierung der Ehrengerichtsbarkeit 1850 thematisiert: Was die Ehrengerichte Gutes gehabt u was sie ihrem Grunde nach bezweckten, findet sich wieder in den Disziplinargerichten u[nd] wird erreicht durch sie. Der Gegenstand, welchem sich das Disziplinargericht als ein blos begutachtendes Organ der Regierung - zum Vorwurf seiner Thätigkeit machte, beruht auf strenggesetzlichem Boden; es soll erörtern u begutachten, ob ein Offizier sich des Vertrauens verlustig gemacht habe oder nicht. Die Grundsätze aber, nach denen ein Ehrengericht, als solches, urtheilt, - Standesehre u[nd] Standesrücksichten - entbehren einer gesetzlichen Grundlage, u haben auch, wie die Erfahrungen selbst neuerer Zeit bewiesen, 232 Duell und ständische Identität im Wandel Aussprüche zur Folge gehabt, denen aus rechtlichen u rationellen Gründen die Allerhöchste Bestätigung versagt wurde. 54 Damit widerspricht Johann indirekt den Konjunktur habenden Annahmen positiver Auswirkung zumindest auf die militärische Führungselite. Vielmehr steht die Duellpflicht der dringend notwendigen Integration der gesellschaftlichen Eliten im Prozess der inneren Reform entgegen. Die Novelle schildert jedoch plastisch, dass mit dem Scheitern dieser Elitenformierung die gesellschaftliche Ordnung zur Disposition steht. Es drohen Unordnung und Gewalt. Eine wahrhaft christliche Aristokratie aber - und nur eine solche kennt Johanns Vision - muss das Duell künftig konfessionsübergreifend ablehnen. Schulz jedenfalls wird - trotz seines Namens und vor allem auch ohne Duell - von einigen Rotteuren durchaus bereits als ‚Aristokrat‘ wahrgenommen. Im Streit rufen sie: hört nicht auf ihn; der ist auch so ein Aristokrat; er ist in die Tochter des Alten verliebt, drum nimmt er seine Parthei. 55 Und so wird man die Novelle auch als Stimme im Adelsreformdiskurs lesen müssen, der im 19. Jahrhundert bekanntermaßen literarisch ebenso hochproduktiv wie sozialgeschichtlich in weiten Teilen folgenlos war - allenfalls eine Problemanzeige. Johann hingegen lag das Thema seit Jahrzehnten ganz praktisch am Herzen, beschäftigte er sich doch aktiv mit Adelsvereins- und Ordensmodellen, mit der Reform der Hoffähigkeit, der Institution der Kammerherren etc. 56 ‚Der Entehrte‘ jedoch markiert am alten Adel dennoch vor allem dessen Reformbedürftigkeit und postuliert ideelle Anpassungs- und Öffnungsdefizite gerade für diese Gruppierung dringender als jene früheren Entwürfe. Johann behauptet damit, dass zu einem Gelingen solcher Reformprozesse gerade eine in der nationalen Kontroverse dezidiert katholisch markierte Position beitrage. Die katholische Kirche als der moralische Garant für das Gelingen gesellschaftlicher Fortentwicklung - eine Vision, die gerade in der katholischen Diaspora Sachsen wohl kaum plausibler zu propagieren war als mit dem von Johann gewählten Stoff, der sinnfällig an aufklärerische Positionen zur Duellfrage anknüpfen ließ. Abschließend sei noch ein Blick in die Briefe des Königs gestattet. Im Januar 1871 schilderte er Neuigkeiten des im Gange befindlichen deutsch-französischen Krieges. Johann berichtete aus Dresden u. a. Aspekte, die Neues an der Kriegssituation vor Ort erkennen lassen: Hier machen uns die Gefangenen viel Noth. Es fehlt natürlich an Truppen um sie zu bewachen und die Räume zu Unterkunft sind auch schwer zu beschaffen. Dabei sind die Offiziere die man auf Ehrenwort frei herumgehen ließ so unzuverläßlich[.] Manche 54 SächsHStADresden, 11248 Kriegsministerium, Nr. 515: Das neue Dienstreglement für die Armee betr. Bd 1, 1832-1850, pag. 233 v-234 v (Wiederholung pag. 238-239), unterzeichnet Alexander von Abendroth. 55 SächsHStADresden, 12561 Fürstennachlass Johann, Nr. 12a: Poetica, Heft XIX, pag. 66 f. 56 Auf monarchische Adelsreformprojekte beziehen sich etwa: Heinz R EIF : Friedrich Wilhelm IV. und der Adel. Zum Versuch einer Adelsreform nach englischem Vorbild in Preußen 1840-1847, in: ZfG 43 (1995), S. 1097-1111; sowie: DERS .: Adelspolitik in Preußen zwischen Reformzeit und Revolution 1848, in: Hans-Peter U LLMANN / Clemens Z IMMERMANN (Hg.): Restaurationssystem und Reformpolitik. Süddeutschland und Preußen im Vergleich, München 1996, S. 199-224; zu Prinz Johanns Adelsstatut vgl.: Josef M ATZERATH : Adelsprobe an der Moderne. Sächsischer Adel 1763-1866. Entkonkretisierung einer traditionalen Sozialformation, Stuttgart 2006, S. 82-86. Zu den literarischen Diskursen vgl.: Jochen S TROBEL : Eine Kulturpoetik des Adels in der Romantik, Berlin 2010. 233 Marburg sind schon durchgegangen. Es fehlt das rechte Point d’honneur bei vielen. Die Anständigen sind selbst ausser sich darüber. 57 In diesem Krieg zeigte die militärische Welt dem alten König vielfach neue Gesichter. Dazu gehörte auch, dass französische Gefangene zur Internierung mit der Eisenbahn erstmals weit ostwärts vom Kriegsschauplatz bis nach Dresden gebracht wurden. 58 Die moderne Infrastruktur schuf so neue Situationen von Gefangenschaft. Wenn König Johann erwartete, dass das Wort eines Offiziers auch unter diesen Umständen ein Ehrenwort war und als solches bindend blieb, dann machte die Wirklichkeit hier eine Fehlanzeige. Der point d‘honneur war unter diesen neuen Umständen keine so wirksame Größe, wie von den sächsischen Militärs und auch von König Johann gewünscht. Solche Wahrnehmungen mögen ihm die Instabilität, das Infragestehen von tradierten Ehrkonzepten in der neuen Militärwelt verdeutlicht haben. Ehre etwa durch den Zweikampf auf Leben und Tod zu regenerieren, einem solchen Konzept sprach König Johann - die kontrafaktischen politischen und juristischen Entwicklungen in Frage stellend - eine echte Zukunftsfähigkeit ab. 57 Archivio Arcivescovile di Torino Fondo 20.7.8. Briefe von König Johann von Sachsen (1870-1873) an seine Tochter Elisabeth Herzogin von Genua, Brief vom 11. Januar 1871. 58 Manfred B OTZENHART : Französische Kriegsgefangene in Deutschland, in: Francia 21/ 3 (1994), S. 13- 28. Siehe auch die Beiträge in: Kriegsgefangenengeschichte: Ansätze der Forschung und Probleme der Durchführung, AKM newsletter 5 (1997). Heidi M EHRKENS : Statuswechsel. Kriegserfahrung und nationale Wahrnehmung im Deutsch-Französischen Krieg 1870/ 71, Essen 2008. Auf die in Dresden 1870/ 71 internierten französischen Kriegsgefangenen in Dresden fehlt in den neueren Darstellungen der Stadtgeschichte allerdings noch immer jeder Hinweis, z. B. Reiner G ROSS : 1870/ 71, in: DERS ./ Uwe J OHN (Hg.): Geschichte der Stadt Dresden. Vom Ende des Dreißigjährigen Krieges bis zur Reichsgründung, Stuttgart 2006, S. 564-566. 234 Josef Matzerath Duellpraktiken im ständischen Kontext Fürst und Adel - Ein Kommentar Die Sektion fragt nach Duellpraktiken von Fürsten und Adel vom 16. bis 19. Jahrhundert. Sie nimmt daher zumindest in der Zusammenschau die langen Entwicklungen in den Blick. Spanien, Frankreich, Italien und das Reich hatten am Beginn des 16. Jahrhunderts unterschiedliche Verständnisse vom Duell bzw. vom Fürstenzweikampf. Für England verbreiterte sich die Akzeptanz von Duellen vom 17. zum 18. Jahrhundert. König Johann von Sachsen (Silke Marburg) plädierte noch Mitte des 19. Jahrhunderts wieder gegen Duelle. Der Befund sieht bei der ersten Betrachtung doch eher uneinheitlich aus. Es stellt sich daher die Frage, ob sich nicht doch Gemeinsamkeiten der Einzelstudien aufzeigen lassen. Birgit Emich beschreibt den Übergang von einem alten Zweikampfverständnis, das von einer Körperpolitik geprägt wurde, zu einem Duell, das um persönliche Ehre geführt wurde. Ein zentraler Gedanke von Emichs Untersuchung zu den Duellforderungen Karls V. liegt in der unterschiedlichen Kontextualisierung. Karl V. und Franz I. hatten einerseits divergente Verständnisse vom Zweikampf. Ihre Bemühungen, mit dieser Form der Konfliktaustragung Politik zu machen, treffen andererseits in den politisch einflussreichen Kreisen Italiens, Frankreichs, Spaniens und des Alten Reiches auf voneinander abweichende Vorverständnisse. Hinter dieser Differenz liegt aber ein Entwicklungsmodell. Italien und Frankreich waren die Protagonisten eines neuen Verständnisses. Spanien und das Heilige Römische Reich Deutscher Nation verstanden das Neue noch nicht recht. Das Duell um persönliche Ehre war in diesen Teilen Europas noch nicht etabliert. Markku Peltonen kann für England nachweisen, dass eine gängige Schablone der Geschichtsschreibung über Duelle nicht trägt. Das Duell ist in England nicht einfach ein Derivat der mittelalterlichen Gewaltkultur. Denn zu Beginn des 17. Jahrhunderts waren die im Mittelalter existenten, förmlichen Zweikämpfe außer Gebrauch. Zu diesem Zeitpunkt erwähnt lediglich das Handelsgesetz noch ein ‚duellum‘, das unter Aufsicht eines Gerichts mit Waffen ausgetragen werden konnte. In der Praxis spielte diese Rechtsoption aber keine Rolle. Duelle zu fechten, galt in England zu dieser Zeit als italian habit, als etwas Fremdländisches. Im frühen 18. Jahrhundert hatte sich das völlig geändert. Jetzt musste sich der ehrenvolle britische Gentleman auf Duelle einlassen, weil es als britisch galt, weil die Zeitgenossen glaubten, dass dies zur kriegerischen und handfesten Vorzeit der Insel passe, und weil das Duell als Zeichen für die freie britische Verfassung gesehen wurde. Denn während die französischen Könige Duelle verboten, ließ sich dieser Sichtweise zufolge der Untertan der britischen Krone diese Zweikampfpraxis nicht nehmen. Letztlich rechtfertigte damit eine Geschichtskonstruktion die Ausbreitung von Duellen. Die englischen Könige scheiterten dagegen mit ihren Versuchen, Duelle zu ver- 235 Matzerath bieten. Denn sie akzeptierten trotz aller Gesetze, die sie gegen Duelle erließen, einen Ehrenkodex, der Duelle forderte. Die Monarchen wollten immer auch eine aristokratische Ehre aufrecht erhalten. Wie Stephan Geifes in seinem Vortrag in der Sektion, der hier leider nicht zum Abdruck kommen kann, überzeugend darlegte, nahm die französische Debatte über Duelle weniger Bezug auf andere Länder. In Frankreich war die Revolution von 1789 die Wasserscheide, an der sich die Forschung abarbeitete. Geifes rapportiert die bisherigen Thesen der Historiographie zur französischen Duellpraxis und entwickelt sie anschließend fort. Gegen die gängigen Erwartungen, dass sich mit der Französischen Revolution eine moderne Rationalität ausbreiten konnte und dass ein Modernisierungsschub Duelle als affektive Ehrenhändel zurückgedrängt hätte, breiteten sie sich nach dem Ende des Ancien Régime aus. Vorrevolutionär waren Duelle verboten, sie fanden nur im Geheimen statt, wurden aber ähnlich wie in Großbritannien zumindest bei Adeligen und Militärs mehr toleriert als sanktioniert. In der Revolution fiel das Duellverbot. Es kam jetzt vermehrt zu Duellen zwischen den Hauptrednern der politischen Lager in der Nationalversammlung. Im Lande kam in dieser Situation ein Diskurs auf, der sich vielfach gegen Duelle aussprach, dessen zentrale Forderung lautete, man solle sich nur noch für die Nation in Lebensgefahr begeben, nicht aus persönlichen Gründen. Die Nationalversammlung war aber offensichtlich taub gegen diese Forderung der ‚Vernünftigen‘ und scherte sich nicht um die vielen Stimmen aus der Öffentlichkeit. Dies ist für ein modernes Parlament eine ungewöhnliche Reaktion. Folgten die Abgeordneten vielleicht einem Ehrenkodex einer Führungsformation, statt auf ihre Wähler zu hören, oder mussten sie Rituale der alten Herrschaftsstände übernehmen, um auf diese Weise ihre eigene Macht glaubhaft zu machen? Geifes Antwort verweist in eine andere Richtung: Die neue Öffentlichkeit der Duelle machte die Kombattanten populär. Weil die Duelle nach der Revolution ungefährlicher wurden, begann nämlich eine breite Berichterstattung über sie. Das Duell wurde nach 1789 Mittel der Politik und ein Weg, Ehre zu gewinnen. Damit scheint die Vermutung auf, das französische Duell um 1800 sei eine Möglichkeit gewesen, politische Parteigänger zu mobilisieren und deshalb nicht per Gesetz verboten worden. Silke Marburg präsentiert eine Novelle, in der der sächsische König Johann eine Redefinition von Ehre vornahm. Nach der Auffassung dieses Monarchen verbietet sich jedes Duell, weil es keinen hinreichenden Grund vorzuweisen hat, der es rechtfertigt, sein Leben zu gefährden. Ehrenvoll ist es hingegen, sein Leben für die gesellschaftliche Ordnung einzusetzen, oder andere unter Einsatz des eigenen Lebens zu retten. Die Revolutionsgefahr der beginnenden Moderne verbietet in den Augen König Johanns das Duell. Der dahinter stehende Ehrenkodex muss deshalb modifiziert werden. Johann selbst scheint mit dieser Position gar nicht so weit entfernt von den Deklarationen der frühneuzeitlichen Fürsten. Das Duell in den gesellschaftlichen Führungsformationen gefährdete vormodern und modern die Ordnung, die die Fürsten trug. Die Duellpraxis der verschiedenen historischen Epochen verweist also auf das Verhältnis von Fürst und Adel. Hier scheint ein wesentlicher Ertrag der Sektion zu liegen: Es geht letztlich um Herrschaftsstrategien, wenn Fürst und Adel über Duelle und über Ehren- 236 Duellpraktiken im ständischen Kontext. Fürst und Adel - Ein Kommentar kodizes divergierender Ansicht sind. In diesen Kontext fügt sich letztlich auch die Differenz zwischen der französischen Öffentlichkeit und der Nationalversammlung. 237 V. Praktiken im ständischen Kontext: Militärs, Handwerker und Studenten 241 Maren Lorenz Duell oder Balgerey? Bewaffnete Auseinandersetzungen vor norddeutschen Militärgerichten des 17. Jahrhunderts 1. Die Abgrenzung des Duells von anderen Formen von Ehrenhändeln a. Die Definition - eine Frage des Kontextes Die Untersuchung frühneuzeitlichen Gewaltverhaltens bedingt die vorherige Klärung von Begrifflichkeiten. Handelt es sich um veraltete, vergessene Termini, ist dies leicht. Bei einem auch heute noch durchaus geläufigen Begriff wie dem des Duells ist bei der historischen Betrachtung jedoch Vorsicht geboten. Nicht nur von historischen Laien, geprägt von alten Mantel-und-Degen-Filmen, auch in der historischen Fachwelt assoziiert man - je nach Epoche - meist zwei Varianten des bewaffneten Zweikampfes: das Degengefecht und das Pistolenduell. Implizit sind dabei die Gleichheit der Bewaffnung, ein zugrundeliegender Ehrkonflikt zwischen zwei entweder adeligen oder großbürgerlichen Männern und eine Reihe von stark formalisierten Verhaltenswie Ablaufregeln, die den Kontrahenten als bekannt unterstellt werden. T PF 1 FP T Beschränkt man sich auf diese enge Definition des Duellbegriffs, geraten allerdings viele von den Zeitgenossen synonym benannte Gewaltkonflikte aus dem Blick. Spätestens die juristische Subsumierung anderer Formen der Auseinandersetzung zwischen Männern unter den oder die Duellparagraphen verschiedener Rechtsnormen zwingt zur Aufgabe einer zu engen Definition. T PF 2 FP T Diese Notwendigkeit zeigte sich im Rahmen eines großen Forschungsprojekts zu Gewaltverhalten in den stark militarisierten norddeutschen Territorien in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts. Im Zentrum standen die deutschen Territorien der schwedischen Krone, Schwedisch-Pommern und Bremen-Verden, einbezogen wurden aber auch sämtliche militärgerichtliche Quellen der benachbarten Mecklenburger und Brandenburger Gebiete. T PF 3 FP T In den untersuchten Quellen fand sich kein einziger Hinweis auf Fechtlehren oder Duellschriften, wie sie seit dem 16. Jahrhundert in Italien oder Frankreich aufgekommen waren. Nie wurde thematisiert, wie ein als Duell verfolgter T 1 T T Vgl. zuletzt für die Vormoderne bzw. den Übergang zur Moderne: Scott K. T AYLOR : Honor and Vio T - T lence in Golden Age Spain, New Haven u. a. 2008, S. 17-64; Stephen B ANKS : A Polite Exchange of Bul T - T lets. The Duel and the English Gentleman: 1750-1850, Woodbridge Suffolk 2010. T 2 T T Vgl. auch den Beitrag von Ulrike L UDWIG / T T Gerd S CHWERHOFF bzw. den Einzelbeitrag von Ulrike L UD T - T WIG in diesem Band. T 3 T T Vgl. zum Folgenden umfassend: Maren L ORENZ : Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650-1700), Köln/ Weimar/ Wien 2007, insbes. Kap. II u. IV. Zen T - T trale Quellengruppen waren Prozessakten (militärische wie zivile, schwedische und deutsche), außerdem eingestellte Vorermittlungen, aber auch Gravamina, Petitionen, Verwaltungskorrespondenz und selbstverständlich Rechtstexte und Militärrollen. Hinzugezogen wurden außerdem militärische Lebenserin T - T nerungen und Zeitungen bzw. Propagandaschriften. Lorenz 242 Kampf eigentlich genau ablief oder was exakt ein Duell von einer Schlägerei unterschied. Die überlieferten Fälle zeichneten sich auch dadurch aus, dass es ausschließlich um Auseinandersetzungen mit Blankwaffen und Fäusten ging. Regelrechte Pistolenduelle tauchen trotz zunehmender Verbreitung von Schlagschloss-Pistolen unter den berittenen Soldaten nicht in den Akten auf. Wenn in den Akten von Gewehr die Rede ist, sind eindeutig Degen oder Bajonette gemeint. Es dauerte schlichtweg zu lange, bis eine Pistole vorbereitet, ausgerichtet und v. a. nachgeladen war, obwohl es bei gezielten Gewaltakten gegenüber der Zivilbevölkerung durchaus auch zum Einsatz von Schusswaffen kam. Pistolen eigneten sich aber kaum für spontane Eskalationsdynamiken. Der Degen saß näher und lockerer, denn trotz entsprechender Vorschriften wurde er beim Betreten eines Hauses oder der Militärwache oft nicht abgelegt oder wenn, das verraten viele Zeugenaussagen, dann wenigstens in Griffnähe behalten. T PF 4 FP T Im Gegensatz zum Dreißigjährigen Krieg mit seiner Dauermobilität und größeren Anonymität waren organisierte Schusswechsel angesichts expliziter Duellverbote innerhalb der eigenen Garnison auch kaum geheim zu halten. So wurden selbst eindeutige Zweikämpfe in den Quellen unterschiedlich benannt und definiert. Für Männer der höheren Stände wurden von Ermittlern wie Beteiligten synonym die Termini Duell, Schlägerei, Balgerei und Händel verwendet. Trotzdem wurden auch einfache Soldaten und ihre zivilen Kontrahenten, etwa Handwerksgesellen oder Bauernknechte, nach den allseits bekannten Duelledikten bzw. Militärparagraphen verurteilt. T PF 5 FP T Diese synonyme Verwendung ist auch aus anderen zeitgenössischen Texten zum Duell bekannt. T PF 6 FP T Schon der Titel des ersten schwedischen Duelledikts von 1662, das sich explizit auch auf die untertänigen Provinzen bezog - erlassen vielleicht nicht zufällig von der (nicht satisfaktionsfähigen) Frau, Königsmutter und Vormundschaftsregentin Hedwig Eleonora - lautete: Kongl. May: s Placat och förbudh angående allahanda Dueller och otwungne Slagzmåhl. Es setzte Duelle und nicht weiter beschriebene, aber eben freiwillige und unnötige Kämpfe bzw. Schlägereien in eins (egenwillige excesser och olijdelige exorbiantier). Auch bezog sich die Strafbarkeit auf alle Bevölkerungsschichten, som skee af nedrigt Folck eller gemeene Man [...] som skee af Ridderskapet och Adelen und Militäroffiziere, auch wenn gegen die einen Verfahren vor den Niedergerichten, gegen die anderen vor den Obergerichten zu führen seien. T PF 7 FP T Das Delikt an sich sei, ob Duell oder Schlägerei T 4 T T Zum Einsatz der verschiedenen Waffenarten vgl.: L ORENZ : Rad (Anm. 3), Kap. IV und V, insb. S. 239 T T ff., 261-265, 275, 298 T T f., 304, 317, 323 T T f. u. 332. Zur besonderen Bedeutung des Hausfriedens vgl.: T [Art.] Haus=Friede, in: T D. Johann Georg K RÜNITZ : Oeconomische Encyklopädie oder allgemeines System der Staats- Stadt- Haus- und Landwirthschaft, Bd. 22, Berlin 1781, Sp. 374-382. T 5 T T Vgl. hierzu de T n T Beitrag von Andreas M EIER in diesem Band. T 6 T T Vgl. etwa: Friedlieb I RENÄUS (Pomeraneo): Duell-Tragaedi was von Ausfordern und Balgen zu halten sey. Ein Gespräch Darinnen Von zugelassenen und verbottenen Duellen discurriret wird mit Gründen Gleichnissen und Exempeln illustriret nützlich zu lesen, Leipzig 1670. T 7 T T Kongl. May: s Placat och förbudh angående allahanda Dueller och otwungne Slagzmåhl. Dieses ist in einer privaten Online-Edition (Björn H ELLQVIST ) zugänglich unter: URL: http: / / bjorn.foxtail.nu/ a_ T T T T plakat1662.htm (zuletzt am 10. April 2011) und im Original enthalten in: Niedersächsisches Staatsarchiv Stade (STAS), Rep. 5, Nr. 35 (Akte von 1677). Es wurde 1681 als Renovirtes Königlich Schwedisches Verbot alles Duellirens in Stettin neu gedruckt. Duell oder Balgerey? 243 genannt, als Gleiches zu behandeln. Den Begriff des Duells findet man vor schwedischen Militärgerichten - außer auf den Aktentiteln - in den Verhören explizit nur für hohe Offiziere vor dem Generalkriegsgericht. Sonst wird auch bei diesen, zumeist adeligen, Dienstgraden durchweg der Begriff der Schlägerey, des Händels oder der Balgerey gebraucht, selbst wenn in den Verhören regelmäßig von der (Aus-)Forderung zum Kampf die Rede war und auch wenn es zu schweren Verwundungen oder Tod gekommen war. Konstitutiv für das Delikt schien rechtspolitisch das Anmaßen von Selbstjustiz zu sein, das gezielte Wiederherstellen der beschädigten Ehre im Sinne einer geplanten physischen Racheaktion. b. Der historische Kontext - Konflikte zwischen Militär und Zivilbevölkerung In ihren deutschen Provinzen ließen die auf Expansion bedachten schwedischen Könige unmittelbar nach 1648, in großen wie kleinen Städten, durch ihre Generalgouverneure neue, hunderte bis tausende von Soldaten umfassende ständige Garnisonen einrichten. Gerade in Grenzgebieten oder an strategischen Punkten wie Feldstraßen und Flussübergängen wurden neue Festungen und Schanzen gebaut und mit ständiger Besatzung belegt. Die umliegenden Dörfer hatten, neben Landfläche für die Befestigungswerke, Lager und materiellen Bauhilfen, durchgehend die Versorgung der Truppen und ihres Wasserkopfes, der auch unter das Militärrecht fiel, zu gewährleisten. Die überwiegende Mehrheit der pommerschen Bevölkerung betrachtete die schwedischen Könige schon seit den Besetzungen der 1630er Jahre als legitime Rechtsnachfolger der damals ausgestorbenen Pommernherzöge, auch weil keine direkten Versuche unternommen wurden, die lutherischen Deutschen zu ‚schwedisieren’, die territorialen Gesetze und Strukturen bis in die kirchliche Basis nicht angetastet wurden. Im neuen Kunstgebilde Bremen-Verden sah dies etwas anders aus. Hier gab es, aus den Traditionen der unterschiedlichen Landesteile herrührend, differierende traditionelle Loyalitäten und Verbindungen, z. B. nach Holstein und Dänemark. Dazu kamen noch Konflikte mit dem reformierten Teil der Bevölkerung, als die neue Regierung versuchte, reformierte Pfarrer durch lutherische zu ersetzen, die sonntags Königstreue von den Kanzeln predigen mussten. So kam es in einigen Gegenden, besonders zu Beginn der Besatzung in den 1650er und 1660er Jahren, vereinzelt zu ‚zivilem Ungehorsam’ und Widerstand. Häufigste Ursache für physische und auch bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen männlichen Zivilisten und Militärangehörigen waren nach 1648 jedoch tägliche Kleinkriege zwischen Hauswirten und oft dauerhaft einquartierten sowie zusätzlich durchmarschierenden eigenen und fremden Truppen. Auch wenn sich die Menschen nicht als militärisch besetzt im nationalen Sinne betrachteten, pochten sie allerdings auf Einhaltung der Gesetze und auf gleiche Rechte als schwedische Untertanen, gerade gegenüber dem eigenen Militär. Gleiches galt für die Bewohner der benachbarten Territorien. Die einquartierten Truppen, Reiter wie Fußsoldaten, bestanden zum Großteil aus geworbenen (Nord-)Deutschen. Die Männer stammten überwiegend aus den beiden schwedischen Territorien oder aus Holstein, Braunschweig-Lüneburg, Brandenburg und Mecklenburg. Gelegentlich kamen sie gar aus dem Nachbardorf oder lebten als Lorenz 244 Reservisten auf dem Hof der Familie im eigenen Dorf. Die ausschließlich geworbenen Reiterregimenter lagen zwecks Versorgung der Pferde meist in den Dörfern und Flecken, während nationalschwedische, darunter auch rein finnische Fußtruppen gemeinsam mit deutschen Söldnerregimentern eher in den Städten einquartiert waren. Wenn offizielle Absprachen, etwa zur Dauer der Einquartierung, Höhe der Kontributionen, zur Zahl der zu versorgenden Menschen und Tiere, zu Dienstpflichten etc. nicht eingehalten bzw. soldatische Übergriffe nicht (angemessen) geahndet und entschädigt wurden, schlug die Einstellung gegenüber den Einquartierten um. Auch Alkohol spielte bei Eskalationsdynamiken eine zentrale Rolle, insbesondere auf Seiten der Soldaten. Diese begannen den Tag oft schon mit Branntwein. T PF 8 FP T Da die Militärs stets bewaffnet und oft in Gruppen auftraten, saßen sie in konkreten Situationen meist am längeren Hebel. Dies zeigte sich in Extremform bei den Durchmärschen, die innerhalb weniger Monate dutzendfach erfolgen konnten und bei denen die Familie eines einzelnen Bauern oder Häuslers auch schon mal über Wochen bis zu neun Soldaten gleichzeitig beherbergen und verköstigen musste. Militärangehörige waren darüber hinaus besonders auf Durchmärschen auch in Konflikte mit Untertanen anderer Herrscher sowie mit Angehörigen der eigenen oder anderer Armeen verwickelt. Kämpfe zwischen Kameraden des eigenen oder auch benachbarter Regimenter waren dabei aber nicht seltener als jene mit Zivilisten. Gerade die letzte Konstellation ergab juristisch mehrdeutige Gemengelagen, die meistens Debatten darüber zur Folge hatten, wessen Recht nun zur Anwendung kommen müsse. T PF 9 FP T 2. Die Rechtslage In Brandenburger und Mecklenburger Militärakten findet sich der Duellbegriff ungeachtet seiner adeligen Herkunft schon in den 1630er Jahren, auch in Ermittlungen gegen Mannschaftsdienstgrade. T PF 10 FP T Aber erst 1652 erging das erste offizielle Duellverbot in Brandenburg, das alle Stände umfasste. T PF 11 FP T 1688 wurde es mit insgesamt 16 Artikeln umfassend erweitert und auch in die Kriegsartikel aufgenommen. In seinen Details war es stark an das sechs Jahre zuvor publizierte, ausführliche schwedische Edikt angelehnt. Nun wurde sämtlichen Tatbeteiligten für freventliche Duella und Balgereyen, [...] unzulässige Rencontres, Duelle, Rauff-Händel und Friedens-Stöhrungen - auch für den Fall der Nichtverwundung der Kontrahenten - mit dem Tode gedroht. Bereits für das Ausfordern erfolgte die Entlassung aus dem Dienst, außerdem eine Geld- oder auch Gefängnisstrafe. Gleiches drohte bei unterlassener Anzeige einer Duellforderung bei den Behörden. Zusätzlich wurde verordnet, dass der Leichnam eines im Duell gebliebenen T 8 T T Vgl. für die hier getroffenen Aussagen insgesamt: L ORENZ : Rad (Anm. 3), Kap. V. T 9 T T Vgl. zum Problem der Zuständigkeit auch verschiedene Beiträge in: Uwe I SRAEL / Gherardo O RTALLI (Hg.): Il duello fra medioevo ed età moderna. Prospettive storico-culturali, Rom 2009. T 10 T T Landeshauptarchiv Schwerin, Acta Militaria: Nr. 2692-2699; Landesarchiv Greifswald, Rep. 7: Pommer T - T sche Staatskanzlei. T 11 Mandat wider Zänckerey, Schlägereyen, Duelle etc T . T , 17.09.1652, in: Corpus Constitutionum Marchica T - T rum (CCM), Theil 2, Abth. 3, online unter: Preußische Rechtsquellen Digital/ T Quellen, T Teilband: URL: http: / / web-archiv.staatsbibliothek-berlin.de/ altedrucke.staatsbibliothek-berlin.de/ Rechtsquellen/ T T CCMT T T 23, hier Bilder: 01049 T T u. 01050 (zuletzt am 10. April 2011). Duell oder Balgerey? 245 Adeligen zur Abschreckung durch den Henker an einem unehrlichen Ort verscharrt, der Körper eines unadeligen Toten sogar aufgehängt werden sollte. T PF 12 FP T Für beide Stände waren dies ungeheure Drohungen mit Entehrung, die auch die Familien der Duellanten nachhaltig betraf. Als den Tatbestand konstituierend wurde weit über den Degen- oder Pistolen-Zweikampf hinaus expliziert, dass darunter das Beleidigen oder Angreifen eines Dritten mit Minen, Worten oder der That, unziemlichen Geberden oder auf andere Weise schimpfflich antasten oder verunglimpfen zu fassen sei. Artikel 13 thematisierte ausführlich die eskalierende Rolle massiven Alkoholkonsums und appellierte an Mäßigung. Trotz oder gerade wegen des bekannten Risikos, seiner Vernunfft nicht mehr Herr zu sein, behielt man sich eine Strafverschärfung bei Trunkenheit vor. Zielgruppen waren eindeutig Soldaten, Studenten und Bürger, denn als ermittelnde Behörden wurden Kriegs-Offiziere, Professores Academiarum und städtische Magistrate angesprochen. Brandenburg legte darum auch genau fest, welche Gerichte in den drei möglichen Fallkonstellationen zuständig seien: Bei rein zivilen Parteien die lokalen Gerichte, bei Militärs die Militärgerichte und bei militärisch-zivilen Konflikten läge ein iudicium mixtum vor. Hier müsse man gemeinsam ermitteln. Allerdings lässt der Text offen, wann und wer darüber entschied, unter wessen Ägide die Ermittlungen dann zu erfolgen hätten. Diese legislative Vagheit sorgte nicht nur im Brandenburger Fall, sondern in allen untersuchten Territorien regelmäßig für langwierige Verschleppungen von Ermittlungen, denn auch in den schwedischen Territorien verfuhr man so. T PF 13 FP T Obwohl in Mecklenburg nachweislich schon in den 1650er Jahren der Tod im Degen-Zweikampf unter Adeligen ein verzögertes christliches Begräbnis zur Folge haben konnte T PF 14 FP T , ließ Herzog Gustaf Adolph erst 1663 ein erstes, dann aber gleich sehr ausführliches, klar am schwedischen Vorbild orientiertes Duelledikt entwerfen. Es wurde zunächst der Juristischen Fakultät in Jena zur Gutachtung vorlegt, die daran allerdings einiges auszusetzen hatte: Die Regelung sei in einigen Punkten nicht praktikabel, und v. a. werde nicht genug zwischen verbaler und körperlicher Ehrverletzung - wie z. B. Totschlag - unterschieden. Trotzdem wurde es noch im selben Jahr verabschiedet. Es sah u. a. vor, dass unter der Folter die Frage geklärt werden dürfe, ob es sich um einen Affekt oder um eine nur als solcher getarnte geplante Tötung gehandelt hatte. T PF 15 FP T Die Folterdrohung galt explizit auch für Adelige, ein eigentlich unerhörtes und ehrabschneidendes T 12 T T Vgl. Friedrich E ICHORN : Churfürstlich-Brandenburgisches Edictum wider die Duella, Frankfurt a. O. 1688. URL: http: / / digitale.bibliothek.uni-halle.de/ urn/ urn: nbn: de: gbv: 3: 1-3517 (zuletzt am 10. April 2011), hier Art. VII. T 13 T T Umfangreiche Duellakten wegen ‚Duellprovokation T ‘ T oder gar Tötung liegen im Landesarchiv Greifswald (LAG) vor: z. B. LAG, Rep. 7, Nr. 213, 329, 332, 335, 445, 1252, 1932, 2109, 2202, 3303, 3648, 3787, 4359, 4360, 4855 u. 5676. Die Verhandlungen zogen sich durchaus bis zu zwei Jahren hin. T 14 T T So durfte z. B. der an seinen Duellverletzungen verstorbene Mecklenburger Kammerjunker Hans Joa T - T chim von Holsten 1653 erst mit neunmonatiger Verspätung christlich beigesetzt werden. Landesbiblio T - T thek Mecklenburg-Vorpommern, Personalschriften T , T T Sign.: T v.holst4. Zitiert nach: Claus Heinrich B ILL : Mecklenburgischer Adel in der Frühen Neuzeit 1500-1750: URL: http: / / home.foni.net T . T / ~adelsfor T T schung1/ T T meck18.htm (zuletzt am 10. April 2011). T 15 T T Für Mecklenburg vgl.: Edikt im Landesarchiv Schwerin (LAS), Acta constitutionum et edictorum (ACE), Nr. 1630. Vgl. auch: LAS, Acta Militaria, Nr. 6292 (1623-1695), z. B. die Supplik des Hans Köneke vom November 1658. Lorenz 246 Ansinnen, denn durch die Berührung des Scharfrichters wurde der Betreffende rituell unrein und damit wenigstens vorübergehend unehrlich. T PF 16 FP T Andere Akten belegen, dass die Tortur als Rechtsmittel bei der Duellermittlung gegen einfache Soldaten genau mit dieser Begründung - Ermittlung einer Tötungsabsicht - auch tatsächlich angeordnet wurde. T PF 17 FP T Im schwedischen Herrschaftsraum wurde der Degen-Zweikampf offiziell erst mit dem Duellplakat von 1662 strafbar. Dennoch sind auch hier einzelne Verfahren gegen Oberoffiziere vor dem Generalkriegsgericht in Stettin seit den 1630er Jahren überliefert. T PF 18 FP T Diese beriefen sich zu ihrer Verteidigung auf Artikel 67 des Schwedischen Kriegsrechts von 1632, denn darin war explizit nur den Gemeinen jegliches Außfordern zum Rauffen oder Balgen in Lagern, Städten und Festungen verboten worden. Solches Verhalten tolerierende Unteroffiziere sollten selbst zu Gemeinen degradiert werden. T PF 19 FP T Ab 1662 drohte jeglichem Inquisiten beim zweiten Kampf bereits die Entlassung aus dem Staatsdienst, beim dritten Mal sei eine poena arbitraria zu verhängen, lag die Strafe also allein im Ermessen des Gerichts. Abschreckend sollte, wie von den anderen Territorien kopiert, insbesondere wirken, dass einem Getöteten das christliche Begräbnis verwehrt werden sollte, er stattdessen als Mörder und Übeltäter ohne Zeremonien außerhalb des Kirchhofes begraben werden müsse. Gerade nach dem Dreißigjährigen Krieg war es wichtig, die Loyalität und disziplinierte Zusammenarbeit in der Armee, insbesondere unter den kommandierenden Offizieren und Unteroffizieren, im Sinne der Staatsräson zu erhalten. Das konsequente Verbot jeglicher Schlägereien und Duelle, mit oder ohne Waffen, hatte vermutlich seinen Sinn nicht nur in der Verhinderung schwerer Verletzungen - des unzeitigen Abgangs und Entbehrung [...] qualificirter Personen zum Schaden des Vaterlandes, wie es in der deutschen Fassung von 1662 hieß - und damit der Gefährdung der Einsatzfähigkeit, sondern zielte v. a. auf die soziale Ruhe innerhalb der Truppe, wie auch mit der Quartiersbevölkerung, die zur Versorgung benötigt wurde. PF 20 FP Indem man diverse Formen der physischen Auseinandersetzung ebenso unter Strafe stellte, wie die Benutzung der Waffen außerhalb des Dienstes, wurde in den späteren Versionen der Kriegsartikel der Tatsache der ständigen Bewaffnung der Soldaten und damit der hohen spontanen Eskalationsgefahr zunehmend und umfassend Rechnung T 16 T T Zur Frage des Ehrverlusts sei hier stellvertretend für die überbordende Forschung auf Florian K ÜHNEL : Die Ehre der Unehrlichen. Rituelle Verunreinigung und Ehrverlust in der Frühen Neuzeit, in: Peter B URSCHEL / Christoph M ARX (Hg.): Reinheit, Köln/ Weimar/ Wien 2011, S. 271-301 verwiesen. T 17 T T Vgl. LAS, ACE, Nr. 1632 (Verfahren gegen den Trompeter Gustav Deuerle von 1673). T 18 T T Vgl. dazu: Kjell Åke M ODÉER : Gerichtsbarkeiten der schwedischen Krone im deutschen T T Reichsterritori T - T um. Vorraussetzungen und Aufbau 1630-1657, Bd. 1, Stockholm 1975, S. 169 f.; Christopher C OLL T - T STEDT : Duellanten och rättvisan. Duellbrott och synen på manlighet i stormaktsväldets slutskede, Lund 2007, S. 13-19. T 19 T T Schwedisches Kriegs-Recht Oder Articuls-Brieff [...], Heilbronn 1632. URL: http: / / digitale.bibliothek. T T uni-halle.de/ id/ 95747 (zuletzt am 10. April 2011). T 20 T T Abgedruckt in: Georg von W ITZENDORFF T (Hg.): T Ihrer Königl. Majest. zu Schweden in dero Herzog T - T thümern Bremen und Verden abge T T fassete Policey- Teich- Holtz- und Jacht-Ordnung, Stade 1693, S. 249-253, online bei der Universitätsbibliothek Heidelberg: URL: http: / / digi.ub.uni-heidelberg.de/ diglit/ T T drwBremPolO1693 (zuletzt am 10. April 2011). In Bremen-Verden 1676 nachgedruckt und ausgehängt, überliefert in: STAS, Rep. 5 T , T Nr. 35. Duell oder Balgerey? 247 getragen. So war nicht nur aus Gründen des Brandschutzes bzw. der Jagdgerechtigkeit jegliches Schießen verboten, sondern auch das Waffentragen im Quartier und das Entblößen des Degens (Art. 39-48 SKR von 1683). Die Renovirte Policey-Ordnung im Hertzogthumb Vor-Pommern von 1673 versuchte im fünften Kapitel zum Balgen und Ausfordern auch Schänden und Schmähen präventiv das Degentragen einzugrenzen. Unter 15jährige Kinder sowie Bauern, Schäfer und das Gesinde dürften per se keine Degen tragen. PF 21 FP Neben Soldaten und Adeligen trugen außer den Studenten - bei nur einer Universität (Greifswald) in den schwedischen Territorien eher selten - auch viele Handwerksgesellen und in Bremen-Verden auch die freien Bauernsöhne Hiebwaffen. Das Edikt von 1662 wurde hier 1676 erstmals auch auf Deutsch in allen größeren Orten ausgehängt. Keine, auch der späteren, bremenverdischen Regelungen versuchte sich jedoch wie die vorpommersche Regierung in Prävention, indem sie per Gesetz die waffentragenden Gruppen reduzierte. Das endemische Ausmaß, das Degengefechte offenbar annahmen, bemüßigte die Stockholmer Regierung neben Regelungen in den lokalen Polizeiordnungen, 1682 ein neues, noch differenzierteres und weitaus strengeres Verbot zu erlassen. T PF 22 FP T Erst hier wird nicht terminologisch, aber juristisch in Bezug auf die Standeszugehörigkeit differenziert. Nun sollten Schlägereyen [...] unter geringen Leuten und dem gemeinen Volcke von Schlägereyen unter Adeligen, Ritterschaft und Offizieren dadurch unterschieden werden, dass erstere nach Schwedischem Gesetz verurteilt würden. T PF 23 FP T Für die Territorien waren das die Polizeiordnungen, weil die schwedischen Zivilgesetze hier nicht galten. In der bremenverdischen Ordnung von 1693 heißt es in Kapitel 18 Von Duellen, Schlägereyen und Messerstechen unter Bezug auf die beiden im Anhang abgedruckten Duellplakate von 1662 und 1682 dann noch einmal knapp auf zwei Seiten, alle Untertanen sollten sich des Ausforderns, Zuschickung der Cartel, duelliren, rauffens, schlagens gänzlich enthalten. T PF 24 FP T T T Da die Ordnungen selbst explizit auf die Duelledikte verwiesen, handelte es sich in den deutschen Provinzen beim Duellbegriff also nicht um eine juristisch relevante Unterscheidung. Ungewöhnlich streng erscheint allerdings die zusätzliche standesübergreifende Bestimmung, dass bei Duellprozessen die Möglichkeit des Gnadengesuchs beim schwedischen König - im Gegensatz zu sonstigen Verfahren - per Edikt kategorisch ausgeschlossen wurde. Eine Ergänzung verfügte 1683, dass es sich um ein Offizialdelikt handele. Nun wurden alle Verwaltungsbeamte, Gräfen, Richter, Vögte und Schulzen dazu verpflichtet, bei Kenntnis selbst aktiv zu ermitteln, anzuklagen bzw. anklagen zu lassen. T PF 25 FP T T 21 T T Renovirte Policey-Ordnung im Hertzogthumb Vor-Pommern, Stettin 1673, S. 7, online bei der Staats T - T bibliothek Berlin-PK: URL: http: / / resolver.staatsbibliothek-berlin.de/ SBB0000003600000000 (zuletzt am 10. April 2011). T 22 T T Verbot von Duellen und Schlägereien, von der Reparation und Vergnügung, so die Beschimpften haben sollen. (22.08.1682), überliefert im: Stadtarchiv Stralsund (StASt), HS XIV 1, 68 (fol. 348-365) und in: Policey- Teich- Holtz- und Jacht-Ordnung (Anm. 20), S. 254-263. T 23 T T Vgl. Policey- Teich- Holtz- und Jacht-Ordnung (Anm. 20), S. 257. T 24 T T Ebd., S. 67 f. T 25 T T Ebd., S. 263. Lorenz 248 Auch danach musste in den schwedischen Territorien, z. B. 1695, immer wieder nachgelegt werden. Das erneuerte Verbot von Duellen und Schlägereien, von der Reparation und Vergnügung, so die Beschimpften haben sollen, bezog sich explizit und ausschließlich auf Ritterschaft, Adel und höhere Militärangehörige, um sotaner Privatrache Einhalt zu thun, die bei Adel und Offizieren Mode geworden sei, indem sie bei vorkommender Mißhelligkeit sich raufften und duellierten. T PF 26 FP T Es umfasste, wie die Wortwahl zeigt, nicht nur bewaffnete Kämpfe, sondern auch explizit unbewaffnete Faustkämpfe und selbst entsprechende provokative Drohungen oder beleidigende Gesten. Schon die Strafen dafür waren seit den 1680er Jahren hart: Neben Dienstverlust drohten 2.000 silberne Reichstaler Geldbuße und zwei Jahre Gefängnis. Dieses Strafmaß galt nicht nur für Provokateure, sondern auch für jene, die eine Forderung annahmen und für deren Sekundanten. Dies galt sogar dann, wenn es gar nicht zum Kampf gekommen war. T Konflikte sollten möglichst erst gar nicht physisch eskalieren und neue Rachebedürfnisse nach sich ziehen. Darum stand im Militär auch die Todesstrafe darauf, bei einer Schlägerei seine Nation oder andere um Hülffe zu rufen und dadurch zum Auflauff oder einigen Unwesen Anleitung zu geben (Art. 84). PF 27 FP Artikel 82 schlüsselt unter Berufung auf die Duelledikte von 1662 bzw. 1682 die Probleme detailliert auf, die sich nicht nur aus den hierarchischen, sondern v. a. aus den Standesunterschieden zwischen Adeligen und Nicht-Adeligen ergaben. T T Selbst-Rache, im Sinne von Dauerfehden, die u. U. ganze Familienclans involvierten - denn viele Väter, Brüder, Onkel, Cousins und Schwäger dienten in verschiedenen Truppenteilen - konnte die Schlagkraft der Truppe schwächen und sollte im Keim erstickt werden. In der Herrschaftspraxis ging es primär um die durch solche Kämpfe ausgelöste Bedrohung der Ordnung und den Versuch, das Gewaltmonopol eines bereits recht elaborierten Rechtssystems zu stabilisieren, weniger um die Abgrenzung spezifischer elitärer Kampfrituale von anderen Konfliktformen. Denn auch Soldaten und lokale Bauern- und Handwerksburschen lieferten sich auf Festen, in den Quartieren, wo Soldaten abends offenbar regelmäßig mit Kameraden tranken, und in den Wirtshäusern häufig Degenkämpfe. Dies bekam in ihrer kurzen Zwischenherrschaft (1677-1679) auch die Lüneburger Besatzungsverwaltung in Bremen-Verden zu spüren. Offenbar in Unkenntnis der eigenen Duellregelung von 1646, T PF 28 FP T ließ man 1677 bei der Zentrale in Celle anfragen, ob man im Lande Kehdingen nach dem vorbildlichen schwedischen Duellplakat verfahren solle. Selbst zwischen T 26 T T Edikt vom 15.01.1696, Treffen-Placate vom 21.04.1697 und 25.04.1699. Darauf wird auch in Verfah T - T ren Bezug genommen, z. B.: Kriegsarchiv Stockholm (KAS), Domböcker Vol. 37 (Wismarsches Gouverneursregiment 1701), Fall 21 Zweikampf auf der Wache wg. umstrittener Durchsuchung einer Tasche] und KAS, Domböcker Vol. 33 (Garnisonsregiment Stade 1698), diverse. T 27 T T Vgl. Johann Christian L ÜNIG : Corpus Juris Militaris. Des Heil. Röm. Reichs, Worinn das Kriegs-Recht sowol Der Röm. Kayserl. Majestät als auch Desselben Reichs und dessen Creisse insgemein ingleichen Aller Churfürsten und Derer mächtigsten Fürsten und Stände in Teutschland insonderheit enthalten ist, Bd. 2, Leipzig 1723, S. 1335-1338 (SKR: Artikelsbrief) u. S. 1352-1358 (MGV: Prozessordnung), on T - T line unter: URL: http: / / www.bibliothek.uni-augsburg.de/ dda/ dr/ hist/ we_00055-00056/ (zuletzt am 10 T . T April 2011). T 28 T T Vgl. Hertzogs Augusti zu Braunschweig-Lüneburg-Wolffenbüttel Edict wider das Ausfordern, Rauffen, Balgen und Kugelnwechseln, in: L ÜNIG : Corpus (Anm. 26), Bd. 2, S. 1138-1141. Duell oder Balgerey? 249 Adeligen nähmen Degengefechte im Lande überhand und man wisse nicht mehr wie diese sonst einzudämmen seien. T PF 29 FP T Die Stadt Bremen, mitten im feindlichen Territorium gelegen und Mitte der 1650er Jahre mehrfach von schwedischer Eroberung bedroht, erließ schon 1672 ein eigenes Duellverbot und betonte, das leidige duellieren und Balgen [...] zu Roß oder zu Fuß, mit Degen oder Pistolen, sei von frembden anhero kommenden Persohnen eingeschleppt worden. T PF 30 FP T Besonders die Wirte und Hausväter wurden dazu aufgefordert, bei Zusammenkünften in den Quartieren für Frieden zu sorgen und bei sich abzeichnenden Duellen sofort Anzeige bei der nächsten Wache und außerdem beim Stadtkämmerer zu erstatten. Diese Argumentation ist ein Indiz dafür, wie sehr die Militarisierung der Nachbarschaft das Konfliktverhalten der Männer veränderte, Reizschwellen offenbar sanken. Bei diesen unorthodoxen Kämpfen wurde meist nicht nach den Regeln der Duellschriften gefochten, sondern der Degen auch als Prügelwaffe eingesetzt. Das Schlagen mit der flachen Klinge verursachte zwar Prellungen und Knochenbrüche, stellte faktisch dennoch eine Form der Deeskalation dar. So wurde klar signalisiert, dass keine Tötungsabsicht bestand, sondern durch einen, wenn auch schmerzhaften, Schaukampf symbolisch die eigene Ehre verteidigt werden sollte. Belastend wirkte es hingegen, wenn ein Beklagter seinen Degen vorher extra von beiden Seiten beschliffen hatte, der dadurch scharf wie eine Rasierklinge geworden war. T PF 31 FP T Für das schwedische Militär, Offiziere wie Auditeure (Militärstaatsanwälte) war, Fragen des detaillierten Ablaufs ungeachtet, gemäß den Regelungen der Edikte klar, dass der Stand der Beklagten das Gericht und damit auch das Delikt definierte. Die Garnisonsgerichte als unterste Rechtsinstanz verhandelten zwar in den meisten Angelegenheiten auch gegen Offiziere, aber Delikte wie Majestätsbeleidigung, Hochverrat, Anschläge auf und Mord an Offizieren sowie sämtliche Ehr- und damit auch die Duellkonflikte zwischen und Klagen gegen Oberoffiziere wurden sofort vor dem militärischen Obergericht verhandelt, d. h. je nach deutscher Provinz zentral in Stade oder Stettin. Beim Umgang mit Gruppen wurden gemäß dem schwedischen Edikt von 1682 je nach Stand und Solvenz und der Rolle der Beteiligten (Sekundanten, Boten etc.) unterschiedliche Maßstäbe angelegt. Wer einen Anderen im Zweikampf verwundet hatte, sollte geköpft und weiterhin ohne Priester und Ceremonien, nun aber auch als einfacher Soldat auf dem Friedhof beerdigt werden, ebenso wie der beim Duell Getötete. Bei Flucht des Überlebenden sollten dessen Güter eingezogen werden. Arrest während der Ermittlungen dürfe nicht, wie es sonst für Offiziere üblich war, im eigenen Haus oder Quartier abgesessen werden, sondern nur im königlichen Schlossgefängnis oder der jeweiligen Hauptwache. Wer die Geldstrafe von 2.000 Reichstalern nicht in bar aufbringen könne, müsse drei Jahre absitzen, wer sofort zahle, könne schon nach einem Jahr entlassen werden. Außerdem war dem Beleidigten bei Ehrabschneidung schriftliche T 29 T T Vgl. STAS, Rep. 5, Nr. 35. T 30 T T Vgl. das Mandat des Bremer Bürgermeisters: Demnach Wir Burgermeistere und Rath ...], online in: VD17: URL: http: / / www.gbv.de/ vd/ vd17/ 1: 017465Q (zuletzt am 10. April 2011). T 31 T T KAS, Domböcker Vol. 33 (Garnisonsregiment Stade 1697), Fall 5. Lorenz 250 und öffentliche Abbitte zu leisten. Nach Absitzen der Strafe sei ein Verurteilter allerdings wieder in seinen alten Stand einzusetzen und gälte als voll rehabilitiert. Wer ihm die früheren Verfehlungen anzukreiden wagte, hätte die gleiche Strafe zu gewärtigen. Das Anzeige- und Ermittlungsverhalten positiv beeinflusst haben dürfte, dass bei Verfahrenseinleitung Fiskal (Ankläger) und Denunziant des Delikts einen Anteil an der Geldbuße erhalten sollten. Nach der großen Militärrechtsreform von 1683 wurden auch Degengefechte ohne Todesfolge zwischen Gemeinen gemäß Artikel 82 der neuen Kriegsartikel (Duelliren und Balgen) Schlägerey genannt und genau wie ein Duell geahndet. Artikel 82 berief sich jedoch in Bezug auf Adeliche und die nur noch wenigen, nicht adeligen Ober-Befehlighabere inklusive Cornette und Fehndriche explizit auf das neue verschärfte Duell-Edikt von 1682. Dies hatte seinen Grund. Denn auch die Unteroffiziere wurden nun entgegen der vorigen Regelung explizit von jeder entehrenden Körperstrafe ausgenommen; sie sollten stattdessen degradiert werden. Mannschaftsdienstgrade hingegen sollten immer zum Gassenlaufen verurteilt werden. Die Summierung verschiedener Begriffe und die Detailliertheit der Varianten, die in den normativen Texten unter demselben Paragraphen durchgespielt werden, zeigen ganz klar, dass Ehrverletzung und das Verhindern von Selbstjustiz im Zentrum der Kriminalisierung standen und nicht eine regelkonforme Art der Ausführung eines spezifischen ritualisierten physischen Gewaltaktes. Die Offenheit einer von zentralen Behörden formulierten Duelldefinition war einerseits der unterschiedlichen regionalen Terminologie geschuldet, sollte andererseits die Strafverfolgung möglichst vieler Kämpfe erhöhen. Priorität genoss sicherlich jedoch die Hoffnung auf Abschreckung, die allen Strafnormen, insbesondere den besonders auf Körper und Ehre bezogenen vormodernen, innewohnte. Sämtliche Edikte beschreiben detailliert die rechtlichen Alternativen zum Kampf, den Klageweg, aber auch außergerichtliche Mediation. Die kompletten Texte mussten nicht nur in den schwedischen Territorien von den lokalen Behörden in der Landessprache nachgedruckt und öffentlich ausgehängt sowie auch sonntags und bei anderen festlichen Gelegenheiten von den Pfarrern von den Kanzeln verlesen werden. Es ist darum davon auszugehen, dass allen Untertanen die Regelungen mindestens in ihren Grundzügen bekannt waren. Die Intensität der Strafandrohungen deutet darauf hin, dass nach dem Dreißigjährigen Krieg die Häufigkeit solcher blutigen Kämpfe zunahm, die Degen lockerer saßen oder wenigstens die Toleranz gegenüber alltäglicher Selbstjustiz bei den Ordnungsbehörden stark gesunken war. Somit lassen sich die Duell-Verbote gleichermaßen als Bestätigung der Eliasschen Zivilisationstheorie lesen wie auch als ihre Widerlegung. Denn einerseits zeigen sie das intensive Bemühen der verschiedenen Territorialregierungen um Einhegung massenhafter Gewalt und Verrechtlichung von Konflikten, andererseits beweist ihre wachsende Intensität und Häufigkeit angesichts dauerhafter Militarisierung und Verfügbarkeit von Waffen, dass es damit in der Realität nicht besonders weit her sein konnte. Duell oder Balgerey? 251 3. Die Vielfalt der Rechtspraxis In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts existierte in sämtlichen norddeutschen Territorien ein sehr weit gefasster Duellbegriff. Wie in den einschlägigen und von benachbarten Territorialherrschern kopierten schwedischen Rechtsvorschriften, so blieb auch in der Rechtspraxis die Benennung ein nachgeordneter Aspekt. Rauferei, Balgerei, Schlägerei oder Händel wurden von allen Prozessbeteiligten durchgehend synonym verwendet. Es konnte spontane verbale, aber auch elaborierte schriftliche und symbolische Ausforderungen zum Kampf geben. Diese wurden als Injurien beschrieben, aber nicht hierarchisch bewertet. Häufig waren bei Duellverfahren auch mehr als zwei Personen aktiv in die Kämpfe verwickelt. Der Übergang zur Schlägerei war gerade bei Kämpfen zwischen Soldaten und Bauern- oder Handwerksburschen fließend. Wie wenig die historische Realität selbst bei adeligen Duellen ständischen Stereotypen entsprechen musste, ohne dass dies von den Zeitgenossen als ungehörig oder nicht standesgemäß aufgefasst wurde, zeigen beispielhaft zwei Vorfälle, die sich etwa zur selben Zeit 1685 in Stralsund zutrugen. Beide Male ging es um Feigheit vor dem Feind und um das Verhalten einiger Anwesender in der verlorenen Schlacht bei Fehrbellin. Diese hatte bereits zehn Jahre zuvor, im Juni 1675 zwischen schwedischen und Brandenburger Truppen stattgefunden. Die schmähliche Niederlage der eigentlich doppelt so starken Schweden endete mit mehreren tausend, vornehmlich schwedischen Toten und hatte letztlich zur vierjährigen Besetzung Schwedisch-Pommerns durch Brandenburg geführt. Besonders dramatisch wurden damals in der Kriegsberichterstattung die ausdauernde Verfolgung der Flüchtenden, deren Verwüstung ihres Marschwegs beim Rückzug und die Massaker an den Verlierern durch die Brandenburger thematisiert. Von rund 12.000 Schweden sollen letztlich nur 4.000 das rettende Demmin erreicht haben. T PF 32 FP T Der eine Streit um Fehrbellin trug sich bei einer Stralsunder Beerdigung zu. Hier lösten Rangstreitigkeiten über die Reihenfolge im Trauerzug Debatten aus. Schnell gaben die am Disput über die Verantwortung für die verlorene Schlacht beteiligten Offiziere jegliche virile Contenance auf und schubsten und bespuckten einander bevor sie sich prügelten. T PF 33 FP T Dieser Fall, obwohl eindeutig sowohl vom Duelledikt wie vom Art. 82 SKR gedeckt, landete nur vor dem Garnisonsgericht und nicht gleich vor dem Oberkriegsgericht in Stettin wie für Oberoffiziere eigentlich vorgeschrieben. Dies geschah vielleicht weil die Offizierskameraden vor Ort harte Strafen von den Beteiligten abwenden wollten. Bei Rückfragen aus Stettin hatte man zudem die Entschuldigung parat, dass es sich um eine spontane Schlägerei und nicht um ein formvollendetes Ausfordern gehandelt hatte. Nur wenige Wochen später erhob jedoch ein Major Abraham Elvers, vermutlich ein Verwandter eines der Kontrahenten vom April, in der Stralsunder Apo- T 32 T T Vgl. Frank B AUER : Fehrbellin 1675. Brandenburg-Preußens Aufbruch zur Großmacht, Potsdam 1998, S. 131 T ; T sowie: Theatri Europaei Eilffter Teil/ Oder: Außführlich fortgeführte Friedens- und Kriegs-Be T - T schreibung [...], Frankfurt a. M. 1682, S. 720 ff. Zu den Grausamkeiten vgl. auch: L ORENZ : Rad (Anm. 3), S. 185 f., 204 f. u. 322. T 33 T T LAG, Rep. 31, Nr. 63/ 2, Fall 4 (April 1685). Gegen einige der Kontrahenten waren noch weitere Verfahren wegen Gewalttaten anhängig. Lorenz 252 theke vor hohen Zeugen gegenüber dem Rüganer Baron Ernst Ludwig II. von Putbus ähnliche Vorwürfe. T PF 34 FP T Als einer der mächtigsten Männer der Region geriet Putbus aufgrund seines doppelt starren Habitus als Adeliger und hoher Offizier und v. a. wegen des öffentlichen Charakters der Szene in Zugzwang. Elvers bezichtigte den Oberst und Schwiegersohn des Feldmarschalls Wrangel mehrfach laut des Verlassens (Umtäuschung) seiner damaligen Position, titulierte Putbus dann sogar direkt als Feigling. Derartig plakative ritualisierte Rhetorik war juristisch bereits Teil eines Duelldelikts. Doch je höher der militärische Rang der Kontrahenten bzw. ihr adeliger Status, desto stärker wirkte der soziale Erwartungsdruck, trotz der massiven rechtlichen Sanktionen. Ein Rückzug galt als Schuldeingeständnis und Gesichtsverlust und kam um keinen Preis infrage. Da diese Affäre außerhalb des Dienstes geschehen war, ermittelte zunächst der Fiskal des vorpommerschen Hofgerichts. Putbus gehörte zum vorpommerschen Adel, Elvers stammte vermutlich aus einer Stralsunder Ratsfamilie. Beide waren somit Landeskinder. In Pommern versuchte das Greifswalder Hofgericht immer dann die Rechtsprechung an sich zu ziehen, wenn mindestens ein ‚Landgesessener‘ involviert war, selbst wenn beide in der schwedischen Armee dienten. Diese Sonderform des iudicium mixtum gab regelmäßig Anlass zu Kompetenzgerangel, das die Beklagten zu ihren Gunsten zu nutzen verstanden. Auch der Beklagte Elvers wies die Zuständigkeit des zivilen Gerichts zurück und verlangte vor ein Militärgericht gestellt zu werden, wo er seine Anschuldigungen zu beweisen trachtete. Das Hofgericht hatte dem beleidigten und politischfamiliär gut vernetzten Putbus nämlich legitime bewaffnete Gegenwehr zugestanden. Ihm wurde nachträglich so nicht nur der emotionale Affekt, sondern auch die Ausführung seiner Aggression gestattet. Das Zivilgericht ignorierte mit dieser Beurteilung das königliche Edikt und reduzierte dessen Geltung faktisch auf innermilitärische Situationen. Diese faktische Rechtsbeugung war jedoch nicht im Interesse des Beklagten Elvers. Könnte der niederrangige Major vor einem Militärgericht seine Anschuldigung beweisen, gälte der Vorwurf der Feigheit vor dem Feind nicht als Beleidigung, sondern berechtigte Beschuldigung, und es hätte ein entsprechendes Verfahren gegen Putbus vor dem Generalkriegsgericht in Stockholm folgen müssen. Elvers hätte freigesprochen werden müssen und Putbus hätte noch nach zehn Jahren die Todesstrafe gedroht. Die Bedeutung symbolischer Handlungen als Auslöser gewaltsamer Konflikte wurde sehr ernst genommen. Dazu gehörten in erster Linie das Ziehen des Degens aus der Scheide und als dessen Steigerung Hiebe mit demselben in Gegenstände. Nicht nur die schwedische Armee belegte die Praxis des mit dem Degen in die Steine Hauens mit der harten Strafe des Gassenlaufens (Art. 48 SKR). In-die-Steine-Hauen war ein spezifisches Provokationsritual junger Männergruppen. In Berlin wurde schon 1636 ein entsprechendes Verbot für Handwerksburschen erlassen und mehrfach neu verabschiedet. PF 35 FP T 34 T T LAG, Rep. 31, Nr. 63/ 1, Fall 5 (Juli 1685). Der Ausgang des Verfahrens ist wie so häufig nicht überlie T - T fert. T 35 T T Edict, dass die Handwercks=Pursche nicht mehr guten Montag halten, nach dem Zapfenstrich kein Bier gezapffet werde, niemand des Abends ohne Laterne oder brennende Fackel gehen, niemand des Tages noch Nachts mit denen Spiel=Leuten und Musicanten auf die Straßen gehen, und jauchtzet, noch weniger das Gewehr blösen und in die Steine hauen solle, bey Straffe des Esel=Sitzens oder gar des Wippens, Cölln a. d. Spree, 29. August 1636. Duell oder Balgerey? 253 Auch in den norddeutschen Quellen ist dieses spezifisch nächtliche Verhalten, das bei Handwerksgesellen und Studenten oft von Musik begleitet wurde, sowohl von einfachen Soldaten als auch Offizieren und (mit Äxten) von Müllerburschen überliefert. PF 36 FP Der besondere metallische Lärm, der durch die Klingen auf Stein erzeugt wurde, signalisierte noch durch Häuserwände hindurch Männlichkeit und Kampfbereitschaft. Eine häufige Folge dieses spielerischen und dabei bewusst provozierenden Herausforderns aus dem Haus waren Massenschlägereien, die leicht in bewaffnete Kämpfe ausarteten. PF 37 FP Interessant ist in diesem Zusammenhang auf der Seite der zivilen Gesetze, dass dort vergleichbare Verbote von Messerkämpfen existierten. PF 38 FP Da das Militärrecht den Strafbestand der Drohung mit dem Messer nicht direkt thematisierte, fragte die schwedische Militärregierung in Stade 1665 - anlässlich der Publikation eines neuen Mandates (bereits von 1662) gegen Messerstechereien - bei den Gräfen des Alten Landes nach, ob es lokal tatsächlich üblich sei, einen Täter durch den Scharfrichter mit einem Stich und Drehen des Messers durch die Hand zu strafen. Die entsetzten Gräfen antworteten umgehend mit Nein. Eine derartig harte und noch dazu entehrende Körperstrafe sei, soweit man sich der Rechtspraxis erinnern könne, nie üblich gewesen. Auf Messerstechen stünde Gefängnis oder eine Geldstrafe. PF 39 FP Entscheidend für eine Abgrenzung in der Praxis - Messerstecherei, Schlägerei unter Gemeinen und Zivilsten oder Duell zwischen Adeligen und Offizieren - war stets das hierarchische Verhältnis bzw. die soziale Beziehung der Kontrahenten zueinander und (eben) ihr Stand. Obwohl das Zücken und v. a. das Entblößen des Messers oder Degens als skrupelloses und aggressives Signal gewertet wurden und auf jeden Fall einige Runden Gassenlauf bedeuteten, war bei einfachen Soldaten nicht entscheidend, womit geschlagen oder gestochen worden war. Gleichartige, kollektiv harte Urteile für jene, die sich zu Degenkämpfen provozieren ließen, finden sich gegenüber Unteroffizieren und Mannschaftsdienstgraden in allen Garnisonen. T PF 40 FP T Oft waren beide Streithähne betrunken, gelegentlich sogar Freunde, die später angaben, sich wegen Volltrunkenheit an nichts erinnern zu können. Viele Kontrahenten hatten sich auch bereits wieder vertragen und wollten bei Verletzungen die Arztkosten teilen, andere wurden zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt. T PF 41 FP T Versöhnung nützte jedoch niemals etwas. Die Strafe des Gassenlaufs wurde unabhängig von variierenden Tatumständen stereotyp verhängt. T 36 T T LAG, Rep. 6, Tit T . T 50, Nr. 57 I, Nr. 2c (Wollin 1691); StASt, Rep. 3, Nr. 6226, Nr. 10 (Stralsund 1710); LAG, Rep. 7, Nr. 811 (Stargard 1687); Stadtarchiv Rostock (StAR), Nr. 230 (Rostock 1676). T 37 T T Zum Zusammenhang von Provokation und Spiel vgl. den Beitrag von Michael M EUSER in diesem Band. T 38 T T Neben dem Gebrauch des Messers als Werkzeug und Besteck spielte in kriegerischen Zeiten in der ge T - T samten Region durchaus der Gedanke der legitimen Selbstverteidigung eine Rolle; vgl. Heinrich R Ü T - T THER : Geschichte des Landes Hadeln. Aus dem Schrifttum des Heimatbundes der „Männer vom Morgenstern“, Otterndorf 1949, S. 80 f. T 39 T T STAS, Rep. 5a, F. 366, Nr. 60. Dies deckt sich mit parallelen Edikten etwa im Lande Hadeln seit den 1640er Jahren. T 40 T T Z. B. KAS, Krigsrättshandlingar Vol. 5, Nr. 1a (Garnisonsregiment Stade 1689/ 90 und Garnisonsregi T - T ment Stade 1696-1699 - teilweise in Buxtehude, Verden und Horneburg stationiert) sowie: KAS, Krigs T - T rättshandlingar Vol. 3, diverse No., z. T T B. 244 (1660-1687) aus Riga, Reval und Landscrona. T 41 T T Z. T T B. KAS, Domböcker Vol. 33 (Garnisonsregiment Stade 1695/ 96), Fälle 4, 10 u. 13, fol. 22-25, 71-74 u. 91-98 oder KAS, Domböcker Vol. 14 (Bremisches Infanterieregiment 1697), Fall 2. Lorenz 254 Allenfalls Jugend in Verbindung mit erst kurzer Militärzugehörigkeit und dadurch entschuldigter Unwissenheit wurde mildernd berücksichtigt. Selbst diese Gnade erfuhr nur, wer nachweislich die Kriegsartikel seit seiner Werbung noch nicht laut verlesen bekommen hatte oder als Neuling noch nicht beim öffentlichen Appell darauf eingeschworen worden war. T PF 42 FP T Da Soldaten außerhalb des Dienstes offiziell keine Waffen tragen durften, diese meist dennoch mit in die Wirtshäuser, Kirchen und Nachbarquartiere genommen und auch offen im eigenen Quartier aufbewahrt wurden, war ein Degen, ja waren Schusswaffen, überall schnell zur Hand, mit entsprechend blutigen Konsequenzen und daraus erwachsenden Verfahren. Auch hier galten ständische Unterschiede: Von einem Offizier erwartete im Alltag niemand, dass er trotz Verbots jemals ohne Degen auftrat. Innerhalb des eigenen Regiments war man darum zwischen Offizieren um außergerichtliche Konflikthegung bemüht, während es bei Konflikten mit der Außenwelt, d. h. mit Zivilisten oder Angehörigen anderer Truppenteile, zunächst die eigene Standesehre zu schützen galt. Duelle zwischen Ober- und Unteroffizieren finden sich nur selten. Niedere Chargen galten wie viele andere Bevölkerungsgruppen, etwa Frauen, Gesinde oder Kinder, als nicht satisfaktionsfähig, darum stellten Offiziere die Auseinandersetzungen möglichst schon in den ersten Verhören als vertikale Strafaktion, also als dienstliche und somit legitime Züchtigung dar. T PF 43 FP T Wie tödliche Degenkämpfe bei großen Rangunterschieden praktisch gehandhabt wurden, wenn der Beschuldigte doch einmal der Höherrangige war, zeigt ein bruchstückhaft überlieferter Fall, dessen Wiederaufnahme das eigentlich bemerkenswerte Faktum darstellt. 1658 hatte ein Rittmeister einem Korporal einen tödlichen Degenstich zugefügt. Dieser Fall eines tödlichen Händels ließ sich in der Garnison schlecht vertuschen, doch die Ermittlungen wurden nach Kriegseinberufung des Oberoffiziers sofort eingestellt und auch nach seiner Rückkehr aus dem Krieg nicht wieder aufgenommen. Erst 1666 erhob ein Bruder des Toten erneut Klage, diesmal wegen Totschlags. Die nun mit der Gutachtung beauftragte Juristische Fakultät Helmstädt stellte nach sorgfältigem Aktenstudium fest, dass der Beschuldigte selbst damals gar nicht verhört worden war, fünf ihm sämtlich untergebene Zeugen nichts gesehen haben wollten und nicht einmal vereidigt worden waren. T PF 44 FP T Das Verfahren war mithin in höchstem Maße unsauber geführt worden. Nach so langer Zeit - die Zeugen waren in alle Winde zerstreut - ließ sich faktisch aber nichts mehr ermitteln, weshalb die Juristen empfahlen, T 42 T T Etwa in KAS, Domböcker Vol. 37 (Wismarsches Gouverneursregiment 1700), Fall 4; KAS, Domböcker Vol. 37 (Wismarsches Gouverneursregiment 1701), Fall 18. T 43 T T Etwa KAS, Krigsrättshandlingar Vol. 5, Nr. 1 T T a, Fall 10; LAG, Rep. 31, Nr. 63/ 1, Fall 6. Weil es wohl zu dauerhafter Untauglichkeit des Misshandelten kam, ließ sich der Pommersche Generalgouverneur die Akte des Kapitänleutnant Peter Quintern kommen. Dieser war nicht zum ersten Mal aufgefallen: KAS, Domböcker Vol. 37 (Wismarsches Gouverneursregiment 1700), Fall 5; Vol. 37 (Wismarsches Gouverneursregiment 1701), Fälle 11 T T u. 13; Vol. 14 (Bremisches Infanterieregiment 1697), Fall 1 T ; T und: LAG, Rep. 31, Nr. 63/ 2, Fall 7 (Greifswald 1677, ebenfalls Peter Quintern). T 44 T T Reichsarchiv Stockholm (RAS), Pommeranica 498, Facti Species und Responsum der Juristen Fakultät der Universität Helmstädt, 16. März 1668. Duell oder Balgerey? 255 den Beschuldigten zum Reinigungseid aufzufordern. Dazu wurde dem Täter gleich noch die Argumentation nahegelegt, der Korporal sei ihm in die Klinge gelaufen. Sollte der Rittmeister jedoch (aus Angst vor den Folgen eines Meineids) den Schwur verweigern, sei ihm nur eine Geldstrafe zuzuerkennen. Da ein Geständnis Voraussetzung für jede Verurteilung war, nahm dieses Responsum trotz scheinbar ernsthaften Ermittlungswillens faktisch die erneute Verfahrenseinstellung vorweg. Zusätzlich wurde dem Toten trotz zweifelhafter Zeugenaussagen nachträglich eine Teilschuld zugewiesen, da er sich seiner rechtmäßigen Verhaftung, die Anlass für die Überreaktion des Täters gewesen sei, durch Flucht habe entziehen wollen. Als Vorgesetzter habe der Offizier den Toten auf jeden Fall züchtigen dürfen, so dass eine Verurteilung wegen Mordes unzulässig sei. Mit dieser gern gezogenen Schlussfolgerung blieben die Hierarchien der Armee gewahrt, und zugleich verringerte sich die Gefahr von Aufbegehren gegen Beleidigungen und Schikanen durch Höherrangige. 4. Das soldatische Duell - eine berufsständische Praktik? Angesichts der Vielfalt von Konstellationen, die alle nach Art. 82 SKR verfolgt wurden, sobald nur einer der Beteiligten schwedischer Militärangehöriger war, lässt sich sicher nicht von einer berufsständischen Praktik sprechen. Die Oberoffiziere versuchten zwar, sich als allein satisfaktionsfähig zu betrachten, aber da sich Zivilisten wie Soldaten aller Ränge wegen Beleidigungen ständig mit Degen und Säbeln bedrohten, wurde von den Gerichten der Duellbegriff, den Edikten gemäß, auf alle Personengruppen und alle Verhaltensformen angewendet. Einziger Unterschied war, dass die Obergerichte als zweite bzw. für Offiziere gleich als erste militärische Instanz, spezifische Duellverfahren nur unter Oberoffizieren auch so betitelten. Der Begriff des Duells hatte selbst im Verbot noch einen ehrenvollen Klang und blieb ab den 1680er Jahren dort für die ‚hohen Herren‘ reserviert. Selbst im Strafverfahren wurde so versucht, einen adeligen Habitus zu kultivieren und durch milde Strafen faktisch auch zu legitimieren. Die Richter der oberen Zivilwie Militärgerichte gehörten schließlich selbst alle genau dem Stand an, der diesen fein ziselierten Habitus favorisierte. Gerade bezogen auf den Degenkampf handelte es sich aber eben nicht um ein standesspezifisches und auch nicht um ein auf das Militär beschränktes Verhalten. Leider lässt es die Quellenlage nicht zu, exakt zu definieren, wann eine Schlägerei ohne Degen oder Säbel, nur mit den Fäusten oder auch anderen Gerätschaften nach den Duellverboten verfolgt wurde. Weder der Stand (Oberoffizier und/ oder von Adel oder nicht) noch die Frage der Planung (spontane Eskalation und Ausforderung oder längerer Zeitabstand zwischen Forderung und Treffen), noch die Frage innerhalb des Militärs oder außerhalb, lassen sich als eindeutige Kriterien feststellen. Eine wichtige Ursache für eine gefühlte oder tatsächliche Zunahme an Degenschlägereien seit Ende des Dreißigjährigen Krieges mag eine wachsende Ehrempfindlichkeit gewesen sein. Diese ist sicher auch auf die eindeutig nachlassende soziale Mobilität im Militär zurückzuführen. Den Aufstieg vom einfachen Soldaten/ Bauernknecht zum Offizier oder gar Befehlshaber, wie er noch im Dreißigjährigen Krieg möglich gewesen war, gab es in der schwedischen Armee nach 1650 kaum noch. Vornehmlich baltische, deutsche und auch schwedische Adelige bildeten spätestens nach den Kriegen der Lorenz 256 1660er Jahre die Oberoffizierskaste. T PF 45 FP T Diese Adeligen erhielten außerdem in den deutschen Provinzen viele Privilegien, Titel, Ämter und auch Güter verliehen. Dies schuf zwischen ihnen und den alten lokalen Eliten viele zusätzliche Gelegenheiten für Konkurrenz- und Statuskämpfe. Kam es zu Verfahren, beriefen sich adelige Oberoffiziere gern auf ihre Ehre als ehrlicher Caviallier undt Edelmann sowie ihren adelichen Ursprunge. T PF 46 FP T Und die wenigen bürgerlichen Offiziere, meist gerade erst aus den Ratsfamilien der Hanse- oder schwedischen Garnisonsstädte Stralsund, Stade, Stettin oder Wismar in mittlere militärische Führungspositionen aufgestiegen, eiferten dem Adel nach und hofften durch militärische Verdienste dereinst selbst nobilitiert zu werden - was durchaus geschah. Hierdurch entstand ein zusätzliches Duellrisiko, da sich die wenigen Aufsteiger besonders genötigt sahen, ihre ‚Gesinnungsnobilität’ durch Ehrkonflikte und ihre Gleichwertigkeit durch soziale Rangkämpfe unter Beweis zu stellen. Auch die Unteroffiziere und Mannschaften orientierten sich an diesem Modell adeliger Militanz und Virilität. Die Nicht-Akzeptanz des Duellbegriffs für die unteren Ränge zeigt aber die Vergeblichkeit ihrer Bemühungen. Die Bedeutung von Rangfragen und Symbolhandlungen kann auch in Bezug auf die nationalschwedischen Offiziere gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Nicht zufällig verfasste der Fechtlehrer Karls XII. ein bedeutendes Fechtmanual, das soldatische Männlichkeit und adelige Empfindlichkeit zu Tugend und Kunst verband. T PF 47 FP T Weil die militärisch-aristokratische Erziehung in erster Linie auf Ritualisierung und Standardisierung des Verhaltens beruhte, wurden Verstöße dagegen sofort als Ehrverletzungen aufgefasst, so dass ein Duell besonders der öffentlichen Profilierung diente, gerade weil sich die schwedische Offizierskaste noch lange in der Phase der sozialen und ständischen Konsolidierung befand. T PF 48 FP T In verschiedenen Verfahren wird auch offensichtlich, dass die Richtenden eigentlich die Ansichten der Gerichteten teilten und sich nur den Buchstaben des Gesetzes zu folgen genötigt sahen, um nicht selbst in Stockholm in Ungnade zu fallen. Ganz unverhüllt tritt dieser common sense zutage, wenn zwei Korporals zuerst pro T 45 T T Zu den deutschen Offizieren vgl. eine freilich unvollständige Liste des privaten, aber auf umfangreichen Archivrecherchen beruhenden ‚Instituts Deutsche Adelsforschung‘ unter: URL: home.foni.net/ ~ adelsforschung/ swed03.htm (zuletzt am 10. April 2011); sowie umfassend: James C AVALLIE : De höga Officerarna. Studier i den svenska militära hierarkien under 1600-talets senare del, Stockholm 1981 T ; T und grundsätzlich: Georg T ESSIN : Die deutschen Regimenter der Krone Schweden. Teil I und Teil II, Köln 1965 und 1967. Da in der schwedischen Armee das ‚von‘ häufig weggelassen wurde, ist die adelige Herkunft nicht immer erkennbar. T 46 T T LAG, Rep. 31, Nr. 433 (Schreiben vom 01.12.1687). T 47 T T Vgl. Christopher C OLLSTEDT : Våld som konst och förfinand handling - en historia om kroppar, manlig T - T het och kultur, in: Scandia 71.1 (2005), S. 103-111. Zur Wirkungsmacht der Duelledikte in Schweden vgl.: Heikki Y LIKANGAS u. a.: Familiy, State, and Patterns of Criminality. Major Tendencies in the Work of the Courts, 1550-1850, in: Eva Ö STERBERG / Sølvi Bauge S OGNER (Hg.): People meet the Law. Con T - T trol and Conflict-Handling in the Courts. The Nordic Countries in the Post-Reformation and Pre- Industrial Period, Oslo 2000, S. 57-139, hier S. 83. T 48 T T Speziell zur schwedischen Armee vgl.: Göran G ÖRANSSON : Der deutsche Einfluß auf die Professionali T - T sierung des schwedischen Offizierskorps und die Herausbildung eines Offiziersideals 1560-1718, in: Jürgen B OHMBACH (Hg.): Kulturelle Beziehungen zwischen Schweden und Deutschland im 17. und 18. Jahrhundert, Stade 1990, S. 52-60 T ; T Fabian P ERSSON : Bättre livlös än ärelös. Symbolik och sociala funk T - T tioner i stormaktstidens dueller, in: Scandia. Tidskrift för historisk forskning 65.1 (1999), S. 21-36. Duell oder Balgerey? 257 forma zu Gemeinen degradiert werden, bis sie sich wieder meriten gemachet hätten, aber schon einen Tag nach ihrer an den Generalgouverneur gerichteten Supplik von diesem schlicht in toto perdoniert werden. T PF 49 FP T Jeglicher private Streit wurde im Rahmen der militärischen Hierarchie automatisch zum Disziplinarverstoß im Sinne der Duellregelung - dies erst recht, wenn jemand dabei zu Schaden gekommen war. Dabei spielte es keine Rolle, ob die streitenden Parteien den Konflikt nach erfolgtem Schlagabtausch als abgemacht betrachteten. T PF 50 FP T Paradox erscheint angesichts der zunächst pauschal angewandten rigiden rechtlichen Regelung, dass einerseits das Duellieren und Prügeln strikt untersagt und mit hoher Strafe belegt wurde, in der Realität allerdings eine Beleidigung, u. U. durch nicht-satisfaktionsfähige Dritte, weiterhin als nicht tolerable Provokation galt, die ein Mann von Ehre nur mit einer Duellforderung angemessen erwidern konnte. Die Beleidigung hatte in der Regel als Iniuria Verbalis - dafür konnte auch unter Nichtadeligen schon ein ständisch herablassendes Duzen, falsches Grüßen oder auch nonverbal vielsagendes Beißen auf den Daumennagel ausreichen (vielleicht als Anspielung auf das Abhacken der Finger als entehrende Bestrafung für Diebe) T PF 51 FP T - den Effekt einer Iniuria Realis. Physische und verbale Beleidigungen wurden als gleichwertige Angriffe wahrgenommen. Dies löste auf der sozialen bzw. mentalen Ebene eine subjektiv legitime Notwehrsituation aus. Auch das Duellplakat von 1682 nennt explizit physische, symbolische und verbale Injurien auf einer Ebene und spricht von schimpflichen Scheltworten, verächtlichem Schieben und Stossen, auch Schlagen und Dräuen mit einem Stock, mit der Hand oder anderen Gegenständen. Dabei war die Berufung auf Notwehr im Duellplakat von 1682 sogar kategorisch ausgeschlossen worden. Eine empathische Auslegung des Notwehrbegriffs fand bei öffentlichen Auseinandersetzungen trotzdem durch die Gerichte statt, allerdings nur bei Offizieren. T PF 52 FP T Feigheit (vor dem Feind) war, wie oben exemplarisch beschrieben, das Ehrenrührigste, was man einem Offizier nachsagen konnte. Dies galt sowohl im Duell als auch in der Schlacht - entsprechend eng waren die Spielräume in konkreten Konflikten durch den adeligen Habitus und seine strengen Verhaltensmus- T 49 T T KAS, Domböcker Vol. 34 (Klinckoström Stralsund 1699), Fall 34. T 50 T T Speziell dazu: Michaela H OHKAMP : Grausamkeit blutet, Gerechtigkeit zwackt. Überlegungen zu Grenz T - T ziehungen zwischen legitimer und nicht-legitimer Gewalt, in: Magnus E RIKSSON / Barbara K RUG -R ICH T - T TER (Hg.): Streitkulturen. Studien zu Gewalt, Konflikt und Kommunikation in der ländlichen Gesell T - T schaft (16.-19. Jahrhundert), Köln/ Wien/ Weimar 2003, S. 59-79, hier S. 69. T 51 T T Z. T T B. STAS, Rep. 5a, F. 475, Nr. 103, Fall 1 (Lehe 1683) bzw.: RAS, Pommeranica 498 (Damm 1668) und: KAS, Krigsrättshandlingar Vol. 4, No. 250 (Wismarsches Garnisonsregiment 1697). Zur nicht zu unterschätzenden Bedeutung der angemessenen Anrede, auch als Provokationspotential, vgl. auch: Gabriela S IGNORI : „Sprachspiele“. Anredekonflikte im Spannungsfeld von Rang und Wert, in: Ze T itschrift für historische Forschung T 32 (2005), S. 1-15, hier S. 8 T T f. u. 11-14. Auf-den-Daumen-Beißen findet sich auch als Provokation zwischen kampfeslustigen Männern bei Shakespeare (Romeo und Julia, 1. Aufzug. 1. Szene) T , sowie 1626 in einer Beschwerde Burener Bürger, die dieses Verhalten eines Kornetts der Liga als der Franzosen und Wallonen brauch bezeichneten (S. Leopold S CHÜTTE : Der Dreißigjährige Krieg und der Alltag in Westfalen. Quellen aus dem Staatsarchiv Münster, Münster1998, S. 186) T , ein Hinweis auf die Internationalität mancher ‚Körpersprache‘. T 52 T T Vgl. zum Duell im schwedischen Militär: Christopher C OLLSTEDT : „Som en adlig vederlike“. Duell T - T brottet i det svenska stormaktsväldet, in: Eva Ö STERBERG / Marie Lindstedt C RONBERG (Hg.): Våldets mening. Makt, minne, myt, Lund 2004, S. 169-195. Lorenz 258 ter. Derartig plakative ritualisierte Rhetorik war immer Vorspiel eines Duells. T PF 53 FP T Der Ablauf des Geschehens war gegen Ende des 17. Jahrhunderts oft schon derselbe. Entweder man verabredete sich an einem anderen Ort, um dort zu fechten, oder man trat gleich vor die Tür und trug die Sache sofort aus. Manchmal prügelte man sich erst spontan, um dann später diesen körperlichen Insult noch einmal durch ein Degenduell zu ‚bereinigen‘. Das Ausfechten einer Beleidigung hatte wie im Mittelalter noch Anteile von drei Bedeutungsebenen: Erstens physische Gewalt als Mittel, die göttliche Gerechtigkeit durch den eigenen Sieg für alle sichtbar werden zu lassen, zweitens persönliche Rechtsansprüche auf physische Strafe für den Täter, der einen (drittens) verleumdet hatte. T PF 54 FP T Je höher der militärische Rang der Kontrahenten bzw. ihr adeliger Status, desto stärker wirkte der soziale Erwartungsdruck, trotz massiver rechtlicher Sanktionen. Ein Rückzug galt als Schuldeingeständnis und Gesichtsverlust und kam für einen Mann von Rang um keinen Preis infrage. Ausgerechnet von einem gewöhnlichen Soldaten wurde im Gegensatz zum Führungspersonal hingegen absolute Nervenstärke und Souveränität in jeder Lebenslage erwartet. Besonders deutlich wird dies in extremen Fällen nachhaltiger Provokation und gezielter Planung eines Duells in Tötungsabsicht. Spezifisch militärisch ist an solchen Verhaltensmustern aber nichts. Die Ritualisierung der Gewalt wurzelt vielmehr in einer stark durch spezifische Vorstellungen von Männlichkeit geprägten Gewaltkultur in Schweden wie in den deutschen Territorien. T PF 55 F P T Dieser Befund situativer Eskalationsdynamiken, die höfischer Ritualisierung eines Kampfes keine große Bedeutung beimaßen, oft nicht einmal fair abliefen, bestätigt neuere mikrosoziologische Forschungen zu Gewaltdynamiken. Sie machen die situative Interaktion zwischen den Kontrahenten für den Verlauf eines Kampfes verantwortlich. Ob eine spannungsgeladene Situation zu gewalttätigen Handlungen führt, hängt demzufolge nicht primär von der sozialen Herkunft, der Gruppenzugehörigkeit oder dem kulturellen Hintergrund der Beteiligten ab, sondern häufig von der ganz individuellen Situation, in der diese Handlungen stattfinden. Dies gilt auch für duellartige, also teilinszenierte Kämpfe. T PF 56 FP T Es gibt bis um 1700 jedoch noch kaum eine sich ständisch abgrenzende Verfeinerung des Gewaltaustrags. Ob Offiziere oder Gemeine, Adelige oder Kaufleute, Handwerker oder Bauern: Man prügelte und focht, wie es sich ergab. Erst um 1700 herum kam es unter Offizieren häufiger zu förmlicheren Forderungen, aber dies oft auch erst, nachdem man sich vorher schon mit Fäusten geprügelt und an den Haaren gezogen hatte. ‚Formvollendete‘ Zweikämpfe mit Sekundanten waren offenbar noch auf dem Höhepunkt des Barockzeitalters erheblich seltener als dies romantische Fantasien über edle ‚Musketiere‘ und andere männliche Heldenfiguren erwarten lassen. T 53 T T Zum Aspekt der Beleidigungsrituale vgl. auch den Beitrag von Michael M EUSER in diesem Band. Allerdings ist in den vorliegenden Fällen - entgegen Meusers Feststellung - der Wettbewerb durch die Ritualisierung eben nicht von persönlichen Motiven entkoppelt. T 54 T T Zu diesem Aspekt vgl. die Beiträge von Sarah N EUMANN und Malte P RIETZEL in diesem Band. T 55 T T Zum Zusammenhang von Männlichkeit und Wettbewerb im Sinne von Konkurrenz vgl. den Beitrag von Michael M EUSER in diesem Band. T 56 T T Vgl. umfassend: Randall C OLLINS : Violence. A Micro-Sociological Theory, Princeton NJ 2008, bes. Kap. 6: Staging Fair Fights, S. 193-241. T Gundula Gahlen Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert Während in England das letzte Duell aus dem Jahr 1845 überliefert ist, 1 hielt sich das Duell im bürgerlichen 19. Jahrhundert auf dem europäischen Kontinent hartnäckig. Besonders verbreitet waren Zweikämpfe in Italien 2 und Frankreich. Gerade in Frankreich war der Kreis der satisfaktionsfähigen Personen besonders ausgedehnt. In Bezug auf das Militär waren hier nicht nur Offiziere, sondern auch Unteroffiziere satisfaktionsfähig. 3 In Russland schließlich kam das Duell überhaupt erst im 19. Jahrhundert in Mode. 4 Auch für den deutschen Raum wurde im 19. Jahrhundert eine Konjunktur des Duells konstatiert. Die satisfaktionsfähige Gesellschaft weitete sich Schritt für Schritt aus, wenn sie auch nicht die französische Durchlässigkeit erreichte. Insbesondere die Universitäten und das Institut des Reserveoffiziers wirkten hier als Katalysatoren. 5 Doch stellt sich gerade im deutschen Raum aufgrund der staatlichen Vielfalt vor der Reichsgründung die Frage nach regionalen Differenzierungen. Im Folgenden wird der Blick speziell auf Bayern und insbesondere auf das bayerische Offizierskorps gerichtet. 6 Als allgemeiner Befund ergibt sich, dass das Duell auch hier im 19. Jahrhundert weit verbreitet war. Die Offiziere setzten sich über staatliche und dienstliche Verbote ebenso hinweg wie über die in der Publizistik diskutierten Ver- 1 Durch einen Vorstoß des Prinzgemahls und des Offizierskorps sowie die Tätigkeit der Antiduelling Association verlor das Duell in kurzer Zeit jegliche gesellschaftliche Anerkennung. Das frühe Verschwinden des Duells in England wird zudem mit der sich schon früh industriell entfaltenden bürgerlichen Gesellschaft in Zusammenhang gebracht. Der englische Adel öffnete sich dem Bürgertum, indem er an dessen ökonomischen Unternehmungen und Erfolgen teilnahm und selbst Fabriken und Kontore eröffnete. Bernhard S CHLINK : Das Duell im 19. Jahrhundert - Realität und literarisches Bild einer adeligen Institution in der bürgerlichen Gesellschaft, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 5 (2003/ 04), S. 3-20, hier S. 6, 8 u. 10; Ute F REVERT : Bürgerlichkeit und Ehre. Zur Geschichte des Duells in England und Deutschland, in: Jürgen K OCKA (Hg.): Bürgertum im 19. Jahrhundert, Bd. 3, München 1988, S. 101- 140. 2 Steven C. H UGHES : Politics of the sword: Dueling, Honor, and Masculinity in Modern Italy, Columbus 2007; Daniela F OZZI / Mario D A P ASSANO : „Ein heikles Problem“: Der Zweikampf in der italienischen Strafgesetzgebung (1786-1889), in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 5 (2003/ 2004), S. 162-215. 3 Vgl. zu den französischen Duellpraktiken: François G UILLET : La mort en face: Histoire du duel de la Révolution à nos jours, Paris 2008; Jean-Noël J EANNENEY : Le duel: une passion française (1789-1914), Paris 2004; George Armstrong K ELLY : Duelling in Eighteenth Century France: Archaeology, Rationale, Implications, in: Eighteenth Century: Theory and Interpretation 21 (1980), S. 236-254; Robert A. N YE : Fencing, the Duel and Republican Manhood in the Third Republic, in: Journal of Contemporary History 25 (1990), S. 365-377. 4 Lutz H ÄFNER : „Ehrensache“: Das Duell in Russland (18.-20. Jahrhundert), in: Bianka P IETROW -E NN - KER (Hg.): Kultur in der Geschichte Russlands. Räume, Medien, Identitäten, Lebenswelten, Göttingen 2007, S. 165-183. 5 Ute F REVERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 237 u. 275. 6 Teile der folgenden Ausführungen basieren auf dem Kapitel „Ehrenhändel: Duelle und Ehrengerichte“ in meiner Dissertation. Gundula G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps 1815-1866, Paderborn u. a. 2011, S. 500-516. 259 Gahlen nunftgründe der Duellgegner. In der ersten und zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lassen sich in Bezug auf die Duellhäufigkeit im bayerischen Offizierskorps allerdings signifikante Unterschiede feststellen. Nach Einschätzung der Zeitgenossen war das Duell unter bayerischen Offizieren in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders gebräuchlich. Die bayerische Duellquote soll in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts relativ gesehen höher als jene im preußischen Offizierskorps gewesen sein. 7 Insbesondere nach 1815 hätte eine wahre Duellwut in der Armee geherrscht. 8 Auch nach der Einführung von Ehrengerichten 1823 kamen Ehrenhändel immer wieder vor. Gerade in den 1840er und 1850er Jahren war das Duellwesen offenbar wieder sehr ausgeprägt. Speziell für das 5. Infanterieregiment wird von der damaligen Manie, sich um jede Kleinigkeit auf Leben und Tod zu bekämpfen, berichtet. 9 Im Kaiserreich hingegen vermeldete die offizielle Statistik eine niedrigere Duellhäufigkeit in Bayern als in Preußen. 10 In Bezug auf das bayerische Offizierskorps sind die aktenkundig gewordenen Duelle, 11 die wie überall aufgrund der hohen Dunkelziffer nur eine Minderheit der stattgefundenen Duelle widerspiegeln, 12 gut erforscht. Fallanalysen finden sich in den Studien von Ute Frevert, Christian Lankes und Hermann Rumschöttel. 13 Die folgende Analyse verzichtet daher auf eine Beschreibung einzelner Duelle im bayerischen Offizierskorps und konzentriert sich stattdessen nach einer kurzen Darstellung der rechtlichen Grundlagen auf die Frage, warum die Offiziere trotz der Gesetzeswidrigkeit am Duell festhielten. Anschließend wird das Problem behandelt, warum gerade die bayerischen Offiziere in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders häufig Duelle ausgetragen und dann in der zweiten Hälfte im Vergleich mit preußischen Offizieren eine gewisse Zurückhaltung geübt haben sollen. Die bayerischen Offiziere unterlagen bei Ehrenhändeln und Duellen sowohl dem zivilen Strafrecht als auch den seit 1823 bestehenden militärischen Ehrengerichtsverordnungen. Das Duell blieb im gesamten 19. Jahrhundert - wie überall in Deutschland - gesetzlich verboten. Allerdings tauchte im Bayerischen Strafgesetzbuch von 7 Karl D EMETER : Das deutsche Offizierkorps in Gesellschaft und Staat 1650-1945, 4., überarb. u. erw. Aufl., Frankfurt a. M. 1965, S. 146. 8 Oskar B EZZEL : Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres von 1806 (1804) bis 1825, München 1933, S. 125. 9 Hans G ERNETH : Geschichte des Königlich Bayerischen 5. Infanterie-Regiments (Großherzog von Hessen), Bd. 2, Berlin 1893, S. 658; vgl. auch: Hermann R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps 1866-1914, Berlin 1973, S. 161-180; D EMETER : Das deutsche Offizierkorps (Anm. 7), S. 116-153, bes. S. 145 f.; B EZZEL : Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres 1806-1825 (Anm. 8), S. 125; DERS .: Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres von 1825 bis 1866, München 1931, S. 67. 10 Peter D IENERS : Zwischen Disziplinierung und Privilegierung - die Duelle der Offiziere, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 5 (2003/ 04), S. 103-142, hier S. 123. 11 Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt. IV: Kriegsarchiv (künftig: KA) A XIII 3, Fasz. 4 bzw. 4 a. In den Akten sind von 1821 bis einschließlich 1897 nur 53 Duelle und zwölf Duellforderungen überliefert. Vgl. dazu: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 15. 12 Christian L ANKES : München als Garnison im 19. Jahrhundert. Die Haupt- und Residenzstadt als Standort der Bayerischen Armee von Kurfürst Max IV. Joseph bis zur Jahrhundertwende, Berlin 1993, S. 619; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 165. 13 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 103-107; L ANKES : München (Anm. 12), S. 619-625; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 174-180. 260 Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert 1813, das auch an den Militärgerichten galt, das Duell als besonderer Straftatbestand nicht auf. 14 Entsprechend urteilten die Gerichte im Allgemeinen bei blutig verlaufenden Duellen nach den Bestimmungen über Körperverletzung und Tötung des Strafgesetzbuches. Bei folgenlosen Duellen konnte das Duellmandat von 1779 angewandt werden, das härteste Strafen in Aussicht stellte, aber in der Praxis in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts nahezu bedeutungslos war. 15 1861 wurde ein neues bayerisches Strafgesetzbuch erlassen, in dem nun das Duell als eigenes Delikt behandelt wurde. 16 Alle Zweikampfdelikte wurden als Vergehen und nicht als Verbrechen abgehandelt - selbst beim Tod eines Beteiligten. 17 Für Duellanten waren betont milde Strafen vorgesehen. 18 Damit entsprach die zivile Gesetzgebung weitgehend dem seit 14 Vgl. Königlich-Baierisches Regierungsblatt von 1813, Sp. 1049 ff., wo der König in einem Armeebefehl vom 16. August 1813 das allgemeine Strafgesetzbuch bei den Militärgerichten in Kraft setzte. Spezielle militärische Straftatbestände waren Zusatzregelungen. Siehe auch: Wolfgang W ALTER : Das Duell in Bayern. Ein Beitrag zur bayerischen Strafrechtsgeschichte, Frankfurt a. M. 2002, S. 93. Das Militär hatte einen eigenen Gerichtsstand, der die Sonderstellung des Militärs innerhalb des konstitutionellen Staates belegt. Hierzu heißt es in den Dienstvorschriften von 1823: Ohne besonderen allerhöchsten Befehl kann kein Offizier, er mag sich in was immer für Verhältnissen befinden, von einem Civil=Gerichte vernommen werden. Dienst-Vorschriften für die königlich baierischen Truppen aller Waffengattungen, 1. Teil: Allgemeine Dienst-Vorschriften, München 1823, § 520, S. 576. Allerdings zeigt sich eine deutliche zivile Einwirkung auf die Rechtsprechung im militärischen Bereich in den 1823 festgelegten Regelungen zu gemischtgerichtlichen Verfahren, wenn Straftaten von Soldaten und Zivilisten gemeinsam begangen wurden. Ebd., § 515, Abs. 6. Schließlich ging 1828 die Zuständigkeit in bürgerlichen Rechtssachen gänzlich an die zivilen Gerichte über. Vgl. auch: Detlef V OGEL : Der Stellenwert des Militärischen in Bayern (1849-1875). Eine Analyse des zivil-militärischen Verhältnisses am Beispiel des Militäretats, der Heeresstärke und des Militärjustizwesens, Boppard a. Rhein 1981, S. 87; Edgar Graf von M ATUSCHKA / Wolfgang P ETTER : Organisationsgeschichte der Streitkräfte, in: M ILITÄRGESCHICHTLICHES F ORSCHUNGS - AMT (Hg.): Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939, Bd. 2, Abschnitt IV: Militärgeschichte im 19. Jahrhundert 1814-1890, Frankfurt a. M. 1979, S. 302-358, hier S. 329. 15 So war etwa für beide Kontrahenten bei einem Duell die Todesstrafe vorgesehen. Dabei sollten Offiziere ehrenvoll mit dem Schwert, Zivilpersonen hingegen mit dem Strang exekutiert werden. Sekundanten beziehungsweise Kartellträger sollten mit zwei bis drei Jahren Fronarbeit beim Festungsbau bestraft werden. Bereits auf die Annahme einer Duellforderung war für Offiziere und kurfürstliche Beamte die Entlassung aus dem Dienst vorgesehen, hinzu kamen noch Geldstrafe oder Haft. KA A XIII 3, Fasz. 1, Art. I. Ediert bei: W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 192-205. Vgl. auch: R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 164; L ANKES : München (Anm. 12), S. 617; F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 14 u. 65. Kriegsminister von Manz konstatierte nach Durchsicht der Akten rückblickend im Jahr 1858, dass die Schärfen des Duellmandats von 1779 wegen deren unnatürlichen Strenge nie zur vollen Anwendung gekommen seien. KA A XIII, Fasz. 4a, Kriegsminister Manz an König Max II. am 9. August 1858. 16 Carl B ARTH (Ed.): Das Strafgesetzbuch für das Königreich Bayern vom 10. November 1861, Landshut 1862. Die Vorschriften zum Zweikampf liegen ediert vor bei: W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 206 f. 17 Ebd., S. 133. 18 Eine Duellforderung sollte lediglich mit einer Arreststrafe geahndet werden. War vor dem Duell ausdrücklich ein tödlicher Ausgang verabredet worden, verschärfte sich das Strafmaß für eine Duellforderung auf eine Gefängnisstrafe von drei bis zwölf Monaten. Ein vollzogenes Duell wurde je nach den Folgen differenziert mit einer Arreststrafe oder einer Gefängnisstrafe von ein bis drei Jahren (im Höchstfall zehn Jahre) geahndet. Ärzte, Sekundanten und Zeugen wurden nicht bestraft. B ARTH : Strafgesetzbuch (Anm. 16), Art. 162-168, S. 123 ff.; vgl. auch: W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 135-140; F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 71. 261 Gahlen 1851 in Preußen gültigen Strafgesetzbuch, das schon zehn Jahre vorher von der harten Linie bei der Duellgesetzgebung abgewichen war. Die Regelungen des preußischen Strafgesetzbuches von 1851 wurden mit unwesentlichen Änderungen im Reichsstrafgesetzbuch von 1871 für alle Teilstaaten - und damit auch für Bayern - verbindlich. 19 Militärische Ehrengerichte wurden in Bayern im Jahre 1823 eingerichtet und sollten den Offizieren eine Alternative zum Duell bieten. 20 Die Ehrengerichte hatten in erster Linie die Aufgabe, über die Ehrenbeleidigungen der Offiziere durch Worte oder Taten - ohne Zulässigkeit einer Revision - einen Schiedsspruch zu fällen. 21 Sie wurden bei jedem Korps, Regiment oder Bataillon von dem Kommandanten gebildet. Den Vorsitz führte ein Stabsoffizier, sechs Offiziere waren Beisitzer. 22 Offizieren, die sich unter Umgehung des Ehrengerichts duellierten, wurde die Entlassung angedroht. 23 1834 weitete man die Bestimmungen bezüglich der Ehrengerichte auf Konflikte mit Zivilpersonen aus. Doch wirkte sich hier beeinträchtigend aus, dass es Zivilisten freistand, ob sie sich dem militärischen Ehrengericht stellten oder seinen Spruch anerkannten. 24 Das Einsetzen von Ehrengerichten zur Reduzierung von Duellen geschah in Bayern früher als in Preußen. Zwar hatte Preußen schon 1808 ein Ehrengerichtsverfahren eingeführt, doch wurde dieses anfänglich vorrangig zur Disziplinierung der Offiziere einge- 19 Ebd., S. 75 f. 20 Schon im bayerischen Duellmandat von 1779 waren militärische Ehrengerichte als Vermittlungsinstanzen vorgeschlagen worden, ohne dass geklärt wurde, aus welchem Personenkreis sich die Obmänner und Decisseurs zusammensetzen sollten und welche Schlichtungs- und Strafkompetenz sie erhalten sollten. Das bayerische Duellmandat von 1779, in: W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 192-205, hier Art. IX, S. 200 f. Über praktische Auswirkungen dieser Regelung ist nichts bekannt. Im Jahre 1806 regte Generalfeldmarschall Wrede König Max I. Joseph an, Duellgerichte in jedem Regiment einzurichten, die je nach Lage des Falls eine gütliche Einigung erreichen oder auf Zweikampf erkennen sollten. Nur so könnten die Offiziere dem Dilemma entgehen, sich entweder zu duellieren und damit strafbar zu machen oder von einem Duell abzusehen und, da den sich nicht Schlagenden die Gesetze des Ehrgefühls verdammen, ihren Abschied nehmen zu müssen. Sein Vorschlag blieb folgenlos. KA A XIII 3/ 2: Eingabe Wredes an den König vom 22. März 1806. Vgl. auch: W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 59 u. 162 f. 21 Dienst-Vorschriften (Anm. 14), § 482, S. 536. Daneben sollten die Ehrengerichte auch für Äußerungen und Handlungen zuständig sein, bei denen die Würde des Militärstandes in seinen Individuen verletzt wurde. Allerdings kam diese Zuschreibung in der Praxis kaum zur Anwendung, da die meisten diesbezüglichen Vergehen als militärische Vergehen oder Verbrechen unter die Militärgerichtsbarkeit fielen oder dienstlich geahndet wurden. Vgl. auch: R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 150. 22 Dienst-Vorschriften (Anm. 14), § 531, IV, In Ehrensachen, Nr. 2. Vgl. auch: B EZZEL : Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres 1806-1825 (Anm. 8), S. 125; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 150; W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 166. 23 Dienst-Vorschriften (Anm. 14), § 482, S. 536: Ehrenbeleidigungen der Offiziere durch Worte und Thätlichkeiten sollen dem Ausspruche des Ehrengerichts unterworfen werden. Wer aber solcher Beleidigungen wegen mit Umgehung des Ehrengerichts sich selbst Genugthuung zu verschaffen gesucht, oder dem Ausspruche desselben nicht Folge geleistet hat, wird mit der Entlassung bestraft. 24 KA HS 3084, Kriegsministerialreskript Nr. 970 vom 3. Februar 1834, Die Ehrengerichte betreffend; B EZZEL : Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres 1825-1866 (Anm. 9), S. 67; L ANKES : München (Anm. 12), S. 618. 262 Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert setzt. 25 Erst im Jahre 1828, vier Jahre später als in Bayern, wurde die Kompetenz der Ehrengerichte auf Beleidigungsangelegenheiten erweitert. Ähnlich wie in Bayern sollten Beleidiger bestraft, Beleidigungen reduziert und dadurch Duelle verhindert werden. 26 Hingegen trug die nachfolgende preußische Ehrengerichtsverordnung von 1843 den Forderungen der Offiziere Rechnung, dass Ehrengerichte in gravierenden Fällen auf den Zweikampf erkennen sollten. Es wurde festgelegt, dass die Ehrengerichte nach der Prüfung des Falls ihre Inkompetenz aussprechen konnten, wodurch den beteiligten Offizieren die Unvermeidlichkeit des Duells bescheinigt wurde. Zudem wurden die Ehrengerichte ermächtigt, sich in diesem Fall als Kampfgericht zu konstituieren. Die Ehrengerichte verloren damit 1843 in Preußen ihren duellverhindernden Charakter und wurden zu einer duellfördernden Institution. 27 1870 und 1874 wurden schließlich im bayerischen Heer neue Ehrengerichtsverordnungen erlassen. Die Ehrengerichtsverordnung von 1870 verlegte den Schwerpunkt weg von der Schlichtung von Beleidigungen und Streitigkeiten, in die Offiziere verwickelt waren, hin zu Disziplinierung und Bestrafung der Offiziere bei standeswidrigem Verhalten. 28 Die Verordnung war ein wesentlicher Teil der nach der Niederlage gegen Preußen 1866 vom neuen bayerischen Kriegsminister, Generalmajor Sigmund Freiherr von Pranckh, eingeleiteten Heeresreform in Anlehnung an Preußen. 29 Sie sollte beitragen zur Reform des Offizierskorps, die man auch als Reform des im Korps herrschenden Geistes verstand. Im Gegensatz zu den früheren Verordnungen wurde die Kollektivehre betont, um die Homogenisierung auf geistigem Gebiet zu beschleunigen. 30 Die Ehrengerichte wurden nun vorrangig ein Erziehungs- und Disziplinierungsmittel bei Verstößen gegen die Standespflichten. 31 Trotz dieser Anpassung an Preußen wiesen die bayerischen militärischen Regelungen der Offiziersduelle weiterhin deutliche Unterschiede auf und hielten an der grundsätz- 25 Nach der Niederlage von Jena und Auerstedt sollten die Ehrengerichte das militärische Standesethos des Offizierskorps stützen. 1821 wurde anschließend das ehrengerichtliche Verfahren detailliert geregelt, doch wurde die Zuständigkeit der Ehrengerichte noch nicht auf Beleidigungskonflikte und Duelle ausgeweitet. D EMETER : Das deutsche Offizierkorps (Anm. 7), S. 128 f.; D IENERS : Zwischen Disziplinierung und Privilegierung (Anm. 10), S. 127 f. 26 Argumente der monarchischen Duellgesetzgebung des 17. und frühen 18. Jahrhundert waren hier vorherrschend. Die Ehrengerichte sollten dazu dienen, die ständische Autonomie der Offiziere in Ehr- und Duellangelegenheiten zu brechen. Vgl. dazu: D EMETER : Das deutsche Offizierkorps (Anm. 7), S. 128 f. 27 D IENERS : Zwischen Disziplinierung und Privilegierung (Anm. 10), S. 128. 28 Allerhöchste Verordnung: Vorschriften für die militärischen Ehrengerichte vom 15. Februar 1870, in: Verordnungs-Blatt des Königlich-Bayerischen Kriegsministeriums 5/ 1870, S. 43-63; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 151. 29 Die bayerische Heeresreform setzte die Allgemeine Wehrpflicht durch. Die taktische Ausbildung der Truppe wurde verstärkt, hinzu kam die Einführung regelmäßiger operativer Übungen in gemischten Verbänden. 1872 wurde die Hochschulreife für Offiziere durchgesetzt. Insgesamt führte die Reform zu einer entscheidenden materiellen und ideellen Aufwertung des Militärs. Ebd., S. 286. 30 Ebd., S. 151. 31 Da die neue bayerische Militärstrafgerichtsordnung, die Anfang 1870 in Kraft trat, leichtsinniges Schuldenmachen, charakterwidriges Betragen u. a. nicht mehr unter die als militärische Vergehen und Verbrechen strafbaren Handlungen aufnahm, war eine Revision der Ehrengerichtsverordnung notwendig geworden. Vgl. ebd. 263 Gahlen lichen Ablehnung des Duells fest. Dies änderte sich auch im Kaiserreich anfänglich nicht. Auf bayerischen Druck hin wurde in der reichseinheitlichen Ehrengerichtsordnung von 1874 die Möglichkeit einer disziplinarrechtlichen Erledigung der Duelle der preußischen Verordnung von 1843 nicht fortgeschrieben. Hinzu kam, dass Bayern die Einleitungsordre nicht übernahm, die den Zwang zum Duell deutlich vergrößerte, indem Offizieren, die das Duell verweigerten, die Entlassung angedroht wurde. 32 Zusätzlich führte Bayern als einziger deutscher Teilstaat nicht die Regelung des Ehrenrates ein, der die Aufgabe hatte, in direktem Widerspruch zur zivilen Gesetzeslage, die Angemessenheit der Duellbedingungen zu überprüfen und gegebenenfalls ein Duell zu veranlassen und zu überwachen. Erst 1891 wurde auch hier der Ehrenrat Beratungsorgan in Ehrensachen, womit die Sonderstellung Bayerns weitgehend aufhörte. 33 Der Überblick über die rechtlichen Grundlagen der Duellkultur im bayerischen Offizierskorps zeigt, dass vor 1891 neben der zivilen Gesetzeslage auch die militärischen Verordnungen darauf zielten, Duelle zu verhindern. Während in Preußen seit 1843 den Ehrengerichten die Funktion zugestanden wurde, das Duell anzuordnen (wenn auch gleichzeitig das staatliche Verbot bestehen blieb), wurde in Bayern das Zweikampfverbot bis 1891 aufrechterhalten. Bei der Beantwortung der Frage, warum die Duellkultur trotzdem weit verbreitet war, ist als erster Punkt herauszustellen, dass trotz anderweitiger Gesetzeslage in Bayern die Strafen in der Praxis sehr gering ausfielen. Wenn duellierende Offiziere gerichtlich belangt wurden, unterstellte man ihnen zumeist keine Tötungsabsicht. 34 Das Generalauditoriat, das seit 1804 die oberste Instanz der Militärrechtspflege bildete, 35 sprach im Regelfall milde Urteile aus. Die anschließende Begnadigung und weitere Herabsetzung des Strafmaßes durch den König war gängige Praxis. Die Strafen waren im Allgemeinen auf ein Maß begrenzt, das sich in einem Bereich zwischen einigen Tagen Stubenarrest und wenigen Monaten Festungshaft bewegte. Dienstliche Nachteile und Zurücksetzungen in der weiteren militärischen Karriere wegen der Beteiligung an einem Duell hatten Offiziere im Regelfall gleichfalls nicht zu befürchten. 36 Dass der König und das Kriegsministerium nicht alle ihnen zur Verfügung stehenden Machtmittel anwandten, um Duelle zu verhindern, liegt darin begründet, dass sie die Statthaftigkeit des Zweikampfes im Offizierskorps nicht grundsätzlich verneinten. Hinzu kam, dass die milde Bestrafung und großzügige Begnadigungspraxis für den Sou- 32 Ebd., S. 156; D IENERS : Zwischen Disziplinierung und Privilegierung (Anm. 10), S. 128 f. 33 R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 168. 34 Dies verdeutlicht die Urteilsbegründung des Appellationsgerichts von Unterfranken am 11. Januar 1848. Es merkte an, dass im Duell die Modalitäten des Kampfes in den wenigsten Fällen dahin festgesetzt werden, daß einer der Duellanten getödtet oder verwundet werden müsse, dagegen meist darauf berechnet sind, die Gefährlichkeit des Kampfes zu vermindern. KA A XIII 3/ 4: Akte Nr. 63. Vgl. auch: W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 98. 35 Alle wichtigen Urteile wurden zur letzten Entscheidung an die dritte Instanz, das Generalauditoriat der Armee, weitergeleitet. Vgl. die Dienstvorschriften von 1823, in denen die Zusammensetzung der Militärgerichte in Bayern und ihr Kompetenzbereich festgelegt wurden. Dienst-Vorschriften (Anm. 14), §§ 514-515; V OGEL : Der Stellenwert des Militärischen (Anm. 14), S. 86 f. 36 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 74; W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 94 f. 264 Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert verän den Vorteil boten, das Offizierskorps noch stärker an den König zu binden. Die Strafbarkeit des Duells hielt das Strafgewaltmonopol des Staates aufrecht. Mit seiner regelmäßig ausgeübten Begnadigungsbefugnis konnte der König seine fortbestehende Souveränität unter Beweis stellen und sicherte sich zugleich die Loyalität der Offiziere durch deren Angewiesensein auf die königliche Begnadigung. 37 Das Kriegsministerium verwies zur Rechtfertigung des Zweikampfes zum einen auf traditionelle gesellschaftliche Faktoren und den sozialen Zeichencharakter des Duells, zum anderen auf militärische Zweckmäßigkeitserwägungen. 38 Das Recht der Offiziere, ihre Ehre in einem Zweikampf zu verteidigen und sich in Ehrenfragen keiner Autorität zu beugen, wurde als ein wesentlicher Bestandteil ihrer adelig-ritterlichen Traditionen angesehen. 39 Ehrenangelegenheiten gaben den Offizieren so die Gelegenheit, ihren gehobenen sozialen Status zum Ausdruck zu bringen. Über das Duell wurde eine Vergemeinschaftung aller Satisfaktionsfähigen erreicht und jene Schichten der Gesellschaft, die nicht als satisfaktionsfähig galten, vom gleichberechtigten Umgang ausgeschlossen. 40 Satisfaktionsfähig waren dabei im 19. Jahrhundert jene, die in der Gesellschaft den so genannten gebildeten Ständen angehörten. 41 Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts galten nur Adelige, Offiziere, Studenten und höchste Beamte als duellfähig. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts erhielt das Bildungsbürgertum einen festen Platz im Kreis der satisfaktionsfähigen Gesellschaft. 42 Im Laufe des 19. Jahrhunderts erlangten auch immer mehr Wirtschaftsbürger diese Zugehörigkeit. Dies geschah, indem Unternehmer und Bankiers ihre berufliche Ausbildung an einer Universität vervollständigten, 43 in den Adel einheirateten oder über die Nobilitierung diesen Status erlangten. 44 Im Kaiserreich spielte dann zunehmend das Institut des Reserveoffiziers eine Rolle. Kam es mit Ange- 37 Friedhelm G UTTANDIN : Das Duell aus sozialwissenschaftlicher Perspektive, in: Jahrbuch der Juristischen Zeitgeschichte 5 (2003/ 04), S. 21-36, hier S. 31-33; Peter D IENERS : Das Duell und die Sonderrolle des Militärs. Zur preußisch-deutschen Entwicklung von Militär- und Zivilgewalt im 19. Jahrhundert, Berlin 1992, S. 111 f. Vgl. hierzu allgemein: Friedhelm G UTTANDIN : Das paradoxe Schicksal der Ehre. Zum Wandel der adeligen Ehre und zur Bedeutung von Duell und Ehre für den monarchischen Zentralstaat, Berlin 1992. 38 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 99; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 163. 39 Man berief sich hier auf den autonomen Ehrenstandpunkt des militärischen Kavaliers des 17. Jahrhunderts, obwohl auch damals schon Duelle strafrechtlich sanktioniert wurden und Injurienverfahren existierten. Dieser kavaliersmäßige Ehrenstandpunkt, bei dem sich der Offizier ausschließlich auf sich selbst orientierte, ließ sich mit der Stellung des Offiziers in der Söldnerarmee des 18. Jahrhunderts in Einklang bringen. Im Wehrpflichtheer des 19. Jahrhunderts brachte eine solche Einstellung Probleme mit sich. Hier war ein Offizierskorps vonnöten, das sich mit seinen Anschauungen auf die Armee einzurichten verstand. Für Preußen: Manfred M ESSERSCHMIDT : Die preußische Armee, in: M ILITÄRGESCHICHTLICHES F ORSCHUNGSAMT (Hg.): Handbuch zur deutschen Militärgeschichte 1648-1939, Bd. 2, Abschnitt IV: Militärgeschichte im 19. Jahrhundert 1814-1890, Frankfurt a. M. 1979, S. 3-225, hier S. 40. 40 Vgl. auch die ähnlichen Ausführungen von Frevert zur Studentenschaft: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 139 f. 41 R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 173 f. 42 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 172 f.; L ANKES : München (Anm. 11), S. 617. 43 Die Studentenverbindungen, Corps und Landsmannschaften, denen die jungen Männer während ihres Studiums beitraten, waren überörtliche Lebensbünde. 44 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 84 f. u. 173. 265 Gahlen hörigen dieser Schichten zu Ehrkonflikten, mussten sie im Duell ausgetragen werden. 45 Andere Maßstäbe galten bei Streitigkeiten mit Handwerkern, Kaufleuten, Bauern und Arbeitern. Hier traten die Gesetze der Ehre nicht in Kraft. Anstatt den Beleidiger zum Duell zu fordern, verprügelte man ihn oder klagte vor Gericht gegen ihn. 46 Das Duell bot zudem die Chance, die nach Herkunft, Alter und Dienstgrad äußerst heterogene Gruppe der Offiziere zusammenzuschweißen, indem es die soziale Gleichrangigkeit männlicher Individuen inszenierte. Das potentiell trennende Prinzip dienstlicher Subordination konnte durch den verbindenden Grundsatz sozialer Ebenbürtigkeit ausgeglichen werden. Der jüngste Unterleutnant konnte im Duell dem ältesten Stabsoffizier auf gleicher Augenhöhe gegenübertreten. 47 Schließlich wurden auch militärische Zweckmäßigkeitserwägungen zur Rechtfertigung des Duells im Offizierskorps angestellt. Diese zielten auf die besondere Affinität zwischen Duell und soldatischem Charakter. Letzterer zeichne sich durch Entschlusskraft, Mut und Lebensverachtung aus. Nur mit diesen Charaktermerkmalen könne ein Offizier der Mannschaft im Krieg ein Vorbild sein. 48 Im Zweikampf brachten die Kontrahenten die innere Bereitschaft auf, ihr Leben für die Ehre einzusetzen. 49 Das Duell wurde so als ein praktisches Mittel zur ‚psychologischen‘ Kriegsvorbereitung legitimiert. 50 Die bisher dargestellten Effekte bewirkten, dass der Zweikampf im 19. Jahrhundert in den Offizierskorps aller deutschen Teilstaaten verbreitet war. Doch wie erklärt sich, dass die bayerischen Offiziere sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts besonders häufig duellierten, so dass die Duellquote sogar höher als in Preußen gelegen haben soll, und in der zweiten Hälfte ein gegenteiliger Befund festgestellt wurde? 45 Dass im Einzelfall starke Unsicherheiten darüber bestanden, wer zur satisfaktionsfähigen Gesellschaft zählte, belegen die Ausführungen des bayerischen Offiziers Ferdinand von Gumppenberg in seinem Ratgeber für bayerische Offiziere aus dem Jahre 1854 über die Frage, wer vom Civil dem Offiziers=Stande gegenüber auf Satisfaktion mit den Waffen Anspruch machen könne oder nicht: Seitdem die unnatürlichen Scheidewände gesunken sind, die früher die Bildung und das Verdienst ohne Titel und Rang gänzlich von der bevorrechteten Titel=Welt trennte, und seit dem nun besonders in großen Städten die Gebildeten aller Stände bei Bällen und Casinos Zutritt haben, ist die Lösung dieser Frage eine immer schwierigere und schwankendere geworden, und findet gewöhnlich ganz nach Willkür statt; nicht selten gibt hier sogar eine Sache, die doch gewiß auf Ehre und Ehrenhaftigkeit nicht den geringsten Einfluß üben kann, - das schmutzige Geld - den entscheidenden Ausschlag. Ferdinand Freiherr von G UMPPENBERG : Der Offizier in seinen wichtigsten Verhältnissen, Augsburg 1854, S. 94 f. 46 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 139 f.; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 173. 47 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 60. 48 Ebd., S. 99. 49 R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 203 f. 50 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 99. Gumppenberg bemerkt hierzu etwa: Wenn nun schon unter den Gebildeten, die sich ausschließlich friedlichen Berufen widmen, das Duell so lange als nothwendig anerkannt werden wird, als nicht - vielleicht zugleich mit dem Stein der Weisen - für dasselbe ein vollkommen genügendes und, als solches, allgemein anerkanntes Surrogat aufgefunden und eingeführt worden ist: um wie viel weniger ist es denkbar, daß bei einem Stande, dessen Seele die Ehre, dessen Element der Kampf und dessen erste Bedingung persönlicher Muth sind, der Zweikampf in Ehrensachen je außer Gebrauch gesetzt werden könne? G UMPPENBERG : Der Offizier (Anm. 45), S. 86. 266 Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert Dass insbesondere nach den Napoleonischen Kriegen eine wahre ‚Duellwut‘ im bayerischen Offizierskorps geherrscht haben soll, ist zum einen darauf zurückzuführen, dass vor 1823 keine Möglichkeit bestand, gegen Offiziere wegen Ehrverletzungen dienstlich vorzugehen. Die Institution der Ehrengerichte wurde insbesondere zur Lösung leichterer Konflikte angenommen. Anders sah es bei den gravierenden Injurien aus. Bei der Mehrheit der Offiziere herrschte die Meinung vor, dass bei schwerwiegenden Beleidigungskonflikten die Ehre des einzelnen Offiziers nur durch einen Zweikampf wiederhergestellt werden könne. 51 Eine große Rolle für die hohe Zahl an Duellen dürfte daneben die soziale Heterogenität des damaligen Offizierskorps gespielt haben. Das bayerische Offizierskorps wies auch schon im 18. und beginnenden 19. Jahrhundert keine dem preußischen Offizierskorps entsprechende soziale Homogenität auf. Gleichwohl war damals noch die deutliche Mehrheit der Offiziere adelig. 52 Die Napoleonischen Kriege bewirkten durch die Vergrößerung des Korps und den Ausgleich von Kriegsverlusten eine rasche Zunahme des bürgerlichen Anteils. 53 Die Neuaufstellung des Heeres nach dem in einer Katastrophe endenden Russlandfeldzug von 1812, aus dem der Großteil der Offiziere nicht zurückkehrte, 54 führte zu einem personellen Bruch und zu einer Zäsur in Bezug auf die Sozialstruktur des Offizierskorps. Intensiviert wurde dieser Einschnitt durch die Eingliederung der zum Großteil bürgerlichen Offiziere der Mobilen Legionen, die 1813 zur 51 KA A XIII 3, Fasz. 4a, Gutachten des Kriegsministers vom 5. August 1858; vgl. auch: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 106; B EZZEL : Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres 1806-1825 (Anm. 8), S. 127. 52 Der Adelsanteil betrug in den Jahren 1781 bis 1805 56 %. Angela K ARL : Chargenhandel im bayerischen Offizierkorps in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts, Berlin 1987, S. 84. 53 1811 waren nur noch 44 % aller Offiziere adelig. Othmar H ACKL (Hg.): Rangliste der königlich bayerischen Armee für das Jahr 1811, Osnabrück 1982. Vgl. auch: G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps (Anm. 6), S. 170. 54 Die bayerische Armee war im Russlandfeldzug 1812 fast gänzlich vernichtet worden. Von der knapp 36.000 Mann starken Truppe waren 30.000 nicht zurückgekehrt. Die Armee hatte circa 60 % des gesamten Offizierskorps (Gefallene und Gefangene) verloren. Aus den wenigen Zurückgekehrten, den in der Heimat verbliebenen Teilen und aus Neuaufstellungen war in einem Kraftakt bis zum Juni 1813 eine weitgehend neue Armee aufgestellt worden. Vgl. zum Russlandfeldzug: Julia M URKEN : Bayerische Soldaten im Russlandfeldzug 1812. Ihre Kriegserfahrungen und deren Umdeutungen im 19. und 20. Jahrhundert, München 2006; Ernst A ICHNER : Das Bayerische Heer in den Napoleonischen Kriegen, in: Hubert G LASER (Hg.): Wittelsbach und Bayern, Bd. 3.1: Krone und Verfassung. König Max I. Joseph und der neue Staat, München 1980, S. 239-253; Max L EYH : Die Feldzüge des Königlich Bayerischen Heeres unter Max I. Joseph 1805 bis 1815, München 1935, S. 256; Rainer B RAUN : Die Bayern in Rußland 1812, in: G LASER : Wittelsbach und Bayern, Bd. 3.1 (Anm. 54), S. 260-281; Friedrich von F URTEN - BACH : Die Generale des bayerischen Heeres im Feldzuge gegen Russland 1812/ 13. In kurzen Lebensabrissen zusammengestellt, in: Darstellungen aus der bayerischen Kriegs- und Heeresgeschichte 21 (1912), S. 1-23; Wolfgang S CHMIDT : Das Elend, worin sich unsere gute Armee befindet, kann blatterdings nicht beschrieben werden. Leiden und Instrumentalisierung der im Rußlandfeldzug von 1812 umgekommenen Bayern, in: Hermann B EYER -T HOMA (Hg.): Bayern und Osteuropa. Aus der Geschichte der Beziehungen Bayerns, Frankens und Schwabens mit Rußland, der Ukraine und Weißrußland, im Auftrag des Osteuropa-Instituts München, Wiesbaden 2000, S. 221-264; DERS .: Das Schicksal der bayerischen Kriegsgefangenen in Rußland 1812 bis 1814, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 42 (1987), S. 9-25; Heinrich D EMMLER : Die Neubildung der Bayerischen Heeresabteilung nach dem Rückzuge aus Rußland 1812 und die Ereignisse bis zur Rückkehr in die Heimat 1813, München 1906. 267 Gahlen Verstärkung des Feldheeres beim Ausmarsch in die Befreiungskriege 55 aufgestellt worden waren. 56 Im Jahre 1815 waren so mehr als zwei Drittel der Offiziere bürgerlich. 57 Etwa ein Drittel entstammte den mittleren und niederen Gesellschaftsschichten. 58 Söhne von Subalternbeamten, Handwerkern und selbst von Tagelöhnern und Knechten waren im Offizierskorps vertreten, deren Väter von der Satisfaktionsfähigkeit kategorisch ausgeschlossen waren. 59 Es ist zu bedenken, dass die Satisfaktionsfähigkeit einer der leicht verständlichen Bestandteile der Offiziersehre war. Sie konnte besonders gut den neuen sozialen Status gerade der gesellschaftlichen Aufsteiger ausdrücken. Ehrgefühl und Duellfähigkeit waren auch Statussymbole. 60 Das Duell konnte insofern als Test- und Initiationsritus praktiziert werden, der die Qualitäten der neuen Offiziere als Ehrenmänner unter Beweis stellte. 61 55 Vgl. zur Etikettierung der anti-napoleonischen Kriege als ‚Befreiungskriege‘ oder ‚Freiheitskriege‘: Karen H AGEMANN : Mannlicher Muth und teutsche Ehre. Nation, Krieg und Geschlecht in der Zeit der antinapoleonischen Kriege Preußens, Paderborn u. a. 2002, S. 47 f. 56 Zur Verstärkung des Feldheeres waren im Jahre 1813 zwanzig National-Feldbataillone aufgestellt worden. Dies waren Bataillone der Mobilen Legionen der National-Garde II. Klasse, die sich freiwillig zur Dienstleistung außerhalb der Grenzen des Königreichs verpflichtet hatten. 1813 befanden sich unter den 30.000 Mann der neuen Armee 12.000 Legionisten. Gerhard H EYL : Militärwesen, in: Wilhelm V OL - KERT (Hg.): Handbuch der bayerischen Ämter, Gemeinden und Gerichte 1799-1980, München 1983, S. 330-393, hier S. 377. 2.134 Offiziere (77 %) gehörten 1815 den Linienregimentern an, 637 (23 %) den Mobilen Legionen. Unter den Offizieren, die 1815 in die Linienarmee übernommen wurden, waren nur 20 % adeliger Abstammung, während im Offizierskorps der Linie der Adelsanteil bei 36 % lag. Insgesamt verringerte sich der Adelsanteil dadurch um vier Prozentpunkte. Siehe: KA HS 1653 Rangliste der Königlich-baierischen Armee 1815. Den Offizieren der Mobilen Legionen war es freigestellt, nach 1815 den Abschied zu nehmen oder in die Linienarmee überzutreten. Letztere Möglichkeit wurde häufig genutzt, was zu sehr vielen überzähligen Offizieren führte. Alexander W INTER : Karl Philipp Fürst von Wrede als Berater des Königs Max Joseph und des Kronprinzen Ludwig von Bayern (1813-1825), München 1968, S. 268 f.; Rainer B RAUN : Bayern und seine Armee. Eine Ausstellung des Bayerischen Hauptstaatsarchivs aus den Beständen des Kriegsarchivs, München 1987, S. 267; B EZZEL : Geschichte des Königlich Bayerischen Heeres 1806-1825 (Anm. 8), S. 99-108. 57 G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps (Anm. 6), S. 170 f. 58 Ebd., S. 242 f. 59 Ebd., S. 235-237. 60 Thomas B RUDER : Nürnberg als bayerische Garnison von 1806 bis 1914. Städtebauliche, wirtschaftliche und soziale Einflüsse, Nürnberg 1992, S. 449. Hinzu kam, dass gedruckte Handlungsanweisungen für die formgerechte Austragung eines Duells, nach denen sich Duellanten, Sekundanten, Kartellträger, Ärzte und weitere Beteiligte eines Duells richten konnten, zugänglich waren. Eine erste Zusammenstellung von Duellregeln lieferte der „Code duello“ von 1777. Ab den 1830er Jahren erschienen verschiedene französische Veröffentlichungen, die in Deutschland auf reges Interesse stießen. Deutschsprachige publizierte Duellratgeber sind hingegen erst für das Ende des 19. Jahrhunderts bekannt. D IENERS : Das Duell und die Sonderrolle des Militärs (Anm. 37), S. 72 ff.; Kevin M C A LEER : Dueling: The Cult of Honor in Fin-de-Siecle Germany, Princeton 1994, S. 46; Christoph F ÜRBRINGER : Metamorphosen der Ehre. Duell und Ehrenrettung im Jahrhundert des Bürgers, in: Richard van D ÜLMEN (Hg.): Armut, Liebe, Ehre. Studien zur historischen Kulturforschung, Frankfurt a. M. 1988, S. 186-224, hier S. 216; W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 5. 61 G UTTANDIN : Das Duell aus sozialwissenschaftlicher Perspektive (Anm. 37), S. 24. 268 Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert Die vielen Duelle der Offiziere untereinander erklären sich auch aus dem nur sehr vagen Verhaltenskodex bei Konflikten. 62 Die Vorgaben für das dienstliche wie außerdienstliche Verhalten hatten zum großen Teil den Charakter von Empfehlungen. Hinzu kam, dass in Bayern eine Kasinokultur fehlte, die zur gleichen Zeit in Preußen zur kulturellen Homogenisierung des Offizierskorps entscheidend beitrug. 63 Was im Einzelfall als leichte oder schwere Beleidigung galt und ob ein Duell vonnöten war, war im bayerischen Offizierskorps nicht verbindlich festgelegt. 64 Zum Schluss ist noch die angespannte Stimmung zwischen Offizieren und Studenten anzuführen. Duelle mit Studenten waren neben Zweikämpfen der Offiziere untereinander am häufigsten. Das Verhältnis zwischen Universität und Garnison war traditionell schlecht. Allerdings wurde es durch das politische Klima im Vormärz zusätzlich angeheizt. 65 Der Student sah im Offizier, der ja des Königs Rock trug, immer mehr auch den Vertreter eines zu verachtenden Regimes. 66 62 Quellengrundlage sind hier neben den Erlassen des Kriegsministeriums insbesondere die Dienstvorschriften von 1823, die die allgemeinen Dienstverhältnisse für das gesamte Militär erstmals verbindlich regelten und bis 1866 in Kraft blieben. Siehe: Dienst-Vorschriften (Anm. 14). 63 Entsprechend blieben auch die Beziehungen zwischen den Offizieren unterschiedlicher Herkunft gering ausgeprägt. Die Offiziere suchten ihren privaten Umgang in erster Linie nach ihrer sozialen Herkunftsschicht aus und auch im Geselligkeitsverhalten innerhalb des Offizierskorps behielten soziale Herkunftskriterien weiterhin ihre Bedeutung. G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps (Anm. 6), S. 479-484 u. 529-536. 64 Gumppenberg bemerkte etwa, er könne sich überhaupt nichts Unmöglicheres denken, als durch Andere bestimmen lassen zu wollen, was diesen oder jenen beleidigen dürfe, könne oder müsse, da einerseits bei manchen persönlichen Verhältnissen, die jene andern nicht kennen, ein Blick, eine Miene, ein - im Allgemeinen - durchaus unbeleidigendes Wort tiefer verletzen und empören kann, als die positivste Sottise, und andererseits das eine Individuum, seiner innern Natur gemäß, sich noch entschuldigt, wenn es absichtlich getreten wurde, und das andere hingegen schon in Feuer und Flammen auflodert, wenn nur sein Gruß zufällig unbeachtet und daher unerwidert geblieben war. G UMPPENBERG : Der Offizier (Anm. 45), S. 91 f. Diese Zufälligkeit bestimmte allgemein den Duellalltag des 19. Jahrhunderts in Deutschland. Ob sich jemand respektlos behandelt fühlte und dies mit einer Forderung beantwortete, war für den anderen nicht vorauszusehen. S CHLINK : Das Duell im 19. Jahrhundert (Anm. 1), S. 15. 65 Wolfgang H ARDTWIG : Protestformen und Organisationsstrukturen der deutschen Burschenschaft 1815- 1833, in: Helmut R EINALTER (Hg.): Demokratische und soziale Protestbewegungen in Mitteleuropa 1815-1848/ 49, Frankfurt a. M. 1986, S. 37-76, bes. S. 52 ff. Hinzu kam, dass nach Einschätzung der bayerischen Ständeversammlung die Duelle an den Universitäten im Vormärz deutlich zunahmen. So baten sie im Juni 1819 um eine Revision der Duellbestimmungen und ein dieses Übel beseitigendes Gesetz der Stände-Versammlung zur Berathung vorzulegen und die zweckmäßigsten gesetzlichen Bestimmungen wider die überhandnehmenden Duelle auf Universitäten beyfügen zu lassen. Die königliche Regierung entsprach im Landtagsabschied vom 22. Juni 1819 diesem Gesuch. Zitiert nach: W ALTER : Das Duell in Bayern (Anm. 14), S. 105. 66 Lediglich in den Jahren 1848/ 49 schlug nach der Vereidigung des Heeres auf die Verfassung die bis dahin militärfeindliche Stimmung unter den Studenten in Begeisterung um. Ein akademisches Freikorps wurde zur Bekämpfung von Tumulten formiert, in dem teilweise über die Hälfte der Studentenschaft Mitglied war. Sie wählten sich ihre Offiziere und Unterführer selbst und unterschieden sich in ihrer Montur stark vom regulären Militär. Nach einigen Aktionen ebbten die Aktivitäten des Freikorps ab. Im Wintersemester 1849/ 50 wurde es aufgelöst und die Armeewaffen wurden eingezogen. Mit der Auflösung der Freikorps und der Restauration der alten Ordnung auch beim Militär nahmen die Studenten ihre militärfeindliche Haltung wieder auf. L ANKES : München (Anm. 12), S. 562-564. 269 Gahlen Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts änderte sich die relative Duellfrequenz im Offizierskorps zwischen Bayern und Preußen. Dies ist darauf zurückzuführen, dass etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts sich ein allmählicher Wandel innerhalb der bayerischen Armeeführung bei der Bewertung des Duellverhaltens der Offiziere zeigte. Befördert durch die anhaltende Friedenszeit traten militärische Zweckmäßigkeitserwägungen bei der Beurteilung von Duellen zurück. Im alltäglichen Garnisonsdienst wurden Subordination und Manneszucht sowie ein Ehrbegriff der dienstlichen Pflichterfüllung betont. 67 Entsprechend setzte sich in der Armeeführung immer stärker die Überzeugung durch, dass insbesondere Duelle der Offiziere untereinander als Übel galten. Kommandostellen vertraten die Haltung, daß es für den Werth und den guten Geist des gesammten Officiercorps zeuge, wenn unter demselben gar kein Duell vorkommen sollte. 68 Hinzu kam, dass zwischen 1856 69 und 1869 das bayerische Militärjustizwesen an das zivile Strafverfahren angepasst wurde. 70 Die bisherige Regelung, dass das Strafverfahren ähnlich wie in Preußen von den Militärgerichten in geheimer und schriftlicher Weise durchzuführen war, wurde aufgehoben. Die Hauptverhandlungen wurden für alle männlichen militärischen und zivilen Personen geöffnet. 71 Die Militärrichter waren juristisch ausgebildet und verfassungsrechtlich unabhängig. Die Militärbezirksgerichte funktionierten als Geschworenengerichte. 72 Damit wies Bayerns Militärjustiz grundlegende Unterschiede gegenüber der Preußens auf, die durch ein hohes Maß an Selbstbestimmung und eine Abschottung gegenüber zivilen Einflussnahmen charakterisiert war. 73 Auch die bayerischen Ehrengerichtsverordnungen von 1870 und 1874 trugen der Wirksamkeit ziviler Rechtsmaßstäbe in Bezug auf die Duellregelungen Rechnung. Die Mündlichkeit und Öffentlichkeit des Verfahrens blieb in Kraft, den Ehrengerichten wurden keine Straferkenntnisse zugestanden und das Institut des Ehrenrats wurde nicht übernommen. 74 Allerdings wirkte sich der Umstand, dass die Ehrengerichte nun entsprechend dem preußischen Vorbild vorrangig als Erziehungs- und Disziplinierungs- 67 Den Offizieren wurde im Zuge der Politik des sozialen Ausgleichs eingeprägt, dass sie sich nicht separieren, sondern in die gehobene zivile Gesellschaft einfügen sollten. Auf eine umfassende militärische ideologische Indoktrinierung wurde verzichtet. Vgl. hierzu: G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps (Anm. 6), S. 529-536. 68 G UMPPENBERG : Der Offizier (Anm. 45), S. 89. 69 Marita Krauss, die sich auf Detlev Vogel bezieht, schreibt, dass die Reform schon 1848 begann. Marita K RAUSS : Herrschaftspraxis in Bayern und Preußen im 19. Jahrhundert. Ein historischer Vergleich, Frankfurt a. M. 1997, S. 284. Damals gab es aber nur eine zivile Strafprozessnovelle, auf die die Regelungen von 1856 Bezug nahmen. Vgl. V OGEL : Der Stellenwert des Militärischen (Anm. 14), S. 93. 70 Die bayerische Militärstrafgerichtsordnung wurde am 29. April 1869 erlassen und trat Anfang 1870 in Kraft. Gesetz-Blatt für das Königreich Bayern 1869, Sp. 1341 ff.; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 165; D IENERS : Zwischen Disziplinierung und Privilegierung (Anm. 10), S. 123. 71 Dazu ausführlich: V OGEL : Der Stellenwert des Militärischen (Anm. 14), S. 86-93; siehe auch: M A - TUSCHKA / P ETTER : Organisationsgeschichte der Streitkräfte (Anm. 14), S. 329. 72 K RAUSS : Herrschaftspraxis (Anm. 69), S. 284. 73 Ebd. 74 R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 156. 270 Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert mittel bei Verstößen gegen die Standespflichten eingesetzt wurden, langfristig auf die Haltung der Armeeführung und des Offizierskorps aus. Das gegenüber der Zeit des Deutschen Bundes ungleich höhere Maß an Erziehung bewirkte, dass seit den 1880er Jahren eine Verschärfung der Standespflichten in Ehrangelegenheiten eintrat. Immer häufiger leiteten die Truppenoffizierskorps Ehrengerichtsverfahren gegen Offiziere ein, die ein Duell vermieden hatten. Seitdem mussten Offiziere, die sich einem Zweikampf entzogen, mit einer unehrenhaften Entfernung aus dem Dienst rechnen. 75 Als Folge der zunehmenden Ehrengerichtsverfahren wegen unstandesgemäßer Regelung von Privatstreitigkeiten wurde 1891 auch in Bayern dem Ehrenrat die Kompetenz zur Anordnung von Duellen übertragen, die dieser im übrigen Reich bereits seit 1874 hatte. Eine weitere Konsequenz war, dass sich gegen Ende des Jahrhunderts die Duellziffern im bayerischen Offizierskorps erhöhten. 76 Die in der Literatur anzutreffende Begründung, dass die gegenüber Preußen niedrigere Duellquote im bayerischen Offizierskorps im Kaiserreich mit dem geringeren Adelsanteil und der katholischen Prägung des bayerischen Offizierskorps zusammenhing, 77 ist hingegen angesichts der Befunde zur sozialen Zusammensetzung des Korps nicht haltbar. Auch schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war das bayerische Offizierskorps bei einer höheren Duellfrequenz als in Preußen zahlenmäßig vom Bürgertum dominiert. Der Adelsanteil im Kaiserreich ging gegenüber der Zeit des Deutschen Bundes, als er zwischen 28 % und 45 % gelegen hatte, 78 nur noch geringfügig zurück und blieb bis zum Ende des 19. Jahrhunderts bei etwa 25 %. 79 Plausibler ist, dass Duelle aus geringfügigen Anlässen dadurch reduziert wurden, dass sich der schon zur Zeit des Deutschen Bundes nachweisbare soziale Homogenisierungsprozess zur Verdrängung von Angehörigen der mittleren und niederen Gesellschaftsschichten im Kaiserreich deutlich beschleunigte. 80 Der Grund war neben der Einführung der Abiturforderung 75 Ebd., S. 164 u. 167. 76 Um die Jahrhundertwende gingen dann im bayerischen Offizierskorps die Duellzahlen endgültig zurück. Dies ist weniger auf die Bemühungen des Kriegsministeriums zurückzuführen als auf eine allgemeine Veränderung der Beurteilung des Zweikampfes und seiner Notwendigkeit in den oberen Schichten der Gesellschaft. Ebd., S. 168 u. 173. Die damalige Initiierung der Anti-Duell-Liga durch führende Repräsentanten des katholischen Hochadels, in der Bürger und Adelige aktiv waren, zeigt, dass um die Jahrhundertwende zwar nicht das Duell, aber dessen hohe Akzeptanz in der satisfaktionsfähigen Gesellschaft aufhörte. S CHLINK : Das Duell im 19. Jahrhundert (Anm. 1), S. 20; D IENERS : Zwischen Disziplinierung und Privilegierung (Anm. 10), S. 133. 77 Ebd., S. 123. 78 G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps (Anm. 6), S. 169 f. 79 Hermann R UMSCHÖTTEL : Bildung und Herkunft der bayerischen Offiziere 1866 bis 1914. Zur Geschichte von Mentalität und Ideologie des bayerischen Offizierkorps, in: Militärgeschichtliche Mitteilungen 2 (1970), S. 81-131, hier S. 96. 80 Stammten 1823 noch 34 % der Offiziere aus mittleren und unteren sozialen Schichten, ging deren Anteil bis 1847 auf 15 % zurück. Das Krisenjahr 1848 führte zwar zu einer leichten Erhöhung, doch blieb danach bis 1865 trotz der Offiziersvermehrungen ihr Anteil bei etwa 20 %. Allein die Offiziersvermehrung 1866 führte wieder dazu, dass 28 % der Offiziere den mittleren oder unteren Gesellschaftsschichten entstammten. Zwischen 1870 und 1880 kamen rund 30 % der Aspiranten auf Offiziersstellen aus mittleren und niederen sozialen Schichten, bis 1895 sank diese Zahl auf 10 %, vor dem Ersten Weltkrieg hingegen tendierte sie gegen null. G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps (Anm. 6), S. 242 f.; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 61 f. u. 92-94. 271 Gahlen für Offiziersanwärter 1872, die Bayern im Kaiserreich zum Vorreiter der Offiziersbildung machte, 81 vor allem die Übernahme der preußischen Regelung, dass der Regimentskommandeur eigenmächtig über die Annahme von Bewerbern entscheiden konnte. 82 Auch das bayerische Offizierskorps rekrutierte sich so im Kaiserreich weitgehend innerhalb der satisfaktionsfähigen Gesellschaft. Die neuen Offiziere bedurften daher nicht mehr des Duells als Initiationsritus, um ihre Qualitäten als Ehrenmänner unter Beweis zu stellen. Die katholische Prägung des Offizierskorps kann gleichfalls nicht als Erklärung für die geringere Duellhäufigkeit im Kaiserreich herhalten. Vielmehr nahm gerade im Kaiserreich der Protestantenanteil im bayerischen Offizierskorps deutlich zu. Lag er zur Zeit des Deutschen Bundes entsprechend der bayerischen Bevölkerungszusammensetzung bei etwa 30 %, stieg er im Kaiserreich auf ungefähr 40 % an, während der Protestantenanteil in der Gesamtbevölkerung unverändert blieb. 83 Für den gestiegenen, überproportionalen Anteil der Protestanten im bayerischen Offizierskorps nach der Heeresreform waren verschiedene Faktoren verantwortlich. Einerseits war es für die evangelische Bevölkerung leichter, ihre Söhne das nun obligatorische Abitur machen zu lassen. In den evangelischen Gebieten, vor allem in Franken, befanden sich aus historischen Gründen mehr höhere Schulen als im katholisch-ländlichen Altbayern. 84 Andererseits schlugen im Kaiserreich evangelische Adelige viel zahlreicher die Offizierskarriere ein als ihre katholischen Standesgenossen, die sich dem Offizierskorps gegenüber etwas zurückhaltend verhielten. 85 Hinzu kommt, dass das bayerische Offizierskorps im Kaiserreich eine gewisse Reserviertheit gegenüber dem organisierten Christentum und eine antiultramontane politische Grundhaltung an den Tag legte. 86 Religiöse Motive mögen bei den bayerischen Offizieren als Grund für die Verweigerung einer Herausforderung in Einzelfällen eine Rolle gespielt haben, doch lassen sich solche Fälle auch für Preußen nachweisen. 87 Die Analyse hat gezeigt, dass die hohe Duellquote im bayerischen Offizierskorps in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert einerseits mit der durchschlagsschwachen Organisation der Ehrengerichte, andererseits mit der sozialen Zusammensetzung des Offizierskorps und dem vagen Verhaltenskodex bei Konflikten zusammenhing. Hinzu kam die angespannte Stimmung zwischen Offizieren und Studenten insbesondere im Vormärz. Es fehlte ein Bindemittel, um die heterogene soziale Herkunft des Offizierskorps zu überbrücken. Nach dem Friedensschluss stammte mehr als ein Drittel aus Elternhäu- 81 Ebd., S. 135. 82 Ebd., S. 98. 83 G AHLEN : Das bayerische Offizierskorps (Anm. 6), S. 327 f.; R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 237 f. 84 Auch das Diktum für das Kaiserreich, Das deutsche Offizierkorps war evangelisch, wird neben der dominierenden Rolle Preußens im Militärverband mit dem Bildungsrückstand der Katholiken erklärt. Dieser hielt sie davon ab, in großer Zahl ins Offizierskorps einzutreten. Detlef B ALD : Der deutsche Offizier. Sozial- und Bildungsgeschichte des deutschen Offizierkorps im 20. Jahrhundert, München 1982, S. 74-76. 85 R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 238. 86 Ebd., S. 237. 87 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 5), S. 111 f. 272 Das Duell im bayerischen Offizierskorps im 19. Jahrhundert sern, die von der satisfaktionsfähigen Gesellschaft kategorisch ausgeschlossen waren. Das gesetzeswidrige Festhalten am Duell lässt sich so auch als Reaktion auf den unsicheren sozialen Status der Offiziere begreifen. Die korporative Duellkultur war eine der wenigen verbleibenden verbindenden Elemente aller Offiziere. Die Satisfaktionsfähigkeit diente der Verortung nach außen und der Herstellung einer korporativen Gleichheit der Offiziere untereinander, unabhängig vom Dienstalter und der Rangstufe. Für die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts erklären sich die gegenüber Preußen relativ gesehen niedrigeren Duellziffern damit, dass sich in Preußen der Duellzwang mit der Ehrengerichtsverordnung von 1874 deutlich verschärfte. In Bayern hingegen hatten die zeitgleichen Ehrengerichtsverordnungen nach wie vor das Ziel, die Duelle im Offizierskorps einzudämmen. Die Ehrengerichte hatten bis 1891 keine Befugnis, auf den Zweikampf zu erkennen. Hinzu kam, dass eine Duellverweigerung eines Offiziers bis in die 1880er Jahre nicht automatisch den Ausschluss aus dem Offizierskorps bedeutete. Und schließlich ist die Mündlichkeit und Öffentlichkeit der Militärgerichtsverfahren als Erklärung für die niedrigere Duellhäufigkeit in Bayern als in Preußen aufzuführen. Die Genugtuung durch eine öffentliche Verhandlung war für den beleidigten Offizier oftmals hinreichend. 88 Erst gegen Ende des Jahrhunderts lassen sich eine zunehmende Verfeinerung des Ehrgefühls und eine Erhöhung der Duellquote im bayerischen Offizierskorps feststellen. Die Pranckhsche Heeresreform zeigte mit ihren Erziehungs- und Disziplinierungsmaßnahmen durchgreifende Wirkung. Insgesamt wurde deutlich, dass es sich bei der Beurteilung des Duells im 19. Jahrhundert lohnt, nicht nur auf den adeligen und bürgerlichen Anteil im Offizierskorps zur Begründung der Duellkultur zu achten, sondern zusätzlich den Blick auf die Heterogenität der sozialen Herkunft der bürgerlichen Offiziere zu richten. Das Duellverhalten der bayerischen Offiziere und die Duellhäufigkeit erklären sich mitnichten aus ihrem geringen Adelsanteil. Stattdessen ist gerade der erhebliche Anteil an Offizieren aus mittleren und niederen Gesellschaftsschichten, die über ihren Offiziersstatus Zugang zur satisfaktionsfähigen Gesellschaft erhielten, als Begründung für die hohe Duellquote in der ersten Hälfte des 19. Jahrhundert herauszustellen. 88 R UMSCHÖTTEL : Das bayerische Offizierkorps (Anm. 9), S. 165. 273 Barbara Krug-Richter Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern 1 Anmerkungen zum Duell in der studentischen Kultur Zweikämpfe und andere Formen der bewaffneten Auseinandersetzung durchziehen die Geschichte der europäischen Studentenschaft von der Frühen Neuzeit bis weit in das 19. Jahrhundert. Sowohl die Waffen als auch ihr Einsatz spielten insbesondere in der deutschen Studentenkultur vom ausgehenden 16. bis in das frühe 20. Jahrhundert eine ungebrochen wichtige Rolle für die Herstellung einer ständisch-studentischen Identität. Die Hintergründe für dieses aus heutiger Perspektive befremdliche Phänomen, dass sich insbesondere die Vertreter des Geistesadels lange - auch - über bewaffnete und damit sehr körperliche Formen der Konfliktaustragung definierten, sind komplex und können im Rahmen eines kurzen Beitrags nicht erschöpfend behandelt werden. 2 Unstrittig ist jedoch, dass die extrem ritualisierte Form der männlichen Konfliktaustragung über Duelle nicht nur unter Adligen und Militärs, sondern gerade auch im universitären Milieu verbreitet war. Vor diesem Hintergrund stellt sich zunächst einmal die generelle Frage nach den Ursachen: Warum waren es ausgerechnet Formen des männlichen Kampfes, die identitätsstiftend wirkten für einen Studentenstand, der schon aus der Perspektive der frühneuzeitlichen Zeitgenossen eigentlich anderen, weniger weltlichen Leitbildern folgen sollte? 3 1 Universitätsarchiv Freiburg [im Folgenden UAF], A 13/ 3, S. 125 (August 1599). Diese frühe Forderung eines Freiburger Studenten zum Duell stand am Ende eines Konfliktes zwischen einer Gruppe von Studenten und einem Angehörigen des einflussreichen Freiburger Adelsgeschlechts derer von Stürzel zu Buchheim. 2 Ulrich R ASCHE : Cornelius Relegatus und die Disziplinierung der deutschen Studenten (16. bis frühes 19. Jahrhundert). Zugleich ein Beitrag zur Ikonologie studentischer Memoria, in: Barbara K RUG -R ICHTER / Ruth-E. M OHRMANN (Hg.): Frühneuzeitliche Universitätskulturen. Kulturhistorische Perspektiven auf die Hochschulen in Europa, Köln/ Weimar/ Wien 2009, S. 157-221; Marian F ÜSSEL : Devianz als Norm? Studentische Gewalt und akademische Freiheit in Köln im 17. und 18. Jahrhundert, in: Westfälische Forschungen 54 (2004), S. 145-166. 3 Zur Geschichte der bewaffneten Auseinandersetzungen sowie des Duells im universitären Milieu der Frühen Neuzeit gibt es inzwischen etliche Untersuchungen. Grundlegend für das 19. Jahrhundert mit Rückbezügen in die Frühe Neuzeit ist nach wie vor: Ute F REVERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, hier insbes. S. 133-167; siehe auch DIES .: [Art.] Duell, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart 2005, Sp. 1165-1168; DIES .: The Taming of the Noble Ruffian. Male Violence and Dueling in Early Modern and Modern Germany, in: Pieter S PIERENBURG (ed.): Men and Violence. Gender, Honor, and Rituals in Modern Europe and America, Ohio 1998, S. 37-63; Barbara K RUG -R ICHTER : Von Messern, Mänteln und Männlichkeit. Aspekte studentischer Konfliktkultur in Freiburg im Breisgau in der Frühen Neuzeit, in: Wiener Zeitschrift zur Geschichte der Neuzeit 4 (2004), S. 26-52; Stefan B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1990, zum Duell: S. 169-213; Elke L IERMANN : Mit Mantel und Degen. Studentisches Fechten im frühneuzeitlichen Freiburg/ Br., in: K RUG -R ICHTER / M OHRMANN : Frühneuzeitliche Universitätskulturen (Anm. 2), S. 31-51. Der Beitrag zum studentischen Duell von Marian F ÜSSEL : Il duello studentesco tra onore e disciplinamento, in: Uwe I SRAEL / Gherardo O RTALLI (Hg.): Il duello fra medioevo e età moderna: prospettive storico-culturali, Rom 2009, S. 99-134, greift die aktuelle Diskussion auf, 275 Krug-Richter Die bisherige Forschung sieht hier, durchaus überzeugend, vor allem die Orientierung der Gelehrten und insbesondere der Studenten an der Kultur des Adels als ein zentrales Movens. Dass die adlige Kultur an den vormodernen Universitäten für die Studierenden eine Art von ‚Leitkultur‘ darstellte, lässt sich in vielen Bereichen nachweisen. Mit dem Einzug des Adels an die Universitäten ging auch der Einzug der sogenannten adligen Exerzitien einher: Neben den Übungen des Geistes gewannen die Übungen des Körpers über Fecht-, Tanz- und Reitstunden im akademischen Lehrprogramm zunehmend an Bedeutung. Damit erhielten die Universitäten implizit einen erweiterten Bildungsauftrag, der über die Weitergabe akademischen Wissens hinausging: Nun vermittelten sie auch grundlegende Kompetenzen eines adligen Bildungskanons, der eben nicht nur Aspekte der Gelehrsamkeit umfasste, sondern auch die Einübung distinkter körperlich-habitueller Praktiken. 4 Während das Reiten und Tanzen als spezifische Formen der studentischen Freizeit- und Geselligkeitskultur in der historischen Überlieferung nur sporadische, zufällige Spuren hinterlassen haben, 5 füllen die Resultate der universitären Fechtstunden zahllose Seiten der städtischen wie universitären Gerichtsprotokolle, und dies in allen deutschen Universitätsstädten. Denn die Studierenden integrierten diejenigen Kampftechniken, die sie auf den Fechtböden gelernt hatten, unmittelbar in ihre Konfliktkultur und verlagerten diese auch auf die Gassen der Universitätsstädte. Entsprechend kamen auch die typischen Fechtwaffen wie Degen und Rapiere und selbst der Dusack (Abb. 1) als eigentlich reine Übungswaffe seit dem ausgehenden 16. Jahrhundert in innerstudentischen Konflikten wie auch in Auseinandersetzungen zwischen Studenten und Angehörigen der Bürgerschaft zum Einsatz. 6 Im Gefolge des Fechtens nach der sogenannten erweitert sie um einige theoretisch-methodische Perspektiven und empirische Befunde, weist jedoch nur am Rande auf neuere deutsche Forschungen zum Thema hin. 4 Zusammenfassend: Herman R OODENBURG : Brains or Brawn. What were Early Modern Universities for? , in: K RUG -R ICHTER / M OHRMANN : Frühneuzeitliche Universitätskulturen (Anm. 2), S. 17-29. 5 Siehe exemplarisch: Tina B RAUN : Aspekte studentischer Freizeitkultur im frühneuzeitlichen Freiburg, in: DIES ./ Elke L IERMANN : Feinde, Freunde, Zechkumpane. Freiburger Studentenkultur in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2007, S. 121-212; Tina B RAUN : Musik und Tanz in der studentischen Freizeitkultur der Frühen Neuzeit. Die Universität Freiburg im 16. und frühen 17. Jahrhundert, in: K RUG - R ICHTER / M OHRMANN : Frühneuzeitliche Universitätskulturen (Anm. 2), S. 119-134; Norbert N AIL / Gereon B ERSCHIN : Zur Geschichte des Tanzens an der Universität Marburg, URL: http: / / www.staff. uni-marburg.de/ ~berschin/ Zur%20Geschichte%20d es%20Tanzens.pdf (zuletzt am 1. September 2011). Die Fecht-, Reit- und Tanzpraktiken der vormodernen Studentenschaft fanden auch Einzug in zeitgenössische Bilderzyklen über das Studentenleben. Siehe für das 18. Jahrhundert exemplarisch: Konrad L ENGENFELDER : Dendrono=Puschners Natürliche Abschilderung des Academischen Lebens in schönen Figuren ans Licht gestellt, Nachdruck der Ausgabe um 1725, Altdorf 1993. Die Bilderzyklen von Crispin van der Passe aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts finden sich gesammelt bei: Ilja M. V ELDMAN : Profit and Pleasure. Print Books by Crispijn de Passe, Rotterdam 2001, S. 33-52 u. 276-285. 6 Elke Liermann hat am Beispiel der Studierenden der Universität Freiburg/ Br. für das ausgehende 16. und frühe 17. Jahrhundert detailliert nachgewiesen, wie sich mit dem Einzug der neuen Fechtwaffen auch die Praktiken der studentischen Konfliktaustragung änderten. Siehe: Elke L IERMANN : Muffen, Wetzen, Raupen. Freiburger Studentenhändel in der Frühen Neuzeit, in: B RAUN / L IERMANN : Feinde, Freunde, Zechkumpane (Anm. 5), S. 29-119; DIES .: Mit Mantel und Degen (Anm. 3). Zur studentischen Bewaffnung in der Frühen Neuzeit immer noch informativ ist: Oskar F. S CHEUER : Das Waffentragen auf Deutschlands Hohen Schulen, in: Wende und Schau. Kösener Jahrbuch, 2. Folge (1932), S. 65-89. 276 Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern italienischen Schule, die nicht mehr wie die vorherige deutsche Schule mit Schwertern, sondern mit Degen und Rapieren operierte und darüber hinaus vom Hiebzum verletzungsintensiveren Stoßfechten überging, gelangte sukzessive auch das Duell an die deutschen Hochschulen. 7 Dieser Prozess verlief allerdings fließend: Die ersten studentischen Zwei- oder auch Gruppenkämpfe, die mit den neuen Fechtwaffen ausgetragen wurden, verliefen noch nicht derart ritualisiert wie das spätere Duell. Die Studierenden an den vormodernen Universitäten operierten in der Praxis vielmehr über Jahrzehnte mit Mischformen aus der alten deutschen und der neuen italienischen Schule und kombinierten dabei unterschiedliche Waffen und Techniken. Aus dieser Praxis erklärt sich m. E. auch ein Stück weit, warum die zeitgenössischen Diskurse und obrigkeitlichen Mandate studentische Balgereyen, Raufereien und Duelle bis in das 18. Jahrhundert in einem Atemzug nannten. Abb. 1 Stammbuch des Jacob Goetz, 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts: Zweikämpfe mit Zweihänder (oben) und Dusack (unten). Vor diesem Hintergrund erscheint es mir naheliegend, die studentischen Praktiken der bewaffneten Konfliktaustragung nicht nur danach zu kategorisieren, ob es sich um Duelle im klassischen Sinne oder andere Formen von bewaffneten Händeln handelte. Mir geht es vielmehr um die Frage nach der Funktionalität und Rationalität des (Zwei-)Kampfs im studentischen Milieu allgemein. In der Praxis genügten auch studentische Zweikämpfe, die - noch - nicht nach den starren Reglements des Duells abliefen, dem studentischen Ehrenkodex und den damit verbundenen Vorstellungen von der Wiederherstellung verletzter Ehre. Ausgehend von dieser Prämisse fragt der folgende Beitrag nicht nur nach der Rolle des geregelten Duells in der studentischen Kultur. Mein Anliegen ist vielmehr, auch die Vor- und Mischformen in den Blick zu nehmen. 7 L IERMANN : Mit Mantel und Degen (Anm. 3); aus verbindungsgeschichtlicher Perspektive: Henner H UHLE : Die Entwicklung des Fechtens an deutschen Hochschulen. Ein Beitrag zur Geschichte der Schläger- und Säbelmensuren, 2. unveränd. Aufl., Nürnberg 1981. 277 Krug-Richter 1. Eine Vorform des Duells? Ein Freiburger Studentenkonflikt im ausgehenden 16. Jahrhundert Am 27. August des Jahres 1599 kam es in der Universitätsstadt Freiburg im Breisgau zu einer Auseinandersetzung zwischen den Studenten Johann Caspar und Bertold Bosch und einem Angehörigen der einflussreichen adligen Familie der Stürtzel zu Buchheim. Insbesondere Caspar Bosch, der ältere der Brüder, wurde während seiner kurzen Studienzeit immer wieder wegen bewaffneter Händel vor den Rektor zitiert: Der junge Mann zeichnete sich durch ein ausgeprägtes Ehrempfinden, ein hohes Verantwortungsbewusstsein für seine Familie und damit auch das Wohlergehen seines jüngeren Bruders sowie durch ein ausgesprochen streitbares Naturell aus. Darüber hinaus war er ein Waffennarr, dessen Schwertfeger-Rechnungen selbst Eingang in die Überlieferung des Freiburger Universitätsgerichts fanden. 8 Seinen Umgang mit Rapier und Dolch schulte er regelmäßig auf dem Fechtboden und zählte damit zu denjenigen Studenten, die schon im ausgehenden 16. Jahrhundert das Fechten nach der italienischen Schule beherrschten. In dieser Art der Fechtkunst, die in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts sukzessive Einzug an die deutschen Universitäten hielt, trat das Rapier an die Stelle des Schwertes, der Dolch in der linken Hand parierte die Schläge des Gegners. (Abb. 2) Abb. 2 Fechten mit Rapier und Linkehanddolch nach italienischer Art. Im Unterschied zum Schwert zeichnete sich das Rapier als Fecht- und Kampfwaffe durch seine größere Beweglichkeit aus. Auch der mit dem Wechsel der Waffen einhergehende Übergang vom Hiebzum Stoßfechten erforderte von den Beteiligten mehr Geschicklichkeit und Beweglichkeit, erhöhte jedoch auch die Verletzungsgefahr. 9 Nicht 8 UAF, A14/ 4, Konsistorialprotokolle, lose eingelegtes Blatt (20.12.1599), das die Kosten für vier neue bzw. reparierte Schwerter für den Studenten Caspar Bosch aufführt. 9 Zum Einzug des gelehrten Fechtens in die studentische Konfliktkultur am Beispiel der Studierenden der Universität Freiburg im Breisgau siehe L IERMANN : Muffen, Wetzen, Raupen (Anm. 6); DIES .: Mit Mantel und Degen (Anm. 3): K RUG -R ICHTER : Von Messern, Mänteln und Männlichkeit (Anm. 3). 278 Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern von ungefähr kam Caspar Bosch im Dezember 1599 - und damit nur wenige Monate nach dem Konflikt mit dem adligen Junker - in einer Auseinandersetzung zwischen mehreren Studenten durch einen Stich mit einem Rapier zu Tode. 10 Er kann dennoch an der Freiburger Universität als einer der Vorläufer einer Entwicklung gelten, die mit dem Einzug der neuen Fechtwaffen auch den Einzug des Duells in die studentische Konfliktkultur vorbereiteten. Der Konflikt zwischen den Gebrüdern Bosch und dem adligen Junker Stürtzel von Buchheim verlief nach einem in der studentischen Konfliktkultur der Frühen Neuzeit typischen Muster. 11 Er verweist exemplarisch auf das studentische Selbstverständnis, aber auch auf die Leitbilder und Ideale, die zumindest in Teilen der vormodernen Studentenschaft das Alltagshandeln bestimmten. Und er verweist darüber hinaus, dies ist der Grund für meine Auswahl dieses Beispiels, auf den sukzessiven Einzug des Duells in die Studentenkultur in dieser frühen Zeit. Der Anlass des Konfliktes zwischen den Brüdern Bosch und dem Junker war, wie in vielen der vormodernen Ehrenhändel, aus heutiger Perspektive eher banal. Die Brüder passierten auf ihrem Weg zu ihrer Unterkunft das Haus der adligen Witwe Tegeler, die gerade mit ihrem Cousin, dem Junker von Stürtzel zu Buchheim, im Hof spazieren ging. Die Brüder Bosch wünschten auf Französisch einen guten Abend, erhielten jedoch auf diesen Gruß die unfreundliche Antwort des jungen Adligen: Du huoren khindt, waß hab ich mit dir zuschaffen. (Aussage Caspar Bosch). Die ablehnende und ehrverletzende Reaktion des Junkers richtete sich gegen Bertold Bosch, den jüngeren der beiden Brüder, mit dem er offensichtlich noch ein Huhn zu rupfen hatte. Im Verlauf des sich anschließenden Wortgefechts beschimpften sich beide Seiten als Schelme und Diebe. Die Gebrüder Bosch reagierten auf die adlige Überheblichkeit, indem sie dem Junker u. a. seine Ritterlichkeit absprachen: Caspar Bosch verwies auf einen Kriegseinsatz seines Vaters in Ungarn, denn er [gemeint ist der Vater, B. K.-R.] seye auff sein seckhel ihn Ungern gezogen undt habe gestirmbt, er und die seinige - [gemeint sind die Stürtzel von Buchheim] - sollens auch thon, sein, des Boschen vatter, seye eben so mal ein Ritter, er [gemeint ist der Junker] werde sein lebtag kein ritter werden. 12 Hier wird ein Verständnis von Ritterlichkeit formuliert, das an konkretes Handeln gebunden war und nicht an die geburtsständische Herkunft. Nach diesem Wortwechsel, an dem sich beide Parteien redlich beteiligten, forderten die Brüder Bosch den Junker auf, sich einer bewaffneten Auseinandersetzung auf der Straße zu stellen. Zur Untermauerung ihrer Forderung stachen sie mit ihren Degen durch das Eingangstor zum Hof der Witwe Tegeler und zerbrachen dabei auch etliche Sprossen. Der Junker tat es ihnen gleich und stach mit ebenfalls entblößtem Degen von innen durch das Tor zurück, wurde aber von seiner Cousine erfolgreich zurückgehalten. Ein Tischgenosse der Studenten, der sich zwischenzeitlich ins Haus begeben hatte, um Frieden zu stiften, wurde dort in ein Waffengefecht mit dem jungen Stürtzel verwickelt und vorübergehend im Haus festgehalten. Erst der hinzukommende Tischherr der Ge- 10 UAF, A 13/ 3, S. 133 ff.; A 62/ 305. 11 Der Fall ist über zahlreiche Zeugenaussagen dicht überliefert. Die Aussagen der studentischen Zeugen in: UAF, A 13/ 3, S. 117 ff., die Aussagen der bürgerlichen Zeugen in: UAF, A 62/ 300. 12 UAF, A 13/ 3, S. 121. 279 Krug-Richter brüder Bosch, der Freiburger Doktor der Medizin Johann Conrad Schenk, konnte mit Hilfe der Witwe Tegeler die Situation zumindest kurzfristig entschärfen. 13 Aus der Perspektive des jungen Adligen handelte es sich um eine gleich auf mehreren Ebenen ehrenrührige Situation. Er sah sich nicht nur durch Studenten bürgerlicher Herkunft herausgefordert, die seiner Meinung nach sovil nit werth, daß [sie] sich mit einem vom adel solle[n] schlagen. 14 Darüber hinaus hatte ihn seine Cousine im Verlauf der unmittelbaren Konfrontation mehrfach erfolgreich davon abgehalten, sich auf einen bewaffneten Kampf einzulassen. Entsprechend ritt Stürtzel von Buchheim wenige Stunden nach dem Wort- und Waffengefecht mit den Studenten in Begleitung eines Dieners vor das Haus des Dr. Schenk, in dessen Haushalt die beiden jungen Männer als Tischgänger lebten. Da Schenk den direkten Kontakt zwischen den Parteien verweigerte, um eine weitere Eskalation des Konfliktes zu verhindern, kommunizierte der Junker seine Aufforderung an Caspar Bosch, den älteren der Brüder, ihm Ort und Stunde für einen Waffengang zu nennen, stellvertretend an dessen Tischherrn. Dabei spielten die ständischen Unterschiede, auf die er im Vorfeld lautstark und öffentlich verwiesen hatte, offensichtlich keine Rolle mehr. Er beauftragte Schenk, er solte ime Boschen sagen, er solle uff morderigen tages zuo waß stund er welle, ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern. 15 Trotz vieler Unterschiede im Detail haben wir es hier mit einer Forderung zum Zweikampf zu tun, die zwei zentralen Anforderungen an ein Duell genügt, nämlich der Einigung der Parteien auf Ort und Zeitpunkt des Waffengangs. Diese Forderung kam zeittypisch aus dem Mund eines Adligen und richtete sich ebenso zeittypisch an junge Männer bürgerlicher Herkunft. Denn in den Frühzeiten des Duells waren die ständischen Grenzen noch nicht ganz so strikt gezogen wie in den späteren Jahrhunderten, war es auch für einen Adligen durchaus möglich, sich mit Satisfaktionsansprüchen an Männer unterhalb seines Standes zu richten. 2. Von der Spontanität zum Ritual? Rencontre und Duell Der Konflikt, der dieser frühen Duell-Forderung vorausgegangen war, wäre einhundert Jahre später vermutlich als ‚Rencontre’ eingestuft worden. Denn im sogenannten Rencontre agierten die beteiligten Parteien in der Regel spontan auf eine Ehrverletzung. Es waren auch nicht zwingend nur zwei Männer daran beteiligt; in den Konflikt der Gebrüder Bosch mit dem adligen Junker Stürtzel waren auch zwei weitere Studenten involviert, die in diesem Fall allerdings erfolglos versuchten, befriedend auf die Konfliktparteien einzuwirken. Das Rencontre galt schon den Zeitgenossen bis zur Durchsetzung des Duells in Ehrenfragen als klassische Form der studentischen Auseinandersetzung; die historischen Wissenschaften haben sich dieser Interpretation weitgehend angeschlossen. 16 In der Praxis und vermutlich auch in der Wahrnehmung der Beteilig- 13 UAF A 13/ 3, S. 120-126, Aussage des Tischherrn der Studenten Dr. Johann Conrad Schenckh. 14 UAF, A 13/ 3, S. 120, Aussage des studentischen Zeugen Theodoruß Friehauff. 15 UAF, A 13/ 3, S. 125, Aussage Johann Conrad Schenckh. 16 Exemplarisch: B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit (Anm. 3), S. 195- 199. 280 Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern ten allerdings waren die Grenzen zwischen diesen Formen des männlichen Kampfes fließend. Nach der Definition im Krünitzschen Wörterbuch aus dem frühen 19. Jahrhundert handelte es sich bei einem Rencontre um ein kleines Gefecht, welches im Kriege ohne Absicht, auf bloß zufälliges Zusammentreffen zweyer Parteien erfolgt; daher auch im gemeinen Leben ein zufälliger Zwist. 17 Die wissenschaftliche Literatur definiert das Rencontre, um hier exemplarisch Stefan Brüdermann zu zitieren, als spontane tätliche Austragung eines Streits ohne vorhergegangene Abreden auf der Stelle, im engeren Sinne eigentlich mit dem Degen, im weiteren Sinne aber auch mit Peitsche, Stock, Knüppel oder Faust. 18 Damit rückt das Rencontre im Kontrast zum Duell in die Nähe schlichter Raufhändel, die unter Studenten allerdings bis weit in das 18. Jahrhundert gemeinhin mit Waffen ausgetragen wurden. 19 Dabei werden sowohl in den zeitgenössischen Diskursen als auch in Teilen der wissenschaftlichen Literatur das jugendliche Alter und die u. a. daraus resultierende allgemeine ‚Rauflust‘ der frühneuzeitlichen Studenten für die Popularität dieser Form spontaner Auseinandersetzungen verantwortlich gemacht. 20 Die über zahlreiche Gerichtsprotokolle überlieferte Praxis sah anders aus: Auch wenn unübersehbar ist, dass es einen Unterschied zwischen dem strikt reglementierten und extrem ritualisierten Duell und seinen Vorläufern gab, spiegeln viele der auf den städtischen Gassen oder auch vor den Toren der Universitätsstädte ausgetragenen bewaffneten Studentenkonflikte genau diejenige Vermischung von Balgerei, Raufhandel und Duell wider, die auch die frühen Duellmandate zu bekämpfen suchten. 21 Hier reagierten die Obrigkeiten in ihren Bemühungen, über entsprechende Erlasse und Gesetze bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Männern einzudämmen, vermutlich eher auf die zeitgenössischen Praktiken der männlichen Konfliktaustragung als auf die sich sukzessive durchsetzenden Regeln für das Duell. Dabei sah das Gros der beleidigten und herausgeforderten Studenten im Unterschied zur Krünitzschen Definition in den Auslösern dieser Händel keinesfalls nur Kleinigkeiten. Die ‚kleinen Gefechte‘ zogen des Öfteren schwere Verletzungen, gelegentlich auch Todesfälle nach sich und drehten sich 17 [Art.] Rencontre, in: Johann Georg K RÜNITZ , Ökonomische Enzyklopädie, Bd. 122 1813, Sp. 613, hier zit. nach der Online-Ausgabe der Universität Trier unter URL: http: / / www.kruenitz1.uni-trier.de/ (zuletzt am 2. September 2011). 18 B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit (Anm. 3), S. 195. 19 Exemplarisch: K RUG -R ICHTER : Von Messern, Mänteln und Männlichkeit (Anm. 3); F ÜSSEL : Devianz als Norm (Anm. 2); L IERMANN : Muffen, Wetzen, Raupen (Anm. 6); für Freiburg auch: Kim S IEBENHÜ - NER : „Zechen, Zücken, Lärmen“. Studenten vor dem Freiburger Universitätsgericht 1561-1577, Freiburg 1999. 20 Exemplarisch für die zeitgenössische Einschätzung, nach der das jugendliche Alter und die daraus resultierende hohe Verletzlichkeit der Ehre unter Studierenden einen zentralen Argumentationsstrang darstellen, ist u. a.: Ahasver F RITSCH : Ohnvorgreifliches Bedencken, wie denen Duellen und Balgereyen derer Studenten auf Academien, mit mehrem Nachdruck zu steuren seyn möchte? , Regensburg 1686; Siehe auch die Beispiele bei: F ÜSSEL : Il Duello studentico (Anm. 3), dort auch Hinweise auf weitere zeitgenössische Literatur. 21 Siehe exemplarisch die Untersuchung der Duellmandate bei: Holger Z AUNSTÖCK : Das Milieu des Verdachts. Akademische Freiheit, Politikgestaltung und die Emergenz der Denunziation in Universitätsstädten des 18. Jahrhunderts, Berlin 2010, hier insbes. S. 61-112. 281 Krug-Richter schon vor der ‚Ehrpusseligkeit‘ des 18. und 19. Jahrhunderts deutlich erkennbar auch um Ehre. 22 Auch die Zwistigkeiten, die diesen Kämpfen vorausgingen, entstanden nicht immer zufällig; oftmals ging den Waffengängen eine längere Konfliktgeschichte voraus, die sich keinesfalls spontan auf der Straße entlud, sondern vielmehr nach Absprache zwischen den Parteien gezielt vor den Toren der Städte ausgetragen wurde. 23 Auch die in der Literatur bis heute kolportierte Regellosigkeit der Rencontre-Kämpfe lässt sich bei einem genaueren Blick auf die einzelnen Konfliktverläufe nicht aufrechterhalten. 24 Die vormodernen Formen der studentischen Konfliktaustragung gehorchten sehr wohl Regeln, die noch dazu in wesentlichen Teilen denen der später schriftlich fixierten Duell-Comments entsprachen. Schon in studentischen Konflikten des 16. Jahrhunderts finden sich unzählige Hinweise auf einen zwar ungeschriebenen, aber dennoch verbindlichen Kanon an Regeln für deren Austragung: Zentral war schon im 16. und 17. Jahrhundert für das Verständnis eines ‚redlichen’, also fairen Kampfes, dass Mann gegen Mann und mit vergleichbaren Waffen kämpfte. Der Zweikampf zwischen einzelnen Teilnehmern stellte selbst in Auseinandersetzungen zwischen Gruppen das Ideal dar. ‚Schelmisch’ im zeitgenössischen Verständnis hingegen handelten diejenigen, die einen Gegner ohne vorherige Herausforderung womöglich noch dazu von hinten attackierten oder einen Unbewaffneten mit Waffen angriffen. Auch das Handeln des Umfeldes verweist auf ein ganzes Bündel an ungeschriebenen Normen, die den spontanen Zweikampf auf den frühneuzeitlichen Straßen zu regeln suchten, bevor die Regeln des studentischen Miteinanders in schriftlich fixierte Comments gegossen wurden: Denn oft zogen mit den Streitenden ganze Gruppen vor die Tore der Stadt, um den Verlauf des Waffengangs zu beobachten und bei Regelwidrigkeiten auch in das Kampfgeschehen einzugreifen. 25 Vor diesem Hintergrund sehe ich eine Aufgabe zukünftiger Forschungen zum Zweikampf darin, insbesondere diese Übergänge vom Rencontre zum Duell in den Blick zu nehmen und dabei nicht nur die Unterschiede, sondern auch die Gemeinsamkeiten näher zu beleuchten. Wichtig erscheint mir dabei auch die Frage nach den Funktionen derartiger Praktiken für die Protagonisten selbst und nach deren ‚Sitz im Leben‘ sowohl für die Herstellung einer studentisch-ständischen als auch männlichen Identität. Die sowohl von den historischen Zeitgenossen als auch von der Wissenschaft immer wieder betonte ‚Rauflust‘ der vormodernen Studenten als zentrales Movens für ihre zahlreichen Ehrenhändel erscheint mir zumindest unzureichend für die Erklärung des Phänomens. 22 Barbara K RUG -R ICHTER : „Manns genug“. Konflikte um Männlichkeit in der frühneuzeitlichen Stadt, in: Barbara S TOLLBERG -R ILINGER / Thomas W ELLER (Hg.): Wertekonflikte - Deutungskonflikte. Internationales Kolloquium des Sonderforschungsbereichs 496 an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, Münster 2007, S. 249-268. 23 Beispiele bei: K RUG -R ICHTER : Von Messern, Mänteln und Männlichkeit (Anm. 3). 24 Ebd.; DIES ., „Du Bacchant, quid est grammatica“. Konflikte zwischen Studenten und Bürgern in Freiburg/ Br. in der Frühen Neuzeit, in: DIES ./ Ruth-E. M OHRMANN (Hg.): Praktiken des Konfliktaustrags in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 79-104. 25 Zahlreiche Beispiele bei: K RUG -R ICHTER : Von Messern, Mänteln und Männlichkeit (Anm. 3); DIES .: „Du Bacchant, quid est grammatica“ (Anm. 24); Z AUNSTÖCK : Das Milieu des Verdachts (Anm. 21); DERS .: Die Brautnacht oder die Fensterkanonade. Der permanente Konflikt zwischen Stadtbürgern und Studenten im 18. Jahrhundert, in: Jahrbuch für hallische Stadtgeschichte 4 (2006), S. 61-76. 282 Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern Denn schon im Vorfeld des Duells ging es eindeutig auch um Vorstellungen von Männlichkeit und Ehre, die über bewaffnete Auseinandersetzungen hergestellt bzw. verteidigt wurden. 3. ‚Prave Purschen‘. Heroische Männlichkeit als studentisches Leitbild vom 18. bis ins 20. Jahrhundert Für das späte 18. und vor allem für das 19. Jahrhundert sieht die Forschungslage deutlich besser aus als für die vorherigen Jahrhunderte. Spätestens seit den bahnbrechenden Studien von Ute Frevert zum Duell im 19. Jahrhundert 26 ist bekannt, dass neben Adel und Militär insbesondere die Studenten den ritualisierten Zweikampf um die Ehre praktizierten, und dies gelegentlich auch exzessiv. Spätestens seit Freverts Untersuchung müssen sich allerdings die vormodernen Formen der studentischen Konfliktaustragung auch an dieser Latte messen lassen nach dem Motto, ‚Handelt es sich schon um Duelle oder nicht? ‘. Eine derartige Perspektive kann man verfolgen, aber durchaus auch hinterfragen, bedeutet sie letztlich doch nichts anderes, als den Fokus primär auf die Formen des Kampfes und erst sekundär auf dessen Funktionen zu richten. Insgesamt hat der bewaffnete Zweikampf in der deutschen Studentenkultur eine lange historische Tradition, egal ob es sich nun um Recontres oder um Duelle handelt. Die Hintergründe für die Bedeutung bewaffneter Auseinandersetzungen insbesondere unter Studenten scheinen dabei ebenfalls weitgehend ausgemacht. Eine zentrale Voraussetzung für die Etablierung einer studentischen ‚Kampfkultur‘ bildete die akademische Freiheit, die die Studenten im Verlauf der Frühen Neuzeit in eine spezifische Art von Burschenfreiheit umdefinierten. 27 In dieser wurde, um eine treffende Formulierung von Marian Füssel zu zitieren, in Teilen der Studentenschaft die Devianz zur Norm. 28 In diesem Verständnis von Freiheit, das bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts Geltung behielt, war in Studentenkreisen nahezu alles erlaubt, was gefiel und Spaß machte, und damit eben auch das Raufen und Fechten untereinander sowie mit Gegnern aus dem bürgerlichen Lager. 29 Im Verlauf des 17. Jahrhunderts entstand ein studentischer Normenkodex, der den praven, besonders mutigen und tapferen ‚Burschen‘, der jeder Ehrverletzung mit einer Herausforderung zum Kampf begegnete, zum Ideal erhob. 30 Der 26 F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 2). 27 Zu diesem insgesamt historisch sehr komplexen Prozess siehe exemplarisch die ebenfalls komplexe, aber überzeugende Interpretation bei: R ASCHE : Cornelius Relegatus (Anm. 2); B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit (Anm. 3). 28 F ÜSSEL : Devianz als Norm (Anm. 2). 29 Ein ‚Abgesang‘ auf das wahre Studentenleben formuliert diesen Zusammenhang in der Mitte des 18. Jahrhunderts explizit: Robert S ALMASIUS : Kompendiöses Handlexikon der unter den Herren Purschen auf Universitäten gebräuchlichen Kunstwörter, in: Der vergnügten Abendstunden zweiter Teil, Erfurt 1749, S. 65-79, hier der Nachdruck in: Helmut H ENNE / Georg O BJARTEL (Hg.): Wörterbücher des 18. Jahrhunderts zur deutschen Studentensprache, Berlin/ New York 1984. Ein derartiges Verständnis akademischer Freiheit lässt sich auch für einen Teil der Leipziger Studentenschaft im frühen 18. Jahrhundert nachweisen, siehe: Barbara K RUG -R ICHTER : Von Schlafpelzen und akademischer Freiheit. Ein Leipziger ‚Studententumult’ im frühen 18. Jahrhundert, in: Michaela F ENSKE (Hg.): Alltag als Politik - Politik im Alltag. Dimensionen des Politischen in Vergangenheit und Gegenwart, Münster 2010, S. 215-228. 30 Dieses Ideal findet sich bis heute in romantisierender Perspektive in zahlreichen Abhandlungen formuliert, die aus der Feder von historisch interessierten Mitgliedern studentischer Verbindungen stammen. 283 Krug-Richter Gegenpol war der des studentischen Feiglings, der die Herausforderung nicht annahm und sich deshalb erheblichen Repressalien durch seine Kommilitonen ausgesetzt sah. Die Voraussetzungen für derartige Vorstellungen von Studentenfreiheit lagen, auch dies ist inzwischen unbestritten, letztlich in der rechtlichen Privilegierung des akademischen Standes und der aus dieser resultierenden Konkurrenzsituation zwischen divergierenden Obrigkeiten begründet. Die Studenten unterstanden der Disziplinargewalt der Universitäten, deren Angehörige sich allgemein als eigener Stand definierten. Die Universitätsgerichte taten sich nachweislich bis in das ausgehende 18. Jahrhundert schwer damit, die sowohl von landesherrlicher als auch von universitärer Seite erlassenen Regularien zur Disziplinierung der Studentenschaft konsequent durchzusetzen. Die Gründe sind vielfältig; sie liegen unter anderem in der Furcht begründet, die Studierenden könnten auf andere Universitäten ausweichen und damit die Position der eigenen Universität schwächen. 31 Eng mit der rechtlichen Sonderstellung der vormodernen Studenten verknüpft war deren Selbstverständnis als Angehörige einer gesellschaftlichen Elite, die sich in Kleidung und Habitus über Jahrhunderte an adligen oder auch militärisch-soldatischen Vorbildern orientierte. Die Universitäten kamen diesem Bedürfnis, schon um auch adlige Studenten anzuziehen, entgegen, indem sie mit den oben erwähnten adligen Exerzitien neben dem Reiten und Tanzen auch das Fechten in ihr Lehrangebot integrierten. Für letzteres engagierten sie bis weit in das 18. Jahrhundert professionelle Fechtmeister, die die Studierenden in den Grundtechniken des Fechtens unterrichteten, ein Angebot, an dem auch Studenten bürgerlicher Herkunft partizipierten. 32 Diese allgemeine Kenntnis fechterischer Grundregeln dürfte wie die geläufige Bewaffnung der vormodernen Studenten nicht unwesentlich dazu beigetragen haben, dass sich das Duell als spezifische Form des Zweikampfs auch in der Studentenschaft sukzessive etablieren konnte. Ebenfalls unübersehbar ist die Einbettung der vormodernen Studentenkultur in zeitgenössische jugendkulturelle Zusammenhänge. Die Studenten an den frühneuzeitlichen Universitäten waren deutlich jünger als ihre heutigen Nachfolger, nämlich zwischen 16 und 22 Jahre alt. Entsprechend galten bis weit in das 18. Jahrhundert die altersgleichen, ebenfalls korporativ organisierten Handwerksgesellen in nahezu allen Universitätsstädten im studentischen Selbstverständnis als die Hauptgegner der Studentenschaft. Viele der Konflikte zwischen diesen beiden Gruppen enthielten neben der ständischen Komponente eindeutig Elemente jungmännlicher Kraftmeierei und jugendlichen Kräftemes- Entsprechende Wertvorstellungen finden sich auch in der zeitgenössischen studentischen Erbauungsliteratur, siehe exemplarisch: August J ÄGER : Felix Schnabels Universitätsjahre oder Der deutsche Student. Ein Beitrag zur Sittengeschichte des 19. Jahrhunderts, Neudruck der Ausgabe von 1836, Berlin 1907. 31 Grundsätzlich und nach bisherigem Forschungsstand erschöpfend dazu: R ASCHE : Cornelius Relegatus (Anm. 2). 32 B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit (Anm. 3); L IERMANN : Mit Mantel und Degen (Anm. 3). 284 Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern sens. 33 Dies sahen im Übrigen auch die frühneuzeitlichen Zeitgenossen schon so, denn in etlichen der zahlreichen Anti-Duell-Mandate wird explizit auf das jugendliche Alter, das daraus resultierende ‚hitzige Gemüt‘ und die extrem empfindlichen Ehrvorstellungen insbesondere junger Männer verwiesen. 34 Die Gemengelage der Einflussfaktoren auf die vormoderne studentische Konfliktkultur, unter die auch die Praktiken von Rencontre und Duell zu subsumieren sind, ist insgesamt viel zu komplex für einfache Antworten auf die Frage nach den Hintergründen für die Popularität von bewaffneten Zweikämpfen im studentischen Milieu. Die Vorbildfunktion von Adel und Militär ist in diesem Falle naheliegend, denn genau diese gesellschaftlichen Gruppen/ Stände sollten sich im Verlauf des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts als gesellschaftliche Elite zur sogenannten satisfaktionsfähigen Gesellschaft zusammenfinden, an der als einziger weiterer Stand die Akademiker partizipierten. 35 Die Scholarenehre allerdings, der insbesondere Ute Frevert umfängliche Untersuchungen widmete, lässt sich ohne Berücksichtigung der jugendkulturellen Hintergründe ihrer Protagonisten und der spezifischen Wertvorstellungen, die vor allem in diesen Jungmännermilieus herrschten, nur unzureichend deuten. 36 Gemeinhin wird das Duell als besonders ritualisierte Form der männlichen Konfliktaustragung interpretiert, die die in der vormodernen Studentenkultur schon erwähnten angeblich ‚regellosen‘ Ehrenhändel sukzessive ablöste. In der Etablierung fester, später auch schriftlich fixierter Regeln für den Ablauf des männlichen Zweikampfs, in deren Folge sich das Duell zu einem hochgradig ritualisierten Verfahren entwickelte, sahen schon die zeitgenössischen Verfechter der Duellkultur den Vorteil einer Eindämmung der Gewalt. 37 Ähnliche Einschätzungen des Duells als die Gewalt zivilisierende Variante der bewaffneten Konfliktaustragung finden sich bis heute, und dies insbesondere dann, wenn die Untersuchungen aus der Feder von Mitgliedern studentischer Verbindungen stammen. 5. Ein studentisches Duell? Die Mensur in den Studentenverbindungen Blickt man auf das Duell in der studentischen Kultur des 18. und vor allem des frühen 19. Jahrhunderts, kommt man nicht umhin, sich auch mit den ritualisierten Zweikämpfen in den studentischen Verbindungen, den sogenannten Mensuren, auseinan- 33 K RUG -R ICHTER : Von Messern, Mänteln und Männlichkeit (Anm. 3); DIES .: „Du Bacchant, quid est grammatica“ (Anm. 24); B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit (Anm. 3). 34 Siehe exemplarisch für die zeitgenössische Einschätzung: F RITSCH : Duellen (Anm. 20); für weitere Quellenbelege: F ÜSSEL : Il duello studentico (Anm. 3). 35 Nach wie vor maßgeblich zu diesem Themenkomplex sind die Untersuchungen von F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 2); siehe zudem: Friedhelm G UTTANDIN : Das paradoxe Schicksal der Ehre. Zum Wandel der adeligen Ehre und zur Bedeutung von Duell und Ehre für den monarchischen Zentralstaat, Berlin 1993. 36 Dies sah auch ein Teil der Zeitgenossen schon so, siehe die Einschätzung bei: F RITSCH : Duellen (Anm. 20), der dem jugendlichen Alter der fechtenden Studenten eine wichtige Rolle beimisst. Mit dem Verweis auf die Jugend der Protagonisten argumentierten auch die Universitätsgerichte immer wieder, wenn sie die Normverstöße ihrer Studierenden relativ milde ahndeten. 37 Zu den zeitgenössischen Argumenten für das Duell: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 2), S. 52 ff. 285 Krug-Richter derzusetzen. Diese Sonderform des Zweikampfs entstand in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zeitgleich mit dem Aufkommen der ersten Corps und Burschenschaften. 38 Die Diskussionen um dieses Phänomen waren lange hochgradig ideologisch aufgeladen und haben eine neutrale wissenschaftliche Analyse des Phänomens eher behindert als gefördert. So machten sich in Deutschland in den 80er und 90er Jahren des 20. Jahrhunderts politisch engagierte Gegner studentischer Verbindungen auf, die Traditionsstränge heutiger Studentenverbindungen zum rechten politischen Lager in deren spezifischer Geschichte zu verankern. 39 Dabei galten ihnen insbesondere die Mannbarkeitsriten des Fechtens von Mensuren als Beleg für die Langlebigkeit elitärer, inzwischen anachronistischer Männlichkeitsvorstellungen und männerbündischer Strukturen. 40 Historisch versierte Verbindungsmitglieder setzten diesen Arbeiten ebenso engagierte, teils polemische Statements entgegen. 41 Mensuren unterscheiden sich ohne Zweifel in vieler Hinsicht von Duellen. Sie wurden und werden, wenngleich vertreten durch einzelne Mitglieder, zwischen Verbindungen ausgefochten. Gefahren an Leib und Leben sind seit der Mitte des 19. Jahrhunderts durch entsprechende Bandagierungen des Körpers weitgehend ausgeschlossen. Zentraler jedoch ist, dass Mensuren seit spätestens der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht mehr zur Verteidigung und Wiederherstellung der persönlichen oder Gruppenehre ausgefochten wurden. Für wirkliche Ehrenhändel hielten auch die studentischen Verbindungen bis in das 20. Jahrhundert am Duell fest. Auch um den Einsatz von Leib und Leben, der beim Duell ja ein zentrales Element darstellte, ging es bei den Fechtritualen der Verbindungen von vornherein nicht. Sie fungierten in erster Linie als Initiationsrituale, in denen die Verbindungsneulinge durch das Bestehen einer Mutprobe in den Kreis der Burschen, also der vollwertigen Verbindungsmitglieder, aufgenommen wur- 38 Maßgeblich nach wie vor: ebd. Über die Geschichte der studentischen Mensuren wird nach wie vor insbesondere in verbindungsgeschichtlichen Zusammenhängen geforscht, dabei allerdings durchaus mit fachhistorischer Kompetenz. An älteren Beiträgen exemplarisch: H UHLE : Studentisches Fechten (Anm. 7); Martin B IASTOCH : Duell und Mensur im Kaiserreich (am Beispiel der Tübinger Corps Franconia, Rhenania, Suevia und Borussia zwischen 1871 und 1895), Vierow 1995. Zahlreiche kleinere Abhandlungen zur Mensur finden sich in: Einst und jetzt. Zeitschrift des Vereins für corpstudentische Geschichtsforschung. Ein knapper Überblick über die Formen und Funktionen der Mensur als Sonderform des Duells auch bei: Kevin M C A LEER : Dueling. The cult of honor in Fin-de-siècle Germany, Princeton NJ 1994, S. 119-158. 39 Alexandra K URTH : Männer - Bünde - Rituale. Studentenverbindungen seit 1800, Frankfurt a. M./ New York 2004; DIES . u. a. (Hg.): Blut und Paukboden. Eine Geschichte der Burschenschaften, Frankfurt a. M. 1997; Dietrich H EITHER : Verbündete Männer. Die Deutsche Burschenschaft - Weltanschauung, Politik und Brauchtum, Köln 2000; Lynn B LATTMAN : „Formen sind kein leerer Wahn“. Schweizerische Studentenverbindungen vor 1914. Rituale, Politik und Männerbund, Diss. Konstanz 1997. Ideologisch unverdächtig und theoretisch weiterführend ist: Norbert E LIAS : Die satisfaktionsfähige Gesellschaft, in: Michael S CHRÖTER (Hg.): Studien über die Deutschen. Machtkämpfe und Habitusentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 2009, S. 61-158. 40 Exemplarisch die durchaus fundierten, aber dennoch tendenziösen Untersuchungen von K URTH : Männer - Bünde - Rituale (Anm. 39); H EITHER : Verbündete Männer (Anm. 39). 41 Hier exemplarisch: Wolfgang W IPPERMANN : Männer und Mensuren. Waffenstudenten in geschlechtergeschichtlicher Sicht, in: Harm-Hinrich B RANDT / Matthias S TICKLER (Hg.): „Der Burschen Herrlichkeit.“ Geschichte und Gegenwart des studentischen Korporationswesens, Würzburg 1998, S. 231-248, wo er sich teilweise polemisch mit den Thesen Ute Freverts auseinandersetzt. 286 Ein stund ernennen unnd im ein schlacht lieffern den. Entscheidend war nicht der Sieg über den Gegner, sondern vielmehr, dessen Schläge auch bei Treffern seines Degens ohne Regung entgegenzunehmen. 42 Das Leitbild, das schon im 19. Jahrhundert hinter diesen Fechtübungen stand und bis heute mit vergleichbaren Argumenten verteidigt wird, ist das der männlichen Standhaftigkeit. Es sind männliche Ideale und erzieherische Perspektiven, die mit der Mensur verbunden wurden und werden. Diese zielten und zielen auf die Einübung traditionell männlicher Tugenden wie Mut, Tapferkeit, Standhaftigkeit und Entschlossenheit und wirken mit ihren Vorstellungen von Männlichkeit und Ehre in der heutigen Gesellschaft tatsächlich eigentümlich anachronistisch. 43 Selbst wenn die Mensuren, die in einigen Studentenverbindungen bis heute geschlagen werden, nicht den Kriterien des klassischen Duells genügen, belegen auch sie den besonderen Stellenwert, den duellartige bewaffnete Praktiken in der deutschen Studentenkultur innehatten und -haben. Insofern führen auch sie auf meine Eingangsfrage nach dem ‚Warum‘ zurück. Denn m. E. ermöglicht die Betrachtung des Duells und der sich wandelnden Praktiken seiner Austragung erst auf der Folie ähnlicher Formen der studentischen Konfliktaustragung eine weiterführende kontextualisierende Analyse. 42 Hier ist nach wie vor bestechend logisch die Interpretation bei: F REVERT : Ehrenmänner (Anm. 2). 43 Die Burschenschaft Frankonia im westfälischen Münster wirbt bis heute mit dem Erziehungscharakter des Schlagens von Mensuren: Das Fechten ist ein studentisches Brauchtum, das bereits seit über 400 Jahren in Österreich, Deutschland und der Schweiz von schlagenden Verbindungen ausgeübt wird. Das schlagende Prinzip ist ein verbindendes Element unter sämtlichen Korporationen. Das Fechten auf der Mensur ist in unseren Augen ein unverzichtbares, freiwillig auf sich genommenes Zeichen der Einsatzbereitschaft. Jeder Bundesbruder zeigt damit, daß er für seine Verbindung auch den Kopf hinhält. […] Auch ist die Mensur ein Moment, in dem jeder Bundesbruder an seine physische und psychische Leistungsgrenze herangeführt wird und somit lernt, mit Extremsituationen umzugehen und einen kühlen Kopf zu bewahren. Dieses persönliche Risiko zugunsten der Gemeinschaft zu überwinden, ist die eigentliche Leistung bei einer Partie. Sinn des Fechtens ist nicht, sich oder den anderen zu verletzen. Es gibt weder Gewinner noch Verlierer. Wir fechten, um zu zeigen, daß wir zu unserer Überzeugung tatsächlich stehen und uns nicht mit bloßen Lippenbekenntnissen begnügen. Das Gemeinschaftserlebnis der Mensur besitzt für uns eine so starke Integrationskraft, daß wir mit gutem Gewissen an ihr festhalten. Siehe unter: URL: http: / / www.franconia-muenster.de/ interessantes/ fechten/ (zuletzt am: 2. September 2011). 287 Andreas Meier Handwerkerduelle im frühneuzeitlichen Kursachsen als (außer)gewöhnliche Gewaltrituale 1. Gewaltakte von Handwerkern als Duelle Nicht Raufereien, wie sie bei jungen Leuten immer üblich sind, sollen hier behandelt werden, sondern wirkliche Zweikämpfe mit blanken Waffen, die auch bei Handwerksgesellen keineswegs selten vorgekommen sind. [...] Begonnen sei mit den mir bekannten Fällen, in denen die Kämpfe ausdrücklich als Duelle bezeichnet werden. 1 So beginnt Rudolf Wissell das kurze Kapitel zu Zweikämpfen der Handwerksgesellen in seinem erstmals 1929 herausgegebenen Werk ‚Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit‘. Die Feststellung Wissells mag überraschen, denn der Handwerker gilt in der historischen Forschung kaum als Duellant. Und dies, obwohl die Gewaltkultur und das gewaltsame Handeln der Handwerker durchaus als konstitutiv für die Sozialstruktur dieser Gruppe herausgestellt wurden. So verweist Joachim Eibach für Frankfurt im 18. Jahrhundert nicht nur auf Massenschlägereien von Handwerkern, sondern auch auf ritualisierte Zweikämpfe zwischen Handwerkern, Gesellen oder Lehrlingen, die er als duellähnliches Faustrecht bezeichnet. 2 Und auch Katharina Simon-Muscheid thematisiert in ihren Arbeiten immer wieder gewaltsam ausgetragene Ehrkonflikte zwischen Handwerkern. Simon-Muscheid stellte hierbei neben der auch von anderen Autoren festgestellten Ehrenpuzzeligkeit 3 der Handwerker die starke Verbindung zwischen ökonomischer Existenz und Ehrenhaftigkeit heraus. Dieser Konnex, so Simon-Muscheid, verlieh dem Ehrdiskurs in der Handwerkerschaft eine besondere Brisanz und machte gewaltsame Reaktionen auf verbale Ehrkränkungen nahezu zwangsläufig. 4 Es muss also nicht besonders betont werden, dass Ehre und gewaltsam ausgetragene Ehrkonflikte in der Handwerkerschaft eine wichtige Rolle spielten. Allerdings entsprachen die in der bisherigen Forschung beschriebenen Gewaltrituale der frühneuzeitlichen Handwerkerschaft keineswegs den ‚Ansprüchen’ eines Duells. Zumindest dann nicht, wenn man als Maßstab Ute Freverts Duelldefinition anlegt. Nach Frevert waren Duelle gerade unter den männlichen Angehörigen des Adels vorkommende verabredete, regelhafte mit tödlichen Waffen ausgefochtene Zweikämpfe, in denen es um die Wahrung der 1 Rudolf W ISSELL : Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, Bd. 2, Berlin 1974, S. 246. 2 Joachim E IBACH : Frankfurter Verhöre. Städtische Lebenswelten und Kriminalität im 18. Jahrhundert, Paderborn u. a. 2003, S. 253 u. 257. 3 Vgl. hierzu: Andreas G RIEßINGER : Das symbolische Kapital der Ehre. Streikbewegungen und kollektives Bewußtsein deutscher Handwerksgesellen im 18. Jahrhundert, Frankfurt a. M. u. a. 1981; so auch E IBACH : Frankfurter Verhöre (Anm. 2), S. 258. 4 Katharina S IMON -M USCHEID : Gewalt und Ehre im spätmittelalterlichen Handwerk am Beispiel Basels, in: Zeitschrift für historische Forschung 18 (1991), S. 1-31. 289 Meier Ehre ging. 5 Vor allem die Vorstellung einer ständisch begrenzten Teilhabe am Duell dürfte in den letzten Jahren den Blick auf die Duelle der sozialen Gruppe der Handwerkerschaft verdeckt haben. Und als typische Duellanten können dann auch Adlige, Militärs oder Studenten, später noch bildungsbürgerliche Schichten gelten. 6 Frevert führt hierzu aus, daß nur Angehörige des gleichen Standes, die die gleichen Ehrbegriffe teilten, miteinander um ihre Ehre ringen durften. [...] Daß sich Adlige mit Bauern oder Zunftmeistern duellierten, war folglich unvorstellbar. 7 Daraus folgt jedoch nicht, wie häufig irrtümlich angenommen, dass sich Handwerker unter ihresgleichen nicht duellieren konnten. Dass es offensichtlich zu Duellen unter Handwerkern kam, zeigt bereits der Titel des Aufsatzes und diesem besonderen Feld der Handwerkerduelle möchte ich mich im Folgenden zuwenden. Grundsätzlich ist vorab festzustellen, dass die Existenz von Handwerkerduellen zwar ohne Frage bemerkenswert ist, das Gros der Duellanten in den Akten aber doch von Adligen und Militärs gestellt wurde. Für Kursachsen finden sich nur eine Hand voll Handwerker unter den Duellanten. Es handelt sich bei Handwerkerduellen also keineswegs um ein Massenphänomen. Aber dennoch scheint es durchaus lohnend, anhand dieser Randerscheinung dem Wesen des Duells im Alten Reich ein Stück näher zu kommen. Ich gehe in zwei Schritten vor: Zunächst soll geklärt werden, in welcher Weise die betrachteten Gewalthandlungen als Duelle etikettiert und nach dem Duellmandat verhandelt wurden. Hierbei ist für die drei untersuchten Fallbeispiele jeweils zu fragen, ob die untersuchten Konflikte von den Handwerkern vielleicht bewusst als Duelle inszeniert wurden, um sich auf diese Weise ein anderes, fremdes Kulturgut zu eigen zu machen und so eine ständische Grenze zu überwinden. Hierfür ist herauszuarbeiten, wie die am Konflikt beteiligten Akteure und die gerichtlichen Institutionen den Begriff des Duells einsetzten bzw. das Duellmandat selbst nutzten. Im Anschluss daran soll in einem zweiten Schritt thesenartig der Frage nachgegangen werden, warum offenbar nur so wenige Handwerkerduelle stattgefunden haben, obwohl die Handwerker durch ihren sehr eng gefassten Ehrbegriff und die besondere Gewaltneigung gerade der Handwerksgesellen eigentlich prädestiniert dafür gewesen wären, sich zu duellieren und so ihre Ehre zu erhöhen bzw. aufrechtzuerhalten. Die geringe Fallzahl lässt dabei jedoch nur indirekte Schlüsse zu, die als Hypothesen zu verstehen sind. 2. Handwerkerduelle im Sächsischen Hauptstaatsarchiv Dresden Neben einer sehr umfangreichen Prozessakte zu einem Duell zwischen zwei Kürschnergesellen in Freiberg im Jahr 1673 8 stützt sich dieser Aufsatz auf die Überlieferungen zu 5 Ute F REVERT : [Art.] Duell, in: Enzyklopädie der Neuzeit, Bd. 2, Stuttgart/ Weimar 2005, Sp. 1165- 1168, hier Sp. 1165. 6 Vgl. ebd., Sp. 1165 f. 7 Ute F REVERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 23. 8 Sächsisches Hauptstaatsarchiv Dresden (künftig: SächsHStADresden), 13749, Nr. 97. 290 Handwerkerduelle im frühneuzeitlichen Kursachsen einer Ausforderung durch einen Barbiergesellen aus dem Jahr 1738 9 in Merseburg und einer Auseinandersetzung zwischen einem Schustergesellen und einem Studenten aus dem Jahr 1706 10 in Wittenberg. a. Wenzel Köhler vs. Martin Adelmann. Der Kampf zweier Kürschnergesellen in Freiberg Am 29. Dezember 1673 zeigten in Freiberg zwei Wundärzte beim Stadtgericht die Verletzung und Behandlung Martin Adelmanns an. Sie hatten diesem mehrere nicht lebensgefährliche Wunden in der Brust, am Arm und am Oberschenkel verbunden, die auf eine gewaltsame, mit Waffen geführte Auseinandersetzung hindeuteten. 11 Der Stadtrat nahm die Ermittlungen auf und verhaftete nach einiger Zeit die Handwerksgesellen Martin Adelmann und Wenzel Köhler unter dem Verdacht, ein verbotenes Duell ausgefochten zu haben. Die Vernehmung der beiden Kürschnergesellen und mehrerer Zeugen ergab, dass nach einer nächtlichen Sauftour tatsächlich ein mit den Degen ausgetragenes Duell vor der Stadt stattgefunden hatte, das schließlich von Samuel Reißengiebel, dem ‚Vater’ der Gesellenherberge, beendet worden war. Ausgangspunkt des Konfliktes war ein gemeinsames Trinkgelage. Die beiden Kürschnergesellen und mehrere Mitgesellen hatten sich in der Nacht vom 28. zum 29. Dezember 1673 bei dem Wirt Salomon Böhmann bis in die Morgenstunden betrunken. Sowohl Köhler als auch Adelmann hatten nach eigenen Aussagen Branntwein für einen Gulden zu sich genommen. Die beiden müssen zur Tatzeit sehr betrunken und übernächtigt gewesen sein, wenn man bedenkt, dass ein Gulden wohl den Tagesverdienst eines Kürschnergesellen deutlich überstieg. 12 Das Duell fand nach dieser durchtrunkenen und durchwachten Nacht morgens um 10 Uhr statt. Als Ursache wurde von allen Beteiligten gegenüber dem Gericht ein Streit zwischen den Gesellen angegeben. Adelmann, der wenige Tage vor dem Duell von seinem Meister entlassen worden war, wurde anfangs wegen dieses unangenehmen, höchstwahrscheinlich sogar die Existenz bedrohenden Ereignisses von seinen Mitgesellen aufgezogen. Irgendwann verlor er schließlich die Nerven und fragte Wenzel Köhler, was ihn denn sein Meister angänge. 13 Dieser entgegnete hierauf, dass dieser [also der Meister, A. M.] ihm den Hintersten schmücken könne. 14 Der verbal derart attackierte Adelmann wechselte nun radikal das Thema und warf Köhler vor, dass dieser ihm immer noch 9 SächsHStADresden, 10026, Loc. 1405/ 1. 10 SächsHStADresden, 10024, Loc. 9993/ 2. 11 SächsHStADresden, 13749, Nr. 97, Bl. 1 a. 12 Der Wochenverdienst eines Zimmermannsgesellen wird im Erzgebirgischen Kreis 1661 an Sommertagen mit 1 Gulden 3 Groschen und 6 Pfennige festgesetzt. Vgl.: Policey=Hochzeit=Kleider=Gesinde=Tagelöhner= und Handwercks=Ordnung [...] Anno 1661, in: Johann Christian L ÜNIG : Codex Augusteus, Oder Neuvermehrtes Corpus Juris Saxonici, Worinnen Die in dem Churfürstenthum Sachsen und dazu gehörigen Landen, auch denen Marggrafthümern Ober- und Nieder-Lausitz, publicirte und ergangene Constitutiones, Decisiones, Mandata und Verordnungen enthalten […], Bd. 1, Leipzig 1724, Sp. 1561- 1610, hier Sp. 1607 f. 13 SächsHStADresden, 13749, Nr. 97, Bl. 2 b. 14 Ebd. 291 Meier drei Gulden schulde und Köhler diese Schuld offenbar auch nicht begleichen wolle. Dies veranlasste Köhler wiederum dazu, Adelmann zu fordern. Hält man hier inne, so kann wohl ohne weiteres festgestellt werden, dass hier ein typisches Szenario eines Ehrkonfliktes vorliegt. Mit Simon Meier soll im Folgenden davon ausgegangen werden, dass die Wahrnehmung einer Äußerung durch den Beleidigten als Beleidigung konstitutiv für deren Charakter als Beleidigung und damit für die Ehrkränkung ist und nicht die Absicht beleidigen zu wollen. 15 Ausgehend von dieser Prämisse lässt sich der Interpretationsrahmen auf den Beleidigungsdialog als spezifische und in diesem Fall auch entscheidende kommunikative Situation einschränken. Das heißt in dem Dialog selbst kann der Wandel der Unterhaltung zwischen Köhler und Adelmann zu einer Beleidigung nachvollzogen werden. Eine Vorgeschichte ist zwar wahrscheinlich, für die Beleidigung aber nicht unmittelbar konstitutiv. 16 Die Kommunikation beim gemeinsamen Trinkgelage wurde erst zu einem Ehrkonflikt, als Adelmann auf die Sticheleien reagierte, die das Verhältnis zu seinem Meister betrafen. Das ‚angestellt Sein‘ und das damit assoziierte ‚tüchtige’ und daher ‚ehrliche’ Arbeiten in einem Meisterhaushalt war für die Zugehörigkeit zur Gruppe der Freiberger Kürschnergesellen entscheidend. Und gerade dieses ehrliche Arbeiten wurde durch das Erwähnen des gegebenen Abschiedes in Frage gestellt. Die Ehrkränkung, also die Missachtung des Achtungsanspruches von Adelmann, um in der Terminologie Simon Meiers zu bleiben, ist durch dessen Reaktion somit vollzogen. Aber nicht nur der frisch entlassene Adelmann war beleidigt, sondern auch sein Kontrahent Köhler, der ja zum Duell forderte. Das ‚beleidigt Sein‘ Köhlers erschließt sich aus seiner Reaktion auf das Infragestellen seiner Kreditwürdigkeit. Der von Adelmann erhobene Vorwurf, Köhler schulde ihm noch drei Gulden war durchaus schwerwiegend, wie einschlägige Forschungen zum Zusammenhang von Ehre und Ökonomie gezeigt haben. 17 Hier wird deutlich, dass alltägliche Handlungen und Situationen von der Handwerkerehre durchsetzt waren. 18 Das Abweichen des Gegenübers von diesen Regeln wurde als eine Missachtung der Handwerkerehre verstanden, die gewaltsame Reaktionen nach sich ziehen konnten. Der positive Bescheid beider Werte - der Kreditwürdigkeit und 15 Simon M EIER : Beleidigungen. Eine Untersuchung über Ehre und Ehrverletzungen in der Alltagskommunikation, Aachen 2007, bes. S. 50. 16 Vgl. ebd., S. 46. 17 So berichtet Helga Schultz in ihrer Beschreibung der Berliner Zünfte von einem Schlossermeister, der in Berlin aus seinem Gewerk verstoßen wurde, weil er in Mähren 14 Jahre zuvor eine offene Rechnung von 20 Talern nicht bezahlt hatte. Dieser Vorgang zeugt von dem reichsweiten Beziehungs- und Kommunikationsnetz der Handwerkerschaft, das durch die Wanderschaft der Gesellen aufrechterhalten wurde und dafür sorgte, dass unehrenhafte Attribute den Handwerker selbst bei einer Flucht in eine weit entfernte Stadt verfolgten und ihm dort die Aufnahme in die entsprechenden Organisationen verhindern konnte. Vgl. Helga S CHULTZ : Das ehrbare Handwerk. Zunftleben im alten Berlin zur Zeit des Absolutismus, Weimar 1993, S. 97 f. 18 So stellt Eibach fest: Zünfte und Gesellenschaften achteten peinlich genau auf das exakte Aufsagen des Grußes, korrekte Kleidung und Haartracht [und] die tradierte Abhaltung von Festen und Feiern. E IBACH : Frankfurter Verhöre (Anm. 2), S. 257. 292 Handwerkerduelle im frühneuzeitlichen Kursachsen der ehrlichen Arbeit bei einem Meister - war für die Aufrechterhaltung des Zugehörigkeitsanspruchs zur Gruppe der Handwerksgesellen konstitutiv. Indem sie in ihrem Streit diese Werte gegenseitig in Zweifel zogen, stellten sie zugleich die Gruppenzugehörigkeit des jeweils anderen in Frage. Betrachtet man den Konflikt insgesamt, so wird mit der schließlich ausgesprochenen Forderung zu Kampf und deren Annahme das Kriterium der Verabredung erfüllt, das Ute Frevert in ihrer Duelldefinition aufgestellt hat. Die beiden Gesellen nutzten mit ihren Degen auch tödliche Waffen und ein gewisses Maß an Regelhaftigkeit des Konfliktverlaufs lässt sich aus der Prozessakte ebenfalls erschließen: So heißt es hier, dass sich Adelmann nach der Forderung im Wirtshaus zunächst in die Herberge begeben hatte, um sich zu bewaffnen. Über die Wahl der Waffen bestand jedoch Uneinigkeit, so dass Köhler mit dem Stoßdegen, den er schon zuvor bei sich hatte, und Adelmann mit dem von ihm bevorzugten Haudegen focht. Das ritualisierte Kämpfen schien beiden Gesellen bekannt. Zumindest erklärte Köhler in seiner Aussage dergleichen hatten [wir] uf der herbrige öffters [...] getrieben. 19 Wer von beiden den ersten Streich (bzw. Stoß) gesetzt hatte, war Gegenstand gegenseitiger Beschuldigungen. Bleibt zu klären, inwieweit die beteiligten Akteure und Institutionen das Handeln der Handwerker als Duell begriffen. Die gerichtlichen Instanzen gingen bei dem Gewaltakt offenbar von einem Duell aus. Dies zeigt vor allem das Urteil der Leipziger Schöffen, in dem beiden eine Strafe nach dem Duellmandat von 1670 zuerkannt wurde. Bei der Urteilsverkündung wurden die beiden Kürschnergesellen dementsprechend vor die Wahl gestellt, entweder 500 Gulden Strafe zu zahlen oder ein Jahr Haft bei Wasser und Brot anzutreten. Beide mussten sich wohl aus finanziellen Gründen nach zwei Tagen eingeräumter Bedenkzeit für die Gefängnisstrafe entscheiden. 20 Die Haft traten sie dann zunächst auch an. Allerdings wurden beide nach etwa einem halben Jahr schließlich Gnaden halber aus dem Gefängnis entlassen, wie ein von den Beteiligten geschworener Urfrieden dokumentiert. 21 Ob diese vorzeitige Haftentlassung durch die Gesellen selbst bzw. durch Dritte erbeten wurde oder Teil der Strafroutine war, ist nicht auszumachen - zumindest fehlen entsprechende Suppliken in der Akte. Im Unterschied zu den Gerichten bezeichneten die Konfliktgegner ihr Agieren in den gerichtlich verzeichneten Aussagen nicht aktiv als Duell. Allerdings bestritten sie dies auch nicht. Immerhin berufen sich beide in der Vernehmung auf die Unkenntnis des 19 SächsHStADresden, 13749, Nr. 97, Bl. 6 a. 20 Im Urteil heißt es: so werden beyde Inquisiten nach inhalt der am 5. Octobris Ao. 1670. publicirten Chur= fürstl. gnädigsten Mandats, undt zwar ieder absonderlich umb fünffhundert thaler hoch oder Ein Jahr lang mit gefängniß über der Erden, darinne Sie mit Waßer undt broth zu speisen, bestraffet […]. SächsHStA Dresden, 13749, Nr. 97, Bl. 13 b, 14 a. Im Mandat heißt es hierzu: So ist beydes der Ausforderer, als auch der Ausgeforderte, wann gleich keine Verwunderung vorgangen, iedweder mit 500. Thalern oder 1. Jahr Gefängnüß, so über der Erden, darinnen er mit Wasser und Brodt zu speisen, zu bestraffen. Vgl. Wiederholtes Mandat […] darinnen das unchristliche Injuriren, Duelliren […] nochmals verboten […] den 5. Octobr. Anno 1670, in: L ÜNIG : Codex Augusteus (Anm. 12), Sp. 1633-1638, hier Sp. 1635. 21 SächsHStADresden, 13749, Nr. 97, Bl. 15 a, b. 293 Meier Duellmandates. 22 Die Behauptung, gerade die Norm nicht zu kennen, die man mit seinem Handeln übertreten hat, kann dabei als klassisches Argument gelten, um einer Bestrafung zu entgehen. 23 Das Selbstverständnis sich nicht duellieren zu können, ist darin aber wohl kaum zu sehen, zumal keiner von beiden damit argumentiert, dass es sich nicht um ein Duell gehandelt hätte. Das Fehlen dieser Argumentationslinie überrascht, da das Duell mit deutlich härteren Sanktionsdrohungen versehen war als die ‚altbekannten’ Gewaltdelikte. So wären beide im Fall einer Zuordnung ihres Handelns zum Deliktfeld der Realinjurie nach den Kursächsischen Konstitutionen mit einer geringeren Strafe davongekommen. 24 Damit zeigt dieser Fall zweierlei. Zum einen dass es im frühneuzeitlichen Kursachsen Handwerkerduelle gab und zum anderen, dass diese offenbar auch von den Zeitgenossen ganz selbstverständlich als Duelle verstanden und nach dem Duellmandat bestraft wurden. b. Der Barbiergeselle Leune aus Merseburg. Die blanke Klinge und ihre Folgen Etwa siebzig Jahre später, im Dezember 1740, befasste sich der Geheime Rat in Dresden mit dem Fall des Barbiergesellen Leune aus Merseburg. Dieser sollte wegen einer Ausforderung des Feldscherers Rabe zum Duell zu einer achtjährigen Festungsbaustrafe verurteilt werden. 25 Was war geschehen? Der 17-jährige Geselle hatte sich im betrunkenen Zustand, höchstwahrscheinlich bei einem Fest im Schießhaus, von dem Militärangehörigen Rabe als Hundsfott beschimpfen lassen müssen, weil er dessen scherzhafte Einladung zum Tanz abgelehnt hatte. Der Barbiergeselle nahm den Feldscher daraufhin bei der Hand, führte ihn hinaus und zog vor ihm die Klinge blank. Dieser ging jedoch nicht auf dieses Angebot zum Kampf ein und zeigte Leune stattdessen beim Stadtgericht in Merseburg an. Und das Stadtgericht eröffnete auch prompt ein Verfahren gegen den Gesellen. 22 Vgl. SächsHStADresden, 13749, Nr. 97, Bl. 6 b u. 9 b. 23 Vgl. dazu: Ulrike L UDWIG : Das Herz der Justitia. Gestaltungspotentiale territorialer Herrschaft in der Strafrechts- und Gnadenpraxis am Beispiel Kursachsens 1548-1648, Konstanz 2008, S. 191 f. 24 Vgl. hierzu: SächsHStADresden, 13756, Nr. 492 (1630). In diesem Fall einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen zwei Handwerkern ähnlichen Ausmaßes hatte sich der Vater des Beschädigten lange vergebens um einen Inquisitionsprozess bemüht. Zu den Strafzumessungen bei Injurien vgl. die Strafzumessung in den Kursächsische Konstitutionen: Churfürst Augusti Verordnungen und Constitutiones, Pars Quarta: Criminalia, Art. XLII. Vom Injuriren, in: L ÜNIG : Codex Augusteus (Anm. 12), Sp. 73-132, hier Sp. 129. Darüber aber, und darneben, soll auch solcher muthwilliger Schänder und Injurant willkührlich mit einer hohen Geld=Busse, mit Gefängnis, oder mit zeitlicher Verweisunge gestraffet, oder auch, nach Gelegenheit der Person, der Zeit oder Oerter, und andere Umstände, mit Staupenschlägen, des Landes ewig verwiesen werden [...] willkührliche Straffe in Unsern Schöppenstühlen erkandt werden soll. Nur der öffentliche Widerruf bei einer Verbalinjurie war obligatorisch. 25 Sein Vater bat im Laufe des Verfahrens um Abolition, die anschließend auch erteilt wurde. So musste Leune schließlich ‚nur‘ ein Jahr im Gefängnis und nicht acht Jahre beim Festungsbau zubringen. Vgl. SächsHStADresden, 10026, Loc. 1405/ 1, Bl. 212 a. 294 Handwerkerduelle im frühneuzeitlichen Kursachsen Die zunächst drohende Bestrafung Leunes zu acht Jahren Festungsbau hätte dabei den Anforderungen des verschärften Duellmandates von 1712 entsprochen. 26 Die schließlich gewährte Milderung der Strafe zu einem Jahr Gefängnishaft, hier durch das Bitten des Vaters bewirkt, wurde mit dem jungen Alter, der Trunkenheit und dem beruflichen Weiterkommen Leunes begründet, das durch ein zu langes Wegsperren unmöglich geworden wäre. Ferner wurde ihm auch zugutegehalten, dass niemand verletzt worden war. 27 Auch im Fall des Barbiergesellen Leune wurde wie schon bei den beiden Freiberger Gesellen nicht diskutiert, ob das Duellmandat überhaupt für Handwerker und Handwerksgesellen zutreffe. Offenbar warf die Bezeichnung des Verhaltens als Duell auch hier für die Zeitgenossen keine Fragen auf. Vielmehr fanden die Duellgesetze ganz selbstverständlich Anwendung und die Beteiligten gingen problemlos davon aus, dass es sich um ein Duell handelte und die Handwerker auch ein solches führen konnten. In beiden bisher untersuchten Fällen basiert die Bezeichnung des Geschehens als Duell aber in erster Linie auf entsprechenden Zuschreibungen der zuständigen Gerichte und Urteilsgremien bzw. der Landesregierung. Die Selbstzuschreibung der Duellanten ist hingegen nur schwer auszumachen. Die Akten lassen hier nur indirekte Schlüsse zu. Grundsätzlich lässt sich also nicht feststellen, dass die Gesellen versuchten, die Gewaltakte - womöglich gar gegen konkurrierende Deutungen - gezielt als Duell umzudeuten. Damit lassen sich die Handwerkerduelle aber auch kaum als Distinktionsstrategie deuten. c. Der Schustergeselle Schirmeister und seine Kenntnis vom Duellmandat Ein dritter Fall etwas anderer Art trug sich schließlich in Wittenberg im Jahr 1706 zu. Der Student Johann Reichert und der Schustergeselle Schirmeister waren der Aktenlage nach in Zänkerrey 28 geraten. Ein Wort gab das andere und der Konflikt schien zunächst auf eine tätliche Auseinandersetzung hinauszulaufen. Auf jeden Fall fühlte sich der Schustergeselle Schirmeister, wie er später vor Gericht erklärte, durch die beleidigenden Äußerungen Reicherts verletzt. Allerdings attackierte der Schustergeselle den Studenten nun nicht seinerseits, sondern verwies stattdessen auf das im April 1706 ergangene Duellmandat, durch das er sich gegen die Verbalinjurie geschützt fühlte. Schirmeister drohte dem Studenten damit, ihn anzuzeigen. Diese Drohung beeindruckte offenbar nicht, denn Reichert entgegnete ihm: Ey, was Mandat, Mandat. 29 Doch genau dieser geringschätzige Hinweis sollte Reichert zum Verhängnis werden. Denn diese Bemerkung über das Duellmandat nahm der Geselle zum Anlass, den Studenten beim Stadtgericht anzuzeigen. Stützen konnte er seine Klage auf einen Passus im 26 Vgl. Erneuert und geschärfftes anderweit eröffnetes Mandat Wider die Selbst-Rache, Injurien, Friedens- Stöhrungen und Duelle, den 2. Julii, Anno 1712, in: L ÜNIG : Codex Augusteus (Anm. 12), Sp. 1785- 1804. 27 Vgl. SächsHStADresden, 10026, Loc. 1405/ 1, Bl. 212 b. Dies waren durchaus typische Argumentationen für eine Begnadigung. Vgl. dazu: L UDWIG : Herz der Justitia (Anm. 23), S. 182-205 u. 262-268. 28 SächsHStADresden, 10024, Loc. 9993/ 2, Bl. 2 a. 29 Ebd., Bl. 2 b. 295 Meier Gesetz, in dem es abschließend hieß, dass die, so sich unterstehen, über dieses Unser Mandat zu critisiren, oder auch […] spöttlich zu reden, mit ernstlichen Straffen anzusehen und [zu] belegen [...]seien. 30 Schirmeisters Anzeige beim Stadtgericht in Wittenberg hatte für Reichert schwerwiegende Folgen. Er wurde von der Universitätsleitung in Haft genommen und das Stadtgericht eröffnete schließlich ein Verfahren. Nach einem landesherrlichen Befehl sollte Reichert schließlich nach Abschluss eines formalen Verfahrens zu vier Wochen Gefängnis verurteilt werden. 31 Der Fall zeigt, dass Handwerksgesellen nicht nur Duelle austrugen, sondern auch ihr Wissen über die Duellmandate nutzten, um es im Konfliktfall für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Die Aussage Schirmeisters wurde zudem von einem ebenfalls anwesenden Barbiergesellen bestätigt, 32 so dass von einer Solidarisierung innerhalb der Handwerkerschaft gegen den Studenten auszugehen ist. Auch in diesem Fall ist keine ‚distinktive Absicht’ erkennbar: Die Instrumentalisierung der Norm erfolgte zum Zweck der Besserstellung im konkreten Konfliktfall und nicht mit der Motivation, ein bestimmtes Verhalten zu adaptieren. Vielmehr bestätigt das Beispiel, dass die Handwerkerschaft Duell und Duellmandat kannten. Wobei dieses Wissen im angezeigten Fall im Sinne einer strategischen Justiznutzung zum Einsatz kam. 33 Wenngleich der Handwerksgeselle in seiner Annahme, dass er schon bei einer gegen ihn gerichteten Beleidigung durch das Duellmandat geschützt werde, fehl ging, so ist ihm doch immerhin geläufig, dass er die verächtliche Bemerkung des Studenten wirkungsvoll für seine Sache nutzen konnte. Und sein Erfolg gab ihm hier durchaus Recht. Wenngleich zu berücksichtigen ist, dass die große zeitliche Nähe zum Zeitpunkt des Erlasses (zwischen der Veröffentlichung des Mandates und dem Delikt waren circa zwei Monate vergangen) sich in diesem Fall als besonders ungünstig für den Studenten erweisen sollte. Denn wie aus der Forschung hinlänglich bekannt ist, wurde seitens der Gerichte unmittelbar nach dem Erlass von Normen verstärkt auf deren Einhaltung geachtet. 34 3. Die Handwerkerduelle als ein Randphänomen der Duellgeschichte in der Frühen Neuzeit Angesichts der großen Selbstverständlichkeit, mit der die zeitgenössischen Protagonisten Handwerkerduellen begegneten, stellt sich allerdings die Frage, wieso Duelle unter 30 Mandat wider die Selbst-Rache, Friedens-Stöhrungen und Duellen, den 15. April 1706, in: L ÜNIG : Codex Augusteus (Anm. 12), Sp. 1731-1744, hier Art. 53, Sp. 1744. 31 SächsHStADresden, 10024, Loc. 9993/ 2, Bl. 1 a. 32 Vgl. ebd., Bl. 2 a. 33 Zur Justiznutzung: Martin D INGES : Justiznutzung als soziale Kontrolle in der Frühen Neuzeit, in: Andreas B LAUERT / Gerd S CHWERHOFF (Hg.): Kriminalitätsgeschichte. Beiträge zur Sozial- und Kulturgeschichte der Vormoderne, Konstanz 2000, S. 503-544; DERS .: Frühneuzeitliche Justiz. Justizphantasien und Justiznutzung am Beispiel von Klagen bei der Pariser Polizei im 18. Jahrhundert, in: Heinz M OHN - HAUPT / Dieter S IMON (Hg.): Vorträge zur Justizforschung, Bd. 1, Frankfurt 1992, 269-292. 34 Vgl. hierzu u. a.: Karl H ÄRTER : Policey und Strafjustiz in Kurmainz. Gesetzgebung, Normdurchsetzung und Sozialkontrolle im frühneuzeitlichen Territorialstaat, Frankfurt a. M. 2005, Bd. 1, S. 236. 296 Handwerkerduelle im frühneuzeitlichen Kursachsen Handwerkern dennoch nur selten vorkamen. Dass dies kaum mit einem fehlenden Ehrverständnis oder einem besonders friedfertigen Gebaren unter Handwerkern und Handwerksgesellen erklärt werden kann, wurde bereits eingangs erwähnt. Wenn es aber Mittel und Gelegenheit zum Duellieren gab und auch die Fähigkeit der Handwerker sich zu duellieren nicht in Abrede gestellt wurde, fragt sich, wie die fehlenden Duelle dann zu erklären sind. Hierbei stellt sich ganz grundsätzlich ein methodisches Problem: Denn von fehlenden Quellen kann letztlich nur bedingt auf das Fehlen von Handlungen geschlossen werden. Die folgenden Aussagen argumentieren daher auf der Basis von Plausibilitäten, die zusammengefasst als Thesen zur Diskussion gestellt werden sollen. Eine der Hauptaussagen des bisher Ausgeführten ist die Tatsache, dass das Verhalten der Duellanten in keinem der genannten Fälle als eine gezielte Übernahme bestimmter Verhaltensmuster anderer sozialer Gruppen zu verstehen ist. Vielmehr wirkt die Zuschreibung in allen Fällen völlig selbstverständlich. Umso verwunderlicher ist die geringe Fallzahl. Dass die hohe soziale Kontrolle in der Handwerkerschaft, besonders bei Handwerksgesellen, eine Rolle bei der Konflikteinhegung gespielt hat, lässt sich schwer belegen. Normative Quellen beschreiben ein sehr stark geregeltes Leben der Handwerksgesellen. Frank Schulze skizziert die Situation in Freiberg im späten Mittelalter auf der Grundlage der entsprechenden Ordnungen als extrem reglementiert. Die wandernden Gesellen, die in die Stadt kamen, wurden in fast allen Gewerken einem Herbergsvater zugewiesen, der zumeist selbst Meister in der entsprechenden Zunft war. Dieser trug die Verantwortung für das Verhalten der Gesellen. 35 Im Fall des Kampfes zwischen Martin Adelmann und Wenzel Köhler war es dann auch der Herbergsvater Samuel Reißengiebel, der die Autorität hatte, den Kampf der betrunkenen Gesellen trotz deren Aufgebrachtheit zu beenden. Die Ordnungen der meist reichsweit agierenden Gesellenverbände 36 verboten jegliche Form von Gewalt und Zänkerei. Das derartige Verbote Gewalt nicht verhinderten sondern sie in erster Linie als deviant definierten und sanktionierten, ist in der Kriminalitätsforschung der letzten Jahre hinlänglich herausgearbeitet worden. 37 Es kann daher nicht überzeugen, wenn man die wenigen Duelle unter Handwerkern mit den eng gefassten handwerksinternen Normen zu erklären sucht. Ein möglicher Erklärungsansatz für die geringe Häufigkeit der Duelle unter Handwerkern scheint mir hingegen in der Bedeutung alternativer Gewaltrituale zu liegen, die offenbar sowohl dem affektiven Gewaltbedürfnis als auch dem sozialen Erwartungsbild 35 Vgl. Frank S CHULZE : Die Handwerksorganisationen in Freiberg i. Sa. bis zum Ende des 16. Jahrhunderts, Freiberg i. Sa. 1920, S. 86. 36 Vgl. Arndt K LUGE : Die Zünfte, Stuttgart 2007, S. 82; Schultz: Ehrbares Handwerk (Anm. 17): S. 94 f. 37 Exemplarisch sei hier nur verwiesen auf: Andreas W ÜRGLER : Diffamierung und Kriminalisierung von „Devianz“ in frühneuzeitlichen Konflikten. Für einen Dialog zwischen Protestforschung und Kriminalitätsgeschichte, in: Mark H ÄBERLEIN (Hg.): Devianz, Widerstand und Herrschaftspraxis in der Vormoderne. Studien zu Konflikten im südwestdeutschen Raum (15.-18. Jahrhundert), Konstanz 1999, S. 317- 347; Ulrich A NDERMANN : Kriminalisierung und Bekämpfung ritterlicher Gewalt am Beispiel norddeutscher Hansestädte, in: Kurt A NDERMANN (Hg.): „Raubritter“ oder „Rechtschaffene vom Adel“? Aspekte von Politik, Friede und Recht im späten Mittelalter, Sigmaringen 1997, S. 151-166. 297 Meier in Situationen der Ehrkränkung besser oder doch eher gerecht wurden als Duelle. Die Palette der zur Verfügung stehenden Rituale zum Austrag von Ehrkonflikten in der Handwerkerschaft war groß. Dies belegen einschlägige Arbeiten zum Gewaltverhalten der Handwerker eindrücklich. Joachim Eibach betont die überproportionale Präsenz der Handwerkergewalt im öffentlichen Raum. Dabei verweist er für das frühneuzeitliche Frankfurt vor allem auf kollektive Gewaltakte von Handwerksgesellen: Für derartige Konfrontationen waren vor allem Sonn- und Feiertage prädestiniert, wenn die Gesellen arbeitsfrei hatten und gruppenweise in die Wirtshäuser der Dörfer oder zu Schankplätzen vor den Stadttoren zogen. 38 Die hohe soziale Integration der Handwerksgesellen über die Zunft, den Meisterhaushalt und die Gesellenbruderschaft bedingte eine Kollektivierung individueller Konflikte. Diese Gruppenauseinandersetzungen fanden nicht nur zwischen den Gesellen verschiedener Berufe statt, sondern erstreckten sich auch auf Konfrontationen mit anderen Gruppen, etwa Studenten oder Militärangehörige. Sowohl in Studentenals auch in Handwerkerkreisen war durch die Verletzung der Ehre des einzelnen gleichzeitig die Gruppenehre tangiert. Schon aus diesem Sachverhalt erklärt sich die häufige Eskalation individueller Konflikte in Massenschlägereien und -gefechte. 39 So konnte sich ein kleiner Streit durchaus zum Tumult entwickeln, der Obrigkeit und Bürgerschaft in Angst um den Stadtfrieden versetzte. 40 Gewalttätige Auseinandersetzungen unter Handwerkern konnten dabei durchaus die Form eines Rituals annehmen. 41 So wurde etwa das potentielle Opfer mit bestimmten Redewendungen und Gesten aus seinem Haus gefordert. Man schmähte, verspottet und verletzte einander nach eingespielten Regeln. Bei fast allen gewaltsamen Begegnungen im öffentlichen Raum ist eine Abfolge von verbalen Attacken, Gesten gegen den Körper und schließlich physischen Verletzung auszumachen, die in ihrer Eskalation von den Beteiligten als Ritual wahrgenommen wurden. 42 Hintergrund derartiger Gewalttaten war dabei neben konkreten Konflikten wohl mitunter auch die schlichte Lust am Kämpfen und am sich Messen. Im Fall von Ehrkonflikten standen also bereits eingespielte und von der ‚Peergroup’ akzeptierte Formen ritualisierter Gewalt zur Verfügung. Die gezielte Übernahme eines Rituals einer anderen Gruppe schien vor diesem Hintergrund wenig attraktiv. Und der Gedankengang, dass sich über ein solches Verhalten ein gesellschaftlicher Aufstieg ermöglichte, war den frühneuzeitlichen Handwerkern offenbar eher fremd. 4. Zusammenfassung Zusammenfassend kann damit konstatiert werden, dass es zwar Handwerkerduelle gab. Im gleichen Atemzug ist aber darauf zu verweisen, dass gewaltsam ausgetragene Ehrkonflikte in der Handwerkerschaft - die durchaus häufig anzutreffen waren - nur im Aus- 38 Vgl. E IBACH : Frankfurter Verhöre (Anm. 2), S. 253. 39 Barbara K RUG -R ICHTER : „Du Bacchant, quid est Grammatica? “ Konflikte zwischen Studenten und Bürgern in Freiburg/ Br. in der Frühen Neuzeit, in: DIES ./ Ruth E. M OHRMANN (Hg.): Praktiken des Konfliktaustrages in der Frühen Neuzeit, Münster 2004, S. 79-104, hier S. 83. 40 Mit Beispielen etwa: S IMON -M USCHEID : Gewalt und Ehre (Anm. 4), S. 15. 41 Vgl. ebd., S. 14. 42 Vgl. hier: E IBACH : Frankfurter Verhöre (Anm. 2), S. 237. 298 Handwerkerduelle im frühneuzeitlichen Kursachsen nahmefall in Form eines Duells ausgetragen wurden. Die Frage, ob Handwerksgesellen das Duell als Ritual einer sozial höher stehenden Gruppe, etwa Angehörigen des Militärs oder Adligen, wahrnahmen und gezielt nachahmten, um über dieses Handeln einen sozialen Aufstieg zu markieren bzw. in ihrer Selbstdarstellung zu ermöglichen, muss in Anbetracht der Quellen verneint werden. Die in den Quellen dokumentierten Gewaltdelikte wurden von den Protagonisten keineswegs als außergewöhnlich wahrgenommen. Wobei die Handwerksgesellen selbst ihr Handeln bemerkenswerterweise weder als Duell stilisierten noch genau dies abstritten. Eine entsprechende Etikettierung des Handelns als Duell erfolgte vielmehr in erster Linie durch die zuständigen gerichtlichen Instanzen. Handwerkerduelle - so meine abschließende These - können damit als mehr oder weniger zufällige Produkte gerichtlichen Handelns angesehen werden. Dass die Handwerksgesellen in diesen drei Fällen darauf zurückgriffen, wurde von den Gerichten und den Zuschauern zugleich als legitim und möglich akzeptiert, gerade weil mit dieser Nutzung kein Distinktionsanspruch verbunden war. 299 Marian Füssel Ständisch-korporative Duellkulturen - Ein Kommentar In der ständischen Gesellschaft des Alten Reiches spielten gewaltsame Ehrenhändel in Form von Duellen eine zentrale Rolle, wenn auch das klassische Duell hier etwas zeitverzögert auftrat. Vor allem in Prozessen des Kulturtransfers aus dem südalpinen und französischen Raum verbreiteten sich diese Formen agonaler Kommunikation am Übergang vom 16. zum 17. Jahrhundert auch in den Territorien des Reiches. Aber nicht nur der zeitliche Rahmen der Duellrezeption hat im Reich spezifische historische Konturen, sondern auch der soziale Radius der Duellpraxis. Bereits kulturgeschichtliche Darstellungen des 19. Jahrhunderts registrierten den ‚trickle down’-Effekt bzw. die soziale ‚Kontaminationswirkung‘ des Duells jenseits der Sphäre des Adels. 1 In der kleinteiligen deutschen Territorienlandschaft ergaben sich vor allem in den Städten spezifische korporative Konkurrenzverhältnisse, die je nach Städtetyp unterschiedlich gelagert sein konnten. Das Handwerk war in jeder Stadt anzutreffen, in Garnisonsstädten kam ein besonders hoher Militäranteil hinzu und in den Universitätsstädten eine mitunter anteilig recht große Anzahl akademischer Bürger, vor allem Studenten. In einigen Städten, wie u. a. Ingolstadt, Halle oder Göttingen gab es eine Garnison und eine Hochschule zugleich, was zu einem fortwährenden Quell von Konflikten wurde. 2 Das Mit- und Gegeneinander unterschiedlicher ständisch-korporativer Ehrgemeinschaften war als solche keine Eigenheit des Alten Reiches - auch in anderen europäischen Ländern zählten Handwerker, Soldaten und Studenten zu Akteuren in Ehrkonflikten 3 - aber die territoriale Zerklüftung schuf beispielsweise eine europaweit einzigartige Dichte an Universitäten. Ein Faktor, der zum Teil erklärt, warum gerade im deutschsprachigen Raum die Kultur des Duells bis in das 20. Jahrhundert stets so eng 1 Böse Beispiele verderben gute Sitten; das Exempel der höheren Stände wirkte natürlich auf die unteren Classen. […] Aehnlich fand sich nun auch mancher Bürgerssohn von der herrschenden Duellwuth angesteckt; und was er nachahmte, das pflanzte sich auch in den geringeren Ständen fort. Was fremde Edelleute ungescheut hier thun durften, sollte das den freien Bürgern Hamburgs nicht ebenfalls gestattet sein? Und obgleich zweifelsohne ihre Nachahmungen der cavaliermäßigen Sitten etwas spießbürgerlich ausgefallen sein mögen, so breiteten sei doch das Uebel immer weiter aus […]. Otto B ENEKE : Duell-Geschichten, in: DERS .: Hamburgische Geschichten und Denkwürdigkeiten, zum Theil nach ungedruckten Quellen, Hamburg 1852, S. 215- 226, hier S. 218. 2 Vgl. Siegfried H OFMANN : Unbehagen an Ingolstadt - die Klagen der Universität über die Stadt um die Mitte des 18. Jahrhunderts, in: Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt 99 (1990), S. 203-249; Ute F AHRIG : „er hätte eben nicht über die Soldaten zu klagen, dass sie ihm malefiziret häten“ - brandenburg-preußisches Militär in Halle, in: Werner F REITAG / Andreas R ANFT (Hg.): Geschichte der Stadt Halle, Bd. 1, Halle 2006, S. 430-446; Stefan B RÜDERMANN : Göttinger Studenten und akademische Gerichtsbarkeit im 18. Jahrhundert, Göttingen 1990, S. 277-297. 3 Vgl. etwa zu Handwerkern in Irland: James K ELLY : „That Damn’d Thing Called Honour“. Duelling in Ireland 1570-1860, Cork 1995. In England diffundierte das Duell jenseits des Adels vor allem in die Kreise des Militärs, in geringerem Umfang auch in Aufsteigermilieus von Juristen und Medizinern, vgl. Stephen B ANKS : A Polite Exchange of Bullets. The Duel and the English Gentleman 1750-1850, Woodbridge 2010, S. 63-94. 301 Füssel mit der Studentenkultur verknüpft war. 4 Die Beiträge dieser Sektion widmen sich daher der Duellpraxis dreier zentraler ständischer Gruppen der frühneuzeitlichen Gesellschaft: dem Militär, dem Handwerk und den Studenten. Maren Lorenz zeigt an Formen innermilitärischer Zweikämpfe wie eine Institution, deren Hauptgeschäft die Gewalt ist, mit der Regulierung interner Gewaltpraktiken umging. Hierbei traten die deutlichen internen Hierarchiegrenzen des Militärs zu Tage, die sich bereits in der Terminologie artikulierten: Konflikte unter Offizieren wurden anders geahndet als die unter Gemeinen. Begrifflich konstatiert Lorenz eine semantische Gemengelage von ‚Duell’, ‚Schlägerei’, ‚Balgerei’ und ‚Händel’. Die distinkte Behandlung eines förmlichen Duells scheint es in den deutschen Territorien unter schwedischer Herrschaft bis 1700 nicht gegeben zu haben. Ebenso wenig differenziert wie die Terminologie stellt sich die soziale Praxis dar. Kein ausgeklügeltes regelgeleitetes Ehrspiel, sondern spontane Eruptionen von Gewalt bestimmten die behandelten Konflikte. Anlässe für gewaltsame Streitereien gab es im in Norddeutschland stationierten schwedischen Militär genug: Lust am Kampf, Frust über Armut und Hunger, Sozialneid, verlorene Glücksspiele, bei denen recht schnell ein Betrugsversuch unterstellt wurde, ein falscher Blick, ein zu zögerliches oder gar ablehnendes Zutrinken - all dies konnte bereits genügen um einem Kameraden an die Gurgel zu gehen. 5 Lorenz betont dabei die situative Logik der Gewalt, die kaum Rückschlüsse auf soziale Hintergründe wie Gruppenzugehörigkeit, Herkunft oder ständisches Milieu zulasse. Die innermilitärischen Hierarchien zwischen Offizieren und Unteroffizieren wurden jedoch selten oder nie in Zweikämpfen überschritten, wenn es doch zu Konflikten kam, versuchte man dies seitens der Offiziere als vertikale Strafaktion und nicht als Kampf gleichrangiger Akteure zu deuten. 6 Die Sanktionspraxis innerhalb der Armee war vergleichsweise hart, mehrfaches Gassenlaufen eine häufig verhängte Strafe. Selten oder nie wurden Duelle jedoch mit dem Tod bestraft, obwohl ein Verletzen des Gegners für Adel und höhere Militärs formell mit der Enthauptung bewehrt war. 7 Ein Vorgehen, das innerhalb eines auf die Aufrechterhaltung der Kampfkraft der Truppe ausgerichteten Systems dysfunktional gewesen wäre, so dass in der Praxis mit unterschiedlichem Maß gemessen wurde. Insgesamt kann laut Lorenz kaum von einer standesspezifischen militärischen Zweikampfpraxis gesprochen werden, waren die Konflikte vielmehr ebenso arbiträrer wie ubiquitärer Art. Dennoch stellt sich die Frage, ob die vorhanden Elemente der Gewaltpraktiken nicht doch eine deutliche ständische Prägung aufweisen. Militärs hatten einen besonders privilegierten Zugang zu Waffen und waren in deren Gebrauch geübt, Militärs unterstanden einer eigenen Gerichtsbarkeit und waren von einer stets latenten Konfliktbereit- 4 Kevin M C A LEER : Dueling. The Cult of Honor in fin-de-siècle Germany, Princeton NJ 1994, S. 119- 158; Ute F REVERT : Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft, München 1991, S. 133- 177. 5 Maren L ORENZ : Das Rad der Gewalt. Militär und Zivilbevölkerung in Norddeutschland nach dem Dreißigjährigen Krieg (1650-1700), Köln/ Weimar/ Wien 2007, S. 228. 6 Ebd., S. 229. 7 Ebd., S. 221. 302 Ständisch-korporative Duellkulturen - Ein Kommentar schaft geprägt. Dergestalt eine berufsständische Imprägnierung von Gewalthandeln zu konstatieren, heißt nicht, dass einzelne Faktoren und Mechanismen nicht auch in anderen ständischen Sozialformationen anzutreffen waren. Von ‚der’ militärischen Gewaltkultur zu sprechen, würde jedoch den sozialen Realitäten nicht gerecht werden, da das Militär der stehengebliebenen Heere (J. Burckhardt) sich in Gestalt von Offizieren und Gemeinen im Grunde aus zwei recht distinkten sozialen Feldern zusammensetze. 8 Die Offiziere gegnerischer Armeen verband im 18. Jahrhundert in der Regel mehr als Offiziere und Gemeine in der gleichen Truppe. Die von Lorenz behandelte schwedische Armee befand sich in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts erst auf dem Weg zu einer solchen sozialen ‚Zwei-Reiche‘-Welt. Die mangelnde begriffliche Differenzierung kann insofern auch als Ausdruck einer Formationsphase von militärischen Binnendifferenzen gelesen werden, die ihre scharfen symbolischen Grenzen erst neu etablierten. Auch Gundula Gahlen hat sich am Beispiel Bayerns mit militärischen Duellen auseinandergesetzt. 9 Ähnlich wie in den Beispielen aus dem 17. Jahrhundert treten hier Züge einer spezifisch militärischen Gewaltrationalität zu Tage: So unter anderem eine besondere berufsbedingte Gewaltaffinität, Langeweile und Frustration ebenso wie interne soziale Hierarchien als Auslösemomente sowie eine relativ nachsichtige Sanktionspraxis. 10 Die rechtlichen Rahmenbedingungen dieser Konflikte beginnen sich im 19. Jahrhundert jedoch immer rascher zu verändern. 11 Neu hinzu kommt die paradoxe Logik der Verrechtlichung, etwa in Ehrengerichten, die zum Teil eher Duelle befördernde als deeskalierende Wirkung hatten. Unter den standesübergreifenden Duellen sind offenbar besonders Konflikte mit Studenten zu verzeichnen, die zu diesem Zeitpunkt bereits auf eine jahrhundertealte Zweikampftradition zurückblicken können. Im Vergleich zwischen erster und zweiter Jahrhunderthälfte sowie zwischen Bayern und Preußen ergibt sich ein deutlicher Rückgang der Duellfrequenz, der vor allem mit einer sozialen Homogenisierung des Offizierskorps sowie einem gesamtgesellschaftlichen Akzeptanzverlust der Duellpraxis erklärt wird. Andreas Meier hat am kursächsischen Beispiel herausgearbeitet, dass das klassische Duell in Handwerkerkreisen relativ selten zum Austrag von Ehrkonflikten genutzt wurde. Obgleich die Formensprache des Duells offenbar bekannt war, erfolgte eine Ausübung dieser Praktik eher zufällig. Angesichts einer verbreiteten Kultur der Gewalt im frühneuzeitlichen Handwerk ist das zunächst einmal ein bemerkenswerter Befund. 12 8 Als Überblicke über die „Gesellschaftsgeschichte“ des frühneuzeitlichen Militärs vgl. die Aufsatzsammlungen von: Ralf P RÖVE : Lebenswelten. Militärische Milieus in der Neuzeit. Gesammelte Abhandlungen, hrsg. von Bernhard R. K ROENER , Berlin u. a. 2010; Bernhard R. K ROENER : Kriegerische Gewalt und militärische Präsenz in der Neuzeit. Ausgewählte Schriften. Im Auftr. des Militärischen Forschungsamtes hrsg. von Ralf P RÖVE , Paderborn 2008. 9 Zu Duellen in Bayern aus rechtshistorischer Sicht vgl.: Wolfgang W ALTER : Das Duell in Bayern. Ein Beitrag zur bayerischen Strafrechtsgeschichte, Frankfurt a. M. u. a. 2002. 10 Ähnliche Befunde auch bei: Thomas S CHWARK : Lübecks Stadtmilitär im 17. und 18. Jahrhundert. Untersuchungen zur Sozialgeschichte einer reichsstädtischen Berufsgruppe, Lübeck 1990, S. 139 f. u. 304 ff. 11 Peter D IENERS : Das Duell und die Sonderrolle des Militärs. Zur preußisch-deutschen Entwicklung von Militär- und Zivilgewalt im 19. Jahrhundert, Berlin 1992. 12 Rudolf W ISSELL : Des alten Handwerks Recht und Gewohnheit, Zweite, erweiterte und bearbeitete Auflage, hrsg. von Ernst S CHRAEPLER , Bd. 2, Berlin 1974, S. 246-252; Katharina S IMON -M USCHEID : Ge- 303 Füssel Daraus ergibt sich die Frage, wie denn die anderen Formen des Ehrstreits im Handwerk ausgesehen haben und welche spezifische Rationalität diesen innewohnte. Erst vor diesem Hintergrund kann der Duellverzicht im Grunde angemessen nachvollzogen werden. Dessen ungeachtet konnte die Wahl anderer Praktiken des Konfliktaustrags in mehrerlei Hinsicht sinnvoll sein: Man umging den obrigkeitlichen Sanktionsapparat, man vermied Duelle über die Standesgrenze hinaus mit eventuell besser geübten Gegnern und man riskierte möglicherweise weniger letale Verletzungen. Einem mangelnden Wissen ebenso wie einer mangelnden Gewaltbereitschaft, so zeigen die Befunde Meiers, kann der Verzicht hingegen kaum geschuldet gewesen sein. Wenn die Handwerker damit auf das Distinktionspotential von Duellen verzichteten, so wäre zu fragen, ob ihnen nicht möglicherweise deutlicher als anderen ständischen Milieus, wie etwa den Studenten oder dem Militär, bewusst war, dass die Anerkennungschancen aufgrund mangelnder Satisfaktionsfähigkeit gegenüber höherrangigen Gruppen relativ gering waren. Studien über Konflikte zwischen Handwerkern und Studenten haben auf die unterschiedlichen Konfliktstile beider Gruppen hingewiesen. Handwerker scheinen dabei häufiger auf spontane, nicht verabredete Gewaltkommunikation gesetzt zu haben, in der sie meist gerade zu Verfügung stehende Gegenstände einsetzten und kaum klassische Duellwaffen wie Rapier bzw. Degen. 13 Barbara Krug-Richter setzt sich mit den Studenten auseinander, die bereits von Gahlen und Meier als besonders aktive soziale Formation im Bereich Standesgrenzen überschreitender Duelle beschrieben wurden. 14 Krug-Richter widmet sich ausgehend von einem Freiburger Fall aus der Zeit um 1600 zunächst der Unterscheidung zwischen spontanem Rencontre und verabredetem Duell. Sie argumentiert dabei gegen die vermeintliche Regellosigkeit des Rencontres und versucht dessen strukturelle Gemeinsamkeiten mit dem Duell herauszuarbeiten. Teilweise handelte es sich um ungeschriebene Regeln im Gegensatz zu den kodifizierten Duellregeln, nicht aber um willkürliches, regelloses Verhalten. Anschließend wird der spezifischen Rationalität studentischer Duellkultur nachgegangen, wobei gegenüber der undifferenzierten Unterstellung einer allgemeinen ‚Rauflust‘ zu Recht ein ganzes Bündel an Ursachen benannt wird: Zu den wesentlichen Faktoren gehören dabei die rechtliche Schutzfunktion akademischer Freiheit, die standeskulturelle Ausrichtung der Studenten an einem adlig-militärischen Habitus, die Wahrung der Standesehre sowie die jugendkulturelle Dimension von Mannbarkeitsritualen. Krug-Richter neigt dabei allerdings zu einer leichten Überbewertung des Faktors Männlichkeit, die einerseits einer Sicht aus dem Blickwinkel der Studentengeschichte des 19. und 20. Jahrhundert geschuldet sein kann, andererseits dem kulturan- walt und Ehre im spätmittelalterlichen Handwerk am Beispiel Basels, in: Zeitschrift für historische Forschung 18 (1991), S. 1-31; Joachim E IBACH : Frankfurter Verhöre. Städtische Lebenswelten und Kriminalität im 18. Jahrhundert, Paderborn 2003, S. 252-266. 13 Vgl. Tina B RAUN / Elke L IERMANN : Freunde, Feinde, Zechkumpane. Freiburger Studentenkultur in der Frühen Neuzeit, Münster u. a. 2007, S. 62 ff., 70 u. 94 f. 14 Vgl. als Überblick auch: Marian F ÜSSEL : Tra onore e trasformazione in diritto. Il duello studentesco nella prima età moderna, in: Uwe I SRAEL / Gherardo O RTALLI (Hg.): Il duello fra medioevo e età moderna: prospettive storico-culturali, Rom 2009, S. 99-134. 304 Ständisch-korporative Duellkulturen - Ein Kommentar thropologisch orientierten Zugriff der europäischen Ethnologie. 15 Zumindest zu diskutieren wäre, ob der Faktor Männlichkeit, der zweifellos in der gesamten Frühen Neuzeit eine Rolle spielte, sich nicht erst im Verlauf der Sattelzeit zu der dominanten Kategorie aufgeschwungen hat, die sie seitdem für studentische Kommentformen darstellt. 16 Ebenso wäre zu hinterfragen, ob anstatt von der Männlichkeit auszugehen, nicht eher die Annahme einer Pluralität von unterschiedlichen Männlichkeiten heuristisch fruchtbarer wäre. Ein dritter Zugang ist dem Verhältnis von Duell und Mensur gewidmet, das für Krug-Richter den Zusammenhang von ritualisierter Konfliktaustragung und Männlichkeitskonstruktion bis in die Gegenwart zu verfolgen erlaubt. 17 Die Verlagerung des Fechtkampfs in den Binnenraum studentischer Verbindungen kann auch einen wichtigen Hinweis auf Be- und Entgrenzung der Zweikampfpraxis geben. Mit Blick auf die vormoderne face-to-face-Kommunikation haben wir es gerade im Fall der meisten Universitätsstädte mit extrem überschaubaren Anwesenheitsgesellschaften zu tun, die eine Wahrung der eigenen Ehre in jeder Lebenssituation erforderten. 18 Die Dichte vieler junger Studenten auf engem Raum verursachte eine spezifische Form von sozialem Stress, die Marktplätze und Gassen vormoderner Universitätsstädte glichen mitunter einer Art großem ‚Schulhof’. Angesichts ständiger Beobachtung konnten nicht nur offenbare, sondern auch latente Rivalitäten innerhalb kürzester Zeit zu offener Gewalt führen. Die ‚Schulhofsituation’ zwang damit mitunter auch Studenten, die vom Lebensstil her nicht dem ‚schlagenden’, burschikosen Milieu angehörten, dazu, sich in entsprechende Ehrkonflikte verwickeln zu lassen. Mit der stärkeren Segmentierung von Kommunikationsräumen konnte es seit dem frühen 20. Jahrhundert einfacher werden, sich für ein Milieu zu entscheiden. Die Persistenz des Zweikampfwesens 15 Der Fokus auf den Konnex von Männlichkeit und Gewalt ist dabei keineswegs auf die Kulturanthropologie beschränkt. Für eine literaturwissenschaftliche Perspektive auf den Zusammenhang von Männlichkeit und Duell vgl.: Jennifer A. L OW : Manhood and the Duel. Masculinity in Early Modern Drama and Culture, New York NY u. a. 2003; historische Perspektiven in: Pieter S PIERENBURG (Hg.): Men and Violence. Gender, Honor, and Rituals in Modern Europe and America, Columbus Ohio 1998. Zu studentischer Männlichkeit im frühen 20. Jahrhundert vgl.: Sonja L EVSEN : Elite, Männlichkeit und Krieg. Tübinger und Cambridger Studenten 1900-1929, Göttingen 2006. 16 Vgl.: Marian F ÜSSEL : Studentenkultur als Ort hegemonialer Männlichkeit? Überlegungen zum Wandel akademischer Habitusformen vom Ancien Régime zur Moderne, in: Martin D INGES (Hg.): Männer - Macht - Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute, Frankfurt a. M. 2005, S. 85- 100; vgl. auch die differenzierten Überlegungen von: Martin D INGES : Ehre und Geschlecht, in: Sybille B ACKMANN u. a. (Hg.): Ehrkonzepte in der Frühen Neuzeit. Identitäten und Abgrenzungen, Berlin 1998, S. 123-147. 17 Vgl. zu den entsprechenden Wandlungsprozessen immer noch die einschlägigen Arbeiten von: Wolfgang H ARDTWIG : Sozialverhalten und Wertewandel der jugendlichen Bildungsschicht im Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft, in: Vierteljahresschrift für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte 73 (1986), S. 305- 335, hier S. 316-321; DERS .: Die Lebensführungsart der jugendlichen Bildungsschicht 1750-1819, in: Helmut A SMUS (Hg.): Studentische Burschenschaften und bürgerliche Umwälzung. Zum 175. Jahrestag des Wartburgfestes, Berlin 1992, S. 36-53, hier S. 44-46. 18 Peter L ASLETT : The Face to Face Society, in: DERS . (Hg.): Philosophy, Politics and Society, Oxford 1967, S. 157-184; Rudolf S CHLÖGL : Kommunikation und Vergesellschaftung unter Anwesenden. Formen des Sozialen und ihre Transformation in der Frühen Neuzeit, in: Geschichte und Gesellschaft 34 (2008), S. 155-224. 305 Füssel im ‚schlagenden’ Teil blieb davon zunächst unberührt. Im Gegensatz zur Frühzeit des langen 16. Jahrhunderts werden die Desiderate in der Erforschung des 18. und 19. Jahrhunderts von Krug-Richter wesentlich geringer veranschlagt. Hier wären jedoch meines Erachtens noch einige Punkte zu nennen: so etwa die kulturelle Ausstrahlungskraft von Duellhochburgen wie Jena und deren spezifischen Fechtschulen und -stilen, ferner Gegenbewegungen und Zivilisierungstendenzen, wie die Ersetzung des Degens durch den Spazierstock, oder die Frage der Verrechtlichung studentischer Ehrenhändel, etwa über die Einrichtung von Ehrengerichten. So führte eine Abnahme des Waffentragens um die Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem Übergang vom spontanen Rencontre zum verabredeten Duell. 19 Aus Nachlassakten Leipziger Studenten etwa erfahren wir, dass ab der Mitte des 18. Jahrhunderts offensichtlich der Spazierstock den Degen ersetzte. 20 Immer seltener gingen Studenten nun im Alltag mit der Waffe einher, was bedeutete, dass ein Kampf entweder an Ort und Stelle verbal oder mit Faust bzw. Stock ausgetragen werden musste oder erst später mit dem Degen. Eine rechtliche Konfliktlösung wurde gerade im späten 18. Jahrhundert immer wieder propagiert, scheiterte aber meist an der sozialen Zusammensetzung der Schiedsinstanzen. 21 Die Studenten waren in der Regel nicht bereit, die Lösung des Konfliktes aus der Hand zu geben. Das wäre aber zumindest in Teilen die notwendige Bedingung für die Institutionalisierung eines akademischen Ehrengerichts im Sinne der Obrigkeit gewesen. Auch die Frage nach der sozialen Zusammensetzung der Duellanten wäre noch weitere Untersuchungen wert, so könnte man danach fragen, aus welchen Milieus oder Alterssegmenten die Mehrheit der sich duellierenden Studentenschaft stammte. Auffallend ist, dass offenbar kaum Duelle von graduierten Akademikern bzw. Professoren überliefert sind, obgleich deren Ehrkonfliktverhalten etwa in Rangfragen überaus ausgeprägt war. 22 Insgesamt sind wir der komplexen Frage nach dem ‚Warum‘ damit bereits deutlich näher gekommen als es der bereits zeitgenössische Verweis auf ‚jugendliche Rauflust’ nahelegte. Es bleiben jedoch noch viele Fragen offen. Vergleicht man die unterschiedlichen ständischen Gruppen Soldaten, Handwerker und Studenten, zeigt sich, dass die jugendkulturelle Dimension um andere kulturelle Faktoren ergänzt werden muss, will man etwa erklären, warum es gerade im Jungmännermilieu des Handwerks, wie am sächsischen Beispiel aufgezeigt, eher selten zu Duel- 19 Obrigkeitliche Verbote, wie etwa in Preußen unter Friedrich II., gingen mit einem studentischen Mentalitätsbzw. Lebensstilwandel einher, der von sich aus auf das öffentliche Waffentragen verzichtete, vgl. Oskar F. S CHEUER : Das Waffentragen auf Deutschlands Hohen Schulen, in: Wende und Schau. Kösener Jahrbuch 2 (1932), S. 65-89; Horst B ERNHARDI : Weshalb Friedrich der Große den Studenten das Degentragen verbot, in: Einst und Jetzt 2 (1957), S. 71-75, B RÜDERMANN : Göttinger Studenten (Anm. 2), S. 195-198. 20 Anja P OHL : Studentische Lebensführung im 18. Jahrhundert. Erkenntnisse aus Nachlassakten verstorbener Studenten, in: Detlef D ÖRING (Hg.): Universitätsgeschichte als Landesgeschichte. Die Universität Leipzig in ihren territorialgeschichtlichen Bezügen, Leipzig 2007, S. 205-237, hier S. 232-234. 21 Vgl.: F ÜSSEL : Il duello (Anm. 14), S. 125-132. 22 Vgl.: DERS .: Gelehrtenkultur als symbolische Praxis. Rang, Ritual und Konflikt an der Universität der Frühen Neuzeit, Darmstadt 2006, S. 246-252. 306 Ständisch-korporative Duellkulturen - Ein Kommentar len kam. Mit anderen Worten ist nach der standeskulturellen Affinität und Disposition zu einer bestimmten Art des Konfliktaustrags zu fragen. 23 Das berührt Fragen der jeweiligen Gewaltkultur, die beispielsweise durch einen bestimmten Waffengebrauch gekennzeichnet sein kann. Gerade die Waffen des Duells können vor dem Hintergrund neuerer Gewalttheorien wie Forschungen zur Wirkmächtigkeit von Dingen einer Neuperspektivierung unterzogen werden. 24 Die am Beispiel der studentischen Lebenswelt vorgenommenen Unterscheidungen verschiedener Hieb- und Stichwaffen scheint mir diesbezüglich durchaus weiterführend und könnte noch durch den Vergleich mit der unterschiedlichen Akzeptanz von Pistolenduellen ergänzt werden, waren diese doch in studentischen Kreisen tendenziell verpönt. 25 Eine besondere konzeptionelle Herausforderung liegt im in den Beiträgen von Gundula Gahlen und Barbara Krug-Richter angesprochenen Übergang vormoderner Duellpraxis zum 19. Jahrhundert. Dass im Verlauf vom späten 17. zum 19. Jahrhundert Unterschiede zu verzeichnen sind, dürfte wenig verwundern. Während Lorenz’ Schweden in einer geradezu ubiquitären Gewaltkultur agierten, in der Duelle nur eine Gewaltpraktik unter vielen darstellten, befinden sich Gahlens Bayern in einer weitgehend pazifizierten bürgerlichen Gesellschaft, aus der das Duell heraussticht. Beide machen jedoch zum Teil Langeweile und Frustrationserfahrungen des Friedens für die Eskalation verantwortlich. In der studentischen Kultur scheint es erst im 20. Jahrhundert zu einer grundlegenden Pazifizierung gekommen zu sein. Dass 19. Jahrhundert als Blütezeit studentischer Zweikämpfe zu beschreiben, ist nur so lange möglich, wie man mit dem Maßstab des genau verabredeten und geregelten Duells misst. Ansonsten tritt, wie der Beitrag Krug-Richters deutlich macht, eher die Kontinuität einer akademischen Konfliktkultur hervor. Bei allen angeführten Beispielen ist freilich zu bedenken, dass sie ausschließlich die Situation im Reich beleuchten. Die ständische Gesellschaft des Reiches wies bestimmte Besonderheiten auf, während andere europäische Länder eine ganz andere Duellkultur zeitigen konnten. 26 Allein die hohe Dichte an Universitäten schuf eine europaweit einzigartige Konstellation akademischer Standeskultur, die etwa für Großbritannien in 23 So zeigt etwa Joachim Eibach am Beispiel Frankfurts, dass die Duelle fast immer unter Militärs stattfanden, so gut wie nie aber im ‚adelsfernen’ Milieu von Kaufleuten und Patriziern, die andere Distinktionspraktiken nutzten, vgl.: E IBACH : Frankfurter Verhöre (wie Anm. 12), S. 216 f. 24 Im Bereich der Gewalttheorie vgl. etwa: Wolfgang S OFSKY : Traktat über die Gewalt, Frankfurt a. M. 1996, S. 27-44. Zur „Aktanten“-Qualität von Waffen vgl.: Bruno L ATOUR : Die Hoffnung der Pandora. Untersuchungen zur Wirklichkeit der Wissenschaften, Frankfurt a. M. 2000, S. 213-219. 25 Vgl.: F ÜSSEL : Il duello (Anm. 14), S. 132. 26 Vgl. etwa zu England: Markku P ELTONEN : The duel in early modern England: civility, politeness and honour, Cambridge u. a. 2003; zu Frankreich: Pascal B RIOIST , Hervé D REVILLON , Pierre S ERNA : Croiser le fer: violence et culture de l'épée dans la France moderne (XVIe - XVIIIe siècle), Seyssel 2002; zu Spanien vgl.: Claude C HAUCHADIS : La loi du duel. Le code du point d'honneur dans l'Espagne des XVIe - XVIIe siècles, Toulouse 1997; Scott K. T AYLOR : Honor and violence in golden age Spain, New Haven u. a. 2008; zu Italien vgl.: Marco C AVINA : Il sangue dell'onore. Storia del duello, Bari 2005; Steven C. H UGHES : Politics of the sword. Dueling, honor, and masculinity in modern Italy, Columbus Ohio 2007; zu Schweden: Christopher C OLLSTEDT , Duellanten och rättvisan: duellbrott och synen på manlighet i stormaktsväldets slutskede, Lund 2007. 307 Füssel dieser Form nicht gilt. Um künftig zu genaueren Einschätzungen der europaweiten Konjunkturen des Duells zu gelangen, sind daher dringend vergleichende Studien notwendig. Wenig zielführend scheint demgegenüber der Versuch, die Erklärung des Duells auf anthropologische wie soziale Universalien zurückzuführen. Gewiss ging es immer um die Ehre, nur wurde diese ja immer wieder mit neuen Inhalten gefüllt, erfasste unterschiedliche Personenkreise und wurde nicht allein mit Mitteln des Duells, sondern einer Vielzahl von Praktiken verhandelt und bestritten. 27 Auch wenn es beispielsweise primär um ‚Männlichkeit’ ginge, stellt sich die Frage, warum nicht alle Männer vormoderner europäischer Gesellschaften in gleicher Intensität an Duellen beteiligt waren. Insgesamt führt der in dieser Sektion eingenommene Blick auf unterschiedliche ständische Milieus für die Duellforschung wesentlich weiter als beispielsweise eine dichotomische Gegenüberstellung von ‚adlig‘ und ‚bürgerlich‘. Die korporativen Schutzräume - besonders evident bei Militär und Universität - wirkten immer konträr zu den zentralen obrigkeitlichen Steuerungsbemühungen des Duells. Am Beispiel des Handwerks zeigt sich diese Logik quasi ex negativo, da gerade das Handwerk sich seit dem Ende des 17. Jahrhunderts massivem obrigkeitlichem Druck in Fragen der Autonomie seiner Standeskultur ausgesetzt sah. Universität und Militär verfügten aufgrund ihrer Nähe zur Obrigkeit und der Mischung mit bzw. der Dominanz von adligen Akteuren offenbar über mehr Möglichkeiten ihrer internen institutionellen Logik bzw. Gruppenrationalität zu folgen. Im Falle der Universitäten bedeutete dies eine relativ laxe Sanktionspraxis zugunsten der Frequenzwahrung, im Falle des Militärs zugunsten interner Kohäsion und der Erhaltung einer effektiven Truppe. Der Einfluss des Adels beförderte in beiden Gruppen paradoxe Entwicklungen. Das Militär als Garant innerer wie äußerer Sicherheit war so stark von den Unwägbarkeiten der adligen Ehrkultur geprägt, dass eine gezielte obrigkeitliche Disziplinierung immer wieder an ihre Grenzen stieß. An den Universitäten wurde das Adelsstudium aus Finanz- und Prestigegründen gefördert, führte aber gleichzeitig zum Einzug adliger Ehrkonzepte und Lebensstile. Insofern ist weiterhin ein Desiderat kriminalitätshistorischer Forschungen auf dem Sektor korporativer Sondergerichtsbarkeiten wie der akademischen oder der militärischen Rechtsprechung zu sehen. 28 Es wäre etwa zu fragen, ob städtische Univer- 27 Vgl. dazu weiterhin erhellend: Martin D INGES : Ehrenhändel als „Kommunikative Gattungen“, kultureller Wandel und Volkskulturbegriff, in: Archiv für Kulturgeschichte 75 (1993), S. 359-393; vgl. zuletzt: Winfried S PEITKAMP : Ohrfeige, Duell und Ehrenmord. Eine Geschichte der Ehre, Stuttgart 2010. 28 Vor allem für das 17. Jahrhundert klafft hier eine große Forschungslücke; für die akademische Gerichtsbarkeit des 16. Jahrhundert vgl. exemplarisch: Bettina B UBACH : Richten, Strafen und Vertragen. Rechtspflege der Universität Freiburg im 16. Jahrhundert, Berlin 2005; für das 18. Jahrhundert: B RÜDER - MANN : Göttinger Studenten (Anm. 2); Peter W OESTE : Akademische Väter als Richter. Zur Geschichte der akademischen Gerichtsbarkeit der Philipps-Universität unter besonderer Berücksichtigung von Gerichtsverfahren des 18. und 19. Jahrhunderts, Marburg 1987, S. 73-92; sowie allg.: Klaus Michael A LENFELDER : Akademische Gerichtsbarkeit, Baden-Baden 2002. Zur militärischen Gerichtsbarkeit vgl.: Jutta N OWOSADTKO : Militärjustiz in der Frühen Neuzeit. Anmerkungen zu einem vernachlässigten Feld der historischen Kriminalitätsforschung, in: Unrecht und Recht. Kriminalität und Gesellschaft im Wandel von 1500-2000. Gemeinsame Landesausstellung der rheinland-pfälzischen und saarländischen Archive. Wissenschaftlicher Begleitband, Koblenz 2002, S. 638-651; sowie die in Bearbeitung befindliche 308 Ständisch-korporative Duellkulturen - Ein Kommentar sitäten wie Straßburg, Basel oder Köln eine effektivere Duellbekämpfung erreichten, da der Autonomiegrad der Hochschule hier geringer war. 29 Diese ständischen Duelldynamiken gilt es noch stärker in den Blick zu nehmen, will man Persistenz und Wandel des Duells jenseits modernisierungstheoretischer Großnarrative von Zivilisierung, Disziplinierung oder funktionaler Differenzierung erklären. 30 Der obrigkeitliche Disziplinierungswille etwa drückt sich deutlich in den rigiden Duellmandaten aus, ihre Implementation und Durchsetzung ist hingegen eine ganz andere Frage. Auch die These der Zivilisierung und einer zunehmenden Verinnerlichung von Affektkontrolle hat einiges für sich, wird in Langzeitbetrachtungen jedoch ähnlich der Disziplinierung auch immer wieder konterkariert. Eine vergleichende Perspektive auf unterschiedliche Fallstudien verspricht hier ein notwendiges Korrektiv zu sein. Münsteraner rechtshistorische Dissertation von: Sandro Wiggerich. Siehe dazu: Sandro W IGGERICH : Militärgerichtsbarkeit und Jurisdiktionskonflikte 1648-1806, in: Militär und Gesellschaft in der Frühen Neuzeit 14 (2010), S. 384-390. 29 Vgl. etwa: Alfred E RICHSON : Das Duell im alten Strassburg. Zum 25. Stiftungsfest d. Kais.-Wilh.-Universität am 1. Mai 1897, Strassburg 1897. 30 Zum Zivilisationsprozess vgl.: Pieter S PIERENBURG : Violence and the Civilizing Process: Does it Work? , in: Crime, histoire & sociétés 5.2 (2001), S. 87-105. 309 VI. Darstellungskonventionen Peter Wettmann-Jungblut Zweikampf als Muster (vor)moderner Jugendkultur Männlichkeitsritual, regulierte Aggression, Gewaltlust Seit der Mitte des 20. Jahrhunderts gerieten (Zwei)Kämpfe zwischen männlichen Jugendlichen und Heranwachsenden, in denen der Einsatz körperlicher Gewalt möglich oder unabdingbar ist, in mehr als schlechten Ruf und wurden im zunehmenden Maße gesellschaftlich geächtet, als illegitim oder illegal eingestuft und in den subkulturellen Bereich abgedrängt. Nur in wenigen Ausnahmefällen wird aggressives Verhalten weiterhin als erlaubt oder gar wünschenswert erachtet. Das bekannteste Beispiel liefert fraglos Deutschlands beliebtester Mannschaftssport, der Fußball, in dem ‚richtiges‘, aber zweifelsohne nicht immer regelkonformes Zweikampfverhalten von Trainern und Reportern beständig thematisiert wird: Wer gewinnen will, der muss ‚aggressiv in die Zweikämpfe gehen‘ oder ‚aggressives Zweikampfverhalten zeigen und dem Gegner keinen Zentimeter Raum schenken‘, von dem wird eine ‚gesunde Härte‘ oder ‚harter körperlicher Einsatz bis an die Grenze des Erlaubten‘ verlangt. Während die ‚Grenzen des Erlaubten‘ auf dem Spielfeld oft Auslegungssache des fußballerischen Regelwerks sind, sind sie in der Zivilgesellschaft strafrechtlich definiert und werden im Übertretungsfall von der staatlichen Ordnungsmacht geahndet. Der medialen Aufmerksamkeit können sich ‚Zweikämpfe‘ außerhalb der Arenen dabei sicher sein. So wartete die Freiburger Stadtzeitung ‚fudder‘ im April 2008 mit der Schlagzeile 20jähriger Wüterich fordert Polizisten zum Zweikampf auf. Dem mit 1,6 Promille alkoholisierten jungen Mann war der Zutritt zu einer Schulparty verwehrt worden. Nach einigen Handgreiflichkeiten mit der Security entzog er sich zunächst per Flucht der Verhaftung durch die herbeigerufene Polizei, um wenig später zurückzukehren und einen Polizeibeamten zum Kampf ‚eins zu eins‘ herauszufordern. Der Polizist lehnte das Angebot dankend ab und bewältigte die fällige Festnahme lieber mit Hilfe zweier Kollegen. Einen Monat später bedurfte es dann in Los Angeles des Einsatzes von mehr als 100 Polizisten, um eine Massenschlägerei zwischen rund 600 Schülern einer High School zu unterbinden. Ausgangspunkt war eine Auseinandersetzung zwischen einem afroamerikanischen und hispanischen Schüler gewesen. Beide Streithähne waren anscheinend mit dem Ausgang ihres persönlichen Zweikampfes nicht zufrieden, denn sie verabredeten zwei Tage später einen Kampf von zehn Hispancis gegen zehn Afroamerikaner auf dem Sportplatz, der schließlich außer Kontrolle geriet. 1 Artikel ähnlichen Inhalts finden sich in den letzten Jahren vermehrt in deutschsprachigen Tageszeitungen; sie belegen nicht nur die Persistenz eines Phänomens, dessen quantitatives Aufkommen durch die eher anekdotenhafte Presseberichterstattung allerdings kaum abzuschätzen ist, sondern auch das ambivalente Interesse an Verhaltensweisen, die der eine oder andere Leser vielleicht bereits überwunden wähnte. Sie 1 Siehe unter: URL: http: / / www.spiegel.de/ panorama/ gesellschaft/ 0,1518,552678,00.html (zuletzt am 05. Mai 2011). 313 Wettmann-Jungblut vermitteln zudem den Eindruck, der Zweikampf sei auch im 21. Jahrhundert ein ‚altes‘ Handlungsmuster der Jugendkultur und greife zugleich auf idealtypische Elemente des ausgestorbenen Duells zwischen ‚Ehrenmännern‘ zurück. Und schließlich wird dem Zweikampf gelegentlich auch der Charakter eines unzeitgemäßen archaischen Relikts zugeschrieben, etwa wenn das schweizerische ‚Tagblatt‘ mit Blick auf die Züricher Hooligan-Szene und ihre Prügeltreffen auf verschwiegenen Wiesen schreibt: Was sie antreibt, heisst im simplen Selbstbild der Gewalttäter: Adrenalin, was sie tun, ist tiefes Mittelalter. 2 Sucht man in den Aufzeichnungen der Strafjustiz allerdings nach den historischen Ausformungen oder gar mittelalterlichen ‚Vorbildern‘ solcher Zweikämpfe, dann stößt man auf eine grundlegende Schwierigkeit: Die Gerichts- und Verhörprotokolle, Klage- und Urteilsbücher oder Kriminalstatistiken der meisten frühneuzeitlichen Territorien - so auch die der hier untersuchten Gebiete, aus denen zu Anfang des 19. Jahrhunderts das Großherzogtum Baden gebildet wurde - enthalten zwar eine Vielzahl von Gewaltdelikten aller Art, aber kaum direkte Hinweise auf Handlungen jugendlicher Missetäter, die konkret als Zweikampf oder Duell bezeichnet wurden. Lediglich für das 19. Jahrhundert geben die Protokolle der badischen Hofgerichte Hinweise auf studentische Duelle an den Universitäten Freiburg und Heidelberg, die jedoch nicht Gegenstand dieses Beitrages sein sollen. 3 Diese Tatsache ist umso erstaunlicher, als der typische Delinquent, der im Netz der Strafjustiz hängenblieb, meist jung, männlich und unverheiratet war. In Freiburg im Breisgau etwa stellten die 12-25Jährigen im 18. Jahrhundert mehr als 40 Prozent der abgeurteilten Straftäter, und auch heute ist diese Altersgruppe gerade bei den polizeilich registrierten Gewaltdelikten absolut dominant. Dieses ‚Schweigen‘ der Archive, das seine Entsprechung in modernen polizeilichen Kriminalstatistiken findet, bringt einige weitere Fragen hinsichtlich des historischen und aktuellen Ortes jugendliche Zweikämpfe mit sich: Welche Fälle lassen sich heute mit einigen Verrenkungen als zweikampfaffine Handlungsformen von Jugendlichen betrachten? Was schied den Zweikampf vom Duell? War der Zweikampf ein Muster, gar Massenphänomen der Jugendkultur, der aufgrund seiner breiten gesellschaftlichen Ak- 2 Siehe unter: URL: http: / / www.tagblatt.ch/ magazin/ tb-bu/ Auf-Knopfdruck-asozial; art338,1494736 (zuletzt am 20. April 2010). 3 Im Februar 1817 etwa berichtete der Heidelberger Universitätsamtmann Jolly dem Mannheimer Hofgericht über ein vollzogenes Pistolenduell zwischen den Akademikern von Pape aus Hannover und von Fircks aus Kurland. Das Hofgericht ordnete an, dass von Fircks und einem weiteren Akademiker ein Abwesenheits-Prozess zu machen sei und beide per Anzeige in der Frankfurter Oberpostamts-Zeitung sowie dem Allgemeinen Anzeiger vorzuladen seien. Ferner sollten all diejenigen Akademiker, die die Universität nach Ostern verlassen wollen, möglichst rasch untersucht werden und der Akademiker Follenius von Gießen durch seine vorgesetzte Behörde verhaftet und verhört werden. Knapp ein halbes Jahr später, am 12. August 1817, ergingen die Urteilssprüche: Heinrich von Pape wurde wegen eines mit von Fircks vollzogenen und eines mit dem Akademiker Wuth geplanten Duells zu einem Monat Gefängnis verurteilt, Adolph von Dittmar aus Berlin wegen Sekundierens zu acht Tagen Gefängnis; schließlich erhielten Friedrich Strauß aus Mitau, August Gruner aus Jena, Johann Hugenburg aus Osnabrück und Leon von Zaluskowsky aus Polen als Zuschauer des Duells je drei Tage Gefängnis. Das Universitätsamt Heidelberg sollte die Urteile verkünden und vollziehen, ihm blieb zudem die Aburteilung von Follenius überlassen. Vgl. Generallandesarchiv Karlsruhe (GLA), 61/ 15251: Protokolle des Großherzoglich-Badischen Hofgerichts zu Mannheim, Januar-Juni 1817, Eintrag vom 21.2.1817, und: GLA, 61/ 15251: Protokolle des Großherzoglich-Badischen Hofgerichts zu Mannheim, Juli Dezember 1817, Eintrag vom 12.8.1817. 314 Zweikampf als Muster (vor)moderner Jugendkultur zeptanz kaum Spuren in staatlichen Justizquellen hinterlassen hat? Folgte der Zweikampf ungeschriebenen Regeln und wie wurde er aus Sicht der Akteure begründet und legitimiert? Als Anknüpfungspunkt für die Beantwortung dieser Fragen soll die Definition des Zedlerschen Universallexikons aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts herangezogen werden. Bereits der Titel des langen Artikels ‚Zweikampf, Selbst-Kampf, Balgen und Rauffen oder Duell‘ umreißt ein äußerst weites Feld, enthält aber eine knappe und hilfreiche Definition: Ein Zweikampf oder Duell sey ein von zweyen und auf beyden Seiten aus gleicher Anzahl bestehenden Theilen im Ernst angestelltes, und auf die Erhaltung eines gewissen Guts abzielendes Gefecht. 4 Ersetzt man noch Gefecht durch den weniger martialischen Begriff ‚Auseinandersetzung‘, dann lassen sich vorab einige epochenübergreifende Elemente von Zweikämpfen unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen herausstellen: Erstens werden sie nicht nur zwischen zwei Individuen, sondern mindestens ebenso häufig zwischen zwei Gruppen, deren Mitgliederzahl nach oben offen ist, ausgetragen. Zweitens sind sie mehrheitlich den im Zedler als duellum extemporaneum bezeichneten Auseinandersetzungen zuzurechnen, in denen die Parteien von ungefähr und ohne vorherige Abrede und Einwilligung zusammen kommen. Drittens sind sie sehr stark expressiv und in ihrem spielerischen Ernst oder ernsten Spiel selten von dem expliziten Wunsch nach einer Entscheidung, geschweige denn nach einer Entscheidung über Leben und Tod, dominiert; aus eben diesem Grund werden sie meist nicht mit (tödlichen) Waffen, sondern eher mit verbalen und anderen Mitteln - Schmähreden, Spottliedern, Entwendung symbolträchtiger Trophäen - geführt. Viertens ist die Intention der Erhaltung eines gewissen Guts ein oft erkennbarer, aber nicht notwendiger Bestandteil des Handelns der Akteure, wobei dem Erwerb eines männlichen Habitus beziehungsweise dem Status einer allgemein respektierten Männlichkeit zentrale Bedeutung zukommt. Fünftens können (müssen aber nicht) Zweikämpfen konkret formulierte und von beiden Seiten sowie von den anwesenden Zuschauern anerkannte Verhaltensregeln eigen sein; ebenso häufig finden sich auch situativ wechselnde und verhandelbare Regeln. 1. Bei aller Problematik der Zweikampf-Semantik herrscht weitgehender Konsens darüber, dass Kampf und Gewalt in unterschiedlichen Graden regelmäßig auf dem Spielplan der frühneuzeitlichen Jugendkultur standen. Interne Konflikte und Rivalitäten wurden mit Vorliebe auf gewaltsame Weise geregelt, was in einer Gruppenkultur, in der körperliche Kraft, Geschicklichkeit und Mut eine zentrale Rolle spielten und die soziale Anerkennung der Männerwelt buchstäblich erst errungen werden musste, nicht weiter verwunderlich ist. 5 Dissens besteht allenfalls darin, wann und in welchem Maße die Moderne diesen Spielplan zu kürzen vermochte, wobei eine entscheidende Zäsur m. E. erst nach dem Ende 4 [Art.] Zweykampf, Selbst-Kampf, Balgen und Rauffen oder Duell, in: Johann Heinrich Zedlers Grosses vollständiges Universal-Lexicon Aller Wissenschafften und Künste, Bd. 64, Leipzig, Halle 1750, Sp. 1330-1430, hier Sp. 1330 f. 5 Norbert S CHINDLER : Nächtliche Ruhestörung. Zur Sozialgeschichte der Nacht in der frühen Neuzeit, in: DERS .: Widerspenstige Leute. Studien zur Volkskultur in der frühen Neuzeit, Frankfurt a. M. 1992, S. 229. 315 Wettmann-Jungblut des Zweiten Weltkrieges zu beobachten ist. Den Kampf und der ihm oft inhärente Einsatz von physischer Gewalt darf man getrost zur sozialisatorischen Grundausstattung männlicher Jugendlicher zählen, ohne deren Image auf das der ‚gewalttätigen Wilden‘ zu reduzieren und ohne, dass wir genau wüssten, wie hoch der Anteil derjenigen Heranwachsenden war, die Zweikämpfen aus dem Weg gingen, und welche Folge dies für sie hatte. Die Erwachsenen und lokale oder staatliche Ordnungshüter duldeten vor allem nächtliche Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Heranwachsenden, die in der Schweiz als ‚Nachtbubereien‘ bezeichnet wurden, solange als ‚normal‘, wie sie gewisse Grenzen respektierten. Diese Toleranz gegenüber dem Treiben der ‚Knabenschaften‘, der Vereinigungen männlicher Lediger, war nicht uneigennützig, denn die Jungmänner, von Norbert Schindler treffend als Hüter der Unordnung bezeichnet 6 , übten auch gewalthafte (sitten-)richterliche Funktionen im Namen der Dorfgemeinschaft oder Dorfeliten aus, wenn sie etwa im Charivari, im Haberfeldtreiben, in Kämpfen gegen Nachbargemeinden oder obrigkeitliche Zumutungen traditionellen dörflichen Normen Stimme und Geltung verliehen. Vergleichbare Aufgaben kamen ihnen noch in der Endphase der Weimarer Republik zu, als die politischen Parteien jeglicher Couleur sie massenhaft in zahllosen Saalschlachten aufeinanderhetzten. Wir finden somit in den Archiven nur die Spitze des Eisberges jugendlichen Konflikthandelns und erfahren via Gerichtsquellen nur dann etwas von prinzipiell legitimen Kämpfen, wenn - salopp formuliert - etwas ‚schieflief‘, wenn etwa staatliche oder kommunale Ordnungsinstanzen differierende Toleranzschwellen entwickelten oder gar persönlich angegriffen wurden, wenn Ort und Zeit ‚falsch‘ gewählt waren, wenn gefährliche Waffen eingesetzt, Beteiligte oder Unbeteiligte schwer verletzt oder getötet wurden, wenn ehrbare Bürger angegriffen oder gelegentlich kultur- und milieuspezifische ‚Ehrenkodexe‘ solcher Kämpfe gebrochen wurden. Hans Martin Manzenauer, ein 23jähriger Schusterknecht aus der Schweiz, konnte dem Freiburger Magistrat den Tod des Studenten Johann Heinrich Blahner schwerlich als Ergebnis eines fairen Kampfes schildern. Manzenauer hatte den Studenten gegen 10 Uhr in der Nacht des 1. Januars 1664 erstochen, nachdem es auf der Gasse zu einem Streithandel gekommen war, hatte aber dummerweise den Stich von hinten in den Rücken Blahners geführt, woraufhin dieser verblutete. Trotz der Schwere der Tat interzedierten fünf altkatholische eidgenössische Orte samt Glarus für ihn beim Magistrat und ein von diesem in Auftrag gegebenes rechtliches Gutachten plädierte für eine - von den Eltern des Täters aufzubringende - hohe Geldstrafe, so dass Manzenauer Ende des Monats wieder auf freien Fuß gesetzt wurde, 100 Messen für den Entleibten lesen lassen und die Gerichtskosten tragen musste. 7 Dass sich die Obrigkeit der Landgrafschaft Klettgau im Mai 1721 für jenen harten Schlaghandel interessierte, der sich vor einem Jahr an der allhiesigen [Tiengener] Kirch- 6 D ERS .: Die Hüter der Unordnung. Rituale der Jugendkultur in der frühen Neuzeit, in: Giovanni L EVI / Jean-Claude S CHMITT (Hg.): Geschichte der Jugend, Bd. 1: Von der Antike bis zum Absolutismus, Frankfurt a. M. 1996, S. 319-382. 7 Vgl. dazu: Stadtarchiv Freiburg (StAFr), C1 Criminalia, Nr. 25 (1659-1664), Nr. 48. 316 Zweikampf als Muster (vor)moderner Jugendkultur weih [...] zwischen denen Unterwäldern zum einen Teil und den sogenannten Steinen- Thalern und Berauer Bauern Knaben zum andern Teil in der Nähe des Gottesackers zugetragen hatte, war vor allem dem Umstand geschuldet, dass der intervenierende Haus- Meister des Löbl. Frauen-Closters Berau fast todt auff dem Plaz blieb. Doch selbst angesichts dieser Tatsache waren die beteiligten Knaben in Ansehung der Nachbarschaft und der dermahligen gelt-klammen Zeit nur zu je 10 Gulden Geldstrafe verurteilt worden; obwohl man ihnen davon noch die Hälfte auf dem Gnadenwege nachgelassen hatte, war bis zum 14. Mai 1721 lediglich eine Summe von 22 Gulden eingegangen, die nun dem Rentamt übergeben und der Fall damit geschlossen wurde. 8 Und schließlich durften sich auch fünf ledige Bürgersöhne aus den ortenauischen Dörfern Goldscheuer, Marlen und Kittersburg nicht wundern, dass sie und ein Knecht aus dem elsässischen Dorlisheim im November 1786 hart gestraft wurden: Sie hatten Schlaghändel mit einem Maurermeister und einem weiteren Bürger von Goldscheuer angefangen und diese mit Glasflaschen und Gläsern teils schwer verletzt. Das Offenburger Oberamt verurteilte den Rädelsführer zu vier Wochen öffentlicher Arbeit in Eisen und Banden und zwölf Ochsenziemerstreichen zum Willkomm und Abschied, seine Mitstreiter zu sechs bzw. zwei Tagen Arbeit und jeweils vier Streichen. 9 2. Die wenigen gerichtsbekannten Fälle individueller und kollektiver Zweikämpfe dürfen folglich nicht zu der Annahme verleiten, sie seien repräsentativ für das Kampfverhalten der männlichen Jugend - ganz im Gegenteil steht zu vermuten, dass der überwiegende Teil der Auseinandersetzungen minder schwer war, von den Beteiligten selbst mit anderen Mitteln ausgetragen oder durch Ordnungserwartungen eines nicht zwingend anwesenden Publikums vorab entschärft wurden. Jugendliche lern(t)en eben nicht nur zu kämpfen, sondern auch die Rituale der Konfliktvermeidung. Bevor ein Kampf ernst wird, gibt es eine Reihe von schadensvermeidenden Maßnahmen: die Drohung aus der die Sicherheit der Konfliktparteien gewährleistenden Distanz, die Drohung mit einem möglichen Körperkontakt, die bewusste Unterschreitung der Distanz mit gelegentlichem Körperkontakt, den lediglich auf die Einschränkung der Bewegungsfreiheit des Gegners zielende Körperkontakt, denen erst in der Eskalationsphase die kontrollierte oder unkontrollierte Verletzung der Gegenpartei folgt. Ein wunderschönes literarisches Beispiel für das bunte Spektrum aus gezielten Provokationen und handfesten Konflikten bietet Louis Pergauds 1912 erschienenes Buch ‚Krieg der Knöpfe‘. Hier kämpfen die Jungs zweier französischer Dörfer - die Longverner und die Velraner - mit allen Mitteln gegeneinander: Sie beschimpfen sich, sie prügeln sich mit Inbrunst oder schießen sich mit Steinschleudern blutende Wunden und locken sich gegenseitig in Hinterhalte: In einem Abstand von kaum 50 Metern schwärmten die Schützenlinien aus. Die Kämpfer verbargen sich hinter den Büschen und sprangen nach rechts und links, um den Wurfgeschossen auszuweichen. Die Gegner [...] pöbelten sich an, forderten ein- 8 GLA, 61/ 7059, Landgerichtsprotokolle Tiengen, 1719-1721, S. 294 f. 9 GLA, 61/ 8663, Oberamtsprotokolle Ortenau, 1786, Nr. 3760. 317 Wettmann-Jungblut ander auf, doch näher zu kommen, betitelten sich gegenseitig als Angsthasen und Feiglinge und bewarfen sich schließlich mit Steinen. [...] Einmal hatten die Velraner die Oberhand, dann wieder drangen plötzlich die Longverner mit erhobenen Knütteln vor, erkämpften sich in kühnem Angriff einen Vorteil, um dann wieder vor einem Steinregen zurückzuweichen. Im Sonntagsstaat allerdings durfte man sich nicht zu dreckig machen, sonst setzt’s zu Hause wieder Ohrfeigen, er erlaubte nur sogenannte Unterhaltungen, die folgende Form annahmen: He, du Dreckskerl, Mistbolzen, Faulpelz, verrottetes Schwein, komm doch und zeig dich! Wenn du kein Feigling bist, komm und zeig deine dreckige Arschlochschnauze! - Und du? Komm doch selbst, du Lumpenhändler! Davon, dass dein Vater auf den Jahrmärkten die Hodensäcke der Kühe befühlt hat, bist du bestimmt nicht reich geworden! - Na, und du? Das Loch, in dem ihr wohnt, ist bis oben hin voll mit Hypotheken! Nachdem beide Parteien dann in Hochstimmung waren, wurden die schwersten Beleidigungen aufgefahren: He, du! Weißt du noch, wie deine Mutter ins Essen gepisst hat, weil du 'ne Soße haben wolltest? - Und du, weißt du noch, wie deine sich vom Stierverschneider die Hodensäcke hat geben lassen, um dir einen Salat zu machen? - Weißt du noch, wie deine Mutter mal gesagt hat, sie wollte lieber eine Kuh säugen als deine Schwester, dann bekäme sie wenigstens keine Hure ins Haus! - Meine Schwester, gab der andere zurück, der gar keine hatte, meine Schwester rührt die Butter. Wenn sie mal Sch... rührt, kommst du, um den Löffel abzulecken. Außerdem ist sie mit Schieferplatten belegt, damit so kleine Kröten wie du nicht an ihr hochklettern können. 10 Erstaunliche Parallelen zu Pergauds literarischer Fiktion bietet der ‚reale‘ Fall einer Gruppe von ledigen Bürgersöhnen aus Appenweier und Wolfersweier, die sich im Februar 1784 wegen ihrer theils mit vorausgegangenen verleit und verabredung, theils mit verkleid- und vermummung nach feuerabendzeit, theils mit bengeln, steinen und erdschollen angemasste[n] Vorwart- und Verfolgung des Benderischen Regiments Gemeinen Herrmann Braun und anderer lediger Bürgersöhne von Zussenhofen auf ihrem Heimbweg vor dem Offenburger Landvogt verantworten mussten. 11 Knapp neunzig Jahre später liefert ein aufsehenerregender Schwurgerichtsfall Anschauungsmaterial für die teils harmlosen, teils lebensbedrohlichen Formen des ‚Kampfes‘ zwischen Jugendlichen. Der Saarbrücker Primaner Julius Becker schoss am 25. Mai 1871 mit einem Revolver auf zwei Mitschüler und verletzte diese schwer, womit er wahrscheinlich für den Präzedenzfall dessen sorgte, was seit einigen Jahren als school shooting bezeichnet und gerne als genuin postmodernes Phänomen diskutiert wird. Zwischen ihm und einem anderen Gymnasiasten namens Leonhard Kraushaar war es bereits im Schuljahr zuvor zu Reibereien gekommen, die u. a. in einem ‚dichterischen 10 Louis P ERGAUD : Der Krieg der Knöpfe. Der Roman meines zwölften Lebensjahres, 4. Aufl., Reinbek bei Hamburg 2008, hier S. 42 f., 25 u. 30 ff. 11 GLA, 61/ 8657, Oberamtsprotokolle Ortenau, 1784, Eintrag vom 3. Februar 1784. 318 Zweikampf als Muster (vor)moderner Jugendkultur Wettbewerb‘ gründeten, der stets zuungunsten Beckers ausgegangen war: Trug Becker an einem Tag der Klasse eines seiner selbstverfassten Gedichte vor, dann antwortete Kraushaar am nächsten Tag mit einer Parodie darauf, die stets viel mehr Beifall fand als das Urbild. Die wiederholten Niederlagen müssen den Einzelgänger Becker noch weiter isoliert haben; als sich sein Widersacher Kraushaar bei Ausbruch des deutsch-französischen Krieges im Juli 1870 zum Militär meldete, richtete sich sein ganzer Hass auf dessen Zimmergenossen Gustav Eybisch, der die Spottgedichte stets am lautesten beklatscht hatte. Zwischen Becker und Eybisch kam es seit Herbst 1870 wiederholt zu Handgreiflichkeiten, die nicht nur von Becker ausgingen und den Lehrern verborgen blieben. Unmittelbar nach Ostern 1871 fühlte sich Becker dann durch eine beleidigende Kreidezeichnung auf einem Hintergebäude des Gymnasiums, die er Eybisch zurechnete, persönlich angegriffen und drohte wiederholt mit Rache, die er allerdings erst einige Wochen später in die Tat umsetzte, nachdem sein Vater über die nachlassenden schulischen Leistungen Beckers informiert worden war. 12 3. Zweikämpfe zwischen Jugendlichen oder Jugendgruppen kennen fraglos eine Reihe von typischen Konfliktkonstellationen, von typischen Orten für den Austrag solcher Konflikte sowie von typischerweise an ihnen beteiligten Akteuren, die im Laufe der letzten drei bis vier Jahrhunderte durchaus variabel waren. Zu ersteren zählen etwa Spannungen zwischen den Jugendschaften benachbarter Dörfer, zwischen Gymnasiasten und Hauptschülern, Bauersburschen und Soldaten, städtischen Handwerksburschen und Soldaten, zwischen Handwerksgesellen und Studenten, zwischen den Heranwachsenden unterschiedlicher Stadtviertel oder Straßenzüge, zwischen Kindern unterschiedlicher ethnischer Abstammung, Nationalität oder Religion, zwischen den Anhängern rivalisierender Sportclubs. Ebenso zahlreich sind die typischen Kampfesorte, bei denen es vielfach Überschneidungen zwischen Jugend- und Erwachsenenkultur gibt: Das Wirtshaus und die darum liegenden Gassen, die Kirchweih, Hochzeiten, Tanzveranstaltungen und andere öffentliche Feste, der Schulhof, die Diskothek, das Stadion. Die augenfälligsten Akteure der frühen Neuzeit waren neben den Knabenschaften die städtischen Handwerksgesellen und Studenten sowie die Organisationsformen des männlichen Gesindes, deren ‚jugendliche‘ Mitglieder zwar ledig, aber durchaus auch 30 Jahre alt sein konnten; in der Moderne sind es Hooligans und Ultras, Apaches oder wilde Cliquen, Mods und Rocker, Halbstarke, Hip-Hopper oder Gangs. All diese Formen jugendlicher Subkultur kann man in Anlehnung an den englischen Soziologen Paul Willis als Proto-Gemeinschaften bezeichnen, die sich grundlegend von organischen Gemeinschaften wie Sippe, Nachbarschaft, Dorfgemeinschaft oder Zunft unterscheiden. Sie bilden sich nicht ausgehend von bewussten Zwecksetzungen, sondern aus beliebigen Anlässen, aus Spaß, gemeinsamen Wünschen, dezentrierten Überschneidungen oder einfach aus Zufällen heraus und werden von gemeinsamen Stilen, Moden, 12 Vgl. dazu: Peter W ETTMANN -J UNGBLUT : „Wir stehen am Ende.“ Gewalt des Krieges und Gewalt unter Schülern des Saarbrücker Gymnasiums in den Jahren 1870/ 71, in: 400 Jahre Ludwigsgymnasium, Saarbrücken 2004, S. 213-224, hier v. a. S. 217 ff. 319 Wettmann-Jungblut Interessen, Gefühlen, Positionen und Leidenschaften ihrer Mitglieder zusammengehalten. Ihr eher privates Gemeinschaftsgefühl steht dennoch häufig in enger Verbindung mit öffentlichen traditionellen Gemeinschaftsinteressen - sichtbar etwa im gemeinsamen offenen Trinken im Wirtshaus oder im Heimlichen an speziellen Treffpunkten, ein Verhalten, das zudem eine Art der Identifikation mit den Erwachsenen anstrebt und einen Versuch, von den Erwachsenen als Erwachsene akzeptiert zu werden, bildet. 13 Ungeschriebene Regeln für Zweikämpfe innerhalb dieser Gruppen oder zwischen zwei Gruppen hat es zweifelsohne in der einen oder anderen Form stets gegeben, wenngleich ihre nachträgliche Rekonstruktion nahezu unmöglich ist. Sie mussten das schwierige Unterfangen meistern, den - auch gewalthaften Austrag - von Konflikten um Rang und Namen zu ermöglichen und zugleich zu begrenzen, was nicht immer gelang. Für das preußische Rheinland des 19. Jahrhunderts, in dem das Messertragen und die Fähigkeit zu dessen kämpferischen Gebrauch integrale Bestandteile des männlichen Habitus waren, hat Dagmar Ellerbrock jüngst festgestellt, dass die pubertären Spiele der Männlichkeit stets in aller Öffentlichkeit in einer Gruppe von Männern vollzogen werden, die die Spielregeln und Logiken des Feldes kennt und aus dieser Kenntnis heraus Ansehen und Akzeptanz verteilt. Die den Messerhändeln inhärenten Gesetzesverstöße zielten im Ergebnis gerade auf die Internalisierung der friedenswahrenden Regeln, denn die bereits etablierte Männlichkeit wachte mit aufmerksamem Auge über die Grenze zwischen akzeptierten, weil nicht schwer verletzenden und ungewollten, da zerstörerischen Messerhändeln. 14 Doch auch diese ‚Regelhaftigkeit‘ von jugendlichen Zweikämpfen bot keine Garantie dafür, dass Kämpfe nicht kippten, dass Kampfsituationen nicht katastrophische Züge annahmen und Sensibilitätsschwellen überschritten wurden, dass der Kampf nicht allein um des Kampfes willen geführt wurde. Es gehört zu den modernen pädagogischen und kriminologischen Mythen, wenn behauptet wird, in Kämpfen unter Jugendlichen werde heute - und nur heute - nach dem Zufälligkeitsprinzip zugelangt, es gäbe keinen Ehrenkodex und keine Regeln mehr, die das ‚Opfer‘ schützen, denn derartige Regeln waren schon immer ambivalenter Natur oder wurden aus vielfältigen Motivationen heraus übertreten. 15 Wer Erich Kästners ‚Fliegendes Klassenzimmer‘ kennt, der weiß, dass die Realschüler ihr Wort brechen und die gefangenen Gymnasiasten nicht freilassen, obwohl der starke Matz den Kampf gewonnen hat, woraufhin die Gefangenen mit Gewalt befreit werden müssen. Konkurrenzdenken und der unbedingte Wunsch, als Sieger gefeiert zu werden, ließen oft wenig Platz für Fair Play, und es war nicht ungewöhnlich, für diesen Zweck übernatürliche Hilfe einzuholen. So wurden im November 1759 der 21jährige Lorenz Ganz 13 Vgl.: Paul W ILLIS (unter Mitarbeit Simon J ONES u. a.): Jugend-Stile: Zur Ästhetik der gemeinsamen Kultur, Hamburg/ Berlin 1991, vor allem S. 174-179 u. 126. 14 Dagmar E LLERBROCK , Generation Browning. Überlegungen zu einem praxeologischen Generationenkonzept, in: Geschichte im Westen 26 (2011), S. 7-34, hier S. 17 u. 20. 15 Die angeblich früher unbekannte ‚Exzessivität‘ von Gewalttaten Jugendlicher wird teilweise auch damit zu erklären versucht, dass viele Täter keine Empathie mehr empfinden könnten und das Schicksal ihrer Opfer für sie ohne Belang sei, da der malträtierte Gegenüber in einer Mischung aus Kurzschluss und psychischem Ausnahmezustand nicht mehr als Mensch wahrgenommen werde. Der Mensch, der auf der Straße oder in der Schule geprügelt werde, sei in der Wahrnehmung der Täter ein virtueller Mensch. 320 Zweikampf als Muster (vor)moderner Jugendkultur und der 18jährige Gervasius Wehrle von St. Märgen des Gebrauchs sortilegischer Sachen und vor allem eines Buches verdächtigt, in dem allerhandt gebetter, und seegen wider das hauen, stechen, schiessen c.c. enthalten sein sollten. Lorenz Ganz hatte sich dieser angeblich bedient, als er beim Tanz im St. Märgener Wirtshaus mit einigen Bauernburschen und Knechten Händel ahngefangen, und sie zum Raufen herausgefordert habe, mit Vermelden, er förchte nichts. Zum Beweis sollte er ein Glas mit der flachen Hand zu Pulver zerschlagen haben, ohne sich zu verletzen, ja sogar Scherben freßen, ohne davon beschädigt zu werden. Damit er diese abergläubischen Künste desto sicherer vollbringen könne, pflege er sich mit einem gewissen Leinöhl zu beschmieren und könne sich gefröhren. Dieses Fest- oder Gefroren-Machen, das Unverwundbarkeit gegen Hieb, Stich und Schuss und andere Verletzungen sowie Unüberwindbarkeit im Raufen und Ringen verleihen sollte, erlebte seit dem Dreißigjährigen Krieg einen enormen Aufschwung und lässt sich bis ins 19. Jahrhundert nachweisen. 16 Auf der frühneuzeitlichen Dopingliste der beiden Jugendlichen standen zwar keine steroiden Anabolika, aber noch ein verfluchtes Mittel, die Eberstwurtzel 17 zu graben, um selbsten sich, auch die Ross stark zu machen, und ein sogenannter Strahlstein, der - in einem Fingerring getragen - den Gegner härter zu raufen und zu schlagen helfen sollte. 18 Ebenso können Regularien, die in der Theorie dazu dienen sollen, den Austrag von Konflikten und Machtkämpfen mit physischer Gewalt zu verhindern, in der alltäglichen Praxis gegenteilige Effekte zeitigen. So lehnt die moderne Jugendkultur der Hip Hopper physische Gewalt prinzipiell ab; Jugendliche sollen stattdessen ihre Fähigkeiten (skills) in den vier Hip Hop-Elementen Sprayen, Djing, Rappen und Breaken im Rahmen sogenannter battles miteinander messen. Verbale Gewalt ist hingegen zentraler Bestandteil der Hip Hop-Kultur, da diese unter anderem durch Battle-Rap-Texte vermittelt wird, und findet ihren Ausdruck im Dissen (dem Beleidigen, Schimpfen oder Bedrohen einer Person) und Boasten (dem Herausstellen der eigenen Überlegenheit und der Herabwürdigung des Gegenüber). Diese gezielten Provokationen lassen die battles allerdings leicht in Gewalt umschlagen, während andererseits die disses langfristige Streitereien (beefs) verursachen können, die durch Skrupellosigkeit und Brutalität bis hin zum Mord charakterisiert sind. 19 16 Dazu: [Art.] festmachen II, in: Hanns B ÄCHTOLD -S TÄUBLI (Hg.): Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens, Berlin 1927-1942, Bd. 2, Sp. 1353-1368. 17 Der Eberwurz, auch Kraftwurz oder Roßwurz genannt (Silberdistel), wurden im Volksglauben, aber auch von Paracelsus, allerhand magische Kräfte zugeschrieben, sie galt als Symbol der Kraft, der Potenz und starken Männlichkeit. Der Name rührt daher, dass kranke Eber nach ihrem Verzehr angeblich ihre Gesundheit und Stärke wiedererlangen sollten. Sie sollte etwa, an den Schweinetrog genagelt, Krankheiten vom Vieh fernhalten; jedem, der sie bei sich trug, sollte sie Kraft verleihen, während sie dem Mitwandernden Kraft entziehen und auf den Besitzer der Eberwurz übertragen sollte. 18 Wehrle und Ganz wurden ihrer verübten Künste wegen mit einer öffentlichen Kirchenstrafe belegt, d. h., sie mussten zwei Stunden vor der St. Märgener Kirche stehen, mit einem Schild wegen Aberglauben um den Hals und einer Rute in der Hand. Sie mussten ferner der Kanzlei ein Zertifikat über eine Beichte bei einem Priester vorlegen; vgl.: GLA, 67/ 1270, S. 167-187. 19 Vgl. dazu Nina S CHULZ : Punks, Skinheads und Hip Hopper - Jugendkulturen zwischen Gewaltlust und Kanalisation von Aggressionen, in: AJS-Forum 33,4 (2009), S. 4 f.; URL: www.ajs.nrw.de/ images/ pdf/ forum/ 2009-4.pdf (zuletzt am 27. Mai 2011). 321 Wettmann-Jungblut 4. Abschließend sollen aus der Vielzahl der bewussten oder unbewussten Intentionen der Akteure in jugendlichen Zweikämpfen zumindest drei aufgeführt werden. Bereits Erving Goffman hat darauf hingewiesen, dass soziale Begegnung im öffentlichen Raum unter dem Primat der Bewachung und Verteidigung eines eigenen Territoriums - im Sinne einer unabdingbaren Sicherheitszone und als Stellvertreter für die Anrechte und Ansprüche eines Menschen zu anderen - steht. Hinter dem jugendlichen Hang zu gewalttätigem Handeln standen lange lokales Revierdenken und eine Logistik der lokalen Präsenz, die von den Heranwachsenden ein- und ausgeübt und von den Erwachsenen weithin anerkannt wurde. 20 Territorien können dabei nicht nur durch physische Gewalt, sondern auch durch Lautstärke markiert und verteidigt werden nach dem Motto: ‚Soweit du mich hören kannst, so weit geht mein Reich‘. In vergleichbarer Weise kann laute Kommunikation oder ein lauter Gefühlsausbruch den Territorialraum eines Anderen verletzen. In diesen Kontext gehören die akustischen Signale der modernen ‚Ghettoblaster‘ ebenso wie das heute allenfalls unter folkloristischen Aspekten anzutreffende ‚Jauchzen‘ der Jugendlichen des Alpenraums. Letzteres war Ausdruck des Selbstbewusstseins und des Vertrauens in die eigene ungestüme Körperkraft, zugleich auch eine Aufforderung an alle, sich dem eigenen Hochgefühl anzuschließen, beziehungsweise eine potentielle Kampfansage an die, die nicht mitmachen wollten, in jedem Fall aber ein unüberhörbares ‚körpersprachliches‘ Signal massierter Anwesenheit. 21 Vor allem für Jugendliche und Heranwachsende, die ihren Platz in der Gesellschaft noch nicht gefunden, als Lehrlinge, Knechte oder Gesellen jedoch oft die schützenden familiären und verwandtschaftlichen Beziehungen verloren hatten, war die Sicherung eines Territoriums von elementarer Bedeutung. Für sie galt es, in diesen Zweikämpfen die Verteidigung eines Raumes oder eines Territoriums zu gewährleisten, eigene Machtansprüche durchzusetzen und fremde Machtanmaßungen zurückzudrängen. Man darf annehmen, dass Territorialität eine starke Motivationsquelle für das menschliche Verhalten darstellt. Der Besitz eines Raumes befriedigt teilweise das Bedürfnis nach Sicherheit; weitaus wichtiger ist aber, dass er das Identitätsgefühl ausbildet und verstärkt, weil er jedem Individuum einen Platz zuweist, der ihn von allen anderen Mitgliedern der Gruppe unterscheidet. 22 Seit der ‚Erfindung‘ von Jugend als eigenständiger, gleichzeitig gefährdeter und gefährlicher Lebensphase im späten 18. Jahrhundert, gibt es auch eine mehr oder minder heftig geführte gesellschaftliche Diskussion um den richtigen Umgang mit gewalttätigen jungen Männern. Der öffentliche Diskurs der vergangenen Jahrzehnte verdächtigte nicht nur Jugend im Ganzen als eine Gruppe, von der eine besondere Bedrohung und Gefährlichkeit ausgeht, sondern die Gesellschaft ist seit den 1990er Jahren auch speziell für Gewalt in den Schulen sensibilisiert. Diese Gewalt, aber auch der größte Teil des sichtbaren, nach außen wirkenden provokativen Verhaltens von Kindern, Jugendlichen und Heranwachsenden, ist ein dominant ‚männliches‘ Phänomen, wenngleich Mäd- 20 S CHINDLER : Nächtliche Ruhestörung (Anm. 5), S. 229 f. 21 Ebd., S. 230. 22 Vgl. Leon M ANN : Sozialpsychologie, 11. Aufl., Weinheim/ Basel 1999, v. a. S. 35-37. 322 Zweikampf als Muster (vor)moderner Jugendkultur chen nicht nur Opfer oder Unbeteiligte sind. Sie ist neben anderem auch auf alterstypische Verhaltensformen zurückzuführen: höhere Risikobereitschaft, Neugier, Experimentierbereitschaft und das Bedürfnis nach dem Austesten von Grenzen. Dieses Risikohandeln ist unter Rückgriff auf Pierre Bourdieus Überlegungen zur ‚männlichen Herrschaft‘ und seine Figur der ‚Strukturübungen‘ als funktional für die geschlechtliche Sozialisation von Männern interpretiert und als Teil der normalen Entwicklung männlicher Jugendlicher, als entwicklungsphasentypische Form der ernsten Spiele des Wettbewerbs, in denen Männlichkeit entworfen und erworben wird, gewertet worden, die paradoxerweise auch als Ressource von Solidarität unter Männern und Adoleszenten wirkt. 23 Es steht zu vermuten, dass Jugendliche selten voller Stolz und wohlgemut in ihre Zweikämpfe schritten, sondern meistens die Hosen gestrichen voll hatten. In der Überwindung der kleinen Ängste wie der Urangst vor dem Tod fanden sie selbst als Verlierer ihren ‚persönlichen‘ Sieg und ihren Beweis von Virilität, und aus dieser gemeinsamen Überwindung erwächst die vergesellschaftende Funktion des Kampfes, die Achtung des Selbst und die Achtung des Gegners. Die Bande der ‚Weißen Rosen‘ um Kalle, Anders und Eva-Lotta, die in Astrid Lindgrens Kalle Blomquist-Trilogie ständig gegen die ‚Roten Rosen‘ um Sixten kämpft, sind nach Feierabend deren dickste Freunde. Und Lebrac, der Anführer der Jungen von Longueverne, trifft im Internat, in das ihn sein Vater am Ende von Louis Pergauds Buch steckt, auf den Anführer der Jungen von Velrans. Sie freunden sich an und beschließen, niemals so zu werden wie - na was wohl - ihre Väter! Schließlich steht gerade hinter dem männlichen Risikoverhalten auch der Versuch, die eigene Identität über den Zusammenstoß mit der Welt und dem Risiko herzustellen, eine Suche nach dem Augenblick der Wahrheit. 24 Die Mehrzahl der Erwachsenen mag die neuronal-haptische Erregung bei der rücksichtslosen Gefährdung der eigenen Gesundheit wie der der Gegners nicht oder nicht mehr verstehen, vielleicht - außer im Sport - selbst nie erlebt haben. Doch es scheint in vielen Fällen der bewusst angestrebte Verlust aller Sinn- und kulturellen Grenzen zu sein, der männliche Jugendliche dazu bringt, durch ihr Risikoverhalten solche Grenzerfahrungen zu machen - oder, wie es ein Zürcher Hooligan formulierte: Alles muss Sinn machen im Leben. Das hier macht keinen Sinn. Genau das ist so verdammt geil. 25 Es ist, so ließe sich hinzufügen, eben nicht wie Bungee-Springen, sondern wie ‚Bungee-Springen ohne Seil‘ 26 . 23 Vgl. Michael M EUSER : Riskante Praktiken. Zur Aneignung von Männlichkeit in den ernsten Spielen des Wettbewerbs, in: Helga B ILDEN / Bettina D AUSIEN (Hg.): Sozialisation und Geschlecht, Opladen 2006, S. 163-178; DERS .: „Doing Masculinity“ - Zur Geschlechtslogik männlichen Gewalthandelns, in: Regina-Maria D ACKWEILER / Reinhild S CHÄFER (Hg.): Gewalt-Verhältnisse. Feministische Perspektiven auf Geschlecht und Gewalt, Frankfurt a. M. 2002, S. 53-78; und: E LLERBROCK : Generation Browning (Anm. 14), S. 17. 24 Vgl. David L E B RETON : Riskantes Verhalten Jugendlicher als individueller Übergangsritus, in: Jürgen R AITHEL (Hg.): Risikoverhaltensweisen Jugendlicher. Formen, Erklärungen und Prävention, Opladen 2001, S. 111-128, hier S. 111; DERS .: Lust am Risiko. Von Bungee-jumping, U-Bahn-surfen und anderen Arten, das Schicksal herauszufordern, Frankfurt a. M. 1995. 25 Siehe unter: URL: http: / / www.tagblatt.ch/ magazin/ tb-bu/ Auf-Knopfdruck-asozial; art338,1494736 (zuletzt am 20. April 2010). 26 „Bungee-Springen ohne Seil“, in: Der Spiegel 45 (1997), S. 207 f. 323 Wettmann-Jungblut Das Nicht-Verstehen-Können entbindet uns freilich nicht davon, uns zu einer - im Foucaultschen Sinne - ‚Geschichte der Gegenwart‘ verbaler oder gewalthafter Zweikämpfe zu verhalten und zu positionieren, denn ein Blick in die Archive lehrt uns, dass eine in Gestalt von Risikohandeln forcierte Männlichkeit kein Spezifikum in Zeiten einer Transformation der Geschlechterordnung darstellt. 27 Es ist zugleich unübersehbar, dass sich die europäische Kultur der Moderne von anderen Kulturen dadurch unterscheidet, dass sie einerseits Gewalt unter einen besonderen Legitimationsdruck gestellt hat, andererseits zugleich eine - zumindest phasenweise - extrem gewalttätige Kultur war und ist und in diesem Spannungsfeld bestimmte Formen der Gewalt verleugnet, wegerklärt und verrätselt. Sie besitzt, so Jan Philipp Reemtsma, nicht nur ein anderes Konzept der Sortierung von erlaubter/ gebotener/ verbotener Gewalt, sondern ein von Grund auf anderes, nämlich das, dass Gewalt - und das heißt: nicht nur Gewalt am falschen Ort, zur falschen Zeit, gegenüber den falschen Leuten - an sich ein Problem ist. 28 Während Gewalt im öffentlichen Raum zunehmend geächtet wird und für die meisten Menschen selbst eine Prügelei unter Heranwachsenden heute keine tolerable Form der Auseinandersetzung mehr ist, kämpfen manche Eltern darum, aus ihren prügelnden Knaben keine Monster zu machen und die gegen diese wegen einer blutenden Nase ausgesprochenen Schulverweise wieder rückgängig zu machen. Während ‚Jugendsünden‘ in Form von Schlägereien oder lebensgefährlichen Verwundungen lange kein Hindernis für eine Laufbahn im obrigkeitlichen Dienst frühneuzeitlicher Städte - als Rat, als Zunftmeister, als Vogt - waren, 29 bringen solche Vergehen heute eine oft lebenslange Stigmatisierung mit sich. Man kann und muss weiterhin den absoluten Respekt vor der physischen und moralischen Unversehrtheit jedes Menschen betonen und dennoch die Auffassung vertreten, dass eine Welt ohne Gewalt kaum vorstellbar ist und auch die Moderne der Gewalt nicht entrinnen kann. Der (regulierte) Austrag von Konflikten stellt allerdings weder eine Vorstufe zur Gewalt dar, noch begünstigt er den Anstieg anomischer Gewaltformen; vielmehr scheint gerade überall dort, wo (semi)institutionelle Strukturen zum Austrag von Konflikten existieren, blinde Gewalt keinen Platz zu haben. 30 27 M EUSER : Riskante Praktiken (Anm. 23), S. 169. 28 Jan Philipp R EEMTSMA : Hässliche Wirklichkeit, in: Süddeutsche Zeitung, 25.01.2009. 29 Vgl. etwa: Samuel S CHÜPBACH -G UGGENBÜHL : Schlüssel zur Macht. Verflechtungen und informelles Verhalten im Kleinen Rat zu Basel, 1570-1600, 2 Bde., Basel 2002. 30 Vgl. dazu: Michel W IEVIORKA : Die Gewalt, Hamburg 2006. 324 Teresa Ende und Jürgen Müller En garde! Duelldarstellungen in der bildenden Kunst und im Film Wer zuerst schießt, verliert, lautet jedenfalls das Ergebnis einer Studie von Forschern des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen. 1 In ‚Schusswechseln‘ via Knopfdruck ließen sie Testpersonen im Labor paarweise gegeneinander antreten, um die Dynamik von intentionaler und reagierender Bewegung zu untersuchen. Diejenigen ‚Duellanten’, die auf den Knopfdruck des Gegners reagierten, waren im Durchschnitt 21 Millisekunden schneller als diejenigen, die den Schlagabtausch eingeleitet hatten. Angesichts der existenziellen Bedeutung schneller Reaktionszeiten für das Überleben in Gefahrensituationen ist es entwicklungsgeschichtlich nicht überraschend, dass das menschliche Gehirn die gleiche Handlung schneller ausführen kann, wenn es auf seine Umwelt reagiert als wenn es selbst agiert. 2 Die Spannung und Gespanntheit, die sich aus der Reibung von Aktion und Reaktion, Angriff und Erwiderung, Bewegung und Gegenbewegung ergibt, muss auch jede künstlerische Umsetzung eines Duells vermitteln. Wenn im Folgenden das Motiv des Duells im Film und in der bildenden Kunst untersucht wird, so soll dabei der Blick für die Ästhetik des bewegten und des unbewegten Bildes geschärft werden. Keinesfalls geht damit die Repräsentativität des gezeigten Materials einher. Im Mittelpunkt der Betrachtungen stehen ikonografische Topoi, die sich in Bezug auf das Duell ausgebildet haben. Zunächst wird eine Vorstellung von der vor dem Kino etablierten Ikonografie des Duells in der bildenden Kunst vermittelt. Im Anschluss daran werden anhand von Filmbeispielen exemplarisch die Möglichkeiten des filmischen Duells vorgestellt. Die Darlegungen zum Thema fallen dabei weniger sozialgeschichtlich als vielmehr ästhetisch aus - ob die in den Bildern genutzten Waffen und Uniformen historischer Überprüfung standhalten, ist weniger Gegenstand der Überlegungen als die Frage, mit welchen ästhetischen Strukturen und Stimulationsverfahren wir es im Rahmen von Duelldarstellungen zu tun haben. Der Schwerpunkt liegt auf der Sinnbildqualität des Duells. Bis in die Filmgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts hinein haben Duelle immer wieder die Fantasie von Künstlern und Filmregisseuren angeregt. Dabei stellt das Duell im Rahmen so genannter Mantel- und Degenfilme einen Topos dar, der als historische Form die Ästhetik gewalttätiger Auseinandersetzung dieser Filme geradezu bestimmt. In gewisser Hinsicht trifft dies auch für Piratenfilme zu, wenn wir nur an das erfolgreiche 1 O. A.: He Who Shoots First Loses, in: Max Planck Research 2 (2010), S. 39, URL: http: / / www.mpg.de/ 789655/ S003_ Spectrum_038-043.pdf (zuletzt am 12. Februar 2011). 2 Andrew E. W ELCHMAN u. a.: The quick and the dead: when reaction beats intention, in: Proceedings of The Royal Society B. 277, February 3, 2010, S. 1667-1674. URL: http: / / rspb.royalsocietypublishing. org/ (zuletzt am 3. März 2011). 325 Ende und Müller ‚Pirates of the Caribbean’-Franchise denken. Doch mag es im Kino eindeutige Genrezuordnungen des Duells geben, so trifft dies für die bildende Kunst nur begrenzt zu. Es gibt keine kunsthistorische Monografie, die sich dem Thema Duell in der bildenden Kunst widmet. Der Beitrag versteht sich daher als Versuch einer ersten Auseinandersetzung und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Besonders viele Abbildungen von Duellszenen finden sich in der populärwissenschaftlichen Untersuchung von Martin Monestier ‚Duels. Histoire, Techniques et Bizarreries du Combat Singulier’, die dem verwendeten Bildmaterial jedoch lediglich illustrativen Charakter zukommen lässt. 3 Darüber hinaus führt die Darstellung Monestiers die Geschichte des Duellierens vorrangig mit der französischen Geschichte parallel. Da Frankreich jedoch seit dem 16. Jahrhundert bis weit in das 19. Jahrhundert hinein eines der klassischen Länder des Zweikampfes war und sich in der Duellpraxis die meisten europäischen Staaten an der französischen orientierten, kann Monestiers Untersuchung wahrscheinlich als allgemein gültig angesehen werden. 4 1. Beginnen wir mit einer berühmten Duelldarstellung aus dem 19. Jahrhundert. Sie stammt von dem Historienmaler Jean-Leon Gérôme, der vor allem als Orientalist hervorgetreten ist. Sein Gemälde (Abb. 1) aus dem Jahr 1857 zeigt ein Duell nach einem Maskenball. Der unterlegene Kämpfer ist tödlich verletzt und wird vom Künstler im Pierrotkostüm dargestellt. Als seinen Gegner wird man den sich entfernenden Harlekin erachten müssen, der von seinem Sekundanten - der als Indianer verkleidet ist - begleitet wird. Pierrot muss von seinen Freunden gestützt werden. Er hat die Herrschaft über seinen Körper verloren, wie man an Beinen, Füßen und der Gesamthaltung erkennen kann. Lediglich seine rechte Hand hält das Florett, während der in Rot gekleidete Mann die Wunde zu untersuchen scheint. Die Deutung des Bildes ist insofern schwierig, als sich dem Interpreten zwei Möglichkeiten bieten. Zunächst erkennt man eine Szene, die sich in dem Sinne ereignet hat, dass sich zwei Männer während eines Maskenballs entzweit haben, um sich daraufhin zu duellieren. Doch je länger man das Bild betrachtet, desto emblematischer erscheint der dargestellte Sachverhalt. Man geht wohl nicht zu weit, hier eine Allegorie des menschlichen Lebens zu erkennen. Das Duell stellt ein Sinnbild dar. Es wird in den Rang eines Historienbildes gehoben. Die Rollenhaftigkeit menschlichen Daseins, ja seine Absurdität, werden hier zum Ausdruck gebracht. Im Hintergrund sind zwei Kutschen zu erkennen, die vor dem im Nebel verschwimmenden Horizont erscheinen. Woher kamen die Duellanten? Und wer verbirgt sich hinter ihren Masken? Das Bild kennzeichnet eine gewisse Widersinnigkeit, schließlich 3 Martin M ONESTIER : Duels: histoire, techniques et bizarreries du combat singulier des origines à nos jours; les gages de bataille, les tournois, les jugements de Dieu, les gladiateurs, les duels judiciaires, les duels du point d’honneur, Paris 2005. 4 Zur Rolle Frankreichs bei der Ausprägung der europäischen Duellpraxis siehe: Peter H AUSER : Über das Duell in Frankreich im 19. und 20. Jahrhundert und seine Regelwerke, insbesondere den „Code du duel“ aus dem „Essai sur le duel“, von Comte Louis Alfred Le Blanc de Chatauvillard, erschienen 1836, Winterthur 2009. 326 En garde! ist hier im wahrsten Sinne des Wortes eine todernste Sache geschehen, aber alle Beteiligten werden paradoxerweise in historischen Kostümen oder clownesker Kleidung dargestellt. Die Vorgeschichte bleibt unklar, ganz so, als würde das Leben aus unverbundenen schicksalhaften Momenten bestehen, die sich nicht zu einem Ganzen fügen. Ebenso absurd ist, dass die Conditio humana zum Zweikampf stilisiert wird. Wenn wir nicht wissen, wer wir sind und woher wir kommen, wie kann einem dann daran gelegen sein, einen anderen zu töten? Abb. 1 Jean-Léon Gérôme: Duell nach einem Maskenball, 1857, Öl auf Leinwand. Das Bild hat in der Kunstkritik jener Zeit eine kontroverse Debatte ausgelöst, an der sich kein geringerer als Alexandre Dumas beteiligte, der das Werk als misslungen erachtete, wobei seine Argumentation, die das Geschehen als unwahrscheinlich bezeichnet, nicht wirklich zu überzeugen vermag. Dumas beklagt, dass uns das Bild an keinem wirklichen Drama teilnehmen lassen würde. Hämisch beendet er seine Kritik, indem er feststellt: Ist der Vorhang gefallen, wird er aufstehen, sich in seiner Loge umziehen und nachhause gehen. Bravo, Pierrot! 5 Der Maler Thomas Couture (Abb. 2) hatte schon vor Gérôme ein Duell zwischen einem Pierrot und einem Harlekin dargestellt, was er dem Kollegen nun vorwarf und ihn des Plagiats bezichtigte. 6 Doch bei einem Vergleich wird weniger der Diebstahl als vielmehr der Unterschied zwischen den beiden Bildern deutlich. Zwar gehen beide Ge- 5 La toile tombée. il va se relever, regagner sa loge, se déshabiller et rentrer chez lui. Bravo, Pierrot! - Zit. n. M ONESTIER : Duels (Anm. 3), S. 271. 6 Ebd. 327 Ende und Müller mälde auf ein tatsächliches Duell zwischen zwei französischen Politikern im Winter 1856/ 57 im Bois de Boulogne zurück - der Abgeordnete Deluns-Montaud und der ehemalige Polizeipräfekt Boitelle waren auf einem Maskenball aneinander geraten und duellierten sich daraufhin noch in Kostümen. 7 Gérôme geht es vor allem darum, eine elegische Stimmung zu schaffen. Er spielt mit der Flüchtigkeit des Daseins, das surreal und unbegreiflich erscheint. Dabei entwirft er ein poetisches und rätselhaftes Bild, das uns zur Einfühlung und zum Nachvollzug jener fantastischen Stimmung auffordert. Couture hingegen erfindet eine symbolträchtige Metapher des Welttheaters. Er zeigt, wie linkisch sich die Kombattanten anstellen, als ihnen die Waffen gereicht werden. Und vielleicht war es sogar seine Absicht, das Duellieren kritisch zu hinterfragen, um aufzuzeigen, welch groteske Veranstaltung ein solches Duell darstellt, das den Menschen in Rollen zwingt, die nicht ernst genommen werden dürften. Gérôme aber sieht den Menschen schuldlos verstrickt, betont die Absurdität des Ereignisses. Abb. 2 Thomas Couture: Das Duell des Pierrot, 1857, Öl auf Leinwand. Entscheidend für die unterschiedlichen Eindrücke beider Bilder sind zum einen der dargestellte Moment, zum anderen die Betrachterperspektive und die daraus resultierenden emotionalen Konsequenzen. Couture zeigt den Moment unmittelbar vor dem Kampf, dessen Ausgang wir nicht wissen können. Im Unterschied dazu legt Gérôme nahe, dass wir uns mit dem Unterlegenen identifizieren. Während die Täter fortgehen, 7 Dominique de F ONT -R EAULX , in: Jean-Léon Gérôme (1824-1904): L’Histoire en Spectacle, Ausstellungskatalog Los Angeles, The J. Paul Getty Museum, 15. Juni-12. September 2010, Paris, Musée d’Orsay, 19. Oktober 2010-23. Januar 2011, Madrid, Museo Thyssen Bornemisza, 1. März-22. Mai 2011, Paris 2010, S. 118-120 (Kat. 51). 328 En garde! bleiben die Betrachter mit Pierrot am Tatort zurück und werden zu Zeugen seines Sterbens. Soweit wir sehen, sind diese beiden Bilder und der skizzierte Streit ihrer Schöpfer das einzige kunsthistorische ‚Großereignis’, bei dem das Motiv des Duells im doppelten Sinne eine wichtige Rolle gespielt hat. Natürlich handelt es sich bei den genannten Werken nicht um die ersten Historienbilder, die das Duellmotiv in kunsttheoretischer Sicht geadelt hätten, aber die Aufnahme in die höchste Malereigattung ist in Bezug auf das Duell alles andere als selbstverständlich. Wenn Duellszenen zum Historienbild aufgewertet werden, so geht mit solchen Darstellungen zumeist die Historisierung des Sujets einher. Zum einen dienen Gewänder, Accessoires und andere Requisiten der Andeutung einer Narration, die ein Vorher und Nachher der dargestellten Szene suggerieren. Zum anderen sind es gerade die Masken, Kostüme und Waffen selbst, die es den Malern angetan haben und die mit großer Akribie dargestellt werden. Dies lässt sich unmittelbar nachvollziehen, wenn man das Gemälde Francesco Colemans ‚La confrontation de deux seigneurs italiens’ (Abb. 3) aus dem 19. Jahrhundert betrachtet, das zwei Edelmänner kurz vor einer bewaffneten Auseinandersetzung zeigt. Abb. 3 Francesco Coleman: La confrontation de deux seigneurs italiens, Öl auf Leinwand. Während ein Geistlicher und eine Frau noch versuchen, sich zwischen die Streithähne zu stellen, hat einer der beiden seinen Degen bereits blank gezogen, und der andere ist im Begriff, es ihm gleichzutun. Wie auch immer man die hier angedeutete Geschichte beurteilt, es ist die historische Fantasie der Darstellung im Sinne der Kostümkunde, die besonders ins Auge fällt. Damit sind die Detailliertheit und Gründlichkeit gemeint, mit 329 Ende und Müller der hier Waffen und Kleidung zur Darstellung kommen - das Samtkleid der Frau, die Stulpenstiefel ihres Mannes, die Uniformen und Sturmhauben der Garde. Alles ist mit außerordentlicher Präzision wiedergegeben. Zugleich werden hier ‚große Gefühle’ gezeigt. Der kleine Junge, der seinen Vater unterstützen will, rührt uns an. Die Anlage der Straße und die Reihung der Figuren hat etwas Bühnenartiges. Es ist, als wohnten wir einer Opernaufführung bei! Auch in Eugène Delacroix’ Darstellung des Duells zwischen Faust und Valentin (Abb. 4) spielt das historische Decorum eine wichtige Rolle. Wir sehen die Kämpfenden in Kostümen des 16. Jahrhunderts. Zudem verweisen die Treppengiebel auf die deutsche Architektur des Spätmittelalters. Delacroix erfindet einen Tathergang, wie er von Goethe in ‚Faust I’ nicht entworfen wurde, hält Mephistopheles doch den Degen des Valentin zurück, so dass sich dieser nicht schützen kann und von Fausts Waffe durchbohrt wird. Davon ist im Drama nicht die Rede. Der Künstler bemüht sich, den vorangegangenen Übermut von Faust und Mephistopheles mit zu skizzieren. Wir sehen die Laute und stellen uns die ausgelassene Stimmung vor, die den Abend bis dahin charakterisiert haben mag. Die Szenerie spielt sich auf einem menschenleeren Platz ab, auf welchem die Figuren gespenstische Schatten werfen, die den bedrohlichen Ausgang des Geschehens vorwegnehmen. Es ist eine romantische Szenerie, die man sich wiederum durchaus als Bühnenentwurf vorstellen könnte. Abb. 4 Eugène Delacroix: Duell von Faust und Valentin, 1828, Tinte auf Papier. Dass diese Beobachtungen des Tragischen und Elegischen auch in anderen Bildern eine Bestätigung finden, belegt ein Gemälde von Ilya Repin (Abb. 5), das die berühmte Duellszene zwischen Lenski und Onegin aus der Oper ‚Eugen Onegin’ von Peter Tschaikowski sowie der gleichnamigen Romanvorlage Alexander Puschkins zeigt. Repin inszeniert das Duell auf kluge Weise, wird doch die Komposition durch eine fallende Diagonale bestimmt, die von links oben nach rechts unten führt. Im Hintergrund sehen wir 330 En garde! den Kammerdiener Onegins, Guillot, als Sekundanten. Im nächsten Moment werden die Schüsse fallen und einer der beiden wird getroffen zu Boden sinken. Der Künstler zeigt, wie sehr die beiden Männer und ehemaligen Freunde um Haltung bemüht sind. Aufrecht stehen sie da und man glaubt, ihren unnachgiebigen Stolz im Standmotiv wiederentdecken zu dürfen. Für den Kenner von Tschaikowskis Musik evoziert das Bild zudem eine berühmte Arie. Repin hat das Duellmotiv 1901 übrigens ein weiteres Mal verwendet, führt nun allerdings dessen tödlichen Ausgang vor Augen (Abb. 6). Abb. 5 Il'ja Efimovic Repin: Duell zwischen Onegin und Lenski, 1899, Aquarell, Tusche. Abb. 6 Il'ja Efimovic Repin: Duell, 1901, Öl auf Leinwand. Wollten wir ein vorläufiges Fazit unserer Beschreibungen ziehen, so müssen wir feststellen, dass das Duell erst ‚kunstwürdig’ im Sinne des Historienbildes wird, wenn dem Betrachter ein Ereignis geschildert wird, das sein emotionales Engagement fordert. Dies wird erreicht durch das Einbinden der gezeigten Szene in eine Narration, indem der Bildszene vorausgegangene Momente und die tragischen Folgen mittels Kostümen und Requisiten zeichenhaft angedeutet werden. Der alles entscheidende, potenziell dramatischste Moment des Geschehens wird herausgelöst und gleichsam als eine Art Essenz des Elegischen und Tragischen mit größtmöglichem Effekt ins Bild gebracht. Doch wie werden wir als Betrachter zum Mitempfinden aufgefordert? Wir wissen um den verhängnisvollen Verlauf, den das Drama bei Goethe nimmt und um die schuldhafte Verstrickung, die sich durch den Mord an Valentin ergibt. Keines der Bilder lässt einen Zweifel daran, dass die dargestellte Szene ein böses Ende nehmen wird. Bei Coleman wird das Kind zur Waise, bei Repin der Freund vom Freunde getötet. Diese tragische Dimension und die selbstverständliche Zuordnung des Duellthemas in die Gattung des Historienbildes eignen dem Thema nicht seit jeher. Schaut man auf Gabriel de Saint-Aubins Gemälde (Abb. 7) mit dem sprechenden Titel ‚Parade du Boulevard’ aus dem Jahre 1760, fällt der Jahrmarktcharakter des dargestellten Duells ins Auge, das einem schaulustigen Publikum präsentiert wird. Die gaffenden Menschen stellen das eigentliche Thema des Bildes dar, wie uns schon der Titel berichtet. Dem Betrachter kommt die Aufgabe zu, die unterschiedlichen Reaktionen zu unterscheiden. Während der Junge im Vordergrund seine Mutter an der Hand zieht, damit sie anhält und mit ihm gemeinsam das ‚dramatische Ereignis’ und ‚heldenhafte Geschehen’ betrachtet, schaut das an den Baum gelehnte junge Mädchen auf die feschen Kämpfer. Doch dass 331 Ende und Müller der Kampf der beiden Gegner keinen tödlichen Ausgang nehmen wird, macht der Trommler in der rechten unteren Ecke deutlich, der eingeschlafen ist. Mit seiner Trommel hat er die Bevölkerung zum Jahrmarkt eingeladen und auf die dort stattfindenden Duelle hingewiesen. Wir werden hier Zeugen einer ‚Parade’, einer Darbietung von Schauspielern bzw. Komödianten, die dazu dient, das Publikum für die eigentliche Aufführung anzulocken, die dann kostenpflichtig ist. Der Figur des Schlafenden kommt die Aufgabe zu, den ‚Schwindel’ zu verdeutlichen, der hier stattfindet. Dies wird umso offensichtlicher, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass das Bild in der Tradition von Jahrmarkts- und Quacksalberdarstellungen steht, wie sie im 17. Jahrhundert in Holland entstanden. Gemalte Duelldarstellungen stellen keinesfalls die Regel dar. Sie bilden im Gegenteil die Ausnahme. Weitaus üblicher sind grafische Darstellungen, die ein didaktisches Interesse verfolgen. Als Beispiel sei eine Duelldarstellung (Abb. 8) aus der Zeit nach 1800 angeführt, die wohl zwei Soldaten der französischen Armee während des Italienfeldzugs Napoleons zeigt, die sich soeben duelliert haben. Während der eine tot zu Boden gesunken ist, verliert auch der andere sein Gleichgewicht wegen einer tödlichen Verletzung. Doch damit nicht genug: Im Mittelgrund erkennt man Soldaten, die sich zu einer Reihe formiert haben, um ihre Gewehre gegen die fliehenden Gegner zu Pferde abzufeuern. Abb. 7 Gabriel de Saint-Aubin: La Parade du Boulevard, 1760, Öl auf Leinwand. Die Radierung vermittelt ihre Botschaft in didaktisch kluger Weise. Zunächst glauben wir das Ende eines ehrenhaften Zweikampfes zweier gleichwertiger Gegner mitzuerleben. Dieser Eindruck wird besonders durch den pittoresken Eindruck des Ortes gesteigert, dessen ruinöse Mauern des Vordergrundes einen historischen Ort assoziieren lassen. Ganz so, als würden hier zwei antike Helden miteinander wetteifern. Man achte zudem auf den bedeutungsschweren Schatten, den die untergehen- Abb. 8 Engelmann: Un duel en Italie, um 1800, Radierung. 332 En garde! de Sonne wirft. Sodann kommen dem Betrachter Zweifel, ob die Duellanten nicht besser mit ihrer Einheit gegen den wirklichen Feind hätten kämpfen sollen. Jene Kritik an der verbreiteten, kampfschädlichen Duellwut teilte auch Napoleon. Gemäß seiner Devise Bons duellistes, mauvais soldats! versuchte er der Duellfreude im Zuge der napoleonischen Feldzüge entgegenzutreten. 8 Das Duell im weiteren Sinne kann auch zur Lasterdarstellung genutzt werden. John Sanderson Wells (Abb. 9) zeigt das unsympathische Bild eines Duellanten, der selbstherrlich seine Waffe inspiziert. Vermutlich hat er schon viele Gegner zur Strecke gebracht, jedenfalls können wir in dem Mann ein Sinnbild der Heimtücke entdecken. Es ist, als würde er vor seinem geistigen Auge schon das nächste Opfer sehen und einen gemeinen Plan aushecken. Die Kritik am Duell findet in vielfältiger Weise statt. Eine deutsche Grafik (Abb. 10) aus dem ausgehenden 18. Jahrhundert zeigt eine Auseinandersetzung mit tödlichem Ausgang, die den Duellanten als ebenso streitsüchtigen wie angeberischen Menschen charakterisiert. In dieselbe grafische Folge gehört ein aquarelliertes Blatt (Abb. 11), das wiederum ein Säbel-Duell unter französischen Soldaten zeigt und eine in französischer Empiremode gekleidete Frau, die als Ursache des Streits erscheint. Häufig anzutreffende Beispiele sind Darstellungen (Abb. 12) historischer Duelle, wie jenes zwischen Charles Lameth und dem Marquis de Castries, das zu Abb. 9 John Sanderson Wells, Ein Duell am Vormittag, Öl auf Leinwand. Abb. 10 Das Duell, Blatt 18 einer Serie, Deutschland, um 1790, Kupferstich, Radierung. Abb. 11 Säbelduell zweier französischer Soldaten, Nürnberg, 1796, Kupferstich, Radierung, Pinsel, aquarelliert. 8 H AUSER : Über das Duell in Frankreich (Anm. 4), S. 4. 333 Ende und Müller gleich den Kampf zwischen Königstreuen und Befürwortern der Revolution zum Ausdruck bringt. Freilich gibt es auch Darstellungen, die eine Ahnung von der Eleganz eines Duells vermitteln oder doch immerhin von der sportlichen Leistung, die es darstellt. Der Kampf (Abb. 13) eines maître d’armes gegen dreizehn prévôts d’armes, die er einen nach dem anderen tötete, führt die überlegene Physis des Siegers vor. Einmal mehr hat er einen Gegner tödlich getroffen. Paul Schaan (Abb. 14) hat im Jahre 1914 versucht, die Eleganz und den Mut eines Degenkämpfers zu inszenieren, der sich zweier Gegner gleichzeitig zu erwehren hat. Während die beiden Kontrahenten ihre Körper linkisch biegen und drehen, ist der Einzelkämpfer in kraftvoller, vorwärts stürmender Pose dargestellt, die an antike Kämpferfiguren erinnert. Abb. 12 Duell zwischen Charles-Malo-François, Comte de Lameth, und Armand Charles Augustin, Marquis de Castries, 1790-1799, Document Carnavalet. Abb. 14 Paul Schaan: Ein Duell im 17. Jahrhundert, Öl auf Leinwand, Catalogue du Salon de Paris, 1914. Abb. 13 Duel d’un maître d’armes contre treize prévôts d’armes qu’il tua les une après les autres, Italien 1813, Grafik. Natürlich finden sich auch Darstellungen von Duellen, die in satirischer Absicht den mangelnden Mut oder die fehlende Satisfaktionsfähigkeit eines der Teilnehmer aufzeigen. Der Kampf zwischen einer Frau und einem Mann lässt die Furcht des Letzteren offenbar werden (Abb. 15), der ängstlich die Hand hebt und sich nicht zu wehren weiß. Nicht zuletzt wird hier die herrschende Geschlechterordnung verspottet - schließlich fanden die meisten Duelle aufgrund vermeintlich verletzter Frauenehre statt. Noch kompromittierender ist die antisemitische Darstellung eines Pistolenduells zwischen einem Studenten und einem Juden (Abb. 16) aus dem Jahre 1825 aus Nürnberg, das den einen Kontrahenten entspannt zeigt, wie er die eine Hand in die Tasche gesteckt 334 En garde! und die andere Hand mit der Pistole noch nicht einmal gehoben hat, während der als Jude gekennzeichnete Gegner die Waffe vor Angst schon in die Luft abgefeuert hat. Abb. 16 Peter Carl Geissler (Zeichner); Johann Nussbiegel (Stecher): Pistolenduell zwischen dem Juden Asch Gersdörfer und einem Studenten, Nürnberg 1825, Radierung. Abb. 15 Franz Ludwig Catel: Duell, 1801, Kupferstich. Abb. 17 Jean-Léon Gérôme: Le Duel à la Tulipe / Folie tulipière, 1882, Öl auf Leinwand. Eine ganz andere Form der Satire liefert Ende des 19. Jahrhunderts Jean-Léon Gérôme mit ‚Tulpenwahn’ von 1882, wiederum ein Gemälde, das auch unter dem Titel ‚Le Duel à la Tulipe’ bekannt ist (Abb. 17). Angesichts der folie de peinture der 1860er und 1870er Jahre gestaltete der Künstler hier eine Genreszene à la hollandais zur Zeit der Tulpomanie, 9 als die Spekulation mit Tulpenzwiebeln in Holland zum Marktkollaps führte. Inmitten eines Tulpenfeldes steht ein elegant gekleideter Adliger. Er hält den blanken Degen, um sich wegen der preisgekrönten 9 Mary G. M ORTON , in: Jean-Léon Gérôme (1824-1904): L’Histoire en Spectacle (Anm. 7), S. 152 (Kat. 87). 335 Ende und Müller Tulpe zu seinen Füßen mit den heraneilenden Soldaten zu duellieren. Auf dem Höhepunkt der Tulpomanie um 1636/ 37 reagierte der Markt mit einem Preisverfall, wodurch es zu Unsicherheit und Panikverkäufen kam, die zu großen Verlusten und Konkursen führten. Daraufhin schritten die Generalstaaten ein: Um das Angebot zu kontrollieren und den Markt zu stabilisieren, befahl die Regierung die Zerstörung der Tulpenbeete. Bei Gérôme stehen der entschlossene Ausdruck, die heroische Pose und prunkvolle Aufmachung des Blumenapologeten - der sich in seinem festlichen Kopfputz und dem schweren Mantel über Arm und Schulter sicher kaum erfolgreich duellieren könnte - in einem komischem Kontrast zu der Schutzbefohlenen, einer winzigen Topfpflanze von allerdings höchstem Wert. Die Absurdität der Kampfszene wird noch gesteigert durch die Konfrontation des vornehmen Offiziers mit den gemeinen Soldaten und der Gegenüberstellung der einzelnen Pflanze mit den Abermillionen blühender Tulpen, die sich auf den Feldern bis zum Horizont erstrecken. Auch formal unterstreicht Gérôme das Karikaturhafte des Possenspiels, wenn er die Bildkomposition, beinahe bildparallel, wie eine Bühnenszene anordnet. Abb. 19 Honoré Daumier: Combat des écoles - L’Idéalisme et le Réalisme, aus der Serie Fantaisies, publiziert in: Le Charivari, 24. April 1855, Lithografie auf Zeitungspapier. Abb. 18 Horace Vernet: L’Atelier, 1821, Öl auf Leinwand. Eine weitere Bezugnahme auf die holländische Malerei des 17. Jahrhunderts findet sich in Horace Vernets Gemälde ‚L’Atelier‘ von 1821, 10 in dem der Duelldarstellung allerdings eine ganz andere Bedeutung zukommt (Abb. 18). Im Atelier des Künstlers findet ein Übungsduell zwischen dem Künstler Vernet - der Fechter in Rückenansicht - und seinem Schüler Ledieu statt. In ihrer rechten Hand halten sie die Florette, in der Linken Palette und Pinsel. In dem großen Raum, der reich ausgestattet ist mit Malutensilien, militärischen Accessoires und lebenden Tieren, haben sich Gleichgesinnte, Schüler und 10 Die wichtigste Untersuchung zu Vernets Gemälde stammt von Nina Maria Athanassoglou-Kallmeyer, auf die sich die folgenden Ausführungen stützen. - Nina Maria A THANASSOGLOU -K ALLMEYER : Imago Belli: Horace Vernet’s L’Atelier as an Image of Radical Militarism under the Restoration, in: The Art Bulletin 68,2 (1986), S. 268-280. 336 En garde! Gönner des Malers versammelt. Mit der Szenerie der um eine martialische Kampfszene versammelten Männergemeinschaft mit ihren Uniformstücken, Waffen und Trommeln spielt der Bonapartist Vernet zur Zeit der bourbonischen Restauration sowohl auf ein napoleonisches Feldlager an wie auch auf eine Salle d’armes oder die konspirative Zusammenkunft eines Geheimbundes. Es ist ein politisches Gruppenporträt seiner selbst mit soldatischen Freunden und steht damit am Anfang einer Reihe von romantischen Atelierdarstellungen mit ideologischem Manifestgehalt. 11 Gleichzeitig enthält das Gemälde auch eine Kritik an der zeitgenössischen Pariser Kunstszene: Aus Protest gegen die Auswahlpolitik des offiziellen Salon und deren Ablehnung zweier seiner Bilder eröffnete Vernet 1822 eine eigene Protestausstellung, deren Gemälde wiederum voll von politischen Anspielungen waren. 12 Das Duell zwischen den beiden Künstlern in ‚L’Atelier‘ ist somit auch eine selbstbewusste kämpferische Demonstration im Sinne des alten Topos von der Analogie der Virtuosität des Malers mit der Geschicklichkeit des Fechters. 13 Für seinen witzigen Kommentar auf die widerstreitenden Tendenzen in der Malerei des 19. Jahrhunderts bediente sich auch Honoré Daumier des Duellmotivs (Abb. 19). In ‚Combat des écoles - L’Idéalisme et le Réalisme’ (1855) treten die hochaufgeschossene nackte Personifikation des Idealismus - mit historistischem Helm und einem langen Malstock als ‚Waffe’ - und die untersetzte Figuration des Realismus - mit verkniffenem Gesichtsausdruck, ordinärer Tracht und einem borstigem Pinsel als Kampfgerät - gegeneinander an. Auch wenn die zwei Kontrahenten hier also nicht mit gleichen Waffen verbissen kämpfen, bezieht sich Daumier in seiner Karikatur doch eindeutig auf die heroische Darstellungstradition des Duells, um die zeitgenössischen ‚Duellanten’ im kunsttheoretischen Richtungsstreit vorzuführen. Die bildlichen Darstellungen mit ihren Spannung generierenden Duellszenen lassen sich untergliedern in Abbildungen, vorrangig Grafiken, die das Duell als Ritual mit bestimmten Regeln vorstellen und mitunter als illustrierende Beibzw. Zugaben zu den sich im 19. Jahrhundert rasant verbreitenden Duell-Kodizes betrachtet werden müssen. Dann gibt es Duelldarstellungen, die sich des spannungsvollen Blickes ihrer Betrachter dadurch vergewissern, dass sie kontextualisierte historische Szenen von berühmten Duellen verarbeiten. Dazu zählen auch die bildlichen Verarbeitungen literarischer oder musikalischer Duelle, wie die berühmten Duelle zwischen Faust und Valentin oder das Duell Onegin gegen Lenski aus Alexander Puschkins ‚Eugen Onegin‘. Sicherlich tat es die bildende Kunst dabei der Literatur im 19. Jahrhundert gleich, wenn sie die wachsende Ablehnung des Duells aufnahm und dessen reaktionären Geist vorführte. Und schließlich haben wir gesehen, dass es Darstellungen gibt, die das Duell als ästhetischen Kampf vorstellen und dabei alle möglichen Stereotype historischer Epochen, wie Standeszugehörigkeiten und Schönheitsideale, vereinen und bühnenartig vorführen. Mitunter bedienen sich die Künstler dieser Darstellungstopoi auch für manifestartige Stellung- 11 Ebd. 12 Ebd., S. 280. 13 Zur Idee und Darstellungstradition der ‚Bravura’ vgl. die grundlegende Studie von: Nicola S UTHOR : Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München 2010. 337 Ende und Müller nahmen oder humorvolle Kommentare zu den politischen Ereignissen und/ oder kunsttheoretischen Diskussionen ihrer Zeit. 2. Dieser Abriss von verschiedensten bildlichen Duelldarstellungen, die ästhetisch oder historisch verklärend bis kritisch die Duellpraxis und mit ihr verbundene Mythen zum Thema machen, führt schließlich zur Frage nach der filmischen Repräsentation solcher Zweikämpfe. Wer über Filme als massenkulturelle Phänomene nachdenkt, wird schnell feststellen, dass der Erfolg des Kinos mit seiner Ästhetik der Spannung zu tun hat. Natürlich können Filme mehr oder weniger anspruchsvoll erzählt werden, natürlich gibt es Stars und Sternchen, aber das ausschlaggebende Phänomen am Kino ist der ‚Thrill‘. Selbst die Ausdifferenzierung in Gattungen kann vor diesem Hintergrund als der Versuch beschrieben werden, eine genrespezifische Spannung zu etablieren und zu steigern. Der so genannte Mantel-und Degenfilm, der als Subgenre des Abenteuer- oder Historienfilms gelten darf, wird durch mehrere Faktoren bestimmt. Er entwirft eine Epochenmetapher: Es geht um eine feudal-höfische Welt mit ihren Standesvorurteilen und Intrigen, die der Dramaturgie der Filme zuspielen. Darüber hinaus handelt es sich um Ausstattungsfilme, welche die Schauwerte ihrer Handlungsorte und Kostüme in besonderem Maße betonen. Hierher gehören Galanterie und Duell als besondere Kommunikationsformen jener Epoche. Natürlich hat dies weniger mit Geschichte als vielmehr mit Erzählökonomie zu tun. Die genannten Topoi des Mantel-und Degenfilms sind effiziente Motoren einer spannenden Handlung. Denn wenn Höflinge für Halunken gehalten werden, kann das Drehbuch mit dem Vorwissen des Betrachters arbeiten und daraus die Möglichkeit für Spannung und Überraschung ziehen. Im Film kann das Duell eine doppelte Funktion einnehmen. Einerseits ist es eine Epochenmetapher, andererseits ist es eine Form bewaffneter Auseinandersetzung, die natürlich Spannung erzeugt. Schauen wir also auf den wohl berühmtesten Film, in dem die Darstellung eines Zweikampfes eine wichtige Rolle spielt: Stanley Kubricks ‚Barry Lyndon’ (1975) zeigt zwei Duelle, die den Film gleichsam verklammern. Zu Beginn fordert der jugendliche Held Barry (Ryan O’Neal) einen englischen Offizier heraus, der seine Cousine heiraten möchte, in die er selbst verliebt ist (Abb. 20, 21). Abb. 20 Barry Lyndon. Abb. 21 Barry Lyndon. 338 En garde! Kubrick hat in seinem Film viele Gemälde des 18. Jahrhunderts zitiert, und auch diese Sequenz ist in diesem Sinne vollendet pittoresk. Der Zuschauer erkennt auf Anhieb den Unterschied zwischen den Kontrahenten. Die Montage und das Schuss-Gegenschussmodell erlaubt, den Hergang zu dramatisieren, weil wir zu Zeugen werden, wenn nicht gar mit den Augen der Akteure schauen dürfen. Kubrick psychologisiert den Hergang. Wir sehen die Ruhe von Barry, erkennen die Angst des Engländers und so steht der kommende Hergang eigentlich schon im Vorhinein fest. Tödlich getroffen, so meint man, fällt der englische Leutnant zu Boden. Barry muss fliehen und das Schicksal nimmt seinen Lauf. Im Nachhinein wird sich herausstellen, dass das Duell ohne Kugeln stattgefunden hat, um Barry zu täuschen, da sich die Familie nicht die Mitgift des Engländers entgehen lassen wollte. Das heißt, auch der Betrachter ist getäuscht worden. Damit steht das Duell hier als Auftakt und Symbol für das gesamte Leben des Helden, das auf Lug und Trug gebaut ist: Unter falschem Namen tritt Barry seine Reise an, wird Soldat und arbeitet sich als Späher, Spion, Falschspieler und Heiratsschwindler in den englischen Adel empor. In einer Art Zuspitzung der literarischen Vorlage, William Thackereys Satire auf das Genre des Abenteuerromans, entmythologisiert Kubrick Held und Duell gleichermaßen. Am Ende des Films findet ein weiteres Duell statt, das Barry mit seinem Stiefsohn austragen muss, der ihn unendlich hasst. Kubrick hat Sinn dafür, Spannung durch Langsamkeit entstehen zu lassen. Wir bekommen auch im zweiten Duell ausreichend Zeit, die Männer zu beobachten. Die Einstellungen vom Filmbeginn werden nahezu identisch wiederholt. Nur dass Barry diesmal auf der falschen Seite steht. Es ist eine Art Umkehrung der Anfangssituation, als er unerfahren und unterlegen, aber leidenschaftlich, auf Genugtuung bestand. Nun verzichtet er und verschont den Stiefsohn, dieser schießt vor dem vereinbarten Zeitpunkt schon bei ‚zwei’, Barry wird schwer verwundet und schließlich verstoßen. Wie eine Klammer fassen die beiden Duelle die Karriere Barrys und die Filmhandlung ein. In ‚Barry Lyndon’ ist das Duell zweierlei: Betrug und Fatum. Es wird von Fortuna regiert. Nicht der Held hat am Ende gewonnen, sondern der Zufall. Das Duell als Selbstmord stellt uns Stephen Frears‘ Film ‚Gefährliche Liebschaften’ 14 (1988) nach Choderlos de Laclos vor (Abb. 22). Abb. 23 Gefährliche Liebschaften. Abb. 22 Gefährliche Liebschaften. 339 Ende und Müller Mehrere Male hätte der Vicomte de Valmont (John Malkovich) im Verlauf des Duells seinen Gegner töten können, doch am Ende bestraft er sich selbst für sein verfehltes Leben, in dem es dem Meister der Manipulation nicht gelang, wahrhaftig zu sein. So wie die Kamera eingangs von oben auf die Duellszene einschwenkt, so eindrucksvoll steigt sie nach dem Tod des Vicomte auf und lässt den Leichnam zurück - so als hätte sich die Seele vom Körper getrennt und würde nun aufsteigen (Abb. 23). Die Unmittelbarkeit und Spannung erzeugende Kameraführung wird vom Einsatz der Musik unterstützt. Im ersten Teil des Duells gibt es überhaupt keine musikalische Untermalung, die einzigen Geräusche sind die Ausrufe der Kämpfenden, ihr Stöhnen und die Degenhiebe; erst mit den Rückblenden auf die gemeinsame Zeit mit Madame de Tourvel (Michelle Pfeiffer), die die Entscheidung zum Selbstmord herbeiführen, setzt Musik ein. Die Duellszene ist zwar nicht der Wende-, wohl aber der Höhepunkt des Filmgeschehens, weil in ihr mehrere entscheidende Ereignisse und Zeitebenen zusammenfallen - Briefzitate, Kampfszenen, Erinnerungsbruchstücke des Vicomte, der Auftrag an den Chevalier (Keanu Reeves), die Briefe der intriganten Marquise (Glenn Close) öffentlich zu machen, schließlich der Tod des Vicomte und der Madame de Tourvel. Das Duellgeschehen wird parallel geführt mit der schweren Erkrankung, Behandlung und schließlich des Todes der Madame de Tourvel, der ehemaligen Geliebten des Vicomte. Wie der Vicomte ist auch sie des ‚falschen’ Lebens überdrüssig. Als man ihr die Nachricht von der Reue und dem Tod des Vicomte überbringt, sind ihre letzten Worte wie am Ende einer Theatervorstellung: Genug, schließt die Vorhänge. Die Parallelmontage endet mit dem Tod beider. In einer Umkehrung der Film Noir-Ästhetik findet das Duell im Schnee statt. Allein dieses Setting stellt eine deutliche Zäsur dar, spielten doch alle vorangegangenen Szenen, das Beobachten, die Annäherungen und Gespräche zwischen dem Vicomte und Madame de Tourvel, in pastellfarbenen Interieurs oder lieblichen Parklandschaften. Die Duellszene nun wird von harten schwarz-weiß Kontrasten bestimmt: Die Kontrahenten - Valmont im dunklen Frack und mit weißer Perücke, der dunkelhaarige Chevalier im weißen Hemd - bewegen sich abwechselnd im hellen Schnee und auf dunklem Stein im Schatten eines Torbogens. Die Duellszene ist in dem Film ein Solitär - wo sonst Galanterie und Eleganz, Maskerade, Betrug und Selbstbetrug regieren, dominieren für einmal Derbheit, Kraft, spontaner Ausdruck, Ehrlichkeit und Konsequenz. Die Duellszene hat eine reinigende Funktion, auch wenn sie keine positive Wende im Leben der Protagonisten herbeiführt. 15 Aus der Vogelperspektive ist die riesige Blutlache Valmonts im Schnee zu sehen. Ute Frevert hat gezeigt, dass dem Blut im Duellritual eine entscheidende Rolle zukommt: Erst das (potenzielle) Blutvergießen im Zweikampf ermöglicht die Wiederherstellung der Ehre des Gekränkten. 16 In 14 Originaltitel: ‚Dangerous Liaisons’. 15 Alan Corkhill hat auf die Katharsis-Funktion des Duells hingewiesen. - Alan C ORKHILL : Abwandlungen des Duellrituals in der deutschsprachigen Literatur des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, in: Neophilologus 72 (1988), S. 244-257, hier S. 256; ebenso: Elisabeth F RENZEL : Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Stuttgart 2008, S. 123-125. 16 Ute F REVERT : Blut und Recht: Der Ehrenzweikampf, in: Christina von B RAUN / Christoph W ULF (Hg.): Mythen des Blutes, Frankfurt a. M./ New York 2007, S. 155-168. 340 En garde! ‚Gefährliche Liebschaften’ gibt Valmont sein Blut und das eigene Leben zur Wiederherstellung seiner moralischen Integrität; er lässt die Verwundung zu und verblutet, um seine Schuld zu sühnen. Der Tod ist hier, wie für Madame de Tourvel, ein Akt der Befreiung. Um eine Art Selbstmord handelt es sich auch beim Duell des nächsten Films. Der Kampf zwischen Baron von Innstetten und Major von Crampas in ‚Fontane Effi Briest’ 17 (1974) von Rainer Werner Fassbinder findet nicht statt, ohne dass wir zuvor das Gespräch zwischen Innstetten (Wolfgang Schenck) und seinem Adjudanten, Geheimrat Wüllersdorf (Karlheinz Böhm), gehört hätten (Abb. 24). Während sich Wüllersdorf anfangs durch seine wiederholte Frage Muss es sein? gegen das Duellieren ausspricht, hält Innstetten am Duell fest. Gleich einem ‚Götzendienst’ müsse es, unabhängig vom privaten Glück und Willen des Einzelnen, für die bestehende Werteordnung erbracht werden. Mit filmischen Mitteln unterstreicht Fassbinder die bei Fontane angelegte ethische Fragwürdigkeit des Duellrituals an der Jahrhundertwende, indem er das Problem zum Konflikt zwischen alter und neuer Zeit stilisiert: Das Gespräch zwischen Innstetten und Wüllersdorf wird parallel geführt mit Einstellungen der von Berlin nach Kressin fahrenden Eisenbahn. 18 Das moderne Transportmittel steht nicht nur symbolhaft für das neue mobile, technisierte Zeitalter, die Einstellungen der sich gleichmäßig und unaufhaltsam vorwärts bewegenden Maschine aus der Froschperspektive versinnbildlichen auch den unabwendbaren, sich automatisch vollziehenden Lauf der Ereignisse - auf Ehebruch und Ehrverletzung folgen die Forderung und Durchführung des Duells und die Verstoßung Effis (Hanna Schygulla). Abb. 24 Fontane Effi Briest. Abb. 25 Fontane Effi Briest. Das Duell schließlich findet am Strand statt (Abb. 25), an dem Ort, wo die Affäre von Effi und Crampas (Ulli Lommel) begonnen hatte und wo sie sich heimlich trafen. 17 Vollständiger Titel: ‚Fontane Effi Briest, oder Viele, die eine Ahnung haben von ihren Möglichkeiten und ihren Bedürfnissen und dennoch das herrschende System in ihrem Kopf akzeptieren durch ihre Taten und es somit festigen und durchaus bestätigen’. 18 C ORKHILL : Duellritual (Anm. 15), hier S. 246. 341 Ende und Müller Die Kamera ist weit entfernt vom Duellgeschehen und spiegelt das distanzierte Verhältnis zu dem Ehrritual wider: Die Ereignisse, die das Duell ausgelöst haben, liegen lange zurück und sind nach damaliger Auffassung verjährt, so dass ein Duell hätte vermieden werden können. 19 Die Beteiligten selbst sind verunsichert über das, was sie hier meinen tun zu müssen. Es gibt sogar einen Film, der aus einer Folge etlicher Duelle besteht und von Ridley Scott nach einem Roman Joseph Conrads gedreht wurde. In seiner Ästhetik orientiert sich ‚Die Duellisten’ (1977) an Kubrick, was das erste Duell deutlich macht, in dem ein französischer Offizier einen Zivilisten tötet (Abb. 26). 20 Ein witziges Detail ist, dass die Schauspielerin Gay Hamilton - die von Barry angebetete Nora Brady, um derentwillen er sich zu Anfang duelliert - bei Scott die vernachlässigte Frau Ferauds spielt, der sein Kontrahent D’Hubert scherzhaft Avancen macht. Der Film ist interessant, weil er ein Psychogramm zweier Menschen entwirft, die durch das Duell aneinandergekettet sind (Abb. 27). Natürlich erkennen die Zuschauer, welche absurden Konsequenzen dies hat. Der Film beginnt als Karikatur auf die Duellpraxis. Feraud (Harvey Keitel) zettelt Duelle wegen Nichtigkeiten an, es ist für ihn Selbstzweck und alltäglicher Zeitvertreib. Von D’Hubert (Keith Carradine) verwundet, will Feraud Revanche. Fortan bestimmt die Spirale aus Ehrbeleidigung und Forderung nach Genugtuung in einer Folge von Duellen das Dasein der beiden Protagonisten. In einer makabren Verkehrung wird hier das Duellieren zum Lebenszweck und endet erst, als D’Hubert den unterlegenen Feraud begnadigt, indem er den Lebenden für tot erklärt und so den Automatismus von Ehrverletzung und Forderung beendet. Abb. 27 Die Duellisten. Abb. 26 Die Duellisten. Das vielleicht berühmteste, jedenfalls das längste Duell der Filmgeschichte (Abb. 28), in dem Stewart Granger und Mel Ferrer gegeneinander antreten, stammt aus George Sidneys Film ‚Scaramouche, der galante Marquis’ aus dem Jahre 1952, der unmittelbar vor der französischen Revolution spielt. 21 Der nach dem Roman von Rafael Sabatini entstandene Mantel- und Degenfilm erzählt die Geschichte einer Rache. Am Ende 19 Ebd., S. 248. 20 Originaltitel: ‚The Duellists’. 21 Originaltitel: ‚Scaramouche’. 342 En garde! findet sich der Böse durch seine eigenen Waffen besiegt. Es handelt sich um den Marquis de Maynes (Mel Ferrer), den gefährlichsten Duellanten Frankreichs, der in einem grandiosen Showdown von Moreau (Stewart Granger) überwunden, aber nicht umgebracht wird. Interessant ist, wie sehr die Kamera in einen Bewegungsrausch verfällt (Abb. 29). Einmal befindet sie sich sogar an einem Ort, wo sie sich, wäre sie ein Beobachter der Kampfszene, gar nicht befinden könnte und erschließt für uns den filmischen Raum. Der Handlungsort ist bedeutsam, geht es doch um ein Theater, das mit seiner Ausstattung zum Sinnbild des Ancien Régime stilisiert wird. ‚Scaramouche’ lässt die verlogene, feudale Welt auseinanderbrechen: Während des Kampfes, bei dem Moreau dem Marquis mehrere Verletzungen beibringt, wird der Marquis als theaterhafte Gestalt entlarvt. So wie Moreau die dünnwandige Bühnenarchitektur aufschlitzt, ritzt er Kleidung und Haut des Marquis wie eine Theaterrequisite, erst am linken Arm, dann rechts, schließlich quer über das Wams, bevor er ihn am Ende zur Aufgabe zwingt. Abb. 28 Scaramouche, der galante Marquis. Das Scaramouche-Duell zeichnet sich durch die Aktivierung des filmischen Raums aus. Die Kamera bewegt sich in alle Richtungen. Sie verfolgt und weicht zurück. Plötzlich befindet sie sich in der Luft. Dem entspricht die Bewegung vor der Kamera. Ebenso elegant wie behände bewegen sich die beiden Männer und wissen jeden Vorteil des Raums für sich auszunutzen. Bühnenbild und Requisiten werden ebenso für den Kampf gebraucht wie der Degen. Formvollendet mit erhobenem Arm bewegt sich Mel Ferrer. Akrobatischer geht Stewart Granger zu Werke. Die Spannung einer solchen siebenminütigen Sequenz kann nur gelingen, weil die Choreografie der Bewegungsbilder funktioniert. Auf Musik wird während des Duells vollkommen verzichtet, man hört nur den Atem der Kontrahenten, das Schwingen der Degen in der Luft und Aufeinanderschlagen der Klingen, begleitet vom auf- und abschwellenden Raunen und Rufen des Theaterpublikums. Erst beim Sieg über den Marquis setzt dramatische Musik ein. Abb. 29 Scaramouche, der galante Marquis. Die Beispiele haben deutlich gemacht, dass im Unterschied zur bildenden Kunst das Duell im Kino eine genuine Möglichkeit filmischen Erzählens darstellt. Es gehört zu den etablierten Motiven, weil es in mehrfacher Hinsicht Spannung generieren kann. Einerseits bildet es im Sinne der Erzählung einen Höhepunkt, auf den der Film hinarbeitet. Das Duell ist der Höhepunkt des Konflikts und zugleich seine Überwindung. Aber was ist ein Duell? In Bezug auf das filmische Erzählen werden hier zwei unter- 343 Ende und Müller schiedliche Definitionen vorgeschlagen. Erstens: Das Duell ist ein bewaffneter Zweikampf mit potenziell tödlichem Ausgang. Es versteht sich von selbst, dass diese Definition alle Zweikämpfe umfasst und ebenso in Westernwie in Ritter- und Piratenfilmen zu finden ist. Zweitens: Das Duell ist ein historisch definierter Zweikampf, der Ehrkonflikte regelt und deshalb unter bestimmten Voraussetzungen stattfindet. Dem Duell geht in den meisten Fällen eine regelhafte Herausforderung voraus. Die Gegner müssen satisfaktionsfähig sein. Sie bedürfen der Sekundanten und sie kämpfen mit gleichen Waffen, zumeist mit Pistolen oder dem Florett. 22 Ein solchermaßen dargestelltes Duell kann als Epochenmetapher gelten. Es wird bestimmt von histori(sti)schem Decorum, das die Ästhetik des 18. und 19. Jahrhunderts evozieren soll - eine Zeit, in der die Meinung zum Duellieren von aufklärerischer Skepsis bzw. zunehmender allgemeiner Ablehnung gegenüber einer elitären Praxis bestimmt war, die wegen Banalitäten Menschenleben forderte und in den eigenen Ehrenkodizes erstickte. 23 Zugleich hat das Duell aber auch einen bestimmten Schauwert. Der Kampf mit dem Degen, Florett oder Säbel setzt zumeist eine große Körperbeherrschung in Szene und erlaubt geradezu akrobatische Einlagen. Im Rahmen des Pistolenduells werden die Vorderlader präsentiert. Umständlich müssen sie aus eigens dafür gebauten Schatullen genommen werden. Konzentriert gehen die Sekundanten zu Werk und bereiten die Pistolen für den Kampf vor. Die Ruhe, mit der dies alles geschieht, verhält sich umgekehrt proportional zur entstehenden Spannung. Hätten wir den Fernseher angeschaltet und würden einen laufenden Spielfilm mit einer solchen Sequenz sehen, wüssten wir, dass wir uns im 18. oder 19. Jahrhundert befinden müssen. 3. Das Kino ist ein Medium der Moderne. Es relativiert die Bildungsvoraussetzungen, weil es weniger auf humanistische Bildungsinhalte zielt als vielmehr auf Spannung und atemberaubende Gegenwart. Für das Erlebnis der Spannung eines Films ist nicht ausschlaggebend, ob das Publikum weiß, dass der Filmplot ähnlich in diesem oder jenem Roman existiert. Ebenso unwichtig ist es, zu wissen, ob sich ein Regisseur für eine bestimmte Einstellung an einer berühmten Komposition der Kunstgeschichte orientiert hat. Entscheidend ist die Bereitschaft des Publikums, sich mit dem Dargestellten insofern zu identifizieren, als dass es seine Sympathien eindeutig zu vergeben hat. Dass die Zuschauer zu den Guten halten, ist zwar eine banale, dennoch entscheidende Voraussetzung für eine gelungene Filmerzählung, lässt sich doch nur auf diese Weise Spannung generieren. Das Kino als ein Medium der Moderne hat seine Voraussetzung in der Verstädterung des 19. Jahrhunderts, es ist gebunden an eine zugewanderte Bevölkerung, an ein heterogenes Publikum mit unterschiedlichen Bildungsvoraussetzungen, das am Kino überhaupt Vergnügen finden kann, weil es die Ausdifferenzierung von Arbeit und Freizeit kennt. Dies sind äußere Faktoren, die die Entwicklung des technischen Mediums 22 Zu den tradierten Duellritualen siehe: H AUSER : Über das Duell in Frankreich (Anm. 4). 23 F RENZEL : Motive (Anm. 15), S. 120-121; H AUSER : Über das Duell in Frankreich (Anm. 4). 344 En garde! mitbestimmt haben. Dazu gehört, dass das Kino durch ein bestimmtes Erzählformat definiert wird. Jedem Film sind zeitliche Grenzen gesetzt. Damit das Kino funktionieren kann, bedarf es definierter Erzählformate. Eine Geschichte muss sich in zwei Stunden erzählen lassen. All dies unterscheidet den Film noch nicht von der populären Literatur, wenn man etwa an die Geschichte des Detektivromans denkt, würde der Film seine Geschichte nicht in Worten, sondern in Bildern erzählen. Strukturell teilt der Film viele Phänomene mit der Literatur und der bildenden Kunst, aber in der Synthese seiner Möglichkeiten produziert er andere Erlebnisse für den Rezipienten. Entscheidend ist, dass Filme in Bildern und in der Zeit erzählen können. Im Film findet eine Verräumlichung der Zeit und eine Verzeitlichung des Raums statt, wie es Erwin Panofsky einmal formuliert hat. 24 Zeit und ihre Verdichtung sind gleichermaßen das abstrakte Medium wie auch die Voraussetzung einer Ästhetik der Spannung, denn Zeit bedeutet nicht nur Dauer, sondern auch Unvorhersehbarkeit. Zusammenfassend lässt sich auf die Frage nach der Ikonografie des Duells festhalten, dass dieses zumeist nicht um seiner selbst willen dargestellt wird - das Motiv besitzt instrumentellen Charakter. Es stellt abschreckende Beispiele vor Augen und bietet Anlass zu Kritik. Zum Duell gesellen sich die Maske, das Theater, der Jahrmarkt, die Oper, Angeberei oder Bösartigkeit. Duellanten sind selten im Recht. Im Gegenteil werden sie Opfer eines Konformitätsdrucks, den wir Ehre nennen. Bei genauerem Hinsehen sind die Grenzen zwischen Ehre, Stolz und Hochmut fließend, dient doch das Duell als Mittel der geschlechtlichen, kulturellen oder ständischen Abgrenzung. Im Sinne eines allgemein menschlichen Symbols kann dem Duell Sinnbildcharakter zukommen. In seinem Festhalten und Fortschreiben von ‚falschen‘ Wertvorstellungen und Verhaltensregeln steht das Duell für die Rollenhaftigkeit und Absurdität menschlichen Daseins. Die Motivgeschichte des Duells folgt keiner einheitlichen Traditionslinie. Das Duellwesen als Praxis zunächst adliger, später zunehmend bürgerlicher Ehrkonfliktbewältigung erlebte immer wieder Hochphasen. Dennoch wurde das Duell in der Malerei nur spärlich aufgegriffen, in breiterem Maße erst im 19. Jahrhundert, wo es einherging mit dem verstärkten Interesse, historische Ereignisse und literarische Stoffe anekdotenhaft darzustellen. Der Hauptgrund für die insgesamt recht wenigen Umsetzungen des Sujets aber ist, dass sich die Spannung des Duells in mehreren Phasen vollzieht und durch die erwartungsvollen Sekunden vor dem Schuss oder die wechselnde Übermacht der Degenduellanten immer weiter gesteigert wird. Dies lässt sich im Bild schlecht einfangen. Der zentrale Moment des Schusses etwa, ebenso wie das Zusammensacken und Fallen des getroffenen Körpers ist im unbewegten Bild überhaupt nicht darstellbar. Es zeigt lediglich einen einzigen ausgewählten und verdichteten Moment des Duellgeschehens. Das kann die Aufstellung der Kontrahenten, ihr Griff zu den Waffen, der entscheidende Schlag oder der tödliche Ausgang des Duells sein. Wie sich der Zwei- 24 Erwin P ANOFSKY : Stil und Medium im Film (engl. zuerst „On Movies“, 1936), in: DERS .: Die ideologischen Vorläufer des Rolls-Royce-Kühlers & Stil und Medium im Film, übers. von Helmut Färber, Darmstadt 1993, S. 19-49. 345 Ende und Müller kampf tatsächlich entfaltet, wie unser Held auf die Aktionen seines Widersachers reagiert, welche überraschenden Wendungen das Fechten oder das abwechselnde Schießen nimmt, ist nicht darstellbar. Während das Duell im Gemälde also die Essenz des gesamten Konflikts darstellen und durch Requisiten, wartende Kutschen usw. das Vorher und Nachher imaginär andeuten muss, kann der Film das Duell als Bewegungsbild in der Zeit gestalten. Im Kino erlebte das Thema des Duells eine Aufwertung und wurde als interessantes Motiv entdeckt. Zum einen kann es Spannung generieren und dient der Erzählökonomie. Zum anderen signalisiert es eine bestimmte historische Epoche. Das Verständnis vom Duell als Epochenmetapher ist Voraussetzung für den Mantel- und Degenfilm. Mit einigen Farb- und Kostümtupfern entsteht ein historisch-verklärendes Ambiente. Es wird ein dekorativer historistischer Kosmos entworfen, bevölkert von populären Figuren, wie den drei Musketieren, Zorro oder Valmont, ebenso wie ihren populären Darsteller-Stars als Garanten für die emotionale Aktivierung der Zuschauer. Jedes Duell lebt von der Spannung aus Aktion und Reaktion. Wo das Bild an seine Grenzen stößt, kann der Film in einer Abfolge von unvorhersehbaren bewegten Bildern, durch Schuss und Gegenschuss, das Wechselspiel von Aktion und Reaktion der Kämpfenden in Sequenzen entwickeln. Erst der Film vermag die ästhetische Spannung aufzunehmen, die dem Duellablauf inhärent ist und sich potenziert, bis schließlich der Schuss fällt oder der entscheidende Schlag ausgeführt wird. Denn Spannung entsteht dadurch, dass wir nicht wissen, wer zuerst schießt - und wer am Ende verliert. 346 Anhänge Abbildungsverzeichnis Abbildung im Beitrag von Alexander Kästner Abb. 1 Christian Romstet: Ludolph Lorenz von Krosigk aufgebahrt. Kupferstich 390 x 490 mm (Plattenrand), in: Daniel M ÜLLER : Kurtzer Trauer=Sermon […] Köthen 1674, o. Pag. Sächsische Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek Dresden (SLUB), Deutsche Fotothek, 01054 Dresden, SLUB/ Deutsche Fotothek/ Aufnahme: Klaus-Dieter Schumacher (20. Januar 2009). Abbildungen im Beitrag von Barbara Krug-Richter Abb. 1 Stammbuch des Jacob Goetz, 2. Hälfte des 16. Jahrhunderts: Zweikämpfe mit Zweihänder (oben) und Dusack (unten). Historisches Museum Basel. Abb. 2 Fechten mit Rapier und Linkehanddolch nach italienischer Art. Abb. nach Francesco Alfieri, L’arte di ben maggiare la spade, Padua 1653, in: Alfred Hutton, Old Sword Play. The Systems of Fence in Vogue during the XVth, XVIIth and XVIIIth Centuries, London 1892, Abb. 15. Abbildungen im Beitrag von Teresa Ende und Jürgen Müller Abb. 1 Jean-Léon Gérôme: Duell nach einem Maskenball, 1857, Öl auf Leinwand, 68 x 99 cm, St. Petersburg, Hermitage. Quelle: Web Gallery of Art <http: / / www.wga.hu> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 2 Thomas Couture: Das Duell des Pierrot, 1857, Öl auf Leinwand, 71,5 x 90,5 cm, London, The Wallace Collection. Quelle: The Wallace Collection London <http: / / wallacelive.wallacecollection.org/ eMuseumPlus> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 3 Francesco Coleman: La confrontation de deux seigneurs italiens, Öl auf Leinwand, Privatsammlung. Quelle: Martin Monestier: Duels: histoire, techniques et bizarreries du combat singulier des origines à nos jours ; les gages de bataille, les tournois, les jugements de Dieu, les gladiateurs, les duels judiciaires, les duels du point d'honneur. Paris 200 5 , S. 111. Abb. 4 Eugène Delacroix: Duell von Faust und Valentin (Duel de Faust et de Valentin), 1828, Tinte auf Papier, New York, The Metropolitan Museum of Art. Quelle: Prometheus-Bildarchiv <http: / / www.prometheusbildarchiv.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 5 Il'ja Efimovic Repin: Duell zwischen Onegin und Lenski, 1899, Aquarell, Tusche, 293 x 393 mm, Moskau, Puschkin-Museum für bildende Künste. Quelle: Prometheus-Bildarchiv <http: / / www.prometheusbildarchiv.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 6 Il'ja Efimovic Repin: Duell, 1901, Öl auf Leinwand, 52 x 103 cm, Moskau, Puschkin-Museum für bildende Künste. Quelle: Ilya Repin <http: / / www.ilyarepin.org> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 7 Gabriel de Saint-Aubin: La Parade du Boulevard, 1760, Öl auf Leinwand, 80 x 64 cm, London, The National Gallery. Quelle: The National Gallery London <http: / / www.nationalgallery.org.uk> (zuletzt am 21. März 2011). 349 Abbildungsverzeichnis Abb. 8 Engelmann: Un duel en Italie, um 1800, Radierung, Paris, Musée de l'Armée. Quelle: Martin Monestier, Duels (wie bei Abb. 3), S. 243. Abb. 9 John Sanderson Wells, Ein Duell am Vormittag, Öl auf Leinwand, Auktion Sotheby’s. Quelle: Martin Monestier, Duels (wie bei Abb. 3), S. 196. Abb. 10 Das Duell, Blatt 18 einer Serie, Deutschland, um 1790, Kupferstich, Radierung, 157 x 194 mm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum. Quelle: Marburger Index <http: / / www.bildindex.de> (zuletzt am 23. März 2011). Abb. 11 Säbelduell zweier französischer Soldaten, Nürnberg, 1796, Kupferstich, Radierung, Pinsel, aquarelliert, 150 x 198 mm, Nürnberg, Germanisches Nationalmuseum. Quelle: Marburger Index <http: / / www.bildindex.de> (zuletzt am 23. März 2011). Abb. 12 Duell zwischen Charles-Malo-François, Comte de Lameth, und Armand Charles Augustin, Marquis de Castries, 1790-1799, Document Carnavalet. Quelle: Martin Monestier, Duels (wie bei Abb. 3), S. 220. Abb. 13 Duel d'un maître d'armes contre treize prévôts d'armes qu'il tua les une après les autres, Italien 1813, Grafik, Sammlung Roger-Viollet. Quelle: Martin Monestier, Duels (wie bei Abb. 3), S. 265. Abb. 14 Paul Schaan: Ein Duell im 17. Jahrhundert, Öl auf Leinwand, Catalogue du Salon de Paris, 1914. Quelle: Martin Monestier, Duels (wie bei Abb. 3), S. 173. Abb. 15 Franz Ludwig Catel: Duell, 1801, Kupferstich. In: August Friedrich Ernst Langbein: Neue Schriften, Berlin 1804, Frontispiz. Quelle: Prometheus-Bildarchiv < www.prometheus-bildarchiv.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 16 Peter Carl Geissler (Zeichner); Johann Nussbiegel (Stecher): Pistolenduell zwischen dem Juden Asch Gersdörfer und einem Studenten, Nürnberg 1825, Radierung, 178 x 250 mm, Leipzig, Stadtgeschichtliches Museum. Quelle: Europeana <http: / / www.europeana.eu> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 17 Jean-Léon Gérôme: Le Duel à la Tulipe / Folie tulipière, 1882, Öl auf Leinwand, 65,4 x 100 cm, Baltimore, The Walters Art Museum. Quelle: The Walters Art Museum Baltimore <http: / / art.thewalters.org> (zuletzt am 03. März 2011). Abb. 18 Horace Vernet: L’Atelier, 1821, Öl auf Leinwand, 52 x 64 cm, Paris, Privatsammlung. Quelle: Web Gallery of Art <http: / / www.wga.hu> (zuletzt am 16. März 2011). Abb. 19 Honoré Daumier: Combat des écoles - L’Idéalisme et le Réalisme, aus der Serie Fantaisies, publiziert in: Le Charivari, 24. April 1855, Lithografie auf Zeitungspapier, 20,9 x 27,1 cm, San Francisco, Fine Arts Museum. Quelle: The AMICA Library <http: / / www.lunacommons.org> (zuletzt am 16. März 2011). Abb. 20 Barry Lyndon. Quelle: <http: / / forum.moviemaze.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 21 Barry Lyndon. Quelle: <http: / / www.cinema.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 22 Gefährliche Liebschaften. Quelle: <http: / / www.cinema.de> (zuletzt am 21. März 2011). 350 Abbildungsverzeichnis Abb. 23 Gefährliche Liebschaften. Quelle: <http: / / www.cinema.de (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 24 Fontane Effi Briest. Quelle: <http: / / www.deutsches-filmhaus.de (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 25 Fontane Effi Briest. Quelle: <http: / / www.cinema.de (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 26 Die Duellisten. Quelle: <http: / / www.cinema.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 27 Die Duellisten. Quelle: <http: / / www.cinema.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 28 Scaramouche, der galante Marquis. Quelle: <http: / / www.cinema.de> (zuletzt am 21. März 2011). Abb. 29 Scaramouche, der galante Marquis. Quelle: <http: / / www.cinema.de> (zuletzt am 21. März 2011). 351 Ortsregister Hinweis zum Register: Die Einträge des Ortsregisters schließen zusammengesetzte Begriffe und adjektivische Formen des Stichwortes, die sich auf Institutionen, Personen oder Sachen aus den genannten Orten, Regionen, Ländern etc. beziehen, mit ein. Die Registereinträge umfassen auch Nennungen in den Fußnoten (ausschließlich der Literaturangaben). Ägypten 64 Altbayern 274 Altes Reich ( auch Heiliges Römisches Reich) 16 f., 23, 33 f., 36, 159-173, 187-189, 235, 290, 301 Antwerpen 107 f., 110 arabisch 49 f., 52 f., 77, 79 asiatisch 63 f. Basel 187, 309 Bayern 23 f., 31, 34, 68, 178, 259-273, 303, 307 Beni Hasan 64 Berlin 30, 183, 222, 252, 292, 314, 341 Bois de Boulogne 328 Boizenburg 153 Brandenburg ( auch Preußen) 144 f., 166 f., 170, 172, 241, 243 f., 245, 251 Braunschweig-Lüneburg 161, 243, 248 Bremen 249 Bremen-Verden 241, 243, 246-248 British Isles 215 Burgos 199, 204 Burgund 105-123, 125, 128, 198, 205 f. Bützow 168 Celle 248 Chemnitz 148, 155 Dänemark 32, 67, 243 Demmin 251 Deutschland, deutsch 11, 13 f., 19, 23 f., 30 f., 33, 35, 40, 47, 49-59, 61-63, 68 f., 72, 75, 77-79, 81, 83, 85, 118, 160, 183 f., 198- 202, 207, 223-226, 233, 235, 241, 243 f., 246 f., 249, 251, 253, 255 f., 258-260, 264, 266, 268 f., 271 f., 275-278, 283, 286 f., 301 f., 313, 319, 330, 333 Dresden 11, 29, 33, 35, 144, 151, 163, 167, 224, 233 f., 290, 294 Altendreßden 150 Dresdner Heide 144 Dublin 131 Duisburg 44 Edinburgh 131 f., 139 England ( auch Vereinigtes Königreich Großbritannien) 22 f., 34-36, 39, 69, 88, 97, 120, 131-140, 184, 188, 190 f., 193, 199, 204, 213-219, 235, 259, 301, 307, 319, 338 f. Europa 15, 17, 19, 22, 31, 34 f. 38, 61-68, 72, 77-87, 89, 113, 119, 126, 148, 187, 197 f., 207, 235, 259, 275, 301, 305, 307 f., 324, 326 Fehrbellin 251 Franken 264, 272 Frankfurt a. d. O. 147 Franfurt a. M. 289, 298, 307, 314 Frankreich 12-14, 17, 24, 30-35, 42, 63, 70, 74 f., 105-123, 125 f., 128, 151, 160, 162, 164, 166, 170, 183 f., 187-189, 197-204, 206-211, 233-237, 241, 259, 268, 279, 301, 307, 317, 319, 326, 332 f., 342 f., Freiberg 290-292, 295, 297 Freiburg i. Brsg. 278-281, 304, 313 f., 316 Gent 106 f., 110-114, 120 Glauchau 151 Göttingen 11, 47, 301 Greifswald 168 f., 247, 252, 254 Güstrow 151 353 Register Halle 152, 301 Hamburg 144, 301 Heiliges Römisches Reich ( auch Altes Reich) 198, 208, 211 Helmstädt 254 Holland ( auch Niederlande) 332, 335 f. Holstein 243 Ingolstadt 301 Irland 35, 301 Italien 15 f., 31, 33-36, 63, 68-70, 72, 75, 116, 118, 135, 189, 198, 207-209, 211, 235, 241, 259, 277 f., 307, 329, 332, 334 Jena 40, 150, 169, 245, 263, 306, 314 Kastilien 209 f. Kehdingen 248 Köln 309 Kursachsen 29, 37, 77, 147 f., 150, 154, 159- 173, 289-299, 303 Leipzig 155, 157, 169, 171, 223, 283, 293, 306 London 65, 81, 132 Lübeck 171 Lüneburg 157 Mailand 71, 198, 205 Mecklenburg 151, 153, 159, 161, 166-168, 173, 241, 243-245 Merseburg 291, 294 Mühlhausen 150 München 57 Neapel, Kgr. 106 Neapel, Stadt 198 Niederlande ( auch Holland) 119, 126 Nordafrika 201 Nordamerika 17, 34, 77, 82, 148 Norwegen 65 Nürnberg 67, 334 Österreich 222, 287 Paris 200, 203, 337 Pommern, preuß. Provinz 172 Pommern-Stettin 159 f. Preußen 23 f., 30 f., 144, 175 f., 182, 221 f., 224, 226, 260, 262-273, 303, 306, 320 Regensburg 166 Riva am Gardasee 221 Rom, Stadt 71, 201, 207 f. Rostock 165, 168 f. Russland 21, 34-36, 259, 267 Sachsen Kursachsen Sachsen, Kgr. 221-235 Sachsen-Eisenach 169 Sachsen-Gotha 145, 161 Saône 144 Schottland 18, 96, 131 f., 134 f., 137 Schweden 16 f., 32, 35 f., 161-172, 241-253, 255-258, 302 f., 307 Schwedisch-Pommern 35, 161, 173, 241, 247, 251 f. Schwerin 165 Skandinavien 34, 65 Spanien 32, 34, 72, 116, 198 f., 202, 204, 208- 211, 235, 307 Stade 248 f., 253, 256 Stettin 246, 249, 251, 256 Stockholm 172, 247, 252, 256 Stolpen 148 Stralsund 169, 171 f., 251-253, 256 f. Straßburg 309 Teltow 144 Torgau 147 Tübingen 160, 325 Türkei 20, 43, 49-53, 57, 77, 79 Ungarn 279 USA (Vereinigte Staaten von Amerika) 17, 34, 77, 148 Venedig 207 354 Register Vereinigtes Königreich Großbritannien ( auch England) 23, 32, 131-134, 139, 215 f., 218, 236, 307 Westfalen 30, 222, 282, 287 Wismar 148, 168, 256 Wittenberg 168 f., 291, 295 f. Personenregister Agrippa, Camillo 70 f. Alciati, Andrea 187 Almendingen, Ludwig Harscher von 177 f., 183, 185 Aristoteles 115 August, Herzog zu Braunschweig-Lüneburg- Wolfenbüttel 161, 248 August, Kurfürst von Sachsen 163 Augustinus 149 Austen, Jane 138 Backmeister, Lukas Balduin, Herzog (Romanfigur im Jouvencel) 115, 117 Below, Georg von 11, 30, 33, 35 Besnard, Charles 70, 73 f. Böhm, Karlheinz 341 Bonifacio, Giovanni di 106 f., 118 Bose, Christian Friedrich Carl 146, 152, 155 Boswell, Alexander 132, 139 f. Bourdieu, Pierre 19, 41 f., 46, 48, 323 Braddock, Almeria 132 Buchanan, Robert 140 Bueil, Jean de 115 f., 120 f. Bülow d. J., Barthold von 153 Bülow, Hermann von 179, 185 Burckhardt, Johannes 303 Burney, Francis 133, 136 Byron, George Gordon Lord 131, 133-135, 138- 140 Canning, George 131 Carradine, Keith 342 Castiglione, Baldassare 67, 72 Castillo, Diego del 187 Castle, Egerton 61 f., 70, 72 f. Castlereagh, Robert Stewart Lord 131 Castries, Armand Charles Augustin Marquis de 133 f. Christian IV., König von Dänemark und Norwegen, Hz. von Schleswig und Holstein 67 Christine de Pizan 115 Close, Glenn 340 Coleman, Francesco 329, 331 Coleridge, Samuel Taylor 131 Conrad, Joseph 342 Contarini, Gasparo 207 Couture, Thomas 327 f. Daumier, Honoré 336 f. Defoe, Daniel 134 Delacroix, Eugène 330 Dobeneck, Wolff Dietrich von 151 Dumas, Alexandre 327 Dunearn, James Stuart 132 Elias, Norbert 12, 30-33, 40, 175, 189, 250, 286 Elvers, Abraham 251 Ernst, Herzog zu Sachsen-Gotha und Altenburg 161 Eschenmayer, Carl August 181 f. Faber, Zachaeus 146, 148, 155 Fabris, Salvatore 67 Fassbinder, Rainer Werner 341 Ferrer, Mel 342 f. Fielding, Henry 131, 134, 136 Fontane, Theodor 341 355 Register Franz I., König von Frankreich 22, 197-211, 235 Frear, Stephen 339 Freud, Michael 144, 148 Friedrich II., Kaiser 95, 100 Friedrich II., König von Preußen 306 Friedrich III., Kaiser 67 Friedrich III., Kurfürst von Brandenburg (später Friedrich I., König in Preußen) 166 Friedrich August II., König von Sachsen 222- 226 Friedrich Wilhelm, Kurfürst von Brandenburg 160, 162 Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen 226 Geier, Martin 11, 151 Gérôme, Jean-Leon 326-328, 335 f. Gersdorff, Friedrich Wenzel von 29 f. Giganti, Nicoletto 71 Gleich, Johann Andreas 147 Goethe, Johann Wolfgang von 75, 330 f. Granger, Stewart 342 f. Granvelle, Nicolas Perrenot de 198, 200, 204 Gustaf Adolph, Herzog von Mecklenburg- Güstrow 245 Hahn, Cuno von 152 Haindorff, Götz 47 Hamilton, Alexander 148, 218 f. Hamilton, Gay 342 Hammer, Martin 151 f. Hazlitt, William 131 Hedwig Eleonora von Schleswig-Holstein- Gottorf, Königin von Schweden 242 Heidenreich, Clemens 222 Heinrich IV., Kaiser 98 Heinrich IV., König von Frankreich 151, 160 Helfritz, Hans 179 f. Heman, Felicia 133-135 Hogg, James 131 Hohenlohe, Wolfgang Julius Graf von 162 Holford, Margaret 135 Hunt, James Henry Leigh 132 Isabella von Burgund, Herzogin 109 James, Herzog von York (später James II., König von England) 217 Jhering, Rudolf von 179 Johann I., König von Sachsen 23, 221-223, 226, 229-236 Johann I., Herzog von Kleve 111 Johann VII., Graf von Nassau-Siegen 68 Johann Albrecht II., Herzog von Mecklenburg- Güstrow 151 Johann Georg I., Kurfürst von Sachsen 161 Johann Georg II., Kurfürst von Sachsen 150 Johann Georg III., Kurfürst von Sachsen 166, 170 Johnson, Samuel 132 Jonson, Ben 131 Judith, Kaiserin 97 Karl V., Kaiser 22, 197-211, 235 Kaufman, Michael 46 Keats, John 131, 133-135, 138 f. Keitel, Harvey 342 Korff (d. Ä.), Adolf Graf von, genannt Schmising-Kerssenbrock 222 Korff (d. J.), August Graf von, genannt Schmising-Kerssenbrock 221 Korff, Clemens August Graf von, genannt Schmising-Kerssenbrock 221 Korff, Franz Xaver Graf von, genannt Schmising-Kerssenbrock 221 f. Krosigk, Ludolph Lorenz von 145, 154-157 Kubrick, Stanley 64, 338 f., 342 La Marche, Olivier de 106 f., 113, 119 f., 122, 207 356 Register Laclos, Pierre Ambroise François Choderlos de 339 Lalaing, Jaque de 106 f., 110, 114, 118 Lamb, Charles 134 Lameth, Charles Malo François de 333 f. Lammasch, Heinrich 179 Landon, Letitia 134 Lane, William 134 Latimer, Darsie 137 Lefèvre, Jean 106-113 Lindgren, Astrid 323 Linley, Elizabeth 131 Lipsius, Justus 73 Liszt, Franz von 176, 179 Löben auf Döbernitz, Liborius von 152 Lockhart, John Gibson 131 f., 138 Louise von Savoyen 202 Ludwig der Fromme, fränkischer Kaiser 97 Ludwig XIII., König von Frankreich 32 Ludwig XIV. ,König von Frankreich 215 Lukacs, Georg 134 MacGregor, Helen 137 Mair, Paul Hector 69 Malkovich, John 340 Mandeville, Bernard 317 f. Marchand, Leslie 133, 135 Margarete von Österreich, Statthalterin der Niederlande 202 Massa, Antonio 187 Maximilian I., Kaiser 67, 206 Maximilian II., Kaiser 164 Meyer, Joachim 68 f., 73 f. Mézières, Philippe de 118 Mittermaier, Carl Joseph Anton 176-179, 183 Monestier, Martin 326 f. Montmorency-Bouteville, François de 32 Moore, Thomas 131 Mosse, Georg 42 Münchhausen auf Leitzkaw, Philip Adolff von 150 Murray, John 133, 135 Napoléon Bonaparte 135, 332 f. Nostitz, Carl Rudolf von 29 O’Neal, Ryan 338 Objartel, Georg 44 f., 283 Osbaldistone, Frank 136 Parsow, Tessen von 150 f., 154 Pattieson, Peter 136 Paul III., Papst 197, 201, 207 Pfeiffer, Michelle 340 Philipp der Gute, Herzog von Burgund 108, 110-112, 206 Philipp II., Herzog von Pommern-Stettin 159 f. Pomeranus, Friedlieb Ireneäus 146 f. Pranck, Sigmund Freiherr von 263, 273 Puschkin, Alexander 330, 337 Putbus, Ernst Ludwig II. von 252 Puteo, Paris de 187 Radcliffe, Ann 133 Reeves, Keanu 340 Renn, Ludwig 231 Repin, Ilya Jefimowitsch 330 f. Richardson, Samuel 131 Romstet, Christian 157 Rossetti, Dante Gabriel 139 f. Rumpf, Johann Daniel Friedrich 182 Saint-Aubin, Gabriel de 331 f. Sanderson Wells, John 333 Sangerhausen, Hans-Paul Walther von 156 Schaan, Paul 334 Schenck, Wolfgang 341 Schenk, Johann Conrad 280 357 Register Schmettow, Woldemar Friederich Graf von 180 f. Schönburg, Ott Wilhelm von 152 Schygulla, Hanna 341 Scott, John 132, 135, 139 f. Scott, Ridley 342 Scott, Walter 131, 134-140 Selwitz, Hans von 150 Senff, Carl Samuel 148 Seyfried, Albinus 153 Shakespeare, William 131, 137, 257 Sheridan, Richard Brinsley 131 Sidney, George 342 Silver, George 69 f., 72, 74 f. Simmel, Georg 39-41 Smith, Charlotte 133 Smollett, Tobias 131, 134 Strimesius, Samuel 147 Stuart of Dunearn, James 132 Swain, Jon 46 Taylor, John 133 Thackerey, William 339 Thibault, Girard 72 Tighe, Mary 133 Tschaikowski, Peter 330 f. Vernet, Horace 336 f. Welcker, Carl Theodor 177-179, 182 f. Wickram, Georg 96-104, 125, 127 f. Wilhelm I., Deutscher Kaiser 222 Wilson, John 131 Wissell, Rudolf 289, 303 Witzleben, Wolf Dietrich Benno von 221 Woodhouse, Richard 133 f. Wrangel, Carl Gustav von 252 Zimmermann, Johann Samuel 150 f., 154 Zülow, Baltzer von 153 Sachregister Hinweis zum Register: Das Register umfasst ausgewählte Begriffe, auf eine Erfassung von Stichworten, die thematisch bedingt sehr häufig vorkommen (z. B. Adel, Duell, Ehre oder Zweikampf), wurde verzichtet. In einem begrenzten Umfang wurden aber ausgewählte Unterbegriffe aufgenommen. Sind die Stichworte in Anführungszeichen gesetzt, ist dies ein Hinweis darauf, dass es sich um den Titel eines Buches, Theaterstücks oder Films handelt. „The Abbot“ 136 f. Abenteuer- oder Historienfilm 338 Abitur 272 Absolutismus, absolutism 11, 13, 30, 32, 71, 213 f., 215, 292, 316 Achtungsanspruch 185, 292 Adel Adelsanteil 267 f., 271, 273 Adelsreformdiskurs 233 Adelsvereinsmodell 233 Geistesadel 275 Affektkontrolle 309 Aggressivität, aggressiv 30, 51, 53-58, 61, 84, 133 f., 139, 253, 318 Akademiker 285, 306, 314 Akteur 41-43, 45 f., 49, 56, 79, 80 f., 86 f., 191, 202, 290, 293, 301 f., 308, 315, 319, 322, 339 Alkohol 54, 141, 152, 244 Ancien Régime 175, 236, 305, 343 Anerkennung 42, 46, 51, 53-56, 172, 184, 259, 315 Anfechtung 155 f. Anti-Duell-Debatte 214, 218 f. Anti-Duell-Liga 179, 271 „The Antiquary“ 135 358 Register Antisemitisch 334 Anwesenheitsgesellschaft 305 Arbeiter 39, 266 Armee 162, 221, 225 f., 233, 244, 246, 252, 255 f., 260 f., 264 f., 267-271, 302 f., 332 Bundesarmee 224 Armut 302 ars moriendi 140, 149, 153 Arztkosten 253 „As You Like It“ 125 Audienz 199-202 Auditeur 249 Aufklärung, Aufklärer, aufklärerisch 12, 182, 233, 242 Ausfordern, Herausfordern 160-163, 188, 207, 242, 244, 247 f., 251, 253 Äußerungsrecht 284 f. Autonomie 180, 182, 192, 263, 308 Autorin 63, 191 Balgen, Balgerei, Balgerey 11, 15, 141, 146, 148, 153, 160-165, 169, 241-244, 246-251, 277, 281, 302, 315 Bankier 265 barbarisch 11, 214 „Barry Lyndon“ 338 f., 342 Bauer, Bauernknecht 162, 242, 244, 247 f., 251, 255, 258, 266, 290, 317, 319, 321 Beamte 171 f., 247, 261, 265, 268, 313 Befreiungskrieg 268, 270 Begräbnis ( auch Bestattung) 142-145, 158, 187, 190, 193, 245 f. schimpfliches Begräbnis 143 f., 190 Beichte 96, 128, 145, 321 Beleidigung 19, 43 f., 52 f., 118, 170 f., 176, 178-180, 207, 230, 249, 252, 255, 257 f., 262 f., 267, 269, 292, 296, 318, 342 Benimm-Bücher 35, 37 Bestattung ( auch Begräbnis) 142, 158 Bestrafung ( auch Strafe) 223 f., 257, 263 f., 294 f. Betrug 96, 227, 302, 339 f. Bewaffnung (auch Waffe) 241, 246, 276, 284 Bildung, Ausbildung 66-68, 125, 263, 265 f., 271 f., 276, 344 Bildungsbürgertum, bildungsbürgerliche Schichten 265, 290 „The Blues“ 133 Blutrache ( auch Rachgier) 33 Blutschuld ( auch Schuld) 151 Botschafter 146, 199-202, 204, 211 Brandenburger Edikt 166 Bühnenstück ( auch Theater) 187 Bürger, Bürgertum, bürgerlich 13, 23 f., 29, 31 f., 36, 39 f., 67 f., 77, 112, 141, 164 f., 170 f., 175, 177, 180, 184 f., 222, 228 f., 231, 241, 245, 256 f., 259, 261, 265, 267 f., 271, 273, 275 f., 279 f., 282-284, 290, 298, 301 f., 305, 307 f., 316-318, 345 vorbürgerlich 205 Bürgermeister 150, 249 Burg-Friedens-Patent 159 Burschenfreiheit 283 Burschenschaften 269, 286, 287, 305 Bußpredigt 147, 148, 160 Caballero ( auch Ritter) 209 Cartel de desafío, cartel de défy 200 Chancengleichheit 94, 100 „Childe Harold“ 138 chivalric 213, 215 Christ, Christentum, christlich 36, 112, 143, 146, 147, 150, 153, 160, 199, 201, 206, 207, 272 christliche Bestattung 190 christlicher Lebenswandel 149, 150, 155, 190 359 Register christlicher Ritter 36, 206, 207 Chronistik 97, 104 „Clarissa“ 131 common law 214, 215, 216, 219 Consilium 148, 169 Corps 31, 225, 265, 270, 286 „The Corsair“ 138 Cortes (Ständeversammlung) 210 Courage 83, 84, 131, 215, 217 courts of law 131 Damenfrieden von Cambrai 202, 229 Dante-Übersetzung 221 Déclaration des Droits de l‘Homme et du Citoyen 183 Degen Waffe „Der Entehrte“ 23, 221-234 Deutschenfeindlichkeit 57 deutsch-französischer Krieg 233 f., 319 Devianz 193, 275, 281, 283, 297 Diebstahl 327 Differenzierung, Ausdifferenzierung 127, 165, 181, 189, 259, 303, 309, 338, 344 Differenzierungsbedürfnis 181 Differenzierungsprozess 95, 127 Diplomat 207 Dissident 222, 232 Distinktion 19, 31 f., 39, 40-42, 48, 88, 171- 173, 180, 295, 307 Distinktionsanspruch 81, 299 Distinktionsgewinn 180, 192 Distinktionspotential 304 Disziplinargericht 225, 232 Disziplinierung 23, 34, 193, 260, 262, 263 f., 270 f., 273, 275, 284, 308 f. Disziplinierungs- und Zivilisierungsdiskurs 189 „Don Juan“ 133, 138-140 „Drei Musketiere“ 346 Drohung, Androhung 57, 93, 142, 144, 165, 167, 170 f., 179, 191, 232, 245, 248, 250, 253, 294 f., 317, 322 Druckmedien 187 Duell Duellbefürworter 148, 182, 228 Duell-Comments 282 Duellikonografie 325, 345 Duellverweigerung ( auch Anti-Duell- Debatte) 223, 227, 230 f., 273 Duellverzicht ( auch Anti-Duell-Debatte) 23, 30, 221, 304 Dusack Waffe Ebenbürtigkeit 94, 266 Edikt 159 f., 162-164, 166 f., 170 f., 173, 242, 244 f., 247-253, 255 f. Ehebruch 96-98, 341 Eid 255 Eisenbahn 234, 241 Elementordal ( auch Ordal) 94 Empfindsamkeit 228 Enthauptung 302 Epochenmetapher 25, 338, 344, 346 „The Erle of Tolous“ 97, 103 Erzählmuster 97 Erzähltradition 103 Erziehung 36, 50 f., 54, 59, 101, 206 f., 230, 256, 263, 270 f., 273, 287 Ethnologie 14, 19, 77, 85, 305 Etikettierung 17, 37, 161, 268, 299 „Eugen Onegin“ 330, 337 „Evelina“ 136 „The Eve of St Agnes“ 133, 138 Exerzitien 70, 74, 276, 284 Exklusion 18, 20, 143 360 Register Familie 43, 49-54, 59, 110, 143, 145 f., 154, 169, 190, 206 f., 228, 244 f., 248, 252, 256, 278, 339 „Faust“ 75, 330, 337 Mephistopheles 330 Valentin 330 f., 337 Faust 242, 255, 258, 281, 306 Faustkampf 248 Faustrecht 289 Fechten Fechtboden 276, 278 Fechtbuch, -literatur 62 f., 65-69, 71-73 Fechtkampf 305 Fechtkunst 61-75 Fechtlehrer, -meister 62, 64-67, 70 f., 75, 256, 284 Fechtritual 286 Fechtschule 65, 69, 75, 306 Fechtstunde 276 Fechtwaffe 69, 276 f., 279 Säbelfechten 20, 73 Stichfechten 62 f., 68 f., 72-74 Stoßfechten 73 f., 277 f. Federkrieg 186, 192 Fehde 30, 33, 81, 118, 123, 125 f., 163, 248 Fehdeverbot 189 Feigling 252, 284, 318 Feldscher 144, 155, 171, 294 Feminisierung, feminin 41, 133-137, 139, 191, 323 Festungshaft 264 Feudallasten 229 Fiktion, fiktional 65, 191, 201, 318 Film Noir 340 Fiskal 250, 252 „Flos duellatorum“ 63 Flugschrift 187, 202, 208 Folter 245 „Effi Briest“ 341 Freiheit, freiheitlich 59, 104, 110, 198, 283, 317 akademische Freiheit 31, 275, 281, 283 f., 304 Freiheitskrieg 268 Grundrecht auf Meinungsfreiheit 183-185, 192 Freundschaft 20, 52 f. „Freydal“ ( auch Fechtbuch) 67 Friedensschluss 214, 216 f., 219, 272 Friedhof, Gottesacker 150, 249, 317 Frömmigkeit, fromm 36, 96, 102 f., 149, 155- 158, 206, 228 Frustration 303, 307 gage de bataille 115 f., 122, 126 Garnison 242 f., 253 f., 260, 268-270, 301 Garnisonsgericht 249, 251 Garnisonsstadt 256, 301 Gassenlauf 250, 252 f., 302 Gedicht 146, 187, 319 „Gefährliche Liebschaften“ 339, 341 Gefängnis 96, 244, 248 f., 253, 261, 293-296, 314 Geldstrafe 249, 253, 255, 261, 316 f. Gelehrter 178, 276, 306 Gemeinwohl 228 Gender ( auch Geschlecht) 31, 41 f., 132, 135 f., 138 f., 156, 202 Generalauditoriat 264 Generalkriegsgericht 226, 243, 246, 252 Gentry 217, 218 Genugtuung 176, 181, 273, 339, 342 Gerechtigkeit 94, 103, 112, 127, 199, 257 f. Gericht, gerichtlich 24 f., 29, 31, 33, 36 f., 49, 97-99, 101, 118-120, 128, 144, 164 f., 361 Register 167 f., 170-173, 179, 183, 188, 192, 223, 235, 242, 245 f., 249 f., 252, 254 f., 257, 261, 264, 266, 290, 293-296, 299, 302, 308, 316-318 Gerichtsakte 14, 37, 161 f., 165, 270 Gerichtsprotokoll 276, 281, 314 Gerichtsverfahren, -verhandlung 58, 93, 163, 187, 189, 192, 223 Gerichtszweikampf siehe Zweikampf, gerichtlicher akademisch Gerichtsbarkeit 31, 168, 275, 278, 280 f., 283-285, 301, 306, 308, 368 Ehrengericht 222, 224-227, 231 f., 259 f., 262-264, 267, 270-273, Hofgericht 35, 252, 314 Kampfgericht 21, 263 Königsgericht 98 Militärgericht 222, 224, 241-258, 261 f., 264, 270, 273, 309 Sondergerichtsbarkeit 308 Geschlecht, Geschlechterdifferenz, -grenzen, -konstrukt 41, 42, 82, 89, 102, 188, 191, 324, 334 Geschlechterforschung, -theorie, geschlechtstheoretisch, -geschichtlich 13, 19, 42, 46, 77, 156, 286 Geschlechterehre 191, 193, Geschworenengericht 270 Geselle ( auch Handwerk) 171, 241, 247, 253, 284, 289-299, 319, 322 Gesinde 247, 254, 319 Gesta Hludowici 97 Geständnis 101, 128, 173, 252, 255, 258 Geste 37, 154, 248, 298 Gewalt Gewaltkommunikation 304 Gewaltkultur 20, 24, 235, 258, 289, 303, 307 Gewaltpraktik 12 f., 15, 20, 24, 161, 188, 302, 307 Gewaltritual 37, 83, 289, 297 Gewalttheorie 307 berufsbedingt Gewaltaffinität 303 legitime Gewalt, Notwehr, Selbstverteidigung, Züchtigung 165, 232, 252-254, 257 „The Giaour“ 138 Glauben 85, 101, 146 f., 156 Glaubensbekenntnis 149, 153-155, 190 Glaubwürdigkeit 94 Glücksspiel 302 Gnade, Begnadigen, Gandenpraxis 17, 22, 143 f., 153, 254, 293 f., 317 Gnadengesuch 247 Gnadenrecht 151 Gott, göttlich 86 f., 94, 98 f., 103, 122, 126 f., 142, 146 f., 151, 153-156, 160, 163, 199, 201, 206 f., 258 Gottesbeweis ( auch Ordal, Zweikampf, gerichtlicher) 87 Gotteslästerung, Gottlosigkeit, gottvergessen 148, 150, 156 Gottesurteil, iudicium dei 93-95, 99, 101, 103 f., 115-123, 125 f., 128, 209 Gruppenzugehörigkeit 258, 292 f., 302 Gutachten 11, 151, 164, 166, 170, 267, 316 „Guy Mannering“ 135 Habitus 39, 41 f., 46, 48, 252, 255, 257, 284, 304, 315, 320 Halbstarke 319 Halsgerichtsordnung 159 Handwerk/ er (auch Geselle)23 f., 150, 171 f., 258, 266, 268, 289-299, 301, 303 f., 306 Hausfrieden, Hausfriedensbruch 163, 242 Hausvater 240 Heeresreform 263, 272 f. 362 Register Henker (auch Scharfrichter) 101, 128, 245 Heroe, heroisch, heroisierend 112, 133, 135- 139, 283, 336 f. Herold 116 f., 119, 199 f. Herrscherzweikämpfe 197-211 High Court (of Chivalry) 214, 216, 218 Hinrichtung, hinrichten 32, 100 f., 119, 143 Historienbild 326, 329, 331 Historisierung, historisieren 17, 163, 329 Hochadel 271 Hof, höfisch höfische Dichtung 205 höfische Etikette 34 Hofmannstraktat 35 Homogenisierung 232, 263, 269, 271, 303 Homosozialität 13, 19, 40 f., 44-47 House of Lords 217 „Humphrey Clinker“ 131 Hundertjähriger Krieg 120, 126 Hunger 302 Hyde Park 218 Idealismus, idealisieren, idealistisch 12, 36, 336 f. Identität 47, 51, 53, 115, 143, 228, 275, 282, 322 f. Injurie 11, 150, 159, 164 f., 167-173, 175-186, 188, 251, 257, 267, 294 f. Formalinjurie 185 Injurienprozess, -verfahren 168, 175-186, 191 f., 265 Injurienrecht 175-186, 192 f. Institutionalisierung, institutionalisieren 51, 78, 306 Instrumentalisierung, instrumentalisieren 186, 193, 267, 296 Inszenierung, inszenieren 21, 25, 36, 38, 73, 78, 90, 95, 113 f., 143, 146, 187, 191, 202, 211, 258, 266, 290, 330, 334 Internierung, internieren 204, 234, Italienkriege 198, 209 iudicium mixtum 245, 252 iudicium pugnae 93, 101 Jahrmarkt 318, 331 f., 345 „Jouvencel“ 115-118, 120-122, 126 Jugend, jugendlich, Jugendlicher 17, 19 f., 25, 39, 43-46, 49-52, 54-59, 75, 77, 79, 254, 281, 284 f., 304-306, 313-324, 338 Jugendkultur 25, 39, 43, 284 f., 304, 306, 313- 316, 321 Jungmännergruppen, -kultur, -milieu 15, 19, 25, 37, 285, 306, 316 Justiznutzung 296 Kabinettsorder 221 Kamera 340, 342 f. Kamerad 153, 227, 231 f., 244, 248, 251, 302 Kämpe 93, 96, 99, 101 f., 117, 127 f. Kampf Kampfkunst 19, 63-69, 74 Kampfplatz 97-99, 110-114, 116 f., 120, 127, 200 Kampfspiel 39 Gruppenkampf 105, 120, 123, 125 f., 277 imaginierter Kampf 202 Karikatur 336 f., 342 Kartell, Cartel 162, 200 f., 208, 247, 261 f., 268 Kasino 266, 269 Katharsis 340 Katholizismus, katholisch 40, 87, 101, 145, 183, 221 f., 226, 230, 233, 271 f., 316 Kaufmann, -leute 171 f., 258, 266, 307 Kinderliebe 228 Kirche (Ort/ Raum) 107, 150, 254, 321 363 Register Kirche, kirchlich (Institution) 33, 126-128, 132, 142, 209, 226, 233, 243 Kirchhof 144, 150, 246 Kleriker, Klerus 40, 68, 103, 128, 210 Kommunikation, face-to-face 305 Konfession, konfessionell 143, 169, 222, 226, 230, 233 Konflikt Konfliktbewältigung 49, 182, 345 Konfliktkultur 276, 278 f., 285, 307 Konfliktlösung 54, 59, 90, 186-189, 191- 193, 306 Konstitutionen von Melfi 95, 100 Konzil von Trient 142, 162 Körper, Körperlichkeit, körperlich 35, 45-47, 53, 56, 70-73, 77, 84, 86, 88, 101, 104, 110, 116, 121, 141 f., 149, 156 f., 197-211, 245, 250, 258, 275 f., 286, 298, 313, 317, 322, 326, 334, 340, 344 f. Körper-Politik, körperliches Politikverständnis 197-211, 235 Körperstrafe 250, 253 Körperverletzung 261 Kostümkunde 329 Kreditwürdigkeit 292 Kreuzzug 207 Krieg/ er 33, 47, 57, 65, 68, 70, 74, 105 f., 112 f., 115, 120-123, 125 f., 153, 197-202, 206 f., 209-211, 233-235, 242, 243, 245 f., 250 f., 253-255, 266-168, 271, 279, 281, 316 f., 319, 321 Kriegsartikel 244, 246, 250, 254 Kriegsgefangenschaft 204, 234 Kriegsminister, -ministerium 224 f., 261, 263-265, 267, 269, 271 Kriegsrecht 246 Kriegsvorbereitung 266 Kriminalisierung 188-190, 192, 250, 297 Kulturkampf 222 Landfriedensbewegung 189 Langeweile 55, 303, 307 Lanze Waffe „The Lady of the Lake“ 134 „Lay of the Last“ 134 „Le Chevalier Deliberé’“ 207 Lebensverachtung 266 Lebenswandel 149 f., 155, 190 Leichenpredigt 36, 141-158, 187-190, 193 „The Liberal“ 133 Liberale, liberal 59, 133, 184 f. „Life of Napoleon“ 135 Liga von Cognac 199 Loyalität 50-53, 243, 246, 265 Männergemeinschaft 40-42, 46, 337 Manneszucht 270 Männlichkeit 13 f., 19, 21, 39-59, 79 f., 88, 141, 153, 187, 191, 253, 256, 258, 283, 286 f., 304 f., 308, 313, 315, 320 f., 323 f. Mantel- und Degenfilm 241, 325, 338, 342, 346 „Marmion“ 134 Märzrevolten 184 Massenschlägerei 19, 52, 57 f., 253, 289, 298, 313 Medien 21, 50 f., 187, 189, 190, 192 f., 201 f. Massenmedien 186 Memoria ( auch ars moriendi) 142, 275 Mensur 44, 128, 285-287, 305 Messer Waffen Meinungsäußerung, freie 183 Metapher 17, 25, 156, 328, 338, 344, 346 Migration 20, 49, 50 f., 59 Militär Militärrecht 243, 250, 253, 264 Militärstrafgesetz 222-225 364 Register Minderheit 56 f., 114 Missachtung 292 Mobbing 57 Mönch 96 f., 101 f., 127 f. Moral, moralisch 12, 40, 87, 118, 131, 133, 141, 143, 146-148, 152, 158, 221, 226, 228, 230 f., 233, 324, 341 moraltheologisch 23, 141, 145, 147, 149, 151, 158, 190, 231 Mord, Mörder, Meuchelmord 11, 67, 70, 74, 143, 145-148, 151, 153 f., 187, 190, 216, 224, 226, 246, 249, 255, 321, 331, 339- 341 Musik 54, 253, 331, 337, 340, 343 Muslim 49-59 Mut, Übermut 141, 228, 230 f., 266, 287, 315, 330, 334, Mutprobe 286 Mutter 19, 43, 52 f., 198, 202, 204, 228, 242, 318, 331 Nachlassakten 306 Napoleonische Kriege 267 f., 333, 337 Nation, national 53, 135, 140, 222, 233, 235 f., 243 f., 248, 256, 268 Natursinn 228 neo-chivalric 213 neo-feudal 213 Nobilitierung, nobilitieren 171 f., 256, 265 Norddeutscher Bund 224 f. Norm, normativ 12, 14, 21, 39, 52-54, 59, 73, 94 f., 99, 109, 113 f., 119, 122 f., 127, 141- 144, 146, 149, 153 f., 156, 158-173, 176, 188-191, 193, 224, 241, 250, 282 f., 285, 294, 296 f., 316 Normkodex 53, 283 Novelle 23, 97, 221-234, 236 Öffentlichkeit, öffentlich 13, 15, 37, 45, 49, 62, 65, 73, 84, 88, 98, 107, 113, 123, 125, 128, 143, 152, 159, 172 f., 183-190, 192 f., 202, 222, 224, 228, 231 f., 236 f., 250, 252, 254, 256 f., 270, 273, 280, 294, 298, 306, 317, 319-322, 324, 340 Teilöffentlichkeit 187 Offizierskorps 23, 34, 37, 223-226, 259-273, 303 Ökonomie, ökonomisch 89, 191, 228 f., 259, 289, 292 „Old Mortality“ 136 Oper 330, 345 Ordal 21, 87, 94, 118 f. Orden vom Goldenen Vlies 207 Ordnung Ordnungsdiskurs 191, 193 Ordnungsgefährdung 193 Ordnungsstörung 188 Ordnungs- und Policeygesetzgebung 188 f. gesellschaftliche Ordnung 95, 233, 236 Gute Ordnung 152, 193, 188 Osmanen 58, 201 Papst, päpstlich 142, 197, 199, 201, 207, 222 Parlament, parlamentarisch 160, 224, 236 Pas d’armes 106, 114, 122, 126 patriarchal 231 Patrizier 307 Peergroup 50, 52, 55 f., 59, 89, 298 Pennalismus 169 Performanz, performativ 46, 78, 89 f., 125, 127, 145 performativer Akt 187 f., 192 Pfarrer 131, 150, 243, 250 Pflicht, Verpflichtung 96, 99, 112, 121, 205, 232 f., 244, 263, 271 Pflichterfüllung 270 Philosoph 11, 85, 181 Piratenfilm 325, 344 Pistole Waffe 365 Register Policey(-ordnung), policeylich 141, 171, 188 f., 247, 291 Politik politische Emanzipation 185 politische Propaganda 202 f., 205 politische Weitsicht 228 Popularität, populär 16 f., 133, 138, 170, 187, 189, 236, 281, 285, 345 f. praeparatio ad mortem 155 Prälat 208 Predigt ( auch Leichenpredigt) 141, 147 f., 152, 160 Presse 224, 313 Prestige 53 f., 71, 94, 109, 114, 308 Priester 128, 190, 249, 321 Prinzipientreue 228 privat, Privatheit 131, 147 f., 150, 153, 157 f., 182, 185, 209, 214-216, 227, 256 f., 269, 320, 341 privater Ehrenstreit, Privatgewalt 147 f., 150, 153, 158, 176, 182, 209, 214- 216, 219, 248, 271 Privatsphäre 185 Privileg, Privilegierung, privilegiert 67, 82, 189, 192 f., 223, 256, 284, 302 Professor 11, 77, 131, 245, 306 Protestantismus, protestantisch 87, 141, 167, 188 Provokation 55, 172, 200, 245, 252 f., 257 f., 317, 321 Prügel, Prügeln, Prügelei 44-46, 56, 163, 249, 251, 257 f., 266, 314, 317, 320, 324 Psychologie, psychologisch 77, 266, 339 Quartier, einquartieren 243 f., 246-49, 254 Rache, Rachgier, Selbstrache 33, 147, 158, 163 f., 167, 171, 175, 230, 243, 248, 295 f., 319, 342 Rapier Waffe Rassismus, rassistisch 57 Rauferei, Raufhändel ( auch Schlägerei) 39, 81, 175, 251, 277, 281, 289 Rauflust 281 f., 304, 306 Realinjurien Injurie Realismus 65, 337 Recht Rechtsanwalt 178 Rechtfertigung, Rechtfertigungsmuster 94, 184, 186, 190, 227, 231, 265 f. Rechtskritik 177 Rechtsritual 99, 101 Rechtswissenschaft, rechtswissenschaftlich 31, 188, 192 rechtliche Privilegierung 284 Strafrecht, strafrechtlich 20, 141, 149, 175, 179, 185, 188, 222-224, 226, 260, 265, 313 Unrecht, unrechtmäßig 152, 208, 231 Verrechtlichung 193, 250, 303, 306 „Redgauntlet“ 137 Regel Regelhaftigkeit, regelhaft 18, 29 f., 35, 37, 187 f., 191-193, 289, 293, 320, 344 Regellosigkeit, regellos 24, 64, 282, 285, 304 regelgeleitet 101, 125, 146, 302 Reglementierung, 125, 188 Reich Reichskreis 166 f. Reichstag 166, 211 Reinigungseid 255 reinigende Funktion 340 Reitstunde 276 Religion, religiös 21, 53, 81 f., 85-87, 95, 101, 118, 127 f., 140, 149, 152, 188, 190, 193, 230, 272, 319 366 Register Irreligiosität 179 Renaissance 66, 72, 206 Renaissance-Fürst 206 Rencontre 24, 244, 280-282, 285, 304, 306 Repräsentant 204, 271 Reserveoffizier 259, 265 „Richard II“ 131 Richter, richterlich 29, 58, 98, 102, 110, 112 f., 117 f., 120, 126, 176, 180, 182, 186, 247, 255, 270, 316 Ringkampf, -techniken 63 f., 68 f. Ritter, ritterlich 21, 36, 44, 62, 70, 72, 74, 93, 104-115, 120 f., 123, 125-128, 164, 199, 201, 206 f., 209 f., 265, 279, 344 „Ritter Galmy“ 93-104, 125, 127 f. Ritterakademie 67 Rittergut 163, 227, 231 Ritterideal 93-104, 203, 207 Ritterroman 93-104, 207 Ritterschaft 203, 247 f. Ritual, ritualisiert 15-17, 19-21, 30-32, 37, 40, 43 f., 73, 77-83, 85-87, 89 f., 94 f., 99, 101, 104, 111, 116 f., 120, 140, 142 f., 145, 158, 165, 173, 187-189, 191, 205, 236, 248, 250, 252, 256, 258, 275, 277, 280 f., 283, 285 f., 289, 293, 297-299, 304 f., 313, 317, 337, 340, 341 f., 344 ritualisierter Zweikampf 15, 78, 81, 83, 87 Initiationsritual, -ritus 40, 268, 272, 286 Mannbarkeitsritual 286, 304 „The Rivals“ 131 „Rob Roy“ 136 f. Russlandfeldzug 267 Sachsenspiegel 95, 99 Sakralhandlung 94, 99 Salon 337 Satire 101, 335, 339 Satisfaktion, satisfaktionsfähig, Satisfaktionsfähigkeit 17, 22-24, 42, 82, 170-173, 180, 242, 254 f., 257, 259, 265 f., 268, 271, 273, 280, 285, 304, 334, 344 satisfaktionsfähige Gesellschaft, - Gruppe 24, 30, 172 f. 180, 259, 265 f., 271- 273, 285 Sattelzeit 25, 38, 173, 305 „Scaramouche, der galante Marquis“ 342 f. „The Sceptic“ 135 Schäfer 247 Scharfrichter (auch Henker) 246, 253 Scheiterhaufen 99, 101, 128 Schelm, schelmisch 279, 282 Schiedsinstanz 306 Schiedsrichter 43, 110, 112 f., 116, 120, 186 Schlacht bei Pavia 198, 204 Schlägerei ( auch Rauferei) 16 f., 19, 45 f., 52, 54, 57 f., 153, 163-166, 172, 242, 246-248, 251, 253, 255, 289, 298, 302, 313, 324 Schmähung, Schmähen, Schmähwort 101, 104, 151-153, 178, 247, 251, 298, 315 Schmerzensgeld 253 Schriftsteller/ in 131-140, 191 Schuld, schuldig 98, 101, 103, 118, 127 f., 149, 151 f., 154, 173, 231, 252, 255, 258, 341 Schuld (finanziell) 163, 263, 292 Schuldvergebung ( auch Vergebung) 154 f. Unschuld, unschuldig 94, 96, 98, 100 f., 127 f., 149 Schuss-Gegenschussmodell 339 Schwert Waffe Seelenheil 21, 118, 143, 145 f., 190 Seelsorger, seelsorgerisch 21, 145 Sekundant 164 f., 186, 188, 248 f., 258, 261, 268, 326, 331, 344 Selbstbeherrschung 228 367 Register Selbstdarstellung 180 f., 192, 299 Selbstjustiz 243, 250 Selbstmörder 143, 146 f., 190 Selbstrache Rache Selbstregulierung 182 Selbstverteidigung 65 f., 68 f., 73, 253 Seligkeit 150 f., 158 seliger Tod 141, 148 f., 158, 190 Sklave 107 Solidarität 41, 44, 51-53, 58, 323 Sondergerichtsbarkeit Gericht soziale Ausgrenzung 231 Sozialisation 13, 49, 54 f., 58, 323 Sozialneid 302 Spazierstock 306 Spielregeln 45 f., 57, 141, 320 sprezzatura 20, 72 „St Ronan’s Well” 135 Staat staatliches Gewaltmonopol 31 f., 189, 192 f., 248, 265 Staatskörper 205, 210 Staatsräson 246 omnipotenter Staat 182 Stadt, städtisch 19, 39, 44, 58, 65, 67, 107 f., 110, 113, 148, 162, 208, 210, 243-246, 249, 256, 266, 276, 281 f., 284, 291, 294, 296-298, 301, 305, 308, 313, 319, 324 Universitätsstadt 276, 278, 281, 284, 301, 305 Verstädterung 344 Stand Standesehre 126, 224 f., 232, 245, 304 Standesgrenze 68, 127, 304 Standespflicht 263, 271 Ständeversammlung 210, 269 geburtsständisch 22 f., 228, 279 Statussymbole 268 Stellvertreter 93, 125, 128, 322 Stichfechten Fechten Stoßfechten Fechten Strafe 57, 99, 100, 128, 62, 179, 226, 244, 246, 248-253, 255, 257 f., 261, 264, 270, 293- 295, 302, 316 f., 321 Strafrecht Recht Todesstrafe 226, 248, 252, 261 Straftat 49, 52 f., 151, 158, 161, 165, 188, 261 Streit, Streitigkeiten 11, 29, 39, 41, 44, 89, 93 f., 98-100, 115, 150-153, 159, 165, 175, 177, 183, 186, 199, 209, 224, 227, 233, 251, 253, 257, 263, 266, 271, 281, 291, 293, 298, 302, 304, 316, 321, 329, 333, 337 Streitschlichtungsmonopol 182 Stubenarrest 264 Studenten, studentisch, Studierende 23 f., 31, 39 f., 44, 68, 77, 128, 146, 150, 168 f., 171, 223, 226, 245, 247, 253, 265, 269, 272, 275-287, 290 f., 295 f., 298 f., 301- 308, 314, 316, 319, 334 f. Subordination, Insubordination 182, 266, 270 Sünde/ r 143, 146-148, 151, 154, 158, 190, 324 Supplik, Supplikation 144, 149, 190, 245, 257, 293 „The Surgeon’s Daughter“ 135 Tagelöhner 268, 291 Talionsprinzip 193 Tapferkeit, tapfer 107, 109-111, 113 f., 118, 121 f., 127 f., 207, 230 f., 283, 287 Teilöffentlichkeit Öffentlichkeit Teufel 11, 146 f. Theater ( auch Bühnenstück) 89, 105, 340, 343, 345 Theologie, theologisch 11, 14, 21, 23, 36 f., 100, 141, 145, 147, 149, 151, 158, 187, 190, 231 Tjost 105, 125 368 Register Tod, tödlich 17 f., 29 f., 58, 72-74, 84 f., 87, 96, 100, 102, 106, 125 f., 141-158, 168, 175, 189 f., 198, 226 f., 231, 234, 243-245, 248, 250, 252, 254, 260 f., 264, 279, 281, 289, 293, 302, 315-317, 323, 326 f., 331- 334, 339-341, 344 f. Vormärz 269, 272 Waffe Degen 16, 21, 29 f., 34, 36, 42, 62, 74, 141, 144, 146, 153, 155, 162, 164 f., 231, 241 f., 245-250, 252-255, 258, 275-279, 281, 284, 287, 291, 293, 304, 306, 325, 329 f., 334 f., 338, 340, 342-346 Todesstrafe Strafe Tortur ( auch Folter) 246 Totschlag 17, 67, 131, 144, 159, 162, 168, 245, 254 Dusack 276 f. Hieb- und Stichwaffe 62, 74, 307 Transfer 21 f., 34, 78, 82 f., 85, 159, 161 f., 164 f., 167, 169, 188 f., 209, 301 Lanze 65, 109, 111, 207 f. Messer 57, 247, 253, 320 ‚trickle down’-Effekt 24, 301 Pistole 73, 146, 155, 162, 230 f., 241 f., 245, 249, 307, 314, 334 f., 344 Tulpomanie 335 f. Tunis-Feldzug 201 Rapier 62, 68 f., 72, 276-279, 304 Turnier 33, 105 f., 113 f., 118, 120-122, 125 f., 142, 207 f., Säbel 20, 73 f., 255, 333, 344 Schwert 62 f., 65 f., 68 f., 71-73, 100, 110, 117, 128, 261, 277 f. „Twelfth Night“ 131 Unehre, unehrenhaft 142 f., 147 f., 152 f., 181, 228, 230, 271, 292 „Warbeck of Wolfenstein“ 135 „Waverley“ 134 f. Universität, Hochschule 32, 68, 168 f., 223, 247, 259, 265, 269, 276-279, 281, 283- 285, 296, 301, 305, 307-309, 314 Welttheater 328 Wettbewerb 19, 23, 39-48, 258, 319, 323 Wettkampf 20, 44, 94, 109 Unrecht, unrechtmäßig 152, 208, 231, 308 Wortgefecht 43, 99, 101, 279 Unschuld Schuld Zeichencharakter 265 Unseligkeit, unselig 145, 149 Zensur 184 Vasall 11, 96, 102 f., 105, 127 Zentrumspartei 222 Verbindungsthese 177-186, 192 Zivilisierung, (un)zivilisiert 18, 33, 35, 81, 84, 189, 285, 306, 309 Vergebung 154 f., 173, 190 Vergeltung 24, 193 Zorro 346 Vergemeinschaftung 13, 19, 40-42, 47 f., 265 Züchtigung 254 Verhaltenskodex 269, 272 Zunftmeister 290, 324 Verleumdung 178, 185 f., 203 Zweikampf, gerichtlicher 62, 64, 93-104, 116, 119 f., 122, 125, 127, 208 f. Verrechtlichung Recht Verstädterung Stadt Zweikampf, ritualisierter Ritual Vertrauen 99, 152, 225, 232, 322 ‚Zwei-Reiche‘-Welt 303 Verzweiflung 156 369